Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien: Wissenschaftliche und praktische Menschenkenntnis [5 ed.] 3534269268, 9783534269266

Dietmar Friedmann stellt die drei Grundtypen der Persönlichkeit und ihre Lebensstrategien vor. Im Unterschied zu anderen

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German Pages 224 [229] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie
1.1 Die Persönlichkeitstypen als Spiegelbilder der Lebenswirklichkeit
1.2 Drei Welten – eine Wirklichkeit
1.3 Differenzialdiagnose der drei Grundtypen
1.4 Die diagnostische Rolle der Schlüsselfähigkeiten
1.5 Die strukturtypischen Codes – die Persönlichkeit von innen
1.6 Psychische Stabilität und Entwicklung einer Persönlichkeit
1.7 Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich
1.8 Wie real sind die Persönlichkeitstypen?
2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe
2.1 Theorie als Landkarte
2.2 Ein Fachgebiet ohne Fachwissen
2.3 Bereichsangemessenes Verhalten
2.4 Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden
2.5 Handeln, Erkennen und Beziehung als Prozesse
2.6 Drei unterschiedliche Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten
2.7 Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln
3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen
3.1 Auch ‚Spiele' sind persönlichkeitstypisch
3.2 Typspezifische Spielabläufe
3.3 Wie lassen sich Spiele unterscheiden?
3.4 Wozu Spiele gespielt werden
3.5 Die Spiele des Beziehungstyps
3.6 Ja, aber – ein typisches Spiel des Beziehungstyps
3.7 Andere Spiele des Beziehungstyps
3.8 Umgang mit Retterverhalten und Machtspielen
3.9 Die Spiele des Sachtyps
3.10 Mach mich fertig – ein typisches Spiel des Sachtyps
3.11 Andere Spiele des Sachtyps
3.12 Umgang mit Opferverhalten und Zuwendungsspielen
3.13 Die Spiele des Handlungstyps
3.14 Pflichterfüllung – das typische Spiel des Handlungstyps
3.15 Umgang mit Verfolger- und Identitätsspielen
4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung
4.1 Sind die Skripts persönlichkeitstypisch?
4.2 Die drei Skripts nach C. Steiner
4.3 Bernes sechs Skriptmuster
4.4 Das Immer- und Danach-Skript des Beziehungstyps
4.5 Das Niemals- und Beinahe-Skript des Sachtyps
4.6 Das Erst-wenn- und Offenes-Ende-Skript des Handlungstyps
5. Wie sich die Persönlichkeitstypen in Märchen spiegeln
5.1 Jeder Strukturtyp hat seine eigenen Märchen
5.2 Die Konkurrenz-Märchen des Beziehungstyps
5.3 Die Abenteuer-Märchen des Sachtyps
5.4 Die Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps
5.5 Typspezifische Energien und Zeitdimensionen bei den Märchen
5.6 Die drei Kausalitäten bei den Beziehungstyp-, Sachtyp- und Handlungstyp-Märchen
6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen
6.1 Die tragische Verwirklichung des Wertesystems
6.2 Das erkenntnisgeleitete Wertesystem in Goethes ‚Iphigenie' und ‚Faust'
6.3 Skriptzeiten des Beziehungstyps – Leiden an der Gegenwart, Lernen aus der Vergangenheit?
6.4 Das erfolgsgeleitete Wertesystem in Shakespeares ‚Richard III.' und ‚Hamlet'
6.5 Skriptzeiten des Sachtyps – in Vergangenem befangen, die Zukunft gestalten?
6.6 Das sympathiegeleitete Wertesystem in Sophokles ‚Antigone' und Kleists ‚Der zerbrochene Krug'
6.7 Skriptzeiten des Handlungstyps – Verplant an die Zukunft die Gegenwart erleben?
6.8 Die drei Kausalitäten in den Dramen
7. Verwandte Diagnostik-Modelle
7.1 Die Psychoanalytische Charakterkunde
7.2 Das Enneagramm – Übersicht
7.3 Enneagramm und Körpertypen
7.4 Die neun Typen des Enneagramms
7.5 Persönlichkeitsentwicklung im Enneagramm
7.6 Die Ich-, Du- und Wir-Bezogenheit
7.7 Die Zeitdimensionen und Energien im Enneagramm
7.8 Grundeinstellungen im Enneagramm und der Persönlichkeitstypologie
7.9 Homöopathie – die drei chronischen Miasmen
7.10 Die homöopathischen Konstitutionstypen
7.11 Tuberculinum, Arsenicum und Silicea – Beziehungstypen I
7.12 Ignatia, Phosphor und Pulsatilla – Beziehungstypen II
7.13 Natrium muriaticum, Sulfur und Calcium carbonicum – Sachtypen I
7.14 Staphisagria, Natrium carbonicum und Graphites – Sachtypen II
7.15 Lachesis, Mercurius und Lycopodium – Handlungstypen I
7.16 Sepia, Nux vomica und Carcinosium – Handlungstypen II
Schlusswort
Anmerkungen
Literatur
Register
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Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien: Wissenschaftliche und praktische Menschenkenntnis [5 ed.]
 3534269268, 9783534269266

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Dietmar Friedmann

Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien Wissenschaftliche und praktische Menschenkenntnis

4. Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 4., unveränderte Auflage 2012 © 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25781-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73573-0 eBook (epub): 978-3-534-73574-7

Inhalt Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie . . . . . . . . . . 1.1 Die Persönlichkeitstypen als Spiegelbilder der Lebenswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Drei Welten – eine Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Differenzialdiagnose der drei Grundtypen . . . . . . . . . . . . 1.4 Die diagnostische Rolle der Schlüsselfähigkeiten . . . . . . . . 1.5 Die strukturtypischen Codes – die Persönlichkeit von innen . . 1.6 Psychische Stabilität und Entwicklung einer Persönlichkeit . . 1.7 Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich . . . . . . . . . . . 1.8 Wie real sind die Persönlichkeitstypen? . . . . . . . . . . . . . .

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2. 2.1 2.2 2.3 2.4

Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe . . . Theorie als Landkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Fachgebiet ohne Fachwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereichsangemessenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Handeln, Erkennen und Beziehung als Prozesse . . . . . . . . . 2.6 Drei unterschiedliche Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln . . . . . . . . 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11

Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen . . Auch ‚Spiele‘ sind persönlichkeitstypisch . . . . . . Typspezifische Spielabläufe . . . . . . . . . . . . . Wie lassen sich Spiele unterscheiden? . . . . . . . . Wozu Spiele gespielt werden . . . . . . . . . . . . . Die Spiele des Beziehungstyps . . . . . . . . . . . . Ja, aber – ein typisches Spiel des Beziehungstyps . Andere Spiele des Beziehungstyps . . . . . . . . . Umgang mit Retterverhalten und Machtspielen . . Die Spiele des Sachtyps . . . . . . . . . . . . . . . . Mach mich fertig – ein typisches Spiel des Sachtyps Andere Spiele des Sachtyps . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.12 3.13 3.14 3.15

Umgang mit Opferverhalten und Zuwendungsspielen Die Spiele des Handlungstyps . . . . . . . . . . . . . . Pflichterfüllung – das typische Spiel des Handlungstyps Umgang mit Verfolger- und Identitätsspielen . . . . .

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4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung . . . . . . . . Sind die Skripts persönlichkeitstypisch? . . . . . . . . . . . Die drei Skripts nach C. Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . Bernes sechs Skriptmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Immer- und Danach-Skript des Beziehungstyps . . . . Das Niemals- und Beinahe-Skript des Sachtyps . . . . . . . Das Erst-wenn- und Offenes-Ende-Skript des Handlungstyps

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. 94 . 94 . 97 . 99 . 100 . 102 . 103

5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

Wie sich die Persönlichkeitstypen in Märchen spiegeln . . . . . Jeder Strukturtyp hat seine eigenen Märchen . . . . . . . . . . Die Konkurrenz-Märchen des Beziehungstyps . . . . . . . . . . Die Abenteuer-Märchen des Sachtyps . . . . . . . . . . . . . . . Die Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps . . . . . . . . . Typspezifische Energien und Zeitdimensionen bei den Märchen Die drei Kausalitäten bei den Beziehungstyp-, Sachtyp- und Handlungstyp-Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen . . . . . . . . . . . . 6.1 Die tragische Verwirklichung des Wertesystems . . . . . . . . . 6.2 Das erkenntnisgeleitete Wertesystem in Goethes ‚Iphigenie‘ und ‚Faust‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Skriptzeiten des Beziehungstyps – Leiden an der Gegenwart, Lernen aus der Vergangenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Das erfolgsgeleitete Wertesystem in Shakespeares ‚Richard III.‘ und ‚Hamlet‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Skriptzeiten des Sachtyps – in Vergangenem befangen, die Zukunft gestalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Das sympathiegeleitete Wertesystem in Sophokles’ ‚Antigone‘ und Kleists ‚Der zerbrochene Krug‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Skriptzeiten des Handlungstyps – Verplant an die Zukunft die Gegenwart erleben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Die drei Kausalitäten in den Dramen . . . . . . . . . . . . . . .

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7. 7.1 7.2 7.3

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Verwandte Diagnostik-Modelle . . . . . . . . Die Psychoanalytische Charakterkunde . . . Das Enneagramm – Übersicht . . . . . . . . . Enneagramm und Körpertypen . . . . . . . .

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Inhalt

7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10 7.11 7.12 7.13 7.14 7.15 7.16

Die neun Typen des Enneagramms . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlichkeitsentwicklung im Enneagramm . . . . . . . . . . Die Ich-, Du- und Wir-Bezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zeitdimensionen und Energien im Enneagramm . . . . . . Grundeinstellungen im Enneagramm und der Persönlichkeitstypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homöopathie – die drei chronischen Miasmen . . . . . . . . . . Die homöopathischen Konstitutionstypen . . . . . . . . . . . . Tuberculinum, Arsenicum und Silicea – Beziehungstypen I . . . Ignatia, Phosphor und Pulsatilla – Beziehungstypen II . . . . . Natrium muriaticum, Sulfur und Calcium carbonicum – Sachtypen I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staphisagria, Natrium carbonicum und Graphites – Sachtypen II Lachesis, Mercurius und Lycopodium – Handlungstypen I . . . Sepia, Nux vomica und Carcinosium – Handlungstypen II . . .

Schlusswort

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Register

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Einleitung Wozu Menschenkenntnis? Sind nicht alle Menschen einander ähnlich, sind die anderen nicht etwa so wie ich selbst, kann ich nicht von mir auf sie, auf mein Gegenüber schließen? Das ist ein weit verbreiteter Irrtum mit negativen Folgen, leider auch unter Fachleuten. Vielleicht ist es Wunschdenken, dass alle anderen so wären wie ich. Das Leben würde dadurch einfacher, aber auch eintöniger, ärmer und reizloser. Tatsächlich haben wir keine Wahl: Menschen sind auf eine dramatische Weise verschieden. Doch das ist nur eine Seite der Wahrheit. Sie sind sich auch erstaunlich ähnlich – je nachdem, ob sie vom Persönlichkeitstyp her unterschiedlich oder gleich sind. Dieses Wissen ist nicht neu, doch es ist über einen langen Zeitraum verdrängt, vergessen worden. Praktisches Wissen oder Erfahrungswissen wurde in der Psychologie, in der Pädagogik, in der Psychosomatik und in anderen Disziplinen, die es mit dem Menschen zu tun haben, in den letzten Jahrzehnten beiseite geschoben. Es galt als unwissenschaftlich. Heute fängt man an umzudenken. Man besinnt sich wieder auf das Wissen, das sich in der Praxis bewährt und schon bewährt hat. ‚Menschenkenntnis der Persönlichkeitstypen‘ ist kein neues Thema. Gäbe es dazu nicht eine Fülle von Erkenntnissen, so müsste man sich überhaupt fragen, ob dieses Thema eine lohnende Aufgabenstellung bietet. Und doch bringt diese Darstellung etwas entscheidend Neues: bisherige Typologien waren überwiegend beschreibend, phänomenologisch – diese ist ‚prozessorientiert‘. Sie geht aus von den unterschiedlichen Strukturen und Prozessen, die die Persönlichkeitstypen ausmachen. Die Persönlichkeitstypen werden also nicht mehr ‚von außen‘, von ihren beobachtbaren Eigenschaften und Verhaltensweisen her beschrieben, sondern ‚von innen‘, von ihrer ‚Funktionsweise‘ her. Das ist nicht mit einer pragmatischen Vorgehensweise zu leisten, die sich allein auf Erfahrungswerte stützt, sondern es erfordert Wissen – Wissen über den Aufbau und die Strukturen unterschiedlicher Persönlichkeitstypen und über prozesshafte Abläufe. Damit betreten wir notwendigerweise Neuland, denn die moderne lösungs- und ressourcenorientierte Psychotherapie ist weitgehend dem Pragmatismus oder Konstruktivismus verpflichtet und beide stehen psychologischem Wissen äußerst skeptisch gegenüber. Sie sehen die Psyche als einen freien, nicht determinierten Raum, in dem alles möglich ist. Hier

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Einleitung

soll gezeigt werden, dass sich unsere Psyche auf die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unserer Lebenswirklichkeit hin organisiert hat. Wir haben es dann mit einer Freiheit in der Abhängigkeit zu tun. Fortschritte in der Praxis sind nur möglich, wenn man bereit ist, sich auf neue Wege des Denkens einzulassen; die Geschichte der praktischen Psychologie ist schon bisher durch wiederholte Paradigmenwechsel geprägt.1 Dieses neue Denken ist weder dogmatisch noch willkürlich, sondern ganz und gar realistisch. Das bedeutet, es muss in jedem Schritt nachprüfbar sein und sich in der Praxis bewähren. Was bringt eine prozessorientierte Persönlichkeitstypologie? Sie ist wesentlich genauer und anwendungsrelevanter als die bisherigen, beschreibenden Typologien. Sie kann feiner und trennschärfer unterscheiden. Und sie kann den gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Typologien ebenso deutlich machen wie ihren speziellen Beitrag zum Thema Menschenkenntnis. Sie ist darüber hinaus geeignet als Integrationsmodell2 zu dienen für unterschiedliche Schulen der Menschenkenntnis.3 Im ersten Kapitel wird die prozessorientierte Persönlichkeitstypologie dargestellt, gezeigt, dass die Strukturen unserer Persönlichkeit spiegelbildlich sind zu der uns umgebenden Lebenswirklichkeit. Es werden die drei Grundtypen – der Beziehungstyp, der Sachtyp und der Handlungstyp – beschrieben sowie die Voraussetzungen für ihre psychische Stabilität, Persönlichkeitsentwicklung und Autonomie. Dann wird die Frage beantwortet, ob die Persönlichkeitstypen etwas Natürliches, ob sie Realitäten sind oder künstliche Unterscheidungen. Im zweiten Kapitel werden die Gesetzmäßigkeiten unserer Lebenswirklichkeit dargestellt. Dieser Ausflug in die philosophische Ontologie ist deshalb lohnend, weil die Strukturen unserer Persönlichkeit auf diese Lebenswirklichkeit hin organisiert sind. Dieses Wissen trägt zum Verständnis der Persönlichkeitstypen bei. Wer weniger philosophisch interessiert ist, kann dieses Kapitel zunächst einmal überschlagen. Auch für die folgenden Kapitel gilt, dass die Reihenfolge nicht zwingend ist. Im dritten und vierten Kapitel wird das negative, eingeschränkte Verhalten und Erleben der Persönlichkeitstypen beschrieben. Spiele und Skripts sind ursprünglich Themen der Transaktionsanalyse4 und werden hier typspezifisch dargestellt. Wichtig dabei ist die Frage nach den Alternativen: Was hilft mir, Spiele zu vermeiden, d. h. nicht mich und andere zu manipulieren und statt dessen meine Beziehungen und mein Leben konstruktiv zu gestalten? Im fünften und sechsten Kapitel wird gezeigt, dass sich sowohl in den Märchen als auch den Dramen die Persönlichkeitstypen widerspiegeln, von ihren Themen her, ihren Problemen, den Lösungen und der Sprache. Es wird deutlich, wie weitgehend das Erleben und Verstehen vom Persön-

Einleitung

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lichkeitstyp geprägt wird und wie er sich seine Wirklichkeit schafft. Zugleich wird damit altes und tief gehendes Wissen zu den Themen der Menschenkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung erschlossen. Im siebten Kapitel werden drei der bekanntesten Modelle der Menschenkenntnis zusammengefasst und der Bezug zur prozessorientierten Persönlichkeitstypologie hergestellt: relativ kurz die psychoanalytische Charakterkunde von Freud über Riemann bis König und ausführlicher das in den letzten Jahren recht bekannt gewordene Enneagramm sowie die homöopathischen Konstitutionstypen. Dabei lasse ich mich von dem Interesse und der Aufgabenstellung leiten, zu zeigen, wie dieses reiche Wissen integriert werden kann, so, dass es sich gegenseitig bestätigt, ergänzt und befruchtet. Die ersten fünf Kapitel sind Neubearbeitungen aus früheren Veröffentlichungen,5 die inzwischen vergriffen sind, Kapitel 7 ist völlig neu.

1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie 1.1 Die Persönlichkeitstypen als Spiegelbilder der Lebenswirklichkeit Die hier vorgestellte Psychologie der Persönlichkeitstypen enthält neue Erkenntnisse zum Thema Persönlichkeitspsychologie. Etwa, dass die Art, wie unsere Persönlichkeit aufgebaut ist und funktioniert, in hohem Maße übereinstimmt mit den Gesetzmäßigkeiten und Prozessen unserer Lebenswirklichkeit. Wenn man je geglaubt hat, der Mensch sei ein Fremder in dieser Welt, sei anders als dieses Leben hier, gehöre nicht dazu und passe nicht hierher, so gilt eher das Gegenteil. Die Persönlichkeitstypen spiegeln die Bedingungen des Lebens wider, ahmen sie nach und entsprechen ihnen. Dabei handelt es sich um Prozesse, um uns und in uns, im Äußeren des uns umgebenden Lebens und spiegelbildlich im Inneren des Menschen. Deshalb ist diese Persönlichkeitstypologie prozessorientiert: sie geht aus von den unterschiedlichen Strukturen und Prozessen, welche die Persönlichkeitstypen ausmachen. Bisher wurden die Persönlichkeitstypen von außen beschrieben. Man hat ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen beobachtet. Kennt man jedoch ihre inneren Gesetzmäßigkeiten, so wird aus der bisherigen phänomenologischen Persönlichkeitstypologie nun eine prozessorientierte. Jetzt werden die Persönlichkeitstypen von innen her gesehen und beschrieben. Das ermöglicht neue Erkenntnisse und Verbesserungen für die Praxis. Die Persönlichkeitstypen lassen sich mit diesem Wissen sicherer erkennen und zuverlässiger unterscheiden. Eine prozessorientierte Persönlichkeitstypologie ist näher an den Ursachen als eine nur beobachtende. Sie ist genauer, brauchbarer und vielseitiger in der Anwendung. Da sie die Strukturtypen ‚von innen her‘ versteht, ist sie zugleich kompatibel zu anderen phänomenologischen Persönlichkeitsmodellen, die die Persönlichkeitstypen ‚von außen‘ beschreiben. So wird traditionelles Wissen zum Thema Menschenkenntnis verfügbarer und zugleich zuverlässiger in der Anwendung. Sie kann den gemeinsamen Nenner etwa eines homöopathischen Konstitutionstyps und eines Enneagrammtyps (siehe Kap. 7) erkennen. Dadurch ist eine Koordination dieser klassischen Modelle der Menschenkenntnis möglich. Der Zuwachs an Wissen und die genauere und verlässlichere Umsetzung in der Praxis lässt hoffen, dass die Persönlichkeitstypologie den Stellenwert in der Psychologie bekommt, der ihr zusteht. Sie könnte für all

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

jene Fachgebiete, in denen es um Menschen geht, die Funktion einer Grundlagenwissenschaft gewinnen, etwa in der Psychologie, der Psychotherapie, der Medizin, der Pädagogik, dem Theater und der Literatur und in vielen anderen Anwendungsbereichen. Zugleich ist diese prozessorientierte Persönlichkeitstypologie alltagstauglich und beantwortet viele Fragen über uns selbst, über die anderen, mit denen wir zusammenleben und zusammenarbeiten. Warum bin ich so, wie ich bin, fühle, denke und verhalte mich auf meine Art, unterscheide mich von anderen oder stimme mit ihnen überein in meinen Vorlieben, Wertschätzungen und Abneigungen? Wie ist das mit meinem Partner, meinen Kindern, meinen Freunden? Wer sich mit einer Persönlichkeitstypologie vertraut macht, erkennt, dass Menschen zugleich verschiedener und ähnlicher sind als er das bisher wahrgenommen hat. Und dieses Wissen kann ihm helfen, statt immer von sich auf andere zu schließen, den anderen in seiner Wesensart zu sehen und zu verstehen. Es hilft angemessen mit sich und anderen umzugehen, macht Sinnerfahrungen verständlich und verdeutlicht, worauf es im Leben ankommt. Stand im herkömmlich cartesianischen Denken in den Wissenschaften der Mensch der Natur gegenüber, so wird jetzt deutlich, wie sehr wir mit ihr identisch sind. Die Persönlichkeitstypen selbst sind eine Antwort auf die Bedingungen und Spielregeln des menschlichen Lebens. Sie entsprechen den Strukturen der objektiven Wirklichkeit, so dass in einem gewissen Umfang das Verstehen der Wirklichkeit Voraussetzung wird für Menschenkenntnis und diese wiederum die uns vorgegebenen Lebensbedingungen erklärt. Menschenkenntnis ist so gesehen ein Teilaspekt eines übergreifenden Wissens, das zeigt, wie die Strukturen unserer Psyche mit den Gesetzmäßigkeiten unserer Lebenswirklichkeit übereinstimmen oder, da es sich um Prozesse handelt, wie psychische Abläufe jenen in der äußeren Wirklichkeit entsprechen.

1.2 Drei Welten – eine Wirklichkeit Viele Menschen glauben, unser Leben funktioniere nach einer einzigen Gesetzmäßigkeit, der Ursache-Wirkungs-Kausalität. Wir kennen sie aus unserem alltäglichen Handeln oder aus technischen Abläufen. Doch damit verlieren wir große und wichtige Lebensbereiche aus dem Blick, all das, was mit Wachstum, Entwicklung und Selbstverwirklichung zusammenhängt und auch die paradoxe Logik des zwischenmenschlichen Geschehens. Was nicht wahrgenommen wird, lässt sich schlecht kultivieren. Tatsächlich spricht viel dafür, dass unsere Wirklichkeit nicht aus einem Stoff gemacht ist und nach einem einzigen Prinzip funktioniert, sondern

Drei Welten – eine Wirklichkeit

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aus drei eigengesetzlichen Lebensbereichen besteht, die ganz unterschiedliche Strategien erfordern, um ihnen gerecht zu werden. Wir haben es hier jeweils mit anderen Zeitdimensionen und Energien, vor allem aber mit unterschiedlichen Kausalitäten zu tun, die bestimmen, wie etwas geschieht. Die uns vertraute Ursache-Wirkungs-Kausalität konstituiert den Lebensbereich Handeln, die Zielkausalität prägt den Lebensbereich Erkennen und Identität und die paradoxe oder systemische Kausalität ist das Wirkungs-Prinzip, nach der das Beziehungsgeschehen funktioniert, eine Kausalität über die wir im Abendland wenig wissen.1 Diese unterschiedlichen Kausalitäten erfordern, dass wir uns immer wieder neu und anders auf Situationen einstellen und mit ihnen umgehen müssen, je nachdem welche Kausalität wirksam und zu nutzen ist. Wir müssen ständig entscheiden, welche von unseren Lebenserfahrungen, welche unserer Fähigkeiten und Fertigkeiten und welche Vorgehensweisen jetzt gefordert sind. Das ist so, als ob wir gleichzeitig ein Spiel mit drei unterschiedlichen Spielregeln spielen müssten. Das Zusammenwirken dieser drei unterschiedlichen Kausalitäten und den ihnen entsprechenden Energien, Zeitdimensionen und Lebensthemen machen das menschliche Dasein reich und vielgestaltig, aber auch anspruchsvoll und schwierig. Und wir wären heillos überfordert, wenn unsere Psyche sich nicht zweckmäßig auf diese verschiedenartigen Lebensbedingungen hin organisiert hätte. Vereinfacht gesagt: wir haben in unserer Psyche drei Abteilungen, die sich auf je eines der drei Lebensthemen spezialisiert haben und sich automatisch auf bereichsspezifische Signale hin einschalten. Doch genauer genommen sind es verschiedenartige Prozesse, denen unsere Psyche entsprechen muss, Prozesse die sich auf unterschiedliche Weise aus den Elementen Fühlen, Denken und Handeln zusammensetzen. Frühe Spezialisierungen auf einen dieser drei Prozesse führen zu den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen. Diese zeigen sich dann als Spezialisten für die eine oder andere Lebenskompetenz. Der ‚Beziehungstyp‘ hat sich schon in seiner Kindheit auf das Beziehungsthema spezialisiert und hat dafür eine besondere Affinität und Begabung entwickelt. Vergleichbares gilt für den ‚Sachtyp‘ und das Denken und für den ‚Handlungstyp‘ und das Handeln. Entsprechend den drei eigengesetzlichen Lebensbereichen haben wir es mit drei Grundstrukturen der Persönlichkeitstypen zu tun. Diese Grundkompetenzen reichen freilich für das spätere Leben nicht aus; zudem haben sie kompensatorische Züge, mussten Mangelsituationen ausgleichen. Es geht also nicht nur um die Frage, um welchen Persönlichkeitstyp handelt es sich, sondern wie weit hat er die mit seiner Entstehung verbundenen Einschränkungen und Fixierungen überwunden und die zwei anderen Lebenskompetenzen erworben?

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

Die Persönlichkeitstypen werden hier also nicht isoliert, d. h. ausschließlich psychologisch gesehen und beschrieben, sondern als Spiegelbilder der menschlichen Wirklichkeit. Sie sind mit unterschiedlichen Schwerpunkten Abbilder der objektiven Lebenswirklichkeit und entsprechend auf sie hin organisiert und spezialisiert. Die Vorstellung, der Mensch stehe dem Leben und der Welt als unbeschriebenes Blatt gegenüber, muss wohl aufgegeben werden. Er ist in viel höherem Maße Teil dieses Lebens und dieser Welt, als man bisher vermutet hat. Das ermöglicht ihm auch, auf seine Intuition und unbewusste Kreativität zu vertrauen. Befasst man sich mit diesen grundlegenden Zusammenhängen, so erfährt man etwas von der Schönheit des Einfachen und Zweckmäßigen, die unsere Wirklichkeit ausmacht. Und man entdeckt, dass wir schon immer ein unbewusstes Wissen über diese Zusammenhänge haben, dass wir Stimmigkeit und Sinn empfinden, wenn wir uns in Übereinstimmung mit diesen Wirklichkeitsgesetzen befinden und uns unbehaglich und irritiert fühlen, wenn wir sie verfehlen. Oder dass wir, wenn wir selbst davon nicht betroffen sind, spontan und mit einer gewissen Schadenfreude lachen, wenn wir beobachten, wie sich jemand ‚daneben‘ benimmt, Handlungsanforderungen mit bloßem Denken begegnet, mit Gefühlsangelegenheiten hartnäckig handelnd oder mit Erkenntnissituationen ausschließlich emotional umgeht. Auch die Wirkung von Witz und Humor beruhen darauf, dass überraschend die Lebensbereiche und ihre Bedingungen gewechselt werden. Die Faszination, die von Typologien ausgeht, liegt vor allem darin, dass wir uns in ihnen wieder erkennen, unsere Art, wie wir uns verhalten, was uns wertvoll und wichtig ist und was wir verabscheuen. Wir sehen deutlich unsere Stärken und Schwächen, und es wird uns bewusst, wie wir unser Leben gestalten. Haben wir die anderen bisher eher an den eigenen Maßstäben gemessen, von unseren Erfahrungen auf sie geschlossen, so können wir nun mit Hilfe dieses typologischen Wissens deutlich ihre Eigen- und Wesensart sehen. Es ist so, als ob man nun ihre Sprache kennt und versteht, in der sie sich ausdrücken. Man kann darauf mit Erstaunen reagieren oder verärgert, denn schließlich fragt man sich, wo bleibt das Individuelle, das Einmalige, wenn so vieles typspezifisch ist? Und das gilt nicht nur für die einzelnen Persönlichkeiten, sondern auch für die Art, wie sie ihr Leben gestalten. Das zeigt sich bei den persönlichkeitstypischen Spielen und Skripts oder wenn man Märchen oder Dramen analysiert, wie sich sowohl in der Form als im Inhalt das Typspezifische ausdrückt. Auch bei der therapeutischen Arbeit mit Menschen fällt auf, wie sich sowohl die Probleme als auch die Lösungswege des jeweiligen Persönlichkeitstyps ähnlich sind.

Differenzialdiagnose der drei Grundtypen

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1.3 Differenzialdiagnose der drei Grundtypen Es gibt Diagnostikmodelle, die zwei, drei, vier, sechs, neun oder mehr Typen unterscheiden. Das hat seine Berechtigung, denn neben den drei psychologischen Grundtypen gibt es die damit nicht identischen Körpertypen,2 der leptosome, athletische und pyknische, dazu jeweils einen eher ichbezogenen Typ I und einen ichvergessenen Typ II, sowie die Auswirkungen der Persönlichkeitsentwicklung, die dazu führt, dass der Beziehungstyp klar denkt und gelassen reagiert, der Sachtyp tatkräftig und kraftvoll handelt und der Handlungstyp spontan und herzlich ist. Schon aus der Kombination dieser Komponenten ließen sich 18 oder mehr verschiedene Persönlichkeitstypen beschreiben. So interessant die differenzierten Modelle für Selbsterfahrung und Menschenkenntnis sind, für die Arbeit in der Praxis gilt das Motto: zurück zu den drei Grundtypen! Denn mit der prozessorientierten Darstellung der drei Grundtypen erhalten wir einen hohen Prozentsatz der anwendungsrelevanten Aussagen.3 Um von den pathologisierenden Bezeichnungen der psychoanalytischen Charakterkunde wegzukommen, habe ich die drei Grundtypen Beziehungstyp, Sachtyp und Handlungstyp genannt. Damit wird jeweils die Ausgangspersönlichkeit bezeichnet, die dadurch zustande kommt, dass sich das kleine Kind auf eines der drei Lebensthemen spezialisiert, auf das Thema Beziehung, das Thema Erkennen oder das Thema Handeln. Auch dann, wenn sich der kleine Beziehungstyp später verstärkt das Erkennen zugänglich macht, der Sachtyp das Handeln oder der Handlungstyp das Beziehungsthema, so bleibt doch von der Bezeichnung her jeder das, was er ursprünglich ist. Allerdings wird man jetzt von einem entwickelten Beziehungs-, Sach- oder Handlungstyp sprechen. In der Praxis kommt es deshalb vor allem darauf an, den richtigen Grundtyp zu erfassen. Dabei bewährt sich eine Mischung aus phänomenologischem und prozessorientiertem Vorgehen: was beobachte ich und was weiß ich über den Persönlichkeitstyp (Tab. 1)? Das Wissen über die Persönlichkeitstypen ist deshalb wichtig, weil beispielsweise entwickelte Persönlichkeiten sich deutlich unterscheiden von weniger entwickelten oder unentwickelten. Bei einem Gefühlsmenschen wäre es beispielsweise naheliegend, anzunehmen, es handle sich um einen Beziehungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Handlungstyp oder ein wehleider Sachtyp sein. Oder jemand wirkt ruhig und nachdenklich. Ist das nun ein Sachtyp, ein entwickelter Beziehungstyp oder ein etwas depressiver Handlungstyp? Oder jemand verhält sich aktiv und zielbewusst. Zuerst denkt man an einen Handlungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Sachtyp oder

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie Tab. 1: Checkliste: beobachtbare Merkmale. Beziehungstyp

Sachtyp

Handlungstyp

Gesamteindruck

liebenswürdig, lebendig, kommunikativ

nachdenklich, ruhig, weich, zurückhaltend

energisch, ordentlich, selbstbewusst, geradlinig

Körperhaltung

aufrecht, beweglich

entspannt, locker bequem

kraftvoll, angespannt, tatkräftig

Gestik

anmutig, kontrolliert

lasch, impulsiv

geregelt, nachdrücklich

Gang

leicht, gewandt

träge, lässig

marschierend

Stimme

melodisch, hell, akzentuiert

monoton, dunkel, undeutlich

kräftig, kehlig, bestimmend

Wortwahl, Sprache

emotional, dramatisierend, ja-aber

sachlich, Substantive, verharmlosend

handlungs- und erfahrungsbezogen, wertend

Gesichtsausdruck

lächelnd gewinnend, ernst, abwesend bewegt unbewegt

blickt durchdringend, freundlich

Kleidung

modisch, geschmackvoll, gewinnend

unauffällig, bequem, sportlich, gesund

ordentlich, elegant, konservativ, Qualität

Konfliktverhalten

emotional, dramatisierend, scharfzüngig, kurz und heftig

ausweichend, harmonisierend, cholerisch, nachtragend

geradlinig, rechthaberisch, bestrafend, stur

Beziehungsverhalten

verführerisch und sich distanzierend, liebevoll

nett, sachlich, unsensibel, fürsorglich

kameradschaftlich, eruptive Gefühlsregungen

ein ehrgeiziger Beziehungstyp sein. Fortgeschrittene Anfänger in der Persönlichkeitsdiagnostik machen meist den Fehler, dass sie sich zu rasch für einen bestimmten Persönlichkeitstyp entscheiden, bzw. ihre Entscheidung nicht mehr überprüfen. Bei einer persönlichen Begegnung werden wir zuerst mit dem Gesamteindruck, den eine Person auf uns macht, konfrontiert. Wie wirkt jemand auf mich, wie kommt er auf mich zu? Der Beziehungstyp wirkt gewinnend, lebendig, dynamisch und beweglich. Er kann sich gut auf andere einstellen, reagiert gefühlsmäßig sensibel und kommunikativ. Auch wenn der Beziehungstyp eine eher unbewusste Sehnsucht danach hat, von allen geliebt

Differenzialdiagnose der drei Grundtypen

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zu werden, sei es durch ein besonders liebenswürdiges Verhalten oder durch brillante Leistungen, so gehen doch sein Wertesystem und seine Persönlichkeitsentwicklung in eine andere Richtung, in die des klaren Erkennens. Diese unterschiedlichen Intentionen können für andere oder ihn selbst irritierend wirken. Er äußert sich kritisch, möchte jedoch Sympathie gewinnen. Oder er zeigt spielerische Freude, möchte jedoch für intelligent gehalten werden. Der Sachtyp wirkt gutmütig und aufgeschlossen, natürlich, weich, nachdenklich, mancher eher unsicher, ein anderer übertrieben selbstbewusst. Oft zeigt er eine Mischung aus Bescheidenheit und egoistischer Anspruchshaltung. Kritik kann ihn tief kränken. Der Sachtyp verhält sich in fast allen Lebenssituationen ähnlich, zeigt den gleichen Gesichtsausdruck, spricht mit der gleichen Betonung, nimmt die gleiche Körperhaltung ein. Egal wie dramatisch die Situation ist, er nimmt die Gefühle und Stimmungen anderer wenig wahr und stellt sich kaum darauf ein. In Beziehungen gibt er sich äußerlich unabhängig, macht sich aber unbewusst abhängig. Da er gerne erfolgreich und anerkannt sein möchte, spricht er über Dinge, die ihm gelungen sind. Umgekehrt reagiert er auf Misserfolge unverhältnismäßig niedergeschlagen und deprimiert. Das Widersprüchliche seines Verhaltens zeigt sich in der Neigung, sich verwöhnen zu lassen, sich passiv zu verhalten und seinem tiefen Bedürfnis nach kraftvoller Souveränität, also etwas zu unternehmen und sein Leben selbstverantwortlich und aktiv zu gestalten. Erfüllt man seine Wünsche, wird er immer unzufriedener. Er stöhnt, wenn er kleinere Aufgaben erledigen soll, doch wenn es hart auf hart geht, wachsen ihm ungeahnte Kräfte zu. Der Handlungstyp kommt freundlich und geradlinig auf den anderen zu, wirkt kraftvoll und aktiv, will gute Laune verbreiten in einer Mischung aus fürsorglichem und bestimmendem Verhalten. Meistens sind Handlungstypen ordentlich, zuverlässig und pflichtbewusst. Man könnte sie mit einem Gastgeber vergleichen, der sich für das Wohl seiner Gäste verantwortlich fühlt. Handlungstypen möchten respektiert werden. Deshalb bemühen sie sich einen guten Eindruck zu machen, sie vermitteln: ich bin o.k.! Ihr Verhalten ist kameradschaftlich, verlässlich und bei zunehmender Persönlichkeitsentwicklung menschlich und gefühlsmäßig engagiert. Dabei kommen sie gelegentlich in Konflikt mit ihrem Drang, sich an Regeln zu halten und sich nach Autoritäten zu richten. Handlungstypen sind auch an ihrer Präsenz zu erkennen. Sie vermitteln den Eindruck, als ob sie mit ihrer Energie den ganzen Raum ausfüllen würden. Das Widersprüchliche ihres Verhaltens liegt in der Ambivalenz zwischen ihrer ausgeprägten Ordnungsliebe und Regelhaftigkeit und dem tiefen Bedürfnis danach, spontan und lebendig sein zu können. Hat man es, etwa bei einem Telefongespräch, nur mit der Stimme zu tun,

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

so gilt Ähnliches wie beim Gesamteindruck. Klingt die Stimme melodisch, gewinnend, sind die Worte klar akzentuiert, wird eher rasch und gewandt gesprochen, hell und deutlich, werden Gefühle an- und ausgesprochen, so dürfte es sich um einen Beziehungstyp handeln. Hat der andere eine monotone Sprechweise, redet er sachlich und erklärend, spricht er leise und etwas undeutlich, langsam und ausführlich, macht er ‚gut Wetter‘, ohne dass deutlich wird, was er persönlich will, oder klingt sein Tonfall rebellisch, so könnte dies ein Sachtyp sein. Spricht der andere eher laut und in kurzen Sätzen mit einem freundschaftlichen oder kameradschaftlichen Ton, energisch und handlungsbetont, will er gute Stimmung vermitteln, spricht er direkt an, was er will, sagt er den anderen, was er denkt, ob sie es hören wollen oder nicht und klingt seine Stimme kräftig und etwas gepresst, so könnte dies ein Handlungstyp sein. Da sich die persönlichkeitstypische Wesensart in fast allen Lebensäußerungen zeigt, kann man auch aus der Haltung, der Gestik, dem Gesichtsausdruck, dem Gang, der Kleidung, dem Konflikt- und Beziehungsverhalten, dem Lachen, der Art, wie sie mit Thema Ordnung umgehen, was ihnen bei ihrer Arbeit leicht fällt und was sie schätzen, wie sie ihre Wohnung einrichten, ihre Freizeit gestalten, über welche Witze sie lachen oder was für Ängste sie haben und aus vielen anderen Merkmalen auf ihren Persönlichkeitstyp schließen. Zunächst sind wir nicht gewohnt, solche Unterschiede deutlich wahrzunehmen und sie zuzuordnen. Es ist wie bei jedem Können, ein Musiker hört mit anderen Ohren, ein Maler sieht mit anderen Augen als ein Laie oder ein Blinder hat einen anderen Tastsinn entwickelt als ein Sehender. Deshalb braucht Persönlichkeitsdiagnostik neben dem diagnostischen Wissen über einen langen Zeitraum viel Übung und Erfahrung, um sicher und zuverlässig zu werden.

1.4 Die diagnostische Rolle der Schlüsselfähigkeiten Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die Persönlichkeitsdiagnostik erschweren und die nicht selten zu falschen Zuordnungen führen. So kann der Körpertyp irritieren. Leptosome wirken meist etwas ‚sachtypisch‘, Athletiker ‚handlungstypisch‘ und Pykniker ‚beziehungstypisch‘, auch dann, wenn ihr Grundtyp ein anderer ist. Männer kaschieren häufig ihren Beziehungstyp, Frauen den Handlungstyp. Im Schwäbischen galten jene Fähigkeiten, die typisch für den Beziehungstyp sind, als landesuntypisch. Jemand, der zu freundlich, zu liebenswürdig war, wurde mit Misstrauen betrachtet. Deshalb wirken schwäbische Beziehungstyp-Frauen oft etwas herb. Im Rheinland, wo eine Frohnatur geschätzt wird, geben sich manche Handlungs- oder Sachtypen so, als seien sie Beziehungstypen. Doch zu

Die diagnostische Rolle der Schlüsselfähigkeiten

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den meisten Fehlschlüssen führt die Persönlichkeitsentwicklung, bei der andere, neu erworbene Aspekte der Persönlichkeit gelebt und betont werden. Dann werden Beziehungstypen zu klaren und scharfsinnigen Denkern, Sachtypen engagieren sich in ihrer Arbeit fast wie Workaholics und Handlungstypen leben intensiv ihr Gefühl aus. In der prozessorientierten Persönlichkeits-Psychologie wird deshalb zurückgeschlossen vom Wertesystem und von den Schlüsselfähigkeiten der entwickelten Persönlichkeit auf die Ausgangspersönlichkeit. Das sind beim Beziehungstyp das erkenntnisgeleitete Wertesystem und die Qualitäten des Erkenntnis-Ichs, beim Sachtyp das erfolgsgeleitete Wertesystem und die Qualitäten des Handlungs-Ichs und beim Handlungstyp das sympathiegeleitete Wertesystem und die Qualitäten des Beziehungs-Ichs. Dabei helfen Fragen weiter wie: Was schätzen Sie besonders, was erscheint Ihnen wertvoll und erstrebenswert, was haben Sie im Laufe ihres Lebens dazugewonnen und was hilft Ihnen Lösungen zu realisieren: sind es klares Denken und Erkennen, Loslassen, Distanz und Gelassenheit (Beziehungstyp) – oder attraktive Ziele, entschlossenes Handeln, Souveränität und Erfolg (Sachtyp) – oder das Sich-einlassen auf Gefühle, Lebensfreude, Liebe zu Kindern, zu Tieren oder zur Natur (Handlungstyp)? Eine andere Möglichkeit ist persönliche Erfolgserlebnisse zu analysieren. Welche Themen werden genannt und welche Fähigkeiten werden eingesetzt? Beziehungstypen nennen häufig Themen, die mit Intelligenz und strategischem Denken zu tun haben, Sachtypen Themen, bei denen sie, widrigen Umständen zum Trotz, es geschafft haben, erfolgreich zu sein und Anerkennung zu gewinnen, und Handlungstypen berichten gerne von Themen, in denen sie sich um andere Menschen bemüht oder sich für Tiere oder die Natur eingesetzt haben. Die Gegenprobe ist die Frage: Was ist ihre Art sich Probleme zu schaffen, wovon machen Sie zu viel, wovon zu wenig? Die Beziehungstypen folgen dann ihren emotionalen Impulsen zu helfen, ohne darüber nachzudenken, ob dies wirklich notwendig und nützlich für den anderen ist. Die Sachtypen verfallen ins Grübeln und Sinnieren, hinterdenken alles, anstatt Entscheidungen zu treffen und sich zum Handeln zu entschließen, und die Handlungstypen übergehen ihre Gefühle und Bedürfnisse und handeln pflichtbewusst und regelgeleitet (Tab.2). Während die herkömmlichen Diagnostikmodelle bei den Persönlichkeitstypen und ihren Lebensgestaltungen hauptsächlich die pathologischen, defizitären und destruktiven Seiten wahrnehmen und beschreiben, lenkt die prozessorientierte Persönlichkeits-Psychologie den Blick auf die typspezifischen Schlüsselfähigkeiten. Das macht sie ressourcen- und lösungsorientiert. Dadurch, dass sie den Menschen eher in seinen Stärken als in seinen Schwächen sieht, fördert sie Selbstachtung und den Respekt

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie Tab. 2: Checkliste: Vom Persönlichkeitsbereich über den Entwicklungsbereich zum Zielbereich. Beziehungstyp

Sachtyp

Handlungstyp

Persönlichkeitsbereich

Kind-Ich oder Beziehungs-Ich

Erwachsenen-Ich oder Erkenntnis-Ich

Eltern-Ich oder Handlungs-Ich

(frühkindliche Störungen)

zu wenig Liebe, emotionales Angenommensein

zu wenig Interesse, Beachtung, Wahrgenommensein

zu wenig Erlaubnisse für Wollen und Handeln

Entwicklungsbereich

Erwachsenen-Ich oder Erkenntnis-Ich

Eltern-Ich oder Handlungs-Ich

Kind-Ich oder Beziehungs-Ich

(Defizite)

realitätsbezogenes und konsequentes Denken, Gelassenheit, Ruhe, Distanz, Sinnenhaftigkeit, Loslassen

zielorientiertes und entschlossenes Handeln, kraftvolle Energie, Fürsorglichkeit Verantwortlichkeit, sich engagieren

spontanes und emotionales Erleben, eigene Bedürfnisse, Lebensfreude, Spontaneität, geschehen lassen

(Schlüsselfähigkeiten)

klares Denken, Gelassenheit, sich Spüren, in sich zentriert sein

Wollen und Handeln, Verantwortung und Fürsorge, sein Leben gestalten

Fühlen und Erleben, Sympathie und Liebe, Freude und Lachen, menschlich sein

Zielbereich

Eltern-Ich oder Handlungs-Ich

Kind-Ich oder Beziehungs-Ich

Erwachsenen-Ich oder Erkenntnis-Ich

(Fehlverhalten)

Macht- und Retterspiele, fremdbestimmtes Handeln

Opfer- und Zuwendungsspiele, fremdbestimmtes Beziehungsverhalten

Verfolger- und Identitätsspiele, fremdbestimmtes Denken

(Qualitäten im Zielbereich)

selbstbestimmtes Handeln, Souveränität statt Dominanz

selbstbestimmtes Beziehungsverhalten, Autonomie statt Rebellion

selbstbestimmtes Denken, Authentizität statt Identifikation

anderen gegenüber. Da die Kultivierung der Schlüsselfähigkeiten identisch ist mit Persönlichkeitsentwicklung und einen Gewinn an Lebens- und Handlungsqualität bedeutet, leistet die Prozessorientierte PersönlichkeitsPsychologie praktische Lebenshilfe. Und sie ermöglicht andere gezielt zu fördern, indem sie beim Beziehungstyp das Erkennen anspricht und anerkennt, beim Sachtyp das Handeln und beim Handlungstyp das Fühlen.

Die strukturtypischen Codes

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Dass die Persönlichkeitsentwicklung und die damit verbundenen Wertesysteme in drei unterschiedliche Richtungen gehen, führt zu vielen Missverständnissen. Auch professionelle Berater neigen dazu, das, was nach ihrer persönlichen Erfahrung der eigenen Entwicklung förderlich war und ist und was mit dem eigenen Wertesystem übereinstimmt, auch den Klienten zu empfehlen. Dass diese, geleitet von ihrer Intuition, andere Wege gehen und andere Güter wertschätzen, führt bei Klienten oft zu Irritationen und in Beziehungen zu Streit und gegenseitiger Abwertung. Deshalb ist das Wissen um die unterschiedlichen Entwicklungslinien ein essentieller Beitrag zur Beratungs- und Beziehungskompetenz. Nun kann man das, was der andere wertschätzt und anstrebt, verstehen und aus seiner Welt und seiner Sprache in die eigene übersetzen und ihn anerkennend fördern und unterstützen. Dabei hilft es den Persönlichkeitstyp ‚von innen‘ her zu verstehen: was ist seine Ausgangsposition und in welche Richtung entwickelt er sich? Das wird im Folgenden beschrieben unter dem Stichwort des ‚strukturtypischen Codes‘ als dem Prozess, der den Persönlichkeitstyp ausmacht.

1.5 Die strukturtypischen Codes – die Persönlichkeit von innen Neue Erkenntnisse stützen sich in der Regel auf schon bewährtes Wissen. Das gilt auch in der Menschenkenntnis. Freud hat die libidinösen Typen beschrieben, Schultz-Hencke, Riemann und König haben dieses Wissen weiter ausgearbeitet. Berne und seine Schüler haben die Skriptmuster entdeckt und herausgefunden, dass es überall auf der Welt die gleichen sind. Eine Person gestaltet ihr Leben nach ihrer Art, ihrem Wesen. Deshalb ist die Skript- oder Lebensplananalyse nur eine andere Sichtweise des gleichen Phänomens, sie blickt auf das Leben und die Lebensgestaltung, die Persönlichkeitsdiagnostik auf den Menschen und seine Charakterstruktur. Dieses Wissen war bisher phänomenologisch. Es beschrieb typische Eigenschaften, Reaktions- und Verhaltensweisen. Doch was außen ankommt, was sichtbar und beobachtbar wird, ist vielschichtig und vieldeutig. Ähnliche Erscheinungsbilder können ganz unterschiedliche Ursachen haben, verschiedene die gleichen und ähnliche unterschiedliche. Dadurch sind die herkömmlichen Persönlichkeitsdiagnostik und Skriptanalyse relativ ungenau und in der Praxis nur bedingt brauchbar. Durch die prozessorientierte Persönlichkeitstypologie werden genaue Analysen und gezielte Interventionen möglich. Gehörte die Persönlichkeitsdiagnostik aus streng ‚wissenschaftlicher‘ Sicht bisher eher zum Außenseiterwissen wie Graphologie oder Astrolo-

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

gie, wird sie jetzt wesentlich aussagekräftiger, wird nachvollziehbar und überprüfbar. Aus einem interessanten Randthema in der Psychologie wird grundlegendes, zentrales Wissen. Und es ist damit zu rechnen, dass die psychologische Forschung dieses Thema, das etwas in Vergessenheit geraten ist, erneut aufgreifen wird. Dieser Prozess, der die Persönlichkeit ausmacht, lässt sich recht einfach darstellen an dem Dreieck Fühlen

Wollen

Denken

als den drei Grundfähigkeiten der drei Ich-Zustände oder Ichs. Zwar sind das eher umgangssprachliche Unterscheidungen, wie bei Pestalozzi, der in seiner Pädagogik Kopf, Herz und Hand beteiligt wissen wollte. Neu daran ist, dass diese Unterscheidungen wesentlich substantieller sind, als man vermutet hatte. Sie gehen zurück auf grundlegende Strukturen der äußeren, uns umgebenen und der inneren psychischen Wirklichkeit, die drei eigengesetzlichen Lebensbereiche und die drei ihnen entsprechenden Ichs. Wenn man jeweils einen der drei Pfeile weglässt, werden drei verschiedene Prozesse beschrieben, die charakteristisch sind für die drei Persönlichkeitsstrukturen (Abb.1a, b, c): 1. FÜHLEN

3. Wollen

2. Denken

Abb. 1a: Der strukturtypische Code des Beziehungstyps.

Die unterschiedlichen Stellungen der drei Ichs verweisen auf drei unterschiedliche Problematiken. Bei Position 1 finden wir die am frühesten und stärksten ausgeprägten Fähigkeiten. Hier stellt sich die Frage nach der Stabilität oder psychischen Gesundheit der Persönlichkeit. Sie hat sich gebildet als Antwort auf einen spezifischen Mangel an Zuwendung im Fühlen, Denken oder Handeln. So wurden Gegenkräfte mobilisiert, doch es bleibt die Erinnerung an das Drama der Entstehung der kindlichen Persönlichkeit erhalten. Man nennt es auch die frühkindlichen Traumata oder Störungen. Sie waren das bevorzugte Thema der tiefenpsychologisch ausgerichteten Psychotherapie.

Psychische Stabilität und Entwicklung

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3. Fühlen

2. Wollen

1. DENKEN

Abb. 1b: Der stukturtypische Code des Sachtyps.

Durch die frühe Fixierung auf die Fähigkeiten und Themen der 1. Position kommen die der 2. zu kurz. Hier besteht in der Regel ein Defizit. Dem wirkt allerdings das unbewusste Wertesystem entgegen, das gerade hier, bei der 2. Position, ansetzt. Die Themen dieses Lebensbereiches sind die der Persönlichkeitsentwicklung. Denn ohne die Fähigkeiten der 2. Position lebt und verwirklicht sich die Persönlichkeit auf eine einseitige und eingeschränkte Weise, und es leidet auch die Qualität der 3. Position. Bei der 3. Position geht es um die Themen Fremd- oder Selbstbestimmung, also um die Autonomie der Persönlichkeit. Das ist oft schwer zu durchschauen, da fremdbestimmtes Verhalten häufig sozial belohnt wird. Oft wird Autonomie ersetzt durch das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung, nach Beifall und Prestige. Doch gerade darauf muss man zeitweilig verzichten, wenn man sich für ein selbstbestimmtes Denken, Fühlen und Leben entscheidet. 2. Fühlen

1. WOLLEN

3. Denken

Abb. 1c: Der strukturtypische Code des Handlungstyps.

Ebenso geben die Positionen Hinweise auf die Energiebesetzung der Ichs, sie ist an Position 1 hoch an Position 2 bei der wenig entwickelten Persönlichkeit niedrig und an Position 3 mittel. Um die drei Stationen unterscheiden und ihre jeweilige Problemlage beschreiben zu können, nenne ich die erste Persönlichkeitsbereich, die zweite Entwicklungsbereich und die dritte Zielbereich. Da jeder dieser Persönlichkeitsbereiche seine eigenen Thematik hat, stellt sich die Frage: wie geht man angemessen damit um und was lässt sich jeweils daraus machen?

1. 6 Psychische Stabilität und Entwicklung einer Persönlichkeit Der Persönlichkeitsbereich ist zunächst am stärksten ausgeprägt. Er hat sich in der Kindheit ausgebildet und bestimmt gewöhnlich das Bild der

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

Persönlichkeit, d. h., der Beziehungstyp verhält sich stark gefühlsmäßig und beziehungsorientiert, egal, ob er diese Gefühlsreaktionen forciert oder kontrolliert, der Sachtyp nachdenklich und erkenntnisgeleitet und der Handlungstyp willensmäßig und handlungsgeleitet. Das gilt besonders für die noch weniger entwickelte Persönlichkeit. Der Entwicklungsbereich ist in der Regel etwas schwächer ausgeprägt. So legen Beziehungstypen zwar großen Wert aufs Denken, doch sie tun sich manchmal schwerer damit als andere Strukturtypen. Sachtypen möchten gerne tüchtig und erfolgreich sein, zeigen aber häufig Schwächen im Wollen und Handeln. Und Handlungstypen schätzen gute menschliche Beziehungen, doch sie zeigen oft Gefühle nicht und verstecken sie hinter einer ‚rauen Schale‘. Diese anfängliche Schwäche im Entwicklungsbereich wird mit der zunehmenden Persönlichkeitsentwicklung immer mehr ausgeglichen. Dann kann man beobachten, wie ein Beziehungstyp gelassen und klar eine Situation analysiert mit einer erkenntnisgeleiteten Sensibilität, dass ein Sachtyp geplant und selbstbewusst handelt und sich für andere einsetzt oder wie ein Handlungstyp Lebensfreude ausdrückt und andere daran teilnehmen lässt. Da diese Fähigkeiten des Entwicklungsbereiches so wertvoll sind, nenne ich sie Schlüsselfähigkeiten. Für die praktische Arbeit mit diesem Konzept bleibt der Ansatz bei den Schlüsselfähigkeiten Thema Nummer eins. Das gilt auch dann, wenn es zuerst darum geht, dass der Beziehungstyp entdeckt, wie liebenswert er ist und dass es für ihn gut ist, sich von anderen lieben und verwöhnen zu lassen, oder dass der Sachtyp erkennt, wie interessant und attraktiv er ist für andere und sich bewundern lässt, und dass der Handlungstyp weiß wie tüchtig er ist und die Anerkennung, die er bekommt, annimmt. Jeder Strukturtyp neigt dazu, in seinem Entwicklungsbereich besonders Anspruchsvolles von sich und anderen zu erwarten, ohne diesen Ansprüchen immer genügen zu können. Das ist dort, wo man noch dabei ist dazuzulernen, nicht sonderlich empfehlenswert. Denn je strenger die Maßstäbe sind, die man anlegt, desto schlechter sehen notwendigerweise die Ergebnisse aus. So meint der Beziehungstyp, dass ganz besonders er, aber auch andere bestens Bescheid wissen und besonders intelligent sein müssten. Der Sachtyp stellt an sich und mehr noch an andere besonders hohe Qualitätsanforderungen im Handeln und an die Verantwortung und Fürsorglichkeit und der Handlungstyp hat strenge Maßstäbe bezogen auf das Zwischenmenschliche. Eine Ausbildungsteilnehmerin (Beziehungstyp), die diese Problematik erkannt hatte, drückte das etwa so aus: „Seitdem mir klar geworden ist, dass es normal ist, zunächst nichts zu wissen, seitdem ich nicht mehr meine, intelligent sein zu müssen, kann ich wirklich erkennen. Erkennen ist für mich nicht denken, sondern ein Gefühl zulassen und es anschauen.“

Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich

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Ähnliches gilt für das Handeln des Sachtyps und für sein Erfolgsstreben. Wenn er es anderen gegenüber zu sehr betont, erscheint ihnen das möglicherweise als angeberisch oder unsensibel. Und dem Handlungstyp tut es gut, wenn er in seinem Entwicklungsbereich lernt, dass Liebe und Sympathie, die so wertvoll für ihn sind, nicht erzwungen oder erzeugt werden können. Wenn er, der lange Zeit seine Gefühle übergangen hat, sich irgendwann heftig verliebt, braucht er sich nicht zu wundern, wenn andere bei diesem vulkanartigen Gefühlsausbrüchen eher die Flucht ergreifen. Oft versucht der Handlungstyp Stimmung zu machen und gute Laune herzustellen durch humoriges, burschikoses und kumpelhaftes Verhalten. Doch bei dieser lärmenden Gemütlichkeit könnte er die stilleren Töne der Zuneigung und Freude überhören. Die Entwicklung der Schlüsselfähigkeiten ist sicher der wichtigste Schritt, auch wenn er eine gewisse Stabilität des Persönlichkeitsbereiches voraussetzt. Man könnte hier von einer Basis des ausreichenden Selbstvertrauens beim Beziehungstyp, des Selbstbewusstseins beim Sachtyp und der Selbstsicherheit beim Handlungstyp sprechen. Was damit noch nicht gelöst ist, das ist die Frage nach der Autonomie einer Persönlichkeit. Sie bezieht sich auf den Zielbereich: wie fremd- oder selbstbestimmt handle, fühle oder denke ich?

1.7 Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich Im Zielbereich sind wir besonders anfällig dafür, uns fremdbestimmt zu verhalten. So neigt der Beziehungstyp im Handeln dazu, das zu tun, was andere seiner Meinung nach von ihm erwarten, und sich so zu verhalten, dass es gut bei ihnen ankommt. Der Beziehungstyp I (die schizoide Charakterstruktur) gestaltet sein Leben nach dem, was seiner Meinung nach ‚in‘ ist. Dabei zählen Maßstäbe und Meinung einer oft kleinen Zielgruppe, die er seinerseits für ‚in‘ hält. Der Beziehungstyp II (die hysterische Charakterstruktur) richtet sich mehr nach den Wünschen seines Partners, seiner Familie und seiner Freunde. Er möchte Beifall und Liebe von allen Seiten. Beide übergehen dabei ihre eigenen Bedürfnisse. Nach der Redensart ‚Wie du mir, so ich dir!‘ manipuliert der Beziehungstyp dann auch andere im Bereich Handeln durch Macht- und Retterspiele. Um sich aus diesen selbstangelegten Fesseln zu befreien, tut er gelegentlich genau das Gegenteil von dem, was seiner Meinung nach andere von ihm erwarten. Statt überfürsorglich für sie da zu sein, verhält sich dann der Liebenswürdige extrem egozentrisch oder wechselt der Kontrollierte umgekehrt von kontrollierter Zurückhaltung zu vertrauens-

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

seliger Liebenswürdigkeit. Das erinnert etwas an den Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen. Der Sachtyp übernimmt und spiegelt in seinem Beziehungsverhalten die Gefühle anderer. Er reagiert darauf, was ihm der Andere gefühlsmäßig entgegenbringt, ohne auf seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören. Er macht sich damit abhängig von den Launen anderer und leidet darunter. Oder er ist umgekehrt bemüht, sich dagegen zu schützen, indem er Gefühle abblockt und sich betont sachlich und egoistisch benimmt. Er verhält sich dann schon vorbeugend gefühlsneutral und indifferent. Auch er dreht den Spieß herum und versucht andere durch sein Beziehungsverhalten zu erpressen, z. B. indem er innerlich ‚zumacht‘, ein Gespräch abbricht, den Raum verlässt oder es sich demonstrativ schlecht gehen lässt. Seine Opfer- und Zuwendungsspiele zielen oft darauf ab, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen. Der Handlungstyp denkt, er müsse so denken, wie andere es von ihm erwarten seiner Rolle, seiner Stellung, seiner Funktion entsprechend. Das ‚Von mir (uns) als … erwartet man …‘ – Denken oder ‚Für uns (mich) als … gehört sich …‘– Denken setzt er als selbstverständlich und allgemein gültig voraus. Er ist sich nicht bewußt, dass er es übernommen und damit in die Welt gesetzt und sich oder anderen aufgezwungen hat. Er unterwirft sich diesem Denken, ‚dient sich an‘ und erwartet in seinen Verfolger- und Identitätsspielen, dass es andere ebenso tun. Obwohl die anderen bei diesem Thema mitwirken, gibt es genau genommen keine Fremdbestimmung, denn jeder bestimmt sich selbst fremd. Denn er verhält sich so, wie es andere seines Erachtens von ihm erwarten. Der Eindruck der Fremdbestimmung entsteht dadurch, dass man diese Mechanismen früh gelernt hat und sie so zur Gewohnheit geworden sind, dass sie fast automatisch ablaufen, ohne dass die einzelnen Schritte noch bewusst werden. Oder dass man der Versuchung nicht widersteht, den Spieleinladungen anderer zu folgen. Eine Aufgabe der Psychotherapie kann nun sein, diesen Ablauf wieder genau bewusst zu machen und dann andere Weichenstellungen einzubauen, die autonomes Verhalten ermöglichen. Wie kommt es, dass sich Menschen fremdbestimmen? Dieses Verhalten galt viele Generationen lang als Tugend. Individuelles Verhalten wurde dort nicht geschätzt. Statt dessen wurde erwartet, dass sich der Einzelne unterordnet, den Interessen der Familie, seines Arbeitgebers, der Kirche und des Staates. Menschen lassen sich leichter beherrschen und ausnützen, wenn sie daran gewöhnt sind, sich fremdbestimmt zu verhalten. Psychologisch gesehen läuft das Sich-fremd-Bestimmen über die ‚Antreiber‘. Der Beziehungstyp I bestimmt sich fremd mit seinem „Sei stark!“. Er zeigt dann in seinem Persönlichkeitsbereich ein misstrauisches und

Selbst- oder fremdbestimmt im Zielbereich

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kontrolliertes Beziehungsverhalten und in seinem Zielbereich ein ehrgeiziges und konkurrierendes Handeln. So verklammert der Antreiber den Persönlichkeits- mit dem Zielbereich und ersetzt ein realistisches und genaues Beobachten und Denken im Entwicklungsbereich. Dieser Antreiber funktioniert automatisch, immer und in jeder Situation, und zwar um so ‚besser‘, je stärker die Stressbelastung ist. Das „Mach’s anderen recht!“ des Beziehungstyps II wirkt sich ebenfalls im Persönlichkeits- und im Zielbereich aus, dort als liebenswürdige und gewinnende Kommunikation und hier als ein Handeln und eine Lebensgestaltung, die ganz auf die Bedürfnisbefriedigung anderer eingestellt sind. Auch hier verklammert der Antreiber das Beziehungs-Ich und das Handlungs-Ich und scheint eigenes und konsequentes Nachdenken überflüssig zu machen. Denn dieser Antreiber ist ein Rezept, das umgesetzt unmittelbar gut ankommt oder doch anzukommen scheint. Dass es auf längere Sicht zum Burn-out-Syndrom führen kann, wird oft zu spät erkannt. Der Sachtyp I (narzisstische Charakterstruktur) verbindet mit dem Antreiber „Streng dich an!“ sein Erkenntnis-Ich direkt mit dem BeziehungsIch. Er denkt angestrengt nach, sinniert und grübelt, und er strengt sich in Beziehungssituationen an, wichtig und bedeutend zu sein. Der Sachtyp II (depressive Charakterstruktur) mit dem Antreiber „Sei vorsichtig!“ denkt darüber nach, was schief laufen könnte und bemüht sich in Beziehungssituationen nicht anzuecken. Er verhält sich angepasst, unauffällig, diplomatisch. Das „Streng dich an!“ und das „Sei vorsichtig!“ ersetzen eigenständiges und selbstverantwortliches Entscheiden, Wollen und Handeln. Statt zu handeln, geben sich die Sachtypen Mühe, und versuchen etwas zu tun. Das ist anstrengend und ermüdend, und statt etwas zu schaffen, fühlen sie sich geschafft. Auch hier werden der Persönlichkeits- und der Zielbereich kurzgeschlossen und der Entwicklungsbereich durch die Antreiber ersetzt. Das „Sei perfekt!“ des Handlungstyps I (phobische Charakterstruktur) und das „Mach es perfekt!“ des Handlungstyps II (zwanghafte Charakterstruktur) gilt für sein Beziehungsverhalten und sein Handeln. Statt auf sein Gefühl zu hören, ist er korrekt, macht nichts falsch. Auch wenn er morgens ausschlafen könnte, steht er früh auf, weil sich das so gehört, und damit die anderen nicht über ihn denken, er sei faul oder liederlich. Das Sei perfekt! verklammert das Handlungs- mit dem Erkenntnis-Ich und ersetzt das Beziehungs-Ich. Er hört dann nicht auf seine Gefühle und Bedürfnisse und nimmt auch die der anderen nicht wahr. Dadurch erscheint sein Verhalten hart, unsensibel und manchmal unmenschlich. Doch es ist aus seiner Sicht anständig, den Regeln und der Ordnung entsprechend, korrekt und fehlerfrei. Nach der Stabilisierung des Persönlichkeitsbereiches und der Entfaltung des Entwicklungsbereiches ist Selbstbestimmung der dritte Schritt.

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

Er setzt voraus, dass die Antreiber abgeschwächt sind und die Fähigkeiten seines Entwicklungsbereiches genützt werden, d.h. der Beziehungstyp klar denkt, der Sachtyp weiß, was er will, und der Handlungstyp seinen Gefühlen folgt. Emanzipatorisches Bemühen ohne diese Voraussetzungen gelingt nicht und schlägt immer wieder um in Macht-, Opfer- und Verfolgerspiele. Es wird hier schon deutlich, dass es möglich ist mit der prozessorientierten Persönlichkeitstypologie genaue und konkrete Aussagen zu machen. Das bestätigt sich immer wieder, wenn man mit diesem Modell therapeutisch arbeitet. Hier erweist es sich als eine verlässliche Orientierungshilfe. Trotzdem wird sich mancher Leser die Frage stellen: Handelt es sich bei den Persönlichkeitstypen um Realitäten, die man vorfindet, oder um künstliche und vielleicht zweckmäßige Unterscheidungen, die man so oder auch anders hätte machen können?

1.8 Wie real sind die Persönlichkeitstypen? Während sich manche Fachleute aus ‚wissenschaftlichen‘ Gründen mit den Persönlichkeitstypen schwer tun – Wissenschaftlichkeit ist für sie identisch mit dem empirisch-naturwissenschaftlichen Konzept –, so haben viele Laien damit Schwierigkeiten aus ‚zeitgeistlichen‘ Überlegungen. Dass Menschen auf eine typspezifische Weise verschieden sein sollen, stört sie. Ihnen ist die Vorstellung sympathischer, dass Menschen trotz mancher äußerer Unterschiede weitgehend ähnlich seien. Diese Auffassung passt auch zu einer durch das amerikanische Denken, durch Werbung, Absatz und Konsum geprägten Weltkultur. Anderen ist umgekehrt der Gedanke unangenehm, dass Menschen auf eine typspezifische Weise ähnlich sein sollen. Das passt nicht zu ihrer Vorstellung von der Individualität des Einzelnen, ein eher aus europäischer Tradition und der Romantik stammendes Ideal. Doch die neuen Erkenntnisse der prozessorientierten Persönlichkeits-Psychologie widersprechen weder den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit noch der Gleichwertigkeit oder der individuellen Selbstverwirklichung des Menschen. Möglicherweise müssen diese Ziele jedoch neu formuliert werden. Ein Teilnehmer in einem Fortbildungsseminar drückte es so aus: „Für mich war das wie ein Kulturschock, dass Menschen nicht gleich, sondern verschieden sein sollen!“ Wer jedoch dieses Wissen akzeptieren kann, wer genau hinsieht und hinhört, wer sensibel ist im Umgang mit anderen, wird immer wieder überrascht sein, wie Menschen sowohl deutlich verschieden als auch gleichartig sind. Weit mehr als man das bisher wahrgenommen und für möglich gehalten hat, unterscheiden sie sich oder stimmen sie

Wie real sind die Persönlichkeitstypen?

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überein in ihrem Verhalten, in ihrem Denken, in ihrem Erleben und in der Art, wie sie ihr Leben gestalten, wie sie auf Situationen reagieren, was sie wertschätzen, aber auch, womit sie Schwierigkeiten haben, wie sie sich Probleme schaffen oder Lösungen realisieren. Dass das, was man für unverwechselbare Individualität gehalten hat, etwas Persönlichkeitstypisches ist, kann eine weitere Herausforderung sein für das eigene Selbstbild. Dazu kommt, dass man sich in der diagnostischen Literatur oft genauer beschrieben findet, als man das bisher selbst wahrgenommen hat. Und es tut besonders weh, wenn es sich herausstellt, dass individuelle Besonderheiten, auf die man vielleicht sogar stolz war und sie kultiviert hat, nur neurotische oder unentwickelte Aspekte des eigenen Persönlichkeitstyps sind. Das erinnert an eine Bemerkung Bandlers: „Ich habe noch nie verstanden, wieso ein Mensch weniger Mensch ist, wenn man ihn verändert und dadurch sein Leben glücklicher macht. Aber ich habe wohl gemerkt, wie viele Leute die Fähigkeit besitzen, ihren eigenen Partnern, Kindern und sogar vollkommen fremden Menschen schlechte Gefühle zu bereiten, bloß indem sie ‚sie selbst‘ sind. Ich frage die Leute manchmal: ‚Warum bestehst du darauf, du selbst zu sein, wenn du statt dessen etwas ganz Wertvolles sein könntest?‘“4 Das bedeutet nicht, dass es keine Individualität oder Persönlichkeit mehr gäbe, im Gegenteil, dieses Wissen macht den Weg frei für Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Doch man wird sie jetzt woanders suchen und realisieren müssen. Und ob es jemand gefällt, dass es die Persönlichkeitstypen gibt, oder ob es ihm nicht gefällt, entscheidend ist die Beantwortung der Frage: Sind die Persönlichkeitstypen etwas Reales oder sind es willkürliche oder zweckmäßige Unterscheidungen, künstliche Einteilungen, um sich besser orientieren zu können? Wir kennen in anderen Lebensbereichen beides. Etwa in der Geographie ist der auf einer Landkarte wiedergegebene Verlauf eines Flusses oder eine Küstenlinie etwas Reales, Vorgegebenes, während die Längenund Breitengrade etwas Künstliches, zwischen Menschen Vereinbartes sind. Ich gehe davon aus, dass die Persönlichkeitstypen Realitäten sind. Was spricht dafür, dass sie in der menschlichen Wirklichkeit vorgefunden und eindeutig identifiziert werden können? Es gibt dafür viele Hinweise. Im Folgenden sollen hier einige aufgeführt werden. Der erste Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen ist ihr Wiedererkennen im Alltag, und zwar in den Grundzügen ihrer Wesensart, Denk- und Verhaltensweise. Man kann den eigenen Persönlichkeitstyp oder den von anderen identifizieren und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen in der Form typspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen bestätigt finden. Das gilt für die positiven Seiten eines Persönlichkeitstyps ebenso wie für dessen typische Schwächen. Kenner bestäti-

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie

gen immer wieder, dass dieses Wissen, auch wenn es manchmal wehtut, sich im alltäglichen Umgang mit anderen und mit sich selbst bewährt. Es ist jetzt so, als ob man plötzlich die Sprache verstehen würde, in der der andere sich ausdrückt. Und was vielleicht noch überraschender ist, das gilt auch im Umgang mit sich selbst. Eine Frau, ein attraktiver, doch etwas herber Handlungstyp, sagte ganz erleichtert: „Nun verstehe ich zum ersten Mal, warum ich so bin, wie ich bin!“ Dabei sollte man sich allerdings bewusst sein, dass das Erkennen und Unterscheiden von Persönlichkeitstypen ein längerer Lernprozess ist, also nicht auf Anhieb gelingen kann und muss. Man lernt auf Dinge zu achten, die man bisher nicht bewusst wahrgenommen hat, etwa auf den Klang der Stimme, den Ausdruck der Augen, auf den Gang und die Bewegungen, darauf, wie jemand auf Situationen reagiert und damit umgeht. So wie jeder Fachmann gelernt hat, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was für ihn informativ ist und dies mit geschulten Augen und Ohren wahrnimmt und wieder erkennt, etwa wenn ein Dirigent seinem Orchester zuhört, ein Maschinenbauer eine technische Zeichnung studiert oder ein Biologe eine blühende Wiese betrachtet, so braucht es auch in der Menschenkenntnis Übung und Erfahrung, die vielfältigen Signale, die Menschen mitteilen, bewusst wahrnehmen und zuordnen zu können. Ein zweiter und dritter Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen ist, dass geübte Diagnostiker bei einer und der selben Person unbeeinflusst voneinander zum gleichen Ergebnis kommen, um welchen Persönlichkeitstyp es sich bei dieser Person handelt, und dass dies bei richtiger Diagnose lebenslang Gültigkeit hat. Die Diagnose mag in Einzelfällen schwieriger sein und länger brauchen, es kann vorübergehend zu Fehlurteilen kommen, doch, wenn genügend Informationen zugänglich sind, ist es grundsätzlich immer möglich, zu einer korrekten Einschätzung zu kommen. Wenn dies gelungen ist, so bestätigt sich die Diagnose über viele Jahre hinweg. Ich kenne kein einziges Beispiel dafür, dass es bei entsprechender Diagnose nicht früher oder später zu einer eindeutigen Typbestimmung gekommen wäre, noch dafür, dass jemand im Laufe der Zeit seinen Typ gewechselt hätte oder es notwendig gewesen wäre, einen Mischtyp zu diagnostizieren. Ein vierter Hinweis für die Existenz stabiler Persönlichkeitstypen sind die unterschiedlichen Modelle zur Menschenkenntnis, die unabhängig voneinander entwickelt worden sind und die trotzdem weitgehend übereinstimmen. In der vergleichenden Zusammenschau bestätigen und ergänzen sie sich gegenseitig. Beispiele dafür sind die psychotherapeutischen Modelle der Menschenkenntnis, etwa die psychoanalytischen Charaktertypen5, die homöopathischen Konstitutionstypen6 und die Typen des Enneagramms.7

Wie real sind die Persönlichkeitstypen?

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Neben diesen differenzierten Modellen gibt es noch viele andere, weniger ins Detail gehende Typologien, die erkennbar die gleichen Typen beschreiben, etwa Huters Drei-Typen-Lehre8, die transaktionsanalytischen Skriptmuster9 oder Schirms Struktogramm.10 Verwirrend dabei ist, dass sich die Fachleute nicht einig darin sind, wie viele Persönlichkeitstypen es gibt, manche beschreiben zwei (Jung), andere drei (Huter, Freud, Schirm), wieder andere vier (Riemann), sechs (König), neun (im Enneagramm) oder mehr als zwanzig Typen (Homöopathie). Es kann auch nicht vorausgesetzt werden, dass dann, wenn zwei Autoren die gleiche Anzahl von Typen beschreiben, diese tatsächlich identisch sind. So sind beispielsweise Kretschmers drei Körpertypen nicht identisch mit den drei psychologischen Grundtypen. Die bisherige, phänomenologische Betrachtungsweise in der Menschenkenntnis konnte dieses Problem nicht oder nur unzureichend lösen. Das, was beobachtet und mit Hilfe umgangssprachlicher Begriffe identifiziert und beschrieben wird, ist dafür zu unscharf und zu vieldeutig. Die prozessorientierte Persönlichkeits-Psychologie ist in zweierlei Hinsicht genauer. Die Beobachtungen auf der Erlebens- und Verhaltensebene werden immer im Zusammenhang gesehen mit dem Wissen um die sie verursachenden Prozesse. Die Entdeckung, dass die Psyche des Menschen deutlich strukturiert ist, kann als eine fünfte Erklärung dafür genommen werden, dass es auch klar abgrenzbare Persönlichkeitstypen gibt. Freud beschreibt sie als das Instanzen-Modell Über-Ich, Ich und Es, Berne als die drei Ich-Zustände ElternIch, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich und ich als das Prozess-Modell der drei Ichs, Beziehungs-Ich, Erkenntnis-Ich und Handlungs-Ich. Mit dem Modell der drei Ichs kann das eingelöst werden, was die Transaktionsanalyse schon immer postuliert hat, nämlich dass es sich dabei um psychische Organe handelt, die eigenständig, gleichwertig und gleich wichtig sind. Darüber hinaus können mit Hilfe dieser drei Ichs die drei unterschiedlichen Persönlichkeitstypen als drei unterschiedliche Prozesse beschrieben werden (Abb.2). Ein sechster Hinweis dafür, dass Persönlichkeitstypen Realitäten sind, zeigt sich in der Theorie und Praxis der Integrierten Kurztherapie.11 Das Wissen über die Persönlichkeitstypen, ihre psychologischen und ontologischen Bedingungen, war die Voraussetzung dafür, Fragen praktisch beantworten zu können, wie: Welche kurztherapeutische Methode eignet sich besonders für welchen Persönlichkeitstyp, für welches Thema und für welchen Lösungsprozess? Die prozessorientierte Menschenkenntnis ist in der Praxis zugleich hilfreich und bestätigend. Sie lässt sich vorausblickend einsetzen, um Klienten die richtigen Fragen stellen und ihnen auf die Sprünge helfen zu können, und rückblickend, um Schritt für Schritt zu überprüfen, ob man sich auf dem typspezifischen Lösungsweg befindet.

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1. Prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie Freud

Berne

Über-Ich

ElternIch

Friedmann

BeziehungsIch Ich

ErwachsenenIch HandlungsIch

Es

ErkenntnisIch

KindIch

Abb. 2: ‚Ich‘-Modelle in der Psychotherapie.

Diese typbezogene wissensgeleitete Vorgehensweise ergänzt und unterstützt das pragmatisch-analytische Vorgehen in den lösungsorientierten Psychotherapien. Eine Psychotherapie, die sich auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Klienten einstellt und jeweils das optimal wirksame Therapie-Konzept anwendet, war bisher wohl eher ein Glücksfall. Denn Klienten sind unerfahren darin, über sich selbst Bescheid zu wissen, und auch Therapeuten schließen gerne von sich auf andere. Ohne das Wissen über die Andersartigkeit der anderen und deren typspezifische Lösungswege neigen selbst große Therapeuten dazu, von ihren eigenen Erfahrungen auszugehen, wie Probleme bewältigt und Lösungen realisiert werden können, und diese auf ihre Klienten zu übertragen.12 Ein siebter Hinweis für die Realität der Persönlichkeitstypen sind die typspezifischen Weisen, wie Menschen ihre Wirklichkeit erleben und wie sie gestalten. Egal ob man die alltägliche Wirklichkeit eines Menschen betrachtet, wie er sich gibt, kleidet, seine Wohnung einrichtet, wie er Situationen erlebt, unter was er leidet, was ihn erfreut, was er verabscheut oder wertschätzt, immer wird darin auch sein Persönlichkeitstyp erkennbar. Und wenn man wie Berne oder C. Steiner die Lebenskonzepte, die Skripts13 eines Menschen analysiert, zeigt es sich, dass sie ebenfalls persönlichkeitstypisch sind. Hier wird der Blick nicht auf den Persönlichkeitstyp gerichtet, sondern sie schauen auf dessen typspezifische Lebensgestaltung. Das Gleiche gilt für die Werke von Dichtern, Künstlern, Philosophen, politischen Persönlichkeiten oder Religionsstiftern. Es ist möglich aus ihren

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Schöpfungen ihren Persönlichkeitstyp zu erschließen. So durchzieht das ursprüngliche Lebensthema wie eine Melodie das Denken, Fühlen und Tun eines Menschen. Das, was er als Kind nicht bekommen hat, sucht er sein ganzes Leben lang und – darin liegt die Tragik oder Komik des menschlichen Lebens – und wehrt es oft zugleich ab. Nun zum achten und wichtigsten Hinweis auf die Realität der Persönlichkeitstypen. Ihre ursächliche Basis ist nicht psychologischer, sondern ontologischer Natur, die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche Beziehung, Erkennen und Handeln und die daraufhin organisierten drei Ichs, das Beziehungs-, Erkenntnis- und Handlungs-Ich. Diese Eigengesetzlichkeit lässt sich sowohl aus den Lebenserfahrungen wie philosophisch deutlich machen. Und da wir uns im äußeren Leben besser auskennen als in unserer Psyche, können diese Hinweise auf die Eigengesetzlichkeit der drei Wirklichkeitsbereiche entsprechend leichter nachvollzogen werden. Auch hier betreten wir Neuland, denn die philosophische Ontologie, die das Wesen der menschlichen Wirklichkeit zu erfassen sucht, lässt uns hier im Stich. Es gibt dort zwar Abgrenzungen zwischen einzelnen Lebensbereichen, etwa wenn Heidegger die Wesensart des Erkennens von der des Handelns unterscheidet. Aber es ist mir kein Denker bekannt, der die Eigengesetzlichkeiten und das Zusammenwirken aller drei Lebensbereiche deutlich erkannt und beschrieben hätte. Dieser ontologische Hintergrund unserer Lebenswirklichkeit bildet die Basis sowohl der drei Ichs als auch der drei Persönlichkeitstypen. Versteht man wie grundlegend verschieden diese drei Lebensbereiche sind, dann ist es verständlich, dass sich auch die drei Persönlichkeitstypen, die ihrer Herkunft nach in einem dieser Lebensbereiche beheimatet sind und ihn als exemplarische Lebenswirklichkeit erfahren haben, sich deutlich unterscheiden.

2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe 2. 1 Theorie als Landkarte Die prozessorientierte Persönlichkeitstypologie erfordert nicht nur ein präzises Wissen über die psychologischen Bedingungen der Strukturtypen, sondern auch darüber, wie unsere Lebenswirklichkeit beschaffen ist und wie sie funktioniert. Denn unsere Psyche hat sich auf diese Lebensbedingungen hin eingerichtet, organisiert. Obwohl wir unendlich viel wissen über dieses ‚äußere‘ Leben, sind uns doch grundlegende Bedingungen und Zusammenhänge weitgehend unbekannt. Die Psychotherapie als angewandte Psychologie und Menschenkenntnis hat in den letzten Jahrzehnten ihre Fortschritte auf dem Weg erzielt, dass sie sich daran orientierte, was sich in der Praxis bewährt. Regeln wie: „Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon!“ oder: „Wenn etwas nicht funktioniert, mach etwas anderes!“ haben sich bewährt, so simpel sie sich anhören. Was dabei sicher unterschätzt wurde, war die Intuition und Kreativität ihrer Begründer. Sie ermöglichte ihnen, häufig ins Schwarze zu treffen mit dem, was sich dann hinterher in der Erfahrung bewährt hat.1 So wurde auf pragmatischem Weg eine Übereinstimmung erzieht mit den Bedingungen der Wirklichkeit – die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass etwas gelingt. Hier sollen diese Zusammenhänge, die zwischen den Gesetzmäßigkeiten der äußeren und inneren Wirklichkeit, zwischen Leben und Psyche bestehen, gedanklich erfasst werden. Die prozessorientierte Persönlichkeitstypologie überzeugt in der Praxis durch ihre Evidenz und Anwendungsrelevanz. Ihr Theorie-Hintergrund dagegen stößt bei Kritikern eher auf Irritation oder Ablehnung. Das ist insofern widersprüchlich, da es sich sowohl um ein praxisorientiertes wie um ein theoriegeleitetes Modell handelt. Dazu kommt, dass die Aussagen über die Strukturen unserer äußeren Lebenswirklichkeit, also über die ontologische Gesetzmäßigkeiten, die unser Dasein bestimmen, für uns leichter zugänglich und besser überprüfbar sind als psychologische Aussagen. Vielleicht hängt diese Skepsis damit zusammen, dass die neuere Philosophie von Kant bis Heidegger die überlieferte Ontologie immer wieder kritisch hinterfragt und ihre apodiktischen Aussagen verworfen hat. Kaum eine der philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, ob Relativismus, Strukturalismus, Konstruktivismus oder kritischer Rationalismus

Theorie als Landkarte

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fühlen sich dafür zuständig, positive Aussagen über die Wirklichkeit zu machen. Wenn hier der Begriff ontologisch benützt wird, dann nicht in dem alten, spekulativen Sinne: „Sie (die Ontologie) sieht Seiendes (Ontisches) nicht unter einer bestimmten Hinsicht (z. B. technischer Verwendbarkeit), sondern will es an ihm selbst in den Blick bringen … Ontologie ist reine, sich selbst genügende Betrachtung – Theorie im ausgezeichneten Sinn.“2 Statt dessen geht es hier um die praktische Fragestellung: Wie funktioniert unsere Lebenswirklichkeit, bzw. wie gehen wir angemessen mit ihr um? Gemeinsam mit der obigen Auffassung von Ontologie ist ihr nur, dass diese Frage weit und offen genug gestellt wird, um die grundlegenden Bedingungen unserer Wirklichkeit erfasst werden. Da wir darin leben und einigermaßen mit ihnen zurechtkommen, kann die Beantwortung dieser Frage nicht so schwierig sein. Schließlich kennen wir diese Bedingungen, wenn auch nur intuitiv. Und sind sie formuliert, können wir sie an unseren Lebenserfahrungen überprüfen, ob die Formulierungen zutreffen oder nicht. Dabei handelt es sich um eine neue Art von Theorie, die dem neuen Denken in den Wissenschaften verwandt ist. Ihre Aufgabe ist, anwendungsrelevant und praxistauglich zu sein auf unterschiedlichem Anwendungsniveau, egal ob es darum geht, mit alltäglichen Herausforderungen zurechtzukommen, um pädagogische oder psychotherapeutische Aufgabenstellungen, um wissenschaftliche oder um künstlerische Tätigkeiten. Diese Theorie kommt damit dem wachsenden Selbstbewusstsein und dem Anspruch des heutigen Menschen entgegen, sein Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Dazu braucht er eine Grundausstattung an praxistauglichem Wissen. Gleichzeitig eignet sie sich als Integrations-Modell für vorhandenes Wissen, kann dieses klären, harmonisieren und vereinfachen, eine wichtige Aufgabe gegenüber der rasch wachsenden und immer weniger überschaubar werdenden Menge an Informationen. Dieses Wissen muss überprüfbar, realisierbar und verlässlich sein, darf nicht im Bereich von Meinungen, Interpretationen und Spekulationen liegen. Ich vergleiche dieses neue Wissen gerne mit Landkarten. Sie reduzieren Komplexität und beschränken sich auf wesentliche Aussagen. Und jeder Benutzer kann selbst überprüfen, ob sie stimmen oder nicht. Das ist wichtig in einer Zeit, in der Autoritäten nicht immer glaubwürdiger sind, weil sie zwar vorgeblich objektiv, doch gelegentlich aus wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten heraus informieren. Was jedoch weit schlimmer und folgenreicher ist: Fachleute denken zumeist aus gedanklichen Voreinstellungen heraus, die sie blind machen für all das, was nicht in ihre Denkmuster und -möglichkeiten passt. Ich habe für das von mir entwickelte Modell der Persönlichkeitstypen

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

unterschiedliche Bezeichnungen vorgeschlagen und benützt: lösungs-, ressourcen- und prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie oder -typologie und, da sie wie eine Landkarte vorhandene Strukturen beschreibt: Psychographie. Jede Bezeichnung bezieht sich auf einen der neuen Aspekte dieser Typologie. Lösungsorientiert meint, dass es nicht vorrangig um die Beschreibung persönlichkeitstypischer Störungen, sondern zuerst um die der gesunden und entwickelten Persönlichkeit geht; ressourcenorientiert weist in diesem Zusammenhang auf die entscheidende Rolle der typspezifischen Schlüsselfähigkeiten hin, prozessorientiert darauf, dass die Persönlichkeiten von innen, ihren unterschiedlichen Prozessen her erfasst werden. Der Begriff Psychographie spielt mit der Assoziation Geographie, denn dieses Modell beschreibt die inneren (und äußeren) Landschaften menschlicher Wirklichkeit, ihre psychologischen und ontologischen Strukturen. Das ist allerdings eine einschränkende Bezeichnung, da dieses Modell nicht nur die innere, die psychologische Seite erfasst, sondern auch die der äußeren Lebenswirklichkeit.

2. 2 Ein Fachgebiet ohne Fachwissen Normalerweise verfügt jedes Fachgebiet über ein entsprechendes Fachwissen. Nur dort, wo es um den Menschen und um seine Psyche geht, in der Psychotherapie, versucht man nun schon seit zwei Generationen ohne ein übergreifendes und strukturierendes Wissen auszukommen. Statt dessen stützt man sich auf Erfahrungswerte, auf Methoden, auf Ausprobieren, Erleben und Beobachten. Dieser explizite Verzicht auf ein Wissen, das es möglich macht, Einzelerfahrungen in einem größeren Zusammenhang zu sehen und zu verstehen, hat sich zwar durchaus bewährt, wird aber zunehmend hinderlich für eine Weiterentwicklung der praktischen Psychologie. Bewährt hat sich das wissende Nichtwissen dadurch, dass es nahe legt, im Umgang mit dem anderen nicht im eigenen Denken befangen und gefangen zu bleiben, also zu diagnostizieren, zu analysieren und zu interpretieren, sondern sich auf ihn einzulassen, auf seine einmalige und individuelle Situation und dabei genau hinzuschauen und zuzuhören, offene Fragen zu stellen und mit Interventionen zu arbeiten, die eine große Breitenwirkung haben. Auf der anderen Seite verleitet diese selbstverordnete Unwissenheit zu einer Massenproduktion von Therapie-Methoden und Verfahren, einem oberflächlichen Alles-ist-möglich-Optimismus, zu Handwerkelei und vor allem dazu, immer wieder von sich auf andere zu schließen. Um in der nahezu unüberschaubaren Fülle von psychologischen Methoden und Techniken den Weizen vom Spreu scheiden und die psychologi-

Ein Fachgebiet ohne Fachwissen

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sche Praxis vereinfachen und weiterentwickeln zu können, braucht es Wissen. Und der Kern dieses psychologischen Fachwissens sollte wissenschaftliche und praktische Menschenkenntnis sein. Denn dabei handelt es sich um zentrale Themen einer Psychologie des Menschen, um die Beobachtungen, dass Menschen sich auf eine typspezifische Weise unterscheiden, bzw. sich ähnlich sind, und um jene Strukturen und Prozesse, die ihre Wesensart bestimmen. Diese Themen erscheinen so grundlegend, dass eine Persönlichkeitspsychologie, die ihren Gegenstand nicht verfehlen möchte, genau damit beginnen müsste. Dabei gehe ich von der Annahme aus, dass es sich bei den Persönlichkeitstypen um Realitäten handelt, also vorfindliche und sich deutlich unterscheidende Organisationsmuster der Psyche und der Persönlichkeiten.3 Es gibt eine Reihe bewährter Modelle der Menschenkenntnis, die die Unterschiede und Übereinstimmungen der Persönlichkeitstypen beschreiben. Doch die naturwissenschaftliche Ausrichtung der wissenschaftlichen und die pragmatische Einstellung der praktischen Psychologie erlaubten bisher nicht, dass dieses Wissen in einem breiteren Umfang fruchtbar wurde. Das könnte sich ändern, wenn in den Wissenschaften erkannt wird, dass das naturwissenschaftliche Modell nicht geeignet ist, einen Wirklichkeitsbereich als Ganzes und in seinen Zusammenhängen zu erfassen. Deshalb geht die neuere Wissenschaftstheorie davon aus, dass das wissenschaftliche Denken und die wissenschaftlichen Methoden dem entsprechen müssen, was sie erforschen und untersuchen möchten, dass also die Wissenschaft nicht der Wirklichkeit ihr Denken und ihre Methoden vorschreiben darf, und damit den größten Teil der menschlichen Wirklichkeit als unwissenschaftlich ausgrenzt. Und das ganzheitliche Wissen der Menschenkenntnis wird von den Praktikern dann angenommen und angewandt werden, wenn sie entdecken, wie nützlich dieses Wissen ist und es ihre Kompetenz im Umgang mit Menschen unterstützen kann. Natürlich stellt man sich verwundert die Frage: weshalb macht die praktische Psychologie von diesem grundlegenden Wissen über den Menschen bisher wenig Gebrauch? Das hängt zusammen mit der pragmatischen Einstellung in der modernen Psychotherapie: Zufällig oder intuitiv angewandte Interventionen und Methoden, die gute Ergebnisse zeigen, werden wiederholt, überprüft und, wenn sie sich weiterhin bewähren, in das Repertoire einer therapeutischen Schule übernommen. Auf Theorie wird bewusst verzichtet. Das war nicht immer so. Die Psychoanalyse als die erste Generation in der Psychotherapie ist noch ausgesprochen theorieund erkenntnisgeleitet. Ihre Stärke liegt in der Analyse und im Erkennen. Und es ist nicht zufällig, dass dort eine psychotherapeutische Charakterkunde entdeckt und weiter bearbeitet wurde. Die zweite Generation der Psychotherapie, die Humanistische Psychologie4, wurde in Amerika in be-

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

wusstem Kontrast zu der aus Europa stammenden Psychoanalyse entwickelt. Der vornehmen und etwas altmodischen Wertschätzung des Denkens wird die realitätsnahe Erfolgsorientierung der amerikanischen Lebensart entgegengesetzt. Das zeigt sich bei Perls, Berne oder M. Erickson unter anderem darin, dass sie statt wissenschaftlicher Fachbegriffe gerne umgangssprachliche Wörter und Redewendungen benützen, um ihr psychotherapeutisches Verständnis auszudrücken. Und an die Stelle der Analyse tritt zunehmend das gefühlsmäßige Erleben. Während die Psychoanalytiker sich von den Leitbildern des ärztlichen Helfers, des naturwissenschaftlichen Forschers oder des gesellschafts- und kulturkritischen Geisteswissenschaftlers leiten lassen, also insgesamt von einem distanzierten Verhältnis zum Menschen und zum Gegenstand ihrer Untersuchungen ausgehen, suchen die Humanistischen Psychologen den direkten und engagierten Kontakt zu ihren Klienten. Das gilt für die einfühlende5 oder provokative6 Psychotherapie ebenso wie für die konfrontierende7 oder paradoxe8. Eine ähnlich pragmatische Denk- und Vorgehensweise wird auch für die dritten Generation in der Psychotherapie, die Kurztherapien, bestimmend. Sie folgt darin ihrem Vorbild M. Erickson, der sich ausdrücklich zum psychotherapeutischen Nichtwissen bekennt und ganz auf die Intuition setzt. Und Bandler spottet über psychotherapeutische Theorie und macht sich noch über die minimalistischen Erklärungsmodelle der Transaktionsanalytiker lustig. Zwar gehen auch De Shazer und seine Mitarbeiter in der Entwicklung der Lösungsorientierten Kurztherapie pragmatisch vor – bewährte Interventionen werden wieder und wieder eingesetzt –, doch er, darin eine Ausnahme, bemüht sich im Nachhinein um eine wissenschafttheoretische und philosophische Klärung der lösungsorientierten Vorgehensweise. Diese pragmatische und antitheoretische Psychotherapie trifft nun in Europa auf eine wissenschaftliche Psychologie, die sich auf Grund ihrer wissenschaftstheoretischen Vorgaben ihrerseits weder befugt noch in der Lage sieht, psychologische oder psychotherapeutische Theorie zu entwickeln. Das führt zusammen genommen zu der paradoxen Situation eines Fachgebiets ohne echtes Fachwissen. Und das bei einem Anwendungsgebiet, das höchsten Ansprüchen gerecht werden muss, sowohl was die Qualität und Wirksamkeit im Einzelfall betrifft wie auch ihre Breitenwirkung im Gesundheitswesen. Denn für die Psychotherapie gilt das Gleiche wie für alle anderen Fachbereiche, dass eine brauchbare Theorie die Praxis unterstützt. Auch wenn beide Forschungsansätze, der naturwissenschaftliche wie der pragmatische, in der Vergangenheit erfolgreich waren, führen sie in der Gegenwart immer tiefer in Sackgassen. Die naturwissenschaftlich orien-

Bereichsangemessenes Verhalten

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tierte Psychologie erstickt in Detailforschungen und die pragmatische Psychologie in einer Fülle von Methoden. Beide sind auf Grund ihrer wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen nicht in der Lage, Zusammenhänge zu erforschen und Prioritäten zu setzen. Da sie kein theoretisches Bezugssystem haben und akzeptieren, steht alles gleichwertig nebeneinander, Wesentliches und Unwesentliches, hochspezialisierte Methoden und solche mit Breitenwirkung. Sie sind in der paradoxen Situation, dass sie zu viel wissen und zu viel können und eben dadurch unwissend und unfähig werden.

2. 3 Bereichsangemessenes Verhalten Intuitiv wissen wir, dass unsere Lebenswirklichkeit kein einheitliches Kontinuum, sondern in sich höchst widersprüchlich ist. Wir haben gelernt, unterschiedlichen Situationen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Verhaltensstrategien zu begegnen. Besonders bei anderen fällt es uns auf, wenn sie sich unangemessen verhalten. Man weiß oft nicht, ob man lachen oder sich ärgern soll, wenn beispielsweise sich jemand in einer Beziehungssituation nur theoretisierend verhält oder jemand, statt auf Argumente einzugehen und nachzudenken, sich auf Regeln beruft oder wenn jemand dann, wenn Handeln angesagt ist, sich in Gefühlsausbrüchen ergeht. Wir spüren wie unangemessen solche Verhaltensweisen sind, denn wir verfügen über ein unbewusstes Wissen über die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche Beziehung, Erkennen und Handeln. Wir kommen mit den unterschiedlichen Anforderungen und Bedingungen dadurch zurecht, dass wir automatisch bereichsangemessen reagieren. Das geschieht mit Hilfe eines unserer drei Ichs, das sich auf bestimmte bereichstypische Signale hin einschaltet und die Verantwortung übernimmt. Untersucht man solche unterschiedliche Situationen genauer, etwa eine Beziehungs-, eine Arbeits- oder eine Erkenntnissituation, so zeigt es sich, dass sie sich deutlich unterscheiden und tatsächlich eigengesetzlich sind. Korrektes oder bereichsangemessenes Verhalten bedeutet dann, dass es den unterschiedlichen Bedingungen der Lebensbereiche entspricht. Diese sind eigengesetzlich darin, dass ganz andere Fähigkeiten und Verhaltensstrategien für ein Gelingen erforderlich sind, sie sind eigengesetzlich in der Art der Zielsetzung, wie diese Ziele realisiert und die Ergebnisse kontrolliert werden. Sie sind so verschieden, dass jemand beim Versuch, bewährte Vorgehensweisen aus einem Bereich in einen anderen zu übernehmen, mit zwangsläufiger Sicherheit scheitern wird. Unsere Psyche hat sich auf diese Eigengesetzlichkeiten eingestellt und sich auf sie hin organisiert. Sie hat

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

sich auf die drei Lebensbereiche Beziehung, Handeln und Erkennen mit drei unterschiedlichen psychischen Organen spezialisiert, den drei Ich-Zuständen oder den drei Ichs, sodass sie automatisch über die entsprechenden bereichsangemessenen Fähigkeiten und Strategien verfügen kann. Es handelt sich bei diesen Eigengesetzlichkeiten um grundlegende Strukturen unserer Wirklichkeit. Mit ihnen haben es die Menschen schon immer zu tun, doch erstaunlicherweise hat man sich diese Gesetzmäßigkeiten nie so richtig bewusst gemacht. Zwar gibt es immer wieder einzelne Abgrenzungsversuche, etwa wenn Heidegger die Eigenart des Handelns von der des philosophischen Denkens abgrenzt9 oder wenn im Positivismusstreit die Bedingungen des wissenschaftlichen Denkens von denen des politischen Handeln unterschieden werden oder wenn sich in der Dichtung die Logik der Gefühle durchsetzt gegenüber der des vernünftigen Denkens und normativen Handelns. Doch es gibt meines Wissens keine Gesamttheorie aller drei Lebensthemen. Deshalb möchte ich darauf näher eingehen. Dieses Wissen hat nicht nur Konsequenzen für ein grundlegendes Verständnis der Persönlichkeitstypen und ihrer unterschiedlichen Art das Leben zu gestalten und zu erleben. Es muss immer dann berücksichtigt werden, wenn es in irgendeinem Lebensbereich darum geht, erfolgreich zu sein. Niemand würde ernsthaft versuchen in der Luft zu gehen, auf der Erde zu schwimmen oder im Wasser zu fliegen. Missachtet aber jemand die Eigengesetzlichkeit eines Lebensbereiches, so ist das zwar weniger auffällig, doch in den Folgen ebenso fatal. Darüber hinaus hat dieses Wissen organisatorische und institutionelle Konsequenzen. Jeder dieser Bereiche muss, seiner Eigenart entsprechend, anders organisiert und institutionell verankert werden. Es ist beispielsweise wenig Erfolg versprechend, wenn ein Schüler in ganz ähnlichen Unterrichtssituationen Mathematik, soziale und kommunikative Kompetenz und selbstverantwortliches Handeln lernen soll. Auch wird es kaum funktionieren, wenn ein Gefängnisaufenthalt gleichzeitig bestrafen und resozialisieren soll. Wenn Ziele trotz individueller Anstrengungen regelmäßig nicht oder nur unzureichend realisiert werden, hat das meist damit zu tun, dass diese Eigengesetzlichkeiten organisatorisch und institutionell nicht genügend berücksichtigt werden.

2. 4 Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden Der Lebensbereich Handeln ist der, mit dem wir die meisten Erfahrungen haben und der uns auch gedanklich am leichtesten zugänglich ist. Das alltägliche Tun, unsere Berufstätigkeit, etwas planen, etwas machen, das alles

Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden

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ist uns so vertraut, dass wir dazu neigen, die Bedingungen des Machens und bewährte Handlungs-Strategien auch auf die anderen Lebensbereiche zu übertragen. Dann ‚behandeln‘ wir Menschen oder Wahrheiten wie Dinge, wir manipulieren sie. Das geht nicht lange gut. Beginnen wir deshalb unsere Untersuchung der Eigengesetzlichkeiten beim Handeln, und zwar unter den Aspekten: Was ist typisch für Handlungsziele, wie werden sie gefunden und formuliert, welche Fähigkeiten sind für das Handeln erforderlich, wie sieht die personale Bezogenheit aus, d. h., was steht beim Handeln im Vordergrund, das Ich, das Du oder das Wir, wie geschieht die Realisierung und die Ergebniskontrolle in diesem Lebensbereich? Im Bereich Handeln ist das Ziel ein Produkt. Hier geht es darum etwas Nützliches, etwas Brauchbares herzustellen oder zu machen, etwas, was sich in der Praxis bewährt. Das kann ein Gegenstand sein, etwa ein Haus soll gebaut, oder eine Dienstleistung, eine Nachricht soll übermittelt werden. Die Zielfindung geschieht im Bereich Handeln so, dass aus vielen alternativen Möglichkeiten eine ausgewählt wird. Es gibt viele Typen von Häusern und viele Möglichkeiten, jemand eine Nachricht zukommen zu lassen. Es wird also eine Entscheidung getroffen, die immer ein Kompromiss sein wird und mit einem Risiko behaftet ist. Um in diesem Lebensbereich erfolgreich zu sein, sind Fähigkeiten wie Willens- und Tatkraft nötig, man muss sein Handwerk beherrschen, tüchtig, kreativ und verlässlich sein, kooperationsfähig, fleißig, ausdauernd, pünktlich und gewissenhaft – alles Eigenschaften des Handlungs-Ichs (Tab.3). Im Handeln ist die personale Bezogenheit das Wir, denn Handeln geschieht mit anderen zusammen, also arbeitsteilig, und es dient anderen. Deshalb sind hier Themen wie kollegiale Zusammenarbeit, Kunden- und Mitarbeiterbezogenheit wichtig. In der Realisierung wird zielorientiert und planmäßig vorgegangen. Handeln muss immer organisiert werden. Die Qualität der Organisation ist mitentscheidend für den späteren Erfolg. Handeln kostet Zeit, kostet Geld und braucht Energie. Bei der Ausführung werden in der Regel Werkzeuge und andere Hilfsmittel benützt, die das Handeln erst möglich machen. Die Ergebniskontrolle richtet sich danach, ob und dass sich das Produkt in der Praxis bewährt. Dazu gehört auch, dass Nachfrage besteht, dass das Produkt vom Kunden angenommen wird. Das hört sich alles selbstverständlich an. Aber vergleichen wir jetzt das handlungstypische Verhalten mit dem Vorgehen in den beiden anderen Lebensbereichen. Im Lebensbereich Erkennen ist das Ziel kein Produkt, sondern eine Erkenntnis, eine Information, ein bestimmtes Wissen, also eine Wahrheit – etwas, das bevor es erkannt wird, zwar schon da, aber noch nicht bekannt ist. Erkenntnisse werden nicht gemacht, hergestellt,

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe Tab. 3: Die ontologischen Bedingungen aus pragmatischer Sicht. Bereich Handeln

Bereich Erkennen

Bereich Beziehung

Ziel

ein Produkt

eine Wahrheit, Identität

Wohlbefinden, Sympathie, Liebe

Zielfindung

Ziele werden festgelegt aus alternativen Möglichkeiten

Ziele/Identität sind vorgegeben

Ziele liegen in der Realisierung

Fähigkeiten

Qualitäten des Handlungs-Ichs, z.B. Willens- und Tatkraft, Tüchtigkeit, Kooperationsfähigkeit

Qualitäten des Erkenntnis-Ichs, z.B. Wahrnehmen, Intuition, Denken, Gelassenheit

Qualitäten des Beziehungs-Ichs, z.B. Vertrauen, Sich-Einlassen, Liebesfähigkeit, Spontaneität

personale Bezogenheit

Wir

Ich

Du

Realisierung

zielorientiert, planmäßig, kooperativ, immer mit Hilfsmittel

fragend, offen selbst, mit/ohne Hilfsmittel

bedürfnisorientiert, halb offen, selbst, ohne Hilfsmittel

Ergebniskontrolle

Bewährung in der Praxis

Übereinstimmung mit der Realität

gefühlsmäßige Zufriedenheit

sondern entdeckt, gewonnen, gefunden. Man darf, wenn man ehrlich bleiben will, sich die Wahrheit nicht aus alternativen Möglichkeiten aussuchen. Man muss sie so annehmen, wie sie sich zeigt, ob sie einem paßt oder nicht. Sie muss weder nützlich sein noch gefallen. Das Ziel im Bereich Erkennen ist als eine zu findende Wahrheit zunächst unbekannt. Vielleicht hat man eine Vermutung, eine Ahnung und stellt eine Hypothese auf – so könnte es sein. Doch man muß sich dafür offen halten, daß es auch ganz anders sein könnte. Obwohl die Wahrheit bereits feststeht, ist sie doch solange verborgen, bis sie wirklich zweifelsfrei erkannt ist. Es ist wie in einem Kriminalfall: Das Verbrechen ist schon geschehen, doch man kennt den Täter noch nicht. Und der Weg ihn zu identifizieren ändert nichts daran, dass er der Täter ist. Oder man denke an die Naturgesetze – es gibt sie schon immer, die Menschen haben sich auf sie eingestellt, sie sich zu Nutze gemacht, lange bevor sie von den Wissenschaftlern erkannt wurden. Das Gleiche gilt für die Persönlichkeitstypen oder

Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden

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die jetzt hier beschriebenen Eigengesetzlichkeiten der drei Lebensbereiche. Sie bestimmen unser Leben, wir gehen intuitiv und zumeist angemessen damit um. Doch wirklich bekannt sind sie nicht, obwohl sie zu den grundlegensten Bedingungen unseres Lebens gehören. Steht beim Handeln das Wissen am Anfang – man muss wissen, was man will, bevor man handelt –, so ist es beim Erkennen umgekehrt, man beginnt mit Nichtwissen und endet mit Wissen. Ist man gefühlsmäßig voreingenommen oder hat man erfahrungsbezogene Vorurteile, so ist das störend für den Prozess der Wahrheitsfindung. Das sind Irritationen aus den Bereichen Beziehung und Handeln. Sine ira et studio – man weiß das schon lange: Erkennen an sich ist ein emotions- und absichtsloser Vorgang, obwohl er von Absichten und Emotionen begleitet sein kann. Zielfindung im Bereich Erkennen bedeutet, dass man offen ist für die noch unbekannte Wahrheit. Die Fähigkeiten im Bereich Erkennen sind die Qualitäten des Erkenntnis-Ichs, etwa intuitives, folgerichtiges und differenziertes Denken, Konzentration, Klarheit, Interesse, Begeisterung, Ruhe und Gelassenheit, aber auch das sinnenhafte Wahrnehmen und Genießen. Waren es beim Handeln kraftvolle Fähigkeiten, so sind es hier geistige und sinnenhafte. Die personale Bezogenheit ist das Ich, denn erkennen muss man selbst. Und das Erkenntnis-Ich ist auch der ‚Ort‘ der Identität und der weiterführenden Ich-Entwicklung. Die Realisierung im Bereich Erkennen setzt eine interessierte, fragende, wahrnehmende Grundhaltung voraus. Hier können, wie beim Handeln, Hilfsmittel benützt werden. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: man kann zwar andere für sich arbeiten lassen. Doch die ironische Frage: „Wo lassen sie denken?“ macht deutlich, dass dies im Bereich Erkennen nicht angesagt ist. Ergebniskontrolle im Bereich Erkennen bedeutet, dass eine Aussage daraufhin überprüft wird, ob sie mit der Realität übereinstimmt oder nicht. Die Wissenschaftstheorie hat sich eingehend mit den Bedingungen einer kontrollierten Erkenntnisgewinnung befasst. Die wohl wichtigste Regel dabei ist die Nachprüfbarkeit. Erkennen im Alltag ist dem verwandt. Ob etwas wahr oder real ist, wird vor allem durch Übereinstimmung festgestellt. Wenn andere unsere Wahrnehmung bestätigen, oder wenn Erwartungen sich in der Wahrnehmung erfüllen, glauben wir es mit Realitäten zu tun zu haben. Merkt man, dass man etwas nicht versteht und stellt dann die richtigen Fragen, ist das eine Chance neue Erkenntnisse zu gewinnen. Zum Bereich Erkennen dürften auch die Themen Identität und Ich-Entwicklung gehören. Wie lässt sich das begründen. Zum einen ist Identität etwas Erdachtes im Sinne von Identifikationen: „Ich bin dies oder das!“ Menschen können sich mit allem Möglichen identifizieren, mit ihrem Beruf,

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

ihrer Hautfarbe, ihrem Verein oder ihrem Auto. Die meisten meinen, sie seien ihr Körper. Doch das könnten alles auch Täuschungen sein. Was ist meine wahre Identität? – das ist die entscheidende Fragestellung, die in spirituellen Schulen, wie etwa im Buddhismus, immer wieder auftaucht. Der klassische Buddhismus lehrt dazu den Weg der Ent- oder NichtIdentifikation. Was immer Objekt der Wahrnehmung werden kann, von den groben, handgreiflichen Objekten wie dem eigenen Körper bis zu den subtilsten Empfindungen, geistigen Regungen und Wahrheiten, für alles gilt: Es ist vergänglich, es ist leidvoll (oder ungenügend), es ist nicht mein Ich! Im Zen wird häufig der umgekehrte Weg gegangen: alles, was mir begegnet, ist identisch mit meinem wahren Wesen. Ziel dieser Entidentifikation oder Identifikation mit allem ist, den Weg frei zu machen für die Entdeckung der wirklichen Identität, des ursprünglichen Selbst oder Seins, das jenseits und diesseits aller partiellen Identifikationen liegt. Im Bereich Beziehung ist das Ziel die Erfüllung des Bedürfnisses zu lieben und geliebt zu werden oder Sympathie und Freundschaft zu erleben. Das ist zugleich das, was Beziehung im positiven Sinne ausmacht. Dieses Ziel ist nicht herstellbar wie beim Handeln, noch ist das, was wir uns in einer Beziehung wünschen, schon vorhanden wie die Wahrheit für das Erkennen. Deshalb sind Beziehungsziele nur bedingt planbar, und sie sind nicht das Endergebnis eines Beziehungsverhaltens, sondern etwas, was es begleitet. Die Zielfindung steht also weder als genau definiertes Vorhaben am Anfang, wie das beim Handeln üblich ist, noch ist es das Ergebnis eines Prozesses wie beim Erkennen. Die Ziele im Bereich Beziehung entstehen und werden realisiert im Zusammensein, im Vollzug der Beziehung.10 Die Fähigkeiten im Bereich Beziehung sind die des Beziehungs-Ichs wie Vertrauen, Sich-Öffnen und -Einlassen, Spontaneität, Lebensfreude, Liebe geben und annehmen können, Spaß, Humor und spielerisches Verhalten. Die personale Bezogenheit ist das Du. Sie unterscheidet sich von der IchDu-Beziehung im Bereich Handeln: Ich gebe dir dies, dafür möchte ich das. Die Du-Bezogenheit im Beziehungsverhalten bedeutet eher: Ich habe das Bedürfnis, für dich da zu sein. Ich sehne mich danach, dass du für mich da bist. Besonders Männer neigen dazu, die Spielregeln des Bereiches Handeln auf die Beziehung zu übertragen. Das zerstört eine Beziehung. Deshalb hört man häufig von Frauen: Ich liebe zwar meinen Mann, doch ich bin immer wieder unglücklich in der Beziehung. Und viele entscheiden sich irgendwann für Trennung mit dem Argument: Lieber allein leben als ständig zu leiden. Das Ziel muss selbst realisiert werden, man kann oder sollte besser nicht jemand anderes schicken, um für sich lieben zu lassen. Es gibt in diesem Lebensbereich auch keine wirksamen Hilfsmittel. Liebestränke, Liebeszauber und Ähnliches gehören in die Welt des Aberglaubens. Man lässt

Wie sich die Bereiche Handeln, Erkennen und Beziehung unterscheiden

47

sich von Bedürfnissen leiten und muss dabei offen sein für die Möglichkeiten, die in einer Beziehung liegen. Zuneigung kann sich ergeben, muss jedoch nicht, wie viele unglücklich verlaufende Liebesgeschichten zeigen. Wenn sich jedoch Sympathie oder Liebe eingestellt haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sich wieder und wieder ergeben. Und als Ergebniskontrolle dient die gefühlsmäßige Zufriedenheit. Die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche lässt sich auch so verdeutlichen, dass man in einem Gedankenexperiment die Regeln vertauscht. Wenn man versuchsweise in der Tabelle ‚Die ontologischen Bedingungen aus pragmatischer Sicht‘ die Spalte ‚Bereich Handeln‘ mit ‚Erkennen‘ überschreibt, dann erhält man eine Strategie, wie in totalitären Systemen und Institutionen mit der Wahrheit umgegangen wird. Dort werden Wahrheiten ‚gemacht‘, um sie bestimmten Interessen und Zielen anzupassen. Systemkritisches und alternatives Denken wird verworfen und unterdrückt. Die Folgen sind, dass solche Systeme und Institutionen nicht mehr lern- und anpassungsfähig sind. Überschreibt man die Spalte ‚Bereich Handeln‘ mit ‚Beziehung‘, so entspricht das der Praxis der Ehestiftung in früheren Königs- und Fürstenhäusern, reichen Kaufmanns- und Bauernfamilien. Sie wurde standes- und familienpolitischen Zielsetzungen untergeordnet. Macht- und Besitzverhältnisse hatten Priorität gegenüber individuellen Bedürfnissen und Gefühlen. Doch es gab immer wieder Menschen, die aus diesem Regelwerk ausgebrochen sind und gegen den gesellschaftlichen Widerstand ihren Gefühlen gefolgt sind. Das mußte oft tragisch enden, denn die Macht lag bei jenen, die Interesse am Bestand der alten Ordnungen hatten. Überschreibt man die Spalte ‚Bereich Erkennen‘ mit ‚Handeln‘, so erinnert das an das Verhalten weltfremder Idealisten und spiritueller Träumer, die versuchen, das Leben einer Wahrheit zu unterwerfen. Ein Beispiel dafür war der intellektuelle Marxismus, dessen Nährboden Bücher waren und der die gesellschaftliche Realität kaum oder nur verzerrt wahrgenommen hat. Heute sind es eher Anhänger religiöser Sekten, die das Leben durch die Brille ihrer Wahrheit sehen und erleben. Da gerade im Bereich Erkennen das Gesetz der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen gilt, sind solche Ideologien für ihre Anhänger schwer zu durchschauen.11 Vertauscht man ‚Beziehung‘ mit ‚Erkennen‘, so beschreibt das das Verhalten eines grüblerischen Romantikers, der in der Beziehung so etwas wie eine Wahrheit oder sein Selbst sucht, tiefsinnige Gespräche führt und, erfüllt von innerer Unruhe, die Beziehung ständig in Frage stellt: Ist es die wahre Beziehung oder nicht? Solche Menschen können sich oft nicht lösen von einer zurückliegenden oder aus einer aktuellen unglücklichen Beziehung, da die Erinnerung an glückliche Zeiten ihnen so real erscheint, daß dagegen gegenwärtige Erfahrungen wenig zählen.

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

Überschreibt man die Spalte ‚Beziehung‘ mit ‚Handeln‘, so lässt das an bestimmte Formen des sozialen Engagements denken, das zwar gut gemeint ist, in der Praxis aber mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Es ist das Retter-Verhalten oder Helfer-Syndrom, das sich dort von Gefühlen leiten läßt, wo eine realistische Einschätzung der Situation und Hilfe zur Selbsthilfe gefordert wären. In Theaterstücken sorgen solche Missachtungen der Eigengesetzlichkeiten von Lebensbereichen für Komik oder Tragik, im Alltag für Enttäuschungen und Leid, und in der Geschichte haben sie viel Elend verursacht.

2. 5 Handeln, Erkennen und Beziehung als Prozesse Obwohl jeder dieser drei Lebensbereiche eigengesetzlich ist, stehen sie doch in einem sich gegenseitig bedingenden Zusammenhang. In der Berufssituation geht es in der Regel um das ziel- und erfolgsorientierte Handeln. Dabei haben Erkennen und Beziehung eine unterstützende Funktion. Erkenntnis um der Erkenntnis oder Beziehung um der Beziehung willen gibt es hier fast nie. Die Beteiligten reagieren darauf ablehnend, weil sie wissen, dass intime Beziehungen zwischen Arbeitskollegen oder mit einem Vorgesetzten in der Regel die Zusammenarbeit erschweren. Oder wenn jemand zu theoretisch argumentiert, kann er in der Berufswelt zu hören bekommen, das sei ‚akademisch‘ – was so viel meint wie ‚brotlose Kunst‘. Andererseits ist das Handeln kein Selbstzweck, sondern soll den Kunden dienen, und die Veränderungen, die das Handeln bewirkt, lösen emotionale Erfahrungen aus und regen neues Nachdenken an (Abb.3). Betrachtet man den Zusammenhang der drei Lebensbereiche in Bezug auf das Handeln als Prozess, so wird deutlich, dass das Handeln in den beiden anderen Lebensbereichen oder Ichs vorbereitet wird. Man ist unzufrieden mit einer bestimmten Situation (Beziehungs-Ich), denkt über Alternativen nach (Erkenntnis-Ich) und entscheidet sich dann, etwas zu tun (Handlungs-Ich und Bereich Handeln). Oder man hat bestimmte Bedürfnisse und Träume (Beziehungs-Ich), überlegt, wie sie realisiert werden können und entwickelt dazu bestimmte Strategien (Erkenntnis-Ich) und setzt dies dann in die Tat um (Handlungs-Ich und Bereich Handeln). Das Wissen um den Prozess, wie das Handeln in den anderen Lebensbereichen vorbereitet wird (Abb. 3), ist wichtig, wenn es darum geht, sich selbst oder andere zu motivieren, bei Führungsaufgaben, in der Pädagogik oder im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Anweisungen wie: Mach das oder jenes! erregen oft Unmut und Widerstand, weil das Handeln nicht erlebnismäßig und mental vorbereitet worden ist. Und die handlungsbezogene Lösungsorientierte Psychotherapie setzt genau dort an,

Handeln, Erkennen und Beziehung als Prozesse

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Bereich Handeln

Arbeitsleistung Organisation der Zusammenarbeit

Bereich Beziehung

Arbeitsfreude und Sympathie

Fachwissen und Informationen

Motivation

Kommunikation

Bereich Erkennen

Abb. 3: Der dialektische Zusammenhang der Lebensberichte in Bezug auf den Bereich Handeln.

emotional und mental mit Zielsetzungen, Lösungsfilmen und der analytischen Erarbeitung von Ressourcen (Ausnahmen) (Abb.4). In einer Beziehung geht es vor allem um die gefühlsmäßige Zuwendung und ein Sich-Wohlfühlen mit dem oder den Anderen. Doch es gehört auch das Interesse am Anderen dazu, das Bedürfnis, miteinander zu sprechen, voneinander zu wissen. Nun gibt es durchaus Beziehungen, in denen der Eine wenig vom Anderen weiß und ihn dennoch oder vielleicht gerade deshalb liebt. Zu einer Beziehung gehört meist auch ein gewisses Maß an Fürsorge, an Planung und Organisation und an gemeinsamen Aktivitäten. Und doch kann eine wenig organisierte Beziehung gefühlsmäßig intensiver sein als eine gut organisierte. Man denke an heimliche Beziehungen, an Liebe auf den ersten Blick oder an einseitige ‚Liebesbeziehungen‘, bei denen die oder der geliebte Mensch von der Liebe des anderen gar nichts weiß (Abb.5). So soll die Institution Ehe zwar der Beziehung dienen, ist jedoch selbst im Bereich Handeln angesiedelt. Wenn eine Beziehung scheitert, werden die organisatorischen Gemeinsamkeiten oft zu einer quälenden Fessel, die man gerne abstreifen und los sein möchte. Und bei der ‚Organisationsform Ehe‘ besteht immer die Gefahr, dass das Institutionelle und seine Bedingungen zum Selbstzweck werden und gegenüber dem Lebendig-Gefühlsmäßigen das Übergewicht gewinnen. Deshalb haben andere Formen des Zusammenlebens durchaus ihre Berechtigung.

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe Bereich Beziehung

Beziehungs-Ich 2.

1. Bedürfnisse werden enttäuscht/ geweckt Bereich Handeln

Unzufriedenheit Wünsche Träume Bereich Erkennen

6. Umstände Handlungen

4.

Handlungs-Ich 3.

5.

Informationen Wissen

Erkenntnis-Ich

Realisierung

Ziele Pläne Strategien

Abb. 4: Der Prozess-Ablauf der Lebensbereiche und der drei Ichs in Bezug auf den Bereich Handeln.

Bereich Beziehung

Zuneigung Gefühle und Bedürfnisse

Bereich Erkennen

Interesse

Fürsorge

Gespräche

Handeln

Bereich Handeln

Abb. 5: Der dialektische Zusammenhang der Lebensbereiche in Bezug auf den Bereich Beziehung.

Da Beziehungen nicht primär von Handlungen und Erkenntnissen leben, kann die herkömmliche Partner-, Ehe- und Familientherapie, in der überwiegend analytisch und verhaltensorientiert vorgegangen wird, nicht sonderlich erfolgreich sein. Und das relativ unabhängig davon, ob dies die Partner selbst in der Form von Problemgesprächen durchführen oder mit Hilfe von Eheberatern. Denn diese Methoden entsprechen wenig den

Handeln, Erkennen und Beziehung als Prozesse Bereich Beziehung

Beziehungs-Ich 6.

5. Beziehungsverhalten und -erleben Bereich Handeln

Fühlen Lieben Bereich Erkennen

4. Kontakt herstellen

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1. attraktive Person

Handlungs-Ich

Erkenntnis-Ich 2.

3. Wollen Entscheiden

Wahrnehmen Empfinden Denken

Abb. 6: Der Prozess-Ablauf der Lebensbereiche und der drei Ichs in Bezug auf den Bereich Beziehung.

Eigengesetzlichkeiten des Bereiches Beziehung, eher denen des Erkennes und Handelns. Die Folgen sind, dass die Beteiligten zwar nach einer solchen Beratung meist klüger sind, was ihre Beziehung betrifft, doch selten glücklicher. Der erkenntnis- oder handlungsorientierte Ansatz wird hauptsächlich die Rahmenbedingungen einer Beziehung verändern und verbessern. Doch das reicht selten aus, da er auf das eigentliche Beziehungsgeschehen nicht eingeht. Deshalb wird in der Integrierten Kurztherapie immer dann, wenn es um das Thema Beziehung geht, mit dem systemischen Ansatz gearbeitet, der als Systemische Kurztherapie methodisch den paradoxen oder gegenläufigen Gesetzmäßigkeiten dieses Lebensbereiches entspricht.12 Er geht auf Milton Erickson zurück, der ein besonderes Gespür für die Gesetzmäßigkeiten des Zwischenmenschlichen hatte (Abb.6). Auch das Erkennen muss organisiert werden, braucht Einrichtungen und Hilfsmittel und die kollegiale Zusammenarbeit. Die beiden anderen Bereiche, das Handeln und die Beziehung, haben dabei eine dienende Funktion. Beispiele dafür sind wissenschaftliche Institute oder Kongresse, die der gegenseitigen Information dienen. Und doch gab es immer wieder einzelne Denker oder Forscher, die jahre- oder jahrzehntelang bestimmten Fragestellungen nachgegangen sind und unabhängig von anderen und mit geringen Mitteln Erkenntnisse gewonnen haben, ehe sie damit an die Öffentlichkeit getreten sind (Abb.7). Das reine, zweckfreie Erkennen findet man traditionellerweise in der Philosophie, der Mystik oder der Grundlagenforschung. Auch im alltäglichen Leben hat es seine Berechtigung. Wenn der Satz: ‚Erkennen macht frei!‘ wahr ist, so für diese Form des Erkennens. Gerade für den Bezie-

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe Bereich Erkennen

Erkenntnisse Informieren

Bereich Handeln

Offenheit

z. B. Messungen durchführen

sich austauschen

Bereich Beziehung

Abb. 7: Der dialektische Zusammenhang der Lebensbereiche in Bezug auf den Bereich Erkennen.

Bereich Beziehung

Beziehungs-Ich 3.

4.

gefühlsmäßige Reaktion

Kommunikation Bereich Handeln

Bereich Erkennen 1.

Ereignisse

6. Erkenntnisse

Handlungs-Ich

Erkenntnis-Ich 5.

2. Erfahrungen

fragen erkennen

Abb. 8: Der Prozess-Ablauf der Lebensbereiche und der drei Ichs in Bezug auf den Bereich Erkennen.

hungstyp ist dieses absichtslose Erkennen besonders wertvoll, die Erfahrung, dass die Dinge, so wie sie sind, in Ordnung sind, dass man die Welt und die Menschen nicht retten muss, sondern loslassen kann. Die andere Aussage: ‚Wissen ist Macht!‘ ist anwendungsbezogenes Wissen, gilt für handlungs- oder beziehungsbezogenes Denken, und hat manipulative Züge, im negativen und positiven Sinne (Abb.8).

Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten

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2. 6 Drei unterschiedliche Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten Neben der pragmatischen Beschreibung und Abgrenzung der drei Lebensbereiche, die jeder an seinen eigenen Lebenserfahrungen überprüfen kann, macht eine philosophisch-ontologische Untersuchung die Eigengesetzlichkeit dieser Bereiche noch deutlicher. Es zeigt sich, dass jeder der drei Bereiche sich durch seine eigene Energie konstituiert, sich auf eine eigene Zeitdimension bezieht und nach einer eigenen Kausalität funktioniert. Das erinnert an die Kantschen Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität, wobei hier von Zeitdimensionen, von Kausalitäten und statt von Räumen von den ‚Materialien‘ oder ‚Substanzen‘, die diese Räume erfüllen, also von Energien gesprochen wird. Wie man diese Energien nennt, ist eine Frage der Übereinkunft. Ich schlage vor, sie Liebe, Geist und Kraft zu nennen. Dass es sich dabei um fundamentale Energien handelt, zeigt sich u. a. darin, dass Gott im Christentum im Sinne dieser drei Energien verstanden wird, als Schöpfergott im Alten Testament, als Verkörperung der Liebe in den ersten drei Evangelien des Neuen Testaments und als Geist im Johannes-Evangelium und in der Mystik. Ähnliche Aussagen finden sich auch in anderen Hochreligionen. Konkreter fassbar werden diese Energien in der Form unterschiedlicher Zuwendung, etwa in der frühen Kindheit. Spezifische Defizite an liebevoller, aufmerksamer oder erlaubender Zuwendung führen nicht nur zu unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen und den entsprechenden Lebens-Skripts, etwa dem No-Love-Script, dem No-Mind-Script oder dem No-Joy-Script nach C. Steiner, sondern als Gegenreaktionen auch zur Entstehung der drei Grundtypen der Persönlichkeiten, dem Beziehungstyp, dem Sachtyp und dem Handlungstyp. Auch die drei Zeitdimensionen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit lassen sich eindeutig den drei Lebensbereichen zuordnen. Zwar leben und verhalten wir uns immer im gegenwärtigen Jetzt, doch wir beziehen uns dabei auf eine der drei Zeitdimensionen. Handeln ist zukunftsgerichtet. Was wir tun, zielt darauf ab, in der näheren oder entfernteren Zukunft etwas herzustellen, zu verändern oder zu erreichen, egal ob es darum geht, sich ein Glas Wasser einzuschenken, um es dann trinken zu können, oder ob ein Millionen-Projekt geplant und realisiert wird, das dann nach seiner Fertigstellung eine bestimmte Aufgabe erfüllen soll. Beziehung wird gegenwärtig erlebt, angenehm oder unangenehm. Und die Stabilität einer Beziehung hängt entscheidend davon ab, ob die Beteiligten dieses gegenwärtige Erleben wieder herstellen wollen (oder nicht). Erkennen setzt immer voraus, dass es schon etwas gibt, was erkannt wer-

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

den kann. Erkennen geschieht immer danach, läuft hinter den Ereignissen her und ist damit vergangenheitsbezogen. Das hat zur Folge, dass sich geistig Tätige häufig mehr mit Vergangenem befassen und deshalb oft zu wenig Einfluss nehmen auf die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft. Am deutlichsten wird die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche dadurch, dass jeder Bereich nach seiner eigenen Kausalität funktioniert. Am vertrautesten ist uns die Ursache-Wirkungs-Kausalität, und zwar so sehr, dass viele voraussetzen, sie sei die einzige Gesetzmäßigkeit, nach der die menschliche Wirklichkeit funktioniert. Die Ursache-Wirkungs-Kausalität lässt sich auch am besten verstehen, und das heißt abbilden durch das rationale oder logische Denken, das auch nach dem Schema ‚wenn-dann‘ funktioniert. Ein großer Teil unseres alltäglichen Handelns wird ebenso von der Ursache-Wirkungs-Kausalität bestimmt wie die experimentelle wissenschaftliche Forschung oder der technische Fortschritt. Die industrielle Produktion, der Bau eines Hauses, die Versorgung mit Konsumgütern und vieles andere funktioniert nach dieser Gesetzmäßigkeit. Die Aufklärung und der Cartesianismus haben sich bei der Erklärung der Welt auf diese Kausalität bezogen: Die Vernunft steht einer mechanischen oder materiellen Wirklichkeit gegenüber, die sie verstehen und beherrschen kann (Tab. 4). Wenn sich die anderen Kausalitäten nicht so gut oder fast gar nicht denkerisch erfassen und darstellen lassen, bedeutet das nicht, dass sie eine geringere Rolle in unserem Leben spielen. Sie sind genau so wirksam, genau so verbindlich und funktionieren so zuverlässig wie die Ursache-Wirkungs-Kausalität. Die partielle Unkenntnis oder Missachtung dieser anderen Kausalitäten erklärt manche Einseitigkeiten und Mängel in unserer Kultur. Oder positiv formuliert: wenn unser Ziel ist, unsere Wirklichkeit ganzheitlich zu erfassen und unser Leben entsprechend zu gestalten, wird es darauf ankommen, diese anderen Kausalitäten wahrzunehmen und zu lernen, ihnen zu entsprechen. Dabei befinden wir uns wieder in der paradoxen Situation, dass wir ständig mit diesen Kausalitäten umgehen, ohne dass wir sie kennen und verstehen müssten.13 Die Systemische Kausalität ist in unserer Kultur so wenig bekannt, dass sie nicht einmal einen Namen hat. Man könnte sie auch paradoxe oder gegenläufige Kausalität nennen. Gelegentlich nenne ich sie Yin-Yang-Kausalität, weil die altchinesische Philosophie einiges über diese Kausalität wusste und das Yin-Yang-Symbol und seine Bedeutung vielen vertraut sind. Die Systemische Kausalität ist jene Gesetzmäßigkeit, derzufolge Beziehungsverhalten gelingt oder, da sie häufig missachtet wird, nicht gelingt. Dadurch hat sie für die Beziehungs-, Partner- oder Familientherapie entscheidende Bedeutung.

Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten

55

Tab. 4: Die ontologischen Bedingungen aus philosophischer Sicht.

Bereich Handeln

Bereich Erkennen

Bereich Beziehung

Energie

Kraft

Geist

Liebe

Zeitdimension

zukunftsbezogen

vergangenheitsbezogen

gegenwartsbezogen

Kausalität

Ursache-WirkungsKausalität

Zielkausalität (Theologie)

Systemische (paradoxe, gegenläufige) Kausalität

Auch wenn sich diese Kausalität nicht denkerisch erfassen lässt, wer darüber sprechen möchte, redet gewöhnlich in Paradoxien, so lässt sich doch methodisch mit der Systemischen Kausalität genau und wirksam arbeiten. Die methodische Regel dazu lautet: Um auf der Beziehungsebene mit leidvollen Erfahrungen, schwierigen Personen oder Situationen zurechtzukommen und verändernd darauf einzuwirken, begegnet man ihnen mit einer positiv-ähnlichen Energie oder Haltung, und dies spiegelbildlich und gegenläufig14, etwa einem aggressiven Partner mit einer kraftvollen, kämpferischen Energie (wie im Sport), einem unentschlossenen Verhalten mit einer abwartenden, offenen Haltung (so wie jemand sich Reiseprospekte anschaut) oder einer egoistischen Einstellung, indem dem man gut für sich selbst sorgt (wie es sich jemand im Urlaub gut gehen läßt). Dieses Arbeiten auf der Energie-Ebene führt häufig zu verblüffend raschen Veränderungen, so, dass ich manchmal halb im Scherz, halb im Ernst von Heil- und Zauberkräften spreche. Die wohl wichtigste Erkenntnis, die sich aus dieser Arbeit ergibt ist, dass im Leid die Lösungsenergie schon vorhanden ist, und zwar ganz direkt, wie die genau passende Arznei, sowohl qualitativ als quantitativ. Das bestätigt altes spirituelles oder philosophisches Wissen, dass es nichts absolut Böses oder Schlechtes gibt, sondern eigentlich nur positive Energie, mit der falsch umgegangen wird. So gesehen sind jene Filme und Realitäten, in denen das Böse personifiziert und schließlich vernichtet wird, psychologisch irreführend. Es muss zurückgewonnen, zurück verwandelt, reintegriert werden. Denn im ‚Bösen‘ stecken wertvolle Energien, denen nicht erlaubt wurde, sich positiv zu realisieren. Dazu kommt, dass der Kampf gegen das Böse dieses stärkt, ihm ständig neue Energien zuführt. Das, was man verbietet, unterdrückt und bekämpft wird eben dadurch stärker. Dieses Verständnis ist wichtig im Umgang mit den eigenen Schwächen, in der Erziehung und wäre auch innen- und außenpolitisch nützlich.

56

2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

Die Ziel-Kausalität15 ist in unserer Kultur etwas bekannter, da sie stark das philosophische Denken des Mittelalters beherrscht und auch in der neuzeitlichen Philosophie mit unterschiedlichen Aspekten tendenziell wirksam geblieben ist, etwa bei Hegel, Marx oder Heidegger. Im Gegensatz zur Ursache-Wirkungs-Kausalität, bei der die Wirkung von der Ursache ausgeht, geht bei der Ziel-Kausalität die Wirkung vom Ziel aus, d. h. die vom Ziel ausgehende Wirkung schafft sich ihre ‚Ursachen‘. Diese Ziel-Kausalität kennzeichnet den Erkenntnisvorgang. Erkenntnisse werden ja nicht gemacht oder hergestellt (außer in der Politik oder der Kirche), sondern gewonnen. Der Sprachgebrauch ist eindeutig: Es wird mir etwas klar. Es geht mir ein Licht auf. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Die noch nicht erkannte Wahrheit geht der Erkenntnis voraus, bzw. zieht sie nach sich. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Nachrichten oder Erkenntnisse im Alltag, immer beziehen sie sich auf etwas, was schon vorher da war. Auch die Identität des Menschen wird von der Zielkausalität bestimmt, etwa nach der Maxime: Werde der du bist! Jemand, der sich auf den spirituellen Weg der Selbstfindung oder Selbst-Verwirklichung begibt, sollte sich immer bewusst sein, dass er sich durchgängig in einer paradoxen Situation befinden: Er ist schon das, was er anstrebt, und doch ist es ihm unbekannt.16 Deshalb haben wissendes Nicht-Wissen und engagiertes NichtTun einen hohen Stellenwert in den östlichen Weisheitslehren. Es gibt noch ein drittes Thema, das mit der Zielkausalität zu tun hat, die Evolution. Darwin hat noch versucht, sie mit der Ursache-Wirkungs-Kausalität zu erklären. Danach ist das Leben zufällig entstanden und hat sich weiter entwickelt nach dem Prinzip, daß der Stärkere, besser Angepasste im Prozess der Evolution sich durchsetzt. Das dürfte nicht ausreichen, um die Entstehung des Lebens und die Evolution zu erklären. Eine ergänzende These ist, dass Leben und Entwicklung als ‚Rezept‘ überall im Universum vorhanden sind und dass sich deshalb auf einem Planeten, der von seinen Umweltbedingungen her Leben möglich macht, Leben entsteht und weiter entwickelt. So gesehen ist die biblische Schöpfungsgeschichte nicht so verkehrt. Und die Akzeptanz der Zielkausalität könnte zusammen mit der anderer Kausalitäten auch die Sinnfrage weiter bringen, dahingehend, dass es nicht den einen Sinn des Lebens gibt, sondern unterschiedliche Sinnfindungen und Realisierungen des Lebens-Sinns (Abb.9). Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir auch ohne dieses Wissen um die Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche auskommen, denn wir verfügen über ein unbewusstes Erfahrungswissen zu dieser Thematik. Es ist organisiert in den drei Ichs, sowohl formal wie inhaltlich. Doch das ist eher ein Überlebens-Wissen als ein Wissen, das Lebensqualität möglich macht. So könnte irgendwann das Wissen um die Eigengesetzlichkeit der

Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln

Die drei Lebensbereiche

Die drei Ichs

Bereich Beziehung

BeziehungsIch

Bereich Handeln

Bereich Erkennen Identität

HandlungsIch

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ErkenntnisIch

Abb. 9: Der Zusammenhang zwischen den drei Ichs und den Lebensbereichen.

Lebensbereiche einen ähnlichen Stellenwert bekommen wie heute schon das Wissen um die Persönlichkeitstypen.

2.7 Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln Die drei Grundtypen der Persönlichkeit haben unmittelbar zu tun mit den unterschiedlichen Bedingungen der drei Lebensbereiche und die differenzierteren Modelle der Menschenkenntnis damit, dass sich diese Eigengesetzlichkeiten, wenn nicht vermischen, so doch ergänzen und durchdringen. In diesem Kapitel soll der Zusammenhang deutlich gemacht werden zwischen den eigengesetzlichen Lebensbereichen und den sich darauf spezialisierten Persönlichkeitstypen. Das Bindeglied sind die Fähigkeiten, die in der Praxis der einzelnen Lebensbereiche im Vordergrund stehen: Fühlen, Denken und Handeln. Das alltägliche Leben und die praktische Psychologie haben eines gemeinsam, sie haben es mit der ganzen menschlichen Wirklichkeit zu tun. Will jemand im Alltag mit ihr zurechtkommen oder in der Psychologie erfolgreich mit ihr arbeiten, sollte er die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu ihr kennen und benützen. Da Fühlen, Denken und Handeln durch die Eigengesetzlichkeiten der drei Lebensbereiche ‚eingefärbt‘ werden, gibt es von jedem drei unterschiedliche Arten17. Wie erleben wir sie und wie können wir sie benennen? Oder umgekehrt, wie können wir sie unterscheiden und benennen, damit wir sie im Erleben wieder erkennen? Obwohl die drei wichtigsten ontologischen Kategorien, die unterschiedlichen Energien, Zeitdimensionen und Kausalitäten, sich sowohl im

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

spontanes Fühlen (gegenwartsbezogen)

Vorfreude (zukunftsbezogen)

romantische Gefühle

Fühlen

(vergangenheitsbezogen)

systemisches Denken

emotionales Handeln

(Systemische Kausalität)

(Liebe/Du)

Handeln

Denken

gemeinsames Handeln (Kraft/Wir)

entdeckendes Denken individuelles Handeln (Geist/Ich)

strategisches Denken

(Zielkausalität)

(Ursache-WirkungsKausalität)

Abb. 10: Drei Arten des Fühlens, Denkens und Handelns.

Fühlen als auch im Denken und im Handeln ausdrücken18, lassen sich die verschiedenen Arten des Handelns besonders gut mit den entsprechenden Energien, das Fühlen mit den Zeitdimensionen und das Denken mit den Kausalitäten charakterisieren. Wir unterscheiden beim Handeln ein individuelles, das vom Denken gesteuert wird, ein wir-bezogenes, das aus dem gemeinsamen Wollen kommt und ein du-bezogenes Handeln, das von der liebevollen Energie geleitet wird (Abb.10). Das Fühlen lässt sich unterscheiden mit Hilfe der drei Zeitdimensionen: bezieht es sich auf Künftiges, Gegenwärtiges oder Vergangenes? Jedes hat seine eigene Erlebnisqualität. Und das Denken will verstehen, wie die Dinge funktionieren. Dazu muss es sich den unterschiedlichen Kausalitäten anpassen, sich ihnen ähnlich machen. Ein logisches, folgerichtiges, vernünftiges Denken kann nur erkennen, was ‚logisch‘, ‚folgerichtig‘ oder ‚vernünftig‘ ist – oder so erscheint. Zielkausale oder systemische Vorgänge wird es nicht wahrnehmen oder allenfalls als Störungen des Logischen, Folgerichtigen und Vernünftigen. Das macht deutlich, wie problematisch die ‚Herrschaft der Vernunft‘ ist, die von vielen auch heute noch aufrechterhalten wird. Sie schränkt die mentalen Zugänge zur Wirklichkeit dramatisch ein. Beim Handeln wäre das einmal ein individuelles Handeln, das von den eigenen Interessen ausgeht, dann ein gemeinsames Handeln, welches das Wollen auf vereinbarte Ziele lenkt, und ein emotionales Handeln, das mehr oder weniger von Liebe geleitet wird. In Beziehungen steht das

Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln

59

emotionale Handeln im Vordergrund. Die Arbeitswelt wird stark vom gemeinsamen Handeln bestimmt. Im Spielen, Sport oder bei künstlerischen Tätigkeiten kommt das individuelle Handeln zu seinen Ausdrucksmöglichkeiten. Da unsere Gesellschaft überwiegend vom gemeinsamen Handeln bestimmt wird, ist die von uns geschaffene Welt recht unpersönlich und lieblos. Das Fühlen, das sich auf die Zukunft bezieht, ist Ein-sich-Freuen-auf … oder ein Sich-Fürchten-vor … Das gegenwartsbezogene, spontane Fühlen dürfte der häufigste Gefühlsausdruck sein. Das sich auf Vergangenes beziehende Fühlen könnte man romantische Gefühle nennen und ist häufig etwas wehmütig, traurig oder melancholisch. Da wir uns die Zukunft handelnd erschließen, hat die Vorfreude etwas Ungeduldiges, Vorwärtsdrängendes. Das gegenwärtige Fühlen gibt sich hin an den Moment. Hier, im Gegenwärtigen, ist die Liebe zuhause, aber auch das Spiel, das Glück, das Genießen und der Schmerz. Ein Erleben, das sich auf Vergangenes bezieht, ist milder, wenn es um schmerzliche Erinnerungen geht, doch auch glückliche verblassen.19 Dass es auch drei Arten des Denkens gibt, um sich die Wirklichkeit zugänglich und verständlich zu machen, bedeutet, dass wir ihr denkend nur dann gerecht werden, wenn wir alle drei Denkarten kennen und beherrschen. Die Aufklärung, die sich bis heute fortsetzt, hat das entdeckende und in der Folge zunehmend das strategische Denken betont. Dadurch blieb das systemische Denken fast völlig unbekannt. Es hat es schwer, sich selbst verständlich, begreiflich zu machen, denn es ist ein intuitives, paradoxes und eher ein ‚Nicht-Denken-Können‘. Es ist ein Denken, das weiß, dass die gegenläufigen Bewegungen der Wirklichkeit nur dann erfasst werden, wenn man das logische Denken nur benützt, solange sich das Geschehen geradlinig vollzieht – und dann stoppt, wenn man spürt, dass jetzt ein anderes mentales Verhalten angesagt ist, etwa Intuition oder emotionale Intelligenz. Das setzt voraus, dass man nicht vom Denken beherrscht wird. Man sollte das Denken oder, wenn man an seine unterschiedlichen Aufgabenstellungen denkt, die Denkweisen wie Werkzeuge nur dort benützen, wo sie angemessen sind, aber sie auch weglegen können, dann, wenn sie ungeeignet sind. Das entdeckende Denken ist ein fragendes Denken. Dieses Denken muss fähig sein, das Nichtwissen auszuhalten, oder besser, sich mit ihm anzufreunden. Denn nur aus Nichtwissen kann Wissen entstehen. Und man sollte ein sicheres Gespür dafür entwickeln, zu erkennen: das verstehe ich oder: das verstehe ich (noch) nicht. Das ist keineswegs selbstverständlich. Die Regel ist eher, dass ständig Meinungen und Interpretationen mit Verstehen verwechselt werden. Auch dieses Denken muss innehalten und warten können, bis die Antwort auftaucht. Man könnte es auch ein krei-

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe liebenswürdiger Gewinner spontane Lebensfreude (Oberflächlichkeit/intrigierend) begeisterungsfähiger Helfer freudiger Optimismus (Naivität/gefallsüchtig)

ethischer Unterstützer praktische Menschlichkeit (Ausnützen lassen/skrupelhaft)

3

anspruchsvoller Romantiker kultivierte Gefühlstiefe (Hochmut/realitätsfern)

Fühlen 2

4

1

5

Handeln kameradschaftlicher Macher kollegiale Zusammenarbeit (Arbeitssucht/selbstgerecht)

9

gutmütiger Beobachter humorvolle Lebensweisheit (Rückzug/verharmlosend)

8

fairer Kämpfer individuelle Lebensgestaltung (Bitterkeit/dominant)

Denken 7

6 loyaler Skeptiker nachdenkliche Identität (Kritiksucht/schwermütig)

optimistischer Pragmatiker zielorientierter Realitätssinn (Egoismus/unsensibel)

Abb. 11: Typspezifische Ausdrucksformen des unterschiedlichen Fühlens, Denkens und Handelns sowie der Sackgassen (in Klammern)20 – die Zahlen bezeichnen die Enneagramm-Typen.

sendes, sich zentrierendes, kontemplatives oder meditatives Denken nennen. Es führt nicht nur zu Erkenntnissen und Entdeckungen, sondern mündet ins spirituelle Erkennen, wenn die auftauchenden Antworten in ihrer Vorläufigkeit durchschaut und immer wieder verworfen werden und weiter gefragt wird (Abb.11). Bezieht man die unterschiedlichen Arten des Fühlens, Denkens und Handelns auf die Persönlichkeitstypen, kann man neun Psychocodes beschreiben, und kommt damit in die Nähe des Enneagramms21, das sowohl die drei Grundtypen kennt, sich dann aber auf die neun Typen konzentriert. Dabei wird dreierlei sichtbar: Die persönlichkeitstypischen Code22, die als Dreierschritte im Uhrzeigersinn ablesbar sind, beschreiben zentrale Themen einer Persönlichkeit, in denen sie sich ausdrückt und auf die sie immer wieder zurückkommt. Bei richtiger Persönlichkeitsdiagnose lassen sich diese Aussagen in der Realität gut nachvollziehen. Sie sind so etwas wie Überschriften, die das Leben eines Persönlichkeitstyps charakterisieren. Die Persönlichkeitsentwicklung als der sich verwirklichende Psychocode zeigt, wie anfängliche Einseitigkeiten ausgeglichen werden und damit die Gefahr abgewendet wird, in einer Sackgasse zu enden. Die

Drei Arten zu fühlen, zu denken und zu handeln

61

Tab. 5: Die persönlichkeitstypischen Codes nach den Ausdrucksformen des unterschiedlichen Fühlens, Denkens und Handelns.

Persönlichkeitsbereich

Entwicklungsbereich23

Zielbereich

begeisterungsfähiger Helfer (2) (kulturell handelnd)

freudiger Optimismus

humorvolle Lebensweisheit

individuelle Lebensgestaltung

liebenswürdiger Gewinner (3) (praktisch handelnd)

spontane Lebensfreude

nachdenkliche Identität

kollegiale Zusammenarbeit

anspruchsvoller Romantiker (4) (menschlich handelnd)

kultivierte Gefühlstiefe

zielorientierter Realitätssinn

praktischer Menschlichkeit

gutmütiger Beobachter (5) (praktisch fühlend)

humorvolle Lebensweisheit

individuelle Lebensgestaltung

freudiger Optimismus

loyaler Skeptiker (6) (menschlich fühlend)

nachdenkliche Identität

kollegiale Zusammenarbeit

spontane Lebensfreude

optimistischer Pragmatiker (7) (kulturell fühlend)

zielorientierter Realitätssinn

praktische Menschlichkeit

kultivierte Gefühlstiefe

fairer Kämpfer (8) (menschlich denkend)

individuelle Lebensgestaltung

freudiger Optimismus

humorvolle Lebensweisheit

kameradschaftlicher Macher (9) (kulturell denkend)

kollegiale Zusammenarbeit

spontane Lebensfreude

nachdenkliche Identität

ethischer Unterstützer (1) (praktisch denkend)

praktische Menschlichkeit

kultivierte Gefühlstiefe

zielorientierter Realitätssinn

Beziehungstypen

Sachtypen

Handlungstypen

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2. Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe

Schlüsselfähigkeiten sind die Alternativen zu den Negativseiten der Ausgangspersönlichkeit24 (vgl. Tab.5, S. 61). Bei jedem der drei Beziehungs-, Sach- oder Handlungstypen ist ein eher praktisch, menschlich und kulturell ausgerichteter Vertreter dabei. Diese Tendenz wird vom Zielbereich her bestimmt. Dass sie realisiert wird, setzt sowohl eine entwickelte Persönlichkeit voraus, wie selbstbestimmtes Verhalten im Zielbereich. In der Zusammenstellung bezeichne ich sie mit praktisch (für praktisch eingestellt), menschlich (für menschlich eingestellt) und kulturell (für kulturell eingestellt). Das sind wahrscheinliche Tendenzen, die durch andere Einflüsse (z. B. Erziehung, Begabung oder Beruf) überlagert sein können.

3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen 3.1 Auch ‚Spiele‘ sind persönlichkeitstypisch Eric Berne1 hatte beobachtet, wie Menschen andere und sich selbst manipulieren, um auf diese Weise Zuwendung zu bekommen. Er nannte dieses Verhalten Spiele. 1964 veröffentlichte er seine Untersuchungen in ‚Games People Play‘, auf Deutsch ‚Spiele der Erwachsenen‘. In ‚Der andere‘ konnte ich zeigen, dass diese manipulativen Verhaltensweisen typspezifisch sind. Jeder Persönlichkeitstyp spielt seine eigenen Spiele. Die Spielanalyse bestätigt die Prozesse, die die Persönlichkeitstypen ausmachen. Und sie liefert zusätzliche Informationen über die Persönlichkeitstypen. Die wichtigsten Annahmen dieser persönlichkeitsbezogenen Spielanalyse sind: Spiele werden vom Persönlichkeitsbereich aus inszeniert, d. h., der Spieler wählt jenen Ich-Zustand, in dem er sich besonders gut auskennt, um andere zu einem Spiel zu verführen. Der Beziehungstyp benützt seine Liebenswürdigkeit, der Sachtyp seine Klugheit und der Handlungstyp seine Tüchtigkeit. Die Spieleinladungen sind deshalb gekonnt und überzeugend. Der Entwicklungsbereich mit den Schlüsselfähigkeiten wird übergangen und an die Mitspieler delegiert, d. h., der Spieler meidet jenen Ich-Zustand, in dem er sich nicht zu Hause fühlt, und überlässt das Risiko des Denkens (Beziehungstyp-Spieler), der Verantwortung (Sachtyp-Spieler) oder des Fühlens (Handlungstyp-Spieler) jenen, die sich damit auskennen und die bereitwillig darauf eingehen. Im Zielbereich werden Spielziele statt bereichsangemessener Ziele angestrebt, d. h., der Spieler begnügt sich mit etwas, das ‚so aussieht als ob‘, etwa Image statt echter Leistung (Beziehungstyp-Spieler), erzwungene Mitleidsreaktionen statt spontaner Sympathie (Sachtyp-Spieler), Ansehen statt Persönlichkeit (Handlungstyp-Spieler). Dass Spiele persönlichkeitstypisch sind, hat Berne insofern berücksichtigt, als er aufzeigt, wie ein und derselbe Spieler zwischen verwandten Spielen wechselt: etwa wenn ein Sieh bloß, was du angerichtet hast-Spieler mit diesem Spiel seine Vorgesetzten auflaufen lässt und entsprechend Ärger bekommt. Berne: „In diesem Fall wird es zu einer Komponente der Spiele Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren? bzw. Jetzt hat’s mich wieder erwischt! und beide gehören zur Gruppe der Mach mich fertig-Spiele.“2

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

3.2 Typspezifische Spielabläufe Vergleicht man die Spiele der drei Persönlichkeitstypen, so zeigt sich, dass sie thematisch und atmosphärisch unterschiedlich beginnen, die Spiele des Beziehungstyps meist verführerisch und einladend, die des Sachtyps verständnisvoll und interessiert und die des Handlungstyps wohlwollend und viel versprechend. Es ist das liebenswürdige Kind oder der kluge Erwachsene oder eine fürsorgliche Elternfigur, die den anderen einlädt – ohne dass er ahnt, dass ihm da eine ‚Falle‘ gestellt wird. Allerdings, der andere müsste misstrauisch werden, wenn er beobachtet, dass der Einladende schon recht bald das Thema wechselt. Der Beziehungstyp bleibt nicht auf der Beziehungsebene, sondern holt sich ‚geistige‘ Zuwendung, Aufmerksamkeit, Interesse, Informationen. Der Sachtyp bleibt nicht auf der ‚geistigen‘ Ebene des interessanten Gesprächs, sondern appelliert nun an die Fürsorge und Verantwortlichkeit des anderen, und der Handlungstyp verlässt die Ebene des Tuns und sucht emotionale Zuwendung. Das fällt noch nicht sonderlich auf, denn die ursprüngliche Einladung wird dabei aufrecht erhalten, der Beziehungstyp lächelt liebenswürdig, der Sachtyp blickt interessiert und der Handlungstyp gibt sich weiterhin väterlich oder mütterlich. Doch irgendwann erfolgt ein überraschender und deutlicher Wechsel, und zwar dann, wenn das Versprechen des Spielers eigentlich eingelöst werden müsste. Nun wechselt der Beziehungstyp ins Eltern-Ich, gibt sich streng und moralisch. Der Sachtyp geht in ein gekränktes Kind-Ich über, so als ob man ihn enttäuscht und frustriert hätte. Und der Handlungstyp kommt nun plötzlich vernünftig daher: Leider muss ich sie davon in Kenntnis setzen, dass … In jedem Fall wird dem Mitspieler dabei der ‚schwarze Peter‘ zugeschoben, so als ob er schuld daran wären, dass es nun ganz anders gekommen ist als das, was ihm in Aussicht gestellt wurde

3.3 Wie lassen sich Spiele unterscheiden? Bei der Bezeichnung der Spiele habe ich mich dafür entschieden, die Spiele systematisch nach ihrem gemeinsamen Spielziel zu unterscheiden. Dafür spricht, dass die Spielziele schon zu Beginn und während der ganzen Spieldauer unbewusst angestrebt werden. Sie bestimmen also die Dynamik und den Verlauf des Spieles. Nach dem Spielziel oder Spielende definiert, tendiert der Beziehungstyp zu Macht- und Retterspielen3: dem Streben nach Überlegenheit auf Kosten anderer, die in eine Position der Schwäche und Unterlegenheit gedrängt werden. Diese Spiele beginnen verführerisch aus

Wozu Spiele gespielt werden

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dem Beziehungs-Ich und holen sich Zuwendung aus dem Erkenntnis-Ich des Mitspielers oder der Mitspieler. Durch einladendes Verhalten weckt der Beziehungstyp in den Mitspielern Hoffnungen und Phantasien, die er dann leider enttäuschen muss. Doch zuvor spiegelt und sonnt sich der Beziehungstyp so lange wie möglich in der Aufmerksamkeit der anderen und beschäftigt ihr Denken. Der Sachtyp tendiert zu Opfer- und Zuwendungsspielen: der Provokation anderer zu Mitleid und Ärgerreaktionen durch ein unklares, hilfloses, ungeschicktes, unsensibles und verletzendes Verhalten. In Situationen, in denen es darauf ankäme, Stellung zu beziehen, sich zu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen, bemüht er weiter sein kluges Erkenntnis-Ich. Dadurch übernehmen die anderen fast automatisch Entscheidungen und Verantwortung. Doch leider kann er mit ihren Ratschlägen und Hilfestellungen wenig anfangen. Nach dem Ich-Zustands-Wechsel schlägt seine anfängliche Gutmütigkeit und Harmlosigkeit um in Ablehnung und Rebellion. Der Handlungstyp neigt zu Verfolger- und Identitätsspielen: sie dienen der Absicherung der eigenen Identität und Position im eigenen Selbstverständnis. Zunächst lässt er die Gefühle und Bedürfnisse der Mitspieler zu und nimmt sie entgegen. Er lockt sie mit einem großzügigen, fürsorglichen Verhalten. Leider lassen sich die geweckten Wünsche und Ansprüche nicht erfüllen. Nach dem Wechsel in ein einschränkendes Denken übergeht er ihre Bedürfnisse und verweist den oder die Mitspieler auf die Realität, auf Regeln oder Normen. Dabei bedient er sich pseudorationaler Argumente, die allerdings nur ihm überzeugend erscheinen.

3.4 Wozu Spiele gespielt werden Berne hält Spiele für „ebenso notwendig wie wünschenswert“. Dass sie notwendig sind, steht außer Zweifel. Denn ein kleines Kind braucht Zuwendung, körperliche, seelische und geistige. Das ist für sein Wohlergehen und Wachstum so wichtig wie Trinken und Essen. Wenn es zu wenig Zuwendung bekommt, wird es irgendetwas tun, damit es mehr bekommt. Es lernt andere und sich selbst zu manipulieren, etwa indem es besonders lieb und attraktiv ist oder besonders unauffällig oder besonders brav. Wenn das nicht funktioniert, wird es den Eltern Sorgen machen, indem es nicht richtig isst, stottert, bettnässt oder es wird frech, böse und aufsässig. Erwachsene behalten in modifizierter Form diese Strategien bei, die für sie notwendige Zuwendung auf einem dieser oder anderen Wege sich zu holen. „Wünschenswert“ nach Berne ist das freilich nicht. Denn selbst harm-

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

die Beteiligten

konstruktives Verhalten

Spiele 1. Grades

Spiele 2. Grades

Spiele 3. Grades

fühlen sich meist wohl

fühlen sich wohl/unwohl

fühlen sich verletzt

sind gefährdet

Abb. 12: Einteilung der Spiele nach dem Grad ihrer Destruktivität.

lose Spiele deuten darauf hin, dass etwas Wesentlicheres verfehlt wird, etwas, das erfüllender, interessanter, besser oder schöner sein könnte. Zudem bezahlen die ‚Spieler‘ einen hohen, manchmal sogar tödlichen Preis für diese Notlösungen. So gesehen sind Spiele und die mit ihnen zusammenhängenden Enttäuschungen und Frustrationen die Stachel, die uns herausfordern, uns weiterzuentwickeln. Das Thema Spiele ist ein typisches Thema der Transaktionsanalyse. Deshalb verwende ich für die Spielanalyse die dort üblichen Bezeichnungen für die Ich-Zustände: also Kind-Ich bedeutungsgleich mit Beziehungs-Ich, Erwachsenen-Ich bedeutungsgleich mit Erkenntnis-Ich und Eltern-Ich bedeutungsgleich mit Handlungs-Ich. Spiele können harmlos sein, sie können mehr oder weniger destruktiv sein, und sie können selbstzerstörerisch und verbrecherisch sein. Abläufe und Gesetzmäßigkeiten sind dabei die gleichen. Je nach der Härte der Spiele unterscheidet man sie in Spiele ersten, zweiten und dritten Grades. Spiele ersten Grades lösen bei den Beteiligten Verwunderung, ein leichtes Unwohlsein oder Schmunzeln aus, können aber auch genossen werden. Spiele zweiten Grades können beleidigend, verletzend sein und schon deutlichen Schaden anrichten. Sie können zum Verlust eines Kunden, zum Bruch einer Freundschaft, zu finanziellen Schwierigkeiten, einer Kündigung oder einer Trennung vom Partner führen. Spiele dritten Grades bedeuten akute Gefahr für Gesundheit und Leben. Sie richten Schäden an, die manchmal nicht wieder gutzumachen sind. Es gehören dazu Suizid, schwere Psychosen und psychosomatische Krankheiten wie Herzinfarkt und Krebs, fortgeschrittener Alkoholismus und Drogensucht, schwere Kriminalität und Krieg. Spiele dritten Grades sind so destruktiv, dass diese Spieler vor sich selbst oder andere vor ihnen geschützt werden müssen (Abb.12). Spiele werden nach folgendem Muster inszeniert: Ein Spieler lädt potentielle Mitspieler zu einem Spiel ein, indem er zum Beispiel: unrealistische Hoffnungen weckt im Bereich Beziehung oder übertriebenes Verständnis zeigt im Bereich Erkennen oder Großzügigkeit vortäuscht im Bereich Handeln.

Wozu Spiele gespielt werden

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Dass der Spieler mehr verspricht, als er halten wird, ist ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, gehört aber schon zum Spiel. Er macht sich da selbst etwas vor. Die angesprochenen Mitspieler können diese Spieleinladung annehmen oder ausschlagen. Ihre Entscheidung wird abhängig sein von der eigenen Spielbereitschaft. Ist sie gering, so werden sie entweder ‚den Braten riechen‘ oder sich für dieses Spiel einfach nicht interessieren und die Spieleinladung ausschlagen. Ist jedoch ihre eigene Spielbereitschaft hoch und sind sie die passenden Mitspieler, so werden sie die Spieleinladung annehmen. Bisher hat man bei den Spielen besonders auf den heimlich vorbereiteten ‚Spielgewinn‘ geachtet. Dieser ist beim Beziehungstyp die Position der Überlegenheit (Macht- und Retterspiele), beim Sachtyp negative Zuwendung wie Ärger oder Mitleid (Opfer- und Zuwendungsspiele) und beim Handlungstyp die Absicherung seiner Identität (Verfolger- und Identitätsspiele). Doch es gibt auch einen Spielgewinn während des Spieles. Dabei werden die Defizite des eigenen Entwicklungsbereichs kompensiert. Deshalb werden Spiele so lange wie möglich ausgedehnt und der unvermeidliche Rollenwechsel, der zu einem raschen Ende des Spieles führt, hinausgeschoben. Dieser Spielgewinn während des Spiels zielt auf jene Fähigkeiten ab, die dem Spieler mangeln, auf die Qualitäten seines Entwicklungsbereiches. So holt sich der Beziehungstyp während des Spiels Erwachsenen-Ich-Zuwendung von den Mitspielern. Er beschäftigt deren Aufmerksamkeit, Interesse und Denken. Ein Beispiel dafür ist das Ja, aber … -Spiel. Er fordert die Mitspieler auf, für ihn ein Problem zu lösen. Doch er begegnet jedem Vorschlag mit einem Ja, aber …. Mit seinem Ja, aber … kann er ihre Aufmerksamkeit und ihr Nachdenken lange in Gang halten. Erst wenn deutlich zu werden droht, dass es ihm nicht um die Lösung des Problems, sondern um das Interesse der Mitspieler geht, wechselt er in die abwertende ElternIch-Position (Abb.13). Der Sachtyp wiegt seine Mitspieler in ein Gefühl der Überlegenheit und der Harmonie. Er gibt sich interessiert, verständnisvoll, gutmütig und gutwillig und etwas hilflos. Dafür lässt er sich bemuttern, helfen und gute Ratschläge geben. Der Spieler demonstriert seinen guten Willen. Doch es ist „eine in zunehmendem Maß ressentimentgeladene Pseudowillfährigkeit“, die immer häufiger umschlägt in „aggressive Streitlust“.4 Der Spieler ist sich dabei seines eigenen konfliktverschärfenden Verhaltens nicht bewusst. Während des Spiels beschäftigt er die ganze Zeit das Eltern-Ich der Mitspieler. Sie machen sich Sorgen um ihn, ärgern sich über ihn, trösten oder kritisieren ihn. Auch wenn es schließlich zum Eklat kommt, sollen sie die Verantwortung übernehmen. Er ist das ‚arme Opfer‘. Jetzt sucht er den

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

Spieler

Mitspieler

3. Der Spieler wechselt überraschend ins Eltern-Ich und 4. frustriert das Kind-Ich der Mitspieler 4.

1. 2. Der Spieler beschäftigt das Erwachsenen-Ich der Mitspieler und holt sich mentale Zuwendung

3.

2.

1. Der Spieler lädt ein mit seinem liebenswürdigen Kind-Ich

1. 1.

Abb. 13: Macht- und Retterspiele des Beziehungstyps.

Spieler

Mitspieler 2. Der Spieler beschäftigt das Eltern-Ich der Mitspieler 2.

1. Der Spieler lädt ein mit seinem vernünftigen Erwachsenen-Ich

4. Der Spieler macht den Mitspielern Vorwürfe 1.

3. 3. Der Spieler wechselt überraschend ins Kind-Ich

4. (4.) (4.)

Abb. 14: Opfer- und Zuwendungsspiele des Sachstyps.

Mitspielern ein schlechtes Gewissen zu suggerieren und spielt das verwandte Spiel: Seht bloß, was ihr angerichtet habt! (Abb.14). Der Handlungstyp holt sich während des Spiels Zuwendung vom KindIch der Mitspieler, etwas von dem, was ihm selbst mangelt: Spontaneität, Spaß, Lebensfreude, Erotik und den Charme des Beziehungsverhaltens. Er zeigt sich wohlwollend, hilfsbereit, erlaubend, verwöhnend und großzügig. Doch damit überfordert er sich. Denn er misstraut dem Lebendigen und Emotionalen, das er mit seinem Verhalten ja zunächst fördert. So wechselt er zu einem von Vorurteilen getrübten Erwachsenen-Ich. Hinter

Wozu Spiele gespielt werden

Spieler

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Mitspieler

1. Der Spieler lädt mit seinem wohlwollenden Eltern-Ich ein

1.

3. 3. Der Spieler wechselt überraschend in sein Erwachsenen-Ich

4. Der Spieler nimmt mit pseudorationalen Argumenten seine Versprechungen zurück

4. (4.)

(4.)

2. 2. Der Spieler beschäftigt das Kind-Ich der Mitspieler

Abb. 15: Verfolger- und Identitätsspiele des Handlungstyps.

seiner vorgegebenen Vernünftigkeit spüren jedoch die Mitspieler deutlich sein verbietendes Eltern-Ich (Abb.15). Berne hat die Spiele des Handlungstyps weniger deutlich gesehen und beschrieben. Er behandelt sie im Kapitel ‚Gute Spiele‘, und dies meint er keineswegs ironisch. Es sind die Spiele Urlaub im Beruf, Kavalier, Hilfreiche Hand, Weiser Mann und Die werden einmal froh sein, dass sie mich gekannt haben.5 Übereinstimmend handelt es sich bei den Spielern um überaus tüchtige und fleißige Leute.6 Ich vermute, dass Berne selbst zu diesen ‚guten Spielen‘ tendierte und sie deshalb unbewusst verharmloste. Berne hat, wie dies bei vielen Ärzten und Therapeuten üblich war, zu viel gearbeitet. Ein Schüler und guter Freund von ihm, Claude Steiner, meint, dass sein Tod zu früh kam als Folge eines nicht gelösten Lebensproblems: dass er sein Leben zu wenig genießen und die Liebe, die man ihm entgegenbrachte, nicht an sich heranlassen konnte. Genau das sind die Kehrseiten der Spiele des Handlungstyps. Es gibt noch einen dritten Spielgewinn. Er ist in der Transaktionsanalyse bekannt unter der Bezeichnung heiße Kartoffel. Der Spieler gibt das weiter, was er als Kind erlitten hat, Ablehnung, Abhängigkeit und Verbote. Das hat für ihn eine gewisse Entlastungsfunktion. Wenn der Beziehungstyp beim Rollenwechsel seine Mitspieler enttäuscht und frustriert, so fügt er ihnen das zu, was er selbst einst erfahren hat: Sei nicht! oder Sei nicht nah!. Wenn der Sachtyp seinen Mitspielern unterstellt, sie würden ihn benachteiligen, unterdrücken und bevormunden, sie seien überheblich, selbstsüchtig und arrogant, so nimmt er ihnen ihre Autonomie übel: genau das, was ihm durch das Sei nicht du selbst! verwehrt wurde. Und wenn der

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

Handlungstyp seine Mitspieler diszipliniert und bestraft, so gibt er das Tu’s nicht! und das Fühle nicht (was du willst)! weiter.

3.5 Die Spiele des Beziehungstyps Eine Frau kommt in eine Gruppe ihr fremder Menschen. Nach kurzer Zeit hebt sie ihren Rock, zeigt auf provozierende Weise ihre Beine und bemerkt: „O je, ich hab‘ ja eine Laufmasche in meinem Strumpf.“ Berne nennt dieses harmlose Spielchen das Strumpfspiel. Er sieht in ihm eine Form des Exhibitionismus, ‚der seiner Natur nach hysterisch ist‘. Er attestiert der Dame einen gewissen oberflächlichen ‚Bildungsfirnis‘ und vermutet, dass sie, auf ihr Verhalten aufmerksam gemacht, natürlich ihre Unschuld beteuern oder mit Gegenbeschuldigungen antworten wird. Auch die Querverweise auf andere Verführungs-Frustrations-Spiele ernsterer Natur lassen dieses Spiel als das eines Beziehungstyps erkennen. Es sind, von der Spieleinladung her, immer ‚Verführungsspiele‘. Doch sie zielen auf etwas anderes ab, auf Erkenntnis-Ich-Zuwendung und auf Macht, selbst die sozial hochbewerteten Retterspiele. Die Macht- und Retterspiele des Beziehungstyps I und II7 haben folgende gemeinsame Merkmale: Sie gehen aus von einem scheinbar liebenswürdigen und einladenden Kind-Ich, dem Persönlichkeitsbereich des Beziehungstyps. Dabei wecken sie illusorische Erwartungen beim Mitspieler und wehren eine realistische Einschätzung der Situation ab. Der Antrieb zu diesem verführerischen Spielverhalten sind unbewusste Zweifel: „Bin ich liebenswert?“ Verstärkt wird dieses Spielverhalten durch die Antreiber Sei stark! und Mach’s anderen recht!. Jener zwingt den Beziehungstyp I dazu, brillant, überlegen und gewinnend, dieser den Beziehungstyp II, besonders liebenswürdig und herzlich zu sein. Beide holen sich Zuwendung aus dem Erwachsenen-Ich, der Beziehungstyp I Aufmerksamkeit und sinnenhafte Zuwendung. Er versteht es, die Blicke auf sich zu ziehen. Der Beziehungstyp II beschäftigt das Denken der Mitspieler. Das eigene Erwachsenen-Ich wird dabei weitgehend ausgeblendet, das heißt, es wird weder das eigene viel versprechende Verhalten registriert noch wirklich mitgedacht, etwa bei der vorgestellten Problemlösung des Ja, aber-Spiels. Um die Mitspieler bei der Stange zu halten, verhalten sich beide weiterhin bezaubernd und signalisieren Versprechungen, die sie keineswegs einzuhalten gedenken. Wenn dann die Mitspieler ungeduldig werden, etwa auf die Einlösung der Versprechungen drängen, wechselt der Spieler plötzlich in eine überlegene und abwertende Haltung: „Wofür halten Sie mich eigentlich?“

Ja, aber-Spiel des Beziehungstyps

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Der spieltypische Wechsel ins Eltern-Ich I wirkt beim Beziehungstyp I schroff und verletzend. Deshalb haben seine Spiele eher den Charakter von Machtspielen. Der Wechsel ins Eltern-Ich II des Beziehungstyps II wirkt freundlicher, er packt sein Abwertungsverhalten in höfliches: „Oh, das tut mir jetzt außerordentlich leid, aber …“ Er bevorzugt Retterspiele. Damit nimmt er zwar genauso die überlegene Position ein, doch sie hat einen edleren Anstrich. Das unterschiedliche Rollenverständnis der Geschlechter lässt männliche Beziehungstypen eher Machtspiele, weibliche Beziehungstypen eher Retterspiele inszenieren.

3.6 Ja, aber – ein typisches Spiel des Beziehungstyps Das Ja, aber …-Spiel des Beziehungstyps hat folgenden Ablauf: Die Spielerin lädt mit ihrem liebenswürdigen Kind-Ich die anderen ein: „Ich habe folgendes Problem …“ Diese Einladung ist deshalb so verführerisch, weil ein ‚märchenhaftes‘ Versprechen dahinter steht: „Ich bin in einer schlimmen Lage! Rette mich, und ich werde dich belohnen!“ Die Spielerin wendet sich mit diesem Wunsch an das Erwachsenen- oder Erkenntnis-Ich des oder der Mitspieler.8 Auf der Ebene von Kind-Ich zu Kind-Ich signalisiert die Spielerin: „Ich hab‘ dich gern!“, an das Eltern-Ich der Mitspieler sendet sie die Botschaft: „Ich bin ein liebes Kind, das machen wird, was du mir vorschlägst!“ Im Mitspieler löst das Stolz und freudige Erregung aus, und er wird sich Mühe geben, das vorgelegte Problem zu lösen (Abb.16). Mit den Versprechungen und dem fortgesetzten Ja, aber …, mit dem sie alle Lösungsvorschläge zurückweist, fesselt sie die Aufmerksamkeit der Mitspieler, beschäftigt ihr Denken und hält sie in Aktivität. Vielleicht gelingt es ihr sogar, eine Konkurrenz-Situation zwischen den Mitspielern zu schaffen – wer macht den besten Vorschlag. Sie zieht das Spiel in die Länge und ‚badet‘ sich in sinnenhafter und mentaler Erwachsenen-IchZuwendung. Wenn dann die Einlösung der verdeckten Versprechen fällig wird, weil die Bereitwilligkeit der Mitspieler sich zu erschöpfen droht, wechselt sie endgültig in ihr kritisches Eltern-Ich (Abb.17). Nun spricht sie aus oder signalisiert: ‚Ihr seht ja selbst, ihr könnt mein Problem nicht lösen!‘ Dabei setzt sie ihr kommunikatives Geschick ein, denn sie möchte es ja mit den Mitspielern nicht verderben. Die Botschaft ihres Eltern-Ichs an das der Mitspieler lautet: ‚Ihr seid unfähig! Ich bin euch allen überlegen!‘ und die an das Kind-Ich der Mitspieler: ‚Zur Strafe geht ihr leer aus! Ihr bekommt von mir keine ‚Belohnung‘!‘ Die Mitspieler reagieren etwas frustriert, sind ein bisschen enttäuscht oder verärgert (Abb.18).

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

Spieler

Mitspieler

Elter-Ich/Handlungs-Ich

Erwachsenen-Ich/Erkenntnis-Ich

3. 3. Ich bin lieb. Ich tu, was du meinst. 1. Löse mein Problem für mich! 2. Ich mag dich!

1. 2.

Kind-Ich/Beziehungs-Ich

Abb. 16: Spielanfang des Ja, aber-Spiels.

Spieler

Mitspieler Elter-Ich/ Handlungs-Ich 5. 4.

5. fortgesetztes Ja, aber ...

5.

4. 4.

4. die Mitspieler bemühen sich um die Spielerin und machen Lösungsvorschlag um Lösungsvorschlag

5. Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.17: Spielmitte des Ja, aber-Spiels.

Die Befriedigung des Ja, aber-Spielers ist der heimliche Triumph über die anderen und die Erleichterung darüber, dass er die vorher signalisierten Versprechen nicht einlösen muss. Berne zielt in seiner Analyse des Ja, aber-Spiels auf den Spielausgang ab: „Das eigentliche Ziel des Spiels liegt also nicht darin, Lösungsvorschläge zu erhalten, sondern darin, sie zu verwerfen“9 oder „Ein guter Spieler ist in der Lage, die Vorschläge der anderen mit seinen Einwänden auf unbegrenzte Zeit hinaus zu parieren; schließlich geben alle das Spiel auf, und er gewinnt“10. Diese Spielanalyse wird dem Aber, das heißt dem Wechsel ins kritische Eltern-Ich gerecht, nicht jedoch dem, was zwischen Ja und Aber stattfin-

Ja, aber-Spiel des Beziehungstyps

Spieler 6. Ich bin besser als ihr! 7. Ich bin klüger als ihr! 8. Die Belohnung fällt aus!

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Mitspieler 6.

7.

8.

Abb.18: Spielende des Ja, aber-Spiels.

det. Denn der Ja, aber-Spieler genießt den Spielverlauf mindestens so sehr wie den Spielausgang. Letzterer kann besonders dem Beziehungstyp II sogar peinlich sein, da dieser die subtileren Formen der Machtspiele, z. B. das Sich-Aufopfern und Retten bevorzugt. Das Aber bringt ihn in Konflikt mit seinem Antreiber, es anderen recht machen zu müssen. Wenn er das Spiel in möglichst verbindlicher Form in die Länge zieht: „Das ist eine großartige Idee, ausgezeichnet, nur leider …“, so tut er das, um das Erwachsenen-Ich der Mitspieler zu beschäftigen. Dabei holt er sich etwas von dem, was ihm selbst mangelt: Aufmerksamkeit, SichSpüren, Sammlung, konzentriertes, ruhiges, realitätsbezogenes Nachdenken sowie entspanntes Bei-sich-selbst-Sein. Das tut ihm gut, denn er gleicht damit vorübergehend seine eigene Erwachsenen-Ich-Schwäche und sein Defizit an Selbst-Sein aus. Die Mitspieler werden je nach ihrer eigenen Persönlichkeit und den eigenen Spielneigungen unterschiedlich auf ein Ja, aber-Spielangebot reagieren. Bei manchen Führungsseminaren erlebe ich, wie die Teilnehmer sofort Gegenfragen stellen. Damit fordern sie den Spieler heraus, sein eigenes Erwachsenen-Ich zu benützen, und durchkreuzen sein Spielangebot. Handlungstypen neigen dazu, ihr ‚lebenskluges Eltern-Ich und ihre Lebenserfahrung‘ ins Spiel zu bringen. Doch sie reagieren relativ rasch ärgerlich, wenn sie erleben, wie ihre Ratschläge wiederholt zurückgewiesen werden. Ein Beziehungstyp wird möglicherweise der Ja, aber-Spielerin bestätigen: „Ihr Problem hat mich tief bewegt, ich kann mich sehr in ihre Lage versetzen, das tut wirklich weh, mir geht es da ganz ähnlich mit …“, um

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

dann die Aufmerksamkeit der Mitspieler auf die eigene Situation zu lenken und der ersten Spielerin die Schau zu stehlen.11 Oder er solidarisiert sich mit der Spielerin und weist alle Versuche, das Spiel zu durchkreuzen, empört zurück. Der ‚ideale‘ Mitspieler für ein Ja, aber-Spiel ist der geduldige und gutmütige Sachtyp. Er bringt sein gut entwickeltes Erwachsenen-Ich ins Spiel. Die Hoffnung, für seine klugen Ratschläge anerkannt und durch Zuwendung belohnt zu werden, macht ihn bereit zu unendlichen Anstrengungen. Wenn dann die halbherzig eingeforderte Belohnung ausbleibt, übernimmt der Sachtyp noch relativ bereitwillig die Verliererrolle. Seine Spiele Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren! oder Mach(t) mich fertig! sind passende Ergänzungen zu den Machtspielen des Beziehungstyps. Dass er es wieder einmal nicht geschafft hat und leer ausgegangen ist, führt er auf seine eigene Unfähigkeit zurück. Immerhin kann er sich in seiner Opferrolle ja noch von anderen bedauern und trösten lassen.

3.7 Andere Spiele des Beziehungstyps Berne hat viele Spiele des Beziehungstyps beschrieben. Neben den Machtund Verführungsspielen wie Jetzt hab‘ ich dich, dem erotischen Strumpfspiel oder dem besserwisserischen Ja, aber, gehören dazu Spiele wie Überlastet sowie Frustrationsspiele wie Frigide Frau, Hilfe! Vergewaltigung!, Gerichtssaal, Wenn du nicht wärst und Makel. In Frigide Frau beschreibt Berne ausführlich, wie die Ehefrau auf eine ganz ‚unschuldige‘ Weise die sexuellen Erwartungen ihres Mannes bestärkt, um ihn dann ‚gekränkt‘ zurückzuweisen. In Gerichtssaal oder Schätzchen lassen er oder sie in der Öffentlichkeit durchblicken, wie der andere ‚wirklich‘ ist. Dies ist zugleich eine Einladung zum Spiel Ist es nicht schrecklich. Ein besonders hartes ‚Verführungs-Frustrations’-Macht-Spiel ist Hilfe! Vergewaltigung!. Nicht Intimität und sexuelle Befriedigung sind das Ziel, sondern sie sind Mittel zur Machtausübung. Es endet damit, dass der Verführte der Dumme ist, in einer Falle sitzt, etwa ein Lehrer, der sich mit einer Schülerin, ein Angestellter, der sich mit der Frau seines Chefs, ein Politiker12, der sich mit einer Frau von zweifelhaftem Ruf eingelassen hat. Die Verführerin erlebt sich nun als bemitleidenswertes Opfer, unterrichtet den unnachsichtigen Vorgesetzten, den rachsüchtigen Ehemann oder die Öffentlichkeit. Und das Opfer fragt sich zu spät: „Wie konnte ich nur so dumm sein?“ Dieses Verführungsspiel verweist darauf, dass der Spieler in der ödipalen Phase (3. bis 5. Lebensjahr) hängen geblieben ist. Als Kind wird er wahrscheinlich die Erfahrung gemacht haben, dass Erwachsene abhängig

Andere Spiele des Beziehungstyps

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auf sein kindliches Flirten reagiert haben, erregt oder eifersüchtig. Er hat erlebt, dass er mit erotischem Verhalten Macht ausüben kann. Zugleich aber fürchtet er sich vor den Folgen. Dies erklärt das ‚zwanghafte‘ Verführungsverhalten, verbunden mit Angst vor wirklicher Nähe. Für Vorgesetzte ist es wichtig, das verführerische Verhalten von Mitarbeiterinnen richtig einzuschätzen. Da sich der Vorgesetzte psychologisch gesehen in einer ‚Vaterrolle‘ befindet, werden auf ihn alte Bedürfnisse und Erfahrungen übertragen. Doch hinter dem liebenswürdigen Lächeln der Spielerin lauern Zorn und Verachtung gegenüber dem schwachen, verführbaren Vater, der das Kind um eine gesunde Entwicklung betrogen hat. Verhält sich dagegen der Vorgesetzte korrekt, ignoriert er die verführerischen Einladungen, so kann er mit einer guten Zusammenarbeit rechnen. Die Spielerin wird ihn achten und spüren, dass er es gut mit ihr meint. Denn er hilft ihr beim Erwachsenwerden. Sie kann etwas nachholen von der versäumten Entwicklung und die Erfahrung machen, ‚dass nicht alle Männer so sind‘, nämlich schwach und verführbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie ihr Spielverhalten ihm gegenüber aufgibt. Im Spiel lch versuche nur, dir zu helfen! verleitet der Spieler andere durch Ratschläge dazu, auf die falsche Karte zu setzen. Berne hatte dieses Spiel beim Pokern entdeckt. Der Ablauf des Spieles zeigt die Merkmale eines Macht- oder Retterspieles. Der Spieler tritt hilfsbereit und mit Vertrauen erweckender Miene auf. Er hält sich im Hintergrund, stellt unauffällig eine Falle auf und veranlaßt andere zu handeln. Wenn diese feststellen, dass sie falsch beraten waren, und ärgerlich reagieren, ist er bestürzt und versucht sich mit „Ich versuchte nur, dir zu helfen“ herauszureden. Familie A und B sind befreundet und unternehmen viel miteinander. Frau B gibt sich Herrn A gegenüber sehr verführerisch. Herr B scheint dies nicht zu kümmern, macht aber Herrn A auf ein äußerst günstiges Geschäft aufmerksam. Herr A lässt sich darauf ein, doch es stellt sich heraus, dass die Firma kurz vor einem Bankrott steht. Herr B empfiehlt Herrn A darauf einen befreundeten Rechtsanwalt, der nicht viel mehr tut als eine hohe Rechnung auszustellen. Schließlich fängt Herr B mit der Frau des Herrn A ein Verhältnis an. Das am häufigsten zu beobachtende Spiel des Beziehungstyps I ist das Selbstretterspiel, das des Beziehungstyps II das Fremdretterspiel. Beide gehen von einem tiefsitzendem Misstrauen und der Abwertung gegenüber anderen aus, als könnte man den anderen wenig zutrauen und sich nicht auf sie verlassen. Der Beziehungstyp I zieht daraus den Schluss: „Ich muss alles Wesentliche selbst machen!“ Damit drängt er die anderen in eine

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

passive Rolle, schränkt ihre Entscheidungsbefugnis ein, demotiviert sie und erlebt als Bestätigung seiner pessimistischen Erwartungshaltung, dass er sich tatsächlich nicht auf sie verlassen kann. Der Beziehungstyp II neigt dazu, andere zu retten. Er bietet seine Hilfe an, unterstützt sie, nimmt ihnen Arbeit ab. Diese Verwöhnungshaltung führt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Eigeninitiative und Selbstverantwortung der anderen werden geschwächt. Sie erleben die Überfürsorge als Einmischung und Kontrolle. Sie spüren, dass dieses Retten keine echte Unterstützung, sondern ein Vorwand ist, alle Fäden in der Hand zu behalten und nicht wirklich Verantwortung delegieren zu müssen. Beide Formen des Rettens sind ein Abwertungsverhalten. Doch sie sind schwer zu durchschauen. Müsste nicht der Selbstretter für seine überdurchschnittliche Tüchtigkeit anerkannt, der Fremdretter für seine außergewöhnliche Hilfsbereitschaft geschätzt werden? Das verführerische Element beim Retten liegt darin, dass Beziehungstypen gegenüber anderen die Beziehungsebene überbetonen, als käme es darauf an, ganz besonders liebenswürdig und freundlich zu sein. Doch das ist ein Ablenkungsmanöver. Denn sie selbst sind ehrgeizig und tüchtig und setzen für sich und andere hohe Leistungsmaßstäbe. Und der gutmütige Mitspieler, der glaubt, es mit einem besonders netten und hilfsbereiten Menschen zu tun zu haben, sieht sich unvermutet mit anspruchsvollen Maßstäben konfrontiert – und abgewertet!

3.8 Umgang mit Retterverhalten und Machtspielen Die Bezeichnung ‚Spiele‘ könnte dazu verleiten, dass die Energie und die Dynamik unterschätzt werden, die bei solchen Interaktionen wirksam werden. Sie kommen aus einer tiefer liegenden Schicht des Unbewussten, sodass es kaum ausreicht, sie verhaltenstherapeutisch zu behandeln. Sie müssen tiefenpsychologisch13 angegangen werden. Denn Spiele werden in der Kindheit gelernt. Wenn man Spiele konfrontiert, muss man mit erheblichen Widerständen und mit Ärger rechnen. Ob es gelingt, Spielen vorzubeugen oder Spiele zu stoppen, hängt von den Spielneigungen des Spielers ab. Mit den normalen sozialen Möglichkeiten kann man Spiele ersten bis zweiten Grades günstig beeinflussen, bei Spielen zweiten bis dritten Grades sind therapeutische, gegebenenfalls auch polizeiliche Maßnahmen erforderlich, geht es doch hier um Leben und Tod, um schwere Kriminalität, fortgeschrittenes Suchtverhalten, Terrorismus oder Suizid. Es gibt einige beherzigenswerte Regeln für den Umgang mit Spielen, nämlich

Retterverhalten und Machtspiele

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harmlose Spiele zu ignorieren, ernste Spiele zu konfrontieren und dem Spieler einsichtig zu machen, harte Spiele zu stoppen, wenn man dazu in der Lage ist. Die Weigerung, sich auf ein Spiel einzulassen, gibt dem Spieler die Chance, sich schrittweise von seinem Spielverhalten und seinen Spielneigungen zu lösen. Voraussetzung ist freilich, dass er diese Chance konstruktiv für sich nützt. Es ist auch möglich, dass er die Spielverweigerung als Kränkung wertet und sein Spielverhalten verschärft. Da solche Maßnahmen nicht das Defizit beseitigen, aus dem heraus der Spieler spielt, sind sie nur bedingt erfolgreich: man hat mit Hilfe Bernes Spielanalyse gelernt, Spiele zu erkennen und zu konfrontieren, doch nicht die Spielneigungen zu ‚heilen‘. Deshalb ist gerade bei den Spielen Vorbeugen besser als Heilen. Eine freundliche und vertrauensvolle Atmosphäre ist eine Voraussetzung dafür, dass der Beziehungstyp gar nicht erst ein Bedürfnis hat, Spiele zu spielen. Dadurch lässt sich vermeiden, dass die frühen Erfahrungen der Zurückweisung und Lieblosigkeit in ihm reaktiviert werden. Früher hat man es oft über ‚ruhige und vernünftige‘ Aussprachen versucht, den Spielneigungen des anderen zu begegnen. Doch unter der sachlichen Ebene brodelten meist heftige Gefühle von Verletzungen, Kränkungen und Aggressionen, die dann doch irgendwann ausbrachen und oft genug die Situation verschlimmerten. Ein halbwegs funktionierender Weg war, sich darauf zu beschränken, die eigenen Gefühle, Gedanken und Ziele auszusprechen.14 In vielen Beispielen gut bewährt hat sich der ‚energetische‘15 Umgang mit dem anderen. Er ermöglicht in belasteten Situationen zunächst die leidvollen Gefühle in Lösungsenergie zu verwandeln. Schon das kann sehr erleichternd und befreiend wirken.16 Doch die eigentliche Konfrontation findet durch eine Haltung statt, die De Shazer ‚Tit For Tat‘ nannte: man begegnet dem Spieler mit einer positiv-ähnlichen ‚Energie‘ – einem Machtspieler mit kontrollierter Verantwortlichkeit, einem Retterspieler mit liebevoller Fürsorge. Das noch etwas grobe Modell De Shazers habe ich methodisch weiter entwickelt und präzisiert. Jetzt wird deutlich, dass das Konfrontieren nicht oder nicht vorrangig auf der Verhaltens- oder verbalen Ebene geschieht, sondern energetisch, durch eine innere Haltung. Und neu ist auch, dass diese Haltung ganz genau ermittelt werden kann, indem man Schritt für Schritt methodisch vorgeht und dabei das Erleben des anderen überprüft.17 Das maßgerechte Tit For Tat ist etwas hoch Wirksames, sodass Teilnehmer oft außerordentlich verblüfft sind über die positiven Reaktionen des anderen. Das Gute dabei ist, dass der andere gar nicht weiß, wie ihm geschieht, sondern annimmt, er selbst hätte sich zum Besseren besonnen. So

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

einfach die Anwendung ist, so schwierig ist das Verstehen. Denn wir bewegen uns auf dem Gebiet der paradoxen oder gegenläufigen Kausalität des Bereiches Beziehung. Deshalb ist hier ‚wissenden Nichtwissens‘18 angebracht.

3.9 Die Spiele des Sachtyps Bei der Erfüllung der häuslichen Aufgaben sind auch die Kinder beteiligt. Aufgabe des siebenjährigen Sohnes ist, rechtzeitig Holz aus dem Keller zu holen. Er hat es vergessen. Sein Vater erinnert ihn ruhig an seine Aufgabe, da das Feuer auszugehen droht. Der Sohn stöhnt gequält: „Nie kann man richtig spielen. Immer muss man dieses blöde Holz holen.“ Der Vater besteht weiter darauf. Da fällt dem Sohn ein: „lch habe so viel Hausaufgaben zu machen. Ich kann nicht auch noch Holz holen. Das muss heute jemand anders machen.“ Der Vater fordert ihn nun in strengem Ton auf, endlich zu gehen. Darauf nimmt der Sohn den Holzkorb und macht sich unter Protesten und „Wenn ich nicht wär, dann …“ auf den Weg in den Keller. Er lässt sich viel, viel Zeit. Während der Vater wartet und sich zunehmend ärgert, ist das Feuer am Ausgehen. Schließlich kommt der Sohn zurück, doch der Korb ist nur zu etwa einem Drittel gefüllt. Etwas später klingelt das Telefon. Die Leute, die ein Stockwerk tiefer wohnen, beschweren sich darüber, dass die ganze Treppe mit Holzspänen bestreut sei. Jetzt platzt dem Vater endgültig der Kragen, und er macht seinem Ärger Luft. Der Sohn führt verschiedene Opferspiele vor: Ich Ärmster, – wie kann man von jemandem, der so viel Hausaufgaben machen muss, erwarten, dass … – du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe – als er schließlich geht, – als er den Vater warten lässt, die Aufgabe nur unzureichend erfüllt und es ihm noch gelingt, die Nachbarn mit einzubeziehen. Doch auch der Vater neigt zu Opferspielen. Statt seinen Ärger auszusprechen, gibt er sich lange gutmütig und ruhig. Er geht keineswegs so souverän mit der Situation um, wie er sich und seinem Sohn vormachen will. Dieses Beispiel eher harmloser Opferspiele zeigt, dass keineswegs nur im Drama-Dreieck gespielt wird, also Opfer mit und gegen Verfolger, Opfer mit und gegen Retter, Retter mit und gegen Verfolger. Es gibt auch konkurrierende Spiele wie hier um die Opferposition: Wer hat am meisten zu leiden, der Sohn unter der schweren Last häuslicher Arbeiten oder der Vater unter der Aufgabe seiner erzieherischen Tätigkeit? Zur Ergänzung: In dieser Familie konkurrieren Mutter und Tochter um die Retterposition, während die Nachbarn bereitwillig die unbesetzte Verfolgerposition übernehmen. Das wird dadurch unterstützt, dass die Tochter die Nachbarn

Die Spiele des Sachtyps

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‚blöd‘ findet und sich schnippisch gibt, während der Sohn grundsätzlich ‚vergisst‘, sie zu grüßen. Vielleicht lässt sich bereits an diesem alltäglichen Beispiel ahnen, dass Opferspiele ebenso aktiv gespielt werden können wie Retter- oder Verfolgerspiele. Berne beschreibt die Folgen im Verfolgerton19: ‚Solche Menschen werden von der Gesellschaft ausgestoßen, von den Frauen sitzen gelassen und von ihren Arbeitgebern entlassen.‘20 Da sich das Spielgeschehen beim Opferspiel auf die Umwelt des Spielers verlagert – andere behandeln ihn ungerecht, und das Schicksal setzt ihm zu –, muss hier der gesamte Lebenszusammenhang21 gesehen, die isoliert psychologische Sichtweise aufgegeben werden. Wie destruktiv Opferspiele verlaufen können, zeigt der Lebensweg eines jungen Mannes, der schließlich an Leukämie stirbt: Er ist sehr begabt, macht aber nur einen Hauptschulabschluss. Er beginnt eine Lehre als Koch, bricht sie ab und lässt sich umschulen für den EDVBereich. Er macht zwangsläufig Schulden. Nach Abschluß der Umschulung wird der junge Mann arbeitslos. Seine Freundin trennt sich von ihm, doch dann stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Sie kehrt zurück und sie heiraten des Kindes wegen. Sie ziehen in eine ebenerdige Wohnung an einer sehr verkehrsreichen Straße, müssen mit Lärm und Abgasen leben. Die Miete für die Wohnung zahlt seine Mutter. Seine Frau ist Sozialarbeiterin und arbeitet nun wieder in einem Team zumeist gleichaltriger Mitarbeiter. Während er eher depressiv wirkt, ist sie betont fröhlich, liebenswürdig und kontaktfreudig. Er ist eifersüchtig auf ihre Kontakte. Er quält sie mit seiner Eifersucht. Sie wirft ihm seine Abhängigkeit von seiner Mutter vor, sein distanziertes Verhältnis zu ihrem kleinen Sohn, seine ständige schlechte Laune, dass sie immer sparen müssten und sich nichts leisten könnten. Er fühlt sich als Versager. Wieder beschließt seine Frau, sich von ihm zu trennen. Dann wird er krank. Seine Frau fühlt sich nun verpflichtet, bei ihm zu bleiben. Seine Frau ist nun viel zu Hause. Die Beziehung macht einen harmonischen Eindruck. Sie pflegt ihn bis zu seinem Tod. Als er stirbt, ist er 22 Jahre alt. Sie erfährt sehr viel Anteilnahme. Nach dem Tode ihres Mannes zieht sie mit einer Freundin zusammen. Das Mutter-Kind-Projekt erlaubt ihr, sich ganz ihrem Kind zu widmen. Die Opfer- und Zuwendungsspiele des Sachtyps haben folgende gemeinsame Merkmale: Sie gehen von einem scheinbar gelassenen und vernünftigen Erwachsenen-Ich aus, dem Persönlichkeitsbereich des Sachtyps. Statt eigene Bedürfnisse und Interessen zu äußern, statt zu wollen und zu handeln, nimmt der Sachtyp eine ‚objektive‘ Haltung ein, verhält sich unpersönlich und sachlich. Dadurch versäumt er, für sich und andere zu sorgen. Doch sein Erwachsenen-Ich ist innerlich verunsichert. Auf die Mit-

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

spieler macht der Opferspieler zunächst einen gutmütigen, offenen und verständnisvollen Eindruck. Damit lädt er sie zum Spiel ein. Während des Spiels holt sich der Sachtyp Zuwendung aus dem ElternIch der Mitspieler. Er lässt sie Verantwortung übernehmen, sucht bei ihnen Fürsorge und Anerkennung, Hilfe und Erlaubnisse, Schutz und Rückhalt. Dieses Bedürfnis nach Eltern-Ich-Zuwendung entspringt seiner Schwäche im eigenen Entwicklungsbereich Eltern-Ich. Der Opferspieler vernachlässigt seine eigenen Schlüsselfähigkeiten und holt sich diese Qualitäten bei den anderen. Dieser Teil des Spiels wird soweit wie möglich ausgedehnt. Der plötzliche Wechsel zum gekränkten, depressiven oder rebellischen Kind-Ich ist das Spielziel des Sachtyps: der Wechsel von seinem Persönlichkeitsbereich Erwachsenen-Ich in seinen Zielbereich Kind-Ich. Dieser Wechsel wird so vorbereitet, dass er seine Mitspieler durch ungeschicktes, fehlerhaftes, unsensibles und trotziges Verhalten provoziert. Reagierten sie zunächst mit Hilfsbereitschaft und Mitleid, so beginnen sie sich nun über ihn zu ärgern und ihn zu ‚verfolgen‘. Er fühlt sich ungerecht behandelt, empört sich und ist wütend auf sie. Das Missverhältnis zwischen angestauter Wut im Inneren und gutmütiger Harmlosigkeit nach außen macht ihm selbst Angst. Seine unbefriedigten Bedürfnisse, seine Enttäuschungen und seine Wut versucht er abzuschirmen mit einer dicken Watteschicht aus Harmonie. Dann kommt es bei nichtigen Anlässen, etwa wenn er sich benachteiligt, ungerecht behandelt oder hintergangen fühlt, zu cholerischen Ausbrüchen. Die Mitspieler meinen, sie hätten es mit einem besonders gutmütigen und geduldigen Menschen zu tun. Sie ahnen nichts von der Unzufriedenheit, dem Hass und der Rebellion, die er mit sich herumträgt. Anaïs Nin, die in ihren Tagebüchern (1931–1934) den jungen Henry Miller beschreibt, hat dies gespürt. Sie schreibt: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass seine Freundlichkeit nicht ganz echt ist. Sie ist seine Art der Verführung. Der Entwaffnung. Sie verschafft ihm überall Zutritt, macht glaubwürdig. Sie ist eine Verkleidung des Beobachters, des Kritikers, des Anklägers in ihm. Seine Härte ist maskiert. Sein Hass, sein Aufruhr. Sie sind äußerlich nicht erkennbar, werden nicht ausgespielt.“ Dafür macht er andere wütend, lässt sie seine Wut stellvertretend für ihn ausleben. Er vergisst wichtige Termine, versäumt es, Informationen weiterzugeben, macht dumme Fehler, verhält sich ungeschickt, legt sich mit den falschen Leuten an, mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts angehen, verhält sich in emotionalen Situationen betont sachlich, versetzt andere, verbaut sich gute Möglichkeiten, macht sich auf unangenehme Weise wichtig, belehrt andere, wertet sich öffentlich ab, stellt andere ‚unabsichtlich‘ bloß, macht faule Kompromisse oder äußert überharte Kritik („man

Mach mich fertig-Spiel des Sachtyps

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wird ja auch mal was sagen dürfen“), kurz, er verfügt über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Einfällen, wie er anderen auf die Nerven gehen und sich negative Zuwendung holen kann. Was eine nahe Beziehung zu ihm schwierig macht, ist, dass er noch weiter weg vom Gefühl ist als ein Handlungstyp. Während dieser oft darunter leidet, wenn er von seinen Gefühlen getrennt ist, nimmt das der Sachtyp meist gar nicht wahr, scheint mit diesem Zustand ganz zufrieden zu sein und versteht nicht, dass seine Partnerin sich damit quält. Er versucht es ihr auszureden, was die Sache nicht besser macht. Dabei ist er durchaus ein Gefühlsmensch, vielleicht mehr als andere, doch seine Gefühle kommen verschlüsselt, verquert und manchmal verschämt an die Oberfläche.

3.10 Mach mich fertig – ein typisches Spiel des Sachtyps Ein typisches Opfer- und Zuwendungsspiel ist das Spiel Mach mich fertig22: Es geht um eine für ihn wichtige Situation. Doch er macht irgendwelche ‚dumme‘ Fehler, kommt zu spät, hat sich nicht richtig vorbereitet, vergisst wichtige Unterlagen u. Ä. … „Immer wenn ich einer großen Belastung ausgesetzt bin, gerate ich ganz durcheinander.“23 Er entschuldigt sich, redet sich heraus, versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Versierten Spielern gelingt es, bei einer Gelegenheit mehrere dieser Eigentümlichkeiten unterzubringen. Erst wenn er in der Falle sitzt, fasst er sich an den Kopf und fragt sich ungläubig und fassungslos: „Wie konnte ich nur so blöd sein, das zu übersehen, zu vergessen?“ Ein Fortbildungsteilnehmer hat ein Referat über ein recht schwieriges Thema vorbereitet. Er wirkt sehr bemüht und angestrengt. Gelegentlich redet er halblaut mit sich selbst: „Wo habe ich das jetzt?“ oder: „Jetzt wird’s schwierig. Jetzt muss ich aufpassen!“ Zwischendurch entstehen längere Pausen, wenn er nach Schaubildern in Büchern sucht, die dann viel zu klein sind, um von den Teilnehmern erkannt zu werden. Er spricht Fremdwörter falsch aus, dann muss er seine Unterlagen ordnen, die offenbar durcheinander gekommen sind. Als er etwas an der Tafel erklärt, stützt er den Kopf mit dem Arm ab, wobei der Ellenbogen auf dem Tisch Halt findet. Bei seinen weiteren Ausführungen, immer noch auf das Tafelbild bezogen, legt er den Kopf auf den ausgestreckten rechten Oberarm, während dieser auf dem Tisch liegt. Das wirkt alles so ungewollt komisch, dass die Zuhörer zunehmend mit dem Lachen kämpfen. Da er allen sympathisch ist und ihnen auch Leid tut, wollen sie ihn nicht verletzen und versuchen, das Lachen zu unterdrücken, was zu merkwürdigen Zuckungen und Geräuschen führt. Das reizt wieder

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

Spieler

Mitspieler

Elter-Ich/ Handlungs-Ich 1. Der Spieler wirkt harmlos, hilflos, ungeschützt und beginnt Fehler zu machen. Damit wendet er sich an das Eltern-Ich der Mitspieler, sucht Schutz, Unterstützung und Anerkennung. 2. An das Erwachsenen-Ich signalisiert er: alles o. k. 3. An das Kind-Ich: Ich bin harmlos.

1. 2.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

3.

Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.19: Spielanfang des Mach mich fertig-Spiels.

Spieler 4. Er bekommt gute Ratschläge von den Mitspielern, die er annimmt und nicht umsetzt.

Mitspieler 4.

Elter-Ich/ Handlungs-Ich

5. 5. Die Mitspieler überlegen, wie ihm geholfen werden könnte, doch er weiß alles besser.

6.

6. Die Mitspieler übernehmen Verantwortung für ihn und sind fürsorglich, doch er reagiert mit Unzufriedenheit und schlechter Laune.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.20: Spielmitte des Mach mich fertig-Spiels.

andere zu Lachanfällen. Der Vortragende indes scheint von all dem nichts mitzubekommen und setzt seine Anstrengungen fort. Als er fertig ist, sind alle sehr erleichtert und geben ihm reichlich Beifall. Er stellt fest, dass er sich ‚geschafft‘ fühle. Gegenüber einem Mach mich fertig-Spieler fühlen sich die Mitspieler beim Spielbeginn überlegen und in ihrem Eltern-Ich angesprochen (Abb. 19). Sie geben dem Opferspieler gute Ratschläge und unterstützen ihn. Es entsteht so etwas wie ein Eltern-Kind- oder Lehrer-Schüler-Verhältnis (Abb. 20). Der Schüler scheint zu den schönsten Hoffnungen An-

Mach mich fertig-Spiel des Sachtyps

Spieler 7. Die Mitspieler machen dem Spieler Vorhaltungen, konfrontieren ihn mit seinem Verhalten.

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Mitspieler 7.

Elter-Ich/ Handlungs-Ich

7. 8. Der Spieler wechselt in sein gekränktes Kind-Ich, läßt es sich demonstrativ schlecht gehen und versucht ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen.

7.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

8. Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.21: Spielende des Mach mich fertig-Spiels.

lass zu geben, doch dann fängt er an Schwierigkeiten zu machen, die Mitspieler zu ärgern und zu enttäuschen. Gegen alle Bemühungen der Mitspieler, die ihm helfen wollen, macht er weiterhin Fehler, stößt andere vor den Kopf, verhält sich unsensibel und egoistisch. Gleichzeitig zeigt er auch gute Ansätze, ist einsichtig, entschuldigt sich, äußert gute Vorsätze, sodass die Mitspieler beschwichtigt sind und wieder Hoffnung fassen. Doch er sorgt dafür, dass sie immer wieder Gründe haben, sich über ihn zu ärgern. Dabei können seine Spielzüge ein hohes Maß an gegen sich selbst gerichteter Destruktion zeigen, verbunden mit dem Vorwurf an andere: Sieh bloß, was du angerichtet hast! (Abb.21). Reagieren dann diese ihm gegenüber wirklich verärgert, so nimmt der Opferspieler dies zum Anlass, sich in sein gekränktes Kind-Ich zurückzuziehen. Oft bricht er den Kontakt zu seinen ‚Wohltätern‘ ab und nährt eine ungerechtfertigte Wut gegen sie. Er ist überzeugt, dass sie ihn schlecht behandelt haben (Abb. 21). Das hängt damit zusammen, dass er sich teils über-, teils unterschätzt und ganz unrealistische Ansprüche an sie hat, was sie alles für ihn tun müssten. Gelingt es den Opferspielern, ihre Spielneigungen zu reduzieren und ihre Schlüsselfähigkeiten zu entwickeln, wirkt sich ihr ‚ganzheitliches‘ Verhalten, das über das Unbewusste Umwelt und Mitmenschen ‚steuert‘, positiv für sie aus. Ihre offene, unkonventionelle Art, die während der Zeit ihrer Spielfreudigkeit sie ungeschützt in alle möglichen Fallen tappen ließ, ermöglicht ihnen nun erfinderisch und schöpferisch zu sein. Berne hat beobachtet, dass Sachtypen oft weit über ihre eigenen Erwartungen hinaus Erfolg auf Erfolg häufen, und es bei ihnen im besten Sinne des Wortes zur Reifung der Persönlichkeit komme.

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

3.11 Andere Spiele des Sachtyps Dem Mach mich fertig-Spiel sehr ähnlich ist das Spiel Schlemihl, was soviel wie Schlaumeier bedeutet. Ein literarisches Beispiel dafür ist der brave Soldat Schwejk. Mit seinem Talent, bei allen geeigneten und ungeeigneten Situationen Geschichten zu erzählen, unterläuft er die Regeln und das falsche Pathos des Kriegs und rettet damit schließlich noch sein Leben. Er ärgert seine Vorgesetzten, zieht seinen Nutzen daraus und hat noch die Lacher auf seiner Seite. Berne bringt das Beispiel einer gesellschaftlichen Einladung: Ein Schlemihl-Spieler gießt versehentlich seinen Cocktail aufs Abendkleid der Gastgeberin, die er nicht allzu sehr zu schätzen scheint. Der Gastgeber will zunächst ärgerlich reagieren, reißt sich dann aber zusammen und akzeptiert die Entschuldigung. Dies nimmt der Spieler zum Anlass, eine weitere Ungeschicklichkeit zu begehen.24 Bei dem Spiel Du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe gibt sich der Spieler sehr eifrig, sodass man ihn für seinen Einsatz nur loben kann. Doch hat er eine besondere Begabung dafür, im richtigen Augenblick das Falsche zu tun, sodass die Sache schief geht und sich niemand recht erklären kann, warum. Er jedenfalls kann darauf hinweisen, dass es an ihm nicht lag, denn er hat sich ja die größte Mühe gegeben. Berne beschreibt dieses Spiel zutreffend am Beispiel eines Ehemanns: Meist geht der Ehemann auf eine Scheidung aus, obwohl er lauthals das Gegenteil behauptet, während seine Frau die Ehe weiterführen möchte. Der Mann sucht sozusagen unter Protest den Therapeuten auf und berichtet nur soviel, wie nötig ist, um der Frau seinen guten Willen zu demonstrieren … Mit fortschreitender Zeit zeigt er jedoch gegenüber dem Therapeuten eine in zunehmendem Maß ressentimentgeladene Pseudowillfährigkeit oder aber aggressive Streitlust. Daheim gibt er sich anfangs verständiger und zurückhaltender, benimmt sich aber bald schlimmer als je zuvor. Manchmal schon nach einer Konsultation, manchmal … erst nach fünf oder zehn Besuchen weigert sich der Mann, weiterhin zu den Gesprächen zu erscheinen, und geht statt dessen zur Jagd oder zum Angeln. Die Frau sieht sich nun ihrerseits gezwungen, die Scheidung einzureichen. Jetzt steht der Mann als schuldloser Teil da, denn schließlich hat ja die Frau die Initiative ergriffen, während er seinen guten Willen dadurch demonstriert hat, dass er den Therapeuten aufgesucht hat.25 Diese Geschichte illustriert sehr schön die Merkmale eines Opferspiels. Zunächst gibt sich der Ehemann verständig und ist selbst von seinem guten Willen überzeugt. In der Praxis agiert er jedoch aus dem rebellischen Kind-Ich und schiebt alle Verantwortung seiner Frau zu. Bei Spielende kann er sich als armes Opfer bedauern und von einer möglichen

Opferverhalten und Zuwendungsspiele

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Freundin trösten und ‚retten‘ lassen. Er versteht nicht, warum seine Frau so ärgerlich auf ihn ist, und kann andere von ihrem schlechten Charakter überzeugen. Ein ähnliches Beispiel von Du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe habe ich selbst erlebt: Die Ehefrau war ausgezogen, nachdem sie ihr Mann bei seinen wiederholten cholerischen Ausbrüchen tätlich bedroht und angegriffen hatte. Beruflich war er wenig erfolgreich, sodass sie Schulden hatten und die Frau ihn mit unterhalten musste. Sie war auch seiner Trinkerei überdrüssig. Der Ehemann forderte nun von ihr, sie solle in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Er überredete seine Frau, eine gemeinsame Eheberatung aufzusuchen. Er hatte offensichtlich die Erwartung, dass ich seiner Frau ins Gewissen reden würde. Obwohl es sein erklärter Wunsch war, seine Frau zurückzuhaben, tat er in den Gesprächen alles, um sie in ihrem Trennungswunsch zu bestärken. Er machte ihr Vorwürfe, stellte sie in schlechtem Licht dar, stieß Drohungen aus, verdächtigte sie der Untreue, versuchte ihr Angst und ein schlechtes Gewissen einzureden und sie mit Geldforderungen zu erpressen. Als er feststellte, dass ich nicht mitspielte, setzte er die Beratung bei einer kirchlichen Einrichtung fort, wohl in der Hoffnung, dort Unterstützung zu finden. Schließlich ging er, was er schon angedroht hatte, zu ihrem Vorgesetzten und schwärzte sie – ohne Erfolg – dort an. Resignative Varianten dieser Spiele sind Holzbein und Lumpentante.26 Sie trauen sich selbst wenig zu und weisen Anforderungen zurück mit einem Hinweis auf ihre Unzulänglichkeit: „Was erwarten Sie eigentlich von jemandem, der …?“ Das ‚Holzbein‘ kann eine eingebildete Krankheit sein, Jugend oder Alter, das Geschlecht, zurückliegende Misserfolge usw. Berne beantwortet diese Frage mit: „Ich erwarte überhaupt nichts von Ihnen. Die Frage ist, was Sie eigentlich von sich selbst erwarten.“27

3.12 Umgang mit Opferverhalten und Zuwendungsspielen Opfer- und Zuwendungsspiele provozieren als Gegenreaktion geradezu reflexartig ein erzieherisches Verhalten. Doch damit sind die Beteiligten schon ins Spiel verwickelt. Denn der Opferspieler sucht rettende oder verfolgende Eltern-Ich-Zuwendung, Mitleid oder Kritik. Wie kann man sich gegen diese Reflexe schützen, die man schon seit der Kindheit in- und auswendig kennt? Ich möchte diese Frage typenspezifisch beantworten. Dem Beziehungstyp tut es gut, die Situation realistisch zu sehen: der andere ist kein kleines Kind mehr, sondern ein erwachsener Mensch, der selbst denken, er-

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

kennen und praktische Schlussfolgerungen ziehen kann. Für ihn ist es günstig, das Opferspiel des anderen mit einer interessiert-beobachtenden Haltung zu verfolgen, ohne Sentimentalität, ohne Mitleid oder Ärger, wie ein Kameramann oder ein Schriftsteller. Es ist die gleiche Methode, wie sie bei einer Brandlöschung praktiziert wird: man sucht dem Feuer die Nahrung zu entziehen. Zwar kann man den Opferspieler nicht daran hindern, sich nun selbst zu bemitleiden und zu bestrafen oder andere Mitspieler zu suchen, doch das ist seine Sache. Die Spielverweigerung ist für den Spieler eine schmerzliche, aber heilsame Erfahrung, die ihm helfen kann, irgendwann sein Spiel aufzugeben. Mitspielen dagegen hieße, ihn in seinem Spiel zu unterstützen und zu bestärken und sich mitschuldig zu machen an seinem Elend. Für den Sachtyp ist es besonders hilfreich, wenn er die Souveränität und Selbstverantwortung des Opferspielers im Auge behält – gerade dann, wenn sie der Spieler selbst leugnet. Er ist nicht wirklich hilflos, sondern spielt souverän den Hilflosen, er ist nicht wirklich unfähig, sondern spielt gekonnt den Unfähigen, er ist nicht wirklich willensschwach, sondern spielt mit viel Energie ‚Ich kann nicht!‘, er ist nicht wirklich dumm, sondern spielt gewitzt den Dummen. Der Handlungstyp kommt mit Opferspielern am besten zurecht, wenn er das Tragikomische ihres Verhaltens im Auge behält, wenn er ihren Spielen mit freundschaftlichem Bedauern und warmem Humor begegnet: „Komm, spiele nicht das beleidigte Kind!“ Gelingt es ihm, den Opferspieler zumindest innerlich zum Schmunzeln zu bringen – Sachtypen haben Sinn für Humor –, so kann der aus seinem Opferspiel aussteigen. Eine wirksame und vorbeugende Medizin gegenüber der Neigung des Sachtyps zu Opferspielen ist Anerkennung – Anerkennung für Leistungen, die mit seinen Schlüsselfähigkeiten Wollen und Handeln zusammenhängen. Es kann Anerkennung sein dafür, dass er erfolgreich, tüchtig und verlässlich ist, dass er tatkräftig eine Aufgabe anpackt und durchführt, dass er sich fürsorglich, rücksichtsvoll und verantwortlich verhält, dass er weiß, was er will, und sich für die Verwirklichung seiner Wünsche kraftvoll und energisch einsetzt. Wenn ein Sachtyp Opferspiele inszeniert, wie kann man dem begegnen und positiv darauf Einfluss nehmen? Auch hier ist eine recht wirksame Möglichkeit das ‚systemische‘ Vorgehen nach der Regel: Ähnlichem mit dem Positiv-Ähnlichen begegnen.28 Das bedeutet einem, der hilflos spielt mit einer vorsichtig abwartenden Haltung zu begegnen, wenn jemand egoistisch ist die Haltung einzunehmen: Ich sorge gut für mich! Und den rebellischen Sachtyp kann man mit der Haltung konfrontieren: Ich bestehe auf meine Ansprüche und Rechte!

Die Spiele des Handlungstyps

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3.13 Die Spiele des Handlungstyps Die Spiele des Handlungstyps wurden lange übersehen. Was bisher als Verfolgerspiele beschrieben wurden, sind meist dramatische und abwertende Machtspiele des Beziehungstyps. Das auffälligste an den Verfolgerund Identitätsspielen ist ihre Unauffälligkeit. Sie enden nicht in einem überlegen triumphierenden Eltern-Ich, sondern einem ‚Sachzwängen‘ gehorchenden Erkenntnis- oder Erwachsenen-Ich. Sie bedienen sich eines konventionellen Rollenverhaltens, kleiden sich in gesellschaftlich anerkannte Klischees, geben sich einen bescheidenen, biederen Anstrich und machen aus dem Spiel eine Tugend: „Von mir als … wird erwartet, dass …“ Berne, vermutlich selbst ein Handlungstyp, litt Spielen dieser Art gegenüber unter einer gewissen Betriebsblindheit. Er verharmloste sie und beschrieb sie als ‚gute Spiele‘. Sich zu überarbeiten und aus anerzogenem Pflichtbewusstsein die Bedürfnisse des eigenen Beziehungs- oder KindIchs konsequent zu missachten galt und gilt für manchen heute noch als Tugend und gehörte zum Bild des guten Arztes und Psychotherapeuten. Erst die zweite Generation der Transaktionsanalytiker hat das Kind-Ich in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gestellt. Dieser auffallendste Ich-Zustand, das Kind-Ich mit seinem Lachen und Weinen, seiner oft lärmenden Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, seiner Eigenwilligkeit und sprühenden Phantasie, seinem Bewegungsdrang und spontanen Ausdruck von Bedürfnissen und Gefühlen – dieser Ich-Zustand wird in den Verfolger- und Identitätsspielen übergangen, wird nicht ausgelebt. Dadurch wirken diese Spiele ernsthaft, gediegen, zurückhaltend und in einer Leistungsgesellschaft anerkennenswert. Auch der spieltypische Ich-Zustands-Wechsel von einem scheinbar fürsorglichen und verantwortungsbewussten Eltern-Ich in ein ‚Sachzwängen‘ gehorchendes Erwachsenen-Ich wirkt seriös und weit weniger auffällig als der Wechsel vom verführerischen Kind-Ich ins abwertende Eltern-Ich beim Beziehungstyp oder der Wechsel vom wichtigtuerischen Erwachsenen-Ich ins klägliche Kind-Ich beim Sachtyp. Dabei kann sich der Verfolger- und Identitätsspieler auf alte Tugenden berufen. Und nicht zuletzt scheint ihm das Leben recht zu geben: er bringt es zu etwas, macht häufig Karriere, kommt zu Besitz und Wohlstand. Überhaupt lassen sich hinter ethischen Grundsätzen Verfolger- und Identitätsspiele gut verstecken, etwa hinter Verantwortlichkeit, Pflichterfüllung, Selbstlosigkeit, Tüchtigkeit, Fleiß, Prinzipien- und Gesetzestreue, Ordnungsliebe, Moral, Gehorsam, Sauberkeit, Vaterlandsliebe und dem rechten Glauben. Das Spieltypische daran ist, dass es sich hier nicht um bewusste Entscheidungen handelt – also ich entscheide mich für Moral

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

und verhalte mich in der Folge moralisch –, sondern es sind unbewusste Zwänge: ich darf mich nicht am Leben freuen, also gebe ich mich moralisch. Dazu kommt, dass solche Grundsätze von alten, ‚ehrwürdigen‘ Institutionen repräsentiert werden, deren Funktionäre Inhaber realer Macht und folglich prädestinierte Verfolger- und Identitätsspieler sind. So rät auch die Lebensklugheit, derlei Spiele besser zu übersehen und sich mit den Spielern nicht anzulegen. Schließlich ist die Identifikation mit einer Rolle ein subtiler Vorgang. Ob es sich dabei um ein realitätsangemessenes und flexibles Verhalten oder um eine starre Über-Identifikation handelt, ist für den Betrachter von außen schwer abzuschätzen. Überdies ist der Einfluss einer ÜberIdentifikation – bei der das ‚Ich bin …‚ an die Stelle des wirklichen Ichs oder Selbst tritt – auf eine gesunde Ich-Entwicklung kaum bekannt.

3.14 Pflichterfüllung – das typische Spiel des Handlungstyps Die Unauffälligkeit der Identitätsspiele darf nicht über ihre möglichen negativen Auswirkungen hinwegtäuschen. Da sie das Kind-Ich missachten, wenden sie sich gegen das Lebendige und Menschliche, gegen Spontaneität und Kreativität, gegen echte Gefühle und Beziehungen, gegen Gesundheit und Lebensfreude. Identitätsspiele geben vor, sich um die Lösung praktischer Probleme zu kümmern. Doch statt die möglichen Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu untersuchen und zu erproben, ob sie der Situation und den menschlichen Bedürfnissen gerecht werden, wird nach Regeln und Normen entschieden. Die Spieler identifizieren sich mit der Aufgabe, der Firma, der Organisation oder Institution, für die sie arbeiten. Deren Regeln sind ihre Handlungsmaxime. Verfolger- und Identitätsspiele werden konsequent und beharrlich, mit Nachdruck und Ausdauer gespielt. Was dabei entsteht, ist eine verkehrte Welt, in der sich die Menschen nach den Institutionen richten müssen und nicht die Institutionen nach den Menschen. Schwerfälligkeit und Bürokratismus, Realitätsferne und Unmenschlichkeit sind die Folgen. Geleitet von ihrem unbewussten Spielziel, beachten diese so tüchtig erscheinenden ‚Macher‘ viel zu wenig die Zweckdienlichkeit ihres Handelns und überprüfen zu wenig die Ergebnisse an den eigentlichen Zielsetzungen. Denn Institutionen entwickeln immer ein ‚Eigenleben‘ und eigene ‚Überlebensstrategien‘, die mit ihren ursprünglichen Zielsetzungen nichts zu tun haben und ihnen häufig sogar widersprechen. Das Spielmuster des Handlungstyps sieht so aus: Ausgehend von seinem gut entwickelten Eltern-Ich, bietet er den möglichen Mitspielern seine Fürsorge an. Wie ein Politiker vor der Wahl verspricht er: „Ich kümmere

Pflichterfüllung-Spiel des Handlungstyps

Spieler 1. Ich bin o. k., vertrauenswürdig!

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Mitspieler 1.

Elter-Ich/ Handlungs-Ich

2. 2. Du brauchst mich! 3.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

3. Ich kümmere mich um dich. Ich bringe die Dinge in Ordnung. Du sollst es gut haben!

Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.22: Spielanfang des Spiels Pflichterfüllung.

Spieler

Mitspieler

4. Der Spieler gibt weiter Erlaubnisse, Unterstützung, Schutz.

5. Ich vertraue dir. Sorge für mich!

Elter-Ich/ Handlungs-Ich 4.

6. Ich brauche dich.

5.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

6. 7. Ich mag dich. 7.

Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.23: Spielmitte des Spiels Pflichterfüllung.

mich um dich, ich bringe für dich die Dinge in Ordnung! Du sollst es gut haben. Du kannst mir vertrauen!“ Da der Handlungstyp zumeist tüchtig, fleißig, verantwortungsbewusst und fürsorglich ist und über eine natürliche Autorität verfügt, und dazu noch von sich selbst überzeugt ist – Ich bin o.k., die anderen sind nicht o.k.! –, wirken seine Versprechungen seriös und überzeugend (Abb.22). Nun erhält er Kind-Ich-Zuwendung von seinen Mitspielern. Sie schenken ihm ihre Zuneigung, bewundern ihn und vertrauen ihm. Durch sein großzügiges Auftreten hat er bei ihnen die Schleusen der Kind-Ich-Wün-

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

Spieler

Mitspieler

8. überraschender Wechsel ins Erwachsenen-Ich 9. 8. 9. Leider verlangt die Situation / Regel / Vorschrift / Vernunft / Ordnung, daß ...

Elter-Ich/ Handlungs-Ich

9.

9.

Erwachsenen-Ich/ Erkenntnis-Ich

Kind-Ich/ Beziehungs-Ich

Abb.24: Spielende des Spiels Pflichterfüllung.

sche geöffnet (Abb. 23). Beides macht dem Handlungstyp Angst, die lebendige Kind-Ich-Zuwendung ebenso wie das kindliche Haben-Wollen. Denn beides verbietet er sich selbst. Er hat als Kind unter Druck gelernt, seine eigenen Kind-Ich-Bedürfnisse einzuschränken, zu missachten und zu verleugnen. Wie könnte oder wollte er jetzt die von anderen erfüllen? Deshalb wechselt er jetzt in sein Erwachsenen-Ich und begegnet den Kind-Ich-Wünschen und -Bedürfnissen der anderen mit einer einschränkenden Vernünftigkeit: „Leider sieht die Realität so aus, dass deine Wünsche nicht zu erfüllen sind. Die Situation erfordert statt dessen, dass …“ Nun verhält er sich wie Politiker nach der Wahl: Nun zählt wieder die ‚Realität‘. Es müssen Opfer gebracht werden, muss Verzicht geleistet werden. Das gibt ihm das Gefühl, dass jetzt die Welt wieder in Ordnung ist, er fühlt sich sicher und in seiner Identität bestätigt (Abb.24). Das Identitätsspiel Wie ein richtiger Mann ist eine Variante des Spiels Pflichterfüllung und wird in vielen Western erkennbar. Die dortigen Ordnungshüter sind nicht die aufgeputzten Beziehungstyp I – Westernhelden, sondern einfache, rechtschaffene Sheriffs, die ihre Pflicht erfüllen. Ein Beispiel ist ‚12 Uhr mittags‘. Hier der typische Ablauf solcher Western: 1. Es beginnt damit, dass Ruhe und Ordnung herrscht. Doch da der Sheriff jemand ist, der Ruhe und Ordnung herstellen muss, dürfte er auf die Dauer wenig Freude an diesem friedlichen Zustand haben. Es ist zu vermuten, dass er Zweifel an seiner Identität bekommt: „Das ist kein Leben für einen richtigen Mann.“ 2. Ein Verbrechen geschieht oder wird vorbereitet. Es gibt Arbeit für den Helden.

Pflichterfüllung-Spiel des Handlungstyps

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3. Die Ursachen des Verbrechens werden nicht analysiert. Es ist ganz einfach, es gibt die Guten und die Bösen, es gibt ein Verbrechen und einen Verbrecher und die Lösung des Problems liegt darin, den Verbrecher seiner gerechten Strafe zuzuführen. 4. Der Held trauert nicht über die Opfer des Verbrechens. Er handelt. 5. Persönliche Angelegenheiten des Helden müssen zurückstehen, er darf sich nicht durch gefühlsmäßige Bindungen an seiner Aufgabe hindern lassen. Das Beziehungsthema wird häufig negativ vorgeführt: der Verbrecher vergnügt sich mit unanständigen Frauen oder belästigt oder vergeht sich an anständigen. 6. Bei der Verfolgung des Verbrechers setzt der Held sein eigenes Leben aufs Spiel und zeigt Härte gegenüber Kind-Ich-Bedürfnissen. 7. Da er sein Handwerk versteht, gelingt es ihm, den Verbrecher seiner gerechten Strafe zuzuführen. Dabei beachtet er das Gesetz und wendet sich gegen Lynchjustiz. 8. Ruhe und Ordnung sind wiederhergestellt. Der Held geht wieder einem normalen Leben nach. Die Zweifel an seiner Identität sind vorübergehend beschwichtigt, bis … siehe 1. Das Spiel Pflichterfüllung geht zurück auf eine verbietende Erziehung etwa im zweiten und dritten Lebensjahr. Elterliche Verbote wie Tu nicht, was du willst! sowie Fühle nicht! behindern die Spontaneität, das Wollen und Tun. Auf der einen Seite ist die Verbindung zu den Bedürfnissen abgeschnitten. Das Kind verlernt zu spüren, was es eigentlich will. Auf der anderen Seite hat es früh gelernt, brav zu sein. Aus dem braven Mädchen wird später eine ‚anständige‘ Frau, aus dem Jungen ein ‚ordentlicher‘ Mann. Beides, die Unklarheit gegenüber den eigenen Wünschen und der Zwang, ordentlich, perfekt zu sein, lässt den Handlungstyp Rollen, Verhaltensmuster, Denkweisen und Regeln für sich übernehmen, wie sie beispielsweise von Institutionen vorgegeben werden. Nun weiß er zumindest, was er tun soll und wie er sich richtig verhält. Das gibt ihm Sicherheit. Wenn diese Institutionen eine gewisse Lebensweisheit realisieren, etwa bei Priestern Beziehungen tolerieren, solange diese nicht beanspruchen offiziell und legal zu sein, ist ihr Überleben gesichert. Institutionskonformes Verhalten wird belohnt: so jemand gilt als verlässlich und tüchtig. Wer die Institution und ihre Regeln in Frage stellt, indem er sie etwa mit ihrem ursprünglichen Auftrag konfrontiert, wird gemaßregelt, bestraft oder ausgeschieden. Wird ein Pflichterfüllungs-Spieler mit Emotionen, Bedürfnissen, spontanen Entscheidungen konfrontiert oder gerät er in eine Situation, in der solches von ihm erwartet wird, reagiert er ärgerlich und abwehrend. Sich Gefühlen zu überlassen erscheint ihm leichtsinnig, gefährlich oder unor-

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3. Persönlichkeitstypische Spiele und Alternativen

dentlich, er vermutet als Folgen Unordnung, Chaos und Niedergang. Er reagiert automatisch konservativ, verteidigt das Hergebrachte und ist zugleich fest davon überzeugt, dass er Recht hat und die anderen Unrecht.

3.15 Umgang mit Verfolger- und Identitätsspielen Will man im Umgang mit Handlungstypen Verfolgerspielen vorbeugen, so gelingt dies am besten durch ein freundschaftliches Verhalten ihnen gegenüber nach klaren Spielregeln. Gegenseitige Sympathie und Zuneigung schließen Verfolgerspiele weitgehend aus. Doch erst wenn er selbst die Qualitäten seines Beziehungs-Ichs entdeckt und lebt, werden für ihn Verfolger- und Identitätsspiele überflüssig. Dazu entschließen sich Handlungstypen häufig erst dann, wenn eine schwere Krankheit und der ärztliche Rat29 ihnen klargemacht hat, dass sie so wie bisher nicht weiter leben dürfen. Solche Neuentscheidungen lassen sich vergleichen mit den fast revolutionären Umbrüchen und Wandlungen in unserer Gesellschaft: In früheren Generationen wurden die Spielneigungen des Handlungstyps von der Gesellschaft, von Staat und Kirche, der elterlichen und schulischen Erziehung, dem Militärwesen und der Berufswelt unterstützt. Befehlen und gehorchen, sich ein- und unterordnen, Bescheidenheit und Pflichterfüllung, Prinzipientreue und Sparsamkeit, Ordnungsliebe und Untertänigkeit, der gute Ruf, die Hingabe an einen höheren Zweck, all das gehörte zu den herrschenden Tugenden. Der pflichtbewusste Beamte, der treue Untertan, der strenge Vorgesetzte und der gehorsame Arbeitnehmer waren gefordert. Unsere heutige Zeit kommt der Persönlichkeitsentwicklung des Handlungstyps entgegen. Sie bestärkt ihn darin, seine Gefühle und Bedürfnisse nicht zu übergehen. Dies begann in unserem Jahrhundert mit dem Expressionismus in Kunst und Literatur, mit Freuds Psychoanalyse, der Reformpädagogik in der Erziehung, der Pädagogik ‚vom Kinde aus‘ und in der Jugendbewegung mit ihrer Hinwendung zur Natur und zum Natürlichen, später mit Jazz und Rockmusik, gesunder Ernährung, ökologischem Denken und Leben. Man entschloss sich, den natürlichen Regungen, den Bedürfnissen und Gefühlen zu vertrauen. In den sechziger und siebziger Jahren verbanden sich besonders in Kalifornien die Gedanken der Reformpädagogik und der Psychoanalyse mit Einflüssen der östlichen Religionen und deren optimistischem Bild vom Menschen mit dem Lebensgefühl einer Generation, die mehr Menschlichkeit einforderte, zur Humanistischen Psychologie. Ihnen gemeinsam ist eine erlaubende Haltung, die Fokussierung auf das Erleben und das Ge-

Verfolger- und Identitätsspiele

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fühl,30 das Vertrauen in die Weisheit des Körpers,31 des Unbewussten32 und in die Spontaneität des Kind-Ichs.33 Und genau dies ist es, was dem Handlungstyp besonders gut tut und die Alternative zu den Verfolger- und Identitätsspielen ist. Erleben und Mitfühlen, Spiel und Spaß, Zuneigung und Freundschaft sind für ihn ‚besonders empfehlenswert‘. Wenn der Handlungstyp sein eigenes Kind-Ich entwickelt, braucht er nicht das der anderen zu manipulieren, auszubeuten oder zu unterdrücken. Er kann sich mit den anderen freuen und sich spontan und kreativ verhalten. Dann wird er das Lebendige beschützen und fördern, wird zum Anwalt des Kindes und des Natürlichen und wird jede Gelegenheit nützen, um mit anderen zusammen Spaß zu haben und zu lachen, kräftig und herzhaft, wie es seiner Art entspricht. Nun erst wird seine Tüchtigkeit wirklich menschlich. Als Architekt baut er Häuser und Wohnungen, in denen die Menschen sich wohl fühlen. Als Arzt behandelt er den Menschen und nicht nur die Krankheit. Als Lehrer bemüht er sich, einen lebendigen, kind- und jugendgemäßen Unterricht zu halten und nicht nur Stoff zu vermitteln. Als Führungskraft legt er besonderen Wert auf ein gutes Arbeitsklima in seiner Gruppe oder Abteilung. Ein entschlossenes und liebevolles Eltern-Ich und ein freudiges und vertrauensvolles Kind-Ich sind gute Voraussetzungen für eine weiterführende Ich-Entwicklung. An die Stelle der Über-Identifikation mit Rollen, die immer eine Grenzziehung innerhalb des Selbst bedeutet zwischen einem „Das bin ich!“ und „Das bin ich nicht!“, tritt jetzt die Ent-Identifikation, das Sich-Lösen von Rollen und partiellen Identifikationen, die niemals der Weite und dem Reichtum des Selbst entsprechen können. Bleibt auch hier noch die Frage, wie kann man eingeschränktes und einschränkendes Handlungstyp-Verhalten konfrontieren? Das Positiv-Ähnliche wäre in etwa eine frei gewählte asketische Haltung sich selbst und dem Leben gegenüber. Doch auch hier müsste man die genau passende ‚systemische Haltungsantwort‘ im konkreten Einzelfall ermitteln34 und in der Praxis erproben.

4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung 4.1 Sind die Skripts1 persönlichkeitstypisch? Man kann Persönlichkeitstypen beschreiben und unterscheiden, indem man den Blick auf ihre Person richtet, auf ihre Eigenschaften, Verhaltensweisen oder die inneren Strukturen und Prozesse. Man kann sich aber auch anschauen, wie unterschiedlich sie ihr Leben gestalten. Letzteres war die Sichtweise Bernes und hat zur Beschreibung unterschiedlicher Skripts im Sinne von Lebensentwürfen oder -drehbüchern geführt. Die Skriptanalyse ergänzt und bestätigt die Erkenntnisse über die Persönlichkeitstypen. In den letzten Jahren vor seinem Tod (I970) entwickelte Berne die Theorie vom Skript als einem unbewussten Lebensplan, nach dem wir unser Leben einrichten. Sie wurde damals begeistert aufgenommen. Denn einmal stellte sie die tiefenpsychologische Verbindung her zwischen gegenwärtigem Verhalten und frühen Kindheitserfahrungen. Damit hatte man eine zeitgemäße und dem amerikanischen Denken entsprechende Alternative entwickelt zur psychoanalytischen Traumatheorie. Und man fand bald heraus, dass es nur eine begrenzte Zahl von Skriptmustern gibt, sechs nach Berne, drei nach C. Steiner. Mich interessierte besonders die Frage, sind die Skripts identisch mit den Persönlichkeitstypen, sind sie die Muster, nach denen diese ihr Leben gestalten? Diese Frage lässt sich eindeutig bejahen. Besonders die drei Skripts von C. Steiner, das No-Love-, No-Mind- und No-Joy-Skript machen dies deutlich, sowohl von den verloren gegangenen Fähigkeiten wie von den einschränkenden Botschaften her. Sie geben zudem wichtige diagnostische und therapeutische Hinweise für das Verstehen und die Behandlung der unterschiedlichen Strukturtypen. Die Idee, dass jedem Leben ein frühes, selbstentworfenes Drehbuch zugrunde liegt, ist ebenso reizvoll wie aufschlussreich. Das Drehbuch oder Skript wird im Laufe des Lebens ständig weiter ausgearbeitet und teilweise auch umgeschrieben. Ein Skript ist ebenso wie die Persönlichkeitsstruktur zunächst einmal eine Beschränkung auf bestimmte Lebensmöglichkeiten, die andere wenn schon nicht ausschließt, so doch nicht leicht zugänglich macht. Aus diesem Bewusstsein, durch das jeweilige Skript in seinen Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt zu sein, ergab sich die Frage: Geht es darum, das Skript zu verändern oder sich vom Skript zu befreien?

Sind die Skripts persönlichkeitstypisch?

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Diese Frage ist berechtigt. Im Buddhismus gibt es ganz ähnliche Überlegungen und Fragestellungen. Dort wird davon ausgegangen, dass das Karma eines Menschen selbst geschaffen sei. Die Samen dafür sind das eigene Denken und Wollen. Und es wurde schon früh unterschieden zwischen einer Verbesserung des Karmas, etwa indem man anderen Gutes wünscht, oder einer Befreiung vom Karma, dem eigentlichen Anliegen Buddhas. Das Erstere ist leicht zu verstehen, das zweite schwer: es ist entweder ein permanentes Alles-Loslassen oder ein In-alles-Hineingehen. Dazu eine kleine Zen-Begegnung, die diese beiden Themen auf den Punkt bringt: verbessern und/oder befreien. Der große Zen-Meister Joshu Jushin (778–897) wurde von einer alten Frau gefragt: „Man betrachtet die Frauen als Gefangene der fünf Hindernisse.2 Wie kann ich mich davon befreien?“ Der Meister, der es sehr gut mit dieser alten Frau meinte, sagte: „Das möge euer Wunsch sein: alle anderen Menschen sollen im Paradies wieder geboren werden, aber ich alte Frau möge für immer vom Ozean des Leidens verschlungen werden.“3 Der wohl wichtigste Aspekt der Skripttheorie ist, daß dieses Drehbuch in seinen Grundzügen auf frühe Entscheidungen zurückgeht. Die Tragik vieler Skript-Entscheidungen liegt jedoch darin, daß sie in einer Zeit und Situation getroffen wurden, als wir nur archaische, magische oder märchenhafte Vorstellungen vom Leben hatten und zudem extrem abhängig waren von anderen Menschen – es war die Zeit unserer frühen Kindheit, der ersten drei oder fünf Lebensjahre –, und daß alles heutige Wissen ein Skript noch nicht verändert oder davon befreit. Jemand, der zu Beginn seines Lebens erfahren hat, dass er unerwünscht war, wird sich auch später so verhalten, als ob er niemandem vertrauen dürfe. Er wird immer auf der Hut sein. Er wird meinen, kämpfen und allein für sich selbst sorgen zu müssen. So erlebt er seine Welt und tut unbewußt alles, um ähnliche Situationen wie damals herzustellen. Er konkurriert mit anderen, wo besser Zusammenarbeit angesagt wäre. Er misst sich an zu hohen Maßstäben, verliebt sich in Partner, die ihn nicht wieder lieben. Er wird andere auf die Probe stellen und Ablehnung provozieren. Oder jemand, der damals dafür belohnt wurde, wenn er sich ungeschickt und abhängig verhalten hat, wird sich später verteufelt schwer tun, nicht immer wieder Misserfolge zu inszenieren. Er sucht sich eine Frau, die nicht zu ihm paßt, er verärgert und vernachlässigt seine Freunde, legt sich mit seinem Chef an, vertraut den falschen Geschäftspartner, investiert seine letzten Ersparnisse in Aktien, kurz bevor sie fallen – es ist so, als ob das Unglück ihn verfolgen, das Pech an ihm kleben würde. Oder jemand, der in einem emotional armen und strengen Elternhaus aufgewachsen ist, wird später möglicherweise dafür sorgen, dass er seine besten Jahre in einem karg eingerichteten Büro zubringt. Er wird ver-

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4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung

säumen, andere gerne zu haben und das Leben zu genießen, und erwartet insgeheim, irgendwann für seine Pflichterfüllung belohnt zu werden. Dass diese Belohnung entweder ausfällt oder ihm nicht das bringt, was er sich davon erträumt hat, verbittert ihn und bestärkt ihn darin, auch mit anderen streng und freudlos umzugehen. Und selbst wenn jemand diese Zusammenhänge durchschaut, wird es vielleicht noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis er diese alten Verhaltensmuster aufgeben kann. Denn mancher benützt seine Skriptvorlage, um daraus das genaue Gegenteil zu machen. Der Ungeliebte wird sich überall beliebt und unentbehrlich machen. Er oder sie hat dann viele gute Freunde und setzt alle Energie ein, gewinnend und liebenswürdig zu sein. Doch auf Grund seiner frühen Erfahrung, nicht liebenswert zu sein, glaubt er nicht daran. Der Pechvogel sucht sich und der Welt zu beweisen, dass er erfolgreich ist. Und der Zukurzgekommene gibt sich vorübergehend großzügig und genießt das Leben in vollen Zügen. Doch irgendwann kommt der Rückschlag, und der Betreffende kehrt zu seinem Skript zurück, enttäuscht, ernüchtert und resignierend. Dass unser Leben kein Schicksal ist, das uns aufgezwungen wird, sondern auf eigene frühe und spätere Entscheidungen zurückgeht, ist die Voraussetzung dafür, dass wir es verändern können. Wir haben die Wahl es unbewusst zu gestalten, indem wir die wirksamen Faktoren sich selbst überlassen, oder wir können bewusst Einfluss darauf nehmen, wie sich unser Leben künftig entwickelt wird, indem wir erkennen, was unsere Anteile daran sind und verantwortungsbewusst damit umgehen. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass sich unser Leben und unsere Wirklichkeit nicht nach einer einzigen Kausalität gestaltet, sondern nach drei unterschiedlichen. Schon von daher wird es mit Sicherheit keine ‚einfache‘ Lösungen geben können, sondern es werden unterschiedliche Strategien erforderlich sein. Es sollen hier C. Steiners drei Skript-Arten und Bernes sechs SkriptMuster dargestellt werden. Es kann gezeigt werden, dass Steiner beschreibt, wie die drei Grundtypen mit dem Leben umgehen und Berne zusätzlich in den jeweiligen Typ I und II differenziert. Es bestätigt sich, dass auch die Lebensskripts strukturtypisch sind. Dies ist freilich nicht besonders verwunderlich, denn die Persönlichkeitsstrukturen sind ja zusammen mit dem Skript entstanden, unter den gleichen Umständen und zum gleichen Zeitpunkt. Skript und Persönlichkeitstyp gehören zusammen. Sie sind die beiden Seiten einer Medaille.

Die drei Skripts nach C. Steiner

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4.2 Die drei Skripts nach C. Steiner Schon am Anfang der abendländischen Philosophie steht die Erkenntnis, dass das Leben eines Menschen Ausdruck seiner Persönlichkeit ist. Doch wir haben 2 1/2 Jahrtausende gebraucht, um zu verstehen, was Heraklit mit „Dem Menschen ist sein Wesen sein Schicksal“4 meint. Durch die Persönlichkeits- und Skripttheorie wird der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Lebensgestaltung verdeutlicht. Claude Steiner hatte in dieser Hinsicht eine glückliche Hand, als er drei Skriptarten unterschied, das No-Love-Script, das No-Mind-Script und das No-Joy-Script. Seine Skripttypen beschreiben eher Persönlichkeits- als Lebensmuster, da er noch ganz auf der psychologischen Seite bleibt. Dadurch hat mir sein Modell der drei Skriptarten geholfen beim Ausarbeiten des eigenen Modells der Persönlichkeitsdiagnostik und der Strategien zur Persönlichkeitsentwicklung. Auch Steiner benennt die Skripttypen jeweils nach der Störung im Persönlichkeitsbereich. Da die Reaktion auf die Störung zugleich der Kristallisationspunkt für die Persönlichkeitsbildung ist, entspricht das No-LoveScript dem Beziehungstyp, das No-Mind-Script dem Sachtyp und das NoJoy-Script dem Handlungstyp. Woollams und Brown veröffentlichten eine Zusammenstellung der drei Skripts.5 Sie zeigt nicht nur die Ursachen dieser drei Skriptarten, sondern gibt auch therapeutische Hinweise. Wenn man das jeweilige Skript richtig diagnostiziert, können seine Therapievorschläge als Leitlinien nützlich sein. Allerdings beschränkt er sich beim No-LoveScript auf die Therapie des Persönlichkeitsbereiches. Beim No-Mind-Script und beim No-Joy-Script werden mit der Verantwortlichkeit und den Gefühlen jeweils die Entwicklungsbereiche mit einbezogen (Tab.6). Die verloren gegangene Funktion oder Fähigkeit beim Lieblos-Skript des Beziehungstyps ist Intimität, Nähe zulassen oder Sich-einlassen-Können. Ursachen sind die frühen Verbote Sei nicht!, Sei nicht nah! und Vertraue nicht!. Die Folge ist ein defizitärer Zuwendungshaushalt. So wird Zuwendung anderer häufig umgedeutet und abgewertet, z. B. „Das ist nicht ehrlich gemeint“ oder „Der will nur etwas von mir“ oder „Der kennt mich noch zu wenig“ oder „Der nimmt mich wohl auf den Arm“ bzw. „Damit kann ich nicht gemeint sein“ oder „Der muss einen schlechten Geschmack haben, wenn er mich attraktiv findet“. Claude Steiner meint, dass schon den Kindern beigebracht wird, dass Zuwendung knapp sei und dass sie etwas dafür tun müssten, um sie sich zu verdienen. Damit macht man die Kinder steuerbar und manipulierbar. Sie werden dann auch als Erwachsene zu ähnlichen Bedingungen eine ähnliche Menge Zuwendung annehmen und geben. Dadurch sorgen sie für die in unserer Gesellschaft typisch schlechte Zuwendungsbilanz.

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4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung Tab. 6: Die drei Skripts nach Claude Steiner. Lieblos-Skript No-Love-Script

Geistlos-Skript No-Mind-Script

Freudlos-Skript No-Joy-Script

Verloren gegangene Funktion

Intimität

Bewusstheit

Spontaneität

Einschärfungen

Sei nicht! Sei nicht nah!

Denke nicht! Sei nicht du selbst!

Fühle nicht! Mach’s nicht!

Hauptmethode

Zuwendungshaushalt

Abwerten

Körper-Abspaltung

Skriptauszahlung banal tragisch

Depression Suizid

Verwirrung Geistesstörung

Langeweile Sucht

Zuwendung (ermutigen im Teilhaben)

Verantwortung (ermutigen im Denken)

Sammlung (ermutigen im Fühlen)

Therapeutische Leitlinie

Daraus resultieren Depressionen und Suizidneigungen. Statt als ‚Depression‘ sollte man hier diese Erfahrungen besser mit emotionalem Ausbrennen, innerer Leere, Traurigkeit und Verzweiflung bezeichnen, um sie von der ‚echten‘ Depression des Sachtyps zu unterscheiden, die andere Ursachen hat, anders erlebt wird und anders zu heilen ist.6 Als therapeutische Leitlinie schlägt er vor, den Klienten darin zu bestärken, sich mehr auf andere ein- und mehr Zuwendung zuzulassen. Mit diesen Therapieempfehlungen wird zwar der Persönlichkeitsbereich Beziehungs-Ich des Beziehungstyps stabilisiert, doch die Entwicklungsschwächen im Erkenntnis-Ich werden übersehen. Beim Geistlos-Skript des Sachtyps sind die Fähigkeiten des Wahrnehmens, Denkens und der Bewusstheit störbar. Nachzutragen wären die damit verwandten Fähigkeiten des Selbstbewusstseins und der Ich-Stabilität. Ursachen sind die frühen Verbote Denke nicht! und Sei nicht du selbst!. Der Betreffende wertet ab oder nimmt – besonders sich selbst – nicht wahr. Das führt zu Wahrnehmungs- und Denkstörungen, zu Verwirrung und Gemütserkrankungen. Was hier fehlt, sind Hinweise auf die ‚echte‘ Depression mit ihrer lähmenden und quälenden Niedergeschlagenheit und ihren Insuffizienz-Gefühlen. Als therapeutische Zielsetzungen schlägt Steiner vor, die Verantwortungsbereitschaft zu stärken. Beim Freudlos-Skript des Handlungstyps ist die Fähigkeit der Spontaneität verloren gegangen. Die Ursachen sind die frühen Verbote Fühle nicht! und Tu es nicht!. Die Folgen sind eine Abspaltung des Körpers bzw.

Bernes sechs Skriptmuster

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der Körperwahrnehmungen, der Bedürfnisse und Gefühle. Das führt zu Langeweile, die dann durch den Genuss von Suchtmitteln, meist in der Form von Alkohol, vertrieben wird. Als therapeutischen Weg empfiehlt Steiner Centering, d. h. die innere Wahrnehmung von Körperempfindungen und Gefühlen. Damit liegt er ganz auf der Linie der Schlüsselfähigkeiten des Handlungstyps und seines sympathiegeleiteten Wertesystems.

4.3 Bernes sechs Skriptmuster War es ein glücklicher Zufall oder intuitives Gespür, dass Berne sechs Skriptmuster beschrieb? Stewart und Joines fragen in ‚TA today‘: „Warum gibt es nur sechs Prozess-Themen? Warum sind diese in den verschiedenen Kulturen völlig gleich? Bisher haben wir darauf noch keine Antwort gefunden, und dies wäre noch ein lohnendes Arbeitsgebiet für weitere TAForschung.“7 Die Antwort ist recht einfach. Ich habe in ‚Der andere‘ darauf hingewiesen, dass man eigentlich bei jedem Strukturtyp und nicht nur beim Beziehungstyp I und II zwei Ausprägungen unterscheiden kann. Die sechs Skriptmuster entsprechen den drei bzw. sechs Persönlichkeitstypen, und zwar das Immer- und Danach-Skript dem Beziehungstyp I und II, das Niemals- und Beinahe-Skript dem Sachtyp I und II und das Erst-wenn- und Offenes-Ende-Skript dem Handlungstyp I und II. Freud hat mit der Erinnerung an Ödipus das kindliche Lebensdrama um das vierte und fünfte Lebensjahr veranschaulicht. Berne hat weitere Mythen als typische Skript- oder Lebensmuster herangezogen. Sie werden bei einem tragischen Skriptverlauf deutlicher sichtbar als bei banalen oder konstruktiven Skripts. Sie heißen: Immer-Skript Dieses bezieht sich auf Arachne. Sie hat die Göttin Athena zu einem Wettkampf im Spinnen herausgefordert und diese besiegt. Darauf wurde sie von der rachsüchtigen Göttin dazu verdammt, für immer spinnen zu müssen. Danach-Skript Es erinnert an Damokles. Er bewunderte und beneidete den König von Theben. Dieser gab ihm die Möglichkeit, für einen Tag seinen Platz auf dem Thron einzunehmen, doch zu der Bedingung, dass über ihm ein Schwert hing, nur gehalten von einem Pferdehaar. Zwar konnte er nun das herrliche Leben eines Königs führen, doch er musste immer damit rechnen, dass es danach ein schlimmes Ende mit ihm nehmen könnte.

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4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung

Niemals-Skript Dies handelt von Tantalus. Er wollte die allwissenden Götter hinters Licht führen. Er schlachtete seinen Sohn und setzte ihn den Göttern als Mahl vor. Er wurde verurteilt, im Wasser stehend Durst und umgeben von köstlichen Früchten Hunger leiden zu müssen. Wollte er sich bücken, um zu trinken, wollte er nach den Früchten greifen, so wichen Wasser und Früchte zurück So fand er niemals Stillung seines Hungers und Durstes. Zudem hing über ihm ein loser Felsbrocken, der auf ihn herabzustürzen und ihn zu erschlagen drohte. So litt er zudem unter Todesangst. Beinahe-Skript Es erzählt von Sisyphos. Ihm, ein Vorbild an Schlauheit und List, gelang es, den Tod zu fesseln und sich aus der Unterwelt davonzustehlen. Niemand konnte mehr sterben. Seine Strafe war, dass er einen Felsbrocken auf einen Berg wälzen musste, der ihm jedes Mal entglitt, wenn er beinahe das Ziel erreicht hatte. Erst-wenn-Skript Es verweist auf Herakles. Dieser hatte in einem Anfall von Wahn seine Kinder getötet. Um diese Untat zu sühnen, stellte er sich gehorsam in den Dienst seines königlichen Vetters. Dieser trug ihm auf, übermenschliche Taten zu vollbringen. Erst wenn er diese Aufträge erledigt hatte, konnte er mit Erlösung rechnen. Herakles hat diese und viele, viele andere Aufgaben gemeistert. Offenes-Ende-Skript Es erinnert an Philemon und Baucis. Ihre Gastfreundschaft und ihre gegenseitige Zuneigung wurden von den Göttern belohnt. Sie wurden von den Göttern in Bäume verwandelt, die nebeneinander stehen und sich mit ihren Zweigen berühren. Vielleicht erschien dieses Bild der Harmonie Berne abschreckend langweilig. Er wollte damit zeigen, wie ein von Pflichten geprägtes Leben seinen Sinn verliert und ein offenes Ende hat, wenn diese Pflichten wegfallen.

4.4 Das Immer- und Danach-Skript des Beziehungstyps Der Ehrgeiz und das Konkurrieren der Ariadne mit der Göttin Athena, aber auch ihr Können passen gut zum Beziehungstyp I. Dieses ImmerSkript zeigt sich z. B. daran, dass jemand noch lange an einer gescheiterten Beziehung festhält. Entweder er bleibt trotz besseren Wissens in der Beziehung oder führt sie innerlich weiter, auch wenn sie real nicht mehr besteht. Wie ist dieses Skriptmuster zu erklären?

Das Immer- und Danach-Skript

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Der skriptgebundene Beziehungstyp I erlebt Trennungen als existentiell bedrohlich. Er zweifelt dann am Sinn des Lebens, an der eigenen Existenzberechtigung und verfällt in einen Zustand schmerzlicher Verzweiflung und quälender Sinnlosigkeit. Sein Vertrauen in die befreiende Wirkung der Erkenntnis und die heilenden und tragenden Kräfte der Wirklichkeit ist gering. Um diesem Leid zu entgehen, hält er lieber an der Hoffnung fest und versucht es wieder und wieder. Dazu kommt der schwache Realitätsbezug des Beziehungstyps I, der gegen das Idealbild, das er sich von der Beziehung gemacht hat, nicht ankommt. Es ist ähnlich wie bei der für ihn typischen Ideologieanfälligkeit, in der die Idealvorstellung wirklicher erlebt wird als die Realität. Weitere Gründe für das Festhalten an dem Immer-Skript könnten die Schwierigkeiten sein, loszulassen, sich Fehler und Enttäuschungen einzugestehen und sich schwach und hilflos zu erleben und die anderen für sich zu brauchen. Dass jemand, wie Stewart und Joines anführen, immer wieder den gleichen Fehler macht, gilt für jedes Skriptverhalten. Auch das dort beschriebene Sprachverhalten, dass jemand ständig in verschiedene Richtungen redet, ist eher typisch für das Niemals-Skript.8 In der Unterhaltung bemüht sich jemand im Immer-Skript, brillant zu wirken, ‚in‘ zu sein, häufig mit einer kritisch bis zynisch abwertenden Tendenz. Er bewegt sich auf einem anspruchsvollen Niveau, ohne Risiken einzugehen, also eine ungeschützte Meinung zu äußern oder zu fragen, wenn er etwas nicht verstanden hat. Im positiven Sinne geht es ihm um Realitätsvergewisserung, er durchleuchtet konkret und genau seine Beziehungsverhältnisse, sein Leben und seine Erfahrungen. Die Begeisterungsfähigkeit, der Neid und die Bewunderung des Damokles für den König von Theben verweisen auf den skriptgebundenen Beziehungstyp II. Er kann das Gute nicht wirklich genießen, denn er befürchtet, dass etwas Schlimmes nachkommt. Da er mit Enttäuschungen rechnet, lässt er sich erst gar nicht richtig ein auf eine Beziehung. Lieber beendet er sie selbst, als dass er dem anderen die Möglichkeit gibt, ihm dies anzutun. Da er heimlich der Vertrauenswürdigkeit anderer misstraut, was er hinter einem liebenswürdigen Retterverhalten verbirgt, münden seine Mischung aus Wunschdenken und der Mangel an tiefer gehenden, echten Lebenserfahrungen häufig in eine etwas zynische Auffassung über das Leben und die Mitmenschen.

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4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung

4.5 Das Niemals- und Beinahe-Skript des Sachtyps Das Niemals- und das Beinahe-Skript beschreiben Lebens- und Verhaltensmuster des Sachtyps. Beide, Tantalus und Sisyphos, wollten die Götter überlisten und demütigen. Man kann vermuten, dass sie Autoritätsprobleme hatten. Beide sind schlau oder klug. Tantalus will die Allwissenheit der Götter in Frage stellen. Sisyphos gelingt es mit seiner Klugheit, sogar für eine Zeit die Weltordnung außer Gang zu setzen. Beide werden, weil sie die Götter herausgefordert haben, dazu verurteilt, das, was sie wollen, nicht zu erreichen. Das Niemals-Skript des Tantalus paßt zu dem eher sinnenhaften und gemütlichen Sachtyp I. Es geht hier zweimal ums Essen, bei seinem frevelhaften Tun und bei der Bestrafung. Daß er spürbar im Wasser steht, aber dursten muß, daß die Früchte greifbar vor ihm hängen, er ihren Duft riechen, sich an ihren Formen und Farben weiden kann, aber hungern muß, ist eine sehr sinnenhafte Bestrafung. Auch die mehr als ungemütliche Bedrohung durch den herabzustürzen drohenden Felsen ist auf ihn zugeschnitten. Das Beinahe-Skript des Sisyphos entspricht dem etwas hypochondrischen und grüblerischen Sachtyp II. Er stammt aus einer späteren Entwicklungsphase, ist also schon klüger und realistischer. Er erreicht sein Ziel immerhin beinahe. Wenn sich der Felsbrocken überhaupt nicht bewegen ließe, würde er sich vermutlich resigniert daneben setzen. Doch so kann er sich immer wieder Mühe geben und anstrengen, auch wenn es zum Schluß aufs Gleiche hinausläuft. Er wird bestraft durch die Eintönigkeit und Sinnlosigkeit seines Tuns. Er hat allen Grund, sich zu bemitleiden, unzufrieden zu sein und depressiv zu werden. Das Bild von Sisyphos erinnert mich an das Grau-in-Grau des intellektuellen Lebens, das resignierend erkennt und nichts verändert. Die meisten Befragten stellen sich die Situation des Tantalus farbig, die des Sisyphos in Schwarzweiß vor. Auch das sind Hinweise auf das eher sinnenhafte Leben des Sachtyps I und das grüblerische des Sachtyps II. Taibi Kahler hat auf einen zweiten Typus des Beinahe-Skripts aufmerksam gemacht. Während der erste Typus sein Ziel knapp verfehlt, erreicht es der zweite, doch er nimmt kaum davon Notiz und steckt sich schon das nächste Ziel. Wenn er eine Arbeit erledigt hat, genießt er nicht die Früchte seines Tuns, sondern beginnt sofort eine neue. Er wälzt also den Felsbrocken von einer Anhöhe auf die nächsthöhere usw. Auch so kann er sich fortwährend anstrengen, ohne je zufrieden zu sein. Wenn jemand seine Erfolge nicht registriert, erfährt er sich ebenso als erfolglos wie jemand, der keine hat. Auch das ist typisch für den Sachtyp. Es erklärt sich aus seinem Mangel an Selbstwahrnehmung, der Selbstabwertung oder -mißachtung.

Das Erst-wenn- und Offenes-Ende-Skript

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Auch hier geht es häufig um geistige Anstrengungen. So berichten Stewart und Joines von einer Johanna, die schon in der Schulzeit sehr gute Zeugnisse und ein ebenso gutes Abitur gemacht hatte. Sie hat dann studiert, ihre Examen mit Auszeichnung bestanden, promoviert und bereitet sich jetzt auf die Habilitation vor. Ihre Kolleginnen und Kollegen beneiden sie. Doch sie selbst hat keineswegs das Gefühl, ‚es geschafft‘ zu haben. Inzwischen hat sie neue Pläne. Sobald sie Privatdozentin sei, wolle sie eine Professur anstreben. Typisch dabei für das Beinahe-Skript ist, daß das durchgängige Gefühl der Selbstzufriedenheit und Genugtuung fehlt.

4.6 Das Erst-wenn- und Offenes-Ende-Skript des Handlungstyps Das Erst-wenn-Skript des kämpferischen Handlungstyps I ist wie bei Herakles von Gehorsam einer Person, einer Firma, einer Partei oder Institution gegenüber bestimmt. Er übernimmt eine Aufgabe nach der anderen und erwartet, dafür belohnt zu werden: ‚Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.‘ Er scheitert nicht an seinen Aufgaben. Wohl aber darf man annehmen, daß die Lebensfreude zu kurz kommt. Daß Herakles in rasender Wut seine Kinder tötete, könnte man so deuten, daß er in einen für ihn fast unlösbaren Konflikt geraten ist zwischen Pflichterfüllung und Abneigung gegenüber der Person, der er Gehorsam schuldig zu sein meint, und daß er in sich das Lebendige, die Bedürfnisse und Gefühle abtöten mußte, um seine Pflicht erfüllen zu können. Beim Offenes-Ende-Skript läßt sich der verläßliche Handlungstyp II eher von einer ethisch begründeten Pflichterfüllung leiten. Dies paßt zu dem gastfreundlichen Verhalten von Philemon und Baucis. Das Leben in diesem Skript wird dann als leer und sinnlos erfahren, wenn die gewohnten Pflichten wegfallen, etwa wenn die Kinder aus dem Haus sind, man selbst in Rente oder Pension geht oder ein Partner, für den man gelebt hat, stirbt. Selbst der Tod eines Haustieres kann die Lebensfreude dauerhaft einschränken. Sie verbinden ihr sympathiegeleitetes Wertesystem mit Gehorsam oder Pflichterfüllung. Doch das kann leicht zu Enttäuschungen führen, denn, wie das Sprichwort sagt: Undank ist der Welt Lohn. Möglich, daß Berne hier über sein eigenes Skript gestolpert ist. Denn nachdem es bei allen anderen Skripts Strafen waren, wird hier eine Belohnung zum Skript. Das erinnert an die ‚guten‘ Spiele des Handlungstyps in seiner Spielanalyse, die keineswegs so harmlos sind, wie es für ihn den Anschein hatte. Zum Thema ‚Offenes-Ende-Skript‘ kenne ich selbst einige Beispiele, wo Menschen kurz nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben schwer erkrankten und starben. Eigentlich ist der Mythos von Philemon und Baucis ein Bild der ehe-

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4. Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung

lichen Liebe, die selbst den Tod überdauert. Das entspricht dem sympathiegeleiteten Wertesystem des Handlungstyps und seinen etwas konventionellen Verhaltensmustern. Möglich, daß Berne sich danach gesehnt hat, ohne es sich einzugestehen. Er soll ein innerlich einsamer Mensch gewesen sein.

5. Wie sich die Persönlichkeitstypen in Märchen spiegeln 5.1 Jeder Strukturtyp hat seine eigenen Märchen Dass sich der Persönlichkeitstyp und sein Skript auch in literarischen Werken – im Thema, der Lösung und einer typspezifischen Sprache – spiegeln, bestätigt in welchem hohen Maße sie das Selbstverständnis und die Lebensgestaltung eines Menschen beeinflussen. Dass der Persönlichkeitstyp des Künstlers sich in seinem Werk ausdrückt, dürfte generell für jede künstlerische Äußerung von Rang gelten. In diesem Kapitel möchte ich mich auf die Analyse von Märchen beschränken und im Folgenden einige Beispiele aus Dramen behandeln. Aus solchen Untersuchungen können rückwirkend zusätzliche Informationen über die Persönlichkeitstypen gewonnen werden. In den Märchen wird uraltes Wissen übers Leben vermittelt, verschlüsselt für unseren Verstand, aber anschaulich für das bildhafte Denken unseres Unbewussten. Wir verstehen sie, obwohl wir sie nicht verstehen. Und sie wurden ursprünglich ebenso den Erwachsenen wie den Kindern erzählt. Intuitiv wissen Menschen, die sich mit Märchen befassen und die erleben, wie Kindern ihre Freude daran haben, dass Märchen etwas Wertvolles sind. Sie helfen den Kindern ihre Welt zu verstehen, indem sie ihnen einfache Muster geben, um von Einzelerfahrungen auf Sinnzusammenhänge schließen zu können. Doch Märchen gehen über die Welt des Kindes hinaus. Sie bereiten sie auch aufs spätere Leben vor. Welch wertvolle Informationen in den Märchen enthalten sind, kann zumindest teilweise mit Hilfe des entwicklungspsychologischen Ansatzes der Persönlichkeitstypen gezeigt werden. Frägt man Erwachsene nach ihren Lieblingsmärchen, wie das etwa in der Transaktionsanalyse gemacht wird, um ihr Lebensskript zu ermitteln, so nennen sie meist Märchen, die zu ihrem Strukturtyp passen. Ihnen von der Thematik her fremde Märchen haben sie oft vergessen oder können sich nur noch dunkel an sie erinnern. Jene Märchen, die ihnen heute noch etwas bedeuten, folgen a) dem Muster Schneewittchen1: Zunächst besteht eine für die Heldin lebensbedrohliche und sie benachteiligte Ausgangs- und Konkurrenzsituation, sie wird über einen längeren Zeitraum schlecht und ungerecht be-

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

handelt, doch die Wahrheit bringt es an den Tag; dann folgen Erlösung, Hochzeit mit dem Prinzen und grausame Bestrafung der Bösen, b) dem Muster Tapferes Schneiderlein2: Der unscheinbare und unterschätzte Held besteht durch List und Mut allerhand Gefahren und gewinnt, nach manchem Auf und Ab und nach der Maxime ‚wer wagt gewinnt‘, schließlich Lohn und Anerkennung, c) dem Muster Rapunzel3: Aus Liebe oder Lebensfreude werden Verbote überschritten; zur Strafe wird jemand verwünscht oder verwandelt und schließlich, dank des Lebensprinzips, dass Liebe stärker ist als alle Schranken und Verbote, durch Liebe wieder befreit. Das erstaunliche Ergebnis der Untersuchungen ist: Märchen sind eindeutig typspezifisch, d. h. jeder Persönlichkeitstyp hat seine eigenen Märchen. Sie unterscheiden sich thematisch, von ihrer inneren Dynamik her – wie entstehen die Schwierigkeiten und wie werden sie gelöst – und sie unterscheiden sich sprachlich. In ihnen werden die typspezifischen Wertesysteme erkennbar, nicht nur, dass die Helden nach ihnen handeln, das ganze Märchen ist von ihnen durchtränkt, die Märchen selbst sind entweder erkenntnisgeleitet, erfolgsgeleitet oder sympathiegeleitet. Und die damit zusammenhängenden Schlüsselfähigkeiten bestimmen den Gang der Lösung. Und – was noch zu untersuchen ist – stimmt auch die andere, die ontologische Seite zur psychologischen? Ist in ihnen die den Schlüsselfähigkeiten entsprechende Energie – Geist, Kraft oder Liebe – wirksam, ist die dazugehörige Zeitdimension erkennbar – bezieht es sich auf die Vergangenheit, die Zukunft oder die Gegenwart – und funktioniert es nach der zu ihnen passenden Kausalität – ist in dem Märchen eher die Zielkausalität, die Ursache-Wirkung-Kausalität oder die paradoxe oder gegenläufige Kausalität wirksam? Das würde bedeuten, dass auch schon die Märchen die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Damit käme ihnen ein hoher pädagogischer Wert zu, bzw. er würde bestätigt, da er ohnehin von Fachleuten, von Pädagogen und Psychologen, angenommen wird. Und es wäre eine weitere Bestätigung dafür, wie prägend die Persönlichkeitstypen sind, auch was kulturelle Schöpfungen betrifft, und wie stilsicher die Schöpfer der Märchen sie gestaltet haben – vermutlich deshalb, weil sie dabei ganz ihrer Intuition gefolgt sind. Diese drei Arten von Märchen sind so deutlich verschieden im Stil, in den Inhalten und in der Sprache, dass man von drei Gattungen sprechen kann. Ausgehend von den typischen wiederkehrenden Motiven nenne ich die Märchen des

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Beziehungstyps Konkurrenz-Märchen, die des Sachtyps Abenteuer-Märchen und die des Handlungstyps Verwandlungs-Märchen, oder gelegentlich einfach Beziehungstyp-Märchen, Sachtyp-Märchen oder Handlungstyp-Märchen.

5.2 Die Konkurrenz-Märchen des Beziehungstyps Einige der bekanntesten Märchen wie ‚Schneewittchen‘, ein Teil von ‚Brüderchen und Schwesterchen‘, ‚Die Gänsemagd‘‚ ‚Frau Holle‘ und ‚Aschenputtel‘, aber auch weniger bekannte wie ‚Die weiße und die schwarze Braut‘ schildern die Grunderfahrungen des Beziehungstyps, die ödipale Konfliktsituation verbunden mit einer existentiellen Bedrohung. Märchen benützen wie Träume die Technik der Verschiebung. Die Auseinandersetzung wird nicht mit den Eltern und Geschwistern geführt, sondern mit einer bösen Schwiegermutter oder missgünstigen Stiefschwestern, die Liebe gilt nicht dem gegengeschlechtlichen Elternteil, sondern einem Prinzen. Die Märchen des Beziehungstyps erzählen von der partiellen Ablehnung oder der bedingten Annahme, die er erfahren hat, dem Konkurrieren um den gegengeschlechtlichen Elternteil, den Antreibern (Sei stark! und Mach’s anderen recht!) und den Erlösungshoffnungen des Beziehungstyps, dem Warten auf den Märchenprinzen. Bei Schneewittchen werden die Ausgangsbedingungen des Beziehungstyps besonders deutlich. Die ödipale Konkurrenzsituation: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ und die Ablehnung sind hier zugespitzt: ‚Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so hasste sie das Mädchen.‘ Sie befiehlt dem Jäger, das Kind in den Wald zu bringen und zu töten. Doch Schneewittchen bittet den Jäger, ihm sein Leben zu lassen. ‚Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleid.‘4 Oder in ‚Die Gänsemagd‘: ‚und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der Stelle umgebracht worden.‘ Hier wird das Gefühl der existentiellen Bedrohung des Beziehungstyps deutlich, das Kind erlebt feindselige Botschaften, fühlt sich unerwünscht, abgelehnt, für das Kind eine Frage von Leben oder Tod. Doch es will leben. Es muss für sich selbst sorgen, vorsichtig, auf der Hut sein, und es muss die anderen für sich gewinnen, liebenswert sein. Die existentielle Bedrohung wird der Erwachsene später zwar ‚vergessen’. Sie wird nur noch ahnungsweise spürbar hinter dem Streben, hervorragend, brillant, klüger, schöner als alle anderen zu sein, oder in dem Bedürfnis, andere zu ‚retten‘.

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Doch in Krisensituationen können im Beziehungstyp wieder die frühen Erfahrungen der Ablehnung aufbrechen. Dann spürt er Impulse, nicht mehr leben zu wollen. Das Leben hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen kann als eine Zurücknahme des kindlichen Begehrens und als eine siebenjährige Latenzzeit zwischen der ödipalen Phase und der Pubertät verstanden werden. Das erkenntnisgeleitete Wertesystem des Beziehungstyps wird hier auf der Seite des Bösen, also negativ sichtbar, nicht Schneewittchen, sondern die böse Stiefmutter denkt und plant: ‚Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte …‘. „Nun aber“, sprach sie, „will ich etwas aussinnen, das dich zugrunde richten soll.“ Auch der wissende und sprechende Spiegel und der durchsichtige Sarg aus Glas dürften Symbole für das Erkennen sein. Dass die Schlüsselfähigkeiten Denken und Erkennen bei Schneewittchen selbst kaum sichtbar werden und es sich immer wieder von der Stiefmutter überlisten lässt, dürfte mit dem bürgerlichen Bild der Mädchenerziehung zusammenhängen. So schreibt L. Mourey über den Märchenautor Perrault (1628–1703): ‚Wie wir gesehen haben, sind die Märchenheldinnen sehr hübsch, loyal, ihren Hausarbeiten zugeneigt, bescheiden und fügsam und manchmal ein wenig dumm, sofern es wahr ist, dass für Perrault Dummheit beinahe eine Qualität von Frauen darstellt. Intelligenz könnte gefährlich sein.‘5 Da sie selbst nicht denken dürfen, müssen sie auf die Erlösung warten. Das war nicht immer so. In einer frühen Fassung des ‚Rotkäppchens‘ überlistet dieses den Wolf und kann entkommen. Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn wie bei Ödipus finden sich im Volksmärchen kaum. Vermutlich waren sie zu tabuisiert, um vom Märchen aufgegriffen zu werden. Wir finden das Thema in der DietrichSage, dem älteren Hildebrandslied (um 810 bis 820). Dort wird der heimkehrende alte Hildebrand von seinem Sohn Hadubrand zum Zweikampf aufgefordert. Der Vater erkennt ihn und gibt sich zu erkennen. Doch der Sohn glaubt dem Vater nicht. Mitten in der Schilderung des Kampfes bricht die Handschrift ab. Doch kann aus anderen Quellen erschlossen werden, dass der Vater den Sohn erschlägt. Eine der wenigen Ausnahmen könnte ‚Der Teufel mit den drei goldenen Haaren‘ sein. Dort versucht ein König dreimal ohne Erfolg das Glückskind, den künftigen Mann seiner Tochter, zu töten. In ‚Brüderchen und Schwesterchen‘ wird die ödipale Konfliktsituation erst gegen Ende des Märchens thematisiert. Der erste Teil des Märchens gehört zu den Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps, wird bestimmt von den Themen Tu es nicht und dem Erlauben ‚bat so lange, bis es einwilligte‘, sowie von Fürsorge, Zuneigung und Daseinsfreude: ‚Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft‘ und

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endet typisch mit ‚ … und lebten sie lange Zeit vergnügt zusammen‘. Man sollte meinen, dass so oder ähnlich alle Märchen enden. Doch dies trifft nur auf die sympathiegeleiteten Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps zu. Im zweiten oder mittleren Teil wird es zum Konkurrenz-Märchen des Beziehungstyps. Nun taucht auch hier eine neidische Stiefschwester auf, von der im ersten Teil des Märchens noch nicht die Rede war. Die böse Stiefmutter erstickt die schöne junge Königin in der Badestube und legt dem König ihre hässliche, einäugige Tochter ins Bett. Die ermordete Königin kann den Betrug aufdecken, indem sie immer um Mitternacht zu ihrem Kind und dem Brüderchen kommt. Als der König sie als seine liebe Frau erkennt, erhält sie ihr Leben wieder. Sie kann sich nicht selbst helfen – das Erkennen des Königs erlöst sie aus dem Tod. Dieser Teil endet wie alle Konkurrenz-Märchen mit der grausamen Bestrafung der Bösen: ‚Die Tochter ward in den Wald geführt, wo sie die wilden Tiere zerrissen, die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und musste jammervoll verbrennen.‘ Dann kehrt das Märchen zum VerwandlungsMärchen zurück: ‚Und wie sie zur Asche verbrannt war, verwandelte sich das Rehkälbchen und erhielt seine menschliche Gestalt wieder; Schwesterchen und Brüderchen aber lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.‘ Hier wird der königliche Gemahl nicht mehr erwähnt. Dies zeigt nochmals, dass hier zwei verschiedene Märchen mit unterschiedlichen Motiven zusammengefügt wurden. Auch bei ‚Frau Holle‘ ist die Ausgangssituation der Konflikt zwischen dem schönen und fleißigen Mädchen und der ‚bösen Mutter‘, der Stiefmutter, und ihrer hässlichen und faulen Tochter. Das arme Mädchen muss so viel spinnen, dass seine Finger wund werden und die Spindel blutig wird. Dieses häufig auftauchende Motiv der Blutstropfen wird als Hinweis auf die beginnende Geschlechtsreife verstanden. Als das Mädchen die Spindel im Brunnen abwaschen will, fällt sie ihm hinab. Die Stiefmutter zwingt es, in den Brunnen zu springen, d.h., auch sie wünscht seinen Tod. Doch das Mädchen erwacht in einer anderen Welt. Dort bewährt es sich, ähnlich wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen, durch Hilfsbereitschaft und Fleiß. Wieder kann man an die Jahre zwischen der ödipalen Phase und dem Erwachsenwerden denken. Das erkenntnisgeleitete Wertesystem wird hier in dem Brunnen mit seinem reinigenden Wasser sichtbar, der in Träumen oft für tiefes Erkennen steht. Auch das Erwachen nach dem Sprung in den Brunnen deutet darauf hin: ‚… und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen.‘ Aschenputtel ist von allen die klügste, weiß am ehesten, sich selbst zu helfen. Sie erreicht es, beim Tanz im Schloss des Königs dabei zu sein, das

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Herz des Königssohns zu gewinnen und ihm listig zu entkommen. Im Erstdruck (1812) des Märchens wird das Konkurrieren noch deutlicher als in der späteren Endfassung: Aschenputtel sieht in der ersten Ballnacht von ferne die Schwestern mit dem Prinzen tanzen, ‚und es war ihm schwer ums Herz‘. Doch am nächsten Abend ist es nicht nur dabei, ‚als da der Glanz der viel tausend Lichter auf es fiel, da war es so schön, dass jedermann sich darüber verwunderte, und die Schwestern standen auch da und ärgerten sich, dass jemand schöner war wie sie‘.6 Als Aschenputtel am nächsten Morgen die Schwestern trifft – diese ‚sahen verdrießlich aus und schwiegen still‘ –, bemerkt sie scheinheilig: ‚Ihr habt wohl gestern Abend viel Freude gehabt.‘ Ihr Ballkleid für den dritten Abend war ‚noch viel herrlicher und prächtiger als das vorige … und als Aschenputtel damit angekleidet war, da glänzte es recht, wie die Sonne am Mittag … Und waren gestern alle über ihre Schönheit erstaunt, so erstaunten sie heute noch mehr und die Schwestern standen in der Ecke und waren blass vor Neid …‘ Eigenartigerweise scheint es mehr am Tanzen mit dem Königssohn als an ihm interessiert zu sein. Auch wird nichts darüber berichtet, was typisch ist für die Konkurrenz-Märchen, dass sich Aschenputtel gefreut hätte, als sie der Königssohn findet und zu seiner Frau macht, noch, dass die Ehe glücklich geworden wäre. Man denkt gewöhnlich, dass alle Märchen damit enden, dass die Guten glücklich und zufrieden leben – doch das gilt eindeutig nur für die Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps mit ihrem sympathiegeleiteten Wertesystem. Dort werden Freude, Glück und Liebe immer sehr deutlich ausgesprochen. Statt dessen enden die KonkurrenzMärchen des Beziehungstyps in der Regel mit der Bestrafung der Bösen. Im Erstdruck besteht die Strafe, abgesehen von der abgeschnittenen Ferse und dem abgeschnittenen Zeh darin, dass die Stiefmutter und die beiden stolzen Schwestern erschrecken und bleich werden, als der Prinz ‚die rechte Braut‘ erkennt: In der Endfassung werden ihnen noch von den beiden Tauben die Augen ausgepickt. ‚Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag gestraft.‘ ‚Allerleirauh‘ gehört auch zu den klugen Märchenheldinnen. Da ihr eigener Vater sie heiraten möchte, verkleidet sie sich und versteckt sich im Wald. Hier wird das ödipale Thema des Beziehungstyps direkt angesprochen. Dann wird sie von den Jägern eines anderen Königs entdeckt und mitgenommen. Sie verbirgt ihre Schönheit, indem sie sich das Gesicht mit Ruß schwarz macht und einen Mantel aus allerlei Fellen trägt. Doch bei Festen des Königs erscheint sie kurze Zeit, tanzt mit ihm und verschwindet wieder. Der König verliebt sich in sie, kann sie aber nicht finden. Beim nächsten Fest macht sie das gleiche, ‚zog den Pelzrock aus und wusch sich den Ruß vom Gesicht und den Händen ab, dass ihre Schönheit hervor

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kam, recht wie die Sonne aus den Wolken.‘ Schließlich überlistet sie der König und ‚sie konnte sich nicht mehr verbergen‘ und heiratet sie. Wenn schon die Märchenheldinnen nicht immer eindeutig klug sind, so ist doch die Welt in den Konkurrenz-Märchen im ganzen erkenntnishaltig. Die Wahrheit kommt ans Licht, ein Stolpern über einen Strauch (Schneewittchen), das traumartige Erscheinen der ermordeten Königin (Brüderchen und Schwesterchen), das Gold und Pech regnende Tor (Frau Holle) oder die beiden Täubchen (Aschenputtel) sorgen für Wahrheit und Gerechtigkeit. Diese Märchen sagen aus, dass die Wirklichkeit selbst erkenntnisgeleitet ist.

5.3 Die Abenteuer-Märchen des Sachtyps Die Märchen des Sachtyps sind Abenteuer-Märchen. Es geht hier um die Themen ‚Wer bin ich?‘ und ‚Was kann ich?‘, also um Selbsterfahrung, Selbstbewusstsein und Selbstbestätigung, aber auch um Selbstüberschätzung und Selbstzweifel. Dabei werden schwierige Situationen gemeistert, und am Ende stehen zumeist Erfolg, Anerkennung und Belohnung. Sie schildern die Entwicklungslinie vom Denken zum Handeln, die Erprobung der Schlüsselfähigkeiten des Sachtyps wie Mut, Entschlossenheit, Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen. Beispiele für solche Märchen sind ‚Der gestiefelte Kater‘, ‚Daumerlings Wanderschaft‘, ‚Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen‘, ‚Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack‘ oder ‚Das tapfere Schneiderlein‘. Die erfolgsgeleiteten Abenteuer-Märchen des Sachtyps enden mit dem Sieg, der Versöhnung mit dem Schicksal und häufig mit einer gewissen Selbstironie. Der Müllersohn wird König und der gestiefelte Kater sein erster Minister. Daumerling überreicht dem Vater den Kreuzer, den er von seiner Wanderschaft erworben hat: „Dafür bring‘ ich dir auch ein Stück Geld mit.“ Der ‚der auszog, das Gruseln zu lernen‘ weiß endlich, was das ist, das Gruseln. Vom dritten Bruder in ‚Tischlein deck dich‘ ist nicht weiter die Rede. Es endet damit, dass der Vater endlich mit seinen drei Söhnen zufrieden ist. Und das tapfere Schneiderlein bleibt sein Lebtag ein König. In diesen Märchen wird das Glück des Tüchtigen sichtbar; es gilt: ‚Frisch gewagt ist halb gewonnen‘, und die Wirklichkeit selbst ist erfolgsgeleitet. Derjenige, von dem man es am wenigsten erwartet, ist schließlich der Held: „Ich habe es am schlimmsten getroffen; was soll ich mit dem Kater anfangen? Lass‘ ich mir ein Paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell machen, so ist meine Erbschaft auf“ (Der gestiefelte Kater. Häufig ist es der Kleinste oder Jüngste – ‚Iwan, der Jüngste, aber nicht der dümmste‘ wird

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

in einem russischen Märchen immer wieder gesagt, wenn der Name des Helden fällt. Der Erzählstil ist witzig und reflektiert. Die Themen der Märchenwelt werden teilweise noch verwendet, aber nicht mehr in einer magisch-zwingenden Form, sondern spielerisch. Die Abenteuer-Märchen haben ähnliche Themen und Figuren wie die Sagen: Riesen, Räuber, Könige, Zauberer, Gespenster. Doch es kommen darin auch die Berufe des Mittelalters vor, Müller, Schreiner, Schneider, Soldaten, Ärzte, Schmiede, Drechsler und Bauern. Daumerling wird so vorgestellt: ‚Der hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater: „Vater, ich soll und muss in die Welt hinaus.“ Er scheut sich nicht, seine Frau Meisterin wegen des schlechten Essens zu verspotten. Und als sie böse auf ihn wird, streckt er ihr die Zunge heraus. Sein nächstes Abenteuer erlebt er mit Räubern. Diese wollen den Schatz des Königs stehlen. Daumerling überlistet die Schildwachen und treibt seinen Spott mit ihnen. Nach dem gelungenen Raub machen ihm die Räuber den Vorschlag: „Du bist ein gewaltiger Held, willst du unser Hauptmann werden?“ Bei einem seiner nächsten Abenteuer gerät er dann in bedrohliche Situationen. Er wird von einer Kuh verschluckt und, als man diese schlachtet, in eine Wurst gestopft. Schließlich wird er beinahe noch von einem Fuchs gefressen. Dieser Wechsel des Selbstwertes – vom kleinen Däumling zum gewaltigen Helden und dann wieder zum armen Würstchen – ist charakteristisch für das noch nicht gefestigte Selbstgefühl des Sachtyps. Durch Selbstüberschätzung und Leichtsinn gerät er in klägliche Opfersituationen. Auf Pechsträhnen folgen glückliche Umstände. Er stolpert in gefährliche Situationen hinein, doch mit Mut und List weiß er sich zu helfen, oder er findet Hilfe durch andere, z.B. bei weisen Frauen. Im Märchen ‚Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen‘ wird der Held als jemand vorgestellt, der recht einfältig ist, nichts begreifen und nichts lernen konnte, während sein älterer Bruder klug und gescheit ist. Dafür kennt der jüngste im Gegensatz zum älteren Bruder keine Furcht. Auch dies darf man als zwei Seiten der gleichen Persönlichkeit sehen, das Schwanken zwischen bedenkenlosem Mut und ängstlicher Klugheit. Der Junge besteht nun allerhand Abenteuer, mit einem Küster, der sich als Gespenst verkleidet, mit sieben Gehenkten, die er am Feuer wärmt, mit schwarzen Katzen und Hunden in einem verwunschenen Schloss, gräulichen Männern, mit denen er mit Totenköpfen kegelt, seinem toten Vetter und einem starken, bärtigen Mann, den er überlistet und der ihn dann reich macht. Doch all diese Erfolge berühren ihn kaum, und er vergisst sie rasch wieder. Diese Selbstvergessenheit ist durchaus typisch für den Sachtyp. Er

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lernt das Gruseln erst, als ihm seine Frau nachts, als er schläft, die Decke wegzieht und einen Eimer voll kalten Wassers mit Grünlingen über ihn herschüttet, dass die kleinen Fische um ihn herumzappeln. Da wacht er auf und ruft: „Ach, was gruselt mir, was gruselt mir …“ Ähnlich wie der Vater in ‚Von einem, der auszog …‚ von seinem jüngsten Sohn nicht viel hält: „aber an dir ist Hopfen und Malz verloren“, geht es dem Vater in ‚Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack‘ mit seinen drei Söhnen: ‚ „O die Lügenbrut!“ rief der Schneider, „einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!“‘ Er tut ihnen Unrecht. Die drei Söhne lernen jeder ein Handwerk und werden von ihrem Meister belohnt. Doch zwei der Söhne werden von einem Wirt bestohlen, sodass sie mit leeren Händen zurückkommen. Und wieder ist der Vater von seinen Söhnen enttäuscht. Erst der jüngste Sohn kann die Kostbarkeiten wieder herbeischaffen. Auch ‚Das tapfere Schneiderlein‘ behandelt in ironischer Form das Thema der richtigen Selbsteinschätzung und Einschätzung durch die anderen. Als es ‚siebene auf einen Streich‘, nämlich sieben Fliegen, erschlägt, ‚musste es selbst seine Tapferkeit bewundern, „das soll die ganze Stadt erfahren.“ – „Ei, was Stadt!“ sprach es weiter, „die ganze Welt soll’s erfahren!“‘ Das tapfere Schneiderlein besteht nun erfolgreich Abenteuer auf Abenteuer und wird schließlich König. Eine interessante Stelle ist die, als das Schneiderlein im Schlaf redet: „Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen!“ und die junge Königin merkte, ‚in welcher Gasse der junge Herr geboren war‘. Ihr Vater tröstet sie und verspricht ihr, ihn außer Landes schaffen zu lassen. Er soll nachts im Schlafe überwältigt werden. Doch das Schneiderlein erfährt rechtzeitig von diesem Anschlag. Als er hört, wie die Leute des Vaters der Königin vor seine Schlafzimmertür schleichen, tut er so, als ob er wieder träumen würde. Dabei steht es, als Ausdruck seines gesunden Selbstbewusstseins, zu seiner Herkunft und erinnert sich und sie an seine Erfolge: „Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Ohren schlagen! Ich habe siebene mit einem Streich getroffen, zwei Riesen getötet, ein Einhorn fortgeführt und ein Wildschwein gefangen und sollte mich vor denen fürchten, die draußen vor der Kammer stehen?“

5.4 Die Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps Die Märchen des Handlungstyps ziehen die Entwicklungslinie nach vom Handeln zum Fühlen, feiern den Triumph der Lebensfreude und der Zuneigung über Regeln und Verbote. Sie und nur sie sind jene Märchen mit

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

dem typischen, aber keineswegs stereotypen Märchenschluss: Und sie freuten und liebten sich von Herzen und lebten ihr Lebtag glücklich und vergnügt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Die Märchen des Handlungstyps sind häufig Verwandlungs-Märchen. Die Auswirkungen verbotenen Verhaltens werden bildhaft als Erstarrung oder Einschränkung dargestellt. Kinder werden in Tiere verzaubert oder werden versteinert, in einen tiefen Schlaf versetzt, in einen Turm eingemauert oder eingeschlossen, oder sie werden von einem Tier verschlungen. Die Befreiung geschieht durch die Kraft der Zuneigung, der Liebe und der Lebensfreude. Dass es hier um Gefühle geht, das wird deutlich ausgesprochen, meist zu Beginn des Märchens und wieder am Ende. ‚Es war einmal eine kleine, süße Dirn, die hatte jeder lieb …‘ (Rotkäppchen), ‚dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wusste‘ (Dornröschen), ‚Da sich aber beide von Herzen liebten‘ (Jungfrau Maleen), ‚Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am anderen‘ (Jorinde und Joringel) oder ‚und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat‘ (Der Wolf und die sieben jungen Geißlein). Auch die Märchenenden bestätigen das sympathiegeleitete Wertesystem des Handlungstyps und die Schlüsselfähigkeiten seines Beziehungs-Ichs: ‚und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende‘ (Dornröschen), ‚Da küssten sie einander und waren glücklich für ihr Lebtag‘ (Jungfrau Maleen), ‚und sie lebten lange vergnügt zusammen‘ (Jorinde und Joringel), ‚und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum‘ (Der Wolf und die sieben jungen Geißlein), ‚Sie umarmten und küssten sich, und ob sie glückselig waren, braucht keiner zu fragen‘ (Die Nixe im Teich), ‚und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war‘ (Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich). Das Märchen ‚Rotkäppchen‘ dürfte aus dem Spätmittelalter stammen und gehört zur Gattung der Warn-Märchen. Es sollte Kinder und junge Mädchen davor warnen, allein in den Wald zu gehen, sich Fremden anzuvertrauen und sich auf sexuelle Verführung einzulassen. In der mündlichen Überlieferung wird Rotkäppchen vom Wolf aufgefordert: ‚Zieh dich aus, mein Kind, und lege dich neben mich.‘ Rotkäppchen zieht dann ein Kleidungsstück nach dem anderen aus und fragt, wo sie es hintun soll. „Wirf es ins Feuer, du brauchst es nicht mehr“ ist jedes Mal die Antwort. Als dann Rotkäppchen zu dem Wolf ins Bett schlüpft, wundert es sich, wie haarig sein Bettgenosse ist und was er für breite Schultern hat. In dieser frühen Erzähltradition ist das Märchen nicht nur viel spannender erzählt, das Mädchen kann hier durch eine List entkommen – was pädagogisch viel klüger ist als die lähmende Angst vor dem ‚Gefressen-

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Werden‘. Dabei besinnt es sich auf sein kindliches Wissen über richtiges Tun. Als es die Gefahr erkennt, sagt es zum Wolf: „Oh, Großmutter, ich muss dringend mal. Lass mich nach draußen gehen.“ – „Mach es im Bett, mein Kind!“ – „O nein, Omi. Ich möchte nach draußen gehen.“7 Schließlich willigt der Wolf ein, bindet aber eine Schnur an Rotkäppchens Bein. Rotkäppchen bindet draußen die Schnur an ein Bäumchen und läuft davon. Als der Wolf merkt, dass er getäuscht wurde, ist Rotkäppchens Vorsprung schon so groß, dass er es nicht mehr einholen kann. Bei Perrault (1697) wird Rotkäppchen hübscher, aber auch hilfloser und einfältiger. Auch hier zieht sich Rotkäppchen aus, legt sich aber nicht mehr zum Wolf ins Bett, sondern äußert nur sein Erstaunen: ‚Großmutter, was hast du denn für große Arme!‘ – ‚Die hab‘ ich, damit ich dich besser umarmen kann, Herzchen.‘ Rotkäppchen fragt dann in der bekannten Weise weiter, und das Märchen endet damit, dass der böse Wolf über das Rotkäppchen herfällt und es auffrißt. Nun weiß man aus der Psychologie, dass Warnungen, Angst-Machen und Abschrecken neugierig macht und anziehend wirkt, d. h., die Moral fördert die Unmoral. So gesehen ist aus dem Warn- ein Verführungsmärchen geworden. Die Brüder Grimm (1812) haben dann das Märchen weiter verharmlost und ihm einen ‚versöhnlichen‘ Schluss gegeben. Der vorbeikommende Jäger befreit die beiden, und wie in ‚Der Wolf und die sieben jungen Geißlein‘ wird dem Wolf der Bauch mit großen schweren Steinen gefüllt, an denen er sich zu Tode stürzt. ‚Da waren alle drei vergnügt.‘ Psychoanalytiker aus der freudschen Schule haben selbst dieser Fassung des Märchens sofort angesehen, dass es hier um ihr Lieblingsthema, die Sexualität, geht. Und ökologisch denkende Interpreten haben sich Gedanken gemacht, wie man den armen Wolf vor Rotkäppchen schützen könnte. Es stellt sich die Frage, warum viele andere Märchen des Handlungstyps der moralischen Zensur entgehen konnten. Vermutlich deshalb, weil es sich um sehr alte Märchen handelt, die rational gar nicht mehr ohne weiteres zu verstehen waren. Sie haben mit ihrer symbolischen Sprache die Zensur unterlaufen. Für ihr Alter spricht, dass es dort noch die weisen Frauen gibt, dass Hexen nicht böse sein müssen oder, obwohl sich eine aufs Zaubern versteht, der Erzähler versichert: ‚So viel ist gewiss, dass die Alte keine Hexe war, wie die Leute glaubten, sondern eine weise Frau, die es gut meinte‘ (Die Gänsehirtin am Brunnen). Sie müssen aus einer Zeit stammen, in der man an die magische Kraft der Worte glaubte (Rumpelstilzchen) und an sprechende Brunnen und Tiere. ‚Rapunzel‘ zeigt viele Merkmale dieses Märchentyps. Es beginnt damit, dass sich ein Mann und eine Frau ein Kind wünschen, das dann später die Zauberin haben möchte. Dieses „etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt“ (Rumpelstilzchen) steht für den Entwicklungsbereich

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des Handlungstyps, das Beziehungs- oder Kind-Ich. Der Mann überschreitet ganz konkret ein Verbot, d. h., er steigt über die Mauer des Gartens der Zauberin und holt für seine Frau, ‚die er lieb hat‘, etwas Rapunzel, also Feld- oder Ackersalat. Die Zauberin ertappt ihn und verwarnt ihn. Als er es trotzdem wieder macht, müssen er und seine Frau ihr das Kind versprechen. Sie soll es bekommen, wenn es zu einem Mädchen herangewachsen sein wird. Vielleicht wird hier in den Bildern des Märchens etwas darüber gesagt, wie man zu Kindern kommt, und wie man sie wieder ‚verliert‘. Zwar war die Frau schon schwanger, doch scheint das ‚über die Mauer steigen und etwas aus dem verbotenen Garten der Zauberin zu holen‘, weil man seine Frau lieb hat, damit zu tun zu haben. Und sie werden ihre Tochter ‚verlieren‘, sobald sie in das Alter kommt, in dem sie der Zauberin gehören wird, dann also, wenn sie dem Zauber der Liebe verfallen kann, der sie in ein eigenes Leben und eine eigene Beziehung fortführen wird. Die Zauberin will sie davor bewahren und schließt sie in einen unzugänglichen Turm ein. Natürlich funktioniert das nicht, doch immerhin soweit, dass sie sich nicht mit dem ersten besten und jedem einlässt. Es muss schon ein Königssohn sein. Als er zu ihr hereinkommt: ‚und sie sah, dass er jung und schön war, so dachte sie: „Der wird mich lieber haben als die alte Frau Gotel“, und sagte ja und legte ihre Hand in seine Hand.‘ Sie verabreden, dass er jeden Abend kommt, was zur Folge hat, dass sie schwanger wird. Auch in diesem Märchen ist die Zauberin nicht nur böse. Sie zeigt ein gewisses Verständnis für die Notlage des Vaters, ‚da ließ die Zauberin in ihrem Zorn nach‘. Sie verlangt zwar das Kind, doch sie verspricht: „Es soll ihm gut gehen, und ich will für es sorgen wie eine Mutter.“ Sie hält ihr Versprechen, denn ‚Rapunzel ward das schönste Kind unter der Sonne‘. Erst als es zwölf Jahre alt wird, schließt sie es in einen Turm ein, der in einem Wald liegt, weder Treppe noch Tür, nur ganz oben ein kleines Fenster hat. Die Gefühle werden lebendig ausgedrückt und beschrieben. Als die Zauberin die Liebesbeziehung der beiden entdeckt, wird sie böse und rachsüchtig. Sie verwünscht Rapunzel in eine Wüstenei und empfängt den Königssohn, der seine ‚liebste Rapunzel‘ erwartet, mit giftigen Blicken. „Aha“, rief sie höhnisch, „du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr, die Katze hat ihn geholt und wird auch dir noch die Augen auskratzen …“ Der Königssohn gerät außer sich vor Schmerz, springt in seiner Verzweiflung den Turm hinab, fällt in eine Dornenhecke, die seinen Sturz zwar mildert, ihm jedoch die Augen zersticht. Er irrt nun blind, jammernd und weinend im Wald umher. Doch die Liebe führt ihn mit Rapunzel und

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‚den Zwillingen, die sie geboren hatte, einem Knaben und einem Mädchen‘ wieder zusammen. Auch hier ist die Wirklichkeit selbst sympathiegeleitet, sie führt die Liebenden zueinander. Diese Kraft ist stärker als der Fluch der Zauberin: „Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken.“ Auch der Schluss ist typisch für die Skriptmärchen des Handlungstyps. Nochmals wird sein Thema, das sympathiegeleitete Wertesystem, angesprochen. ‚Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freuden empfangen ward, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.‘

5.5 Typspezifische Energien und Zeitdimensionen bei den Märchen In den Beziehungstyp-Märchen geht es nicht sehr liebevoll zu, im Gegenteil. Aschenputtel wird schlecht behandelt, benachteiligt und ausgelacht: „Was will der Unnütz in den Stuben“, bei ‚Frau Holle‘ besteht der Verdacht eines Mordanschlages, bei ‚Die Gänsemagd‘ wird er angedroht, in ‚Brüderchen und Schwesterchen‘, ‚Die weiße und die schwarze Braut‘ und ‚Schneewittchen‘ wird er ausgeführt. Auch für die Bestrafung der Bösen ist keine Strafe zu grausam: „Die verdient, dass man sie nackt auszieht und in ein Fass mit Nägeln legt und vor das Fass ein Pferd spannt und das Pferd in alle Welt schickt.“8 Und selbst bei den Heldinnen, die bescheiden, fleißig und tugendhaft sind – was man ihnen wahrscheinlich später angedichtet hat – , ist nicht erkennbar, dass sie besonders liebevoll wären. Das wird ihnen zwar immer unterstellt, aber die BeziehungstypMärchen selbst scheinen daran wenig interessiert zu sein. Jedenfalls sprechen sie kaum darüber. Doch es sind die Beziehungsthematiken, die die Geschichten in Gang bringen. Sie sind immer der Ausgangspunkt dieser Märchen. Die typspezifische Energie bei den Beziehungstyp-Märchen ist die geistige, die mentale Energie in ihren verschiedenen Ausprägungen Denken, Sinneswahrnehmungen und Ich-Identität. Es ist die Entwicklungslinie des Beziehungstyps vom Beziehungs-Ich hin zum Entwicklungsbereich ‚Erkennen und Erkenntnis-Ich‘. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die Heldinnen im Laufe der Textüberlieferung dümmer gemacht wurden, als sie wohl ursprünglich konzipiert waren. Der Eindruck entsteht bei Aschenputtel. In den frühen Fassungen denkt sie eher strategisch, später fällt ihr vieles einfach zu. Und es ist ganz deutlich bei Rotkäppchen. In der alten Überlieferung rettet es sich selbst durch eine List, später wird es gefressen und schließlich dann gerettet. Was nicht verloren gegangen ist, ist die ‚Erkenntnishaltigkeit‘ der Märchenwelt bei den Beziehungstyp-Märchen. Die Lösung liegt immer darin, dass der Betrug aufgedeckt wird, die Wahrheit es ans Licht bringt, wer die ‚Wahre‘, die ‚Echte‘ ist.

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

Ein zweites Thema des Bereichs Erkennen ist die Sinnenhaftigkeit. Werden in den Beziehungstyp-Märchen mehr als in den anderen sinnenhafte Qualitäten und Schönheit beschrieben? Tatsächlich ist Schönheit ein zentrales Thema, der Kontrast zwischen äußerer Schönheit und innerer Hässlichkeit: ‚Die Frau hatte zwei Töchter, … die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen‘ (Aschenputtel) ‚… sie war eine schöne Frau, aber stolz auf ihre Schönheit …‘ (Schneewittchen). Schönheit kann aber auch die Funktion haben, die ‚wahre Braut‘ erkennbar zu machen: ‚Da schaute der alte König am Fenster und sah sie im Hofe halten, nun war sie fein und zart und sehr schön …‘, ‚und es schien ein Wunder, wie sie so schön war‘ und ‚Der junge König aber war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte‘ (Die Gänsemagd) oder ‚Da war sie die schönste Königstochter, die je auf Erden gegangen ist‘ (Allerleirauh). Und das dritte Thema des Bereichs Erkennen ist das der Identität. Spielt sie eine entscheidende Rolle bei der Lösung, also deutlich mehr als in den anderen Märchengattungen? Bei Aschenputtel wird es ganz deutlich. Es kann nur die eine sein, der der Schuh wirklich paßt. Auch im Mittelteil des ‚Brüderchen und Schwesterchen‘ geht es um das Thema, wer ist die richtige Königin? Oder in ‚Die weiße und die schwarze Braut‘ um die hässliche als die falsche und das ‚schönste Mädchen‘ als die wahre Braut9. Diese Frage, bin ich wirklich das Kind meiner Eltern, bin ich nicht etwa vertauscht worden, scheint gerade Kinder vom Typ Beziehungstyp häufig zu beschäftigen. Es könnte ein Beziehungsthema sein: bin ich gewollt, gemocht? – oder ein Identitätsthema – wer bin ich wirklich? Bei Schneewittchen kreist es um die Frage, wer ist die Schönste im ganzen Land? Auch hier kann es nur eine sein. Wenn das Sinn machen soll, kann es nichts mit der äußeren Schönheit zu tun haben, denn hierfür hat jeder seinen eigenen Maßstab, nach dem Sprichwort: Was dem einen seine Eule ist, ist dem anderen seine Nachtigall. Schönheit ist hier Ausdruck der Wahrheit, sichtbar gewordene Identität. Bei den Abenteuer-Märchen des Sachtyps gehen die Geschichten ebenfalls vom Persönlichkeitsbereich aus, hier einem angeschlagenen, geschwächten und verunsicherten Erkenntnis-Ich. Dem entspricht, dass die Sachtyphelden sozial meist von geringer Herkunft sind, körperlich klein gewachsen, die jüngsten sind und manchmal etwas schwer von Begriff: ‚Der dritte, der ward von den andern für albern gehalten …‘. Oder in dem ‚Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen‘: ‚Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich: „Du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts.“‘ Oder in ‚Die goldene Gans‘: ‚Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der

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jüngste der Dummling und wurde verachtet und verspottet und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt.‘ Dazu kommt, dass sie sich zwar gelegentlich groß machen, doch eher aus einem Sinn für Selbstironie. Oder sie wissen, dass es oft klüger ist, so wie das tapfere Schneiderlein listig aus dem Hintergrund zu agieren. Auch die Umwelt, hier die älteren Brüder und der Vater, geben ihnen gerne eins drauf. ‚Sie fragten ihn: „Hans, wo hast du denn dein Pferd?“ – „In drei Tagen wird’s nachkommen.“ Da lachten sie und sagten: „Ja, du Hans, wo willst du dein Pferd herkriegen, das wird was Rechtes sein!“ Hans ging in die Stube, der Müller aber sagte, er solle nicht an den Tisch kommen, er wäre zu zerrissen und zerlumpt, man müsste sich schämen, wenn jemand hereinkäme‘ (Der arme Müllerbursch und das Kätzchen). Der Lösungsweg der Sachtyp-Märchen liegt in den Fähigkeiten des Handlungs-Ichs, den Schlüsselfähigkeiten des Sachtyps: der arme Müllerbursch, der sieben Jahre treu seinen Dienst tut, das tapfere Schneiderlein, das sich selbst gut zuspricht: „Nun, das … soll mir Kraft und Stärke geben!“ oder ein anderer von der gleichen Zunft: ‚„Potz Blitz! Was ist das?“ Und weil ihn die Neugierde gewaltig stach, so ging er frisch darauf los.‘10 Trotz ihrer schlechten Ausgangsbedingungen lassen sie sich nicht entmutigen, sondern gehen einfach ‚frisch drauf los‘, finden einen Weg, der zu ihnen paßt. ‚„Nun wollt‘ ich, dass einer da wäre, der mir den Wagen nachbrächte.“ – „O Vater“, rief Daumensdick, „das will ich schon ausrichten …“‘ oder ‚Die zwei traurigen dachten, das wird uns doch nicht retten, und blieben vor dem Wald, der dritte lustige machte sich auf und fand alles so, wie die Frau gesagt hatte‘ (Der Teufel und seine Großmutter). Dass sie dabei oft etwas naiv wirken, könnte die Fähigkeit sein, das Denken hinter sich lassen zu können und sich dadurch neue Fähigkeiten zugänglich zu machen. „Du garstiger, buckelichter, naseweiser Bub bist an meinem Unglück schuld, was hast du dich in die Kirche gedrängt, das Kind ging dich nichts an.“ – „O ja“, sagte Hans Dumm, „das ging mich wohl etwas an, denn ich habe es einmal gewünscht, dass du ein Kind bekämst, und was ich wünsche, das trifft ein.“11 Die Handlungstyp-Märchen gehen von einem verunsicherten Handlungs-Ich, wieder dem Persönlichkeitsbereich, aus, verunsichert durch Verbote oder Gebote. Oder manchmal genügt auch schon, dass sie etwas Ungewohntes tun, oder einfach das, wozu sie gerade Lust haben, etwa bei ‚Dornröschen‘: ‚Da ging es an allen Orten herum, besah sich Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm.‘ oder: ‚Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonne durch die Bäume hin und her sprang und alles voll schöner Blumen stand, dachte es …‘ Meist sind es Warnungen vor gefährlichen Orten oder Tieren, bei ‚Rot-

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

käppchen‘: „Geh auch ordentlich und lauf nicht vom Weg ab“, bei ‚Jorinde und Joringel‘: „Hüte dich, dass du nicht zu nahe ans Schloss kommst!“, bei ‚Der Wolf und die sieben jungen Geißlein‘: „Hütet euch vor dem Wolf und lasst ihn nicht herein“, in ‚Die Nixe im Teich‘: „Hüte dich, wenn du das Wasser berührst, so kommt eine Hand heraus, hascht dich und zieht dich hinab.“ Wenn die Warnungen im Märchen nicht ausgesprochen werden, so weiß doch der Hörer: Jetzt wird etwas Falsches, Verbotenes, Gefährliches gemacht, etwa, wenn Dornröschen allein überall umhergeht oder wenn sich Rapunzel immer wieder mit dem Königssohn verabredet und trifft. Die Geschichten kommen dadurch in Gang, dass die Warnungen missachtet werden. Jetzt kommt die Strafe, in einen hundertjährigen Schlaf zu sinken, eingesperrt, gefesselt, vom Wölfen verschlungen zu werden oder von einem Teich, in einen Frosch, in ein Rehlein oder Vogel verwandelt zu werden. Egal was passiert, es sind immer Einschränkungen und Trennungen, die Trauer und Leid bedeuten. Das ist typisch für das Erleben des Handlungstyps. Wenn es ihm schlecht geht, fühlt er sich blockiert, behindert in seinem Wollen und Handeln, abgeschnitten vom Lebendigen, vom Miterleben und Mitfühlen. Wenn es ganz schlimm kommt, fühlt er sich wie tot.12 Es ist die Liebes-Energie, die in den Handlungstyp-Märchen die Erlösung bringt. In ‚Die Nixe im Teich‘ versucht die Frau ihren liebsten Mann aus der Gewalt des Nixe zurückzugewinnen. Ausführlich wird geschildert, wie sie bei jedem Fehlschlag leidet, weint und jammert: ‚Wehklagend und händeringend rief sie ihren Liebsten mit Namen, aber vergeblich … Mit schnellen Schritten, ohne Rast und Ruhe, umkreiste sie den Teich immer von neuem, manchmal still, manchmal einen heftigen Schrei ausstoßend, manchmal in leisem Wimmern. Endlich waren ihre Kräfte zu Ende, sie sank zur Erde nieder und verfiel in einen tiefen Schlaf. Bald überkam sie ein Traum ….‘ oder in ‚Dornröschen‘: ‚Da sprach der Jüngling: „Das soll mich nicht abschrecken, ich will hindurch und das schöne Dornröschen sehen.“ „… und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss. Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte und blickte ihn ganz freundlich an.‘ Bei den Konkurrenz-Märchen des Beziehungstyps geht es darum, etwas wiederherzustellen, was schon einmal war. Dadurch ist die entscheidende Zeitdimension die Vergangenheit. Schneewittchen war das Wunschkind ihrer Mutter, die bei der Geburt starb. Das zeigte sich, als es heranwuchs und immer schöner wurde, ‚und als es sieben Jahr alt war, war es so schön wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst‘ – ihre Stiefmutter. Deshalb soll sie beseitigt werden. Ganz ähnlich ging es Aschenputtel, auch

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sie war das ‚richtige‘ Kind, bis ihre Mutter starb und ihr Vater eine andere Frau nahm. Dann wurde sie gequält und gedemütigt. Beziehungstyp-Heldinnen werden ermordet (Brüderchen und Schwesterchen, Die drei Männlein im Walde13) oder um ihren Status gebracht: ‚dann hieß sie die Kammerfrau auch noch die königlichen Kleider ausziehen und ihre schlechten anlegen‘ (Die Gänsemagd). oder ‚… kehrte die Asche und tat alle schlechte Arbeit. Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie soll’s mit dir noch werden?‘ Sie müssen an dem Wissen festhalten, wer sie wirklich sind, damit sie zuletzt wieder die Einzige, Wahre, Rechte sein können. Die Abenteuer-Märchen der Sachtyp-Helden sind zukunftsorientiert. Sie haben nichts zu verlieren, für sie kann es nur besser werden. Man hat sie nicht beachtet und wenn so, dass man über sie gespottet und gelacht hat. Man hat ihnen nichts zugetraut, sie unterschätzt. Jetzt wollen sie der Welt beweisen, was sie zuwege bringen imstande sind. Bei ihnen geht es nicht wie in den Beziehungstyp-Märchen um ein Sein, sondern um ein Werden. Dafür müssen sie etwas tun. Wenn sie eine Prinzessin bekommen und ein Königreich erben, dann nicht weil sie stattliche Prinzen sind, sondern weil sie große Taten vollbracht haben. Als Emporkömmlinge haben sie es schwer, werden meist vom Königvater scheel angesehen und mit unlösbaren Aufgaben betraut, bei denen gute Aussicht besteht, dass sie ums Leben kommen. Und da sie zukunftsorientiert eingestellt sind, bestehen sie nicht auf ihre bisherigen Verdienste, sondern lösen auch diese Aufgabe. Nun bleibt für die Verwandlungs-Märchen des Handlungstyps nur noch die Zeitdimension der Gegenwart. Die Frau, die endlich schwanger geworden ist, hat Gelüste auf den Feldsalat im Garten der Zauberin, ‚der voll Blumen und Kräuter stand, allerlei Art, keiner aber durfte wagen hineinzugehen‘. Sie will ihn jetzt haben. Ihr Mann dachte ‚mag kosten, was es will‘ und holt ihr welchen. ‚Die Frau machte sich sogleich Salat daraus und aß ihn voller Heißhunger auf.‘ Der Handlungstyp ist anfänglich der Zukunft verpflichtet, dem Planen, Sorgen und Machen. Doch seine Persönlichkeitsentwicklung, seine Schlüsselfähigkeiten zielen ab auf das gegenwärtige Erleben. So dann auch ihre Tochter. Als Rapunzel ihren ersten Schreck überwunden hatte, ‚gefiel ihr der junge König so gut, dass sie mit ihm verabredete, er solle alle Tage kommen und heraufgezogen werden. So lebten sie lustig und in Freuden eine geraume Zeit und hatten sich herzlich lieb, wie Mann und Frau‘. Beziehungserleben ist etwas Gegenwärtiges. Deshalb können sie dann auch, wenn sie sich am Ende des Märchens glücklich wieder gefunden haben, das so richtig genießen: ‚und in demselben Augenblick erkannte sie ihn auch und fiel ihm um den Hals. Zwei von ihren Tränen aber fielen in seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie sonst.‘

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

5.6 Die drei Kausalitäten bei den Beziehungstyp-, Sachtypund Handlungstyp-Märchen Aus den bisherigen Untersuchungen wird deutlich, dass die Märchen – wie das Leben selbst – auf Selbstentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung angelegt sind. Die verschiedenen Aspekte der Schlüsselfähigkeiten sind die wirksamen Kräfte, die das Geschehen voran bringen und zu Lösungen führen. Lassen sich in ihnen auch die speziellen Kausalitäten erkennen, die das Geschehen in den unterschiedlichen Lebensbereichen steuern? Die Beziehungstyp-Märchen beginnen auf der Beziehungsebene. Hier bestimmt die paradoxe oder gegenläufige Kausalität das Geschehen14. Man könnte sie (oberflächlich) charakterisieren mit der Redensart: ‚Es kommt immer anders, als man denkt.‘ Das gilt für das Vorhaben der eitlen Königin in ‚Schneewittchen‘, für die Pläne der bösen Mutter in ‚Aschenputtel‘ und für die Absichten der intriganten Kammerjungfer in die ‚Gänsemagd‘. Doch die Lösungen ergeben sich im Bereich Erkennen und Identität. Dort gilt: ‚Werde, der du bist!‘ Es geht darum, dass die Heldinnen wieder das werden, was sie von Anfang an sind, und zu ihrer Identität zurück finden. Doch das schaffen sie nicht selbst. Sie sind darauf angewiesen, dass andere sie erkennen. Wie zeigt sich Identität? In den Märchen ist es die Schönheit, in der Kunst oder im Leben die Fähigkeit, Gegensätzliches zu einer Einheit zu bringen, dass etwas stimmig wird.15 Doch bleiben wir bei der Schönheit. Sie kann als erotisches und sexuelles Beziehungssignal verstanden und missverstanden werden . Das ist auch die Interpretation der Beziehungstyp-Spiele als Verführungs-Frustrations-Spiele. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass die Schönheit des Beziehungstyps häufiger missverstanden und dann auch missbraucht wird, und zwar von beiden, der Schönen und dem Betrachter, als dass sie als das verstanden wird, was sie meint – dass sie mehr mit Identität und mit der Sehnsucht nach Identität zu tun hat, und weniger mit Beziehungsimpulsen. Es gibt Ausnahmen, die Marienverehrung, die Minnesänger oder Kant, der Ästhetik als interesseloses Wohlgefallen versteht. Die Sachtyp-Märchen beginnen weder auf der Handlungs- noch auf der Beziehungsebene. Man kann das deshalb verneinend formulieren, weil das die Erwartungen der anderen sind, nämlich, dass der Sachtyp-(Anti-)Held entweder etwas tut und dass er gefühlsmäßig reagiert. Doch da er weder das eine noch das andere macht, erscheint er ihnen unfähig, weltfremd und schwierig und wird schon als Kind abgewertet. Was macht er statt dessen? Er denkt nach, und da die anderen ihm vermitteln, dass etwas oder vieles nicht mit ihm stimmt, denkt er auch darüber nach, was bei ihm oder den anderen nicht in Ordnung ist. Das führt ihn noch tiefer in den Sumpf des Grübelns.

Die drei Kausalitäten

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Was da um ihn herum und mit ihm geschieht, hat mehr mit den anderen als mit ihm zu tun, außer, dass es ihm nicht gefällt. Hier, bei seinen Anfängen und seinem Ausgangspunkt hat er es mit der Zielkausalität zu tun, doch auf negative Weise. Er folgt zwar dem ‚Werde, der du bist!‘, doch das kommt nicht gut an bei den anderen. Sie haben andere Vorstellungen und Kausalitäten mit ihm im Sinn, er soll nicht bleiben, wie er ist, er soll sich ändern, anders werden! Doch er bleibt sich selbst treu. Die anderen ärgern sich über ihn und verpassen ihm eine negative Identität. Er ist der ‚Hans Dumm‘, ‚Daumesdick‘ oder ‚Der faule Heinz‘. Die Lösung liegt in seinen Schlüsselfähigkeiten, dem Wollen und Handeln. Deshalb sind Sachtyp-Märchen so aktivistisch und erfolgsorientiert. Als das Schneiderlein erfährt, was der alte König Übles mit ihm vorhat, war er ‚guten Muts und sprach: „Dem Ding will ich wohl steuern.“ Dass er das Wollen und Handeln so stark betont, stört die anderen auch wieder, denn es erscheint ihnen streberhaft, ehrgeizig, einseitig und etwas primitiv. Sie verkennen, welch hohen Wert das Handeln für das Wohlbefinden, die Lebensqualität und die Persönlichkeitsentwicklung des Sachtyp-Helden hat. Dass der arme Müllersohn in ‚Der gestiefelte Kater‘ oder das arme Schneiderlein in ‚Das tapfere Schneiderlein‘ König wird, bereitet ihnen eine große Genugtuung. Das ‚Also war es und blieb sein Lebtag ein König‘ dürfte ihm jeden Tag Freude gemacht haben. Die Sachtyp-Märchen stecken voller Selbstironie. Man denke an die Geschichte vom ‚Hans im Glück‘ oder die ‚Der faule Heinz‘. ‚Heinz war faul, und obgleich er weiter nichts zu tun hatte, als seine Ziege täglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er … abends nach Hause kam, und sprach: „Es ist in Wahrheit eine schwere Last und ein mühseliges Geschäft, so eine Ziege jahraus, jahrein bis in den späten Herbst ins Feld zu treiben … Wie soll da einer zur Ruhe kommen und seines Lebens froh werden!“‘ Nach langem, mühsamen Nachdenken, kommt ihm der rettende Einfall, er heiratet die dicke Trine, die auch eine Ziege hat, dann kann sie seine mit aufs Feld treiben. Das geht gut, doch bald zeigt sich, dass die dicke Trine nicht weniger faul ist. Sie meint: „warum sollen wir uns das Leben ohne Not sauer machen und unsere beste Jugendzeit verkümmern?“ und macht ihm den Vorschlag, beide Ziegen wegzugeben, dann könnten sie bis zur Mittagszeit ausschlafen und sich dann von dem langen Schlaf ausruhen. Das erscheint auch Heinz eine gute Lösung. Doch wie die Bezeichnung Abenteuer-Märchen sagt, haben die SachtypHelden Sinn für Neues, Ungewöhnliches. Beziehungstypen verwechseln Erfolg oft mit Beifall, Handlungstypen mit Pflichterfüllung. In den Abenteuer-Märchen tun die Helden das, was ansteht, nicht irgendetwas, was die anderen auch tun oder meinen, was gut wäre zu tun. Ein gutes Beispiel dafür ist das ‚Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen‘.

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5. Die Persönlichkeitstypen in Märchen

Das mag zwar unsinnig erscheinen, wenn der Junge sieben Gehenkte vom Galgen losbindet und sie neben sich ans Feuer setzt, um sie zu wärmen. Doch aus seiner Sicht war es genau das Richtige. Als sie sich wenig dankbar erweisen, nur stumm und störrisch herumsitzen und nicht mal auf ihre Kleider achten, die am Feuer zu brennen anfangen, hängt er sie alle sieben wieder an den Galgen. Die Handlungstyp-Märchen beginnen im Bereich des konventionellen, eingeschränkten Handelns, das sich an Regeln hält. Nach der Gesetzmäßigkeit ‚Ursache und Wirkung‘ geschieht dann tagein, tagaus das Gleiche, ordentlich, zuverlässig und pflichterfüllend. Da Handlungstypen besonders anfällig sind für Perfektion, entsteht ein weitgehend geregeltes Dasein, wobei alles mit eingeschlossen ist. Auch die Feste werden von geregelten Abläufen bestimmt, da muss das und das und das gemacht werden. Dazu gehört auch die fröhliche Stimmung. Auch die Religion ist geregelt. Man weiß, was zu tun ist, wie man sich verhält, wie man denkt und was man empfindet. Immerhin, man konnte während der Predigt etwas einnicken. Vermutlich war auch die eheliche Liebe ähnlich geregelt. Eine gewisse Dramatik in dieses Leben kam durch die Differenz zwischen Norm und Realität, dass das Leben dazwischenfunkte, sie gelegentlich vom rechten Weg abbrachte. Die Folgen gingen von Brummschädeln, blauen Flecken bis hin zu ungewollten Schwangerschaften und waren vor allem schlechtes Gewissen. Doch dafür gab es die Beichte. In den Märchen wird dieses Leben meist gar nicht erwähnt, weil es so selbstverständlich war. Die Veränderung beginnt in den Handlungstyp-Märchen häufig mit dem Wunsch nach einem Kind. ‚die sprachen jeden Tag: „Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!“ und kriegten immer keins‘ (Dornröschen) oder ‚die hatten sich schon lange ein Kind gewünscht und nie eins bekommen‘ (Rapunzel). Sie haben es schwer, zu einem Kind zu kommen – psychologisch gesehen zu ihrem Kind- oder Beziehungs-Ich, ihren Schlüsselfähigkeiten. Doch dann, wenn sie Zugang zu diesem Lebensbereich des Fühlens finden, haben sie es mit einer anderen Kausalität zu tun, der paradoxen oder gegenläufigen. Nun geschieht oft genau das Gegenteil von dem, was sie bewirken wollen. In ‚Dornröschen‘ will der König für sein Kind das Beste, lädt aber nur zwölf der weisen Frauen ein, und die ungeladene dreizehnte spricht einen Fluch aus. Um sie vor dem Unglück zu bewahren, lässt er alle Spindeln im Königreich verbrennen, doch eine bleibt übrig, an der sich die Königstochter sticht. Bei ‚Rapunzel‘ will die Zauberin das Mädchen vor Freiern bewahren, doch dadurch findet sie der Königssohn. Die Zauberin verbannt Rapunzel in eine Wüstenei. Der verzweifelte Königssohn stürzt sich den Turm hinab, verliert sein Augenlicht. Doch gerade dadurch kann er auf

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sein Gefühl hören, das ihn wieder zu Rapunzel führt. Dass Dornröschen ‚die Augen aufschlägt‘ und dass dem Königssohn die Augen ‚wieder klar‘ werden, könnte ein schon Hinweis auf den dritten Lebensbereich sein, das Erkenntnis-Ich.

6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen 6.1 Die tragische Verwirklichung des Wertesystems Kunstwerke sind immer auch Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers. Das jeweilige Wertesystem und Skript eines Künstlers oder Autors lässt sich aus dessen Werken ermitteln und aus der Art der Affinität zu diesen Werken können auch Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Interpreten, Lesers, Zuschauers oder Zuhörers gezogen werden. Die Erfahrung, dass mir als Konsument ein Werk schon bei der ersten Begegnung vertraut vorkommt, etwa ein Musikstück mich auf eine so innige Weise anspricht, als ob es mich mit meinem Namen anreden würde, kann auf eine persönlichkeitstypische Übereinstimmung mit dem Schöpfer dieses Werkes hinweisen. Diese Erfahrungen der nahen Verwandtschaft, des anstrengungslosen Sich-Wiederfindens, des Vertrauten, Heimatlichen, Bestätigenden gelten dann auch für die meisten anderen Werke des Künstlers. Bei der Besetzung einer Rolle in einem Theaterstück oder Film ist es gut, wenn der Persönlichkeitstyp des Schauspielers identisch ist mit dem der vom Autor konzipierten Person. Dann stimmen Worte, Handeln und Körpersprache überein. Ähnliches gilt für die Musik. Eine wirklich authentische Wiedergabe erscheint mir nur möglich, wenn eine typologische Übereinstimmung von Komponist, Dirigent und Interpret besteht. Wenn etwa Glenn Gould Bach spielt, dann ‚stimmt‘ das, wenn er Mozart oder Beethoven spielt, dann ‚stimmt‘ das nicht. Es ist, als ob er sie in eine andere Sprache, seine Sprache übersetzen würde, die zwar der Bachs verwandt, der Mozarts oder Beethovens eher wesensfremd erscheint. Der Anspruch, jeder müsse alles gleich gut spielen können, erscheint mir unsinnig. Gute Regisseure wissen das. Sie haben ein Gespür dafür, wer zu welcher Rolle paßt. Und wenn sie können, suchen sie sich auch ‚ihre‘ Stücke aus. Ich vermute, dass Bach ein Sachtyp war. Es ist eine geistige, hochkonzentrierte und zugleich zarte, sinnenhafte Musik. Dass sie immer wieder in Beziehung zum Jazz gebracht wird, deutet auf eine Verwandtschaft hin. Auch das ist eine Musik, die stark mit dem Körper empfunden wird. Beethovens Musik hat etwas sehr Kraftvolles, aber dann auch Lyrisch-Romantisches. Er dürfte ein Handlungstyp gewesen sein. Und Mozart als Beziehungstyp hat eine gefühlsmäßig sehr differenzierte Musik komponiert. Vom Wertesystem her würden dazu das Streben nach Erkenntnis in Mozarts ‚Zauberflöte‘, die Verehrung der schöpferischen Kraft in Bachs ‚Ein

Wertesystem in Goethes ,Iphigenie‘ und ,Faust‘

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feste Burg ist unser Gott‘ oder die befreiende Liebe in Beethovens ‚Fidelio‘ passen. Nun ist keiner dieser Texte von den Komponisten selbst verfasst. Deshalb lassen sich in der Literatur die Wertesysteme und das Skript der Dichter besser belegen. Ich möchte dazu den Versuch machen an den Beispielen von Goethes ‚Iphigenie auf Tauris‘ und ‚Faust‘, Shakespeares ‚König Richard III.‘ und ‚Hamlet‘, Sophokles‘ ‚Antigone‘ und Kleists ‚Der zerbrochene Krug‘. Im Vergleich zu den Märchen wird hier eine gebrochene Welt dargestellt, in der die Guten nicht nur gut, die Bösen nicht nur böse sind. Die Wirklichkeit scheint zeitweilig das Böse zu unterstützen. Doch auch die Tragödien oder Trauerspiele glauben an die Sinnhaltigkeit der Welt. Gerade deshalb können sie die Helden scheitern lassen, wobei im Untergang der Sieg der Wahrheit über die Lüge, der entschlossenen Tat über feiges Zögern und der Liebe über die Unmenschlichkeit gezeigt wird. Die Helden sterben für ihr Wertesystem, dafür wird es im Erkennen, Wollen oder im Herzen des Zuschauers lebendig. Dabei heben die Dramen das eigene Wertesystem meist auf Kosten anderer Wertesysteme hervor. So ist der erkenntnisgeleitete Faust ein unbestechlicher Wahrheitssucher, doch er handelt verantwortungslos gegenüber Gretchen. Der erfolgsgeleitete Hamlet sucht die Gerechtigkeit herzustellen, doch er verhält sich lieblos gegenüber Ophelia. Und die sympathiegeleitete Antigone denkt ‚voreingenommen‘ und muss sich von Ismene sagen lassen: „doch wisse: verirrt bist du – doch in der Liebe recht“ – der Entwicklungsbereich hat Priorität gegenüber dem Zielbereich.

6.2 Das erkenntnisgeleitete Wertesystem in Goethes ‚Iphigenie‘ und ‚Faust‘ Wie zeigt sich nun das erkenntnisgeleitete Wertesystem des Beziehungstyps in Goethes Dramen? In der Erinnerung an die Märchenheldinnen in den Konkurrenz-Märchen, bei denen das erkenntnisgeleitete Wertesystem aus ‚pädagogischer‘ Absicht kaum sichtbar wurde, entschied ich mich für ‚Iphigenie‘ in der Hoffnung, dass die griechische Mythologie den Frauen eher Klugheit zugesteht als die aus dem christlichen Mittelalter stammenden oder damals und später überarbeiteten Märchen. So ist es dann auch Athena, die Göttin der Weisheit, die in Euripides‘ ‚Iphigenie bei den Taurern‘ schließlich Iphigenie und ihren Bruder Orestes rettet. Die existentielle Todesbedrohung wird im Iphigenie-Stoff deutlich, als sie der Göttin Artemis geopfert werden soll. Ihr Vater Agamemnon gehorcht dem Priesterspruch und dem Druck des Heeres. Als Iphigenie

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

selbst bereit ist, dieses Opfer zu bringen, wird sie von der Göttin gerettet. Doch sie muss nun der Göttin in der Fremde in deren Tempel dienen, ein Leben, das sie mit einem ‚zweiten Tod‘ vergleicht. Die ödipale Konfliktsituation stellt sich zwischen Iphigenie und Artemis her. Schon im ersten Auftritt zeigt sich Iphigenie als jemand, der nachdenkt, über die Situation der Frau und ihr eigenes Verhältnis zur Göttin. Freilich, es ist ein vorsichtiges Nachdenken mit einer starken Tendenz zur Anpassung. „Der Frauen Zustand ist beklagenswert … schon einem rauen Gatten zu gehorchen, ist Pflicht und Trost“1, oder „O wie beschämt gesteh ich, dass ich dir mit stillem Widerwillen diene, Göttin, dir, meiner Retterin!“. Jede in ihr aufkommende Kritik erstickt sie sofort wieder mit bürgerlichen Moralvorstellungen. Als zwei Fremde in Tauris landen, soll der alte Brauch des Menschenopfers wiedereingeführt werden. Iphigenie erkennt in ihnen ihren Bruder Orest und seinen Freund Pylades, und sie bereiten eine gemeinsame Flucht vor. Doch auf die Gefahr hin, dass sie alle drei umkommen, vermag Iphigenie den König nicht zu betrügen: „O weh der Lüge! Sie befreiet nicht, wie jedes andere, wahrgesprochene Wort die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstigt den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt, ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte gewendet und versagend, sich zurück und trifft den Schützen.“ War es bei Euripides das Eingreifen der Göttin Athena, das die Rettung bringt, so ist es bei Goethe die Aufrichtigkeit Iphigenies, die den König überzeugt. Das erkenntnisgeleitete Wertesystem hat Priorität vor dem sympathie- oder erfolgsgeleiteten. Die Geschwisterliebe und die Möglichkeit einer erfolgreichen Flucht müssen ihm gegenüber zurückstehen. „Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele, da ich des Mannes Angesicht erblicke, dem ich mit falschem Wort begegnen soll.“ Einem Sachtyp mit seinem erfolgsgeleiteten Wertesystem würde dieses Verhalten möglicherweise als Ausrede und Feigheit deuten, ein Handlungstyp mit seinem sympathiegeleiteten als Lieblosigkeit. Faust verzweifelt daran, dass alles Studieren ihn nicht weitergebracht hat: „und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen.“2 Schon hier wird beides sichtbar, sein erkenntnisgeleitetes Wertesystem und seine Gefährdung, die sich als Lebensüberdruss ausdrückt: „Es möcht kein Hund so länger leben!“ Seine letzte Karte, auf die er setzt, ist das geheimnisvolle Wissen der Magie. Doch er muss erfahren, dass er diesem nicht gewachsen ist. Darauf beschließt er, sich das Leben zu nehmen. Der Klang der Osterglocken rettet ihn: „Erinnrung hält mich nun mit kindlichem Gefühle vom letzten, ernsten Schritt zurück.“ Das erkenntnisgeleitete Wertesystem wird schon im Prolog in der Wette zwischen Gott und dem Teufel angesprochen, der Herr über Faust: „Wenn

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er mir jetzt auch nur verworren dient, so werd ich bald ihn in die Klarheit führen.“ Und es wiederholt sich, als Mephisto Faust einen Pakt vorschlägt und Faust ihm antwortet: „Was willst du, armer Teufel, geben? Ward eines Menschen Geist in seinem hohen Streben von deinesgleichen je gefasst?“ Doch Faust darf ihn nicht unterschätzen, denn Mephisto3 ist ein Teufel, der die kritische Intelligenz verkörpert: „Ich bin der Geist, der stets verneint!“ Faust kann sich dieser Faszination nicht entziehen, mit den tragischen Folgen für Gretchen und ihre Familie, die an ihm zugrunde gehen. Zuletzt ist es Gretchen, die in ihrem verwirrten Zustand noch die Situation durchschaut, während der Tragödie erster Teil, was Faust betrifft, völlig offen endet. Die Konkurrenzsituation ist hier die zwischen Faust und Mephisto. In der Szene ‚Wald und Höhle‘ beschimpft Faust den Mephisto: „Pfui über dich!“, „Schlange! Schlange!“, „Verruchter! Hebe dich von hinnen und nenne nicht das schöne Weib!“, „Entfliehe, Kuppler!“. Doch Mephisto ‚gewinnt‘ diese und spätere Auseinandersetzungen, weil er Faust immer wieder mit der Realität konfrontiert. Faust gibt sich dem Gefühl hin, Mephisto antwortet mit dem kaltem Verstand. In der Szene „Trüber Tag. Feld“ wiederholt sich das. Wieder beschimpft Faust den Mephisto: „Verräterischer, nichtswürdiger Geist“, „Hund! abscheuliches Untier!“, „Mir ekelt’s! … warum an den Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?“, „Den grässlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!“ Doch wieder ist Mephisto der Überlegene, hält Faust verächtlich die grausame Wirklichkeit vor Augen: „Sie ist die erste nicht“, zwingt ihn zum Nachdenken: „Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?“, fragt nach der Verantwortlichkeit: „Wer wars, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?“, nennt die Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten: „Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden?“, warnt Faust vor den Gefahren und informiert ihn genau, was er für ihn tun kann und was nicht. Goethe hat in sechzig Jahren immer wieder an dem Stoff und der Dichtung gearbeitet. So ganz andersartig auch der zweite Teil ausgefallen ist, die Rollenverteilung und die Beziehung zwischen Faust und Mephisto bleiben sich ähnlich. Goethe muss von dem zynischen Denken, das Mephisto verkörpert, fasziniert gewesen sein und gleichzeitig darin eine Gefahr gesehen haben. Die in den Märchen übliche Bestrafung der Bösen bleibt aus, Mephisto, der meint, die Wette gewonnen zu haben, wird um seinen Lohn betrogen, mehr nicht. Wieder durchschaut er, Mephisto, die Situation, diesmal hat der Himmel gemogelt: „Bei wem soll ich mich nun beklagen? Wer schafft mir mein erworbenes Recht? Du bist getäuscht in deinen alten Tagen, du hasts verdient …“ Die Tragödie endet versöhnlich, ironisch, wie sie im „Prolog im Himmel“ beginnt – der Herr: „Ich habe deinesgleichen nie gehasst“ und Mephisto: „… und hüte mich, mit ihm zu brechen.“

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

In einem Nachgedicht zu Faust spricht Goethe vom bösen Geist, „den ich so früh als Freund und Feind gekannt“. Jetzt, im hohen Alter, möchte er ihn hinter sich lassen. Nochmals spricht er sein erkenntnisgeleitetes Wertesystem aus: „O glücklich, wen die holde Kunst in Frieden mit jedem Frühling lockt auf neue Flur! Vergnügt mit dem, was ihm ein Gott beschieden, zeigt ihm die Welt des eignen Geistes Spur.“

6.3 Skriptzeiten des Beziehungstyps – Leiden an der Gegenwart, Lernen aus der Vergangenheit? Für das eingeschränkte Leben, das man durch die Abhängigkeit von seinem Skript führt, zahlt man einen bestimmten Preis. Man nennt dies den Skriptpreis. C. Steiner führt als Skriptpreis für den Beziehungstyp (NoLove-Script) Depression oder Suizid an. Der gemeinsame Nenner ist Verzweiflung. Bezogen auf mein Modell ist es das Scheitern im Zielbereich durch fremdbestimmtes Handeln. Das wieder führt zum Burn-out-Syndrom, die Ursache für die Verzweiflungs-Depression, womit sich der Kreis zu C. Steiner schließt. Analog zum Skriptpreis habe ich den Begriff Skriptzeit gewählt. Das ist die Zeit des Persönlichkeitsbereich, auf die skriptgebundene Personen fixiert sind. Beim Beziehungstyp ist das die als schmerzlich erlebte Gegenwart. Ähnlich wie bei den Märchen beginnen die Beziehungstyp-Dramen in einer leidvollen Gegenwart. Die Akteure erleben sich als hilflos oder ungeliebt, verbunden mit Todesängsten und Todesgefahr. Der Lösungsweg müsste auch hier im Erkennen liegen, das sich auf Lebenserfahrungen und die eigene Identität bezieht. In den Märchen bezog sich dieses Erkennen auf die Herkunft, also die Vergangenheit. Bestätigen sich diese Gesetzmäßigkeiten, die mit der Persönlichkeitsentwicklung zusammenhängen, auch bei den Dramen? Nun kommt auch noch der dritte Lebensbereich ins Spiel. Beim Beziehungstyp ist es das Handeln. Hier stellt sich die Frage, ist dieses Handeln fremdbestimmt oder selbstbestimmt? Es deutete sich schon an, dass den Dramen die Selbstverwirklichung im zweiten Bereich, in den Schlüsselfähigkeiten, als Thema dramaturgisch so herausragend wichtig ist, dass sie darauf im dritten Bereich verzichten. Schon hier, im Entwicklungsbereich, tun sich die Helden schwer genug. Würden die Helden auch im dritten, dem Zielbereich, sich selbstbestimmt verhalten, wären sie wohl zu vollkommen, als dass sich die Zuschauer noch mit ihnen identifizieren könnten. Aus der Sicht der Skriptzeiten leidet Iphigenie an einer unbefriedigenden Gegenwart: „Mich trennt das Meer von den Geliebten.“ Ihr Skriptpreis ist, dass sie nicht ihr eigenes Wollen verwirklicht. So sagt sie zu Be-

Skriptzeiten des Beziehungstyps

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ginn: „So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen ein hoher Wille, dem ich mich ergebe.“ Und am Ende: „… mein kindlich Herz hat unser ganz Geschick in seine Hand gelegt.“ Statt selbst ihr Schicksal zu gestalten, hofft sie auf Erlösung durch die Göttin: „Und rette mich, die du vom Tod errettet, auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!“ Auch wenn dieser Edelmut von Goethes Iphigenie uns heute eher widersteht, so zeigt sie doch um so deutlicher die Elemente des Skripts des Beziehungstyps. Sie werden schon beim ersten Auftritt Iphigenies ausgesprochen. Was die Vergangenheit betrifft, so zieht sie keine Schlüsse daraus, dass ihr Vater bereit war, sie zu opfern. Er bleibt für sie „der größte König“, der „göttergleiche Agamemnon“, und sie hält daran fest, „sein Liebstes“ zu sein. Wie anders und ehrlicher spricht Iphigenie bei Euripides über ihren Vater: „Und es verlässt der Vater mich, Mutter, weh! Der mir das Leben gab, gibt mich dem Tode preis! … Es tötet, schlachtet, würgt mich des frevelhaften Vaters frevelhafter Mord!“ Goethes Iphigenie wirkt vergleichsweise unwirklich, künstlich. Schiller hat dies in einem Brief an Körner so ausgedrückt: „Sie ist ganz nur sittlich; aber die sinnliche Kraft, das Leben, die Bewegung und alles, was ein Werk zu einem echten dramatischen specificiert, geht ihr sehr ab.“ Doch sie hält fest an ihrer Identität, „des größten Königes verstoßne Tochter“. Hier wird das gleiche Motiv sichtbar, wie bei den BeziehungstypMärchen, der äußere Verlust der ursprünglichen Identität. Sie ist und bleibt die Königstochter, auch als ‚verstoßne‘. Deshalb leidet sie und kann sich mit ihrer neuen Rolle als Priesterin nicht abfinden. Und sie verschweigt dem König, der um sie wirbt, ihre Herkunft, ihre wahre Identität – auch das eine Parallele zu den Beziehungstyp-Märchen. Interessant dazu die Frage: „Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?“ Sie antwortet: „Weil einer Priesterin Geheimnis ziemt.“ Das klingt wie eine ausweichende Antwort, doch man kann sie auch wörtlich nehmen. Königstochter zu sein ist nur eine symbolische Identität, steht für etwas anderes. Die wahre Identität ist ein Geheimnis und hat wohl mit Priestertum zu tun, nicht, dass eine Priesterin ein Geheimnis hat, sondern das Geheimnis eine Priesterin. Untersucht man die Skriptzeiten im Faust, so wird noch deutlicher, wie Faust intensiv die Gegenwart erlebt und erleidet: „So ist mir das Dasein eine Last, der Tod erwünscht das Leben mir verhasst.“ Er glaubt nicht an ein erfülltes Leben in der Gegenwart, er verflucht es und alles, was ihn daran bindet: „Fluch jener höchsten Liebeshuld! Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben, und Fluch vor allem der Geduld!“ So kann er den Pakt mit Mephisto schließen: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!“

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

Was ist daran so schlimm an diesem „Verweile doch! du bist so schön!“. Ihm geht voraus: „Kannst du mich schmeichelnd je belügen, dass ich mir selbst gefallen mag …“ Man könnte es als einen Verrat an seinem Erkennen, an den Schlüsselfähigkeiten deuten. Doch Faust war zum Zeitpunkt der Wette in keiner guten Verfassung, also nicht in seinen Schlüsselfähigkeiten. Da er keinen Zugang hat zu ihnen, wenden sie sich gegen ihn als ein kritisch abwertendes Denken, in dem er sich trotzig einnistet. Die Wette würde dann heißen: „Wenn du, Mephisto, mich da rausbringst, hast du gewonnen!“ Doch da Mephisto die Schlüsselfähigkeiten von Faust besetzt, kann weder Mephisto gewinnen noch Faust. Faust ist bereit, zukünftig zu bezahlen (Danach-Skript): „Aus dieser Erde quillen meine Freuden, und diese Sonne scheinet meinen Leiden; kann ich mich erst von ihnen scheiden, dann mag, was will und kann geschehn. Davon will ich nichts weiter hören …“ Man hat, zumindest im ersten Teil, nicht den Eindruck, dass Faust sein Leben planvoll gestaltet, etwa Verantwortung für Gretchen übernimmt. Er folgt seinen Bedürfnissen und Gefühlen und lebt von Situation zu Situation, lebenshungrig und erkenntnisstrebend. Wie ein Kind will er das, was er begehrt, sofort haben: „Wenn nicht das süße junge Blut heut nacht in meinen Armen ruht, so sind wir um Mitternacht geschieden.“ Was die Vergangenheit anbelangt, hat Faust aus seinem ganzen Studieren und Unterrichten nichts „Rechtes“ gelernt: „Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“ Beim Osterspaziergang kommt er in Andeutungen auf seine Herkunft und Vergangenheit zu sprechen. Er beschreibt den Vater als dunklen Ehrenmann, der als Arzt Zaubermixturen hergestellt hat. Und meint, sie hätten mehr Menschen den Tod gebracht als die Pest: „Ich habe selbst das Gift an Tausende gegeben: sie welkten hin, ich muss erleben, dass man die frechen Mörder lobt.“ Statt aus der Vergangenheit zu lernen, hofft er auf Erlösung, meint, man könne ohnehin nichts erkennen, deklariert das Nachdenken als Trübsinn und wendet sich wieder der Gegenwart zu: „O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen. Doch lass uns dieser Stunde schönes Gut durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!“ So hat auch seine Lebensgestaltung etwas Künstliches, Manipulatives. Von seiner Lehrtätigkeit meint er, dass er seine Schüler an der Nase herumführe, er sie nichts lehren könne. Seine Umgebung verflucht er als Kerker und dumpfes Mauerloch, beschränkt von Bücherhaufen, umstellt von Gläsern und Instrumenten und angehäuftem Urväter-Hausrat. Als er es mit Magie versucht, wird ihm deutlich, dass seine Erfahrungen unwirklich sind: „Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!“ Später über-

Das Wertesystem in ,Richard III.‘ und ,Hamlet‘

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nimmt Mephisto seine Lebensgestaltung, will ihm des Lebens Freuden zugänglich machen. Doch es endet für Faust an einem trüben Tag auf dem Feld mit: „Mir ekelt’s!“ Bleibt auch hier die alles entscheidende Frage, wie ist es mit seiner Identität bestellt? Ich weiß nicht, ob es eine subjektive Deutung ist – bei allem Lamentieren, bei aller Dramatik bleibt Faust seltsam unberührt, so, als ob ihn nur die eine Frage wirklich interessiere: Wer bin ich? Hat er es für einen Moment erfahren? Oder war es nur Schwärmerei: „Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon ganz nah gedünkt dem Spiegel ew‘ger Wahrheit, sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit, und abgestreift den Erdensohn … wie muß ich’s büßen!“ Ich bin versucht zu sagen, wäre es nur Schwärmerei gewesen, so würde er nicht so darunter leiden, dass er es wieder verloren hat: „So hat ich dich zu halten keine Kraft. In jenem selgen Augenblicke …“

6.4 Das erfolgsgeleitete Wertesystem in Shakespeares ‚Richard III.‘ und ‚Hamlet‘ Shakespeares Dramen folgen dem erfolgsgeleiteten Wertesystem des Sachtyps. Sie handeln von den Themen Erfolg, Macht und Machtmissbrauch. So, wie von Mephisto die Faszination des mitleidlosen Denkens ausgeht, ist es bei Richard III. die des rücksichtslosen Wollens. Von Natur aus hässlich und missgestaltet, „und zwar so lahm und ungeziemend, dass Hunde bellen, hink‘ ich wo vorbei“4 – eine benachteiligende Ausgangssituationen wie in den Sachtyp-Märchen –, ist Richard entschlossen, „ein Bösewicht zu werden“. Tiefenpsychologisch gesehen wird hier der typspezifische Mangel an bejahender sinnenhaft-geistiger Zuwendung, ‚du bist attraktiv, interessant, schön‘, dem Zuschauer vor Augen geführt. „Ich roh gestaltet, ohne Liebreiz … von der Natur um Ebenmaß betrogen, entstellt und hässlich“, sieht Richard keine Chance, im ehrlichen Wettbewerb zu bestehen und zu gewinnen. Ohne Skrupel lässt er morden, um sich den Weg frei zu machen ins Brautbett der schönen Prinzessin Anna und zum Königsthron. Heuchelei und Verführung setzt er gezielt und gekonnt ein. Es macht ihm Freude, den Erwartungen von Anstand, Sitte und menschlichen Rücksichten ins Gesicht zu schlagen. Die gewonnenen Frauen verachtet und verhöhnt er: „Ich will sie haben, doch nicht lang behalten. Wie? Ich, der Mörder ihres Manns und Vaters, in ihres Herzens Abscheu sie zu fangen.“ Doch bei all seinen Erfolgen bleibt er der Missgestaltete, Gezeichnete, für den Zuschauer eindrücklich dargestellt auf der Bühne. Dies erinnert an die Helden der Abenteuer-Märchen des Sachtyps. Die Ambivalenzen zwischen

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

klein und groß sein, schwach und stark, unterschätzt und überschätzt sind ständig in der Erinnerung des Zuhörers oder Lesers, einfach dadurch, dass der Held besonders klein (Daumerling), besonders einfältig (Von einem, der auszog), der Jüngste (Tischlein deck dich), nur ein Kater (Der gestiefelte Kater) oder nur ein Schneiderlein ist (Das tapfere Schneiderlein). In seinen Erfolgen bleibt bei Richard immer seine Ausgangssituation sichtbar, so wie bei Othello, dass er ein Farbiger, ein Mohr ist. Und als sich schließlich das Gemeinsame, das Richard so lange missachtet und verhöhnt hat, gegen ihn wendet und er im mutigen Verzweiflungskampf untergeht „Ich setzt‘ auf einen Wurf mein Leben“, ist dies wie eine Rückkehr zu seinem Anfang. Bei aller Abscheu bleibt eine Faszination, die von Richards entschlossener Haltung, seinem Mut und taktischen Geschick ausgeht und seinem von keinen menschlichen Rücksichten beschränkten Wollen, nach Schiller ‚die reine Form des tragisch Furchtbaren, was man genießt‘. Shakespeare hat hier die negative Seite des erfolgsgeleiteten Wertesystems dargestellt. Der scheinbar illusionslose Richard täuscht sich darin, dass er meint, im Bereich Handeln könne der einzelne dauerhaft stärker sein als das gemeinsame Wollen. Wie im Erkennen liegt auch im Wollen etwas ursprünglich Gutes, auch wenn es vorübergehend zum Schlechten gebraucht wird. Das meint Mephisto, der sich selbst beschreibt als: „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ So wie der Erkennende die Erfahrung machen kann, dass da nicht ein Ich ist, das erkennt, sondern das Erkennen das Ich ist, kann der Wollende erleben, dass nicht er will, sondern das Wollen er selbst ist. Das gilt freilich nicht für das böse Wollen, das ein egoistisches Wollen ist und von einer falschen Identität ausgeht. Mit Richards Untergang ist zugleich der lang währende und mörderische Krieg zwischen den Häusern Lancaster und York beendet, und eine segensreiche Zeit des Friedens kann beginnen. In ‚Hamlet Prinz von Dänemark‘ wird der Weg des Sachtyps vom Denken zum Handeln besonders eindrucksvoll dargestellt – mit seinen Schwierigkeiten, die im grüblerischen und melancholischen Wesen Hamlets liegen, aber auch mit seiner mangelnden Fürsorglichkeit und Sensibilität Ophelia gegenüber, die er mit seinem abweisenden und kränkenden Pessimismus überfordert und in Wahnsinn und Tod treibt. Das Mitleiden des Zuschauers an Hamlets innerem Kampf, seinem Zögern und Ausweichen vor der Entscheidung und seiner depressiven Todessehnsucht: „Sterben – schlafen – nichts weiter!“ ist deshalb tief, weil dieses Erleben so stimmig dargestellt ist. Wie alle überzeugende Dichtung kann sie nur aus dem Material der eigenen Freuden und Leiden, Hoffnungen, Träume und Ängste des Autors geschaffen sein.

Skriptzeiten des Sachtyps

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Wie wenig berühren dagegen die Gegenfiguren zum zögernden Hamlet, der tatendurstige junge Prinz Fortinbras von Norwegen, der mit seinen Truppen in einen zweck- und sinnlosen Kampf zieht, oder der empörte Laertes, der einen Aufruhr entfacht, um den Tod seines Vaters zu rächen: „Mag kommen, was da kommt! Nur Rache will ich vollauf für meinen Vater.“, „Wer wird euch hindern?“, „Mein Wille, nicht der ganzen Welt Gebot, und meine Mittel will ich so verwalten, dass wenig weit soll reichen.“ Hamlet dagegen muss sich eingestehen, dass sein Grübeln „ein Viertel Weisheit nur und stets drei Viertel Feigheit hat“. Obwohl sein Herz von schlimmen Vorahnungen erfüllt ist, stellt sich Hamlet dem Duell mit Laertes: „In Bereitschaft sein ist alles.“ Das erinnert an einen Leitsatz aus dem Ehrenkodex der Samurai aus dem alten Japan: ‚Die Kunst des Samurai ist dies allein, im Angesicht des Tods bereit zu sein.‘ Nun überstürzen sich die Ereignisse, Laertes fällt, Hamlets Mutter stirbt an dem Hamlet zugedachten Gifttrunk, er tötet den König und stirbt selbst. Der siegreich zurückkehrende Fortinbras ordnet an, dass Hamlet wie ein Krieger mit königlichen Ehren aufgebahrt und bestattet wird: „… denn er hätte, wär’ er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt.“ Hamlet ist lange seinem erfolgsorientierten Wertesystem nicht gerecht geworden, erfolgsorientiert nicht in dem banalen Sinne des Erfolges um des Erfolges willen wie bei Fortinbras, sondern um das zu tun, was ihm Gewissen und Ehre auftragen: „Ich weiß nicht, weswegen ich noch lebe, um zu sagen: ‚Dies muss geschehn‘, da ich doch Grund und Willen und Kraft und Mittel hab‘, um es zu tun.“ Dieses lange Scheitern hat ihm seine Selbstachtung und seine Fähigkeit zu lieben genommen. Sein ‚wunderliches Wesen‘, das er angenommen hat, ist nicht nur Verstellung. Ophelia hat Recht, wenn sie sagt: „Oh, welch ein edler Geist ist hier zerstört!“ Erst zum Schluss gewinnt er die Kraft, ‚mittendurch‘ zu gehen und nicht mehr bloß ‚drumherum‘ (Ibsen).

6.5 Skriptzeiten des Sachtyps – In Vergangenem befangen, die Zukunft gestalten? Aus der Sicht der Skriptzeiten ist der Sachtyp meist negativ auf die Vergangenheit fixiert, die sich bei Richard III. für ihn im eigenen Körper verdichtet. Er beschäftigt sich mit seinem hässlichen Äußeren, das ihn, wie er meint, untauglich macht für Geselligkeit und Liebe: „Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben, als meinen Schatten in der Sonne späh’n und meine eigne Mißgestalt erörtern.“ Hamlet spricht von sich als einem Gegenstück zu Herkules, der mutig und

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tatkräftig handelt. Sein grüblerisches Denken kreist um den vermuteten Mord an seinem Vater und den Verrat seiner Mutter. Auch die Todessehnsucht Hamlets hat einen ganz anderen Charakter als die von Faust. Hamlet spielt nur mit dem Gedanken an den Tod, Faust ist entschlossen dazu, schon bereit, in ein neues Leben einzutreten: „Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag … Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen, zu neuen Sphären reiner Tätigkeit“, als ihn Osterglockenklang und -chorgesang vom „letzten, ernsten Schritt“ zurückhalten. Hamlet sehnt sich nach einem tiefen, traumlosen Schlaf: „Sterben schlafen – nichts weiter! – und zu wissen, dass ein Schlaf das Herzweh und die tausend Stöße endet, die unseres Fleisches Erbteil – ‚s ist ein Ziel aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen – schlafen!“ Faust hofft auf eine bessere Zukunft, Hamlets Todessehnsucht ist gegenwärtiges Aufhören, Vergessen. Beide erleben wieder die alten destruktiven Botschaften. Faust spürt: ‚Ich bin hier unerwünscht, nicht geliebt‘, das entzieht ihm das Lebensrecht, die Basis des Beziehungs-Ichs. Bei Hamlet geht es darum, zu sein oder nicht zu sein, um die Existenzgrundlage des Erkenntnis-Ichs. Bei Faust ist es eine Entscheidung zwischen zwei Leben, diesem, an dem er leidet, und einem anderen, höheren, das ihm neue Möglichkeiten eröffnet. Für ihn ist Leben oder Sterben ein Beziehungs- und Handlungsthema, so, als ob es um eine Reise in ein anderes Land ginge. Für Hamlet ist es die Entscheidung zwischen Bewusstsein und Vergessen, einem Aufgenommen- und Aufgefangen-Werden, zwischen schmerzlichem Wahrnehmen und Empfinden und einer bewusstlosen Harmonie, also ein Erkenntnisund Beziehungsthema. Die eigene Liebe ist der Preis, den der Sachtyp bezahlt. Wieder wird deutlich, wie die Dramen sich ganz auf das Thema der Schlüsselfähigkeiten konzentrieren, hier auf das Handeln, und den dritten Bereich, das Beziehungsthema negativ behandeln. Richard III. entscheidet sich für Hass und Rache: „Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden und Feind den eitlen Freuden dieser Tage.“ Hamlet zerstört seine Liebe zu Ophelia und ihre Liebe zu ihm. Das ist so grausam und sinnlos, wie der Tod ihres Vaters, ihres Bruders, ihr eigenes Ende, denn sie alle haben mit dem Verbrechen nichts zu tun. Warum stößt Hamlet Ophelia zurück? Die Handlung folgt dem Sprichwort, dass ein Unglück selten allein komme. Hamlet ist seit dem Tod seines Vaters in einem verstörten Zustand. Der König formuliert es zutreffend: „Ihm ist was im Gemüt, worüber seine Schwermut brütend sitzt.“ Dann lehnt Ophelia auf Geheiß ihres Vaters seine Liebesbriefe ab und verweigerte ihm den Zutritt. Obwohl der Vater seine Anweisungen bedauert, gibt Ophelia beim nächsten Zusammentreffen Hamlet seine Ge-

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schenke, die er ihr gemacht hat, zurück. Hamlet muss das wie ein Verrat erscheinen. Aus seiner Liebe wird Todessehnsucht und Destruktion. Welche Botschaft bei ihm ankommt, zeigt, wie er in der Folge Ophelia behandelt, verletzend, hässlich, abstoßend. Die vernachlässigte Zeitdimension Zukunft zeigt sich bei Hamlet darin, dass er sich keine Zukunftshoffnungen macht, keine Lebensziele mehr sieht: „Geh in ein Kloster“, sagt er immer wieder zu Ophelia. Der König sorgt sich zu Recht, dass die Ausgeburt seines dumpfen Brütens gefährlich sein wird, ein zerstörerischer Ausbruch seiner gestauten Lebensenergien. Das Drama Richard III. beschreibt von Beginn bis zum Ende („Das Feld ist unser und der Bluthund tot“) nichts anderes als dieses blinde Wüten, den aus dem Schmerz des Nichtseins geborenen Zorn. So ist dann auch Hamlets Lebensgestaltung ziellos und anspruchslos. Ein Zeichen dafür ist, dass er sein Äußeres vernachlässigt: „… mit ganz aufgerissenem Wams, kein Hut auf seinem Kopf, die Strümpfe schmutzig und losgebunden auf den Knöcheln hängend“. Er begegnet Ophelia wie ein Ertrinkender, erfasst vom Sog der Sinnlosigkeit. Er ergreift sie bei der Hand und hält sie fest. Er schaut sie lange, lange an, ohne etwas zu sagen. Es entringt sich ihm ein banger, tiefer Seufzer: „AIs sollt er seinen ganzen Bau zertrümmern und endigen sein Dasein.“ Auch als er stumm geht, schaut er sie unverwandt an. Ophelia ist für ihn Inbegriff des Greifbaren, Sichtbaren, der Identität geworden, er ist dabei sich selbst zu verlieren, sich aufzulösen, wird sich selbst unbegreiflich. Sie ahnt, doch versteht seine Notsituation nicht, reagiert erschrocken und hilflos. Was erwartet Hamlet, der Vater und Mutter verloren hat, von ihr – mütterliches Verstehen? Richard III. kämpft auf andere Weise gegen das Nichtsein an, indem er sich eine negative Identität schafft, sich als hässlich, um das Ebenmaß betrogen und als Bösewicht definiert, seine Intelligenz nützt, um blindwütend zu morden, zu lügen und zu betrügen. Im Grunde ist er nicht weniger verzweifelt als Hamlet, doch er gesteht es sich nicht ein, zeigt es nicht, statt dessen verhärtet er sich, und lässt andere an seiner Stelle leiden. Worin liegt, bei soviel Destruktivität und Scheitern, die Faszination und der ‚sittliche Wert‘ dieser Dramen? Beide finden sich ohne ihr Zutun in einer schlimmen Situation wieder, Richard in einem abstoßend hässlichen Körper, Hamlet in einer Familie, in der zwei schwere Verbrechen begangen worden sind, der Mord an seinem Vater und die verräterische Heirat seiner Mutter. Die Frage ist, wie gehen sie damit um, was machen sie daraus? Es ist die Identität des Wollens, die sie beide verbindet und die ihrem Leben Sinn gibt, auch wenn es bei Richard ein destruktives Wollen ist und bei Hamlet über weite Strecken ein scheiterndes. Und in beiden Stücken geht es um die gestörte ‚Weltordnung‘. Bei Richard III. fragt sich

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der Zuschauer, wie lange kann er sein frevlerisches Tun noch fortsetzen, wann formiert sich das gesellschaftliche Wollen und stoppt ihn, bei Hamlet, wie lange wird er noch zögern, seinen Auftrag zu erfüllen, und wie kann er die Zustimmung des gesellschaftlichen Wollens finden? Dort sind es die anderen, die die ‚Ordnung‘, wenn auch nur vorübergehend, wieder herstellen, hier lastet die Verantwortung auf einem Einzelnen. Beide wechseln von der Zielkausalität des Erkennens in die UrsacheWirkung-Kausalität des Handelns, Richard III. zu Beginn des Stückes, Hamlet am Ende. Richard III. ist im Erkennen gescheitert, er hat das ‚Werde, der du bist!‘ missverstanden, zu übermächtig war für ihn die Faszination des Hässlichen seiner eigenen Gestalt. Hätte er erfahren und erkannt, dass unsere wahre Natur und Schönheit geistig ist, hätte er ein weiser Herrscher werden können. Doch er hält fest an der Identität mit seinem hässlichen Körper. Das ist durchaus modernes Denken, entspricht dem heutigen Zeitgeist, nur eben, dass man sich mit einem attraktiven Körper identifizieren möchte. Auch Hamlet erfährt seine sinnenhaft-geistige Identität eher schmerzhaft. Denn sein sich vergewisserndes Denken hindert ihn immer wieder am Handeln. „So macht Gewissen …“ – man könnte auch übersetzen „Bewusstsein“ – „… Feige aus uns allen“. Das liegt zunächst in der Natur der Sache, bzw. an den unterschiedlichen Eigengesetzlichkeiten der beiden Lebensbereiche. Das fragende Denken ist rückwärts gewandt, das handelnde Denken nach vorne. Hamlet weiß das, spricht es aus: „Gewiss, der uns mit solcher Denkkraft schuf vorauszuschaun und rückwärts …“ und er ermahnt sich selbst: „O von Stund’ an trachtet nach Blut, Gedanken, oder seid verachtet!“ Entspricht die sinnenhafte Ausrichtung des Erkenntnis-Ichs bei Richard III. eher einem populären Verständnis von Identität,5 so entspricht Hamlets Identifikation mit einem zweifelnden Denken dem, worin sich viele denkende Menschen unserer Zeit wieder finden können.

6.6 Das sympathiegeleitete Wertesystem in Sophokles ‚Antigone‘ und Kleists ‚Der zerbrochene Krug‘ Das sympathiegeleitete Wertesystem des Handlungstyps, die Bewegung vom Handeln zum Fühlen, wird deutlich in den Werken Sophokles‘ oder Kleists. Antigone verkörpert die Schranken durchbrechende, Grenzen überschreitende Liebe. Die Liebe zu ihrem toten Bruder Polyneikes ist stärker als die zu ihrem eigenen Leben. König Kreon hat bei Todesstrafe verboten, den Aufrührer Polyneikes zu beerdigen. Doch Antigone ist fest entschlossen: „Doch ihn begrab ich! Dann zu sterben, ist nur schön! Dann lieg ich ihm zur Seite, lieb dem Lieben.“6

Sophokles ,Antigone‘ und Kleists ,Der zerbrochene Krug‘

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Als ihre Schwester Ismene sich um sie ängstigt und sie von ihrem Vorhaben abbringen will oder ihr rät, über ihr Tun zu schweigen und sich zu verstecken, fährt Antigone sie an: „Ich hass dich nur noch mehr, schweigst du“ und „Wenn du so redest, so hass ich dich, hass dich noch übers Grab“. Verglichen mit Hamlet zeigt sie von Anfang an äußerste Entschlossenheit, mehr noch als ihr Gegenspieler Kreon, der stärker reagiert als agiert. Als Antigone von den Wächtern gefasst und vor Kreon geführt wird, tritt sie ihm herausfordernd entgegen. Nicht nur, dass sie zu ihrer Tat steht, sie nennt Kreon einen Toren und einen Tyrannen. Sie ist bereit zu sterben, und sie fragt Kreon fast verächtlich: „Was also zögerst du?“ Kreon lässt sich provozieren: „Hinunter denn! Lieb, wenn du lieben musst, die drunten! Noch gehorch ich keinem Weibe!“ Doch sie bringt nicht nur sich ins Grab, sie zieht auch Kreons Sohn, mit dem sie verlobt ist, und Kreons Frau Euridyke mit sich hinab. Die eigentlich tragische Figur in diesem Stück ist Kreon. Seine Verhärtung liegt über ihm wie ein Fluch. Sein autoritäres Rechts- und Ordnungsdenken lässt kein Mitgefühl zu. Zu spät kommt er zur Besinnung, zu spät ändert er seine Meinung. ‚Kreons Starrsinn wirkt um so tragischer, als er von vollendeter Verblendung diktiert erscheint und mit zwingender Notwendigkeit zum Abgrund führen muss.‘7 So kann sich die Verhärtung Kreons nur noch in Schmerz und Klage auflösen: „O Irren, o Verstandes Unverstand … o meiner Klugheit Fluch … oh, oh, Menschenqual, o der Qual“. „Wohin? Weiß nicht ein noch aus, in lauter Leeres greift die Hand.“ Wohl ist das sympathiegeleitete Wertesystem Thema dieses Werkes, doch die Liebe Antigones gehört den Toten, und die Liebe der anderen kann Kreons Herz nicht erweichen. So muss der Konflikt zwischen Kreons Befehl, der den Bereich der Götter missachtet, und Antigones Bruderliebe verhängnisvoll enden. In Kleists Lustspiel ‚Der zerbrochene Krug‘ ist der Dorfrichter Adam die tragikomische Figur. Gerichtsrat Walter kommt zur Revision. Richter Adam soll eine Verhandlung führen, in der er, ohne dass dies die Klägerin ahnt, selbst der Schuldige ist. Dabei geht es vordergründig um einen zerbrochenen Krug, in Wirklichkeit aber um die Liebe zwischen zwei jungen Leuten, die ebenfalls beschädigt wurde. Mit Bauernschläue und autoritären Methoden der Einschüchterung sucht sich Richter Adam bis zuletzt aus der Schlinge zu ziehen. Doch gerade damit demonstriert er dem Gerichtsrat, wie ungeeignet er, Adam, für die Aufgabe eines Richters ist. Als die Wahrheit ans Licht kommt, dass er den Krug zerbrochen hat, rennt er kopflos aus der Gerichtsstube hinaus aufs Feld. Der Gerichtsrat schickt ihm den Schreiber nach: „Holt ihn zurück! Dass er nicht Übel rettend ärger mache.“

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

Richter Adam macht fortgesetzt das, was man heute manchmal verschlechtbessern nennt. Bei aller Schlauheit wirkt er wie vernagelt. Im Grunde versteht er überhaupt nicht, was der Gerichtsrat Walter erwartet, nämlich ein faires und gerechtes Verhalten gegenüber den Parteien. Dass er dazu noch selbst in den Prozess verwickelt ist, den er führen muss, macht dies alles für ihn noch undurchsichtiger. Es ist wie bei Sophokles der Konflikt zwischen Macht, Gesetz und Ordnung auf der einen und Liebe, Gefühl und Menschlichkeit auf der anderen Seite. Dass es in beiden Fällen eine willkürliche Gesetzgebung und Rechtsprechung ist – Kreon verstößt gegen geheiligtes Brauchtum, der Dorfrichter Adam gegen das bürgerliche Rechtsempfinden der Gleichheit vor dem Recht –, soll darauf hinweisen, dass zwischen Menschlichkeit und Rechtsprechung kein Widerspruch bestehen müsste. In beiden Fällen wird der Konflikt verschärft durch autoritäres, starrsinniges Eltern-Ich-Verhalten, die strukturtypische Falle für den Handlungstyp. Kleist selbst hat auf die Verwandtschaft seines Stückes zum ‚König Ödipus‘ des Sophokles hingewiesen. Dieses Festgelegtsein durch eine Rolle entspricht den Verwünschungen in den Verwandlungs-Märchen. Eine Erlösung findet für Richter Adam nicht statt, jedenfalls nicht auf der Bühne, vielleicht in den Herzen der Zuschauer, die diesen gerissenen Querkopf doch irgendwie sympathisch finden, der ihnen trotz seiner üblen Machenschaften am Ende des Stückes Leid tut. Auf der Bühne wird es dadurch angedeutet, dass Richter Adam zwar sein Amt verliert, doch will der Gerichtsrat auf eine weiter gehende Bestrafung verzichten. Im Stück selbst zeigt sich das sympathiegeleitete Wertesystem darin, dass schließlich das Recht der Liebe hilft und die Liebenden wieder zusammenfinden.

6.6 Skriptzeiten des Handlungstyps – Verplant an die Zukunft die Gegenwart erleben? Auch bei Antigone werden schon in den ersten Sätzen die Skriptzeiten des Handlungstyps bestätigt. Sie möchte das Problem handelnd, also zukunftsbezogen „und guter Ordnung folgend“ lösen. Den Skriptpreis hat sie schon bezahlt: „Denn“, so beginnt das Drama, „nichts Bejammernswertes, nichts Abscheuliches, nichts Schnödes, nichts Ehrloses bleibt, das nicht bereits ich ganz in meiner und in deiner Not gesehn!“ Und sie versäumt die Gegenwart. Das Leben und die Liebe der Lebenden bedeuten ihr weniger als das, was sie für ihre Pflicht hält: „Den Untern muss ich längre Zeit gefallen als den Hiesigen … Ich will genug tun, wem ich meist gefallen muss.“ Zwar folgt sie ihrem sympathiegeleiteten Wertesystem: „Nicht mit-

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zuhassen, mitzulieben bin ich da!“ – doch ihre Tragik ist, dass sie meint, sie könne es nicht lebend, sondern nur sterbend verwirklichen. Die Handlungstyp-Dramen beginnen im Bereich Handeln mit seiner ‚vernünftigen‘ Ursache-Wirkung-Kausalität. König Kreon bestimmt, dass Polyneikes, der sich mit kriegerischer Gewalt gegen Theben wandte, nicht ehrenvoll bestattet wird, sondern „unbestattet lieg‘ er, zur Verstümmelung, zum Fraß für Hund‘ und Vögel, grau’nvoll anzusehn“. Kreon denkt politisch. Er meint gerecht zu handeln. Er will Recht und Ordnung schützen gegen einen Empörer. Antigone denkt nicht politisch. Für sie ist Polyneikes zuerst und ausschließlich ihr Bruder. Damit ist es für sie ein Beziehungsthema, das sie jedoch handelnd löst mit allen drohenden Konsequenzen: „Bei ihm, dem Lieben, werd‘ ich ruhn, die Liebende.“ Doch es ist für sie auch ein Identitätsthema, es ist für sie mindestens ebenso eine Frage der Ehre, „die Liebe, die den Bruder ehrt“. Auch dieses Thema löst sie handelnd, sie glaubt an die Rituale. Ihre Motive mögen edel sein, doch sie ist mehr im Unrecht als Kreon, indem sie zwei Themen, die beide primär keine Handlungsthemen sind, in unerbittlicher Entschlossenheit auf die Handlungsebene bringt. Kreon weiß das, und das ist die Falle, in die er geht. Er wird Opfer eines perfekt inszenierten Verfolgerspiels und seiner Unfähigkeit, sich auf die paradoxe oder gegenläufige Kausalität einzulassen. Er ist unbeweglich, kann die ‚Bewegungen der Wirklichkeit‘ nicht mitmachen; so wird aus dem Richtigen etwas Falsches, das Verständige und Kluge wird, wie er selbst sagt, zu des „Verstandes Unverstand“, der „Klugheit Fluch“. Seit zweieinhalbtausend Jahren erntet er die Pfiffe und Antigone bekommt den Beifall. Doch es ist nicht das Drama der Antigone, es ist das Drama Kreons. Weil er sich, durchaus berechtigt, im Recht fühlt – ‚Kreon hat nicht unrecht‘, doch er ist ‚einseitig‘ (Hegel) –, hört er nicht auf seine Intuition, dargestellt als Chor. Als der Wächter die Nachricht bringt, der Tote sei bestattet worden, sagt der Chor: „Schon lang, o König, überlegt mein Inneres, ob eine Gottheit diese Tat nicht angeregt.“ Der Chor spricht die paradoxe oder gegenläufige Kausalität aus. Zweimal wird Kreon darauf angesprochen, dass er mit dem Todesurteil seinem Sohn die Braut nimmt. Doch auch jetzt bleibt er mit seiner Antwort auf der Handlungsund Denkebene: „Es gibt noch andre Frauen, die er lieben kann.“ Auch sein Sohn kann ihn nicht umstimmen. Der Chor ehrt Antigone, doch er gibt ihr nicht Recht: „Fromm handelt, wer die Toten ehrt; doch dessen Macht, dem Macht gebührt, verachten darf man nimmermehr; so stürzt dich eigner Trotz ins Unheil!“ Sie bleibt uneinsichtig. Kreon besinnt sich, doch es ist zu spät. Antigone, sein Sohn und seine Frau haben sich getötet. Welchen Schluss zieht das Drama selbst aus dem Geschehenen? ‚Am ersprießlichsten ist, um glücklich zu sein, der besonnene Sinn; nie frevle

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

darum an der Götter Gesetz! Der Vermessene büßt das vermessene Wort mit schwerem Gericht; und der Trotzige lernt noch weise zu werden im Alter.‘ Als Antwort wird der ‚besonnene Sinn‘ genannt, hier als die Fähigkeit beschrieben, sich auf die unterschiedlichen Bedingungen des Lebens einstellen zu können – geht es jetzt darum, zu erkennen, zu handeln oder zu lieben? Vermessenheit und Trotz sind die Fallstricke. Wenn es Sophokles besonders um des Recht der Liebe geht, dann dürfte er mit ‚Vermessenheit‘ das überhebliche Denken, mit ‚Trotz‘ das starrsinnige Handeln meinen. Der ‚Götter Gesetz‘ kann dabei nur Markierungslinie sein, um nicht zu weit vom rechten Weg abzukommen. In ‚Der zerbrochene Krug‘ geht es um das Recht, die Macht und die Liebe. Der Dorfrichter Adam richtet nach der Art, ‚wie‘s hier in Huisum üblich‘. Es ist das alte feudalistische Prinzip, dass das Recht vor allem die Herren zu schützen und ihnen zu nützen hat. Und im Bedarfsfall ist das der Dorfrichter Adam selbst. Das neue bürgerliche Rechtsverständnis des Gerichtsrats Walter ist Adam fremd, doch, auch wenn er’s nicht versteht, er ist bereit sich anzupassen: „Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen.“ Recht und Rechtsprechung hat viel mit Erkennen zu tun und damit mit der Zielkausalität: die Wahrheit bringt es an den Tag. So sehr sich Richter Adam windet und dreht, in dem Prozess, den er ‚richtig‘ führen soll, ist er der Schuldige. Das andere Thema ist Macht- und Machtmissbrauch. Er versucht Eve zu erpressen; zuerst soll sie ihm zu Willen sein, dann soll sie falsche Aussagen machen, damit er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Den Gerichtsrat versucht er mit reichlicher Bewirtung günstig zu stimmen, die Beteiligten am Prozess einzuschüchtern. Das sind so die üblichen Methoden ‚auf dem platten Land‘. Dorfrichter Adam weiß das, aber auch Gerichtsrat Walter: „Ich freue mich, wenn es erträglich ist.“ Der Dorfrichter Pfaul in der Nachbarschaft hat da wohl überzogen. Adam über ihn: „Ein liederlicher Hund war’s – sonst eine ehrliche Haut, so wahr ich lebe, ein Kerl, mit dem sich’s gut zusammen war; doch grausam liederlich, das muss ich sagen.“ Dorfrichter Adam kommt von einer misslichen Lage in die andere, er sieht übel zugerichtet aus, seine Perücke, die er für die Amtshandlungen braucht, ist verschwunden und dann dieser unglückliche Prozess ausgerechnet beim überraschenden Besuch des Gerichtsrates. Er entwirft ständig neue Strategien, um aus der heiklen Lage herauszukommen. Damit bringt er sich in ein immer schlechteres Licht. Er bringt alle gegen sich auf. Wie Kreon merkt er nicht, dass er ‚handelnd‘ oder ‚strategisch‘ das Problem nicht lösen kann. So wird es größer und größer. Dabei läge die Lösung auf der menschlichen Ebene, er müsste seine Schwächen eingestehen.

Die drei Kausalitäten in den Dramen

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6.7 Die drei Kausalitäten in den Dramen Wieweit wird das Geschehen in den verschiedenen Dramen bestimmt von den entsprechenden Kausalitäten? Bestätigt es sich, dass die Beziehungstyp-Dramen (‚Faust‘ und ‚Iphigenie‘) auf der Beziehungsebene, also mit der Systemischen Kausalität8 beginnen, dann aber von der Zielkausalität bestimmt werden? Die Sachtyp-Dramen (‚Richard III.‘ und ‚Hamlet‘) müssten mit dem Denken, also der Zielkausalität anfangen, dann ins Handeln mit seiner Ursache-Wirkung-Kausalität gehen und die HandlungstypDramen (‚Antigone‘ und ‚Der zerbrochene Krug‘) mit letzterer, der Ursache-Wirkung-Kausalität beginnen und in ihrem Geschehen von der Systemischen Kausalität geleitet werden. Faust beginnt damit, dass er gefühlsmäßig bewegt seine Verzweiflung ausspricht. Damit ist er zunächst auf der Beziehungsebene, auch wenn sein Thema das Erkennen ist. Es geschehen Dinge, die er nicht erwartet hat. Sein Famulus Wagner besucht ihn – „Es wird mein schönstes Glück zunichte! Dass diese Fülle der Gesichte der trockne Schleicher stören muss!“ Dann als er eben das Gift trinken will, hört er den Klang der Glocken – „Welch tiefes Summen, welch heller Ton zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?“ Das Geschehen ist gegenläufig: Tiefe – Oberfläche, Tod – Leben. Das entspricht der Systemischen Kausalität.9 Nach dem Pakt mit dem Teufel dürfte die Zielkausalität bestimmend werden. Denn die Ereignisse gehen nicht von seinem Wollen aus, haben einen zufälligen oder beiläufigen Charakter. Faust will nicht, dass Gretchen schwanger wird, dass ihre Mutter an dem Schlaftrunk stirbt, ihr Bruder bei dem Duell ums Leben kommt und dass Gretchen das Kind tötet. Es geht nicht um diese Geschichten, so dramatisch sie auch sind. Es geht um Faust, um seine Identität. Im Prolog wird es ausgesprochen, und es ist zugleich eine Beschreibung, wie die Zielkausalität sich realisiert. Dort sagt der Herr: „Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, so werd ich ihn bald in die Klarheit führen.“ Auch der jetzt folgende Vergleich ist zielkausal. „Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, dass Blüt und Frucht die künftgen Jahre zieren.“ Ebenso das Vertrauen, das der Herr in Faust hat: „Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab … und steh beschämt, wenn du bekennen musst: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“ Bei ‚Iphigenie‘ ist es ähnlich. Auch dort beginnt das Stück mit der Klage Iphigeniens. Sie leidet darunter, von ihren Lieben getrennt zu sein. Auch hier sind wir zuerst auf der Beziehungsebene. Auch das Geschehen ist gegenläufig. Der König Thoas möchte sie als Frau. Ihr erscheint sein Werben als die ‚schrecklichste Drohung von allen‘. Wir wissen nicht, ob und wie sehr sie ‚mitspielt‘ in einem ödipalen Ja-aber-Spiel. Sie spricht von ihm als

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6. Persönlichkeitstypische Skripts in Dramen

dem „König, der mein zweiter Vater ward!“, auch zum Abschied sieht sie ihn in der Vaterrolle, nicht in der eines Freundes oder Gönners. Das könnte ein Hinweis sein. Was nun im Folgenden geschieht, scheint ihrem Wunsch zu entsprechen. Rettung und Heimkehr erscheint möglich, doch um den Preis, dass sie den König täuscht. Doch sie setzt alles aufs Spiel, ihr Leben, das ihres Bruders, des Freundes und entscheidet sich ehrlich zu sein. Das ist zwar als Stück wenig überzeugend, es sei denn, dass so viel Edelmut den Verdacht aufdrängt, sie würde nun ein übles Ja-aber-Spiel mit ihren Leuten machen. Doch davon abgesehen, Identität muss auf Wahrheit setzen, ist wahr sein. Die beiden Dramen Shakespeares beginnen nachdenklich. In beiden Fällen ist es kritisches, unzufriedenes Nachdenken. Und in beiden Stücken steht schon am Anfang fest, was geschehen wird oder soll. Richard III. ist entschlossen, sich seinen Weg zum Thron und ins Bett der Prinzessin Anna zu morden: „Noch atmet Clarence, Eduard herrscht und thront; sind sie erst hin, dann wird die Müh‘ belohnt.“ Hamlet bekommt den Auftrag, den Tod seines Vaters zu rächen: „Räch seinen schnöden, unerhörten Mord.“ Für beide gilt das Gesetz von Ursache und Wirkung, es geschieht nur das, was getan wird. Doch Richard III. und Hamlet sind gegensätzliche Naturen. Richard III. kennt kein Zögern, Hamlet ist zögerlich. Viel Gewissen haben beide nicht. Als Hamlet irrtümlicherweise den alten Polonius, den Vater Ophelias, ersticht, ist er schnell damit fertig: „Du kläglicher, vorwitz’ger Narr, fahr wohl!“ Als er von Ophelias Tod erfährt, fängt er Streit mit ihrem Bruder an. Auch das tut er rasch ab: „Hiervon genug; nun komm ich auf das andre.“ Und er berichtet, wie er den Mordanschlag seines Stiefvaters entdeckte und an seiner Stelle Güldenstern und Rosenkranz in den Tod schickte: „Sie rühren mein Gewissen nicht.“ Der Unterschied ist, Richard III. kümmert es nicht, was andere von ihm denken, Hamlet ist das wichtig. Wie kann er seinen Vater rächen ohne handfeste Beweise zu haben? Wohin gehört das? Es dürfte die Ethik des Handelns sein, die Zustimmung der Gemeinschaft. Fast geschieht nun das, was jeder plant. Der König will Hamlet töten, Hamlet den König. Die ‚Verwechslungen‘, die dann dem Geschehen doch einen unerwarteten Verlauf geben, könnten etwas mit Gefühlen zu tun haben, freundschaftlichen und liebevollen Gefühlen, die die systemische Kausalität ins Spiel bringen. Die Mutter trinkt aus dem Giftbecher, der für Hamlet bestimmt ist. Laertes wird, wie Hamlet, mit dem vergifteten Degen verletzt und deckt, sterbend, den Mordplan des Königs auf. Hamlet tötet den König. Hamlets letzter Wunsch, den er zweimal ausspricht, ist: „Erkläre mich und meine Sache den Unbefriedigten.“ Auch in ‚Antigone‘ sind es die Gefühle der Beteiligten, die das auf der

Die drei Kausalitäten in den Dramen

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Handlungsebene angesiedelte Spiel von Antigone und Kreon ‚stören‘. Zunächst sieht es nach einer einfachen Rechnung aus: Antigone bestattet ihren Bruder, deshalb muß sie aus Staatsräson sterben. Beide wissen das, beide akzeptieren es. Doch schon vorher ging die Rechnung nicht auf, war es kein ehrliches Spiel: Antigone behandelt Kreon verächtlich, Kreon reagiert darauf äußerst gekränkt. Dass Hämom sich aus Liebe zu Antigone und seine Mutter sich aus Liebe zu ihm das Leben nehmen, haben beide, Antigone und Kreon, nicht bedacht. Die Systemische Kausalität macht den beiden endgültig einen Strich durch die Rechnung, und bricht ihre Selbsttäuschung. Das erst macht das Drama zum Drama. Auch ‚Der zerbrochene Krug‘ beginnt auf der Handlungsebene. Dorfrichter Adam ist ein mehrfaches Missgeschick geschehen. Eve weist ihn bei einem nächtlichen Rendezvous ab. Ruprecht, ihr Verlobter, zieht im eins über den Schädel und Dorfrichter Adam zerbricht bei seiner Flucht einen Krug. Der Gerichtsrat Walter kommt zu einer Inspektion. Frau Marthe strengt wegen des zerbrochenen Kruges einen Prozess an. Doch es geht dabei auch um Beziehungen, zwischen Eve und Ruprecht, Dorfrichter Adam und Eve, Frau Marthe und ihrem Krug, Frau Marthe und Eve, Frau Marthe und Ruprecht, Dorfrichter Adam und Gerichtsrat Walter und Dorfrichter Adam und seinem Schreiber Licht. Es ist ein Lustspiel und es spielt sich hauptsächlich auf der Beziehungsebene ab. Hier gilt die paradoxe oder gegenläufige Kausalität: man bewirkt in der Regel das Gegenteil von dem, was man bewirken will. Das ist das Fatale für Dorfrichter Adam. Fast jeder Schuss, den er abfeuert, geht nach hinten los. Daß er gleichzeitig auf drei Ebenen agieren muss, seine bewährten Methoden, die zwar noch kurzfristig funktionieren, doch im Widerspruch stehen zu dem Vorgehen, wie es Gerichtsrat Walter wünscht, nicht greifen und er zugleich Richter und zunehmend Verdächtiger ist, das wächst ihm über den Kopf. Es entsteht ein chaotischer Prozessablauf, den Gerichtsrat Walter nur gewähren lässt, um, was das Ansehen des Gerichtes betrifft, zu retten, was noch zu retten ist. Umso deutlicher setzen sich die ‚naturgesetzlichen‘ Kausalitäten durch, die paradoxe, die unsichtbar das sichtbare Geschehen bestimmt, und die Zielkausalität, die unaufhaltsam auf die Lösung hinführt: Wer hat den Krug zerbrochen – und die Beziehung zwischen Eve und Ruprecht beschädigt? In all diesen Beispielen zeigt es sich: Dramen leben davon, dass die Beteiligten ihre Schlüsselfähigkeiten nicht gebrauchen und die Gesetzmäßigkeiten unterschiedlicher Lebensbereiche verwechseln. Die Zuschauer spüren, was richtig wäre, leiden mit oder lachen.

7. Verwandte Diagnostik-Modelle 7.1 Die Psychoanalytische Charakterkunde Aus der näheren und weiteren Vergangenheit ist uns ein reiches Wissen zu den Themen Persönlichkeitstypologie und Menschenkenntnis überliefert. Es soll in diesem Kapitel kurz zusammengefasst werden mit der Anregung, dass sich der Leser mit den ausführlichen Darstellungen in der entsprechenden Literatur vertraut macht. Hier geht es vor allem darum zu zeigen, wie dieses Wissen integriert werden kann. Dabei liegt mir viel daran deutlich zu machen, dass es sich gegenseitig bestätigt. Das erscheint mir wichtig zu einem Zeitpunkt, zu dem dieses Wissen noch nicht allgemein anerkannt ist. Darüber hinaus können die Querverbindungen zwischen den unterschiedlichen Modellen dazu beitragen, dass die Diagnosen sicherer und aussagekräftiger werden. Die psychoanalytische Charakterkunde ist bisher die einzige Persönlichkeitstypologie, die wissenschaftliche Anerkennung erfahren hat, nicht in dem strengen Sinne, dass sie durch wissenschaftliche Untersuchungen zweifelsfrei bestätigt wäre, sondern dadurch, dass sie sich in der Praxis über einen langen Zeitraum ausreichend bewährt hat. In einem späteren Vergleich sollen auch die beiden anderen ‚großen Typologien‘ einbezogen werden, das Diagnostik-Modell der homöopathischen Konstitutionstypen und das Enneagramm. Beide sind wesentlich älter und weniger theoriegeleitet als die psychoanalytische Charakterkunde. Sie liefern viel detailliertes empirisches Beobachtungsmaterial. Auch die von manchen schon abgeschriebenen Reaktionstypen nach C. G. Jung und die Körpertypen nach Kretschmer gewinnen erneut an Erklärungswert. Sie machen verständlich, warum manche Typologien drei, andere vier, sechs, neun oder mehr Typen unterscheiden. Befasst man sich näher mit den psychoanalytischen Charaktertypen, so kann man sich dem Eindruck kaum entziehen, dass hier Persönlichkeitstypen beschrieben werden, die sich relativ deutlich voneinander abgrenzen. Das wird durch klinische Erfahrungen über den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und durch statistische Untersuchungen bestätigt. Ebenso ist der Annahme zuzustimmen, dass die beschriebenen Strukturtypen nicht nur für psychisch gestörte, sondern ebenso für die gesunden Vertreter ihres Types gelten, auch wenn dieser Anspruch in der Darstellung der Typen nur unzureichend eingelöst wird. Tatsächlich werden die Persön-

Die Psychoanalytische Charakterkunde

Instanzen-Modell

Libidinöse Typen

Über-Ich

Zwanghafter Typ

Ich

Narzistischer Typ

Es

Erotischer Typ

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Abb.25: Das frühe Modell Freuds: ‚Instanzen-Modell und Libidinöse Typen‘.

lichkeitstypen ganz überwiegend in ihren neurotischen Ausprägungen beschrieben. Das hängt zusammen mit der problemorientierten Sichtweise der Psychoanalyse, die annimmt, dass das Erkennen der Problemursachen entscheidend zu Problemlösungen beitragen würde – eine Hoffnung, die sich nur sehr unzureichend erfüllt hat. Besonders interessant erscheint mir das frühe, heute kaum mehr bekannte Diagnostik-Modell Freuds, in dem er die Persönlichkeitstypen mit seinem Instanzen-Modell in Verbindung bringt: das Über-Ich mit dem zwanghaften, das Ich mit dem narzistischen und das Es mit dem erotischen Strukturtyp (Abb. 25). Diese Zuordnung ist später verloren gegangen. In der Prozessorientierten Persönlichkeits-Psychologie wird diese Beziehung der drei Grundtypen zu den drei Ichs wieder aufgegriffen. Nicht nur dass die drei Ichs die entsprechenden Persönlichkeitstypen charakterisieren, die Eigenschaften des Beziehungs-Ichs den lebendigen Beziehungstyp, die Fähigkeiten des Erkenntnis-Ichs den nachdenklichen Sachtyp und die Qualitäten des Handlungs-Ichs den tüchtigen Handlungstyp. Die drei Ichs sind auch die Basis für die unterschiedlichen Prozesse, die die Persönlichkeitstypen ausmachen. Freud ersetzt später den narzistische Typ durch den depressiven und den erotischen durch den hysterischen, und seine Nachfolger erweitern das Modell durch den schizoiden Strukturtyp und zuletzt durch den narzistischen und den phobischen (Tab. 8). Schultz-Hencke (1951) und Riemann (1982) ergänzen das freudsche Modell zunächst durch den schizoiden Charaktertyp. Tatsächlich geht der oralen Phase, in der sich die depressive Charakterstruktur manifestiert, eine deutlich unterscheidbare, frühe Phase voraus, die intentionale. Doch

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

es wird nicht erkannt, dass die intentionale und ödipale Phase thematisch verwandt sind und dass es in beiden um das Beziehungsthema geht und deshalb der schizoide und der hysterische Strukturtyp nur zwei Ausprägungen des gleichen Grundtyps sind, die auf unterschiedliche Weise umgehen mit der Beziehung zu anderen, zu sich selbst und zum Leben. Der schizoide Typ versucht dieses Thema durch Starksein, Kontrolle, Distanz und anspruchsvolle Leistungen in den Griff zu bekommen, der hysterische durch gewinnende Liebenswürdigkeit, Retten und Gefühlsüberschwang. Beides ist Beziehungsverhalten. Warum wurde das nicht erkannt? Hier rächt es sich, dass sich die psychoanalytische Charakterkunde zu sehr von klinischen Beobachtungen leiten lässt. Dort sind schizoide und hysterische Patienten tatsächlich sehr unterschiedllich in ihrem Erleben und Verhalten. Gesunde Vertreter dieses Typus wissen jedoch sehr wohl, dass sie beide Seiten in sich haben, die gewinnend liebenswürdige und die kühl überlegene, wobei die eine oder andere im Vordergrund stehen kann. Bei Freud wird die Beziehungsthematik des hysterischen Strukturtyps noch deutlich, denn er bringt ihn in Zusammenhang mit der ödipalen Problematik. Damit ist zunächst das ganz normale Sich-Verlieben des Kindes in den gegengeschlechtlichen Elternteil gemeint. Das wird nur dann problematisch, wenn Erwachsene dieser kindlichen Erotik nicht kindgemäß begegnen, sondern sie für ihre Bedürfnisse benützen. Damit reißen sie das Kind aus seinem Kindsein heraus, indem sie es zugleich privilegieren und emotional oder sexuell missbrauchen. Der hysterische Strukturtyp steht in seinem Leben unter dem Zwang, dass er von allen geliebt werden muss, und wenn er es bei einzelnen erreicht hat, dann diese Liebe nicht oder nur bedingt annehmen kann. Der schizoide Strukturtyp betont dagegen seine Unabhängigkeit, hinter der sich seine ebenso brennende Sehnsucht nach Geliebt-Werden versteckt. Ein Klient drückte es bildlich so aus: „Ich ziehe mich auf den Gipfel eines einsamen Berges zurück, doch weithin sichtbar.“ Schultz-Hencke und Riemann betonen beim hysterischen Typ dessen Schwierigkeiten mit dem Realitätsbezug. Dabei verwechseln sie Ursache und Wirkung. Denn damit der hysterische Strukturtyp als Erwachsener sein ödipales, d. h. sein abwechselnd kindlich verführerisches und abweisendes Beziehungsverhalten realisieren kann, muss er zeitweilig seinen Realitätsbezug einschränken. Da nun vier Strukturtypen beschrieben werden, und der hysterische Typ weniger unter dem Aspekt des Beziehungsals des Realitätsbezuges gesehen wird, folgt für die psychoanalytische Charakterkunde, dass sowohl der Bezug zum Instanzen-Modell Freuds aufgegeben wird, und auch nicht mehr erkennbar ist, dass es nur drei Grund- oder Haupttypen gibt (Tab.7).

Die Psychoanalytische Charakterkunde

149

Tab.7: Entwicklungspsychologie der Strukturtypen.

Entwicklungs-phasen und Lebensalter

Strukturtypen

Lebensthemen

Probleme und archaische Ängste

intentionale Phase 0 bis 3 Monate

schizoider Typ (Beziehungstyp I)

Beziehung zu anderen, zu sich selbst, zum Leben

Mißtrauen, Hilflosigkeit, Angst zu sterben

orale Phase 3 Monate bis 11/2 Jahre

depressiver Typ (Sachtyp)

Selbstbewußtsein und Identität

Ich-Schwäche, Angst sich aufzulösen

anale Phase 11/2 bis 3 Jahre

zwanghafter Typ (Handlungstyp)

O.K.-sein und O.K.-Machen

Perfektionismus, schlechtes Gewissen, Angst zu erstarren

ödipale Phase 3 bis 5 Jahre

hysterischer Typ (Beziehungstyp II)

Beziehung zum anderen und eigenen Geschlecht

Verführung, Lieblosigkeit, Angst, verlassen zu werden und zu sterben

König1 beschreibt zwei weitere Strukturtypen, den narzistischen und den phobischen. Damit schließt er an Typologien an, die im angelsächsischen Raum entwickelt und die bei uns über die diagnostischen Handbücher des ICD2 und DSM3 bekannt wurden. Das ist eine wertvolle Ergänzung der psychoanalytischen Charaktertypen. Da es sich bei der psychoanalytischen Charakterkunde um ein phänomenologisches Modell handelt, also ein von Beobachtungen ausgehendes, bleibt es relativ ungenau. So erkennt König zwar beim phobischen Typ die Nähe zum zwanghaften, doch beim narzisstischen Typ wird die Verwandtschaft zum depressiven als dessen manische Variante nicht deutlich. Ganz allgemein wird zu wenig gesehen, dass gegensätzliches Verhalten nicht wirklich verschieden, sondern verwandt und meist nur die andere Seite einer Medaille ist. Diese Unschärfe setzt sich darin fort, dass König alle Variationen von Typmischungen für möglich hält. In ‚Der andere‘ habe ich ebenfalls sechs Typen beschrieben. Sie kommen so zustande, dass bei jedem der drei Grundtypen ähnlich den Jungschen Reaktionstypen ein Typ I und ein Typ II unterschieden werden kann. Typ I ist stärker ich- und personenbezogen, Typ II eher ichvergessen und nach außen orientiert, also auf die Erwartungen anderer, auf sachliche Notwendigkeiten oder Ordnungen und Regeln. Auch körperlich zeigen

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Tab.8: Die psychoanalytischen und die psychographischen Persönlichkeitstypen. Entstehungszeitraum Strukturtypen

Schultz-Hencke Riemann

König

Friedmann

0 bis 3 Monate*

Schizoider Typ

Schizoider Typ

Beziehungstyp I

3 Monate bis 11/2 Jahre*

Depressiver Typ

Narzistischer Typ

Sachtyp I

1/2

Zwanghafter Typ

Phobischer Typ

Handlungstyp I

Hysterischer Typ

Hysterischer Typ

Beziehungstyp II

5 bis 8 Jahre*

Depressiver Typ

Sachtyp II

8 bis 12 Jahre*

Zwanghafter Typ

Handlungstyp II

bis 3 Jahre*

3 bis 5 Jahre*

* Zirka-Angaben, neuere Untersuchungen aus den USA weisen darauf hin, dass sich die Phasen weiter nach vorne verschieben, dass beispielsweise Mädchen schon als Neun- oder Zehnjährige in die Pubertät kommen.

sich Unterschiede. Der Typ I ist vom Körperbau her meist etwas schmaler, kompakter und feingliedriger, der Typ II hat entsprechend ausgeprägtere Körperformen, breitere Schultern, breiteres Becken, ist kräftiger und rundlicher gebaut und ist häufig auch etwas größer. Entwicklungspsychologisch gesehen ist Typ I früher, Typ II später entstanden. Die Ich-Vergessenheit des Typ II macht ihn anfällig für Depressionen, den Beziehungstyp für die agierende Verzweiflungs-Depression, den Sachtyp für die niederdrückende Schwermuts-Depression und den Handlungstyp für die gefühlstote Verbitterungs-Depression. Den Einser-Typen tut es in der Regel gut, sich zu sagen: „Ich darf so sein, wie ich bin!“ oder „Die Lösung ist schon vorhanden!“ Die Zweier-Typen fühlen sich wohler mit: „Ich darf ich selbst sein!“ oder „Ich bin die Lösung!“ (Tab. 8) Zusammenfassend kann gesagt werden: die psychoanalytische Charakterkunde beschreibt sowohl die drei Grundtypen (Freud), wie ihre Ausprägungen in Typ I und II (Schultz-Hencke 1951 bis König 1997), allerdings mehr ihre pathologischen als ihre gesunden Aspekte. Durch ihren phänomenologischen Ansatz kann sie nicht trennscharf unterscheiden, denn auf der Ebene des Erlebens und Verhaltens können Ähnlichkeiten sich wesensfremd und Gegensätze -verwandt sein. Die psychoanalytischen Darstellungen sind jedoch nicht einfach beschreibend wie etwa das ICD oder DSM, sondern durchzogen von Interpretationen, Analysen und Erklärungen. Dass König gegenüber Riemann wieder, wie er sagt, ‚mehr die problematischen Seiten einer Struktur‘ beschreibt, erscheint mir einerseits

Das Enneagramm – Übersicht

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erstaunlich, da dies Riemann ja auch schon tut, und darüber hinaus ein Schritt zurück zu sein. Denn wenn Persönlichkeitstypen nicht per se etwas Pathologisches sind, sollte man bei seinen Untersuchungen von gesunden Personen, also von der Regel und nicht von der Ausnahme ausgehen. In der Rückbesinnung auf Freud wäre die psychoanalytische Charakterkunde gut beraten, sich wieder auf das Instanzen-Modell zu beziehen.

7.2 Das Enneagramm – Übersicht Das Enneagramm ist eines der ältesten und zugleich aktuellsten Modelle der Menschenkenntnis. Es wurde von den Sufis, einer spirituellen Schule des Islams, seit dem ausgehenden Mittelalter benützt, um Menschen zu schulen. Oscar Ichazo und Georg Iwanowitsch Gurdjieff machten es in der westlichen Welt bekannt, Claudia Naranjo entwickelte es weiter.4 Heute wird das Enneagramm bei uns in zwei Linien weitergeführt, einer kirchlichen und einer psychologischen. So wurde es vom Jesuitenorden als ein Mittel der geistigen Begleitung und als ein Modell für die Exerzitienarbeit übernommen. In dieser christlichen Interpretation stehen auch die beiden Autoren Richard Rohr, ein amerikanischer Franziskaner, und Andreas Ebert, ein bayrisch-lutherischer Pfarrer, die das Enneagramm im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht haben. Für die psychologische Linie steht beispielhaft Helen Palmer mit ihren Büchern zu diesem Thema. Charles T. Tart5 schreibt in seiner Einführung zu Helen Palmers ‚Das Enneagramm‘ über seine Studien: ‚Es stellte sich eindeutig als das komplexeste und anspruchsvollste Persönlichkeitssystem heraus, das mir in meiner beruflichen Praxis als Psychologe bis dahin begegnet war … Nach fünfzehnjähriger Erfahrung halte ich das Enneagramm der Persönlichkeit noch immer für ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um sich selbst und andere zu verstehen, sich in sie einzufühlen und mit ihnen umzugehen.‘6 Helen Palmer schreibt: ‚Wenn ich Testgruppen interviewe, liegt der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit immer auf den Unterschieden zwischen den einzelnen Typen; die von mir entwickelte Fragestellungen sind daher eher auf das bei jedem der neun Punkte Einzigartige als auf ihre Gemeinsamkeit ausgerichtet. Die Betonung der Unterschiede ist wichtig, weil ein Großteil des Leids, das wir in unseren Beziehungen mit anderen Menschen erleben, von unserer Blindheit ihrem Standpunkt gegenüber herrührt. Wir nehmen die Realität, in der uns nahe stehende Menschen ihr Leben führen, einfach nicht wahr.“7 Das Enneagramm unterscheidet ebenfalls die drei Basistypen als Herztyp, Kopftyp und Bauchtyp und differenziert sie je dreifach. So entstehen neun Typen. Gurdjieff sprach im Zusammenhang der drei Basistypen von

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

den ‚drei Gehirnen‘, dem mentalen, emotionalen und instinktiven Zentrum. Die Verwandtschaft zu den drei Lebensbereichen, den drei Ichs und den drei Grundtypen der Persönlichkeit ist unübersehbar. Die verbindlichen Bezeichnungen der neun Typen findet durch die Zahlen eins bis neun statt. Die Namen sind von Autor zu Autor unterschiedlich. Ich selbst habe mich bemüht mit den Namen nicht nur soviel Typisches wie möglich auszudrücken, sondern auch etwas von den inneren Widersprüchen der Persönlichkeiten anzudeuten: so ist Typ 1, der ‚ethische Unterstützer‘, ein verlässlicher und sozial eingestellter Mensch, doch er neigt auch dazu, andere zu regulieren, Typ 2, der ‚begeisterungsfähige Helfer‘, ist ein engagierter, liebevoller Mensch, doch er möchte zugleich andere retten im Sinne des Helfersyndroms, Typ 3, der ‚liebenswürdige Gewinner‘, bringt brillante Leistungen, doch hat auch die Tendenzen, andere zu manipulieren, Typ 4, der ‚anspruchsvolle Romantiker‘, ist ein gefühlstiefer und kultivierter Mensch, neigt aber auch dazu, andere abzuwerten, Typ 5, der ‚gutmütige Beobachter‘, ist ein klarsichtiger Denker, doch er hat die Neigung, sich vom Leben zu distanzieren und sich wenig zu engagieren, Typ 6, der ‚loyale Skeptiker‘, denkt tief nach und klärt sein Wollen, doch läuft auch Gefahr, sich im Grübeln zu verlieren, Typ 7, der ‚optimistische Pragmatiker‘, handelt durchdacht und zukunftsorientiert, ist aber gelegentlich unsensibel im Zwischenmenschlichen, Typ 8, der ‚faire Kämpfer‘, übernimmt Verantwortung und beschützt Schwächere, doch er kann sich auch in Vorurteilen verrennen, Typ 9, der ‚kameradschaftliche Macher‘, kann kollegial führen, doch sich auch in Nebensächlichem verlieren. Die ursprünglichen Bezeichnungen waren die ‚Fallen‘, die für den einzelnen Typ gefährlich werden könnten und vor denen gewarnt wird. Das war für Typ 1 der Groll, Typ 2 die Schmeichelei, Typ 3 die Eitelkeit, Typ 4 die Melancholie, Typ 5 der Geiz, Typ 6 die Feigheit, Typ 7 die Planung, Typ 8 die Rache und Typ 9 die Trägheit. Auch die Distanzen zu den drei Basisfähigkeiten Fühlen, Denken und Handeln sind aufschlussreich (Abb. 26). So liegen die Typen 6, 7 und 8 auf der dem Herzmenschen gegenüber liegenden Seite des Kreises. Sie sind damit am weitesten weg vom Thema Gefühl. Für sie ist es oft schwierig wahrzunehmen, was sie fühlen. Die Typen 9, 1 und 2 sind am weitesten weg vom Denken. Tatsächlich lassen Neuner und Einser häufig andere für sich denken. Und Zweier sind manchmal etwas naiv. Die Typen 3, 4 und 5 sind am weitesten weg vom Handeln. So handeln Dreier oft fremdbestimmt,8 Vierer etwas weltfremd9 und Fünfer tun sich überhaupt schwer

Enneagramm und Körpertypen

153

Typ 9: Der kameradschaftliche Macher (Trägheit)

Typ 8: Der faire Kämpfer (Rache)

9. 1.

8.

Typ 1: Der ethische Unterstützer (Groll)

Bauchmenschen Handlungstypen

Typ 7: Der optimistische Pragmatiker (Planung)

Typ 6: Der loyale Skeptiker (Feigheit)

7.

2.

6.

Kopfmenschen

Herzmenschen

Sachtypen

Beziehungstypen

5. Typ 5: Der gutmütige Beobachter (Geiz)

3.

4.

Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer (Schmeichelei)

Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner (Eitelkeit)

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker (Melancholie)

Abb.26: Das Enneagramm mit den drei Grundtypen und den Fallen (in Klammern).

ins Handeln zu kommen. Da die Persönlichkeitsentwicklung im Uhrzeigersinn verläuft, setzt bei Typ 9 schon der Sog hin zum Fühlen, bei Typ 3 der hin zum Denken und bei Typ 6 der hin zum Handeln ein. Diese Distanz zum Fühlen, Denken oder Handeln kann sich durch die Persönlichkeitsentwicklung dramatisch veringern. Dann werden aus den Herzmenschen klare Denker, den Kopfmenschen tüchtige Macher und den Bauchmenschen spontane, intuitive und gefühlsmäßig engagierte Persönlichkeiten.

7.3 Enneagramm und Körpertypen Die erste Frage, die sich mir beim Betrachten des Enneagramms stellte, war: wie kommt die jeweils dreiteilige Binnendifferenzierung der drei Grundtypen zustande? Weshalb gibt es jeweils drei Herzmenschen, drei Kopfmenschen und drei Bauchmenschen? Es war nahe liegend an die drei Körpertypen zu denken, die sich auch bei den homöopathischen Konstitutionstypen als prägend erwiesen haben. Die Erfahrungen in der Praxis

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle Typ 9: Der kameradschaftliche Macher Typ 8: Der faire Kämpfer

9. athletisch 8. leptosom

Typ 7: Der optimistische Pragmatiker

7. athletisch

Typ 6: Der loyale Skeptiker

1. pyknisch

Typ 1: Der ethische Unterstützer

athletisch 2.

6. leptosom pyknisch 5. Typ 5: Der gutmütige Beobachter

pyknisch 3. leptosom 4.

Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer

Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker

Abb.27: Das Enneagramm und die Körpertypen.

haben diese Annahme bestätigt. Es macht auch insofern Sinn, dass Leptosome eher nachdenklich, Athletiker praktisch und die Pykniker gemütshafte Menschen sind. Das passt zur jeweiligen Nachbarschaft der Leptosomen zum Kopfmenschen, der Athletiker zum Bauchmenschen und der Pykniker zum Herzmenschen. Im Enneagramm wird diese Nachbarschaft Flügel genannt und als eine typmäßige Verwandtschaft verstanden. Dabei ist zu beachten, dass heute, bedingt durch die Akzeleration des Größenwachstums, andere Ernährung und Sport, anders als zu Zeiten Kretschmers die Körpertypen weniger an der Gestalt als an der Form des Kopfes und der Hände erkannt werden können. Es gibt auch groß gewachsene und schlanke Pykniker, relativ schmalschultrige Athletiker und kleinwüchsige Leptosome (Abb. 27). Im Enneagramm gilt der Dreier als der Herzmensch, der Sechser als der Kopfmensch und der Neuner als der Bauchmensch. In meiner Terminologie ist der Dreier der typische Beziehungstyp, der Sechser der typische Sachtyp und der Neuner der typische Handlungstyp. Das schließt nicht aus, dass die Dreier häufig Probleme mit dem Fühlen, die Sechser mit dem Denken und die Neuner mit dem Handeln haben. Vermutlich hängt dies mit ihren entwicklungspsychologischen Entstehungsbedingungen10 zusammen. Auch die an den Grenzen angesiedelten Typen entsprechen in der Hauptsache dem jeweiligen Grundtyp, auch wenn sie viel von ihren Nach-

Die neun Typen des Enneagramms

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barn jenseits der Grenze haben. Der Einser ist dann ein ‚beziehungstypischer‘ Handlungstyp, der Zweier ein ‚handlungstypischer‘ Beziehungstyp, der Vierer ein ‚sachtypischer‘ Beziehungstyp, der Fünfer ein ‚beziehungstypischer‘ Sachtyp, der Siebener ein ‚handlungstypischer‘ Sachtyp und der Achter ein ‚sachtypischer‘ Handlungstyp. Dieses Wissen verhindert vorschnelle Diagnosen. Es regt zu einem genaueren Beobachten an, habe ich es beispielsweise mit einem ‚beziehungstypischen‘ Handlungstyp (Typ 1) oder ein ‚handlungstypischer‘ Beziehungstyp (Typ 2) zu tun? Entscheidend ist, dass der Grundtyp richtig diagnostiziert wird. Die folgenden zusammenfassenden Beschreibungen der neun Typen sollen ein ausführliches Studium der Typen des Enneagramms nicht ersetzen, ebenso wenig wie die Beschreibung der homöopathischen Konstitutionstypen. In beiden Fällen geht es in erster Linie um die Koordination der verschiedenen Modelle.11 Die vergleichende Lektüre der psychologischen oder psychoanalytischen Typen, der Konstitutions- und Enneagrammtypen zeigen recht weitgehende Übereinstimmungen, aber auch interessante ergänzende Sichtweisen.

7.4 Die neun Typen des Enneagramms Typ 1: Der ethische Unterstützer (Handlungstyp, pyknisch) Der Einser möchte perfekt sein. Nur so glaubt er akzeptiert und geliebt zu werden. ‚Die Einser waren die braven Mädchen und Jungen. Sie lernten, sich gut zu betragen, Verantwortung zu übernehmen und vor allem in den Augen anderer korrekt zu sein.‘12 Diese Maßstäbe haben sie als Erwachsene internalisiert und messen sich und andere daran. Damit verschaffen sie sich ein Gefühl der moralischen Sicherheit. Doch diese kritische innere Stimme beurteilt sie auch permanent selbst und kann für sie zu einem richtigen Quälgeist werden. Andere bekommen davon wenig mit, denn der Einser hält sich meist zurück, er denkt sich seinen Teil und verhält sich diplomatisch. In Partnerbeziehungen können sie unter Eifersucht leiden, besonders gegenüber Personen, die sich verführerisch geben. Einser leiden unter der falschen Annahme, dass andere sie beurteilen und bewerten. Sie richten sich nach Autoritäten und neigen auch selbst zu autoritärem Verhalten. Für den Einser gibt es den einen richtigen Weg. Da sie Angst haben Fehler zu machen, zögern sie Entscheidungen hinaus. Dass sie ihre Bedürfnisse nicht leben dürfen, erfüllt sie mit Zorn, den sie jedoch unterdrücken. Die Wut kann ihnen regelrecht in der Kehle stecken bleiben. Es sei denn, es ist ein ‚gerechter Zorn‘. Ihm dürfen sie Ausdruck verleihen. Sie merken nicht, wie sie sich und andere mit diesem Rigorismus quälen. Dazu kann auch übermäßiges Arbeiten gehören. Das strenge

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Umgehen mit sich selbst und der verdrängte Zorn, dass sie nicht lieben und leben dürfen, kann auf die Dauer zu psychosomatischen Beschwerden führen. Kleinen Kindern und Tieren gegenüber sind sie meist großzügig, liebevoll und verwöhnend. Entwickelte Einser können sich in den anderen einfühlen und sind hilfsbereit und fürsorglich. Sie können sich wie Kinder freuen und sich ausschütten vor Lachen. Manche führen ein Doppelleben. Dort wo man sie kennt, sind sie korrekt, doch in einer fremden Umgebung gehen sie aus sich heraus und genießen das Leben in vollen Zügen. Einser besitzen organisatorische Fähigkeiten, und wenn sie von einer Sache überzeugt sind, setzen sie sich unermüdlich dafür ein. Sie spüren körperlich, wenn etwas richtig ist. Dann erfüllt sie ein Glücksgefühl und der innere Kritiker schweigt. Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer (Beziehungstyp, athletisch) Zweier kommen mit strahlenden Augen auf andere zu, geben sich attraktiv und verführerisch. Und sie sind immer bereit, anderen zu helfen. Sie gehen diesen direkten Weg, um das Gefühl zu bekommen, geliebt und gebraucht zu werden. Dass dabei manch einer Feuer fängt, der gar nicht gemeint ist, bekümmert sie wenig. Dafür machen sie sich häufig unnötige Sorgen um andere, die sie als bedürftiger und gefährdeter erleben, als diese tatsächlich sind. Zweier sind meistens ‚gut drauf‘, sind begeisterungsfähig und unternehmen gerne etwas mit anderen. Sie sind praktisch veranlagt, treiben gerne Sport, kümmern sich um das Wohl der anderen und verfolgen oft sehr spezielle Interessen. Sie spielen etwa ein ungewöhnliches Musikinstrument, engagieren sich für ein ganz bestimmtes Entwicklungshilfe-Projekt, studieren einen wenig populären Philosophen. Das ermöglicht ihnen ihre unbekümmerte, direkte Art sich dort zu engagieren, wo sie gebraucht werden. Sie können sich gefühlsmäßig gut auf andere einstellen, Erwartungen entsprechen und haben meist eine so positive Ausstrahlung, dass es ihnen leicht fällt, bei anderen gut anzukommen. Die Gefahr dabei ist, dass sie mehr versprechen, als sie halten können, sich mit der Oberfläche begnügen, wenig individuelle Persönlichkeit entwickeln und austauschbar werden. Neben dem sonnigen, bezaubernden und einfühlsamen Wesen existiert dann eine andere Seite, die kalt, roh und verletzend sein kann. Diese kann im Klang der Stimme deutlich werden, in einem momentanen Gesichtsausdruck oder in abwertenden Äußerungen über andere. Doch da sie nicht ins Bild paßt, wird sie von den meisten nicht wahrgenommen, etwa die zynische Stimme eines strahlenden Fernsehmoderators oder der ordinäre Tonfall einer überaus attraktiven Schauspielerin.

Die neun Typen des Enneagramms

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Auch wird gerne übersehen, dass die liebenswürdige Hilfsbereitschaft nicht so selbstlos ist, wie sie erscheint, sondern eine Position der Überlegenheit ausdrückt und andere abhängig machen möchte. Weniger entwickelte Zweier sind sich dessen nicht bewusst und reagieren verständnislos, ärgerlich und bestrafend auf die Reaktionen, die ihr Verhalten bei anderen auslöst. Damit sie zu sich selbst finden und sich weiter entwickeln, müssen Zweier sich zurückziehen können, ruhig nachdenken, loslassen und ihre emotionalen Verstrickungen gedanklich klären. Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner (Beziehungstyp, pyknisch) Der Dreier möchte sich profilieren, der Erste, Erfolgreichste, Kompetenteste, die Attraktivste, Beste, Klügste sein. Obwohl er gleichzeitig davor eine gewisse Scheu hat, möchte er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Dreier sind ehrgeizig und legen großen Wert auf ihr Image. Das verbergen sie mit ihrem liebenswürdigen und gewandten Auftreten. Auch wenn sie hart arbeiten, erwecken sie den Eindruck einer spielerischen Leichtigkeit. Sie neigen dazu, zu konkurrieren und gelegentlich zu intrigieren. Sie möchten auf alle Fälle gewinnen. Indem sie alle Pluspunkte besetzen, möchten sie sicherstellen, dass sie liebenswert sind. Da sie sehr verletzlich sind, haben sie gelernt, ihre Gefühle zu kontrollieren. Obwohl sie der Zentraltyp des Herzmenschen sind, haben sie verglichen mit dem Zweier und Vierer häufig am wenigsten Zugang zu ihren Gefühlen. Sie haben Angst davor, von Emotionen überflutet und von ihnen hilflos gemacht zu werden. Deshalb möchten sie Zuneigung durch Schönheit, brillante Leistungen und ein gewandtes Auftreten gewinnen. Dreier machen einen intelligenten, selbstbewussten und überlegenen Eindruck. Sie entsprechen am vollkommensten den Erfolgskriterien unserer Gesellschaft: sie sind die dynamischen, coolen und attraktiven Gewinner. Sie sind leistungsorientiert, können andere mitreißen und ihre Ergebnisse gut präsentieren. Sie haben ein sicheres Gespür dafür, was andere erwarten und wertschätzen und können sich fast automatisch darauf einstellen. Selbst Menschen, die ihnen mit Vorbehalten und Ablehnung begegnen, können sie zumindest vorübergehend für sich einnehmen und ihnen das Gefühl vermitteln, wie sympathisch sie seien. Sie sind die geborenen Schauspieler und können oft selbst nicht mehr unterscheiden, was echt und was gespielt ist. Sie nehmen Beifall für Wahrheit und Qualität. Nur manchmal wird das vernachlässigte Kind in ihnen sichtbar, das so, wie es ist, angenommen und geliebt werden möchte. Und sich für dieses wenig attraktive Kind zu entscheiden, genau das ist ihre Chance. Dreier müssen zwei Dinge lernen, die ebenso wertvoll wie schwierig sind: ganz und gar wahrhaftig zu sein und sich in den Dienst einer Sache zu stellen, die größer ist als sie selbst.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker (Beziehungstyp, leptosom) Der Vierer wirkt, verglichen mit den anderen Herztypen, ernster, nachdenklicher und oft eine Spur melancholisch. Es sind in der Regel anspruchsvolle Menschen, die eine besondere Neigung zu künstlerischen, literarischen oder spirituellen Themen haben. Sie lieben und machen Musik, sie malen, dichten, lesen gerne, führen nachdenkliche Gespräche, tragen Kleider, die künstlerisch oder geheimnisvoll wirken, richten stilvoll ihre Wohnung ein, umgeben sich mit geschmackvollen und wertvollen Dingen und fühlen sich von Menschen angezogen, die entweder etwas Besonderes sind oder im Gegensatz dazu einfach und natürlich. Sie machen einen edlen Eindruck und gestalten ihr Leben als ein Gesamtkunstwerk. Es sind Menschen, die auf der Suche sind, erfüllt von einer Traurigkeit über etwas, was sie meinen verloren zu haben und von Sehnsucht nach etwas, das sie noch nicht kennen. Das Gegenwärtige, das, was sie haben, erscheint ihnen eher gewöhnlich, langweilig und wertlos. Das, was schwer erreichbar und weit weg ist, wirkt auf sie reizvoll und anziehend. Das Geschmacklose, Seichte, Primitive oder Ordinäre erfüllt sie mit Abscheu. Ihre Beziehung zum eignen Körper ist manchmal problematisch, entweder dass sie narzistisch in ihn verliebt sind, ständig in jeden Spiegel sehen müssen oder sich als dick und hässlich ablehnen. Das kann sich als Magersucht äußern. Obwohl sie sich nach Nähe sehnen, stellen sie immer wieder Distanz her. Durch zu viel Nähe fühlen sie sich entwertet. Sie können kritisch und abwertend sein, sich selbst und anderen gegenüber. Wenn sie verlassen oder depressiv werden, leiden sie so dramatisch und hoffnungslos, als ob dieser Schmerz ewig währen würde. Nicht umsonst wird der Vierer vor der Falle Melancholie gewarnt, denn sie gibt ihm das Gefühl einer tiefen und schmerzlichen Identität des Auserwähltseins. Vierer können sich einfühlen in Menschen die leiden, doch sie können sich auch in diesem Mitleiden verlieren. Auch in Partnerbeziehungen lieben Vierer häufig auf Distanz, sind fasziniert von Menschen, die schwer oder unerreichbar erscheinen, glauben, dass andere Beziehungen glücklicher sind als die eigene und tun sich schwer, den Alltag mit ihren idealen Vorstellungen von Liebe in Einklang zu bringen. Typ 5: Der gutmütige Beobachter (Sachtyp, pyknisch) Fünfer sind ruhige, bescheidene, gutmütige und zurückgezogene Menschen. Sie scheuen Kontakte, sind gerne zuhause oder gehen Arbeiten nach, bei denen sie sich ungestört in einen Sachverhalt vertiefen können. Sie sind klare und unabhängige Denker, die rasch Zusammenhänge erfassen, aufmerksam und gut zuhören können und über ein solides Fachwissen verfügen. Sie können Erfahrungen von Gefühlen trennen. Das ermöglicht ihnen, einen objektiven Standpunkt einzunehmen. Da sie sich nicht gut

Die neun Typen des Enneagramms

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schützen und durchsetzen können, versuchen sie durch Argumente zu überzeugen, sind kompromissbereit und eher nachgiebig. Oft müssen sie erleben, dass sie von anderen benützt oder ausgenützt werden. Deshalb versuchen sie sich unabhängig zu machen, auch dadurch, dass sie auf manches verzichten und ein bedürfnisloses Leben führen. Sie kleiden und verhalten sich unauffällig, bleiben im Hintergrund oder ziehen sich zurück. Dabei sind sie durchaus an Menschen interessiert. Sie können treue, liebevolle Partner sein oder gute Freunde fürs Leben. Sie drücken ihre Gefühle durch ein Lächeln oder durch kleine Gesten aus. Allerdings dürfen sie sich nicht zu sehr in Anspruch genommen und überfordert fühlen, weder emotional noch zeitlich noch energiemäßig. Sie können es schwer ertragen, wenn andere sich in ihr Leben oder in ihre Arbeit einmischen. Persönliche Fragen beantworten sie oft mit einem kurzen Schweigen und einem bedauernden Kopfschütteln, sie könnten dazu nichts sagen. Sie kommen in Beziehungen mit wenig Kontakt aus und erleben Gefühle oft intensiver, wenn sie für sich allein sind. Es fällt ihnen schwer, aus eigener Initiative vom Denken ins Handeln zu kommen. Manchmal tut ihnen ein Chef, ein Lehrer oder ein Trainer gut, der sie fordert oder vorgegebene Ziele und Leistungsanforderungen. Um mit anderen Menschen zurechtzukommen, nehmen sie eine immer gleiche Rolle ein: sie geben sich freundlich-harmlos, verbunden mit einem etwas verlegen wirkenden Lächeln oder Lachen. Dabei vermitteln sie mehr Nähe, Vertraulichkeit und Verbindlichkeit, als sie es meinen. Oder sie vermitteln dem Anderen eine gewisse Hilflosigkeit, Unsicherheit und Unentschlossenheit. Geht jemand auf diese Angebote ein, wird er mit Schwierigkeiten konfrontiert, mit zögerndem und ausweichendem Verhalten, mit Ausreden und Absagen. Es bringt sie weiter, wenn sie lernen sich kraftvoll und emotional zu engagieren. Typ 6: Der loyale Skeptiker (Sachtyp, leptosom) Die Sechser sind meist schlanke, ernsthafte Menschen, die etwas melancholisch und menschenscheu wirken. Sie haben eine etwas pessimistische Erwartungshaltung: Ob das gut geht? Sie suchen Anerkennung und Bestätigung bei ihnen vertrauten Menschen. Sie misstrauen Autoritäten, Hierarchien und Fachleuten, haben einen Blick für Schwächen und Schwachstellen und neigen dazu, Anzeichen von negativen Entwicklungen zu dramatisieren. Sie meinen, dass vieles grundlegend verbessert werden müsste, und sind enttäuscht, dass die anderen diese, wie sie meinen, offensichtlichen und unerträglichen Mängel nicht nur nicht sehen, sondern sich ganz bequem darin einrichten und sogar noch ihre Vorteile daraus ziehen. Sie ärgern sich darüber, dass die Menschen betrogen werden und dass sie sich betrügen lassen.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Ihre hohen Zielsetzungen und Ansprüche an die Verantwortlichen und an sich selbst stehen im Widerstreit mit ihrer Angst, sie könnten sich die Mächtigen zu Feinden machen, sodass diese ihnen schaden und sie vernichten könnten. So erscheint ihnen die Welt ebenso mangelhaft wie bedrohlich. Sie bewegen sich vorsichtig, wie auf dünnem Eis, sind ängstlich auf der Hut und versuchen sich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Große Bewunderung haben sie für integere Menschen, die offen, mutig und entschlossen für etwas Gutes eintreten. Ihnen selbst fällt es schwer, ihre Furchtsamkeit zu überwinden. Und sie reagieren schon auf Anzeichen von Kritik mit unruhiger Besorgnis. Statt wütend und aktiv zu werden, rechtfertigen sie sich und auf die Wut anderer reagieren sie beschwichtigend oder mit einem hilflosen Lachen. Ihr beruflicher Lebensweg ist oft ein Zickzack-Kurs, auf dem sie, nur ihnen selbst erkenn- und nachvollziehbar, sich ihrem Ziel nähern. Erfolge machen sie eher ängstlich, so als ob sie den Neid der Götter fürchten müssten, und sie vergessen sie rasch. Dafür können sie sich um so besser an Misserfolge erinnern. Oft schieben sie zu erledigende Arbeiten vor sich her, können sich einfach nicht aufraffen, sie anzufangen. Oder, wenn sich Erfolge einstellen, verlieren sie das Interesse, machen dumme Fehler oder rebellieren und legen sich an mit einflussreichen Vorgesetzten. Sie sind gut motiviert, wenn sie sich für andere einsetzen können, für Schwächere oder für jemand, den sie bewundern und wertschätzen und für wertvolle Ziele. Die etwas weltfremde Skepsis gegenüber dem, was allgemein zählt, macht sie offen für verborgene Werte und Erfahrungen, die tiefer gehen und wesentlicher sind. Und sie können Mut, Kraft und Entschlossenheit gewinnen gerade in und aus schweren Krisensituationen. Witz und Schönheit sind für sie Lebenselixiere. In Beziehungen können Sechser liebevoll, treu und fürsorglich sein, doch sie sind leicht zu verstören, da sie wenig selbstbewusst sind. Dann kündigen sie innerlich, führen jedoch die Beziehung weiter mit ‚rücksichtsvollen‘ Begründungen wie: ‚Ich bleibe, bis …‘ Typ 7: Der optimistische Pragmatiker (Sachtyp, athletisch) Siebener sind meist kräftige und stattliche Menschen, die Aktivisten unter den Kopfmenschen. Sie wirken selbstbewusst, optimistisch und pragmatisch, sind sinnenfreudig, charmant und gewinnend. Das Leben ist für sie ein Abenteuer. Dabei strahlen sie eine aktive Ruhe aus, die ihnen etwas Würdevolles gibt. Man könnte an festliche Barockmusik und an das Auftreten eines Fürsten denken. Gelegentlich neigen sie dazu, sich zu überschätzen. Ihr selbstsicher erscheinendes Verhalten kann sie selbst mehr als andere darüber hinwegtäuschen, dass sie recht dünnhäutig, weich und verletzlich sind. Siebener rationalisieren gerne. Emotionales, Geheim-

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nisvolles und Unerklärliches wird ignoriert oder reduktionistisch erklärt: „Das ist doch nur …“ Sorgen und Probleme anderer werden heruntergespielt: „Das wird schon wieder werden!“ Negative Entwicklungen übersehen sie lange. Sie sind unerschütterlich zuversichtlich. In Niederlagen gewinnen sie echte Größe. Ihre Stärke ist, nicht aufzugeben, sondern sich neue Ziele zu setzen oder sich neue Wege auszudenken. Siebener sind Genussmenschen und Lebenskünstler. Sie glauben, dass sie einen Anspruch haben auf Wohlwollen und Erfolg. Sie haben glänzende Ideen, eine gute Übersicht und können zeitweilig hart arbeiten, doch sich auch dafür belohnen. Das Neue, das Interessante zieht sie an, und sie sorgen dafür, dass sie möglichst immer guter Stimmung, guter Laune sind. Sie legen sich nicht gerne fest und halten sich einen Ausweg offen. Sie haben sich etwas Kindliches bewahrt und können verschmitzt lachen. Gerne erzählen sie ausführlich und anschaulich Geschichten aus ihrem Leben, in denen sie mit Schlauheit und List andere übertölpelt haben. Siebener sind unersättliche Sammler. Sie sammeln Wissen an, Bücher, Kunstgegenstände und Erfahrungen. Sie sind immer an neuen Projekten interessiert. Dabei übersehen sie, dass Konzentration, Ausdauer und Konsequenz erforderlich sind, um etwas zur Reife zu bringen. In Beziehungen sind sie charmante und natürliche Egoisten. Sie gehen zunächst ganz selbstverständlich davon aus, dass es um ihr Wohl geht. Doch da sie gutmütig und lernfähig sind, können sie für die Beziehung gewonnen werden – vorausgesetzt, der andere ist selbstsicher und klug genug, ihre polemisierenden Wutanfälle nicht allzu ernst zu nehmen und in ihnen das kleine Mädchen oder den kleinen Jungen zu sehen, die etwas haben möchten. Dramatische Gefühlsausbrüche und Vorwürfe sind ihnen unangenehm und lästig und treiben sie in die Flucht. Typ 8: Der faire Kämpfer (Handlungstyp, leptosom) Achter sind meist schlank, recht groß und drahtig. Es sind Machtmenschen und Kämpfernaturen. Sie suchen den direkten Kontakt und scheuen keine Auseinandersetzungen, denn sie wollen Situationen klären und dem anderen ‚auf den Zahn fühlen’. Streiten und das Austragen von Konflikten können für sie Wege sein, die Wahrheit ans Licht zu bringen und zu mehr Nähe und Intimität. Wut und Wohlgefühl kann sich bei ihnen verbinden. Sie lieben harte, kampfbetonte Sportarten wie Rodeos, Handball, Fußball oder auch Tanzsport. Dabei fühlen sie sich lebendig, genießen den Kontakt zu anderen und sind fasziniert von den verborgenen Gefühlsqualitäten, etwa der Sympathie und der Liebe zu den Pferden, zu den Sportskameraden oder zur Musik. Achter haben ein Gefühl für Macht und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie respektieren gleich starke Gegner und kümmern sich um

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Schwächere. Sie sind geradlinig, verlässlich, fürsorglich und verantwortungsbewusst. Wenn sie von einer Sache überzeugt sind, setzen sie sich mit unerschöpflicher Energie dafür ein. Gefühle äußern sich bei ihnen über Beschützen, Engagiertsein, Sexualität oder Zorn. Es ist ihnen meist nicht bewusst, wenn sie andere einschüchtern und ihnen Angst machen. Leute, die etwas vorgeben, was sie nicht sind, werden von ihnen attackiert. Schwächliches, feiges und theatralisches Getue verachten sie. Im negativen Sinne können sie sich engstirnig, feindselig und paranoid verhalten. Achter lieben es ihren Handlungsimpulsen zu folgen, energievoll nach vorne zu gehen und das zu tun, was ihnen Spaß macht. Sie fahren gerne sportliche und stark motorisierte Autos. Im Beruf sind sie anspruchsvoll ihren Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern gegenüber. Sie achten darauf, dass Verantwortlichkeiten und Regeln klar sind und respektiert werden, haben aber auch in sich anarchische Tendenzen, eben diese Regeln zu durchbrechen. Werden sie enttäuscht und verletzt, können sie hart und unnachsichtig werden. Achter wollen herausfinden, ob andere sich fair verhalten und sie sich auf sie verlassen können. Dazu können sie ihnen Druck machen und sie auf die Probe stellen. Kämpferisch zu sein, anzugreifen gibt ihnen ein starkes und lebendiges Gefühl. Ärgerlich für sie sind Leute, die sich ihnen gegenüber ausweichend und unklar verhalten. In Diskussionen wollen sie Recht behalten. Deshalb ignorieren sie die Einwände der Gegner und ersetzen überzeugende Argumente durch lautstarkes, ausdauerndes und energiegeladenes Reden. Dabei scheuen sie sich nicht, sich wieder und wieder zu wiederholen. Entwickelte Achter brauchen nicht mehr zu kämpfen, sie erkennen intuitiv die Qualitäten ihres Gegenüber. Typ 9: Der kameradschaftliche Macher (Handlungstyp, athletisch) Neuner sind tatkräftige Menschen mit einem fast unerschöpflichen Energiepotential und einer robusten Gesundheit.13 Sie identifizieren sich mit den Bedürfnissen anderer. Dadurch können sie für andere sorgen und Verantwortung tragen, sind aber auch manipulierbar. Ihr stark ausgeprägtes Wir-Gefühl verführt sie dazu, vorgegebene Regeln und Ziele zu übernehmen, ohne zu überprüfen, ob sie den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen entsprechen. Dadurch funktionieren sie zuverlässig und effizient innerhalb eines vorgegebenen Systems, in einem Betrieb, einer Behörde, einer Partei, einer Bildungseinrichtung, einer Kirche oder auch der eigenen Familie. Alle diese Institutionen haben jedoch eines gemeinsam: die Gefühle, Bedürfnisse und Interessen des Einzelnen müssen zurücktreten gegenüber ‚höheren‘ Zielsetzungen, dem Wohl und der Prosperität der Institution. Diese Regeln setzen den gesunden Egoismus des Einzelnen voraus, sol-

Persönlichkeitsentwicklung im Enneagramm

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len ihn einschränken oder ihm gegenwirken. Was aber, wenn jemand nicht spürt, was er braucht und was er will? Dann wird er diese Regeln übernehmen, Karriere innerhalb der Institution machen und dabei ständig innerlich zu kurz kommen. Irgendwann wird ihm fast unmerklich die Arbeitsund Lebensfreude verloren gehen. Die Arbeit wird zunehmend routinemäßig erledigt und der Betreffende versucht die innere Leere auszugleichen, putscht sich auf und betäubt sich mit ihm verfügbaren Stimmulanzen, mit Essen, Alkohol, Sex oder Hobbys. Neuner möchten ihre Aufgabe perfekt, fehlerfrei machen. Nun müssen sie jedoch immer wieder Entscheidungen treffen, deren Folgen nie vollständig abzusehen sind. In traditionellen Institutionen, die nach feststehenden Normen arbeiten, haben sie es leichter. Doch in einem modernen Unternehmen, das sich auf die Ungewissheiten der Zukunft einstellen muss, sind sie überfordert. Und je mehr sie den Kontakt zu ihrer Intuition verloren haben, desto schwieriger wird es für sie, sich zu entscheiden. Deshalb zögern sie Entscheidungen hinaus, schalten auf stur, lassen andere die Vorschläge machen, gehen in die Rolle des Moderators und entscheiden sich dann für einen Kompromiss. So machen sie nichts Falsches, aber auch nichts Richtiges. Das ist längerfristig zu wenig. Da sie dank ihres hohen und ausdauernden Engagements, ihrer Loyalität und unerschütterlichen Selbstsicherheit häufig Führungspositionen einnehmen, wird das zu einem Problem für Gesellschaft und Industrie, denn in einer sich rasch verändernden Welt wird Stillstand zu Rückschritt. Sie selbst werden ihre zögerliche Haltung als Lebensklugheit ausgeben. Haben sie doch früher, als sie noch ungeduldiger waren und entschlossen gehandelt haben, manchen Fehler gemacht. Für Neuner ist es geradezu ein Pflichtprogramm, gut für sich, für ihr emotionales Wohlbefinden zu sorgen. Dann können sich ihre positiven Fähigkeiten entfalten, ihr freundschaftlicher und faire Umgang mit anderen, ihr liebevolles Wesen und ihre engagierte Menschlichkeit.

7.5 Persönlichkeitsentwicklung im Enneagramm Das Enneagramm ist ein auf persönliches Wachstum und Entwicklung angelegtes Modell. Es will also mehr als nur die Neugierde befriedigen: Wer oder wie bin ich? Auch solche Informationen sind schon für sich wertvoll, denn sie helfen sich selbst und andere besser zu verstehen. Da es in Beziehungen darauf ankommt, die Bedürfnisse des anderen wahr- und Verantwortung für sie zu übernehmen, ist es hilfreich die Andersartigkeit des Anderen zu sehen. Manche Beziehungen scheitern daran, dass ein oder beide Partner nur von ihren Bedürfnissen ausgehen und weil sie von sich auf

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle Typ 9 Der kameradschaftliche Macher Typ 8 Der faire Kämpfer

Typ 7 Der optimistische Pragmatiker

Typ 1 Der ethische Unterstützer

Typ 2 Der begeisterungsfähige Helfer

Typ 6 Der loyale Skeptiker

Typ 5 Der gutmütige Beobachter

Typ 3 Der liebenswürdige Gewinner

Typ 4 Der anspruchsvolle Romantiker

Abb.28: Die Linien der Persönlichkeitsentwicklung.

den anderen schließen und meinen sie, was für sie stimme, müsse auch für den anderen passend sein. Doch das Enneagramm ist primär mehr auf Persönlichkeitsentwicklung angelegt als auf praktische Menschenkenntnis. Auch damit trifft es auf ein Bedürfnis unserer Zeit, denn viele Menschen spüren, wie wichtig und wertvoll es ist, seine verborgenen Ressourcen zu realisieren, und dass dies ein lohnender Ansatzpunkt dafür ist, Lebensqualität zu verwirklichen. Zugleich zeigen sich hier Parallelen zu meinem eigenen Modell von den Persönlichkeitstypen, in dem die Entfaltung der Schlüsselfähigkeiten das zentrale Thema ist und zu den neuen lösungsorientierten Psychotherapien. Die neun Enneagramm-Positionen werden mit Linien und Pfeilen verbunden. Die Art, wie dies geschieht, erscheint mir jedoch nicht immer schlüssig, sodass ich sie teilweise geändert habe. Die Pfeilrichtung14 der Verbindungslinie geht ursprünglich zum Stress-Punkt des Typs, also ‚rückwärts‘. Die ‚positive‘ Verbindungslinie zum Sicherheitspunkt geht dann gegen die Pfeilrichtung nach ‚vorne‘. Inhaltlich deckt sich das mit eigenen Erkenntnissen: geht man drei Positionen weiter im Uhrzeigersinn, so stößt man auf die typspezifischen Schlüsselfähigkeiten. Überspringt man diese und geht nochmals drei Schritte weiter, bzw. von der Ausgangsposition aus gegen den Urzeigersinn drei Positionen zurück, so landet man bei dem typspezifischen Spielverhalten. Da es mir aus pädagogischen oder thera-

Persönlichkeitsentwicklung im Enneagramm

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Typ 9 Der kameradschaftliche Macher + kollegial/kraftvoll – selbstvergessen/stur

Typ 8 Der faire Kämpfer + geradlinig/beschützend – engstirnig/aggressiv Typ 7 Der optimistische Pragmatiker + vernünftig/kreativ – egoistisch/ selbstüberschätzend Typ 6 Der loyale Skeptiker + wahrhaftig/entdeckend – furchtsam/resigniert Typ 5 Der gutmütige Beobachter + objektiv/ausgleichend – geizig/empfindlich

Typ 1 Der ethische Unterstützer + fürsorglich/sozial – streng/zögernd

Typ 2 Der begeisterungsfähige Helfer + einfühlend/hilfsbereit – naiv/stolz

Typ 3 Der liebenswürdige Gewinner + mitfühlend/dynamisch – eitel/täuschend Typ 4 Der anspruchsvolle Romantiker + gefühlvoll/künstlerisch – neidisch/dramatisierend

Abb. 29: Die positiven Fähigkeiten in Pfeilrichtung, die negativen Fähigkeiten gegen die Pfeilrichtung.

peutischen Überlegungen zweckmäßiger erscheint, auf die Lösungen statt auf die Probleme zu schauen, habe ich die Pfeilrichtungen geändert. Sie weisen jetzt Richtung Wachstum und Persönlichkeitsentwicklung (Abb. 28). Beispielsweise findet der Dreier seine Schlüsselfähigkeit bei Sechs, also tiefes Nachdenken, sein Spielverhalten jedoch bei Neun, autoritärer Machtmissbrauch. Der Sechser findet seine Schlüsselfähigkeiten bei Neun, fürsorgliche Verantwortung und sein Spielverhalten bei Drei, emotionale Ausbeutung und Abhängigkeit. Und der Neuner findet seine Schlüsselfähigkeiten bei Drei, gefühlstiefe Menschlichkeit und sein Spielverhalten bei Sechs, bürokratisches Denken (Abb. 11 und Tab. 5). Beide, Sicherheits- und Stresspunkt, haben auch eine soziale Komponente. Dreier finden entwickelte Sechser attraktiv, denn diese verkörpern ihre Schlüsselfähigkeiten, also das, was sie besonders wertschätzen. Das Gleiche gilt für Sechser gegenüber den Neunern und den Neunern gegenüber den Dreiern. Umgekehrt empfinden Dreier sture Neuner, Sechser intrigante Dreier und Neuner rebellische Sechser als besonders stressig. Sie besetzen auf eine negative Weise den jeweiligen Zielbereich.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Die traditionellen Verbindungslinien sind zwar optisch ansprechend, doch nicht immer nachvollziehbar. Ähnliches gilt für manche Pfeilrichtungen15, die mal gegen, mal mit dem Urzeigersinn gehen. Mir scheint es folgerichtiger die Linien und Pfeilrichtungen der Mittelpositionen (Drei, Sechs und Neun) sinngemäß für die anderen zu übernehmen.16 Auch ziehe ich vor, dass die Pfeile entsprechend der Persönlichkeitsentwicklung immer in die positive Richtung zeigen. Dann gilt: die erste Linie in Pfeilrichtung führt zu den Schlüsselfähigkeiten des Entwicklungsbereichs, die zweite zu den Fähigkeiten des Zielbereichs. Die folgenden Grafiken machen deutlich, dass dadurch die Person vollständig, abgerundet wird. Bei den jeweils nachfolgenden Schritten werden die noch fehlenden Fähigkeiten erworben, also die anfängliche Beschränkungen und Einseitigkeiten überwunden. Gegen die Pfeilrichtung führt die erste Linie zum Stresspunkt oder dem Spielverhalten, die zweite zu den Negativseiten der Schlüsselfähigkeiten (Abb.29).

7.6 Die Ich-, Du- und Wir-Bezogenheit Wir denken häufig zweidimensional, dualistisch oder polar, entweder dass jemand ich- oder du-bezogen sei. Unserer Lebenswirklichkeit angemessener ist es jedoch dreidimensional zu denken. Zum Ich, dem Du kommt dann noch das Wir.17 Das Ich, das Du und das Wir sind jeweils Aspekte der drei eigengesetzlichen Lebensbereiche. Das Ich ist typisch für den Bereich Erkennen/Identität, das Du für den Beziehungsbereich und das Wir für den Bereich Handeln. Auch typspezifisch kann man sagen, dass der Herzmensch oder Beziehungstyp ‚Du-Menschen‘, der Kopfmensch oder Sachtyp ‚Ich-Menschen‘ und der Bauchmensch oder Handlungstyp ‚Wir-Menschen‘ sind (Abb.30). Nun kommt vom Körpertyp oder der Grenzlage eines Typs immer noch eine zweite Komponente dazu, die die erste ergänzen oder verstärken kann. Der Einser hat neben dem Wir noch das du, der Zweier neben dem Du noch das wir. Der Vierer neben dem Du das ich, der Fünfer neben dem Ich das du und der Siebener neben dem Ich das wir und der Achter neben dem Wir das ich. Deshalb kann man Einser und Zweier leicht verwechseln, ebenso Vierer und Fünfer oder Siebener und Achter. Bei den Zentral-Typen Acht, Drei und Sechs wird die psychologische Grundhaltung noch durch die des Körpertyps verstärkt. Das kann zu einer Falle werden, dass sich die Dreier im Du, die Sechser im Ich und die Neuner im Wir verlieren. Deshalb ist für diese Zentral-Typen die Weiterentwicklung ganz besonders wichtig. Was ist nun der Unterschied zwischen dem Wir + du des Einsers und

Die Ich-, Du- und Wir-Bezogenheit

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Typ 9: Der kameradschaftliche Macher 9.

Typ 8: Der faire Kämpfer

Typ 1: Der ethische Unterstützer

+ wir 8.

1.

+ ich

Typ 7: Der optimistische Pragmatiker

+ du

+ wir Ich

Typ 6: Der loyale Skeptiker

Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer

Wir 7. + wir

6.

Du

+ du

+ ich

+ du 5.

Typ 5: Der gutmütige Beobachter

2.

3.

Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner

+ ich 4.

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker

Abb.30: Ich, Du, Wir im Enneagramm.

dem Du + wir des Zweiers? Beim Einser bedeutet es: Wir, die Familie oder Gruppe kümmern uns um dich, beim Zweier: wir beide machen etwas für die Familie oder die Gruppe. Das heißt, der Einser identifiziert sich mit dem Wir, das sich dem du widmet, der Zweier identifiziert sich mit dem Du und macht etwas für das wir. Das Du + ich des Vierers kann bedeuten: Du und ich führen ein Gespräch, bei dem es um Selbsterkenntnis geht. Das Ich + du des Fünfers kann ausdrücken: Schau her, Ich bin an dir interessiert. Das Ich + wir des Siebeners kann sich so realisieren: Ich tue etwas für die Familie oder Gruppe, bin ich nicht großartig! Und das Wir + ich des Achter kann sich so zeigen: Für Uns ist jeder einzelne wichtig, der bei uns dazugehört. Bei der Neun, der Drei oder der Sechs können die Devisen lauten: es zählt nur die Gemeinschaft, nur die Partnerschaft oder nur das Individuum. Folgt man den Entwicklungslinien, wird deutlich, wie die Persönlichkeit sich abrundet und vervollständigt, wie zum du das ich, zum ich das wir und zum wir das du dazukommen.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

7.7 Die Zeitdimensionen und Energien im Enneagramm Auch die Orientierung hin auf unterschiedliche Zeitdimensionen ist sowohl typisch für die Grundtypen wie in unterschiedlichen Kombinationen für die Enneagrammtypen (Abb. 31). Der Herz- oder Du-Mensch (Beziehungstyp) lebt am meisten in der Gegenwart. Das macht den Charme seiner kindlichen Spontaneität und Lebensfreude aus. Der Kopf- oder IchMensch (Sachtyp) beschäftigt sich viel mit Vergangenem. Deshalb sind das in der Regel nachdenkliche und kluge Menschen. Der Bauch- oder WirMensch (Handlungstyp) ist stark auf die Zukunft ausgerichtet. Das bedeutet, dass er plant, handelt und viel erreicht. Diese Ausrichtungen werden wieder besonders bei den Zentral-Typen deutlich, den Dreiern mit ihrem bezaubernden Lächeln, den Sechsern mit ihrer tiefen Nachdenklichkeit und den Neunern mit ihrer Schaffenskraft. Die Einser können nicht nur arbeiten, sondern auch genießen. Die Zweier sind unter den Gefühlsmenschen die Praktiker und die Vierer die Nachdenklichen. Die Fünfer richten ihr Denken und ihre Aufmerksamkeit auf den Partner. Und die Siebener sind die Macher unter den Denkern. Schließlich sind es die Achter, die sich am meisten Gedanken machen über das, was sie in ihrem Leben schon getan haben. Mit seiner Persönlichkeitsentwicklung wird der Herzmensch seine Lebenserfahrungen durchdenken und aus ihnen lernen, der Kopfmensch sich Ziele setzen und seine Zukunft gestalten und der Bauchmensch sich mehr und mehr dem Gegenwärtigen öffnen und es gefühlsmäßig erleben. Dabei geht der Neuner voll ins emotionale Erleben, der Dreier ebenso ausschließlich ins Denken und der Sechser so sehr ins Handeln, dass er darüber alles andere vergisst. Bei den anderen Enneagrammtypen verläuft diese Entwicklung moderater, ausgeglichener, da sich bei ihnen die verschiedenen Zeitdimensionen überlagern. Die unterschiedlichen Lebensbereiche, in denen die drei Grundtypen beheimatet sind, lassen sich auch als verschiedenartige Energien beschreiben: als emotionale Energie, hier auch ‚Liebe‘ oder ‚fühlen‘ genannt, als mentale Energie, hier mit ‚Geist‘ oder ‚denken‘ bezeichnet und als aktionale Energie, hier mit ‚Kraft‘ und ‚wollen‘ gekennzeichnet (Abb. 32). Da man davon ausgeht, dass die Entstehung der Persönlichkeitstypen auf einen Mangel an Zuwendung zurückgeht, ist die Frage interessant, wie emotionale, mentale und energetische Interaktion stattfindet. Emotionale Energie dürfte direkt und atmosphärisch vermittelt werden. Das Kind spürt unmittelbar, ob es geliebt und gewollt ist oder nicht. Erst später lassen wir uns durch ein liebenswürdiges Lächeln oder den einschmeichelnden Klang einer Stimme täuschen. Mentale Energie wird durch Interesse, Aufmerksamkeit, durch Berühren und Streicheln und durch Sprechen verrmittelt. Und aktionale Energie durch Erlaubnis, engagiertes Mitmachen und durch Lob.

Zeitdimensionen und Energien

169

Typ 9: Der kameradschaftliche Macher 9.

Typ 8: Der faire Kämpfer

+ zuk.orient.

8. + verg.orient.

Typ 7: Der optimistische Pragmatiker

1. + geg.orient.

zukunftsorientiert

7. + zuk.orient.

vergangenheitsorientiert

Typ 6: Der loyale Skeptiker

Typ 1: Der ethische Unterstützer

gegenwartsorientiert + geg.orient. 3.

+ verg.6. orient.

+ geg.orient. 5.

Typ 5: Der gutmütige Beobachter

Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer

+ zuk.- 2. orient.

Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner

+ verg.orient. 4.

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker

Abb.31: Die Zeitdimensionen im Enneagramm.

So gesehen müssten die Zentral-Typen am deutlichsten die jeweilige Energie verkörpern und ausdrücken, die Drei die emotionale Energie, die Sechs die mentale und die Neun die aktionale. Das gilt für stressfreie Situationen und für gesunde Vertreter des jeweiligen Typs. Doch da der Persönlichkeitstyp sich auf Grund von einschränkenden und defizitären Erfahrungen gebildet hat, was eben diese Energien anbelangt, können die Stärken in Belastungssituationen ins Gegenteil umschlagen. Dann kann der Dreier nicht mehr fühlen, der Sechser nicht mehr denken und der Neuner nicht mehr handeln. Die jeweiligen Kombinationen der Grundenergie mit der gleichen oder einer anderen Ausdrucksform macht verständlich, wie sich ein Enneagrammtyp vom anderen unterscheidet. So kann man fragen, wovon geht er aus und was macht er damit, und zwar immer vorausgesetzt, der Betreffende ist ‚gut drauf’? So geht der Einser aus von der Kraft und lässt sich ein aufs Fühlen, zeigt also kraftvolles Fühlen. Der Zweier geht aus von der Liebe und lässt sich ein aufs Wollen, lebt also ein liebevolles Wollen. Entsprechend könnte man beim Dreier dann von einem herzlichen Fühlen und beim Vierer von einem emotionalen Denken sprechen. Der Fünfer zeigt dann ein aufmerksames Fühlen, der Sechser ein konzentriertes Den-

170

7. Verwandte Diagnostik-Modelle Typ 9: Der kameradschaftliche Macher 9.

Typ 8: Der faire Kämpfer 8. + denken

Typ 7: Der optimistische Pragmatiker

1. + fühlen

Kraft aktionale Energie

7. + wollen

Geist mentale Energie

Typ 6: Der loyale Skeptiker

Typ 1: Der ethische Unterstützer

+ wollen

Typ 2: Der begeisterungsfähige Helfer

+ wollen 2.

Liebe emotionale Energie

+ denken 6.

+ fühlen 3.

+ fühlen 5.

Typ 5: Der gutmütige Beobachter

Typ 3: Der liebenswürdige Gewinner

+ denken 4.

Typ 4: Der anspruchsvolle Romantiker

Abb.32: Denken, Fühlen, Wollen im Enneagramm.

ken und der Siebener ein intelligentes Wollen. Beim Achter spürt man ein energievolles Denken und beim Neuner ein kraftvolles Wollen. Folgt man den Linien der Persönlichkeitsentwicklung, zeigt sich nicht nur das ‚Rundwerden‘, sondern man kann auch verstehen, wie sich diese Entwicklung ausdrückt. Dem Einser hilft das individuelle Fühlen, damit er sich nicht im sozialen Handeln vergisst. Der Zweier zieht sich gerne zu einem meditativen Nachdenken zurück als Ausgleich zu seinem vielfältigen Erleben und sich Engagieren. Der Dreier denkt tief und kritisch nach als Gegenmittel gegen sein oberflächliches Erfolgsstreben. Dem Vierer tut ein praktisches und zielgeleitetes Denken gut, um aus idealen und romantischen Wunschwelten herauszukommen. Der Fünfer braucht ein energievolles Denken, um sich nicht in Passivität zu verlieren. Der Sechser kann durch ein kraftvolles Wollen seine Zweifel und Bedenken hinter sich lassen. Und dem Siebener tut ein entschlossenes Fühlen gut, damit er nicht im Zweckrationalen befangen bleibt. Dem Achter hilft das emotionale Wollen über Ärgerlichkeiten und Vorurteile hinweg. Der Neuner braucht das intensive Fühlen, damit er lebendig wird und bleibt (Tab. 5).

Enneagramm und Persönlichkeitstypologie

171

7.8 Grundeinstellungen im Enneagramm und der Persönlichkeitstypologie Zwischen Enneagramm und der Prozessorientierten Persönlichkeitstypologie gibt es eine weitere auffallende Parallele. Helen Palmer beschreibt in ihrem ersten Buch18 den Aufmerksamkeitsstil und in ihrem zweiten Buch19 die Weltsicht der neun Typen. In der Praxis der Integrierten Kurztherapie werden die damit verwandten Grundeinstellungen20 und Erwartungshaltungen zu jedem therapeutischen Thema identifiziert und verändert: Welche destruktiven Grundeinstellung und Erwartungshaltung könnte das Problem stabilisieren, welche konstruktiven eine Lösung unterstützen? Es ist der tiefenpsychologische Aspekt der Integrierten Kurztherapie. Beide Modelle, das Enneagramm und die Integrierte Kurztherapie, wurden völlig unabhängig voneinander entwickelt und hier zum ersten Mal in Beziehung gesetzt. Um so überzeugender ist ihre hohe Übereinstimmung. Die negativen Grundeinstellungen lassen sich mit Hilfe der Einschärfungen (Verbote) und Antreiber (Gebote) der Transaktionsanalyse formulieren, z. B. „Fühle nicht!“ und „Sei (statt dessen) perfekt!“ beim Einser (NoJoy-Script oder Handlungstyp, pyknisch) oder „Sei nicht!“ und „Sei zauberhaft!“ beim Vierer (No-Love-Script oder Beziehungstyp, leptosom). Die entsprechenden Erwartungshaltungen ergeben sich aus der Fragestellung: wie wird mir der andere oder das Leben mir begegnen, wenn ich diesen einschränkenden Grundeinstellungen nicht gehorche? Wird der andere dann nicht seinen Respekt vor mir verlieren (Einser) oder muss ich dann nicht sterben (Vierer)? Diese Grundeinstellungen gehen zurück auf frühe und früheste Lebenserfahrungen: Wie muss ich mich verhalten, um mit den Menschen und dem Leben zurechtzukommen? Die andere Seite ist: Wie erwarte ich, dass sich der andere, die Menschen und das Leben zu mir verhält? Sie führt zu den Erwartungshaltungen. Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen stabilisieren sich gegenseitig. Wenn ich annehme, dass die Welt gefährlich und die Menschen böse sind, muss ich auf der Hut sein. Doch mit dieser misstrauischen Grundhaltung stoße ich die anderen vor den Kopf und kränke sie. Sie werden entsprechend negativ auf mein Verhalten reagieren und damit meine Erwartung bestätigen. Es handelt sich hier also nicht um objektiven Aussagen – wie sind die anderen oder wie ist das Leben wirklich? –, sondern um psychische Programmierungen, die durch eine Generalisierung früher Erfahrungen entstanden sind. Egal ob jemand einschränkende Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen hat oder erlaubende, er wird immer Erfahrungen machen, die damit übereinstimmen und solche, die nicht übereinstimmen, und zwar mehr und intensiver erlebte übereinstimmende als nicht über-

172

7. Verwandte Diagnostik-Modelle

einstimmende. Die Frage ist dann, was ist für ihn die Regel, was die Ausnahme? Und da wir uns, psychologisch gesehen, unsere Erlebniswelt und -wirklichkeit selbst schaffen, tragen dazu die Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen ganz erheblich bei. Im Sinne selektiver Wahrnehmungen und selbsterfüllenden Prophezeiung bestätige ich mir meine Vorannahmen und sorge dafür, dass sie wirklich werden. Sie entscheiden mit, welche Personen wir anziehen oder welche Seiten wir in einem einzelnen Menschen ansprechen, in welche Situationen wir geraten und wie wir sie gestalten, ob wir Probleme oder Lösungen realisieren. Die Formulierungen der Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen wurden in vielen Psychotherapie-Ausbildungsgruppen überprüft und über einen längeren Zeitraum immer zutreffender gemacht und in der Praxis der psychotherapeutischen Arbeit bestätigt. Trotzdem müssen sie immer für den Einzelnen an sein Erleben angepasst werden. Nach den bisherigen Erfahrungen kann man davon ausgehen, dass die vorliegenden Formulierungen eine Treffsicherheit von 70 bis 90% haben. Man sollte von ihnen auch nicht zu bereitwillig abgehen, da die Klienten häufig die negativen Formulierungen zunächst nicht wahrhaben wollen, so als ob sie sich scheuten, in den Spiegel zu schauen. Oder die positiven Formulierungen erscheinen ihnen unrealistisch. Wenn sie verstehen, dass es sich hier nicht um weltanschauliche Bekenntnisse, sondern unbewusste und halbbewusste Überzeugungen handelt, die die Tendenz haben, Lebenswirklichkeit zu werden, lassen sie sich in der Regel auf eine Veränderungsarbeit ein. Dabei beschreibt die typspezifische Grundeinstellung und Erwartungshaltung in der Regel das erste tiefenpsychologische Thema einer therapeutischen Arbeit. In der nächsten Stunde folgt meist das nachfolgende Thema im Urzeigersinn, ohne dass die Grenzen des Grundtyps überschritten werden, also 1-8-9, 2-3-4, 3-4-2, 4-2-3, 5-6-7, 6-7-5, 7-5-6, 8-91, 9-1-8. (Abb.33) Für den Einser, den ethischen Unterstützer, gibt Helen Palmer als Aufmerksamkeitsstil an, dass er seine Gedanken und Taten automatisch an einem idealen Maßstab der potentiellen Vollkommenheit einer Situation misst. Seine Weltsicht ist: ‚Die Welt ist ein unvollkommener Ort. Ich arbeite auf Vollkommenheit hin.‘ Da der Einser schon auf das Du bezogen ist, dürfte ‚die Welt‘ für ihn vor allem der Andere sein. Die entsprechende Grundeinstellung lautet: ‚Ich muss perfekt sein und der Andere auch!‘ und die einschränkende Erwartungshaltung: ‚Der Andere respektiert mich nicht, denkt schlecht über mich und wertet mich ab!‘ Für die Therapie sind vor allem die erlaubenden Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen wichtig: ‚Ich darf meinem Gefühl vertrauen und wissen: Ich bin o.k.!‘ und ‚Der andere nimmt mich wie ich bin und respektiert mich.‘ Während im

Enneagramm und Persönlichkeitstypologie

173

Typ 9: Ich muß es perfekt machen! 9.

Typ 8: Ich muß „so und so“ sein!

Typ 1: Ich muß perfekt sein! 1.

8.

Typ 7: Ich muß mich anstrengen!

Typ 6: Ich darf nicht da sein!

7.

2.

6.

3.

5.

Typ 5: Ich muß vorsichtig sein!

Typ 2: Ich muß stark sein!

Typ 3: Ich muß es anderen recht machen!

4.

Typ 4: Ich darf nicht leben!

Abb.33: Die einschränkenden Grundeinstellungen (Glaubenssätze).

Positiven Denken und verwandten ‚therapeutischen‘ Methoden solche Einstellungen durch Autosuggestionen verinnerlicht werden, ist das Fortgeschrittene NLP21 in der Lage, diese Programmierungen stabil zu verändern.22 Für den Zweier, den begeisterungsfähigen Helfer, lautet der Aufmerksamkeitsstil, sich auf die Stimmungen und Bedürfnisse des anderen einzustellen. ‚Wie geht es ihnen? Wie kann ich Gegenstand ihrer Liebe werden?‘ Die Weltsicht des Zweier ist: ‚Die anderen sind auf meine Hilfe angewiesen. Ich werde gebraucht.‘ Da er auf das Wir ausgerichtet ist, geht es ihm mehr um die anderen als um den anderen. Seine Grundeinstellung ist: ‚Ich muss stark sein!‘ und seine negative Erwartungshaltung: ‚Die Menschen sind egoistisch, rücksichtslos, verletzen und hintergehen mich.‘ Das ist in sich stimmig. Wenn die Menschen sich schlecht verhalten, muss ich stark sein. Doch wie passt es zu den Aussagen des Enneagramms? Wenn die anderen böse sind, brauchen die mir nahe stehenden und anvertrauten Menschen meine Hilfe. Die erlaubende Grundeinstellung und Erwartungshaltung, die mit dazu beitragen, ihn vom Helfersyndrom zu befreien, lauten: ‚Ich darf mich vertrauensvoll einlassen!‘ und ‚Menschen sind vertrauenswürdig, sie sind offen und kooperativ‘. Der Aufmerksamkeitsstil des Dreiers, des liebenswürdigen Gewinners,

174

7. Verwandte Diagnostik-Modelle Typ 9: Ich darf es so machen, wie ich möchte und die Anderen ihre Erfahrungen machen lassen!

9.

Typ 8: Ich darf so sein, wie ich bin und meine Vorstellungen realisieren!

Typ 7: Ich darf mit Anderen zusammen erfolgreich sein und wissen, ich bin wertvoll!

Typ 6: Ich darf dasein, ich selbst sein und den Anderen ihre Verantwortung lassen!

Typ 1: Ich darf meinem Gefühl vertrauen und wissen: Ich bin o. k.!

1.

8.

7.

2.

6.

3.

5.

Typ 5: Ich darf auf Andere zugehen, mich zugehörig fühlen und wissen, ich bin attraktiv!

Typ 2: Ich darf mich vertrauensvoll einlassen!

Typ 3: Ich darf loslassen, mich fühlen und wissen, ich bin liebenswert!

4. Typ 4: Ich darf leben, nahe und ich selbst sein und meinem Erkennen vertrauen!

Abb.34: Die erlaubenden Grundeinstellungen (Glaubenssätze).

lässt sich beschreiben als: ‚Ich muss besser sein als der andere. Dazu muss ich mich selbst und alles um mich im Griff haben.‘ Seine Weltsicht lautet: ‚Nur die Besten zählen! Ich muss Misserfolg vermeiden!‘ Die Grundeinstellung heißt: ‚Ich muss es anderen recht machen, muss liebenswürdig sein!‘ und die destruktive Erwartungshaltung ist: ‚Der andere lehnt mich ab, versteht mich nicht und nützt mich aus!‘ Auch hier ist der Zusammenhang schlüssig: damit ich nicht abgelehnt werde, muss ich es ihm recht machen. Das Enneagramm sagt wie, nämlich über brillante Leistungen, überzeugendes Imagage und gewinnendes Verhalten. Der Widerspruch ist, dass man Liebe nicht kaufen kann. Um da heraus zu kommen, lauten die erlaubenden Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen: ‚Ich darf loslassen, mich fühlen und wissen, ich bin liebenswert!‘ und ‚Der andere nimmt mich an, mag mich und akzeptiert mich wie ich bin‘ (Abb.34). Für den Vierer, den anspruchsvollen Romantiker, wird als Aufmerksamkeitsstil beschrieben: ‚das Wertvolle ist das Seltene, schwer Erreichbare. Es liegt im Verborgenen, Entfernten, Vergangenen oder Zukünftigen.‘ Und seine Weltsicht ist: ‚Etwas fehlt. Andere haben es. Ich habe es verloren.‘ Die einschränkende Grundeinstellung lautet: ‚Ich darf nicht leben, nicht

Enneagramm und Persönlichkeitstypologie

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nahe sein. Ich darf nicht ich selbst sein, nicht meinem Erkennen vertrauen.‘ Und die Erwartungshaltung ist: ‚Die Welt ist übel, das Leben unberechenbar und will mich nicht!‘ Der gemeinsame Nenner ist, dass die Realität abstoßend, unannehmbar ist. Deshalb sucht der anspruchsvolle Romantiker eine bessere Welt, in seinen Träumen oder in einer hochkultivierten Umgebung. Die erlaubenden Grundeinstellungen und Erwartungshaltungen sind: ‚Ich darf leben mit anderen zusammen, ich darf ich selbst sein und meinem Erkennen vertrauen!‘ und ‚Das Leben trägt mich. Es ist liebevoll und sinnvoll‘. Der Aufmerksamkeitsstil des Fünfers, des gutmütigen Beobachters, wird so wiedergegeben: Er nimmt eine objektive Beobachterrolle ein, indem er sich von seinen Gefühlen abtrennt. ‚Ich muss mich durch Ojektivität und durch Rückzug schützen.‘ Die Weltsicht des Fünfer wird so beschrieben: ‚Die Welt ist aufdringlich. Ich brauche einen geschützten Raum, in dem ich sicher bin und nachdenken kann.‘ Da der Fünfer an der Grenze zum Du lebt, ist die ‚Welt‘ jemand, der etwas von ihm will. Seine Grundhaltung lautet: ‚Ich muss vorsichtig sein!‘ und seine Erwartungshaltung: ‚Ich komme zu kurz. Der andere kritisiert mich, lehnt mich ab und verrät mich!‘ Hier wird besonders deutlich, wie der Fünfer das provoziert, was er fürchtet und von dem er sich schützen möchte, und es genau dadurch noch verstärkt. Um aus diesem Teufelskreis heraus zu kommen, hilft ihm die erlaubende Grundeinstellung: ‚Ich darf auf den anderen zugehen, mich ihm verbunden fühlen und wissen, ich bin attraktiv.‘ Das wird unterstützt durch die erlaubende Erwartungshaltung: ‚Der andere steht zu mir, interessiert sich für mich und schätzt mich‘. Der Sechser, der loyale Skeptiker, hat folgenden Aufmerksamkeitsstil: Er lenkt einen Teil seiner Aufmerksamkeit auf drohende Gefahren und ist so gewohnheitsmäßig ängstlich: ‚Man muss mit dem Schlimmsten rechnen!‘ Seine Weltsicht lautet: ‚Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Ich stelle Autoritäten in Frage.‘ Seine negative Grundhaltung ist: ‚Ich darf nicht da sein und nicht hinsehen!‘ und seine entsprechende Erwartungshaltung: ‚Das Leben ist grau, abweisend und benachteiligt mich‘. Auch hier ist die Übereinstimmung groß. Da das Leben gefährlich ist, macht sich der Sechser quasi unsichtbar, ist nicht da. Auf der anderen Seite rebelliert er dagegen, stellt Autoritäten in Frage und kritisiert sie. Gewöhnlich haben die dafür wenig Verständnis, benachteiligen ihn und lassen ihn spüren, dass das Leben bedrohlich ist. Auswege sind die erlaubende Grundeinstellung und Erwartungshaltung: ‚Ich darf da sein, spüren und wahrnehmen und den anderen ihre Verantwortung lassen.‘ und: ‚Das Leben läd mich ein, stärkt mich und unterstützt mich‘ (Abb.35). Der Aufmerksamkeitsstil des Siebener, des optimistischen Pragmatiker, lässt sich so beschreiben: aus vielen Informationen Schlüsse ziehen und

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle Typ 9: Die Menschen verhalten sich übel, sind anspruchsvoll und wollen mir schaden!

9. Typ 8: Das Leben ist mangelhaft, ungerecht und verunsichernd!

Typ 7: Die Menschen belasten mich, das Handeln ist mühsam,schwierig und ungewiss!

Typ 6: Das Leben ist grau, abweisend und benachteiligt mich!

Typ 1: Der Andere respektiert mich nicht, denkt schlecht über mich und wertet mich ab!

1.

8.

7.

2.

6.

3.

5. Typ 5: Ich komme zu kurz. Der Andere kritisiert mich, lehnt mich ab und verrät mich!

Typ 2: Die Menschen sind egoistisch, rücksichtslos, verletzen und hintergehen mich!

Typ 3: Der Andere lehnt mich ab, versteht mich nicht und nutzt mich aus!

4. Typ 4: Die Welt ist übel, das Leben unberechenbar und will mich nicht!

Abb.35: Die einschränkenden Erwartungshaltungen.

einen vernünftigen Ausweg aus einer Problemsituation finden: ‚Es ist alles halb so schlimm. Ich sage dir, was du tun musst!‘ Seine Weltsicht lautet: ‚Die Welt ist voller Gelegenheiten und Möglichkeiten. Ich freue mich auf die Zukunft.‘ Da er an der Grenze zum Wir beheimatet ist, sind die Welt die anderen. Seine einschränkende Grundeinstellung ist: ‚Ich muss mich anstrengen!‘, seine negative Erwartungshaltung: ‚Die Menschen belasten mich, das Handeln ist mühsam, schwierig und ungewiss.‘ Daraus folgt, ich denke, plane und rede und lasse andere arbeiten, und das mit großer Überzeugungskraft. Diese Einstellung lässt sich besonders von Männern in manchen Berufen ganz gut realisieren, dank Arbeitsteilung und Privilegien. Im Zusammenleben schafft sie Probleme. Die anderen erwarten und fordern, dass er seinen Teil beiträgt und etwas tut. Die Spannungen werden verschärft dadurch, dass der Siebener auch unangenehme Gefühle wegrationalisieren möchte. Die erlaubende Grundeinstellung lautet: ‚Ich darf tatkräftig und entschlossen handeln, mit anderen zusammen erfolgreich sein und wissen, ich bin wertvoll.‘ Die erlaubende Erwartungshaltung ist: ‚Menschen sind wohl wollend. Was ich mache ist sinnvoll. Gelingen ist das Natürliche.‘

Enneagramm und Persönlichkeitstypologie

177

Typ 9: Menschen sind kameradschaftlich, großzügig und die Arbeit macht Freude!

9.

Typ 8: Das Leben ist erlebnisreich, abwechselnd und bereichert mich! Typ 7: Menschen sind wohlwollend. Was ich mache, ist sinnvoll. Gelingen ist das Natürliche!

Typ 1: Der Andere nimmt mich an, wie ich bin und respektiert mich!

1.

8.

7.

Typ 6: Das Leben lädt mich ein, stärkt und unterstützt mich!

Typ 2: Die Menschen sind vertrauenswürdig, sie sind offen und kooperieren!

2.

3.

6.

5. Typ 5: Der Andere steht zu mir, interessiert sich für mich und schätzt mich!

Typ 3: Der Andere nimmt mich an, mag mich und akzeptiert mich, wie ich bin!

4. Typ 4: Das Leben trägt mich. Es ist liebevoll und sinnvoll!

Abb.36: Die erlaubenden Erwartungshaltungen.

Der Achter, der faire Kämpfer, hat folgenden Aufmerksamkeitsstil: Die Wahrnehmung richtet sich auf die Schwächen des Gegners und auf die eigenen Stärken. Alles, was verunsichern könnte, wird ausgeblendet: ‚Ich habe Recht, der andere hat Unrecht.‘ Seine Weltsicht lautet: ‚Die Welt ist ein ungerechter Ort. Ich verteidige die Unschuldigen.‘ Da der Achter an der Grenze zum Ich lebt, geht es ihm um sein eigenes Selbstbild, um das, was er für seine Identität hält. Seine negative Grundeinstellung kann so ausgedrückt werden: ‚Ich muss so und so sein und darf nicht meine eigenen Gedanken denken!‘ und seine Erwartungshaltung ist: ‚Das Leben ist mangelhaft, ungerecht und will mich verunsichern!‘ Eine Teilnehmerin erlebte sich rückblickend wie ein Soldat. Diese Einstellungen erzeugen viel Widerstand und Widerspruch, was den Achter erneut zum kämpfen herausfordert. Hilfreich für ihn sind die Erlaubnisse: ‚Ich darf so sein, wie ich bin, mich sicher fühlen und meine eigenen Gedanken realisieren!‘ und ‚Das Leben ist erlebnisreich, organisch und bereichert mich‘. Der Neuner, der kameradschaftliche Macher, lebt einen Aufmerksamkeitsstil, der sich mit den unterschiedlichen Positionen anderer identifiziert, alles gleich wichtig oder unwichtig nimmt und automatisch Dinge er-

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

ledigt: ‚Ich mach das schon!‘ Seine Weltsicht ist: ‚Die Welt wird meine Bemühungen nicht zu schätzen wissen. Gemütlich bleiben. Frieden halten.‘ Seine einschränkende Grundeinstellung lautet: ‚Ich muss es perfekt machen und die anderen auch!‘ Und seine Erwartungshaltung ist: Die Menschen verhalten sich übel, sind anspruchsvoll und wollen mir schaden. Den Preis, den er bezahlt, ist, dass es sich selbst dabei vergisst. Nicht, dass er zu nichts käme, doch er kommt nicht zu sich. Die erlaubenden Grundeinstellung und Erwartungshaltung sind: ‚Ich darf es so machen, wie ich möchte und die anderen ihre Erfahrungen machen lassen!‘ und ‚Menschen sind kameradschaftlich, großzügig und die Arbeit macht Freude!‘ (Abb.36)

7.9 Homöopathie – die drei chronischen Miasmen In der Homöopathie, in der der Arzt sich nicht primär auf die Krankheit konzentriert, sondern den ganzen Menschen sieht, konnte es nicht ausbleiben, dass man auf die Persönlichkeitstypen stieß, einmal unter dem Aspekt der sogannten drei chronischen Miasmen, dann differenzierter durch die Entdeckung der Konstitutionstypen. Ich bin mit diesem homöopathischen Wissen erst spät bekannt geworden, als mein Modell der Persönlichkeitstypen schon weitgehend abgeschlossen und veröffentlicht war. So empfand ich es, wie später beim Enneagramm, als mich begeisternde Bestätigung und Bereicherung meiner Erkenntnisse. Hahnemann, der Vater der Homöopathie, war in der Zeit zwischen 1816 und 1835 nahe daran, die drei Grundtypen zu entdecken. Damals beschäftigte ihn die Frage, warum manche Kranke trotz richtig gewählter Arznei nicht gesund, sondern immer kränker werden und schließlich sterben. Er nahm an, diesem Krankheitsgeschehen müssten tiefer liegende Ursachen zugrunde liegen. Er vermutete, dass es sich um vererbte chronische Krankheiten23 handle und nannte sie die drei chronischen Miasmen. Dass es gerade drei Krankheitstypen waren, ist nicht zufällig.24 Denn ihnen entsprechend beobachtete er drei Typen von kranken Patienten, auf die das zutraf.25 Einen dieser Typen beschreibt er und spätere Autoren26 folgendermaßen, was eine äußerst zutreffende, wenn auch problemorientierte Charakterisierung einer der drei Grundtypen27 ist: Er ist ein ängstlicher Mensch mit wenig Selbstvertrauen. Er wirkt reserviert, zurückhaltend, ernst und lächelt wenig. Es spricht leise und eher wenig. Er zweifelt an seinen eigenen Fähigkeiten, überschätzt andere und sorgt sich, Aufgaben und Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Konflikte fürchtet er und Spannungen kann er schlecht ertragen. Er kann sich schlecht durchsetzen, gibt häufig nach und zieht sich zurück. Im Bezie-

Homöopathie – die drei chronischen Miasmen

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hungsverhalten ist er schüchtern, unsicher und unbeholfen und er erwartet, dass andere auf ihn zu- und ihm entgegenkommen. In Gefahren–Situationen fühlt er sich wie gelähmt und ist dann unfähig angemessen zu denken oder zu handeln. Aus einer vagen Ängstlichkeit heraus befürchtet er, dass ihm irgendetwas zustoßen könnte oder er fühlt sich irgendwie bedroht, ohne diese Angst konkretisieren zu können. Dann spürt er das Bedürfnis, sich in Sicherheit zu bringen und sich quasi zu verstecken. Oft fühlt er sich einsam und plagt sich mit Angst- und Schuldgefühlen. Oder er versinkt in Selbstmitleid. Er fühlt sich benachteiligt, ist schnell entmutigt und enttäuscht und erlebt sich als Verlierer. Melancholisch und grüblerisch, wie er ist, zweifeln er an sich und ist nicht sehr belastbar. Häufig wirkt er etwas hilflos und unbeholfen. Diese Kranken sind durch Schwäche, Reaktionsmangel und -hemmung gekennzeichnet. Sie sind schnell erschöpft, schwächlich, frieren leicht und sind sehr erkältungsanfällig. Selbst leichte Speisen liegen ihnen schwer im Magen. Sie halten sich nicht aufrecht, bewegen sich langsam und sind schnell ermüdet und haben dann ein starkes Verlangen, sich oft und lange auszuruhen. Sie neigen zu Passivität. Sie wirken oft geistig abwesend und vergessen wichtige Dinge. Sie wirken unentschlossen, suchen Bestätigung bei anderen und wählen den Weg des geringsten Widerstandes. Sie halten sich eher im Hintergrund und lassen andere für sich entscheiden und handeln. Sie sind empfindlich und reagieren häufig gekränkt. Positiv wird vermerkt, dass sie geistig aktiv, rasch und beweglich sind. Sie sprechen sich gerne aus und teilen sich anderen mit. In ihrer Wesensart sind sie meist einfach und unkompliziert, gutmütig und vertrauensvoll. Anderen begegnen sie mit Respekt, sind geduldig und in ihren Ausdrucksformen sanft und mild. Sie sind zugängliche, vertrauens- und glaubwürdige Menschen, die in ihren Grenzen bleiben und sich vor Exzessen hüten. Ihre wichtigste Kraftquelle ist, dass sie dauerhaft und konstant sind, was sich auch in einer gewissen Sturheit und Hartnäckigkeit zeigen kann. Sie haben Tiefgang, brauchen zwar viel Zeit, um etwas zustande zu bringen. Dafür erzielen sie jedoch dauerhafte Ergebnisse. Dieser Mangel an Willenskraft und Souveränität ist typisch für den wenig entwickelten Sachtyp, der sich vorwiegend im Erkenntnis-Ich aufhält und der seine Schlüsselfähigkeiten, das Wollen und Handeln, vernachlässigt. Was diesem Kranken weitgehend fehlt sind die Qualitäten seines Handlungs-Ichs: kraftvolle Energie, Zielstrebigkeit, Entschlossenheit, Willens- und Tatkraft. Dass das Fehlen dieser Fähigkeiten nicht nur seine Lebenstüchtigkeit und seine Lebensqualität einschränkt, sondern ihn auch krank machen kann, zeigen die Beobachtungen Hahnemanns. Und es bestätigt unsere These, dass ein Mangel an den hochwertigen Energien der jeweiligen Schlüsselfähigkeiten und ihre Verkehrung ins destruktive28 Kranksein begünstigen.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Wenn man an den Sachtyp mit seinem Defizit an tatkräftiger Handlungs-Energie denkt, so erinnert man sich daran, dass in vielen Gesundheits-Ratgebern immer wieder darauf hingewiesen wird, dass Bewegung, Sport, eigentlich jedes Vorhaben und Tun, das Freude macht, gesundheitsfördend sind. Sie wecken und aktivieren die Lebensgeister. Menschen, die gerne und selbstbestimmt arbeiten oder die etwas unternehmen, was ihnen Spaß macht, werden selten krank. Denn nicht nur unsere Psyche, auch unser Körper braucht ein gewisses Maß an aktivierender Energie, um gesund zu werden und zu bleiben. Der zweite Typus29 kann misstrauisch, kontrolliert, verzweifelt sein bis hin zu Selbstmordtendenzen, doch er wird auch als lebendig, in seinen Gefühlen überschwänglich und als anderen zugewandt und kommunikativ beschrieben. Dann ist er ein eher fröhlicher, ausgelassener Mensch, der gerne im Mittelpunkt steht, bewundert sein und andere für sich einnehmen möchte. Dabei kann er liebenswürdig und gewinnend, doch auch eitel und eifersüchtig, eingebildet, arrogant und intrigant sein. Er lässt sich nicht gerne in seine Karten schauen und behält Geheimnisse für sich. Er neigt zu Übertreibungen, ist rasch wechselnd in seinen Gefühlen, schwankt zwischen Lachen und Weinen, Freude und Trauer, ist reizbar, wobei sein Ärger dann meist schnell wieder verraucht. Sein Auftreten ist theatralisch, was durch auffallende Gestik und Mimik unterstrichen wird. Er legt großen Wert auf das eigene Aussehen. Er möchte von allen geliebt werden, viel Liebe geben und sie deutlich zeigen können. Im Handeln ist er rasch und gewandt. Er lässt sich begeistern, ist euphorisch, beginnt vieles, macht unterschiedliche Dinge gleichzeitig und führt jedoch manches nicht zu Ende. So entsteht ein zugleich glänzender und etwas oberflächlicher Eindruck. Er verspricht mehr, als er halten kann. Der momentane Eindruck, die Wirkung auf andere ist ihm oft wichtiger als die Qualität. Er kann ehrgeizig und leistungsorientiert sein, schnell Karriere machen und andere durch ein Gewinner-Image überzeugen. Es spricht meist rasch, gewandt und lässt durchblicken, dass er gut informiert und mit dem neuesten Stand der Dinge vertraut ist. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, manchmal auffallend, gewagt und exklusiv. Er misst sich und andere an hohen und anspruchsvollen Maßstäben. Auf intellektueller Ebene wird er überflutet von Ideenreichtum. Er kann sich schwer konzentrieren, ist hypersensibel, leicht erregbar und neigt zu Schwindeleien. Er hat viel Phantasie und kann sich in wehmütige romantische Träumereien und Stimmungen verlieren, ist erfüllt von erotischen und sexuellen Vorstellungen, Wünschen oder auch Ängsten, kann in äußerst kritische, zynische und nihilistische Einstellungen und Gedanken verfallen. Unruhe, Nervosität, Hektik und das Gefühl von Verzweiflung, innerer Zerrissenheit, von Ausgebranntsein und Leere ist kennzeichnent

Homöopathie – die drei chronischen Miasmen

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für diesen Kranken. Er weint schnell und viel, fürchtet sich vor Alter, Einsamkeit, Krankheit und Tod. Er beklagt sich, jammert und leidet demonstrativ und macht sich und anderen bittere Vorwürfe. Doch dieses Leiden kann ebenso rasch umschlagen in illusionäre Hoffnungen und Wundergläubigkeit. Hier wird der wenig entwickelte Beziehungstyp beschrieben, der viel Energie und Aufmerksamkeit investiert in das Beziehungsverhalten und -erleben. Wie komme ich bei anderen an, wie mit anderen zurecht? Was erwarten sie von mir? Wie kann ich sie beeinflussen und für mich gewinnen? Wie stehen sie zu mir und wie denken sie über mich? Angespannt und nervös, misstrauisch und selbstkritisch quälen ihn solche Fragen. Darüber vernachlässigt er besonders die Qualitäten seines Erkenntnis-Ichs wie ruhiges und realistisches Nachdenken, Klarheit und Gelassenheit, Loslassen können und Bei-sich-selbst-Sein. Die daraus resultierende Unruhe, Anspannung und Hektik kann auch körperlich krankmachen. Deshalb tun ihm solche Aktivitäten gut, die entspannen und seine Konzentration und Gelassenheit fördern. Noch wichtiger freilich ist, dass er das ‚Urvertrauen‘ zurückgewinnt, so wie er ist, angenommen und liebenswert zu sein. Nachdem sich die beiden ersten Typen eindeutig als Sach- und Beziehungstyp identifizieren lassen, müsste es sich beim dritten Typ30 um den wenig entwickelten und psychosomatischen Handlungstyp handeln. Das bestätigt sich in den Beschreibungen. Allerdings fällt auf, dass in den Zusammenfassungen fast ausschließlich pathologische Züge beschrieben werden und kaum seine zweifellos vorhandenen positiven Eigenschaften und Fähigkeiten, also seine Fürsorglichkeit, Verlässlichkeit, Geradlinigkeit und Verantwortungsbereitschaft. Diese Personen werden als destruktiv, aggressiv, streit- und rachsüchtig, quälerisch und pervers beschrieben. Anderen und manchmal auch sich selbst begegnen sie mit offener und versteckter Verachtung. Sie kommen über erlittenes Unrecht nicht hinweg und sind weder willens noch fähig zu verzeihen. Sie können in eine tiefe, schwer anzugehende Depression fallen, wobei es ihnen dann schwer fällt sich zu konzentrieren und geistig zu arbeiten. Dann haben sie große Angst und Schuldgefühle, ihrer Arbeit und ihren Verpflichtungen nicht mehr gerecht zu werden. Andere erleben sie als halsstarrig, eigensinnig, hartnäckig und mürrisch, autoritär und rechthaberisch, verschlossen und wortkarg. Im Denken sind sie eher langsam und schwerfällig. Sie sind wenig mitteilsam. Sie haben alle möglichen Zwänge, besonders häufig einen Waschzwang. Sauberkeit hat für sie eine übertrieben wichtige Bedeutung, ebenso Ordnung und Moral. Sie sammeln gerne Dinge und ordnen sie. Sie sind hart zu sich selbst und zu anderen. Positiv wird vermerkt, dass es ihnen aus einer großen Willenskraft und Leidenschaft heraus möglich ist, extreme Leis-

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

tungen zu erbringen in Kunst, Musik oder im Beruf, und dass sie bereit sind, dafür große Opfer auf sich zu nehmen. Häufig haben sie mediale Fähigkeiten und ein intuitives Einfühlungsvermögen. Der Genuss von Alkohol hat für sie eine wohltuend entspannende und belebende Wirkung. Das destruktive Verhalten kann tatsächlich bei einer kleinen Minderheit von Handlungstypen beobachtet werden. Und noch häufiger trifft man auf die Handlungstyp-Depression, bei der die Erkrankten den Zugang zu ihren Gefühlen und Emotionen weitestgehend verlieren, und damit auch ihre Lebensfreude und Beziehungsfähigkeit. Wie Maschinen erfüllen sie ihre Aufgaben und Pflichten, empfinden ein Gefühl von öder Leere, erleben sich als völlig gleichgültig, auch Menschen gegenüber, die sie einmal geliebt haben, oder in Situationen, in denen sie glücklich waren. Da diese Depressionen sehr langwierig sind, erwarten sie irgendwann keine Besserung und finden keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Über einen längeren Zeitraum können diese Depressionen als Tüchtigkeit, Pflichterfüllung und Selbstaufopferung missverstanden werden. Dadurch werden sie oft spät oder gar nicht erkannt. Für diese Kranke ist es entscheidend, dass sie wieder Zugang zu ihren Gefühlen und zur Lebensfreude finden. Sympathie, Liebe und Lachen sind für sie die beste Medizin. Freilich helfen hier gute Ratschläge in der Regel nicht weiter, weil sie keinen Zugang zu ihrem gefühlsmäßigen Erleben finden. Ja, wenn andere um sie herum sich freuen und ihr Leben genießen, fühlen sie sich noch leerer und ganz und gar unfähig, daran teilzuhaben. Häufig werden diese Depressionen als endogene Depressionen diagnostiziert und oft ohne oder mit geringem Erfolg mit Psychopharmaka behandelt. Tatsächlich sind sie jedoch, wenn man sich die Lebensgeschichte dieser Patienten anschaut, mit dem Wissen der prozessorientierten Persönlichkeits-Psychologie durchaus verstehbar und mit den Mitteln der heutigen Psychotherapie31 in den meisten Fällen heilbar. Hahnemann stand bei den ‚chronischen Miasmen‘, wie er diese Krankheiten nannte, einem rätselhaften Phänomen gegenüber, denn diese ‚zeigen … eine solche Beharrlichkeit und Ausdauer, dass … sie mit den Jahren immer mehr zunehmen und lebenslang durch die eigenen Kräfte selbst der robustesten Natur, auch bei der gesundesten Lebensart und Diät nicht gemindert und noch weniger besiegt und ausgelöscht werden, sondern wachsen und sich verschlimmern bis zum Tode‘.32 Die psychologische Beschreibung der drei Typen von Kranken, die sich aus Sicht der Psychographie als zutreffende Beschreibung der drei Persönlichkeitstypen erweisen, die ihre jeweiligen Schlüsselfähigkeiten kaum entwickelt haben, weist darauf hin, dass es sich hier um schwere psychosomatische Störungen handelt. Das erklärt auch, warum die medizinische Behandlung wenig oder keine Erfolge zeigt.33

Die homöopathischen Konstitutionstypen

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7.10 Die homöopathischen Konstitutionstypen34 Als ich vor vier oder fünf Jahren auf die homöopathischen Konstitutionstypen in den Darstellungen von Catherine R. Coulter stieß, war ich begeistert. Denn ich fand, dass sie meine Erkenntnisse zur Typologie ebenso bestätigen wie ergänzen. In der Zeit, in denen ich mein eigenes Modell entwickelt habe, war mir nicht bekannt, dass in der Homöopathie nun schon seit fast 200 Jahren das Erkennen und Erforschen von Persönlichkeitstypen eine zentrale Rolle spielt. Nach Hahnemann gibt ‚der Gemütszustand des Kranken bei homöopathischer Wahl des Heilmittels oft am meisten den Ausschlag‘ und ‚Man muss also eine solche Krankheitspotenz unter den Heilmitteln auswählen, welche außer der Ähnlichkeit ihrer anderen Symptome mit denen der Krankheit auch einen ähnlichen Gemüts– oder Geisteszustand von sich aus zu erzeugen fähig ist.‘35 Denn das Wissen um den Konstitutionstyp eines Patienten ist für den Homöopathen mitentscheidend dafür, welches homöopathische Arzneimittel er ihm verordnen wird. Durch dieses Interesse an den Konstitutionstypen sind anschauliche und treffsichere Beschreibungen der verschiedenen Persönlichkeitstypen entstanden. Nach meinen Erfahrungen kommen die Persönlichkeitstypen in der Gesamtbevölkerung in etwa gleichen Anteilen vor, also etwa ein Drittel Beziehungs-, Sach- und Handlungstypen. Davon sind etwa die Hälfte weiblich und die andere männlich. Diese gleichmäßige Verteilung dürfte auch für die Konstitutionstypen gelten, auch wenn manche homöopathische Autoren dazu anderer Ansicht sind. Philip M. Bailey etwa meint, dass in den englischsprachigen Ländern ein Drittel aller Menschen ‚Natrium muraticum‘ und etwa 20 Prozent ‚Lycopodium seien.36 Das mag für das Medikament als Arzneimittel gelten, nicht jedoch als Konstitutionsmittel. Die von ihm beschriebenen 33 anderen Konstitutionstypen kämen dann jeweils auf den geringen Anteil von 1 bis 2% an der Gesamtbevölkerung. Ich habe mich auf 18 Konstitutionsmittel37 beschränkt, eine Kombination aus den drei psychologischen Grundtypen, den drei Körpertypen und Typ I und Typ II. Letztere sind immer verwandt, denn jeder Typ II war in seinen ersten Lebensjahren der entsprechende Typ I, also Ignatia zunächst Tuberculinum, Phosphor zuerst Arsenicum usw. Der Typ I ist im Allgemeinen eher ichbezogen und tritt selbstbewusster auf, der Typ II ist eher ichvergessen und anfällliger für Melancholie, Depressionen und Passivität. Unter den 18 Konstitutionsmittel sind alle ‚großen Mittel‘ enthalten. Dabei sind zwei Dinge zu beachten, dass Körpertypen im Gegensatz zu den psychologischen Grundtypen zumeist Mischtypen sind, und, dass durch die Akzeleration des Größenwachstums die Beschreibungen Kretschmers nur noch bedingt zutreffen. Dazu können Leistungssport oder Überge-

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle Tab.9: 18 Konstitutionstypen nach Grundtyp, Körpertyp und Typ I und II.40 leptosom

athletisch

pyknisch

Beziehungstyp I

Tuberculinum intelligente Phantasie

Arsenicum kontrollierte Leidenschaft

Silicea sanfter Eigensinn

Beziehungstyp II

Ignatia anspruchsvolle Romantik

Phosphor strahlende Zuwendung

Pulsatilla milder Charme

Sachtyp I

Natrium muriaticum melancholisches Aufbegehren

Sulfur eigenwillige Kreativität

Calcium carbonicum sinnenhafte Gemütsruhe

Sachtyp II

Staphisagria zorniges Nachdenken

Natrium carbonicum kritische Loyalität

Graphites freundliche Sensibilität

Handlungstyp I

Lachesis angespannte Energie

Mercurius lebhafter Übereifer

Lycopodium zurückhaltende Fürsorge

Handlungstyp II

Sepia selbstbewußte Pflichterfüllung

Nux vomica kameradschaftliche Schaffenskraft

Carcinosium aufrichtige Stärke

wicht die körperliche Gestalt starkt verändern. Es hat sich deshalb bewährt, bei der Bestimmung des Körpertyps auf die Kopfform und die Gesichtzüge und -proportionen zu achten und die Diagnose durch die psychologische Seite zu kontrollieren.38 Auch wurden die klassischen Beschreibungen der Konstitutionstypen in Zeiten gemacht, in denen die Bevölkerung durch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen, einseitige und unzureichende Ernährung, einengende und unterdrückende familiäre, soziale und politische Faktoren sowie häufige und schwere Krankheiten gezeichnet waren. Catherine R. Coulter überprüft deshalb diese Beschreibungen an ihren heutigen Patienten und revidiert sie soweit notwendig39 (Tab.9).

7.11 Tuberculinum, Arsenicum und Silicea – Beziehungstypen I Tuberculinum – intelligente Phantasie (Beziehungstyp 1 – leptosom) Es sind wache, unruhige Menschen, die für einen Gefühlsmenschen eher nachdenklich und etwas ernst wirken. Sie erleben in sich eine unstillbaren

Tuberculinum, Arsenicum und Silicea

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Sehnsucht nach etwas Fernem, Geheimnisvollen und Schönem, ohne dass sie immer konkret sagen könnten, was das ist. Meist sind sie sehr schlank, schmal und groß gewachsen, haben große, verträumt und nachdenkliche Augen, lange, schmale Nasen und feine Gesichtszüge. Das verleiht ihnen ein edles Aussehen und sie wirken oft etwas abwesend und unerreichbar. Sie machen einen anspruchsvollen und kultivierten Eindruck und unterstreichen dies durch das, was sie lesen, oder die Musik, die sie hören. Auch ihre Kleidung, ihre Wohnungseinrichtung oder ihr Erscheinungsbild unterstreicht diesen kultivierten und künstlerischen Lebensstil. Gelegentlich trifft man auf Vertreter dieses Typs, die das Gegenteil davon leben und demonstrieren, sich betont direkt und realistisch geben. Sie sind wissensdurstig und vielseitig interessiert, führen gerne nachdenkliche Gespräche bei Kerzenlicht und einem Glas Rotwein bis tief in die Nacht. Sie sind erlebnishungrig und erfüllt von Fernweh und Reiselust. Sie möchten in kurzer Zeit viel erleben. Ihr Lebenshunger steht in einem merkwürdigen Kontrast zu ihren Todesängsten. Manchmal können sie nachts nicht ohne Licht schlafen. Gelegentlich leiden sie an Asthma. Sie lieben frische Luft, reißen gerne die Fenster auf, obwohl sie rasch frösteln und frieren. Sie sind anfällig für Erkältungskrankheiten und leiden gelegentlich unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Allergien. Ihre sanfte Art kann rasch in Gereiztheit umschlagen. Sie haben das Bedürfnis frei und unabhängig zu sein, wirken selbständig und distanziert, fürchten sich vor Enge und Bindungen und erleben sich manchmal doch als übermäßig abhängig in Beziehungen. Sie sind erfüllt von einer intellektuellen Neugierde, lieben interessante Menschen und alles, was sie anregt und stimuliert. Zum ruhigen Nachdenken fehlt ihnen oft die Geduld und das genaue Hinsehen auf das Wirkliche. Deshalb übernehmen sie begierig interessante Gedanken von anderen, wobei sie sich gerne etwas von der Realität abheben. Dadurch sind sie anfällig für Meinungen und Ideologien, besonders dann, wenn diese eine gewisse Exklusivität verleihen. Wie Ignatia sind sie sehr anspruchsvoll, interessieren sich für Dichtung, Philosophie, Spiritualität und Musik. Tuberculinum neigt bei ungelösten Stress-Situationen zu schizoiden Störungen, d. h., er schützt sich und seine Gefühle wie durch eine Glaskugel. Arsenicum – kontrollierte Leidenschaft (Beziehungstyp 1 – athletisch) Es sind kontrollierte Menschen, die von einer nervösen Energie erfüllt sind. Häufig haben sie ein aristokratisches Profil mit hoher Stirn, tiefliegenden blitzenden Augen und schmalem Kinn. Körperlich sind sie meist schlank, manchmal zierlich mit schmalen Schultern. Ihre athletische Konstitution drückt sich aus in einem Sinn fürs Praktische und einer erstaunlichen körperlichen Leistungsfähigkeit. Was sie tun, bezieht sich meist auf

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

andere Menschen: entweder kommt es diesen direkt zugute oder ist von ihnen angeregt worden. Wenn jemand Hilfe braucht, reagieren sie fast automatisch. Arsenicum wirkt zunächst zurückhaltend und stolz, doch durchaus liebenswürdig und gewinnend. Das kann sich in einem kurzen, herzlichen Lächeln ausdrücken. Die starke Selbstkontrolle wird unterstrichen durch sein freundlich-reserviertes Auftreten, die sehr aufrechte Körperhaltung und auch dadurch, dass er lieber schweigt als sich eine Blöße zu geben und etwas, wie er befürchtet, Dummes zu sagen. In vertrauter Umgebung kann Arsenicum herzlich und von sprühend guter Laune sein. Hier wird die Verwandschaft zu Phosphor sichtbar. Arsenicum ist wie eine fest gespannte Feder. Seine selbstsichere Haltung, sein kultiviertes und kontrolliertes Verhalten lassen wenig von den Ängsten und Sorgen ahnen, mit denen er sich herumplagt. Sein innerer Motor läuft mit sehr hohen Drehzahlen. Langsame Menschen in seiner Umgebung können ihn nervös machen, sodass er gereizt reagiert. Arsenicum gilt als ehrgeizig. Er strebt brillante Leistungen an und arbeitet rasch und viel. Er neigt dazu andere zu dominieren. Zugleich hat er eine ausgeprägte soziale Ader, hat viel Familiensinn, zeigt Mitgefühl und moralische Integrität. In belastenden und ungelösten Lebenssituationen hat Arsenicum ein langes Durchhaltevermögen, neigt aber dazu Konflikte zu somatisieren. Sein hoher Leistungsanspruch und seine kontrollierte Genauigkeit könnte an einen Handlungstyp denken lassen. Doch wenn Arsenicum emotional berührt wird, zeigen das Strahlen oder der romantische Schimmer in seinen Augen und seine feine gefühlsmäßige Sensibilität, dass er ein Beziehungstyp ist. Silicea – sanfter Eigensinn (Beziehungstyp I – pyknisch) Sie wirken zart, zaghaft, sensibel und gebrechlich. Meist sind sie schlank, eher groß, auf einem dünnen Hälschen bewegt sich sanft ein rundes Köpfchen, große blaue ‚lächelnde‘ Augen, helle Haut und blonde Haare. Als Kinder können sie den Eindruck von ‚Engelskindern‘ machen, als Erwachsene den einer ‚Prinzessin auf der Erbse‘. Dabei sind sie innerlich doch zäh und energievoll und können schon als Kinder ganz schön ‚biestig‘ sein. Silicea sind meist feine, kultivierte Menschen, die großen Wert auf Wissen legen, oft Fragen stellen und an dem, was sie als wahr erkannt haben, entschieden festhalten. Im Umgang mit anderen sind sie eher zurückhaltend, entschuldigen sich oft, wirken schüchterner, als sie sind, und lösen Zärtlichkeits- und Beschützerimpulse aus, denen sie sich dann gerne entziehen. Wenn sie unsicher, verletzlich und verzagt wirken, darf das nicht darüber täuschen, dass sie auf eine flexible und etwas eigensinnige Weise recht gut wissen,

Ignatia, Phosphor und Pulsatilla

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was sie wollen. Dadurch hinterlassen sie einen etwas spröden und unnahbaren Eindruck, den sie durch ein scheues und liebenswürdiges Lächeln wieder abschwächen. Äußerlich und in ihrer Wesensart wirken sie leicht, hell, fein und anmutig – empfindsame Wesen mit einer verborgenen Stahlseele. Silicea neigt dazu und lädt andere ein, die Intensität ihrer Gefühle, ihr Wissen und ihr Können zu unterschätzen. Auf der anderen Seite interessiert sie sich für alles, engagiert sich überall und übernimmt so viel Verantwortung, dass sie dann doch die Grenzen ihrer recht hohen Belastbarkeit überschreitet, und sich und anderen bestätigt, wie sensibel sie sei. Dieser Eindruck relativiert sich erheblich, wenn man sich klarmacht, was sie tatsächlich leistet. Ihrer Familie und ihren Freunden gegenüber ist sie loyal und hilfsbereit. Da sie hohe Ansprüche an sich hat, fällt ihre an sich positive Leistungsbilanz für sie eher kritisch aus. Das macht sie auf der anderen Seite lernfähig bis ins hohe Alter. Und da sie eigenwillig denkt und das, was ihr wahr und wertvoll erscheint auch anderen gegenüber vertritt, kann sie mit dem, was sie sagt und meint, auf intellektuell angepasstere Zeitgenossen manchmal etwas seltsam bis absonderlich wirken. Doch da sie ihre idealistischen Ansichten mit einem eher fragenden und freundlich entschuldigendem Ton vorträgt, können andere diese stehen lassen ohne sich angegriffen und bedroht zu fühlen. Dazu trägt auch ihre spielerische Art bei, mit anderen und dem Leben umzugehen.

7.12 Ignatia, Phosphor und Pulsatilla – Beziehungstypen II Ignatia – anspruchsvolle Romantik (Beziehungstyp II, leptosom) Ignatia-Menschen haben einen etwas kräftigeren und ausgeprägt proportionierteren Körperbau als Tuberculinum. Es sind gefühlsvolle und zugleich nachdenkliche Menschen. Sie wirken für einen Beziehungstyp etwas ernst. Sie sind warmherzig und kultiviert. Die Ignatia-Frau ist die ruhige, romantische Schönheit. Ähnlich wie bei Tuberculinum hat sie eine ebenmäßige ovale Kopfform, große verträumte und manchmal etwas traurig blickende Augen, eine schmale gerade Nase, doch dabei etwas vollere und weichere Gesichtszüge. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie Gewichtsprobleme haben, meist nicht, weil sie zu dick sind, sondern weil sie von unrealistischen Idealvorstellungen ausgehen. Ignatia kleidet sich eher ‚romantisch‘, bevorzugt lange weite Kleider in schwarz oder dunkel-violett. Dadurch wirken sie etwas geheimnisvoll, edel oder künstlerisch. Das entspricht auch dem, mit was sie sich gerne beschäftigen, mit Wissen, das verspricht Geheimnisse zugänglich zu machen, mit Opern und klassischer Musik, mit Gedichten und Malerei.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Ihr Geist ist beweglich und verfügt über Intuition. Sie sind überaus anspruchsvoll, wollen das Besondere und etwas Besonderes sein und verabscheuen das Gewöhnliche und Gemeine. Doch da sie dazugehören und bewundert werden möchten, liegt das Exklusive, das sie schätzen, meist innerhalb anerkannter Grenzen. Sie haben viele Freunde und eine Schwäche für Berühmtheiten. Dieses Schwärmerische verstellt jedoch den Blick auf ihre wahren Qualitäten. Denn ihr tatsächliches Leben wird davon bestimmt, dass sie dort zu finden sind und sich engagieren, wo wichtige, doch wenig geschätzte Aufgaben gelöst werden müssen, wo es um Dienstleistungen und darum geht, einfache und notwendige Dinge zu tun, etwa als Sekretärinnen, in der Familie, in der Kranken- und Altenpflege. Ignatia neigt dazu, sich unglücklich in Partner zu verlieben, die aus irgendwelchen Gründen schwer oder nicht erreichbar sind, etwa weil der andere oder sie selbst gebunden sind, einer anderen Gesellschaftsschicht, Generation oder Kultur angehören oder in einer anderen Stadt oder einem anderen Land wohnen. Sie hängen manchmal wie Tuberculinum einer verflossenen Beziehung nach oder verlieben sich in Menschen, die keine Gefühle zeigen oder sie nicht begehren. Das hat den ‚Vorteil‘, dass sie zwar emotional bewegt sind, doch gleichzeitig ein unabhängiges Leben führen können. Dieses Gefühl von Freiheit ist für sie unverzichtbar, auch wenn sie sich auf der anderen Seite nach einer innigen Beziehung sehnen. Intensive Gefühlsbewegungen und Gefühlsausbrüche sind für Ignatia typisch. Sie träumt und schwärmt gerne, kann überschwänglich glücklich sein, dramatisch schlechte Laune haben, versuchen andere zu dominieren, streitet mit ihnen, kann verzweifelt und im wörtlichen Sinne todtraurig und todunglücklich sein. Das wird noch dadurch verstärkt, dass sie intensiv mit anderen mitleidet und sich selbst wie auf einer Bühne mit den Augen anderer sieht und misst. Wird sie gekränkt oder verlassen, kann ihre Liebe in Hass umschlagen und sie äußerst rachsüchtig reagieren. Aus diesem Gefühlschaos wird sie nur herausfinden, wenn sie davon ablässt, andere retten zu müssen, die Situationen ruhig anschaut, klar nachdenkt, zu einer meditativen Gelassenheit findet und ihrem Erkennen vertrauend handelt. Phosphor – strahlende Zuwendung (Beziehungstyp II, athletisch) Sie erscheinen wie Glückskinder des Lebens. Mit einem strahlenden Lächeln verbreiten sie gute Laune und gewinnen durch ihr spontanes, hilfsbereites und fröhliches Wesen die Herzen der Menschen. PhosphorMenschen sind aktiv und unternehmungslustig, machen gerne etwas mit anderen zusammen und sind meist gut drauf. Sie sind lebendig, erleben intensiv, sind offen für neue Eindrücke und lassen andere an ihrem Erleben teilhaben. Sie sind einfühlsam, intuitiv, meist idealistisch eingestellt

Ignatia, Phosphor und Pulsatilla

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und haben ein sonniges Gemüt. Sie sind aufrichtig, sagen was sie denken und sind tolerant. Es sind attraktive Frauen und Männer mit leuchtenden Augen und einem herzlichen Lächeln, die auf eine natürliche Weise charmant sein können. Ihre Freundlichkeit ist spontan und kommt aus der Freude am Leben. Dazu kommt eine Begabung fürs Praktische, die nötige Willenskraft und die wohlwollende Unterstützung der anderen. So erreichen sie relativ einfach ihre Ziele, die meist nicht allzu hoch gesteckt sind. Das Leben macht es ihnen einfacher als anderen Strukturtypen. Dieser frühe Erfolg ist freilich auch verführerisch. Manche von ihnen meinen, es müsse immer so weitergehen. Sie verlassen sich auf ihren Charme, ihre körperliche Attraktivität und sexuelle Ausstrahlung und darauf, dass andere schwach werden und es nicht so genau nehmen. Zu oft ist es ihnen gelungen, mit einem traurigen Blick aus ihren großen, unschuldigen Augen alles wieder ins Reine zu bringen. So bleiben sie kindlich verspielt und verträumt und entwickeln zu wenig ihre erwachsenen Fähigkeiten. Das führt häufig dazu, dass sie nicht ernst genommen, dass sie ausgenützt und schlecht behandelt werden. Naivität ist die größte Gefahr für Phospor. Das Gegenmittel ist die Fähigkeit, die Beziehungsebene und das Beziehungsverhalten zu verlassen und sich auf andere Lebensthemen einlassen zu können. Dazu zählt besonders die Fähigkeit des geduldigen, klaren und tiefen Nachdenkens. Das fällt Phosphor zunächst schwer, weil er von Wellen des Wahrnehmens und Fühlens überschwemmt und mitgerissen wird. Und es wird noch schwieriger, wenn eine ödipale Fixierung dazukommt, ein emotionaler oder sexueller Missbrauch in der Kindheit. Solche Menschen neigen auch als Erwachsene immer wieder zu einem kindlichen Verführungsverhalten, das auf ein Ja-aber-Spiel hinausläuft, zuerst einladend und dann zurückweisend. Für dieses Spiel sind alle Beziehungstypen anfällig, doch von Phosphor wird es am erfolgreichsten gespielt. Solche wenig oder unentwickelten Personen neigen zu Schwindeleien, zur Angst vor dem Alleinsein und dem Altern, zu chaotischen und dramatisch unglücklichen Beziehungen, aus denen sie sich nicht befreien können. Sie sind häufig unpünktlich, ihr berufliches Leben wird von ihrem Privatleben dominiert, geben mehr Geld aus, als sie haben, und sie sind anfällig für Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Entwickelte Phosphorpersönlichkeiten findet man häufig in sozialen Berufen, dort wo menschlich schwerste und scheinbar undankbare Arbeit zu leisten ist, in Krebsstationen, Pflegeheimen und Heimen für schwer erziehbare Jugendliche. Pulsatilla – milder Charme (Beziehungstyp II – pyknisch) Diese Menschen haben eine weiche, liebevolle Wesensart. Sie sind sanft und hübsch, tendieren zum wohlgeformt Molligen. Sie fühlen sich wohl in ihrer Familie, sind fürsorglich und selbst liebesbedürftig. Sie haben einen

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

guten, doch keineswegs exzentrischen Geschmack. Sie sind eher bereit sich anzupassen, nicht nur in Geschmacksfragen, sie übernehmen auch Meinungen und Einstellungen ihrer Partner. Sie sprechen mit sanfter Stimme, sind feinfühlig, rücksichtsvoll und liebenswürdig. Man wird sie selten arrogant oder rechthaberisch erleben. Bailey beschreibt anschaulich das Pulsatilla-Kind und unterscheidet es treffsicher von anderen Strukturtypen, etwa dass es sehr gefühlsbetont ist, die Hand der Mutter sucht, sich gerne anschmiegt und schmust und eine charmante Schüchternheit und emotionale Unsicherheit aufweist. Trotzdem öffnet es sich rascher als das ihm verwandte Silicea-Kind, das misstrauischer und kontrollierter ist, und es ist weniger neugierig, weniger aktiv und abenteuerlustig als das Phosphor-Kind. Viel wichtiger ist es ihm, sich zu vergewissern, dass es geliebt wird. Zu diesem Thema kann es eigenund eifersüchtig sein, quengeln und weinen, so lange, bis es seine liebevolle Zuwendung bekommt. Auch fürchtet es sich vor Dunkelheit und vor allem davor, allein zu sein. Bailey meint jedoch, dass diese Kinder, wenn sie größer werden, zu anderen Konstitutionstypen wechseln, ‚so dass überraschend wenige erwachsene Pulsatillas übrig bleiben‘.41 Und er glaubt, dass es noch deutlich weniger Pulsatilla-Männer gebe. Das Gleiche gelte für Silicea. Bei beiden Konstitutionstypen geht er von einem Anteil von 1 bis 2% aus und er kennt keinen einzigen Silicea-Mann. Ich rechne demgegenüber damit, dass jeder Konstitutionstyp einen Anteil von etwa 5% an der Gesamtbevölkerung hat und sich gleichmäßig auf Frauen und Männer verteilt. Dieser Annahme entspricht in etwa meinen Erfahrungen. Dann stellt sich die Frage, wie sich die Erwachsenen dieses Konstitutionstyps so verändern, dass sie nicht mehr als Pulsatilla- oder Silicea-Erwachsene wieder zu erkennen sind. Was wird aus diesen lieben und anschmiegsamen Wesen? Die Antwort liegt in der Entwicklung ihrer typspezifischen Schlüsselfähigkeiten, den geistigen Fähigkeiten des Denkens und Erkennens. Während Tuberculinum und Ignatia schon früh ein träumerisches Nachdenken über ihre Lebenserfahrungen und Arsenicum und Phosphor ein praktisches, handlungsorientiertes Vorausdenken zur Verfügung steht, müssen Silicea und Pulsatilla sich den Zugang zum Denken über die Kontrolle ihrer Gefühle freimachen. Das bedeutet, dass sie als Erwachsene häufig sehr kontrolliert wirken mit einer fast gläsernen Klarheit, dass sie rasch und losgelöst denken und dass Nähe in einer Beziehung für sie nun bedrohlich wirken kann, da zu viel Gefühl ihre noch ungefestigte Identität wegspülen könnte. Ihr stark betonter Intellekt ist jedoch nur scheinbar objektiv. Häufig steht er, ohne dass ihnen dies bewusst ist, im Dienste des alten ‚BevorzugtGeliebt-sein-Wollens‘. Daraus entsteht ihr Ehrgeiz nach herausragenden

Natrium muriaticum, Sulfur und Calcium carbonicum

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Leistungen, besser Bescheid zu wissen als andere, glänzende Gewinner zu sein. Sie konkurrieren, sind eifersüchtig (was sie sich nicht gerne eingestehen) und manchmal helfen sie dem Erfolg nach, indem sie manipulieren und intrigieren. Bekommen sie dafür Beifall, führt das häufig zu Selbstüberschätzung und einem gewissen Realitätsverlust mit der Folge, dass sie sich eine falsche Identität schaffen und den Zugang zu ihrem Selbst verlieren. Im positiven Sinne sind sie liebenswürdig, gewinnend, klug, unabhängig, selbstbewusst und selbständig. Sie entwickeln ein ausgesprochen gutes Gespür dafür, was andere von ihnen erwarten und was ‚in‘ ist in den Kreisen, in denen sie sich bewegen. Sie sind beliebt und werden von vielen bewundert. Wenn sie sich ihre Sensibilität bewahren und ihre Schwächen kennen, bleiben sie bescheiden und liebenswert. Doch in beiden Fällen wird der Außenstehende mit dem Gegenteil dessen konfrontiert, was für das Silicea- oder Pulsatilla-Kind typisch ist, nämlich sanft, unselbständig und anschmiegsam zu sein. Statt dessen wirken sie kontrolliert, autonom und etwas spröde, etwa eine attraktive, perfekt gestylte Geschäftsführerin, die, wie in einem Werbefilm, in ihrem offenen Sportwagen vorfährt. Auf meine Frage, ob sie ihre weiche, anhängliche Seite noch kenne, bestätigt sie: „Ja, in der Beziehung zu meinem Partner.“ So sind die Siliceas und Pulsatillas als Erwachsene schwer wieder zu erkennen. Doch die Widersprüche in dem, was sie bewusst leben und unbewusst damit wollen, machen deutlich, dass es sich nach wie vor um eine Silicea- oder Pulsatilla-Persönlichkeit handelt. Denn die Brillanz ihres bewunderswerten Auftretens soll bewirken, dass sie geliebt werden.

7.13 Natrium muriaticum, Sulfur und Calcium carbonicum – Sachtypen I Natrium muriaticum, melancholisches Aufbegehren (Sachtyp I, leptosom) Es sind zumeist hagere Menschen mit eher schmalen Schultern, die einen ernsten, zurückhaltenden Eindruck machen. Sie sind grundehrlich und möchten andere Menschen unterstützen und die Welt besser machen. Dabei tun sie sich allerdings schwer, weil sie weder das gewinnende Verhalten eines Beziehungstyps noch die Selbstsicherheit eines Handlungstyps haben und feststellen müssen, dass anderen entweder die Einsicht für die Notwendigkeit von Veränderungen oder das Interesse daran fehlt. Sie sind oft traurig, den Tränen nahe, erfüllt von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Ihre Verletzlichkeit verstecken sie häufig hinter einem herben, ver-

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

schlossenen, abweisenden und in sich gekehrten Verhalten. Oft sind sie innerlich unruhig und nervös, können leicht aufbrausen und zornig reagieren. Obwohl sie sich nach emotionaler Wärme und Zuwendung sehnen, vermitteln sie den Eindruck von scheuen und wenig umgänglichen Menschen, die Wert auf seelische Distanz legen. Trost und Zuspruch empfinden sie als Einmischung und weisen ihn zurück, ja, es kann sogar einen Zornausbruch bei ihnen auslösen. Sie wollen ihren Kummer mit sich allein austragen. Kränkungen tragen sie lange mit sich herum, und es fällt ihnen schwer, ärgerliche Gedanken loszuwerden. Sie haben die Neigung, alles von der schlimmsten Seite zu sehen, und machen sich Sorgen um die Zukunft. Auf der anderen Seite sind sie in schwierigen Situationen erstaunlich zuversichtlich und optimistisch, dass sie immer wieder auf die Beine kommen. Auch macht sie ihr tief schürfendes Denken in gewissem Umfang unabhängig von äußeren und raschen Erfolgen, deren Relativität sie durchschauen. Da sie eine zähe Beharrlichkeit und die Bereitschaft auszeichnet, ihr Bestes zu geben, wissen sie, dass die Zeit für sie arbeitet, sich Qualität am Ende durchsetzt, und so kommen sie dann doch noch zu ihren Erfolgen. In Partnerschaften tun sie sich schwerer. Ihr sachliches und gefühlsarmes Beziehungsverhalten ist für ihre Partner häufig frustrierend. Sie zeigen wenig Wärme und Anschmiegsamkeit. Kritik gegenüber sind sie überempfindlich und können mit heftigem Ärger und verletzenden Angriffen reagieren. Bis zu einem gewissen Grad können sie die Schwächen im Umgang in der Partnerschaft ausgleichen durch Fürsorge, Verständnis, Loyalität und Mitgefühl. Sie brauchen selbst viel Interesse und Bestätigung, um sich auf ihre natürliche Spontaneität einlassen zu können. Dann können sie sehr verspielt und witzig sein, sich munter und leicht fühlen und sich ausschütten vor Lachen. Wenn sie zu jemand Vertrauen gefasst haben, stehen sie zu ihm, sind treu und dankbar. Sulfur – eigenwillige Kreativität (Sachtyp I, athletisch) Sulfur sind meist etwas kleinere oder mittelgroße Menschen mit einem kompakten und kräftigen Körperbau, die mit ihrem Auftreten und Reden an Landesfürsten aus dem Barock erinnern. Diese Tendenz zu einer gewissen Großartigkeit steht allerdings auf nicht allzu kräftigen Beinen. Denn einerseits sind sie rationalen Argumenten zugänglich und merken dann, wenn sie sich auf einem Gebiet auskennen, mit ihrem wachen und intuitiven Verstand rasch, ob sie mit dem, was sie gesagt haben auf dem Holzweg sind. In diesem Fall lenken sie ein, relativieren ihre Aussage oder sie nehmen sie zurück. Zum anderen reagieren sie überaus empfindlich auf persönliche Angriffe und Kritik. Dann sind sie beleidigt und demonstrieren

Natrium muriaticum, Sulfur und Calcium carbonicum

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mit vorwurfsvollem Ton und Miene, was für ein großes Unrecht ihnen zugefügt wurde. Dabei geben sie ihren Mitmenschen, die ihre geniale Ader oft nicht so richtig einschätzen und würdigen können, reichlich Anlass für Kritik. Sie verhalten sich oft ausgesprochen egoistisch, treten kräftig in manches Fettnäpfchen, sind überaus eigenwillig in der Art, wie sie Dinge sehen, beurteilen und oft genug nicht erledigen. Sie machen das, wozu sie Lust haben und unangenehme Aufgaben schieben sie vor sich her oder vergessen sie einfach. Dass andere für sie die Dreckarbeit machen, erscheint ihnen ganz selbstverständlich und ihrer angeborenen Würde angemessen. Ihre hohe Meinung über sich selbst lassen sie die anderen spüren durch ihre herablassende und belehrende Art. Dabei steht ihnen ein nahezu unerschöpfliches breites und detailiertes Wissen zur Verfügung, das sie gerne vor anderen ausbreiten. Sie fühlen sich häufig unterschätzt und verkannt, vermutlich deshalb, weil sie sich selbst höher einschätzen, als ihnen das die Umwelt bestätigt. Ihre Mitmenschen haben im Gegenteil das Bedürfnis, sie in dieser Hinsicht zu bremsen. Diese hohe Selbsteinschätzung oder Überschätzung resultiert einmal aus ihrem praktischen Verstand und ihrer fachmännischen Kompetenz, aber auch daraus, dass sie vieles nicht wahrnehmen, was auch zum Leben gehört. Das gilt besonders für Zwischenmenschliches. Sie erleben sich als in der Sache überlegen, während sich die anderen an ihrem unsensiblen Verhalten stören. Sie bekommen dann Rückmeldungen, die sie nicht einordnen können, als ungerecht empfinden, unterdrücken ihren Ärger und ihre Wut und verhalten sich dann, ohne es zu merken, noch provozierender. Günstiger ist es für sie, wenn sie Anerkennung bekommen für ihre Tüchtigkeit. Dann entspannen sie sich, sind guter Dinge und angenehm im Umgang, können sehr witzig sein und an die Stelle ihres selbstgefälligen und wichtigtuerischen Verhaltens tritt echtes Selbstbewusstsein. Sulfur-Frauen sind schwerer zu erkennen. Auch sie sind stattlich, wirken weich, mild und heiter, sind bescheidener, sensibler und einfühlsamer als ihre männlichen Vertreter, doch ebenso klug und sie reagieren ähnlich empfindlich auf Kritik. Sie sind auf eine natürliche Weise attraktiv und sehen meist jünger aus, als sie sind. Sie vermitteln auf eine sehr beständige und gleichmäßige Art, dass sie ‚gut drauf‘ sind. Sulfur gilt als ein intellektuell erfinderischer und kreativer Mensch. Seine hausgemachte Lebensphilosophie kreist oft um seine eigene Person und um sein Wohlergehen, ist meist pragmatisch und schließt die leiblichen Genüsse des Lebens ein. Der als hager beschriebene Sulfur-Typ stammt wohl aus Zeiten, in denen es nicht genug zu essen gab und die Nahrungszubereitung umständlich und zeitaufwendig war.

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Sulfur sind aufgeschlossene, fortschrittlich und zukunftsorientierte Menschen. Besonders Männer reden wild und ausladend gestikulierend und strapazieren die Geduld ihrer Zuhörer, indem sie zu allen möglichen Stichworten ausführliche und in die Breite gehende ‚Vorträge‘ halten. Oder sie erzählen Geschichten aus ihrem Leben. Dabei sind sie gute Erzähler, die anschaulich, launig und in epischer Breite merkwürdige Begebenheiten aus ihrer überreichen Lebenserfahrung zum Besten geben. Wenn Sulfur seinen Egoismus überwindet, sich für andere und über das Eigeninteresse hinausgehende Aufgaben engagiert, sein weiches Herz sprechen lässt und ausdauernd und beharrlich seine Ziele verfolgt, kann er auf eine bescheidene Art ungemein schöpferisch und erfolgreich sein. Calcium carbonicum – sinnenhafte Gemütsruhe (Sachtyp I, pyknisch) Es sind gutmütige und gemütliche Menschen, vom Gesicht und Körperbau her weich und rundlich. Oft haben sie einen hellen, rosigen Teint, volle, sinnliche Lippen und vergnügte Augen. Geht es ihnen nicht so gut, so ist ihr Blick eher leer und abwesend. Sie haben ein gutes Herz und denken viel nach. Sie sind schlicht und natürlich, stellen keine großen Ansprüche ans Leben und sind gastfreundlich. Sie lieben ein harmonisches Umfeld, sind leutselig und verträglich und fühlen sich am wohlsten zu Hause im Kreis ihrer Familie oder wenn sie mit guten Freunden zusammen sitzen. Sie leiden etwas unter dem Stress und Druck, den ihnen unsere Leistungsgesellschaft abverlangt und können sich ausführlich darüber beklagen. Das Vertraute gibt ihnen Sicherheit, während Neues und die Zukunft sie eher ängstigt. Beruflich nützen sie häufig ihren klaren Verstand, der ihnen erlaubt Zusammenhänge rasch zu erfassen, und ihr umfangreiches Wissen. Es sind bescheidene Menschen, die die einfachen Freuden des Lebens genießen: Essen, Trinken, Spazieren gehen und die körperliche Liebe. Sie werden gerne etwas dick ohne sich allzu sehr daran zu stören. Sie arbeiten ruhig und zuverlässig, machen aber zwischendurch immer wieder gerne kleine Pausen. Gewöhnlich ist ihnen die Familie wichtiger als die Arbeit. Als Partner sind sie loyal und anhänglich, lassen sich gerne verwöhnen, doch sorgen sich auch um das Wohl des anderen. Calcium carbonicum, der etwas zur Trägheit und Unentschlossenheit neigt, braucht und sucht sich oft Ansporn von außen, eine motivierende Gruppe, einen anspruchsvollen Lehrer oder einen unternehmungslustigen Partner. Er trödelt gerne und geht und bewegt sich langsam und ziellos. Das lädt andere dazu ein, ihn anzutreiben und zu bevormunden. Doch er lässt sich nicht gerne Entscheidungen aus der Hand nehmen. Darauf reagiert er trotzig und mit passivem Widerstand. Doch es ist äußerst selten, dass er wirklich böse wird. Eher lässt er sich von anderen ausnützen.

Staphisagria, Natrium carbonicum und Graphites

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Auf Kritik reagiert er überempfindlich. Deshalb versucht er schon im Vorfeld den Eindruck zu erwecken, dass alles in Ordnung sei oder entschuldigt sich wortreich für irgendwelche Nebensächlichkeiten. Diese zur Schau getragene Harmlosigkeit und beschwichtigende Freundlichkeit vergrößert zwar den Ärger bei den anderen, doch sie macht es ihnen schwer kritische Punkte anzusprechen. Bricht dann das Gewitter doch los, tut er völlig überrascht, ist geknickt, zeigt sich einsichtig ohne jedoch Konsequenzen daraus zu ziehen und entzieht sich der leidigen Situation indem er krank wird.

7.14 Staphisagria, Natrium carbonicum und Graphites – Sachtypen II Staphisagria – kritische Loyalität (Sachtyp II – leptosom) Staphisagria sind Natrium muriaticum in vielem ähnlich. Zu ihrer Neigung, sich zu entrüsten, schreibt C. Coulter: „Straphisagria und Natrium muriaticum sind jedoch allernächste Verwandte. Hinsichtlich dieser wie auch anderer Emotionen ist erstere wie eine jüngere Schwester.“42 Ein Unterschied ist, dass Natrium muriaticum, der sich gegen Gott und das Schicksal empört, als Konstitutionsmittel eher nach innen wirkt und seine Einstellung verändert; Staphisagria, die sich über konkrete Personen ärgert, wirkt als Mittel eher nach außen, bringt sie dazu, sich zu behaupten. Staphisagria sind meist schlanke, große Menschen mit einem eher kräftigen Körperbau. Wenn sie sich ihrer Sache und sich ihrer selbst sicher fühlen, sind sie guter Dinge, ausgeglichen und erfrischend optimistisch und unternehmungslustig, und sie haben Sinn für trockenen Humor und witzige Bemerkungen. Sie arbeiten gerne mit kompetenten Menschen zusammen. Sie wirken meist jünger, als sie sind. Oft machen sie einen umgänglichen und netten Eindruck, doch hinter dieser verbindlichen Oberfläche kann Ärger und Wut lauern. Was macht sie so wütend? Werden sie benachteiligt, enttäuscht oder gekränkt, so übergehen sie das. Es scheint sie nicht zu berühren. Diesen Eindruck haben sie selbst und vermitteln ihn anderen. Sie können sogar verständnisvoll auf die Lage des anderen reagieren. Sie neigen dazu, für sie schmerzliche Gefühle zu übergehen, sagen statt dessen etwas ‚Weises‘, um sich dann zu wundern, wieso sie sich desorientiert fühlen. Doch sie haben ihre Enttäuschung und ihren Ärger nur verdrängt, vermutlich weil sie Angst davor haben, den anderen zu konfrontieren und sich aktiv mit ihm auseinander zu setzen. Und mit räumlichem und zeitlichem Abstand steigt die Frustration und die Wut ihnen hoch und erfüllt sie mit ärgerlichen und zornigen Gedanken. Nun kann sich ihnen die Situation schlimmer darstellen, als sie tatsächlich ist. Oft beklagen sie sich empört und entrüstet aus-

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

führlichst bei ihren Freunden, wie schlecht ihnen mitgespielt wurde, wie unfähig irgendwelche Verantwortlichen sind, wie ignorant sie mit ihren Aufgaben umgehen. Noch schlimmer ist es, wenn sie nur zutiefst deprimiert und depressiv reagieren. Dann sind sie handlungsunfähig, vermehrt erkältungsanfällig und haben häufig Probleme mit dem Magen und der Verdauung. Das mag damit zusammenhängen, dass sie zu viel ‚runterschlucken‘ und sich nicht ‚äußern‘. Eine ungerechtfertigte abwertende Bemerkung ihnen gegenüber, besonders wenn sie von einem Vorgesetzten kommt, kann sie so tief kränken, dass der andere für sie ‚gestorben ist‘. Auf der anderen Seite vertrauen sie ihrem Glück und ihren Fähigkeiten. Sie fassen wieder Mut und überlegen, wie sie aus einer schwierigen Situation das Beste machen können. Dabei hilft ihnen ihr zuversichtliches Denken, ihre Zähigkeit und eine gewisse Bedürfnislosigkeit, die sie unabhängig macht und ihnen ermöglicht, Opfer zu bringen um einer besseren Zukunft willen. Die Angst vor der eigenen Wut kann zu einem ruhigen, bereitwilligen, aber etwas unlebendigen Verhalten führen. In der Sexualität kann das den Partner zu einem aggressiven Verhalten einladen, das der sanften Staphisagria das Gefühl gibt, missbraucht zu werden und wachsenden Widerwillen vermittelt. Sie wird dann noch ruhiger, lebloser und desorientierter. Sie wirkt weiterhin nett und bescheiden und niemand ahnt, was in ihrem Herzen vor sich geht. Vielleicht empfindet sie Abscheu ihrem Partner gegenüber, ohne sich das einzugestehen, und hat gleichzeitig Angst, die Situation zu klären. Staphisagria schätzen das Gefühl, gebraucht zu werden. Manche von ihnen sind sehr abenteuerlustig und risikofreudig. Sie lieben gefährliche Situationen, vielleicht weil sie so ihren eigenen Willen spüren. Andere führen ein unstetes Leben, wählen einfache Lösungen wie ‚abhauen‘, neigen zu aggressivem und sexuell zügellosem Verhalten und zeigen wenig Verantwortungsbewusstsein. Ausgeglichene Vertreter dieses Typs sind emotional locker, gesellig, charmant und witzig und bei vielen beliebt. Sie arbeiten mit anderen kollegial zusammen, wissen was sie wollen und sind liebevolle und treue Partner. Natrium carbonicum, optimistische Pragmatiker (Sachtyp II, athletisch) Es sind zumeist kräftige, stattliche Menschen. Sie wirken nachdenklich und interessiert. Sie machen einen milden Eindruck. Es sind gewissenhafte, zurückhaltende Menschen mit einem hohen Qualitätsanspruch. Sie sind aufgeschlossene Denker und sie überlegen, wie Dinge funktionieren. Durch ihre stille, unauffällige Art werden sie zunächst übersehen. Dazu trägt bei, dass sie sich unter Fremden unwohl fühlen und einige Zeit brauchen, bis sie sich soweit sicher und vertraut fühlen, um aus sich heraus zu

Staphisagria, Natrium carbonicum und Graphites

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gehen. Dann zeigt sich ihre natürliche Ausstrahlung. Sie gewinnen auf den zweiten Blick. Es sind vernünftige, ruhige und recht liebevolle Menschen. Sie wirken jedoch etwas trocken, was den Zugang zu ihnen erschwert. Verglichen mit Sulfur sind sie konventioneller und angepasster. Sie haben oft Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein, sind sich ihrer Schwächen mehr bewusst als ihrer Stärken. Oft hängen sie traurigen Gedanken nach und sind etwas hypochondrisch, neigen zu Depressionen, fühlen sich bedrückt und innerlich unruhig, beschäftigen sich mit diesem und jenem, ohne es zu erledigen, ärgern sich und sind schlecht gelaunt. Sie reagieren stark auf Musik. Ihre auffälligste Eigenschaft ist ihre ausgeprägte Loyalität Menschen gegenüber, die sie wertschätzen. Sie hören genau zu, legen Wert auf die Meinung anderer und sind hilfsbereit. In der Literatur werden sie häufig mit Natrium muraticum verglichen. Neben manchen Übereinstimmungen sind sie doch sanfter und umgänglicher und zufriedener damit, wie die Dinge sind. Während Natrium muraticum mehr unter Menschen leidet, wenn diese ihn schlecht behandeln, dumm oder unfähig sind, erleben Natrium carbonicum sich mehr als Opfer widriger Umstände. Sie sind harmoniebedürftig, und sie lieben es nicht zu kämpfen und sich zu profilieren. In ihrer etwas gutmütig-naiven Art erwarten sie, dass sie die Umwelt automatisch unterstützt und ihnen Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringt, wenn sie brav sind und gute Leistungen vorweisen. Bleiben die aus, so sind sie enttäuscht und ziehen sich zurück. So entwickeln sie vorübergehend eine Tendenz zum Einzelgänger und Einzelkämpfer. Doch sie geben nicht auf, kehren zurück und versuchen es aufs Neue, obwohl es ihnen schwierig und anstrengend erscheint. So haben sie schließlich doch Erfolg. In Beziehungen tun sie sich schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Doch sie geben sich Mühe, ihren Partner zufrieden zu stellen. Männliche Partner können sich als Opfer ihres starken sexuellen Verlangens erleben und gleichzeitig ein betont unabhängiges Verhalten demonstrieren. Dass ihre Partnerin auf ihre geheimen Wünsche oder ihr widersprüchliches Verhalten nicht erwartungsgemäß reagiert, frustriert sie und lässt sie resignieren. Einige haben so sehr den Kontakt zu ihren Gefühlen verloren, dass sie sozialen Kontakten aus dem Weg gehen. Wenn sich jemand um sie bemüht, finden sie immer einen Grund, den anderen anzugreifen. Sie erinnern an Hunde, die die Hand beißen, die sie streicheln möchte. Doch gewöhnlich sind es umgängliche Menschen mit einer ‚aufgeräumten‘ Stimmung. Sie entwickeln sich langsam, aber stetig, das fordert den anderen einiges an Geduld ab. Um zu ihnen einen Zugang zu finden, gibt es einen verlässlichen Schlüssel: ehrliche Anerkennung und deutliche Wertschätzung.

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7. Verwandte Diagnostik-Modelle

Graphites – freundliche Sensibilität (Sachtyp II, pyknisch) Graphites dürfte der pyknische Sachtyp II sein. Es sind unauffällige Menschen, die von anderen als ‚normal‘ und ‚angenehm‘ beschrieben werden, und die einen ruhigen, bescheidenen freundlichen und sachlichen Eindruck machen. Bailey weist auf ihre Verwandtschaft zu Calcium carbonicum hin, sowohl was die Beschaffenheit des Mittels betrifft (Kohlenstoff) als auch die konstitutionstypische Übereinstimmung der geistigen und körperlichen Symptome. Ähnlichkeiten gibt es auch zu benachbarten Konstitutionstypen43 wie Pulsatilla (pyknischer Typ II), Natrium carbonicum (Sachtyp II) und Natrium muraticum (Sachtyp). Mit Pulsatilla haben sie das Weiche, Schüchterne und Anhängliche gemeinsam, mit Calcium und den Natrium-Konstitutionstypen das Vernünftige, Sachliche, Schlichte, Erd- und Sinnenhafte. Graphites gehört auch zu den ‚Gut-Wetter-Machern‘. Sie mögen keine Konflikte, keine Kritik und keinen Streit. Einmal weil sie zu sensibel und zu wenig schlagfertig sind, über kein sonderlich stabiles Selbstbewusstsein verfügen und eher zaghaft, vorsichtig und ängstlich agieren. Manche schützen sich dadurch, dass sie ihre Verletzlichkeit offen zeigen und sich etwas dumm oder naiv stellen. Das fällt ihnen nicht schwer, weil sie wohl wissen, dass sie sehr intelligent sind. Andere versuchen mit überzogener Konsequenz einschüchternd zu wirken. Das wirkt allerdings wenig überzeugend, da sie bei der nächsten Gelegenheit Signale aussenden wie: ‚Tu mir nichts, ich tu dir auch nichts!‘ oder ‚Wir sind doch die allerbesten Freunde!‘. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist, dass sie von den anderen nicht ganz ernst genommen werden. Die merken sehr wohl, dass Angst hinter dem beschwichtigenden Verhalten steckt. Doch in der Regel werden sie damit in Ruhe gelassen, man arrangiert sich mit ihnen, vielleicht auch deshalb, weil die anderen ahnen, dass ihre Gutmütigkeit, wenn sie missbraucht wird, in Hassgefühle und Rachegedanken umschlagen kann. ‚Wenn Graphites gekränkt ist, zeigt sie das ganze Spektrum der negativen Emotionen […] Bei einer Auseinandersetzung mit einem nahe stehenden Menschen zieht sie sich vielleicht zurück und brütet vor sich hin, mit einer Intensität, die wie eine dunkle, schwere Wolke über ihrer ganzen Umgebung hängt. Sie will nicht zugeben, dass sie verletzt ist, zeigt ihre Gefühle nicht und antwortet nur einsilbig, wenn man sie anspricht. Dann sucht sie sich entweder eine stille Ecke und weint, oder sie fängt an, alles mögliche im Haus zu zertrümmern, schlägt die Türen zu oder wirft mit dem Geschirr um sich …‘44 Wenn die Menschen, die sie verletzt haben, ihr ferner stehen und sie nicht emotional abhängig von ihnen und angewiesen auf sie ist, vergibt sie ihnen nicht. Sie mag so tun, als ob alles wieder in Ordnung wäre, doch sie

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wartet, bis die Umstände sich ändern oder sie einen starken Verbündeten findet und schlägt dann, wenn es niemand mehr erwartet, zurück. Graphites sind realistisch und verfügen über einen wachen Intellekt und gesunden Menschenverstand. Viele von ihnen haben eine soziale Ader und arbeiten in helfenden Berufen. Sie hängen an ihrer Familie und ihren Freunden. Wenn sie mit ihnen zusammen sind, fühlen sie sich wohl, sind heiter und fröhlich, doch wenn sie von ihnen getrennt sind, machen sie sich ängstliche Sorgen um sie. Graphites-Männer entsprechen wenig dem traditionellen Männerbild. Sie sind eher weich, sensibel und schüchtern. Als Jungens werden sie deshalb oft gehänselt, und als Erwachsene fällt es ihnen nicht leicht, sich einem geliebten Menschen zu offenbaren. Sie leiden mehr als andere unter Einsamkeit, und sie sind in Beziehungen sensible, liebevolle und verlässliche Partner. Im Beruf sind sie nicht übermäßig ehrgeizig, doch zuverlässig, zumeist technisch begabt und menschlich angenehm.

7.15 Lachesis, Mercurius und Lycopodium – Handlungstypen I Lachesis – angespannte Energie (Handlungstyp I, leptosom) Das Bild eines gespannten Bogens mit einem schussbereiten Pfeil ist charakteristisch für Lachesis. Es ist ein Mensch mit einer angespannten und raschen Energie. Er ist meist ‚gut drauf‘, er ist ‚aufgestellt‘, wie die Schweizer sagen. Dann verfügt er über eine gesteigerte geistige Arbeitskraft. Er wirkt zurückhaltend, aufmerksam, stolz und kämpferisch und, wenn er aus sich herausgeht, lebhaft und lebendig. Er hält sich aufrecht, ist meistens schlank, doch körperlich zäher und leistungsfähiger, als man vermuten möchte. In der Literatur wird betont, dass das Wohlbefinden des Lachesis-Menschen mehr als bei anderen Konstitutionstypen von einem befriedigenden Sexualleben abhängt – er neigt dazu, eifersüchtig zu reagieren – und dass er sich rasch angegriffen oder hintergangen fühlt. Wird er mit unklarem Verhalten konfrontiert, so scheut er keine Auseinandersetzung. Sein rasches Sprechen mit einer deutlichen, etwas laut und hart klingenden Stimme, manchmal mit kritischem oder anklagendem Tonfall führt dazu, dass sich andere oft angegriffen fühlen. Doch seine Fairness und seine wache Intelligenz machen ihn zugänglich für Argumente. Er redet gerne, erzählt Fragmente aus seinem Leben, liebt Musik und Tanz, kulturelle Veranstaltungen, Bewegung im Freien und kämpferische Sportarten wie Handball oder Tennis. Lachesis-Frauen haben ähnlich wie die ihnen verwandte Sepia häufig Probleme damit, sich mit dem überlieferten Frauenbild und den damit verbundenen Erwartunghaltungen zu identifizieren, einmal weil solche

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Bilder und Verhaltensmuster für sie eine hohe Verbindlichkeit haben, zum anderen weil diese traditionellen Rollen mit ihren Bedürfnissen an vielen Punkten kollidieren. Sie sind so ziemlich das Gegenteil der in den Blondinen-Witzen karikierten Kindfrauen, des sexy Dummchens. Doch auch die selbstlose und überfürsorgliche Mutter und Hausfrau ist keine Rolle, in der sie sich auf Dauer wohlfühlen. Dazu haben sie zu viel Eigenschaften und Fähigkeiten, die man üblicherweise eher Männern zuschreibt, zielorientiertes Denken und Organisationstalent, selbstsicheres und tatkräftige Handeln, ein rasches, kenntnisreiches Denken, Lebenshunger, künstlerische und handwerkliche Talente und leidenschaftliches sexuelles Erleben. Sie wehren sich gegen Einengungen und Vorschriften und ziehen es nach längeren Leidenszeiten in unbefriedigenden Beziehungen oft vor, ein unabhängiges Leben zu führen, etwa als allein erziehende Mütter mit gleichzeitiger Berufstätigkeit. Wie Sepia machen sie häufig beruflich Karriere. Sie werden von ihren männlichen Kollegen respektiert, weil sie hohes Engagement verbinden mit einer klaren Abgrenzung ihres Verantwortungsbereiches. Sie sind verlässlich, fleißig, qualitätsbewusst, verhalten sich kameradschaftlich und verabscheuen Intrigen und Profilierungssucht. Über männliches Machogebaren gehen sie diskrekt oder mit einem spöttischen Lächeln hinweg. Lachesis haben häufig eine Begabung für intuitive Menschenkenntnis und die Paradoxien zwischenmenschlicher Interaktionen. Diese Fähigkeiten werden allerdings gelegentlich durch Argwohn oder Eifersucht verdunkelt. Sie haben Zugang zu einer praktischen Lebensweisheit und ein Gespür für energetische und heilerische Fähigkeiten, etwa indem sie subtile Energieströme im Körper wahrnehmen, die in der Homöopathie mit Lebenskraft oder in der chinesischen Medizin als Chi bezeichnet werden. Dazu kommt ihre Naturliebe, ihr Interesse an Menschen und ihr selbstbewusstes und eigenständiges Denken. So engagieren sie sich gerne in der alternativen, naturheilkundlichen und ganzheitlichen Medizin und Psychotherapie oder in sozialen und ökologischen Projekten. Mercurius – lebhafter Übereifer (Handlungstyp I, athletisch) Mercurius-Menschen sind richtige Energiebündel, ungeduldig, lebhaft und oft etwas übermotiviert. Sie wirken wie Straßenmusiker, die gleichzeitig drei oder mehr Instrumente spielen, mit dem Mund eines, mit den Händen ein anderes und die Beine bedienen verschiedene Rhythmusinstrumente. Sie möchten gute Stimmung verbreiten, wobei sich sensiblere Naturen von dem Feuerwerk ihres Temperaments gelegentlich überrollt fühlen. Sie engagieren sich gerne für das Wohl einer Gruppe, beruflich oder in ihrer Freizeit.

Lachesis, Mercurius und Lycopodium

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Ähnlich wie Nux vomica verfügen sie über eine erstaunliche körperliche Belastbarkeit und konditionelle Reserven. Sie können ausdauernd arbeiten und ausgiebig feiern und brauchen wenig Schlaf. Wenn sie Spaß machen, wirken sie wie ein hölzernes Kasperle, sie lachen laut, reißen ihre Augen auf und bewegen ihre Arme in raschen, parallel geführten und etwas steifen Bewegungen, während ihr Körper eher unbewegt bleibt. Oder sie erzählen Witze und lustige Begebenheiten. Dass sie sich auch traurig, einsam oder sinnleer fühlen können, überdecken sie mit guter Laune oder ein paar Glas Alkohol. Dazu kommt, dass sie wie Stehaufmännchen schnell wieder auf die Beine kommen. Bailey sieht in Mercurius als Grundzug das Mediale. Da es ihm an Eigenwille fehlt, kann er zum Medium werden und sich ganz in den Dienst einer Aufgabe stellen oder als Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen tätig werden. Für ihn selbst kann das verwirrend sein. Heute denkt und fühlt er das, morgen etwas ganz anderes. Manchmal fühlt er sich so leer, als ob er in einer riesigen Einöde sitzen würde. Seine eigene Neutralität bedeutet, dass er leicht beeinflussbar ist, vorausgesetzt, die Einflüsse stimmen in etwa mit seinen Grundbedürfnissen überein. Zu ihnen gehört, dass er das Lebendige liebt. Und sie dürfen nicht gegen seine Regeln oder seine Vorurteile verstoßen. Letztere gelten oft Menschen, die für ihn, aus welchen Gründen auch immer, nicht respektabel sind und nicht dazu gehören. Mercurius hat einen rasch und beweglich arbeitenden Verstand, der oft wenig beeinflusst ist von den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen und auch keinen Kontakt hat zu ihnen. Das kann sich in einer beruflichen Tätigkeit bewähren, ist jedoch wenig hilfreich im Alltäglichen und Zwischenmenschlichen. Wenn ihm dies bewusst wird und er sein rationales Denken zeitweilig ausschalten kann, wird ihm seine intuitive Begabung zugänglich. Obwohl sich Mercurius gerne in Gruppen aufhält, führt er innerlich ein eher einsames Leben. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass er seinen eigenen Körper und seine wirklichen Gefühle wenig wahrnimmt. Dieses Fremdsein sich selbst gegenüber wirkt auch befremdlich auf andere Menschen. Um dem Gefühl der Einsamkeit zu entgehen, stürzt er sich in Aktivitäten, sucht Kontakte, stimuliert sich mit Drogen oder hört laute Musik. Mercurius hat eine Neigung zu Gebräuchen und Ritualen, identifiziert sich mit einer Volksgruppe, einem Beruf oder einer Rolle. Das gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er kann charmant sein und genießt es, andere Menschen anzuleiten, etwa als Trainer oder Ausbilder oder als tüchtige Mitarbeiterin, die den Job ihres Chefs macht. Mercurius-Frauen wirken, besonders wenn sie älter werden, mit ihren ausgeprägt kräftigen Gesichts-

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zügen oft ein bisschen männlich. Für die menschlichen Qualitäten von Mercurius ist es ganz entscheidend, ob er sich von Liebe oder Lieblosigkeit leiten lässt. Liebe kann sein Denken, sein Handeln und sein Leben heil machen, Lieblosigkeit kann es vergiften. Lycopodium – zurückhaltende Fürsorge (Handlungstyp I, pyknisch) Lycopodium legt großen Wert darauf, von anderen respektiert zu werden. Manche zeigen das, indem sie einen zurückhaltenden und ordentlichen Eindruck machen, andere demonstrieren eine etwas autoritäre und leutselige Freundlichkeit, wieder andere stellen ihr Expertentum in den Vordergrund. Gemeinsam ist ihnen, dass sie freundlich distanziert wirken, abhängig sind von Regeln und Normen und über ein diplomatisches Geschick verfügen. Sie sind auf andere Menschen eingestellt und bewahren gleichzeitig eine gewisse Distanz ihnen gegenüber, so als ob sie sich ihrer selbst nicht ganz sicher wären oder etwas zu verbergen hätten. Vermutlich sind es ihre überhöhten Maßstäbe, was es bedeutet, respektabel zu sein, die sie verunsichern. Sie sind keine Individualisten, sondern übernehmen eher gängige und anerkannte Rollen, die der guten Ehefrau, Mutter und Hausfrau, des seriösen Geschäftsmannes und des geschätzten Mitgliedes eines Vereines. Dabei wollen sie sich nicht besonders hervorheben oder über anderen stehen, sondern sie möchten allerseits anerkannt sein als jemand, der dazu gehört, untadelig und geschätzt. Lycopodium sind gesellige Menschen. Sie fühlen sich wohl in einer freundschaftlichen Atmosphäre unter Menschen, die ihnen Wertschätzung und Sympathie entgegenbringen. Es sind tüchtige und fleißige Menschen mit einer Begabung fürs Praktische. Im Gegensatz zu Sulfur, der eigenständig und eigenwillig denkt und handelt, übernimmt Lycopodium anerkanntes und bewährtes Wissen und hält sich an das, was oppertun und konform ist. Besonders als Mann gibt es sich betont rational und vernünftig. Er hat Angst vor sozialer Zurückweisung und achtet darauf, sich gut mit anderen zu stellen und sich keine Blößen zu geben oder Fehler zu machen. In ihrem Beruf sind sie kompetent und erfolgreich. In der Regel hat Lycopodium ein weiches Herz, ist ein fürsorglicher Partner, liebt seine Kinder und ist hilfsbereit seinen Freunden gegenüber. Er ist meist unbeschwert, hat Sinn für Humor und begegnet anderen mit Respekt, ganz besonders dann, wenn jene über ein anerkanntes Fachwissen verfügen. Im Umgang mit dem anderen Geschlecht ist Lycopodium freundlich-charmant, als Mann manchmal etwas prahlerisch. Eine Gefahr für Lycopodium liegt darin, dass er in seinem perfektionistischen Rollenverhalten sich selbst und den Zugang zu seiner gefühlsmäßigen Sensibilität verliert. Das kann zu einem tendenziell sadistisch-

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masochistischen Verhalten sich selbst und anderen gegenüber führen: Etwa die Ehefrau, die auch dann noch an der Rolle der treu sorgenden Gattin festhält, wenn ihr Mann sich gefühlsmäßig längst von ihr abgewandt hat und sich nur noch für seinen Beruf oder für andere Frauen interessiert. Oft zwingt sie erst eine körperliche Krankheit dazu, ihre Situation kritisch zu durchdenken und konsequent zu handeln. Ein anderer meint an sozial anerkannten Klischees festzuhalten, wenn er etwa als Vorgesetzter die weiblichen Mitarbeiterinnen als ‚meine Mädels‘ bezeichnet, sexistische Bemerkungen macht und diskriminierende Witze erzählt. Wirklich gefährlich kann ein Lycopodium in mafiaähnlichen Strukturen werden, sei es in der Politik oder in der Wirtschaft. Aus einer falsch verstandenen Loyalität seiner ‚Familie‘ und faschistoiden oder kriminellen Wertesystemen gegenüber, kann er sich unerhört blind, rücksichtslos und grausam gegenüber jenen verhalten, die nicht dazugehören. In der homöopathischen Literatur wird Lycopodium eher als männlicher Vertreter seines Konstitutionstyps beschrieben. Frauen dieses Typs sind weicher, mütterlicher und näher an ihren Gefühlen. Sie sind sehr kinderlieb und tüchtige und treue Partnerinnen. Oft übernehmen sie pädagogische oder sozialen Tätigkeiten. Der entwickelte Lycopodium folgt seiner gefühlsmäßigen Intuition und kann sich selbstlos und ausdauernd für menschliche Zielsetzungen engagieren.

7.16 Sepia, Nux vomica und Carcinosium – Handlungstypen II Sepia – selbstbewusste Pflichterfüllung (Handlungstyp II, leptosom) Sepias sind tüchtige, kluge und pflichtbewusste Menschen, interessiert und selbstsicher. Es sind Menschen mit meist großer, schlanker Figur, willensstark und freundschaftlich. Sie haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und schützen Schwächere. Sie sind begabt für Mathematik, Ingenieurwissenschaften oder Finanzwesen. Sie können gut organisieren. Manche interessieren sich für esoterische und spirituelle Themen und haben Zugang zu intuitiven Fähigkeiten. Ihre etwa spröde, zurückhaltende Art und ihr Festhalten an Regeln kann mit Stolz verwechselt werden, doch sie sind, was sie selbst betrifft, eher bescheiden und bedürfnislos. Für andere können sie sich selbstlos und kameradschaftlich einsetzen. Anerkennung und Lob erwarten sie dafür nicht, das ist ihnen eher peinlich. Sich zu engagieren und Leistungen zu erbringen erscheint ihnen selbstverständlich und nicht wert deshalb Aufhebens zu machen. Ihr herbes Äußeres verbirgt, dass sie ein liebevolles Herz haben. Wird es überraschend angesprochen, können sie von Tränen überwältigt wer-

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den, was ihnen dann etwas peinlich ist. Wenn ihnen etwas gegen den Strich geht, äußern sie das direkt, egal ob dies den anderen gefällt oder nicht. Man weiß, wo man mit ihnen dran ist. Der Beruf steht für sie im Mittelpunkt und sie sind in der Regel tüchtig und erfolgreich. Die Pflichten einer Hausfrau, die sie ebenso gewissenhaft erfüllen, sind ihnen eher lästig. Diese schränken sie ein das zu tun, was ihnen am Herzen liegt, Wandern und Sport, sich mit Freunden treffen, Tanzen gehen, kreative Hobbys zu pflegen, sich mit spirituellen oder psychologischen Themen zu beschäftigen oder sich zurückziehen, für sich allein sein, sich zu verwöhnen, ein Bad nehmen, lesen und Musik hören. In Beziehungen sind sie treu, fürsorglich und beständig. Ihre Zuneigung äußert sich ähnlich wie bei Lachesis über sexuelle Gefühle. Ihr Herz gehört vor allem ihren Kindern. Ihre Neigung sich in Aufgaben und Pflichten zu verlieren, sich über lange Zeit psychisch und physisch zu überfordern, verbunden mit einer gewissen Gefühlsferne, kann auf die Dauer zu einer Handlungstyp-Depression führen. Dabei geht ihnen das Lebensgefühl und jede Lebensfreude verloren. Gegenüber ihrem Partner, ihren Kindern und ihren liebsten Beschäftigungen empfinden sie dann nur noch Gleichgültigkeit. Das, was ihnen früher Spaß gemacht hat, Geselligkeit, Urlaubsfreuden und Sexualität, weckt in ihnen keine Gefühle mehr und bedeuten ihnen nichts mehr. Sie leben wie Automaten, erfüllen zwar noch ihre Aufgaben und Pflichten, doch das Leben wird ihnen zu einer Last. Schließlich kommen noch Kreislaufstörungen und Denkschwierigkeiten dazu. Da diese Depressionen schleichend einsetzen und die Betroffenen im Alltag und Beruf noch recht gut ‚funktionieren‘, werden diese Depressionen von Ärzten und Psychiatern häufig nicht oder zu spät erkannt, als endogene Depressionen missverstanden und statt psychotherapeutisch mit Psychopharmaka behandelt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die ‚anerkannten‘ Psychotherapien wie Psychoanalyse und Verhaltenstherapie für sie wenig hilfreich sind, da es darum geht, Blockaden auf der energetischen Ebene aufzulösen, damit sie wieder einen erlebnismäßigen Zugang zu ihren Bedürfnissen und Gefühlen finden. Nux vomica – kameradschaftliche Schaffenskraft (Handlungstyp II, athletisch) Nux vomica sind kräftig gebaute, maskulin wirkende Menschen mit einer immensen Schaffenskraft. Meist sind sie eher schlank, obwohl sie gerne essen und trinken, vermutlich, weil sie ständig aktiv sind. Lassen Beruf und Lebensumstände wenig Bewegung zu, werden sie dick ohne fett zu wirken. Nux vomica gelangen häufig in verantwortungsvollen Positionen ohne sich danach zu drängen. Ihre natürliche Selbstsicherheit, ihre freundschaftliche Art, die selbstverständliche Bereitschaft Verantwortung

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zu übernehmen und die Fähigkeit, sich in den Dienst einer Sache zu stellen, prädestiniert sie für Führungsaufgaben. Dabei sind es in der Regel nicht neue und eigene Ideen und ambitionierte Zielsetzungen, die sie verfolgen, sondern sie finden sich wieder in der Rolle eines Vermittlers. Sie halten sich offen nach allen Seiten, bemühen sich um gute Kontakte auf der persönlichen Ebene und suchen nach einem Kompromiss auf der Grundlage von bewährtem Vorgehen und gesundem Menschenverstand. Sie handeln gründlich und pragmatisch – in politischen Begriffen gesprochen bevorzugen sie eine liberal konservative Haltung. Nux vomica wirkt in seinem Verhalten etwas rau und autoritär. Für ihn trifft die Redensart zu von der ‚rauen Schale und dem weichen Kern‘, wobei für seine Gefühlsäußerungen ebenfalls ein ‚rau, aber herzlich‘ gilt. Der ‚weiche Kern‘ wird eher indirekt spürbar, etwa aus der Intensität, mit der er sich für Kinder, Tiere oder die Natur einsetzt oder aus dem empörten Zorn, wenn jene schlecht behandelt werden. Er ist verlässlich, fleißig und umgänglich. Nux vomica kann jedoch, wenn er schlecht gelaunt oder gar verbittert ist, äußerst aggressiv, rücksichtslos und streitlustig sein. Doch auch hier hält er sich an Regeln und Maßstäbe. Diese können allerdings vorurteilshaft und reaktionär sein. Denn er glaubt, dass Überzeugungen schon deshalb richtig sind, weil sie in seinen Kreisen gelten. Wenn er sich wohl fühlt, lacht er gerne laut und herzlich, ist kameradschaftlich und hilfsbereit. Seine Tüchtigkeit kann für ihn zu einer Falle werden. Nux vomica fühlt sich wohl im direkten und ehrlichen Umgang mit Menschen. Doch seine berufliche Karriere kann ihn davon entfernen, etwa die Krankenschwester, die Pflegedienstleiterin in einem großen Krankenhaus wird, der Lehrer, der ins Oberschulamt versetzt und Schulrat wird, oder der Meister, der die Position eines Abteilungsleiters einnimmt, der Psychosomatik-Professor, der über sein Thema und seine Patienten nur noch doziert, ja selbst die Mutter halberwachsener Kinder, die meint sie immer noch erziehen zu müssen. Nun treten organisatorische Aufgaben in den Vordergrund und die Beziehungen zu den Menschen verändern sich. Da diese nun abhängig sind, verhalten sie sich eher diplomatisch und für den Nux vomica-Vorgesetzten geht etwas verloren, was für sein psychisches Wohlergehen essenziell wichtig ist, der stimmige gefühlsmäßige Kontakt. Da er mit seiner Arbeit ‚verheiratet‘ ist, ist das besonders schlimm für ihn. Ohne dass er es so richtig merkt, verhärtet er gefühlsmäßig und wird schroff und unsensibel im Umgang mit anderen. Das beeinträchtigt auch sein körperliches Wohlbefinden, und er kann auf die Dauer schwer krank werden, etwa einen Herzinfarkt bekommen oder an Krebs erkranken.

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Carcinosium – aufrichtige Stärke (Handlungstyp II, pyknisch) Carcinosium45 sind vitale, kraftvolle Menschen, die ernst, verantwortungsbewusst und etwas gedankenverloren wirken. Sie machen sich Sorgen um die Zukunft und fühlen sich leicht schuldig, etwa, wenn sie krank geworden sind. Sie haben eine Abneigung dagegen, getröstet zu werden. Im Vergleich zu Lycopodium sind sie selbstloser und gelassener. Sie sind aufrichtig, ordentlich und meist etwas konventionell. Da sie gerne essen und trinken, sind sie oft wohlbeleibt. Sie sind hilfsbereit, engagieren sich für andere und haben eine kämpferische Ader. Sie reden mit lauter Stimme, lachen und unterhalten sich gerne. Sie sind nicht besonders ehrgeizig und eher praktisch begabt und sozial eingestellt. Sie neigen dazu, sich zu viel aufzuladen. Da sie zugleich selbstbewusst und bescheiden sind, haben sie eine natürliche und selbstverständliche Autorität, die meist durch freundliches und kameradschaftliches Verhalten überdeckt wird. Ähnlich wie Barium carbonicum wirken sie auf manchen etwas einfach und gewöhnlich, und sie werden dadurch von ehrgeizigen und anspruchsvollen Menschen gelegentlich unterschätzt und abgewertet. Doch das beeindruckt sie wenig, sehr zum Ärger ihrer Kritiker. Auch lassen sie sich bei aller Gutmütigkeit nicht manipulieren und herumstoßen. Dem setzen sie einen festen und unbeugsamen Widerstand entgegen. Im Sport findet man sie bei den Kraftsportarten, den Gewichthebern, Hammerwerfern oder den Ringern. In der Politik kann man an den typischen Gewerkschaftsführer denken, der sich beharrlich für die Mitglieder einsetzt und keine Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten fürchtet. Da sie anderen respektvoll begegnen, sich an Regeln halten, sachlich und verständlich argumentieren, zuversichtlich, ausdauernd, deutlich, doch wenig aggressiv sind und niemand persönlich angreifen, sind sie auch bei ihren politischen Gegnern geschätzte und gefürchtete Verhandlungspartner. Sie machen ihre Arbeit unauffällig und erfolgreich. In Beziehungen sind sie liebevolle, fürsorgliche und verlässliche Partner, die dauerhafte Beziehungen eingehen. Während Lycopodium eher zu einem Machoverhalten neigt und mit seiner sexuellen Potenz prahlt, aber auch von heimlichen Ängsten geplagt wird, er könne versagen, haben sie ein entspannteres Verhältnis zur Sexualität. Sie genießen sie ohne viel Aufhebens davon zu machen. Sie haben eine Vorliebe für Rhythmus und Tanz. Sie lieben ihre Kinder, sind Hobbygärtner, lieben Tiere und die Natur. Sie sind typische Mitglieder von Wandervereinen, die in Wandertracht in Gruppen durch den Wald ziehen, sich weit hörbar unterhalten auf dem Weg zur nächsten Waldgaststätte, um dort ausgiebig zu vespern. Sie verfügen häufig über ‚hellsichtige‘ und heilerische Fähigkeiten. Sie können diese Fähigkeiten kultivieren, da sie sie weder durch analysieren-

Sepia, Nux vomica und Carcinosium

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des und zweifelndes Denken stören noch deshalb unbescheiden und selbstüberschätzend werden. So verfügen sie über gute pädagogische, naturheilkundliche und psychotherapeutische Fähigkeiten, die allerdings in einer vernunft– und wissenschaftgläubigen Gesellschaft häufig brachliegen und ungenügend genützt werden. Eine Gefahr für sie liegt darin, dass sie in ihrem praktischen und sozialen Engagement und ihrer Neigung, gängige Meinungen und Werte zu übernehmen, zu wenig über sich selbst nachdenken. Statt sich der eigenen Identität bewusst zu werden, identifizieren sie sich mit Rollen. Das bedeutet Stress, der schließlich krankmachen kann. Denn eine ‚Rollen-Identität‘ ist immer mit einem ‚Ich muss perfekt sein, um akzeptiert zu werden!‘ verbunden, während wirkliche Identität Freiheit und Sicherheit bedeuten, die nicht hergestellt werden müssen, sondern einfach da sind.

Schlusswort Die prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie gehört zu jener neuen Art von ‚Wissenschaft‘, die Capra1 in Anlehnung an Geoffrey Chew unter dem Begriff der ‚Bootstrap2-Philosophie‘ beschreibt: ‚Nach der BootstrapHypothese … muss (die Natur) ganz und gar durch ihre eigene Folgerichtigkeit verstanden werden. Die Dinge existieren kraft ihrer wechselseitig stimmigen Zusammenhänge … das materielle Universum (ist) ein dynamisches Gewebe zusammenhängender Geschehnisse. Keine der Eigenschaften dieses Gewebes ist fundamental; alle ergeben sich aus den Eigenschaften der anderen Teile, und die umfassende Stimmigkeit ihrer Zusammenhänge bestimmt die Struktur des ganzen Gewebes.‘3 Manchmal vergleiche ich dieses Modell4 mit einem sich drehenden Kinderkarussell. Wer mitfahren will, muss irgendwo aufspringen. Bezogen auf die prozessorientierte Persönlichkeitspsychologie bedeutet das: es gibt da keinen Anfang, keine Grundlagen aus denen sich anderes Wissen ableitet, sondern sie besteht aus wechselseitigen Zusammenhängen. Ihre Basis ist nicht das Denken und seine ‚Gesetze‘, sondern die Wirklichkeit, und, diese hat nicht einen einzigen Zugang, sondern beliebig viele. Sie können also genauso gut dieses Buch von hinten nach vorne lesen oder irgendwo in der Mitte anfangen. Dazu eine Beobachtung: Leser ohne psychologische Vorkenntnisse verstehen meine Bücher häufig ‚auf Anhieb‘, psychologisch Vorgebildete tun sich gelegentlich damit schwer. Warum? Jemand, der sich auf diese Themen ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse einlässt, wird automatisch jede Aussage mit seinen eigenen Beobachtungen, mit seiner Selbst- und Lebenserfahrung in Verbindung bringen. Da diese Darstellungen nur abbilden und beschreiben, allerdings mit Hilfe von ‚Modellen‘, die ihrerseits den Strukturen der Wirklichkeit nachgebildet sind, wird er das Gelesene in seiner Erfahrungswelt wieder erkennen. Der ‚wissenschaftlich‘ Denkende wird möglicherweise diesen Realitätsbezug übergehen und statt dessen versuchen, das Gelesene in Verbindung zu bringen mit seinem bisherigen Wissen. Findet er dann wenig oder keine Übereinstimmung, gerät er verständlicherweise in Zweifel. Ich vermute, dass das ‚neue Denken‘ in den Wissenschaften möglich geworden ist, weil viele Menschen heute selbstbewusster und interessierter mit sich und ihrem Leben umgehen. Mein Wunsch ist, dass sie dieses Buch darin bestärkt und ihnen Informationen liefert, die, wie eine gute Landkarte Orientierungshilfen bieten.

Anmerkungen Einleitung 1 „… bin ich doch der Meinung, daß nennenswerte Fortschritte in der Praxis sich in erster Linie aus einer neuen und anderen Betrachtung menschlicher Probleme und ihrer Bewältigung ergeben werden.“ John H. Weakland im Vorwort zu De Shazer (1989). 2 Siehe Kapitel 7, ,Verwandte Diagnostik-Modelle‘. 3 Ähnliches leistet sie für die Integration lösungsorientierter Psychotherapien, und sie ist geeignet, deren Methoden persönlichkeitsspezifisch weiter zu entwickeln und passgenauer zu machen. Siehe Friedmann (1997): Integrierte Kurztherapie. 4 Eine tiefenpsychologisch orientierte Schule der Humanistischen Psychologie. 5 Friedmann (1990, 1991 und 1993).

Kapitel 1 Siehe Kapitel 2, ‚Wissenschaftstheoretische und ontologische Hintergründe‘. Nach Kretschmer (1961). 3 Ich schätze etwa 70% oder mehr. 4 Bandler, R. (1992): Veränderung des subjektiven Erlebens, S.22. 5 Seibt, F. (1977): Psychoanalytische Charakterlehre. 6 Coulter, C. R. (1990, 1998): Portraits homöopathischer Konstitutionstypen, Bd. 1 und 2. 7 Palmer, H. (1998): Das Enneagramm. 8 Huter (1923, 1998). 9 Brown, M. u.a. (1984): Abriß der Transaktionsanalyse. 10 Als Begleitmaterial zu Struktogramm-Trainings veröffentlicht. 11 Friedmann, D. (1997): Integrierte Kurztherapie. 12 Das wird besonders bei Perls, dem Begründer der Gestalttherapie deutlich. Seine Aussagen und Appelle sind zutreffend und nützlich für Handlungstypen. Das entspricht seinem eigenen Persönlichkeitstyp. Für andere Typen sind sie z. T. kontraindiziert. S. Perls, 1976! 13 Siehe Kapitel 4, ,Skripts – Persönlichkeit und Lebensgestaltung!‘ 1 2

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Anmerkungen

Kapitel 2 Vergleiche die Einleitung, Kapitel 1 und 2 der ‚Integrierten Kurztherapie‘. Alois Halder, Max Müller (1993): Philosophisches Wörterbuch, S. 218. 3 Siehe 1.8 ,Wie real sind die Persönlichkeitstypen?‘. 4 Rogers (1973), Perls (1951), Berne (1967). 5 Rogers (1977). 6 Ferelli (1986). 7 Perls (1974), Berne (1967). 8 Milton Erickson (1994). 9 In Sein und Zeit, S.66–76. 10 Wenn man von Strafvollzug spricht, und dabei an Gefängnis oder Zuchthaus denkt, so wird deutlich, dass es sich hier um eine Beziehungs-Strafe handelt. Eine Geldstrafe ist eher eine Handlungs-Strafe und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte eine Identitäts-Strafe. 11 Das gilt insbesondere für Menschen, die in einer Psychose befangen sind. Es ist kaum möglich, ihnen klarzumachen, dass sie Hilfe brauchen. 12 Näheres siehe Kapitel 5, Beziehungskompetenz – Systemische Kurztherapie, in: Friedmann, D. (1997): Integrierte Kurztherapie, bzw. der überarbeiteten Neuauflage. 13 Die Organisationsstruktur unserer Psyche durch die drei Ichs, das Handlungs-, Erkenntnis- und Beziehungs-Ich oder nach Berne das Eltern-, Erwachsenen- und Kind-Ich ermöglicht es, dass wir uns intuitiv auf diese unterschiedlichen Kausalitäten einstellen und ihnen entsprechen. 14 Der Systemische Ansatz meint hier die Systemische Kurztherapie, nicht die Systemische Familientherapie. S. Kapitel 5 in: Friedmann (1997): Integrierte Kurztherapie, bzw. die überarbeitete Neuauflage. 15 Auch Finalität oder Teleologie (von télos = Ziel, Zweck, Ende, Vollendung), bekannte Vertreter dieser Auffassung waren Anaxagoras, Heraklit, Platon, Aristoteles; diese Lehre wurde vom christlichen Mittelalter übernommen, dann von Galilei, Descartes u. a. durch die materiell-kausale Erklärung der Natur ersetzt. Leibniz und Kant sowie der neuere Vitalismus (V. Drieschs) versuchten beiden Prinzipien gerecht zu werden. 16 Ein berühmtes Zen-Gedicht des Meisters Haku-in (1683–1763 in Japan) beginnt so: Die Menschen sind in ihrem tiefsten Wesen Buddha, wie Eis aus Wasser besteht. Und wie es kein Eis gibt ohne Wasser, so gibt es ohne Buddha nicht einen Menschen. Weh den Menschen, die in weiter Ferne suchen und, was nahe liegt, nicht wissen! Sie gleichen denen, die mitten im Wasser stehen und doch nach Wasser schreien. Als Söhne des Reichsten und Vornehmsten geboren, Wandeln sie gleichwohl in Armut und Elend trostlos dahin. (Aus Schûej Ôhasama [1968]: Zen, S.62.) 17 Schon in der Transaktionsanalyse hat man Bernes Ich-Zustände weiter differenziert. Man erkannte, dass es auch im Kind-Ich ein Eltern-Ich, ein ErwachsenenIch und ein frühes Kind-Ich geben muss, und fand im Eltern-Ich dasselbe in doppelter Ausführung als die Eltern-Ichs, Erwachsenen-Ichs und Kind-Ichs von Vater 1 2

Anmerkungen

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und Mutter. Nur das Erwachsenen-Ich blieb, wie es war, vermutlich weil man sich wenig dafür interessiert hat. Diese Differenzierungen hat man struktur- und funktionsanalytisch weiter fortgesetzt. Dadurch gewann dieses Modell zwar an Aussagewert, verlor aber in gleichem Maße an Praktikabilität. 18 Was rechnerisch 27 Kombinationen ergibt. 19 Die romantischen Gefühle, die das Vergangene dramatisieren, werden besonders deutlich in Gedichten wie in Hugo von Hofmannsthals Terzinen über dieVergänglichkeit: Noch spür’ ich ihren Atem auf den Wangen: Wie kann das sein, daß diese nahen Tage Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen? Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt, Und viel zu grauenvoll, als daß man klage: Daß alles gleitet und vorüberrinnt 20 Die Zahlen beziehen sich auf die Enneagramm-Typen, siehe 7.2 bis 7.8. 21 Siehe Kapitel 7.2 bis 7.8. 22 Auch Psychocode, siehe 1.5. 23 Mit den typspezifischen Schlüsselfähigkeiten, s.u. 24 So sind die Alternativen zur ‚gefallsüchtigen Naivität‘ des begeisterungsfähigen Helfers die ‚humorvolle Lebensweisheit‘, zur ‚intrigierenden Oberflächlichkeit‘ des liebenswürdigen Gewinners die ‚nachdenkliche Identität‘, zum ‚realitätsfernen Hochmut‘ des anspruchsvollen Romantikers der ‚zielorientierte Realitätssinn‘ zum ‚verharmlosenden Rückzug‘ des gutmütigen Beobachters die ‚individuelle Lebensgestaltung‘, zur ‚schwermütigen Kritiksucht‘ des loyalen Skeptikers die ‚kollegiale Zusammenarbeit‘, zum ‚unsensiblen Egoismus‘ des optimistischen Pragmatikers die ‚praktische Menschlichkeit‘, zur ‚dominanten Bitterkeit‘ des fairen Kämpfers der ‚freudige Optimismus‘, zur ‚selbstgerechten Arbeitssucht‘ des kameradschaftlichen Machers die ‚spontane Lebensfreude‘ und zum ‚skrupelhaften Sich-Ausnützen-Lassen‘ des ethischen Unterstützers die ‚kultivierte Gefühlstiefe‘.

Kapitel 3 1 Der Begründer der Transaktionsanalyse, eine Schule der Humanistischen Psychologie. 2 Berne (1967), S.111. 3 Die Bezeichnungen Retter, Opfer und Verfolger habe ich dem Drama-Dreieck aus der Transaktionsanalyse entnommen. Doch müssen sie hier genauer definiert werden. Das Verfolgerverhalten meint nicht ein wildes, von Emotionen gesteuertes Verfolgen, also weder die schneidende und verletzende Kälte des ‚schizoiden‘ Be-

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Anmerkungen

ziehungstyps noch den emotionalen Wutanfall des ‚hysterischen‘ Beziehungstyps. Beide gehören in die ‚Retterecke‘ unter die gemeinsame Überschrift Machtspiele. Unter Verfolger ist hier die Position des Selbstgerechten zu verstehen, der aus verdrängter Enttäuschung heraus sich von einem inhumanen Rechts-, Ordnungs- und Sauberkeitsdenken leiten lässt und ein bürokratisches, autoritär einschränkendes Verhalten an den Tag legt, das sich auf Normen, Werte und Sachzwänge beruft. Dass Retter- und Machtspiele eng verwandt sind, ist leicht einzusehen, denn der Retter ist in der starken Position und man muss Macht haben, um retten zu können. Und bei der Opferposition muss auch auf die wichtigtuerische oder angeberische Komponente geachtet werden. Sie unterscheidet sich vom Verfolgerverhalten vor allem darin, dass das Opfer nicht zu sich steht, nicht bereit ist, sich zu verantworten. Sein Wichtigtun oder Angeben ist so etwas wie ein Versuchsballon. Gehen ihm die anderen auf den Leim, setzt er es fort. Konfrontieren sie sein Verhalten, zieht er sich innerlich gekränkt zurück. Damit wird zwar das Drama-Dreieck etwas zurechtgebogen. Aber dies ist deshalb notwendig, weil sich die Spiele des Handlungstyps sonst nicht angemessen und trennscharf darauf abbilden lassen. 4 Berne (1967), ‚du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe‘, in: Spiele der Erwachsenen, S.135. 5 „… ein amerikanischer Arzt, der während seines Urlaubs in einer Klinik auf Haiti arbeitet“ (Urlaub im Beruf); „… sein Ziel besteht nicht darin, die Frau zu verführen, sondern darin, zu zeigen, in welch vollendetem Maß er die Kunst der eindrucksvollen Komplimente beherrscht“ (Kavalier); „Weiß zeigt sich anderen Leuten gegenüber ständig hilfsbereit“ (Hilfreiche Hand); „dort spricht es sich bald herum, dass sich die Menschen mit allen möglichen Problemen an ihn wenden können“ (Weiser Mann); „in der konstruktiven Form arbeitet Weiß unermüdlich“ (Die werden einmal froh sein …). 6 Berne (1967), S.222–228. 7 Jeder der drei Grundtypen lässt sich unterscheiden in Typ I und Typ II. Typ I sind eher ichbezogen, vom Körperbau meist schmaler, zierlicher, kleiner, Typ II sind eher ichvergessen, vom Körperbau her ausgeprägter. Beziehungstyp I entspricht der schizoiden Charakterstruktur und Beziehungstyp II der hysterischen Charakterstruktur in der psychoanalytischen Tradition. Wenn vom Mischtypen gesprochen werden kann, dann zwischen Typ I und II. Typ I und II dürfte mit den unterschiedlichen Entstehungszeiten der Persönlichkeit zusammenhängen: Liegt die hauptsächliche Prägung in einer Phase der ersten drei Lebensjahren (Typ I) oder zwischen vier und zehn (Typ II)? 8 Berne meint in seiner Analyse des Ja, aber …-Spiels, dass sich das Kind-Ich des Spielers an das ‚lebenskluge‘ Eltern-Ich der Mitspieler wendet. Dahinter steckt das transaktionsanalytische Vorurteil, dass sich das Kind-Ich immer an das Eltern-Ich und, umgekehrt, das Eltern-Ich an das Kind-Ich wende, vermutlich geleitet von dem Bild Kind-Eltern. Auch deshalb ziehe ich die Begriffe Beziehungs-Ich und Handlungs-Ich vor. Genau genommen wechselt der Spieler selbst kurz in sein Erkenntnis-Ich, um das Erkenntnis-Ich der Mitspieler anzusprechen. Allerdings verhält er sich dort, im Erkenntnis-Ich, nicht kompetent, denkt nicht ehrlich mit, sondern bleibt hauptsächlich in einem Kind-Ich, das mit ‚klugen‘ Fragen Eindruck machen will.

Anmerkungen

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Berne (1967), S.155. Berne (1967), S.152. 11 Berne (1967), S.153. 12 Clinton und die Lewinski-Affäre. 13 Wirksame Methoden sind dazu das Verändern von einschränkenden Grundhaltungen/Glaubenssätze und den entsprechenden Erwartungshaltungen sowie Identitäten in erlaubende mit den Methoden des Fortgeschrittenen NLP, siehe Friedmann (1997)‚ Integrierte Kurztherapie. 14 Ich-Botschaften nach Gordon. 15 Siehe Kapitel 5, ‚Beziehungskompetenz – Systemische Kurztherapie‘, in: Friedmann (1997): Integrierte Kurztherapie. 16 Eine ‚Vorstufe‘ dieses Umwandelns von Leid in Lösungsenergie ist die gestalttherapeutische Traumarbeit. Dort geht der Klient in die negativen Traumgestalten hinein und erlebt, dass es sich tatsächlich um positive Energien handelt. In der Integrierten Kurztherapie wird die im Leid enthaltene Lösungsenergie auf methodischem Weg erschlossen. 17 Dazu wird zuerst das Verhalten des anderen, des Retter- oder Machtspielers beschrieben. Nehmen wir an, bei einem spielfreudigen Beziehungstyp I käme heraus: Er misstraut, unterstellt, dass man ihn betrügen könnte, kritisiert und kontrolliert. Jetzt werden diese negativen Verhaltensweisen ‚übersetzt‘ in das Positiv-Ähnliche – also nicht ins Gegenteil! misstrauen = vorsichtig sein unterstellen = jemand Positives zutrauen kritisieren = unterscheiden, werten kontrollieren = etwas beherrschen Der nächste Schritt ist, diese positiv-ähnliche Haltung oder Energie einzunehmen. Dabei helfen Situationen, in denen wir das schon einmal ganz positiv und intensiv erlebt haben. Wo war ich schon einmal vorsichtig, habe dem anderen zugetraut, dass …, habe wertend unterschieden und die Situation beherrscht? Hat man eine Situation gefunden, macht man sich mit der inneren Haltung oder Energie vertraut, die man damals erlebt hat, und konfrontiert damit innerlich diesen misstrauischen, unterstellenden usw. Menschen. Die Erfahrungen sind oft verblüffend: man kommt selbst mit dieser Person besser klar und häufig verändert die Person ihr Verhalten, ohne dass sie weiß weshalb. 18 Eine Einstellung, die Milton Erickson in die Psychotherapie eingebracht hat. 19 Berne dürfte Handlungstyp gewesen sein, neigt also zu Verfolgerspielen. 20 Berne (1967), S.104. 21 Da der Opferspieler keine bewusste Verantwortung übernimmt und die Entscheidungen dem Unbewussten überlässt, fließt auch die Weisheit des Unbewussten mit in die Ergebnisse ein. In dem Unglück, das ihm widerfährt, steckt immer auch ein Stück Glück. Vielleicht war es gut für ihn, von dieser Gesellschaft, dieser Frau, diesem Arbeitgeber getrennt zu werden? Damit diese Sichtweise für ihn fruchtbar wird, müsste er freilich seine Opferhaltung aufgeben und nachträglich die Verantwortung für das Geschehen übernehmen. Tut er das nicht, so bleibt ihm nur der schale Trost des Fuchses, der die Trauben als sauer bezeichnet, die er nicht erreichen kann. 9

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Anmerkungen

Berne (1967), 103–105. Berne (1967), S.104. 24 „Vorgesetzten gegenüber wird dieses Verhalten selbstzerstörerisch und kann zur Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses führen … Der Rebellische spielt dann eine Variante von Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren?, der Depressive Jetzt hat‘s mich wieder erwischt! (beide gehören zu den Mach mich fertig!-Spielen).“ Berne (1964): Spiele der Erwachsenen, S.88. 25 Berne (1967), S.134. 26 Berne (1967), S.104. 27 Berne (1967), S.220. 28 Auch hier können wir beispielhaft eine ‚systemische Haltungs-Antwort‘ ermitteln, die nach zwei Seiten positiv wirkt, für mich selbst, um nicht unter den Opfer-Spielen zu leiden und für den Opfer-Spieler, damit er aus seiner Spielhaltung herauskommt. Die Beschreibung eines sachtypischen Verhaltens eines Opfer-Spiels könnte so aussehen: Das Positiv-Ähnliche wäre dazu: er zeigt wenig Gefühle = dem anderen sachlich, interessiert, wach, klar begegnen, er lässt mich im Unklaren, ob er mich = eine fragende, offene, unentschiedene liebt Haltung ihm gegenüber einnehmen, er verhält sich egoistisch = gut für sich sorgen (lassen), sich etwas gönnen, er lässt alles herum liegen = Blumen an ungewöhnliche Orte stellen, er dreht sich um nach jeder attraktiven = ihn auf hübsche Frauen aufmerksam Frau machen. Die ‚systemische Haltungs-Antwort‘ ist weniger ein Verhalten als eine innere Haltung – man könnte auch sagen: eine Energie-Botschaft (ausgenommen ‚Blumen an ungewöhnliche Orte stellen). Und lassen Sie hier bitte (ausnahmsweise) das Denken weg, denn wir bewegen uns hier im Bereich der paradoxen oder gegenläufigen Kausalität, etwas was das Denken nicht ‚abbilden‘ kann. Der nächste Schritt ist eine Situation in der Erinnerung zu finden, in der das Positiv-Ähnliche‘ schon einmal erlebt wurde. Dann in diese Erinnerung hineingehen, sich mit den Gefühlen, der inneren Haltung und Energie ganz vertraut machen und so dem Opfer-Spieler begegnen, in der Vorstellung und der Realität – immer wieder. Meistens ist die ermittelte Haltung ungewohnt, oft sogar ein wenig gelebter Teil unserer Persönlichkeit. Deshalb ist sie übungsbedürftig. Und sie trägt eben deshalb, und das ist noch ein zusätzlicher Gewinn, zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung bei. 29 Gegenüber anerkannten Fachleuten wie Ärzten sind sie auffällig autoritätsgläubig. Deren Aussagen und Anweisungen haben für sie fast absolute Gültigkeit. 30 Rogers (1973). 31 Perls (1974). 32 M. Erickson (1994). 33 Berne und seine Mitarbeiter (1967). 34 Hier ein typisches Beispiel. Auf der linken Seite stehen die beobachtbaren Verhaltensweisen des Verfolger-Spielers, auf der rechten Seite die Übersetzungen 22 23

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ins Positiv-Ähnliche. Der Zweck dieser Übersetzungen ist nicht, das Verhalten des Spielers in ein positives Licht zu rücken im Sinne des ‚Guten des Schlechten‘, sondern dient allein der Ermittlung der ‚Haltungsantwort‘: wie kann ich diesem Verhalten begegnen, so dass ich mich selbst besser fühle und damit besser zurecht komme und gleichzeitig sein Verhalten günstig beeinflussen? Der Handlungstyp-Spieler verhält sich: autoritär = die Verantwortung übernehmend rechthaberisch = zu meinen Erkenntnissen stehend einschränkend = jemand aufs Wesentliche lenken vorurteilshaft = meine Lebenserfahrungen berücksichtigen gebremst (nicht spontan) = zurückhaltend in Gefühlsäußerungen Jetzt geht es darum, in die Haltungen oder Energien hineinzukommen, die auf der rechten Seite ermittelt wurden. Dabei hilft die Frage: „Wo habe ich das schon einmal ganz positiv erlebt, für mich und für andere?“ Das könnte beispielsweise in einer Trainersituation gewesen sein, in der ich jemand etwas beibrachte. Dann gehe ich in die Erinnerung hinein und mache mich gut vertraut mit dieser Haltung und Energie. Jetzt konfrontiere ich den Handlungstyp-Spieler mit dieser Haltung/Energie.

Kapitel 4 Lebens-Drehbücher, Lebensentwürfe, Lebensmuster oder Lebenskonzepte. Die ‚fünf Hindernisse‘ meint die Gesamtheit der verschiedenen Aspekte der menschlichen Wirklichkeit von den gröberen wie dem eigenen Körper bis hin zu subtilen wie Wahrnehmungen und Erkenntnisse. Nichts von dem ist nach der Lehre des Buddhismus identisch mit unserem wahren Wesen, oder: ausnahmslos alles ist identisch mit unserem wahren Wesen. Das ist zwar logisch gesehen ein Widerspruch. Doch es sollen auch keine weltanschaulichen Äußerungen sein, sondern ‚Wege‘ das wahre Wesen zu realisieren. 3 Nach Daisetz Teitaro Suzuki (1990): Ur-Erfahrung und Ur-Wissen, Wien, S. 129. Er empfiehlt ihr nicht den Weg der schrittweisen Loslösung, der in ihrer Frage impliziert ist, sondern den Weg des totalen sich Einlassens auf alles was ist. Vermutlich sagte ihm seine Menschenkenntnis, dass das der passende Weg für diese alte Frau ist, ganz abgesehen davon, daß paradoxe Interventionen, die die Erwartungen des anderen durchkreuzen, oft zu plötzlichen Erkenntnissen führen und von Zen-Meistern gerne benützt werden. 4 Fragment 122, Capelle, S.156. 5 Stan Woollams/Michael Brown (1978): Transactional Analyses, S.215. 6 Zur Unterscheidung schlage ich vor, beim Beziehungstyp von einer Verzweiflungs-Depression, beim Sachtyp von einer Schwermuts-Depression und beim Handlungstyp von einer Verbitterungs-Depression zu sprechen. 7 TA ist die gebräuchliche Form der Abkürzung für Transaktionsanalyse, eine der Schulen der Humanistischen Psychologie. 8 So sehen es auch Woollams und Brown (1978) in: Transactional Analysis, S. 227 und 233. 1 2

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Anmerkungen

Kapitel 5 Weitere Beispiele zu diesem Märchentyp unter 5.2. Weitere Beispiele zu diesem Märchentyp unter 5.3. 3 Weitere Beispiele zu diesem Märchentyp unter 5.4. 4 Diese und folgende Zitate aus: Dr. W. Lammers (1952): Märchen der Brüder Grimm, und: Märchen der Brüder Grimm, ausgewählt und mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, Weinheim 1995. 5 Nach Zipes (1982): Rotkäppchens Lust und Leid. 6 Rötzer, H. G. (1981): Märchen. 7 Zipes (1982), S. 19. 8 Die weiße und die schwarze Braut. 9 Ähnlich in ‚Die Gänsemagd‘. 10 Der Riese und der Schneider. 11 Hans Dumm, s. Anmerkung 4.. 12 „Ich kam mir vor wie ein Automat“ oder „wie ein Eisenrohr“ wird dieses Erleben beschrieben. 13 Als aber der König einmal hinausgegangen und sonst niemand zugegen war, packte das böse Weib sie am Kopf und ihre Tochter an den Füßen, hoben sie aus dem Bett und warfen sie zum Fenster hinaus in den vorbeifließenden Strom. Dann nahm sie ihre hässliche Tochter, legte sie ins Bett und deckte sie bis über den Kopf zu. 14 Manchmal nenne ich sie auch die Yin-Yang-Kausalität, die durch den YinYang-Kreis symbolisiert wird. 15 Diese ‚Stimmigkeit‘ ist identisch mit Schönheit, nur wird sie, etwa in der modernen Kunst, von vielen nicht mehr als Schönheit erkannt, weil sie einen eher kitschigen Begriff von Schönheit haben. Wobei Kitsch gerade nicht schön, sondern hässlich ist, weil die Zusammenhänge nicht stimmen. Kitsch ist immer künstlich und und isoliert. 1 2

Kapitel 6 1 Dieses Zitat und die folgenden Zitate aus Goethes Werke, 5. Auflage, Hamburg 1962. 2 Zitiert hier und im Folgenden nach Goethe, Faust, Stuttgart 1986. 3 Griechisch, der Lichthasser. Jede Persönlichkeitsstruktur hat ihren eigenen Teufel und ihren eigenen Gott, der Beziehungstyp den nihilistischen Teufel und den „Gott ist Geist“, den mystischen Gott des reinen Erkennens, der Sachtyp den bösen Teufel und den Schöpfer- und Beschützergott der Psalmen und der Handlungstyp den schmutzigen Teufel und den Gott der Liebe. 4 Hier und im Folgenden zitiert nach William Shakespeare: Hamlet und König Richard III., Hamburg und Shakespeare: Königsdramen, Klagenfurt. 5 „Ich bin mein Körper!“, eine Auffassung, die von der Gestalttherapie nach Perls unterstützt wird, wohl als, wie ich meine, falsche Alternative zur intellektuellen Identifikation mit dem Denken. 6 Zitiert nach Griechische Tragiker, Aischylos, Sophokles, Euripides, Stuttgart.

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Nedden, s. Anmerkung 6. Die paradoxe oder gegenläufige Kausalität. Banal ausgedrückt: Es kommt immer anders, als man denkt.

Kapitel 7 König, K., Kleine psychoanalytische Charakterkunde, Göttingen 1993. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, ICD-10 (1998), Bern. 3 Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, DSM IV, (1998), Göttingen. 4 Zur Geschichte des Enneagramms siehe u. a.: Helen Palmer, Das Enneagramm, München 1998, S. 23 f. und Richard Rohr, Andreas Ebert, Das Enneagramm, München 1997, S. 22 f., Don Richard Riso, Die neun Typen der Persönlichkeit, München 1989, S. 33 f. Auf diese Autoren stützen sich auch meine weiteren Ausführungen zu diesem Thema, wobei ich besonders Helen Palmer empfehle. 5 Charles T. Tart, Professor für Psychologie an der Universität von Kalifornien in Davis, ist bekannt geworden als der Herausgeber von ‚Transpersonale Psychologie‘, Olten 1978. 6 Helen Palmer, Das Enneagramm, München 1998, S.17. 7 Helen Palmer, Das Enneagramm, München 1998, S.26. 8 Sie machen das, was ‚in‘ ist und was andere von ihnen erwarten, nicht das, was ihren Bedürfnissen entspricht. 9 Sie pflegen kunsthandwerkliche Hobbys, schreiben Gedichte oder machen esoterische Ausbildungen ohne sich darum zu kümmern, ob für ihre Produkte eine Nachfrage besteht. 10 Man geht davon aus, dass die Persönlichkeitstypen auf Grund defizitärer Erfahrungen in ihrem jeweiligen Lebensbereich entstanden sind. Der Beziehungstyp hat zu wenig emotionale Annahme erfahren, der Sachtyp zu wenig Aufmerksamkeit, Interesse und Beachtung erlebt und der Handlungstyp zu wenig Erlaubnis für sein Verhalten bekommen. Diese Verbote sind weiterhin wirksam und werden in Stress-Situationen reaktiviert. 11 Dabei erscheint mir die Zuordnung der Enneagramm-Typen auch aus therapeutischen Erfahrungen heraus gut gesichert, während ich bei den homöopathischen Konstitutionstypen nur von einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit ausgehe, sie zutreffend erfasst und zugeordnet zu haben. Bei Tuberculinum, Ignatia, Arsenicum, Phosphor, Silicea bin ich mir recht sicher, bei Natrium muraticum, Sulfur, Calcium carbonicum, Sepia, Nux vomica und Lycopodium ebenso, was den Grundund den Körpertyp betrifft, bei Natrium carbonicum, Staphisagria, Graphites, Lachesis, Mercurius und Carcinosium gehe ich davon aus, dass sie wahrscheinlich richtig zugeordnet sind. Da ich nicht homöopathisch arbeite, kann ich nur von den geistigen Symptomen ausgehen. 12 Palmer, 1998, S.102. 13 Oscar Ichazo, der das Enneagramm schriftlich zugänglich gemacht hat, hat dem Neuner als Gefährdung Faulheit, Lässigkeit oder Trägheit zugeordnet. Das ist 1 2

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missverständlich. Spätere Autoren sind zwar von dieser Optik beeinflusst, rücken jedoch auch vorsichtig davon ab, denn sie beobachten, dass Neuner sowohl viel arbeiten können (‘Neuner sind energisch und produktiv in einer Struktur, in der sie sich sicher fühlen …‘ Palmer, S. 441) und ihnen viel Energie zur Verfügung steht (‚Ich habe immer gewusst, dass mir enorme Reserven zur Verfügung stehen.‘ Palmer, S. 466). Die Erklärung dieses Widerspruchs ist, dass Neuner oft nicht wissen, was sie selbst wollen. Ihre Trägheit ist so gesehen ein Übergangsstadium. Der zunächst fremdbestimmte unermüdliche Schaffer will nicht mehr, so lange, bis er zu seinem eigenen Wollen gefunden hat. Vielleicht sollte man seine Gefährdung besser Selbstvergessenheit nennen. 14 In meiner Darstellung des Enneagramms habe ich die Pfeilrichtung geändert. Sie geht jetzt in die positive Richtung. 15 Dort weisen die Pfeile von 5/7, 7/1 und 1/4 in die gegenläufige Richtung zu 9/3, 3/6, 6/9, 4/2, 2/8 und 8/5. Das macht für mich keinen erkennbaren Sinn. 16 Damit besteht zu der ursprünglichen Interpretation eine Übereinstimmung von etwas über 70%. Dadurch hat auch jene, wenn ich meine als realistischer voraussetze, schon halbwegs zuverlässig funktioniert. 17 Auf das Ich, Du und Wir hat mich dankenswerterweise Herr Werner Winkler aufmerksam gemacht. 18 Helen Palmer, Das Enneagramm, München 1991. 19 Helen Palmer, Das Enneagramm in Liebe und Arbeit, München 1995. 20 Dort auch Glaubenssätze genannt, siehe Kapitel 4, „NLP – Die Last der Vergangenheit abwerfen“ in: Friedmann, Integrierte Kurztherapie, Darmstadt 1997, S. 69 f. 21 Neuro Linguistisches Programmieren, eine therapeutische Schule, die auf Bandler und Grinder zurückgeht. 22 Therapeutische Anleitungen zur Veränderung der Grundeinstellungen (Glaubenssätze) finden sich in: Friedmann, Integrierte Kurztherapie, Darmstadt 1997, S.78 bis 87 und zu den Erwartungshaltungen in: Bandler, Veränderung des subjektiven Erlebens, Paderborn 1992, S.121 bis 131. 23 Aus heutiger Sicht dürfte es sich um schwere psychosomatische Störungen handeln. 24 Hahnemann hatte sich bewusst auf drei Miasmen beschränkt. Er schreibt im Band 1 der „Chronischen Krankheiten“ auf Seite 11: „In Europa (auch in den anderen Weltteilen, soviel bekannt ist) findet man, allen Nachforschungen zufolge nur drei solcher chronischen Miasmen, deren Krankheiten sich mit Local-Symptomen hervortun und von denen wo nicht alle, doch die meisten chronischen Übel herkommen.“ Fischer, 1993, S.39. 25 Hahnemann sah die Ursache in vererbten chronischen Krankheiten, die er als das psorische, sykotische und syphilitische Miasma bezeichnete. Der Psoriker dürfte dem wenig entwickelten Sachtyp, der Sykotiker dem wenig entwickelten Beziehungstyp und der Syphilitiker dem wenig entwickelten Handlungstyp entsprechen. Heutige Homöopathen haben den Aspekt der Vererbung eher aufgegeben und betonen andere von Hahnemann beobachtete Faktoren wie langanhaltenden Arzneimittelmissbrauch, ungesunde Lebensführung, die Unterdrückung von Hautveränderungen und seelischen und geistigen Fehlhaltungen, Stress oder ‚ein Leben in

Anmerkungen

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stetem Verdruss‘. Köhler schreibt zu den chronischen Krankheiten: ‚dass es sich nicht um einheitliche Krankheiten handelt, sondern dass konstitutionelle Reaktionsunterschiede beschrieben werden‘, S. 183 und ‚Damit gewinnen die drei Grundformen der miasmischen Krankheiten Modellcharakter und beschreiben pathologische Reaktionsweisen und konstitutionelle Defekte chronisch kranker Menschen‘, S.205; Gerhard Köhler, Lehrbuch der Homöopathie, Band 1, 1994. 26 Hahnemann: Die Chronischen Krankheiten, 1979; Ulrich Fischer: Die Chronischen Miasmen Hahnemanns, 1993; Ortega, Anmerkungen zu den Miasmen oder Chronischen Krankheiten im Sinne Hahnemanns, 1984; Gerhard Köhler, Lehrbuch der Homöopathie, Band1, 1994. 27 Ich gebe erst die Beschreibung, dann nenne ich den Persönlichkeitstyp. So kann der Leser sich selbst ein Urteil bilden, um welchen der drei Grundtypen es sich wohl handelt. 28 Beim Sachtyp verwandelt sich die nicht gelebte Handlungsenergie in Depressionen, Autoritäts- und Vernichtungsängste, in Minderwertigkeitsgefühle, diffuse Ängste und Schuldgefühle. Er findet sich in der Opfer-Rolle wieder. 29 Das sykotische Miasma: ‚Es muss jedoch betont werden, dass die dargestellten Krankheitsbilder … der Gonorrhoe bei der Sykosis mit der klinischen Manifestation dieser Erkrankung nicht identisch sind, sondern ihnen nur Modellcharakter für ähnliche Krankheitsverläufe zukommmt.‘ Fischer, S.29. 30 Das syphilitische Miasma: ‚Wenn wir also heute – als homöopathische Ärzte – vom syphilitischen Miasma sprechen, so hat das nichts mehr mit der Geschlechtskrankheit „Syphilis“ zu tun. Die von Hahnemann beschriebene Syphilis stellt für uns vielmehr einen Überbegriff für eine destruktive Reaktionsform dar …‘ Fischer, S.30. 31 Besonders wirksam ist dabei die Arbeit auf der energetischen Ebene und das Verändern von Glaubenssätzen nach den Methoden der Integrierten Lösungsorientierten Kurztherapie. 32 Hahnemann, S.: Die Chronischen Krankheiten, Bd. 1, S. 11, zitiert nach Köhler, G.: Lehrbuch der Homöopathie, Bd. I, S. 162. 33 Da psychosomatisches Wissen zur Zeit Hahnemanns kaum (mehr) vorhanden war, kann man ihm keine Vorwürfe machen. Heute ist es vorhanden, wird jedoch von der Schulmedizin weitgehend ignoriert. 34 Die Namen der Konstitutionstypen sind identisch mit dem Arzneimittel, das ihnen in vielen Fällen hilft. Also kann ‚Sulfur‘ einmal den Konstitutionstyp, ein anderes Mal das Konstitutionsmittel meinen. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig. 35 Samuel Hahnemann, Organon, Heidelberg 1974, S.127 u. 128. 36 Philip M. Bailey, Psychologische Homöopathie, München 1998, S.244. 37 Da ich nur die psychologische, nicht die medizinische Seite der Konstitutionsmittel in der Praxis überprüfen kann, möchte ich die Zuordnungen als Vorschläge gewertet sehen, nicht als schon gesicherte Erkenntnisse. 38 Hier können die Enneagramm-Typen hilfreich sein als eine Kombination aus Grundtyp und Körpertyp. 39 Catherine R. Coulter: Portraits homöopathischer Konstitutionsmittel, Bd. 1 und 2, Heidelberg 1990 u. 1998. 40 Die Zuordnung der Konstitutionstypen zu meinem Modell hat nicht den An-

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Anmerkungen

spruch der absoluten Gültigkeit, sondern soll als Vorschlag gewertet werden. Von homöopathischer Seite wurde mir bestätigt, dass das Wissen um die Persönlichkeitstypen die Diagnose der Konstitutionstypen erleichtert und sicherer macht. Ich selbst gehe bei der obigen Zuordnung von einer Trefferquote von 70 bis 90% aus. 41 Philip M. Bailey: Psychologische Homöopathie, München 1998, S.374. 42 Catherine R. Coulter: Portraits homöopathischer Konstitutionstypen, Heidelberg 1998, S.317. 43 Und ihren Konstitutionsmitteln. 44 Bailey 1998, S.115. 45 Carcinosium ist wie Scirrhum ein Krebsmittel, das von Burnett entwickelt wurde und von Clarke empfohlen wird. Obwohl es noch vergleichsweise wenig überprüft ist, hat es Catherine R. Coulter in ihre ‚Portraits homöopathischer Konstitutionsmittel‘, Heidelberg 1998 aufgenommen (Bd. 2, S. 289 f.). Der pyknische Handlungstyp II gehört zu jenen Menschen, die selten krank werden. Sie können lange gegen sich leben, da sie wie Sepia oder Nux vomica sehr robust sind. Wenn sie erkranken, sind es häufig schwere, weil psychosomatische Krankheiten. Dazu zählt vor allem auch Krebs. Leider wird Krebs immer noch hauptsächlich als somatische Krankheit gesehen und behandelt, obwohl die Psychosomatik seit Jahrzehnten in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt hat, dass Krebs eine psychosomatische Krankheit ist.

Schlusswort Capra, F. (1992). Bezieht sich auf Chews Bootstrap-Theorie der Elementarteilchen, die die Quantenmechanik und Relativitätstheorie vereinigt. 3 Capra, S.53, 54. 4 Das gilt auch für die Integrierte Kurztherapie, Friedmann (1997). 1 2

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Register Abenteuer-Märchen 107, 111f., 118, 121, 123, 133 Allerleirauh 110f., 118, 121 anale Phase 149 Antigone 138f., 144 Antreiber 28, 30, 69f., 107, 171 archaische Ängste 149 Arsenicum 183, 184f., 217 Aschenputtel 107, 109f., 117, 118, 120 Athletiker 20, 154, 156, 160, 162, 185, 188, 192, 196, 200, 204 Aufmerksamkeitsstil 172f. Ausgangspersönlichkeit 17 Barium carbonicum 206 Basistypen 151 Bauchmensch 151, 153, 166, 168 Beinahe-Skript 99f., 102f. Bereich Beziehung 27, 42, 44, 46f., 50f. Bereich Erkennen 42f., 50f., 122 Bereich Handeln 27, 42f., 50f. Beziehungs-Ich 21f., 33f., 50f., 124, 136, 212 Beziehungstyp 15, 17, 18, 20f., 26, 61, 64, 67f., 85, 100f., 107f., 126, 130f., 147, 153, 155, 156f., 166, 168, 181, 183, 191, 212, 216, 217, 218 Beziehungstyp I 27f., 70f., 75, 99f., 149, 184f., 213 Beziehungstyp II 27f., 70f., 75f., 99, 101, 149, 184, 188f. Beziehungstyp-Dramen 130, 143 Beziehungstyp-Märchen 107, 117f., 122 Brüderchen und Schwesterchen 107f., 121 Calcium carbonicum 184, 194f., 198, 217 Carcinosium 184, 206f., 220, 217 cartesianisches Denken 14

Checkliste 18, 22 chronische Miasmen 178f., 182, 218 Danach-Skript 99f., 132 Das Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen 123f. Das tapfere Schneiderlein 106, 111, 113, 119, 123, 134 Daumerling 111f., 134 Daumesdick 123 Denke nicht! 98 Depressionen 98, 130, 150, 182, 204, 215, 219 depressive Charakterstruktur 29, 147, 150 Der arme Müllersohn und das Kätzchen 119 Der faule Heinz 123 Der Froschkönig 114 Der gestiefelte Kater 111, 123, 134 Der Wolf und die sieben Geißlein 114, 120 Der zerbrochene Krug 138, 142, 145 Diagnostikmodelle 17, 21 Die drei Männlein im Walde 121 Die Gänsehirtin am Brunnen 115 Die Gänsemagd 107, 118, 121, 216 Die goldene Gans 118f. Die Nixe im Teich 114, 120 Die weiße und die schwarze Braut 107, 118 Differenzialdiagnostik 17f., 32 Dornröschen 114, 119, 120, 124 Drama-Dreieck 78, 211 Dramen 126f. Drei-Typen-Lehre 33 Du-Bezogenheit 166f.

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Register

eigengesetzliche Lebensbereiche 15, 41f., 47f., 54, 57 Eigengesetzlichkeiten 42, 47, 51, 53f. Einschärfungen 98, 171 Eltern-Ich 22, 33f., 66, 71f. endogene Depressionen 182, 204 Energiebesetzung 25 Energien 53f., 106, 117, 168f. Enneagramm 11, 13, 32, 60, 151f., 217, 218 Enneagramm-Typen 60f., 152f., 217, 219 Entwicklungsbereich 22, 25f., 61, 63, 80, 115, 117, 127, 130, 166 erfolgsgeleitetes Wertesystem 21, 106, 127f., 133f. Ergebniskontrolle 43f. erkenntnisgeleitetes Wertesystem 21, 106, 108f., 127f. Erkenntnis-Ich 21f., 33f., 50f., 136, 179, 181, 212 erotischer Typ 147 Erst-wenn-Skript 99f., 103f. Erwachsenen-Ich 22, 33f., 66, 71f., 79 Erwartungshaltungen 171f., 213 Es 33f. Fallen 152f. Faust 131f., 143 Frau Holle 107, 109 Fremdbestimmung 25 Fremdretter 76 Freudlos-Skript 98 frigide Frau 74 frühkindliche Störungen 22 Fühle nicht (was du willst)! 70, 91, 98, 171 Fühlen, Denken, Handeln 57f. Geistlos-Skript 98 Gerichtssaal 74 Graphites 184, 198f., 217 Grundeinstellungen/Grundhaltungen/ Glaubenssätze 171f., 213, 218, 219 Grundtypen 10, 17, 33, 57, 148, 150, 152, 154, 178 Gute Spiele 69, 212

Hamlet 133f., 144 Handlungs-Ich 21f., 33f., 50f., 179, 212 Handlungstyp 15, 17, 18, 19, 20 f., 26, 61, 64f., 67 f., 86 f., 103, 107 f., 113 f., 120 f., 126, 128, 138, 140, 147, 150, 153, 155, 161f., 166, 168, 181 f., 183, 191, 209, 212, 213, 215, 216, 217, 218 Handlungstyp I 29, 99, 103, 150, 184, 199f. Handlungstyp II 29, 99, 103, 150, 184, 203f., 220 Handlungstyp-Dramen 141f. Handlungstyp-Märchen 107, 119f., 124 Handlungsziele 43 Hans Dumm 123 Hans im Glück 123 Herzmensch 151, 153, 157, 166, 168 Hilfe! Vergewaltigung!-Spiel 74 Holzbein-Spiel 85 Homöopathie 178f., 200 homöopathische Konstitutionstypen 11, 13, 32 Humanistische Psychologie 39f. hysterische Charakterstruktur 27, 148f., 150 Ich-Ärmster-Spiel 78 Ich-Bezogenheit 166f. Ich-gebe-mir-die-größte-Mühe!-Spiel 78, 84 f. Ich-Modell 34 Ichs/Ich-Zustände 24, 33f., 41, 56f., 147, 152, 210 Ich-versuchte-nur …-Spiel 75 Identität 46, 56, 117 f., 122, 131, 133 f., 137f., 141, 143 f., 158, 190 f., 213 Ignatia 183, 184, 187 f., 217 Immer-Skript 99f. Instanzen-Modell 33, 147f., 151 Integrationsmodell 10, 37 Integrierte Kurztherapie 33, 213, 219, 220 intentionale Phase 148f. Iphigenie 127f., 143, Ist es nicht schrecklich 74

Register Ja, aber …-Spiel 67, 70f., 143f., 212 Jetzt hab ich dich …-Spiel 74 Jetzt hat‘s mich …-Spiel 63 Jorinde und Joringel 114, 120 Jungfrau Maleen 114 Kausalitäten 53f., 122f., 143f. Kind-Ich 22, 33f., 66, 71f., 87, 93, 124 Konkurrenz-Märchen 107f., 120 Konstitutionstypen 153, 178, 183f., 217, 219 Konstruktivismus 9 Kopfmensch 151, 153, 166, 168 Körpertypen 17, 33, 153f., 146, 166 Kurztherapien 40 Lachesis 184, 217 Landkarten 37, 208 Lebensthemen 15 Leptosome 20, 154, 158f., 161, 184, 187f., 191, 195, 199, 203 Libidinöse Typen 23, 147f. Lieblos-Skript 97f. lösungsorientiert 38, 40 lösungsorientierte Kurztherapie 40 lösungsorientierte Psychotherapie 9, 48, 209 Lumpentante 85 Lycopodium 184, 202f., 206, 217 Mach es perfekt! 29 Mach-mich-fertig!-Spiel 63, 74, 81f. Mach’s anderen recht! 29, 70, 107 Märchen (typspezifisch) 105f. Mercurius 184, 200f., 217 narzisstische Charakterstruktur 29, 147, 149f. narzisstischer Typ 147, 149, 149 Natrium carbonicum 184, 196f., 198, 217 Natrium muriaticum 184, 191f., 197, 198, 217 Nichtwissen (wissendes) 38, 40, 56, 59, 78 Niemals-Skript 99f., 102f. No-Joy-Script 94, 97f.

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No-Love-Script 94, 97f. No-Mind-Script 94, 97f. Nux vomica 184, 201, 204f., 217 ödipal 74, 148 f., 107 f., 128, 143, 148 Offenes-Ende-Skript 99f., 103f. Ontologie 10, 35f. ontologisch 35f., 44 ontologische Kategorien 57 Opfer- und Zuwendungsspiele 22, 28, 65, 67, 68, 78 f., 81 f., 212, 213 f., 219 orale Phase 149 Paradigmenwechsel 10 personale Bezogenheit Ich, Du, Wir 43f., 58, 218 Persönlichkeit 13, 31 Persönlichkeitsbereich 22, 25, 29, 61, 63, 79 Persönlichkeitsdiagnostik 18f., 23 Persönlichkeitsentwicklung 21, 23, 25f., 60, 92, 106, 111, 121, 122, 130, 153, 163f., 166, 168, 170 Persönlichkeitspsychologie 13, 39 Persönlichkeitsstrukturen 24 Persönlichkeitstyp 13, 15f., 30f., 39, 42, 64, 105 f., 126, 146, 150 f., 178, 183 Persönlichkeitstypologie 13, 39, 146 Pflichterfüllung-Spiel 88f., 103 phänomenologisch 9, 13, 17, 23, 33, 149f. phobische Charakterstruktur 29 phobischer Strukturtyp 149f. Phosphor 183, 184, 188f., 217 Positivismusstreit 42 pragmatisch 9, 39f., 44 Pragmatismus 9, 40 prozessorientiert 9, 13, 17, 38 prozessorientierte Persönlichkeitstypologie 10, 14, 21 f., 30, 33, 36, 147, 208 psychische Stabilität 25f. Psychoanalyse 39f., 147 Psychoanalytiker 40 psychoanalytische Charakterkunde 11, 32, 39, 146 f. Psychographie 38

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Register

psychographische Persönlichkeitstypen 150 Psychologie 39f., 57 Psychose 210 psychosomatisch 182, 219, 220 Psychotherapie 36, 38f. Pulsatilla 184, 189f., 198 Pykniker 20, 154f., 157f., 186f., 189, 194, 198, 202, 206, 220 Rapunzel 106, 115f., 124 ressourcenorientiert 38 ressourcenorientierte Psychotherapie 9 Retter- und Machtspiele 22, 27f., 64, 67f., 70f., 74f., 87, 212, 213 Richard III. 133f., 144 Rotkäppchen 114f., 117, 119 Rumpelstilzchen 115 Sachtyp 15, 17f., 26f., 61, 64f., 67f., 86, 102, 107, 111f., 121, 123, 126, 128, 133f., 147, 150, 153, 155, 158f., 166, 168, 179f., 183, 216, 217, 218, 219 Sachtyp I 29, 99, 102, 150, 184, 191f. Sachtyp II 29, 99, 102, 150, 184, 195f. Sachtyp-Märchen 107, 119, 122f., 133 Schätzchen 74 schizoide Charakterstruktur 27, 150 schizoider Strukturtyp 147f. Schlemihl-Spiel 84 Schlüsselfähigkeiten 20f., 22, 26f., 38, 62, 63, 80, 106, 108, 111, 119, 121, 122, 124, 130f., 136, 164f., 179, 182, 190 Schneewittchen 105, 118, 120 Schwermuts-Depression 215 Scirrhum 220 Seht-bloß …-Spiel 68, 83 Sei nicht du selbst! 69, 98 Sei nicht nah! 69, 97f. Sei nicht! 69, 97f., 171 Sei perfekt! 29, 171 Sei stark! 28, 70, 107 Sei vorsichtig! 29 Sei zauberhaft! 171 selbstbestimmt 27 Selbstbestimmung 25

Selbstretter 76 Sepia 184, 199, 203 f., 217 Sieh bloß, was …-Spiel 63 Silicea 184, 186f., 190f., 217 Skriptanalyse 23 Skriptauszahlung 98 Skript-Entscheidungen 95f. Skriptmuster 33, 96, 99 Skriptpreis 130, 140 Skripts 10, 16, 34, 94 f., 105, 126 f. Skripttheorie 95 Skriptzeiten 130f., 135f., 140 Spielabläufe 64f., 71f., 81f., 88f. Spielanalyse 63 Spiele 10, 16, 63f. Spielgewinn 67, 69 Spielziele 63 Staphisagria 184, 195f., 217 Streng dich an! 29 Struktogramm 33 Strukturen der Persönlichkeit 10 Strukturtypen 13 strukturtypische Codes 23f., 60f. Strumpfspiel 70 Sulfur 184, 192 f., 197, 202, 217 sympathiegeleitetes Wertesystem 21, 104, 106, 127 f., 138 f. systemische Haltungsantwort (ermitteln), 55, 77, 86, 93, 213 f. Anmerkungen 17, 28 und 34 systemische Kausalität 15, 54f., 78, 106, 122, 124, 141, 143 f. Systemische Kurztherapie 219 Teleologie 210 tiefenpsychologisch 24, 76 Tischlein deck dich … 111, 113, 134 Tit For Tat 77f. Transaktionsanalyse 10, 66, 105, 211 Tu’s nicht! 70, 91, 98 Tuberculinum 183, 184f., 188, 217 Typ 1, der ‚ethische Unterstützer‘ 60f., 152f., 155 f., 164 f., 172 f., 211 Typ 2, der ‚begeisterungsfähige Helfer‘ 60f., 152 f., 156 f., 164 f., 173 f., 211

Register Typ 3, der ‚liebenswürdige Gewinner‘ 60f., 152f., 157, 164f., 173f., 211 Typ 4, der ‚anspruchsvolle Romantiker‘ 60f., 152f., 158, 164f., 174f., 211 Typ 5, der ‚gutmütige Beobachter‘ 60f., 152f., 158f., 164f., 174f., 211 Typ 6, der ‚loyale Skeptiker ‘60f., 152f., 159f., 164f., 174f., 211 Typ 7, der ‚optimistische Pragmatiker‘ 60f., 152f., 160f., 164f., 174f., 211 Typ 8, der ‚faire Kämpfer‘ 60f., 152f., 161f., 164f., 174, 176f., 211 Typ 9, der ‚kameradschaftliche Macher‘ 60f., 152f., 162f., 164f., 174, 176f., 211, 217f. Typ I 17, 96, 149f., 183, 212 Typ II 17, 96, 149f., 183, 212 typspezifisches Wertesystem 106 Über-Ich 33f. Ursache-Wirkungs-Kausalität 14, 15, 54, 106, 124, 138, 144 Verbitterungs-Depression (oder Erstarrungs-Depression) 215 Verfolger- und Identitätsspiele 28, 65, 67, 69, 87f., 141, 213

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Verführungs-Frustrations-Spiele 70, 74f., 122 Vertraue nicht! 97f. Verwandlungsmärchen 107f., 113f., 140 Verzweiflungs-Depression 215, 130 Von einem der auszog … 111f., 118, 134 Warum muß das …-Spiel 63, 74 Wertesystem 21, 23, 25, 104, 108, 110, 114, 126 f. Wie ein richtiger Mann 90f. Wie konnte ich nur … 74 Wir-Bezogenheit 166f. wissenschaftstheoretisch 40 Wissenschaftstheorie 39 Yin-Yang-Kausalität 54, 216 Zeitdimensionen 15, 53f., 106, 120, 121, 137, 168 f. Zielbereich 22, 27 f., 60, 63, 127, 130, 165f. Zielfindung 43f. Zielkausalität 15, 56, 58, 106, 123, 138, 142f., 145 zwanghafte Charakterstruktur 29, 147, 150