Die Deliktsobligationen des Verwaltungsrechts: Bericht, erstattet der X. Versammlung der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung zu ihrem zweiten Beratungsgegenstand “das Verwaltungsstrafrecht” [Reprint 2021 ed.] 9783112433263, 9783112433256


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German Pages 41 [44] Year 1906

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Die Deliktsobligationen des Verwaltungsrechts: Bericht, erstattet der X. Versammlung der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung zu ihrem zweiten Beratungsgegenstand “das Verwaltungsstrafrecht” [Reprint 2021 ed.]
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Die Deliktsobligationen des Verwaltongsrechts. Bericht, erstattet der X . V e r s a m m l u n g der Deutschen L a n d e s g r u p p e der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung zu ihrem

zweiten Beratungsgegenstand „das Verwaltungsstrafrecht".

Von

Dr. James Goldschmidt, Privatdozent

an der Universität Berlin,

Gerichtsassessor.

Sonderabdruck aus dem XII. Bande der Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung.

Berlin, J. G u t t e n t a g ,

1905.

Verlagsbuchhandlung,

G . m. b. H.

Meinem lieben Freunde,

Gerichtsassessor

Dr. Fritz Rathenau,

zu s e i n e m

Hochzeitstage.

Hochverehrte Anwesende 1 Die A u f g a b e eines Korreferenten ist im allgemeinen nur eine komplementäre. E r soll nur darlegen, in welchen Punkten er von der Auffassung des Referenten abweicht. W e n n ich aus diesem allgemeinen Begriffe des Korreferats die Folgerungen für mich ziehe, so sind diese Folgerungen wesentlich verschiedene, j e nachdem es sich um meine Stellungnahme zum R e f e r a t einerseits, zum V o t u m andererseits des Herrn Referenten handelt. Dem soeben gehörten R e f e r a t über die bisherigen Schicksale unseres Problems im Schofse der I . K . V . ') 2 ) habe ich nur die V g l . dazu jetzt noch K i t z i n g e r , Die I . K . V . , 1905, S. 3 l f f . -) E s sei hier noch einmal eine kurze orientierende Skizze der Schicksale des Polizeiunrechts ü b e r h a u p t g e g e b e n : D a s P r o b l e m des Polizeiunrechts taucht mit der Polizei, d. i. nach dem damaligen S p r a c h g e b r a u c h der Verwaltung schlechthin, auf, nämlich in der Renaissance. D i e mittelalterlichen Italiener knüpfen, nach ihrer Gewohnheit moderne Rechtsinstitute durch römische Quellenstellen, denen sie ganz fremd waren, zu belegen an an die Stelle U l p i a n s in 1. 42 D . de verborum significat. 50, 16 «. . . probra quaedam natura turpia sunt, quaedam civiliter et quasi more civitatis.» ( G o l d s c h m i d t , D a s Verwaltungsstrafrecht, 1902, S. 38, insbesondere A n m . 86 das.). D a n a c h erscheint das Polizeiunrecht als delictum juris civilis im Gegensatz zum Verbrechen, das delictum juris gentium ist ( G o l d s c h m i d t , a. a. O . S . 39, 40). A l s o ein e t h i s c h e s , kein j u r i s t i s c h e s Kriterium! D i e A u f k l ä r u n g s z e i t akzeptiert dieses Kriterium. Mufste d o c h dem Naturrecht die Scheidung von probra natura und blofs more civitatis besonders sympathisch sein ( G o l d s c h m i d t , a. a. O. S. 1 0 7 , A n m . 140). A u f solchen Standpunkt steht u. a. S u a r e z , der Schöpfer des preufsischen L d . R . ( G o l d s c h m i d t , a. a. O . S. 140, Anm. 7 1 ) . Darauf bauen die gemeinrechtlichen Kriminalisten, insbesondere F e u e r b a c h , weiter (a. a. O. S. 234, A n m . 23, S. 342). Nur versuchen sie das bisher auf e t h i s c h e m Gebiete gesuchte Kriterium in das j u r i s t i s c h e zu verlegen. Sie reflektieren es in das Angriffs o b j e k t . Nach F e u e r b a c h ist das Verbrechen Verletzung eines s u b j e k t i v e n Rechtes, das Polizeiunrecht Verletzung blofs o b j e k t i v e n Rechtes (a. a. O . S. 231 if.). Eine für das ganze Jahrhundert bedeutungsvolle W e n dung g i b t der Entwickelung das erste deutsche Polizeistrafgesetz, es ist das W ü r t t e m b e r g i s c h e vom 2. O k t o b e r 1839 (a. a. O . § 12). E s verlegt das Kriterium des Polizeiunrechts v o m A n g r i f f s o b j e k t in das A n g r i f f s m i t t e l und

6 e i n e Notiz hinzuzufügen, dafs es d a s V e r d i e n s t d e s H e r r n R e f e r e n t e n g e w e s e n ist, als erster auf die U n h a l t b a r k e i t d e s h e u t i g e n R e c h t s z u s t a n d e s in S a c h e n d e r Pol i z e i ü b e r t r e t u n g e n h i n g e w i e s e n zu h a b e n . Was dagegen das V o t u m anlangt, so stimme ich zwar in den praktischen sieht es in der R e c h t s g e f ä h r d u n g im Gegensatz zur R e c h t s v e r l e t z u n g , die V e r b r e c h e n s m e r k m a l sei. Diese Ansicht, die einer der Hauptautoren des Wtirttembergischen Polizeistrafgesetzes, von M o h l , selbst garnicht teilte (a. a. O. S. 253 ff.), ist, mehr oder weniger modifiziert, gemeine Meinung des 19. Jahrhunderts geworden. Nur hat man später das Gebiet des Polizeiunrechts auf die a b s t r a k t e Gefährdung beschränkt, die konkrete Gefährdung dagegen noch dem Verbrechen zugeteilt (a. a. O. S. 456). Nachdem aber F r a n k (Studien z. Polizeistrafrecht, Giefsener Univers. Programm 1897) konstatiert hatte, dafs es auch abstrakte G e f ä h r d u n g s v e r b r e c h e n gebe, z. B. Brandstiftung, mufste nach seinem Vorgang ( F r a n k a. a. O.) die abstrakte Gefährdungstheorie für das Polizeiunrecht dahin nüanziert werden, dafs beim Polizeiunrecht die Gefahr nur gesetzgeberisches M o t i v , nicht T a t b e s t a n d s m e r k m a l sei. Aber auch in solcher Ntianzierung ist die abstrakte Gefährdungstheorie unhaltbar. Der Nachweis dafür ist diesseits versucht ( G o l d s c h m i d t a. a. O. 461 ff., ders. in Goltd. Arch. Bd. 49 S. 7 1 ff.) und, dafs er im Grofsen und Ganzen geglückt ist. zu meiner Freude auch von F r a n k neuestens in seinem Kommentar, 3. u. 4. Aufl., 1903, S. 480 I 1 , anerkannt worden. Schon vorher hatte die Überzeugung von der Unhaltbarkeit der die Unterscheidung in das A n g r i f f s m i t t e l verlegenden abstrakten Gefährdungstheorie zu einer Auffrischung der ä l t e r e n Ansichten geführt. F e u e r b a c h s Lehre, die das Kriterium im A n g r i f f s o b j e k t sucht, hatte eine modifizierte Erneuerung bei B i n d i n g gefunden. Nach B i n d i n g erscheint das Polizeiunrecht als «reiner Ungehorsam», während das Verbrechen Übertretung eines Verletzungsoder Gefährdungsverbots ist (Normen, I 2. Aufl. S. 3 1 2 ff., 397 ff.). Ebenso hatte die nur ein e t h i s c h e s Kriterium vertretende Lehre der Italiener und der Aufklärungszeit Wiedererwecker gefunden. So i n s b e s o n d e r e in S t a h l , v a n H a m e l ( G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, S. 439, Anm. 16) und neuestens in Max Ernst M a y e r , bei letzterem mit der Mafsgabe, dafs anstelle der Natur und Moral als Unterscheidungsmafsstab die K u l t u r tritt. Das Polizeiunrecht erscheint nach ihm als Verletzung von kulturell i n d i f f e r e n t e n , das Verbrechen als Verletzung von Kulturnormen. (Rechtsnormen und Kulturnormen, Strafrechtl. Abhdl., Heft 50, 1 9 0 3 , 8 . 109 fr., insbesd. S. 1 1 6 , Anm. 7). Neben den geschilderten Theorien, welche das Kriterium von Verbrechen und Polizeiunrecht im T a t b e s t a n d suchen, hat es auch Theorien gegeben, die es in der R e c h t s f o l g e suchten. Die Verbrechensstrafe soll danach andere Z w e c k e haben, als die Polizeiunrechtsstrafe ( G o l d s c h m i d t , a. a. O. S. 442, Anm. 22). Dafs damit, in d i e s e r Form wenigstens, garnichts anzufangen ist, hat F r a n k schon in München betont (M.I.V.K V I I 1 8 8 ; ders. Studien z. Polizeistrafrecht, a. a. O. S. 1 0 ff.). E s heifst wirkliclfMen Teufel mit dem Beelzebub austreiben, wenn man den Streit um das P o l i z e i u n r e c h t durch den Streit um die S t r a f z w e c k e ersetzen will. Eine mit der hier mehr unter historischem Gesichtspunkte geordneten inhaltlich übereinstimmende s y s t e m a t i s c h e Übersicht der verschiedenen Pc-

7 Endergebnissen de lege ferenda vielfach mit dem Herrn Referenten überein; in der prinzipiellen Grundauffassung dagegen trennt mich von ihm eine noch unüberbrückte Kluft. Ich möchte diesen Differenzpunkt in der Grundauffassung, der in unseren beiderseitigen ersten Thesen zum Ausdruck kommt, durch folgendes Schlagwort kennzeichnen: Bagatellstrafrecht contra Verwaltungsstrafrecht. J e n e s ist die Delizeiunrechtstheorien gibt in seiner gründlichen Art gelegentlich B i n d i n g (Normen, I 2. Aufl., S. 323, Anm. 9). Man fühlt es dort wie hier: Aus den vielfach so scharfsinnig gebildeten Deliktskätegorien weht der Geist der Scholastik! Und wir verstehen es daher, dafs in dieser Frage bei angesehenen Juristen schliefslich ein vollständiger Nihilismus Platz griff, der an das, was ihm nicht bewiesen werden konnte, auch nicht mehr zu glauben beschlofs ( G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht. S. 437, Anm. 10). Insbesondere huldigen diesem Geiste der Verneinung bekanntlich die Autoren unseres ReichsSt.G.B. ( G o l d s c h m i d t , a. a. O. § 24; ders. in Gold. Arch. Bd. 49 S. 71 ff; ders. Dtsch.Jur.Zt. VII 212 ff.). Aber dieser Standpunkt ist offenbar der allerverfehlteste. F r a n k hat es ausgesprochen: «Ich halte es für einen grofsen Fehler, Unterschiede, die jedermann fühlt, deshalb hinweg zu leugnen, weil wir sie nicht formulieren können» (Zeitschrift f. d. ges. Strafrechtsw. XVIII 74 2 ). Und wenn das Problem der Polizeiübertretungen gerade neuestens zum Hauptgegenstand der Beratungen der I.K.V. gemacht worden ist, wenn es heute wieder auf der Tagesordnung steht, so ist der Grund, dafs die Praxis unter der völligen Gleichbehandlung von Verbrechen und Polizeiübertretungen in Gesetzgebung und Theorie bitter Not leidet. Für diese praktischen Kalamitäten sei Bezug genommen aufser auf den heutigen Vortrag F r a n k s : auf denselben i. d. Ztschr. f. d. ges. Strafrechtsw. XVIII 733 ff.; ferner auf R o s e n b e r g , Ztschr. a. a. O. XXII S. 35, 36; auf G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 468; dens. in Goltd. Arch. Bd. 49 S. 71 ff. Dies ist der Sach- und Streitstand in der Materie der Polizeiübertretungen. Denn — hierfür sei auf den Vortrag F r a n k s Bezug genommen — auch die Verhandlungen der I.K.V. haben, so reiches Material sie enthalten, doch auch kein Kriterium ergeben. Nichtsdestoweniger hat die Stellungnahme der I.K.V. zu dem Problem den Boden für eine meines Erachtens günstige Wendung der Entwickelung vorbereitet. Denn die I.K.V. hat — und zwar gerade unter dem Einflufse F r a n k s , der in R o s e n f e l d wirksame Unterstützung fand (M.I.K.V. VII 197, 267) — unzweideutig zu erkennen gegeben, dafs sie es nicht für ihre Aufgabe halte, eine neue scholastische Deliktskategorie zu bilden, sondern eine besondere Behandlung der Polizeiübertretungen in Praxis, Gesetzgebung und Theorie anzustreben. Diese Sachauffassung ist aber der erste Schritt, um das Fahrzeug der Polizeiübertretungen von dem falschen Geleis, auf dem es seit mehr denn einem Jahrhundert festgefahren ist, dem des Strafrechts, zu entfernen. Besagt doch eine b e s o n d e r e v o n d e r d e r V e r b r e c h e n a b w e i c h e n d e Behandlung der Polizeiübertretungen tatsächlich eine n i c h t strafrechtliche. Denn die Verbrechen werden eben materiell und prozefsual nach strafrechtlichen Grundsätzen behandelt. Damit ist aber der Weg geebnet für die Bestrebungen, welche die neue Flagge «Verwaltungsstrafrecht» deckt: Die v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e Auffassung der Polizeiübertretungen.

8 vise des Herrn Referenten, d i e s e s ist die meine. J e n e s be* zeichnet die s t r a f r e c h t l i c h e , d i e s e s die v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e Auffassung der Polizeiübertretungen. Die Entwicklung der der strafrechtlichen des Herrn Referenten entgegen zu setzenden verwaltungsrechtlichen Auffassung der Polizeiübertretungen erachte ich für die Aufgabe meines Korreferats. Der verwaltungsrechtlichen Auffassung der Polizeiübertretungen ist schon früher vereinzelt das Wort geredet worden, so von K l ö p p e l , von G n e i s t , ganz besonders aber von L o r e n z v o n S t e i n und O t t o M a y e r . 1 ) Sie hat aber stets die entschiedenste Ablehnung von kriminalistischer Seite erfahren, insbesondere eben auch von Seiten des Herrn Referenten. 2 ) Die Kriminalisten haben darauf pochen können, dafs, seit der Satz: »nulla poena sine lege et judicio« sich auch für die Polizeiübertretungen durchgesetzt hat, 3 ) die Polizeiübertretungen materiell und prozessual dem Strafrecht angehören. An diesem rocher de bronce des geltenden Rechts sind alle sentiments L o r e n z von S t e i n s abgeprallt. O t t o M a y e r hat aber, so energisch er den Besitzstand des Verwaltungsrechts vom B ü r g e r l i c h e n Recht herausfordert, 4 ) diesen rocher de bronce des S t r a f r e c h t s in vorsichtiger Zurückhaltung umschifft. E r spricht nur davon, dafs die » G r u n d l a g e « der Polizeiübertretungen eine »verwaltungsrechtliche« sei. 5 ) Damit steht er aber juristisch kaum aut einem anderen Standpunkt, als ihn auch R o s i n in seinem »Polizeiverordnungsrecht in Preufsen« 6 ) vermöge seines Anschlusses an B i n d i n g s Normentheorie einnimmt. Die PolizeiÜbertretungen bleiben dabei, als was die Kriminalisten sie ansprechen, — Strafrecht. 1

) V e r g l . G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 1 9 0 2 , Seite 4 7 9 bis 4 8 2 ;

derselbe, D e u t s c h e Juristen-Zeitung V I I 212 2

) Studien

Seite 9 ff.;

zum Polizeistrafrecht,

M.I.K.V.

4 8 1 , I und II.

VII

188;

ff.

Giefsener Universitäts-Programm

Kommentar,

V e r g l . auch B i n d i n g ,

3 . und

Normen,

4. Auflage,

1897,

Seite 4 8 0 ,

I 2. A u f l a g e , Seite 3 1 3

An-

merkung 1 . 3

) Goldschmidt,

4

) Deutsches V e r w a l t u n g s - R e c h t

Verwaltungsstrafrecht, Seite 1 1 7 ff. I 54,

1 3 6 ff.,

und V e r w a l t u n g , Strafsburg. Rektoratsrede, 1 9 0 2 ; XI

341. 6 6

) D e u t s c h e s Verwaltungsrecht I ) 2 . A u f l a g e , Berlin, 1 8 9 5 .

319.

113

darüber

ff.;

derselbe,

Justiz

Verwaltungs-Archiv

9 Im Gegensatz hierzu hat die diesseits aufgestellte Verwaltungsstrafrechtstheorie von vornherein betont, dafs das Verwaltungsstrafrecht jedenfalls Verwaltungsrecht sei. Sie hat daran festgehalten, dafs das mit der Verwaltung auftauchende Problem des Polizeiunrechts nur im Verwaltungsrecht seine Lösung finden könne. E s wurde versucht, den Nachweis historisch zu führen, und damit der W e g beschritten, den auf der Münchener Landesversammlung der I . K . V . die Herren Professoren v o n L i s z t und O e t k e r 1 ) als allein noch eine Aussicht verheifsend gewiesen hatten. Dieser historischen Grundlegung allein galt in der Hauptsache die erste diesseitige Arbeit. 2 ) Eine s y s t e m a t i s c h e Grundlegung der Verwaltungsstrafrechtstheorie dagegen ist bisher, wie ohne weiteres zugegeben wird, mehr auf rechtsphilosophischem als auf juristischem Gebiet gegeben worden. Der Grund war die eigentümliche Schwierigkeit, mit welcher eine Theorie zu kämpfen hatte, welche n o t g e d r u n g e n d a s V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t a l s objektives S t r a f r e c h t a n e r k e n n e n mufste und doch b e w e i s e n w o l l t e , es s e i V e r w a l t u n g s r e c h t . Eine solche Theorie mufste sich naturgemäfs zunächst vom rechtsdogmatischen auf das rechtsphilosophische, ich möchte sagen, vom juristischen auf das metajuristische Gebiet retten, jedenfalls aber unter Vernachlässigung des scheinbar unerweislichen R e c h t s f o l g e n Unterschiedes sich mit Aufweisung eines Unterschiedes der T a t b e s t ä n d e begnügen. 3 ) Dafs damit die

M . I . K V . V I I 208, 2 3

214.

) D a s yerwaltungsstrafrecht, Berlin,

1902.

) Vielleicht empfiehlt sich hier ein kurzer A b r i f s der diesseits autgestellten

Verwaltungsstrafrechtstheorie.fassung von wesenheit

A u s g e g a n g e n wurde

dem symptomatischen Kriterium des

jedes

materiellen

Elements —

gütergefährdung —

im

Tatbestande.

neue Beleuchtung,

als

das

mit der herrschenden A u f Verwaltungsdelikts, der A b -

Rechtsgüterverletzung

Dieses

Kriterium

erhielt

eine

alleinige Inbetrachtkommen des U n g e h o r s a m s

Verwaltungsinteressen in Beziehung g e b r a c h t und erklärt wurde strafrecht S . 3 5 0 ff., 5 4 4 ff., G o l t d a m m e r s A r c h i v B d . 4 9 , S . 8 5 . läfst diese Beziehung neuestens G r a f z u D o h n a , S . 57).

oder R e c h t s insofern

mit

(Verwaltungs-

Unberücksichtigt

D i e Rechtswidrigkeit,

D a m i t e r g a b sich die Möglichkeit, von allen Rechtssätzen, w e l c h e

1905, den

l-einen U n g e h o r s a m mit Strafe bedrohen, zu behaupten, dafs sie — gleichgültig ob in Gesetzen oder V e r o r d n u n g e n enthalten —

Verwaltungsvorschriften in R e c h t s -

satzform, d. i. also allerdings Strafrecht im o b j e k t i v e n

Sinn,

aber doch zu-

IO

Hauptstellung der Gegner der verwaltungsrechtlichen A u f fassung unangegriffen gelassen wurde, ist klar. Denn jede gleich Verwaltungsrecht seien. (Verwaltungsstratrecht Seite 558 ff., 574. A n merkung 120, 577.) D a s Verwaltungsstrafrecht erschien als dritte besondere Gruppe des Verwaltungsrechts neben den beiden schon bis dahin v o n L a b a n d anerkannten Gruppen, der staatsrechtlichen einerseits, sowie der in anderen Rechtsgebieten (Privatrecht, Prozefsrecht und gemeinem Strafrecht; z. R. S t . G . B . § 1 1 3 usw.) verstreuten anderseits. (Verwaltungssti afrecht Seite 558). Dafs das Verwaltungsstrafrecht in der staatsrechtlichen Gruppe kein Heim haben konnte, l a g daran, dafs der Satz: Nulla poena sine lege nicht nur im Sinne einer staatsrechtlichen Bindung der Verwaltungsstrafgewalt — wie z. B. bei der V e r w a l t u n g s z w a n g s g e w a l t , der Disziplinarstrafgewalt — , vielmehr für jede einzelne Strafdrohung anerkannt wird (Verwaltungsstrafrecht Seite 5 5 6 ; Goltdammers A r c h i v Band 49, Seite 86. V e r g l . auch darüber O t t o Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I 306, 307.); dafs es mit anderen Worten nicht nur ein Verwaltungsstrafrecht im subjektiven, sondern auch im o b j e k t i v e n Sinne (siehe F e s t g a b e der Berliner Juristischen Gesellschaft für K o c h , 1903, Seite 429) giebt. D a f s das objektive Verwaltungsstrafrecht aber auch nicht unter die zweite Sammelgruppe, und zwar unter die strafrechtliche Rubrik derselben, einrangiert werden konnte, l a g daran, dafs im Verwaltungsstrafrecht die V e r w a l t u n g nicht einfach Strafrechtsschutz geniefst, dafs ihr vielmehr daraus selbst ein subjektives Gehorsams- und Strafrecht Uberkommt, dafs eben das Verwaltungsstrafrecht zwar Strafrecht, aber doch zugleich Verwaltungsvorschrift ist. Dementsprechend wurde auch das Verwaltungsdelikt nicht als strafrechtliches, sondern als staats-, im engeren Sinn verwaltungs-rechtliches Unrecht aufgefafst, indem es, insoweit Straftatbestand, nur als v o n Verwaltungswegen strafbare Verwaltungswidrigkeit erschien. Verwaltungsstrafrecht § 2 9 ; Goltdammers Archiv Band 49, Seite 88; geklärter in der F e s t g a b e der Berliner Juristischen Gesellschaft für K o c h , 1903, Seite 4 1 5 ff., w o insbesondere die Behauptung, dafs der Verwaltungsstrafreclitssatz a u c h Verwaltungsvorschrift sei, auf die N o r m eingeschränkt und von dem S t r a f r e c h t s s a t z nur behauptet wurde, er statuiere ein Verwaltungsstrafrecht in s u b j e k t i v e m Sinne. V i e l einfacher als diese komplizierte theoretische Konstruktion ergaben sich die im Einzelnen aus der behaupteten Verwaltungsrechtsnatur des Verwaltungsstrafrechts zu ziehenden praktischen F o l g e r u n g e n . (Verwaltungsstrafrecht § 3 0 bis 3 2 ; Goltdammers Archiv, Band 49, Seite 90, 9 1 ; D e u t s c h e Juristen-Zeitung V I I Seite 214.) Diese Folgerungen wurden de lege lata nur für das Finanzstrafrecht (Verwaltungsstrafrecht Seite 4 3 z , 582), das Poststrafrecht (Verwaltungsstrafrecht Seite 582, Anmerkung 143) und Gewerbepolizeistrafrecht (a. a. O . Seite 582, A n m e r k u n g 143) g e z o g e n . Denn nur von diesen wurde zu behaupten gewagt, dafs sie schon die lex lata als Verwaltungsstrafrecht, d. i. Verwaltungsrecht behandle. (Verwaltungsstrafrecht Seite 432, insbesondere A n m e r k u n g 94 das., Seite 4 5 3 , A n m e r k u n g 42.) Bezüglich des Gros des Polizeistrafrechts wurde theoretisch und praktisch zugegeben, dafs die lex lata es als gemeines Strafrecht behandelt wissen wolle. (Verwaltungsstrafrecht Seite 453 ff.) D i e erste A u f n a h m e der Verwaltungsstrafrechts-Theorie in der Literatur — Privatäufserungen lasse ich dabei aufser Betracht — war folgende. Grundsätzlich ablehnend stehen ihr gegenüber K ö h l e r , Reformfragen des Strafrechts 1903, Seite 17, 18, B e l i n g , Württemberg. Strafgesetzgebung, 1903, Seite 3,

11 metajuristische Differenzierung kann von vornherein nicht darauf rechnen, rastlos in einem positiven Recht zum Ausund — ich kann nicht verhehlen, zu meinem Erstaunen (vergl. oben Seite 7 in der A n m e r k u n g ) •— auch R o s e n b e r g (Zeitschrift für die ges. Strafr. W . X X I V S. Ii). K ö h l e r begründet seine Ansicht nicht näher. B e l i n g pocht d a rauf, dafs das Verwaltungsstrafrecht eben de lege lata Strafrecht sei. (Der von B e l i n g a. a. O . monierte Ausdruck »Verfassungsstrafrecht« ist mittlerweile schon F e s t g a b e a. a. O . Seite 4 1 6 A n m e r k u n g 2 durch »Justizstrafrecht« ersetzt. Im Grunde g e n ü g t die Bezeichnung »Strafrecht«; denn das »Verwaltungsstrafrecht« ist »Verwaltungsrecht«.) R o s e n b e r g endlich meint, da doch die Verwaltungsstrafrechtssätze meistens in Gesetzen niedergelegt seien, könnten sie nicht als Mixta C o m p o s i t a von Rechtssätzen und Venvaltungsvoischriften angesehen werden. Dieser Einwurf beruht auf einer Verwechselung des Gesetzes im formellen und materiellen Sinn. D a f s die Verwaltungsstrafrechtssätze oft Gesetze in formellem Sinne sind, beweist nichts für ihre materielle Natur. ( V e r g l . Verwaltungsstrafrecht Seite 572 Anmerkung 1 1 7 a. E . , Seite 194, 6 0 1 ; Goltdammers Archiv, Band 49, Seite 87, Anmerkung 1 6 ; ganz besonders Festschrift der Berliner Juristischen Gesellschaft für K o c h , 1903, Seite 4 1 5 ff., 420 Anmerkung 1). Grundsätzliche A b l e h n u n g ist im Übrigen nur gewissen Spezialfolgerungen der Verwaltungsstrafrechtstheorie b e g e g n e t ; nämlich gewissen praktischen Konsequenzen (u. a. A b l e h n u n g der Geltung der allgemeinen Bestimmungen des R.St.G.B.), die für das Finanzstrafrecht daraus gezogen wurden, dafs ihre Anerkennung als Verwaltungsstrafrecht, d. i. Verwaltungsrecht schon de lege lata behauptet wurde. ( B o n n e n b e r g , Beilage zum Preufsischen VerwaltungsBlatt X X I V N o . 4, Seite 59; K u n k e l , Zeitschrift für Zollwesen und Reichssteuern, II No. 4, Seite 1 2 7 ; W i e s i n g e r , Juristisches Literatur-Bl. X V , N o . I, Seite 18). Z w a r nicht grundsätzlich die verwaltungsrechtliche A u f f a s s u n g , aber doch die g e g e b e n e Konstruktion hat in eingehender P o l e m i k L a m p abgelehnt. (Archiv für öffentliches Recht X V I I I Seite 104 bis 110.) D i e Spitze seiner Ausführungen ist eine doppelte. E i n m a l meint er, die Behauptung, dafs der Verwaltungsstrafrechtssatz auch Verwaltungsvorschrift sei, leugne die Rechtsnatur des Verwaltungsrechts (vergl. auch M. E . M a y e r , Kulturnormen und und Rechtsnormen, Strafrecht]. A b h a n d l u n g e n Heft 50, Breslau 1903, Seite 1 1 0 A n m e r k u n g 3) und damit geradezu die Rechtsstaatsidee. Sodann findet er in der Verwaltungsstrafrechts-Theorie nur rechtsphilosophische, keine positivjuristischen Kriterien. A u f letzteren Vorwurf läuft im wesentlichen auch O t t o M a y e r s Kritik (Verwaltungsarchiv X I Seite 348 ff.) hinaus. G e g e n den ersten V o r w u r f habe ich die Verwaltungsstrafrechts-Theorie bereits in der F e s t g a b e der Juristischen Gesellschaft für K o c h , Berlin 1903, Seite 4 1 5 ff. verteidigt und mufs darauf verweisen. Nicht dafs der Verwaltungsstrafrechtssatz k e i n R e c h t s s a t z , sondern dafs er auch Verw a l t u n g s v o r s c h r i f t sei, behauptet die Verwaltungsstrafrechtstheorie. Schon O t t o M a y e r hat v o n jeher darauf hingewiesen, wie verkehrt es sei, dafs man eine für das Gebiet der Verwaltung ergehende R e c h t s v e r o r d n u n g nicht mehr V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g nennen dürfe. (Deutsches Verwaltungsrecht S. 116, A n m e r k u n g 1 1 ; G o l d s c h m i d t , F e s t g a b e für K o c h a. a. O. Seite 419). Diese gegenseitige Durchdringung von Verwaltungsvorschrift und Rechtssat?,, das Sinnbild der Verwaltungsstrafrechtstheorie, ist aber nicht nur keine

12

druck gekommen zu sein. Und wenn ich auch nicht zugeben kann, dafs die von dem Herrn Referenten mir entgegen L e u g n u n g , sondern geradezu auch die Versinnbildlichung der Rechtsstaatsidee. Ihre konsequente Durchführung wird dazu führen, auch der heute n o c h v o n der herrschenden staatsrechtlichen T h e o r i e als reine Verwaltungsvorschrift angesehenen Verwaltungsverordnunng ( L a b a n d , Staatsrecht, 4. Aufl. I I S . 167, 185; vergl. dazu G o l d s c h m i d t , F e s t g a b e a. a. O. Seite 4 4 1 , A n m e r k u n g 2) Rechtssatzcharakter zu vindizieren. D a f s auch praktisch die Verwaltungsstrafrechtstheorie eine Stärkung der Rechtsstaatsidee bedeutet, darüber sofort im T e x t das Weitere. W a s den zweiten Entwurf L a m p s anlangt, bei dem er sich auf die gewichtige Autorität O t t o M a y e r s stützen kann, die Verwaltungsstrafrechtstheorie g e b e nur rechtsphilosophische, keine positiv-juristischen Kriterien für das Verwaltungsdelikt, so ist zu s a g e n : das Kriterium des reinen Ungehorsams ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als das der herrschenden Lehre. F ü r streng juristisch halte ich es — wie im T e x t zugegeben —• freilich selbst nicht und zwar nicht nur deshalb, weil es das Unterscheidungsmerkmal des Verwaltungsdelikts gegenüber dem Verbrechen allein im Tatbestand und nicht zugleich in der Rechtsfolge findet, sondern auch deshalb, weil der G e g e n s a t z : reiner Ungehorsam und Rechtsgutbeeinträchtigung im Grunde doch wieder auf metajuristische Eigenschaften abgestellt ist. D i e s e unleugbaren M ä n g e l soll gerade die vorliegende Arbeit beseitigen. Teilweise abweichend hat sich schliefslich n o c h geäufsert B e r o l z h e i m e r ( D i e Entgeltung im Strafrechte, München 1903, Seite 262, A n merkung 1 ; vergl. g e g e n ihn bereits G o l d s c h m i d t , Festgabe a. a. O. S. 425, A n m e r k u n g a), der zwar der Verselbständigung des Verwaltungsstrafrechts günstig gegenüber steht, in der diesseits aufgestellten T h e o r i e aber nur eine »formale Abgrenzung« erblickt. N a c h B e r o l z h e i m e r ist O b j e k t des Strafrechts der schlechte, O b j e k t des Polizeistrafrechts der unordentliche Mensch (a. a. O . Seite 261). D a s ist aber nur die Übersetzung aus dem Objektiven ins Subjektive für das Strafrecht überhaupt, aber kein Einwand g e g e n die Verwaltungsstrafrechtstheorie. V o n den bisher Genannten abgesehen, haben alle Übrigen mit mehr oder w e n i g e r Einschränkungen den Verwaltungsstrafrechts-Gedanken grundsätzlich gebilligt. Einer der ersten w a r S c h u l t z e n s t e i n , der sich in einem der F r a g e besonders gewidmeten Aufsatz über die aus der Verwaltungsstrafrechtstheorie gezogene Konsequenz der Übertragung der Verwaltungsstrafgerichtsbarkeit auf die Verwaltungsgerichte äufserte. (Verwaltungs-Archiv X I , S. 149 ff.; ebenda Seite 395, 396). Ferner haben sich im wesentlichen zustimmend geäufsert Z o r n (Verwaltungs-Archiv X I , Seite 396 A n m e r k u n g 19a), S c h ü c k i n g (Juristisches Literaturblatt, Festnummer zum X X V I . Deutschen Juristentag, 1902, Seite 164), v. L i s z t (Lehrbuch 12 und 13. A u f l a g e , 1903, Seite 141, A n m e r k u n g 3 ; vergl. auch Verhandlungen des 26. Deutschen Juristentages I, Seite 273), K a h l (Verhandlungen des 26. Deutschen Juristentages III, S. 214, 2 1 5 ) ; B r ü c k m a n n ( T a g v o m 28. März 1903); F l e i s c h m a n n (Zeitschrift für Eisenbahnrecht X I X , H e f t 3, Seite 299; Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft X X I V S. 774fF.); M. E . M a y e r (Kulturnormen und Rechtsnormen a. a. O. Seite 109 ff.) und v. B a u e r (Finanzarchiv X X . Jahrgang, 2. Band Seite 76 ff.) M. E . M a y e r , dessen Theorie bereits oben (die 2. Anmerkung dieses Referats) als Wiedererweckung der Naturrechtslehre E r w ä h n u n g gefunden

13 gehaltenen Delikte, § 3 6 0 No. 1 und 1 1 des R . S t . G . B . meiner Begriffsbestimmung nicht genügen (zu § 3 6 0 N o . I I unten S. 3 5 hat, unterscheidet sich von seinen Vorgängern wesentlich dadurch, dafs er der diesseitigen Forderung einer Verselbständigung des Verwaltungsstrafrechts zustimmt. In der Begründung vermeint er von mir abzuweichen. E r glaubt, die diesseitige rechtsphilosophische Grundlegung, das Verwaltungsdelikt sei seinem materiellen, indessen nur als legislatives Motiv in Betracht kommenden Wesen nach Unterlassung der Förderung eines Zieles, lucrum cessans, seinem formellen allein den Tatbestand bildenden Wesen nach Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, kurz gesagt, das Delikt der G l i e d p e r s o n im Sinne G i e r k e s , während das Verbrechen in seinem Tatbestand stets zugleich materiell eine Schädigung, damnum emergens, formell einen Zwiespalt mit dem geltenden Recht, mit einem Wort das Delikt der I n d i v i d u a l p e r s o n im Sinne G i e r k e s darstelle ( G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 548; derselbe in Goltdammers Archiv, Band 49, Seite 84; derselbe Festgabe für K o c h , 423), — diese Grundlegung sei eine »Scheinantithese«. (A. a. O. Seite 1 1 0 , Anmerkung 3). Ich glaube aber, M. E . M a y e r s eigene Antithese, Verwaltung6delikt: lediglich Verstofs gegen kulturell indifferente, exprefs an die Untertanen gerichtete Rechtsnormen, Verbrechen: Verstofs auch gegen Kulturnormen, besagt schliefslich genau dasselbe, »nur mit ein bischen anderen Worten«. Insbesondere sind M. E . M a y e r s kulturell indifferente Rechtsnormen des Verwaltungsstrafrechts, welche vor allen übrigen Rechtsnormen die Eigentümlichkeit haben sollen, nicht nur an die Justiz, sondern auch an die Untertanen gerichtet zu sein, die diesseitigen Verwaltungsbefehle in Rechtssatzform. Gerade diese Konstruktion würde die ihnen von M. E . M a y e r zugeschriebene Eigentümlichkeit am besten erklären. Die Ausführungen v. B a u e r s , eines österreichischen Finanzjuristen, enthalten die rückhaltlose Annahme der Verwaltungsstrafrechtstheorie und eine interessante Verwertung derselben zu Reformvorschlägen für das österreichische Finanzstrafverfahren. Als grundsätzliche Billigung der Verwaltungsstrafrechtstheorie darf, last not least, wohl auch das Votum des 26. Deutschen Juristentages gelten. Dieser hat, in Übereinstimmung mit seinen beiden Votanten (v. L i s z t , v. C a l k e r ) und Referenten ( K a h l , K r o n e c k e r ) und unter dem Beifall von H e r m a n n S e u f f e r t (Ein neues Strafgesetzbuch für Deutschland, München 1902, Seite 23 ff.), für die Revision des R . S t . G . B . nach den Thesen von K a h l » f a s t e i n s t i m m i g « beschlossen (Verhandlungen, Berlin 1903, III, Seite 2 7 1 , 602): »dafs eine Ausscheidung des Polizeistrafrechts vorgenommen werde, wobei vorbehalten bleiben kann, ob und inwieweit dieses der landesrechtlichen Ordnung zu überweisen oder in Verbindung mit anderen Teilen des Verwaltungsstrafrechts in einer besonderen Reichspolizeiordnung zu kodifizieren sei.« Diese Revisio monitorum glaubte ich schuldig zu sein, um die völlige Kontrolle des Dargebotenen zu ermöglichen. Wenn ich mit völliger Unbefangenheit das Fazit ziehe, so ist — wie gesagt — eines unzweifelhaft. D a s unsicherste Fundament der Verwaltungsstrafrechtstheorie ist bisher der Mangel eines streng juristischen, d. i. auf dem geltenden Rechtsboden liegenden Kriteriums. Denn — wie gesagt — der reine Ungehorsam als Kriterium des Verwaltungsdelikts ist kein juristisches Kriterium. Juristisches Kriterium ist allemal nur eine Verschiedenheit der R e c h t s f o l g e n , wie z. B . privater

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Anm. 2), so gilt dies doch von anderen von der lex lata als Verwaltungsdelikte aufgefafsten Delikten. A b e r selbst ein bestimmtes d o g m a t i s c h e s T a t b e s t a n d s k r i t e r i u m würde die Verwaltungsdelikte nicht v o m Strafrecht emanzipieren. Sollen die Bollwerke, welche das Verwaltungsstrafrecht dem Strafrecht anschliefsen und vom Verwaltungsrecht trennen, endgültig fallen, soll das Verwaltungsdelikt wirklich als nicht dem Strafrecht, sondern als dem Verwaltungsrecht zugehörig aufgewiesen werden, so bedarf es eben des Nachweises, dafs das Verwaltungsstrafrecht juristisch - dogmatisch Verwaltungsrecht ist, d. h. aber, dafs die R e c h t s f o l g e des Verwaltungsdelikts eine verwaltungsrechtliche, keine strafrechtliche ist. Und zwar »Rechtsfolge« natürlich nicht in dem von dem Herrn Referenten mit F u g verworfenen 1 ) rechtsphilosophischen Sinn einer Verschiedenheit der S t r a f z w e c k e , sondern im streng juristischen Sinne einer Rechtsverschiedenheit selbst. Vielleicht darf ich hoffen, die Bedenken auch des Herrn Referenten gegen die Anerkennung des V . S t . R . als Verwaltungsrecht zu zerstreuen, wenn es mir gelingt, die verwaltungsstrafrechtliche Rechtsfolge wirklich als eine v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e und von der strafrechtlichen, mutatis mutandis, ebenso verschiedene nachzuweisen, wie es die bürgerlich-rechtliche des Schadensersatzanspruches ist. Auf den Versuch dieses Nachweises, der Zerstreuung der Bedenken des Herrn Referenten und damit der juristischen Legitimation der V . St.R. Theorie spitzt sich daher die A u f g a b e meines Korreferats zu. Dafs es in der Hauptstadt desjenigen deutschen

Schadensersatzanspruch einerseits und staatliches Strafrecht anderseits, oder d o c h mindestens eine Verschiedenheit der Tatbestände hinsichtlich positivjuristischer, nicht aber hinsichtlich solcher Merkmale, welche dem metajuristischen Deliktswesen als » D i n g an sich« entnommen sind. W e n n ich oben das diesbezügliche Monitum mit einer exceptio ex injuria tertii zurückgeschlagen habe, so habe ich mich damit von der Kollektivschuld noch nicht frei gemacht. Im Gegenteil, ich habe zugegeben, dafs die Verwaltungsstrafrechtstheorie, welche als einzige den Anspruch erhebt, das Verwaltungsstrafrecht zum Verwaltungsrecht zu schlagen, diesen Anspruch auch nicht begründen kann. D a s Verwaltungsstrafrecht ist auch objektives Strafrecht. D a liegt der wunde Punkt. Und gerade diesen wunden Punkt hat die I . K . V . Anspruch beseitigt zu sehen, bevor sie sich darauf einläfst, für ihre künftigen Arbeiten die Verwaltungsstrafrechtstheorie zu Grunde zu legen. Vergl. die 2. A n m e r k u n g dieses Referats.

15 Landes erstattet wird, von welchem die Aera der PolizeistrafGesetzgebung im 19. Jahrhundert ausgegangen ist, das betrachte ich als ein günstiges Omen. Das V.Str.R. ist seiner Rechtsfolge nach Verwaltungsrecht, nicht Strafrecht. Das ist nun leichter behauptet als bewiesen, angesichts der garnicht abzuleugnenden Tatsache, dafs das V.Str.R., wenigstens im geltenden Recht, objektives Str.R. ist. Das V.Str.R. aber wohl oder übel als objektives Str.R. anerkennen zu müssen und doch gleichzeitig beweisen zu wollen, es sei kein Str.R. sondern V.R., scheint gerade so unmöglich, wie der Nachweis e i n s gleich zwei. Nun könnte ich mich j a hinter die Autorität L a b a n d s verschanzen, der das Verwaltungsrecht als ein Konglomerat von, wie Otto M a y e r gelegentlich sagt 1 ), «Ablegern» der übrigen Rechtsgebiete, darunter auch des Str.R. ansieht. Aber .diesseits ist immer behauptet worden, dafs das V.Str.R. keineswegs nur in diesem Sinne strafrechtlicher Bestandteil des V . R . oder vielmehr verwaltungsrechtlicher Bestandteil des Str.R. sei. Dazu kommt, dafs ich die L a b a n d s e h e Auffassung vom V . R . nicht mehr für richtig halten kann 2 ). Vielmehr glaube ich mit Otto M a y e r 3 ) an ein einheitliches öffentliches V.R., in welchem sich V e r w a l t u n g und Gliedperson als gegenseitig berechtigt und verpflichtet einander gegenüberstehen, entsprechend wie dies im Str.R., Strafprozefsrecht und Zivilprozefsrecht im Verhältnis von Justiz und Gliedperson zu einander der Fall ist. J e l l i n e k 4 ) stellt daher schon die drei letzgenannten Rechtsgebiete als «Justizrecht», dem V . R . gegenüber. Soll daher das V.Str.R. wirklich juristisch V.R. und nicht Str.R., d. i. J u s t i z r e c h t sein, so mufs Subjekt des V.Str.R. die V e r w a l t u n g sein, wie Subjekt des Str.R. die J u s t i z ist. Da man diese Konsequenz aber rechts d o g m a t i s c h nicht ziehen zu k ö n n e n , und sie rechts p o l i t i s c h auch garnicht ziehen zu s o l l e n vermeint, steht die V.Str.Theorie scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber. ') Dtsch. Verw. R. I S. 18 A n n . 7. ) Vgl. schon Verwaltungsarchiv X I 3 4 1 . ) Dtsch. Verw. R . I 1 8 ; ders. Justiz u. Verwaltung, Strafsburg. Rektoratsrede, 1902. Darüber Verwaltungsarchiv X I 340 ff. *) Das Recht des modernen Staates, Bd. I Allg. Staatslehre, 1900, S. 3 5 3 354. Dazu G o l d s c h m i d t , Festgabe für Koch, a. a. O. S. 4 1 6 Anm. 2. 2

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16 W a s nun zunächst den r e c h t s p o l i t i s c h e n Gesichtspunkt anlangt, so gilt als unumstöfsliche Wahrheit, dafs die Depossedierung der V.Str.-Gewalt und die Stabilierung der alleinigen Autorität von Str.R. und Str.Justiz die durch nichts mehr zu überbietende Gewähr der staatsbürgerlichen Freiheit sei '). Hat man doch der diese Autorität antastenden V.Str.Theorie allen Ernstes den Vorwurf gemacht, sie beschwöre den alten Polizeistaat herauf. Ist dies aber wirklich der Fall? Ist der Staatsbürger wirklich am freiesten, wenn er sich wegen Unterlassung des gebotenen Raupens nach denselben Grundsätzen und Formen, auf derselben Anklagebank, vor demselben Richter zu verantworten hat, wie der Einbrecher? Ich glaube, neinl Der heutige Rechtszustand, das V.Str.R. als objektives Str.R., die V.Str.Gewalt als S t r a f j u s t i z , ist n u r d i e h i s t o r i s c h n o t w e n d i g e U b e r g a n g s s t u f e von dem Polizeistaat zum Rechtsstaat. Als die Herrschaft des alten Polizeistaates und mit ihr der alten Polizeigerichtsbarkeit zusammenbrach, suchte man nach materiellen und prozefsualen Rechtsformen, in welche man die Polizeistrafgewalt bannen könnte. Die einzigen sich darbietenden Formen waren die des Str.R. und Str.ProzefsR. Denn das einzige damals existirende öffentliche Recht war das J u s t i z r e c h t 2 ) . So wurde denn die V.Str.Gewalt Str.R. und Str.Pr.R. Ganz ähnlich machte man es, wie Otto M a y e r nachgewiesen hat 3 ), mit der sonstigen rechtlichen Regelung der Verwaltung. Hier verwandte man bürgerlich-rechtliche und zivilprozefsrechtliche Prinzipien. Aber die Rechtsentwickelung hat sich den Rechtsgedanken des Rechtsstaats angepafst. Ein aus eigenen Zwecken, nach eigenen Normen erwachsendes V.R. ist im Werden. Otto M a y e r fordert Abwerfen der privatrechtlichen Krücken, die nicht mehr vonnöten seien. Und ebenso müssen die strafrechtlichen abgeworfen werden. D a s Str.R. hat während des Ausbaues des V.R., die ihm zur Kontrolle anvertraute V.Str.Gewalt treulich bewahrt und kann sie nun beruhigt dem neu ausgebauten V.R. überliefern. DieseÜberlieferung wird keine Stärkung der V Str.Gewalt bedeuten, sondern im Gegenteil eine weitere rechtliche Einschränkung. Vgl. B o n n e n b e r g , Beilage z. Preufs. Verw. Bl. X X I V No. 4 S. 1 9 . ) J e l l i n e k , System der subj. öffentlichen Rechte, Freiburg, 1892, S . 9 6 . 3 ) Justiz u. Verwaltung a. a. O.

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17 Im Str.R. nimmt die V.Str.Gewalt ja zur Ahndung ihrer Verwaltungsdelikte die Dienste der Str.-Justiz in Anspruch, der gegenüber der zu Bestrafende als R e c h t s o b j e k t erscheint. Im Verwaltungsrecht ist die Verwaltung zurückgedrängt in die Stellung eines gewöhnlichen subjektiv Berechtigten, der sein Recht von der Verwaltungsjustiz erhält; der Delinquent tritt ihr hier als verpflichtetes Rechtssubjekt, als Straf P f l i c h t i g e r gegenüber, analog wie, mutatis mutandis, dem privatrechtlich Berechtigten der privatrechtlich Verpflichtete. Im Str.R. heifst es: »Wer usw. w i r d b e s t r a f t . » Im V.R. heifst es, ähnlich wie im bürgerlichen Obligationrecht: «Wer vorsätzlich oder fahrlässig die und die verwaltungsrechtliche Pflicht venletzt, ist zur Zahlung einer Geldstrafe usw. v e r p f l i c h t e t . » Der so Verpflichtete erfüllt seine Strafpflicht selbsttätig, wie der zur Zahlung einer Vertragsstrafe oder eines Schadenersatzes Verpflichtete. Der U b e r g a n g vom Polizei- zum R e c h t s s t a a t hat d a n a c h also drei E t a p p e n . E r s t e E t a p p e : V.Str.-Gew a l t u n a b h ä n g i g v o n R e c h t u n d J u s t i z , d e r zu B e s t r a f e n d e r e c h t l o s : Polizeistaat. Z w e i t e E t a p p e : Verw a l t u n g s - S t r . - G e w a l t als o b j e k t i v e s Str.R. und Str.J u s t i z , d e r zu B e s t r a f e n d e R e c h t s o b j e k t : d i e z u r Z e i t bestehende Übergangszeit. Dritte E t a p p e : Verwalt u n g s - S t r . - G e w a l t als s u b j e k t i v e s , v o r d e n V e r w a l tungsgerichten durchzusetzendes Verw.R., der Straff ä l l i g e P f l i c h t s u b j e k t : d a s e r s t ist d e r R e c h t s s t a a t . Also r e c h t s p o l i t i s c h dürfte der Anerkennung des V.Str.R. als subjektives V.R. nichts entgegenstehen. Die V.Str.R.Theorie beschwört so wenig den alten Polizeistaat herauf, dafs sie vielmehr erst den Schlufsstein der rechtsstaatlichen Entwickelung bildet. Ist aber die Anerkennung des V.Str.R. als subjektives V.R. r e c h t s d o g m a t i s c h möglich? Diese Frage scheint nun unter allen Umständen verneint werden zu müssen, da ja das geltende Recht auf der Zwischenstufe steht, die V.Str. Gewalt noch als objektives Str.R., als Str.-Justiz anzuerkennen. Ist nun aber die Rechtsfolge des Verwaltungs-Delikts de lege lata wirklich nur ein Recht der S t r a f j u s t i z ? M i t t e r 2

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m a i e r ') hat gelegentlich darauf hingewiesen, dafs auch das staatliche Str.R. wie das Zivilrecht in gewissen Fällen nicht im Prozefswege, d. i. durch die Justiz, ausgeübt werde, sondern durch Einigung der Parteien. Dies sei der Fall bei den polizeilichen Str.-Verfügungen und den Verwaltungs-Str.-Bescheiden. Er hätte hinzufügen können, noch mehr bei dem sog. formlosen Submissionsverfahren. Die straffestsetzende Polizeioder Verwaltungsbehörde stehe bei diesen Verfahrensarten nicht als Richter, sondern als berechtigte Partei da. M i t t e r m a i e r hat ganz recht mit seinen Beispielen. Nur unrecht hat er, wenn er daraus folgert, dafs das e i g e n t l i c h e Str.R. nicht notwendig im Prozefswege auszuüben sei. Das ist es allerdings. Nicht, wie man, den springenden Punkt völlig verkennend, zu glauben pflegt, aus r e c h t s p o l i t i s c h e n Gründen, sei es, dafs man, das Str.R. unrichtig als in der Ausübung durch die Staatsanwaltschaft vertretenen A n s p r u c h konstruierend, auf das Recht auf Ehescheidung als Parallele hinweist 2 ), sei es, dafs man, es richtiger als durch Gericht u n d Staatsanwaltschaft vertretenes staatliches G e w a l t s r e c h t auffassend, auf die Parallele des Gerichtsschutzes auch in Verwaltungssachen hinweist 3 ). Warum wäre dann der St.-Prozefs nicht Zivil- oder Verwaltuugs-Prozefs ? Nein, dem eigentlichen Strafrecht ist seine prozessuale Ausübung b e g r i f f l i c h wesentlich, so wesentlich, wie — mutatis mutandis — dem W a c h schen Rechtschutzanspruch, aus dem einfachen Grunde, weil wie d i e s e r ein-Anspruch g e g e n die Justiz, j e n e s ein Recht d e r Justiz ist. In der Erfüllung d i e s e s gewährt der Staat auf Grund eines R e l a t i o n s u r t e i l s a u s g l e i c h e n d e Gerechtigkeit : die Ziviljustiz. In der Ausübung j e n e s übt er auf Grund eines Q u a l i t ä t s u r t e i l s a u s t e i l e n d e Gerechtigkeit: die Strafjustiz 4 ). Es ist daher mehr als eine «gelungene Namensgebung» 5), wenn Max Ernst M a y e r 6 ) und ich 7 ), gleichzeitig ohne von i) Parteistellung der Staatsanwaltschaft, 1 8 9 7 , S. 75. ) So z. B. R o s e n f e l d , der Reichsstrafprozefs, 1 9 0 1 , S. 4z, 4 3 . L a b a n d , Staatsrecht, 4. Aufl., III S. 3 5 5 ff. *) V g l . darüber schon G o l d s c h m i d t , Festgabe a. a. O. S . 4 3 5 ff. Auch hier mufs ich es mir versagen, diese ein völlig selbständiges Problem bietende Anthithese näher zu begründen und durchzuführen. 6 ) V g l . M. E . M a y e r , Rechtsnormen a. a. O. S. 1 1 0 . 6 ) A . a. O. S. i n . 1 ) Festgabe a. a. O. S. 4 1 6 Anm. 2. 3

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einander zu wissen, das echte Str.R., im Gegensatz zum Verw.Str.R., Justizstrafrecht genannt haben. Wenn es danach im geltenden Recht Fälle gibt, wo das Str.R. nicht im Prozefs, d. i. nicht durch die Justiz, vielmehr durch die Verwaltung in freier Einigung mit dem Straffälligen ausgestaltet und ausgeübt wird, so beweifst dies, dafs es sich in diesen Fällen nicht um die charakteristische Rechtsfolge des Strafrechtes, die Entstehung des Rechtes der Str.-Justiz, handelt. Vielmehr enthalten jene Fälle die Anerkennung eines subjektiven V e r w . S t r . R . s , mithin eines subjektiven V e r w . R . , dem eine subjektive Straf-Pflicht gegenübersteht, die freiwillig erfüllt werden kann, und nur im Nichterfüllungsfalle im W e g e des Rechtsstreites zu erzwingen ist. Dafs dieser Rechtsstreit sich nicht vor den Verwaltungsgerichten, sondern vor den Str.-Gerichten abspielt, ist schliefslich nur eine Kompetenzfrage und erklärt sich historisch zum Teil auch einfach daraus, dafs die Schaffung von modernen Verwaltungsgerichten erst eine Errungenschaft der neuesten Zeit ist. Übrigens bis zu einem gewissen Grade zeigt sich auch in dem Verfahren vor den Str.-Gerichten die verwaltungsrechtliche Natur des behaupteten Str.R. So darin, dafs die Finanzverwaltungsbehörde stets als Privat- oder Nebenkläger auftreten kann. Danach ist also auch das r e c h t s d o g m a t i s c h e Bedenken gegen Anerkennung des Ver.Str.R. als eines subjektiven Verwaltungsrechts hinfällig. D a s o b j e k t i v e V e r w . S t r . R . d e s g e l t e n d e n R e c h t s e r s c h e i n t a l s eine nur h i s t o r i s c h zu erklärende Erscheinungsform dieses subjektiven Verwaltungsrechts. Aber auch im geltenden Recht lebt das Verw.Str.R. Sein Gebiet ist kein anderes, als das des Verw.Str.-Verfahrens. Der feste Kadre der Ver.-Delikte ist der Inbegriff derjenigen Delikte, wegen derer nach Reichsrecht der Verwaltungsweg angeordnet oder zugelassen ist'). E s sind dies aber: I) Die Post- und Portodefraudationen, wo das Str.R. der Postverwaltung zusteht: P o s t d e l i k t e (G.V.G. § 1 3 ; E . G . z. St.P.O. § 5 Abs. 1 ; Post-Ges. v. 28. Okt. 1871 §§ 34 ff.); ') Unwesentlich ist dabei, dafs die Verwaltungsbehörden in ihrer Befugnis zur StrafFestsetzung auf ein gewisses Höchstmafs (Str.P.O. § § 453, 459) beschränkt sind. 2*

20 2) Die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, wo das Str.R. der Finanzverwaltung zusteht: F i n a n z d e l i k t e . (G.V.G. § 13; E.G. z. St.P.O. § 6 Abs. 2 No. 3; St.P.O. §§ 459 ff.); 3) S ä m t l i c h e Übertretungen, wo das Str.R. der P o l i z e i verwaltung zusteht: P o l i z e i d e l i k t e (G.V.G. § 1 3 ; E.G. z. St,P.O. § 6 Abs. 2 N 0 . 3 ; St,P.O. §§ 453 ff.). Eine vierte und letzte Kategorie von Delikten, wegen derer das Reichsrecht den Verwaltungsweg anordnet, gewisse Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der Seemannsordnung sowie ihrer Nebengesetze (G.V.G. § 1 3 ; E.G. z. St.P.O. § 5 Abs. 2 ; Seemnnnsordnung v. 2. Juni 1902 §§ 122 ff. usw.) möchte ich, wegen ihres nicht in sich abgeschlossenen Charakters, sowie wegen der Singularität von Delikten, Deliquenten und Strafbehörden ausscheiden. Die so streng formell auf dem geltenden Rechtsboden gebildeten drei Kategorien: Poststrafrecht, Finanzstrafrecht, Polizeistrafrecht machen das Gebiet des Verwaltungstrafrechts aus, wie es diesseits von jeher materiell gebildet worden ist'). Dabei ist bezüglich der ersten beiden Gruppen, Post- und Finanzstrafrecht, völlige Kongruenz der durch formelle A b grenzung gewonnenen Gebiete mit den materiell abzugrenzenden zu behaupten; bezüglich der dritten Gruppe, des Polizeistrafrechts, ist das nicht ganz so der Fall. E s sind nach unserer heutigen Kulturauffassung weder alle Übertretungen Polizeidelikte, noch alle Polizeidelikte Übertretungen. A b e r nach der historischen Entwickelung und nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Übertretungen die Polizeidelikte repräsentieren. Und im grofsen und ganzen ist dies auch tatsächlich der Fall, mag man auch bezüglich einzelner Delikte annehmen, dafs sie unter eine falsche Rubrik geraten sind 2 ). Solche Zweifel bezüglich der Zugehörigkeit von Grenzfällen haben, angesichts des zwischen Verwaltungsdelikten und Ver') Goltd. Aich. Bd. 49 S. 90. O. M a y e r , Deutsches Verwaltungsrecht I 3 1 9 kennt noch: Nichterfüllung von Dienstpflichten und Lasten und Nichtbenutzung öffentlicher Anstalten. E r gibt aber zu, dafs das geltende Recht die Rechtsfolgen dieser Verwaltungsdelikte noch als polizeiliche auffasse; a. a. O. I I 272, 334. 2 ) O l s h a u s e n , 7. Aufl., Anm. I zu § 1 , 6. Aufl., Anm. 2 zu II 29 R.St.G.B.

21 brechen bestehenden Abschichtungsprozesses, immer bestanden, wie sie auch immer bestehen werden. Mit Recht hat K a h l in seinem Referat für den 26. deutschen Juristentag') schon jetzt für die Strafrechtsreform ganz offen heraus erklärt, es sei kein Unglück, wenn eine Handlung irrtümlich in diese oder jene Gruppe gerate. Und so würde denn selbst der Nachweis, dafs die Reichs-Strafgesetzgebung bezüglich der Abgrenzung der Polizeidelikte von den Verbrechen zufolge der prinzipiellen Stellung der Autoren des Reichs-Strafgesetzbuches eine b e s o n d e r s unglückliche Hand gehabt hat, die Reklamierung der Übertretungen als Polizeidelikte nicht hindern können. Es stimmt danach also auch bezüglich der d r i t t e n Gruppe des Verwaltungsstrafrechts, des Polizeistrafrechts, das auf formellem W e g e abgegrenzte Deliktsgebiet mit dem materiell abzugrenzenden wesentlich überein. Das so abgegrenzte Verwaltungsstrafrecht hebt sich so klar als solches, d. i. als subjektives Verwaltungsrecht, vom Justizstrafrecht ab, und stimmt inhaltlich so wesentlich mit dem schon seither als Verwaltungsstrafrecht reklamierten Gebiet überein, dafs die Feststellung fast als triviale Selbstverständlichkeit erscheint. Und doch hat sogar die VerwaltungsstrafeTheorie die Zulassung des Verwaltungsweges im Strafverfahren für ihre Z w e c k e bisher so wenig zu verwerten getrachtet, wie sonst eine Theorie für die A b g r e n z u n g der Polizeiübertretungen. Dazu bedurfte es erst des Bruches mit der schon von L a b a n d 2 ) bekämpften, aber doch in der Strafrechts-Wissenschaft herrschenden 3) Auffassung des Strafrechts als eines in der Ausübung durch die Staatsanwaltschaft vertretenen «Anspruches», ohne es doch, in das andere Extrem verfallend, mit L a b a n d 1 ) einfach der Verwaltungsgewalt gleich zu behandeln. Denn weder, wenn das Strafrecht einem Privatrechts-Anspruch gleichsteht, noch wenn es einfach staatliches Gewaltsrecht ist, ergibt sich, dafs es b e g r i f f l i c h auf prozessualem W e g e , d. i. durch die Justiz, auszuüben ist, und dafs also ein n i c h t notwendig durch die Justiz ])

Verhandlungen III 214. -) Staatsrecht, 4. Aufl., III S. 355, S. 493 Anm, 4. 3 ) L a b a n d , a. a. O. III S. 493 Anm. 4. Dazu G e r l a n d , Gerichtssaal, Bd. 63 S. 72 Anm. 1. «i A. a. O. III 356. Vgl. oben S. 233 Anm. 3.

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auszuübendes Strafrecht auch kein echtes Strafrecht sein kann. Dies ergibt sich erst mit der Feststellung, dafs das Strafrecht dem Wachschen Rechtsschutzanspruch analog steht. Erst dann wird klar, dafs das Gebiet des Verwaltungsstraf-Verf a h r e n s zugleich das des Verwaltungsstraf-Rechts ist. Die so gewonnene Umgrenzung des Verwaltungsstrafrechts ergibt zweierlei. Z u n ä c h s t ist s c h o n de lege lata d a s g e s a m t e V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t , d a r u n t e r — was bish e r a u c h d i e s s e i t s n o c h n i c h t zu b e h a u p t e n g e w a g t w u r d e — d a s P o l i z e i s t r a f r e c h t , von W i s s e n s c h a f t und P r a x i s als V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t , d. i. V e r w a l t u n g s r e c h t , zu b e h a n d e l n . Das Gesetz bietet im VerwaltungsStrafverfahren eine Handhabe dazu. Und die abweichenden Ansichten der Verfasser der M o t i v e zum Reichs-Strafgesetzbuch können einer Fortentwickelung des Rechtes sicher nicht im Wege stehen. S o d a n n a b e r ist e i g e n t l i c h erst j e t z t k l a r g e w o r d e n , w a s das V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t als V e r w a l t u n g s r e c h t b e d e u t e t : E s ist die Deliktsobligation des Verwaltungsrechtes '). Diese mit zwingender Logik sich ergebende Konsequenz erhält ihre volle Beleuchtung durch eine entwickelungsgeschichtliche Feststellung. Unsere Rechtshistoriker nehmen an, dafs das bürgerliche Obligationenrecht aus den Deliktsobligationen erwachsen sei. Ebenso ist das moderne Verwaltungsrecht in Rechtsetzung und Rechtsprechung recht eigentlich aus seiner Deliktsobligation, dem Verwaltungsstrafrecht, erwachsen. Und so ist denn der Arbeitsplan für den, welcher der hier vertretenen Auffassung beitritt, klar vorgezeichnet: es sind f ü r die d r e i als s o l c h e b e z e i c h n e t e n G e b i e t e des Ver') D a m i t ist die seitherige, Verwaltungsstrafrecht S. 558, g e g e b e n e (auch das. S. 574 A n m 120, G o l t d . A r c h . B d . 49 S. 87 Anm. 16), bereifs Festgabe a. a. O . S . 441 modifizierte Konstruktion, wonach das Verwaltungsstrafrecht zu den beiden von L a b a n d gebildeten Gruppen des Verwaltungsrechts als dritte Gruppe trat, unter dem Einflüsse der von L a b a n d abweichenden Auffassung O . M a y e r s über das Verwaltungsrecht (vgl. oben S. 1 5 ; schon S. 10 in der A n m . ) geläutert. D i e Läuterung besteht darin, dafs das o b j e k t i v e Verwaltungss t r a f r e c h t als eine nur historisch zu erklärende Erscheinungsform des s u b j e k t i v e n Verwaltungsstrafrechts erscheint. V g l . o b e n S. 19. D a m i t ist auch für die, welche nicht anerkennen wollen, dafs im Verwaltungsstrafrecht noch der Verwaltungsbefeh) steckt, d i e M ö g l i c h k e i t g e g e b e n , es als Verwaltungsrecht aufzufassen.

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waltungsstrafrechts, Poststrafrecht, Finanzstrafrecht, P o l i z e i s t r a f r e c h t , von W i s s e n s c h a f t und P r a x i s , de lege lata wie de lege ferenda die G r u n d s ä t z e zu entw i c k e l n , die s i c h a u s i h r e r N a t u r als D e l i k t s o b l i g a t i o n e n des V e r w a l t u n g s r e c h t s e r g e b e n . Wissenschaftlich wäre das Aufgabe des Verwaltungsrechts, nicht des Strafrechts. Aber des Strafrechts Einflufs kann sich das Delikt, welche Rechtsfolge es auch nach sich ziehen möge, niemals entziehen. Das gilt schon für das Privatdelikt'). Es gilt noch viel mehr für das Verwaltungsdelikt. Und das Strafrecht wird, wenn es auch die Souveränetät des Verwaltungsrechts auf seinem Deliktsgebiet anerkennen mufs, schon aus entwickelungsgeschichtlichen Gründen noch auf lange hinaus in Sachen des Verwaltungsstrafrechts eine mafsgebende Stimme behalten. Die Statuierung des Verwaltungsstrafrechts als Deliktsobligation des Verwaltungsrechts ist nun viel mehr eine neue Formulierung für unser wissenschaftliches Bewufstsein, als ein praktisches novum et inauditum. Wenn wir Gesetzgebung und Judikatur des Verwaltungsstrafrechts durchmustern, so finden wir, dafs beide von jeher die Verwaltungsdelikte und ihre Rechtsfolge, das Verwaltungsstrafrecht, nicht eigentlich nach strafrechtlichen und strafprozefsrechtlichen Grundsätzen behandeln, sondern nach anderen, d. i. eben verwaltungsrechtlichen. Und diese Feststellung sichert nicht nur die oben geschehene dogmatische Abgrenzung des Verw.Str.R. im geltenden Recht vor dem Einwand des Formalismus, sie sichert vor allem — was unendlich wichtiger ist — dem Verw.Str.R. auch da dogmatisches Leben, wo und insoweit es formell keinen adäquaten Ausdruck im Recht gefunden hat. 2 ) Verwaltungsstrafr e c h t ist da zu f i n d e n , wo G e s e t z g e b u n g und P r a x i s v o n den s t r a f r e c h t l i c h e n u n d s t r a f p r o z e f s r e c h t l i c h e n ' ) Vgl. dazu v. L i s z t , die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, in B e k k e r s und F i s c h e r s Beiträgen zur Erläuterung und Beurteilung des Entwurfs eines B.G.B., Heft 5, 1889; ders. die Deliktsobligationer. im System des B.G.B., 1898. s ) Sei es im ausländischen Recht, sei es im deutschen Partikularrecht, insoweit von der reichsrechtlichen Zulassung des Verwaltungsstrafverfahrens kein Gebrauch gemacht sein sollte; aber auch im Reichsrecht, insofern es das subjektive Verw.Str.R. kompetenzmäfsig beschränkt, es der Justizstrafgewalt in letzter Linie unterwirft, es als objektives Strafrecht behandelt usw.

24 a b w e i c h e n d e , d. i. v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e G r u n d s ä t z e a n o r d n e n , 1 ) d. i. a b e r i m m e r u n d ü b e r a l l . Was zunächst den T a t b e s t a n d des Verwaltungsstrafrechts, das Verwaltungsdelikt, anlangt, so kennt 1) das geltende Recht eine verwaltungsstrafrechtliche Deliktsfähigkeit juristischer Personen 2 ). Nach § 153, Abs. 1 No. 2 des Vereinszollgesetzes vom 1. Juli 1869 haben «Eisen bahnverwaltungen und Dampfschiffahrtsgesellschaften für ihre Angestellten und Bevollmächtigten rücksichtlich der Geldbufsen usw. zu haften»; ebenso wird auf Grund des § 153 Abs. 1 No. 1 des Vereinszollgesetzes angenommen, dafs juristische Personen deliktsfahig sind. 3 ) Dem Justizstrafrecht ist eine Deliktsfähigkeit juristischer Personen unbekannt. 2) Sodann kennt das geltende Recht eine verwaltungsstrafrechtliche Haftung für fremdes Verschulden. Auch hier zunächst nur eine finanzstrafrechtliche, *) aber bis zu einem gewissen Grade auch eine polizeistrafrechtliche. 5) Freilich ist Haftung für fremdes Verschulden hier wie im B.G.B. §§ 8 3 1 , 832 nur cum grano salis zu nehmen. In Wahrheit handelt es sich überall 6 ) nur um eine widerlegbar vermutete culpa in eligendo, custodiendo, administrando. 7) A b e r trotzdem ist klar, ') Zu diesem erst bei der Drucklegung eingefügten Gedanken bin ich angeregt worden durch den Gedankenaustausch mit dem zeitigen Vorsitzenden der Verwaltungsstrafrechts-Kommission, Herrn Prof. M i t t e r m a i e r . 2 ) And. Ans. O. M a y e r , Dtsch.Verw.R. I 451 Anm. 9 S. 467 Anm. 36;" B i n d i n g , Hdb. I 310; O l s h a u s e n , 7. Aufl., Teil I Abschnitt 4, Anm. 6; G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 423 Anm. 62. Richtig hingegen B o n n e n b e r g , Preufs.Verw.BI. XXIV S. 59; J e l l i n e k , System 246; K ö h l e r , Lehrb. d. Bürgl. R. I 1901, S. 330, 3 3 1 ; wohl auch L o b e , das deutsche Zollstrafrecht, 3. Aufl., 1901, S. 167 Anm. I zu § 153 V.Z.G. Vgl. dazu einerseits Reichsgericht Entsch. in Strafs. XVI 123, XXVIII 105, X X X I I I 266, andererseits X X V I 301. 3 ) L o b e , a. a. O. S. 169 Anm. 4 zu V.Z.G. § 153. ') B i n d i n g , Hdb. I 489 Anm. 5; O. M a y e r , Dtsch. Verw.R. I 466, 467; v. L i s z t , Lehrb. 12. u. 13. Aufl., 251 Anm. 5; L o b e , a. a. O. 167, Anm. i zu V . Z G . § 1 5 3 ; G o l d s c h m i d t , a. a. O. 423 Anm. 62. G o l d s c h m i d t , a. a. O. 477 Anm. 92. Vgl. z. B. preufs. JagdpolizeiGes. v. 7. März 1850 § 19. Vgl. Kammergericht bei Johow XVII 3 1 1 u. bei Goltdammer Bd. 49 S. 151. 6 ) Nur im V.Z.G. 153 Abs. I No. 2 nicht, soweit er die Haftung der juristischen Personen auch für andere als ihre W i l l e n s o r g a n e statuiert. 7 ) B i n d i n g , Hdb. I S. 490, G o l d s c h m i d t , a. a. O. 477-

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dafs — wie das Reichsgericht gelegentlich sagt ') — «die eigentümliche Einrichtung der subsidiären Verhaftung überhaupt nicht mit den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts in Einklang zu bringen ist, sondern auf besonderen Zweckmäfsigkeitgründen beruht.» Diese «besonderen Zweckm ä f s i g k e i t s g r ü n d e » sind Verwaltirngsrecht. 3) Endlich nimmt man ganz a l l g e m e i n eine verwaltungsstrafrechtliche Haftung ohne Verschulden für das Finanzrecht an. 2 ) Für das Postrecht wenigstens eine Haftung ohne Verschulden, wie das Reichsgericht 3 ) sich ausdrückt, «in der juristisch-technischen Bedeutung des Wortes». Für das Polizeirecht ist zwar die von der französischen, preufsischen, hessischen usw. Praxis angenommene Haftung ohne Verschulden (fait matériel) 4 ) aufgegeben 5 ). I m m e r h i n f e h l t b e i d e n Ü b e r t r e t u n g e n d u r c h w e g im G e s e t z d i e S c h u l d a l s T a t bestandsmerkmal. Und die herrschende Ansicht nimmt wenigstens an, dafs bei ihnen jedenfalls Fahrlässigkeit genüge, 6 ) Otto M a y e r sogar, dafs auch diese zu vermuten sei. ') Diese Behandlnng steht, wie B i n d i n g 8 ) ganz richtig sagt, im Widerspruch mit den « höchsten Grundsätzen» der Strafgerechtigkeit. Sie läfst sich nur verwaltungsrechtlich erklären. Weicht danach die Behandlung des T a t b e s t a n d e s des Verwaltungsstrafrechtes, des Verwaltungsdelikts, in der geltenden Rechtspraxis unverkennbar von der des Verbrechens ab, so gilt das nämliche von der R e c h t s f o l g e . Hier hat einfach die Praxis für die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts anstelle des gesetzlichen Legalitätsprinzips das Opportunitätsprinzip untergeschoben. Und zwar nicht nur für die Verwal' ) Entsch. in Strafs. X X V 296, 2 9 7 . '-) v. L i s z t , Lehrb. 1 6 2 ; F r a n k , Antn. V I I I I zu § 59 R . S t . G . B . ; O l s h a u s e n , Teil I, Abschnitt I V Antn. 2. And. Ans. O. M a y e r , Dtsch. Verw.R. I 4 5 1 ; L ö b e , Anm. I zu V . Z . G . § 1 3 7 ; G o l d s c h m i d t , a. a. O. 4 2 3 Anm. 64. 3 ) Entsch. in Strafs. X X V 1 9 2 . 4 ) G o l d s c h m i d t , a. a. O. 209, 2 7 2 , 2 9 1 , 3 2 8 , 490, 498. 5 ) G o l d s c h m i d t , a. a. O. 4 7 8 Anm. 94. 6 ) F r a n k , Anm. I I zu II 29 R. St.G.B., O l s h a u s e n , Anm. 2 zu I I 29. And. Ans. B i n d i n g , Grdr. Allg. Teil, 6. Aufl., 1902. S . 1 1 3 . V g l . darüber G o l d s c h m i d t , a. a. O. 4 7 5 , 4 7 6 . Dtsch. Verw.R. I 320, 3 2 1 . Dazu G o l d s c h m i d t , a. a. O. 4 7 7 Anm. 92. ") Normen II 6 1 6 .

26 tungsbehörden, insoweit sie als domini litis des Verwaltungsstrafverfahrens tätig werden, wo sich das Opportunitätsprinzip meines Erachtens gesetzlich unmittelbar begründen läfst. ') Sondern auch, was sich gesetzlich schon schwerer rechtfertigt, 2 ) für die Polizeibeamten, insoweit sie im Sinne des § 161 der Strafprozefsordnung tätig werden. 3) Die Polizeibehörden weisen unbekümmert um Legälitätsprinzip und die Zuchthaus drohenden §§ 346, 357 R.St.G.B., ihre Beamten vielfach an, nicht sofort bei der ersten Übertretung Anzeige zu erstatten. Der Gedanke ist eben, dafs, insoweit der Verwaltungsweg zugelassen ist, gar kein nach s t r a f p r o z e f s r e c h t l i c h e n Grundsätzen zu beurteilendes Verhältnis zwischen Staat und Gliedperson obwaltet, sondern ein nach V e r w a l t u n g s r e c h t sich richtendes. Von der geschilderten Rechtspraxis erklärt sich die Behandlung der R e c h t s f o l g e des Verwaltungsstrafrechts ohne weiteres aus der charakterisierten Natur des Verwaltungsstrafrechts als eines subjektiven Verwaltungsrechtes. Dagegen bedarf es für die Behandlung des T a t b e s t a n d e s , d e s V e r w a l t u n g s d e l i k t s , noch der näheren Darlegung, inwiefern auch sie verwaltungsrechtlich zu erklären ist. S i e g i p f e l t , w i e g e s c h i l d e r t , in d e m Z u r ü c k t r e t e n d e s S c h u l d m o m e n t s . Und allerdings offenbart sich darin das Verwaltungsdelikt als verwaltungsrechtlicher Tatbestand. 1) Für die Erzeugung einer verwaltungsrechtlichen Deliktsobligation kommt es nämlich, wie für Erzeugung einer zivilrechtlichen, und im Gegensatz zum Entstehungsgrund des Justizstrafrechts, nicht so sehr auf das Delikt als s o l c h e s , d. i. die subjektive S c h u l d , die P f l i c h t w i d r i g k e i t an, als vielmehr auf die dadurch verursachten objektive I n t e r e s s e n v e r l e t z u n g , den S c h a d e n . Das Verschulden ist beim Verwaltungsdelikt, wie beim Privatdelikt, wohl ein naturale, aber nicht, wie beim Verbrechen, ein essentiale. Die Interessenverletzung, welche essentiale des Verwaltungsdelikts ist, ist die des Interesses der Verwaltung an einem bestimmten, verwal!) G o l d s c h m i d t . Verwaltungsstrafrecht, 433 ff., 446 Anm. 34. And. Ans. L i n d e n a u , Beilage z. Preufs. Verw.Bl., X X V No. 9, S. 1 4 a Anm. 2. 2 ) R . G . Entsch. in Strafs. X I I 1 6 1 ; L i n d e n a u , a. a. O. 1 4 1 ff.; G o l d s c h m i d t , Dtsch. Jur.Zt. V I I 2 1 2 . 3 ) Vgl. L i n d e n a u , a. a. O.

27 tungsmäfsigen Verhalten ihrer Glieder, die Postvvidrigkeit, Finanzwidrigkeit, Polizeiwidrigkeit, kurz die V e r w a l t u n g s w i d r i g k e i t . ') Sie erzeugt für den Verletzten, die Verwaltung, das Bedürfnis, dem unzuverlässigen Gliede seine Pflicht ihr gegenüber durch Strafen einzuschärfen, Diese Verschiedenheit des Gesichtspunktes von Verbrechen und Verwaltungsdelikt rechtfertigt u. a. meines Erachtens allein die Rechtsgiltigkeit landespolizeirechtlicher Straf bestimmungen gegen reichsstrafrechtlich für straflos erklärte Handlungen. Ich erinnere an die Bestimmung des Württembergischen P.Str.G.B. gegen den Konkubinat. Und in der A n t i t h e s e : P f l i c h t w i d r i g k e i t •/. V e r w a l t u n g s w i d r i g k e i t haben wir meines Erachtens über den W e g der Rechtsfolge die streng juristische Quintessenz der Verschiedenheit auch der T a t b e s t ä n d e : V e r b r e c h e n •/. V e r w a l t u n g s d e l i k t gefunden. 2 ) 2) Mit der Feststellung, dafs beim Verwaltungsdelikt, wie beim Privatdelikt und anders als beim Verbrechen, die Schuld kein essentiale, sondern nur ein naturale sei, ist aber die Eigenart der verwaltungsrechtllchen Schuldlehre noch nicht erschöpft. E s bleibt noch zu erklären, warum beim Verwaltungsdelikt das doch immerhin n a t u r a l e Schuldmoment vielfach nicht einmal zur Begründung der Deliktsobligation nachgewiesen zu werden braucht, während dies doch sogar beim P r i v a t d e l i k t geschehen mufs. E s erklärt sich dies daraus, dafs das V e r w a l t u n g s d e l i k t b e g r i f f l i c h i s t , was das P r i v a t d e l i k t bekanntlich gerade n i c h t ist, 3 ) nämlich Oblig a t i o n s v e r l e t z u n g und zwar Verletzung der S u b o r d i n a t i o n s o b l i g a t i o n v e r w a l t u n g s m ä f s i g e n V e r h a l t e n s . 4) Wie aber im Zivilrecht der Gläubiger, der aus der Obligation ') G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht § 2 7 ; ders. Dtsch. Jur.Zt. V I I 2IZ ff.; ders. Goltd. Arch. Bd. 49 S. 71 ff.; ders. Festgabe a. a. O. 425. Vgl. schon O. M a y e r , Dtsch. Verw.R. I 319. 2 ) Vgl. oben S. 227 i. d. Anm. 3 ) v. L i s z t , Deliktsoblig. a, a. O. S. 1 1 ; D e r n b u r g , das bürg. Recht II I (1. u. 2. Aufl. 1899) S. 1 3 8 , § 64; I I 2 (1. u. 2. Aufl. 1901) S. 614 § 383. 4 ) G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 559; ders. Festgabe 425. Der Erzwingung der Erfüllung dieser Obligation dient der Exekutiv- oder Ordnungjstrafzwang. Vgl. F r a n k , Studien a. a. O. S. 1 1 ; I s a a c , Ztschr. f. d. ges. Strafrechtswiss. X X I 625 ff.; G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 562 Anm. 8 3 , S. 5 6 4 .

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Schadensersatz verlangt, regelmäfsig kein Verschulden des Schuldners zur Begründung seines Ersatzanspruches nachzuweisen braucht, ') so auch nicht die straf berechtigte Verwaltung. Freilich mufs dem Verpflichteten, wie im Zivilrecht, so auch im Verwaltungsrecht der Nachweis offen bleiben, dafs ihn kein Verschulden trifft. Insoweit die finanzstrafrechtliche Praxis diesen Nachweis dem Verpflichteten verschliefsen will, ist sie zu mifsbilligen. 2 ) In der T a t aber neigt sie zu seiner Zulassung. So sagt das Reichsgericht in einer neueren Entscheidung: 3) «. . . wenn die Ordnungswidrigkeit lediglich durch einen nicht vorherzusehenden und unabwendbaren Zufall herbeigeführt wurde, kann sie straflos bleiben.» Die gegebene Auffassung des Verwaltungsdelikts als Nichterfüllung einer verwaltungsrechtlichen Obligation fufst auf den epochemachenden Feststellungen O t t o Mayers. 4 ) Und zwar ist sie keine blofse Konstruktion, sondern eine reale Rechtserscheinung, die sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Verwaltungsdelikte im Tatbestande ausprägt. Man kann geradezu sagen, dafs es nur bei den Delikten n i c h t der Fall ist, welche in dem zwischen Verwaltungsdelikten und Verbrechen, infolge der Fortbildung des Rechts durch die Verwaltung, 5 ) stetig sich vollziehenden Abschichtungsprozefs 6 ) als Verwaltungsdelikte bereits auf dem Aussterbeetat stehen. So bei einer Anzahl der im Reichs-Strafgesetzbuch enthaltenen Übertretungen. Das echte Verwaltungsdelikt — und das haben wir nicht im Reichs-Strafgesetzbuch, sondern in den Reichsnebengesetzen, den Landesgesetzen, vor allem aber in den Polizeiverordnungen zu suchen — ist seinem Tatbestande nach die Z u w i d e r h a n d l u n g g e g e n e i n e s e l b s t ä n d i g e d e m V e r w a l t u n g s r e c h t a n g e h ö r i g e N o r m . Alle Polizei'1 D e m b u r g , a. a. O. II I S. 150, 1 5 5 , § § 70, 7 1 . 2) G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 423 A n m . 64. 3 ) V. 3. D e z . 1897, Entsch. in Strafs. X X X 365. 4 ) Deutsches Verwaltungsrecht I, 306 ff., 447; derselbe, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, 1886. D i e diesseits, Verwaltungsstrafrecht 207, g e g e n O. M a y e r erhobenen Bedenken richten sich nur g e g e n eine zivilrechtliche Auffassung der Verwaltungsobligation. D i e ebenda 480 A n m e r k u n g 103 geäufserten Zweifel, schon de lege lata für das Polizeistrafrecht so zu konstruieren wie O. M a y e r , sind nunmehr hinfällig. 5) 6)

L a b a n d , Staatsrecht, II 173 ff. G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, § 33.

29 Verordnungen

stellen

erst

die N o r m

a u f u n d d a n n heifst e s

am Schlufs: »Zuwiderhandlungen werden bestraft«. Jene Norm ist wesentlich Verwaltungsbefehl. Gleichgültig ist, ob sie selbst zugleich Rechtssatz ist,') dies sofern sie die Form eines Gesetzes oder einer Verordnung aufweist, oder ob sie blofses Rechtsgeschäft, dies als Verfügung, 2 ) ist, während ihre rechtliche Grundlage in einem a l l g e m e i n e n Satze des Verwaltungsrechtes zu suchen ist. Mit anderen Worten für das Verwaltungsstrafrecht trifft, wie diesseits bereits an anderer Stelle 3 ) für die Sache selbst dargelegt wurde, so auch regelmäfsig der Form nach die B i n d i n g s c h e Normentheorie völlig zu. Ein Delikt, welches, wie das Verwaltungsdelikt, begrifflich Nichterfüllung einer verwaltungsrechtlichen Obligation ist, mufs in der Tat regelmäfsig einer selbständigen dem Verwaltungsrecht angehörigen Norm zuwiderlaufen. Nicht von ungefähr also ist, wie B i n d i n g selbst erklärt, der »Hochsitz« seiner Norm im »Verwaltungsrecht«, 4 ) die Normentheorie grade in R o s i n s Polizeiverordnungsrecht mit Glück durchgeführt. 5 ) Nicht von ungefähr aber auch sachlich nach der Normentheorie das Delikt Verletzung des staatlichen Rechtes auf Botmäfsigkeit, das Strafrecht ein der Justiz selbständig gegenüberstehendes, v e r w a n d e l t e s Recht auf Botmäfsigkeit. 6 ) Und der Über die Doppelnatur jedes die Untertanen verpflichtenden Verwaltungsrechtssatzes als Verwaltungsbefehl und Rechtssatz vergl. Golds c h m i d t , Festgabe a. a. O. 2 ) So auch R o s i n , Polizeiverordnungsrecht in Preufsen, 2 . Auflage S. 2 6 . V g l . auch B i n d i n g , Normen 1, 2 . Aufl., S. 3 1 4 Anm. a. E. 3 ) G o l d s c h m i d t , Festgabe a. a. O. 4 2 6 f r . ; auch schon derselbe, Goltdammers Archiv, Band 4 9 , Seite 8 8 i. d. Anmerkung und K ö h l e r im Juristischen Literatur-Blatt 1 8 9 1 , Seite 1 8 0 ; ders., Einführung in die Rechtswissenschaft, 2 . Aufl., S. 1 5 4 . 4 ) Normen I, 2 . Auflage Seite 9 7 , 6 6 ff.; G o l d s c h m i d t , Festgabe, 4 2 9 . 6 ) Mit der Erkenntnis ( G o l d s c h m i d t , Festgabe a. a. O.), dafs die Normen des Verwaltungsstrafrechts immer Verwaltungsbefehle sind, anderseits doch Rechtssätze sein können, werden die Bedenken hinfällig, welche diesseits in Goltdammers Archiv, Band 4 9 , Seite 8 7 , Anmerkung 1 6 in Anlehnung an O. M a y e r , Deutsches Verwaltungsrecht I, 3 0 9 , Anmerkung 2 und unter Berufung auf Verwaltungsstrafrecht 574. Anmerkung 1 2 0 gegen R o s i n s Anerkennung der Normentheorie für die Polizeidelikte erhoben sind. Freilich Strafrecht ist der die verwaltungsrechtliche Norm sanktionierende Verwaltungsstrafrechtssatz nur in dem Sinne, in dem das Verwaltungsstrafrecht überhaupt im geltenden Recht objektives Strafrecht ist. 6 ) G o l d s c h m i d t , Festgabe, 437, Anmerkung 1.



Ausbau des Verwaltungsstrafrechts als eines subjektiven Verwaltungsrechts bedeutet seine völlige Zurückdrängung in die Stellung eines s e k u n d ä r e n Rechts, die völlige Hervorhebung der primären Natur des durch die Norm repräsentierten Rechts der Verwaltung auf Botmäfsigkeit. Mit der Feststellung des Zweckes der Norm als selbständiger Verpflichtungsgrund ist u. a. für die Norm des Verwaltungsstrafrechts das Rätsel gelöst, um dessen Lösung die Anhänger der Normentheorie sich bisher vergeblich bemüht haben, 1 ) nämlich ob die Norm einen subjektiven Tatbestand enthält oder nicht, d. h. ob sie z. B. lautet: »Niemand darf einen Strafsen-Eisenbahnwagen besteigen, welcher durch das Schild »Besetzt« als voll bezeichnet ist«, oder: »Niemand darf v o r s ä t z l i c h o d e r f a h r l ä s s i g einen Strafsen-Eisenbahnwagen besteigen usw.« Die dem Verwaltungsrecht angehörige Norm, welche den Untertan zu einer bestimmten Handlung oder Unterlassung verpflichtet, enthält einen subjektiven Tatbestand so wenig, wie eine entsprechende Norm des bürgerlichen Rechts. Denn sie hat, wie diese, ihren selbständigen, regelmäfsig auch selbständig erzwingbaren Zweck, unbekümmert darum, ob im Falle ihrer Verletzung der Schuldner »Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten« (B.G.B. § 276) hat. Und ein Blick auf das Hamburger Strafsen-Eisenbahn-Reglement, dem obiges Beispiel entnommen ist,2) lehrt das Zutreffende der diesseitigen Auffassung; es verbietet einfach das Besteigen des besetzten Strafsenbahnwagens. Schliefslich erklärt sich nun, warum auch die Gegner der Normentheorie für das Strafrecht doch das Polizeidelikt als Ungehorsam ansehen. Sie geben aber damit eben, wie unser verehrter Herr Referent schon treffend betont hat, 3 ) zu, dafs die Polizeidelikte dem Strafrecht n i c h t angehören. B i n d i n g , Normen, I, 2. Auflage, Seite 5 3 ! F i n g e r , Österreichisches Strafrecht I, 2. Auflage, Seite 85, Anmerkung 56; derselbe, Lehrbuch des deutschen Strafrechts I, Seite 98, 99; H ö p f n e r , Einheit und Mehrheit der Verbrechen, 1 9 0 1 , Seite 1 3 0 ff".; derselbe, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft X X I I I , Seite 643 ff. 2 ) § 44 desselben bei W u l f f , Hamburg. Gesetze und Verordnungen 2. Auflage, II, 1903, Seite 52. 3 ) F r a n k , Studien a. a. O., Seite 18.

3i Die Gesetzgebung und Praxis, meine Herren, steht also der Auffassung des Verwaltungsstrafrechts als Deliktsobligation des Verwaltungsrechts, des Verwaltungsdelikts als Nichtererfüllung einer verwaltungsrechtlichen Obligation nicht nur nicht entgegen, sondern läfst sich überhaupt nur unter diesem Gesichtspunkt erklären. Die heute versuchte juristisch-dogmatische Loslösung des Verwaltungsstrafrechts vom Strafrecht würde also, wenn sie geglückt ist, in der Tat nur eine wissenschaftliche Formulierung bestehender Rechtstatsachen sein. Sie hofft aber damit zugleich den Boden zu liefern zum weiteren wissenschaftlichen und praktischen Ausbau des Verwaltungsstrafrechts im verwaltungsrechtlichen Sinne. Denn in ihrem Lichte wird das Besondere zum Allgemeinen, das scheinbar Zufällige zur organischen Notwendigkeit. Dies gilt von der meines Erachtens nur im Verwaltungsrecht anzuerkennenden Deliktsfähigkeit juristischer Personen, 1 ) der Haftung für culpa in eligendo, custodiendo, administrando, der Gleichstellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, der widerlegbaren Schuldvermutung. Aber noch zur Zeit garnicht übersehbare Folgen werden sich ergeben. S o wird, wie schon wiederholt ausgeführt, und wie die Anerkennung der Normentheorie für das Verwaltungsdelikt zur F o l g e hat, der dem Deliquenten nachzulassende Nachweis der Schuldabwesenheit auch die entschuldbare Normenunkenntnis mit begreifen. 2 ) Man kann sagen, dafs auch diese Konsequenz der Verwaltungsstrafrechtstheorie schon geltende Praxis ist. Das Reichsgericht, welches bekanntlich streng an dem Satze, dafs Strafrechtsirrtum schade, festhält, hat in einer neuesten Entscheidung vom 6. Juli 1903 (Entscheidungen X X X V I 362) ausdrücklich ausgesprochen: »Allgemeine, kraft gesetzlicher Ermächtigung von der zuständigen Verwaltungsbehörde erlassene Ausführungsverordnungen . . . müssen zwar als R e c h t s n o r m e n gelten, deren Verletzung die Revision begründet; sie haben aber nicht die Bedeutung eines S t r a f g e s e t z e s , und d e s h a l b ist f ü r

Ebenso J e l l i n e k , System a. a. O., 246 ff.; K o h l e r , Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, 1904, Seite 330, 3 3 1 ; and. Ans. H a f t e r , die Deliktsund Straffähigkeit der Personenverbände, 1903, Seite 95. 2 ) Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht § 3 0 ; derselbe Festgabe, Seite 429, Anmerkung I.

32

d e n Z u w i d e r h a n d e l n d e n die B e r u f u n g auf N i c h t k e n n t n i s und i r r i g e A u f f a s s u n g n i c h t a u s g e s c h l o s s e n . « Das ist einfach die Anerkennung der Normentheorie für das Verwaltungsstrafrecht und damit der Verwaltungsstrafrechtstheorie. Als weitere Folgerung wird sich für die begrifflich ja nicht notwendig vorsätzlichen Verwaltungsdelikte der grundsätzliche Wegfall von Versuch 1 ) und Teilnahme 2 ) ergeben. Schliefslich bedarf die Anwendbarkeit der allgemeinen Schuldausschliefsungsgründe, der Unzurechnungsfähigkeit einerseits, der Notwehr und des Notstandes anderseits, neuer Nachprüfung auf verwaltungsrechtlicher Grundlage.3) Stöfst doch gerade die Anwendbarkeit des Schuldausschliefsungsgrundes des Notstandes auf Polizeidelikte, wie neuerlich Titze 4 ) am Falle des Erschiefsens einer marodierenden Katze in der Nähe bewohnter Gebäude dargetan hat, auf rein strafrechtlich geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten. Fruchtbringend für den Ausbau des verwaltungsrechtlichen Deliktsrechts wird neben dem Strafrecht auch das bürgerlich-rechtliche Recht der Schuldverhältnisse, insbesondere der unerlaubten Handlungen herangezogen werden. Anzuknüpfen hätte die wissenschaftliche Bearbeitung an den, ich kann nur wiederholen, epochemachenden Vorgang O t t o Mayers 5 ). So, meine Herren, lege ich also, im Gegensatz zum Herrn Referenten, dessen Thesen sämtlich de lege ferenda abgestellt sind, das Hauptgewicht auf einen wissenschaftlichen Ausbau, auf eine praktische Durchführung der Verwaltungsstrafrechtstheorie de lege lata. Bisher liegen nur, aufser einer prinzipiellen Billigung der Verwaltungsstrafrechtsidee durch Max E r n s t M a y e r , 6 ) zwei allerdings treffliche Arbeiten von Praktikern vor. Die eine von dem verdienstvollen Herausgeber des Verwaltungsarchivs, dem Senatspräsidenten an dem preufsischen Oberverwaltungsgericht S c h u l t z e n s t e i n 7 ) über ') G o l d s c h m i d t , "Verwaltungsstrafrecht, 422, Anmerkung 60, Seite 2 1 6 ; unrichtig daselbst Seite 5 8 1 . -) G o l d s c h m i d t , a. a. O. 2 1 6 , 332, 5 8 1 . s ) O. M a y e r , Deutsches Verwaltungsrecht I, 323. 4 ) Deutsche Juristen-Zeitung, I X Seite 286 ff. Deutsches Verwaltungsrecht I 306 ff., 447 ff. 6 ) Vergl. oben S. 12, 13 i. d. Anm. ' ) Vergl. oben S. 1 2 i. d. Anm.

33 die diesseits geforderte Übertragung der Rechtsprechung in Verwaltungsstrafsachen auf die Verwaltungsgerichte. Die andere von dem österreichischen Ober-Finanzrat v o n B a u e r ' ) , welcher versucht hat, die Verwaltungsstrafrechtstheorie für die Reform des österreichischen Finanzstrafverfahrens zu verwerten. Dafs die ersten, welche der Verwaltungsstrafrechtstheorie zugestimmt haben, Praktiker sind, betrachte ich als Gewähr für die Praktikabilität der Theorie. Aber das ist nur ein, wenn auch verheifsungsvoller A n f a n g . Solange nicht mehr vorliegt, vermag ich von einer lex ferenda nicht viel zu hoffen. Deshalb möchte ich auch mit Vorschlägen de lege ferenda sehr vorsichtig sein, und daher trage ich Bedenken, zu den detaillierten Vorschlägen des Herrn Referenten überhaupt im Einzelnen Stellung zu nehmen. Vielmehr möchte ich mich auf folgende Bemerkungen beschränken. Unzweifelhaft ist dem »fast einstimmig« gefafsten Beschlüsse des 26. deutschen Juristentages, für die Reform des Reichs-Strafgesetzbuchs das Polizei-Strafrecht, d. i. II 29, qua Verwaltungsstrafrecht, auszuscheiden, beizustimmen. Dieser Beschlufs darf wohl, wie schon sein Wortlaut, ebenso wie das ihn begründende Referat von K a h l ergibt, geradezu als grundsätzliche Billigung der Verwaltungsstrafrechtstheorie angesehen werden. Wenn und insoweit nun aber eine anderweite Kodifikation des so frei gewordenen Polizeistrafrechts erfolgt, so ist entschieden zu verwerfen, dafs dies in einem Verwaltungs-Strafgesetzbuch 2 ) geschehe, nach A r t der süddeutschen Polizeistrafgesetzbücher. Das wäre eine rückläufige Bewegung. Zu fordern ist, was sogar- den preufsischen Ministern des absoluten Staates schon immer vorgeschwebt hat, 3 ) ein V e r w a l t u n g s - G e s e t z b u c h in der Art, mutatis mutandis, eines B ü r g e r l i c h e n Gesetzbuches. Dasselbe wird die Rechte und Pflichten der Verwaltung und gegenüber der Verwaltung normieren, darunter die Strafrechte und Strafpflichten bei den einschlägigen Materien. Dafs man dieselben von den Vergl. oben S. 1 3 i. d. Anm. ) So K u n c k e l in der Zeitschrift für Zollwesen II 1 2 7 . 3 ) G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht, 286. Der Wunsch ist also auch für Preufsen nicht so «fromm», wie F l e i s c h m a n n , Zeitschr. f. d. ges. Strafr.-Wiss. X X I V 779, meint. 2

3

34 einschlägigen Materien trennen konnte, — ein Verfahren, gegen das schon die Motive zum württembergischen Polizeistrafgesetz vom 2. Oktober 1839 Bedenken erheben 1 ) — wird später ebenso unfafslich erscheinen, wie eine Trennung der bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzpflicht vom sonstigen bürgerlichen Recht. Damit ergibt sich dann von selbst — insoweit in direktem Gegensatz zum letzten Absatz der These I V des Herrn Referenten — die Kompetenz der Verwaltungsgerichte für über die Verwaltungsstrafrechte und Strafpflichten sich erhebende Streitigkeiten. 2 ) Die Vorteile einer derartigen Konzentration der Verwaltungsrechtsprechung bei den Verwaltungsgerichten sind jetzt auch von anderer Seite, praktischer 3 ) wie theoretischer 4 ), anerkannt worden. Insbesondere würden auch die Mifsstände fortwährender Divergenzen in der Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten und Strafgerichten über die Rechtsgültigkeit derselben Polizeiverordnung ihr Ende finden. Die Mifsstände sind erst neuerdings, laut Zeitungsbericht, im Preufsischen Abgeordnetenhause in der Sitzung vom 13. Februar 1903 durch den Abgeordneten Schmitz-Düsseldorf zur Sprache gebracht worden. Ist aber die Kodifikation des Verwaltungsstrafrechts in einem Verwaltungs-Gesetzbuch die natürliche Folgerung der Verwaltungsstrafrechtstheorie, so folgt daraus weiter, dafs sie nur insoweit R e i c h s s a c h e sein kann, als die V e r w a l t u n g Reichssache ist. Dies ist der Fall für das Postrecht und grofse Teile des Finanzrechts, dagegen nicht für das Polizeirecht. Von diesem gehören nur Teile, insbesondere das Gewerbepolizeirecht, zur Reichskompetenz. Grundsätzlich wäre das Polizeirecht also der landesrechtlichen Ordnung zu überweisen. Insoweit die letzte These des Herrn Referenten dem entgegen stehen sollte, wäre ihr zu widersprechen, immer aber unbe') Archiv des Kriminal-Rechts N. F. 1840, Beilageheft Seite 22. ) G o l d s c h m i d t , Verwaltungsstrafrecht § 3 2 ; Deutsche Juristen-Zeitung V I I 2 1 4 ; Goltdammers Archiv Band 49, Seite 9 1 ; dazu S c h u I t z e n s t e i n , Verwaltungsarchiv XI, 149 ff., 395, 396. 3 ) S c h u l t z e n s t e i n a. a. O . ; B a u e r , Finanzarchiv X X 2, Seite 8 1 . 4 ) Z o r n (Verwaltungsarchiv X I , 396, Anmerkung 1 9 a ) ; S c h t i c k i n g , Jurist.-Literaturblatt 1902, Seite 164; F l e i s c h m a n n , Zeitschrift für Eisenbahnrecht, X I X , Seite 299. 2

35

schadet der deutschen Rechtseinheit, welcher dadurch kein Abbruch geschehen würde. Denn einmal ist ein grofser Teil der Übertretungen in II 29 nach unserer heutigen Rechtsauffassung bereits als Verbrechen anzusehen und daher für das Reichsrecht in Anspruch zu nehmen. Dazu sind nicht nur zu rechnen die Übertretungen des § 370, sondern auch, wie K a h l ' ) treffend ausgeführt hat, Bettel und Landstreicherei. 2 ) Sodann könnte man die reichsrechtliche Regelung gewisser allgemeiner Grundsätze des Polizeirechts und also auch des Polizeistrafrechts ins A u g e fassen. Dem Rest des Torsos in II 29 Reichs-Strafgesetzbuch würde wohl niemand eine Träne nachweinen. Lost not least fragt sich: welches sind die Aufgaben, die der I . K . V . bei dem wissenschaftlichen Ausbau und der praktischen Verarbeitung der Verwaltungsstrafrechtstheorie de lege lata, sowie bei Vorbereitung einer lex ferenda zufallen? Da ist zu sagen: Die rein wissenschaftliche Arbeit ist j a begrifflich Einzelarbeit, und der Einflufs auf die Praxis könnte immer nur ein moralischer sein. Die lex ferenda aber liegt noch in weitem Felde. Entfällt damit für die I.K.V. jede Möglichkeit einer Mitarbeit? Keineswegs 1 Vielmehr bietet gerade unser Problem Gelegenheit zu einer Organisationsarbeit, wie sie wiederum kein Privater, sondern nur eine Gesamtheit von der Bedeutung und Zahl der I.K.V. leisten kann. Das entworfene Arbeitsprogramm de lege lata wie de lege ferenda setzt Quellenbeherrschung voraus; und eine Quellenbeherrschung ist auf dem Gebiete des Verwaltungsstrafrechts, wie des Verwaltungsrechts besonders erschwert. ') Verhandlungen des X X V I . Deutschen Juristentages, 1 9 0 3 , III, 1 S . 2

214.

) Der »grobe Unfug« gehört nicht zu den Verbrechen. E r ist aber auch kein spezielles Verwaltungsdelikt im rechtsstaatlichen Sinne, sondern eine clausula generalis der Ordnungsstörung, deren polizeistaatliche Allgemeinheit kaum durch das Erfordernis der »Grobheit« gemildert wird. E r verhält sich zum sonstigen Verwaltungsdelikt etwa wie die »Ungebühr« in G . V . G . § 1 7 9 zum Ungehorsam in G . V . G . § 1 7 8 (die Strafbarkeit von gegenüber dem Gericht bedrohten Ordnungswidrigkeiten dehnt das Württembergische Gesetz vom 12. August 1 8 7 9 Artikel 2 und 3 auf Ordnungswidrigkeiten gegenüber anderen Behörden aus). Damit entfallen die von O. M a y e r , Verwaltungsarchiv X I , 3 5 1 , 3 5 2 u. F r a n k , Mitteil. d. I . K . V . X I I , S . 2 1 4 , aus dem »groben Unfug« gegen die diesseitige Konstruktion der Verwaltungswidrigkeit hergeleiteten Bedenken.

3*

36 Nach alledem resümiere ich dahin: Der These I des Herrn Referenten setze ich meine These I direkt entgegen: V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t c o n t r a B a g a t e l l s t r a f r e c h t . Im Übrigen schiebt sich vor die Thesen des Herrn Referenten meine These II insofern ein, als sie vor der Hand den reformatorischen Schwerpunkt auf eine Schwenkung von Wissenschaft und Rechtsprechung de lege lata legt und dazu den W e g weisen möchte, während die Thesen des Herrn Referenten eine Abhilfe nur de lege ferenda vorsehen. De lege ferenda möchte ich mich auf den Inhalt meiner These III beschränken. Damit wird freilich zu den reichhaltigen Thesen des Herrn Referenten nur insoweit Stellung genommen, als dem letzten Absatz seiner These IV widersprochen (No. i am Ende meiner These III), und seiner These V I (durch No. 2 meiner These III) eine Mafsgabe eingefügt wird. Aber in dieser Reserve liegt Prinzip, insofern damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dafs meines Erachtens Wissenschaft und Praxis des Verwaltungsstrafrcchls zunächst de lege lata auf verwaltungsrechtlicher Grundlage reorganisiert werden müssen, ehe mit Erfolg an gesetzgeberische Reformen auf diesem Gebiet gegangen werden kann. Nur das sei bemerkt, dafs die Thesen des Herrn Referenten vielfach die praktischen Konsequenzen der prinzipiell von ihm verworfenen Verwaltungsstrafrechtstheorie ziehen. Was freilich die Abstimmung anlangt, so glaube ich nicht, dafs über meine Thesen I und II eine solche möglich sein wird, da diese Thesen vorwiegend wissenschaftlichen Charakter haben. Aber auch meine These III möchte ich nicht zur Abstimmung empfehlen, da sie von meinem prinzipiellen Standpunkt aus noch gar keine aktuelle Frage behandelt. Vielmehr beschränke ich mich darauf, für die Abstimmung den Thesen des Herrn Referenten, die in meiner These IV enthaltene Resolution, welche die von mir erhoffte Förderung seitens der I.K.V. zum Gegenstande hat, gegenüber zu stellen. Ich verkenne den dilatorischen Charakter dieser Resolution nicht, meine aber, dafs eine materielle Beschlufsfassung teils untunlich, teils verfrüht wäre.

Leitsätze. I. D a s V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t ist die D e l i k t s o b l i g a tion des V e r w a l t u n g s r e c h t s . Es gehört daher dem Verwaltungsrecht an, und zwar, unbeschadet seiner Normierung als objektives Strafrecht im geltenden Recht, schon de lege lata, mag auch sein völliger Ausbau als subjektives Verwaltungsrecht erst de lege ferenda zu erwarten sein. Dieser Ausbau läuft auf eine weitere rechtliche Einschränkung des subjektiven Verwaltungsstrafrechts hinaus in der Richtung, dafs der Sraffällige nicht mehr als R e c h t s o b j e k t , sondern als P f l i c h t s u b j e k t erscheint. II. Ein Verwaltungsstrafrecht als Rechtsfolge erzeugende Tatbestände, mithin Verwaltungsdelikte, sind de lege lata grundsätzlich diejenigen Delikte, wegen derer ein Verfahren im Verwaltungswege reichsgesetzlich angeordnet oder zugelassen ist. Es sind dies: 1. die Post- und Portodefrautationen (G.V.G. § 13; E.G. z. St.P.O. § 5 Abs. 1; Post-Ges. v. 28. Oktober 1871 §§ 34 ff.), welche ein P o s t s t r a f r e c h t erzeugen: Postdelikte; 2. die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle (G.V.G. § 13; E.G. z. St.P.O. § 6 Abs. 2 No. 3; St.P.O. §§ 459 ff.), welche ein F i n a n z s t r a f r e c h t erzeugen: Finanzdelikte; 3. die Übertretungen (G.V.G. § 13; E.G. z. St.P.O. § 6 Abs. 2 No. 3: St.P.O. §§ 453 ff), welche ein P o l i z e i s t r a f r e c h t erzeugen: P o l i z e i d e l i k t e . Die Delikte, wegen derer die Seemannsämter einschreiten können (G.V.G. § 13; E.G. z. St.P.O. § 5 Abs. 2; Seemanns-O.

38 v. 2. Juni 1902 §§ 122 ff. usw.), bleiben wegen ihres nicht in sich abgeschlossenen Charakters, sowie der Singularität von Delikten, Delinquenten und Strafbehörden aufser Betracht. Das Recht der bezeichneten Tatbestände und Rechtsfolgen ist grundsätzlich in Wissenschaft und Praxis, im Anschlufs an die zu Grunde liegenden nicht deliktizischen Verwaltungsrechtsgebiete, als Verwaltungsrecht weiter zu bilden. Abweichungen vom Strafrecht und Strafprozefsrecht werden sich dabei insbesondere in A n s e h u n g des T a t b e s t a n d e s fiir die Deliktsfahigkeit juristischer Personen, die Haftung für fremdes Verschulden, die Schuldform und den Schuldbeweis, Versuch und Teilnahme, in A n s e h u n g der R e c h t s f o l g e für das Legalitätsprinzip ergeben. Zur Ausbildung des verwaltungsrechtlichen Deliktsrechts wird eine Heranziehung des bürgerlich-rechtlichen fruchtbringend sein. III. De lege fei-enda ist beizutreten dem vom 26. Deutschen Juristentage «fast einstimmig» nach der These seines Referenten, Herrn Geh. Rat Prof. D. Dr. K a h l , gefafsten Beschlüsse, dafs für die Reform des R.St.G.B.s. «eine Ausscheidung des Polizeistrafrechts vorgenommen werde, wobei vorbehalten bleiben kann, ob und inwieweit dieses der landesrechtlichen Ordnung zu überweisen oder in Verbindung mit anderen Teilen des Verwaltungsstrafrechtes in einer besonderen Reichspolizeiordnung zu kodifizieren sei», mit der Mafsgabe: 1. dafs eine Kodifikation des Verwaltungsstrafrechts grundsätzlich ohne eine Kodifikation des entsprechenden nicht deliktizischen Verwaltungsrechts so wenig denkbar ist, wie eine Kodifikation des bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzrechts ohne eine Kodifikation des damit zusammenhängenden bürgerlichen Rechts, dafs also, wenn und insoweit eine Kodifikation des Verwaltungsstrafrechts eriolgt, sie nicht in einem Verwaltungsstrafgesetzbuche, sondern nur in einem Verwaltungsgesetzbuche erfolgen kann (woraus u. a. die

39 Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für ein Verwaltungsstrafrecht betreffende Verwaltungsstreitsachen folgt); 2. dafs daher eine reichsgesetzliche Kodifikation des Verwaltungsstrafrechts grundsätzlich nur in denjenigen verwaltungsrechtlichen Materien denkbar ist, die auch sonst reichsgesetzlich geregelt sind, d. i. das Postrecht und grofse Teile des Finanzrechts, dafs hingegen alle übrigen Partieen, insbesondere das Polizeirecht, vor der Hand grundsätzlich der landesgesetzlichen Regelung überlassen bleiben müssen. IV. Als erster Schritt zur Unterstützung von Wissenschaft und Praxis, sowie zur Vorbereitung gesetzgeberischer Mafsnahmen empfiehlt sich die Annahme folgender Resolution: Der Vorstand der Deutschen Landesgruppe der I.K.V. wird ersucht, in Erwägung zu ziehen, ob, wie und inwieweit es möglich ist, ein Unternehmen ins Leben zu rufen und zu fördern, welches eine Sammlung und fortlaufende Nachtragung sämtlicher reichsund landesrechtlicher Quellen (Gesetze und Verordnungen) des Verwaltungsrechts unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsstrafrechts, am besten unter amtlicher Beihilfe, bezweckt, wie sie z. B. für Hamburg die von Wulff herausgegebene Zusammenstellung bietet. Dem Vorstand wird anheimgestellt, die nähere Ausführung eines solchen Projekts, sowie sonstiger sich dabei als wünschenswert herausstellender ürganisationsarbeiten der auf der V I . Landesversammlung zu München 1898 (M.I.K.V. V I I 2 1 7 , I X 104 ff.) unter dem Vorsitz des Herrn Prof. F r a n k eingesetzten Kommission zu überweisen.

Leitsätze des Herrn Prof. Dr. Frank. I. Diejenigen Delikte von geringerer Bedeutung, durch welche im allgemeinen eine unmoralische Gesinnung nicht betätigt wird, bedürfen als Ü b e r t r e t u n g e n einer gesonderten Behandlung. Zu den Übertretungen in diesem Sinne sind besonders die P o l i z e i ü b e r t r e t u n g e n zu rechnen, d. h. nach O t t o M a y e r (Deutsches Verwaltungsrecht I. Band S. 319) die Störungen der guten Ordnung des Gemeinwesens. II. Die A b h e b u n g der Übertretungen von den übrigen Delikten hat in erster Linie durch das S t r a f e n s y s t e m zn erfolgen. 1. Die F r e i h e i t s s t r a f e in einer der zur Zeit bestehenden Formen ist bei Übertretungen nur dann anzuwenden, wenn wiederholter Rückfall und bewufster Widerstand gegen das Gesetz vorliegen. 2. A l s besondere Übertretungsstrafen sind namentlich der V e r w e i s und der H a u s a r r e s t zu empfehlen. Aufserdem wird bei gewissen Übertretungen eine gerade ihrer Eigenart entsprechende Bestrafung ins A u g e zu fassen sein, z. B. bei zu raschem Automobilfahren: V e r b o t des Automobilfahrens für eine bestimmte Zeit oder vorübergehende Beschlagnahme des Automobils. 3. Diejenigen Strafen, welche sich auch bei Delikten von moralischer Erheblichkeit finden, sind bei den Übertretungen möglichst milde zu gestalten. Gerade bei ihnen ist die bed i n g t e V e r u r t e i l u n g zu empfehlen; desgleichen die Z u l a s s u n g v o n A r b e i t an S t e l l e d e r Z a h l u n g e i n e r G e l d s t r a f e . Dagegen ist die U m w a n d l u n g d e r G e l d s t r a f e in F r e i h e i t s s t r a f e jedenfalls bei den Übertretungen ausnahmslos zu beseitigen. III. Ferner ist bei Übertretungen die F r a g e d e r a u s s c h l i e f s l i c h e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t des Vorgesetzten (mit Einschlufs des Familienhauptes, des Dienst- und Fabrikherrn) und die F r a g e d e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t s ü b e r t r a g u n g ins A u g e

41 zu fassen. (So H e r m a n n S e u f f e r t , buch für Deutschland. 1902. S . 24).

E i n neues Strafgesetz-

IV. In p r o z e s s u a l e r B e z i e h u n g sind die für den ordentlichen Strafprozefs giltigen Grundsätze bei Übertretungen namentlich in folgenden Richtungen zu modifizieren: 1. M i l d e r u n g d e r L e g a l i t ä t s m a x i m e (vgl. St.P.O. §§ 152, 1 6 1 mit S t . G . ß . §§ 346, 3 5 7 ) ; 2. B e s c h r ä n k u n g d e r e i d l i c h e n Vernehmungen, hauptsächlich durch V e r b o t einer Beeidigung des Verletzten ; 3. B e s c h r ä n k u n g d e s G r u n d s a t z e s d e r U n m i t t e l b a r k e i t in der A r t , dafs Beweiserhebungen in gröfserem U m f a n g e als seither aufserhalb der Hauptverhandlung zulässig sind; 4. V e r w e i s u n g d e r Ü b e r t r e t u n g e n in e r s t e r I n s t a n z vor Einzelrichter. D a g e g e n ist der V o r s c h l a g einer Bestrafung der Polizeiübertretungen durch die Verwaltungsgerichte abzulehnen. V. D e r gesamte die Übertretungen betreffende Rechtszustand Deutschlands bedarf einer V e r e i n f a c h u n g u n d K l ä r u n g . In dieser Beziehung ist zu fordern: 1. K o d i f i k a t i o n des einschlagenden Reichs- und Landesstrafrechts unter Ausscheidung veralteter Bestimmungen; 2. s o r g f ä l t i g e R e d a k t i o n der einschlagenden Gesetze und Verordnungen unter Mitwirkung der Gerichte beim Erlais der letzteren; 3. in einzelnen Fällen Ersatz der Bestrafung und des Strafverfahrens durch Zulassung einer F e s t s t e l l u n g s k l a g e vor den ordentlichen oder den Verwaltungs-Gerichten zur Entscheidung über die Zulässigkeit des in F r a g e stehenden Verhaltens (so S e u f f e r t a. a. O. S . 25). VI. A u c h auf dem Gebiete der Übertretungen ist R e c h t s e i n h e i t in D e u t s c h l a n d anzustreben.