Die DDR und der »Prager Frühling«: Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR im Jahr 1968 [1 ed.] 9783428450183, 9783428050185


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Die DDR und der »Prager Frühling«: Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR im Jahr 1968 [1 ed.]
 9783428450183, 9783428050185

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 41

Die DDR und der „Prager Frühling“ Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR im Jahr 1968

Von

Peter-Claus Burens

Duncker & Humblot · Berlin

PETER-CLAUS BURENS

Die D D R und der „Prager Frühling"

Beiträge zur P o l i t i s c h e n Wissenschaft Band 41

Die DDR und der „Prager Frühling" Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR i m Jahr 1968

Von Dr. Peter- Claus Bur ens

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Gedruckt mit Genehmigung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn

Alle Rechte vorbehalten © 1981 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05018 5

Geleitwort I n der gegenwärtigen Weltlage haben trotz der in den siebziger Jahren eingeleiteten und partiell erfolgreichen Friedens- und Entspannungspolitik die gegenseitigen Bedrohungsvorstellungen wieder zugenommen. Das hängt wahrscheinlich nicht nur mit der Globalisierung des OstWest-Konfliktes zusammen — die regional vereinbarten Verbindlichkeiten für einen friedlichen Wandel in Europa konnten m i t dem Engagement der Supermächte nicht hinreichend gekoppelt werden —, sondern auch damit, daß die modernen Industriestaaten durch verschärfte w i r t schaftliche und politische Krisen herausgefordert werden. Zudem konnte der 1975 i n Helsinki festgelegte Verhaltenskodex für die zwischenstaatlichen Beziehungen die machtpolitischen Rivalitäten und den Wettkampf der antagonistischen Systeme nicht beseitigen. I n zwei von der KSZE ausgeklammerten Bereichen, nämlich in denen der militärischen Sicherheit und des sog. „ideologischen Kampfes", wurden überdies kaum Fortschritte erzielt, so daß sich das Mißtrauen und die Sorgen vor Täuschungsabsichten des Gegners erneut gesteigert haben. Dies ist insbesondere bei der Frage deutlich geworden, i n welchem Umfang die Staaten die KSZE-Prinzipien von Korb I I I (Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen) verwirklicht haben. Während der Verhandlungen hatten sich der Westen und die ungebundenen Staaten bekanntlich darum bemüht, eigene Wertvorstellungen durchzusetzen, den persönlichen Freiraum der Bürger zu erweitern und Restriktionen bei der Handhabung des grenzüberschreitenden Austauschs zu verhindern. Demgegenüber hatten sich die sozialistischen Staaten nachdrücklich für soviel Kontrolle und Lenkung wie möglich eingesetzt. Sie hatten zwar dem Gedanken der Präambel zugestimmt, daß verbesserte gegenseitige Kenntnisse zu größerem Verständnis, zu Stärkung des Vertrauens und damit zu mehr Sicherheit führen müsse, und weiter zu entwickelnde freundschaftliche Beziehungen zum Vorteil und Nutzen der Generationen bessere Bedingungen für eine Politik des Friedens der Völkerverständigung und der geistigen Bereicherung i m Bewußtsein gemeinsamer Werte gewährleisten würden. Sie zögerten jedoch, diese Ziele konsequent i n die Praxis umzusetzen, sehr wahrscheinlich auch aus wachsender Sorge vor der Systemgefährdung. Der Wandel i n den internationalen Beziehungen hat gezeigt, daß die Steigerung von Bedrohungsvorstellungen nicht allein eine Frage des

6

Geleitwort

militärischen Gleichgewichts ist, sehen w i r einmal von der Tatsache ab, daß ein solches — empirisch abgesichert — gar nicht einheitlich qualifiziert werden kann, da es sich dabei meistens u m subjektive Einschätzungen auf Grund regionaler oder globaler Interessenlagen handelt. Vielmehr müssen i n diesem Zusammenhang auch dem Prozeß bestimmter Instabilitäten größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Polen ist dafür ein besonderes Beispiel. Nun ist dieses politische Phänomen nicht neu. Die Ereignisse in der DDR (1953), in Ungarn (1956), i n der CSSR (1968) und in Afghanistan (1978/79) — um nur die wichtigsten anzuführen — haben erkennen lassen, warum und mit welchen Mitteln die Führer der kommunistischen Parteien, vor allem in Moskau, auf derartige Systemgefährdungen reagieren, mag der Handlungsspielraum für ähnliche Gewaltaktionen heute auch enger geworden sein. Vor diesem hier nur angedeuteten Hintergrund muß die vorliegende sorgfältig gearbeitete Fallstudie von C. Burens gesehen und bewertet werden. Wenngleich auch nicht alle Thesen des Verfassers aus einleuchtenden Gründen als abgesichert gelten können, so kann doch den Ergebnissen seiner Forschung weitgehend zugestimmt werden. Ohne Frage stellte das politische Ideengut der sozialistischen Reformer in der CSSR 1968 eine Herausforderung an die politischen Eliten i n der DDR dar, vor allem was die Legitimität und den Führungsanspruch der SED anbetraf. Es hat daher wesentliche Entscheidungen i n der DDR beeinflußt, in erster Linie jene Maßnahme, die als Abgrenzungsstrategie gegenüber dem Westen verbunden mit verstärkter ideologischer Indoktrination der Bevölkerung interpretiert werden können. Begründet wurden diese Schritte mit dem Vorwurf „konterrevolutionärer Machenschaften" der imperialistischen Staaten. Gut herausgearbeitet hat der Verfasser die Erkenntnis, daß in Krisenzeiten trotz gewisser Scheinkonzessionen die Sicherung des Herrschaftsmonopols der SED absolute Priorität beansprucht. So verdeutlicht diese Arbeit von C. Burens einmal mehr, wo eine der fundamentalen Schwierigkeiten für die Politik vertrauensbildender Maßnahmen im weitesten Sinne und damit für die Verwirklichung einer realen Friedenspolitik i n unserer Zeit liegen: in der Frage der jeweiligen Systemstabilität oder auch der Stabilisierung des politischen Status quo. Angesichts des Antagonismus der Systeme werden die Staaten bei ihren mannigfachen Kooperationsbemühungen diesen Faktor bei ihren Entscheidungen stets in ihr K a l k ü l einbeziehen müssen, wenn sie die Pflicht zur Friedenssicherung ernst nehmen. Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen

Vorwort Aufgrund des i n der DDR-Forschung nur mangelhaften Zuganges zu historischen Quellen ist es zweifellos ein Wagnis, eine Untersuchung über die Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR i m Jahre 1968 vorzulegen. Dennoch erscheint es lohnend und notwendig, w i l l man nicht einen für die innere Entwicklung der DDR wichtigen Zeitraum nahezu allein der parteilich verzerrenden SED-Geschichtsschreibung überlassen. A m Entstehen der vorliegenden Untersuchung haben verschiedene Personen mit Rat und Hilfe Anteil genommen, denen ich an dieser Stelle recht herzlich danken möchte. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen und dessen Mitarbeiter, Herrn Dr. Wolfgang Pfeiler, die manche inhaltliche Anregung gaben und das erforderliche methodische Rüstzeug vermittelten. Namentlich soll auch Frl. Katarina Sieh genannt werden, die nicht nur das Manuskript mehrmals las und sachkundig kommentierte, sondern auch großes Verständnis für die zeitlich knapp bemessene gemeinsame Freizeit aufbrachte. Diese Studie sei meinen Eltern i n Dankbarkeit gewidmet, denen ich menschlich so viel verdanke. P. B.

Inhaltsverzeichnis Einleitung Fragestellung, Forschungsstand, Methode und Anlage der Arbeit

13

Kapitel A Der „Prager Frühling" — eine Herausforderung für die politische Elite der DDR

21

I. Politisches Systemmodell der D D R

22

1. Uneingeschränktes Machtpotential der SED-Führung

22

2. Totalitäre Zielsetzungen

25

I I . Politisches Ideengut des „Prager Frühlings"

31

1. Innenpolitischer Aspekt: Sozialistischer Pluralismus

37

2. Außenpolitischer Aspekt: Gleichberechtigte Partnerschaft gegenüber allen Staaten

48

I I I . Chancen f ü r die Verbreitung des reformsozialistischen Ideenguts unter der DDR-Bevölkerung

Prager

56

1. Systemkritiker i n der D D R

58

2. Stellungnahmen von D D R - B ü r g e r n zu den Prager Ereignissen

68

3. Legitimierungsprobleme des politischen Systemmodells der D D R

74

I V . Zusammenfassung u n d Schlußfolgerungen: ΒedrohungsVorstellungen der politischen Elite der DDR angesichts des „Prager Frühlings" . . .

83

Kapitel Β Über Kausalzusammenhänge zwischen innenpolitischen Entscheidungen in der D D R und dem „Prager Frühling" I. Presse- u n d Nachrichtenwesen

87 89

1. Ideologisch einseitige Berichterstattung i n „Neues Deutschland"

89

2. Maßnahmen zur Sicherung des Informationsmonopols

97

10

Inhaltsverzeichnis

I I . DDR-Verfassung v o m 6. A p r i l 1968

101

1. Überstürzte Verabschiedung

103

2. Verschiedenartige Änderungen am Verfassungsentwurf

106

I I I . Wirtschaftssystem

111

1. Dekonzentration i n den Jahren 1963 bis 1967

112

2. Bevorzugung zentral-administrativer Lenkungsinstrumente seit 1968 119 I V . Wissenschaft u n d K u l t u r

129

1. Gesellschaftswissenschaftliche Proletariats

Favorisierung

der D i k t a t u r

des

129

2. K u l t u r p o l i t i k zwischen ideologischer Selbstbeschränkung u n d I n doktrination 137 V. Sozialpolitik

145

V I . Deutsche Frage

148

1. Grundsätzliches Ziel: Politische Abgrenzung von der Bundesrepublik Deutschland 150 2. August 1968: Kooperationsbereitschaft gegenüber Bonn

155

V I I . Zusammenfassung u n d Schlußfolgerungen: A u s w i r k u n g e n des „ P r a ger Frühlings" auf die Innenpolitik der DDR 159 Schlußwort

165

Literaturverzeichnis

168

Abkürzungsverzeichnis Aktionsprogramm derKPTsch BRD CDU COMECON CSSR CSU DDR DDV DDVE

FAZ FDP GBl KP KPTsch KPdSU KPR LDPD LL ND NDPD NÖSPL NPD ÖSS Parteiprogrammentw u r f der KPTsch RGWH SBZ

Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Angenommen auf der Plenartagung des Zentralkomitees der KSC a m 5. A p r i l 1968, i n : VZ, Nr. 16, v o m 19. A p r i l 1968, Beilage. Bundesrepublik Deutschland Christlich-Demokratische U n i o n Council for M u t u a l Economic Assistance (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) Ceskoslovenskâ Socialistickâ Republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Republik Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v o m 6. A p r i l 1968, G B l DDR 1968, T e i l I Nr. 8, S. 199. Charta der Freiheit und der Menschlichkeit. E n t w u r f der Verfassung des sozialistischen Staates deutscher Nation, begründet v o m Vorsitzenden des Staatsrates der DDR auf der 7. Tagung der Volkskammer, o. O. u n d o. J. (1968). Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland, F r a n k furt-Main Freie Demokratische Partei Gesetzblatt Kommunistische Partei Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (auch abgekürzt als K P C oder KSC) Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Rußlands Liberaldemokratische Partei Deutschlands L i t e r â r n i listy (Literatur-Blätter), Prag Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin-Ost Nationaldemokratische Partei Deutschlands Neues ökonomisches System der Planung u n d Leitung der Volkswirtschaft (auch abgekürzt als NÖS) Nationaldemokratische Partei Deutschlands ökonomisches System des Sozialismus ü b e r die Vorbereitung und die Grundzüge eines langfristigen Parteiprogramms (Entwurf für den 14. Parteitag der KPTsch), i n : J i f i Pelikân (Hg.), Panzer überrollen den Parteitag. Protokoll und Dokumente des 14. Parteitags der KPTsch am 22. August 1968, Wien 1969, S. 113—139. Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (auch abgekürzt als RGW) Sowjetische Besatzungszone Deutschlands

Abkürzungsverzeichnis Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Der E n t w u r f f ü r ein neues Parteistatut, i n : J i f i Pelikân (Hg.), Panzer überrollen den Parteitag. Protokoll und Dokumente des 14. Parteitags der KPTsch am 22. August 1968, W i e n 1969, S. 143—184. Television (Fernsehen) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen) United States of America (Vereinigte Staaten von A m e rika) Volkseigener Betrieb Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Dokumente, Kommentar, hg. von Klaus Sorgenicht / W o l f gang Weichelt / Tord Riemann / Hans-Joachim Semler, 2 Bde., Berlin-Ost 1969. Vereinigung Volkseigener Betriebe Volkszeitung. Das Wochenblatt der Deutschen i n der CSSR, Prag Zentralkomitee

EINLEITUNG

Fragestellung, Forschungsstand, Methode und Anlage der Arbeit Seit dem Beginn der siebziger Jahre, infolge des nicht zuletzt durch die neue Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesregierung Brandt/ Scheel (1969—1974) erzeugten wachsenden Interesses an politischen, sozialen, ökonomischen und sonstigen Entwicklungen i n der DDR, sind von Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Deutschland eine zunehmende Anzahl von qualifizierten Studien über den zweiten deutschen Staat verfaßt worden. Es gibt allerdings bis heute, wie das Anfang 1978 vom „Arbeitskreis für vergleichende Deutschlandforschung" abgeschlossene „Gutachten zum Stand der DDR- und vergleichenden Deutschlandforschung" aufzeigt 1 , noch immer Bereiche, über die nur relativ wenige Forschungsarbeiten vorliegen. Historische Studien über die Bedeutung des internationalen Bezugsrahmens bei innenpolitischen Entscheidungen i n der DDR fehlen fast völlig, es sei denn, sie beziehen sich auf die Darstellung von politischen — i n der Regel außenpolitischen — Abhängigkeiten der DDR-Führung seitens der osteuropäischen Hegemonialmacht, der UdSSR, oder auf indirekte Beeinflussungen durch den westdeutschen Staat, der Bundesrepublik Deutschland 2 . Die wesentlichen Ergebnisse letztgenannter A r beiten lassen sich verkürzt folgendermaßen zusammenfassen: Ein trotz wachsenden Eigengewichts immer noch hoher Grad an innen- neben außenpolitischen Dependenzen von der i m allgemeinen als orthodox marxistisch-leninistisch zu charakterisierenden sowjetischen Politik und 1 Z u den erfreulichen w i e unbefriedigenden Entwicklungen der D D R Forschung siehe Egon Franke, das Gutachten referierend: Probleme der DDR-Forschung. I n t e r v i e w des Deutschland Archiv m i t Bundesminister Egon Franke, i n : Deutschland Archiv, 11. Jg. (1978) Heft 12, S. 1270. Eine Einsichtnahme des bislang nicht publizierten Gutachtens ist bei verschiedenen I n s t i tutionen, u. a. dem Gesamtdeutschen Institut. Bundesanstalt f ü r innerdeutsche Beziehungen i n Bonn, möglich. 2 N u r vereinzelt gehen Studien über die Analyse der Beeinflussung der D D R - I n n e n p o l i t i k durch die UdSSR einerseits u n d die Bundesrepublik Deutschland andererseits hinaus, ζ. B. i m Zusammenhang m i t dem „ P o l n i schen Oktober" u n d dem Ungarn-Aufstand von 1956. Siehe vor allem: Martin Jänicke, Der dritte Weg. Die antistalinistische Opposition gegen Ulbricht seit 1953, K ö l n 1964.

14

Einleitung

allseitige Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der liberal-demokratisch verfaßten Bundesrepublik Deutschland kennzeichnen die von der DDRFührung gefaßten Beschlüsse3. Als eine wichtige Ergänzung zu diesen Arbeiten befaßt sich die vorliegende historische Studie mit der Frage, ob und gegebenenfalls i n welcher Weise die sich bewußt als sozialistisch — sprich: reformsozialistisch 4 — verstehende politische Erneuerungsbewegung i n der CSSR, der von Januar bis August 1968 währende „Prager Frühling" 5 , die politische Elite der DDR bei den von ihr getroffenen innenpolitischen Entscheidungen beeinflußte. Unter dem Begriff Einfluß w i r d hier eine Relation zwischen Akteuren verstanden, „bei der der eine Akteur andere Akteure veranlaßt, auf eine Weise zu handeln, wie sie anderenfalls nicht handelten" 6 . Als politische Elite oder Führungsschicht soll jene Gruppe von Positionsinhabern i m politischen System definiert werden, die m i t gesamtgesellschaftlichen Entscheidungs- und Einflußmöglichkeiten ausgestattet ist 7 . Der Begriff politisches System schließlich bezeichnet den Wirkungszusammenhang zwischen der Gesellschaft einerseits, insofern sie politische Anforderungen an die Elite stellt und ihr bestimmte Impulse vermittelt, und der politischen Elite andererseits 8 . 8 Aus der Vielzahl solcher Arbeiten seien genannt: Walter Osten, Die Außenpolitik der DDR. I m Spannungsfeld zwischen Moskau u n d Bonn, Opladen 1969; Thilo Koch, A u f dem Schachbrett der Sowjetunion: die DDR, H a m b u r g 1970; Hans Lindemann / Kurt Müller, Auswärtige K u l t u r p o l i t i k der DDR. Die kulturelle Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1974; Hermann Weber, DDR. Grundriß der Geschichte 1945—1976, Hannover 1976; Hans-Adolf Jacobsen / Gert Leptin / Ulrich Scheuner / Eberhard Schulz (Hg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR. Bestimmungsfaktoren, Instrumente, Aktionsfelder, München/Wien 1979, besonders Teile 1 u n d 3. 4 Die Notwendigkeit zu dieser neuen Wortschöpfung ergibt sich aus den Darlegungen über das politische Ideengut des „Prager Frühlings" i m K a p i t e l All. 5 Als „Prager F r ü h l i n g " bezeichnet man ursprünglich die jährlich i m F r ü h j a h r stattfindenden Prager Konzertwochen. Die vorliegende Studie verwendet diesen Begriff i n dem übertragenen Sinn, i n dem er allgemein bekannt geworden ist. Er bezieht sich also auf die politische E n t w i c k l u n g i n der CSSR i n den ersten acht Monaten des Jahres 1968. 8 So: Robert A. Dahl, Die politische Analyse, München 1973 (dt.), S. 36. 7 Dem hier verwandten positionsanalytischen Elitebegriff entsprechen die Arbeiten von: Wolf gang Zapf, Wandlungen der deutschen Elite. E i n Z i r k u lationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919—1961, München 1965; Ralf Dahrendorf, Gesellschaft u n d Demokratie i n Deutschland, München 1965. Peter Christian Ludz hält einen solchen Ansatz, bezogen auf die DDR, für zulässig, korrelieren dort i n der Regel formelle Position u n d tatsächliche F u n k t i o n : Parteielite i m Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur u n d Ideologie der SED-Führung. Eine empirisch-systematische Untersuchung, 2. Aufl. Köln/Opladen 1968, S. 41.

Einleitung

Die dargelegte innenpolitische Themenstellung hat bislang als einziger Werner Schulz i n seinem vorwiegend rechtswissenschaftliche Fragen erörternden Zeitschriftenaufsatz „Die Verteidigung der Diktatur des Proletariats i n der DDR" aufgegriffen 9 . Er muß, wie der von Heinz Lippmann unter dem Pseudonym Harald Ludwig verfaßte A r t i k e l über die ideologischen Gegensätze zwischen Berlin-Ost und Prag 1 0 , als eine wichtige Vorstudie für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse angesehen werden. Darüber hinaus betrachten vereinzelt auch andere DDR-Forscher den „Prager Frühling" als einen nennenswerten externen Einflußfaktor i m Hinblick auf die innenpolitischen Entwicklungen i n der DDR, so etwa bei der Darstellung der DDR-Verfassungsgebung von 1968 11 , der K u l t u r p o l i t i k 1 2 oder gesamtgesellschaftlicher Steuerungsmodelle 13 . Sie analysieren allerdings die gefundenen Kausalzusammenhänge nur selten hinreichend und beschränken sich oftmals auf Vermutungen. Wiederum andere Arbeiten u. a. von Ilse Spittmann 1 4 , Melvin Croan 1 5 , Adolf Müller und Bedrich U t i t z 1 6 , Hanus Hajek und Ladislav Niznansky 1 7 , Wolf Oschlies 18 , Frank Bontschek 19 sowie Franz Sikora 2 0 beschreiben fast aus8 Definition i n Anlehnung an: Gerhard Lehmbruch, Einführung i n die Politikwissenschaft, 4. A u f l . Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1971, S. 127. 9 Erschienen i n : Jahrbuch für Ostrecht, 10. Bd. (1969) Heft 2, S. 7 ff. 10 Harald Ludwig (Pseudonym), Die ideologischen Gegensätze zwischen Ostberlin u n d Prag, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 7, S. 691 ff. 11 Dietrich Müller-Römer, Ulbrichts Grundgesetz. Die sozialistische V e r fassung der DDR, 2. A u f l . K ö l n 1968, S. 28 f.; David Childs, East Germany, London 1969, S. 97; Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Text u n d Kommentar, F r a n k f u r t - M a i n 1972, S. 72. 12 Konrad Franke, Die L i t e r a t u r der Deutschen Demokratischen Republik, 2. A u f l . München/Zürich 1974, S. 158 ff. 13 Helmut Willke, Leitungswissenschaft i n der DDR. Eine Fallstudie zu Problemen der Planung u n d Steuerung i n einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft, Berlin-West 1979, S. 105. 14 Ilse Spittmann, Die SED i m K o n f l i k t m i t der CSSR, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 6, S. 663 ff. 15 Melvin Croan, Czechoslovakia, Ulbricht and the German Problem, i n : Problems of Communism, Vol. 18 (1969) No. 1, S. 1 ff. 18 Adolf Müller / Bedrich Utitz, Die DDR u n d die Tschechoslowakei, i n : Deutschland Archiv, 4. Jg. (1971) Heft 8, S. 833 ff.; dies., Deutschland u n d die Tschechoslowakei. Z w e i Nachbarvölker auf dem Weg zur Verständigung, Freudenstadt 1972, besonders S. 91 ff. 17 Hanus Hajek / Ladislav Niznansky, Die „besonderen Beziehungen" Tschechoslowakei — DDR, i n : Osteuropäische Rundschau, 19. Jg. (1973) Heft 2, vor allem S. 11 ff. 18 Wolf Oschlies, A k t i o n e n der DDR — Reaktionen i n Osteuropa, i n : Gert L e p t i n (Hg.), Die Rolle der DDR i n Osteuropa, Berlin-West 1974, S. 103 ff. 19 Frank Bontschek, Die Tschechoslowakei u n d die DDR, i n : Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche u n d internationale Studien, Nr. 24, K ö l n 1975, besonders S. 42 ff.

16

Einleitung

schließlich die Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen der beiden Nachbarn DDR und CSSR während des Untersuchungszeitraums 1968. Für die vorliegende Studie haben sie daher nur untergeordnete Bedeutung. Die erfolgreiche Durchführung der gewählten Thematik erfordert einen analytischen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, die innenpolitischen Entscheidungen der DDR-Führung i m Jahre 1968 daraufhin zu untersuchen, ob und gegebenenfalls welchen Einfluß der „Prager Frühling" gehabt hat. Bei der Beantwortung dieser Frage können bereits entwickelte Ansätze und Konzepte dem Wissenschaftler ein gewisses Maß an theoretischer Orientierung bieten, „das i h m eine reflektierte Entscheidung über seine Analyseeinheiten und -ebenen ermöglicht, eine Strukturierung seines Untersuchungsgegenstandes erlaubt und ihm sowohl eine Reihe von definierten Begriffen als auch erste Erklärungsmodelle liefert" 2 1 . Ein Verzicht auf wesentliche historische Einsichten darf dabei allerdings nicht zugunsten einer methodisch stringenten Vorgehensweise erfolgen. I n seinen heute schon klassischen Arbeiten von Anfang der sechziger Jahre hat Richard C. Snyder zusammen mit anderen Politikwissenschaftlern ein differenziertes Bezugssystem für Entscheidungsstudien entwickelt 2 2 . Der Decision-Making Approach w i l l alle innen- und außenpolitischen, d. h. psychologischen, sozialen und wirtschaftlichen Vorgänge ermitteln, die auf Entscheidungen einwirken. Hierzu sollen u. a. institutionelle, gesellschaftliche und ökonomische Bedingungsfaktoren sowie das für die Entscheidungsträger wichtige Beziehungsmuster zwischen Ereignissen, Objekten, Bedingungen und weiteren Akteuren transparent gemacht werden. Der Schlüssel zur Erkenntnis, warum politische Eliten sich so verhalten wie sie es tun, liegt demnach i n der A r t und Weise, wie sie bestimmte Situationen perzipieren. Ein ähnliches, der vorliegenden Studie ebenfalls entsprechendes Erkenntnisinteresse verfolgt James N. Rosenau, wenn er die Vielzahl der grenzüberschreitenden interdependenten Prozesse der Aktion und Reaktion durch die Aufstellung eines detaillierten Linkage Framework zu 20 Franz Sikora, Sozialistische Solidarität u n d nationale Interessen. Polen, Tschechoslowakei, DDR, K ö l n 1977, besonders S. 89 ff., sich i n der Darstellung an Adolf Müller / Bedfich ZJtitz, Deutschland (wie A n m . 16), anlehnend. 21 Helga Haftendorn, Bemühungen u m eine Theorie Internationaler Beziehungen. Eine wissenschaftstheoretische Einführung, i n : dies. (Hg.), Theorie der Internationalen Politik. Gegenstand u n d Methoden der Internationalen Beziehungen, H a m b u r g 1975, S. 31. 22 Hierzu u n d zum folgenden: Richard C. Snyder / H. W. Bruck / Burton Sapin, Decision-Making as an Approach to the Study of International Politics, i n : dies. (Ed.), Foreign Policy Decision-Making. A n Approach to the Study of International Politics, New Y o r k 1962, besonders S. 86 ff.

Einleitung

erklären sucht 23 . Er entwickelt eine Forschungsmatrix mit einhundertvierundvierzig Linkages 2 4 , i n der sowohl das nationale System und seine Einheiten — Akteure, Einstellungen, Institutionen, Prozesse — festgemacht, die i n ihm ablaufenden Vermittlungsprozesse dargestellt als auch regionale und problemorientierte Bezugseinheiten angegeben werden können: Nachbarsystem, Regionalsystem, Ost-West-System, ethnisches Bezugssystem, Wirtschaftssystem, Organisationssystem. Die beiden von Snyder und Rosenau entwickelten analytischen Schemata haben für die vorliegende Untersuchung eine nicht zu unterschätzende heuristische Funktion. Einen praktikablen theoretischen A n satz bietet allerdings keines von beiden. Sie setzen eine so außergewöhnlich umfangreiche und dazu homogene Quellenlage in den verschiedenartigsten politischen Bezugssystemen voraus, die bei komplexen historischen Themenstellungen höchst selten, i n der DDR-Forschung praktisch nie gegeben sein dürfte. Darüber hinaus wäre ein solch umfangreiches Quellenmaterial arbeitstechnisch kaum zu bewältigen. Alle Versuche, die dargelegten Schemata als analytischen Bezugsrahmen für eine Studie zu wählen, bergen folglich die Gefahr einer manipulativen Auswahl von historischen Fakten und somit eines tendenziösen Forschungsergebnisses i n sich 25 . K a r l W. Deutsch nähert sich i n seinem 1966 veröffentlichten Modell eines von der äußeren Umwelt beeinflußten nationalen Systems ebenfalls dem für diese Arbeit definierten Erkenntnisinteresse 26 . Sein A n liegen ist es, zentrale Kommunikationssysteme und -kanäle einerseits, Nachrichtenströme und andere Transaktionen andererseits zu erfassen. Als Kommunikationssysteme unterscheidet er das nationale System, dessen äußere Umwelt sowie, als Bindeglied zwischen beiden, ein Linkage System. Dieses ist Teil des nationalen Systems, es unterhält aber zur äußeren Umwelt besonders enge Beziehungen, was ein hohes 28 Siehe aus einer Vielzahl von Publikationen: James N. Rosenau, The Scientific Study of Foreign Policy, New Y o r k 1971, S. 318 ff. Dort auch eingehend zu den von Rosenau als Vorarbeiten zum Linkage Framework entwickelten Begriffen Problembereich (issue-area) u n d penetriertes politisches System auf S. 133 ff. bzw. 116 ff. 24 Ebd., S. 325. 25 So Gerhard Lehmbruch über den Decision-Making Approach, ein Urteil, das auch für den Linkage Framework zutreffen dürfte: Einführung (wie A n m . 8), S. 69 f. 28 Z u nachfolgenden Ausführungen: Karl W. Deutsch, External Influences on the I n t e r n a l Behavior of States, i n : R. B a r r y Farrell (Ed.), Approaches to Comparative and International Politics, Evanston 1966, S. 5 ff. Die neuere A r b e i t von Sarah Meiklejohn Terry bringt gegenüber Deutsch k a u m erkenntnisfördernde Aussagen, die es rechtfertigen, hierauf näher einzugehen: E x ternal Influences on Political Change i n Eastern Europe: A Framework for Analysis, i n : Jan F. Tfiska / Paul M . Cocks (Ed.), Political Development i n Eastern Europe, New York/London 1977, S. 277 ff.

2 Bürens

18

Einleitung

Maß an Rezeption der von außen kommenden politischen Einflüsse miteinschließt. Kommunikationskanäle bestehen nach Deutsch zum einen zwischen dem nationalen und dessen integriertem Linkage System, ferner zwischen dem letzteren und der äußeren Umwelt. I m Vorhandensein einer Linkage Group — oder auch nur einer potentiellen Linkage Group — sieht Deutsch folglich eine ebenso notwendige Voraussetzung für innenpolitische Veränderungen aufgrund externer Faktoren wie i n der Existenz von äußeren Einflußfaktoren selbst und deren aktueller Größe. Die Überlebens- und Expansionschancen eines nationalen Systems beurteilt er schließlich nach dessen Lernfähigkeit, aktuelle Informationen von der äußeren Umwelt und aus dem eigenen politischen System mit Hilfe von Gedächtnisinhalten adäquat zu verarbeiten und i n Entscheidungen umzusetzen 27 . Der theoretische Ansatz von K a r l W. Deutsch unterstreicht vor allem die große Bedeutung einer nationalen Linkage Group bei innenpolitischen Einwirkungen eines externen politischen Faktors. Das Offenlegen der politischen Gemeinsamkeiten eines internationalen Akteurs und einer nationalen Linkage Group stellt demnach eine notwendige Voraussetzung und ein wichtiges Raster für die Suche nach Kausalzusammenhängen zwischen innenpolitischen Entscheidungen und externen Bedingungen dar. Es ermöglicht die Reduktion einer Vielzahl von Variablen — verschiedenartigste Informationen der politischen Elite aus dem innen- und außenpolitischen Bereich sowie eigene Gedächtnisinhalte — und die sachgerechte Verarbeitung eines umfangreichen historischen Quellenmaterials. Gibt Deutsch insoweit wesentliche methodische Hinweise, die bei der Analyse einer möglichen Beeinflussung innenpolitischer Entscheidungen i n der DDR durch den „Prager Frühling" zu beachten sind, so muß hingegen die systemtheoretische Prämisse seines Ansatzes verworfen werden 2 8 . Sie geht letztlich davon aus, daß sich alle politischen Systeme nach einem, den kybernetischen Systemen i n den Naturwissenschaften analogen Muster verhielten, wobei die Erhaltung des Status quo angesichts von systembedrohenden externen Einflüssen oberstes Ziel sei. Die hier unterstellte Annahme, daß jedes politische System aufgrund vielfältiger, sich selbststeuernder Kommunikationsprozesse einen die politische Elite und die Gesellschaft integrierenden gemeinsamen Werthorizont besitze, der das bestehende System als erhaltens- und verteidigungswert ansehe, 27 Ausführlich hierzu: Karl W. Deutsch, Die Analyse internationaler Beziehungen. Konzeption u n d Probleme der Friedensforschung, F r a n k f u r t - M a i n 1968 (dt.), S. 109 ff. 28 Dieser w i r d vor allem i m H a u p t w e r k von Karl W. Deutsch entwickelt: Politische Kybernetik. Modelle u n d Perspektiven, Freiburg-Breisgau 1969 (dt.).

Einleitung

19

ist abzulehnen 29 . Gleiches trifft auf die unausgesprochene Unterstellung zu, bei einer Linkage Group handele es sich ausschließlich um eine zahlenmäßig kleine Bevölkerungsgruppe. Beides berücksichtigt nicht, daß i n zumeist diktatorisch regierten Staaten sehr kontroverse Auffassungen, i n manchen sogar antagonistische Meinungsverschiedenheiten zwischen der jeweils herrschenden politischen Elite und der Bevölkerungsmehrheit vorhanden sein können, wenn sie auch selten öffentlich artikuliert werden dürfen. Die ungeprüfte Annahme einer prinzipiellen Interessenidentität zwischen Bevölkerungsmehrheit und politischer Elite der DDR angesichts des „Prager Frühlings" könnte sich daher als realitätsfremd und somit für die Bearbeitung dieser Studie als erkenntnishemmend erweisen. Für die Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes läßt sich aufgrund der dargelegten theoretischen Ansätze von Richard C. Snyder, James N. Rosenau und K a r l W. Deutsch folgendes Fazit ziehen: I n Kapitel A ist zunächst eine Schlüsselfrage hinsichtlich der weiteren Untersuchung zu stellen: Sah die politische Elite der DDR den „Prager Frühling" als eine Herausforderung an? Notwendige Voraussetzung hierzu sind — unter Berücksichtigung der Analyseeinheiten von Deutsch — politische Ubereinstimmungen zwischen den Prager Reformsozialisten und einer bedeutenden Gruppe Reformwilliger i n der DDR sowie grundlegende Differenzen beider zu dem von der politischen Elite der DDR entworfenen, i n der DDR-Verfassung verankerten Systemmodell. Nur bei einem Nachweis von politischen Bedrohungsvorstellungen der DDR-Führung, die aus diesen Differenzen erwachsen sein müßten und somit letztlich auf ein Defizit an Legitimierung, d. h. Akzeptierung seitens der Gesellschaft 30 , zurückzuführen wären, kann eine Beeinflussung ihrer innenpolitischen Entscheidungen durch den „Prager Frühling" überhaupt erst angenommen werden. Eine positive und möglichst differenzierte Beantwortung der gestellten Schlüsselfrage ermöglicht sodann i n einem Kapitel B, konkrete innenpolitische Entscheidungen in der DDR auf Kausalbezüge zum „Prager Frühling" zu untersuchen. Die Multikausalität aller historischen Entwicklungen 3 1 verlangt zur Messung und Differenzierung der potentiellen Einflüsse von verschiedenen, für 29 Vgl. Wolf-Dieter Narr, Theoriebegriffe u n d Systemtheorie, 4. A u f l . S t u t t gart/Berlin-West/Köln/Mainz 1976, S. 108 f. 30 Vgl. Gilbert Ziebura, Legitimität, i n : Ernst Fraenkel/Karl Dietrich B r a cher (Hg.), Staat u n d P o l i t i k (Neuausgabe), F r a n k f u r t - M a i n 1957, S. 180 ff. Z u r kontrovers geführten neueren Diskussion über den Legitimitätsbegriff siehe die veröffentlichten Referate der Duisburger Tagung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft von 1975: Peter Graf Kielmansegg (Hg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 7), Opladen 1976. 31 Hierzu ausführlich: Karl Georg F ab er, Theorie der Geschichtswissenschaft, München 1971, S. 66 ff.



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Einleitung

die Innenpolitik der DDR relevanten Faktoren nach geeigneten Verfahrensweisen, die — unter Beachtung, jedoch nicht Übernahme der analytischen Schemata von Snyder, Rosenau und Deutsch — zu Beginn des Kapitels zu erarbeiten sind.

KAPITEL A

Der „Prager Frühling" — eine Herausforderung für die politische Elite der DDR Zur Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls weshalb die politische Elite der DDR den „Prager Frühling" als eine Herausforderung oder gar eine Bedrohung perzipierte, sind i m folgenden Kapitel zunächst die Grundzüge des von ihr entworfenen, i n der Verfassung vom 6. A p r i l 1968 niedergeschriebenen politischen Systemmodells der DDR aufzuzeigen 1 . Dies schließt eine präzise Definition der politischen Elite mit ein, wozu die Analyse des auf dem VI. Parteitag (1963) verabschiedeten vierten Parteistatuts der SED hilfreich ist 2 . Das politische Ideengut der CSSR-Reformbewegung w i r d sodann dem Systemmodell der DDR gegenübergestellt, wobei die für die DDR möglicherweise innenpolitische Brisanz besitzenden außenpolitischen Konzepte der Prager Reformer mit zu berücksichtigen sind. Die Ausführungen hierzu stützen sich auf das wohl bedeutendste Dokument der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung, das Aktionsprogramm der KPTsch vom 10. A p r i l 1968, den Parteistatuten- und Parteiprogrammentwurf vom August 1968 sowie die ζ. T. erst nach dem „Prager Frühling" erschienenen Veröffentlichungen führender Reformer einschließlich der Presseberichterstattung. Schließlich ist nach der Verbreitung bzw. nach den Chancen für eine Verbreitung des reformerischen Prager Ideenguts unter der DDR-Bevölkerung zu forschen, denn nur i n diesem Fall konnte das Prager Alternativmodell von der politischen Elite der DDR als eine ernsthafte Herausforderung angesehen werden. Zur Lösung dieser Frage tragen Inhaltsanalysen von systemkritischen Arbeiten aus der DDR, Stellung1 Wenn auch Einflüsse des „Prager Frühlings" auf die Verfassungsgebung von 1967/68 nachgewiesen werden können — siehe K a p i t e l Β I I 2 —, so doch nicht bei den hier zu erörternden grundsätzlichen Fragen. 2 Die auf dem V I I . SED-Parteitag von 1967 erfolgten Veränderungen u n d Zusätze am Parteistatut beziehen sich nicht auf die hier referierten Sachverhalte. Demnach gelten die Aussagen zur innerparteilichen Demokratie von 1963 auch f ü r den Untersuchungszeitraum 1968. Z u den Veränderungen u n d Zusätzen von 1967 siehe: Protokoll der Verhandlungen des V I I . Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 4. Bd., Berlin-Ost 1967, S. 294 ff.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung f ü r die DDR

nahmen von DDR-Bürgern zu den Prager Ereignissen sowie eine empirische Überprüfung bei, ob das politische Systemmodell der DDRFührung während des Untersuchungszeitraums von selten der Bevölkerung Zustimmung fand. A m Ende des Kapitels soll letztlich anhand von Äußerungen der politischen Elite der DDR selbst geklärt werden, wie sie den „Prager Frühling" im Hinblick auf das eigene politische System bewertete, und weshalb sie zu einem solchen Urteil kam. I. Politisches Systemmodell der DDR Kennzeichnend für das politische Systemmodell der DDR ist vor allem das Prinzip des demokratischen Zentralismus, das laut offiziellem DDR-Verfassungskommentar „die Einheit von zentraler staatlicher Leitung in den Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit der Eigeninitiative und der schöpferischen Mitgestaltung der Bürger, ihrer Gemeinschaften und der örtlichen Staatsorgane" fordert 1 . Diese, dem Grundsatz der Volkssouveränität scheinbar verpflichtete Definition, verdeckt aber völlig die dominierende politische Stellung der marxistischleninistischen Arbeiterpartei der DDR, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), wie sie i m Verfassungstext enthalten ist. Die DDRVerfassung von 1968 schreibt, unter Verzicht auf eine Gewaltenteilung, allein der SED die führende Rolle i m politischen System zu 2 . Darüber hinaus verschweigt die oben gegebene Definition das in der Verfassung festgelegte konstitutive sozialistische Herrschaftsziel, durch das die dominierende politische Machtstellung der SED i n erster Linie legitimiert werden soll 3 . Beides muß allerdings bei einer verfassungsrechtlichen Analyse der Grundzüge des politischen Systems der DDR i m M i t telpunkt der Betrachtung stehen 4 . 1. Uneingeschränktes

Machtpotential

der

SED-Führung

A r t i k e l 1 der DDR-Verfassung spricht der SED als Partei und somit vermeintlich allen ihren Mitgliedern die Führungsrolle i m politischen System zu, ohne daß dabei eine Differenzierung der Einflußmöglichkeiten vorgenommen wird. Eine ungleiche Verteilung der Partizipations1

V e r f K o m m I I , S. 45. A r t . 1 Abs. 1 S. 2 DDV. 3 Ebd.; Präambel DDV. 4 Außer dem offiziellen Verfassungskommentar der DDR sei hier an grundlegender L i t e r a t u r genannt: Dietrich Müller-Römer, Grundgesetz (wie A n m . 11); Herwig Roggemann, Die Verfassung der DDR. Entstehung, Analyse, Vergleich, Text, Opladen 1970; Siegfried Mampel, Verfassung (wie A n m . 11). 2

I. Politisches Systemmodell der D D R

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chancen ist bei einer i m Frühjahr 1967 1,77 Millionen Mitglieder und Kandidaten zählenden Partei 5 jedoch allein schon aufgrund dieser großen Zahl zu vermuten. Gemäß dem Parteistatut der SED von 1963 ist der Parteitag das höchste Parteiorgan, das i n der Regel nur einmal i n vier Jahren einberufen w i r d 6 . Die faktische Macht des Parteitags muß aber als begrenzt angesehen werden, einmal wegen des langen zeitlichen Abstands zwischen den Tagungen, zum anderen wegen der großen Teilnehmerzahl; so waren zum Beispiel auf dem V I I . SED-Parteitag von 1967 2098 Delegierte abstimmungsberechtigt 7 . Das vom Parteitag gewählte Zentralkomitee (ZK) 8 ist bei der Formulierung von grundsätzlichen politischen Zielen als einflußreicher anzusehen, da es zwischen den Parteitagen das höchste Organ der SED darstellt 9 . Mindestens einmal i n sechs Monaten hält das Z K eine Plenartagung ab 1 0 , zu der i n der Zeit nach dem V I I . SED-Parteitag 131 M i t glieder und 50 Kandidaten geladen wurden 1 1 . Auch hier ist die immer noch große Zahl von Mitgliedern und Kandidaten einer effektiven A r beit hinderlich. Aus diesem Grund wählt das Z K „zur politischen Leitung der Arbeit des Zentralkomitees zwischen den Plenartagungen das Politbüro; zur Leitung der laufenden Arbeit, hauptsächlich zur Durchführung und Kontrolle der Parteibeschlüsse und zur Auswahl der Kader, das Sekretariat" 1 2 . Nach dem V I I . SED-Parteitag gehörten dem Politbüro fünfzehn Mitglieder und sechs Kandidaten an; die Zahl der ZK-Sekretäre betrug zehn 13 . Die politische Gleichrangigkeit beider Organe läßt sich unter anderem aus der Parteilehre von Wladimir Iljitsch Lenin ableiten 1 4 . Sie spiegelt sich heute vor allem i n der Tatsache wider, daß die 5

Protokoll (wie A n m . A/2, 2. Bd.), S. 176. Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 1. A u f l . Berlin-Ost 1963, Ziffer 34. Seit dem V I I I . SED-Parteitag von 1971 erfolgt seine Einberufung n u r einmal i n fünf Jahren: Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 13. A u f l . Berlin-Ost 1972, Ziffer 34. 7 Protokoll (wie A n m . A/2, 2. Bd.), S. 176. 8 Statut (wie A n m . A1/6, 1. Aufl.), Ziffer 38 c. 9 Ebd., Ziffer 39. 10 Ebd., Ziffer 40. 11 Protokoll (wie A n m . A/2, 2. Bd.), S. 288 ff. H i e r werden die Mitglieder u n d Kandidaten des Z K namentlich aufgeführt. 12 Statut (wie A n m . A1/6, 1. Aufl.), Ziffer 41. 18 Protokoll (wie A n m . A/2, 2. Bd.), S. 306 f. H i e r sind die Namen der Gew ä h l t e n veröffentlicht. 14 W.I.Lenin unterschied schon i m Jahre 1902 zwei gleichrangige Führer der Partei: Den ideologischen Part übertrug er dem damaligen K P - Z e n t r a l organ „ I s k r a " , als praktischen Führer bezeichnete er das Zentralkomitee: 6

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung f ü r die D D R

einflußreichsten SED-Mitglieder i n der Regel dem Politbüro und dem ZK-Sekretariat angehören 15 . Während des Zeitraums zwischen den Sitzungen des Zentralkomitees können die Mitglieder des Politbüros und die ZK-Sekretäre Beschlüsse fassen, die für alle untergeordneten Parteiorgane verbindlich sind, da laut Parteistatut „straffe Parteidisziplin zu üben" und jede „Fraktionsmacherei und Gruppenbildung" verboten sind 1 6 . Diese „Leninschen Normen des Parteilebens" 17 , einschließlich des Rechts der Kaderauswahl, gestatten sogar beiden Gremien, das Zentralkomitee und den Parteitag zu Akklamationsforen zu degradieren. Voraussetzung hierfür ist die Einheitlichkeit der politischen Anschauungen unter den Mitgliedern des Politbüros und des ZK-Sekretariats. Nur bei einer derartigen Ubereinstimmung können diese Parteiorgane die ihnen übertragene Aufgabe maximal erfüllen, eine politische Homogenität der SED-Mitglieder und aller Parteigremien anzustreben. Die Herstellung einer politischen Homogenität hat in letzter Konsequenz zur Folge, daß i n der SED keine anderen Meinungen, als die von der Parteiführung offiziell geduldeten, artikuliert werden dürfen und die Vorschläge des Politbüros wie des ZK-Sekretariats zur personellen Zusammensetzung der eigenen sowie anderer Organe allgemeinverbindlichen Charakter haben 18 . Nur wenn einmal innerhalb der Parteielite verschiedene Auffassungen zu einer bestimmten politischen Frage bestehen sollten, was auch durch eine strenge Auslese der führenden Parteifunktionäre nie ganz auszuschließen ist, können das Zentralkomitee und andere Parteigremien einen gewissen realen und nicht nur beratenden Einfluß auf die Parteiführung nehmen 19 . Dieser Einfluß w i r d allerdings meist nicht allzu groß sein, denn eines der von Lenin aufgestellten Organisationsprinzipien der K P heißt strengste Konspiration. Dieses Prinzip fordert die Beilegung Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben (1902), i n : W. I. Lenin, Werke, 6. Bd., 6. A u f l . Berlin-Ost 1973, S. 228. 15 Seit dem I X . SED-Parteitag von 1976 sind gar alle ZK-Sekretäre M i t glied oder K a n d i d a t des Politbüros: Protokoll der Verhandlungen des I X . Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 2. Bd., Berlin-Ost 1976, S. 207. 16 Statut (wie A n m . A1/6, 1. Aufl.), Präambel und Ziffer 23. 17 Ebd., Präambel. Vgl. W. I. Lenin, Ursprünglicher E n t w u r f der Resolution des X . Parteitags der K P R über die Einheit der Partei (1921), i n : ders., Werke, 32. Bd., 5. A u f l . Berlin-Ost 1972, S. 245 ff. 18 Nach W. I. Lenin soll die Parteiführung ihre Mitglieder durch Kooptation bestimmen: Brief (wie A n m . AI/14), S. 243. Eckart Förtsch sieht die A u f nahme ins Z K praktisch als alleinige Angelegenheit der Parteiführung an: D i e SED, Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1969, S. 115. 19 Peter Christian Ludz spricht v o m Z K als einem Koordinations-, Transformations- u n d Konsultationsgremium; dies stellt den Normalfall dar: Parteielite (wie A n m . 7), S. 93 ff.

I. Politisches Systemmodell der D D R

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von politischen Streitfragen innerhalb der Parteielite, falls solche dort vorhanden sind 2 0 . I n diesem Zusammenhang kommt dem A m t des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED, trotz der grundsätzlichen Kollektivität der Führung 2 1 , ein besonderes politisches Gewicht zu 2 2 . Die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, daß die der SED verfassungsrechtlich übertragene alleinige Führungsrolle i m politischen System der DDR vom Politbüro und ZK-Sekretariat i n Anspruch genommen wird. Die mächtigsten Organe der Partei sind folglich auch die mächtigsten i m Staat, bedeutender als alle Staats- und Wirtschaftsorgane, die anderen politischen Parteien der DDR sowie die gesellschaftlichen Organisationen. Letztere dienen lediglich der Transmission und der Durchführungskontrolle für die von der SED-Führung gefaßten Beschlüsse23. Die über ein uneingeschränktes Machtpotential verfügenden Mitglieder und Kandidaten des SED-Politbüros sowie die Sekretäre des Z K können daher i m weiteren Verlauf dieser Studie zu Recht als die politische Elite oder Führungsschicht der DDR bezeichnet werden. Dies schließt allerdings nicht aus, daß sie Entscheidungen, Durchführungs- und Kontrollaufgaben an nachgeordnete politische Ebenen delegieren. I n der Praxis ist eine vollkommene Inanspruchnahme des uneingeschränkten Herrschaftspotentials durch die politische Elite schon allein aufgrund der begrenzten Kapazität der zentralen Gremien nicht möglich. Hingegen dürfen grundsätzliche Entscheidungen i n zentralen politischen Fragen und deren Durchführungskontrolle von ihr erwartet werden. 2. Totalitäre

Zielsetzungen

Der Herrschaftsanspruch der SED beruht, wie bereits oben dargelegt, vor allem auf dem i n der DDR-Verfassung festgelegten Ziel, die gesellschaftliche Epoche des Sozialismus unter Führung der marxistischleninistischen Partei der Arbeiterklasse zu verwirklichen. So hat die SED getreu der Leninschen Weisung den Auftrag, alle DDR-Bürger zu 20 Siehe: W.I.Lenin, Was tun? (1902), i n : ders., Werke, 5.Bd., 6. A u f l . B e r lin-Ost 1973, S. 498. 21 Statut (wie A n m . A1/6, 1. Aufl.), Präambel. 22 Seit dem I X . SED-Parteitag von 1976 w i r d denn auch außer dem P o l i t büro u n d dem ZK-Sekretariat der „Generalsekretär des Zentralkomitees", so die geänderte offizielle Bezeichnung, v o m Z K unmittelbar gewählt: Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin-Ost 1976, Ziffer 42. 23 Vgl. zum Beispiel: Georg Brunner, K o n t r o l l e i n Deutschland. Eine U n tersuchung zur Verfassungsordnung i n beiden Teilen Deutschlands, K ö l n 1972, besonders S. 426; Dieter Schuster, Die deutschen Gewerkschaften seit 1945,· Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1973, S. 127; Roderich Külbach / Helmut Weber, Parteien i m Blocksystem der DDR. F u n k t i o n u n d A u f b a u der L D P D u n d der NDPD, K ö l n 1969, passim.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die D D R

„sozialistischen P e r s ö n l i c h k e i t e n " z u e r z i e h e n 2 4 . D i e V e r f a s s u n g g e h t also d a v o n aus, daß a l l e i n die S E D die M e r k m a l e des „ n e u e n sozialistischen M e n s c h e n t y p u s " k e n n t oder g a r selbst besitzt, w a s diese l e g i t i m i e r e n soll, d e n ü b r i g e n M i t g l i e d e r n d e r Gesellschaft e i n neues gesellschaftliches W e r t s y s t e m , das des M a r x i s m u s - L e n i n i m u s , als a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h z u o k t r o y i e r e n . D a b e i l i e g t es n i c h t i n der Entscheid u n g des e i n z e l n e n B ü r g e r s , a m A u f b a u des Sozialismus t e i l z u n e h m e n . E r w i r d d a z u verfassungsrechtlich g e z w u n g e n , „ w e i l passives V e r h a l t e n n a c h t e i l i g f ü r die eigene P e r s ö n l i c h k e i t s e n t f a l t u n g ist, w e i l es d i e E n t w i c k l u n g d e r Gesellschaft u n d seines K o l l e k t i v s , seiner M i t b ü r g e r b e einträchtigt"25. D i e E r z i e h u n g z u „sozialistischen P e r s ö n l i c h k e i t e n " geschieht v o r a l l e m d u r c h d i e f ü r a l l e B ü r g e r bestehende P f l i c h t , die i n d e r D D R V e r f a s s u n g niedergeschriebenen G r u n d r e c h t e i n A n s p r u c h z u n e h m e n 2 6 , w o b e i a l l e G r u n d r e c h t e a n die sozialistischen „ G r u n d s ä t z e u n d Z i e l e der V e r f a s s u n g " g e b u n d e n s i n d 2 7 . D i e i n der D D R - V e r f a s s u n g ausgesprochene p o l i t i s c h e E n t m ü n d i g u n g des B ü r g e r s veranschaulichen besonders die ehemals v o r s t a a t l i c h e n Freiheitsrechte. So d ü r f e n beispielsweise die G r u n d r e c h t e a u f M e i 24

Vgl. A r t . 25 Abs. 1, 2, 3 DDV. Es w a r W. I . Lenin, der für die Mitglieder der K P die „ständige Pflicht des Vortrupps" betonte, „ i m m e r breitere Schichten auf das Niveau dieses Vortrupps zu heben": E i n Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904), i n : ders., Werke, 7. Bd., 6. Aufl. Berlin-Ost 1973, S.258. Karl Marx u n d Friedrich Engels hatten zwar bereits zuvor den Kommunisten die höchste „Einsicht i n die Bedingungen, den Gang u n d die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung" unterstellt, jedoch leiteten sie hieraus, i m Gegensatz zu Lenin, keinen allgemeinen Erziehungsauftrag ab: „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien . . . Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen". Siehe: Manifest der Kommunistischen Partei (1848), i n : dies., Ausgewählte Schriften i n zwei Bänden, l . B d . , 22. Aufl. Berlin-Ost 1974, S. 37 f. 25 V e r f K o m m I I , S. 52. 26 Z u r Einheit von Recht u n d Pflicht: ebd., S. 13 f.; Eberhard Poppe, Der Verfassungsentwurf und die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger, i n : Staat und Recht, 17. Jg. (1968) Heft 4, S. 532 ff. 27 Siehe Abschnitt I I Kap. 1 DDV. Auch w e n n bei manchen Grundrechten ihre Bindung an die sozialistische Zielsetzung der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt w i r d , ist sie aufgrund der Präambel u n d des A r t . 1 D D V dennoch vorhanden. Z u r F u n k t i o n des sozialistischen Rechts als ein dynamisches, wandelbares u n d parteiisches Herrschaftsinstrument ohne rechtsstaatliche Sicherheitsgarantien für das I n d i v i d u u m : Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Rechtsauffassung i m kommunistischen Staat, München 1967, S. 13 ff.; Walther Rosenthal, Die Justiz i n der Sowjetzone. Aufgaben, Methoden u n d Aufbau, Bonn/Berlin-West 1962, S. 12 ff. Uber die sozialistische Aufgabenstellung der Grundrechte i n der DDR arbeiteten u. a.: Dietrich Müller-Römer, Die G r u n d rechte i n Mitteldeutschland, K ö l n 1965; Peter-Claus Burens, Die politische F u n k t i o n der Grundrechte i n der DDR, i n : Der Staat, 13. Bd. (1974) Heft 2, S. 169 ff.

I. Politisches Systemmodell der D D R

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nungs- und Pressefreiheit (Art. 27) sowie Versammlungs- (Art. 28) und Vereinigungsfreiheit (Art. 29) nur in der Weise wahrgenommen werden, daß sie den sozialistischen Herrschaftszielen entsprechen 28 . Verstöße hiergegen, d. h. „revanchistische Propaganda", werden i n der DDR „als Verbrechen geahndet" 2 9 . Indem der Verfassungskommentar Freiheit als Einsicht i n scheinbar vorgegebene „objektive Gesetzmäßigkeiten" der gesellschaftlichen Entwicklung hin zum Sozialismus interpretiert 3 0 , verlieren diese Grundrechte die ihnen seit der Aufklärung zugunsten des Individuums zugewiesene Abwehr- und Schutzfunktion gegenüber dem Staat. Die Grundrechtsinhalte degenerieren zu der rechtsverbindlichen Forderung nach politischer Integration und Unterordnung eines jeden Bürgers unter den Willen der SED-Führung. Den gleichen instrumentalen Charakter haben das Grundrecht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung (Art. 21) sowie die hieraus unter anderem abgeleiteten Bestimmungen über das politische Wahlrecht (Art. 22) und über ökonomische Partizipationsrechte (Art. 41 ff.). Wenn das Grundrecht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung den Bürgern auch scheinbar große Partizipationsmöglichkeiten eröffnet, so gewährleistet es als sozialistisch zweckgebundenes Recht lediglich freiwillige Konsultationen durch die politische Elite und läßt Diskussionen über die Ausführungsmethoden der von der Parteiführung verbindlich festgelegten politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ideologischen Ziele zu 3 1 . Die Wahlen ermöglichen den Bürgern folglich keinen Einfluß auf die Grundsatzentscheidungen der SED. Sie sind pseudodemokratische Akklamationen für eine Einheitsliste und sollen dadurch zu einer Identifizierung der Bürger i m sozialistischen Sinn beitragen 3 2 . Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln, bestehend „als gesamtgesellschaftliches Volkseigentum, als genossenschaftliches Ge28 Vgl. V e r f K o m m I I , S. 9 ff. Speziell zum Recht auf Meinungs- u n d Pressefreiheit: Eberhard Poppe, Das Grundrecht der Meinungs- u n d Pressefreiheit i n der sozialistischen Verfassung der DDR, i n : Neue Justiz, 23. Jg. (1969) Heft 12, S. 353 ff. Z u r Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise des Rechts auf Glaubens- u n d Gewissensfreiheit (Art. 20 Abs. 1 S. 2 u n d A r t . 39) siehe K a p i t e l Β I I 2. 29 A r t . 6 Abs. 5 DDV. Vgl. § 106 Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik v o m 12. Januar 1968, G B l D D R 1968, Teil I Nr. 1, S. 1. 30 V e r f K o m m I I , S. 17. 81 Vgl. Dietrich Müller-Römer, Gesellschaftspolitische Vorstellungen i m DDR-Verfassungsrecht, i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 10, S. 1028. 32 Hierzu ausführlich unter Beachtung des Wahlgesetzes u n d der W a h l ordnung der D D R : Peter-Claus Burens, F u n k t i o n (wie A n m . AI/27), S. 170 f. Vgl. Herbert Graf / Günther Seiler, W a h l u n d Wahlrecht i m Klassenkampf, Berlin-Ost 1971, S. 151 ff. u n d 227 ff.; Hermann-Otto Leng, Die allgemeine W a h l i m bolschewistischen Staat. Theorie, Praxis, Genesis, Meisenheim 1973, S. 71 ff.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die D D R

meineigentum werktätiger Kollektive sowie als Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger" 3 3 , und die den Betriebsangehörigen von der Verfassung vermeintlich gewährte große Eigenverantwortung 3 4 eröffnen den Bürgern ebenfalls keine wirklichen Freiräume für persönliche Einflußnahmen. Die Erfüllung der von den zentralen Wirtschaftsverwaltungsorganen festgelegten volkswirtschaftlichen Ziele besitzt oberste Priorität 3 5 . So sind zum Beispiel auch die Mitbestimmungsrechte der Einheitsgewerkschaft der DDR an die Gestaltung der von der SED definierten sozialistischen Gesellschaft gebunden 3 6 . Als soziale Grundrechte werden i n der DDR-Verfassung das Recht auf Arbeit (Art. 24), das Recht auf Bildung (Art. 25 und Art. 26) sowie das Recht auf Freizeit und Erholung (Art. 34) gewährt. Auch u m die Gesundheit ihrer Bürger (Art. 35) ist die politische Elite bemüht, um das Wohlergehen der alten Menschen (Art. 36) und der Familien (Art. 37 und Art. 38). Außerdem w i r d der sozialistischen Planwirtschaft unterstellt, daß sie „die Nutzung des Volkseigentums m i t dem Ziel des höchsten Ergebnisses für die Gesellschaft" garantiere 3 7 . I n allen diesen Aussagen dokumentiert sich ein weiterer Versuch der Legitimierung der SED-Herrschaft. Ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und materiellem Wohlstand w i r d dem einzelnen Bürger dabei als Ausgleich für den Mangel an individuellen Freiheitsrechten zugesagt. Die Realisierung des rechtlich nicht einklagbaren 3 8 sozialen Grundrechtskatalogs ist allerdings, wie i n anderen Staaten, von der w i r t schaftlichen Lage der DDR und somit nicht zuletzt von der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Arbeitnehmer abhängig. Demgemäß lautet denn auch das „sozialistische Prinzip" i n der DDR-Verfassung: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" 3 9 . Der bei der Grundrechtsanalyse nachgewiesenen Integration i m Innern entspricht eine Abgrenzung der DDR gegenüber allen Staaten, die nicht die gleichen orthodox marxistisch-leninistischen Prinzipien vertreten, also vor allem gegenüber den liberal-demokratischen bzw. „imperialistischen" Staaten des Westens einschließlich der Bundesrepublik Deutschland 40 . Eine allseitige Zusammenarbeit ist laut DDR33

A r t . 10 Abs. 1 DDV. Vgl. A r t . 41, A r t . 42 Abs. 1, A r t . 46 Abs. 1 DDV. 35 A r t . 9 Abs. 3 D D V 3e A r t . 44 Abs. 3 S. 1 DDV. 37 A r t . 12 Abs. 2 S. 1 u n d 2 D D V . 38 Den Demonstrativcharakter der Grundrechte u n d den Mangel an durchsetzbaren Ansprüchen gegenüber dem Staat betont u. a. : Klaus Westen, Die neue Verfassung der DDR, i n : Europa-Archiv, 23. Jg. (1968) Heft 17, S. 649 f. 39 A r t . 2 Abs. 3 S. 3 DDV. 40 Vgl. Präambel DDV. 34

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Verfassung nur m i t der Hegemonialmacht UdSSR und den anderen Ein-Parteien-Diktaturen Osteuropas möglich 4 1 , zumal das Bekenntnis zum „sozialistischen Internationalismus" 4 2 der Erziehung der DDRBürger zu „sozialistischen Persönlichkeiten", der Wahrung der Eigenstaatlichkeit der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und somit der Legitimierung der SED-Herrschaft förderlich erscheinen muß. Der i n der Verfassung der DDR von 1968 enthaltene Auftrag, die Spaltung Deutschlands zu überwinden, ist folgerichtig dem Ziel der Verwirklichung des Sozialismus i n ganz Deutschland untergeordnet 4 3 und einer Politik der Abgrenzung nicht hinderlich. Die vorangegangenen Darlegungen erlauben es, das i n der DDR-Verfassung enthaltene sozialistische Herrschaftsziel inhaltlich näher zu bestimmen. Die Verfassung beschreibt den Sozialismus als eine geschlossene Gesellschaftsordnung, i n der ein Meinungspluralismus einerseits, Passivität oder politisches Desinteresse andererseits nicht geduldet werden. Sie leugnet demnach, unter Vernachlässigung der anthropologischen Forschungsergebnisse 44 und durch Verabsolutierung der Möglichkeiten moderner Kommunikationsmittel, die der unverfügbaren menschlichen Natur eigene Spontaneität wie Individualität und strebt den Sozialismus, in enger Anlehnung an Wladimir Iljitsch Lenin, als kollektivistische Gesellschaftsordnung an. Die Realisierung dieser Ordnung durch die SED-Führung w i r d als Vorstufe zu der von K a r l Marx und Friedrich Engels prophezeiten, jedoch als pseudoreligiöser Utopismus zu bezeichnenden politischen Selbsterlösung des Menschen i n der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft angesehen 45 . Das Ziel der vollkommenen Aufhebung der gesellschaftlichen Entfrem41 A r t . 6 Abs. 2, A r t . 7 Abs. 2 DDV. Siehe auch: Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit u n d gegenseitigen Beistand zwischen der Volksrepublik Albanien, der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Volksrepublik Polen, der R u m ä n i schen Volksrepublik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken u n d der Tschechoslowakischen Republik v o m 14. M a i 1955, G B l DDR 1955, T e i l I Nr. 46, S. 382; Statut des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe v o m 14. Dezember 1959, G B l DDR 1960, T e i l I Nr. 29, S. 284. 42 A r t . 6 Abs. 2 D D V . 43 Präambel, A r t . 8 Abs. 2 DDV. Vgl. V e r f K o m m I, S. 204 f. u n d 313 f. 44 Der Nachweis der Spontaneität w i e der I n d i v i d u a l i t ä t des Menschen w i r d i n erster L i n i e von der Sozialanthropologie w i e der Humangenetik (speziell: psychologische Genetik) erbracht. Siehe dazu die den neuesten Forschungsstand referierenden Ausführungen von: Ilse Schwidetzky, Sozialanthropologie, i n : Gerhard Heberer/Ilse Schwidetzky/Hubert Walter (Hg.), Anthropologie, F r a n k f u r t - M a i n 1959 (Neuausgabe 1970), S. 253 ff.; Heinz Heckmann, Anlage u n d U m w e l t als Ursache von Intelligenzunterschieden, i n : Franz E. Weinert et al. (Hg.), Pädagogische Psychologie, Bd. 1, F r a n k f u r t - M a i n 1974, S. 275 ff. 45 Z u r politischen Emanzipationstheorie bei Karl Marx u n d Friedrich Engels siehe vor allem: Manifest (wie A n m . A1/24), S. 45.

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dungserscheinungen muß utopisch genannt werden, weil dem Menschen außer der Spontaneität und der Individualität auch die Sozialität und die dieser innewohnenden unaufhebbaren Herrschaft von Menschen über Menschen von Natur aus zu eigen sind 4 6 . Da die i n der Geschichtsphilosophie des Marxismus-Leninismus enthaltenen kollektivistischen und kommunistischen Menschenbilder den anthropologischen Erkenntnissen widersprechen und zudem unvereinbar sind, w i r d es i n der Ein-Parteien-Diktatur der DDR zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung immer Konflikte grundsätzlicher A r t geben. Das heißt, ein solches politisches System w i r d von Seiten der eigenen Bevölkerung keine Legitimierung finden. Der zwangsläufig auch für die SED zu einer Leerformel gewordene geschichtsphilosophische Auftrag 4 7 , zunächst den Sozialismus und später den Kommunismus zu verwirklichen, dient der politischen Elite letztlich nur als ein fragwürdiges A l i b i zur Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Diesen Selbstzweck sollen die von den Bürgern erzielten ökonomischen bzw. die ihnen vom Staat gewährten sozialpolitischen Leistungen einerseits sowie die von der Führungsschicht betriebene Abgrenzungspolitik vom Westen und Hinwendung zum Ostbündnis andererseits unterstützen. Ideologien, die eine Transformation der menschlichen Natur zum Ziel haben und einer Gruppe oder einem einzelnen hierfür ein rechtlich uneingeschränktes Machtpotential zubilligen, erhalten i n der Politikwissenschaft allgemein das A t t r i b u t totalitär 4 8 . So hat Martin Drath bei seiner verfassungsnormativen Analyse des politischen Systems der DDR dessen dynamische Natur, „ein neues gesellschaftliches Wertungssystem durchzusetzen, das bis i n die ,Metaphysik' hinein fundiert ist", denn auch als das „Primärphänomen des Totalitarismus" 48 Z u r K r i t i k an der Emanzipationstheorie grundlegend: Eric Voegelin, Wissenschaft, P o l i t i k u n d Gnosis, München 1959. 47 Das Leerformelhafte der heute oft pragmatisch ausgelegten Ideologie betont: Peter Christian Ludz, E n t w u r f einer soziologischen Theorie totalitär verfaßter Gesellschaft, i n : ders. (Hg.), Studien u n d Materialien zur Soziologie der DDR (Kölner Zeitschrift f ü r Soziologie u n d Sozialpsychologie, Sonderheft 8), 2. A u f l . Opladen 1971, S. 34 ff. 48 Z u m grundlegenden I n h a l t des Totalitarismuskonzepts w i e zu unterschiedlichen Auffassungen i n instrumentellen Detailfragen siehe die Monographien von Friedrich, Brzezinski, Arendt. Die kontrovers geführte Diskussion der sechziger u n d siebziger Jahre dokumentieren die Sammelwerke von Seidel, Jenkner, Funke: Carl J. Friedrich / Zbigniew K. Brzezinski, Totalitarian Dictatorship and Autocracy, 2. A u f l . Cambridge-Mass. 1965; Hannah Arendt , Elemente u n d Ursprünge totaler Herrschaft, F r a n k f u r t - M a i n 1958; Bruno Seidel / Siegfried Jenkner (Hg.), Wege der Totalitarismusforschung, 3. Aufl. Darmstadt 1974; Manfred Funke (Hg.), Totalitarismus. E i n Studien-Reader zur Herrschaftsanalyse moderner Diktaturen, Düsseldorf 1978. Z u m heutigen Stand der Forschung siehe die Beiträge von Peter Graf Kielmansegg u n d K a r l Dietrich Bracher i m Sammelband von Manfred Funke.

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erkannt 4 9 . Entgegen der Meinung vieler K r i t i k e r des Totalitarismuskonzepts fügt die SED-Führung nicht „prinzipiell zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten nur die Geltung der Autorität hinzu" 5 0 . Sie sucht i m Gegenteil sozio-ökonomische Belange zu reglementieren. Auch ist der pauschale V o r w u r f nicht haltbar, der Totalitarismusbegriff sei i m Zeichen des Kalten Krieges politisiert worden 5 1 . Vielmehr dient der i n den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zum ersten Mal verwandte heuristische Begriff damals wie heute zur Erhellung der Strukturprinzipien „sowohl rechter wie linker Diktaturen i m Unterschied zum politischen Prozeß i n pluralistisch verfaßten Mehrparteiendemokrat i e n " 5 2 . Das politische System der DDR kann folglich zu Recht als totalitär verfaßt typisiert werden. Π. Politisches Ideengut des „Prager Frühlings" 1 Die intellektuellen Ursprünge der Prager Reformbewegung reichen bis i n das Jahr 1956 zurück 2 . Damals leitete der Erste Sekretär des Z K der KPdSU und sowjetische Ministerpräsident, Nikita Chruschtschow, mit seiner Rede auf dem zwanzigsten Parteitag der KPdSU die Phase der Entstalinisierung i n Osteuropa ein 3 , d. h. einer partiellen Dezentralisierung und Liberalisierung des gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Lebens 4 . Trotz der noch i m gleichen Jahr erfolgten, von 49 Martin Drath, Totalitarismus i n der Volksdemokratie, V o r w o r t zu: Ernst Richert, Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat i n der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 2. A u f l . Köln/Opladen 1963, S. X X V I I . 50 Ebd., S. X X V . Peter Christian Ludz gehört zu den ersten Wissenschaftlern, die einen Wandel der totalitären zur autoritären Herrschaft i n der DDR zu beobachten glauben: E n t w u r f (wie Anm. AI/47), passim. 51 So vor allem: Martin Jänicke, Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffes, Berlin-West 1971, K a p i t e l 2. 52 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche D i k t a t u r . Entstehung, S t r u k t u r u n d Folgen des Nationalsozialismus, 2. A u f l . Köln/Berlin-West 1969, S. 533. 1 Aus der Vielzahl der hierzu veröffentlichten Studien sei zu Beginn die w o h l umfangreichste, historisch-chronologische w i e fachlich-systematische Aspekte berücksichtigende A r b e i t genannt: H. Gordon Skilling, Czechoslovakia's Interrupted Revolution, Princeton 1976. Eine umfassende Bibliographie zu diesem Themenbereich stellen zusammen: Zdenëk Hejzlar / Vladimir V. Kusin, Czechoslovakia 1968—1969. Chronology, Bibliography, Annotation, New York/London 1975. 2 Siehe: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 1; Vladimir V. Kusin, The I n t e l lectual Origins of the Prague Spring. The Development of Reformist Ideas i n Czechoslovakia 1956—1967, London 1971; Jifi Pelikan , Das Echo des X X . P a r teitages der K P d S U i n der Tschechoslowakei, i n : Reinhard Crusius / Manfred W i l k e (Hg.), Entstalinisierung. Der X X . Parteitag der K P d S U u n d seine F o l gen, F r a n k f u r t - M a i n 1977, S. 165 ff. 8 Der Redetext findet sich u.a. abgedruckt als: Chruschtschows „Geheimrede" v o m 25. Februar 1956, Nachdruck (dt.) i n : Reinhard Crusius / Manfred W i l k e (Hg.), Entstalinisierung (wie A n m . A I I / 2 ) , S. 487 ff.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

Chruschtschow u n b e a b s i c h t i g t e n , o f f e n e n I n f r a g e s t e l l u n g der t o t a l i t ä r v e r f a ß t e n p o l i t i s c h e n Systeme Polens u n d U n g a r n s d u r c h d e r e n B e v ö l k e r u n g 5 , h i e l t er a n seiner P o l i t i k i m G r u n d s a t z fest. B i s z u seinem S t u r z i m J a h r e 1964 b r a c h t e das d e n osteuropäischen S t a a t e n größere i n n e n - u n d außenpolitische F r e i r ä u m e gegenüber der s o w j e t i s c h e n H e g e m o n i a l m a c h t 6 . Diese V e r s e l b s t ä n d i g u n g s t e n d e n z e n w u r d e n d u r c h d e n ideologischen K o n f l i k t zwischen der U d S S R u n d d e r V o l k s r e p u b l i k C h i n a noch v e r s t ä r k t 7 . Gleiches b e w i r k t e n die A n f a n g der sechziger J a h r e zwischen d e n U S A u n d der U d S S R a u f d e r G r u n d l a g e des t e r r i t o r i a l e n S t a t u s q u o i n E u r o p a e i n g e l e i t e t e P o l i t i k der O s t - W e s t E n t s p a n n u n g 8 s o w i e d i e sich h i e r a n o r i e n t i e r e n d e B o n n e r O s t p o l i t i k u n t e r d e n B u n d e s a u ß e n m i n i s t e r n G e r h a r d Schröder u n d W i l l y B r a n d t 9 . I n n e n p o l i t i s c h w a r e n f ü r die CSSR d i e i n t e r n a t i o n a l e S c h r i f t s t e l l e r k o n f e r e n z ü b e r die E n t f r e m d u n g i m W e r k F r a n z K a f k a s , die 1963 auf Schloß L i b l i c e b e i P r a g s t a t t f a n d 1 0 , s o w i e der angesichts a k u t e r W i r t schaftsprobleme ab 1964 z u n e h m e n d e politische E i n f l u ß v o n Ö k o n o m e n , w i e O t a S i k 1 1 , w i c h t i g e Ereignisse a u f d e m W e g z u m „ P r a g e r F r ü h l i n g " . 4 Vgl. Reinhard Crusius/Manfred Wilke (Hg.), Entstalinisierung (wie A n m . A I I / 2 ) , passim; Richard Löwenthal, V o n der gelenkten Revolution von oben zur spontanen Evolution von unten, i n : ders. / Boris Meissner (Hg.), Sowjetische Innenpolitik. Triebkräfte u n d Tendenzen, Stuttgart/B erlin-West/Köln/ Mainz 1968, S. 122 ff. 8 Siehe z.B.: Dokumente: Polen u n d Ungarn 1956, i n : Reinhard Crusius/ Manfred W i l k e (Hg.), Entstalinisierung (wie A n m . A I I / 2 ) , S. 98 ff.; dies., Polen u n d Ungarn 1956. Eine Dokumentation, i n : ebd., S. 82 ff. 6 Z u m Polyzentrismus i n Ost u n d West zu jener Zeit: Gerhard Wettig, Europa zwischen U S A u n d UdSSR, i n : W i n f r i e d Böttcher / Alexander Steininger / Günther Unser (Hg.), Das große Dreieck: Washington-MoskauPeking, Stuttgart 1971, S. 112 f. 7 Wu Chen-ts fai, Der K o n f l i k t Moskau-Peking u n d seine Auswirkungen auf Osteuropa, i n : A l f r e d Domes (Hg.), Osteuropa u n d die Hoffnung auf Freiheit, K ö l n 1967, S. 111 ff. 8 Hierzu vor allem: Erhard Forndr an, Probleme der internationalen A b rüstung. Die internationalen Bemühungen u m Abrüstung und kooperative Rüstungssteuerung 1962—1968, F r a n k f u r t - M a i n / B e r l i n - W e s t 1970; Hans-Adolf Jacobsen, Z u r Einleitung, i n : ders. / Wolf gang M a l l m a n n / Christian Meier (Hg.), Sicherheit u n d Zusammenarbeit i n Europa (KSZE). Analyse u n d D o k u mentation, K ö l n 1973, S. 11 ff. 9 Siehe z . B . : Karl Kaiser, German Foreign Policy i n Transition. Bonn between East and West, London 1968; Boris Meissner (Hg.), Die deutsche Ostpolitik 1961—1970. K o n t i n u i t ä t u n d Wandel. Dokumentation, K ö l n 1970; Richard Löwenthal, V o m kalten K r i e g zur Ostpolitik, i n : ders. / Hans-Peter Schwarz (Hg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1974, S. 665 ff.; Peter-Claus Burens, Grundzüge der Ost- und Deutschlandpolitik der Bonner Großen K o a l i t i o n (1966—1969), i n : Saeculum, 27. Jg. (1976) Heft 1, S. 109 ff. 10 Die dort gehaltenen Referate sind publiziert als: Franz K a f k a aus Prager Sicht 1963, hg. von der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, Prag 1965 (dt.). 11 So erstellte Ota Sik, Direktor des ökonomischen Instituts an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, 1964 i m A u f t r a g der KPTsch

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A n f a n g 1968 z w a n g schließlich d e r insbesondere seit 1967 v o n S c h r i f t s t e l l e r n 1 2 , S t u d e n t e n u n d d e m s l o w a k i s c h e n B e v ö l k e r u n g s t e i l ausgehende politische D r u c k d e n seit 1953 i m A m t b e f i n d l i c h e n E r s t e n S e k r e t ä r des Z K der K P T s c h , A n t o n i n N o v o t n y , z u m R ü c k t r i t t 1 3 . Dies geschah, o b w o h l N o v o t n y ebenso w i e die neue sowjetische F ü h r u n g u n t e r d e m G e n e r a l s e k r e t ä r des Z K der K P d S U , L e o n i d B r e s c h n e w 1 4 , a k t i v e B e f ü r w o r t e r des o r t h o d o x e n M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s w a r e n 1 5 . A l e x a n d e r D u b c e k , der f ü r o r d n u n g s p o l i t i s c h e R e f o r m e n zugängliche, w e n n g l e i c h sie n u r b e d i n g t selbst i n i t i i e r e n d e E r s t e S e k r e t ä r des Z K d e r K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i der S l o w a k e i u n d M i t g l i e d des P a r t e i p r ä s i d i u m s der K P T s c h 1 6 , w u r d e a m 5. J a n u a r als N a c h f o l g e r v o n A n das für die reformsozialistische Wirtschaftskonzeption grundlegende W e r k : Plan u n d M a r k t i m Sozialismus, Wien 1967 (dt.). Z u r ökonomischen E n t w i c k lung der CSSR zu Beginn der sechziger Jahre: ders., Tschechoslowakei, i n : Hermann Gross (Hg.), Osteuropa — Wirtschaftsreformen, Bonn/Bruxelles/ New Y o r k 1970, S. 47. 12 Gerade hierüber gibt es eine Anzahl von Monographien: Duëan Hamsik, Writers against Rulers, London 1971; Franz Peter Künzel, Reformzwang und Reformdrang der CSSR-Schriftsteller, i n : A l f r e d Domes (Hg.), Reformen und Dogmen i n Osteuropa, K ö l n 1971, S. 137 ff. Die zunehmende Politisierung der tschechoslowakischen Schriftsteller zeigt sich vor allem während des Schriftstellerkongresses von 1967: Milan Kundera et al., Reden zum I V . Kongreß des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes — Prag, J u n i 1967, F r a n k f u r t M a i n 1968 (dt.). 13 Eine Gegenüberstellung der verschiedenen Gruppen bringen: JiU Pelikan, E i n F r ü h l i n g der nie zu Ende geht. Erinnerungen eines Prager K o m m u nisten, F r a n k f u r t - M a i n 1976 (dt.), S. 199 ff.; Pelikan w a r von 1963 bis 1968 Generaldirektor des Tschechoslowakischen Fernsehens, 1968 zudem Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der tschechoslowakischen Nationalversammlung. — Ludëk Pachmann, Was i n Prag w i r k l i c h geschah. Illusionen u n d Tatsachen aus der Ä r a Dubcek, Freiburg-Breisgau 1978, S. 19 ff.; Pachmann hat sich ursprünglich als tschechoslowakischer Großschachmeister einen Namen gemacht. — Jifi Kosta, A b r i ß der sozialökonomischen Entwicklung der Tschechoslowakei 1945—1977, F r a n k f u r t - M a i n 1978, S. 114 ff.; Kosta arbeitete von 1962 bis 1968 als Mitarbeiter des von Ota Sik geleiteten ö k o n o m i schen Instituts an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. 14 Siehe hierzu u. a.: Boris Meissner, Die Sowjetunion unter Breshnjew u n d Kossygin. Die Rolle der UdSSR heute, i n : A l f r e d Domes (Hg.), Osteuropa (wie A n m . A I I / 7 ) , S. 49 ff.; Miche l Tatù , Macht u n d Ohnmacht i m K r e m l . V o n Chruschtschow zur kollektiven Führung, F r a n k f u r t - M a i n / B e r l i n - W e s t 1968 (dt.); Wolf gang Leonhard, Sowjetische I n n e n p o l i t i k seit Chruschtschows Sturz, i n : Richard Löwenthal / Heinrich Vogel (Hg.), Sowjetpolitik der 70er Jahre. Wandel u n d Bewährung, Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1972, S. 55 ff. Zur Person von Leonid Breschnew: John Dornberg, Breschnew. Profil des H e r r schers i m K r e m l , München 1973 (dt.); Michael Morozow, Leonid Breschnew. Biographie, Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1973 (dt.). 15 Die Zustimmung Breschnews zur Absetzung A n t o n i n Novotnys erfolgte offensichtlich i m Glauben, der i n der UdSSR erzogene Alexander Dubcek werde an der Alleinherrschaft der KPTsch festhalten: Vgl. John Dornberg, Breschnew (wie A n m . A I I / 1 4 ) , S. 239 f. 16 Z u r Person von Alexander Dubcek siehe: Deryck Viney, Alexander D u b cek, i n : Studies i n Comparative Communism, V o l . 1 (1968) No. 1/2, S. 17 ff.; William Shawcross, Dubcek. Der Mann, der die Freiheit wollte, München/ 3 Burens

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tonin Novotny zum obersten Repräsentanten der KPTsch gewählt. I m nachfolgenden Zeitraum, dem „Prager Frühling", lag der Höhepunkt der CSSR-Reformbewegung i m Bereich der politischen Theorie wie in der sich daraus entwickelnden Praxis. So wurde seit dem personellen Revirement i n der KPTsch, das sich i n zwei Etappen vollzog und zwar i m Januar sowie i m März und A p r i l 1968, der Gedanke einer Überwindung des ehedem totalitär verfaßten politischen Systems der CSSR von der Partei selbst mehrheitlich verteidigt 1 7 . Die militärische Intervention von fünf Warschauer-Pakt-Staaten (Bulgarien, DDR, Polen, UdSSR, Ungarn) am 21. August 1968 bewirkte jedoch die abrupte Beendigung des Prager Reformkurses, auch wenn er beispielsweise von den Gewerkschaften und der Arbeiterschaft erst jetzt, und bis i n das Jahr 1969 hinein, ernsthaft unterstützt wurde 1 8 . Bei der Konzipierung eines neuen politischen Systemmodells für die CSSR wurden zur Zeit des „Prager Frühlings" verschiedene Vorstellungen i n die Diskussion eingebracht. Boris Meissner arbeitet aus der Vielzahl der vorgebrachten Reformvorschläge zwei politische Grundmodelle heraus 1 9 : a) das von der Mehrheit der Parteiführung unter Alexander Dubcek v e r tretene Modell, auch als konstitutionelle Einparteiherrschaft zu bezeichnen; b) das überwiegend von Reformsozialisten, d. h. CSSR-Intellektuellen (und Wirtschaftsexperten, P. B.), artikulierte inoffizielle Modell, das auf einen dem Sozialismus verpflichteten parlamentarischen Mehrparteienstaat hinausläuft.

Eine strikte Trennung zwischen beiden Modellen zu ziehen, würde allerdings den Prager Reformvorstellungen nicht gerecht werden. So Zürich 1970 (dt.); Michael Stepanek-Stemmer, Der wahre Dubcek. Woran der Prager F r ü h l i n g scheiterte, K ö l n 1978. Stepanek-Stemmer w a r i n den Jahren 1945 bis 1968 persönlicher Pressereferent von L u d v i k Svoboda, der i m März 1968 zum Staatspräsidenten der CSSR gewählt wurde. 17 Siehe: Aktionsprogramm der KPTsch, passim. Vgl. Otrid Pustejovsky, I n Prag kein Fenstersturz, München 1968, S. 51 ff. 18 Hierzu: Wolf Oschlies, Demokratisierungsprozeß u n d Herrschaftstechnik i n Partei u n d Gewerkschaften der Tschechoslowakei, Trittau-Holstein 1970, S. 91 ff. Anne Bodner spricht demnach zu Recht von einer „geistigen G r u n d s t r u k t u r " , die von Januar 1968 bis A p r i l 1969 durchgängig gleichgeblieben sei: Die Ä r a Dubcek. Untersuchungen zum Prager Reformkommunismus 1968/ 69, Diss. Erlangen/Nürnberg 1971, T e i l I. 19 Boris Meissner, Moskauer Orthodoxie u n d Reformkommunismus, i n : A l f r e d Domes (Hg.), Reformen (wie A n m . A11/12), S. 32 ff. Dabei übersieht er allerdings die große Bedeutung von Wirtschaftsexperten wie Ota Sik bei der Entwicklung u n d letztlich Durchsetzung des inoffiziellen Reformmodells. Dementsprechend t r i f f t der von Meissner verwandte Begriff des Reformkommunismus zwar auf viele tschechoslowakische Intellektuelle zu, nicht aber ζ. B. auf Ota Sik (siehe K a p i t e l A I I 1), u n d ist so als Sammelbegriff für die Vertreter des inoffiziellen Modells untauglich.

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war das Aktionsprogramm der KPTsch vom 5. A p r i l 1968 durch Kompromisse der verschiedensten Konzeptionen gekennzeichnet 20 . Auch läßt sich die Tendenz nachweisen, daß sich das von der Parteiführung vertretene, offizielle Reformmodell dem weiterreichenden, inoffiziellen annäherte. Viele Massenmedien hatten sich seit Anfang 1968 aus ihrer politischen Abhängigkeit von der KPTsch gelöst 2 1 und wollten sich auch i n außenpolitisch prekären Lagen nicht i n eine erneute Dependenz begeben 22 . Ohne die großen Bedenken der späteren Interventionsstaaten hinsichtlich der Eigendynamik eines spontanen, nicht von der KPTschFührung kontrollierten sozialistischen Reformprozesses 23 zu sehen oder sehen zu wollen, unterstrichen sie vielmehr ihre Eigenständigkeit durch die Verbreitung von Forderungen nach Errichtung eines parlamentarischen Mehrparteienstaates. So war beispielsweise i m Wochenblatt des tschechoslowakischen Schriftstellerverbands „Literarni listy" vom 25. A p r i l 1968 zu lesen 24 : „Das Gespräch, das A . Dubcek f ü r das einzig zweckmäßige hält, das Gespräch darüber, wie die Führungsrolle der Partei realisiert werden könne, k a n n ohne die Diskussion über das Bestehen selbst und den Sinn dieser Führungsrolle nicht gut stattfinden".

U m die Unterstützung der von den Massenmedien politisierten eigenen Bevölkerung gegenüber den Anhängern eines orthodox verstandenen Marxismus-Leninismus i m I n - wie Ausland vorweisen zu 20 Vgl. Vladimir Klokoöka, Demokratischer Sozialismus. E i n authentisches Modell, H a m b u r g 1968, S. 77; zur Person von Klokocka siehe nächste Seite. Radoslav Selucky, Reformmodell CSSR. E n t w u r f einer sozialistischen M a r k t wirtschaft oder Gefahr für die Volksdemokratien?, Reinbek bei H a m b u r g 1969, S. 7; Selucky w a r 1968 Dozent an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Prager Hochschule. 21 Als zusammenfassende Analyse sei empfohlen: „Svoboda". Die Presse i n der Tschechoslowakei 1968, hg. v o m Internationalen Presseinstitut, Zürich 1969. 22 So auch noch i m Zeitraum nach der Konferenz von Preßburg v o m 3. August 1968: Vgl. Christian Schmidt-Häuer / Adolf Müller, V i v a Dubcek. Reform u n d Okkupation i n der CSSR, K ö l n / B erlin-West 1968, S. 103; Richard Löwenthal, The Sparrow i n the Cage, i n : Problems of Communism, Vol. 17 (1968), No. 6, S. 20. 23 I n diesem Sinn von den späteren Invasoren formuliert i n : Gemeinsamer Brief an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, i n : ND, Nr. 197, v o m 18. J u l i 1968, S. 1. 24 ο. V., Diskussion m i t Grenzen, i n : L L , N r . 9, vom 25. A p r i l 1968, Nachdruck (dt.) i n : Josef Skvorecky, Nachrichten aus der CSSR. Dokumentation der Wochenzeitung „ L i t e r ä r n i l i s t y " des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes. Prag, Februar—August 1968, F r a n k f u r t - M a i n 1968, S. 325 f. Vgl. auch Vladimir Klokoöka, Renaissance der Macht, i n : L L , Nr. 4, v o m 21. März 1968, Nachdruck (dt.) i n : ebd., S. 98 ff.; Vaclav Havel, Z u m Thema Opposition, i n : L L , Nr. 6, v o m 4. A p r i l 1968, Nachdruck (dt.) i n : ebd., S. 108 ff.

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können 2 5 , sahen sich die Vertreter des offiziellen Modells gezwungen, ihre Haltung weniger stark zu artikulieren. Besonders nach Erhalt des Warschauer Briefs vom 15. J u l i 1968, der von den KP-Führungen der späteren fünf Interventionsstaaten verfaßt wurde und massive K r i t i k am reformerischen Ideengut des „Prager Frühlings" enthielt 2 6 , war eine größtmögliche innenpolitische Geschlossenheit gegenüber den orthodoxen politischen Gegnern erforderlich. Aus diesem Grund erfolgte denn wohl auch durch die KPTsch-Führung eine stillschweigende Duldung der i n den Massenmedien vertretenen weiterreichenden Reformpläne zum politischen System, möglicherweise sogar eine A n näherung der eigenen Standpunkte 2 7 . Sichtbarer Ausdruck hierfür war die Berufung von Vladimir Klokocka, einem maßgeblich vom politischen Ideengut der Kommunisten Italiens, Jugoslawiens und Frankreichs inspirierten Anhänger des parlamentarischen Mehrparteienstaats 28 , zum Vorsitzenden der Regierungskommission für die Ausarbeitung des neuen politischen Systems der CSSR i m Sommer 1968 29 . Die Berichterstattung i n den meisten tschechoslowakischen Massenmedien, nicht zuletzt auch die Berufung von Vladimir Klokocka zum Vorsitzenden der genannten Kommission wie die damit verbundenen günstigen Realisierungschancen für die weiterreichende reformsozialistische Konzeption ermöglichen es, den parlamentarischen Mehrparteienstaat mit sozialistischer Zielsetzung als das bedeutendste politische Systemmodell des „Prager Frühlings" anzusehen. Anhand der i m nächsten Abschnitt erfolgenden Darstellung dieses einen, bis auf seine sozialistische Zielsetzung mit westlichen Verfassungsordnungen großteils identischen Prager Modells 3 0 soll denn auch nach Heraus25 Das Dilemma der KPTsch-Führung, den Anforderungen der eigenen Bevölkerung w i e denjenigen der UdSSR genügen zu müssen, beschreiben anschaulich: Hugh Lunghi I Paul Elio, Dubcek's Blueprint for Freedom, London 1969, S. 334; William Shawcross, Dubòek (wie A n m . A I I / 1 6 ) , S. 218. 26 Gemeinsamer Brief (wie A n m . A I I / 2 3 ) , S. 1. 27 Hierfür steht der Name des Ersten Sekretärs des Z K der KPTsch, Alexander Dubcek, beispielhaft. Vgl. dazu vor allem die Aussagen des Sekretärs des Z K der KPTsch (1968): Zdenëk Mlynär, Nachtfrost. Erfahrungen auf dem Weg v o m realen zum menschlichen Sozialismus, K ö l n / F r a n k f u r t - M a i n 1978 (dt.), S. 128 ff. Siehe auch: Ivan Svitäk, Verbotene Horizonte. Prag z w i schen zwei Wintern, Freiburg-Breisgau 1969, S. 162 f.; Heinz Brahm, Der K r e m l u n d die CSSR 1968—1969, Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1970, S. 42 f. — Vladimir Horsky, ein ehemaliger Mitarbeiter von Mlynär, gibt die „unerwartete Lernfähigkeit" der Anhänger des offiziellen Modells als H a u p t grund für die Annäherung dieser Politiker an das Modell des parlamentarischen Mehrparteienstaats an: Prag 1968. Systemveränderung u n d Systemverteidigung, Stuttgart/München 1975, S. 85; er unterschätzt bei dieser I n t e r pretation die Zwänge, i n denen sich die KPTsch-Führung befand. 28 Siehe: Vladimir Klokocka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , besonders S. 50. 29 Ebd., letzte Seite des Bucheinbands.

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forderungen gefragt werden, die sich angesichts des „Prager Frühlings" für das totalitär verfaßte politische System der DDR ergeben konnten. Die von tschechoslowakischen Reformsozialisten 1968 eingenommenen, insbesondere die DDR betreffenden außenpolitischen Positionen sind unter dem gleichen Gesichtspunkt anschließend zu erörtern. 1. Innenpolitischer

Aspekt: Sozialistischer

Pluralismus

Ausgangspunkt des reformsozialistischen Ansatzes ist die Erkenntnis, daß heute i n jeder Industriegesellschaft, also auch i n den osteuropäischen Staaten, Entfremdung des Arbeiters bezüglich seiner Produktion bzw. des Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Existenz besteht 31 . Der Philosoph Radovan Richta, Mitglied des Z K der KPTsch von 1968 bis 1971 und maßgeblich an der Erarbeitung der parteioffiziellen Dokumente zur Zeit des „Prager Frühlings" beteiligt 3 2 , sieht i n der Beschleunigung der wissenschaftlich-technischen Revolution und i n den damit notwendigerweise einhergehenden großen Bildungsanstrengungen 33 die Möglichkeit, diese Entfremdung aufzuheben. I n der wissenschaftlich-technischen Revolution, worunter Richta einen zwischen Mensch und Natur eingeschobenen eigenständigen technischen Produktionsprozeß versteht, bei dem die Wissenschaft durch die Entwürfe für hochautomatisierte Maschinen unmittelbare Produktivkraft erlangt 3 4 , soll der Mensch nämlich zu großen schöpferischen Tätigkeiten befähigt werden. Laut dem von Radovan Richta mitgeprägten Parteiprogrammentwurf der KPTsch vom August 1968 sind i n der sozialistischen Gesellschaftsordnung dabei zunächst die durch privatwirtschaftlich-kapitalistische Eigentums- und Produktionsverhältnisse 80 Vgl. Boris Meissner, Orthodoxie (wie A n m . A I I / 1 9 ) , S. 48. Dies rechtfertigt aber nicht die Bezeichnung des Reformsozialismus i n der CSSR als „Demokratischen Sozialismus" u. a., werden doch dadurch die unleugbaren Unterschiede zur Sozialdemokratie verwischt. 31 Hierzu der Vorsitzende des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbands (1968) u n d Professor für Germanistik an der Prager Karls-Universität beim Abschluß der Kafka-Konferenz von 1963: Eduard Goldstücker, Zusammenfassung der Diskussion, i n : Franz K a f k a (wie A n m . A11/10), S. 282. Ebenso die 1966 unter dem T i t e l „Zivilisation am Scheideweg" zum ersten M a l veröffentlichte interdisziplinäre Studie von: Radovan Richta et al. (Hg.), RichtaReport. Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution auf die Produktionsverhältnisse, F r a n k f u r t - M a i n 1971 (dt.), S. 207 f. 32 So am Aktionsprogramm der KPTsch u n d am Parteiprogrammentwurf der KPTsch, die beide i n wesentlichen Punkten auf der Studie fußen: Radovan Richta et al. (Hg.), Richta-Report (wie A n m . A I I / 3 1 ) . 33 Radovan Richta et al. (Hg.), Richta-Report (wie A n m . A I I / 3 1 ) , S. 156 ff. 34 Ebd., S. 31 f. Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/g.

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entstandenen Klassengegensätze zu überwinden; i m Kommunismus würde durch die Befreiung des Menschen von „dem Joch der Arbeitsteilung" 3 5 schließlich eine vollkommene Übereinstimmung von individuellem mit kollektivem Interesse erreicht 3 6 . Von der Wissenschaft als Produktivkraft erhoffen sich demnach Radovan Richta und die offiziellen Parteidokumente solch große ökonomische Produktionssteigerungen 3 7 , die zusammen mit strukturellen Veränderungen i m W i r t schaftssystem eine gänzliche Befriedigung der existierenden menschlichen Bedürfnisse 38 und letztlich die „Befreiung des Menschen von gesellschaftlichen und materiellen Bedingungen" ermöglichen 39 . I m Gegensatz hierzu verneint Ota Sik, Mitglied des Z K der KPTsch von 1962 bis 1969 und stellvertretender Ministerpräsident der CSSR zur Zeit des „Prager Frühlings", die Möglichkeit, die Entfremdung des Menschen vollkommen aufheben zu können. Indem er sich ausdrücklich als Sozialist bezeichnet und die Benennung Kommunist für sich ablehnt 4 0 , verwirft Sik die anthropologische Prämisse von Radovan Richta wie eines Großteils der KPTsch-Führung, nach der letztlich alle Menschen zu einer aktiven Gestaltung ihres Lebens i n der Weise erziehbar sind, daß individuelle und gesellschaftliche Interessen übereinstimmen 4 1 . Die bereits bei der Erörterung des politischen Systems der DDR geäußerte K r i t i k an der Vernachlässigung der Spontaneität und Individualität des Menschen ist hier zu wiederholen. Als Sozialist sieht Ota Sik lediglich einen partiellen Abbau von privatwirtschaftlichkapitalistischen Entfremdungserscheinungen durch strukturelle volkswirtschaftliche Veränderungen als möglich an 4 2 . Auch dabei ist allerdings vor der Annahme zu warnen, daß, nach allem was die Anthropologie erforscht hat, das menschliche Bewußtsein von einem einzigen, dem ökonomischen Faktor allein beeinflußt w i r d 4 3 . 35

Parteiprogrammentwurf der KPTsch, besonders Ziffer C/g. Ebd., Ziffer B. Vgl. Radovan Richta et al. (Hg.), Richta-Report (wie A n m . A I I / 3 1 ) , S. 132. 87 Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/f; Radovan Richta et al. (Hg.), Richta-Report (wie A n m . A I I / 3 1 ) , S. 193 f. 38 Parteiprogrammentwurf der KPTsch, besonders Ziffer C/g. 39 Ebd., Ziffer C/b. Vgl. Radovan Richta et al. (Hg.), Richta-Report (wie A n m . A I I / 3 1 ) , S. 307. 40 So i n der Fernsehsendung „Report" der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) v o m 27. August 1973. 41 Z u r K r i t i k des Menschenbilds i m Richta-Report: Kurt Marko, Pragmatische Koexistenz — Partnerschaft von Ost u n d West? Der Staatssozialismus i m Wandel von der Reformutopie zum Defensivrealismus, Stuttgart 1973, S. 34. 42 Ota Sik, Der dritte Weg. Die marxistisch-leninistische Theorie u n d die moderne Industriegesellschaft, H a m b u r g 1972, S. 122 f. 43 Siehe hierzu die Arbeiten von: Ilse Schwidetzky, Sozialanthropologie (wie A n m . A 1/44), S. 253 ff.; Heinz Heckmann, Anlage (wie A n m . A 1/44), S. 275 ff. 38

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Ungeachtet der über die Möglichkeiten zur Aufhebung der Entfremdung bestehenden Meinungsverschiedenheiten stimmen alle reformerischen Gruppen i n der ÖSSR darin überein, daß bei dem Versuch, die Entfremdung zu überwinden bzw. die Entfremdungserscheinungen zu verringern, die einseitige Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv nicht angestrebt werden soll. Gemäß den in den offiziellen Parteidokumenten von 1968 beschworenen humanistischen Grundsätzen der KPTsch w i r d das konkrete Individuum vielmehr i n den Mittelpunkt des ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Lebens gestellt 4 4 . I m Gegensatz zur monistischen Konzeption des Sozialismus i n totalitär verfaßten politischen Systemen hat demnach ein pluralistisches Modell Priorität. Daß dieser Grundsatz unter den Prager Reformern allgemeine Geltung besitzt, belegen die vielfältigen realen Mitbestimmungsmöglichkeiten für den einzelnen, wie sie der sozialistische Pluralismus gewährt: a) hinsichtlich der Produktionsentscheidungen der Betriebe, sei es als K o n sument oder unmittelbarer Produzent; b) hinsichtlich der P o l i t i k des Staates u n d — bei einer Mitgliedschaft — der KPTsch, entweder als Bürger oder Parteimitglied.

Ota Sik stellt das Zusammenwirken von Sozialismus und Pluralismus i m volkswirtschaftlichen Bereich als eine „Synthese der zentralen makroökonomischen Planung mit dem Marktmechanismus" dar 4 5 . Zur Verdeutlichung der reformsozialistischen Konzeption trägt der W i r t schaftswissenschaftler Radoslav Selucky bei, wenn er das neue ökonomische System der CSSR wie folgt definiert 4 6 : „Der innere Mechanismus ist der M a r k t m i t dem Wertgesetz, der äußere Mechanismus das Recht (d. h. die Wirtschaftspolitik der Regierung, P. B.) ; verbindliche Grundlage für diese beiden Regulationsmechanismen ist der staatliche Entwicklungsplan der Volkswirtschaft".

Damit alle sozialen und volkswirtschaftlichen Belange i m staatlichen Entwicklungsplan Berücksichtigung finden, fordert Ota Sik, daß er von einem politisch unabhängigen, aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gebildeten Wirtschaftsrat aufzustellen sei 47 . Das Aktionsprogramm der KPTsch w i l l darüber hinaus eine demokratische Kontrolle bei der Ausarbeitung des Perspektivplans durch die tschechoslowakische Nationalversammlung sowie eine Fachkontrolle durch wissenschaftliche Institutionen garantiert wissen 48 . 44 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 2; Partedprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/k; Statutenentwurf der KPTsch, Präambel. 45 Ota Sik, Fakten der tschechoslowakischen Wirtschaft, Wien/München/ Zürich 1969, S. 16 f. 46 Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A11/20), S. 87. 47 Ota Sik, Tschechoslowakei (wie A n m . A11/11), S. 57. 48 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6.

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Als Richtschnur zur Verwirklichung makroökonomischer und sozialer Ziele hat der Entwicklungsplan laut Sik die „ungefähren quantitativen Globalaufgaben" zu beschreiben 49 , die von der Regierung als wirtschaftspolitisches Programm verfolgt 5 0 und aufgrund ihres demokratischen Zustandekommens von der gesamten Bevölkerung als ihre eigene Sache angenommen würden 5 1 . Verbindliche Plan- oder Sortimentsauflagen für die Produktionsbetriebe w i l l der führende Wirtschaftsreformer der CSSR nicht festgelegt wissen, da er die Planung einer effizienten, notwendigerweise höchst arbeitsteiligen Volkswirtschaft von nur einem Zentrum bis ins mikroökonomische Detail für nicht möglich hält, auch falls elektronische Datenverarbeitungsmethoden dazu verwandt werden 5 2 . Damit spricht er sich, ebenso wie die offiziellen Parteidokumente der KPTsch, gegen einen in den Staaten Osteuropas anzutreffenden übergroßen Bürokratismus und für eine Dezentralisierung der W i r t schaftsentscheidungen aus 53 . Er w i l l dazu die extensive Wachstumspolitik der ehedem totalitär verfaßten CSSR durch eine intensive, sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierende ersetzen 54 ; erstere ermöglicht zwar quantitative Erfolge, sie kann aber nicht qualitative Probleme hochentwickelter Industriestaaten, wie die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und -qualität, die Senkung der Produktionskosten sowie die Angleichung von Warenangebot und -nachfrage, lösen 55 . I n Übereinstimmung mit den offiziellen Verlautbarungen der KPTsch treten Ota Sik, Radoslav Selucky und andere Reformsozialisten für autonome, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeitende Produktionsbetriebe ein 5 6 , die einerseits die Preise ihrer Produkte gemäß den Ware-Geld-Beziehungen und andererseits die Arbeitslöhne ihrer Mitarbeiter entsprechend dem erzielten betrieblichen Gewinn wie der individuellen Leistung eines jeden Arbeitnehmers selbst festlegen 57 . 49 Ota Sik, Der S t r u k t u r w a n d e l der Wirtschaftssysteme i n den osteuropäischen Ländern, Zürich 1971, S. 12. Vgl. Jifi Kosta, A b r i ß (wie A n m . A I I / 1 3 ) , S. 138 f. 50 So: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 5. 51 Vgl. ebd., S. 6; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 88. 52 Ota Sik, S t r u k t u r w a n d e l (wie A n m . A II/49), S. 17. 53 Siehe: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 1 f.; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e. 54 Ota Sik, Plan (wie A n m . A I I / 1 1 ) , S. 94 f. Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/g. 55 Hierzu z.B.: Ota Sik, Tschechoslowakei (wie A n m . A I I / 1 1 ) , S. 47 f.; Jifi Kosta, Abriß (wie A n m . A I I / 1 3 ) , S. 147. 56 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e; Ota Sik, Tschechoslowakei (wie A n m . A I I / 1 1 ) , S. 50f.; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 86 f. 57 Den Zusammenhang von Produktionstätigkeit, betrieblichem Bruttoeinkommen und Entlohnungsfonds erläutert: Ota Sik, Plan (wie Anm. A I I / 1 1 ) , S. 212. Vgl. ders., Fakten (wie A n m . A I I / 4 5 ) , S. 123. F ü r eine Übergangszeit

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Die Kreditgebung der Banken hat dabei nach Auffassung von Sik soziale und volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen zu fördern, den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Betrieben zu beleben und somit die Wirtschaftsentwicklung insgesamt positiv zu beeinflussen 58 . Dies schließt laut Selucky allerdings nicht aus, daß die Regierung über indirekt wirkende wirtschaftspolitische Instrumente, wie Investitionsund Steuerpolitik, Einfluß auf die Beziehung von Angebot und Nachfrage i m Sinne der Zielsetzungen des staatlichen Entwicklungsplans n i m m t 5 9 . Die „gelenkte Nutzung" des Marktes 6 0 kennzeichnet folglich die Wirtschaftspolitik der Regierung wie den ihr als Grundlage dienenden makroökonomischen Perspektivplan. Beide haben, i m Gegensatz zum Planerfüllungsprinzip i n der DDR, den jeweiligen Marktlagen und somit den Konsumentenwünschen Rechnung zu tragen 6 1 , was zu einer Annäherung von Konsumenten- und Produzenteninteressen führen kann. Daß die Benennung der CSSR-Wirtschaftsreformen als Versuch einer sozialistischen Marktwirtschaft mit verschiedenartigen ökonomischen Partizipationsmöglichkeiten zu rechtfertigen ist, verdeutlichen die innerbetrieblichen Eigentums- und Mitbestimmungsformen. Als reformsozialistische Eigentumsform an den Produktionsmitteln muß vor allem das Kollektiveigentum einschließlich des kollektiven Kapitals angesehen werden 6 2 , was die tschechoslowakischen Reformen denn auch letztlich von den westlichen Marktwirtschaften unterscheidet. Kollektiveigentum empfiehlt Ota Sik drei Preisgruppen für die CSSR, u m eine inflationäre E n t wicklung aufgrund bestehender Divergenzen zwischen Warenangebot und -nachfrage zu vermeiden : a) zentral festgelegte Preise, b) zwischen Ober- u n d Untergrenzen l i m i t i e r t e Preise, c) Marktpreise. Siehe: ders., Tschechoslowakei (wie A n m . A11/11), S. 52 f. Entsprechend waren die Befugnisse zur betrieblichen Preisgestaltung seit 1966: Jifi Kosta, Abriß (wie Anm. A II/13), S. 145. 58 Vgl. Ota Sik, Plan (wie A n m . A11/11), S. 345; ders., Tschechoslowakei (wie A n m . A11/11), S. 57 f. 59 Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 87. Ebenso: Ota Sik, Tschechoslowakei (wie A n m . A11/11), S. 57; Jifi Kosta, A b r i ß (wie A n m . A11/13), S. 140 ff.; Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e. 80 So: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6. Ä h n l i c h : Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e. 81 Siehe vor allem: Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 92. Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6. 82 Hierzu: Aktioneprogramm der KPTsch, S. 6; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 90; Jifi Kosta, Abriß (wie A n m . A I I / 1 3 ) , S. 136 ff. Ota Sik erwägt i n diesem Z u sammenhang die Ausgabe von betrieblichen Beteiligungszertifikaten: M a r k t wirtschaft ohne Kapitalismus, i n : Wolf gang Fricke / A r n u l f Geißler (Hg.), Demokratisierung der Wirtschaft. Über die Bedeutung der Modell-Unternehmen für eine Demokratdsierungsstrategie, H a m b u r g 1973, S. 300 f. Zumindest eine Ausnahme gesteht das Aktionsprogramm der KPTsch auf Seite 6 allerdings zu, die Teilreprivatisierung von Unternehmen i m Dienstleistungsbereich, u m auftretende Versorgungslücken schneller schließen zu können.

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kann aber, wie das Negativbeispiel DDR lehrt, nur dann als real gelten, wenn dem einzelnen unmittelbaren Produzenten Partizipationsmöglichkeiten bei grundlegenden betrieblichen Entscheidungen eingeräumt werden. Der Parteiprogrammentwurf der KPTsch schlägt hierfür denn auch eine Verbindung von repräsentativen mit Elementen der Arbeiterselbstverwaltung vor 6 3 . Nach Ansicht von Radoslav Selucky sollen die Arbeiter zusammen mit sachverständigen Vertretern gesellschaftlicher Organisationen, die das überbetriebliche Konsumenteninteresse repräsentieren, die Mitglieder des Betriebsrats wählen. Dieser ist für Fragen „der Gesamtkonzeption der Betriebsentwicklung, der Verteilung der Betriebseinnahmen, der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen, der Entscheidungen über die betriebliche Sozialpolitik" zuständig. Zu seinen Aufgaben gehört außerdem die Wahl der Betriebsdirektoren, die dem Rat gegenüber für ihre laufenden unternehmerischen Entscheidungen verantwortlich sind 6 4 . U m den permanenten Einfluß der Arbeiter auf das Betriebsmanagement auch unabhängig vom Betriebsrat zu sichern, betont das Aktionsprogramm der KPTsch den Schutz der Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften; eine Transmissionsfunktion der Gewerkschaften w i r d dabei, i m Gegensatz zum orthodoxen Marxismus-Leninismus, abgelehnt 6 5 . Dem entspricht auch die Forderung nach Anerkennung des Streiks als legales Arbeitnehmerkampfmittel, die 1968 in der tschechoslowakischen Bevölkerung erhoben wurde 6 6 . Wie i m Wirtschaftsleben ist das Individuum den Reformsozialisten auch im politischen Bereich der Maßstab des Handelns. Karel Kosik, Mitglied des Z K der KPTsch von 1968 bis 1969 und Professor für Philosophie an der Prager Karls-Universität, schreibt über die Interdependenz von ökonomischer und politischer Ordnung 6 7 : „Sozialistische Demokratie ist integrale Demokratie oder überhaupt keine. Z u ihren Grundlagen gehören sowohl die Selbstverwaltung der sozialistischen Produzenten als auch die politische Demokratie der sozialistischen Staatsbürger: das eine degeneriert ohne das andere". 83

Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/e. Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 95 f. Vergleichbare Forderungen enthalten: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6; Jifi Kosta, A b r i ß (wie A n m . A I I / 1 3 ) , S. 137. 65 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6. Vgl. Wolf Oschlies, Demokratisierungsprozeß (wie A n m . A I I / 1 8 ) , S. 77 u n d 111 ff. ββ Vgl. Leopold Grünwald (Hg.), CSSR i m Umbruch, 2. A u f l . Wien 1968, S. 50. 67 Karel Kosik, Die K r i s e unserer Gegenwart, i n : L L , Nr. 7—12, v o m 11. A p r i l 1968 ff., Nachdruck (dt.) i n : Josef Skvoreck^, Nachrichten (wie A n m . 64

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W i l l man den Individuen m i t ihren unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen 68 reale Partizipationsmöglichkeiten i m politischen Bereich gewähren, so müssen ihnen allseitige und freie Chancen der Entfaltung eingeräumt werden. Die Freiheit des Denkens zur Ergründung der Wahrheit ist für den Philosophen Ivan Svitâk eine wesentliche Voraussetzung hierzu 6 9 . Daraus ergeben sich Meinungs- und Pressefreiheit, wobei letztere i n der CSSR durch eine Novelle zum Pressegesetz am 25. Juni 1968 staatsrechtlich garantiert wurde 7 0 . Zur Aufgabe der Presseorgane sagt das Aktionsprogramm der KPTsch 7 1 : „Einem werktätigen Volk, dem keine Ausbeuterklasse mehr diktiert, k a n n man nicht durch w i l l k ü r l i c h e Auslegung der Macht vorschreiben, worüber es informiert sein darf und worüber nicht, welche Ansichten es öffentlich aussprechen darf und welche nicht, wo es seine öffentliche Meinung geltend machen darf und wo nicht . . . I n der Presse muß es möglich sein, andere Ansichten als die offiziellen des Staates, der Parteiorgane und der Publizistik zu vertreten".

U m sich als Individuum eine eigene politische Meinung bilden zu können, ist der ungehinderte Zugang zu verschiedenen Informationsquellen erforderlich. Folglich w i r d i m Aktionsprogramm der KPTsch Informationsfreiheit gefordert, was eine Unterrichtung durch ausländische Massenmedien und Auslandsreisen miteinschließt 72 . Wie die Presse, so soll auch der Künstler und der Wissenschaftler 73 keinen dogmatisch-politischen Abhängigkeiten unterworfen sein, wenngleich die Mitglieder der KPTsch an die Weisungen der Partei gebunden sind 7 4 . Die offiziellen Parteidokumente fordern ferner die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit 7 5 , die Freiheit des religiösen Glaubens und der KonA11/24), S. 69. I n ähnlicher Weise: Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 53. 88 Die pluralistische S t r u k t u r der sozialistischen Gesellschaft betont vor allem: Vladimir Klokoëka , Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 41. 89 Ivan Svitâk , Horizonte (wie A n m . A I I / 2 7 ) , S. 13. 70 Dazu: Hanswilhelm Haefs, Die Ereignisse i n der Tschechoslowakei v o m 27. 6.1967 bis 18.10.1968. E i n dokumentarischer Bericht, Bonn/Wien/Zürich 1969, S. 89. 71 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 4. 72 Ebd. Z u r E n t w i c k l u n g der Z a h l der Auslandsreisen von CSSR-Bürgern hier einige Angaben über Reisen i n die Bundesrepublik Deutschland: 50 960 Personen (1966), 81 476 (1967), 107 187 (1968), 177 417 (1969), 51 298 (1970). Siehe dazu: Statistickâ Roòenka Ceskoslovenské Socialistické Republiky, hg. von Statni Statisticky Ürad, Praha 1967, S. 370 (für das Jahr 1966); ebd., Praha 1968, S. 379 (für das Jahr 1967); Statistickâ Rocenka Ceskoslovenské Socialistické Republiky, hg. von Federâlni Statisticky Ürad, Praha 1969, S. 387 (für das Jahr 1968); ebd., Praha 1970, S. 388 (für das Jahr 1969); ebd., Praha 1971, S. 402 (für das Jahr 1970). 78 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 8 f.; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/h. 74 So: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 3 f. 75 Ebd., S. 4; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/d.

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fession 76 sowie die freie Wahl des Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer 7 7 . Dieser Förderung der individuellen Entfaltung, die man auch i m Gesetz vom 25. Juni 1968 über die Rehabilitation der i m Zeitraum von 1948 bis zum 31. J u l i 1965 politisch verfolgten Bürger antrifft 7 8 , entsprechen größere reale Mitspracherechte der verschiedenen nationalen Bevölkerungsgruppen in der CSSR. A m 30. Oktober 1968 wurde das Föderalisierungsgesetz von der tschechoslowakischen Nationalversammlung verabschiedet, das den Slowaken gleiche politische Partizipationsrechte wie den Tschechen verlieh 7 9 . Den nationalen Minderheiten, den Ungarn, Polen, Ukrainern und Deutschen, gewährte das Prager Parlament durch Gesetz vom 27. Oktober 1968 weitreichende Zugeständnisse bezüglich einer eigenen kulturellen Entwicklung 8 0 . Die Anerkennung von alternativen politischen Meinungen und der Versuch, durch institutionalisierte Kontrollorgane einen Machtmißbrauch zu verhindern 8 1 , manifestiert sich vor allem in der schon i m Aktionsprogramm der KPTsch vom A p r i l 1968 enthaltenen, wenn auch dort noch unpräzis formulierten Forderung nach einer Dreiteilung der staatlichen Gewalt 8 2 . Der Legislative w i r d dabei als gesetzgebendes Organ eine Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive zuerkannt 8 3 , während die Jurisdiktion als politisch unabhängige Kraft Rechtssicherheit für die Staatsbürger zu garantieren hat 8 4 . Darüber hinaus fordert der Vorsitzende der für die Ausarbeitung des neuen politischen Systemmodells eingesetzten Regierungskommission, 76 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 4. Erste praktische Schritte hierzu beschreibt: Harry Slapnicka, Schwejk i m Wandel, Wien 1970, S. 191 ff. 77 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 6. 78 Z u m Gesetzgebungsverfahren: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie A n m . A 11/70), S. 88 f. Dokumente der vom Z K der KPTsch eingesetzten Untersuchungskommission bezüglich der politischen Prozesse i n der CSSR seit 1949 finden sich bei: Jifi Pelikan, Das unterdrückte Dossier. Bericht der K o m m i s sion des Z K der KPTsch über politische Prozesse u n d „Rehabilitierungen" i n der Tschechoslowakei 1949—1968, Wien 1970. 79 Dazu: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie Anm. A11/70), S. 38 ff. 80 Siehe: Verfassungsgesetz über die Stellung der Nationalitäten i n der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, i n : VZ, Nr. 42/43, v o m 1. N o vember 1968, S. 4. E i n halbes Jahr später erschienen dann auch: Satzungen des Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität der CSSR, i n : VZ, Nr. 18, v o m 1. M a i 1969, S. 7. 81 Dies ist vor allem das Anliegen von: Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 105 f. 82 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 5. Offen sprechen diese Forderung hingegen aus: Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A11/20), S. 44 f.; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 109 ff. 83 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 5. 84 Ebd., S. 5. Ebenso: Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 53 f.; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 110 f.

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Vladimir Klokocka, die Bildung eines Verfassungsgerichts, das unter anderem über die Zulassung von politischen Parteien i n einem parlamentarischen Mehrparteienstaat entscheiden soll. Als Zulassungsbedingung w i r d für alle Parteien die Forderung erhoben, daß sie mit den sozialistischen Herrschaftszielen konform gehen 85 . Durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen, bei denen der Wähler zwischen den zugelassenen Parteien und Kandidaten entscheiden kann, sollen die Machtverhältnisse in der Legislative periodisch neu bestimmt werden 8 6 . Dadurch bilden sich i n der tschechoslowakischen Nationalversammlung, analog zu den Parlamenten der liberal-demokratischen Staaten des Westens, Regierungs- und Oppositionsparteien. Die Opposition ist für Vladimir Klokocka ein „notwendiger, staatsbildender Faktor. Sie ist Bestandteil des natürlichen Prozesses der Integration der Gesellschaft und gleichzeitig ein Mittel der Kontrolle der herrschenden politischen Mehrheit und damit auch der Kontrolle der politischen Macht" 8 7 . Das von Klokocka vorgeschlagene Wahlsystem, ein mit begrenzter Persönlichkeitswahl verbundenes Verhältniswahlrecht 8 8 , kommt seiner Meinung nach „der bestehenden politischen Konstellation maximal entgegen und beschränkt die Risiken der führenden politischen Kraft (der KPTsch, P.B.) auf ein M i n i m u m " 8 9 . Sein Wahlsystem kann und soll allerdings machtpolitische Veränderungen nicht ausschließen. Er schreibt: „Wahlen ohne Risiko sind keine Wahlen 9 0 ." Die Macht der KPTsch ist somit vom Wählerwillen abhängig. Beim „Wettkampf um die Gunst des Volkes" 9 1 kann der Kommunistischen Partei wie allen anderen Parteien die Rolle der Regierung oder die der Opposition zufallen 9 2 . Dagegen lehnen die offiziellen Verlautbarungen der KPTsch noch Oppositionsparteien i n der CSSR ab und sehen die Nationale Front, die Dachorganisation aller politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen, 85 Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 53 f. u n d 79. Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/d; Väclav Havel, Thema (wie A n m . A I I / 2 4 ) , S. 113. 86 Vgl. Vladimir Klokocka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 71 ff. 87 Ebd., S. 79 f. Vgl. Väclav Havel, Thema (wie A n m . A I I / 2 4 ) , S. 108 ff. 88 Da die Erörterung desselben für die vorliegende Studie ohne Belang ist, sei hierzu verwiesen auf: Vladimir Klokocka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 81 ff. 89 Ebd., S. 96. 90 Ebd., S. 96. 91 Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer A/b. 92 Vgl. Vladimir Klokoöka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 52, wo er sich gegen die verfassungsrechtliche Verankerung des politischen Führungsanspruchs der KPTsch ausspricht.

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als Koordinator von verschiedenen, aber gleichberechtigten Interessen an 9 3 . Immerhin w i r d aber auch hier eine machtpolitisch stabile Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die sich i n direkten Anweisungen an staatliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Organe artikuliert, zurückgewiesen 94 . Demnach gilt die marxistische Gesellschaftsphase der Diktatur des Proletariats als beendet 95 . Der KPTsch w i r d nur noch die weithin unspezifizierte Funktion eines sozialistischen „Ideen- und Inspirationszentrums" zugestanden 96 . I n diesem Sinn können Äußerungen des Nachfolgers von Alexander Dubcek i m A m t des Ersten Sekretärs des Z K der KPTsch, Gustav Husâk, gedeutet werden, der während des „Prager Frühlings" einer der stellvertretenden Ministerpräsidenten der CSSR war. Husâk setzte sich 1968 dafür ein, daß die Leitlinien der Partei bei der Bevölkerung nicht durch Direktiven, sondern durch eine systematische Uberzeugungsarbeit und das persönliche Beispiel der Parteimitglieder verwirklicht werden 9 7 . Analog den Konsumenten und Produzenten i m ökonomischen Bereich bzw. den Bürgern i m Staat, so werden auch den Mitgliedern der Kommunistischen Partei innerhalb ihrer Organisation reale Partizipationsmöglichkeiten am politischen Entscheidungsprozeß zugebilligt. Laut dem am 10. August 1968 veröffentlichten Entwurf der neuen Parteistatuten soll die KPTsch als ein „freiwilliger Bund fortschrittlicher, politisch aktiver Angehöriger aller Gesellschaftsschichten" möglichst alle von den Bürgern artikulierten reformsozialistischen Auffassungen widerspiegeln und demnach nicht nur diejenigen der Arbeiterklasse allein 9 8 . I n demokratischen Abstimmungen 9 9 w i r d gemäß dem Statutenentwurf der KPTsch die Meinung der Mehrheit der Parteimitglieder zu bestimmten Sachfragen festgestellt, die dann auch für die Minderheit i n der 98 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 4; Statutenentwurf der KPTsch, Präambel. Gleiche Intentionen enthält die Proklamation der Nationalen Front v o m 15. J u n i 1968; dazu: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie A n m . A II/70), S. 88. 94 Vgl. Aktdonsprogramm der KPTsch, S. 3 f.; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/d. 95 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 3. Z u r D i k t a t u r des Proletariats als Herrschaftsform: Karl Marx, Z u r K r i t i k der Nationalökonomie, ökonomischphilosophische Manuskripte (1844), i n : ders., Frühe Schriften, 1. Bd., hg. von Hans-Joachim Lieber / Peter Furth, Stuttgart 1962, S. 591 f. 98 So: Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 110. 97 Gustav Husâk , U m das Vertrauen der Menschen, i n : Leopold G r ü n w a l d (Hg.), CSSR (wie A n m . A I I / 6 6 ) , S. 9 f. Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S.3. 98 Statutenentwurf der KPTsch, Präambel. Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C / l . 99 Statutenentwurf der KPTsch, A r t . 2.

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praktischen politischen Tätigkeit verbindlich ist. Dieser gesteht man allerdings das Recht zu, ihre Meinung weiterhin innerhalb der Partei vorzutragen, um dadurch erneut zu versuchen, eine Mehrheit dafür zu erlangen 1 0 0 . Das Recht auf eine andere als die offizielle Parteimeinung w i r d auch dadurch unterstrichen, daß es eines langwierigen und rechtlich kontrollierten Parteiverfahrens bedarf, um einen Ausschluß von Mitgliedern herbeizuführen 1 0 1 . Ebenso gibt das Recht zum freiwilligen Parteiaustritt 1 0 2 und das der Amtsniederlegung 1 0 3 den Mitgliedern der KPTsch eine größere Möglichkeit zur Entfaltung in der Partei und schränkt Disziplinarmaßnahmen gegen sie ein. Schließlich stärken auch noch das Verbot der Ämterkumulation und die zeitlich begrenzte Ausübung von Parteiämtern 1 0 4 die Stellung des einzelnen Mitglieds gegenüber dem Parteiapparat; die gewählten Funktionäre können nämlich den Zeitpunkt absehen, wann sie selbst wieder untergeordnete Aufgaben wahrnehmen werden. Damit sie jedoch auch während ihrer Amtszeit nicht unbegrenzt Einfluß auf untergeordnete Parteiinstanzen nehmen, unterliegt es zum Beispiel nicht ihrem Tätigkeitsbereich, Parteileitungen an der Basis oder auf mittlerer Ebene zu bestätigen oder gar abzulehnen 1 0 5 ; die Wahlentscheidung der zuständigen Gremien gilt uneingeschränkt. Aus den dargelegten wichtigsten ökonomischen und politischen Reformansätzen des „Prager Frühlings" läßt sich nunmehr ablesen, auf welche Weise sie das sozialistische Gesellschaftsziel anstreben. Der Reformsozialismus w i l l einen partiellen Abbau von menschlichen Entfremdungserscheinungen durch die Gewährung von allseitigen, realen Partizipationsmöglichkeiten verwirklichen, wozu er größtmögliche individuelle Freiheiten und kollektive Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln für unabdingbare Voraussetzungen hält. Darüber hinaus erachten es manche Reformsozialisten (hier: Reformkommunisten) wie auch die Mehrheit der KPTsch-Führung langfristig für möglich, die klassenlose kommunistische Gesellschaft ohne staatliche Ordnungsformen zu realisieren. I m Aktionsprogramm der KPTsch heißt es 1 0 6 : Es gilt „jede F o r m der Ausbeutung zu beseitigen, alle Klassengegensätze abzuschaffen, die Befreiung aller Menschen zu ermöglichen u n d gemeinsam m i t ihnen die Bedingungen des menschlichen Lebens sowie den Charakter 100

Ebd., A r t . 3. Ebd., Kap. V. 102 Ebd., A r t . 16. 103 Ebd., A r t . 19. 104 Ebd., A r t . 13. 105 E i n solches Recht fehlt i m Statutenentwurf der KPTsch. 106 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 2. Vgl. Parteiprogrammentwurf KPTsch, Ziffer B. 101

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR der menschlichen A r b e i t umzugestalten, der vollen Selbstgeltung des Menschen T ü r und Tor zu öffnen und durch all das auch sich selbst zu verändern".

Der Verwirklichung dieser Utopie stehen allerdings, wie schon mehrfach betont, unüberwindbare anthropologische Bedingungen entgegen. Das marxistische Gesellschaftsziel, das die Kommunisten i n der CSSR, in der DDR wie anderswo gemeinsam haben, ist weder über eine kollektivistische Gesellschaftsordnung mit der K P als gleichschaltendem Kontrollorgan noch über einen sozialistischen Pluralismus mit rätedemokratischen, repräsentativen und leistungsbezogenen Führungsauswahlkriterien zu erreichen. Allerdings dürften die i n Prag gewährten weitreichenden Partizipationsmöglichkeiten eher i n der Lage sein, eine Annäherung an dieses Idealbild zu erzielen. 2. Außenpolitischer Aspekt: Gleichberechtigte Partnerschaft gegenüber allen Staaten 107 Der reformsozialistischen innenpolitischen Zielsetzung entsprechend ist es die Absicht einiger Reformer, zu einer gleichberechtigten Partnerschaft der CSSR gegenüber allen Staaten i n Ost und West zu gelangen. Hierzu sehen sie einerseits einen Abbau der sowjetischen Hegemonie i m Ostbündnis als erforderlich an. Andererseits befürworten sie eine kooperative Außenpolitik vor allem gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als westlichem Nachbarstaat. Beides mußte 1968 für die politische Elite der DDR von großer innenpolitischer Bedeutung sein, widerspricht es doch den eigenen Anschauungen, und kann es zudem die Frage nach der Teilung Deutschlands aktualisieren. Das Aktionsprogramm der KPTsch vom A p r i l 1968 kündigt eine verstärkte A k t i v i t ä t der CSSR i m Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGWH) wie i m Warschauer Pakt an 1 0 8 . I m ökonomischen Bereich bedeutet dies, daß man das für den nationalen Bereich entworfene Modell einer sozialistischen Marktwirtschaft auf das Ostbündnis transponiert wissen will, wobei es Ende der sechziger Jahre insbesondere i n Jugoslawien und Ungarn bereits ähnliche Reformbestrebungen gab 1 0 9 . Das 107 Dieser Aspekt w i r d bei den meisten Arbeiten über die tschechoslowakische Erneuerungsbewegung vernachlässigt, lag doch deren Schwerpunkt zweifellos auf innenpolitischen Fragen. F ü r die hier zu untersuchende Beeinflussung innenpolitischer Entscheidungen i n der DDR durch den externen Faktor „Prager F r ü h l i n g " sind allerdings die außenpolitischen Anschauungen der CSSR-Reformsozialisten grundsätzlich als gleichbedeutend m i t den innenpolitischen anzusehen. 108 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9. 109 Hierzu u. a.: Bruno Gleitze / Karl C. Thalheim / K . Paul Hensel / Rudolf Meimberg, Der Osten auf dem Weg zur Marktwirtschaft?, Berlin-West 1967;

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Aktionsprogramm der KPTsch umschreibt diese Forderung noch etwas vage 1 1 0 : „ I n unseren Beziehungen zu den Ländern des R G W H werden w i r die Standpunkte der ökonomischen K a l k u l a t i o n und des gegenseitigen Vorteils beim Handel mehr durchsetzen".

Offen spricht sich hingegen der Wirtschaftswissenschaftler Radoslav Selucky für eine „Entwicklung der Marktbeziehungen auch innerhalb des COMECON" (synonym: RGWH) aus 1 1 1 . Die Absicht einer reformsozialistischen Umwandlung des Ostbündnisses beinhaltet wohl auch die Forderung des Leiters der 8. Abteilung des Z K der KPTsch (Verteidigung und Sicherheit), Generaloberst Väclav Prchlik, vom 15. J u l i 1968, die eine Reduzierung des personellen Übergewichts der sowjetischen Offiziere i m Oberkommando des Warschauer Pakts enthält. Prchliks Aussage nach besitzen zudem nur die Vertreter der UdSSR einen realen Einfluß i m Oberkommando, während die anderen Paktstaaten lediglich Verbindungsoffiziere stellten. Daher spricht er sich, i m Einvernehmen mit dem tschechoslowakischen Verteidigungsminister Generaloberst Martin Dzùr (1968) 112 , für einen personellen Wechsel i m Oberbefehl aus. Bei einer Neubesetzung dieser Position dürften nicht nur sowjetische Generäle Berücksichtigung finden. Die Möglichkeit der Teilnahme jedes Paktstaates an Konzeptionsentscheidungen w i l l er ferner durch die Aktivierung des Politischen Rates verbessert wissen 1 1 3 . Wie viele Reformsozialisten, so geht auch Jan Prochâzka, Mitglied des Z K der KPTsch von 1966 bis 1968 und Vizepräsident des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes (1968), irrigerweise von der Möglichkeit einer gleichberechtigten Partnerschaft souveräner Ostbündnisstaaten aus. Er setzt sich für einen allgemeinen Abbau der Hegemonialmacht der UdSSR ein, indem er die Offenlegung der zwischen der UdSSR und der CSSR ungleich verteilten ökonomischen, militärischen und sonstigen Verpflichtungen fordert 1 1 4 . Gleiche Motive können den Helmut Leipold (Hg.), Sozialistische Marktwirtschaften. Konzeptionen u n d Lenkungsprobleme, München 1975. 110 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 7. 111 Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 106. 112 Siehe die Äußerungen von Dzùr am 16. J u l i 1968 i n „Rude Pravo", bei: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie A n m . A I I / 7 0 ) , S. 149 f. 113 Hierzu der dokumentarische Bericht: ebd., S. 152. 114 Vgl. Jan Prochâzka, Solange uns Zeit bleibt, Recklinghausen 1971, S. 114. Siehe i n diesem Zusammenhang auch die außergewöhnlichen finanziellen Lasten, die von der tschechoslowakischen Volkswirtschaft zur Stärkung der kommunistischen Weltbewegung aufzubringen sind: Jan F. Τ fisi ca, Czechoslovakia and the W o r l d Communist System, i n : Miloslav Rechcigl j r . (Ed.), Czechoslovakia Past and Present, Vol. 1, The Hague/Paris 1968, S. 364 ff. 4 Bürens

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Verfassern des Aktionsprogramms wie dem Sekretär des Z K der KPTsch für Wissenschaft, K u l t u r und Massenmedien (1968/69), Cestmir Cisaf, unterstellt werden, wenn diese zwar vorsichtige, aber nicht überhörbare K r i t i k an der vor 1968 erfolgten mechanischen Übernahme des politischen Systemmodells der UdSSR durch die CSSR äußern 1 1 5 . Dieser K r i t i k stimmt Ivan Synek, ein i m Zentralkomitee der KPTsch arbeitender Funktionär, zu. Synek, der die nationalen Bedingungen eines jeden Staates bei der Verwirklichung des Sozialismus berücksichtigt wissen will, formuliert allerdings seine Bedenken gegen die übergroße Machtfülle der UdSSR unverhohlener. Er versäumt es auch nicht, dem bis 1968 durch die Partei- und Staatsführung der CSSR praktizierten „farblosen Aufguß" der sowjetischen Außenpolitik eine Absage zu erteilen 1 1 6 . Trotz dieser K r i t i k ließ die KPTsch zur Zeit des „Prager Frühlings" insgesamt 117 , wie auch zum Beispiel der Verfasser der „2000 Worte" (L. Vaculik), der zur Beschleunigung des Demokratisierungsprozesses beitragen wollte, keinen Zweifel daran, daß die CSSR an ihrem Bündnis mit der UdSSR und den anderen osteuropäischen Staaten festhalten werde 1 1 8 . Daran vermochten auch die i n Prag öffentlich geäußerten Mutmaßungen über eine sowjetische Beteiligung an der Ermordung des ehemaligen tschechoslowakischen Außenministers Jan Masaryk (1948) wie an der Verurteilung und Hinrichtung des früheren Generalsekretärs der KPTsch, Rudolf Slânski (1952), nichts zu ändern 1 1 9 . Dieser Feststellung widerspricht gleichfalls nicht, daß bei der zu beobachtenden Meinungsvielfalt in Prag unter anderem der Gedanke an eine Donauföderation der reformwilligen sozialistischen Länder CSSR, Jugoslawien, Rumänien und möglicherweise Ungarn vertreten w u r d e 1 2 0 . Neutralitätsforderungen stellten unmaßgebliche politische Kräfte nur angesichts der militärischen Intervention vom 21. August 1968 121 . Das Ziel der CSSR115

Aktionsprogramm der KPTsch, S. 1. Z u r H a l t u n g von Cisaf siehe: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie A n m . A II/70), S. 79 ff. 116 Ivan Synek, V o m spezifischen Weg zum Sozialismus, i n : Rude Pravo (Prag), Nr. 108, v o m 19. A p r i l 1968, Nachdruck (dt.) i n : Boris Meissner, Die „Breshnew D o k t r i n " . Das Prinzip des „proletarisch-sozialistischen I n t e r n a tionalismus" u n d die Theorie von den „verschiedenen Wegen zum Sozialismus". Dokumentation, K ö l n 1969, S. 96 ff. 117 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9 f.; Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer C/k; Statutenentwurf der KPTsch, Präambel. 118 Ludvik Vaculik, 2000 Worte, i n : L L , Nr. 18, v o m 27. J u n i 1968, Nachdruck (dt.) i n : Josef Skvorecky, Nachrichten (wie A n m . A II/24), S. 177. V a c u l i k w a r 1968 M i t g l i e d des Zentralkomitees des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbands. 119 Z u r Diskussion i n der CSSR: Hanswilhelm Haefs, Ereignisse (wie A n m . A II/70), S. 106 f. Siehe hierzu auch den Bericht der Kommission des Z K der KPTsch über die politischen Prozesse i n der CSSR seit 1949: Jifi Pelikan, Dossier (wie A n m . A II/78), S. 261 ff. 120 Vgl. Dietrich Möller, Der T r a u m von einer Donauföderation, i n : Außenpolitik, 20. Jg. (1969) Heft 7, S. 424 ff.

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Reformsozialisten ist demnach nicht die Aufkündigung des Ostbündnisses, sondern die Beendigung der einseitigen politischen Abhängigkeit der Tschechoslowakei gegenüber der UdSSR 1 2 2 . A u f der Grundlage der Zugehörigkeit zum Ostbündnis, die der CSSR nach Meinung ihrer politischen Führer Sicherheit gegenüber den „aggressiven Bestrebungen des Imperialismus" verspricht 1 2 3 , bekunden sie die Absicht, einen eigenen, den nationalen Interessen der CSSR entsprechenden Standpunkt zu den grundsätzlichen Fragen der Weltpolit i k zu formulieren 1 2 4 . Nicht zuletzt der Verbesserung der eigenen w i r t schaftlichen Effektivität, der Erweiterung des eigenen technischen Wissens und der Erschließung neuer Märkte wegen 1 2 5 , treten Ota Sik, Radoslav Selucky und andere Wirtschaftsreformer für eine Intensivierung der west-östlichen Handelsbeziehungen ein. Dazu gehört das Bekenntnis zu einem freien, unmittelbaren Handel der tschechoslowakischen Außenhandelsbetriebe m i t allen ihren ausländischen Partnern 1 2 6 , wozu es, nach einer allmählichen Anpassung der Binnen- an die Weltmarktpreise, der freien Konvertierbarkeit der tschechoslowakischen Währung bedürfe 1 2 7 . Auch erhofft Ota Sik finanzielle Hilfen vom Westen bei der Reform des tschechoslowakischen Wirtschaftssystems 128 , die, nach dem Ausbleiben der von der UdSSR erbetenen Auslandsanleihe 1 2 9 , nur noch durch die Gewährung einer westlichen Unterstützung realisierbar schien. Über die verstärkte ökonomische Kooperation mit den liberal-demokratischen Staaten des Westens hinaus fordert das Aktionsprogramm 121 Vgl. Adolf Müller, Die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen u n d der 21. August 1968, i n : Deutschland Archiv, 3. Jg. (1970) Heft 2, S. 145 f. 122 Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer A/d. Zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen der CSSR und der UdSSR i m Jahre 1968 siehe: Heinz Brahm, K r e m l (wie A n m . A II/27), passim. 123 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9. 124 Ebd., S. 9. Vgl. Parteiprogrammentwurf der KPTsch, Ziffer A/d. 125 So: Ota Sik, Tschechoslowakei (wie A n m . A 11/11), S. 51. 126 Ders., Fakten (wie A n m . A II/45), besonders S. 133. Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 7. 127 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 7; Ota Sik, S t r u k t u r w a n d e l (wie A n m . A II/49), S. 32 f ; Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 86. 128 Ota Sik, Fakten (wie A n m . A II/45), S. 131; ders., S t r u k t u r w a n d e l (wie A n m . A II/49), S. 32 f. 129 Die Ablehnung der von der UdSSR erbetenen Anleihe bestätigt der moskauhörige Erste Sekretär des Z K der Kommunistischen Partei der Slowakei (1968) u n d spätere Sekretär des Z K der KPTsch: Vasil Bilak, V o n Dresden bis Bratislava, i n : Horizont, 2. Jg. (1969) Heft 37, S. 7 f. Vgl. Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 107; Richard Löwenthal, Sparrow (wie A n m . A II/22), S. 10; Werner Leibacher, Auch die Wirtschaft wollte mehr Freiheit, i n : Hans K . Studer (Hg.), Tschechoslowakei — August 1968. Die Tragödie eines tapferen Volkes, Kilchberg/Zürich 1968, S. 79 f.

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der KPTsch eine „aktivere europäische Politik" der CSSR, wobei es die Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit i n Europa und somit ein friedliches Zusammenleben mit den „hoch entwickelten kapitalistischen Staaten" verwirklicht wissen w i l l 1 3 0 . Zur Realisierung dieses außenpolitischen Ziels mußte die Partei- und Staatsführung der CSSR i m Jahre 1968 einen politischen Ausgleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR fördern, denn das Deutschlandproblem war und ist ein zentraler Gesichtspunkt bei jeglicher gesamteuropäischen Entspannungspolitik 1 3 1 . Nach Aussage von Adolf Müller, einem ständigen Mitarbeiter des Instituts für internationale Politik und Ökonomie zu Prag von 1962 bis 1968, setzte sie sich daher bei ihren Verbündeten für die Wiederaufnahme der i m Herbst 1967, nach nur kurzfristiger Dauer, von Seiten der DDR abgebrochenen innerdeutschen Regierungskontakte zwischen Bundeskanzler K u r t Georg Kiesinger und Ministerpräsident W i l l i Stoph ein 1 3 2 . Dies war ihr zweifellos nur aufgrund eines ins Positive gewandelten Bildes von der Bundesrepublik möglich 1 3 3 . Nicht zuletzt dürften dazu die vermehrten Beziehungen Bonns zu Osteuropa seit Mitte der sechziger Jahre beigetragen haben, so die Errichtung von Handelsmissionen i n Warschau, Budapest, Bukarest, Sofia und zuletzt i n Prag 1 3 4 . Auch reisten Bonner Politiker, wie Bundesaußenminister W i l l y Brandts Sonderbotschafter Egon Bahr, der FDP-Vorsitzende Walter Scheel und der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt, ebenso wie der Präsident der Deut130 Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9. Das gleiche Ziel spricht Alexander Dubcek z.B. am 22. Februar 1968 an. Dazu: Otfrid Puste jovsky, Prag (wie A n m . A II/17), S. 141 f. 131 Vgl. zu dem gesamten Themenkomplex : Adolf Müller, Die H a l t u n g der CSSR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland während des Prager Demokratisierungsprozesses, i n : Osteuropa, 19. Jg. (1969) Heft 4, S. 256 ff.; ders. / Bedfich Utitz, Deutschland (wie A n m . 16), S. 151 ff. 132 Adolf Müller, Die deutsch-tschechischen Beziehungen nach dem Z w e i ten Weltkrieg, i n : Eugen Lemberg / Gotthold Rhode (Hg.), Das deutsch-tschechische Verhältnis seit 1918, Stuttgart/Berlin-West/Köln/Mainz 1969, S. 135. Z u den K o n t a k t e n selbst u n d deren Beendigung: Regina Siewert / Helmut Bilstein, Gesamtdeutsche Kontakte. Erfahrungen m i t Parteien- u n d Regierungsdialog, Opladen 1969, S. 105 ff. Z u r Deutschlandpolitik der D D R - F ü h rung zu diesem Zeitpunkt siehe auch K a p i t e l Β V I 1. 133 Hierzu: Ivan Pf äff, Kleines V o l k zwischen großen Mächten, i n : Walther Hof er (Hg.), Europa u n d die Einheit Deutschlands. Eine Bilanz nach 100 Jahren, K ö l n 1970, S. 244 ff.; Eugen Lemberg, Wandlungen i m deutsch-tschechischen Verhältnis, i n : Deutsche u n d Tschechen. Beiträge zu Fragen der Nachbarschaft zweier Nationen (Neue Folge des Stifter Jahrbuchs, Bd. I X ) , M ü n chen 1971, S. 7 ff. 134 Eine indirekte Beeinflussung der tschechoslowakischen Innen- wie Außenpolitik aufgrund der sich wandelnden Bonner Ostpolitik konstatieren: Adolf Müller, Beziehungen (wie A n m . A II/121), S. 146; Karl Kaiser, Deutsche Außenpolitik nach der tschechoslowakischen Krise von 1968, i n : EuropaArchiv, 24. Jg. (1969) Heft 10, S. 356.

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sehen Bundesbank, K a r l Blessing, i n die tschechoslowakische Hauptstadt 1 3 5 . Laut Jiri Pelikan, dem Mitglied des Z K der KPTsch und Vorsitzenden der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der Prager Nationalversammlung (1968), wurde während des Aufenthalts der SPDund FDP-Politiker sogar über die Möglichkeit gesprochen, „zum 30. Jahrestag des Münchener Diktats eine gemeinsame Erklärung des tschechoslowakischen und des westdeutschen Parlaments oder der Auswärtigen Ausschüsse zu verabschieden; sie sollte die aggressive Politik des Hitler-Regimes verurteilen und die Notwendigkeit neuer freundschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Ländern betonen" 1 3 6 . Wegen der damals juristisch und politisch noch ungelösten Frage nach der Gültigkeit des Münchener Abkommens vom 29. September 1938 „von Anfang a n " 1 3 7 sowie letztlich der militärischen Intervention i n der CSSR am 21. August 1968 konnte es hierzu allerdings nicht kommen. Indem der Bonner Ostpolitik durch die Prager Bereitschaft zum bilateralen Gespräch eine positive Resonanz widerfuhr, mißachteten die tschechoslowakischen Reformsozialisten in gewisser Weise die 1967 i n Karlsbad mit den anderen Ostbündnisstaaten getroffene Vereinbarung, der DDR eine Schrittmacherfunktion bei der Normalisierung des Verhältnisses der osteuropäischen Staaten zur Bundesrepublik Deutschland zuzuerkennen 138 . Anstatt sich zumindest jeglicher direkter K r i t i k an der Deutschlandpolitik der DDR-Führung zu enthalten, verurteilten viele Medien i n der CSSR die von der politischen Elite der DDR w i l l kürlich erzeugten Spannungen zwischen beiden deutschen Staaten, zum Beispiel durch die am 11. Juni 1968 erlassene Paß- und Visapflicht für Reisen zwischen der Bundesrepublik und Berlin-West 1 3 9 . Eine Politik der Entspannung und Kooperation schließt allerdings nach Ansicht der Reformsozialisten, bei aller K r i t i k an den innerdeutschen, ζ. T. auch innenpolitischen 1 4 0 Praktiken der DDR, auch eine internationale Konso185

Adolf Müller / Bedrich Utitz, Deutschland (wie A n m . 16), S. 159. ise jifi Pelikän, F r ü h l i n g (wie A n m . A II/13), S. 238. I n gleicher Weise der Schriftsteller Ivan Pfaff: V o l k (wie A n m . A II/133), S. 245 137 So die Hauptforderung auf tschechoslowakischer Seite: ο. V., Der V e r rat von München, i n : VZ, Nr. 38, v o m 4. Oktober 1968, S. 3; Väclav Novotny, Die P o l i t i k der ungenützten Möglichkeiten, i n : VZ, Nr. 38, v o m 4. Oktober 1968, S. 4. 138 Vgl. Wolf gang Berner, Die Karlsbader Konferenz der kommunistischen Parteien Europas. Analyse, i n : Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche u n d internationale Studien, Nr. 30, K ö l n 1967, S. 23. 139 Siehe: ο. V., Tschechoslowakei, i n : Osteuropäische Rundschau, 14. Jg. (1968) Heft 7, S. 28; ο. V., W a r u m die DDR Visa eingeführt hat, i n : VZ, Nr. 27, v o m 5. J u l i 1968, S. 5. Z u r Paß- u n d Visapflicht selbst: Fünfte Durchführungsbestimmung zum Paß-Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik v o m 11. J u n i 1968, G B l D D R 1968, T e i l I I Nr. 58, S.331.

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lidierung des zweiten deutschen Staates mit ein, weshalb sie die von Berlin-Ost erhobenen Anerkennungsforderungen unterstützten 1 4 1 . Bei der Suche nach politischen Gruppen i n der Bundesrepublik Deutschland, mit denen eine Politik der gleichberechtigten Partnerschaft möglich scheint, differenziert das Aktionsprogramm der KPTsch zwischen Anhängern des „Imperialismus", die wie bisher als ideologische Gegner anzusehen seien, und „realistischen K r ä f t e n " 1 4 2 . Der CSSRAußenminister Jiri Hâjek vertrat am 10. A p r i l 1968 i n „Rudé Pravo" die Ansicht, daß sich Prag mehr für die „realistischen Kräfte", das heißt für „die sogenannte neue Linke in den kapitalistischen Ländern", interessieren solle 1 4 3 . I n der Bundesrepublik zählte er Ende Juni 1968 Bundesaußenminister W i l l y Brandt zu dieser Gruppe 1 4 4 . Die gleiche differenzierte Betrachtungsweise der maßgeblichen westdeutschen Politiker findet sich auch i n den Prager Massenmedien. Da eingehende wissenschaftliche Analysen hierüber fehlen, soll diese These abschließend durch eine kurze Skizzierung von Bonner Politikern aus der Sicht der deutschsprachigen Prager „Volkszeitung" gestützt werden: Innerhalb der Großen Koalition i n Bonn unterscheidet die wöchentlich erscheinende „Volkszeitung" CDU- und SPD-Repräsentanten. Die nationalsozialistische Vergangenheit von Bundespräsident Heinrich Lübke und Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger läßt die CDU als „neonazistisch und revanchistisch" erscheinen 145 , was letztlich einer Gleichsetzung mit der NPD entspricht 1 4 6 . Gegenüber der SPD, die unter W i l l y Brandt besonders seit der Jahreswende 1967/68 ein neues deutschlandpolitisches und somit gleichfalls ein europäisches Ent140 So am I n h a l t einiger A r t i k e l der neuen DDR-Verfassung v o m 6. A p r i l 1968, die i n der CSSR „demokratischer" gefaßt worden wären: Karl Forster, Die DDR u n d ihre Verfassung, i n : VZ, Nr. 15, v o m 12. A p r i l 1968, S. 5. 141 Z u m Beispiel: Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9; ο. V., Die Existenz der DDR ist eine der Garantien unserer Sicherheit, i n : VZ, Nr. 25, v o m 21. J u n i 1968, S. 2; Gemeinsames K o m m u n i q u é über die Verhandlungen z w i schen Delegationen der SED u n d der KPC, i n : ND, Nr. 223, v o m 13. August 1968, S. 1; Karl Forster, Gute Vorschläge aus Berlin, i n : VZ, Nr. 33, vom 16. August 1968, S. 6. 142 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 9. 143 Deutsche Textübersetzung bei: Otfrid Puste jovsky, Prag (wie A n m . A II/17), S. 141. 144 Dazu: ο. V., Tschechoslowakei (wie A n m . A II/139), S. 28. 145 Vgl. ο. V., Jetzt k a n n L ü b k e nicht mehr leugnen, i n : VZ, Nr. 5, vom 2. Februar 1968, S. 5; Arno Nasse, Das Gewissen des H e r r n Kiesinger, i n : VZ, Nr. 29, v o m 19. J u l i 1968, S. 7. 146 Z u r K r i t i k an der N P D : K . F., K o m m e n die Nazis wieder?, i n : VZ, Nr. 6, v o m 9. Februar 1968, S. 6; Milan J. Baierl, Ich w i l l keinen Haß und keine Lüge mehr, i n : VZ, Nr. 20, v o m 17. M a i 1968, S. 5.

I I . Politisches Ideengut des „Prager Frühlings"

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spannungskonzept erarbeitete, das eine De-facto-Anerkennung der DDR als Staat miteinschloß 1 4 7 , nimmt die „Volkszeitung" hingegen zumeist eine positive Haltung ein 1 4 8 . So erlaubt sie den SPD-Bundestagsabgeordneten Erhard Eppler und Hans-Jürgen Wischnewski, sich i n offenen Briefen an ihre Leserschaft zu wenden und dabei zu internationalen Fragen Stellung zu nehmen 1 4 9 . Auch begrüßt sie den unter starkem sozialdemokratischen Einfluß zustande gekommenen erfolgreichen Versuch der Großen Koalition, durch eine Verbindung von Globalrichtlinien mit Marktgesetzen die seit Mitte der sechziger Jahre anwachsenden wirtschaftlichen Probleme der Bundesrepublik mit ähnlichen Mitteln zu lösen, wie sie die Prager Reformer favorisieren 1 5 0 . Eine K r i t i k an SPD-Politikern w i r d vor allem i m Zusammenhang mit der Verabschiedung der Bonner Notstandsgesetzgebung vom 24. Juni 1968 laut, indem die „Volkszeitung" von einer „Galgenfrist für die Demokratie" spricht 1 5 1 . Eine Mißbilligung widerfährt SPD-Mitgliedern auch, wenn sich diese negativ über die Studentenbewegung i n der Bundesrepublik aussprechen 152 oder Auffassungen der Vertriebenenverbände teilen 1 5 3 . Folglich ergreift die Zeitung Partei für die westdeutsche Studentenbewegung 1 5 4 und ist erbitterter Gegner der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ihres Sprechers Walter Becher, die sie bisweilen, analog zur CDU, fälschlicherweise i m gleichen Zusammenhang wie die neo147 Eine formelle staatsrechtliche Anerkennung w u r d e noch von einer befriedigenden Berlin-Regelung abhängig gemacht. Hierzu: Peter-Claus Burens, Grundzüge (wie A n m . A II/9), S. 111 u n d 115. 148 So: Karl Forster, Die SPD auf dem Weg zur Einsicht, i n : VZ, Nr. 13, v o m 29. März 1968, S. 4. 149 Erhard Eppler, Versuch eines Ost-West-Gesprächs, i n : VZ, Nr. 4, v o m 26. Januar 1968, S. 5; ders., Inzwischen ist einiges geschehen, i n : VZ, Nr. 13, v o m 29. März 1968, S. 5; Hans-Jürgen Wischnewski, Entwicklungshilfe — eine Chance der Zusammenarbeit zwischen Ost u n d West, i n : VZ, Nr. 22, v o m 31. M a i 1968, S. 5. — A u f den offenen Briefwechsel zwischen dem der SPD nahestehenden Schriftsteller Grass u n d dem Tschechoslowaken Kohout i n der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit", der von Herbst 1967 bis zum F r ü h j a h r 1968 stattfand u n d politische Fragen zum I n h a l t hatte, sei i n diesem Zusammenhang ebenfalls hingewiesen: Günter Grass / Pavel Kohout, Briefe über die Grenze. Versuch eines Ost-West-Dialogs, H a m b u r g 1968. 150 So noch 1969: Väclav Novotny, Die westdeutsche Wirtschaft „nach Maß", i n : VZ, Nr. 27, v o m 4. J u l i 1969, S. 6. 151 Arno Nasse, Galgenfrist f ü r die Demokratie, i n : VZ, Nr. 23, v o m 7. J u n i 1968, S. 5. 152 ο. V., Von allen guten Geistern verlassen. SPD Westberlins r u f t faschistisches Gesindel auf den Plan, i n : VZ, Nr. 9, v o m l . M ä r z 1968, S. 4. 153 ο. V., So können w i r uns nicht verständigen, i n : VZ, Nr. 8, v o m 23. Februar 1968, S. 5. 154 Siehe: Arno Nasse, Schaut auf dieses Land, i n : VZ, Nr. 11, v o m 15. März 1968, S. 4; ο. V., Mordanschlag auf R u d i Dutschke, i n : VZ, Nr. 16, v o m 19. A p r i l 1968, S. 4.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die D D R

nazistische NPD r ü g t 1 5 5 . A l l e i n acht A r t i k e l erschienen i m deutschsprachigen Prager Wochenblatt während des Zeitraums vom 2. Februar bis 19. J u l i 1968, die die Politik dieses Vertriebenenverbands verurteilen 1 5 6 . Aufgrund der vorausgehenden Darlegung erscheint den Prager Reformsozialisten die Verwirklichung ihres außenpolitischen Ziels, gleichberechtigte Beziehungen zu allen Staaten i n Ost und West zu unterhalten, am ehesten mit gleichgesinnten Partnern möglich zu sein. So ist denn auch der Wunsch nach Ausbreitung des reformerischen Ideenguts des „Prager Frühlings" unter den „fortschrittlichen Bewegungen i n den entwickelten Industriestaaten mit demokratischen Traditionen" 1 5 7 , als auch unter den Reformwilligen i n den totalitär verfaßten Staaten Osteuropas zu verstehen 1 5 8 , was eine reformsozialistische Transformation der bestehenden politischen Systeme i m Hinblick auf ihre Konvergenz miteinschließt. Damit w i r d i n Prag bewußt oder unbewußt der Anspruch erhoben, ein „Modell des europäischen Sozialismus" 1 5 9 konzipiert zu haben.

I I I . Chancen für die Verbreitung des reformsozialistischen Prager Ideenguts unter der DDR-Bevölkerung Wie i n der CSSR, so gab es Mitte der sechziger Jahre auch i n anderen Staaten reformsozialistisches oder diesem vergleichbares Gedankengut, beispielsweise i n Frankreich 1 , der Bundesrepublik Deutschland 2 , aber 155 Vgl. Edgar Weick, N P D u n d Landsmannschaften, i n : VZ, Nr. 10, v o m 8. März 1968, S. 6. 156 ο. V., Dr. Bechers Machtübernahme, i n : VZ, Nr. 5, v o m 2. Februar 1968, S. 4; ο. V., Wer ist u n d was w i l l Dr. Becher?, i n : VZ, Nr. 8, vom 23. Februar 1968, S. 4; Edmund Hünigen, Dr. Becher u n d Europa, i n : VZ, Nr. 12., v o m 22. März 1968, S. 5; ο. V., Sudetendeutsche provozieren, i n : VZ, Nr. 15, v o m 12. A p r i l 1968, S. 4; ο. V., Dr. Becher und der Prager Frühling, i n : VZ, Nr. 16, v o m 19. A p r i l 1968, S. 5; ο. V., Nicht alle denken so w i e Dr. Becher, i n : VZ, Nr. 23, v o m 7. J u n i 1968, S. 4; Jacob Draut, Dr. Becher sucht Kontakte, i n : VZ, Nr. 28, v o m 12. J u l i 1968, S. 4; ο. V., Keine Verhandlungen m i t den Landsmannschaften, i n : VZ, Nr. 29, v o m 19. J u l i 1968, S. 5. 157 Vgl. Aktionsprogramm der KPTsch, S. 4 und 10; Leopold Grünwald (Hg.), CSSR (wie A n m . A II/66), S. 72. 158 Siehe vor allem die durchgängige K r i t i k an der totalitären Verfaßtheit sozialistischer Staaten i n : Aktionsprogramm der KPTsch, passim; Parteiprogrammeiitwurf der KPTsch, Ziffer C/a. Vgl. Christian Schmidt-Häuer / Adolf Müller, Dubcek (wie A n m . A II/22), S. 57. 159 So explizit: Radoslav Selucky, Reformmodell (wie A n m . A II/20), S. 114. 1 Außer der französischen Studentenbewegung, die i m M a i 1968 ihren Höhepunkt fand, ist hier vor allem Roger Garaudy zu nennen, damals einflußreiches M i t g l i e d der Kommunistischen Partei Frankreichs: Die große Wende des Sozialismus, Wien/München/Zürich 1970 (dt.).

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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auch i n O s t e u r o p a 3 . Ü b e r a l l d o r t w i d e r f u h r d e m I d e e n g u t des „ P r a g e r F r ü h l i n g s " d e n n auch eine besondere Resonanz, die a l l e r d i n g s o f t a u f die „ I n t e l l i g e n z i a " b e s c h r ä n k t b l i e b 4 . Polnische S t u d e n t e n u n d S c h r i f t s t e l l e r d e m o n s t r i e r t e n i m F e b r u a r u n d M ä r z 1968 f ü r größere i n d i v i d u e l l e F r e i h e i t s r e c h t e u n d n a h m e n dabei B e z u g a u f die tschechoslowakische E r n e u e r u n g s b e w e g u n g 5 . I n der U d S S R erschien 1968, als e i n w e i t e r e r T e i l der U n t e r g r u n d l i t e r a t u r u n d zusätzlich z u d e n bereits seit A n f a n g 1967 v e r t e i l t e n S a m i s d a t S c h r i f t e n 6 , die „ C h r o n i k " der l a u f e n d e n Ereignisse 7 . N i c h t z u l e t z t i s t h i e r auch das M e m o r a n d u m des s o w j e t i s c h e n A t o m p h y s i k e r s A n d r e j Sacharow v o m J u n i 1968 z u e r w ä h n e n , das, w i e die m e i s t e n a n d e r e n A k t i v i t ä t e n der D i s s i d e n t e n u n d u n t e r B e z u g n a h m e a u f d i e E n t w i c k l u n g i n d e r CSSR, die B ü r g e r r e c h t e i n der U d S S R v e r w i r k l i c h t w i s s e n w o l l t e 8 . A u ß e r T e i l e n der s o w j e t i s c h e n I n t e l l i g e n z z e i g t e n besonders die a u f i h r e n a t i o n a l e T r a d i t i o n bedachten U k r a i n e r e i n großes I n teresse a m „ P r a g e r F r ü h l i n g " , ü b e r d e n sie v o m tschechoslowakischen Radiosender P r e r o v f o r t w ä h r e n d i n u k r a i n i s c h e r Sprache u n t e r r i c h t e t wurden9. 2 Reformsozialistisches Ideengut findet sich besonders i m Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) u n d bei dessen Hauptrepräsentanten R u d i Dutschke. Siehe z.B.: V o n der Liberalisierung zur Demokratisierung. E i n I n t e r v i e w m i t Rudi Dutschke, i n : V l a d i m i r Klokoëka, Sozialismus (wie A n m . A I I / 2 0 ) , S. 5 ff. 3 Einen Überblick hierzu geben insbesondere: Eugen Lemberg, Reformation i m Kommunismus? Ideologische Wandlungen i m Marxismus-Leninismus Ostmitteleuropas, Stuttgart 1967; Andreas Fischer, Was bleibt v o m Prager Frühling? Demokratischer Kommunismus i n Osteuropa, H a m b u r g 1969; Wolf gang Leonhard, Die Dreispaltung des Marxismus. Ursprung und E n t wicklung des Sowjetmarxismus, Maoismus u n d Reformkommunismus, Düsseldorf/Wien 1970, S. 335 ff.; Günter Bartsch, Wende i n Osteuropa? Revolution i n Osteuropa seit 1948, Krefeld 1977. 4 So vor allem i n der UdSSR: Vgl. Andrej A. Amalrik, K a n n dlie Sowjetunion das Jahr 1984 erleben?, Zürich 1970, S. 49; Wolf gang Leonhard, I n n e n p o l i t i k (wie A n m . A II/14), S. 74 f. 5 Siehe hierzu: ο. V., Dossier 2: Warschauer Bilanz, i n : Kursbuch, o. Jg. (1968) Heft 13, S. 91 ff.; Angela Nacken, I n Warschau ertönt der Ruf nach Freiheit, i n : F A Z , Nr. 60, v o m 11. März 1968, S. 2. β Z u der M i t t e der sechziger Jahre entstandenen Bürgerrechtsbewegung u n d ihren i m Selbstverlag erschienenen Schriften: Cornelia J. Gerstenmaier, Die Stimme der Stummen. Die demokratische Bewegung i n der Sowjetunion, Stuttgart 1971; Wolf gang Leonhard, I n n e n p o l i t i k (wie A n m . A II/14), S. 65 ff. 7 Die „ C h r o n i k " w i r d dokumentiert bei: Alexander von Tarnow, Demokratie i n der Illegalität. Die „ C h r o n i k " der laufenden Ereignisse. E i n U n t e r grund-Informationsblatt i n der Sowjetunion, Stuttgart 1971; Peter Redd away (Ed.), Uncensored Russia. The H u m a n Rights Movement i n the Soviet Union. The Annotated Text of the Unofficial Moscow Journal „ A Chronicle of Current Events" (Nos. 1—11), London 1972. 8 Andrej D. Sacharow, Wie ich m i r die Z u k u n f t vorstelle. Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz u n d geistige Freiheit, F r a n k f u r t - M a i n / Zürich 1968.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die D D R

Aufgabe der folgenden Erörterungen ist es, die Bedeutung des Prager Ideenguts für die DDR-Bürger und somit die Verbreitungsmöglichkeiten des reformsozialistischen Gedankenguts i n der DDR zu klären. Dazu trägt die Beantwortung der drei Fragen bei: a) Gab es während des Untersuchungszeitraums i n der D D R Reformsozialisten, die i m Sinne von K a r l W. Deutsch als tatsächliche oder potentielle Linkage Group anzusehen sind? b) Nahmen zur Zeit des „Prager Frühlings" darüber hinaus viele D D R Bürger zu den Ereignissen i n der CSSR positiv Stellung? c) Entsprechen die Legitimierungsversuche der SED-Herrschaft den Legitimitätsvorstellungen der DDR-Bevölkerung, oder würden sich diese eher m i t dem Legitimitätsanspruch einer reformsozialistischen p o l i t i schen F ü h r u n g decken?

2. Systemkritiker

in der DDR

Mitte der sechziger Jahre zählten Reformkommunisten wie Robert Havemann und Wirtschaftsexperten wie Fritz Behrens, Uwe-Jens Heuer, Gunther Kohlmey und Rolf Schüsseler zu den bedeutendsten Reformsozialisten i n der DDR. Viele von ihnen gehörten bereits 1956/57 zum Kreis der engagierten K r i t i k e r des totalitär verfaßten politischen Systems, nachdem Nikita Chruschtschow m i t seiner Rede auf dem zwanzigsten Parteitag der KPdSU die Phase der Entstalinisierung i n Osteuropa eingeleitet hatte 1 0 . Andere mögen vor allem zur Zeit der schon erwähnten Kafka-Konferenz auf Schloß Liblice bei Prag (1963) zu reformsozialistischen Einsichten gelangt sein, entwickelte sich doch i m Zusammenhang m i t dieser internationalen Konferenz eine Diskussion über den Entfremdungsbegriff i n der DDR, bei der unter den Intellektuellen i m zweiten deutschen Staat eine Meinungspluralität zu diesem Thema sichtbar wurde 1 1 . Der damalige Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form", Peter Hüchel, förderte eine undogmatische Diskussion, indem er bereits vor Beginn der Konferenz Auf9 Vgl. Andreas Fischer, F r ü h l i n g (wie A n m . A III/3), S. 21 ff.; Borys Lewytzkyj, Die sowjetische Nationalitätenpolitik nach Stalins Tod (1953—1970), München 1970, S. 165 ff. 10 Z u m reformsozialistischen Gedankengut i n der D D R bis zum Untersuchungszeitraum dieser A r b e i t : Martin Jänicke, Weg (wie A n m . 2); Melvin Croan, Die Intellektuellen i n der SBZ während der fünfziger Jahre, i n : Leopold Labedz (Hg.), Der Revisionismus, Köln/Berlin-West 1965, S. 357 ff.; Ernst Richert, „Sozialistische Universität". Die Hochschulpolitik der SED, Berlin-West 1967, S. 143 ff.; Heinz Lippmann, The L i m i t s of Reform Com^ munism, i n : Problems of Communism, Vol. 19 (1970) No. 3, S. 15 ff. 11 Vgl. Hans-Dietrich Sander, Der Streit u m den Dichter Kafka, i n : SBZ Archiv, 15. Jg. (1964) Heft 14, S. 215 ff.; Peter Christian Ludz, Der politische Aspekt der Entfremdung, i n : Osteuropäische Rundschau, 11. Jg. (1965) Heft 5, S. 10 f.

I I I . Chancen f ü r die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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sätze des österreichischen Marxisten Ernst Fischer, des französischen Lyrikers Louis Aragon und des französischen Existentialisten JeanPaul Sartre über Franz Kafka publizierte 1 2 . Der Professor für Physikalische Chemie Robert Havemann, der seit seiner i m Wintersemester 1963/64 an der Humboldt-Universität zu Berlin-Ost gehaltenen Vorlesung über „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme" als der tiefsinnigste Reformkommunist der DDR anzusehen ist 1 3 , vertritt aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Auffassung, daß man i n jeder menschlichen Gesellschaft immer, also auch künftig, eine Meinungsvielfalt antreffen w i r d 1 4 . Diese Meinungspluralität ist für ihn bis zum Erreichen des marxistischen Gesellschaftsziels, der kommunistischen Gesellschaft, Ausdruck der Entfremdung zwischen Individuum und K o l l e k t i v 1 6 . Robert Havemann teilt die These von K a r l M a r x und Friedrich Engels, daß es i n der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, trotz weiterbestehender Meinungsvielfalt, keine Entfremdung mehr geben wird, da hier „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller i s t " 1 6 . Zur Realisierung dieser „freien Entwicklung", das heißt zur Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen, erachtet Robert Havemann die Überführung der privaten Produktionsmittel i n Gemeineigentum für notwendig 1 7 . Aus gleichem Grund fordert er die Schaffung von großen materiellen Werten 1 8 , wozu er es für erforderlich hält, die wissenschaftliche Einsicht verstärkt an die Stelle einer orthodox verstandenen marxistisch-leninistischen Ideologie treten zu lassen 19 . 12 Siehe: Ernst Fischer, Entfremdung, Dekadenz, Realismus, i n : Sinn u n d Form, 14. Jg. (1962) Heft 5, S. 816 ff.; Louis Aragon, Rede i n Prag, i n : Sinn u n d Form, 14. Jg. (1962) Heft 5, S. 922 ff.; Jean-Paul Sartre, Die Abrüstung der K u l t u r , i n : Sinn u n d Form, 14. Jg. (1962) Heft 5, S. 805 ff. 13 Die besagte Vorlesung ist als Buch veröffentlicht: Robert Havemann, D i a l e k t i k ohne Dogma? Naturwissenschaft u n d Weltanschauung, Reinbek bei Hamburg 1964. Grundlegende Darstellungen des Ideenguts von Havemann finden sich bei: Peter Christian Ludz, Freiheitsphilosophie oder aufgeklärter Dogmatismus. Politische Elemente i m Denken Robert Havemanns, i n : Leopold Labedz (Hg.), Revisionismus (wie A n m . A III/10), S. 380 ff.; Dieter Knötzsch, Innerkommunistische Opposition. Das Beispiel Robert Havemann, Opladen 1968. 14 Robert Havemann, D i a l e k t i k (wie A n m . A III/13), S. 113 ff. 15 Vgl. ebd., S. 115. 16 Z i t a t aus: Karl Marx / Friedrich Engels, Manifest (wie A n m . A1/24), S. 45. 17 Robert Havemann, Die unvollendete Revolution (1970), Nachdruck i n : ders., Rückantworten an die H a u p t v e r w a l t u n g „Ewige Wahrheiten", M ü n chen 1971, S. 126 f. 18 Vgl. ders., D i a l e k t i k (wie A n m . Α ΙΙΓ/13), S. 109. 19 Ebd., S. 111.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

Zur Aufhebung der Entfremdung sieht er neben dem kollektiven Eigentum an den Produktionsmitteln und einem wachsenden materiellen Wohlstand auch die „freiwillige Bereitschaft der Massen" als unverzichtbar an 2 0 , denn es scheint für ihn nicht realistisch, „die Geschichte der Menschheit zu befehlen und dann durchführen zu lassen" 21 . Die Individuen und die Gesellschaft müssen von der Idee des Kommunismus überzeugt werden, was Havemann für möglich erachtet, wenn man diese Idee mit freiheitlich-demokratischen Herrschaftspraktiken zu verwirklichen sucht 22 . Den Zeitpunkt hierfür hält er mit dem A b schluß der Umwandlung der privaten Produktionsmittel i n Gemeineigentum für gekommen, d. h. mit dem Ende der historischen Epoche der Diktatur des Proletariats und ihrer als notwendig erachteten Unterdrückungsmethoden 23 . I n der DDR wurde dieser Zeitpunkt nach Meinung des Rechtswissenschaftlers Karl-Heinz Schöneburg mit der Kollektivierung der Landwirtschaft i n den Jahren 1959/60 erreicht 2 4 , ohne daß freilich das totalitär verfaßte politische System eine wesentliche Änderung erfuhr. Der von Robert Havemann verwandte Freiheitsbegriff beinhaltet für jedes Individuum eine breite Skala von Entscheidungsmöglichkeiten 25 . Zu den Freiheiten, die er den Individuen in der derzeitigen, nach Havemann bereits sozialistischen Gesellschaftsphase 26 zubilligt, zählen 2 7 : a) Meinungs- und Pressefreiheit; dabei spricht er sich ausdrücklich, unter Berufung auf Rosa Luxemburg, für die „Freiheit des Andersdenkenden" aus 2 8 ; b) Freie Beschaffung von Informationen; c) Freiheit der W a h l des Aufenthaltsortes einschließlich der Auswanderung, des Arbeitsplatzes u n d des Berufs; d) Freiheit der B i l d u n g von Vereinigungen, Organisationen und Parteien.

Robert Havemann läßt den Individuen und der Gesellschaft ihre Spontaneität, auch wenn dadurch die kollektive Entwicklung nicht vorherbestimmbar w i r d 2 9 . Er glaubt, daß diese Spontaneität nicht etwa 20

Ebd., S. 156. Ebd., S. 103. 22 Vgl. ebd., S. 155 f. 23 Ders., Revolution (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 126 f. 24 Karl-Heinz Schöneburg, Das politische Wesen unseres Staates, i n : Sozialistische Demokratie, Nr. 9, v o m 1. März 1968, S. 3. 25 Robert Havemann, D i a l e k t i k (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 104. 26 Ders., Revolution (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 126 f. 27 Ders., Fragen A n t w o r t e n Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten, 2. A u f l . München 1970, S. 253 ff. 28 Ders., Sozialismus u n d Demokratie (1968), Nachdruck i n : ders., Rückantworten (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 91. 29 Ders., D i a l e k t i k (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 126. 21

I I I . Chancen f ü r die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D

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gefährlich, sondern i m Gegenteil als Entwicklungsantrieb für die sozialistische Gesellschaft auf ihrem Weg zum Kommunismus dienlich ist 3 0 , wenn die entsprechenden materiellen und ideellen Voraussetzungen gegeben sind. Das Eintreten Robert Havemanns für liberale und pluralistische Tendenzen i n der DDR bedingt seine Forderung nach „freien und geheimen Wahlen", durch die alle Bürger an der Herrschaftsausübung zu beteiligen sind. Durch Wahlen sollen i m Parlament Regierungs- und Oppositionsparteien ermittelt werden, wobei der Opposition die Aufgabe übertragen wird, eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung wahrzunehmen. Ebenso soll die politische Unabhängigkeit der Richter dazu beitragen, ein uneingeschränktes Machtpotential einer einzelnen Partei zu verhindern; sie hat ferner ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit für den einzelnen zu garantieren 31 . Havemann schreibt 32 : „Demokratie bedeutet eben, daß das Regieren schwerer u n d das Regiertwerden leichter gemacht w i r d " .

Da er diese Maxime nicht i m totalitär verfaßten politischen System der DDR berücksichtigt findet, sondern dort vielmehr einen „modernen Stalinismus" antrifft 3 3 , möchte der Reformkommunist Havemann die DDRFührung, die nachgewiesenermaßen eine reale Partizipation der Gesellschaft am politischen Entscheidungsprozeß nicht zuläßt, durch reformsozialistische Politiker ersetzt wissen 34 . Robert Havemanns philosophisches und politisches Konzept fand, zumindest i n den sechziger Jahren, bei verschiedenen DDR-Künstlern und -Wissenschaftlern Zustimmung. Das zeigte sich besonders deutlich, als Havemann nach seinem Ausschluß aus der SED (1964) und dem Verlust seines Arbeitsplatzes als Leiter der Forschungsstelle für Fotochemie an der Akademie der Wissenschaften (1965) auf Wunsch der Partei auch noch seine Akademiemitgliedschaft verlieren sollte. Statutengemäß war dies nur durch eine Abstimmung sämtlicher Akademiemitglieder möglich, die jedoch am 24. März 1966 nicht die für den Ausschluß erforderliche Mehrheit brachte. Havemann mußte daraufhin auf Weisung der SED aus der Liste der Akademiemitglieder gestrichen werden 3 5 . 80

Vgl. ders., Revolution (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 127. Z u den vorangegangenen Ausführungen: ders., Sozialismus u n d Demokratie (wie A n m . A I I I / 2 8 ) , S. 92. 82 Ebd., S. 92. 88 Ders., Fragen (wie A n m . A I I I / 2 7 ) , S. 54. Robert Havemann benutzt i n diesem Zusammenhang auch den typisierenden Begriff „Bonapartismus", der allerdings für die DDR wenig aussagekräftig sein dürfte: D i a l e k t i k (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 110. 84 Vgl. ders., D i a l e k t i k (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 155. 81

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

Namentlich bekannte DDR-Schriftsteller und -Gesellschaftswissenschaftler mit ähnlichen Reformvorstellungen wie Robert Havemann sind i m Untersuchungszeitraum vor allem Wolf Biermann, Reiner K u n ze und Christa Wolf einerseits, Wolfgang Heise, Herrmann Klenner und Heinz Liebscher andererseits. Die Schriftsteller Biermann und Kunze kritisieren i n ihren Werken besonders die antiliberalen Tendenzen der SED, wie fehlende Meinungs», Presse- und Informationsfreiheit 3 6 . Christa Wolf stimmt ihnen zu, wenn sie 1968 i n ihrem Roman „Nachdenken über Christa T." von dem i n der DDR-Verfassung enthaltenen Auftrag an alle Bürger, zur Erziehung von „sozialistischen Persönlichkeiten" beizutragen, abweicht und schreibt 37 : „ E i n m a l nur, dieses eine Mal, möchte ich erfahren und sagen dürfen, wie es w i r k l i c h gewesen ist, unbeispielhaft und ohne Anspruch auf Verwendbarkeit".

Sie läßt denn auch die Hauptfigur der Erzählung „an Leukämie, oder genauer: an der Unfähigkeit, ihren Anspruch auf Eigenständigkeit den Erwartungen des Kollektivs unterzuordnen", sterben 38 . Ausgehend vom Marxschen Entfremdungsbegriff fordert Wolfgang Heise, Professor für Geschichtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin-Ost, ebenfalls die Erweiterung des individuellen Freiraums in der DDR und übt dabei K r i t i k an der SED-Bürokratie 3 9 . Auch der Staatsrechtler Herrmann Klenner und, wie sich insbesondere i m September 1968 zeigte, manche seiner Kollegen 4 0 können wegen ihrer kybernetischen Studien zu den Reformsozialisten gezählt werden. 85

Dazu: Dieter Knötzsch, Opposition (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 27 ff. Siehe zum Beispiel: Wolf Biermann, M i t M a r x - u n d Engelszungen. Gedichte, Balladen, Lieder, Berlin-West 1968; Reiner Kunze, Sensible Wege. Achtundvierzig Gedichte u n d ein Zyklus, Reinbek bei H a m b u r g 1969. Vgl. Thomas Rothschild, Vier Formen der oppositionellen L i t e r a t u r i n der D D R : Biermann, Kunze, Brasch, Fuchs, i n : F r a n k f u r t e r Hefte, 33. Jg. (1978) Heft 1, S. 56 ff. 87 Christa Wolf, Nachdenken über Christa T., Halle 1968, S. 57. 88 So interpretiert von: Alexander Stefan, Christa Wolf, München 1976, S. 17. Siehe auch: Heinrich Mohr, Produktive Sehnsucht. Struktur, Thematik u n d politische Relevanz von Christa Wolfs ,Nachdenken über Christa T.', i n : Basis. Jahrbuch für Deutsche Gegenwartsliteratur, 2. Bd., F r a n k f u r t - M a i n 1971, S. 191 ff. 89 Vgl. Wolf gang Heise, Über die Entfremdung u n d ihre Überwindung, i n : Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 13. Jg. (1965) Heft 6, S. 684 ff. Siehe auch Peter Christian Ludz, Heise referierend: Parteielite (wie A n m . 7), S. 276 ff. 40 A u f einer Tagung des Redaktionskollegiums der Zeitschrift „Staat und Recht" w u r d e M i t t e September 1968 festgestellt, daß die kybernetischen Ansichten Kienners teils von anderen DDR-Rechtswissenschaftlern unterstützt werden, die bis auf K a r l A . M o l l n a u namentlich ungenannt blieben: Hans Leichtfuß, Kollegiumssitzung zu rechtstheoretischen Fragen, i n : Staat u n d Recht, 18. Jg. (1969) Heft 1, S. 112. 88

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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Sie sehen die Kybernetik, entsprechend der i n den liberal-demokratischen Staaten des Westens und entgegen der in den Ein-ParteienDiktaturen Osteuropas gebräuchlichen Definition 4 1 , als die „Wissenschaft von den dynamischen, selbstregulierenden Systemen und ihre Beziehungen zu den Teilsystemen" an 4 2 . So geht zum Beispiel der Wissenschaftliche Oberassistent am Institut für Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Heinz Liebscher, „von der Tatsache aus, daß die menschliche Gesellschaft auf allen ihren Entwicklungsstufen von jeher ein selbstregulierendes System i m Sinne der Kybernetik w a r " 4 3 . Die Kybernetik dient letztlich allen zur Verbindung von selbständigen, pluralistisch strukturierten politischen Teilsystemen i m Sinne eines Interessenausgleichs. Bei einer Verwirklichung der geäußerten Vorstellungen verlöre das Recht der DDR die i h m von der politischen Elite zugewiesene Funktion, zur Realisierung des totalitär verfaßten politischen Systems beizutragen 44 . Die Folge hiervon wäre eine Aufwertung der pragmatischen und eine Minderung der ideologischen Komponenten i m politischen System, wobei das Herrschaftsmonopol der SED zwangsläufig i n Frage gestellt würde. Mehr noch als i n den Gesellschaftswissenschaften hatte das kybernetische Gedankengut seit 1963, dem Beginn des Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft 4 5 , i m Bereich der Ökonomie große Bedeutung gewonnen. Die von Professor Libermann i n der UdSSR zu Beginn der sechziger Jahre initiierten W i r t schaftsreformen rehabilitierten stillschweigend die unter anderem von Fritz Behrens, Gunther Kohlmey und Rolf Schüsseler bereits i n den Jahren 1956/57 vertretenen, jedoch damals von der politischen Elite der DDR verworfenen ökonomischen Konzepte 46 . 41 Gegen die i n der nachfolgenden Definition enthaltenen „Selbstlauf-" Theorie wendet sich zum Beispiel: ο. V., Unser Plan w i r d nicht i m Selbstlauf verwirklicht, i n : ND, Nr. 136, v o m 20. M a i 1967, S. 1 f. 42 o.V., Was gibt uns die Kybernetik?, i n : ND, Nr. 133, v o m 17. M a i 1967, S. 1 f. (Hervorhebungen v o m Verfasser). 43 Heinz Liebscher, K y b e r n e t i k u n d gesellschaftliche Prozesse i m Sozialismus, i n : Spektrum, o. Jg. (1969) Heft 1, S. 7. 44 Entsprechende Vorstellungen Kienners werden referiert bei: Ingo Wagner, Internationale staats- u n d rechtstheoretische Konferenz i n Budapest, i n : Staat u n d Recht, 17. Jg. (1968) Heft 6, S. 1003; Hans Leichtfuß, Kollegiumssitzung (wie A n m . A I I I / 4 0 ) , S. 109 f. 45 Siehe: Richtlinie für das neue ökonomische System der Planung u n d Leitung der Volkswirtschaft v o m 11. J u l i 1963, G B l DDR 1963, T e i l I I Nr. 64, S. 453. 46 Z u r Theorie der sowjetischen Wirtschaftsreformen unter Chruschtschow siehe zum Beispiel: Hans Raupach, Geschichte der Sowjetwirtschaft, Reinbek bei H a m b u r g 1964, S. 117. Z u m reformerischen Ideengut i n der DDR der Jahre 1956/57 w i e zu den an seiner Konzipierung beteiligten Wirtschaftswissen-

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

Der Abteilungsleiter am wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Akademie der Wissenschaften zu Berlin-Ost, Fritz Behrens, konstatierte i m September 1967 auf einem wissenschaftlichen Colloquium in Frankfurt am Main, daß i n der DDR „die Periode der kritischen Auseinandersetzungen begonnen hat, denn ein theoretisches System der politischen Ökonomie des Sozialismus ist ohne ständige K r i t i k der Ökonomie selbst und ihrer Widerspiegelung in einem theoretischen System nicht möglich" 4 7 . Dabei wendet er sich gegen eine durch „Befehle geleitete Zentralverwaltungswirtschaft" und warnt vor der Gefahr, mit mathematischen Methoden den bürokratischen Zentralismus restaurieren zu wollen, was i n der UdSSR nach der Absetzung von Nikita Chruschtschow versucht werde 4 8 . Gunther Kohlmey, der als Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften arbeitet, verdeutlicht i n einer öffentlichen Stellungnahme vom Oktober 1967 die Konzeption des von den DDR-Reformsozialisten angestrebten neuen ökonomischen Systems. Kohlmey fordert eine „Planwirtschaft . . als Waren- und Geldwirtschaft, mit Selbstregulierungen, mit Rückkoppelungen über den M a r k t " 4 9 . Durch eine „Erhöhung der Elastizität der Teilsysteme", beziehungsweise durch eine Betonung der volkswirtschaftlichen Regelung vor der Steuerung, strebt er ein Wirtschaftswachstum an 5 0 . Der wohl bedeutendste Kybernetiker der DDR, Georg Klaus 5 1 , bestätigt die Richtigkeit der Überlegungen Gunther Kohlmeys. Er schreibt 52 : Die ökonomischen „Teilsysteme müssen . . i n gewisser Weise zeitweilig v o m Gesamtsystem — dies kybernetisch verstanden — abgeschaltet w e r den, relativ selbständig sein". schaftlern siehe unter anderem: Martin Jänicke, Weg (wie A n m . 2), S. 104 ff.; Ernst Richert, Universität (wie A n m A I I I / 1 0 ) , S. 160 ff. 47 Fritz Behrens, K r i t i k der politischen Ökonomie u n d ökonomischen Theorie des Sozialismus, i n : Walter Euchner / A l f r e d Schmidt (Hg.), K r i t i k der politischen Ökonomie heute. 100 Jahre „ K a p i t a l " , F r a n k f u r t - M a i n 1968, S. 295. 48 Ebd., S. 295 f. 49 Gunther Kohlmey, Planen als Regeln u n d Steuern, i n : Probleme der politischen Ökonomie (Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, 11. Bd.), Berlin-Ost 1968, S. 119. Diese A r b e i t trug K o h l m e y auf einer w i r t schaftswissenschaftlichen Konferenz i n Berlin-Ost v o m 17. bis 19. Oktober 1967 als Referat vor. 60 Ebd., S. 105 u n d 102. 51 Z u m Ideengut von Klaus siehe: Peter Christian Ludz, Parteielite (wie A n m . 7), S. 285 ff.; Steffen Werner, K y b e r n e t i k statt Marx? Politische Ökonomie und marxistische Philosophie i n der DDR unter dem Einfluß der elektronischen Datenverarbeitung, Stuttgart 1977, S. 57 ff. 52 Georg Klaus / Gerda Schnauß, K y b e r n e t i k u n d sozialistische Leistung, i n : Einheit, 20. Jg. (1965) Heft 2, S. 100.

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Kohlmey w i r d i n seinen Bemühungen ferner vom Dozenten an der Humboldt-Universität Uwe-Jens Heuer unterstützt, indem dieser die Tätigkeit der zentralen Planungs- und Leitungsorgane „auf die Hauptprozesse und die wichtigsten Proportionen" konzentriert wissen w i l l 5 3 . Heuer hält einen großen Spielraum für Selbstregulierungen und betriebliche Eigeninitiative i n den ökonomischen Teilsystemen für unverzichtbar, da er, entgegen der osteuropäischen Praxis, eine „Planung bis zur letzten Schraube" als nicht realistisch ansieht 54 . Er führt i m einzelnen aus 5 5 : „Wenn . . vielfältigste ökonomische Prozesse ablaufen, wenn die Qualifikation und das Selbstbewußtsein der Arbeiter wachsen, w e n n die q u a l i t a t i v hochstehenden, also sehr differenzierten Bedürfnisse von M i l l i o n e n Menschen befriedigt werden sollen, wenn es erforderlich ist, schnell auf eine sich unaufhörlich entwickelnde Naturwissenschaft zu reagieren, und wenn noch die Notwendigkeit hinzukommt, sich den Schwankungen des kapitalistischen Marktes unverzüglich anzupassen, dann muß die Selbstorganisation einen sehr großen Platz einnehmen".

Als Triebkraft für die bei der Selbstorganisation ablaufenden Prozesse w i r k t nach Heuer das materielle Interesse der jeweiligen Ebenen und Gruppen: Die Vereinigung all dieser Einzelinteressen sei mit dem gesamtgesellschaftlichen Interesse identisch, das wiederum auf die Einzelinteressen Einfluß nehme 5 6 . Dementsprechend sind die von Rolf Schüsseler i m Februarheft von 1968 der Zeitschrift „Staat und Recht" enthaltenen Ausführungen zu interpretieren. Schüsseler w i l l , i n Anlehnung an Ota Sik, „originäre Eigentümerfunktionen" für eine Vielzahl von Produzenten verbürgt wissen; dabei sollen diese Eigentümerfunktionen „organisch mit den auf eine optimale Gesamtbewegung bezogenen zentralisierten Funktionen verknüpft . . . (sein), die von staatlichen Leitungsorganen wahrgenommen werden" 5 7 . Fritz Behrens fordert i n diesem Zusammenhang die „Selbstverwaltung der unmittelbaren Produzenten" auf der Grundlage von „delegiertem Gruppeneigentum" 5 8 . 53 Uwe-Jens Heuer, Demokratie u n d Recht i m neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft, Berlin-Ost 1965, S. 111. Eine vertiefte Darstellung von Heuers Konzeption, die dem orthodoxen Konzept Gerhard Haneys bzw. der politischen Elite der DDR gegenübergestellt w i r d , gibt: Wolf gang Biermann, Demokratisierung i n der DDR? ökonomische N o t wendigkeiten, Herrschaftsstrukturen, Rolle der Gewerkschaften 1961—1977, K ö l n 1978, K a p i t e l A u n d S. 88 ff. 54 Uwe-Jens Heuer, Demokratie (wie A n m . A I I I / 5 3 ) , S. 106 f. 55 Ebd., S. 110. 58 Ebd., S. 139. 67 Rolf Schüsseler, Volkseigentum u n d Volkseigentumsrecht i m Prozeß der Entfaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus, i n : Staat u n d Recht, 17. Jg. (1968) Heft 2, S. 229. 58 Fritz Behrens, K r i t i k (wie A n m . A I I I / 4 7 ) , S. 297. 5 Burens

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

I m Vergleich zum „Prager Frühling" mit seinen vielfältigen reformsozialistischen Stellungnahmen sind die Mitte der sechziger Jahre i n der DDR nur sporadisch geäußerten reformsozialistischen Ansichten i m allgemeinen weniger detailliert und konkretisiert, koordiniert und systematisiert. Dies läßt sich damit begründen, daß sie i n der DDR, i m Gegensatz zum „Prager Frühling", meist individuell entwickelt und vertreten wurden. Die SED konnte, wenn überhaupt, nur bedingt an einem reformsozialistischen Gedankenaustausch interessiert sein. Wirtschaftswissenschaftler wie Fritz Behrens, Uwe-Jens Heuer, Gunther Kohlmey und Rolf Schüsseler sowie Kybernetiker, Geschichts- und Rechtswissenschaftler wie Georg Klaus, Wolfgang Heise und Herrmann Klenner, die als SED-Mitglieder meist wichtige Positionen i m Hochschulbereich bekleideten, erhielten bisweilen die Gelegenheit, ihre Gedanken öffentlich zu äußern und zu publizieren. Dies entsprach dem sich Mitte der sechziger Jahre weitgehend ungestört vollziehenden Austausch von Wirtschaftsexperten und wissenschaftlichen Arbeiten zwischen der DDR und der CSSR 59 . Von beidem erhoffte sich offenbar die politische Elite der DDR Anregungen und Entscheidungshilfen für eine Erhöhung der Effektivität ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Steuerungsinstrumente. Hingegen unterliegen die Schriften Robert Havemanns und die des Ende 1976 sogar ausgebürgerten Wolf Biermanns bis heute einem permanenten Publikationsverbot i n der DDR. Diese Reformsozialisten sehen daher wohl i n erster Linie i n einer Verbreitung ihrer Ansichten durch. westliche Massenmedien und Verlage die Chance, Einfluß auf die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und, über diese, Einfluß auf die Bürger der DDR zu nehmen. Durch westliche Rundfunkund Fernsehsendungen werden zudem Großteile der DDR-Bevölkerung unmittelbar mit ihrem Gedankengut konfrontiert. So weist eine empirische Erhebung aus dem Jahr 1966 für Montagearbeiter nach, daß 68,8 Prozent der von ihnen gehörten Rundfunkprogramme aus dem Westen und nur 31,2 Prozent aus der DDR stammen; hierbei ist bemerkenswert, daß die befragten Arbeiter neben Musik- vor allem politische Sendungen von westlichen Rundfunkanstalten bevorzugen 60 . Eine andere Umfrage von 1967 sagt aus, daß 84 Prozent der DDR-Fernsehteilnehmer täglich Sendungen aus der Bundesrepublik Deutschland einschalten 61 . Der Verbreitung des Ideenguts von Robert Havemann und 59

Vgl. Adolf Müller / Bedrich Utitz, Deutschland (wie A n m . 16), S. 91 f. Dieter Voigt, Montagearbeiter i n der DDR. Eine empirische Untersuchung über Industrie-Bauarbeiter i n den volkseigenen Großbetrieben, D a r m stadt/Neuwied 1973, S. 54 f. Voigt führte diese Erhebung selbst i n der DDR durch, bevor er i n die Bundesrepublik übersiedelte. 60

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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Wolf Biermann von der Bundesrepublik aus muß demnach eine besondere Bedeutung für die politische Meinungsbildung der DDRBevölkerung beigemessen werden, zumal die i n der DDR heimlich vervielfältigten und weitergereichten Manuskripte dieser Reformsozialisten dort einen unerwartet großen Leserkreis haben 6 2 . Auch scheute sich Robert Havemann Ende der sechziger Jahre nicht, in westdeutschen Massenmedien für eine völkerrechtliche Anerkennung der D D R 6 3 wie für eine gesellschaftliche und politische Umwälzung i n der Bundesrepublik Deutschland einzutreten 64 . Nach einer Anerkennung des territorialen Status quo sollte der Weg zu einer Wiedervereinigung Deutschlands auf reformsozialistischer Grundlage beschritten werden 6 5 . Für dieses Ziel suchte er 1968 die Neue Linke mit Rudi Dutschke 66 und ein Jahr später die SPD/FDP-Bundesregierung zu gewinnen 6 7 . Hierdurch mußte i n der DDR seine Glaubwürdigkeit als Reformkommunist wachsen. Auch wenn i n den sechziger Jahren die Zahl der DDR-Reformsozialisten nur klein war, so hat diese kleine Zahl dennoch bewirkt, daß viele DDR-Bürger, besonders die literarisch und ökonomisch gebildeten, nicht unvorbereitet mit dem Ideengut des „Prager Frühlings" konfrontiert wurden. Machtpolitisch entscheidende Kräfte, die selbst zu politischen Veränderungen i m zweiten deutschen Staat i n der Lage gewesen wären, stellten die DDR-Reformsozialisten insgesamt allerdings nicht dar. Angesichts des „Prager Frühlings" mußte jedoch ihre 61 Das Ergebnis dieser unveröffentlichten SED-Umfrage teilt der ehemalige Bereichsleiter für die Anwendung moderner Management-Methoden i m Büro des DDR-Ministerrates m i t : Werner Obst, DDR-Wirtschaft. Modell und W i r k lichkeit, Hamburg 1973, S. 255. Vgl. auch den Bericht des ehemaligen Ratsvorsitzenden des DDR-Grenzkreises Osterburg-Altmark, wonach i n dieser Region sogar 95 Prozent der Bevölkerung westdeutsche R u n d f u n k - u n d Fernsehsendungen als Informationsquelle benutzen: Werner Barm, Totale A b grenzung. Zehn Jahre unter Ulbricht, Honecker u n d Stoph an der innerdeutschen Grenze. E i n authentischer Bericht, Stuttgart 1971, S. 163. 62 Uber das Verhältnis der DDR-Reformsozialisten zur eigenen Bevölkerung berichten: Peter Christian Ludz, Experten u n d kritische Intelligenz i n der DDR, i n : Edgar Joseph Feuchtwanger (Hg.), Deutschland — Wandel u n d Bestand. Eine Bilanz nach hundert Jahren, München/Wien/Basel 1973, S. 230 ff.; Jörg Bernhard Bilke, Die verdrängte Wirklichkeit. D D R - L i t e r a t u r unter Erich Honecker 1971—1978, i n : Aus P o l i t i k und Zeitgeschichte, 28. Jg. (1978) Heft 23, S. 28 f. 83 Robert Havemann, Revolution (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 128. 84 Vgl. ders., D i a l e k t i k (wie A n m . A I I I / 1 3 ) , S. 111. 85 Vgl. ders., Sozialismus u n d Demokratie (wie A n m . A I I I / 2 8 ) , S. 93. 68 „ E i n Mörder findet sich immer". I n t e r v i e w eines Dänen m i t Robert Havemann u n d Wolf Biermann, i n : Die Zeit, Nr. 17, v o m 26. A p r i l 1968, S. 3. Vgl. Wolf Biermann, D r e i K u g e l n auf R u d i Dutschke, i n : VZ, Nr. 22, v o m 31. M a i 1968, S. 5. 87 Vgl. Robert Havemann, Revolution (wie A n m . A I I I / 1 7 ) , S. 127.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die D D R

Bedeutung als Linkage Group wachsen, falls eine große Anzahl von Bürgern i n der DDR eine positive Einstellung zur tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung fand. 2. Stellungnahmen

von DDR-Bürgern

zu den Prager Ereignissen

Bei dem Versuch, die politische Haltung der DDR-Bürger zu den Prager Ereignissen zu analysieren, empfiehlt es sich, erst einmal zu prüfen, ob und — wenn ja — i n welchem Ausmaß sie wahrheitsgetreue Informationen über den „Prager Frühling" besaßen. Von ihren eigenen Massenmedien durfte die Bevölkerung derartige Nachrichten nicht erwarten, da die DDR-Verfassung das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit nur i m orthodox marxistisch-leninistischen Sinn gewährleistet. Die tatsächlichen Ziele der Prager Reformbewegung konnten die Bürger der DDR i n erster Linie durch einen persönlichen Besuch i n der CSSR erfahren beziehungsweise durch Besuche von CSSR-Bewohnern i n der DDR. Bereits 1967, vornehmlich jedoch 1968, wurden jeweils etwa 1,3 Millionen DDR-Bürger — ob gewollt oder ungewollt — m i t den Ideen des „Prager Frühlings" wie m i t ersten sichtbaren Ergebnissen reformsozialistischer Politik bei ihrem Besuch i m südlichen Nachbarland konfrontiert 6 8 . Neben dieser Besucherzahl von insgesamt 2,6 M i l l i o Schaubild I Besucherzahlen zwischen DDR und CSSR in den Jahren 1966 bis 1969" Besucher

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nen DDR-Bürgern i n der CSSR während der Jahre 1967/68 sind auch 1,1 Millionen CSSR-Bürger i n der DDR während des gleichen Zeitraums als bedeutende Meinungsmultiplikatoren für die Prager Reformideen anzusehen (Schaubild I). Als bedeutende Meinungsmultiplikatoren können sie gelten, weil beiden genannten Gruppen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit bei der Darstellung der CSSR-Ereignisse i n der DDR zugebilligt werden kann. Ihre Wirkung wurde insbesondere durch die deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag 7 0 und durch entsprechende Berichte der Rundfunk- und Fernsehanstalten der Bundesrepublik Deutschland erhöht 7 1 , die nachgewiesenermaßen ein Großteil der DDRBevölkerung regelmäßig empfängt. Die Analyse der politischen Einstellung der DDR-Bevölkerung zum „Prager Frühling" muß wegen des meist unzureichenden Quellenmaterials lückenhaft bleiben. Dennoch ermöglicht sie es, ein informatives Stimmungsbild zu zeichnen. Die mangelhafte Quellenlage ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, daß die Bürger der DDR bei öffentlichen Stellungnahmen i m allgemeinen äußerst vorsichtig sind und nur kalkulierbare Risiken eingehen 72 , denn auf öffentliche Meinungsäußerungen, die denen der SED nicht entsprechen, stehen hohe Strafen 7 3 . So können westliche Beobachter i m Frühjahr 1968 nur wenige positive Reaktionen auf den „Prager Frühling" wahrnehmen. I n der Familie war, nach Aussage des „Zeit"-Korrespondenten Haug von Kuenheim, 68 So wurde i n Prag unter anderem das Manifest der „2000 Worte" i n deutscher Sprache an DDR-Touristen verteilt, wogegen die politische Elite der DDR protestierte: Stellungnahme des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zum Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei v o m 19. J u l i 1968, i n : ND, Nr. 203, v o m 24. J u l i 1968, S. 6. 69 Die einzelnen Zahlenangaben finden sich i n : Statistickâ Roöenka Ceskoslovenské Socialistické Republiky, hg. von Stâtni Statisticky Ürad, Praha 1967, S. 370 (für das Jahr 1966); ebd., Praha 1968, S. 380 (für das Jahr 1967); Statistickâ Roöenka Ceskoslovenské Socialistické Republiky, hg. von Federâlni Statisticky Ürad, Praha 1969, S. 388 (für das Jahr 1968); ebd., Praha 1970, S. 389 (für das Jahr 1969). 70 Leiter der deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag w a r der Reformsozialist Bedrich Utitz. 71 Vgl. Werner Barm, Abgrenzung (wie A n m . A I I I / 6 1 ) , S. 170 f. I m A n schluß an die CSSR-Intervention w u r d e n westliche Rundfunksender i n B e r lin-Ost sogar öffentlich gehört: Hans Martin, o. T. (25. August 1968), i n : R u n d funkkommentare. Berichte—Interviews—Dokumentationen über die sowjetische Intervention i n der Tschechoslowakei, gesendet i m DeutschlandfunkProgramm v o m 21. bis 27. August 1968, K ö l n o. J. (1968), S. 167. 72 Diese treffende Beschreibung der DDR-Bevölkerung gibt: Ludwig Auerbach, Dosierte Reformen. DDR i m Wandel, i n : Politische Studien, 19. Jg. (1968) Heft 180, S. 391. 78 Vgl. § 106 Strafgesetzbuch (wie Arim. A1/29).

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die Prager Entwicklung allerdings schon während der DDR-Verfassungsgebung i m März 1968 ein Hauptgesprächsthema 74 . Bis in das Jahr 1969 hinein sollte sie dies bleiben 7 5 . Zu öffentlichen Stellungnahmen für den „Prager Frühling" fanden sich i m allgemeinen nur wenige DDR-Bürger bereit. Wolf Biermann ließ beispielsweise seine Sympathie für die tschechoslowakische Erneuerungsbewegung i n einem von ihm verfaßten Lied erkennen, i n dem er schreibt: „ I n Prag ist Pariser Kommune" 7 6 . Dieter Borkowski, ein von 1966 bis 1971 unter dem Decknamen Arno Hahnert i n Berlin-Ost arbeitender „Zeit"-Mitarbeiter, berichtete i m A p r i l 1968 über den Fund von Flugblättern i n der Weimarer Architekturhochschule, auf denen eine Liberalisierung und Demokratisierung i n der DDR gefordert w u r den 7 7 . I n der CSSR selbst sprachen sich zum gleichen Zeitpunkt der Direktor des Zirkus Berolina, Alexander Scheel, der SED-Parteisekretär des Zirkusensembles, Siegfried Hertel, der Intendant der Landesbühnen Dresden-Radebeul, K a r l Hoffmann, und Horst Firley, Innenausstatter beim TV-Ostseestudio Rostock, für eine eigenständige innenpolitische Entwicklung i m südlichen Nachbarstaat aus. 78 Robert Havemann begrüßte die CSSR-Reformbewegung in einem zuerst i n der Prager Zeitung „Svet ν obrazech" vom 21. Mai 1968 veröffentlichten Aufsatz und erhoffte sich von ihr eine größere Verbreitung des reformsozialistischen Gedankenguts i n der D D R 7 9 . Rückblickend bezeichnete er ein Jahr später die Phase von Januar bis August 1968 als die „Zeit der großen Hoffnungen" 8 0 . Der 1969 von Reiner Kunze publizierte Gedichtband „Sensible Wege" trägt die Widmung „dem tschechischen Volk, dem slowakischen Volk". Darin eignet er verschiedenen reformsozialistischen Schriftstellern, so Wolf Biermann, Peter Hüchel, Alexander Solsche74 Haug von Kueriheim, Das Ja-Spiel i n der DDR, i n : Die Zeit, Nr. 14, v o m 5. A p r i l 1968, S. 2. 75 Vgl. Dettmar Cramer , I n Leipzig ist die Resignation überwunden, i n : F A Z , Nr. 65, v o m 18. März 1969, S. 2. 76 Wolf Biermann, Engelszungen (wie A n m . A111/36), S. 70. 77 Arno Hahnert (Pseudonym), M i t langen Ohren, i n : Die Zeit, Nr. 15, vom 12. A p r i l 1968, S. 13. 78 So geschehen gegenüber der Prager „Volkszeitung" als eine Reaktion auf negative Äußerungen des Sekretärs des Z K der SED u n d M i t g l i e d des P o l i t büros, K u r t Hager, über den „Prager F r ü h l i n g " : ο. V., Was sagen Sie zu Prof. Hager?, i n : VZ, Nr. 14, v o m 5. A p r i l 1968, S. 5. 79 Robert Havemann, Sozialismus u n d Demokratie (wie A n m . A I I I / 2 8 ) , S. 89 ff. 80 So i n der Hamburger Zeitung „Die Zeit" vom 10. Oktober 1969: ders., Der Sozialismus von morgen (1969), Nachdruck i n : ders., Rückantworten (wie A n m . A III/17), S. 101. Noch 1976 bekennt er sich zu dieser Aussage: Überbleibsel verrotteter Hoffnung? E i n Dialog zwischen Robert Havemann u n d Wolf Biermann, i n : F A Z , Nr. 94, v o m 22. A p r i l 1976, S. 23.

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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nizyn, Ludvlk und M i l a n Kundera sowie Jan Skâcel, einzelne Gedichte zu. Eines sei hier zitiert 8 1 : „Rückkehr aus Prag Dresden f r ü h j a h r 1968 Eine lehre liegt m i r auf der zunge, doch zwischen den zähnen sucht der Z o l l "

Kunze war es auch, der aus Protest gegen die Intervention von Warschauer-Pakt-Truppen in der CSSR seinen Austritt aus der SED bekanntgab 8 2 . Lediglich i m Anschluß an die Intervention vom 21. August 1968 fand sich ein größerer Teil der DDR-Bevölkerung, trotz der hohen Strafandrohungen, bereit, seine nach außen hin gezeigte passive Haltung zu den Prager Ereignissen für eine kurze Zeitspanne aufzugeben. I n eine bei der tschechoslowakischen Botschaft i n Berlin-Ost ausgelegte Unterschriftenliste trugen sich aus Solidarität mit dem Nachbarstaat insgesamt etwa tausend DDR-Bürger ein 8 3 , obwohl das Botschaftsgebäude von DDR-Sicherheitsorganen überwacht wurde 8 4 . Zudem äußerte eine unbekannte Zahl Jugendlicher, Arbeiter, SED-Mitglieder, Soldaten, Repräsentanten der Kirchen und sonstiger Bürger ihr Mißfallen über den militärischen Einmarsch, was auf verschiedenste Weise geschah. Die bei der DDR-Bevölkerung i n den ersten Tagen nach der CSSRIntervention allgemein beobachtbare Depression, Passivität und Vorsicht 8 5 wurde insbesondere unter der Jugend von einer Phase des Engagements für die Tschechoslowakei abgelöst. Von den durchgeführten Protestdemonstrationen, zum Beispiel i n Eisenach, Ruhla, Gotha 81 Reiner Kunze, Wege (wie A n m . A I I I / 3 6 ) , S. 70. Auch i n seinem Prosaband von 1976 spielt die Zeit des „Prager Frühlings" noch immer eine bedeutende Rolle: ders., Die wunderbaren Jahre. Prosa, F r a n k f u r t - M a i n 1976, S. 85 ff. 82 Vgl. Jürgen P. Wallmann, Der F a l l Reiner Kunze. E i n Beispiel L i t e r a t u r p o l i t i k der DDR, i n : Neue deutsche Hefte, 19. Jg. (1972) H e f t 4, S. 98. I m Statut der SED von 1963 w a r jedoch, i m Gegensatz zu dem von 1976, ein freiwilliger Parteiaustritt nicht vorgesehen u n d folglich nicht möglich. Siehe zum Parteistatut von 1976: Statut (wie A n m . A1/22), Ziffer 6/a. 88 Günter Lincke, Die Woche i n B e r l i n (24. August 1968), i n : R u n d f u n k kommentare (wie A n m . A I I I / 7 1 ) , S. 160. Z u weiteren Sympathiebezeugungen gegenüber der CSSR-Botschaft: Hanns Werner Schwarze, Die DDR ist keine Zone mehr, Köln/Berlin-West 1969, S. 28. 84 Hans Martin, ο. T. (wie A n m . A I I I / 7 1 ) , S. 167. 85 Diese H a l t u n g wurde beispielsweise i n Berlin-Ost beobachtet: Rolf Horst Rasch I Michael Korth, Zusammenfassender Bericht aus B e r l i n (21. August 1968), i n : Rundfunkkommentare (wie A n m . A I I I / 7 1 ) , S. 22; Hans-Martin Ziems, Bericht aus Ostberlin (22. August 1968), i n : ebd., S. 94; Dettmar Cramer, E i n Vorschlag: Spielzeugpanzer i n Ostberlin, i n : F A Z , Nr. 197, v o m 26. August 1968, S. 4; Peter Bender, Besatzer w i d e r Willen, i n : Die Zeit, Nr. 38, v o m 20. September 1968, S. 3.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

und Schwerin 86 , verdient diejenige in Eisenach vom 25. August 1968 besondere Beachtung, da dort etwa drei- bis viertausend Jugendliche zweieinhalb Stunden lang gegen den militärischen Einmarsch in der CSSR protestierten 87 . I n vielen Orten der DDR verteilten Jugendliche Flugblätter gegen die Besetzung 88 , wobei sie i n Berlin-Ost unter anderem vom Regisseur an der Komischen Oper, Horst Bonnet, unterstützt w u r den 8 9 . Auffallend an manchen Protesten ist, daß sich an ihnen auch solche Jugendliche beteiligten, deren Väter oder Verwandte einen großen Bekanntheitsgrad unter der DDR-Bevölkerung besitzen. Zu diesen gehörten die beiden Söhne des Reformkommunisten Robert Havemann, aber auch Kinder aus regimefreundlich eingestellten Familien: zum Beispiel der Sohn des stellvertretenden Kulturministers der DDR, Thomas Brasch, die Tochter des Institutsdirektors für MarxismusLeninismus beim Z K der SED, Erika Berthold, sowie eine Verwandte der Schauspielerin Helene Weigel 9 0 . Einige Söhne und Töchter von lokalen und regionalen Parteisekretären, Betriebsleitern und anderen Stützen des Regimes, die durch ihre Familien einen guten Einblick in die Herrschaftspraktiken der SED besitzen dürften, zählten ebenso zu den Protestteilnehmern 91 . Auch innerhalb der SED wurde K r i t i k am Vorgehen der WarschauerPakt-Staaten laut. Sie ist zum Beispiel daran zu erkennen, daß nach dem 21. August 1968 nur ein kleiner Teil ihrer sächsischen Mitglieder das Parteiabzeichen offen trug 9 2 . Bekannt ist ferner, daß bei einem offiziel86

Bernd Hummel, Protestdemonstrationen gegen CSSR-Besetzung i n Eisenach und anderen Städten Mitteldeutschlands (24. August 1968), i n : R u n d f u n k kommentare (wie A n m . A III/71), S. 147; Günter Bartsch, Wende (wie A n m . A III/3), S. 202. 87 Bernd Hummel, Telefonbericht vom Zonen-Grenzkontrollpunkt Herleshausen über Gespräche m i t Interzonenreisenden (26. August 1968), i n : Rundfunkkommentare (wie A n m . A III/71), S. 195. 88 Siehe: ο. V., Flugblätter gegen Invasion i n Ost-Berlin, i n : F A Z , Nr. 196, v o m 24. August 1968, S. 5; ο. V., I n der „ D D R " kursieren illegale Protestschreiben, i n : Die Welt, Nr. 218, v o m 18. September 1968, S. 6. Einer der Protestteilnehmer berichtet nach seiner Abschiebung i n die Bundesrepublik Deutschland selbst über seine A k t i o n e n : Gerald K. Zschorsch, Nirgendwo zu Hause. Eine Jugend i n der DDR, i n : Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, 28. Jg. (1978) Heft 23, S. 5 f. Siehe auch die biographischen Aufzeichnungen von Robert Havemann, dessen beide Söhne ebenfalls Flugblätter verteilten: Fragen (wie A n m . A I I I / 2 7 ) , S. 261 f. 89 ο. V., Panorama der Sowjetzone, i n : Deutsche Fragen, 14. Jg. (1968) Heft 12, vorletzte Hefteinbandseite. 90 Diese Namen w u r d e n veröffentlicht von: ο. V., Wegen staatsfeindlicher Hetze bestraft, i n : ND, Nr. 300, v o m 29. Oktober 1968, S. 2. Die V e r w a n d t schaftsbeziehungen erläutert: Red., Politische Urteile i n Ostberlin, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 8, S. 896. 91 Vgl. ο. V., Die D D R nach dem 21. August (I), in: Schweizer politische K o r respondenz, v o m 29. Oktober 1968, Bl. 535/Ausland. 92 Ebd., Bl. 536/Ausland.

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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len Empfang i n der rumänischen Botschaft zu Berlin-Ost, der unmittelbar nach der CSSR-Intervention stattfand, einige der anwesenden Parteifunktionäre der DDR zwar demonstrativ den Prager Botschafter mieden, ebenso eindeutig suchten sie allerdings Kontakt zu anderen tschechoslowakischen Diplomaten, um diesen ihre Anteilnahme zu versichern 93 . Bemerkenswert ist auch, daß i m „Oktober-Klub" der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in Berlin-Ost der Vortrag eines Protestliedes zur CSSR-Besetzung geduldet wurde 9 4 . Teils offene Mißbilligung widerfuhr dem militärischen Einmarsch i n Prag von Arbeitern und Soldaten der DDR. So verließen etwa dreitausend Arbeiter eine i m Kabelwerk „Oberspree" veranstaltete Betriebsversammlung, die zur Rechtfertigung der militärischen Intervention dienen sollte; sie hatten bemerkt, daß sie dort über die Entwicklung in Prag einseitig unterrichtet wurden 9 5 . Allein i n Sachsen und Thüringen weigerten sich Zehntausende von Arbeitern, an ihren Arbeitsplätzen Resolutionen zuzustimmen, mit denen die Intervention hätte gutgeheißen werden sollen 96 . I n Truppenteilen der Nationalen Volksarmee äußerte man gleichfalls Bedenken gegen die Besetzung des Nachbarlandes 97 . Viele Soldaten, die an der militärischen A k t i o n teilnehmen mußten, waren einer derartigen psychischen Belastung nicht gewachsen. Manche wurden nach wenigen Tagen Aufenthalt i n der CSSR gegen neue Truppenkontingente aus der DDR ausgetauscht 98 . Andere versuchte man mit Beat-Musik, schließlich sogar schwedischen Sex-Filmen und zuletzt durch die stillschweigende Duldung von Alkoholgenuß von der peinlichen Situation abzulenken 99 , daß dreißig Jahre nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch Hitler wieder deutsche Truppen zu den Invasoren zählten. Auch die Kirchen i n der DDR zeigten sich über eine solche politische Konfliktregelung bestürzt. I n einem offenen Brief der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg an die ökumenischen Kirchen i n der CSSR vom 5. September 1968 heißt es 1 0 0 : 03

Günter Lincke, Woche (wie A n m . A I I I / 8 3 ) , S. 160. Hanns Werner Schwarze, DDR (wie A n m . A I I I / 8 3 ) , S. 395. 95 Günter Lincke, Woche (wie A n m . A I I I / 9 3 ) , S. 159 f. Über ähnliche V o r gänge berichtet: Arno Hahnert (Pseudonym), „ W i r wären nicht mehr sic h e r . . . " . Gespräche u n d Beobachtungen i n der DDR, i n : Die Zeit, Nr. 35, vom 30. August 1968, S. 2. 98 ο. V., DDR (wie A n m . A111/91), Bl. 536/Ausland. 97 So bei den Soldaten an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland: Werner Barm, Abgrenzung (wie A n m . A111/61), S. 112 ff. 98 Ebd., S. 112. Vgl. Klaus-Otto Skibowski, Schicksalstage einer Nation. Die CSSR auf dem Weg zum progressiven Sozialismus, Düsseldorf/Wien 1968, S. 161. 99 E i n solches Stimmungsbild zeichnet: Reiner Kunze, Jahre (wie A n m . A 111/81), S. 94 ff. 94

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR „ W i r leiden m i t Euch darunter, daß noch immer militärische M i t t e l eingesetzt werden, u m politische Fragen zu lösen".

Zudem forderte die Kirchenleitung den Abzug sämtlicher Interventionstruppen 1 0 1 . A u f ihre Empfehlung h i n 1 0 2 verlasen viele Pfarrer dieses Protestschreiben am 15. September 1969 i n den Gottesdiensten 103 . Dort wurden auch an mehreren Sonntagen Fürbitten für die Tschechoslowakei gesprochen 104 . Die vorgenannten Protestaktionen geben sicher nur einen kleinen Teil von denen wieder, die i m Anschluß an die CSSR-Intervention tatsächlich in der DDR stattfanden. Sie gewährleisten jedoch einen Einblick i n die Verschiedenartigkeit der Mißfallenskundgebungen und zeigen, daß sich Bürger aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppen daran beteiligten. Darüber hinaus können diese Proteste, zusammen mit den vielfältigen wahrheitsgetreuen Informationen über den „Prager Frühling" und den vereinzelten Sympathiebezeugungen für das reformsozialistische Ideengut, als wichtige Indizien dafür angesehen werden, daß 1968 viele DDR-Bürger als Potential für eine Verbreitung der Ideen des „Prager Frühlings" zu gelten hatten. Eine solche These läßt sich allerdings allein mit vorgenannten Indizien nicht ausreichend begründen. Erst eine empirisch nachgewiesene Diskrepanz zwischen den Legitimierungsversuchen der SED-Herrschaft und den Legitimitätsvorstellungen der DDR-Bevölkerung kann diese Annahme erhärten. 3. Legitimierungsprobleme des politischen Systemmodells der DDR Wie bereits bei der verfassungsnormativen Darstellung des politischen Systemmodells der DDR herausgearbeitet werden konnte, sind es i n der Hauptsache drei Aspekte, die zur Legitimierung, das heißt zur Akzeptierung der SED-Herrschaft durch die Bevölkerung, beitragen sollen: a) die orthodox interpretierte marxistisch-leninistische Ideologie, die den Sozialismus als kollektivistische Gesellschaftsordnung v e r w i r k l i c h t w i s sen w i l l ;

100 D e r Brieftext ist abgedruckt bei: Erwin Wilkens, Die Kirchen i n der Deutschen Demokratischen Republik, i n : Kirchliches Jahrbuch f ü r die Evangelische Kirche i n Deutschland, 95. Jg. (1968), Gütersloh 1970, S. 267. 101 Ebd., S. 267. 102 Diese Empfehlung erfolgte i n Briefform und findet sich: ebd., S. 266. 103 Vgl. Ghita Ionescu, Die Z u k u n f t des Kommunismus i n Osteuropa, F r a n k f u r t - M a i n / B e r l i n - W e s t 1969 (dt.), S. 171. 104 Erwin Wilkens, Kirchen (wie A n m . A I I I / 1 0 0 ) , S. 266.

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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b) die Annahme, das Planungs- u n d Leitungsmonopol der Partei garantiere eine optimale Produktionsorganisation und so ein hohes Maß an sozialer Sicherheit u n d materiellem Wohlstand f ü r die Bürger; c) die P o l i t i k der Abgrenzung gegenüber den liberal-demokratischen Staaten des Westens, vor allem gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, und die Integration i m Ostbündnis.

A l l e diese Versuche der SED, zu einer Legitimierung ihrer Alleinherrschaft zu gelangen, stießen zumindest i m Untersuchungszeitraum auf den Widerstand von großen Teilen der DDR-Bevölkerung. Dies bestätigen eine Anzahl von empirischen Erhebungen aus der DDR, wenngleich die überwiegende Mehrzahl der genehmigungspflichtigen soziologischen Untersuchungen 105 einzig zum Nachweis der politischideologischen Ubereinstimmung zwischen politischer Elite und Bürgerschaft erstellt w i r d 1 0 6 . Auch sollen die besonders häufigen Befragungen bei privilegierten Personengruppen des Regimes wie Produktionsarbeitern, Neuerern i n volkseigenen Betrieben und Jugendlichen 1 0 7 die offensichtlich große Diskrepanz zwischen den von DDR-Wissenschaftlern ermittelten Befragungsergebnissen einerseits und den tatsächlichen politischen Einstellungen wie Verhaltensweisen der meisten Bürger andererseits als nicht zutreffend erscheinen lassen. Der aufgrund des von der SED selbst definierten orthodox marxistisch-leninistischen Gesellschaftsziels erhobene Legitimitätsanspruch der Partei w i r d von vielen Bürgern i n Frage gestellt, da sie sich weigern, aufgrund der anthropologischen Gegebenheiten sogar zwangsläufig weigern müssen, das der Spontaneität und Individualität des Menschen widersprechende Menschenbild des totalitär verfaßten politischen Systems der DDR als allgemeinverbindlich zu betrachten. I n einer von namentlich nicht bekannten DDR-Forschern Mitte der sechziger Jahre i m Bezirk Magdeburg bei zwölf- und vierzehnjährigen Jugendlichen durchgeführten Befragung wollen fünfzig Prozent der vierzehnjährigen Freiheit als individuelle Entfaltungsmöglichkeit ver105

Siehe: Anordnung über das Verfahren zur Genehmigung von soziologischen Untersuchungen v o m 1. November 1965, G B l DDR 1965, T e i l I I Nr. 116, S.791. 108 Eine Verschmelzung von Informations-, Problemlösungs-, Erziehungsu n d Mobilisierungsfunktion i n der sozialwissenschaftlichen Forschung der DDR konstatiert: Peter Christian Ludz, Sozialwissenschaftliche Befragungen i m Dienst der SED. Z u r „Praxisverbundenheit" der empirischen Sozialforschung i n der DDR am Beispiel von Umfragen zu arbeits-, familien- u n d freizeitsoziologischen Problemen, i n : Deutschland Archiv, 12. Jg. (1979) Heft 8, S. 863. 107 Vgl. ebd., S. 863 hinsichtlich der Produktionsarbeiter u n d Neuerer. Einen Überblick über die empirischen Jugenduntersuchungen i n der DDR von 1945 bis 1970 gibt: Hans-Peter Schäfer, Jugendforschung i n der DDR. E n t w i c k lungen, Ergebnisse, K r i t i k , München 1974, S. 216 ff.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

standen wissen und nicht, wie es die marxistisch-leninistische Orthodoxie vorschreibt, als Einsicht i n eine vorgegebene Notwendigkeit. Trotz einer sozialistischen Erziehung der Befragten i n der Schule, der Pionierorganisation „Ernst Thälmann", der Freien Deutschen Jugend u. a. liegt dieser Prozentsatz um zweiundzwanzig Punkte über dem bei zwölfjährigen (Schaubild II), was auf eine gewisse politische Desozialisation mit zunehmendem Alter der Jugendlichen schließen läßt. Schaubild

II

Zum Freiheitsverständnis von Jugendlichen in der D D R 1 0 8 Antworten

Altersgruppe Altersgruppe 12 Jahre 14 Jahre ( in Prozent )

Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit Sinngemäfl ähnliche Auffassung



40

Freiheit ist p e r sönliche Freiheit

28

50

Unklare, unbestimmte Antwort

H

10

Gerade i n der Pubertät dürften die Jugendlichen den bereits i n der Ideologie angelegten Widerspruch zwischen den großen Erwartungen hinsichtlich eines Abbaus jeglicher Entfremdungserscheinungen i m Kommunismus und den politischen Zwängen i m A l l t a g des sozialistischen deutschen Staats als besonders schmerzlich empfinden 1 0 9 . Demnach verwundert es nicht, wenn die Auswertung von 457 Aufsätzen gleichaltriger Schüler zum Thema „Was ich über die Deutsche Demokratische Republik und das Leben der Bürger in unserem Staate weiß!" ergibt, daß nur 6,1 Prozent der Aufsätze die führende Rolle der SED als ein Merkmal der DDR nennen. Bei achtzehn erwähnten Merkmalen ist dies Rang fünfzehn, weshalb die DDR-Studie denn auch zu dem Schluß kommt, „daß dieser Aspekt von den Schülern nur i n geringem Maße erfaßt und verstanden w i r d " 1 1 0 . Für die SED muß dies ein unbefriedi108

Ohne Angabe von Quellen zitiert bei: Rudolf Maerker, Jugend i m anderen T e i l Deutschlands. Schrittmacher oder Mitmacher?, München 1969, S. 76. 109 Vgl. Klaus-Dieter Schulz, Widerstand i n der DDR, i n : Rolf Italiaander (Hg.), D i k t a t u r e n i m Nacken, München 1971, S. 182; Hans-Peter Schäfer, Jugendforschung (wie A n m . AIII/1Q7), S. 169 ff.

I I I . Chancen f ü r die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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gendes Resultat darstellen, das über den insgesamt geringen Grad an gesellschaftlich-ideologischer Orientierung der DDR-Jugend Auskunft gibt111. Freiheit als individuelle Entfaltungsmöglichkeit begehren Jugendliche nicht zuletzt am Arbeitsplatz, eine Forderung, die auch von Erwachsenen erhoben wird. So stellt Holger Michaelis i n einer 1967 veröffentlichten Untersuchung bei einhundertzwanzig männlichen Jugendlichen i m Alter von sechzehn bis fünfundzwanzig Jahren fest, daß diese den Faktor selbständige Arbeit höher als eine gute Bezahlung einschätzen 112 . Die von Toni Hahn 1965 publizierte betriebssoziologische Analyse zweier Betriebe i n Berlin-Ost konstatiert, daß eine relative Mehrheit von 32,3 Prozent der von ihm befragten Neuerer zuallererst durch selbständige und verantwortungsbewußte Arbeit Befriedigung an ihrer Tätigkeit findet 1 1 3 . I n einer drei Jahre später bekannt gewordenen empirischen Teilerhebung über die Lage der Arbeitnehmer i n der chemischen Industrie halten es 91,1 Prozent der befragten Arbeiter für notwendig, daß sich alle Betriebsangehörigen, und nicht nur die Leitung, Gedanken über die Organisation der betrieblichen Arbeit machen 114 . Mitbestimmungsmöglichkeiten, die ausschließlich auf die optimale Durchführung von vorgegebenen Anweisungen hinauslaufen, werden folglich abgelehnt. Die Auflehnung vieler DDR-Bürger gegen die von der SED angestrebte kollektivistische Gesellschaftsordnung, die sich nicht zuletzt auch noch 110 Diese Ergebnisse w u r d e n bei der Erprobung des staatsbürgerkundlichen Lehrplans i n den Jahren 1966 bis 1969 gewonnen: Horst Baumann / Josef Kompaß / Horst Kühn / Walter Vier, Überzeugungsbildung i m Staatsbürgerkundeunterricht. Pädagogisch-psychologische Probleme der Uberzeugungsbildung i m Staatsbürgerkundeunterricht der Klassen 7 u n d 8, Berlin-Ost 1971, S. 61 ff. 111 So auch das Ergebnis von Peter Christian Ludz bei der Auswertung von empirischen Studien aus der DDR für den Z e i t r a u m 1958—1963: Soziologie und empirische Sozialforschung i n der DDR, i n : ders. (Hg.), Studien (wie Anm. A 1/47), S. 390 ff. 112 Holger Michaelis, Einige Probleme der sozialen Integration Jugendlicher i m Industriebetrieb, i n : K u r t Braunreuther / Fred Oelssner / Werner Otto (Hg.), Soziologische Aspekte der Arbeitskräftebewegung, Berlin-Ost 1967, S. 309. Vgl. Herbert F. Wolf, Erwartungen u n d Einstellungen junger P r o d u k tionsarbeiter i n sozialistischen Industriebetrieben, i n : Jugendforschung, o. Jg. (1968) Heft 5, S. 43 f. 113 Toni Hahn t Arbeitsfreude — eine soziologische Studie (1965), Nachdruck in: Peter Christian Ludz (Hg.), Soziologie u n d Marxismus i n der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Bd., Neuwied/Berlin-West 1972, S. 5 f. H a h n stellt ferner fest, daß diejenigen Neuerer m i t größerer B i l d u n g der selbständigen A r b e i t auch einen größeren Vorrang vor der Bezahlung geben als die anderen (S. 8 f.). 114 Josef Geräts, Z u einigen Fragen der Soziologie des Betriebsklimas (1968), Nachdruck i n : Peter Christian Ludz (Hg.), Soziologie und Marxismus (wie A n m . A I I I / 1 1 3 ) , S. 51 f.

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i n der bereits erwähnten hohen Einschaltquote von Rundfunk- und Fernsehsendungen aus der Bundesrepublik Deutschland manifestiert, erlaubt es unter anderem, von günstigen Voraussetzungen für die Verbreitung des reformsozialistischen Ideenguts in der DDR zu sprechen. Der i m August 1969 i n die Bundesrepublik geflüchtete Ratsvorsitzende des DDR-Grenzkreises Osterburg-Altmark, Werner Barm, schreibt dazu115: „Meine 23jährige Praxis i m Führungsmechanismus der DDR verpflichtet mich . . zu dieser Aussage: Das Verlangen nach einer Demokratisierung des Sozialismus, die Sehnsucht nach Freiheit w a r nie tot! Nicht i m D D R Staatsvolk, nicht i n der mitteldeutschen Intelligenz, nicht i n der heranwachsenden Jugend u n d auch nicht unter der 1,9-Millionen-Mitgliedermasse der SED".

Ein bestimmtes, hier nicht näher zu erläuterndes Maß an realen Partizipations- und freien Entfaltungsmöglichkeiten müßte demnach den DDRBürgern von einer auf die Legitimierung ihrer Herrschaft bedachten politischen Elite gewährt werden. Hierzu ist aber die SED-Führung, i m Gegensatz zu den Reformsozialisten, nicht bereit. Da sich die Partei dieses Legitimitätsdefizits offenbar bewußt ist, möchte sie neben den untauglichen ideologischen Legitimierungsversuch Schritt für Schritt eine allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung treten lassen. Insbesondere seit Anfang der sechziger Jahre sucht sie dies mit Hilfe des Fachwissens der zumeist politisch geschulten ökonomisch-technischen Intelligenz zu erreichen 116 . So konnten die sozialen und materiellen Leistungen des Staates für seine Bürger aufgrund einer verbesserten Produktionsorganisation i m Neuen ö k o nomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft 1 1 7 permanent angehoben werden. Die durchschnittlichen Nettoeinkommen und deren Kaufkraft stiegen von 1960 bis 1970 fortlaufend, wobei die niedrigeren Einkommen der Rentner und die eines Teils der Arbeitnehmer gegenüber den höheren der Selbständigen und Genossenschaftsmitgliedern prozentual am stärksten zunahmen, ohne jedoch die Rangfolge der sozialen Gruppen hinsichtlich der Durchschnittseinkommen zu verändern 1 1 8 . Auch das Netz der sozialen Sicherung 1 1 9 wie der Bildungsbereich wurden i n den sechziger Jahren weiter ausgebaut 120 . us Werner Barm, Abgrenzung (wie A n m . A III/61), S. 211. 116 Hierzu das grundlegende Werk von Peter Christian Ludz, Parteielite (wie A n m . 7), S. 122 ff. Siehe auch: Ernst Richert, Die D D R - E l i t e oder Unser Partner von morgen?, Reinbek bei H a m b u r g 1968, S. 110 ff.; Thomas A. Bay lis , The Technical Intelligentsia and East German Elite. Legitimacy and Social Change i n Mature Communism, Berkeley/Los Angeles/London 1974, S. 133 ff. 117 Hierzu grundlegend: Richtlinie (wie A n m . A I I I / 4 5 ) . 118 Vgl. D D R Handbuch, hg. v o m Bundesministerium f ü r innerdeutsche

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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I n der T a t besteht i n d e r Verbesserung der L e b e n s b e d i n g u n g e n eine M ö g l i c h k e i t z u r K o n s o l i d i e r u n g d e r S E D - H e r r s c h a f t 1 2 1 , z u m a l i n der D D R , i m Gegensatz z u m a n c h e n w e s t l i c h e n Staaten, die m a t e r i e l l e Sättigungsgrenze v o m G r o ß t e i l der B e v ö l k e r u n g noch n i c h t erreicht w o r d e n i s t 1 2 2 . Das M a t e r i e l l e s p i e l t d a h e r b e i D D R - B ü r g e r n eine bedeutende R o l l e 1 2 3 . A u ß e r d e n sozialen S i c h e r u n g e n ist es d e n n auch v o r a l l e m die E r f ü l l u n g v o n p r i v a t e n K o n s u m b e d ü r f n i s s e n , die d e r B e v ö l k e r u n g e i n G e f ü h l der G e b o r g e n h e i t u n d L o y a l i t ä t s v e r p f l i c h t u n g gegenü b e r i h r e r politischen E l i t e a b v e r l a n g t 1 2 4 . Daß es sich dabei a l l e r d i n g s n u r u m E r s c h e i n u n g e n einer p a r t i e l l e n sozio-ökonomischen S t a b i l i t ä t h a n d e l t 1 2 5 , n i c h t aber u m eine L e g i t i m i e r u n g des Herrschaftsanspruchs der S E D 1 2 6 , belegen die f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n . E n t g e g e n d e m Versprechen, der S E D g a r a n t i e r e

das P l a n u n g s -

eine o p t i m a l e

und

Leitungsmonopol

volkswirtschaftliche

Produktions-

Beziehungen, 2. A u f l . K ö l n 1979, S. 319 f. (Einkommen) u n d S. 583 f. (Kaufkraft). Siehe auch: Bericht der Bundesregierung u n d Materialien zur Lage der Nation 1971, hg. v o m Bundesministerium f ü r innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1971, S. 125 ff. 119 Vgl. Bericht 1971 (wie A n m . A I I I / 1 1 8 ) , S. 155 ff. 120 Vgl. ebd., S. 187 ff. 121 Vgl. Hermann Rudolph, Die Gesellschaft der DDR — eine deutsche Möglichkeit? Anmerkungen zum Leben i m anderen Deutschland, München 1972, S. 111 f. 122 So: Ludwig Auerbach, Reformen (wie A n m . A I I I / 7 2 ) , S. 393. 123 Siehe zum Beispiel: Rudolf Maerker, Jugend (wie A n m . A I I I / 1 0 8 ) , S. 87; Horst Krüger, Magdeburger Vergeblichkeiten, i n : M e r k u r , 24. Jg. (1970) Heft 5, S. 422 ff. 124 Vgl. Hans Lades, 20 Jahre Deutsche Demokratische Republik (Die Orientierung, 2. Beiheft), Pfaffenhofen 1969, S. 103 f. Siehe auch die Ergebnisse der Umfragen, die Hans Apel M i t t e der sechziger Jahre i n der DDR durchführte: Ohne Begleiter — 287 Gespräche jenseits der Zonengrenze, K ö l n 1965; DDR 1962 1964 1966, Berlin-West 1967. 125 A u f die spezielle Verbindung von politischer L a b i l i t ä t u n d partieller sozio-ökonomischer Stabilität i n der DDR weist vor allem Peter Christian Ludz h i n : Die soziologische Analyse der DDR-Gesellschaft, i n : ο. V., Wissenschaft und Gesellschaft i n der DDR, München 1971, S. 19. 126 Dies aber k l i n g t fälschlicherweise bei folgender A r b e i t an: Arthur M. Hanhardt jr., East Germany: F r o m Goals to Realities, i n : I v a n Volgyes (Ed.), Political Socialization i n Eastern Europe. A Comparative Framework, New York/Washington/London 1975, S. 66 ff. John Dornberg behauptet sogar i n Unkenntnis des tatsächlichen Sachverhalts, wegen der materiellen Einstellung der DDR-Bürger seien die Ideen des „Prager Frühlings" für diese i r relevant gewesen: Deutschlands andere Hälfte. Profil und Charakter der DDR, Wien/München/Zürich 1969 (dt.), S. 327. Auch die Behauptung von Ernst Richert, die CSSR-Reformen hätten keinen Einfluß auf die D D R - G e sellschaft ausgeübt, da diese „ a m Point of no return angelangt" sei, muß hier verworfen werden, zumal es solche apodiktischen Aussagen i n der Geschichte nicht gibt: Zwischen Eigenständigkeit und Dependenz. Z u r Wechselw i r k u n g von Gesellschafts- und Außenpolitik i n der DDR, i n : Deutschland Archiv, 7. Jg. (1974) Heft 9, S. 968.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

organisation und so ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und materiellem Wohlstand für die Bürger, verhindern gerade die Vereinigung aller Entscheidungsgewalt bei der politischen Elite und die damit einhergehende extensive Wachstumspolitik mit relativ hohen Akkumulationsund bescheidenen Konsumtionsraten 1 2 7 noch bessere Lebensbedingungen. Nur eine Abkehr vom zentral-administrativen Planungssystem, analog dem sozialistischen Marktmodell in der CSSR und dem damit verbundenen Ziel eines intensiven Wirtschaftswachstums, könnte hieran grundlegend etwas ändern. Dies haben DDR-Bürger erkannt und üben K r i t i k an der Zentralverwaltungswirtschaft. So geben Dreiviertel der von dem Soziologen Dieter Voigt i n den Jahren 1965/1966 befragten neunhundert Montagearbeiter den zentralen Wirtschaftsverwaltungsorganen die Schuld für Unzulänglichkeiten auf ihren Großbaustellen 128 . Zudem sagen 74,1 Prozent der Befragten aus, daß sich die SED und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) nicht für ihre Belange i m Produktionsprozeß einsetzten 129 . Es verwundert daher auch nicht, wenn rund neunzig Prozent der Montagearbeiter den Namen des für ihre Baustelle zuständigen Parteisekretärs, betrieblichen Kaderleiters bzw. Arbeitsdirektors nicht kennen 1 3 0 . Ohne die zum Teil aus solchen Schwächen der bestehenden Wirtschaftsordnung erwachsende, i m Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland geringe A r beitszufriedenheit 131 und niedrige industrielle Arbeitsproduktivität (1968: 68,4 Prozent) 1 3 2 könnten die in der DDR erzielten ökonomischen Erfolge gewiß bedeutender sein, was der Bevölkerung zugute käme. So aber vergrößerte sich i m Zeitraum von 1960 bis 1969 sogar noch der Abstand i m Lebensstandard zwischen beiden deutschen Staaten zu ungunsten der D D R 1 3 3 . Die liberal-demokratischen Staaten des Westens und dabei besonders die Bundesrepublik Deutschland, zu deren Bevölkerung viele DDRBürger mannigfache familiäre und freundschaftliche Beziehungen pflegen, stellen bei den Bemühungen der SED um eine Legitimierung ihrer Herrschaft nicht nur i n materieller Hinsicht eine Herausforderung dar. 127

Z u diesem MißVerhältnis siehe: Martin Jänicke, Krise u n d Entwicklung i n der DDR — Der 17. J u n i 1953 u n d seine Folgen, i n : H a r t m u t Elsenhans / M a r t i n Jänicke (Hg.), Innere Systemkrisen der Gegenwart. E i n Studienbuch zur Zeitgeschichte, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 160 ff. 128 Dieter Voigt, Montagearbeiter (wie A n m . A I I I / 6 0 ) , S. 109. 129 Ebd., S. 110. 130 Ebd., S. 111. 131 Vgl. ebd., passim; Walter Jaide, Arbeitszufriedenheit bei Jugendlichen i n der D D R und der Bundesrepublik Deutschland, i n : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 27. Jg. (1975) Heft 3, S. 438 ff. 132 DDR Handbuch (wie A n m . A I I I / 1 1 8 ) , S. 62. 133 Vgl. Bericht 1971 (wie A n m . A III/118), S. 125 ff.

I I I . Chancen für die Verbreitung des Prager Ideenguts i n der D D R

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Wesentlicher erscheint, daß das dargelegte Freiheitsverständnis und die Forderung der DDR-Bewohner nach realen Partizipationsrechten nicht dem kollektivistischen Menschenbild des totalitär verfaßten politischen Systems entsprechen. Die politische Elite der DDR sieht daher eine allseitige Abgrenzungspolitik gegenüber unliebsamem, dem orthodoxen Marxismus-Leninismus widersprechendem Ideengut und das Bekenntnis zum proletarischsozialistischen Internationalismus als wesentliche Voraussetzungen zur Legitimierung ihrer Herrschaft a n 1 3 4 . Bei der Verwirklichung dieser Politik, die sich nicht zuletzt 1961 beim Bau der Berliner Mauer manifestierte, kann die SED-Führung jedoch nicht mit der Unterstützung einer Mehrzahl der eigenen Bevölkerung rechnen, wie folgende Beispiele zeigen. Es waren in den sechziger Jahren vor allem Schriftsteller wie Christa Wolf und Reiner Kunze, die mit ihren Arbeiten das gesamtdeutsche Zusammengehörigkeitsgefühl in der DDR stärkten 1 3 5 . Das große Interesse der Bevölkerung an der Deutschen Frage trat insbesondere am 26. März 1966 zutage, als die achthunderttausend Druckexemplare von „Neues Deutschland" binnen weniger Stunden vergriffen waren; sie enthielten den vollen Wortlaut des SPD-Antwortbriefs auf den SED-Vorschlag eines Redneraustauschs, der dann schließlich doch nicht zustande k a m 1 3 6 . Bei Reisen in die DDR stellten die Journalisten Hans Axel Holm und Wolfgang Nette Ende des Jahrzehnts fest, daß bei der DDR-Bevölkerung, und hier verständlicherweise vor allem i n der älteren Generation, ein großes Interesse an Ereignissen i n der Bundesrepublik bestehe 137 , das sich nicht zuletzt ja auch i m häufigen Einschalten der westlichen Rundfunk- und Fernsehsendungen äußerte. 1970 sprach schließlich ein Teil der DDR-Bürger beim Erfurter Treffen zwischen Bundeskanzler W i l l y Brandt und DDR-Ministerpräsident W i l l i Stoph offen aus, daß er hohe Erwartungen i n die Bonner Politik der Annäherung von Ost und West setze und für W i l l y Brandt eine große Sympathie empfinde 1 3 8 . Das in 134

Den ersten Aspekt arbeitet vor allem Bernd Kregel heraus: Außenpolit i k und Systemstabilisierung i n der DDR, Opladen 1979, S. 61 ff. Der zweite sollte jedoch ebenfalls stets genannt werden, handelt es sich hierbei doch u m einen eigenständigen Beitrag zur Herrschaftslegitimierung. iss v g l . Werner Brettschneider, Zwischen literarischer Autonomie u n d Staatsdienst. Die L i t e r a t u r i n der DDR, Berlin-West 1972, S. 277. A u f folgende schriftstellerischen Arbeiten sei besonders hingewiesen: Christa Wolf, Der geteilte Himmel. Erzählung, Halle 1963; Reiner Kunze, Wege (wie A n m . A III/36), S. 75 ff. 136 Zusammenfassend dargestellt bei: Regina Siewert/ Helmut Bilstein, Kontakte (wie A n m . A II/132), S. 33. 137 Vgl. Hans Axel Holm, Bericht aus einer Stadt i n der DDR, München 1970, S. 78; Wolf gang Nette, DDR-Report, Düsseldorf/Köln 1968, S. 32 ff. und 98.

6 Burens

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

den vorgenannten Beispielen sichtbar gewordene nationale Zusammengehörigkeitsgefühl, das freilich ein wachsendes eigenes Staatsbewußtsein in beiden Teilen Deutschlands nicht ausschließt 139 , bestätigen nicht zuletzt verschiedenartige Kommunikationsströme wie Reise-, Güter- und Postverkehr 1 4 0 sowie mannigfache Fluchtversuche von DDR-Bürgern. Läßt man die prinzipielle Unvereinbarkeit des kollektivistischen Menschenbilds der SED-Führung mit den anthropologischen Gegebenheiten einmal außer Acht, so gab es, aus der Sicht der sechziger Jahre, dennoch keine Chance für die politische Elite, zu einer kurz- oder mittelfristigen Legitimierung des totalitär verfaßten politischen Systems der DDR zu gelangen. Eine wesentliche Voraussetzung hierbei, eine erfolgreiche Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, traf auf den Widerstand einer großen Zahl von DDR-Bürgern. Die Verwirklichung des Prager Beispiels, eine vielfältige Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik anzustreben und die dazu erforderlichen politischen Freiräume gegenüber der sowjetischen Hegemonialmacht zu beanspruchen, hätte hingegen i n der Deutschlandpolitik zu einer Übereinstimmung zwischen Regierenden und Regierten in der DDR führen können. Diesem Vorbild konnte die SED jedoch nicht ohne weiteres folgen, wenn sie die Versuche, ihre orthodox marxistisch-leninistisch orientierte Herrschaft und letztlich die DDR als eigenständigen Staat zu legitimieren, nicht selbst ad absurdum führen und dies öffentlich eingestehen wollte. Bei der Darstellung der Legitimierungsversuche der SED-Herrschaft w i r d deutlich, daß zumindest Mitte der sechziger Jahre Großteile der DDR-Bewohner den orthodoxen Marxismus-Leninismus und das sich hierauf stützende Machtmonopol der Partei ablehnten. Die politische Elite ergänzte denn auch die ideologische Begründung ihrer uneingeschränkten Alleinherrschaft durch eine partielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung einerseits wie durch eine Politik der Abgrenzung gegenüber der liberal-demokratisch verfaßten Bundesrepublik Deutschland andererseits 141 . Da man auch hierbei den Inter138 vgl. Walter Henkels, Zaungast i n Erfurt, i n : F A Z , Nr. 68, v o m 21. März 1970, S. 2. 139 Hierzu die Beobachtungen von: Eberhard Schulz / Hans-Dieter Schulz, Braucht der Osten die DDR?, Opladen 1968, S. 28; Walter Osten, Außenpolitik (wie A n m . 3), S. 23 f. Die A r b e i t von Gebhard Schweigier differenziert n u r unzureichend zwischen Staats- u n d Nationalbewußtsein, wenn sie von einem eigenen „Nationalstaatsbewußtsein" i n der D D R spricht: Nationalbewußtsein i n der B R D u n d der DDR, Düsseldorf 1973, S. 80 ff. 140 Siehe für den Z e i t r a u m 1950 bis 1969: Beate Schneider, Konflikt, Krise u n d K o m m u n i k a t i o n . Eine quantitative Analyse innerdeutscher Politik, M ü n chen 1976. Z u r Einheit der deutschen Nation vergleiche auch: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1974, hg. v o m Bundesministerium für i n nerdeutsche Beziehungen, Bonn 1974, S. 66. ff.

I V . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

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essen der Bürger nur bedingt entsprach bzw. sie sogar mißachtete, konnten diese Faktoren allerdings keinen Abbau der existentiellen Legitimierungsprobleme des politischen Systemmodells der DDR bewirken.

I V . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen: Bedrohungsvorstellungen der politischen Elite der D D R angesichts des „Prager Frühlings"

Die bisherigen Ausführungen dieser Studie legen dar, daß das totalitär verfaßte politische Systemmodell der DDR und das reformsozialistische des „Prager Frühlings" unvereinbar sind. So w i r d i n der DDRVerfassung von 1968 der marxistisch-leninistischen Parteiführung ein uneingeschränktes Machtmonopol mit dem Ziel zugebilligt, eine Staatsund Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, in denen jede A r t von Pluralismus verboten ist. Hingegen lehnt das bedeutendste politische Systemmodell des „Prager Frühlings", das auf einen parlamentarischen Mehrparteienstaat hinauslaufende Modell der Prager Reformsozialisten, ein Herrschaftsmonopol für die Kommunistische Partei wie die Realisierung eines nach den orthodoxen Vorstellungen der SED definierten Sozialismus ab. Es gewährt vielmehr allen politischen Parteien, Institutionen und Bürgern allseitige reale Partizipationsmöglichkeiten bei größtmöglichen individuellen Freiheiten und kollektiven Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln. Darüber hinaus wollen die Prager Reformer die extensive Wachstumspolitik der totalitär verfaßten Staaten Osteuropas, einschließlich der DDR, durch eine intensive, sich primär an den Konsumbedürfnissen der Bevölkerung orientierende ersetzen. I m Bereich der Außenpolitik befürworten sie, i m Gegensatz zur SED, eine Politik der gleichberechtigten Partnerschaft zwischen allen Staaten, was eine reformsozialistische Transformation des Ostbündnisses und den Ausbau allseitiger Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland miteinschließt 1 . Die Erörterungen des Kapitels A zeigen darüber hinaus, daß bekannte Systemkritiker wie Robert Havemann, Herrmann Klenner und Christa 141 Z u einem ähnlichen Ergebnis k o m m t : Peter Bender, 6 χ Sicherheit. Befürchtungen i n Osteuropa, Köln/Berlin-West 1970, besonders S. 77. Siehe hierzu auch die sehr i n s t r u k t i v e n Ausführungen von A l f r e d Kurella, M i t glied des Z K der SED, die dieser 1967 gegenüber dem Tschechoslo waken Radoslav Selucky machte; zitiert bei: Radoslav Selucky, Das ostdeutsche Wunder, i n : Deutschland Archiv, 5. Jg. (1972) Heft 10, S. 1075. 1 Weitere Gegenüberstellungen der P o l i t i k der D D R - u n d der CSSR-Führung, die zu verwandten Ergebnissen gelangen, stammen von: Harald Ludwig, Gegensätze (wie A n m . 10), S. 691 ff.; Hermann Weber, Demokratischer Kommunismus? Z u r Theorie, Geschichte u n d P o l i t i k der kommunistischen Bewegung, Hannover 1969, S. X V I ff.



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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

Wolf als aktiver Part für eine Verbreitung des reformsozialistischen Ideenguts des „Prager Frühlings" i n der DDR angesehen werden können, während große Teile der anonymen Bevölkerungsmasse als Potential hierfür anzusprechen sind. Die außerordentliche Bedeutung der Prager Reformvorstellungen für die DDR-Bürger dürfte nicht zuletzt i n den Legitimierungsproblemen ihres totalitär verfaßten politischen Systems begründet liegen. Viele Bürger widersprechen dem von der SED vertretenen kollektivistischen Menschenbild, sind mit ihren materiellen Lebensbedingungen nur bedingt zufrieden und lehnen eine Politik der Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ab. Dementsprechend fordern sie vor allem individuelle Entfaltungs- und reale Partizipationsmöglichkeiten i m politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich. Auch besitzen sie nachweislich ein gesamtdeutsches Zusammengehörigkeitsgefühl m i t dem Wunsch nach intensiven innerdeutschen Beziehungen. Das i n der CSSR entwickelte „Modell des europäischen Sozialismus" mußte die DDR-Führung als existentielle Bedrohung perzipieren, da es zusammen mit den reformsozialistischen Kräften i m eigenen Staat zur Aktualisierung bestehender Legitimierungsprobleme beitragen konnte. Einer derartigen Einschätzung dürften aus gespeicherten Gedächtnisinhalten erwachsene Deutungsmuster sowie die eigenen orthodox marxistisch-leninistischen Zielvorstellungen zugrunde gelegen haben 2 . Das Gefühl der Bedrohung durch das reformerische Ideengut i m südlichen Nachbarstaat hatte die DDR-Führung zum ersten Mal nach der internationalen Kafka-Konferenz auf Schloß Liblice bei Prag i m Jahr 1963. I m Anschluß an diese Konferenz und angesichts der i n der DDR kontrovers geführten Diskussion über den Entfremdungsbegriff sprach das Mitglied des SED-Zentralkomitees, Alfred Kurella, dem Werk von Franz Kafka jegliche Aktualität für die osteuropäischen Staaten ab und warnte vor den ersten Anzeichen einer Entwicklung i n der CSSR h i n zum „Prager Frühling" 3 . Der damalige Kandidat des Politbüros, Horst Sindermann, verurteilte 1964 die Übernahme von reformsozialistischem Prager Gedankengut durch Hochschullehrer an der HumboldtUniversität zu Berlin-Ost, wobei er den Professor für Physikalische 2

Hierzu grundlegend: Karl W. Deutsch et al.: Bedrohungsvorstellungen als Faktor der internationalen P o l i t i k (Jahrbuch f ü r Friedens- und K o n f l i k t forschung, Bd. 1), Düsseldorf 1971. Der Auswirkungen ihres Gedankenguts auf das politische System der D D R waren sich auch die Prager Reformer bew u ß t ; so schreibt Ivan Svitâk, Horizonte (wie A n m . A11/27), S. 152: „Schöpferischer Marxismus freier Menschen — welcher H o r r o r f ü r die vereinigten Apparate aller Länder!" Vgl. Ota Sik, Fakten (wie A n m . A I I / 4 5 ) , S. 11. 8 Vgl. Alfred Kurella, Der Frühling, die Schwalben und Franz Kafka, i n : Sonntag, Nr. 31, v o m 4. August 1963, S. 10 ff.

I V . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

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Chemie Robert Havemann, der kurze Zeit später seine SED-Parteimitgliedschaft verlor, namentlich erwähnte. Sindermann führte vor dem Zentralkomitee unter anderem aus 4 : „Es k a n n bei den Auffassungen des Genossen Havemann nicht übersehen werden, daß ein Zusammenhang zwischen einigen seiner revisionistischen Theorien m i t Auffassungen besteht, die von Prag aus zu uns drangen".

I m Herbst und Winter 1967 warnte der Erste Sekretär des Z K der SED und DDR-Staatsratsvorsitzende, Walter Ulbricht, die Prager Kommunisten letztlich vergeblich vor einem personellen Wechsel i n der orthodox marxistisch-leninistischen Parteiführung unter Antonin Novotny, der für die DDR gefährliche Folgen haben könne 5 . Angesichts des „Prager Frühlings" gab er dann gegenüber den anderen Partei- und Staatsführern des Ostbündnisses zu, daß er das i n Prag konzipierte reformsozialistische Modell und dessen Auswirkungen auf die an die CSSR angrenzenden osteuropäischen Staaten als eine große Herausforderung für deren totalitär verfaßten politischen Systeme ansehe. Dies geschah auf den Konferenzen von Dresden (23. März 1968)e, Warschau (14. Juli 1968)7 und Preßburg (3. August 1968)8. Ihre Bedrohungsvorstellungen offenbarte die politische Elite schließlich und nicht zuletzt durch die von ihr angesichts des „Prager Frühlings" getroffenen innenpolitischen Entscheidungen, beispielsweise die ideologische Bekämpfung der tschechoslowakischen Reformbewegung i m Presseorgan des Zentralkomitees der SED „Neues Deutschland" und die überstürzte Verabschiedung der neuen DDR-Verfassung. Beide sind zusammen m i t weiteren Maßnahmen i m nächsten Kapitel genauer zu analysieren. 4 Horst Sindermann (Berichterstatter), Aus dem Bericht des Politbüros an das 5. Plenum des Z K , i n : ND, Nr. 44, v o m 13. Februar 1964, S. 4. 5 Dies geschah über den Prager DDR-Botschafter Peter F l o r i n als auch i n einem persönlichen Schreiben. Siehe dazu: ο. V., DDR. CSSR. Teuere Genossen, i n : Der Spiegel, Nr. 25, v o m 17. J u n i 1968, S. 46; Alexe j Kusâk / Franz Peter Künzel, Der Sozialismus m i t menschlichem Gesicht. Experiment und Beispiel der sozialistischen Reformation i n der Tschechoslowakei, München 1969, S. 134; Ludek Pachmann, Prag (wie A n m . A II/13), S. 36. β Dies berichten die nachfolgenden Autoren übereinstimmend, ohne jedoch nähere Einzelheiten mitzuteilen: Josef Maxa (Pseudonym), Die kontrollierte Revolution. Anatomie des Prager Frühlings, Wien/Hamburg 1969, S. 130; Alexe j Kusâk / Franz Peter Künzel, Sozialismus (wie A n m . A I V / 5 ) , S. 155. Kusâk w a r 1968 Chefredakteur der Prager Zeitschrift „Student". H i n t e r dem Pseudonym Joseph M a x a verbirgt sich nach A u s k u n f t von Dr. M a r i o n Gräfin Dönhoff ein A u t o r m i t Namen Budin. 7 Hierzu der Konferenzteilnehmer: Erwin Weit, Ostblock intern. 13 Jahre Dolmetscher f ü r die polnische Partei- u n d Staatsführung, H a m b u r g 1970, S. 248 ff. 8 Siehe: Philippe Ben, Diplomates et Journalistes Communistes en Poste aux États-Unis s'attendaient à l'intervention, i n ; Le Monde (Paris), Nr. 7342, v o m 22. August 1968, S. 4.

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Kap. A : Der „Prager F r ü h l i n g " — eine Herausforderung für die DDR

I m Selbstverständnis der marxistisch-leninistischen Elite der DDR hätte der „Prager Frühling" und die Gefahr einer Verbreitung seines Gedankenguts unter der DDR-Bevölkerung eigentlich keine politische Bedrohung darstellen dürfen. Nach Wladimir Iljitsch Lenin ist eine Bevölkerungsmasse allein zu einer politischen Veränderung nicht fähig. Erst „eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen Bahn bricht", eröffnet nach Lenin eine solche Chance 9 . Dies aber war i n der DDR des Jahres 1968, i m Unterschied zur CSSR, nicht der Fall. Die politische Elite zeigte i n der Auffassung, der Prager Herausforderung entschieden entgegentreten zu müssen, eine große Geschlossenheit. Keiner der maßgeblichen Politiker stellte das Herrschaftsmonopol der SED i n Frage 1 0 . Daher förderten auch Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Mitgliedern der Parteiführung in Fragen des Krisenmanagements, die unter anderem das Politbüromitglied und der Vorsitzende der Parteikontrollkommission, Hermann Matern, indirekt bestätigte 11 , keinesfalls eine Aufhebung der totalitären Verfaßtheit des politischen Systems. Folglich fußten die Bedrohungsvorstellungen der politischen Elite nicht auf der Leninschen Annahme. Sie lassen sich eher mit den bereits dargelegten, angesichts des „Prager Frühlings" aktualisierten Legitimierungsproblemen erklären, die i m politischen Alltag offenbar ein allgemein größeres Gewicht haben, als es ihnen Lenin beimaß.

9 W. I. Lenin, Der Zusammenbruch der I I . Internationale (1915), i n : ders., Werke, 21. Bd., 5. A u f l . Berlin-Ost 1974, S. 206. 10 I n praktisch jeder E r k l ä r u n g eines DDR-Politikers z u m „Prager F r ü h l i n g " w u r d e n die i n A r t . 1 Abs. 1 S. 2 D D V festgelegten Grundsätze anerkannt. 11 Vgl. Hermann Matern, W i r hüten die Einheit der Partei, i n : ND, Nr. 255, v o m 14. September 1968, S. 4.

KAPITEL Β

Über Kausalzusammenhänge zwischen innenpolitischen Entscheidungen in der D D R und dem „Prager Frühling" Angesichts des „Prager Frühlings" und der nachgewiesenermaßen guten Chancen für eine Verbreitung des reformsozialistischen Prager Ideenguts unter der DDR-Bevölkerung stellte sich für die politische Elite des zweiten deutschen Staates die Frage, wie sie der von ihr als politische Bedrohung perzipierten Situation begegnen sollte. Wenn auch der i n der DDR-Forschung allgemein erschwerte und mangelhafte Zugang zu den Quellen eine systematische Analyse der jeweiligen Entscheidungsprozesse nicht zuläßt, so kann anhand der zur Herrschaftssicherung getroffenen Maßnahmen und deren Entscheidungskontext dennoch nach Kausalzusammenhängen zum „Prager Frühling" gefragt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß aufgrund niemals auszuschließender Zufälle, d. h. der prinzipiellen Multikausalität und -dimensionalität der Geschichte, kein historisches Faktum restlos mit dem Kausalitätsprinzip erklärt werden kann. W i l l man trotzdem zu wissenschaftlich vertretbaren, i m Urteil abgewogenen Aussagen über mögliche Beeinflussungen von innenpolitischen Entwicklungen i n der DDR durch die tschechoslowakische Reformbewegung kommen und dazu andere potentielle Einflußfaktoren ausschließen, erfordert dies eine besondere Vorgehensweise. Sie ist zum Teil den Sozialwissenschaften entlehnt und arbeitet mit einer Vielzahl von Vergleichen 1 : a) Aus der K o m p l e x i t ä t der innenpolitischen Entscheidungen i n der D D R während des Jahres 1968 müssen solche auf Kausalbezüge zum „Prager F r ü h l i n g " untersucht werden, unter denen die P l u r a l i t ä t der Ursachen möglichst eingeschränkt u n d der Zusammenhang zwischen Ursache und W i r k u n g besonders eng ist 2 . So verringert die Konzentration der Analyse auf die durch die tschechoslowakische Reformbewegung a k t u alisierten Legitimierungsprobleme des politischen Systemmodells der DDR die Gefahr einer falschen Interpretation von historischen Fakten. 1 Anregungen für die Durchführung von Einflußvergleichen finden sich vor allem bei: Robert A. Dahl, Analyse (wie A n m . 6), S. 41 ff. u n d 67. 2 Vgl. Winfried Schulz, Kausalität u n d Experiment i n den Sozialwissenschaften. Methodologie u n d Forschungstechnik, Mainz 1970, S. 66 f.

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g " b) W i l l man zu repräsentativen Aussagen über die A r t der innenpolitischen Entscheidungen der D D R - F ü h r u n g angesichts des „Prager F r ü h lings" gelangen, dann muß vor allem nach Kausalzusammenhängen i n möglichst verschiedenartigen, für die ideologische Legitimierung relevanten politischen Teilbereichen wie Medien-, Rechts-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und K u l t u r p o l i t i k geforscht werden. Außer den materiellen Legitimierungsversuchen i m Jahre 1968 ist schließlich auch noch die Haltung der politischen Elite zur Deutschen Frage insoweit zu erörtern, als es der Bearbeitung der innenpolitischen Thematik dieser Studie nutzt. c) Bei der Analyse der innenpolitischen Reaktion der D D R - F ü h r u n g auf die Prager Reformbewegung i n einzelnen politischen Teilbereichen gilt es, die jeweiligen innenpolitischen Bedingungen, die äußere U m w e l t sowie — falls nachweisbar — die von der politischen Elite gespeicherten Gedächtnisinhalte zu berücksichtigen. Außer dem „Prager F r ü h l i n g " sind als mögliche innen- oder außenpolitische Einflußfaktoren vor allem zu nennen und zu gewichten: die Reformsozialisten i n der DDR u n d anderen Staaten des Ostbündnisses w i e i n Westeuropa, Meinungsverschiedenheiten innerhalb der k o l l e k t i v e n F ü h r u n g der DDR, die Ost- und Deutschlandpolitik der Großen K o a l i t i o n i n Bonn sowie die politische Entwicklung i n der UdSSR unter dem Generalsekretär des Z K der KPdSU, Leonid Breschnew. Gedächtnisinhalte der politischen Elite dürften hier besondere Bedeutung haben, falls sie sich auf die Zeit des „Polnischen Oktober" bzw. des Ungarn-Aufstands von 1956 beziehen. d) Z u m Nachweis von Kausalbezügen müssen die i n der DDR getroffenen innenpolitischen Entscheidungen auch auf Diskontinuitäten gegenüber gleichartigen Maßnahmen geprüft werden, die i m Zeitraum vor 1968 oder nach der militärischen Intervention i n Prag am 21. August 1968 getroffen wurden. Diese Vergleichsmaßstäbe geben Auskunft über die Größe der Veränderung i n der innenpolitischen H a l t u n g der D D R - F ü h rung. Sie ermöglichen es ferner, die Einflüsse des „Prager Frühlings" von denen zu unterscheiden, die vor, während und nach i h m permanent u n d unverändert auf die D D R e i n w i r k t e n u n d bei der politischen Elite ähnliche innenpolitische Reaktionen wie die tschechoslowakische Reformbewegung hervorrufen konnten: die Reformsozialisten i n der DDR und anderen ost- w i e westeuropäischen Staaten, die Bundesrepub l i k Deutschland m i t ihrer liberal-demokratisch, d. h. pluralistisch strukturierten Staatsordnung und ihrem seit M i t t e der sechziger Jahre verstärkt geäußerten Wunsch nach gesamteuropäischer Entspannung. e) Bei der Analyse der einzelnen politischen Teilbereiche nach Kausalzusammenhängen werden eine große Anzahl der gestellten Fragen, aufgrund einer sehr schmalen Quellenbasis w i e der Multikausalität und -dimensionalität der Geschichte, n u r thesenartig zu beantworten sein. Eine Zusammenfassung der einzelnen Thesen ergibt jedoch ein komplexes Gesamtbild der innenpolitischen Reaktion der D D R - F ü h r u n g auf den „Prager F r ü h l i n g " bzw. der Legitimierungsversuche angesichts dieser externen politischen Bedrohung, das dem heute möglichen Stand der Erkenntnis entspricht. Diese Vorgehensweise ähnelt der sozialwissenschaftlichen Methode, auf der Grundlage von verschiedenen Thesen zu Gesetzen zu gelangen.

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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Die Durchführung der Einzelanalysen geschieht i n erster Linie anhand von veröffentlichten Beschlüssen des Politbüros und des Zentralkomitees der SED, Gesetzen, Erlassen und Verordnungen der DDR-Staatsorgane, Reden maßgeblicher Politiker, Statistiken, Presseberichten und unter Auswertung vorliegender Monographien.

I . Presse- und Nachrichtenwesen

Bei der Darstellung der SED-Reaktion auf das Ideengut des „Prager Frühlings" lassen sich für den Bereich des Presse- und Nachrichtenwesens zwei Aspekte unterscheiden. Es stellt sich zum einen die Frage, auf welche A r t und Weise die von der SED politisch abhängigen Massenmedien der D D R 1 dem Prager Reformsozialismus begegneten; diese Frage soll anhand einer exemplarisch durchgeführten Analyse der Berichterstattung in „Neues Deutschland" beantwortet werden. Andererseits gilt es aufzuzeigen, ob und — wenn ja — welche Maßnahmen die politische Elite der DDR gegen die tschechoslowakischen und westlichen, aber auch gegen die neben den Massenmedien der DDR bestehenden internen Nachrichtenquellen ergriff, soweit sie von ihr als unerwünscht angesehen wurden. Derartige Maßnahmen sind zu erwarten, da viele DDR-Bürger ihre Informationen über die Ereignisse i n der CSSR nachgewiesenermaßen von diesen Informanten bezogen. Nur wenn es der SED-Führung gelang, die ihr unerwünschten Informationen der eigenen Bevölkerung vorzuenthalten, konnte die ideologisch einseitige Berichterstattung der DDR-Massenmedien über den „Prager Frühling" eine optimale Wirkung erzielen. 1. Ideologisch einseitige Berichterstattung in „Neues Deutschland" Das Organ des Zentralkomitees der SED „Neues Deutschland" sah die politische Entwicklung i m südlichen Nachbarstaat vornehmlich unter dem Aspekt des Verhältnisses zwischen der CSSR und der Bundesrepublik Deutschland. I n einer ersten Phase, von Januar bis Ende A p r i l 1968, 1

Neben der bereits oben beschriebenen Verfassungsnorm siehe zur H e r r schaftspraxis vor allem: Ernst Richert, A g i t a t i o n u n d Propaganda. Das System der publizistischen Massenführung i n der Sowjetzone, Berlin-West/ F r a n k f u r t - M a i n 1958; Peter Drabe / Hans-Dieter Krüger, Die Entscheidungsbildung i m System der Planung u n d Leitung der journalistischen A r b e i t i n Bezirksleitungen der SED, Diss. Leipzig 1970; Gudrun Traumann, Journalistik i n der DDR. Sozialistische Journalistenausbildung an der K a r l - M a r x - U n i versität Leipzig, München-Pulläch/Berlin-West 1971; Elmar Dieter Otto, Nachrichten i n der DDR. Eine empirische Untersuchung über „Neues Deutschland", K ö l n 1979.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D

und „Prager F r ü h l i n g "

e r w e c k t e die Z e i t u n g d e n E i n d r u c k , als ob die P a r t e i - u n d S t a a t s f ü h r u n g d e r CSSR, w i e die d e r D D R , eine ablehnende H a l t u n g gegenüber der Bonner Großen K o a l i t i o n einnehme u n d f ü r einen orthodoxen M a r x i s mus-Leninismus

e i n t r e t e . F o l g e n d e S a m m l u n g v o n Schlagzeilen

aus

„ N e u e s D e u t s c h l a n d " b e w e i s t dies: „Rudé Pravo": Bonn unverändert revanchistisch 2 ; CSSR w a r n t vor Neonazismus 3 ; Dubéek: CSSR steht fest an Seite der D D R 4 ; Alexander Dubcek: Februarsieg bahnte uns den Weg zum Sozialismus 5 ; Alexander Dubcek zur Dresdner Konferenz 6 ; CSSR-Note w a r n t Bonner Regierung 7 , CSSR-Außenminister: Bonn muß Realitäten anerkennen 8 ; Oldfich Cernik legte Regierungserklärung vor 9 . N a c h der V e r a b s c h i e d u n g des A k t i o n s p r o g r a m m s der K P T s c h v o m 5. A p r i l u n d nach der D u r c h f ü h r u n g des Volksentscheids ü b e r d i e A n n a h m e der n e u e n D D R - V e r f a s s u n g a m 6. A p r i l 1968 ergänzte „Neues D e u t s c h l a n d " die bisherige A r t der B e r i c h t e r s t a t t u n g ü b e r d e n „ P r a g e r F r ü h l i n g " . I n dieser z w e i t e n Phase, die m i t d e m E n d e der ersten z u s a m m e n f i e l u n d i h r e n H ö h e p u n k t M i t t e A p r i l besaß, versuchte die Z e i t u n g , der Sudetendeutschen L a n d s m a n n s c h a f t w i e d e r B u n d e s r e g i e r u n g eine Gegnerschaft z u r tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung n a c h z u w e i s e n 1 0 . So berichtete „Neues D e u t s c h l a n d " ü b e r :

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ND, Nr. 10, v o m 10. Januar 1968, S. 1. ND, Nr. 11, v o m 11. Januar 1968, S. 1. 4 ND, Nr. 33, v o m 2. Februar 1968, S. 7. 5 ND, Nr. 54, v o m 23. Februar 1968, S. 3 f. Als Februarsieg w i r d hier die kommunistische Machtübernahme i n Prag von 1948 bezeichnet. 6 ND, Nr. 88, v o m 28. März 1968, S. 7. 7 ND, Nr. 105, v o m 15. A p r i l 1968, S. 2. 8 ND, Nr. 114, v o m 24. A p r i l 1968, S. 7. 9 ND, Nr. 115, v o m 25. A p r i l 1968, S. 2. Cernik w a r M i t g l i e d des Parteipräsidiums der KPTsch u n d seit A p r i l 1968 Ministerpräsident der CSSR. 10 Besonders massiv auch die SED-offiziöse „Berliner Zeitung" v o m 9. u n d 15. M a i 1968. Sie teilte am 9. M a i mit, „Militärangehörige der U S A (seien) zu Filmaufnahmen i n Prag" u n d w ü r d e n „ i n den nächsten Tagen" durch „ A n gehörige der westdeutschen Bundeswehr m i t 3 Panzern" verstärkt. Die Zeit u n g ergänzte ihren Bericht am 15. Mai, indem sie das Photo eines zum Zwecke der Filmaufnahmen nach Prag gebrachten amerikanischen Panzers abbildete, der allerdings aus dem Zweiten Weltkrieg stammte: ο. V., M i l i t ä r angehörige der U S A zu Filmaufnahmen i n Prag, i n : Berliner Zeitung, Nr. 128, v o m 9. M a i 1968, S. 2; ο. V., C T K zur Anwesenheit amerikanischer Panzer zu Filmaufnahmen i n der CSSR, i n : Berliner Zeitung, Nr. 134, v o m 15. M a i 1968, S. 2. Das zusammen m i t dem Pressebild des amerikanischen Panzers übermittelte Protestschreiben der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur Ces3

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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Revanchehetze gegen CSSR11; Drohungen gegen CSSR-Gelehrten 1 2 ; Massive Hetze gegen CSSR und Polen 1 3 ; C D U hetzt gegen CSSR-Präsidenten 1 4 ; Bonn brüskiert Oldrich C e r n i k 1 5 ; Guttenberg droht CSSR 16 .

Publizierte „Neues Deutschland" bis zum Mai 1968 i n erster Linie Berichte, die eine beiderseitige Gegnerschaft zwischen Bonn und Prag suggerierten, so kennzeichnen die danach erfolgten polemischen Angriffe gegen einzelne Prager Reformer einen bedeutenden Wandel in der Berichterstattung. I n dieser dritten Phase sollte der Leserschaft offenbar der Eindruck vermittelt werden, daß die Gruppe der reformsozialistischen tschechoslowakischen Politiker, deren Existenz nicht mehr geleugnet werden konnte, nur sehr klein sei. Das SED-Politbüromitglied und der ZK-Sekretär für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur, K u r t Hager, äußerte als erster sogar schon unmittelbar nach der Konferenz der Ostbündnisstaaten i n Dresden öffentliche K r i t i k an einem maßgeblichen Politiker des „Prager Frühlings", noch bevor in der UdSSR die tschechoslowakische Reformbewegung gemaßregelt wurde 1 7 . Die K r i t i k Hagers vom 25. März 1968 galt dem damaligen Forstminister und späteren Parlamentspräsidenten der CSSR, Josef Smrkovsky, der zu jener Zeit als Nachfolger von Antonin Novotny für das A m t des Staatspräsidenten vorgeschlagen worden war. Hager verdächtigte Smrkovsky, ein Gesinnungsfreund der westdeutschen „Springer-Presse" zu sein, und verweigerte ihm die unter Sozialisten übliche Anrede als Genösse18. Dem Vorbild dieses hohen SED-Funktionärs gemäß erschienen schließlich i m Mai, trotz wiederholter Proteste aus der CSSR 19 , weitere persönlich koslovenskâ tiskovâ koncelâr (CTK) veröffentlichte die „Berliner Zeitung" allerdings nicht. L a u t C T K handelte es sich bei den Militärangehörigen u n d Panzern i n W i r k l i c h k e i t u m Schauspieler, Statisten u n d altes Kriegsgerät, die f ü r die Dreharbeiten des Films „Die Brücke von Remagen" benötigt wurden. Siehe dazu: Ilse Spittmann, Spekulation auf Frost i n Prag, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 3, S. 332. 11 ND, Nr. 98, v o m 7. A p r i l 1968, S. 7. 12 ND, Nr. 100, v o m 9. A p r i l 1968, S. 7. 13 ND, Nr. 101, v o m 10. A p r i l 1968, S. 7. 14 ND, Nr. 102, v o m 11. A p r i l 1968, S. 7. 15 ND, Nr. 113, v o m 23. A p r i l 1968, S. 7. 16 ND, Nr. 115, v o m 25. A p r i l 1968, S. 7. K a r l Theodor Baron von Guttenberg w a r v o n 1966 bis 1969 Parlamentarischer Staatssekretär i m Bundeskanzleramt. 17 Vgl. Heinz Brahm, K r e m l (wie A n m ; A I I / 2 7 ) , S. 18 f. 18 Kurt Hager, W i r sagen Ja zur sozialistischen Verfassung, i n : ND, Nr. 86, v o m 27. März 1968, S. 7. 19 Z u m Beispiel i n der Prager „Volkszeitung" : Fritz Schalek, K o m m e n Sie

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

gehaltene Angriffe in „Neues Deutschland" gegen Repräsentanten der neuen Prager Innen- und Außenpolitik, zum Beispiel gegen den Schriftsteller Jan Prochâzka 20 und manchen seiner Kollegen 2 1 sowie den Leiter des Prager Instituts für internationale Politik und Ökonomie, Professor Antonin Snejdârek 22 . I n einer vierten Phase der Berichterstattung, unmittelbar vor der Plenartagung des Z K der KPTsch, die vom 29. Mai bis zum 4. Juni 1968 stattfand und auf der dann der politische Einfluß der Anhänger eines parlamentarischen Mehrparteienstaats von den Vertretern einer konstitutionellen Einparteiherrschaft scheinbar zurückgedrängt wurde 2 3 , verzichtete „Neues Deutschland" darauf, einzelne Prager Reformsozialisten öffentlich zu kritisieren. Statt dessen suchte das Organ des Zentralkomitees der SED offenbar erfolgreich ihr genehme politische Kräfte in der CSSR zu unterstützen, indem sie Stellungnahmen von ihnen nachdruckte: K P C bleibt souveräner Repräsentant des Volkes 2 4 ; „Verliere die Richtung n i c h t . . , " 2 5 ; Brief der Volksmiliz von Komarno an Dubëek 2 8 ; „Rudé Pravo" gegen antisowjetische Tendenzen 2 7 .

Nachdem der „Prager Frühling" i m Anschluß an die genannte Plenartagung des Z K der KPTsch i n der Berichterstattung von „Neues Deutschland" für über einen Monat zurückgetreten war, leitete die Zeitung mit der Grundsatzerklärung vom 13. Juli 1968, daß „die Lebensinteressen der DDR sowie aller Staaten der sozialistischen Gemeinschaft" durch nach Prag, Prof. Hager!, i n : VZ, Nr. 13, v o m 29. März 1968, S.4; o.V., Tschechoslowakische Buchenwaldhäftlinge an ihre Lagerkameraden i n der DDR, i n : VZ, Nr. 14, v o m 5. A p r i l 1968, S. 2 u n d 4; o.V., Entstellung i m Neuen Deutschland, i n : VZ, Nr. 20, v o m 17. M a i 1968, S. 3; Peter Ernst Grimm, Eulenspiegelei, i n : V Z , Nr. 22, v o m 31. M a i 1968, S. 5; ο. V., Liebe Kollegen i n Berlin, i n : VZ, Nr. 24, v o m 14. J u n i 1968, S. 5. 20 „ L i t e r a t u r n a j a Gaseta": Welchen Zug Jan Prohâska verpaßt hat, i n : ND, Nr. 129, v o m 9. M a i 1968, S. 7. 21 Helmut Baierl, Prüfet die Rechnung, i n : ND, Nr. 132, v o m 12. M a i 1968, S.5. 22 Heinrich Angermüller / Günter Kr ober / Joachim Streisand, Prof. Snejdârek u n d die Europakonzeption des F. J. Strauß, i n : ND, Nr. 131, v o m 11. M a i 1968, S. 6. 28 Z u den Ergebnissen dieser Tagung: Hanswilhelm Haefs (wie A n m . A l l / 70), S. 84 ff. 24 ND, Nr. 141, v o m 21. M a i 1968, S. 7. Hierbei handelt es sich u m den Nachdruck eines Leitartikels aus „Rudé Prâvo" (Prag). 28 ND, Nr. 142, v o m 22. M a i 1968, S. 7. Es ist der Nachdruck eines A r t i k e l s der „Pravda" (Preßburg). 26 ND, Nr. 142, v o m 22. M a i 1968, S. 7. 27 ND, Nr. 143, v o m 23. M a i 1968, S. 6.

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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die politische Entwicklung i n Prag bedroht seien 28 , eine neue Phase i n der Darstellung des tschechoslowakischen Reformsozialismus ein. Mag die Zeitung noch nach der gesetzlichen Abschaffung der Pressezensur i n der CSSR am 25. Juni und nach der Publizierung des Manifests der „2000 Worte" am 27. Juni 1968 gehofft haben, die Mehrheit der KPTschFührung unter Alexander Dubcek würde einer allzu weitgehenden Demokratisierung entschlossen entgegenwirken 29 , so war dies nun nicht mehr der Fall. Besonders seit der Veröffentlichung des Briefes, den fünf Warschauer-Pakt-Staaten am 14. J u l i an das Zentralkomitee der KPTsch richteten und in dem die orthodoxen marxistisch-leninistischen Parteiführer aus der UdSSR, Polen, der DDR, Ungarn und Bulgarien die CSSR vergeblich aufforderten, konkrete Schritte zur Wiederherstellung der Ein-Parteien-Diktatur zu unternehmen 30 , sah sich „Neues Deutschland" offenbar gezwungen, die von i h m zuvor aufgestellte Behauptung stillschweigend aufzugeben, die Reformsozialisten i n der CSSR bildeten nur eine kleine Gruppe. Zwar setzte das Organ des Zentralkomitees der SED seine Angriffe gegen einzelne Prager Persönlichkeiten wie den Schriftsteller Jan Prochâzka fort 3 1 , es begann nun aber auch, was es bisher vermieden hatte, sich mit den ideologischen Inhalten des i n Prag entwickelten sozialistischen Pluralismusmodells unmittelbar und konkret auseinanderzusetzen. Damit gestand es die große Bedeutung dieses Ideenguts i n der CSSR wie i n der DDR ein. Das Parteiorgan verband seine K r i t i k am reformsozialistischen Gedankengut in dieser fünften Phase oftmals mit Darstellungen des eigenen politischen Systems, das es als vorbildlich empfand und Prag zur Übernahme empfahl 3 2 . Dies tat es wohl, um bei seinen Stellungnahmen zum tschechoslowakischen Reformsozialismus nicht unbeabsichtigt zu dessen Verbreitung unter der DDR-Bevölkerung beizutragen. Bei einer Analyse der Berichterstattung i n „Neues Deutschland" lassen sich zwei Hauptpunkte des Tadels nachweisen 33 , die den bereits erarbeiteten 28 ο. V., Die Strategie des Imperialismus u n d d i e CSSR, i n : ND, Nr. 192, v o m 13. J u l i 1968, S. 6. 29 Vgl. ο. V., K P C weist Angriffe auf die Partei zurück, i n : ND, Nr. 178, v o m 29. J u n i 1968, S. 5. 80 Z u den Forderungen: Gemeinsamer Brief (wie A n m . A I I / 2 3 ) , S. 1. Z u r E r w i d e r u n g durch die KPTsch: Stellungnahme des Präsidiums des Z K der KPTsch zum gemeinsamen Brief von fünf kommunistischen u n d Arbeiterparteien, i n : VZ, Nr. 30, v o m 26. J u l i 1968, S. 3 u n d 5. Zur Unzulänglichkeit der Erwiderung: Stellungnahme des Politbüros (wie A n m . A I I I / 6 8 ) , S. 6. 81 Dieter Noll, Quo vadis, Prochâzka?, i n : ND, Nr. 210, v o m 31. J u l i 1968, S. 2. Vgl. ο. V., Strategie (wie A n m . Β 1/28), S. 6. 82 Z u m Beispiel: ο. V., M i t dem Blick auf die Stärkung der sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Macht die Fehler überwinden, dn: ND, Nr. 209, v o m 30. J u l i 1968, S. 6; F ü r gute Zusammenarbeit i m Geiste des MarxismusLeninismus. Pressekonferenz i n K a r l o v y V a r y am 13. August 1968, i n : ND, Nr. 224, v o m 14. August 1968, S. 3 f.

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Kap. Β : I n n e n p o l i t i k der DDR u n d „Prager F r ü h l i n g "

Gegensätzen zwischen den politischen Vorstellungen der SED-Führung und denen der Prager Reformer entsprechen. Sie gleichen zudem den Kritikpunkten der sowjetischen Partei- und Staatsführung am „Prager Frühling"34: a) Aufgabe des Herrschaftsmonopols der KPTsch durch — Zulassung von politischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen m i t gleichen Rechten und Pflichten; — Duldung politisch unabhängiger Massenmedien; — Dezentralisierung des ökonomischen Bereichs 35 . b) Gefahr der Lostrennung der CSSR von den Ostbündnisstaaten und H i n wendung zum Westen.

Gleichzeitig mit der von „Neues Deutschland" an einzelnen Reformsozialisten wie am Prager innen- und außenpolitischen Konzept geübten K r i t i k stellte sich dieses Presseorgan die Frage, wie eine solche Reformbewegung i n einem osteuropäischen Land entstehen konnte. Das ideologische Selbstverständnis der Zeitung und die Legitimierungsprobleme der SED-Herrschaft verboten es, die Gründe hierfür i m orthodox marxistisch-leninistisch strukturierten politischen System der CSSR vor 1968 zu suchen 36 . Dies wäre möglicherweise für die DDR-Bürger der Anlaß gewesen, öffentliche Forderungen nach Veränderungen i m eigenen politischen System zu stellen. Hingegen versuchte „Neues Deutschland" mit Hilfe einer Aktualisierung des Klassenkampfgedankens nachzuweisen 37 , daß eine reformsozialistische Evolution i n einem Staat des Ostbündnisses nur durch „konterrevolutionäre" westliche Einflüsse möglich war. Auf diese Weise fiel es i h m leicht, die tschechoslowakische Erneuerungsbewegung zu verurteilen und sie i n gleicher Weise wie die polnischen und ungarischen Reformbestrebungen von 1956 ideologisch zu bekämpfen 38 . „Neues Deutschland" berichtete i n der zweiten Juli-Hälfte über: 33

So besonders bei: Gemeinsamer Brief (wie A n m . A I I / 2 3 ) , S. 1; ο. V., Strategie (wie A n m . Β 1/28), S. 6. Beachte auch die A n m . Β 1/35. 34 Vgl. Günter Wagenlehner, Die sowjetische Rechtfertigung der Intervention i n der CSSR, i n : Osteuropa, 18. Jg. (1968) Heft 10/11, S. 758 ff. 35 Bei den i n A n m . Β1/33 zitierten ND-Beiträgen w i r d keine Rüge über die volkswirtschaftliche Konzeption der CSSR-Reformer ausgesprochen, w o h l aber i n : o.V., Blick (wie A n m . Β 1/32), S. 6. Daß der ökonomische Bereich i n gewissem Maße eine Sonderrolle bei der S E D - K r i t i k spielen mußte, belegen die Ausführungen des Abschnitts Β I I I . 36 Lediglich bei der parteiinternen Broschüre von Anfang J u l i 1968, die Argumentationshilfen zur Bekämpfung des Prager Ideenguts enthielt, geschah dies: Argumentation zur P o l i t i k der KPC. Internes Material der SED (1968), Nachdruck i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 7, S. 725 f. 37 Vgl. Fest an der Seite unserer Genossen u n d Brüder i n der CSSR. E r k l ä rung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, i n : ND, Nr. 199, v o m 20. J u l i 1968, S. 1.

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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Die Strategie des Imperialismus und die CSSR 3 9 ; Massive Einmischung Bonns i n die inneren Angelegenheiten der CSSR 4 0 ; Geheimes Waffenlager bei K a r l o v y V a r y 4 1 ; CSSR-Politiker auf Bonner Abschußlisten 4 2 ; „ L i t e r a r n i Listy"-Redakteur traf Revanchistenführer 4 3 .

Außer diesen teils ideologisch einseitigen oder gar unzutreffenden Meldungen 4 4 wurden von dem Organ des Zentralkomitees der SED als Beweismittel für eine Einflußnahme Bonns i n Prag auch die Vorbereitungen zum Bundeswehrmanöver „Schwarzer L ö w e " 4 5 sowie die allgemein verbesserten Kontakte zwischen beiden Staaten angeführt. Letzteres belegte man anhand des regen Besuchs der CSSR durch Journalisten, Politiker und Wirtschaftsfachleute aus der Bundesrepublik Deutschland und sprach von der Gefahr einer „Versozialdemokratisierung" des südlichen Nachbarstaats 46 . Die sechste Phase der Berichterstattung i n „Neues Deutschland", die Zeit nach der Intervention von fünf Warschauer-Pakt-Staaten i n der CSSR vom 21. August 1968, entsprach dem für den J u l i nachgewiesenen fünften Abschnitt. Allerdings nahmen die polemischen Angriffe gegen maßgebliche Prager Reformer noch zu, so gegen die Schriftsteller Eduard Goldstücker, Pavel Kohout und Ivan Svitâk, den Wissenschaftler Antonin Snejdârek sowie die Politiker Josef Smrkovsky, Ota Sik, Frantisek Kriegel und Cestmir Cisar 47 . Auch das reformsozialistische 38 Vgl. o.V., Wachsamkeit, i n : ND, Nr. 155, v o m 30. J u n i 1956, S. 1; Walter Ulbricht, Was w i r w o l l e n u n d was w i r nicht wollen, i n : ND, Nr. 310, v o m 30. Dezember 1956, S. 1. 39 ND, Nr. 192, v o m 13. J u l i 1968, S. 6. 40 ND, Nr. 196, v o m 17. J u l i 1968, S. 7. 41 ND, Nr. 199, v o m 20. J u l i 1968, S. 1. 42 ND, Nr. 205, v o m 26. J u l i 1968, S. 7. 43 ND, Nr. 206, v o m 27. J u l i 1968, S. 7. 44 Beispielsweise die Mitteilung, die bei Karlsbad (Karlovy Vary) gefundenen Waffen seien f ü r sudetendeutsche „Revanchisten" bestimmt gewesen. Dazu: Heinz Brahm, K r e m l (wie A n m . A11/27), S. 48. 45 Vgl. ο. V., „Schwarzer L ö w e " w i r d nicht verschoben, i n : ND, Nr. 200, vom 21.Juli 1968, S. l f . ; o.V., „Schwarzer Löwe" soll stattfinden, i n : ND, Nr.201, vom 22. J u l i 1968, S. 1. 46 ο. V., Strategie (wie A n m . Β 1/28), S. 6. Vgl. auch die bereits Wochen zuvor, jedoch nicht i m Rahmen einer Pressekampagne verbreitete Meldung: N.R., „Empfehlungen" des H e r r n Brandt, i n : ND, Nr. 161, v o m 12. J u n i 1968, S.2. 47 Vgl. ο. V., Die ständige Eskalation der antisozialistischen u n d konterrevolutionären Entwicklung i n der CSSR. Eine Dokumentation, i n : ND, Nr. 235, v o m 25. August 1968, S. 3; Gerhard Schulz, Die untaugliche Konzeption Ota Siks, i n : ND, Nr. 262, v o m 21. September 1968, S . l l . Die CSSR-Bevölkerung suchte „Neues Deutschland" hingegen als besonnen zu charakterisieren,

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

Ideengut wurde noch massiver als ehedem verurteilt 4 8 . Beiden Phasen vorausgehend lag jeweils eine Unterbrechung der Pressekampagnen, die offenbar in der letztlich vergeblichen Erwartung antireformerischer Maßnahmen i n Prag angeordnet wurden 4 9 . Für den Monat Juni läßt sich diese These mit den Ergebnissen der Plenartagung des Z K der KPTsch vom 29. Mai bis 4. Juni, für die ersten Wochen i m August mit dem von den tschechoslowakischen Reformern mitunterzeichneten Beschluß der Konferenz von Preßburg (Bratislava) am 3. August 1968 begründen. Die dort nun auch von der CSSR-Führung anerkannte sogenannte Breschnew-Doktrin lautete 5 0 : „Es ist die gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischen Länder, diese (orthodox marxistisch-leninistischen, P. B.) Errungenschaften, die dank den heldenhaften Anstrengungen und der selbstlosen Arbeit eines jeden Volkes erkämpft wurden, zu unterstützen, zu festigen und zu verteidigen". Resümierend läßt sich feststellen, daß „Neues Deutschland" von Januar bis Ende A p r i l 1968 den Eindruck vermittelte, die neue Prager Partei- und Staatsführung unterstütze bedingungslos die Position der DDR gegenüber Bonn. Beider Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt werde von einer unversöhnlichen politischen Gegnerschaft bestimmt, die auf dem Bekenntnis der Ostbündnisstaaten zum orthodoxen Marxismus-Leninismus beruhe. Erst ab Mai 1968, als sich der politische Machtwechsel i n der CSSR als dauerhaft erwiesen hatte und das Organ des Zentralkomitees der SED die reformsozialistischen Bestrebungen i m südlichen Nachbarstaat nicht mehr leugnen zumal es sich die gleiche H a l t u n g von den eigenen Bürgern erhofft haben dürfte: ο. V., I n Prag w i r d normal gearbeitet, i n : ND, Nr. 232, v o m 22. August 1968, S. 1; o.V., CSSR-Bevölkerung bewahrt Ruhe, i n : ND, Nr. 233, vom 23. August 1968, S. 1. 48 Aus der Vielzahl der Berichte: A n alle Bürgerinnen u n d Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, i n : ND, Nr. 231, v o m 21. August 1968, S. 1 ; A u f r u f an die Bürger der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, i n : ND, Nr. 234, v o m 24. August 1968, S. 1; ο. V., Eskalation (wie A n m . Β 1/47), S. 3; Der Standpunkt der Deutschen Demokratischen Republik, i n : ND, Nr. 240, v o m 30. August 1968, S. l f . ; Dokumentation: Tatsachen u n d H i n t e r gründe der imperialistischen Einmischung i n die inneren Angelegenheiten der CSSR, i n : ND, Nr. 241, v o m 31. August 1968, S. 3. I n diesem Zusammenhang sind auch die ab 22. August i n „Neues Deutschland" wochenlang abgedruckten Ergebenheitsbekundungen von D D R - B ü r g e r n gegenüber der eigenen Partei- u n d Staatsführung zu nennen, die zum Teil auf einen öffentlichen Bekenntniszwang zurückgeführt werden dürften. 49 Hierzu siehe: Cernik: CSSR steht fest zum Warschauer Pakt, i n : ND, Nr. 217, v o m 7. August 1968, S. 6; ο. V., Bratislava — Schlag gegen Imperialismus, i n : ND, Nr. 221, v o m 10. August 1968, S. 7. 50 E r k l ä r u n g der kommunistischen u n d Arbeiterparteien sozialistischer Länder, i n : ND, Nr. 215, v o m 4. August 1968, S. 1. Z u m Prinzip des proletarisch-sozialistisòhen Internationalismus siehe vor allem den Quellenband von : Boris Meissner, Breschnew-Doktrin (wie A n m . AII/116).

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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konnte, änderte es seine bisherige Berichterstattung 51 . Es unternahm zunächst gezielte polemische Angriffe gegen einzelne Prager Reformer und unterstützte sodann Ende Mai demonstrativ Verfechter eines totalitär verfaßten politischen Systems der CSSR durch eine parteiische Berichterstattung. Bei anhaltend wachsenden Reformbestrebungen i n Prag und nach vergeblichen Hoffnungen auf deren Beendigung verurteilte die Zeitung schließlich i n der zweiten Juli-Hälfte bzw. nach der militärischen Intervention i n der CSSR vom 21. August 1968 außer einzelnen tschechoslowakischen Reformsozialisten nunmehr auch dieses Ideengut unmittelbar. Ihre ideologisch einseitige Berichterstattung suchte den Reformsozialismus als „konterrevolutionär" und besonders von der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt zu entlarven, wobei sie für das politische Systemmodell der DDR einen Vorbildanspruch erhob. 2. Maßnahmen

zur

Sicherung

des

Informationsmonopols

Parallel zur SED-gesteuerten Berichterstattung der DDR-Massenmedien und analog ihrer Verhaltensweise zur Zeit der polnischen und ungarischen Reformbestrebungen von 1956 52 war die Partei- und Staatsführung der DDR angesichts des „Prager Frühlings" darum bemüht, der eigenen Bevölkerung andere Informationsquellen vorzuenthalten, soweit sie diese als unerwünscht betrachtete. Bereits zu einer Zeit, als es i m normalen Reiseverkehr zwischen der DDR und der CSSR noch keine behördlich angeordneten Einschränkungen gab, die Besucherzahlen sogar einem neuen Rekordergebnis zustrebten 53 , erschwerten interne Anweisungen Kontakte zwischen DDRund CSSR-Bürgern, falls die Bewohner der DDR berufliche Positionen bekleideten, die sie als Multiplikatoren auswiesen. Laut Aussage von Dieter Borkowski, dem Ost-Berliner Mitarbeiter der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit", war es für einzelne Künstler i m März 1968 nicht möglich, von den Behörden ihres Staates die Genehmigung zum Besuch der Tschechoslowakei zu erhalten 54 . I m J u l i des gleichen Jahres 51 Dem entspricht die knappe Analyse von Andreas Fischer, m i t der er eine Aussage für alle Massenmedien i n der DDR zur Zeit des „Prager Frühlings" treffen w i l l ; eine Periodisierung des Zeitraums nach M a i 1968 f ü h r t er allerdings nicht durch: F r ü h l i n g (wie A n m . A I I I / 3 ) , S. 26 ff. Ohne den Versuch einer Phaseneinteilung zu unternehmen, zeichnet auch H. Gordon Skilling die Presseberichterstattung i n der DDR angesichts des „Prager Frühlings" nach: Revolution (wie A n m . A I I / l ) , S. 675 ff. 52 Vgl. Carola Stern, Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln/Berlin-West 1963, S. 196 f. 53 So aus dem Schaubild I ablesbar, wenn man bedenkt, daß die Reisemöglichkeiten nach dem 21. August 1968 merklich erschwert wurden. Siehe K a p i t e l A I I I 2.

7 Burens

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Kap. Β : I n n e n p o l i t i k der D D R und „Prager F r ü h l i n g "

hielten staatliche Stellen Verlagshäuser an, die bestehenden Beziehungen zu einigen CSSR-Verlagen bis auf Agitationsverbindungen abzubrechen 55 . Nach der militärischen Intervention vom 21. August wurden dann auch die allgemeinen Reisemöglichkeiten zwischen beiden Nachbarstaaten eingeschränkt. Einen der Grenzübergänge zwischen der DDR und ihrem südlichen Nachbarstaat, den an das sorbisch bevölkerte Gebiet der DDR angrenzenden Kontrollpunkt Warnsdorf, schlossen die DDRBehörden ohne erkennbaren Grund vom Herbst 1968 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres 5 6 ; man mag sich dabei vielleicht der traditionellen Sympathie der slawischen Minderheit für die Tschechoslowakei erinnert haben 57 . Ferner ist hier die am 12. Dezember erlassene neue Durchführungsbestimmung zum Zollgesetz zu erwähnen, die den Höchstwert für die Ein- oder Ausfuhr von Geschenken i m grenzüberschreitenden Reiseverkehr auf zwanzig Mark pro Tag festlegte, maximal aber auf einhundert Mark. Gleichzeitig wurde eine Liste von Ein- bzw. Ausfuhrverboten und -beschränkungen bekanntgegeben, die sowohl für DDRals auch für andere Bürger galt 5 8 . Außer Zoll- und Devisenerklärungen verlangten die DDR-Organe an der Grenze zur CSSR nunmehr auch Angaben zur Person, über Ziel, Zweck und Dauer der Reise 59 ; bis zum 1. Mai 1969 wurden diese Auskünfte eingeholt 60 . Derartig verschärfte Bestimmungen für den Grenzüberschritt sollten offenbar, zusammen mit einem 1969 verminderten Angebot an Gruppenreisen i n die Tschechoslowakei 61 , dazu beitragen, die Besucherzahlen zwischen der DDR und der CSSR zu verringern. Das Absinken der Zahl der DDRBesucher i m südlichen Anrainerstaat von 1,28 Millionen i m Jahre 1968 auf 0,29 Millionen im darauffolgenden Jahr 6 2 ist daher großteils als Folge dieser Reiseerschwernisse anzusehen. 54

Arno Hahnert (Pseudonym), Ohren (wie A n m . A I I I / 7 7 ) , S. 13. Ders., „Unsere Päpste sind übergeschnappt", i n : Die Zeit, Nr. 28, v o m 12. J u l i 1968, S. 2. 58 Siehe: o.V., Grenzübergang Varnsdorf gesperrt, i n : VZ, Nr. 42/43, v o m 1.November 1968, S.2; o.V., W a n n gehen die Schranken wieder hoch?, i n : VZ, Nr. 13, v o m 28. März 1969, S. 14. 57 Hierzu: Hans Lindemann, Die Stellung der Sorben i n der DDR, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 7, S. 778 f. 58 Elfte Durchführungsbestimmung zum Zollgesetz. Genehmigungsverfahren für die A u s - u n d E i n f u h r von Gegenständen i m grenzüberschreitenden Reiseverkehr v o m 12. Dezember 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 132, S. 1057. 59 ο. V., Bei Reisen i n die DDR zu beachten, i n : V Z , Nr. 3, v o m 17. Januar 1969, S. 2. 60 Vgl. ο. V., Touristenreisen i n die DDR, i n : VZ, Nr. 16, v o m 18. A p r i l 1969, S. 2. 61 So: Dettmar Cramer , Leipzig (wie A n m . A I I I / 7 5 ) , S. 2. 82 Siehe K a p i t e l A I I I 2, Schaubild I. 55

I. Presse- und Nachrichtenwesen

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Außer dem von der Partei- und Staatsführung der DDR unternommenen Versuch, ihre Bevölkerung durch eine Verminderung der Reisemöglichkeiten vom reformsozialistischen Prager Ideengut zu isolieren, schränkten die Behörden auch die Entfaltungsmöglichkeiten der CSSRBürger, -Institutionen und -Medien ein, sich in der DDR zu den Prager Ereignissen und Reformbestrebungen zu äußern. So sollte am 27. Mai 1968 i m Club der Auslandspresse zu Berlin-Ost eine Diskussion mit tschechoslowakischen Journalisten über die Situation i n deren Heimatland stattfinden, die auf Wunsch des DDR-Außenministeriums abgesagt wurde 6 3 . Einige Wochen später ließ die Technische Universität Dresden alle tschechoslowakischen Studenten zusammenrufen und ermahnte sie durch einen Dozenten, keine Informationen über die Vorgänge i n ihrer Heimat zu verbreiten 6 4 . Es ist ferner bekannt geworden, daß das DDR-Außenministerium den offiziellen CSSR-Repräsentanten in der DDR am 30. J u l i 1968 verbot, das Manifest der „2000 Worte" zu verteilen. Das Ministerium intervenierte gleichzeitig beim Haus der tschechoslowakischen K u l t u r i n Berlin-Ost gegen die Auslage der deutschsprachigen Prager „Volkszeitung" 6 5 . Der Versand dieser Zeitung an private Haushalte war schon vorher, am 1. Juni 1968, durch den Postzeitungsvertrieb der DDR offiziell eingestellt worden, nachdem er i n den Monaten zuvor nur noch unregelmäßig erfolgt w a r 6 6 . Schließlich verminderte die politische Elite die Einflußmöglichkeiten eines weiteren tschechoslowakischen Mediums, indem sie schon i m Frühjahr gegen das deutschsprachige Programm von Radio Prag Störsender einsetzen ließ 6 7 . Da die DDR-Bevölkerung ihre Informationen über die Prager Ereignisse nicht nur von Nachrichtenquellen aus der CSSR, sondern auch von solchen aus der Bundesrepublik Deutschland und hierbei vor allem von den Fernsehanstalten bezog, versuchten die maßgeblichen DDRPolitiker, die hohen Einschaltquoten für westliche Fernsehprogramme drastisch zu senken. Nach der militärischen Okkupation der Tschechoslowakei ließen sie i n den einzelnen Kreisen Kommissionen gründen, deren alleinige Aufgabe darin bestand, das Einschalten westlicher Fernsehsendungen zu verhindern. Laut Mitteilung von Werner Barm, dem 63

Dazu: Ilse Spittmann, Spekulation (wie A n m . Β 1/10), S. 330. Arno Hahnert (Pseudonym), Päpste (wie A n m . Β 1/55), S. 2. 65 Z u beiden Fakten: o.V., Chronik, i n : Deutschland Archiv, 1.Jg. (1968) Heft 7, S. 783. 66 o.V., V Z verboten — i n der DDR, i n : VZ, Nr. 22, v o m 31. M a i 1968, S. 2. Auch die UdSSR verbot die E i n f u h r von tschechoslowakischen Zeitungen, w e n n sie i n ukrainischer Sprache publiziert wurden: Fritz Beer, Die Z u k u n f t funktioniert noch nicht. E i n Porträt der Tschechoslowakei: 1948—1968, F r a n k f u r t - M a i n 1969, S. 300. β7 ο. V., Tschechoslowakei. Liberalisierung. Nach Europa, i n : Der Spiegel, Nr. 20, v o m 13. M a i 1968, S. 129. 64

ν

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Kap. Β : I n n e n p o l i t i k der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

damaligen Ratsvorsitzenden des DDR-Kreises Osterburg-Altmark, war es diesen Kommissionen möglich, Sanktionen gegen Bürger zu verhängen, falls diese ihren Anweisungen zuwiderhandelten; die Verhängung von beruflichen Benachteiligungen stellte eine Möglichkeit für derartige Maßnahmen dar 6 8 . Durch diese, vor allem durch die nach der CSSR-Intervention zur Bekämpfung der tschechoslowakischen und westlichen Informationsquellen ergriffenen Maßnahmen wurde es den Bürgern Mitteldeutschlands erschwert, wahrheitsgetreue Informationen über die Prager Ideen und Ereignisse zu sammeln und an Verwandte, Freunde sowie andere Personen weiterzugeben. Zudem behinderte die politische Elite der DDR nach dem 21. August 1968 Kontaktaufnahmen zwischen den eigenen Staatsbürgern. So wurden unmittelbar nach der Besetzung des Nachbarstaates auf dem Weg von Berlin-Ost nach Dresden dreizehn Autokontrollpunkte gezählt 69 . Teile der Bezirke von Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) und Gera, die an die Tschechoslowakei angrenzen und zur Vorbereitung wie Durchführung der militärischen Intervention von besonderer Bedeutung waren, erklärte man gar zu Sperrzonen, die weder besucht noch von ihren Bewohnern verlassen werden durften 7 0 . Auch untersagte beispielsweise der Magistrat von Berlin-Ost die für den 27. bis 29. September 1968 geplante Zusammenkunft der mitteldeutschen Sektion des evangelischen Kirchentags 71 , nachdem bekanntermaßen die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg und viele Pfarrer die Besetzung der CSSR öffentlich verurteilt hatten. Die praktische Anwendung der auf ziemlich unpräzisen Straftatbeständen fußenden rechtlichen Bestimmungen 7 2 tat zu dieser Zeit ein übriges, die Verbreitung des reformsozialistischen Gedankenguts unter der DDR-Bevölkerung einzuschränken. Dies war besonders i n dem Moment der Fall, als verschiedene Bürger aufgrund ihrer Protestaktionen gegen die CSSRIntervention wegen „staatsfeindlicher Hetze" angeklagt und zu durchschnittlich zwei Jahren Haft verurteilt wurden 7 3 . Letzte Maßnahme es Werner Barm, Abgrenzung (wie A n m . A I I I / 6 1 ) , S. 170 ff. 89

Arno Hahnert (Pseudonym), W i r (wie A n m . A I I I / 9 5 ) , S. 2. Vgl. ο. V., D D R (wie A n m . A I I I / 9 1 ) , Bl. 535 f./Ausland; Bernd Hummel, Protestdemonstrationen (wie A n m . A I I I / 8 6 ) , S. 148. 71 ο. V., Panorama der Sowjetzone, i n : Deutsche Fragen, 14. Jg. (1968) Heft 11, Innenseite des Hefteinbands. Vgl. Ghita Ionescu, Z u k u n f t (wie A n m . A I I I / 1 0 3 ) , S. 171. 72 Siehe vor allem: §106 Strafgesetzbuch (wie A n m . AI/29). Vgl. Walter Rosenthal, Strafrechtsreform der SED, Bonn 1968, S. 11. 73 Angaben über die Gesamtzahl der Verurteilten liegen nicht vor. Sieben Einzelbeispiele für Verurteilungen finden sich bei: o.V., Hetze (wie A n m . A III/83), S. 2. Sechzig bis siebzig verurteilte Studenten e r w ä h n t : Hanns Werner Schwarze, DDR (wie Anm. A I I I / 8 3 ) , S. 333. Über seine Haftzeit berichtet der 1968 zu achtzehn Monaten Freiheitsentzug verurteilte Schriftsteller: Gerald 70

I I . DDE-Verfassung vom 6. A p r i l 1968

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glich dem Verhalten der politischen Elite nach dem Abbruch der polnischen und ungarischen Beformbestrebungen von 195674. Die Versuche der DDR-Führung, ihre Bevölkerung vom Prager Ideengut zu isolieren, richteten sich vor dem 21. August 1968 besonders gegen CSSR-Bürger, -Institutionen und -Medien, wobei zumindest die Prager „Volkszeitung" gezielt am Versand eines Teils ihrer Auflage i n die DDR gehindert wurde. Nach der militärischen Intervention läßt sich darüber hinaus eine systematische Bekämpfung von unerwünschten DDR-internen und westlichen Nachrichtenquellen nachweisen. So schränkte die Partei- und Staatsführung nunmehr verschiedene, i n den Monaten zuvor nicht angetastete Freiräume ihrer Bürger ein, ζ. B. i m Reiseverkehr mit der Tschechoslowakei, bei privaten Kontakten innerhalb der DDR und i m westlichen Fernsehkonsum. Aufgrund dieser Entscheidungen kann zusammenfassend der Schluß gezogen werden, die DDR-Führung habe bei der Sicherung ihres Informationsmonopols erst nach der Besetzung des Nachbarstaats i n größerem Umfang Maßnahmen getroffen, die eine unmittelbare innenpolitische Bedeutung besaßen und bei der eigenen Bevölkerung ein hohes Maß an persönlicher Betroffenheit zur Folge haben mußten. Zur Zeit des „Prager Frühlings" hätten solche Entscheidungen leicht den Unwillen der DDR-Bürger erregen, womöglich sogar öffentliche Proteste herausfordern können; daher dürfte die politische Elite hierauf weitgehend verzichtet haben.

I I . DDR-Verfassung v o m 6. A p r i l 1968

Ein enger Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, d. h. zwischen dem „Prager Frühling" und der Innenpolitik der SED-Führung, kann für verschiedene Entscheidungen i m Rahmen der DDR-Verfassungsgebung von 1967/68 aufgezeigt werden. Sie wurde i m A p r i l 1967 zu einem Zeitpunkt eingeleitet, als noch niemand die politische Entwicklung i n Prag vorhersehen konnte, und endete ein Jahr später, als sich die politischen Machtverhältnisse i n Prag zugunsten der reformsozialistischen Kräfte i n der KPTsch zu stabilisieren begannen. Der chronologische Ablauf der Verfassungsgebung, der gewisse Rückschlüsse auf externe Einflüsse zuläßt, kann i m einzelnen wie folgt beschrieben werden. K . Zsçhorsch, Nirgendwo (wie Anm- A I I I / 8 8 ) , S. 6 ff. Z u Verhaftungen u n d Verurteilungen, die vor u n d nach der Okkupation aus der UdSSR bekannt wurden, siehe: Cornelia J. Gerstenmaier, Stimme (wie A n m . A I I I / 6 ) , S. 158 ff. 74 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Selbstbehauptung u n d Widerstand i n der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Bonn/Berlin-West 1964, S. 131 ff.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D

und „Prager F r ü h l i n g "

Es war der Erste Sekretär des Z K der SED und Vorsitzende des Staatsrats der DDR, Walter Ulbricht, der auf dem V I I . SED-Parteitag vom A p r i l 1967 die verbindliche Forderung aufstellte, die DDR-Verfassung von 1949 sei durch eine neue und zeitgemäße zu ersetzen 1. Nachdem in der Folgezeit Vorarbeiten zur Erstellung eines neuen Verfassungstextes innerhalb der Partei geleistet worden waren 2 , beschloß die Volkskammer am 1. Dezember desselben Jahres, eine Kommission für die Ausarbeitung der neuen Verfassung zu bilden 3 . Knapp zwei Monate später, am 31. Januar 1968, legte Walter Ulbricht als Vorsitzender dieser Kommission der Volkskammer einen Verfassungsentwurf vor, den man sodann den DDR-Bürgern zur Diskussion stellte 4 . Durch eine gesetzliche Verfügung vom 26. März beendete die Volkskammer die „Volksaussprache" ohne vorherige Ankündigung und beschloß gleichzeitig die Annahme einer überarbeiteten Fassung des zuvor veröffentlichten Entwurfs als endgültigen Verfassungstext 5 , über den die Bevölkerung dann am 6. A p r i l 1968 i n einem Volksentscheid abstimmte. Wenn man unterstellt, daß das offizielle Abstimmungsergebnis tatsächlich erzielt wurde 6 , so entschieden sich in diesem Volksentscheid 94,49 Prozent der Stimmberechtigten, bei meist offenen Stimmabgaben 7 , für die Annahme der neuen Verfassung 8 . Walter Ulbricht verkündete sie i n seiner Eigenschaft als Vorsitzender des DDR-Staatsrats zwei Tage nach dem Volksentscheid9. Sie trat daraufhin am 9. A p r i l 1968 in K r a f t 1 0 . 1

Walter Ulbricht, Die gesellschaftliche Entwicklung i n der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Vollendung des Sozialismus. Schlußansprache, i n : Protokoll (wie A n m . A/2, l . B d . ) , S. 91. Erste Hinweise auf Pläne für eine neue Verfassungsgebung gab es seit 1963: Vgl. Siegfried Mampel, Verfassung (wie A n m . 11), S. 70. 2 So: Dietrich Müller-Römer, Grundgesetz (wie Anm. 11), S. 23 f. 3 Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über die B i l d u n g einer Kommission der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v o m 1. Dezember 1967, G B l DDR 1967, T e i l I Nr. 17, S. 130. 4 Entschließung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum Bericht der Kommission zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung der DDR v o m 31. Januar 1968, G B l DDR 1968, T e i l I Nr. 4, S. 121. 5 § 1 Abs. 2 Gesetz zur Durchführung eines Volksentscheides über die V e r fassung der Deutschen Demokratischen Republik v o m 26. März 1968, G B l D D R 1968, Teil I Nr. 7, S. 192. 8 So berichtet der ehemalige Ratsvorsitzende des DDR-Kreises OsterburgA l t m a r k von Manipulationen, die bei Wahlen während u n d nach der S t i m menauszählung stattfinden: Werner Barm, K o m m u n a l p o l i t i k und K o m m u n a l wahlen i n der DDR, i n : Deutschland Archiv, 3. Jg. (1970) Heft 4, S. 428 f. 7 Dazu die Beobachtungen von: Kai Hermann, Fünf Prozent sagten nein, i n : Die Zeit, Nr. 15, v o m 12. A p r i l 1968, S. 4; Arno Hahnert (Pseudonym), „ W i r dürfen nichts riskieren". Nachlese zur A b s t i m m u n g über die U l b r i c h t - V e r fassung, i n : Die Zeit, Nr. 16, v o m 19. A p r i l 1968, S. 13. 8 V e r f K o m m I, S. 191. 9 Siehe DDV.

I I . D D - V e r f a s s u n g v o m 6. A p r i l 1968

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W i l l man mit Hilfe der soeben genannten Fakten eine Reaktion der an der Verfassungsgebung beteiligten Organe auf den „Prager Frühling" herausarbeiten, dann konzentriert sich das Interesse auf zwei Fragenkreise. Die dargelegte Chronologie läßt einerseits den Verdacht aufkommen, die Partei- und Staatsführung habe i n der Schlußphase der Verfassungsgebung überstürzt gehandelt. Andererseits ist zu klären, welche Änderungen am Verfassungsentwurf Ende März 1968 vorgenommen wurden, und welche Gründe hierfür maßgebend waren. 1. Überstürzte

Verabschiedung

Als die öffentliche Verfassungsdiskussion am 31. Januar 1968 i n der DDR begann, bekleidete Alexander Dubcek das A m t des Ersten Sekretärs des Z K der KPTsch noch nicht einmal vier Wochen. Wie anhand der Presseberichterstattung in „Neues Deutschland" ersichtlich ist, erwartete denn auch zu diesem Zeitpunkt kein führender SED-Funktionär eine solch große reformsozialistische Evolution i m Nachbarstaat, wie sie letztlich eintreten sollte. Hierfür schienen auch zu viele orthodox marxistisch-leninistische Politiker hohe Partei- und Staatsämter in Prag innezuhaben. Der bedeutendste dieser Politiker war Antonin Novotny, der, auch nach dem Verlust des höchsten Parteiamts am 5. Januar, bis zum 22. März Staatspräsident und bis zum 4. A p r i l 1968 Mitglied des Präsidiums und des ZK-Sekretariats der KPTsch blieb. Erst mit dem zweiten personellen Revirement von Ende März/Anfang A p r i l und der Verabschiedung des Aktionsprogramms der KPTsch am 5. A p r i l 1968 fiel i n der CSSR die endgültige Entscheidung für die Realisierung des reformsozialistischen Gedankenguts i n der politischen Praxis. Die Durchführung des bereits erwähnten Treffens der Ostbündnisstaaten i n Dresden am 23. März, auf dem die Partei- und Staatsführungen der späteren fünf Interventionsstaaten zusammen mit den Prager Reformpolitikern über die innere Entwicklung der Tschechoslowakei berieten, und der zwei Tage später erfolgte polemische Angriff K u r t Hagers gegen den Kandidaten für das vakante A m t des Staatspräsidenten der CSSR, Josef Smrkovsky, beweisen, daß sich die orthodoxen kommunistischen Führer Osteuropas nunmehr der aktuellen politischen Bedrohung ihrer Regime durch die tschechoslowakische Reformbewegung voll bewußt waren. Diese Erkenntnis beeinflußte schließlich auch den zeitlichen Ablauf der DDR-Verfassungsgebung. Auf einen überstürzten Abschluß der Verfassungsgebung weist zunächst der Zeitschriftenaufsatz der Rechtswissenschaftler Gotthold Bley 10

§ 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung eines Volksentscheides (wie A n m . Β II/5) legt fest, daß die neue Verfassung „nach A b l a u f des Tages ihrer Verkündung i n K r a f t " t r i t t .

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

und Harry Bredernitz i m Mai-Heft von „Staat und Recht" hin, in dem noch lange nach dem Inkrafttreten der neuen Konstitution Diskussionsbeiträge über den Verfassungsentwurf enthalten waren 1 1 . Der Redaktionsschluß dieses Heftes war am 25. März 196812, also einen Tag vor der offiziellen Beendigung der Verfassungsdiskussion durch den Volkskammerbeschluß. Nach Aussage von Dieter Borkowski, anonymer M i t arbeiter der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit" i n Berlin-Ost von 1966 bis 1971, plante die politische Elite der DDR zu Beginn der Verfassungsdiskussion die Verabschiedung der neuen Konstitution für den 19. Jahrestag der DDR-Gründung am 7. Oktober 1968 durch die Volkskammer. Walter Ulbricht habe sich aber dann unmittelbar nach der Konferenz von Dresden, die am 23. März, also einen Tag nach der Demission Antonin Novotnys als Staatspräsident der CSSR, stattfand, bei den anderen Sekretären des Zentralkomitees der SED für eine Vorverlegung des Abschlusses der Verfassungsgebung und die Durchführung eines Volksentscheids mit alternativer Ja-Nein Entscheidungsmöglichkeit eingesetzt 13 . Den entsprechenden Beschluß faßte die Volkskammer formell am 26. März. Die rasche Verabschiedung der neuen Verfassung sah das Politbüromitglied und der ZK-Sekretär der SED für Sicherheit, Erich Honecker, i n einer Mitteilung an das Redaktionskollegium des Parteiorgans „Neues Deutschland" denn auch ausdrücklich als eine Reaktion auf die Politik Alexander Dubceks an. Er teilte allerdings nicht den von Walter Ulbricht erfolgreich vorgebrachten Wunsch nach einer alternativen Abstimmungsmöglichkeit 14 . Darüber hinaus gibt es Indizien, die die Vermutung nahelegen und erhärten, auf der Dresdener Konferenz habe es eine Absprache zwischen den anwesenden DDR- und CSSR-Politikern über den weiteren zeitlichen Verlauf der DDR-Verfassungsgebung wie über den Zeitpunkt für die Veröffentlichung des Aktionsprogramms der KPTsch gegeben. A u f den Zeitpunkt für die Verabschiedung des Aktionsprogramms am 5. A p r i l 1968 sowie auf die für Anfang A p r i l geplanten weiteren personellen 11 Gotthold Bley / Harry Bredernitz, Der Verfassungsentwurf u n d die W e i terentwicklung des Wirtschafts- u n d Arbeitsrechts, i n : Staat und Recht, 17. Jg. (1968) Heft 5, S. 842 ff. Siegfried Mampel nennt darüber hinaus noch weitere Beispiele hierfür, die allerdings nicht von einer solch großen Beweiskraft sind: Verfassung (wie A n m . 11), S. 72. Die von Dietrich Müller-Römer erwähnte Ersetzung des Begriffs „Volksentscheid" durch „Volksabstimmung" i n A r t . 20 Abs. 2 D D V E bzw. A r t . 21 Abs. 2 D D V dürfte k e i n Indiz für eine kurzfristige Entscheidung zur Beendigung der DDR-Verfassungsgebung sein; so aber ausgeführt i n : Gründgesetz (wie A n m . 11), S. 28 f. 12 Siehe das Impressum des Heftes 5/1968 von „Staat u n d Recht". 13 Arno Hahnert (Pseudonym), Ohren (wie A n m . A I I I / 7 7 ) , S. 13. 14 Ebd., ohne daß die Angabe näher erläutert w i r d . Die 1974 von Honecker durchgeführte Verfassungsrevision geschah denn auch allein aufgrund eines Volkskammerbeschlusses. Hierzu: Dietrich Müller-Römer, Die neue Verfassung der DDR, K ö l n 1974, S. 15.

I I . D D - V e r f a s s u n g v o m 6. A p r i l 1968

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Veränderungen i n den obersten politischen Führungsgremien der KPTsch konnten beide Seiten in Dresden am 23. März praktisch keinen Einfluß mehr nehmen, da das Plenum des Zentralkomitees der KPTsch zur Beschlußfassung über diese Fragen bereits zuvor für den 28. März und die darauffolgenden Tage einberufen worden war. Die maßgeblichen Politiker des „Prager Frühlings" nahmen jedoch offensichtlich bei der Wahl des Zeitpunkts für die Publizierung ihres Aktionsprogramms Rücksicht auf die von Walter Ulbricht während der Dresdener Konferenz artikulierten ΒedrohungsVorstellungen, die dieser bekanntermaßen gegenüber dem Reformsozialismus und dessen Resonanz bei der DDR-Bevölkerung hegte. Denn obwohl die bedeutendste programmatische Erklärung der Prager Reformer, das Aktionsprogramm der KPTsch, bereits am 5. A p r i l vom Plenum des Zentralkomitees der Partei beschlossen wurde, warteten die Prager Kommunisten mit deren Erstveröffentlichung i m Parteiorgan „Rudé Prâvo" bis zum 10. A p r i l 1968. Sie ermöglichten dadurch der politischen Elite der DDR, den von der Volkskammer am 26. März angeordneten Volksentscheid ungestört von äußeren politischen Einflüssen am 6. A p r i l durchführen zu lassen und die Verkündung der neuen Verfassung am 8. A p r i l wie deren Inkraftsetzung am 9. A p r i l vorzunehmen. Auf eine Absprache zwischen SED- und KPTsch-Führung über die Termine für die Publizierung des Aktionsprogramms der tschechoslowakischen Kommunisten und für den Abschluß der DDR-Verfassungsgebung deutet ferner die Entscheidung Walter Ulbrichts hin, die neue Verfassung schon zwei Tage bzw. am ersten Werktag nach dem Volksentscheid zu verkünden und sie damit für den 9. A p r i l 1968 in Kraft zu setzen, obwohl i h m die gesetzliche Frist für die Verkündung vier Wochen Zeit ließ 1 5 . Aufgrund der dargelegten Ausführungen hat die politische Elite der DDR zwischen dem 23. und 26. März 1968 kurzfristig den Entschluß gefaßt, die 1967 eingeleitete und wohl über einen längeren Zeitraum geplante Verfassungsgebung baldmöglichst abzuschließen. Diese Entscheidung traf sie offensichtlich angesichts der für Ende März/Anfang A p r i l in Prag erwarteten personellen Veränderungen i n den politischen Führungsgremien und der voraussehbaren Verabschiedung eines Aktionsprogramms der KPTsch. Von beiden Maßnahmen konnte zu Recht eine Stärkung der reformsozialistischen Bestrebungen i n der Tschechoslowakei vermutet werden. Eine Fortsetzung der Verfassungsdiskussion in der DDR, die fast zwangsläufig einen öffentlichen, intensiven Vergleich des totalitär verfaßten politischen Systemmodells der 15 Siehe : § 10 S. 2 Gesetz zur Durchführung eines Volksentscheides (wie A n m . Β 11/5).

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DDR mit dem sozialistischen Pluralismus des „Prager Frühlings" herausgefordert hätte, konnte die SED-Führung wegen ihrer existentiellen Legitimierungsprobleme und der damit verbundenen Gefahr einer Verbreitung des Reformsozialismus unter der DDR-Bevölkerung nicht wünschen. Gerade weil sie das von ihr entworfene politische Modell, wenn auch nur formell, zur Diskussion gestellt hatte, mußte sie alles tun, um ein kritisches Hinterfragen zu unterbinden. 2. Verschiedenartige Änderungen am Verfassungsentwurf Nach offiziellen Angaben der Kommission für die Ausarbeitung der neuen DDR-Verfassung nahmen an der „Volksaussprache" über den Verfassungsentwurf elf Millionen Bürger teil, die i m Zeitraum vom 31. Januar bis 26. März 1968 12 454 Änderungsvorschläge einreichten. Nach deren Sichtung durch die unter dem Vorsitz von Walter Ulbricht tagende Kommission empfahl diese schließlich der Volkskammer, insgesamt 118 Änderungen am Verfassungsentwurf vorzunehmen, die dann auch i n den endgültigen Text der neuen Konstitution Eingang fanden 16 . Vorwiegend handelte es sich um stilistische oder redaktionelle Änderungen, und nur relativ wenige betrafen essentielle Fragen 1 7 . Zu letzteren gehörten beispielsweise die Versuche, zu einer weiteren Verbesserung der Rechtssicherheit für die Bürger i n machtpolitisch neutralen Bereichen zu gelangen 18 . Wegen der für die Zeiten vor, während und nach der öffentlichen Verfassungsdiskussion zu beobachtenden Kontinuität dieser Anstrengungen 10 kann hier ein Kausalbezug zum „Prager 16

Z u den genannten Zahlen: V e r f K o m m I, S. 142 u n d 150. Analysen über die Änderungen am Verfassungsentwurf verfaßten unter anderem: Jens Hacker, K o r r e k t u r e n am Verfassungsentwurf, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 1, S. 103 ff.; Herwig Roggemann, Verfassung (wie A n m . A1/4), S. 27 ff. Ausschließlich zu den religions- u n d kirchenpolitischen Rechtsetzungen: Hans-Gerhard Koch, Staat u n d Kirche i n der DDR. Zur E n t w i c k l u n g ihrer Beziehungen 1945—1974. Darstellung, Quellen, Übersichten, Stuttgart 1975, S. 21 ff. A l l e Autoren stimmen m i t den hier vertretenen allgemeinen Ansichten i m Grundsatz überein; sie verzichten allerdings auf die Untersuchung von Kausalbezügen zum „Prager F r ü h l i n g " . 18 So w i r d beispielsweise das Auslieferungsverbot für DDR-Bürger i n A r t . 33 Abs. 2 D D V neu i n die Verfassung aufgenommen. Auch die K o n k r e t i sierung von beschwerderechtlichen Bestimmungen ist hier zu nennen: Vgl. A r t . 103 Abs. 1 S. 1 D D V m i t A r t . 104 Abs. 1 S. 1 D D V E ; vgl. ebenfalls A r t . 105 Abs. 1 D D V m i t A r t . 106 Abs. 1 D D VE. 19 Als Beispiele für die Tendenz einer Verrechtlichung i n der DDR siehe die detaillierten Bestimmungen von: Strafgesetzbuch (wie A n m . A1/29); Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik v o m 12. Januar 1968, i n : G B l DDR 1968, Teil I Nr. 2, S, 49; Verordnung über Ordnungswidrigkeiten v o m 16. M a i 1968, G B l DDR 1968, Teil I I Nr. 62, S. 359; Gesetz zur Regelung der Staatshaftung i n der Deutschen Demokratischen Republik v o m 12. M a i 1969, i n : G B l D D R 1969, T e i l I Nr. 5, S. 34. Vgl. auch Klaus Westen, V e r w a l 17

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Frühling" ausgeschlossen werden. Ein solcher läßt sich am ehesten bei Änderungen am Verfassungsentwurf vermuten, die individuelle Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten zum Inhalt hatten. Zur Sicherung ihrer privilegierten Stellung sah sich die Partei- und Staatsführung der DDR nach Abschluß der Verfassungsdiskussion offensichtlich gezwungen, den Bürgern i n religiösen Fragen Zugeständnisse zu machen. So nahm die Verf assungskommission die Formulierung in den endgültigen Verfassungstext auf: „Gewissens- und Glaubensfreiheit sind gewährleistet 2 0 ." Auch die Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetz wurde jetzt ausdrücklich um die rechtliche Gleichbehandlung der Bürger erweitert, die sich zu einer religiösen Gemeinschaft bekennen 21 . Beide Änderungen am Verfassungsentwurf brachten allerdings keine größeren Rechtsansprüche für die Gläubigen. A n anderen Stellen des Entwurfs sowie der neuen DDR-Verfassung werden nämlich bereits den Bürgern das Recht zugestanden, „sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben" 22 , und der Glaubenshaß „als Verbrechen geahndet" 23 . Der i m Verfassungstext enthaltenen doppelten Nennung des Rechts auf Glaubensfreiheit und der rechtlichen Gleichstellung von Gläubigen mit anderen DDR-Bürgern kommt zwar keine juristische, wohl aber eine politisch-ideologische Bedeutung zu. Man sollte nicht verkennen, daß es der Verfassungskommission schwergefallen sein dürfte, diese Grundrechte anstatt in zwei, zum Teil nur schwer auffindbare 24 , nunmehr in drei verschiedene A r t i k e l der Verfassung aufzunehmen. Damit vertiefte sie bereits i m Verfassungsentwurf enthaltene Widersprüche. Die verfassungsrechtliche Forderung nach der Erziehung der DDR-Bevölkerung zu „sozialistischen Persönlichkeiten" ist mit den genannten Grundrechten unvereinbar, da eine vom orthodoxen Marxismus-Leninismus geprägte Person atheistische Grundsätze bejaht 2 5 . Diesen fundamentalen Gegensatz kann die bereits i m Entwurf zu der neuen Verfassung enthaltene Unterordnung aller Grundrechte unter die Forderung nach Schaffung von „sozialistischen Persönlichkeiten" 26 ebensowenig auflösen wie tungsrechtsschutz i n der Retorte, i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 4, S. 370 ff. 20 A r t . 20 Abs. 1 S. 2 DDV. 21 Vgl. A r t . 20 Abs. 1 S. 1 D D V m i t A r t . 19 Abs. 1 S. 1 DDVE. 22 A r t . 38 Abs. 1 D D V E u n d A r t . 39 Abs. 1 DDV. 23 A r t . 6 Abs. 5 D D V E u n d A r t . 6 Abs. 5 DDV. 24 A l s n u r schwer auffindbar ist die religionspolitische Bestimmung des A r t . 6 Abs. 5 D D V E anzusehen. 25 Z u r Religion als dem Produkt der menschlichen Selbstentfremdung: Karl Marx, Z u r K r i t i k der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung (1844), i n : ders. / Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe, Erste A b t e i lung, Erster Bd., Erster Halbbd., F r a n k f u r t - M a i n 1927, S. 607 f.

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die dort schon ausgesprochene Pflicht der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, „ihre Angelegenheiten und ihre Tätigkeit i n Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik zu ordnen und durchzuführen" 2 7 . Wenn aber der Widerspruch zwischen der atheistischen Ideologie und dem Recht auf Glaubensfreiheit in der DDR-Verfassung vom 6. April, im Vergleich zu deren Entwurf vom 31. Januar 1968, sogar noch verbal bekräftigt wird, deutet dies daraufhin, daß hierfür gewichtige Gründe vorliegen mußten. Dazu genügten zweifelsohne nicht allein Anregungen des der SED nahestehenden thüringischen Landesbischofs Moritz Mitzenheim zur Ergänzung des religionspolitischen Teils des Verfassungsentwurfs, wie es der offizielle Verfassungskommentar ausführt 2 8 . Angesichts massiver Proteste von Seiten aller evangelischen und katholischen Bischöfe der DDR gegen den „Absolutheitsanspruch des Sozialismus" 29 und besorgter Erörterungen innerhalb der christlichen Gemeinden über die künftige Rolle der Religion i n der D D R 3 0 war die Verfassungskommission Ende März 1968 offenbar darum bestrebt, eine fortgesetzte K r i t i k der Kirchenführer und Gläubigen an den religionspolitischen Bestimmungen des endgültigen Textes der DDR-Verfassung zu vermeiden. Eine Fortsetzung des öffentlichen Disputs mit den K i r chen hätte für die politische Elite der DDR, i m Hinblick auf den sich 26

Vgl. Abschnitt I I Kap. 1 DDVE, die den entsprechenden Teilen der D D V analog formuliert sind. 27 A r t . 38 Abs. 2 DDVE. I n ähnlicher Weise A r t . 39 Abs. 2 DDV, der die imperative Fassung des Entwurfs durch eine indikative ersetzt u n d zudem den unverbindlichen Satz neu a u f n i m m t : „Näheres k a n n durch Vereinbarungen geregelt werden". Z u den i m Vergleich zum Verfassungsentwurf nicht veränderten kirchenpolitischen Rechtsinhalten der DDR-Verfassung siehe a l l gemein: Helmut Weidemann, Zur Rechtsstellung der Kirchen u n d Religionsgemeinschaften nach der neuen Verfassung i n Mitteldeutschland, i n : D e u t sches Verwaltungsblatt, 84. Jg. (1969) Heft 1, S. 10 ff. 28 V e r f K o m m I, S. 137 u n d 171. 29 I n dieser F o r m w o r t w ö r t l i c h Bischof Fränkel am 22. März 1968 i n Görlitz, zitiert bei: Erwin Wilkens, Kirchen (wie A n m . A I I I / 1 0 0 ) , S. 184. Siehe auch den Brief der evangelischen Landesbischöfe „ A n den Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, H e r r n Walter Ulbricht, B e r l i n " v o m 15. Februar 1968, abgedruckt i n : ebd., S. 181 f.; ebenso die am 3. März i n den katholischen Gottesdiensten verlesene „ E r k l ä r u n g der Bischöfe u n d bischöflichen Kommissare der Berliner Ordinarienkonferenz zum E n t w u r f der neuen Verfassung der DDR", Nachdruck i n : ebd., S. 189 f. Zusammenfassend zur Diskussion zwischen Kirche und Staat bzw. SED zur Zeit der öffentlichen Verfassungsdiskussion: ebd., S. 164 ff.; Gisela Helwig, Kirche auf dem Abstellgleis, i n : SBZ Archiv, 19. Jg. (1968) Heft 5, S. 65 f.; Hans-Gerhard Koch, Staat (wie A n m . Β II/17), S. 82 ff. 80 Hierauf weisen h i n : Entschließung der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringens zum E n t w u r f der Verfassung der D D R v o m 19. März 1968, i n : E r w i n Wilkens, Kirchen (wie A n m . A I I I / 1 0 0 ) , ' S . 178 f.; E r k l ä r u n g der Bischöfe (wie A n m . Β II/29), S. 189 f.

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in Prag abzeichnenden sozialistischen Pluralismus und gegenüber der sich dort auch i n religiösen wie kirchlichen Fragen vollziehenden Liberalisierung, ernsthafte machtpolitische Probleme hervorrufen können. So aber trug die bei der Ergänzung des Verfassungsentwurfs i n Kauf genommene Vertiefung der ideologischen Ungereimtheiten in religiösen Fragen zur Sicherung des totalitär verfaßten politischen Systems der DDR bei 3 1 , zumal gerade von gläubigen Bürgern keine Legitimierung des Systems aufgrund der ideologischen Vorgaben erwartet werden konnte. Daß die Sicherung des bestehenden Herrschaftssystems die vorrangige Absicht der Verfassungskommission war, belegt der offizielle Verfassungskommentar. Unter Verleugnung entscheidender Unterschiede zwischen Christentum und orthodoxem Marxismus-Leninismus schreibt e r 3 2 : „Sie (die christlichen Bürger, P. B.) sehen, daß ihre von Frieden, Menschlichkeit u n d Nächstenliebe geprägten ethischen Auffassungen m i t den Grundsätzen u n d Zielen der sozialistischen Gesellschaft übereinstimmen und daß i n der sozialistischen Menschengemeinschaft erstmalig die Ideale des Humanismus und der Friedensliebe, der Freiheit und der Achtung der Würde des Menschen v e r w i r k l i c h t werden".

I m Gegensatz zu den religionspolitischen Änderungen am Verfassungsentwurf, bei denen — wenn überhaupt — nur ein partieller Kausalbezug zum „Prager Frühling" angenommen, aber nicht unter Angabe von Primärquellen belegt werden kann, lassen sich i m wirtschaftsorganisatorischen Teil der Verfassung Ergänzungen nachweisen, die als eine Reaktion der Verfassungskommission auf die tschechoslowakische Reformbewegung zu identifizieren sind. So gab es für die Verfassungskommission „Veranlassung, die Grundlagen der sozialistischen Volkswirtschaft i m A r t i k e l 9 präziser zusammenzufassen und ausdrücklich festzulegen, daß sich die Volkswirtschaft der DDR gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus entwickelt" 3 3 . Die verfassungsrechtliche Betonung der uneingeschränkten Herrschaft der SED-Führung zeigt sich i m ökonomischen Bereich auch i n A r t i k e l 41 der neuen Verfassung. Sprach der Verfassungsentwurf noch von Betrieben, Städten, Gemeinden und Gemeindeverbänden als „ eigen verantwort31 Dazu gibt es historische Parallelen, so zum Beispiel bei der Ausarbeitung des sowjetischen Verfassungsentwurfs i m Jahre 1918 bzw. des SED-Parteiprogramms von 1976. Siehe: John Ν. Hazard , Die Bürgerrechte i n der S o w j e t union, i n : K a r l A . Bettermann / Franz L. Neumann / Hans C. Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte. Handbuch der Theorie u n d Praxis der Grundrechte, Erster Bd., Zweiter H a l b b d , Berlin-West 1967, S. 975; Karl Wilhelm Fricke, Programm u n d Statut der SED v o m 22. M a i 1976, K ö l n 1976, S. 28 f. 32 V e r f K o m m I I , S. 171. 33 Dieses w i e die folgenden Zitate der Verfassungskommission enthält der Verfassungskommentar. H i e r : V e r f K o m m I, S. 159. Vgl. A r t . 9 Abs. 1 D D V m i t A r t . 9 Abs. 1 DDVE.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D R und „Prager F r ü h l i n g "

liehen Gemeinschaften" 34 , so erklärt jetzt der Verfassungstext, darüber jedes MißVerständnis auszuschließen" 35 :

„um

„Die sozialistischen Betriebe, Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände sind i m Rahmen der zentralen staatlichen Planung und Leitung eigenverantwortliche Gemeinschaften".

Außer bei diesen Änderungen am Verfassungsentwurf hatte die Kommission zudem i n A r t i k e l 12 der neuen Verfassung „Anlaß", die planwirtschaftliche Nutzung der Volkswirtschaft „verfassungsrechtlich eindeutig klarzustellen" 3 6 . Ein zusätzlich i n diese Bestimmung aufgenommener Passus lautet 3 7 : „Der sozialistische Staat gewährleistet die Nutzung des Volkseigentums m i t dem Ziel des höchsten Ergebnisses f ü r die Gesellschaft. Dem dienen die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht. Die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums erfolgt grundsätzlich durch die volkseigenen Betriebe und staatlichen Einrichtungen".

Die Notwendigkeit dieser Ergänzungen begründet die Verfassungskommission mit dem Kampf der DDR gegen jegliche Formen der „Liberalisierung", „Selbstverwaltung" und „Dezentralisation", die der DDR durch „das westdeutsche Monopolkapital und sein Sprachrohr, die Springer-Presse", zur Übernahme empfohlen worden seien 38 . Daß die „Springer-Presse" durch solche Empfehlungen zur Verbreitung eines Ideenguts beitragen würde, das den Zielen des „Monopolkapitals" widerspräche, gesteht die Verfassungskommission zwar selbst ein; sie bezeichnet diesen Umstand jedoch als Verschleierung der „wahren Absichten" 3 9 . Indem die Verfassungskommission eine innenpolitische Einmischung von Seiten der Bundesrepublik Deutschland als scheinbaren Anlaß für die Änderungen am Verfassungsentwurf angibt, bedient sie sich i n Wirklichkeit selbst des Mittels der Verschleierung. Da vor allem die Begriffe Selbstverwaltung und Dezentralisation zentrale Bestandteile des reformsozialistischen Vokabulars sind, ging es der Verfassungskommission i m März 1968 wohl primär um die Bekämpfung von grundlegenden Forderungen des Reformsozialismus und somit des „Prager Frühlings". I m übrigen gleicht der Vorwurf einer innenpolitischen Einmischung durch „imperialistische" Kreise aus der 84

A r t . 40 S. 1 DDVE. Z u r Begründung für die Ergänzung: V e r f K o m m I, S. 159 f. Der zitierte Verfassungstext entspricht A r t . 41 S. 1 DDV, wobei die Hervorhebungen v o m Verfasser stammen. 86 V e r f K o m m I, S. 160. 87 A r t . 12 Abs. 2 S. 1, 2,3 DDV. 88 V e r f K o m m I, S. 160. 89 Ebd., S. 160. 85

I I I . Wirtschaftssystem

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Bundesrepublik demjenigen, den „Neues Deutschland" i m Zusammenhang mit seiner ideologisch einseitigen Berichterstattung über den tschechoslowakischen Erneuerungsprozeß erhob. Beide sind nicht haltbar, verschweigen sie doch die wahren Ursachen. Die Massenmedien des Springer-Verlags haben lediglich, wie viele andere außerhalb der Ostbündnisstaaten, die reformsozialistischen Forderungen i n ihrer Berichterstattung über den „Prager Frühling" aufgegriffen und so möglicherweise zu deren Verbreitung beigetragen. Vergleicht man am Ende dieses Abschnitts die religionspolitischen, wirtschaftsorganisatorischen und alle anderen Änderungen am Verfassungsentwurf, dann ist es die Funktion einer scheinbar demokratischen Legitimierung des totalitär verfaßten politischen Systems der DDR, die sie gemeinsam besitzen, da die DDR-Bürger durch die „Volksaussprache" formell an der Ausarbeitung des endgültigen Verfassungstextes beteiligt waren 4 0 . Über die Änderungen am Verfassungsentwurf entschied jedoch ausschließlich die von der Volkskammer eingesetzte Kommission zur Ausarbeitung der neuen Verfassung, die bekanntermaßen unter dem Vorsitz Walter Ulbrichts und somit unter steter Kontrolle durch die politische Elite tagte. Analysiert man nunmehr die religionspolitischen und die wirtschaftsorganisatorischen Änderungen eingehender, so fällt auf, daß beide auf verschiedene Weise zur Sicherung der SED-Herrschaft beizutragen hatten. Politisch-ideologische Zugeständnisse i n religiösen Belangen sollten dies ebenso bewirken wie die Verstärkung orthodox marxistischleninistischer Positionen i m Bereich der zentralen Planwirtschaft. Beide Ergebnisse vermögen i m Hinblick auf die noch ausstehenden Analysen über das Wirtschaftssystem bzw. den kulturellen Bereich wertvolle Interpretationshilfen zu geben, obwohl nur für die wirtschaftsorganisatorischen Ergänzungen i m endgültigen Verfassungstext ein Kausalbezug zum „Prager Frühling" als ausreichend begründet gelten kann.

I I I . Wirtschaftssystem

Ein Vergleich der wirtschaftsorganisatorischen Prämissen der Prager Reformer mit denen der politischen Elite der DDR zeigt eine grundsätzliche Ubereinstimmung i n der Ablehnung von privaten und der Befürwortung von kollektiven Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln. Hingegen besteht ein fundamentaler Gegensatz bei den Partizipationsmöglichkeiten der jeweiligen Bevölkerung am makrowie mikroökonomischen Entscheidungsprozeß. 40

Diese Aspekte betont zum Beispiel: ebd., S. 126 ff. und 142 ff.

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I n der CSSR w i r d er von den unmittelbaren Produzenten wie Konsumenten gleichermaßen entscheidend mitbestimmt. So treffen autonome Betriebe, die repräsentative und Elemente der Arbeiterselbstverwaltung als Mitbestimmungsmöglichkeiten kennen, ihre Produktionsentscheidungen entsprechend der jeweiligen Marktlage. Die Ziele des staatlichen Entwicklungsplans, die von einem politisch unabhängigen, aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gebildeten Wirtschaftsrat bestimmt werden, sind lediglich als flexible Richtschnur für die Anwendung von indirekt wirkenden wirtschaftspolitischen Instrumenten durch die Regierung anzusehen. I m Gegensatz dazu fehlen i n der DDR reale ökonomische Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die bestehenden Partizipationsrechte sind an die Erfüllung der vom zentraladministrativen Planungssystem festgelegten Ziele geknüpft. Der tschechoslowakische Wirtschaftsreformer Radoslav Selucky kennzeichnet den Unterschied zwischen seiner eigenen Konzeption und derjenigen der politischen Elite der DDR recht treffend, wenn er schreibt 1 : „ . . . w i r i n der Tschechoslowakei wollen uns eher auf indirekte Leitungsformen orientieren, die sich auf den M a r k t stützen, während m a n i n der D D R der unmittelbaren Beeinflussung der Wirtschaftspläne durch ein leitendes Z e n t r u m den Vorrang gibt".

Entsprechend dieser gegensätzlichen Konzepte konzentriert sich die nachfolgende Analyse der wirtschaftsorganisatorischen Entwicklung in der DDR zur Zeit des „Prager Frühlings" auf machtpolitische Aspekte, die den uneingeschränkten Führungsanspruch der politischen Elite betreffen. Eine sachgerechte Beurteilung der in den ersten Monaten des Jahres 1968 beschlossenen Maßnahmen setzt allerdings eine ausführliche Beschreibung der i n der DDR seit Anfang der sechziger Jahre durchgeführten Wirtschaftsreformen voraus. Erst hierdurch ist es möglich, sich über die von Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlich bewerteten ökonomischen Entscheidungen von 1968 ein eigenes Urteil zu bilden. 1. Dekonzentration

in den Jahren 1963 bis 1967

Als zu Beginn der sechziger Jahre i n den Staaten des Ostbündnisses, allen voran der UdSSR, die Einsicht wuchs, ein zentral-administratives 1

R. Selucky, Die Wirtschaftsreform der DDR (I), i n : VZ, Nr. 9, v o m 1. März 1968, S. 7. Beachtenswert sind die folgenden Arbeiten, die trotz unterschiedlicher politischer Grundhaltungen der Autoren zu Ergebnissen gelangen, die das von Selucky stützen: Ulrich Wagner, Wirtschaftsreformen. E i n Vergleich zwischen CSSR u n d DDR, i n : Deutsche Studien, 6. Jg. (1968) Heft 22, S. 117 ff.; Walter Lindner, A u f b a u des Sozialismus oder kapitalistische Restauration? Z u r Analyse der Wirtschaftsreformen i n der DDR u n d der CSSR, Erlangen 1971.

I I I . Wirtschaftssystem

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Planungssystem könne nicht i n ausreichender Weise zur Lösung qualitativer Probleme hochentwickelter Industriestaaten beitragen, entschlossen sie sich, Wirtschaftsreformen in Angriff zu nehmen. Dabei ließ der Erste Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU und sowjetische M i n i sterpräsident, Nikita Chruschtschow, seinen Verbündeten große Freiräume, die seine Nachfolger Leonid Breschnew und Alexej Kossygin in den ersten Jahren ihrer Herrschaft nicht einschränkten bzw. einzuschränken vermochten 2 . Die Wirtschaftsreformen des „Prager Frühlings" belegen dies beispielhaft. Angesichts vorausgegangener ökonomischer Fehlschläge war auch die politische Elite der DDR darauf bedacht, die Funktionstüchtigkeit des Wirtschaftssystems zu erhöhen, freilich ohne eine grundlegende Änderung der bisherigen Ordnungsformen vorzunehmen. Das 1963 verkündete Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖSPL) sah der Ministerrat der DDR als Versuch an, eine gewisse Selbstregulierung auf der Grundlage der zentralen Planung anzustreben 3 . Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, unterzogen sich i n den nächsten Jahren viele ökonomisch-technische Experten der gestellten Aufgabe und suchten die zentrale Perspektivplanung mit einer an dieser ausgerichteten eigenverantwortlichen betrieblichen Detailplanung zu verbinden. Ihnen erlaubte die politische Elite der DDR, gewisse systemkonforme Erkenntnisse aus den westlichen Staaten zu übernehmen, so die Kybernetik, die Netzplantechnik, die Operations Research, verschiedene Programmiersprachen und das Marketing 4 . M i t deren Hilfe wurde 2 F ü r die DDR siehe: Ernst Richert, Eigenständigkeit (wie A n m . A I I I / 1 2 6 ) , S. 955 f. u n d 974 f. 8 Vgl. Richtlinie (wie A n m . A I I I / 4 5 ) . Umfassende Darstellungen der w i r t schaftsorganisatorischen Entwicklung der DDR während der sechziger Jahre geben, zum T e i l unter Beachtung hier nicht erwähnter Einzelmaßnahmen der politischen Elite: Hannelore Hamel, Das sowjetische Herrschaftsprinzip des demokratischen Zentralismus i n der Wirtschaftsordnung Mitteldeutschlands, Berlin-West 1966; Ulrich Wagner, Deutsche Demokratische Republik. Die Reform des „neuen ökonomischen Systems der Planung und L e i t u n g der Volkswirtschaft" 1963, i n : Fritz Blaich / Ingomar Bog / Gernot G u t m a n n / K . P a u l Hensel (Hg.), Wirtschaftssysteme zwischen Zwangsläufigkeit u n d Entscheidungsfreiheit, Stuttgart 1971, S. 204 ff.; Gerd-Jan Krol, Die Wirtschaftsreform i n der DDR u n d ihre Ursachen. Erfahrungen m i t der administrativen Steuerungskonzeption, Tübingen 1972, S. 118 ff.; Gert Leptin, Bilanz der W i r t schaftsreform i n der DDR, i n : Hans-Hermann Höhmann / Michael C. Käser / K a r l C. Thalheim (Hg.), Die Wirtschaftsordnungen Osteuropas i m Wandel. Ergebnisse und Probleme der Wirtschaftsreformen, 1. Bd., Freiburg-Breisgau 1972, S. 65 ff.; Renate Damus, Entscheidungsstrukturen u n d Funktionsprobleme i n der DDR-Wirtschaft, F r a n k f u r t - M a i n 1973; Handbuch DDR-Wirtschaft, hg. v o m Deutschen I n s t i t u t f ü r Wirtschaftsforschung, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 57 ff. 4 Vgl. Klaus Siebert, Hoffen auf die Kybernetik. SED sucht neue Methoden zur Stabilisierung des Systems, i n : SBZ Archiv, 18. Jg. (1967) H e f t 10,

8 Burens

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das bestehende System der Zentralverwaltungswirtschaft durch eine partielle Verlagerung von ökonomischen Entscheidungen auf die volkseigenen Betriebe und deren Vereinigungen aufgelockert, die betriebliche Eigenerwirtschaftung der Investitionsmittel gefordert und das materielle Interesse der Betriebsangehörigen bewußt als Stimulans zur Produktivitätssteigerung angesehen5. Bei alledem behielten die Zentralorgane des Wirtschaftssystems ihren dominierenden Einfluß auf die volkswirtschaftliche Entwicklung, da sie nach wie vor über die Hauptfragen verbindlich entschieden6. Zur Realisierung der zentralen Planaufgaben bedienten sie sich sogenannter ökonomischer Hebel. Zu den wichtigsten dieser monetären Lenkungsinstrumente gehörte vor allem die Möglichkeit, Preisrichtlinien und -direktiven für industrielle Produkte zu erlassen 7. Der ökonomische Hebel Gewinn, von der zentralen Preispolitik ebenso abhängig wie von der „planmäßigen Tätigkeit der Betriebe" 8 , zeigt gleichfalls die Dependenzen der betrieblichen von den Entschlüssen der übergeordneten Planungs- und Leitungsinstanzen auf. Daher bewirkte die Dekonzentration von ökonomischen Entscheidungen lediglich eine Verbesserung der Informations- und Planungstechniken für die Zentralorgane der Wirtschaftsverwaltung 9 . Eine Dezentralisation, die stets mit einem bewußten Machtverzicht von übergeordneten Organen verbunden ist 1 0 , fand i n der DDR nicht statt. Auf der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1965 verkündete Walter Ulbricht die „zweite Etappe" des NÖSPL und stellte gleichzeitig die Schaffung eines ökonomischen Systems des Sozialismus (ÖSS) i n Aussicht 11 . Damit verband er jedoch keine grundlegende Änderung der bereits beschriebenen ökonomischen Reformkonzeption, trotz der i m gleichen Jahr begonnenen Rekonzentration des sowjetischen Wirtschaftssystems und trotz des Abschlusses eines die Kooperation S. 156 ff.; Günter Lauterbach, Z u r Theorie der sozialistischen Wirtschaftsführung i n der DDR. Funktionen und Aufgaben einer sozialistischen L e i tungswissenschaft, K ö l n 1973, S. 54 ff.; Steffen Werner, K y b e r n e t i k (wie A n m . AIII/51). 5 Vgl. Richtlinie (wie A n m . A I I I / 4 5 ) . 6 K a p i t e l 2 ebd. 7 K a p i t e l 4 ebd. Hieran hielt auch die ab 1964 durchgeführte Industriepreisreform bis h i n zum fondsbezogenen Industriepreistyp fest. 8 K a p i t e l 4 Abs. 1 ebd. 9 Vgl. Gerd-Jan Krol, Wirtschaftsreform (wie A n m . Β III/3), S. 162. 10 Die Unterscheidung der Begriffe Dekonzentration u n d Dezentralisation erfolgt i n Anlehnung an: Rudolf Schwarzenbach, Zentrale staatliche Leitung u n d Eigenverantwortung i m Gesellschaftssystem der DDR, i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 2, S. 131. 11 Walter Ulbricht, Probleme der Perspektivplanung bis 1970, Berlin-Ost 1966, S. 10 ff.

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zwischen der U d S S R u n d d e r D D R v e r s t ä r k e n d e n H a n d e l s a b k o m m e n s f ü r die J a h r e 1966 bis 1970 1 2 . D e r v o n F r i t z Schenk u n d J o a c h i m N a w r o c k i scheinbar w a h r g e n o m m e n e A b b a u d e r W i r t s c h a f t s r e f o r m e n i n der D D R 1 3 , a n a l o g z u d e m i n der U d S S R , f a n d nach 1965 n i c h t statt. E i n e W e i t e r e n t w i c k l u n g der ökonomischen R e f o r m k o n z e p t i o n ist a l l e r dings ebensowenig e r f o l g t 1 4 . D i e Festschreibung des e r r e i c h t e n Status q u o v e r d e u t l i c h t v o r a l l e m d e r V I I . S E D - P a r t e i t a g v o m A p r i l 1967, a u f d e m das N e u e ö k o n o m i s c h e S y s t e m d e r P l a n u n g u n d L e i t u n g d e r V o l k s w i r t schaft entsprechend der A n k ü n d i g u n g v o n 1965 u m b e n a n n t w u r d e 1 5 . W a l t e r U l b r i c h t , d e r z u s a m m e n m i t G ü n t e r M i t t a g der einflußreichste B e f ü r w o r t e r des r a t i o n a l i s i e r t e n a d m i n i s t r a t i v e n L e i t u n g s m o d e l l s w a r u n d dabei auf d e n W i d e r s t a n d E r i c h Honeckers stieß, der o r t h o d o x e r e P o s i t i o n e n v e r t r a t 1 6 , sprach sich auf d e m V I I . S E D - P a r t e i t a g f ü r das 12 Z u r Wirtschaftspolitik der UdSSR i m I n n e r n siehe: Wolf gang Leonhard, I n n e n p o l i t i k (wie A n m . A I I / 1 4 ) , S. 60 f. Den mancherorts vermuteten engen Zusammenhang zwischen dem erwähnten Handelsabkommen und dem zur gleichen Zeit erfolgten Freitod von Erich Apel, dem Kandidaten des P o l i t büros, Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission u n d bedeutenden V e r fechter des NÖSPL, widerlegt der ehemalige Bereichsleiter beim D D R Ministerrat: Werner Obst, DDR-Wirtschaft (wie A n m . A 111/61), S. 183. 13 Fritz Schenk, Das rote Wirtschaftswunder. Die zentrale Planwirtschaft als Machtmittel der SED-Politik, Stuttgart 1969, S. 116 f.; Joachim Nawrocki, Auferstanden aus Ruinen. Zwanzig Jahre DDR-Wirtschaft, i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 9, S. 949 f. 14 Vgl. Manfred Rexin, Die Entwicklung der Wissenschaftspolitik i n der DDR, i n : o.V., Wissenschaft (wie A n m . A III/125), S. 107. 15 So geschehen von: Walter Ulbricht, Entwicklung (wie A n m . B I I / 1 ) , S. 133 ff. 16 Entgegen der von Peter Christian Ludz i m Jahre 1970 vorgeschlagenen Einteilung der politischen Elite i n drei Gruppen — den „dogmatists" m i t Erich Honecker an der Spitze, den „middlemen" m i t Walter Ulbricht sowie den „experts" m i t Günter M i t t a g (The SED Leadership i n Transition, i n : Problems of Communism, Vol. 19 [1970] No. 3, S. 25 ff.) — erfolgt i n dieser Studie eine Zweiteilung, wobei die „middlemen" u n d die „experts" zusammen eine Gruppe bilden; beide waren Anhänger systemkonformer Reformen. Eine solche Unterscheidung befürworten bzw. legen nahe: Achim Beyer / Rüdiger Mann, Dr. M i t t a g u n d die Wirtschaftspolitik der SED, i n : A k t u e l l e I n f o r m a tionen des Instituts f ü r Gesellschaft und Wissenschaft i n Mitteldeutschland, Nr. 5, Erlangen 1968; Heinz Lippmann, Honecker. Porträt eines Nachfolgers, K ö l n 1971, S. 198 ff.; Fred Oldenburg, K o n f l i k t und Konfliktregelung i n der Parteiführung der SED 1945/46—1972, i n : Berichte des Bundesinstituts f ü r ostwissenschaftliche u n d internationale Studien, Nr. 48, K ö l n 1972, S. 89; Ernst Richert, Eigenständigkeit (wie A n m . A I I I / 1 2 6 ) , S. 976 f. Die von Peter Christian Ludz 1967 vorgenommene Einteilung der politischen Elite i n eine „strategische Clique" m i t Walter Ulbricht u n d Erich Honecker sowie eine „institutionelle Gegenelite" m i t Günter M i t t a g (Parteielite [wie A n m . 7], S. 42 ff.) dürfte eher eine Unterscheidung bezüglich der Vorbildung, jedoch keine machtpolitische darstellen. So ist nachweisbar, daß jeweilige Normen beiderseitig akzeptiert w u r d e n u n d die „strategische Clique" Repräsentanten der „Gegenelite" integrierte: Eckart Förtsch / Hans-Joachim Müller, „Parteielite i m Wandel". Marginalien zu Peter Christian Ludz' Buch, i n : Analysen u n d Berichte aus Gesellschaftswissenschaften, Nr. 9, Erlangen 1968, S. 8 ff.

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Festhalten an der 1963 beschlossenen Reformpolitik aus. Der Versuch, die zentrale Perspektivplanung mit einer an dieser ausgerichteten eigenverantwortlichen betrieblichen Detailplanung zu verbinden, sollte fortgesetzt werden. Dabei war sich Ulbricht offenbar bewußt, daß die ökonomischen Hebel allein nicht i n der Lage waren, eine vollkommene Unterordnung des durch das Prinzip der Eigenerwirtschaftung der Investitionsmittel bewirkten betrieblichen Gewinnstreb ens unter die Ziele des staatlichen Perspektivplans zu gewährleisten 17 . Es bestand hingegen die Gefahr, daß die zentralen Wirtschaftsverwaltungsorgane und somit letztlich die politische Elite ihre uneingeschränkte Machtfülle zumindest partiell verloren. Bei der permanent knappen Rohstoffversorgung der DDR-Wirtschaft 18 und der zunehmenden zwischenbetrieblichen Konkurrenz konnten zudem ernste Wachstums- und Versorgungsschwierigkeiten nicht ausgeschlossen werden. Beides hätte langfristig systemverändernde Entwicklungen auslösen können, etwa vergleichbar mit denen i n der Tschechoslowakei. Deshalb betonte Walter Ulbricht auf dem V I I . SEDParteitag, daß es nunmehr verstärkt darauf ankomme, „alle Teilfragen koordiniert in ihren Wechselbeziehungen zueinander anzupacken und das ökonomische System als Gesamtsystem durchzuführen" 1 9 . Hierfür sah er den „Ubergang zur Planung nach strukturentscheidenden Haupterzeugnissen und Erzeugnisgruppen" und deren konsequente Umsetzung durch die Staatliche Plankommission vermittels des Perspektivplans als erforderlich an 2 0 . Wie i n den Jahren zuvor übertrug Ulbricht den einzelnen Betrieben auf der Grundlage dieses Plans die Verantwortung für die Wirtschaftsprozesse, die sie „ohnehin objektiv unumgänglich selbst vollziehen müssen, nämlich die eigenverantwortliche Vorbereitung, Durchführung, Vervollkommnung und Erweiterung der Reproduktion" 2 1 . Das dabei nach wie vor zutage tretende und die Produktionsentscheidungen der Be17

A u f diesen Widerspruch weisen hin, ζ. T. auf die Lösungsversuche von 1967/68 oder auf erfolglose der vorangegangenen Jahre eingehend: Hannsjörg Buck , U m k e h r zur administrativen Befehlswirtschaft als Folge nicht behobener Steuerungsdefekte der Wirtschaftsreformkonzeption, i n : Bruno Gleitze / K a r l C. Thalheim / Hanns j ö r g Buck / Wolf gang Förster, Das ökonomische System der DDR nach dem Anfang der siebziger Jahre, Berlin-West 1971, S. 80 f.; Gert Leptin, Bilanz (wie A n m . Β III/3), S. 81; Wolf gang Biermann, Demokratisierung (wie A n m . A I I I / 5 3 ) , S. 58 f.; Steffen Werner, K y b e r netik (wie A n m . A III/51), S. 40 f. 18 Vgl. Handbuch DDR-Wirtschaft (wie A n m . Β III/3), S. 123 ff. 19 Walter Ulbricht, Entwicklung (wie A n m . Β I I / l ) , S. 133 ff., hier S. 134. 20 Ebd., S. 139 f. 21 Ebd., S. 148.

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triebe mitbeeinflussende „WechselVerhältnis definierte er wie folgt 2 2 :

von Plan und

Markt"

„Die gesellschaftlichen Erfordernisse sind grundlegender u n d umfassender als die Markterfordernisse. Aber wer den Markterfordernissen nicht genügt, k a n n auch den gesellschaftlichen Erfordernissen nicht entsprechen".

I n diesen Ulbrichtschen Stellungnahmen kommt zum Ausdruck, welche große Bedeutung der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED dem von der Staatlichen Plankommission ausgearbeiteten Perspektivplan bei der Entwicklung der DDR-Volkswirtschaft beimaß. Daneben ist den Aussagen allerdings auch die Forderung zu entnehmen, gewisse marktwirtschaftliche Elemente seien bei der Verwirklichung der zentralen Planziele durch die volkseigenen Betriebe und deren Vereinigungen zu beachten. Die ökonomischen Maßnahmen des Jahres 1967 beinhalteten denn auch, gemäß den Prinzipien des NÖSPL/ÖSS und den Ausführungen Walter Ulbrichts, eine Bestärkung der Eigenverantwortung der ökonomischen Teilsysteme sowie den gleichzeitigen Versuch, die einzelnen Teilsysteme zu einem Gesamtsystem zusammenzufassen 23 . Die Erweiterung der betrieblichen Eigenverantwortung zeigt sich zum Beispiel anhand der Intensivierung der Marktforschung, wie sie 1967 bei den verschiedenen Wirtschaftsunternehmen zu beobachten w a r 2 4 . Dies entsprach der Aufforderung von Ulbricht, analog zur wachsenden Zusammenarbeit mit den Ostbündnisstaaten, „die wissenschaftlich-technischen Ergebnisse aus (den) kapitalistischen Staaten stärker ökonomisch (zu) nutzen" 2 5 . Ähnliche Intentionen verfolgte das von der Volkskammer am 1. Dezember 1967 verabschiedete Gesetz über die Staatsbank der DDR, die als Organ des Ministerrates „ f ü r die V e r w i r k lichung der von der Partei- und Staatsführung beschlossenen Kreditpolitik in ihrer Gesamtheit" Verantwortung zu tragen hatte 2 6 und dabei 22

Ebd., S. 155. E i n Trend zur Rekonzentration des Wirtschaftssystems k a n n folglich für das Jahr 1967 nicht konstatiert werden. So jedoch Klemens Pley er u n d Joachim Lieser, die Wirtschaftsreformen des NÖSPL z . T . überbewertend: Zentralplanung u n d Recht. Untersuchungen zur Entwicklung des Z i v i l - , W i r t schafts-, Arbeits- u n d Sozialrechts i n beiden Teilen Deutschlands aus den Jahren 1966—1968, Stuttgart 1969, S. 43. 24 So verpflichtet § 27 Abs. 1 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte u n d Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes v o m 9. Februar 1967 die Betriebe, eigene M a r k t - u n d Bedarfsforschung zu betreiben (GBl DDR 1967, T e i l I I Nr. 21, S. 121). Vgl· Günter Lauterbach, Z u einigen Problemen der Marktforschung, i n : o.V., Wissenschaft i n der DDR. Beiträge zur Wissenschaftspolitik u n d Wissenschaftsentwicklung nach dem V I I I . Parteitag, K ö l n 1973, S. 109. Über die Bedarfs- u n d Marktforschung als Planungshilfe für den Zeitraum nach 1971: Dorothea Hilgenberg, Bedarfs- u n d Marktforschung i n der DDR. Anspruch u n d Wirklichkeit, K ö l n 1979. 25 Walter Ulbricht, E n t w i c k l u n g (wie A n m . Β I I / l ) , S. 127. 23

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unter Beachtung des Rentabilitätsprinzips eine „aktive Kreditpolitik mit hohem volkswirtschaftlichen Nutzen" anstreben sollte 2 7 . Auch erprobte die politische Elite i m gleichen Jahr die Übertragung der Verantwortung für den Außenhandel vom Ministerium für Außenwirtschaft auf die jeweiligen Produktionsbetriebe 28 . Dabei diskutierte man sogar i m Büro des Ministerrates über die Einführung der freien Konvertierbarkeit der DDR-Währung 2 9 . Bei dem Versuch, die einzelnen ökonomischen Teilsysteme i n einem Gesamtsystem zu integrieren, spielten die i m Herbst 1967 bei den Vereinigungen Volkseigener Betriebe gegründeten Gesellschaftlichen Räte eine beachtenswerte Rolle, denn sie hatten unter anderem die Erfüllung der zentralen Planaufgaben zu überwachen 30 . Die gleiche Funktion wurde auf dem V I I . SED-Parteitag auch dem Zentralkomitee zunehmend übertragen, denn bei der dort durchgeführten Wahl ist i m Vergleich zu der vom VI. Parteitag (1963) zu beobachten, daß die Parteilichkeit der ZK-Bewerber i m allgemeinen höher eingestuft wurde als deren ökonomisch-kreatives Fachwissen 31 . So muß die Ende 1967 erfolgte Entlassung des stellvertretenden Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Julius Balkow, der für eine zu weitgehende Liberalisierung des Außenhandels eingetreten w a r 3 2 , i n diesem Kontext gesehen werden. Die DDR-Wirtschaft benötigte zwar weiterhin ökonomisch-technische Experten zur Steigerung ihrer Effizienz. Die Produktivkraft Wissenschaft sollte aber jetzt vor allem der „komplexen Anwendung 20 § 2 Abs. 1 Gesetz über die Staatsbank der Deutschen Demokratischen Republik v o m 1. Dezember 1967, G B l DDR 1967, Teil I Nr. 17, S. 132. M a r k t wirtschaftliche Funktionen übernahmen die Banken demnach nicht, w e n n gleich zuvor vertrauliche Gespräche hierüber i m Ministerrat geführt worden waren: Werner Obst, DDR-Wirtschaft (wie A n m . A I I I / 6 1 ) , S. 94. 27 § 6 Abs. 2 Gesetz über die Staatsbank (wie A n m . Β III/26). Z u r Bankenreform insgesamt, die Trennung von Zentralbank- (Staatsbank der DDR) u n d Geschäftsbankaufgaben (Industrie- und Handelsbank der DDR) berücksichtigend: Hannsjörg Buck , Reform des Bankensystems. Umstellung auf das Rentabilitätsprinzip, i n : SBZ Archiv, 19. Jg. (1968) Heft 1/2, S. 10 ff.; Christian Kunze, Änderungen i n B a n k p o l i t i k u n d Bankwesen als T e i l der Wirtschaftsreformen der DDR, Berlin-West 1972. 28 Vgl. Walter Ulbricht, Der Weg zur Durchführung der Beschlüsse des V I I . Parteitages der SED auf dem Gebiet der Wirtschaft, Wissenschaft u n d Technik (1967), Nachdruck i n : ders., Z u m ökonomischen System des Sozialismus i n der DDR, 2. Bd., Berlin-Ost 1968, S. 563. 29 Dies berichtet ein ehemaliger Bereichsleiter des Büros: Werner Obst, DDR-Wirtschaft (wie A n m . A I I I / 6 1 ) , S. 93 f. 30 § 1 Abs. 4 Verordnung über das Statut der Gesellschaftlichen Räte bei den Vereinigungen Volkseigener Betriebe v o m 5. Oktober 1967, G B l DDR 1967, Teil I I Nr. 95, S. 693. 31 Vgl. Peter Christian Ludz, Parteielite (wie A n m . 7), S. 348. 32 Z u r Entlassung Balkows w i e zu dessen politischer Einstellung: o.V., DDR. Balkow. Prise Salz, i n : Der Spiegel, Nr. 50, v o m 4. Dezember 1967, S. 54 ff.

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automatisch gesteuerter und geregelter Produktionssysteme" zur Verfügung stehen 3 3 und nicht neuen wirtschaftsorganisatorischen Experimenten. Die Wirtschaftsreformen galten folglich mit der Umbenennung des NÖSPL i n ökonomisches System des Sozialismus als grundsätzlich abgeschlossen. Faßt man an dieser Stelle das Ziel der Wirtschaftsreformen i n der DDR seit 1963 noch einmal zusammen, dann wurde durch die Verbindung von staatlicher Perspektivplanung und eigenverantwortlicher betrieblicher Detailplanung ein rationalisiertes administratives Planungsund Leitungsmodell angestrebt. Monetäre Lenkungsinstrumente auf Seiten der Partei- und Staatsführung sowie — ab 1967 — strukturpolitische Inhalte des Perspektivplans sollten dabei gewährleisten, daß das Prinzip der betrieblichen Eigenerwirtschaftung der Investitionsmittel nur systemkonform Anwendung fand. Eine größtmögliche Effizienz des Wirtschaftssystems galt es zu verwirklichen, ohne das Herrschaftsmonopol der SED-Führung zu beeinträchtigen. 2. Bevorzugung zentral-administrativer Lenkungsinstrumente seit 1968

Wie bereits i m Zusammenhang m i t der Darstellung systemkritischer Ansätze i n der DDR näher ausgeführt worden ist, erachteten verschiedene Wirtschaftswissenschaftler wie Fritz Behrens, Gunther Kohlmey, Uwe-Jens Heuer und Rolf Schüsseler die von der politischen Elite seit 1963 durchgeführten Reformmaßnahmen als unzureichend. Ihre eigenen Vorschläge zur Gestaltung eines neuen Wirtschaftssystems ähnelten denen der Prager Reformsozialisten. Von diesen dürften die genannten DDR-Ökonomen denn auch manche Anregung bei der Konzipierung einer sozialistischen Marktwirtschaft erhalten haben, da sich Mitte der sechziger Jahre der Austausch von Experten und wirtschaftswissenschaftlichen Dokumentationen zwischen beiden Staaten ungestört vollzog. Die politische Elite der DDR versprach sich offenbar von einem Meinungsaustausch m i t Reformsozialisten hüben wie drüben Anregungen für eine Erhöhung der Effizienz des Wirtschaftssystems, wenngleich sie selbst ordnungspolitische Änderungen strikt ablehnte. So war es noch Ende 1967 Fritz Behrens i n Frankfurt am M a i n und Gunther Kohlmey i n Berlin-Ost möglich, ihre unorthodoxen Ansichten öffentlich zur Diskussion zu stellen. I n einer wissenschaftlichen Arbeit bezog sich Rolf Schüsseler sogar noch i m Februar 1968 des öfteren auf Aussagen von Ota Sik. Gleichzeitig maßregelte aber bereits das Mitglied des 83

Vgl. Walter Ulbricht,

Entwicklung (wie A n m . Β I I / l ) , S. 164 ff., hier S. 111.

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Zentralkomitees der SED, Otto Reinhold, den Abteilungsleiter am wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Akademie der Wissenschaften, Fritz Behrens, wegen seiner reformsozialistischen Ansichten 34 . Später war es das Mitglied des SED-Politbüros und der ZK-Sekretär für Wirtschaft, Günter Mittag, der bei Gunther Kohlmey die ungenügende Berücksichtigung der führenden Rolle der kommunistischen Partei kritisierte 3 5 . So sind denn auch 1968 keine weiteren wirtschaftswissenschaftlichen Stellungnahmen mehr bekannt geworden, die systemkritisches Gedankengut zum Inhalt hatten 3 6 . K u r t Hager, Politbüromitglied und ZK-Sekretär der SED, wandte sich Ende März vielmehr gegen Tendenzen, „die Wirtschaft und Wissenschaft ihrer Eigengesetzlichkeit (zu) überlassen" 37 . Spätestens zu diesem Zeitpunkt konnte die Partei- und Staatsführung der DDR der Verbreitung von reformsozialistischem Ideengut nicht mehr gleichgültig gegenüberstehen, wenn sie ihr Machtmonopol nicht m u t w i l l i g gefährden wollte. Ende März / Anfang A p r i l 1968 war in Prag die definitive Entscheidung für die Transformation des totalitär verfaßten politischen Systems gefallen, was grundlegende personelle Veränderungen i n den Führungsgremien der CSSR und die Verabschiedung des Aktionsprogramms der KPTsch belegen. Damit zeigte der „Prager Frühling" der politischen Elite der DDR i n aller Deutlichkeit die Interdependenz von ökonomischen und politischen Reformen auf. Der Bereichsleiter für die Anwendung moderner ManagementMethoden i m Büro des DDR-Ministerrats, Werner Obst, schreibt 38 : 84 Vgl. Otto Reinhold, Die Rolle des Staates i m ökonomischen System des Sozialismus, i n : Einheit, 23. Jg. (1968) Heft 2, S. 153 ff. 85 Vgl. Günter Mittag, Meisterung der Ökonomie ist für uns Klassenkampf, i n : ND, Nr. 298, v o m 27. Oktober 1968, S. 4. 36 M e l v i n Croan u n d Thomas A. Baylis sehen das Jahr 1968 zu Recht als Zeitpunkt für den endgültigen Verlust des Einflusses der ökonomisch-technischen Intelligenz auf die volkswirtschaftliche E n t w i c k l u n g an: Melvin Croan, East Germany, i n : A d a m Bromke / Teresa Rakowska-Harmstone (Ed.), The Communist States i n Disarry 1965—1971, Minneapolis 1972, S. 88; Thomas A. Baylis, Intelligentsia (wie A n m . A I I I / 1 1 6 ) , S. 263. Kurt Marko konstatiert, daß sich unter dem gleichen Personenkreis 1968 eine „Ernüchterung breitgemacht" habe: Koexistenz (wie A n m . A H/41), S. 22. 37 Kurt Hager, Die philosophische Lehre von K a r l M a r x u n d ihre aktuelle Bedeutung, i n : ND, Nr. 86, v o m 26. März 1968, S. 4. 38 Werner Obst, DDR-Wirtschaft (wie A n m . A I I I / 6 1 ) , S. 94. A u f diesen Aspekt der Bedrohungsvorstellungen bei der D D R - F ü h r u n g lassen auch die Ausführungen des Wirtschaftswissenschaftlers Harry Nick schließen: Was heißt „marktwirtschaftlicher Sozialismus", i n : Einheit, 23. Jg. (1968) Heft 11, S. 1324. I n der Bundesrepublik Deutschland weisen auf diesen Aspekt u.a. h i n : Konstantin Pritzel, W a r u m Revision des NÖS?, i n : Deutschland Archiv, 4. Jg. (1971) Heft 4, S. 344 f.; Karl C. Thalheim, Die neue Phase des ökonomischen Systems des Sozialismus, i n : Bruno Gleitze / K a r l C. Thalhedm / Hannsj ö r g Buck I Wolfgang Förster, System (wie A n m . Β III/17), S. 70; Gert Leptin, Bilanz (wie A n m . Β III/3), S. 68 f.

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„Die Entwicklung i n der Tschechoslowakei bestätigte .. eindrucksvoll, w o h i n eine weiche ökonomische Welle führen mußte. Zuerst erwies sich die zentrale Planung als überflüssig, dann wurde der demokratische Zentralismus angezweifelt, und zuletzt stellte Rentabilität das ganze politische System i n Frage. Jetzt w u r d e n (in der DDR, P.B.) Dezentralisierung und Liberalisierung gestoppt, konzipierte Reformmaßnahmen auf Eis gelegt und manche Regelungen wieder aufgehoben. Der Exponent dieser Gegenströmung w a r Erich Honecker".

Die Absicht der Partei- und Staatsführung der DDR, eine Rekonzentration des Wirtschaftssystems einzuleiten, läßt sich konkret für den 26. März 1968 nachweisen. Damals verabschiedete die Volkskammer den endgültigen Text für die neue DDR-Verfassung, der schon an anderer Stelle dieser Studie eingehend analysiert worden ist. I n seinen wirtschaftspolitischen Teilen unterschied sich der Verfassungstext von dem am 31. Januar des gleichen Jahres veröffentlichten Verfassungsentwurf, indem er das Prinzip der zentralen staatlichen Planung und Leitung der Volkswirtschaft stärker als ehedem betonte. Nach Ansicht des offiziellen Verfassungskommentars galt es i n den ersten Monaten des Jahres 1968 die planwirtschaftliche Nutzung der Volkswirtschaft eindeutig klarzustellen. Diese Forderung richtete sich aus gegebenem „Anlaß" ausdrücklich gegen jede A r t von Selbstverwaltung, Dezentralisation und Liberalisierung. Sie widersprach damit eindeutig den zentralen Prinzipien der Prager Reformsozialisten. Die kurz nach dem überstürzten Abschluß der Verfassungsgebung gefaßten strukturpolitischen Beschlüsse vom 22. A p r i l und 26. Juni 1968 müssen als wichtiger Einschnitt i n der ökonomischen Entwicklung der DDR angesehen werden. Die 8. Staatsratssitzung vom 22. A p r i l w i r d dadurch gekennzeichnet, daß für die strukturbestimmenden Wachstumsindustrien mit unbefriedigenden volkswirtschaftlichen Leistungen, so für das Bauwesen, die Chemie und den Werkzeugmaschinenbau, „unverzüglich eine straffe staatliche Leitung" gefordert wurde 3 9 . Auf jener Sitzung hob Günter Mittag hervor, daß eine Konzentration der Kräfte i n Planung und Leitung sowie die Nutzung aller Reserven notwendig sei, um der DDR-Wirtschaft eine hocheffektive Struktur geben zu können. Er betonte in diesem Zusammenhang, „daß die sozialistische Planwirtschaft — und nur die sozialistische Planwirtschaft — i n der Lage ist, die Entwicklung und Ausnutzung der geistigen und mate89

So zum Beispiel: Aus dem Bericht über die Ergebnisse der Untersuchungen zu Problemen der V e r w i r k l i c h u n g des ökonomischen Systems i m B a u wesen, insbesondere zur Qualifizierung der Planung u n d L e i t u n g i n den Bau- u n d Montagekombinaten, i n : Die Wirtschaft, Nr. 18, v o m 1. M a i 1968, Beilage S. 40. Zur Festlegung der strukturbestimmenden Wirtschaftszweige, die der Rekonzentration unterlagen, siehe K a p i t e l 4 des Beschlusses des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die weiteren Maßnahmen zur Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus v o m 22. A p r i l 1968, G B l D D R 1968, T e i l I N r . 9, S. 223.

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riellen Produktivkräfte zum Wohle des Volkes in höchster Effektivität zu gewährleisten" 4 0 . I n Anlehnung an diese Ausführungen legte der Ministerrat am 26. Juni 1968 fest, die Produktion in den strukturbestimmenden Wirtschaftsbereichen habe sich an verbindlichen zentralen Plankennziffern auszurichten 41 . Dies entsprach nur vordergründig dem Wunsch von Walter Ulbricht nach einer Verlagerung der zentralen Planung auf strukturentscheidende Haupterzeugnisse und Erzeugnisgruppen, den er auf dem V I I . SEDParteitag von 1967 geäußert hatte. Dirigistische Eingriffe der Zentralorgane der Wirtschaftsverwaltung waren damals nicht beabsichtigt gewesen. Erst durch die nunmehr erfolgte „Rückkehr zur administrativen Schwerpunktplanung" (Gert Leptin) 4 2 wurde der Kerngedanke der Wirtschaftsreformen, die Dekonzentration der ökonomischen Entscheidungen, ernsthaft in Frage gestellt. A n dieser Feststellung vermag auch die 1968 erfolgte weitere rechtliche Verselbständigung der Produktionsbetriebe 43 nichts zu ändern. Wegen der direkten strukturpolitischen Eingriffe, die u. a. bevorzugte Energie- und Rohstofflieferungen an die strukturbestimmenden W i r t schaftszweige miteinschlossen, bestanden in der Praxis erhöhte A b hängigkeiten der vorgelagerten Produktionsstufen von den sogenannten Wachstumsbranchen und damit von den Grundentscheidungen der zentralen Wirtschaftsverwaltungsorgane 44 . Seit Herbst 1968 sind zudem in verstärktem Maße Appelle der politischen Elite an die „Staatsdisziplin" 4 5 und „Plandisziplin" 4 6 der DDR40 Günter Mittag, Unsere sozialistische Planwirtschaft ermöglicht höchste Effektivität, i n : ND, Nr. 114, v o m 24. A p r i l 1968, S. 3. 41 Vgl. K a p i t e l 2 des Beschlusses über die Grundsatzregelung für komplexe Maßnahmen zur weiteren Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus i n der Planung u n d Wirtschaftsführung für die Jahre 1969 u n d 1970 v o m 26. J u n i 1968, G B l D D R 1968, Teil I I Nr. 66, S. 433. 42 So interpretiert von: Gert Leptin, Bilanz (wie A n m . Β III/3), S. 72. I n ähnlicher Weise: Karl C. Thalheim, Phase (wie A n m . Β III/38), S. 57 f.; H a n d buch DDR-Wirtschaft (wie A n m . Β III/3), S. 60. Vertreter einer anderen, j e doch nicht zutreffenden Interpretationsweise der strukturpolitischen Beschlüsse von 1968 finden sich i n A n m . Β III/50. 43 Vgl. Lutz Ziesche , Die Rechtsstellung des volkseigenen Produktionsbetriebes i n der DDR seit 1945, Diss. K ö l n 1971, S. 179 ff.; Renate Damus, Entscheidungsstrukturen (wie A n m . Β III/3), S. 72 ff.; Angela Rüger, Die Stell u n g des V E B i m Planungs- u n d Leitungssystem der Wirtschaft der DDR, i n : Deutschland Archiv, 3. Jg. (1970) Sonderheft, S. 18. 44 Siehe hierzu die Ausführungen des Z K - M i t g l i e d s Otto Reinhold: Rolle (wie A n m . Β III/34), S. 162. Vgl. Hannsjörg Buck , U m k e h r (wie A n m . Β III/17), S. 93; Klemens Pley er / Joachim Lieser, Zentralplanung (wie A n m . Β III/23), S. 106 f. 45 Walter Ulbricht, Die weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus. Referat auf der 9. Tagung des Z K der SED 22.-25. Oktober

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B ü r g e r ergangen. Das M i t g l i e d des S E D - P o l i t b ü r o s u n d der Z K - S e k r e t ä r f ü r L a n d w i r t s c h a f t , G e r h a r d G r ü n e b e r g , h i e l t es beispielsweise a u f der 9. T a g u n g des Z e n t r a l k o m i t e e s i m O k t o b e r 1968 f ü r „ n o t w e n d i g , daß die P a r t e i o r g a n i s a t i o n e n k o n s e q u e n t gegen T e n d e n z e n u n d E r s c h e i n u n gen d e r M i t t e l m ä ß i g k e i t k ä m p f e n u n d eine A t m o s p h ä r e des p o l i t i s c h e n K a m p f e s i n a l l e n B e t r i e b e n u m die u n b e d i n g t e E r f ü l l u n g des Planes s c h a f f e n " 4 7 . „ V e r s i e r t e T e c h n o k r a t e n " u n d „ f ä h i g e , F a c h i d i o t e n ' " gen ü g t e n nach M e i n u n g des Z K - S e k r e t ä r s f ü r A g i t a t i o n , W e r n e r L a m b e r z , n i c h t m e h r z u m A u f b a u des S o z i a l i s m u s 4 8 . Sogar die E x p o n e n t e n der W i r t s c h a f t s r e f o r m e n , W a l t e r U l b r i c h t u n d G ü n t e r M i t t a g , sahen E n d e 1968 i n einer v e r m e h r t e n I d e o l o g i s i e r u n g des v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n Bereichs eine machtpolitische N o t w e n d i g k e i t 4 9 . V o n einer Ü b e r s c h r e i t u n g d e r „ T r a n s f o r m a t i o n s s c h w e l l e z u r sozialistischen M a r k t w i r t s c h a f t " i m J a h r e 1968 k a n n daher, i m Gegensatz zu K a r l P a u l Hensel u n d H a n n e l o r e H a m e l 5 0 , n i c h t gesprochen w e r d e n . Angesichts des „ P r a g e r F r ü h l i n g s " m i t seinen s y s t e m v e r ä n d e r n d e n R e f o r m e n leitete die politische E l i t e der D D R eine R e k o n z e n t r a t i o n des 1968. Beschlüsse, 2. A u f l . Berlin-Ost 1968, S. 47; Günter Mittag, Meisterung (wie A n m . Β III/35), S. 5. 4β ο. V., Plandisziplin, i n : ND, Nr. 315, v o m 13. November 1968, S. 1. 47 Gerhard Grüneberg (Berichterstatter), Aus dem Bericht des Politbüros an die 9. Tagung des Z K , i n : ND, Nr. 294, v o m 23. Oktober 1968, S. 4. 48 Werner Lamberz, Neue Anforderungen an die ideologische A r b e i t der Partei. Einige Probleme der massenpolitischen Tätigkeit der SED nach der 9. Tagung des Zentralkomitees. Vortrag auf dem Lehrgang der Kreissekretäre der SED für A g i t a t i o n u n d Propaganda. Brandenburg 13.1.1969, B e r l i n Ost 1969, S. 27. 49 Vgl. Walter Ulbricht, Gestaltung (wie A n m . Β III/45), S. 43 ff.; Günter Mittag, Meisterung (wie A n m . Β III/35), S. 4 f. A u f diesen Umstand weist vor allem h i n : Melvin Croan, Czechoslovakia (wie A n m . 15), S. 6. 50 Karl Paul Hensel, Zyklus der Reformen i n der DDR, i n : L u d w i g Bress et al., Wirtschaftssysteme des Sozialismus i m Experiment. Plan oder M a r k t , F r a n k f u r t - M a i n 1972, S. 157 f.; Hannelore Hamel, Sozialistische M a r k t w i r t schaft i n der DDR? H i n w e n d u n g u n d Abkehr, i n : H e l m u t Leipold (Hg.), Marktwirtschaften (wie A n m . AII/109), S. 79 ff. Beide unterschätzen die Bedeutung der strukturpolitischen Entscheidungen, d. h. die dort enthaltenen materiellen Plankennziffern f ü r die Wachstumsbranchen. Auch w i r d hier vernachlässigt, daß i n der DDR keine Marktpreise existierten (Vgl. Ota Sik, Tschechoslowakei [wie A n m . A11/11], S. 51 f.; ders., S t r u k t u r w a n d e l [wie Anm. A11/49], S. 22 f.) u n d die Banken w i e der Außenhandel auf die Ziele der Zentralplanung verpflichtet waren, wenngleich sie diese aufgrund von Mängeln der Reformkonzeption nicht i m m e r verfolgten: Vgl. Christian Kunze, Änderungen (wie A n m . Β III/27), passim; Werner Broli, Die wirtschaftliche Rolle der DDR i m R G W : Das Spannungsverhältnis von System, S t r u k t u r u n d Integration, i n : Werner Gumpel / Dietmar Keese (Hg.), Probleme des I n d u strialismus i n Ost u n d West (Hans-Raupach-Festschrift), München 1973, S. 328 ff. Wirkliche sozialistische Marktwirtschaften bestanden außer i n der CSSR n u r noch i n Jugoslawien und Ungarn: Karl C. Thalheim, Kongruenz der Wirtschaftssysteme?, i n : Hermann Gross (Hg.), Osteuropa (wie A n m . A 11/11), S. 117.

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Wirtschaftssystems ein, ohne freilich formell bestehende Freiräume der betrieblichen Eigenverantwortung aufzuheben. Zu Recht bezeichnet Renate Damus denn auch den Zeitraum ab 1968 als „indirekte Zentralisierung" 5 1 . Gleichwie die These von einer sozialistischen Marktwirtschaft in der DDR, so ist auch die Annahme von Gert Leptin und Manfred Melzer unzutreffend, die Einführung der vorrangigen Planung und Versorgung von Strukturschwerpunkten könne allein mit dem Widerspruch zwischen dem Prinzip der betrieblichen Eigenerwirtschaftung der Investitionsmittel und den zentralen volkswirtschaftlichen Zielsetzungen begründet werden sowie mit der Unmöglichkeit, diese Ziele mit Hilfe monetärer Lenkungsinstrumente durchzusetzen 52 . Diese Argumentation lehnt sich an den Staatsratbeschluß vom 22. A p r i l 1968 an, der einzig ökonomische Gründe für sein Zustandekommen nennt: die unbefriedigenden Leistungen der Wachstumsbranchen und die beschränkt zur Verfügung stehenden volkswirtschaftlichen Ressourcen. Diese rein ökonomischen Begründungen sind jedoch unglaubhaft, da keines der angesprochenen Probleme m i t Hilfe der strukturpolitischen Entscheidungen gelöst wurde — im Gegenteil. Die konzeptionellen Mängel der Wirtschaftsreformen blieben weiter bestehen 53 , ja sie w u r den durch die neuen Beschlüsse sogar noch vermehrt. Aus der unterschiedlichen Intensität der Fördermaßnahmen i n den struktur- und i n den nicht strukturbestimmenden Wirtschaftsbereichen erwuchsen zusätzliche Versorgungsschwierigkeiten in vorgelagerten Produktionsstufen und einigen Zweigen der Infrastruktur, die eine allgemeine Wachstumskrise begünstigten. Trotz weiterer Bemühungen um eine Erhöhung des volkswirtschaftlichen Automationsgrades und um die Einführung neuester technologischer Prozesse, die zur Verbesserung der zentralen Planungstechniken beitragen sollten 5 4 , traten besonders ab Ende 1969 starke Disproportionalitäten mit Engpässen bei Zulieferund Abnahmebetrieben i n Erscheinung 55 . Diese führten schließlich i m Herbst 1970 zur endgültigen Beendigung der Wirtschaftsreformen und 51

Renate Damus, Entscheidungsstrukturen (wie A n m . Β III/3), S. 64 ff. Vgl. Gert Leptin / Manfred Melzer, Die Wirtschaftsreform i n der D D R Industrie. Rezentralisierung ohne Konzept, i n : Deutschland Archiv, 8. Jg. (1975) Heft 12, S. 1268. 58 Vgl. Hannsjörg Buck, U m k e h r (wie A n m . Β111/17), S. 86. Für den Bereich des Kreditwesens stellt Renate Damus den Weiterbestand der genannten Widersprüche exemplarisch fest: Entscheidungsstrukturen (wie A n m . Β III/3), S. 81 ff. 54 H i e r f ü r setzte sich vor allem ein: Walter Ulbricht, Z u einigen aktuellen Problemen, i n : ND, Nr. 126, v o m 8. M a i 1969, S. 3. 55 Vgl. Handbuch DDR-Wirtschaft (wie A n m . B I I I / 3 ) , S. 60; Gert Leptin / Manfred Melzer, Wirtschaftsreform (wie A n m . Β111/52), S. 1268; Wolfgang Biermann, Demokratisierung (wie A n m . A111/53), S. 77 ff. 52

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zur strikten Anwendung von großteils administrativen Leitungsformen. Hierzu gehörte die Erhöhung der zentral vorgegebenen Plankennziffern, vor allem naturaler Kennziffern 5 6 . Die strukturpolitischen Beschlüsse vom Frühjahr 1968 ermöglichten demnach nicht, wie es auf der Staatsratssitzung i m A p r i l angekündigt worden war, die „Erreichung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes" oder von „Weltspitzenleistungen" 57 . Sie entsprachen vielmehr der seit Anfang 1968 i m Umgang mit der ökonomisch-technischen I n telligenz und während der Verfassungsgebung zu beobachtenden Tendenz der politischen Elite, den Einfluß der zentralen Wirtschaftsverwaltungsorgane zu stärken und somit die Sicherung des eigenen Machtmonopols angesichts des „Prager Frühlings" zu gewährleisten 58 . Die zur Zeit des „Prager Frühlings" eingeleitete Rekonzentration des Wirtschaftssystems der DDR entsprach vor allem den Zielsetzungen von Erich Honecker, der sich als ZK-Sekretär für Sicherheit bereits i n den Jahren zuvor die Bedenken vieler lokaler und regionaler Parteifunktionäre gegenüber den machtpolitischen Folgen der Wirtschaftsreformen zu eigen gemacht hatte 5 9 . Die durch die tschechoslowakische Erneuerungsbewegung geschaffene besondere politische Lage ermöglichte es i h m dann auch, sich der marginalen Funktion innerhalb der politischen Elite zu entledigen, die er seit dem Beginn des NÖSPL ausübte 6 0 . Er war nunmehr wieder i n der Lage, auf die bis 1968 weitgehend von Walter Ulbricht bestimmte, offizielle Wirtschaftspolitik der Parteiund Staatsführung Einfluß zu nehmen. Hierbei handelte es sich nicht u m einen kurzfristigen Einfluß. I n den nächsten Jahren sollte er für die Politik der DDR-Führung mitentscheidend werden, da die Haltung 56 Der hierfür w o h l grundlegende Politbürobeschluß v o m 8. September 1970 wurde nie veröffentlicht: Vgl. Karl C. Thalheim, Phase (wie A n m . B I I I / 3 8 ) , S. 57 f. Die offizielle M i t t e i l u n g über die Beendigung der Wirtschaftsreformen von 1963 publizierte die politische Elite erst drei Monate später: Beschluß über die Durchführung des ökonomischen Systems des Sozialismus i m Jahre 1971 v o m 1. Dezember 1970, G B l DDR 1970, T e i l I I Nr. 100, S. 731. Die extremen Witterungsbedingungen i m Winter 1970/71 sowie die gleichzeitig i n Polen nachweisbaren Arbeiterstreiks können wegen des bereits i m September 1970 gefaßten Beschlusses keinen Einfluß auf den definitiven Abbruch der Reformen gehabt haben. 57 Siehe K a p i t e l 2 u n d 5 von: Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die weiteren Maßnahmen (wie A n m . Β I I I / 3 9 ) . 58 A u f die machtpolitischen Gründe der Rekonzentrierung weist besonders h i n : Karl C. Thalheim, Phase (wie A n m . Β III/38), S. 70 ff. 50 Über die H a l t u n g der SED-Funktionäre berichtet: Eckart Förtsch, SED (wie A n m . A1/18), S. 166. Vgl. Erich Honecker. Skizze eines politischen Lebens, hg. v o m I n s t i t u t f ü r Marxismus-Leninismus beim Z K der SED, Berlin-Ost 1978, S. 125 f. 60 Z u r abnehmenden politischen Bedeutung Honeckers seit 1963: Ernst Richert, D D R - E l i t e (wie A n m . A I I I / 1 1 6 ) , S. 48 f. Z u m Ausbau seiner Stellung 1968/69 vergleiche: Heinz Lippmann, Honecker (wie A n m . Β III/16), S. 209.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D R und „Prager F r ü h l i n g "

Erich Honeckers dem Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus entsprach, das die UdSSR als Reaktion auf die Prager Ereignisse aktualisierte. Die sogenannte Breschnew-Doktrin forderte von den einzelnen Ostbündnisstaaten eine Ausrichtung ihrer Innen- und Außenpolitik nach dem Vorbild der Hegemonialmacht. Das bedeutete für die DDR vor allem eine Angleichung ihrer Wirtschaftspolitik an die seit 1965 rekonzentrierte sowjetische Wirtschaftsverwaltung 6 1 . Dort war mit mathematischen Methoden der bürokratische Zentralismus restauriert worden 6 2 . Honecker bejahte stets dieses Konzept und unterstützte daher auf der 6. Tagung des SED-Zentralkomitees i m Juni 1968 „eine klare Haltung zur Sowjetunion und ihren wissenschaftlichen Potenzen" 63 . Dies entsprach der Ende M a i i n Moskau zwischen der DDR und der UdSSR getroffenen Vereinbarung, „die Schaffung eines einheitlichen Systems elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen" und „die gemeinsame Aufstellung von Komplexprogrammen zur Einführung fortschrittlicher Technologien in Industrie und Bauwesen" i n Angriff zu nehmen 6 4 . Aufgrund der Prager Ereignisse warnte schließlich Günter Mittag i m Oktober 1968 vor einem „Westdrall" in der Ökonomie 6 5 . Damit widersprach er den Forderungen seines politischen Ziehvaters Walter Ulbricht aus dem Jahre 1967, der wissenschaftlich-technische Kenntnisse aus dem Westen stärker ökonomisch nutzen wollte. I m Herbst 1968 befürwortete jedoch auch letzterer eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der UdSSR, indem er für die schrittweise „Herausbildung einer sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft" eintrat 6 6 . Nachdem allerdings die aktuelle Bedrohung durch den „Prager Frühling" i m Jahre 1969 abgeklungen war, kam Ulbricht der V e r w i r k 61 Vgl. hierzu die sowjetische A r b e i t : Ο. T. Bogomolow, Theorie u n d Methodologie der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung, Berlin-Ost 1969 (dt.), besonders S. 48 u n d 56. «2 So für die UdSSR: Fritz Behrens, K r i t i k (wie A n m . A III/47), S. 295 f. F ü r die DDR bzw. f ü r andere Ostbündnisstaaten bestätigen eine solche E n t w i c k l u n g f ü r den Zeitraum nach 1968: Hans-Hermann Höhmann, Die W i r t schaftsreformen i n Osteuropa u n d ihre Auswirkungen auf das sozialistische Wirtschaftssystem, i n : A l f r e d Domes (Hg.), Reformen (wie A n m . A H/12), S. 182 f.; Ota Sik, Argumente f ü r den D r i t t e n Weg, H a m b u r g 1973, S. 63 f. e3 Erich Honecker, Führende Rolle der Partei — Wesensmerkmal unserer sozialistischen Ordnung, i n : ND, Nr. 157, v o m 8. J u n i 1968, S. 6. 64 K o m m u n i q u é über den Aufenthalt einer Partei- u n d Regierungsdelegation i n Moskau, i n : ND, Nr. 152, vom 1./2. J u n i 1968, S. 1. 65 Günter Mittag, Meisterung (wie A n m . Β III/35), S. 5. Ebenso : Erich Honecker (Berichterstatter), Aus dem Bericht des Politbüros an die 10. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 28./ 29. A p r i l 1969, Berlin-Ost 1969, S. 14. «e Walter Ulbricht, Gestaltung (wie A n m . Β III/45), S. 47.

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l i c h u n g e i n e r sozialistischen W i r t s c h a f t s g e m e i n s c h a f t n u r noch recht w i d e r w i l l i g nach. So b e r i c h t e n die b e i d e n J o u r n a l i s t e n A l e x e j K u s â k u n d F r a n z P e t e r K ü n z e l , U l b r i c h t habe sich w ä h r e n d d e r 23. außero r d e n t l i c h e n T a g u n g des R G W H i m A p r i l 1969 erfolglos gegen die d o r t beschlossene s t ä r k e r e ü b e r n a t i o n a l e W i r t s c h a f t s l e n k u n g i n Osteuropa ausgesprochen 6 7 . D e r Erste S e k r e t ä r des Z K der S E D l i e b ä u g e l t e nach d e m E n d e der D u b c e k - Ä r a m i t der D u r c h f ü h r u n g v o n w e i t e r e n w i r t schaftsreformerischen M a ß n a h m e n i n der D D R . So w a n d t e er sich „ g e g e n d e n D o g m a t i s m u s i n d e r p o l i t i s c h e n Ö k o n o m i e des Sozialism u s " 6 8 , l e h n t e B e s t r e b u n g e n ab, h a l b s t a a t l i c h e B e t r i e b e i n K o m b i n a t e e i n z u g l i e d e r n , u n d sprach sich gegen die B i l d u n g v o n l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n K o o p e r a t i o n s g e m e i n s c h a f t e n u n t e r psychischem Z w a n g a u s 6 9 . E i n e R ü c k k e h r z u m W i r t s c h a f t s s y s t e m d e r J a h r e 1963 bis 1967 w u r d e i h m aber v o n E r i c h H o n e c k e r w i e der K P d S U - F ü h r u n g n i c h t m e h r e r m ö g licht70. Die Ablösung von Walter Ulbricht durch Erich Honecker i m A m t des E r s t e n S e k r e t ä r s des Z K der S E D a m 3. M a i 1971 m u ß d e n n auch z u e i n e m g e w i c h t i g e n T e i l als S p ä t f o l g e d e r B r e s c h n e w - D o k t r i n u n d des diese h e r v o r r u f e n d e n „ P r a g e r F r ü h l i n g s " angesehen w e r d e n 7 1 . 67 Vgl. Alexej Kusâk / Franz Peter Künzel, Sozialismus (wie A n m . A I V / 5 ) , S. 214. Kusâk w a r 1968 Chefredakteur der Prager Zeitschrift „Student". Z u den Ergebnissen der 23. außerordentlichen RGWH-Tagung, die erst 1971 m i t der Veröffentlichung des Komplexprogramms i n ihrer ganzen Tragweite sichtbar wurden: Erich Honecker (Berichterstatter), Bericht (wie A n m . Β I I I / 65), S. 59 ff. Über die P o l i t i k der „sozialistischen Integration" von 1968 bis 1971: Henry W. Schaefer, Comecon and the Politics of Integration, New Y o r k / London 1972; Alexander Uschakow, Der Ostmarkt i m COMECON. Eine D o k u mentation, Baden-Baden 1972, S. 22 ff. 68 So i m V o r w o r t des unter L e i t u n g von Günter M i t t a g i m Zeitraum von Dezember 1968 bis J u n i 1969 erstellten reformerischen Werkes: o.V., P o l i t i sche Ökonomie des Sozialismus u n d ihre Anwendung i n der DDR, Berlin-Ost 1969, S. 7 f. Auch w e n n sich diese Aussage Ulbrichts auf die fünfziger Jahre bezog, so hatte er dabei offenbar auch und nicht zuletzt die Gegenwart vor Augen. 69 Walter Ulbricht, Problemen (wie A n m . Β III/54), S. 3. 70 H i e r f ü r soll als weiteres Beispiel die quellenmäßig n u r bedingt abzusichernde Vermutung genannt werden, Ulbricht habe wegen einer politischen Verstimmung i m J u l i 1969 nicht an der Reise der DDR-Delegation nach Mosk a u teilgenommen. Dort erkannte die Delegation unter W i l l i Stoph und Erich Honecker an, „die allseitige ökonomische Integration der sozialistischen B r u derländer (sei) ein gesetzmäßiger Prozeß": Gemeinsame E r k l ä r u n g über die Ergebnisse des Besuches der Partei- u n d Regierungsdelegation der Deutschen Demokratischen Republik i n der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, i n : ND, Nr. 193, v o m 15. J u l i 1969, S. 2. Daß der als erkrankt bezeichnete U l bricht i n der UdSSR w e i t e r h i n als „erster M a n n " der DDR angesehen wurde, widerspricht nicht der These einer politischen Verstimmung; so aber: Ilse Spittmann, Moskaureise ohne Ulbricht, i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 8, S. 889 ff. Siegfried Kupper nennt zudem deutschlandpolitische D i v e r genzen m i t der UdSSR, die das Fernbleiben Ulbrichts erklären sollen: Politische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland 1955—1977, i n : HansA d o l f Jacobsen / Gert L e p t i n / Ulrich Scheuner / Eberhard Schulz (Hg.), Jahrzehnte (wie A n m . 3), S. 435.

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Rückblickend betrachtet steht das Jahr 1968 am Beginn eines Zeitraums, i n dem die politische Elite der DDR zentral-administrative Lenkungsinstrumente i m Wirtschaftssystem favorisierte. Die ökonomischen Reformen von 1963 wurden durch dirigistische Eingriffe i n das Wirtschaftsleben, die sich an verbindlichen strukturpolitischen Inhalten der zentralen Planvorgaben orientierten, praktisch ad absurdum geführt. Eine weitere rechtliche, jedoch nur als formell anzusehende Verselbständigung der Produktionsbetriebe i m Juni 1968 läßt diese Rekonzentrierung als „administrative Schwerpunktplanung" oder „ i n direkte Zentralisierung" erscheinen, bis dann i m Herbst 1970 die definitive Beendigung der Wirtschaftsreformen erfolgte. I m Gegensatz zu den Jahren 1963 bis 1967 maßregelte die politische Elite fortan reformsozialistisch inspirierte Ökonomen, befürwortete eine Angleichung des mitteldeutschen an das sowjetische Wirtschaftssystem und intensivierte die ideologische Indoktrination der Arbeitnehmer. Letzteres geschah vor allem seit Herbst 1968. Hauptgrund für diese Entwicklung war der „Prager Frühling" und die durch ihn, wenngleich unbeabsichtigt und ungewollt, gestärkten dogmatischen Kräfte in der UdSSR und DDR. Aufgrund des allgemeingültigen Prinzips der Interdependenz von ökonomischen und politischen Reformen, das durch die Prager Ereignisse eine aktuelle Bestätigung erfuhr, mußten dogmatische Politiker wie Erich Honecker gefährliche Auswirkungen des seit 1963 dekonzentrierten Wirtschaftssystems der DDR für das Machtmonopol der SED befürchten. Parallelen i m Verhalten der DDR-Führung während des Jahres 1968 zu den Jahren 1956/57, als i n Polen und Ungarn revisionistische Bestrebungen zeitweise die Oberhand gewannen, sind nicht vorhanden. Ungleiche Voraussetzungen, zunehmende Verstaatlichungen von Industrie· und landwirtschaftlichen Betrieben seit Beginn der fünfziger Jahre einerseits 72 und die 1963 eingeleiteten Wirtschaftsreformen des NÖSPL andererseits, lassen dies auch kaum vermuten. So kündigte DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl am 2. November 1956, auf dem Höhepunkt des „Polnischen Oktober" und des Ungarn-Aufstands, Beratungen über „die Beseitigung zentralistisch-bürokratischer Auswüchse i m Wirtschaftsleben und die Fragen der Arbeiterkontrolle" an 7 3 . 71 Dieser Aspekt w i r d i n der wissenschaftlichen L i t e r a t u r vollkommen vernachlässigt. Als unmittelbare Gründe, die den Anstoß für die personelle Ä n derung i n der Parteiführung gaben, werden dort vor allem die veränderte sowjetische Deutschlandpolitik seit 1969 genannt sowie wachsende ökonomische Probleme. Vgl. Peter Christian Ludz, Die DDR zwischen Ost und West. Politische Analysen 1961 bis 1976, 2. Aufl. München 1977, S. 144 ff. 72 Handbuch DDR-Wirtschaft (wie A n m . Β III/3), S. 21 f. 73 Die DDR geht unerschütterlich den Weg zu Frieden, Einheit u n d Sozialismus. Regierungserklärung zur sowjetischen Note u n d zur Lage von der

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Daraufhin wurden am 8. Dezember i n zwanzig volkseigenen Betrieben probeweise „Arbeiterkomitees" eingerichtet 74 . Zur Zeit des „Prager Frühlings" leitete die politische Elite hingegen eine Rekonzentration des Wirtschaftssystems ein. Zwölf Jahre zuvor wurden derartige Entscheidungen erst getroffen, nachdem die revisionistischen Bedrohungen abgeklungen waren 7 5 . IV. Wissenschaft und Kultur Die Zugehörigkeit zu gesellschaftswissenschaftlichen und kulturellen Berufsgruppen stellt ein wesentliches Kennzeichen für die Systemkritiker dar, die i n der DDR während des Untersuchungszeitraums lebten. Gerade ihrem reformsozialistischen Ideengut mußte die politische Elite der DDR bei den innenpolitischen Entscheidungen des Jahres 1968 besondere Aufmerksamkeit schenken, war dieser Personenkreis doch als Linkage Group für eine Übertragung der Reformbestrebungen des „Prager Frühlings" auf die DDR anzusehen. Der Begriff Gesellschaftswissenschaften w i r d hier entsprechend seines Gebrauchs i n der DDR verwandt und schließt unter anderem die Rechts-, Geschichts-, aber auch die Wirtschaftswissenschaften mit ein. Parallelen zwischen der bereits aufgezeigten Entwicklung des Wirtschaftssystems der DDR und dem Grad an ideologischen Freiräumen bei gesellschaftswissenschaftlichen Forschungen sind daher nicht auszuschließen. Hingegen lassen die bislang durchgeführten Analysen keine Prognosen über die kulturpolitischen Entscheidungen der DDR-Führung i m Jahre 1968 zu. 1. Gesellschaftswissenschaftliche Favorisierung der Diktatur des Proletariats A u f der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED i m A p r i l 1965 forderte Walter Ulbricht nachdrücklich „die Ausarbeitung der Wissenschaft von der Führung der Gesellschaft". Seiner Meinung nach konnten die sich aus den Wirtschaftsreformen von 1963 ergebenden „neuen komplizierten Aufgaben mit den herkömmlichen Formen und Methoden der Leitung nicht mehr gelöst werden" 1 . Volkskammer begeistert aufgenommen, i n : ND, Nr. 263, v o m 3. November 1956, S. 1. 74 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Selbstbehauptung (wie A n m . Β 1/74), S. 120. 75 Der Beschluß, „Arbeiterkomi tees" zu bilden, wurde v o m SED-Zentralkomitee i m Februar 1958 widerrufen. Siehe: ebd., S. 121. 1 Walter Ulbricht, Die nationale Mission der DDR u n d das geistige Schaffen i n unserem Staat, Berlin-Ost 1965, S. 53. 9 Burens

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Wie i n der Ökonomie, so bestanden denn auch seit Mitte der sechziger Jahre i m Bereich der Gesellschaftswissenschaften viele Möglichkeiten zu einer Forschung, die nach pragmatischen Lösungen für die anstehenden Probleme suchte und dabei ideologische Aspekte hinter einer gewissen Weltoffenheit zurücktreten ließ 2 . Kybernetiker und Organisationswissenschaftler sollten nicht nur Anregungen für eine effektivere Organisation der Volkswirtschaft, sondern auch der Gesellschaft geben 3 . Reformsozialisten wie Wolfgang Heise, Herrmann Klenner und Heinz Liebscher war es i n diesen Jahren sogar möglich, die i m totalitär verfaßten politischen System der DDR zwischen den gesellschaftlichen und individuellen Interessen bestehenden Widersprüche öffentlich zu artikulieren. Hinsichtlich der von Walter Ulbricht angestrebten „sozialistischen Menschengemeinschaft" hatte die von Seiten der politischen Elite unbeabsichtigte Offenlegung von Entfremdungserscheinungen 4 eine heuristische Funktion und wurde folglich stillschweigend toleriert. Der Erste Sekretär des Z K der SED und Vorsitzende des Staatsrats der DDR sprach zum ersten Mal auf dem V I I . SED-Parteitag von 1967 über die Absicht, eine „sozialistische Menschengemeinschaft" zu schaffen. Sie sollte nicht mehr, wie vorangegangene gesellschaftliche Epochen der DDR, durch Klassengegensätze, sondern durch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Harmonie gekennzeichnet werden 5 . Ulbricht entsprach m i t seiner Ankündigung dem SED-Parteiprogramm von 1963, das eine „allmähliche Entwicklung des Arbeiter-und-Bauern-Staates, der Diktatur des Proletariats, zum Volksstaat" i n Aussicht gestellt hatte 6 . Utopische kommunistische Gesellschaftsziele traten dabei hinter die Bemühungen um eine stärkere innenpolitische Konsolidierung, einschließlich der Bildung eines DDR-Staatsbewußtseins, zurück. 2 Siehe ζ. B. den Aufsatz: ο. V., Neues staats- und rechtswissenschaftliches Denken ist geboten, i n : Staat u n d Recht, 16. Jg. (1967) Heft 8, S. 1204 ff. Z u r Rechtsforschung der Jahre 1963 bis 1968: Rudolf Schwarzenbach, Staats- u n d Rechtswissenschaft, i n : Hans Lades / Clemens Burrichter (Hg.), P r o d u k t i v k r a f t Wissenschaft. Sozialistische Sozialwissenschaften i n der DDR, Hamburg 1970, S. 207 ff. 8 Vgl. J. Wolf gang Görlich, K y b e r n e t i k u n d „Gesellschaftswissenschaft" i n der DDR, i n : Peter Christian Ludz (Hg.), Studien (wie A n m . A I / 4 7 ) , S. 419 ff.; Steffen Werner, K y b e r n e t i k (wie A n m . A I I I / 5 1 ) , S. 82 ff.; Helmut Willke, Leitungswissenschaft (wie A n m . 13), S. 52 ff. 4 Das Phänomen Entfremdung w i r d ausschließlich f ü r kapitalistische Systeme angenommen: Walter Ulbricht, Die Bedeutung des Werkes „Das K a p i t a l " von K a r l M a r x für die Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus i n der DDR u n d den K a m p f gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem i n Westdeutschland (1967), Nachdruck i n : ders., System (wie A n m . Β III/28), 2. Bd., S. 536. 5 Vgl. ders., E n t w i c k l u n g (wie A n m . Β I I / l ) , S. 84 ff. β Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (1963), Nachdruck i n : Alois R i k l i n / Klaus Westen, Selbstzeugnisse des SED-Regimes, K ö l n 1963, S. 139.

I V . Wissenschaft und K u l t u r

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Das von Walter Ulbricht auf dem V I I . SED-Parteitag selbstbewußt proklamierte ökonomische System des Sozialismus, das er als Kernstück des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus (ESS) ansah 7 , war hierfür ebenso bezeichnend wie die Ankündigung einer neuen Verfassung und die Neudefinition des Sozialismusbegriffs. I m September 1967 stellte Ulbricht i m Gegensatz zur Marxschen Lehre 8 fest, daß der Sozialismus „nicht eine kurzfristige Übergangsphase i n der Entwicklung der Gesellschaft ist, sondern eine relativ selbständige sozialökonomische Formation i n der historischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus i m Weltmaßstab" 9 . Die für das Jahr 1967 nachgewiesene ideologische Sonderentwicklung der DDR innerhalb des Ostbündnisses wurde i n den darauffolgenden Monaten wieder eingeschränkt. Angesichts des „Prager Frühlings" mußte für die politische Elite der DDR die ideologische Einheit des Ostblocks Priorität besitzen, um so die aktualisierten Legitimierungsprobleme i m eigenen Staat besser bewältigen zu können. Walter Ulbricht paßte sich 1968 den veränderten politischen Bedingungen an, als er aus Anlaß der 150. Wiederkehr des Geburtstags von K a r l Marx am 2. Mai vom sowjetischen „Grundmodell" sprach, das für alle sozialistischen Staaten gelte. Dabei gab er allerdings zunächst die von i h m 1967 vertretene Konzeption nicht preis 1 0 . Innerhalb des sowjetischen Grundmodells suchte er der DDR weiterhin einen modellhaften Charakter zu bewahren 1 1 und bezeichnete sie 1968, wie i m Vorjahr, als beispielhaft für moderne Industriestaaten 12 . Erst auf der Festveranstaltung anläßlich des 20. Jahrestags der Gründung der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht" 7

Walter Ulbricht, E n t w i c k l u n g (wie A n m . Β I I / l ) , S. 98 f. Vgl. Karl Marx, Manifest (wie A n m . A1/24), S. 45 ; ders., K r i t i k des Gothaer Programms (1891), i n : ders. / F r i e d r i c h Engels, Schriften (wie A n m . A 1/24), 2. Bd., S. 24. 9 Walter Ulbricht, Bedeutung (wie A n m . Β IV/4), S. 530. 10 Ders., Die Bedeutung u n d die Lebenskraft der Lehren von K a r l M a r x für unsere Zeit, i n : ND, Nr. 124, vom 4. M a i 1968, S. 3. 11 Hierzu: Kurt Seliger, Das obligatorische Sowjetmodell, i n : Deutschland Archiv, 4. Jg. (1971) Heft 10, S. 1067 f. Vgl. Ernst Richert, Eigenständigkeit (wie A n m . A I I I / 1 2 6 ) , S. 974 ff. 12 Konkrete Anregungen w o l l t e er vor allem der Bundesrepublik Deutschland u n d der CSSR zukommen lassen: Walter Ulbricht, Bedeutung (wie A n m . Β IV/4), S. 515 u n d 529; F ü r gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β 1/32), S. 3 f. Z u den Ratschlägen, die der CSSR von Seiten der DDR erteilt wurden, siehe auch: Argumentation (wie A n m . Β1/36), S. 727 ff.; o.V., Blick (wie A n m . Β 1/32), S. 6; Radoslav Selucky, Wunder (wie A n m . A I I I / 1 4 1 ) , S. 1074. Den Vorbildanspruch der DDR f ü r Osteuropa analysieren kontrovers: Hellmuth G. Bütow, Der Vorbildanspruch der DDR i n der Spätphase Ulbricht, i n : Gert L e p t i n (Hg.), Rolle (wie A n m . 18), S. 73 ff.; Wolf Oschlies, A k t i o n e n (wie A n m . 18), S. 107 ff. 8

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vom 12. Oktober 1968 rückte er von der Idee einer „sozialistischen Menschengemeinschaft" ab. Aufgrund der zur Zeit des „Prager Frühlings" gesammelten Erfahrungen hielt er die Diktatur des Proletariats zur „Niederhaltung und Brechung des Widerstandes der gestürzten Ausbeuterklassen" für vorerst unabdingbar 1 3 , auch wenn für i h n die Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus oberstes Ziel blieb 1 4 . Damit näherte sich Ulbricht zumindest verbal dem Standpunkt seines politischen Rivalen Erich Honecker. Dieser hatte bereits auf dem 6. ZK-Plenum i m Juni 1968 der vom „Prager Frühling" offen, von Walter Ulbricht 1967 stillschweigend vertretenen These widersprochen, die Diktatur des Proletariats habe ihre geschichtliche Aufgabe erfüllt 1 5 . Honecker wies der Arbeiterklasse die führende politische Rolle i n der DDR zu und Schloß die ökonomisch-technische Intelligenz hiervon weitgehend aus 16 . Die angesichts des „Prager Frühlings" bei der DDR-Führung zu beobachtende Reaktivierung des klassenkämpferischen Gedankenguts und Vokabulars findet sich bei den Gesellschaftswissenschaften wieder und zwar, analog zum Verhalten von Walter Ulbricht, besonders nach der militärischen Intervention i n der Tschechoslowakei vom 21. August 196817. I m Gegensatz zu den großen ideologischen Freiräumen der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung seit Mitte der sechziger Jahre verurteilte man seit Anfang 1968 i n der DDR alle Tendenzen, die nicht zur Sicherung des uneingeschränkten Herrschaftsanspruchs der SED beitrugen. Dies sollte eine weitere Verbreitung des reformsozialistischen Ideenguts verhindern und der an aktueller Bedeutung gewinnenden Konvergenztheorie Einhalt gebieten 18 . Außer den i m letzten Abschnitt 13 Walter Ulbricht, Die Rolle des sozialistischen Staates bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, i n : Staat u n d Recht, 17. Jg. (1968) Heft 11, S. 1739 f. 14 Siehe hierzu besonders seine Ausführungen auf dem 9. Z K v o m Oktober 1968, die er bewußt als eine Reaktion auf den „Prager F r ü h l i n g " v e r stand: ders., Gestaltung (wie A n m . Β III/45), S. 65 f. 15 Erich Honecker, Rolle (wie A n m . Β III/63), S. 5. 1β Vgl. ebd., S. 5 f. 17 Aus der Vielzahl der Arbeiten hier einige Beispiele: Karl Reissig / Walter Schmidt, Das „Manifest der Kommunistischen Partei" — die erste m a r xistische Gesellschaftsprognose, i n : Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft, 16. Jg. (1968) Heft 5, S. 549 ff.; Horst Dohlus, Die führende Rolle der m a r x i stisch-leninistischen Partei u n d ihre V e r w i r k l i c h u n g durch die SED, i n : E i n heit, 23. Jg. (1968) Heft 9, S. 1075 ff.; Otto Reinhold, Arbeiterklasse ist u n d bleibt die führende K r a f t , i n : ND, Nr. 119, v o m 1. M a i 1969, S. 5. Zusammenfassend siehe: Werner Schulz, Verteidigung (wie A n m . 9), S. 7 ff. 18 Das Politbüromitglied u n d der ZK-Sekretär f ü r Wissenschaft, Volksbildung u n d K u l t u r , K u r t Hager, gebrauchte Ende Januar 1968 z u m ersten

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dieser A r b e i t bereits g e n a n n t e n Ö k o n o m e n F r i t z B e h r e n s u n d G u n t h e r K o h l m e y w u r d e n auch K a r l - H e i n z Schöneburg, H e r r m a n n K l e n n e r u n d H e i n z Liebscher ö f f e n t l i c h gemaßregelt. D a b e i r ü g t e n i h r e K r i t i k e r die L e u g n u n g der N o t w e n d i g k e i t des Fortbestandes d e r D i k t a t u r des P r o l e t a r i a t s 1 9 , klassenneutrales R e c h t s d e n k e n 2 0 oder die i d e o l o g i e f r e i e A n w e n d u n g der K y b e r n e t i k a u f gesellschaftliche V o r g ä n g e 2 1 . G ü n t e r M i t t a g t a d e l t e a u f d e m 9. Z K - P l e n u m i m O k t o b e r 1968 d a r ü b e r h i n a u s Gesellschaftswissenschaftler, die B e g r i f f e der „ b ü r g e r l i c h e n Soziologie" u n d der katholischen Soziallehre v e r w a n d t e n 2 2 . U m d e r G e f a h r e i n e r T r a n s f o r m a t i o n des t o t a l i t ä r v e r f a ß t e n p o l i tischen Systems e r f o l g r e i c h z u begegnen, w u r d e n außer d e n D D R - v o r a l l e m die P r a g e r Reformsozialisten, die j u g o s l a w i s c h e n u n d i t a l i e nischen K o m m u n i s t e n , M a r x i s t e n w i e H e r b e r t Marcuse, E r n s t Fischer u n d Roger G a r a u d y sowie schließlich d i e S P D als A n h ä n g e r der K o n v e r g e n z t h e o r i e v e r u r t e i l t 2 3 . D i e B e k ä m p f u n g des G e d a n k e n g u t s der M a l expressis verbis den Konvergenzbegriff: Kurt Hager (Berichterstatter), Bericht des Politbüros an das 4. Plenum, i n : ND, Nr. 30, v o m 30. Januar 1968, S. 3 ff. Wenngleich die Auseinandersetzung m i t der Konvergenztheorie zur Zeit des „Prager Frühlings" ihren Höhepunkt hatte, w u r d e der Gedanke an eine mögliche Konvergenz der politischen Systeme i n Ost u n d West bereits seit dem Regierungsantritt der Großen K o a l i t i o n i n Bonn von der politischen Elite der DDR bekämpft. Vgl. Bernhard von Rosenbladt, Die Auseinandersetzung m i t der Konvergenztheorie i n der DDR. Untersuchung zur Problemat i k einer verstärkten K o m m u n i k a t i o n zwischen BRD u n d DDR, Ebenhausen 1970, S. 35 ff.; Konstantin Pritzel, Der Sowjetkommunismus u n d die K o n vergenztheorie, i n : Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, 20. Jg. (1970) Heft 5, S. 8 ff. 19 So der Rektor der Deutschen Akademie f ü r Staats- u n d Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht", Reiner Arlt, gegenüber Schöneburg: Z u m p o l i t i schen Wesen unseres sozialistischen Staates, i n : Sozialistische Demokratie, Nr. 31, v o m 2. August 1968, S. 2 f. 20 Diese K r i t i k w i d e r f u h r H e r r m a n n Klenner auf der Sitzung des Redaktionskollegiums von „Staat u n d Recht" i m September 1968. Hierzu: Hans Leichtfuß, Kollegiumssitzung (wie A n m . A I I I / 4 0 ) , S. 106 ff. Vgl. Siegfried Mampel, Dogmatiker gegen Reformer i n der Rechtswissenschaft, i n : Deutsche Fragen, 15. Jg. (1969) Heft 4, S. 61 f. A m 12. Oktober hat sich dann Walter Ulbricht selbst gegen das klassenneutrale Rechtsdenken ausgesprochen: Rolle (wie A n m . Β IV/13), S. 1755 f. 21 Diesen Tadel erhielt Heinz Liebscher von Kurt Hager auf dem 10. Z K der SED: Grundfragen des geistigen Lebens i m Sozialismus, i n : ND, Nr. 118, v o m 30. A p r i l 1969, S. 6. 22 Günter Mittag, Meisterung (wie Anm. Β III/35), S. 4. 28 Aus der Vielzahl derartiger Stellungnahmen seien hier genannt: Kurt Hager, Lehre (wie A n m . Β III/37), S. 4; ders., Die Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften i n unserer Zeit, i n : ND, Nr. 300, v o m 29. Oktober 1968, S. 3; Gerhard Haney, Der Pluralismus — Ideologie der Konterrevolution, i n : Staat u n d Recht, 17. Jg. (1968) Heft 10, S. 1680 ff. Z u m sozialistischen Pluralismus i n der CSSR (Juli 1968) sowie i n Jugoslawien (Frühjahr 1969) gab die SED sogar parteiinterne Informationsschriften heraus: Argumentation (wie A n m . Β 1/36), S. 724 ff.; Z u r P o l i t i k des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (1969), Nachdruck i n : Deutschland Archiv, 2. Jg. (1969) Heft 11, S. 1192 ff.

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

DDR- wie der CSSR-Vertreter eines sogenannten Dritten Weges erfolgte dabei aus aktuellem Anlaß, während die Ablehnung der anderen sozialistischen Pluralismusmodelle i m Jahre 1968 eher präventiv geschah. Zum Nachweis einer scheinbar zunehmenden ideologischen Divergenz zwischen Ost und West diente vielen Gesellschaftswissenschaftlern der DDR das angesichts des „Prager Frühlings" aktualisierte Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus. K a u m hatte die sogenannte Breschnew-Doktrin am 21. August 1968 für die Ostbündnisstaaten praktische politische Bedeutung erlangt, würdigte sie bereits ein am 23./24. August an der Humboldt-Universität zu Berlin-Ost tagendes Völkerrechtssymposium 24 . Von Seiten der UdSSR erfolgte ihre ideologische Begründung erst später: Beiträge von S. Kowaljow (11. und 26. September), A. Gromyko (3. Oktober) und schließlich auch L. Breschnew (12. November 1968) sind in diesem Zusammenhang u. a. zu nennen 2 5 . Nach der CSSR-Intervention beließ es die Partei- und Staatsführung der DDR nicht mehr allein bei verbalen Bekenntnissen der Gesellschaftswissenschaften zum orthodoxen Marxismus-Leninismus. Sie ergriff nun zusätzliche Maßnahmen, die eine Forschungstätigkeit i m vorgenannten Sinn für die Zukunft garantieren sollten. Der hierfür am 22. Oktober 1968 gefaßte Beschluß des Politbüros der SED über die weitere Entwicklung der Gesellschaftswisssenschaften, der übrigens der erste seiner A r t überhaupt w a r 2 6 , enthielt folgende Regelungen: Er ernannte drei parteieigene Institute beim Zentralkomitee zu „zentralen Leiteinrichtungen" für die Planung und Leitung dieses Forschungszweigs. Es handelte sich dabei um das Institut für Gesellschaftswissenschaften, das Institut für Marxismus-Leninismus und das Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung 27 . 24 Hierüber berichtet: Gerd Seidel, Z u r Kodifikation der Prinzipien der friedlichen Koexistenz, i n : Deutsche Außenpolitik, 13. Jg. (1968) Heft 12, S. 1500 ff. Siehe auch die Arbeiten von: Herrmann Axen, Proletarischer I n t e r nationalismus i n unserer Zeit, i n : Einheit, 23. Jg. (1968) Heft 10, S. 1203 ff.; Herbert Kröger, Die sozialistische Souveränität der DDR u n d der proletarische Internationalismus, i n : Deutsche Außenpolitik, 14. Jg. (1969) Heft 12, S. 1419 ff. Zur Rezeption der sogenannten Breschnew-Doktrin i n der DDR siehe zusammenfassend: Jens Hacker, Die SED und die Breshnew-Doktrin, i n : Deutschland Archiv, 3. Jg. (1970) Heft 2, S. 198 ff. 25 Siehe hierzu die Dokumentation bei: Boris Meissner, Breshnew-Doktrin (wie Anm. A II/116), S. 61 ff. 26 So: Clemens Burrichter / Eckart Förtsch / Manfred Zuber, Theoretische Aspekte zum Verhältnis von Wissenschaft u n d Gesellschaft, i n : Hans Lades / Clemens Burrichter (Hg.), P r o d u k t i v k r a f t (wie A n m . Β IV/2), S. 69. 27 Die weitere Entwicklung der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften i n der DDR. Beschluß des Politbüros des Z K der SED v o m 22.10.1968, i n : Einheit, 23. Jg. (1968/Heft 12), S. 1462 f.

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Diese zentralen Planungs- und Leitungsorgane, die später auch für andere Bereiche eingerichtet wurden 2 8 , erhielten durch den Politbürobeschluß Uberwachungs- und Weisungsfunktionen 29 . So sollten sie „parteierfahrene und befähigte Kader an den Schwerpunkten der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung" einsetzen 30 und dreiunddreißig ideologische Schwerpunktthemen als Auftragsforschung vergeben und finanzieren 31. Daneben hatten sie die Anordnung des Politbüros zu überwachen und alle Forschungen wie Publikationsvorhaben einzustellen, die den politischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Erfordernissen der DDR nicht genügten 32 . Dementsprechend brach Walter Schmidt, Lehrstuhlinhaber am I n stitut für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED, bereits i m Herbst 1968 die 1967 begonnene und i n ihrem Ausgang noch völlig offene Diskussion über die Stellung des Geschichtsbewußtseins i m sozialistischen Bewußtseinssystem abrupt ab. Fortan hatte die Historie die „Durchdringung aller Sphären des gesellschaftlichen Lebens m i t sozialistischer Ideologie" 3 3 zu gewährleisten. Sie wurde als immanenter Bestandteil und nicht, was auch erörtert worden war, als eine Form des gesellschaftlichen Bewußtseins verstanden 34 . 28 Beispielsweise f ü r die Rechts- und Erziehungswissenschaften: Erich Honecker (Berichterstatter), A u s dem Bericht (wie A n m . Β I I I / 6 5 ) , S. 40; Margot Honecker, Qualitativ neue Anforderungen an die pädagogische Wissenschaft, i n : Deutsche Lehrerzeitung, Nr. 41, 2. Oktoberausgabe 1969, S. 3. 29 Vgl. Die weitere E n t w i c k l u n g (wie A n m . Β IV/27), S. 1462 f. 80 Ebd., S. 1468. 81 Diese werden namentlich genannt i n : ebd., S. 1469 f. Z u r Auftragsforschung: ebd., S. 1464 f. 82 Ebd., S. 1464. 88 Walter Schmidt, Über die Aufgaben der Geschichtswissenschaft bei der sozialistischen Bewußtseinsbildung, i n : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 17. Jg. (1969) Heft 1/2, S. 52. Dieser Aufsatz gibt die Ausführungen Schmidts auf dem I V . Historikerkongreß der DDR v o n Anfang Oktober 1968 wieder. I n ähnlicher Weise äußert sich Kurt Hager auf dem 9. Z K - P l e n u m wenige Wochen später: Aufgaben (wie A n m . Β IV/23), S. 5 f. 84 Die seit 1967 kontrovers geführte Diskussion zeichnet bis zu ihrem A b bruch nach: Hans Georg Wolf, Sozialistisches Geschiehtsbewußtsein u n d Geschichtswissenschaft i n der DDR. Wandlungen u n d Differenzierung seit 1957, i n : Geschichte i n Wissenschaft u n d Unterricht, 28. Jg. (1977) Heft 2, S. 65 ff. Z u r Beendigung der Diskussion siehe auch: Frank Reuter, Geschichtsbewußtsein i n der DDR. Programm u n d A k t i o n , K ö l n 1973, S. 17 ff. u n d 45 ff.; Eckart Förtsch, Geschichtswissenschaft, i n : Hans Lades / Clemens Burrichter (Hg.), P r o d u k t i v k r a f t (wie A n m . Β IV/2), S. 115. Außer der Diskussion über das sozialistische Geschichtsbewußtsein w u r d e i m Herbst 1968 auch der seit etwa 1965 zu beobachtende Versuch abgebrochen, die Bundesrepubik Deutschland bei wissenschaftlichen Arbeiten möglichst differenziert u n d objektiv darzustellen: Vgl. Jörg Peter Mentzel / Wolfgang Pfeiler, Deutschlandbilder. Die Bundesrepublik aus der Sicht der DDR u n d der Sowjetunion, Düsseldorf 1972, S. 30. ....

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Kap. Β : Innenpolitik der D D

und „Prager F r ü h l i n g "

Ermöglichte die politische Elite der DDR, und hier vor allem Walter Ulbricht, den Gesellschaftswissenschaftlern vor Beginn des „Prager Frühlings" große ideologische Freiräume bei der Anfertigung von Forschungsarbeiten, so wurden diese seit Beginn des Jahres 1968 erheblich eingeschränkt und schließlich aufgehoben. Eine ideologische Sonderentwicklung der DDR, gemäß dem von Ulbricht 1967 vorgelegten Konzept einer auf gesellschaftlicher Harmonie gründenden „sozialistischen Menschengemeinschaft", konnte sich angesichts des „Prager Frühlings" als innenpolitisch äußerst brisant erweisen. Der Prager Reformsozialismus verschärfte die Legitimierungsprobleme des politischen Systems und förderte den Einfluß der Konvergenztheorie in der DDR. Vor, besonders aber nach der militärischen Intervention in der CSSR vom 21. August 1968 dominierte deshalb klassenkämpferisches Ideengut i n wissenschaftlichen Publikationen. Der proletarisch-sozialistische Internationalismus, die führende Rolle der Arbeiterklasse und die Diktatur des Proletariats wurden hierbei analog zu dem Verhalten der Politiker, einschließlich demjenigen von Walter Ulbricht, beschworen. Gleichzeitig schuf das SED-Politbüro „zentral Leiteinrichtungen" für gesellschaftswissenschaftliche Forschungsvorhaben beim Zentralkomitee der Partei, womit eine erhöhte Kontrollmöglichkeit der SED-Führung und die Gewähr einer stärkeren Abkapselung der Wissenschaftler von unerwünschten ideologischen Einflüssen verbunden waren. Diese Maßnahmen erinnern an die i m Frühjahr 1968 erfolgte Rekonzentration des Wirtschaftssystems, vor allem aber an die i m Herbst intensivierte ideologische Arbeit i n den Produktionsbetrieben. M i t den Entscheidungen der Partei- und Staatsführung der DDR während des Krisenjahres 1956 sind sie nur bedingt vergleichbar, da es vor 1956 an offiziell zugestandenen gesellschaftswissenschaftlichen Freiräumen mangelte, wie sie das Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft seit 1963 forderte 3 5 . Für die Zeit nach der Überwindung des polnischen und ungarischen Revisionismus gilt jedoch die gleiche Aussage, die Helmut Willke für 1968 trifft. Seit dem „Prager Frühling" waren demnach „ i n der DDR eine sehr starke Betonung und Durchsetzung des faktischen Primats der Partei, der zentralen Leitung und Planung, der ideologischen Orientierung und i n der Leitungswissenschaft ein Rückzug auf gesicherte Positionen des klassischen Marxismus-Leninismus erkennbar" 3 6 . 35 Z u r dogmenverhafteten P o l i t i k der D D E - F ü h r u n g i m Bereich der Gesellschaftswissenschaften vor 1956: Ernst Richert, Universität (wie A n m . A III/10), S. 97 ff. 36 Helmut Willke, Leitungswissenschaft (wie A n m . 13), S. 105. Z u ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Boris Meissner: Die Eechtsstellung der SED u n d ihrer GefOlgsparteien, i n : Eichard Lange / Boris Meissner / Klemens Pleyer (Hg.), Probleme des DDE-Eechts, K ö l n 1973, S. 22. Vergleiche zur SED-Reak-

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ideologischer

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2. Kulturpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Indoktrination

Grundlegend für das Verständnis der von der SED i n der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verfolgten K u l t u r p o l i t i k sind die Ergebnisse des 11. ZK-Plenums vom Dezember 1965. Das Plenum erhob i m Vergleich zu den vorangegangenen Jahren verstärkt die Forderung, die kulturelle Sphäre müsse sich den politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Zielen der Partei unterordnen 3 7 . Es war vor allem das Politbüromitglied und der Sekretär des Zentralkomitees für Sicherheit, Erich Honecker, der sich hierfür einsetzte und i n dem „unzureichend gefestigten marxistisch-leninistischen Weltbild einiger Kulturschaffender" politische Gefahren erblickte. Wolf Biermann warf er „sein spießbürgerliches, anarchisches Verhalten, seine Überheblichkeit, seinen Skeptizismus und Zynismus" vor 3 8 . Diese Maßregelungen geschahen i n Übereinstimmung m i t der von der neuen sowjetischen Partei- und Staatsführung unter Leonid Breschnew seit Herbst des gleichen Jahres bereits praktizierten und während des dreiundzwanzigsten Parteitags der KPdSU i m Frühjahr 1966 dann offiziell verkündeten restriktiven K u l t u r p o l i t i k 3 9 . Sie dürften allerdings auch eine Reaktion der SED auf das sich seit der Kafka-Konferenz von 1963 i n der CSSR wie i n der DDR besonders stark entwickelnde reformsozialistische Gedankengut darstellen. Das Mitglied des Zentralkomitees der SED, Alfred Kurella, hatte bereits i m August 1963 und der Kandidat des Politbüros, Horst Sindermann, i m Februar 1964 vor der Übernahme des Gedankenguts der Prager Reformsoziation nach 1956: Ernst Richert, Universität (wie A n m . A I I I / 1 0 ) , S. 166 ff.; Melvin Croan, Intellektuellen (wie A n m . A I I I / 1 0 ) , S. 369 ff. 87 Wenn Hans-Dietrich Sander die 11. Tagung des Zentralkomitees als Beginn des „ d r i t t e n K u l t u r k a m p f e s " i n der D D R bezeichnet, wobei der erste i n der unmittelbaren Nachkriegszeit u n d der zweite nach dem „Polnischen O k tober" von 1956 stattgefunden habe, dann ist dies eine überzogene Charakterisierung: Geschichte der Schönen L i t e r a t u r i n der DDR. E i n Grundriß, Freiburg-Breisgau 1972, S. 225 f. Gleiches g i l t f ü r die von Volker Gransow hervorgehobene K o n t i n u i t ä t der k u l t u r e l l e n E n t w i c k l u n g seit Anfang der sechziger Jahre, die stets durch ideologische Freiräume w i e offizielle K r i t i k gekennzeichnet sei: K u l t u r p o l i t i k i n der DDR, Berlin-West 1975, S. 93 ff. H i n gegen interpretiert Karin Thomas das 11. Z K - P l e n u m zu Recht als k u l t u r politischen Einschnitt, ohne einen gewissen Zusammenhang zu den gleichartigen Beschlüssen der 2. Bitterfelder Konferenz v o m A p r i l 1964 zu verschweigen: Die L i t e r a t u r der D D R als Spiegel von Gesellschaftsbewußtsein und Gesellschaftskritik, i n : ο. V., Wissenschaft (wie A n m . A I I I / 1 2 5 ) , S. 271 f. 88 Z u den kulturpolitischen Aussagen der Rede: Erich Honecker (Berichterstatter), Bericht des Politbüros an die 11. Tagung des Zentralkomitees der SED, Berlin-Ost 1966, S. 56 ff. 89 Über die sowjetische K u l t u r p o l i t i k der Jahre 1965/1966 berichten z.B.: Boris Meissner, Sowjetunion (wie A n m . A I I / 1 4 ) , S. 49 f.; Wolfgang Leonhard , Innenpolitik (wie A n m . A I I / 1 4 ) , S. 62 ff.

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listen durch DDR-Intellektuelle gewarnt. Sindermann rügte damals Robert Havemann in aller Öffentlichkeit. Anstatt die Zusammenarbeit zwischen der SED und den Intellektuellen zu vertiefen, beschwor das 11. ZK-Plenum von 1965 die Gefahr einer noch größeren Entzweiung zwischen beiden herauf. So bewirkte die seit Dezember 1965 bei den Schriftstellern vermehrt durchgeführte Zensur oft eine Abkehr des künstlerischen Schaffens von der politischen Aussage ins Apolitische 40 . Jahre nach dem 11. Plenum des Z K der SED urteilte der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase 1979 über die „aus komplexen Gründen erfolgte politische Standortbestimmung" von 1965 41 : „ V o r allem eine bestimmte Generation i n den Künsten, zu der ich gehöre, geriet i n Konflikte, die, w i e m i r scheint, nicht mehr i n ein gemeinsames Verständnis gebracht worden sind".

Die Überwindung bzw. Abschwächung der durch das 11. ZK-Plenum verschärften Konflikte zwischen Parteilichkeit und künstlerischer Aussage sah die politische Elite der DDR in der Folgezeit zwangsläufig als ihre Hauptaufgabe an. Dazu sollte besonders die 5. Staatsratssitzung i m November 1967 beitragen, die, analog zu den Beschlüssen von 1965, die Unterordnung der Kunst unter orthodox marxistisch-leninistische Prämissen forderte. Der Name „Bitterfelder Weg" stand i m Mittelpunkt des Staatsratsbeschlusses über die Aufgaben der K u l t u r vom 30. November 1967 42 . Der 1958 verkündete „Bitterfelder Weg", interpretiert als „Vereinigung von Kunst und Leben" bzw. „Parteilichkeit und Volksverbundenheit", sollte intensiviert werden. Der Staatsrat forderte von den Künstlern „die Beseitigung jeder Zersplitterung, eine planvolle einheitliche Orientierung und vielfältige sozialistische Gemeinschaftsarbeit" sowie die „Einheit von Geist und Macht". Man wandte sich gegen jegliche 40 Peter Orlow, Die Bitterfelder Sackgasse. L i t e r a t u r p o l i t i k der SED z w i schen 1965 u n d 1969 (Die Orientierung, 1. Beiheft), Pfaffenhofen 1970, S. 5 ff. Vgl. Werner Brettschneider, Autonomie (wie A n m . A HI/135), S. 33. 41 Hans Richter, Gespräch m i t Wolf gang Kohlhaase, i n : Sinn u n d Form, 31. Jg. (1979) Heft 5, S. 984. Z u r Entzweiung zwischen SED und Belletristik nach 1965: Karin Thomas, L i t e r a t u r (wie A n m . Β IV/37), S. 272 ff.; HansDietrich Sander, Geschichte (wie A n m . Β IV/37), S. 329; Konrad Franke, L i t e ratur (wie A n m . 12), S. 141 ff. 42 Z u den folgenden Ausführungen: Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik. Die Aufgaben der K u l t u r bei der E n t w i c k l u n g der sozialistischen Menschengemeinschaft v o m 30. November 1967, i n : ND, Nr. 354, v o m 24. Dezember 1967, S. 2. Wieso „Neues Deutschland" m i t der Publizierung dieses Beschlusses über drei Wochen wartete u n d die Veröffentlichung dann just am Vorabend des Weihnachtsfestes vornahm, wo das I n teresse der DDR-Bevölkerung an politischen Fragen gering gewesen sein dürfte, muß hier unbeantwortet bleiben.

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Spontaneität und Subjektivität i n den künstlerischen Arbeiten und verlangte eine systematische, der SED genehme Planung i m kulturellen Bereich. Dem Künstler wurde bei der Anfertigung seiner Werke eine „Freiheit, die sich auf Sachkenntnis und die Übereinstimmung mit den gesetzlichen Zielen und Wegen der sozialistischen Gemeinschaft gründet", gewährt. Gemäß dieser Definition war er verpflichtet, durch seine Arbeit die orthodox marxistisch-leninistische Ideologie zu vermitteln, feindliche Weltanschauungen zu bekämpfen und so die „Formung des i m Kollektiv gewachsenen sozialistischen Menschen" als seine Hauptaufgabe zu begreifen. Der Staatsrat sah i n ihm einen Erzieher, der politisch-moralische Mitverantwortung für die Verwirklichung des totalitär verfaßten politischen Systems trägt. Aufgrund des Staatsratsbeschlusses vom 30. November 1967 stellte der Ministerrat der DDR dann am 3. März 1968 einen kulturpolitischen „Maßnahmeplan" auf 4 3 . Dieser erlangte jedoch, zumal er weder i m Gesetzblatt der DDR noch i n „Neues Deutschland" veröffentlicht w u r de, für die kulturpolitische Praxis der nächsten Monate ebensowenig Bedeutung wie der Staatsratsbeschluß. So nahm zwar die Verordnung über die Aufgaben des Bibliothekssystems vom 31. M a i 1968 einen verbalen Bezug zum Beschluß des Staatsrates von 1967, zur praktischen Verwirklichung der dort vorgeschriebenen ideologischen Aufgaben trug sie allerdings nicht bei, da sie lediglich rein pragmatische Regelungen enthielt 4 4 . Auch lassen die bei der Verfassungsgebung für Ende März 1968 nachgewiesenen politisch-ideologischen Zugeständnisse i n religiösen Belangen auf das Zurückstellen orthodoxer Ziele zu diesem Zeitpunkt schließen. Der für das Frühjahr und den Sommer des Jahres 1968 und somit für die Zeit des „Prager Frühlings" 4 5 geltende Verzicht der politischen Elite auf die konsequente Durchführung der i m November 1967 und Anfang März des folgenden Jahres gefaßten kulturpolitischen Entscheidungen belegt vor allem die Tatsache, daß es am 18. Oktober 1968 erneut einer Staatsratssitzung bedurfte, um „die weitere Durchführung 43 Die Existenz des Maßnahmeplans läßt sich aus dem Abschnitt 4 des folgenden Dokuments ableiten: Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Durchführung des Beschlusses v o m 30. November 1967 „ D i e Aufgaben der K u l t u r bei der E n t w i c k l u n g der sozialistischen Menschengemeinschaft" v o m 18. Oktober 1968, G B l DDR 1968, T e i l I Nr. 17, S. 311. 44 Vgl. Verordnung über die Aufgaben des Bibliothekssystems bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus i n der Deutschen Demokratischen Republik v o m 31. M a i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 78, S. 565. 45 Hier sieht a u d i Konrad Franke einen Kausalzusammenhang: L i t e r a t u r (wie A n m . 12), S. 158 ff.

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des Beschlusses vom 30. November 1967" anzuordnen. I n der dort verabschiedeten Resolution heißt es 4 6 : „Der Ministerrat w i r d beauftragt, den Beschluß des Staatsrates v o m 30. November 1967 und die Weisungen des Maßnahmeplanes des Ministerrates v o m 3. März 1968 planmäßig u n d allseitig i n die politische, wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Entwicklung u n d Leitungstätigkeit einzubeziehen".

Der neuerlichen Entscheidung vorangegangen war eine Ansprache des Ministers für K u l t u r der DDR, Klaus Gysi, der „das Feld kultureller Arbeit . . zu einem strategisch entscheidenden Abschnitt an den Fronten dieses Kampfes" zwischen orthodoxem Sozialismus und Pluralismus erklärte. Gleichzeitig wandte er sich gegen das Ideengut von Franz Kafka, Jean-Paul Sartre und Ernst Fischer, wobei er Robert Havemann und Wolf Biermann i n ihrer Funktion als reformsozialistische „Außenposten" i n der DDR rügte 4 7 . Bereits zwei Wochen nach der militärischen Intervention der CSSR hatte Klaus Gysi am 4. September 1968 die „Erhöhung der Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei" als „die zentrale Frage überhaupt" bezeichnet. Da externe Einflüsse vor allem i m kulturellen Bereich die uneingeschränkte Führungsrolle der kommunistischen Partei in Frage stellten, müßten gerade hier Gegenmaßnahmen ergriffen und der zu beobachtenden Entideologisierung entgegengetreten werden 4 8 . Gleiche Tendenzen vertrat das vom 22. bis 25. Oktober tagende 9. Z K Plenum der SED 4 9 , auf dem Walter Ulbricht die Kunst als ideologische „Waffe" charakterisierte und nach einer einheitlichen „Norm für alle" Künstler verlangte. I m Gegensatz zu anderen Rednern verzichtete Ulbricht jedoch auf eine ausführliche K r i t i k an den Verhältnissen i n der DDR 5 0 . K u r t Kayser, Mitglied des Zentralkomitees der SED und 46 Abschnitt 4 Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Durchführung (wie A n m . Β IV/43). 47 Die Rede ist i n gekürzter F o r m veröffentlicht als: Klaus Gysi, Die K u n s t i m K a m p f f ü r die sozialistische Gemeinschaft, i n : ND, Nr. 290, v o m 19. O k t o ber 1968, S. 3 f. 48 Die anläßlich der konstituierenden Versammlung des Rates beim M i n i sterium für K u l t u r gehaltene Rede ist auszugsweise publiziert als: Klaus Gysi, Knotenpunkt k u l t u r e l l e r Entwicklung, i n : Sonntag, Nr. 41, v o m 13. O k tober 1968, S. 1 u n d 5. Peter Orlow weist darauf hin, daß die Gründung des Rates nicht i n einem Zusammenhang zur CSSR-Intervention stehe, da sie längerfristig vorbereitet worden sei: Sackgasse (wie A n m . BIV/40), S. 38 f. 49 Siehe zusammenfassend, Abgrenzungsbestrebungen i n der K u l t u r p o l i t i k betonend: Hans-Dietrich Sander, Das 9. Plenum, ein Konzil, i n : Deutschland Archiv, 1. Jg. (1968) Heft 9, S. 1003 ff. 50 Vgl. Walter Ulbricht, Gestaltung (wie A n m . Β III/45), S. 66 ff. Konrad Franke betont zu Recht die Zurückhaltung Ulbrichts i n seinen k u l t u r p o l i t i schen Äußerungen: L i t e r a t u r (wie A n m . 12), S. 161 ff.

I V . Wissenschaft u n d K u l t u r

141

Generalintendant i n Leipzig, stellte hingegen öffentlich fest, einige Künstler hätten das reformsozialistische Prager Gedankengut, das von westlichen Weltanschauungen infiziert sei, zumindest partiell übernommen; es komme nur darauf an, die Skepsis und den Zweifel zu überwinden, die i n deren künstlerischen Arbeiten gegenüber dem orthodoxen Marxismus-Leninismus vorhanden seien 51 . I n der Folgezeit übernahm denn auch das Ministerium für K u l t u r die Koordination der kulturwissenschaftlichen Forschung als neue Aufgabe 5 2 . Zudem wurden verschiedene Künstler gemaßregelt, unter ihnen Reiner Kunze, Wolfgang Heinz und Christa Wolf. Dem Schriftsteller Reiner Kunze, der gegen die militärische Besetzung der Tschechoslowakei m i t seinem Austritt aus der SED protestiert hatte, kündigten DDR-Verlage bereits rechtskräftig abgeschlossene Künstlerverträge. Dies kam letztlich einem Publikationsverbot für die fünf folgenden Jahre gleich. Daneben wurde Kunzes Name nicht mehr i n literarischen Nachschlagewerken aufgeführt und der Kontakt des Schriftstellers zu westlichen Verlagshäusern erschwert 53 . A u f der 13. Staatsratssitzung vom 18. Oktober 1968 kritisierte Alexander Abusch, Mitglied des Z K der SED und stellvertretender Vorsitzender des DDR-Ministerrats, den von Wolfgang Heinz am Deutschen Theater zu Berlin-Ost inszenierten ersten Teil der Faust-Tragödie. Nach Abuschs Auffassung sollte Goethes Faust nicht als einer der „neurasthenisch von Verzweiflung zu Verzweiflung i n seiner Weltanschauung treibt", sondern als Figur mit einem „humanistisch-kämpferischen Grundzug" interpretiert und dargestellt werden 5 4 . Da die von Wolfgang Heinz inszenierte Tragödie nach Meinung von Alexander Abusch diesen Anforderungen nicht entsprach, wurde sie vom Spielplan des Deutschen Theaters abgesetzt 55 und Heinz zu einer A r t Selbstkritik veranlaßt 5 8 . 51

Karl Kayser, Ideologie u n d K u n s t sind gegenwärtig Hauptfeld des K l a s senkampfes, i n : ND, Nr. 298, v o m 27. Oktober 1968, S. 6. Vgl. auch die A u s führungen des Kulturredakteurs von „Neues Deutschland": Klaus Höpcke, Wie h i l f t L i t e r a t u r das Leben meistern — u n d w i e nicht?, i n : ND, Nr. 283, vom 12. Oktober 1968, S. 9. 52 Vgl. Peter Orlow, Sackgasse (wie A n m . Β IV/40), S. 38. Diese E n t w i c k l u n g dürfte i n einem engen Zusammenhang m i t den gesellschaftswissenschaftlichen Entscheidungen des Politbüros v o m 22. Oktober 1968 stehen. 53 Zusammenfassend siehe: Jürgen P. Wallmann, F a l l (wie A n m . A I I I / 8 2 ) , S. 94, 101 u n d 103. 54 Alexander Abusch, Kunstwerke schaffen, die die menschliche Größe unserer sozialistischen Gegenwart u n d Z u k u n f t überzeugend zum Ausdruck bringen, i n : Sonntag Nr. 45, v o m 10. November 1968, S. 8. 55 Vgl. ο. V., D D E : Eevisionismus: Fließt ein, i n : Der Spiegel, Nr. 45, v o m 4. November 1968, S. 71. 58 Siehe: Wolf gang Heinz, Die Diskussion ist uns w i l l k o m m e n , i n : Sonntag, Nr. 45, v o m 10. November 1968, S. 8.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D R und „Prager F r ü h l i n g "

Der von Christa Wolf verfaßte Roman „Nachdenken über Christa T." bot der Partei- und Staatsführung der DDR ebenfalls Anlaß zur K r i t i k 5 7 . Christa Wolf hatte nämlich diesen Roman fernab der kulturpolitischen Intentionen des Staatsratsbeschlusses vom 30. November 1967 geschrieben und dabei, wie schon oben aufgezeigt, Divergenzen zwischen dem individuellen Anspruch auf Eigenständigkeit und den kollektivistischen Zielen der politischen Elite herausgearbeitet. Obwohl dieser Roman von Christa Wolf i m Februar 1968 auszugsweise i n der Zeitschrift „Sinn und Form" publiziert 5 8 und kurze Zeit später dann vom Mitteldeutschen Verlag i n Halle für die Buchmesse i m Herbst des gleichen Jahres als Neuveröffentlichung angekündigt worden war, lieferte der Verlag ihn erst 1969 aus 59 . Bei der Publikation, die als offizielles Erscheinungsjahr 1968 ausweist, handelte es sich zunächst um eine limitierte Nominalauflage, die nur Instituten, Partei- und Staatsfunktionären zugänglich w a r 6 0 . Noch bevor der Roman unter diesem eingeschränkten Leserkreis Verbreitung fand, setzte i m Januar 1969 die offiziöse K r i t i k an Christa Wolf ein. Der Literaturkritiker Hermann Kähler forderte die Autorin i n einer Rezension auf, nicht eine „autonome Persönlichkeit ohne soziale Funktion" darzustellen, sondern eine „Neuererpersönlichkeit" als „produktive, vitale und stimulierende Kraft", die ihre persönliche Erfüllung i m Kollektiv findet. Er fuhr f o r t 6 1 : „Das »Privatleben 4 der Menschen i m Sozialismus ist keineswegs eine Rückzugsebene — es w i l l literarisch wie menschlich vor allem ,erobert' werden".

A u f dem 10. ZK-Plenum der SED vom 28. bis 29. A p r i l 1969 wurden außer Christa Wolf auch noch die Schriftsteller Rudolf Bartsch, Günter Kunert und Eduard Claudius öffentlich gerügt. Sie mußten sich zusammen mit den jeweils verantwortlichen Lektoren und Verlagsdirektoren nachsagen lassen, daß ihre ideologische Konzeption nicht stimme 6 2 . Daraufhin sah sich der Leiter des Mitteldeutschen Verlags, der für die 57 Die Diskussion über das Pro u n d Contra, die auch aus den folgenden Anmerkungen ersichtlich w i r d , dokumentiert: Manfred Behn (Hg.), W i r k u n g s geschichte von Christa Wolfs ,Nachdenken über Christa Ί7, Königstein 1978. 58 Dies geschah unter dem T i t e l : Christa Wolf, Verwandlungen, i n : Sinn und Form, 20. Jg. (1968) Heft 2, S. 409 ff. 59 Z u diesen Tatbeständen: Fritz Raddatz, Traditionen und Tendenzen. Materialien zur L i t e r a t u r in der DDR, F r a n k f u r t - M a i n 1972, S. 385. 60 So: Jörg Bernhard Bilke, Planziel Literaturgesellschaft oder Gibt es zwei deutsche Literaturen?, i n : Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, 21. Jg. (1971) Heft 51, S. 30 f. 81 Hermann Kähler, Christa Wolfs Elegie, i n : Sinn u n d Form, 21. Jg. (1969) Heft 1, S. 256 f. 62 Heinz Adamek, Kunstwerke entstehen nicht i m Selbstlauf, i n : ND, Nr. 119, v o m 1. M a i 1969, S. 5.

I V . Wissenschaft und K u l t u r

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Publizierung von Christa Wolfs neuem Roman verantwortlich war, zur Selbstkritik veranlaßt. Heinz Sachs erklärte 6 3 : „ D i e A n t w o r t , die Christa Wolf letzten Endes findet, bleibt eine allgemeinhumanistische. Wenn aber sozialistische L i t e r a t u r ihre F u n k t i o n erfüllen und Weltgeltung finden soll, k a n n sie das nur, wenn sie auf allgemein bewegende Fragen spezifisch sozialistische A n t w o r t e n gibt. Gerade aber hier liegt das entscheidende Versäumnis des Verlages i n der Zusammenarbeit m i t Christa Wolf".

Diese Forderung nach verstärkter Zusammenarbeit von Schriftstellern und Verlagen konkretisierte der Direktor des Deutschen Fernsehfunks und das Mitglied des Zentralkomitees der SED, Heinz Adamek, auf dem 10. ZK-Plenum wie folgt 6 4 : „Es genügt nicht mehr, einen gesellschaftlichen Bedarf bekanntzugeben und dann zu warten, ob sich ein Schriftsteller findet, der m i t einem mehr oder minder passenden Buch erscheint. Die Leitungstätigkeit endet nicht m i t der Festlegung des Themas, sondern beginnt m i t ihr. Die Leitungen müssen intensiv arbeiten, u m leistungsgerechte künstlerische K o l l e k t i v e zu bilden, sie f ü r die entscheidenden W e r k l i n i e n zu gewinnen, u n d von der Idee bis zur künstlerischen Interpretation ein O p t i m u m ideologischer W i r k u n g zu organisieren".

Außer Heinz Adamek maß auf dem 10. ZK-Plenum auch das SEDPolitbüromitglied und der ZK-Sekretär für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur, K u r t Hager, den Schriftstellern lediglich die Rolle des ausführenden Organs einer vorgegebenen K u l t u r p o l i t i k bei, was er durch gemeinsame Beratungen von Künstlern und Parteifunktionären sicherstellen wollte 6 5 . Der VI. Deutsche Schriftstellerkongreß, der vom 28. bis 30. M a i 1969 stattfand, bestätigte die seit Herbst 1968 nachgewiesenen kulturpolitischen Tendenzen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß es „ein teilweises Nichtübereinstimmen i n der Grundfrage, was unsere Literatur soll, w i l l und vermag" gebe, bedauerte dort der Vizepräsident des Schriftstellerverbands der DDR, Max Walter Schulz, ein teilweises „Verharren oder auch Zurückfallen auf Positionen, die von sozialistischer Lebensweise und Bewußtsein überholt" seien 66 . Den „fatale(n) lyrische(n) Ort zwischen Innenweltschau und Antikommunismus" er83 Heinz Sachs, Verleger sein heißt ideologisch kämpfen, i n : ND, Nr. 132, vom 14. M a i 1969, S. 4. 84 Heinz Adamek, K u n s t w e r k e (wie A n m . Β IV/62), S. 5. Siehe auch die Ausführungen von Hans Bentzien, bis 1966 K u l t u r m i n i s t e r der D D R : M i t gestalter der Literatur, i n : ND, Nr. 139, v o m 21. M a i 1969, S. 4. 65 Vgl. Kurt Hager, Grundfragen (wie A n m . Β IV/21), S. 7. 88 Max Walter Schulz, Das Neue u n d das Bleibende i n unserer Literatur, i n : V I . Deutscher Schriftstellerkongreß v o m 28. bis 30. M a i 1969 i n Berlin. Protokoll, Berlin-Ost/Weimar 1969, S. 43.

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Kap. Β : I n n e n p o l i t i k der D D

und „ P r g e r F r ü h l i n g "

kannte Schulz „ i n gestochener Schärfe" besonders i m Werk von Reiner Kunze 6 7 . Christa Wolf rief er z u 6 8 : „Besinn dich auf dein Herkommen, besinn dich auf unser Fortkommen, w e n n du m i t deiner klugen Feder der deutschen Arbeiterklasse, ihrer Partei und der Sache des Sozialismus dienen w i l l s t " .

Letztlich ging es auch i h m um eine literarische „Vorplanung i n Jahreszeiträumen, bezirklich und überbezirklich eingerichtet, mit Erfahrungsaustausch und Beschlußfassung i m zentralen Vorstand" 6 9 . Zusammenfassend läßt sich die kulturpolitische Entwicklung i n der DDR für den Zeitraum von 1965 bis 1969 wie folgt skizzieren: I n Übereinstimmung m i t der KPdSU und angesichts permanenter reformsozialistischer Einflüsse aus Prag suchten die Partei- und Staatsführung und ihr untergeordnete Gremien seit 1965, eine verstärkte Ideologisierung der Bevölkerung mittels einer zunehmenden Bindung der kulturellen Arbeit an die Parteidirektiven zu erreichen. Viele Künstler lehnten jedoch eine Einengung ihrer Freiräume ab, was zu einer politisch-ideologischen Entzweiung zwischen Kunst und Politik führte. Diese für die politische Elite der DDR unerwünschte Entwicklung konnte angesichts des „Prager Frühlings" zu einer ernsthaften Gefahr für das totalitär verfaßte politische System werden. Daher mußten die führenden Politiker darauf bedacht sein, die K l u f t zu den Künstlern nicht weiter zu vertiefen. Der seit März 1968 zu beobachtende Verzicht auf eine weitere öffentliche Verfolgung der orthodoxen k u l t u r politischen Ziele dürfte aus diesen oder ähnlichen Überlegungen erwachsen sein, zumal er keine wirklichen Entscheidungsfreiräume für die Künstler schuf. Erst i m Anschluß an die militärische Besetzung der CSSR griff die politische Elite wieder die alte Zielsetzung konsequent auf. Dabei versuchte sie den Prinzipien der Planmäßigkeit und Kollektivität bei der Anfertigung von Kunstwerken noch intensiver als ehedem Geltung zu verschaffen. Hierzu sollten Maßregelungen von reformsozialistisch eingestellten Künstlern, zeitweilige Aufführungswie Publikationsverbote von Werken und nicht zuletzt die Übertragung von zentralen Koordinationsfunktionen an das Ministerium für K u l t u r beitragen. Die Formung von „sozialistischen Persönlichkeiten", die den uneingeschränkten Führungsanspruch der SED bejahen, hatte unbedingte Priorität. Die kulturpolitische Reaktion der DDR-Führung auf den „Prager Frühling" entsprach ihrem Verhalten angesichts des polnischen und un67

Ebd., S. 53 f. Ebd., S. 56. β · Ebd., S. 36.

68

V. Sozialpolitik

145

garischen Revisionismus von 1956 bzw. den nach der Niederwerfung des Ungarn-Auf stands durch sowjetische Streitkräfte verfolgten k u l turellen Zielsetzungen. Damals sagte die sich ebenfalls bedroht fühlende politische Elite zunächst eine Berücksichtigung der von den Künstlern erhobenen Ideologiekritik bei künftigen kulturpolitischen Entscheidungen zu 7 0 . Nach dem Abklingen der akuten Bedrohung forderte sie hingegen i m „Bitterfelder Weg" von den Kunstwerken die zuvor zur Diskussion gestellten einseitigen ideologischen Inhalte 7 1 .

V. Sozialpolitik Außer den bislang analysierten ideologischen Legitimierungsversuchen der politischen Elite der DDR, mit ihrem unterschiedlichen, aber insgesamt geringen Grad an individuellen Partizipations- und Entfaltungsmöglichkeiten, sollen nach dem Willen der DDR-Verfassung auch sozialpolitische Leistungen des Staates zur Legitimierung des Herrschaftsmonopols der SED beitragen. Das Bemühen der DDR-Führung um eine permanente Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen ihrer Staatsbürger konnte denn auch bereits an anderer Stelle aufgezeigt werden. Aus diesem Grund sind Kausalzusammenhänge zwischen den sozialpolitischen Beschlüssen und Maßnahmen der Partei- und Staatsführung der DDR und dem „Prager Frühling" mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit nur dann während des Untersuchungszeitraums zu vermuten, falls die maßgeblichen DDR-Politiker i m Jahre 1968 außerordentliche Maßnahmen zur Erhöhung des materiellen Lebensstandards ihrer Bürger beschlossen haben. Die Annahme liegt nahe, daß es derartige Entscheidungen angesichts des „Prager Frühlings" gab, da dessen Repräsentanten eine primär an den Konsumbedürfnissen der Bevölkerung orientierte volkswirtschaftliche Wachstumspolitik befürworten. Die i m Jahre 1968 realisierten Beschlüsse zur Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der DDR-Bevölkerung basierten zum Teil auf Direktiven aus dem vorangegangenen Jahr. Wie auf den meisten SED-Parteitagen, so kündigte der Erste Sekretär des Z K der SED auch auf dem V I I . Parteitag von 1967 eine Steigerung der sozialpolitischen Leistungen des Staates an. Für 1967 versprach Walter Ulbricht die Erhöhung des allgemeinen Mindestbruttolohnes wie die des staatlichen 70 Siehe die Aussage des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl: Die DDR geht unerschütterlich den Weg (wie A n m . Β III/73), S. 1. 71 Vgl. Walter Ulbricht, Was (wie A n m . Β 1/38), S. 1. Siehe zusammenfassend für diesen Zeitraum: Hans-Dietrich Sander, Geschichte (wie A n m . Β I V / 37), S. 168 ff.; Karin Thomas, L i t e r a t u r (wie A n m . Β IV/37), S. 263 ff.

10 Burens

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Kindergelds bei mehr als drei Kindern; ferner setzte er sich für die Anhebung des Mindesturlaubs auf fünfzehn Tage und die Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche ein. Für 1968 stellte er die Anhebung der Mindestrenten sowie die Verbesserung der materiellen Lage der Studenten in Aussicht 1 . Außer den vorangenannten Maßnahmen, die unabhängig von den Prager Ereignissen angekündigt und verwirklicht wurden 2 , erfolgten vor allem i m ersten Halbjahr 1968 weitere materielle Zugeständnisse der Partei- und Staatsführung an die Bevölkerung. So wurde am 25. März und 26. Juni 1968 für verschiedene Bereiche die Bildung von Prämien-, K u l t u r - und Sozialfonds verfügt 3 . § 4 Abs. 1 der „Verordnung über die Gestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen den Räten der Städte und Gemeinden und den Betrieben zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen vom 17. J u l i 1968" fordert unter anderem den Ausbau der sozialen Einrichtungen, wie Kindergärten, Ferienheime und Gesundheitswesen, sowie bessere Straßen, Verkehrsverbindungen und Wohnverhältnisse 4 . Ferner vereinheitlichte die DDR-Führung i m Juni/Juli verschiedene Vorschriften, wodurch materielle Privilegien der Arbeiterklasse nunmehr allen Bevölkerungsschichten zugute kamen. Diese i m Sinne der von Walter Ulbricht favorisierten „sozialistischen Menschengemeinschaft" erlassenen gesetzlichen Bestimmungen bezogen sich auf die Erhebung von Grundsteuern bei der Schaffung von neuem Wohnraum 5 und auf die 1

Walter Ulbricht, E n t w i c k l u n g (wie A n m . B I I / 1 ) , S. 236 ff. Z u r Realisierung der Ulbrichtschen Forderungen: Ministerrat beschloß auf Vorschlag des V I I . Parteitages: 5-Tage-Arbeitswoche ab 28. August 1967, i n : ND, Nr. 122, v o m 5. M a i 1967, S. 1; Verordnung über die Gewährung u n d Berechnung von Renten der Sozialversicherung v o m 15. März 1968, G B l D D R 1968, T e i l I I Nr. 29, S. 135: Anordnung über die Gewährung von Stipendien an Direktstudenten der Universitäten, Hoch- und Fachschulen der Deutschen Demokratischen Republik v o m 4. J u l i 1968, G B l DDR 1968, Teil I I Nr. 72, S. 527. 8 Hierzu die gesetzlichen Bestimmungen: Verordnung über die B i l d u n g u n d Verwendung des Prämien-, K u l t u r - und Sozialfonds i n den staatlichen E i n richtungen des Gesundheits- u n d Sozialwesens vom 25. März 1968, G B l DDR 1968, Teil I I Nr. 39, S. 233; Verordnung über die B i l d u n g u n d Verwendung des Prämien-, K u l t u r - u n d Sozialfonds i n den Einrichtungen der Volksbildung v o m 25. März 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 39, S. 234; Verordnung über die B i l d u n g und Verwendung des Prämien-, K u l t u r - und Sozialfonds i n den U n i versitäten, Hochschulen, Medizinischen Akademien, Fachschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken, wissenschaftlichen Museen u n d sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen des Ministeriums für Hoch- u n d Fachschulwesen v o m 25. März 1968, G B l DDR 1968, Teil I I Nr. 51, S. 271; Verordnung über die B i l d u n g u n d Verwendung des Prämienfonds i n den volkseigenen u n d ihnen gleichgestellten Betrieben, volkseigenen Kombinaten, den V V B (Zentrale) u n d Einrichtungen für die Jahre 1969 u n d 1970 v o m 26. J u n i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 67, S. 490. 4 G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 83, S. 661. 2

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V. Sozialpolitik

Gewährung von Unterhaltsbeihilfen für Oberschüler bzw. Ausbildungsbeihilfen für Lehrlinge 6 . Die Tatsache, daß i n der DDR i n den ersten Monaten des Jahres 1968 mehr sozialpolitische Maßnahmen verwirklicht wurden als Walter Ulbricht i m Vorjahr angekündigt hatte, reicht allerdings nicht aus, Kausalzusammenhänge zum „Prager Frühling" abzuleiten. Zum einen beinhalteten die von Walter Ulbricht auf dem V I I . SED-Parteitag vom A p r i l 1967 gegebenen Versprechen nur das sozialpolitische Programm der Partei für den Zeitraum von etwa einem Jahr. Zum anderen waren zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität in den unterschiedlichen Berufszweigen laufend materielle Anreize vonnöten. Nicht die Anzahl und die A r t der sozialpolitischen Entscheidungen, sondern der gesteigerte finanzielle Aufwand, der 1968, i m Vergleich zu den vorangegangenen und nachfolgenden Jahren, für eine Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen erbracht worden ist, führt zu der Feststellung, die politische Elite der DDR habe angesichts des „Prager Frühlings" eine Vergrößerung ihrer Legitimierungsprobleme durch die Gewährung von außerordentlichen materiellen Leistungen zu verhinSchaubild

III

I n der DDR selbst verwendetes Nationaleinkommen der Jahre 1966 bis 19707 % 80 75 70

1

-

1

Konsumtion (gesellschaftliche) ι Konsumtion ( individuelle) 1966 1967 1968

5

%

Akkumulation

I

80 75

I

70

1

I 1969

1970

Vgl. D r i t t e Verordnung zur Änderung u n d Ergänzung von Vorschriften über die Erhebung von Grundsteuer v o m 5. J u n i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 60, S. 340. 8 Vgl. D r i t t e Durchführungsbestimmung zum Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem — Unterhaltsbeihilfen für Oberschüler u n d Ausbildungsbeihilfen für Lehrlinge v o m 4. J u l i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 72, S. 531. Auch bei der Vergabe von Stipendien an Studenten spielten jetzt n u r noch die Bedürftigkeit und die Leistung eine Rolle; dazu: A n o r d nung über die Gewährung von Stipendien (wie A n m . Β V/2). Vgl. Herwig Haase, Die finanzielle Förderung der Direktstudenten, i n : Studentische Polit i k , 4. Jg. (1971) Heft 7/8, S. 34 ff. 7 Statistisches Jahrbuch 1974 der Deutschen Demokratischen Republik, hg. von der Staatlichen Zentralverwaltung Statistik, 19. Jg., Berlin-Ost 1974, S. 42. 10*

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

dern gesucht. So ergibt sich bei einer Analyse des i n der DDR selbst verwendeten Nationaleinkommens der Jahre 1966 bis 1970 (Schaubild III), daß dessen Akkumulation, bestehend aus den Investitionen i m produzierenden und nicht produzierenden Bereich sowie aus dem Zuwachs an Reserven und Beständen, zugunsten der Erhöhung der Konsumtion lediglich zur Zeit des „Prager Frühlings" (1968) und demnach kurzfristig abnahm. Dabei ist zu bemerken, daß die Erhöhung der individuellen wie der gesellschaftlichen Konsumtion nicht zu Lasten der Investitionen und somit nicht zu Lasten der Effizienz der Volkswirtschaft ging, sondern durch eine Verringerung des Zuwachses an Reserven und Beständen finanziert wurde 8 . Die Partei- und Staatsführung der DDR gab übrigens die von ihr i m allgemeinen vertretene Politik der hohen volkswirtschaftlichen A k k u mulation nicht nur i m Jahr 1968 partiell auf, sondern auch i n den meisten anderen Krisenjahren des politischen Systems der DDR, so i m Anschluß an den Juni-Aufstand (1953/54), beim Wiederanstieg der Flüchtlingszahlen (1960/61) und i m Anschluß an die polnischen Arbeiterstreiks (1970/71)9. Nur i n den Jahren 1956/57, zur Zeit des polnischen und ungarischen Revisionismus, beließ sie es bei sozialpolitischen Versprechen 10 . VI. Deutsche Frage Der von den Prager Reformsozialisten befürwortete Ausbau allseitiger Beziehungen zwischen der CSSR und der Bundesrepublik Deutschland wie die damit verbundene Aufwertung der Ost- und Deutschlandpolitik der Großen Koalition i n Bonn mußten für die politische Elite der DDR eine innen- und außenpolitische Herausforderung darstellen. Zum einen konnte das i n der DDR weitverbreitete gesamtdeutsche Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden, was der Bildung eines eigenen DDR-Staatsbewußtseins und der Legitimierung des totalitär verfaßten politischen Systems hinderlich war. Zum anderen warf die stillschweigende Abkehr der CSSR von der Ende A p r i l 1967 i n Karlsbad (Karlovy Vary) zwischen der DDR und den anderen Ostbündnisstaaten getroffenen Vereinbarung, die DDR solle eine Schrittmacher8

Vgl. ebd., S. 42. Hierauf weist auch Martin Jänicke h i n : Krise (wie A n m . A I I I / 1 2 7 ) , S. 162. Seine Aussage, diese Beobachtung könne auch für den Zeitraum 1956/57 gemacht werden, widerspricht allerdings den statistischen Daten der folgenden A n m e r k u n g Β V/10. 10 Die entsprechende Regierungserklärung Otto Grotewohls trägt die Uberschrift: Die DDR geht unerschütterlich den Weg (wie A n m . Β 111/73), S. 1. Z u r Nichteinhaltung dieser Versprechen siehe: Statistisches Jahrbuch 1962 der Deutschen Demokratischen Republik, hg. von der Staatlichen Zentralverwaltung f ü r Statistik, 7. Jg., Berlin-Ost 1962, S. 166. 9

V I . Deutsche Frage

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funktion bei der Normalisierung des Verhältnisses der Ostbündnisstaaten zur Bundesrepublik einnehmen, existentielle Probleme auf. 1968 war der zweite deutsche Staat nämlich erst von dreizehn Ländern, die ausschließlich von kommunistischen Parteien regiert wurden, diplomatisch anerkannt worden 1 . Ein der diplomatischen Anerkennung Bonns durch Bukarest vom 31. Januar 1967 entsprechender Schritt Prags hätte zu einer Isolierung Ost-Berlins i m Ostbündnis selbst führen können. U m die Legitimierungsprobleme i m Innern zu minimieren und die Schrittmacherfunktion bei der Normalisierung der politischen Beziehungen Osteuropas zur Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten, mußte es 1968 das Ziel der Partei- und Staatsführung der DDR sein, die Deutschlandpolitik der CSSR mitzubestimmen. Hierbei konnte sie mit dem grundsätzlichen Einverständnis der sowjetischen Führung rechnen, die dem seit Anfang der sechziger Jahre zu beobachtenden Polyzentrismus i m Ostbündnis Einhalt gebieten und ihren nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten territorialen Besitzstand durch eine europäische Sicherheitskonferenz garantiert wissen wollte 2 . Der politischen Elite der DDR standen für ihr Vorhaben verschiedene Möglichkeiten offen. Sie konnte sich einerseits für eine abrupte Beendigung des Prager Reformkurses bei ihren orthodoxen Verbündeten einsetzen, was denn auch nachgewiesenermaßen geschah. Ihr war zweitens die Möglichkeit gegeben, Prag von der Gefahr des Bonner „Imperialismus" und somit von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik zu überzeugen, worum sich ζ. B. „Neues Deutschland" bis zum Juni bemühte. Eine dritte denkbare Vorgehensweise bestand darin, mit der KPTsch auf dem Verhandlungsweg zu einem neuen, einheitlichen Standpunkt i n der Deutschen Frage zu gelangen. Auch dieser Weg wurde, wie noch aufzuzeigen sein wird, beschritten. Bei der nun folgenden Erörterung der Deutschlandpolitik der DDRFührung in den Jahren 1967 und 1968 sind die genannten Möglichkeiten 1 Siehe hierzu die Zeittafel über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen durch die DDR bei: Hans-Adolf Jacobsen / Gert Leptin / Ulrich Scheuner / Eberhard Schulz (Hg.), Jahrzehnte (wie A n m . 3), S. 857. Über die Vielzahl der vergeblichen sowjetischen Schritte seit M i t t e der fünfziger Jahre, die eine Anerkennung der DDR bei westlichen und blockfreien Staaten zum Ziel h a t ten, berichtet: Christian Meier, Trauma deutscher Außenpolitik. Die sowjetischen Bemühungen u m die internationale Anerkennung der DDR, Stuttgart 1968. * A m Beginn dieser E n t w i c k l u n g steht die E r k l ä r u n g der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages zur europäischen Sicherheit v o m 6. J u l i 1966 i n Bukarest. Hierzu w i e zu späteren Verlautbarungen siehe u . a . : Hans-Adolf Jacobsen / Wolfgang Mallmann / Christian Meier (Hg.), Sicherheit (wie A n m . AII/8).

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

insoweit zu berücksichtigen, als es der innenpolitischen Thematik der Arbeit entspricht. 1. Grundsätzliches Ziel: Politische Abgrenzung von der Bundesrepublik Deutschland Das Scheitern des SED/SPD-Redneraustauschs i m Frühjahr 19663, insbesondere aber der Eintritt der SPD in eine Bonner Regierungskoalition mit der CDU/CSU i m Herbst des gleichen Jahres 4 und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien Ende Januar 1967 leiteten einen neuen Abschnitt i n der Abgrenzungspolitik der DDR-Führung gegenüber der Bundesrepublik ein 5 . Mag Walter Ulbricht noch bis 1966 von gewissen politischen Ubereinstimmungen mit der SPD und von eigenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sozialdemokraten ausgegangen sein, so sprach er nun enttäuscht davon, daß „einige SPD-Führer in die BunkerGemeinschaft mit der CDU/CSU" eingetreten seien. Seiner Meinung nach lag der „Rechtskurs dieser Regierung auf der Linie des Nationalsozialismus, des Revanchismus und der sozialen Reaktion" 6 . Ab 1967 wiederholte er folglich den von ihm seit zehn Jahren immer wieder unterbreiteten Vorschlag nicht mehr, beide deutschen Staaten sollten sich zu einer Konförderation zusammenschließen7. Hingegen betonte der Erste Sekretär des Z K der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR auf dem VII. SED-Parteitag vom A p r i l 19678: „Eine Vereinigung der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik m i t einem imperialistischen Westdeutschland i s t . . . natürlich nicht real".

Erst wenn die Bundesrepublik Deutschland die DDR als „Bannerträger der Nation" und als „Vorbild eines geeinten, friedlichen, sozialistischen Deutschland" respektiere, sei ein Zusammenschluß beider Staaten denkbar 9 . Damit nahm er den von Bonn erhobenen Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen nunmehr für die DDR i n Anspruch. 3 Wolfgang Bergsdorf, Der gescheiterte Dialog — Startzeichen f ü r eine neue Politik. Eine Analyse des Redneraustausches von SPD—SED 1966, i n : Deutschland Archiv, 11. Jg. (1978) Heft 2, S. 172. 4 Gerhard Wettig, Die Sowjetunion, die DDR u n d die Deutschland-Frage 1965—1976. Einvernehmen u n d K o n f l i k t i m sozialistischen Lager, Stuttgart 1976, S. 54. 5 Z u r Abgrenzungspolitik der SED während der Großen K o a l i t i o n siehe auch: DDR Handbuch (wie A n m . A I I I / 1 1 8 ) , S. 272 ff.; Siegfried Kupper, Beziehungen (wie A n m . Β III/70), S. 430 ff. 8 Walter Ulbricht, Uber den gemeinsamen Rechtskurs von Strauß bis Wehner, i n : ND, Nr. 329, v o m 30. November 1966, S. 1 f. 7 Vgl. Thomas Ammer, „BRD"-Forschung i n der D D R u n d Deutschlandp o l i t i k der SED, i n : Deutschland Archiv, 10. Jg. (1977) Sonderheft, S. 6. 8 Walter Ulbricht, E n t w i c k l u n g (wie A n m . Β I I / l ) , S. 64.

V I . Deutsche Frage

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Dies h i n d e r t e U l b r i c h t aber n i c h t daran, j a es schien i h n sogar z u v e r pflichten, die eigenstaatliche E n t w i c k l u n g d e r D D R z u beschleunigen. A u f der 2. T a g u n g des S E D - Z e n t r a l k o m i t e e s i m J u l i 1967 f ü h r t e er z u m Beispiel aus10: „Die Vollendung des Sozialismus i n der Deutschen Demokratischen Repub l i k liegt auch i m unmittelbaren Lebensinteresse der werktätigen Bevölkerung Westdeutschlands. Denn die DDR als sozialistischer Friedensstaat v e r t r i t t auch die Friedensinteressen der Werktätigen Westdeutschlands". D i e b e w u ß t e D i s t a n z i e r u n g z u r B u n d e s r e p u b l i k zeigte sich u. a. i m Staatsbürgerschaftsgesetz der D D R v o m 20. F e b r u a r 1967, das die seit 1913 bestehende e i n h e i t l i c h e deutsche Staatsbürgerschaft a u f h o b 1 1 . A m 12. J a n u a r 1968 v e r g r ö ß e r t e d a n n das neue Strafgesetzbuch der D D R d i e E n t z w e i u n g der b e i d e n deutschen Rechtssysteme 1 2 . Das 1967 v o n W a l t e r U l b r i c h t auf d e m V I I . S E D - P a r t e i t a g v e r k ü n d e t e E n t w i c k e l t e gesellschaftliche S y s t e m des Sozialismus u n d d i e gleichzeitig i n A u s s i c h t gestellte, a m 9. A p r i l 1968 schließlich i n K r a f t getretene z w e i t e D D R - V e r fassung v e r d e u t l i c h t e n zusammenfassend die m i t t l e r w e i l e eingetretene D i s k r e p a n z zwischen d e m l i b e r a l - d e m o k r a t i s c h e n p o l i t i s c h e n S y s t e m d e r B u n d e s r e p u b l i k u n d d e m t o t a l i t ä r v e r f a ß t e n der D D R . Das Desinteresse der P a r t e i - u n d S t a a t s f ü h r u n g d e r D D R a n i n n e r deutschen Gesprächen, die n i c h t z u r A u f g a b e des B o n n e r A l l e i n v e r tretungsanspruchs u n d zu einer „ V e r e i n b a r u n g ü b e r die A u f n a h m e n o r m a l e r B e z i e h u n g e n " zwischen b e i d e n deutschen S t a a t e n f ü h r t e n 1 3 , zeigte 9 Ders., Bedeutung (wie A n m . Β IV/4), S. 510 u n d 515. Vgl. ders., E n t w i c k lung (wie A n m . Β I I / l ) , S. 68 ff. Der Fortbestand einer einheitlichen deutschen Nation w a r freilich auch schon u m die Jahreswende 1967/68 i n der DDR nicht unumstritten, wenngleich sich damals die Ulbrichtsche Position durchsetzte. Z u m Contra: Albert Norden, Anklage gegen Bonns revanchistische Politik, i n : ND, Nr. 349, v o m 19. Dezember 1967, S. 3; A r t . 29 DDVE. Z u m Pro: o.V., Revanchismus auf der Anklagebank, i n : ND, Nr. 350, v o m 20. Dezember 1967, S. 1; Gerhard Kegel, Nationalistische Welle gegen die deutsche Nation, i n : ND, Nr. 20, v o m 20. Januar 1968, S. 6; A r t . 33 Abs. 1 DDV. Erst ab 1970 gewannen die Gegner der einheitlichen deutschen Nation unter Erich Honecker die Oberhand: Vgl. Peter Christian Ludz, Deutschlands doppelte Zukunft. B u n desrepublik u n d DDR i n der Welt von morgen, München 1974, S. 96. Dies zeigte sich vor allem bei der Verfassungsänderung von 1974; siehe hierzu: Dietrich Müller-Römer, Verfassung (wie A n m . Β II/14), S. 15. 10 Walter Ulbricht, Konstituierung der staatlichen Organe u n d Probleme ihrer wissenschaftlichen Arbeitsweise, i n : ND, Nr. 185, v o m 8. J u l i 1967, S. 6. 11 Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Repub l i k v o m 20. Februar 1967, G B l DDR 1967, T e i l I Nr. 2, S. 3. Hierzu als E r l ä u terung: Jan Peter Waehler, Das neue Staatsbürgerschaftsrecht der DDR, i n : Juristenzeitung, 23. Jg. (1968) Heft 23/24, S. 778 f. 12 Strafgesetzbuch (wie A n m . A I / 2 9 ) . Als Kommentar hierzu: Walther Rosenthal, Strafrechtsreform (wie A n m . Β 1/72), S. 5. 13 Vgl. Walter Ulbricht, Z u einigen außenpolitischen Fragen, i n : ND, Nr. 47, v o m 16. Februar 1967, Beiläge S. 15.

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sich besonders beim Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger und DDR-Ministerpräsident W i l l i Stoph vom 10. Mai bis 28. September 1967. W i l l i Stoph beharrte als Vorbedingung für weitere Verhandlungen auf einer „Aufnahme normaler Beziehungen", einer gegenseitigen „diplomatische(n) Anerkennung" bzw. der Normalisierung der innerdeutschen Beziehungen „wie sie zwischen Staaten üblich sind" 1 4 . Da Kurt-Georg Kiesinger nur Vereinbarungen über die Ausweitung menschlicher, wirtschaftlicher und geistiger Kontakte sowie über einen zwischenstaatlichen Gewaltverzicht treffen wollte 1 5 , verzichtete Stoph auf eine Fortsetzung des Meinungsaustauschs. Dieser Verzicht bedeutete einen schweren Rückschlag für die Ost- und Deutschlandpolitik der Großen Koalition 1 6 . Die zwischen Bonn und Moskau vom 12. Oktober 1967 bis 5. J u l i 1968 geführten Vorgespräche über den Austausch von Gewaltverzichtserklärungen beeinträchtigten die östliche Schrittmacherfunktion der DDR in der Deutschen Frage keineswegs, beharrte die UdSSR bereits am 21. November 1967 auf einem Interventionsrecht gegenüber der Bundesrepublik gemäß dem Potsdamer Abkommen und den Feindstaaten-Artikeln der UNO-Charta 1 7 . Erst die von Prager Reformsozialisten i m Jahre 1968 geforderte Politik der gleichberechtigten Partnerschaft der CSSR gegenüber allen Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, und der Prager Wunsch nach Wiederaufnahme der innerdeutschen Regierungskontakte von 1967 ließen die Bundesrepublik wieder für die DDRFührung zu einem höchst aktuellen innen- wie außenpolitischen Faktor werden. Eine Änderung der für 1967 beschriebenen Deutschlandpolitik Ost-Berlins war damit jedoch zunächst nicht verbunden. I n den ersten sieben Monaten des Jahres 1968 hielt Walter Ulbricht an der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik als Vorbedingung für weitere bilaterale Vereinbarungen fest. Dies geschah zum Beispiel i n seiner Reaktion auf den Bericht der 14 So seine Forderungen i n dem Briefwechsel m i t Kiesinger v o m 10. M a i und 18. September 1967, die u.a. dokumentiert sind bei: Ingo von Münch (Hg.), Dokumente des geteilten Deutschland. Quellentexte zur Rechtslage des Deutschen Reiches, der Bundesrepublik Deutschland u n d der Deutschen Demokratischen Republik, Stuttgart 1968, S. 428 ff. u n d 431 ff. 15 Siehe Kiesingers Briefe an Stoph v o m 13. J u n i u n d 28. September 1967: ebd., S. 223 f. u n d 225. Ferner die verschiedenen Regierungserklärungen der Bonner Großen K o a l i t i o n i n den Jahren 1966/67: Boris Meissner (Hg.), Ostp o l i t i k (wie A n m . A II/9), S. 161 ff. 18 Vgl. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik. E r f a h r u n gen und Maßstäbe, München 1970, S. 401; Peter-Claus Burens, Grundzüge (wie A n m . A II/9), S. 114 f. 17 UdSSR: V o n deutschem Boden darf kein K r i e g mehr ausgehen. E r k l ä r u n g der Sowjetregierung an die Regierung der BRD, überreicht am 21. N o vember 1967, i n : ND, Nr. 192, v o m 13. J u l i 1968, S. 2.

V I . Deutsche Frage

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Bundesregierung zur Lage der Nation vom 11. März 1968 18 . Daß die politische Elite der DDR diese Maximalforderung oftmals geschickt i n einen Kontext mit anderen Bedingungen einordnete, die innerhalb wie außerhalb der DDR auf allgemeine Zustimmung stoßen mußten, zeigt die Erklärung des Staatsrats vom 21. Juni des gleichen Jahres. Darin findet sich an erster Stelle der Vorschlag an die Bundesregierung, beide deutschen Staaten sollten dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen beitreten. Beide Seiten hätten zweitens den Verzicht auf die „Lagerung von Kernsprengköpfen auf den Territorien" ihrer Staaten auszusprechen. Die dritte Forderung enthielt den Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrags zwischen der DDR und der Bundesrepublik. I m vierten Punkt schließlich war das eigentliche Anliegen des Staatsrats enthalten, die völkerrechtliche Anerkennung des territorialen Status quo und der in Europa bestehenden Grenzen durch beide deutschen Staaten 19 . Ein wichtiger Hebel zur Verfolgung ihres Ziels einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung war für die politische Elite Ost-Berlins die damals noch rechtlich ungeklärte zivile Benutzung der Straßen, Schienen- und Wasserwege zwischen BerlinWest und der Bundesrepublik 2 0 . Die Verantwortung für die von ihr zu dem genannten Zweck durchgeführten Störungen des Personenund Güterverkehrs suchte sie immer der Bonner Politik zuzuschieben und die eigenen Motive als ehrenwert erscheinen zu lassen. So wartete sie stets ihr propagandistisch günstig erscheinende Momente für die Störungen des Β erlin-Verkehrs ab. Als sich Bundesinnenminister Ernst Benda, ein gebürtiger Berliner, zur Zeit der Studentenunruhen i n seiner Heimatstadt aufhielt, nahm dies der Innenminister der DDR am 13. A p r i l 1968 zum Anlaß, „den Ministern und leitenden Beamten der westdeutschen Bundesregierung bis auf weiteres die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin" zu verbieten 2 1 . Nachdem vom deutschen Bundestag am 30. Mai 1968 die sogenannte Notstands18 Walter Ulbricht, W i r gehen konsequent unseren guten Weg, i n : ND, Nr. 73, v o m 14. März 1968, S. 3 f. 19 E r k l ä r u n g des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, i n : ND, Nr. 172, v o m 23. J u n i 1968, S. 3. 20 Eine Regelung dieser Frage erfolgte erst durch das Viermächte-Abkommen über B e r l i n v o m 3. September 1971. Sein Wortlaut findet sich u . a . i n : Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d der Deutschen Demokratischen Republik- 1969—1979. Bericht und Dokumentation, hg. v o m Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1980, S. 158 ff. 21 Anordnung des Ministers des I n n e r n der Deutschen Demokratischen Republik vom 13. A p r i l 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I N r . 34, S. 199.

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

gesetzgebung verabschiedet worden w a r 2 2 , die nach der übereinstimmenden Auffassung der Partei- und Staatsführungen von DDR und UdSSR die „Verfolgung gegenüber Andersdenkenden" zulasse und den „Weg zur Errichtung einer militaristischen Polizeidiktatur" in der Bundesrepublik ebene 23 , beschloß die politische Elite der DDR zur „Sicherung" ihres eigenen Staates, die Paß- und Visapflicht für Bundesbürger und West-Berliner bei Reisen in oder durch die DDR einzuführen 24 . A u f Straßen und Wasserwegen der DDR wurde fortan eine Steuerausgleichsabgabe für Beförderungsleistungen von gewerblichen Unternehmen erhoben 25 . Zum gleichen Zeitpunkt erhöhte die DDR-Führung den verbindlichen Mindestumtauschsatz von fremder i n die eigene Währung, eine Regelung, die für Besucher aus westlichen Staaten, der Bundesrepublik und Berlin-West galt 2 6 . Nachdem bereits am 10. März 1968 Mitgliedern und Sympathisanten der NPD die Einreise in den zweiten deutschen Staat bzw. die Durchreise aus Gründen des „Schutz(es) der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Bürger vor den Umtrieben d'er neonazistischen Kräfte der westdeutschen Bundesrepublik und der selbständigen politischen Einheit Westberlin" verboten worden w a r 2 7 , untersagte die Partei- und Staatsführung am 11. Juni, Druckerzeugnisse oder andere Materialien mit neonazistischem Inhalt durch die DDR zu transportieren 28 . Seit Beginn des Jahres 1967 bis Mitte 1968 verfolgte die politische Elite der DDR i n der Deutschlandpolitik zwei eng miteinander verflochtene Ziele, bei deren Realisierung sie kaum Flexibilität zu zeigen bereit war. Sie bemühte sich gleichzeitig um eine verstärkte politische Abgrenzung des eigenen Staates von der liberal-demokratisch verfaßten 22

Z u deren Inhalten: Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München 1968. Kommuniqué (wie A n m . Β III/64), S. 1. 24 Fünfte Durchführungsbestimmung (wie A n m . A U/139). 25 A n o r d n u n g über die Erhebung einer Steuerausgleichsabgabe für Beförderungsleistungen westdeutscher u n d Westberliner Unternehmen auf Straßen u n d Wasserwegen der Deutschen Demokratischen Republik v o m 11. J u n i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 58, S. 333. 28 Anordnung über die Änderung des verbindlichen Mindestumtausches für Besucher, die zum privaten Aufenthalt aus Westdeutschland, den anderen nicht-sozialistischen Staaten u n d Westberlin i n die Deutsche Demokratische Republik einreisen v o m 11. J u n i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 58, S. 332. Die neuen Tagessätze betrugen zehn M a r k für die DDR u n d fünf M a r k für Berlin-Ost. 27 Anordnung zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Bürger vor den Umtrieben der neonazistischen K r ä f t e der westdeutschen Bundesrepublik u n d der selbständigen politischen Einheit Westberlin vom 10. März 1968, G B l DDR 1968, Teil I I Nr. 25, S. 110. 28 Anordnung über das Verbot von Transporten m i t Druckerzeugnissen der neonazistischen „ N P D " oder anderer neonazistischer Materialien i m Güterverkehr durch das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik v o m 11. J u n i 1968, G B l DDR 1968, T e i l I I Nr. 58, S. 332. 23

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V I . Deutsche Frage

Bundesrepublik Deutschland wie um eine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesregierung. Die innenpolitische Funktion dieser Politik bestand i n der Herausbildung eines DDR-Staatsbewußtseins und letztlich von „sozialistischen Persönlichkeiten". Das dabei gezeigte hohe Maß an Geradlinigkeit setzte das Wissen um eine Homogenität und Solidarität des Ostbündnisses in der Deutschen Frage voraus. Ein derartiges Ostbündnis hoffte die politische Elite mit ihren permanenten Hinweisen auf die anscheinend von der Bundesrepublik ausgehende Gefährdung des Friedens und das daraus erwachsende eigene Sicherheitsbedürfnis zu bewahren. Hier sei an die geschickte Abfassung des Staatsratsbeschlusses vom 21. Juni 1968 sowie an die Berlin-Politik erinnert. Zudem warnte das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland" die Partei- und Staatsführung der CSSR bis i n die erste JuliHälfte hinein vor dem Bonner „Imperialismus", wobei sie auf erste westliche Erfolge bei der geistigen Unterwanderung des südlichen Nachbarstaats verwies. Ab diesem Zeitpunkt bezeichnete „Neues Deutschland" das reformsozialistische Ideengut der maßgebenden Prager Politiker selbst als „konterrevolutionär". M i t h i n ging die politische Elite der DDR nach der Konferenz von Warschau am 14. J u l i 1968, an der die Partei- und Staatsführung der CSSR demonstrativ nicht teilgenommen hatte, von keinerlei politischen Gemeinsamkeiten mit den Prager Reformern mehr aus. Ihrer innen- und außenpolitischen Interessenlage entsprechend, mußte sie daher Prag von neuem für eine einheitliche Deutschlandpolitik zu gewinnen suchen, falls sich die sowjetische Führung nicht für eine umgehende, gewaltsame Beendigung des „Prager Frühlings" entscheiden sollte. 2. August

1968: Kooperationsbereitschaft

gegenüber

Bonn

Eine militärische Beendigung des „Prager Frühlings", die eine neue deutschlandpolitische Ubereinkunft zwischen den Partei- und Staatsführungen von DDR und CSSR überflüssig gemacht hätte, erwartete die politische Elite der DDR nach der Konferenz von Preßburg (Bratislava) am 3. August 1968 offenbar nicht mehr. Dort hatten alle Konferenzteilnehmer, einschließlich der tschechoslowakischen Führung, das Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus für das eigene politische Verhalten als verbindlich anerkannt. So nannte das Z K der SED denn auch diese Zusammenkunft der Ostbündnisstaaten einen Anlaß zu „tiefer Befriedigung" und ihre Ergebnisse „sehr positiv" 2 9 . Es kann wohl ferner unterstellt werden, daß die politische Elite der DDR 29 Beschluß der 7. Tagung des Zentralkomitees der SED, i n : ND, Nr. 219, vom 8. August 1968, S. 1. Siehe auch die gleichartige Berichterstattung i n „Neues Deutschland".

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um die knappen Mehrheitsverhältnisse i m Politbüro der KPdSU hinsichtlich einer militärischen Intervention i n der CSSR wußte 3 0 , die eine solche Entscheidung schwerlich erwarten ließen. Zudem verließen Anfang August die letzten sowjetischen Manövertruppen den südlichen Nachbarstaat, die seit Mai 1968 dort stationiert waren 3 1 . A u f der von Walter Ulbricht während der Parlamentsferien kurzfristig für den 9. August 1968 einberufenen Sondersitzung der Volkskammer 3 2 sprach der Erste Sekretär des Z K der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR ausschließlich über die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten 33 . Zumindest zwei gewichtige Gründe lassen aber die Bundesregierung nicht als Primäradressaten der Rede erscheinen, obwohl sie darin unmittelbar angesprochen und davon direkt betroffen wurde. Zum einen hatte die politische Elite der DDR offensichtlich von sich aus kein Interesse an Kontakten mit der Großen Koalition, was sich vor allem anhand der seit 11. Juni 1968 durchgeführten Erschwerung des Berlin-Verkehrs sowie der Berichterstattung in „Neues Deutschland" über die scheinbare „imperialistische" Unterwanderung der CSSR durch die Bonner Politik nachweisen läßt. Andererseits hatte die Hegemonialmacht des Ostbündnisses, die UdSSR, erst Anfang Juli 1968 die seit dem 12. Oktober 1967 geführten Vorgespräche über mögliche Gewaltverzichtsverhandlungen mit der Bundesregierung einseitig abgebrochen, weil diese eine Politik betreibe, „die den Frieden bedroht" 3 4 . Walter Ulbricht verstand denn wohl auch, was noch zu begründen sein wird, die von ihm einberufene Sondersitzung der Volkskammer i n erster Linie als einen Auftakt zu den gleichfalls von ihm gewünschten Gesprächen mit der KPTsch-Führung in Karlsbad am 12./13. August 196 8 3 5 . Der Hauptadressat seiner Volkskammerrede war demnach die Prager politische Führung 3 6 . 30 Bei der A b s t i m m u n g i m Politbüro der K P d S U über die Durchführung der Intervention soll die endgültige Entscheidung i n der Nacht v o m 16./ 17. August m i t 6 :5 Stimmen gefallen sein. Dazu: Michael Morozow, Leonid Breschnew (wie A n m . A/14), S. 241; Rudolf Ströbinger, V o m 21. August 1968 zum 20. J u n i 1973, i n : Die Politische Meinung, 18. Jg. (1973) Heft 149, S. 68. 81 Vgl. Heinz Brahm, K r e m l (wie A n m . A I I / 2 7 ) , S. 30 u n d 45 ff. 82 Vgl. Dettmar Cramer , Ulbricht w i l l den Anschluß nicht verpassen, i n : F A Z , Nr. 185, v o m 12. August 1968, S. 2. 88 Walter Ulbricht, Die friedliche Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten — eine Grundbedingung der europäischen Sicherheit, i n : ND, Nr. 221, vom 10. August 1968, S. 3 f. 84 Bonner Aggressionspolitik bedroht Frieden Europas. Aide-mémoire der Sowjetregierung an die Regierung der BRD, überreicht am 5. J u l i 1968, in: ND, Nr. 193, v o m 14. J u l i 1968, S. 1 f. Dieser Schritt wurde von „Neues Deutschland" ausdrücklich begrüßt: Herbert Kröger, Die Heuchler sind bloßgestellt, i n : ND, Nr. 198, v o m 19. J u l i 1968, S. 6. 85 A m 13. August bestätigte Ulbricht, daß dieses Treffen auf seinen Wunsch h i n stattgefunden habe: F ü r gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β 1/32), S. 3. 88 So auch: Dettmar Cramer , Ulbricht (wie A n m . Β VI/32), S. 2.

V I . Deutsche Frage

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I n seiner Red'e vom 9. August 1968 wiederholte Ulbricht meist altbekannte Forderungen an die Bundesregierung, wozu auch die Aufnahme „normaler" bilateraler Beziehungen gehörte 37 , allerdings nicht i n der früher gezeigten Kompromißlosigkeit 3 8 . Dies unterstreichen insbesondere die Aussagen, daß Verhandlungen zwischen Berlin-Ost und Bonn über einen gegenseitigen Gewaltverzicht, die Errichtung „bevollmächtigter Missionen" und Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit möglich seien 39 . Als daraufhin DDR-Außenhandelsminister Horst Solle den Bundeswirtschaftsminister K a r l Schiller wissen ließ, daß er in Kürze mit i h m zusammenzutreffen winsche 4 0 , konnte an der Ernsthaftigkeit der Ausführungen Ulbrichts nicht mehr gezweifelt werden. Damit hatte er seine zuvor eingenommene Haltung, zuerst auf die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik zu dringen und dann erst über bilaterale Einzelprobleme zu sprechen, ohne Gegenleistungen Bonns aufgegeben. M i t dieser flexibleren Politik dürfte er gehofft haben, einen größeren Einfluß auf die Deutschlandpolitik der Prager Reformpolitiker nehmen zu können, die sich, wie oben näher dargelegt, um verstärkte Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland bemühten und von der DDR-Führung die Wiederaufnahme der 1967 abgebrochenen innerdeutschen Regierungskontakte forderten. Die Konferenz von Karlsbad am 12./13. August 1968 war für die SED eine Plattform, auf der die deutschlandpolitischen Ausführungen Ulbrichts vor der Volkskammer von der KPTsch öffentlich gutgeheißen wurden 4 1 . M i t großer Wahrscheinlichkeit erkannte die KPTsch nun auch wieder die 1967 von den Ostbündnisstaaten vereinbarte Schrittmacherfunktion der DDR i n der Deutschen Frage an, was Ulbricht auf der Konferenz von Preßburg am 3. August offensichtlich noch nicht erreichen konnte 4 2 . I n Karlsbad ließ er hingegen an einer solchen Uber87

Walter Ulbricht, Koexistenz (wie A n m . Β VI/33), S. 4. Vgl. Dettmar Cramer , Ulbricht (wie A n m . Β VI/32), S. 2; Peter Bender, The Special Case of East Germany, i n : Studies i n Comparative Communism, Vol. 2 (1969) No. 2, S. 29. 80 Walter Ulbricht, Koexistenz (wie Anm. B VI/33), S. 4. 40 Vgl. ο. V., Bonn erwartet Ministergespräche m i t Ost-Berlin, i n : F A Z , Nr. 191, v o m 19. August 1968, S. 1 u n d 4. Darüber hinaus setzte sich Horst Solle f ü r eine ökonomische Kooperation m i t Großbritannien ein: Science and technology provide the basis for relations w i t h many countries, i n : Financial Times (London), No. 24624, v o m 21. August 1968, S. 10. 41 Gemeinsames K o m m u n i q u é (wie A n m . AII/141), S. 1; F ü r gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β 1/32), S. 3. 42 So: Gordon Brook- Shepherd I David Floyd, Czech T r i u m p h and Tragedy, Part 3, i n : The Sunday Telegraph (London), v o m 13. Oktober 1968, S. 6. I n diesem Sinn ist auch die Feststellung Ulbrichts zu interpretieren, daß es bei den Gesprächen i n Karlsbad u m die Durchführung des Konferenzbeschlusses von Preßburg sowie u m konkrete Maßnahmen der Zusammenarbeit zwischen den Parteien und Staaten ging: Vgl. Für gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β 1/32), S. 3. 88

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

einkunft keinerlei Zweifel aufkommen, indem er i m Beisein von Alexander Dubcek auf der abschließenden Pressekonferenz bekanntgab 4 3 : „Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der CSSR, Ungarn und Polen und der westdeutschen Bundesrepublik ist gebunden an die bekannten Bedingungen".

Daneben trafen beide Parteidelegationen auch Vereinbarungen über Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit 44 . Hierbei ist nicht auszuschließen, daß die SED, die um den Wunsch der tschechoslowakischen Wirtschaftsreformer nach ausländischen Krediten wußte, wirtschaftliche Kooperationsangebote nun ihrerseits als zusätzliches Mittel einsetzte, die KPTsch zu einem deutschlandpolitischen Einlenken zu bewegen 45 . Dies würde den überraschenden Vorschlag Walter Ulbrichts vom 9. August 1968 vollends erklären, die ökonomische Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Staaten sollte vertieft werden. I n den Gesprächen zwischen DDR-Außenhandelsminister Horst Solle und Bundeswirtschaftsminister K a r l Schiller hätte die DDR stillschweigend die Belange der CSSR mitvertreten können. Das von der SED i n Karlsbad ernsthaft verfolgte Ziel, die deutschlandpolitischen Vorstellungen der KPTsch mit den eigenen i n Einklang zu bringen 4 6 , schließt nicht aus, daß Ulbricht nach diesem Treffen einen kritischen Bericht über seine Gespräche an die sowjetische Führung sandte 47 . Seine grundsätzlich negative Einstellung zum „Prager Frühling" ist hinlänglich bekannt. I h m mußte aus verschiedenen Gründen auch jetzt noch daran gelegen sein, die Beendigung des Reformsozialismus i m südlichen Nachbarstaat zu betreiben, wenngleich er offenbar nach der Konferenz von Preßburg auch die Notwendigkeit erkannte, zu einem begrenzten Arrangement mit den tschechoslowakischen Politikern zu gelangen 48 . Angesichts der damals unbestimmbaren sowjeti43 F ü r gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β1/32), S. 3. Der Aussage von Richard Löwenthal, Ulbricht sei m i t leeren Händen aus Karlsbad zurückgekehrt, muß daher widersprochen werden: Sparrow (wie A n m . A I I / 2 2 ) , S. 21. 44 Gemeinsames K o m m u n i q u é (wie A n m . AII/141), S. 1; Für gute Zusammenarbeit (wie A n m . Β 1/32), S. 3 f. 45 Ähnliche Überlegungen finden sich bei: o.V., Weiterhin Meinungsverschiedenheiten zwischen Dubcek und Ulbricht, i n : F A Z , Nr. 187, v o m 14. A u gust 1968, S. 1 u n d 4. 46 Die Unterstellung, die D D R - F ü h r u n g habe vor ihrer Fahrt nach K a r l s bad von der bevorstehenden militärischen Intervention gewußt, weshalb das Treffen selbst n u r eine „Komödie" gewesen sei bzw. die F u n k t i o n gehabt habe, die KPTsch von den Invasionsvorbereitungen „abzulenken", entbehrt jedes Nachweises. So aber: Adolf Müller / Bedfich Utitz, Deutschland (wie A n m . 16), S. 108; Jifi Pelikan, F r ü h l i n g (wie A n m . A I I / 1 3 ) , S. 263. 47 Hiervon gehen aus: Gordon Brook- Shepherd / David Floyd , T r i u m p h (wie A n m . Β VI/42), S. 6; Melvin Croan, Czechoslovakia (wie A n m . 15), S. 5; Heinz Brahm, K r e m l (wie A n m . A I I / 2 7 ) , S. 60.

V I I . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

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sehen Reaktion auf den „Prager Frühling" war die DDR so gegenüber jedweder politischen Entwicklung i n Osteuropa gefeit 49 . Erst ab 20. August gab die politische Elite zu erkennen, daß sie eine gewaltsame Beendigung des „Prager Frühlings" wieder für möglich hielt. Das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland" druckte nämlich an diesem Tag einen Bericht der Moskauer „Prawda" vom 18. A u gust ab, i n dem massive Angriffe gegen die Prager Reformbewegung enthalten waren 5 0 . Abschließend sei noch einmal festgehalten, daß die SED-Führung unter Walter Ulbricht i m August 1968 die deutschlandpolitische Abhängigkeit der KPTsch durch die eigene Bereitschaft zu einer partiellen Kooperation mit Bonn, möglicherweise auch durch wirtschaftliche H i l fen für die CSSR, erkaufte. Den Preis für das Prager Entgegenkommen mußte man aus innen- und außenpolitischen Gründen zahlen: außenpolitisch, um die Gefahr einer zunehmenden Isolierung i m Ostbündnis zu bannen; innenpolitisch, da die deutschlandpolitischen Divergenzen zwischen politischer Elite und DDR-Bevölkerung durch eine Intensivierung der Beziehungen Prags zu Bonn vertieft werden konnten. Nach der militärischen Intervention vom 21. August, als eine Rücksichtnahme auf Prag bei der Konzipierung der Deutschlandpolitik nicht mehr erforderlich war, kehrte die politische Elite der DDR dann zur Politik der strikten Abgrenzung von der Bundesrepublik Deutschland zurück 5 1 . V I I . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen: Auswirkungen des „Prager Frühlings" auf die Innenpolitik der DDR Die innenpolitischen Reaktionen der politischen Elite der DDR auf das reformsozialistische Ideengut des „Prager Frühlings" zeigen, daß die maßgeblichen Politiker während des Untersuchungszeitraums geschlossen für die Sicherung ihrer als bedroht perzipierten Alleinherrschaft eintraten. Außer den Führungsgremien der Partei sprachen sich ferner 48

Vgl. Michel Tatù , L a visite de M. Ulbricht à K a r l o v y - V a r y , i n : L e Monde (Paris), Nr. 7335, v o m 14. August 1968, S. 2; Peter Bender, Case (wie A n m . Β VI/38), S. 29. 40 Vgl. Bettmar Cramer , Ulbricht (wie A n m . Β VI/32), S. 2; Ilse Spittmann, SED (wie A n m . 14), S 668 f. 50 I. Alexandrow, Die Beschlüsse von Cierna nad Tisou u n d Bratislava müssen durchgeführt werden, i n : ND, v o m 20. August 1968, S. 2. 51 Hier sei vor allem an die neue M i l i t ä r d o k t r i n der DDR erinnert: Wolfgang Wünsche, Gemeinsam den Sozialismus verteidigen. Z u den Grundlagen und Aufgaben der M i l i t ä r d o k t r i n der DDR, i n : ND, Nr. 325, v o m 23. November 1968, S. 5.

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Kap. Β : Innenpolitik der D D R und „Prager F r ü h l i n g "

der Staatsrat, der Ministerrat, die Verfassungskommission sowie das Organ des Zentralkomitees der SED „Neues Deutschland", die alle durch personelle Verflechtungen eng m i t der politischen Elite verbunden waren, für die Sicherung des Herrschaftsmonopols der SED-Führung aus. Zur Erreichung dieses Ziels verfolgten die genannten Institutionen i m Frühjahr und Sommer 1968 oftmals andere Wege als vor dem Beginn der tschechoslowakischen Reformbewegung oder aber als i m Zeitraum nach der CSSR-Intervention. Die in den verschiedenen Phasen jeweils ergriffenen Maßnahmen sollen nun zusammenfassend dargestellt werden. Entsprechend den i n Kapitel A gewonnenen Erkenntnissen werden dabei die innenpolitischen Entscheidungen der Partei- und Staatsführung vor allem als eine Reaktion auf die latenten bzw. aktualisierten Legitimierungsprobleme der SED-Herrschaft verstanden. Der von der politischen Elite i m unmittelbaren Zeitraum vor dem Beginn des „Prager Frühlings" unternommene Versuch, ihre vom Großteil der Bevölkerung abgelehnte uneingeschränkte Alleinherrschaft zu legitimieren, stützt sich auf drei nahezu gleichberechtigte Komponenten. Die Elite wollte ihr Ziel erreichen durch eine a) Erziehung der DDR-Bürger zu „sozialistischen Persönlichkeiten", wozu nicht zuletzt eine orthodox marxistisch-leninistische K u l t u r p o l i t i k beitragen sollte. Ideologische Freiräume zur persönlichen Entfaltung gab es n u r i m Bereich der Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften, von denen die Partei- und Staatsführung Anregungen für effizientere Organisationssysteme w i e die Herausbildung einer auf gesellschaftlicher Harmonie gründenden „sozialistischen Menschengemeinschaft" erhoffte; b) Mehrung des materiellen Wohlstands der Bevölkerung m i t Hilfe eines rationalisierten administrativen ökonomischen Planungs- und Leitungsmodells; c) P o l i t i k der Abgrenzung gegenüber der liberal-demokratisch verfaßten Bundesrepublik Deutschland, worauf u. a. die selbstbewußte Propagierung eines eigenen DDR-Modells m i t Vorbildanspruch und die Forderung nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR hinweisen. Der Zugang zu ökonomisch-technischen und gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnissen aus dem Westen wurde hierdurch allerdings nicht unterbunden.

Angesichts des „Prager Frühlings" und dem offensichtlich großen Interesse, das die DDR-Bevölkerung dem reformsozialistischen Gedankengut entgegenbrachte, modifizierte die Partei- und Staatsführung der DDR ihre Legitimierungsversuche. A b Ende März/Anfang A p r i l 1968, als i n Prag mit abermaligen personellen Veränderungen i n den politischen Führungsgremien der CSSR und der Verabschiedung des Aktionsprogramms der KPTsch die definitive Entscheidung für die Transformation des totalitär verfaßten politischen Systems gefallen

V I I . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

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w a r , paßte sie sich d e n i n d e r Tschechoslowakei geäußerten r e f o r m sozialistischen L e g i t i m i e r u n g s v o r s t e l l u n g e n p a r t i e l l oder scheinbar an. Dies h i n d e r t e sie a l l e r d i n g s n i c h t daran, z u v o r g e w ä h r t e ideologische F r e i r ä u m e de facto einzuengen. Beides sollte z u e i n e r S t a b i l i s i e r u n g der eigenen H e r r s c h a f t beitragen, ohne das M a c h t m o n o p o l z u gefährden. D i e P a r t e i - u n d S t a a t s f ü h r u n g d e r D D R h i e l t es n u n m e h r f ü r o p p o r t u n , eine a) konsequente Verfolgung kollektivistischer Gesellschaftsziele i m k u l t u rellen Bereich w i e bei manchen Regelungen i m Rahmen der Verfassungsgebung zurückzustellen bzw. bei der „indirekten Zentralisierung" des Wirtschaftssystems und der Propagierung des sowjetischen „ G r u n d modells" i m gesellschaftspolitischen Raum weitgehend zu verschleiern. Ungeachtet einer weiteren rechtlichen Verselbständigung der P r o d u k tionsbetriebe und eines formellen Festhaltens an dem Ziel der „sozialistischen Menschengemeinschaft" wuchsen i n W i r k l i c h k e i t fortan die Abhängigkeiten der Unternehmen von den Entscheidungen der zentralen Wirtschaftsverwaltungsorgane, und auch die wissenschaftlichen F o r schungsfreiräume erfuhren eine bedeutende Einengung; b) außerordentliche Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerung vorzunehmen, was trotz der eingeleiteten Rekonzentration des Wirtschaftssystems durch eine Verringerung des Zuwachses an Reserven und Beständen ermöglicht wurde; c) P o l i t i k der Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zunächst fortzusetzen und u m Abgrenzungsversuche v o m „konterrevolutionären" reformsozialistischen Prager Ideengut zu erweitern, worauf die i m Presse- und Nachrichtenwesen ergriffenen Maßnahmen h i n w e i sen. Erst i m Anschluß an die Konferenz von Preßburg v o m 3. August 1968, auf der sich die tschechoslowakischen Reformpolitiker zum Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus bekannten, änderte die politische Elite der D D R ihre Haltung. U m die Prager Reformsozialisten i n Verhandlungen für eine einheitliche Deutschlandpolitik zu gewinnen, ließ sie n u n eine partielle Kooperationsbereitschaft gegenüber der Großen K o a l i t i o n i n Bonn erkennen. B e i e i n e r G e g e n ü b e r s t e l l u n g d e r v o r u n d w ä h r e n d des „ P r a g e r F r ü h l i n g s " u n t e r n o m m e n e n L e g i t i m i e r u n g s v e r s u c h e der D D R - F ü h r u n g soll e n zunächst die m a t e r i e l l e n u n d deutschlandpolitischen E n t s c h e i d u n g e n e r w ä h n t w e r d e n . Sie entsprachen 1968 b z w . i m A u g u s t 1968 i n e i n e m z u m V o r j a h r vergleichsweise h o h e n M a ß d e n W ü n s c h e n der m i t t e l d e u t schen B e v ö l k e r u n g . H i n s i c h t l i c h i h r e r Versuche, eine k o l l e k t i v i s t i s c h e G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g z u e r r i c h t e n , v e r l a g e r t e die politische E l i t e ab M ä r z / A p r i l 1968 die S c h w e r p u n k t e i h r e r B e m ü h u n g e n v o m k u l t u r e l l e n a u f die w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n u n d gesellschaftswissenschaftlichen B e reiche. G l e i c h z e i t i g m i t d e m B e g i n n d e r R e k o n z e n t r a t i o n des W i r t schaftssystems w i e d e m A b b a u der ideologischen F r e i r ä u m e i n d e n Gesellschaftswissenschaften m a ß sie d e r ideologischen I n d o k t r i n a t i o n m i t k u l t u r e l l e n M i t t e l n w e n i g e r B e d e u t u n g b e i als z u v o r . Dieser k a m 11

Burens

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

n u n n i c h t m e h r die F u n k t i o n zu, die sie i n d e n J a h r e n seit 1965 o f f e n b a r besessen hatte,, die pragmatische D e n k w e i s e der R e f o r m w i l l i g e n i n der D D R machtpolitisch zu neutralisieren 1. V e r g l e i c h t m a n die politische P r a x i s i n der D D R v o m H e r b s t 1968 bis z u m F r ü h j a h r 1969 m i t der an a n d e r e r Stelle dargelegten t o t a l i t ä r e n V e r f a ß t h e i t des p o l i t i s c h e n Systems, d a n n ist e i n h o h e r K o r r e l a t i o n s g r a d zwischen b e i d e n festzustellen 2 . N a c h d e m die a k u t e n B e d r o h u n g s v o r s t e l l u n g e n der D D R - F ü h r u n g d u r c h die m i l i t ä r i s c h e I n t e r v e n t i o n v o n f ü n f W a r s c h a u e r - P a k t - S t a a t e n i n d e r CSSR a m 21. A u g u s t 1968 abg e n o m m e n h a b e n d ü r f t e n , g a l t es, d i e W i e d e r h o l u n g einer d e r a r t p r e k ä r e n i n n e n p o l i t i s c h e n S i t u a t i o n w i e z u r Z e i t des „ P r a g e r F r ü h l i n g s " k ü n f t i g zu v e r h i n d e r n . D i e m a ß g e b e n d e n P o l i t i k e r f a v o r i s i e r t e n daher eine a) verstärkt orthodox marxistisch-leninistische I n d o k t r i n a t i o n der D D R Bürger. Dies geschah durch die konsequente praktische Umsetzung der bereits 1967 und zu Beginn des Jahres 1968 gefaßten einseitigen k u l t u r politischen Beschlüsse, die vermehrten Appelle an die Plandisziplin i m volkswirtschaftlichen Bereich und die Reaktivierung von klassenkämpferischem Gedankengut i n den Gesellschaftswissenschaften. Neben die bereits zur Zeit des „Prager Frühlings" eingeleitete Rekonzentrierung des Wirtschaftssystems traten nunmehr zentrale Leiteinrichtungen i n Wissenschaft und K u l t u r . Vereinzelt wurden auch Systemkritiker verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die DDR-Führung stellte folglich schon nach einem Jahr ihre Bemühungen u m die Herausbildung einer „sozialistischen Menschengemeinschaft" ein und favorisierte an ihrer Stelle die D i k t a t u r des Proletariats; b) i m Vergleich zu 1966/67 annähernd kontinuierliche Entwicklung i m sozialpolitischen Bereich, bei gleichzeitigem und fortgesetztem A b b a u der Wirtschaftsreformen von 1963; c) Intensivierung der politischen Abgrenzungsversuche zur Bundesrepub l i k Deutschland, zur CSSR und n u n auch vor allem gegenüber Vertretern anderer sozialistischer Pluralismusmodelle. Der Konvergenztheorie wurde dabei entschieden widersprochen und eine noch engere politische Anlehnung an die UdSSR gesucht. 1 Ähnliche Zusammenhänge zwischen Ideologie u n d Ökonomie sieht auch Hannah Arendt, wenn sie über die politischen Entscheidungen i n der DDR während der sechziger Jahre berichtet: Macht und Gewalt, 2. Aufl. München 1971 (dt.), S. 122. Vgl. Radoslav Selucky, Wunder (wie A n m . A I I I / 1 4 1 ) , S. 1075. 2 Georg Brunner hält denn auch spätestens seit dem „Prager F r ü h l i n g " die von Peter Christian Ludz vertretene These für widerlegt, die DDR habe sich von einem totalitären Staat zu einem autoritären Staat gewandelt: Georg Brunner, K o n t r o l l e (wie A n m . A1/23), S. 124. Die Ludzsche Aussage findet sich insbesondere i n : E n t w u r f (wie A n m . A I / 4 7 ) , S. 11 ff. Ilse S p i t t mann und M a r t i n Jänicke weisen zu Recht darauf hin, daß das Gewaltsamkeitspotential eines politischen Systems oft erst i n einer akuten Krise sichtbar w i r d : Ilse Spittmann, DDR-Forschung i m Wandel. Zur ersten empirischsystematischen Analyse der SED-Führung, i n : SBZ Archiv, 19. Jg. (1968) Heft 3, S. 40; Martin Jänicke, Krisenbegriff und Krisenforschung, i n : ders. (Hg.), Herrschaft u n d Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Opladen 1973, S. 16.

V I I . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

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Der von der Partei- und Staatsführung der DDR seit dem Herbst 1968 erhobene Anspruch, das Herrschaftsmonopol der SED werde i n erster Linie durch die orthodox marxistisch-leninistische Ideologie legitimiert, unterscheidet sich in der Schwerpunktsetzung von den vorangegangenen Legitimierungsversuchen. So zeigten sich die führenden Politiker der DDR, i m Gegensatz zum Frühjahr und Sommer 1968, nicht bereit, ihren Bürgern i n ideologischen und deutschlandpolitischen Fragen Zugeständnisse bzw. Scheinkonzessionen zu machen. Auch kürzten sie 1969 i n hohem Maße die i m Vorjahr gewährten außerordentlichen konsumtiven Ausgabensteigerungen zugunsten einer verstärkten A k k u mulation des Nationaleinkommens (Investitionen, Zuwachs an Reserven und Beständen). Von den innenpolitischen Entscheidungen des Jahres 1967 unterschied sich die nach der CSSR-Intervention verfolgte Politik weniger i n kultur-, sozial- und deutschlandpolitischen Fragen, als in der Organisation des Wirtschaftssystems und i n dem Grad an gesellschaftswissenschaftlichen Freiräumen. Letztere waren seit dem „Prager Frühling" eingeengt worden. Die zu verschiedenen Zeiten unternommenen, i n ihrer A r t oftmals ähnlichen, in der Intensität aber ungleichen Legitimierungsversuche der DDR-Führung glichen sich angesichts des „Prager Frühlings", in erster Linie jedoch nach der militärischen Intervention in der CSSR vom 21. August 1968, mehr und mehr den orthodoxen marxistisch-leninistischen Vorstellungen an, wie sie von der KPdSU unter Leonid Breschnew seit 1965 verfolgt worden waren. Das betraf insbesondere den ökonomischen wie gesellschaftswissenschaftlichen Bereich und bedeutete einen Verzicht auf eigene Modellansprüche. Erfolgte diese innenpolitische Zäsur aufgrund der perzipierten politischen Bedrohung zunächst offenbar freiwillig von seiten aller maßgebenden Politbüromitglieder und ZK-Sekretäre, so suchte Erich Honecker die einseitige ideologische Legitimierung der SED-Herrschaft auch noch 1969 und danach zu favorisieren, was dem Willen des bis dahin einflußreichsten DDR-Politikers, Walter Ulbricht, widersprach. Das erfolgreiche Eintreten für die Diktatur des Proletariats als einzig mögliches politisches Systemmodell wurde Honecker nun von Gleichgesinnten in der Partei, vor allem aber von der KPdSU, ermöglicht, die angesichts des „Prager Frühlings" das Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus für alle Ostbündnisstaaten aktualisiert hatte. Die sogenannte Breschnew-Doktrin forderte auch von der DDR eine Ausrichtung ihrer Innenpolitik nach dem sowjetischen Vorbild, d. h. den Abbau von politisch-ideologischen Freiräumen. Sie brachte somit für die politische Elite der DDR einen Verlust an autonomer Handlungsfähigkeit, was Ulbricht wohl gerne auf außenpolitische Frali*

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Kap. Β : Innenpolitik der DDR und „Prager F r ü h l i n g "

gen hätte beschränkt wissen wollen, bei denen schon immer die größte Abhängigkeit Ost-Berlins von der sowjetischen Hegemonialmacht bestand. Wenn man bedenkt, daß der „Prager Frühling" der auslösende Faktor für die Verkündung der sogenannten Breschnew-Doktrin war, dann kann die Ablösung von Walter Ulbricht durch den moskauhörigen Dogmatiker Erich Honecker i m A m t des Ersten Sekretärs des Z K der SED am 3. Mai 1971 als Spätfolge der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung angesehen werden. Als unmittelbare Gründe hierfür sind vor allem die veränderte sowjetische Deutschlandpolitik seit 1969 und wachsende ökonomische Probleme zu nennen 3 . Ein abschließender Vergleich zwischen dem innenpolitischen Verhalten der DDR-Führung angesichts des „Prager Frühlings" einerseits bzw. des polnischen und ungarischen Revisionismus von 1956 andererseits weist eine beachtliche Zahl heuristisch fruchtbarer Analogien i n den politischen Teilbereichen Presse- und Nachrichtenwesen, Sozial- und Kulturpolitik aus. Hinsichtlich der wirtschaftsorganisatorischen und gesellschaftswissenschaftlichen Entscheidungen sind dagegen aufgrund unterschiedlicher historischer Voraussetzungen nahezu keine Parallelen nachweisbar. Die Favorisierung von einseitig ideologischen Legitimierungsversuchen kann allerdings sowohl für den Zeitraum nach dem „Polnischen Oktober" bzw. der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands als auch nach der militärischen Beendigung des „Prager Frühlings" vermerkt werden. I n diesem oder gar i n anderen der vorgenannten Fälle von typischen, auf gespeicherten Gedächtnisinhalten basierenden Verhaltensmustern der politischen Elite der DDR bei externen sozialistischen Reformbewegungen zu sprechen, verbietet die Beschränkung der Vergleiche auf nur zwei Beispiele mit zum Teil andersartigen historischen Rahmenbedingungen.

3 Vgl. zu den Gründen: Peter S. 144 ff.

Christian

Ludz, DDR (wie A n m . Β I I I / 7 1 ) ,

Schlußwort Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung liegt in der Erhellung eines konkreten historischen Geschehens. Die Bedeutung und Auswirkungen der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung für die Innenpolitik der DDR i m Jahre 1968 sind Gegenstand dieser Arbeit. Hierzu konnten differenzierte Aussagen getroffen werden, die verkürzt folgendermaßen zu skizzieren sind: Das sozialistische Pluralismusmodell des „Prager Frühlings" besaß für das totalitär verfaßte politische System der DDR eine große innenpolitische Relevanz, aktualisierte es doch latente Legitimierungsprobleme, sei es in ideologischen, sozial- oder deutschlandpolitischen Fragen. Es zwang schließlich die politische Elite der DDR zur Einengung von ehedem gewährten ideologischen Freiräumen i m ökonomischen und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, was durch gleichzeitig (erfolgende Scheinkonzessionen verschleiert werden sollte. Außerdem wurden angesichts der Prager Vorkommnisse materielle Zugeständnisse gegenüber der DDR-Bevölkerung gemacht und innerdeutsche Kooperationsangebote unterbreitet. Über die Analyse eines konkreten historischen Geschehens hinaus besitzt diese Arbeit im Rahmen einer noch zu leistenden umfassenden Untersuchung über das innenpolitische Verhalten der DDR-Führung bei externen, als systembedrohend perzipierten sozialistischen Reformbewegungen eine wichtige Pilotfunktion. U m zu allgemeingültigen Thesen hierüber zu gelangen, bedarf es einer Vielzahl von zeitgeschichtlichen Fallstudien, die neben singulären immer auch verallgemeinerungsfähige Ergebnisse beinhalten müßten. Außer dem „Prager Frühling" (1968) und dem polnischen wie ungarischen Revisionismus (1956) sind als mögliche Untersuchungsgegenstände u. a. der jugoslawische Kommunismus, der sogenannte Eurokommunismus in Westeuropa und die Dissidentenbewegung in den Ostbündnisstaaten, einschließlich der polnischen A r beiterstreiks von 1970, 1976 und 1980/81, zu erwähnen. Darüber hinaus könnten auch die i n der Bundesrepublik Deutschland lebenden DDRIntellektuellen die Innenpolitik des zweiten deutschen Staates beeinflußt haben, vor allem i m unmittelbaren Anschluß an die Ausbürgerung des Schriftstellers Wolf Biermann vom 16. November 1976. Letztlich bliebe zu prüfen, ob bzw. inwieweit eine vergleichende Studie über die

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Schlußwort

Beeinflussung innenpolitischer Entwicklungen i n der DDK durch die gewaltsamen sowjetischen Interventionen von 1953 (DDR), 1956 (Ungarn), 1968 (CSSR) und 1979 (Afghanistan) zur Verallgemeinerung eines Teils der in dieser Untersuchung gewonnenen Aussagen beitragen kann. W i l l man über die Erarbeitung eines theoretischen Modells für innenpolitische Entwicklungen i n der DDR angesichts von externen reformsozialistischen Faktoren hinaus zu allgemeinen Ergebnissen für Ostbündnisstaaten gelangen, dann sind für das Jahr 1968 und andere, oben bereits genannte Zeiträume Parallelstudien zu der vorliegenden Arbeit anzufertigen. Länder wie Bulgarien, Polen, die UdSSR und Ungarn, die zusammen mit der DDR an der militärischen Besetzung der CSSR teilnahmen, scheinen hierbei als Untersuchungsobjekte besonders geeignet. Der Versuch, durch die Anfertigung einer Vielzahl von historischen Fallstudien allgemeingültige Thesen für den angesprochenen Problembereich aufzustellen, leistet einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung einer für die DDR- bzw. zeitgeschichtliche Osteuropaforschung zentralen Fragestellung. Sie lautet: Führt das Bewußtsein der politischen Eliten der DDR bzw. der Ostbündnisstaaten um aktuelle wie existentielle Legitimierungsprobleme ihrer Herrschaft zu größeren individuellen Partizipations- und Entfaltungsmöglichkeiten für die Bürger dieser Staaten, oder fördert es letztlich nur eine unflexible Innenpolitik der einseitigen ideologischen Indoktrination? Die Beantwortung dieser Frage ermöglicht es, die Grenzen von systemkonformen Reformmöglichkeiten i m orthodoxen Marxismus-Leninismus offenzulegen und praktische Ratschläge für die Außenpolitik der westlichen Staaten zu geben. Für die Bonner Ost- und Deutschlandpolitik ζ. B. hätte das erfragte Wissen konzeptionelle Bedeutung, ist die Bundesregierung doch darum bemüht, internationale Bedingungen zu schaffen, die eine innenpolitische Liberalisierung i n der DDR und den übrigen Ostbündnisstaaten bewirken sollen. Die vorliegende historische Fallstudie enthält wesentliche Erkenntnisse zur Beantwortung dieses Fragenkomplexes, die anhand weiterer Untersuchungen zu überprüfen sind: Die Entscheidungen der politischen Elite der DDR zur Zeit des „Prager Frühlings" legen die Vermutung nahe, die DDR-Führung sei bei vermeintlichen externen Bedrohungen zu einem innenpolitischen Entgegenkommen in solchen Bereichen bereit, die von der Sache her keine unmittelbaren Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bevölkerung eröffnen und demnach das Machtmonopol der SED nicht beeinträchtigen; hier sind für 1968 vor allem die Sozial- und die Deutschlandpolitik zu nennen. Daneben deuten die Reaktionen der Partei- und Staatsführung der DDR i n den machtpolitisch brisanten sozio-ökonomischen Teilgebieten darauf hin, daß die

Schlußwort

Sicherung des Herrschaftsmonopols der SED in Krisenzeiten, trotz verschiedener Scheinkonzessionen, oberste Priorität hat; zur Zeit der tschechoslowakischen Erneuerungsbewegung wurden dementsprechend die ohnehin nur sehr beschränkt vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten der DDR-Bürger erneut eingeschränkt.

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