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German Pages 288 [290] Year 2021
Ein Ausnahmephänomen mittelalterlicher Architektur Die qualitätvollen Burgen, die Kaiser Friedrich II. in Süditalien und Sizilien erbauen ließ, wurden – weil sein Vater Staufer war – lange als Ausdruck deutscher ‚Größe‘ verstanden. Die meiste Zeit verbrachte der Kaiser jedoch in Italien und war dort von einer Kultur umgeben, die sich aus arabischen, byzantinischen und norman-
Dr. phil. Dr.-Ing. Thomas Biller ist Architektur- und Kunsthistoriker und Inhaber eines Büros für Baugeschichte und Bauforschung in Freiburg im Breisgau. Er ist einer der profiliertesten Burgenforscher Deutschlands und verfasste zahlreiche Publikationen zur Architekturgeschichte.
Umschlagmotive: Friedrich II. in De arte venandi cum avibus, Vatikan. Apostol. Bibl., Cod. Pal. Lat. 1071; Castel del Monte © Thomas Biller; Syrakus, Castel Maniace, Rekonstruktion des Innenraums © Joe Rohrer, bildebene.ch Umschlaggestaltung: Jutta Schneider
nischen Einflüssen speiste. Aus dieser Kultur sind die Stauferburgen Süditaliens entstanden, die zu den wichtigsten mittelalterlichen Herrschaftsbauten Europas zählen: Catania, Syrakus und das legendäre Castel del Monte. Mit vielen Plänen und Abbildungen gibt der renommierte Burgenforscher Thomas Biller einen neuen Überblick aller italienischen Burgen Friedrichs II.
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4309-3
Biller · Die Burgen Kaiser Friedrichs II. in Süditalien
Thomas Biller
Die Burgen Kaiser Friedrichs II. in Süditalien Höhepunkt staufischer Herrschaftsarchitektur
Im deutschen Geschichtsgedächtnis gilt die Stauferzeit und besonders die Regentschaft Friedrichs II. als Höhepunkt des mittelalterlichen Kaiserreichs. Die süditalienischen Burgen des Kaisers fanden lange besondere Beachtung bei deutschen Forschern, weil sie von einem Staufer erbaut worden sind. Vernachlässigt wurde dabei, dass Friedrich II., als Sohn einer normannischen Mutter in Sizilien geboren, den weit größeren Teil seines Lebens in Italien verbrachte. Erst in jüngerer Zeit ermöglichten neue Betrachtungen der Person des Kaisers, verbunden mit Fortschritten der internationalen Burgenforschung, ein differenzierteres Verständnis der friderizianischen ‚Kastelle‘. Ihre Architektur wird heute als Verschmelzung kultureller Einflüsse gedeutet, die so nur im mediterranen Raum möglich war.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Gestaltung und Satz: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layoutund Satzwerkstatt, Nierstein Lektorat: Dirk Michel, Mannheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Deutschland Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4309-3
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Intentio vero nostra est manifestare in hoc libro …, ea que sunt sicut sunt. Unsere wahre Absicht ist, in diesem Buch das, was ist, so festzuhalten, wie es ist. Friedrich II., De arte venandi cum avibus, Ausgabe Willemsen, 1969, Bd. 1, S. 2
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1. FRIEDRICH II. – MENSCH UND MYTHOS
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1.1. Herrschaftsansprüche in Deutschland 1.2. Herrschaft und Staat in Sizilien 1.3. Der Kreuzzug 1.4. Der Kampf um die Lombardei 1.5. Der Konflikt mit den Päpsten 1.6. Hofkultur und Wissenschaft 1.7. Friedrich II. in seiner Epoche
2. DIE BURGEN FRIEDRICHS II. IM KÖNIGREICH SIZILIEN 2.1. Zur Forschungsgeschichte 2.2. Funktionen der Burgen 2.3. Burgenbau vor Friedrich II. 2.4. Die Architektur der Burgen 2.4.1. Unregelmäßige Anlagen 2.4.2. Die Kastelle 2.4.3. Die Idealbauten 2.4.4. Die Jagdschlösser 2.5. Die Bauteile 2.5.1. Räume und Raumfunktionen 2.5.2. Elemente der Befestigung 2.6. Entwerfer und Bauverwalter 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik 2.8. Der Mythos des „staufischen“ Buckelquaders
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3. SÜDITALIENISCHER BURGENBAU NACH FRIEDRICH II.
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4. DER BURGENBAU FRIEDRICHS II. ZWISCHEN SYMBOLIK UND FUNKTIONALITÄT – EINE ZUSAMMENFASSUNG
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5. DIE BAUTEN
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Sonderliste: Bauten, die unbeweisbar Friedrich II. zugeschrieben wurden Literatur Bildnachweis
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ie „staufischen Kastelle“ in Apulien und Sizilien, wie sie früher gerne bezeichnet wurden, waren in den ersten siebzig Jahren des 20. Jh. ein Thema, das nicht allein bei deutschen Architektur- und Kunsthistorikern Aufmerksamkeit fand. Vielmehr waren sie zeitweise geradezu populär, insbesondere in den 1920er/30er Jahren. Grund dieser über Fachkreise hinausreichenden Beachtung war damals aber nicht so sehr die Qualität der Architektur oder gar ihr evolutionärer Stellenwert, wie ihn die Wissenschaft zu erhellen versuchte. Grund war vielmehr der Mythos der „Staufer“, deren Herrschaft – unter Mitwirkung vieler Historiker – zur glanzvollen Kulmination eines „Ersten Deutschen Reiches“ überhöht worden war. Damit bot dieser Mythos in den autoritär geprägten Phasen der neueren deutschen Geschichte, vom Wilhelminismus bis zum „Dritten Reich“, einen willkommenen Anknüpfungspunkt für neue Größenphantasien. Die Bauten und ihre hohe Qualität wurden zum besonders sichtbaren Ausdruck dieser Größe überhöht, die bedenkenlos zu einer „deutschen“ erklärt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwand diese Betrachtungsweise, aber das lange bestehende Interesse am „Südreich der Hohenstaufen“ wirkte natürlich dennoch fort, vor allem in der Auswahl der Bauten, auf die deutsche Kunsthistoriker ihr Interesse richteten. Bis heute erscheinen einschlägige Einzelstudien, wobei allerdings der letzte Versuch eines Überblicks in deutscher Sprache schon vor vier Jahrzehnten publiziert wurde. In seinen „Pfalzen und Burgen der Stauferzeit“ von 1981 – letzte Auflage 1992 – widmete Walter Hotz immerhin
50 von 360 Seiten dem Thema „Staufische Burgen in Reichsitalien“, die er damit allerdings ein weiteres Mal implizit als quasi deutsche Burgen ansprach und nicht etwa als solche Süditaliens bzw. als das Ergebnis von Einflüssen aus großen Teilen Europas und des Mittelmeerraumes. In den letzten Jahrzehnten hat das Thema aber in neuartiger Weise Beachtung gefunden. Einerseits haben sich englischsprachige Historiker mit der Interpretation der ungewöhnlichen und faszinierenden Persönlichkeit Friedrichs II. beschäftigt. Sie distanzierten sich mit Entschiedenheit von der nationalistischen Sicht früherer deutscher Autoren und formulierten neue Würdigungen, in denen das vermeintlich „Deutsche“ des Kaisers keine Rolle mehr spielt. Vielmehr unterstreichen sie Friedrichs hoch entwickelte Fähigkeit, vielfältige Anregungen (nicht nur) aus den kulturellen Traditionen seiner süditalienischen Heimat zu verarbeiten. Parallel zu dieser neuen historischen Sicht hat sich in den letzten Jahrzehnten außerdem die italienische Forschung stärker mit den Bauten zu befassen begonnen, wobei auch – gelegentlich in Kooperation mit französischen oder deutschen Spezialisten – neue Methoden der Archäologie, Vermessung und Bauforschung angewendet werden. Besonders zu erwähnen ist hier Pio Francesco Pistilli von der Universita‘ Degli Studi Di Roma La Sapienza, dessen wichtige Veröffentlichungen methodisch und in ihrer guten Kenntnis auch der nicht-italienischen Forschung hervorstechen. Als Beispiel sorgfältiger Auswertung von Schriftquellen, die zu neuen und abgesicherten Erkenntnissen geführt hat, sind die
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Ausführungen von Nunzio Tomaiuoli über die Burg in Manfredonia zu unterstreichen, die er für die ebenfalls vorbildhafte „Storia di Manfredonia“ verfasst hat. Vierzig Jahre nach dem letzten Überblick über den Burgenbau Friedrichs II. lag es nach alledem nahe, sich dem Thema ein weiteres Mal zuzuwenden. Denn nicht nur die vielen neuen Einzelergebnisse, sondern auch die grundsätzlich veränderte Betrachtungsweise von Person und Epoche ließen ein wesentlich verbessertes Verständnis auch der Bauten erwarten, an deren herausragender Qualität innerhalb der europäischen Architektur des 13. Jh. sich ja nichts geändert hat. Hinzu kam, dass es in den Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen weiteren Ländern Europas ebenfalls große Fortschritte in der Erforschung des Burgenbaues gegeben hat, die ein verbessertes Verständnis des friderizianischen Burgenbaues erwarten ließen, sobald man sie nämlich zur Entwicklung im Königreich Sizilien in Beziehung setzte. Für dieses Buch war selbstverständlich eine Reihe von Reisen nach Süditalien nötig, auf denen ich an teils lange zurückliegende Besuche anknüpfen konnte. Die meisten friderizianischen Burgen sind heute frei zugänglich, als Museen, Veranstaltungszentren oder zumindest als gepflegte Sehenswürdigkeiten – eine erfreuliche Entwicklung, nachdem früher viele von ihnen wegen militärischer oder administrativer Nutzungen nicht zu besichtigen waren. Andere Anlagen standen als offene Ruinen von jeher der Besichtigung offen. Besondere Erlaubnisse mussten daher in der Regel nicht mehr beantragt werden – oder sie waren a priori ohne Chance, wie vor allem im Falle des „castello svevo“ von Brindisi, das als Sitz eines Marinekommandos auch der Forschung nach wie vor verschlossen bleibt. Quasi als Gegengewicht dazu möchte ich die
Unterstützung der Architektin Rosa Mezzina vom Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo besonders hervorheben, die mir nicht nur den Zugang zu den in einer zweiten Restaurierung befindlichen Teilen der Burg Trani ermöglichte, sondern auch viele Befunde intensiv mit mir diskutierte. Die Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom kopierte mir das gesamte, großformatige Werk von Arthur Haseloff über die Burg in Bari (1906), das man in keiner deutschen Bibliothek ausleihen kann. Darüber hinaus gilt mein Dank vor allem denen, die mich auf Reisen nach Süditalien begleitet haben. Das bezieht sich vor allem auf meine Frau Jutta Lubowitzki, aber auch auf meinen jahrzehntelangen elsässischen Freund und Arbeitspartner Bernhard Metz und seine Frau Elisabeth Clementz; wir besuchten gemeinsam Sizilien. Dr. Daniel Burger (Nürnberg) war mein kompetenter Diskussionspartner auf einer Reise nach Kampanien und ins nördliche Apulien. Joe Rohrer (Luzern) schließlich trug mit seinen wissenschaftlich und künstlerisch hervorragenden Rekonstruktionen von Girbaden, Castel del Monte und Syrakus Wesentliches zur Anschaulichkeit des Buches bei. Selbstverständlich gilt mein Dank außerdem der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft bzw. dem Konrad Theiss Verlag, die das Buchprojekt wieder einmal ohne Zögern in ihr Programm aufgenommen haben; besonders seien Daniel Zimmermann und Anne-Marie Stöhr erwähnt, aber auch die Arbeit von all jenen, mir im Einzelnen gar nicht bekannten Mitarbeiter, die sich um das Projekt, vor allem auch um seine gute äußere Form bemüht haben, sei ausdrücklich bedankt! Freiburg/Br., im Frühjahr 2021
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ie „Kastelle“, die unter der Regierung Kaiser Friedrichs II. überwiegend zwischen 1230 und 1250 im Süden des italienischen Festlands und auf Sizilien erbaut wurden, sind mit Abstand jene italienischen Burgen, die am häufigsten in deutschsprachigen Büchern und Aufsätzen behandelt wurden. Natürlich ist dies zu einem erheblichen Teil in der besonderen Qualität ihrer Architektur begründet, aber ebenso eindeutig ist dies nicht der einzige Grund. Denn, wer Italien kennt, kann nicht übersehen, dass es dort durchaus noch andere Burgenlandschaften gibt, die ebenfalls Hochklassiges bieten, die aber in der deutschen Fachliteratur trotzdem viel weniger Aufmerksamkeit gefunden haben. Von herausragender Qualität sind etwa – um nur besonders bekannte Beispiele zu nennen – die norditalienischen Backsteinburgen der Lombardei, Venetiens und des Piemont oder in Mittelitalien jene Bauten vor allem der Medici und des Papststaates, mit denen die Entwicklung von der Burg zur Artilleriefestung einsetzte und die damit das Fundament für die vier Jahrhunderte geltenden Formen des modernen Festungsbaues legten. Es muss also fraglos weitere Gründe geben, warum deutsche Historiker und Kunsthistoriker immer wieder auf das Thema der friderizianischen Burgen bzw. „Kastelle“ zurückkommen. Der wichtigste lag unübersehbar darin, dass diese Bauten lange Zeit eigentlich gar nicht als italienische, sondern quasi als „exterritoriale“ deutsche Burgen verstanden wurden – dass also das Thema stark national eingefärbt wurde, wie es (nicht nur) in Deutschland vom 19. Jh. bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus verbreitet, wenn nicht geradezu normal war.
Kaiser Friedrich II. stammte – so kann dieser ideologische Ansatz skizziert werden – schließlich väterlicherseits aus dem schwäbischen Hochadelsgeschlecht der Staufer, er war zudem König nicht nur in Sizilien, sondern auch in Deutschland und er scharte an seinem süditalienischen Hof wie schon sein Vater Heinrich VI. viele Adelige deutscher Herkunft um sich, die auch in Italien Ämter bekleideten und über Herrschaften verfügten. Friedrich war zudem kein Herrscher wie viele andere gewesen, sondern sein Leben und seine kulturellen Äußerungen, außerdem auch das Ende der staufischen Dynastie bald nach seinem Tod, boten der deutschen Politik des späten 19. und frühen 20. Jh. interessante Anknüpfungspunkte für Selbstverständnis und Außendarstellung. Friedrichs Bild war zudem schon zu seinen Lebzeiten in extremem Maße überhöht worden. Eine viel zitierte Formulierung des Chronisten Matthäus Paris bezeichnete ihn als das „Staunen und den wunderbaren Verwandler der Welt“ (stupor mundi et immutator mirabilis) und manche Texte seiner Anhänger rückten ihn in die Nähe von Christus selbst, während seine vor allem kirchlichen Gegner ihn andererseits nicht nur als Ketzer, sondern geradezu als Verkörperung des Satans bezeichneten. Dass diese verbalen Wurfgeschosse beider Seiten nur Mittel in einer politischen Propagandaschlacht waren, dass sie folglich die Realitäten der Epoche nur extrem verzerrt widerspiegelten, hatte für die häufig preußischprotestantisch geprägte Geschichtsbetrachtung der Zeit um und nach 1900 aber fraglos weniger Gewicht als die Betonung einerseits der „Größe“ des Staufers und ande-
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rerseits der Konfrontation seines „Ersten Reiches“ mit dem Papsttum. Die neuzeitliche Entrückung des Kaisers ins Reich der Mythen erreichte seinen Höhepunkt mit Ernst Kantorowicz´ Jugendwerk „Kaiser Friedrich der Zweite“ von 1927, das unter direktem Einfluss des autoritär-patriarchalisch geprägten Kreises um den Dichter Stefan George entstand. Dort wurde Friedrich – wie David Abulafia viel später schrieb – zu einem „gekrönten Messias“ überhöht, „dessen bloße Ankunft auf der Welt schon die Heraufkunft einer neuen Ordnung verhieß“; Kantorowicz reichte dann allerdings in einem Ergänzungsband solide Quellengrundlagen nach und fand spätestens nach der Nazizeit und dem Zweiten Weltkrieg, als er in den USA eine neue Heimat gefunden hatte, auch zu einer weitaus rationaleren Betrachtungsweise. Auch der schottische Historiker John Larner bezeichnete 1980 das von Kantorowicz und anderen gezeichnete Bild als das eines „romantischen, blonden, teutonischen Nationalisten“ und wiederum Abulafia zog das mehr als naheliegende Resümee, dass wohl „nur wenig von dem, was Friedrich II. zugeschrieben worden ist und wird, historisch belegbar ist“. Dieses folgenreiche Zerrbild Friedrichs II. hatte seine Wurzeln letztlich in der Zeit gehabt, als Wilhelm I. und Bismarck nicht nur die ruhmreiche Erneuerung des „Zweiten“ deutschen Reiches angestrebt hatten, sondern als sie in den der 1870er-/80er-Jahren zudem einen schweren „Kulturkampf “ mit dem Papsttum ausfochten, der – historisch falsch, aber propagandistisch wirkungsvoll – mit dem Kampf Friedrichs II. gegen den Papst verglichen wurde. Wilhelm II. verstärkte dann diese falsche Parallelisierung des „Ersten“ Reiches mit dem „Zweiten“ seines Großvaters zusätzlich, vor allem auch durch seine überzogene Begeisterung für alles „Staufische“, insbesondere für die Architektur jener Epoche. Sie brachte sowohl „romanische“ Neubauten wie den „Kaiserpalast“ in Posen und die Berliner „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“ hervor als auch Restaurierungen staufischer Bauten wie die der – nur zum kleineren Teil aus der Stauferzeit stammenden – Hohkönigsburg im erst neuerdings wieder zum Reich gehörenden Elsass. Ein wichtiger positiver Effekt dieser kaiserlichen Interessen war allerdings auch die Förderung wissenschaftlicher Erforschung der mittelalterlichen Bauten wie im Falle eben der Hohkönigsburg, aber auch der Burgen Friedrichs II. in Süditalien. Nachdem die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg wenig später die Nation traumatisiert
hatte, entwickelte sich die wilhelminische Begeisterung für die vermeintliche „Größe“ des Stauferreiches allerdings in eine Richtung weiter, die eine sachliche Betrachtung der Epoche erst recht problematisch machte. Nun nämlich wurde es zu einer offenbar kaum widerstehbaren Versuchung, den Zusammenbruch des wilhelminischen Reiches nicht etwa auf zunehmende strukturelle Probleme und einen verlorenen Krieg zurückzuführen, sondern lieber eine Parallele zum Ende der staufischen Herrschaft und Dynastie zu ziehen – man meinte nun in beiden Fällen das schuldlos tragische Ende eines „großen“ Reiches durch eine Übermacht böser Feinde und schnöden Verrat zu erkennen. Diese verfehlte Sehweise prägte dann in langsam abnehmendem Maße bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus die Interpretation der Stauferzeit in Deutschland. Die diesem einseitigen Bild eines vermeintlich eindeutig „deutschen“ Stauferreiches entgegenstehenden Aspekte von Friedrichs Herkunft und Leben wurden in dieser langen Zeit so gut wie vollständig vernachlässigt. Dass seine Mutter aus dem normannischen Geschlecht der Hauteville stammte, das Süditalien zuvor beherrscht hatte, dass er in Italien geboren war, seine Jugend im multikulturell geprägten Sizilien verbracht hatte und Deutschland erst später und dann zeitlich relativ begrenzt besuchte, dass schließlich an seinem Hof und in seiner Administration Italiener eine mindestens so wichtige Rolle wie Deutsche spielten – all dies wurde beiseitegeschoben. Und auch die unübersehbare Tatsache, dass er nicht nur im deutschen Raum, sondern auch in weiten Teilen Italiens letztlich damit scheiterte, seine allzu rückwärtsgewandten Herrschaftsvorstellungen umzusetzen, wurde lange kaum beachtet. Nicht nur die deutsche Forschung der letzten Jahrzehnte hat diese national bedingte Einseitigkeit zwar entschieden hinter sich gelassen und einen sachlicheren Zugang gefunden, aber das breite Fundament, das ab dem Ende des 19. Jh. geschaffen worden war, blieb doch jedenfalls insoweit wirkungsvoll, dass auch heutige deutsche Forscher sich dem Thema immer wieder gerne zuwenden. Es existieren nun einmal zahlreiche Aussagen und gedankliche Ansätze in deutscher Sprache, an die man anknüpfen kann, von der hohen Anziehungskraft Italiens und italienischer Themen ganz abgesehen. Dabei prägt die weiterhin unübersehbare Seltenheit solide fundierter Untersuchungen von Einzelbauten den Charakter auch aktueller Forschungen zum Thema, weswegen einerseits
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das meist etwas zu isoliert betriebene Studium einzelner Objekte noch immer eine zentrale Rolle spielt, während andererseits gesamthafte Betrachtungen zum Thema der „friderizianischen Kastelle“ doch immer wieder in die Versuchung geraten, mehr oder minder deutlich an die älteren, durch ihre Einseitigkeiten und blinden Flecke gekennzeichneten Darstellungen anzuknüpfen. Der eigentlich naheliegende Versuch, die Architektur im Süditalien Friedrichs II. nicht aus dem vermeintlich „deutschen“ Charakter des Kaisers herzuleiten, sondern aus der lange gewachsenen kulturellen Vielfalt Süditaliens und Siziliens sowie aus der Offenheit der Region für Einflüsse anderer Länder, wurde in der deutschen Forschung bisher wenig verfolgt. Dabei bietet die neuere Burgenforschung in vielen Ländern Europas und des Mittelmeerraumes – in Deutschland, Frankreich und den ehemaligen Kreuzfahrerstaaten, um die wichtigsten Bezugsregionen zu nennen – inzwischen ein viel umfangreicheres und besser aufgearbeitetes Vergleichsmaterial als in der ersten Hälfte des 20. Jh., das es daher auch weitaus besser ermöglicht, Anregungen und Einflüssen nachzuspüren. Vereinzelte Ansätze zu einer solchen Betrachtung liegen seit Langem vor, wenn man beispielsweise an die Aufsätze von Émile Bertaux (1897!) und – auch schon vor fünfzig Jahren – von Cord Meckseper (1970) denkt, die bereits mit guten Argumenten auf die französischen Wurzeln von Castel del Monte hingewiesen hatten, aber leider nur wenig Nachfolge fanden. In jüngerer Zeit haben dann auch einige italienische Autoren wie etwa Pio Francesco Pistilli in überzeugender Weise vor allem auf französische Einflüsse und auch auf Zusammenhänge mit dem Burgenbau der Kreuzfahrerstaaten hingewiesen. Solche Forschungen sind bisher nicht allzu häufig und auch alles andere als abgeschlossen; sie würden bei weiterer Vertiefung die Internationalität der „friderizianischen“ Architektur aber fraglos noch besser erkennbar machen. Im vorliegenden Buch kann es vor diesem erst in Entwicklung befindlichen Hintergrund nur Ziel sein, solche vielfältigen Bezüge so zu veranschaulichen, wie es der momentane Forschungsstand ermöglicht – ergänzt natürlich, soweit es die Bauten betrifft, durch eigene Beobachtung vor Ort. Letztendlich sollen dabei der Staat und auch die Person Friedrichs II. als ein Phänomen erkennbar werden, das bei aller Bedingtheit durch die sozialen und politischen Strukturen der Epoche vielfältige kulturelle Entwicklungen aufgenommen und integriert hat.
Zwei Vorbemerkungen sind nötig. Die erste bezieht sich auf ein Missverständnis, das mir bei Reaktionen auf frühere Bücher auffiel. Dort und auch hier beginnt nämlich meine Darstellung mit historischen Ausführungen, die – gemessen an den Üblichkeiten architekturhistorischer Bücher – relativ lang sind; erst dann folgt im zweiten Hauptteil des Buches die Darstellung und Interpretation der Bauwerke. Der Umfang des historischen Teils soll dabei keineswegs bedeuten, dass ich mich als professioneller Historiker betätigen will, der etwa nach intensivem Studium der Originalquellen und der vorliegenden Literatur ein ganz neues Bild der dargestellten Epoche zu entwerfen versucht. Hier äußert sich vielmehr „nur“ ein auch in Kunstgeschichte ausgebildeter Architekturhistoriker, dessen entscheidendes Ziel die Analyse und Interpretation der Bauten ist. Das historische Einleitungskapitel stellt in diesem Rahmen lediglich ein Angebot an jene Leser dar, denen einerseits die Geschichte des 13. Jh. nicht bis in Einzelheiten vertraut sein kann, die aber andererseits auch wissen, dass Architektur grundsätzlich mehr ist als ein vom Geschehen der Epoche recht weitgehend isoliertes Phänomen. Die historische Einleitung soll also lediglich ein möglichst allgemein verständlicher Versuch sein, wesentliche Punkte der umfangreichen Spezialliteratur zur Herrschaft Friedrichs II. in Süditalien zusammenzufassen, um die Entstehungsbedingungen der Bauwerke besser zu verstehen. Jenen Lesern, die das Thema schon länger interessiert, wird zweitens auffallen, dass ich die in der deutschen Literatur bisher weitgehend übliche Bezeichnung „Kastelle“ für die meisten der behandelten Bauten vermeide und sie vielmehr einfach „Burgen“ nenne. Der Grund liegt darin, dass die aus dem Italienischen „castello“ abgeleitete Bezeichnung „Kastell“ durch die neuere Entwicklung der architekturgeschichtlichen Forschung missverständlich geworden ist. Neben die traditionelle, aber nie näher umrissene Bezeichnung für die süditalienischen Burgen Friedrichs II. ist inzwischen nämlich eine zweite, konkretere Definition von „Kastell“ getreten. Das Wort beschreibt heute eine bestimmte Bauform, nämlich eine Rechteckanlage mit (in der Regel vorspringenden) Ecktürmen. Dieser Begriff wurde ursprünglich von der Gestalt spätrömischer Kastelle abgeleitet, aber Vertreter dieser auch ästhetisch beeindruckenden Form gab es – wie zuletzt Patrick Schicht mit einer eindrucksvollen Materialsammlung belegt hat – von den frühen Hochkulturen bis mindestens zur Renaissance in vielen Tausenden von Beispielen.
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Um also Begriffsverwirrungen zu vermeiden, verwende ich das Wort „Kastelle“ ausschließlich im Sinne dieser Bauform, während ich die Bauten, die Friedrich II. in Süditalien zur Sicherung seines Königreiches und Veranschaulichung seiner kaiserlichen Macht gebaut hat, einfach als „Burgen“ bezeichne. Denn auch, wenn einige seiner Neubauten einen hohen, im Burgenbau sonst selten erreichten architektonischen Standard vertreten – ich
bezeichne diese Gruppe als „Idealbauten“ –, so entsprachen sie doch durchaus der Definition von Burgen, das heißt, sie vereinten die Bewohnbarkeit durch die Angehörigen einer herrschenden sozialen Gruppe mit den Merkmalen der Verteidigungsfähigkeit und einer betonten Symbolwirkung. Thomas Biller, im November 2020
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1. FRIEDRICH II. – MENSCH UND MYTHOS Angesichts der vielen Dinge, die uns die Quellen nicht verraten, ist es im Grunde unmöglich, über eine Person des Hochmittelalters eine Biographie im modernen Sinne zu schreiben, da nahezu alles, was für uns einen Menschen und seinen Charakter kennzeichnet, im Dunkel des längst Vergangenen verborgen bleibt. (Elke Goez, Mathilde von Canossa, Frankfurt a. M./Darmstadt 2012, S. 218)
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achdem historische Persönlichkeiten bis ins 20. Jh. hinein allzu oft zu Helden, Bösewichtern oder anderen klischeehaften Figuren stilisiert wurden, hat erst die moderne Mediävistik gelegentlich den notwendigen Mut gegenüber dem Problem aufgebracht, das das Zitat von Elke Goez beschreibt: Wir würden nämlich wichtige Persönlichkeiten des Mittelalters natürlich gerne so gut kennen und verstehen wie Personen der Neuzeit oder gar unsere eigenen Zeitgenossen, aber die Beschränktheit der Quellen setzt uns hier sehr enge Grenzen. Friedrich II. wurde als Sohn eines Kaisers und einer Königin von Sizilien geboren, verlor aber schon im Alter von nur vier Jahren beide Eltern. Eine mythisch aufgeladene, suggestive Darstellung seines Lebens, die bis heute gelegentlich durchscheint, entwickelte daraus das Bild eines vernachlässigten Waisenknaben, der sich mit seinen jugendlichen Kumpanen in den Gassen von Palermo herumgetrieben habe. Diese Vorstellung entbehrt jedoch nicht nur aller Belege, sondern auch jeglicher Plausibili-
tät. In einer Gesellschaft, der die harte Trennung sozialer Schichten eine Selbstverständlichkeit war, in der insbesondere der Adel hoch über allen anderen Menschen rangierte, vom König und Kaiser zu schweigen, war es undenkbar, dass der älteste Sohn eines Kaisers, der – nach seiner Wahl im Alter von nur vier Jahren – selbst König von Sizilien war, in dieser Weise vernachlässigt worden wäre. An seiner Person hingen vielmehr, obwohl oder eben weil er ein Waisenkind war, so bedeutsame und allgemein bekannte politische Möglichkeiten, dass er von Anfang an im Zentrum vielfältiger Interessen und Beeinflussungsversuche gestanden haben muss. Wir wissen daher zwar nichts Konkretes über Friedrichs persönliche Situation als Kind – so schlecht kann sie nicht gewesen sein, wie die kreative und konfliktfähige Persönlichkeit des Erwachsenen nahelegt –, aber man muss davon ausgehen, dass er einerseits gut behütet wurde und dass ihm andererseits seine persönliche Bedeutung im politischen Spiel Europas relativ früh bewusst wurde.
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ç Abb. 1
Die Pflixburg bei Colmar (Oberelsass), Luftaufnahme der vor 1212 begonnenen Burg, die als Sitz eines königlichen „Prokurators“ für das Elsass entstand. An die Ringmauer waren fast lückenlos Bauten gelehnt, was bereits an spätere friderizianische Burgen in Süditalien erinnert.
1.1. HERRSCHAFTSANSPRÜCHE IN DEUTSCHLAND Eine gerne kolportierte Mystifikation der älteren Literatur stellte es als eine Art Abenteuer dar, dass Friedrich 1212 im Alter von achtzehn Jahren und ohne nennenswerte Heeresmacht nach Deutschland zog, um auch dort seine Königswürde einzufordern und die Macht zu übernehmen. Fraglos lag in diesem Vorgehen – eines nach damaligem Verständnis durchaus Erwachsenen – ein gewisses Risiko, aber auch hier setzen die politischen und psychologischen Randbedingungen Friedrichs Handeln in ein anderes Licht. Fast sechzig Jahre staufischer Herrschaft – von Konrad III. (1138–52) über Friedrich Barbarossa (1152–90) bis zu Friedrichs Vater Heinrich VI. (1190–97) – hatten den Staufern viele treue Anhänger im deutschen Adel verschafft, die in den fünfzehn Jahren unter einem zwar minderjährigen und abwesenden, aber heranwachsenden und in seinem Thronanspruch unbestreitbaren Herrscher fraglos nicht erloschen waren. Nicht nur Friedrich selbst, sondern auch jene deutschen Fürsten, die ihn 1211 zum „Alternativkaiser“ gewählt hatten, und schließlich der Papst erwarteten daher mit gutem Grund, dass sich bei seiner Ankunft in Deutschland viele staufertreue Adelige und Reichsministeriale um ihn versammeln und eine Gegenmacht zum wenig beliebten und bereits exkommunizierten welfischen Kaiser Otto IV. bilden würden. Friedrich setzte bei seinem Zug nach Deutschland also keineswegs nur auf seine persönliche Strahlkraft oder handelte gar aus Abenteuerlust, sondern durchaus auch auf eine bereits im Vorfeld strukturierte Situation. Sein dennoch beachtliches Risiko lag allerdings darin, dass kaum vorhersehbar war, ob er mit seinen
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Girbaden bei Rosheim (Unterelsass), Rekonstruktionsversuch des Zustandes um 1226, in der graphischen Umsetzung von Joe Rohrer (nach Biller/Metz, Burgen des Elsass, I). Vor allem der große Saalbau und die stark befestigte Burgmannensiedlung zeigen, dass hier ein pfalzartiger Hauptsitz des Kaisers bzw. König entstehen sollte.
Verbündeten den Kräften Ottos IV. militärisch gewachsen sein würde; eine Unklarheit dieser Art war jedoch in den Kriegen des Zeitalters keineswegs selten. Friedrichs Griff nach der realen Macht in Deutschland war erfolgreich, auch wenn er anfangs die militärische Unterstützung des französischen Königs Philippe II. Auguste benötigte, der 1214 Otto IV. bei Bouvines im heutigen Nordfrankreich besiegte, die Reichskleinodien erbeutete und sie Friedrich übersandte. Trotz der allgemeinen Anerkennung, die Friedrich in den sechs folgenden Jahren in Deutschland erfuhr, muss ihm aber in diesen Jahren klar geworden sein, dass die politische Situation in Deutschland seinem Herrschaftsanspruch dauerhaftere Probleme in den Weg legen würde als im Königreich Sizilien, dass vor allem die deutschen Fürsten wenig Unterwerfungsbereitschaft zeigten. Zwar ist auch dieser Prozess der Bewusstwerdung nur zu vermuten, weil mittelalterliche Quellen nun einmal keinen Einblick in persönliche Erwägungen gewähren. Aber Friedrichs ausgesprochen folgenreiche Entscheidungen in den 1220er-/30er-Jahren, den geistlichen und weltlichen Fürsten Deutschlands umfassende und dauerhafte Privilegien zu gewähren, können eigentlich ja nur auf Erfahrungen zurückgehen, die er während seines ersten Aufenthaltes in Deutschland 1212–20 gemacht hatte. Und spätestens die wachsenden Konflikte mit dem Papst dürften ihn dann zu der Einsicht gebracht haben, dass Süditalien sein eigentliches Machtzentrum bleiben müsse, während er in Deutschland im Grunde wenig mehr erreichen konnte, als sich den Rücken freizuhalten. Natürlich verzichtete Friedrich sicherlich nicht von vornherein auf den Aufbau einer eigenen Machtbasis in Deutschland. Allein die Tatsache, dass er acht Jahre im Lande blieb und sich dabei meist am Oberrhein und im südwestdeutschen Raum aufhielt, zeigt ein deutliches Bemühen, traditionell staufertreue Regionen weiterhin an sich zu binden. Das wird nicht zuletzt auch an seinem Burgenbau dieser Jahre im Elsass erkennbar, der freilich erst in den letzten Jahrzehnten näher erforscht wurde. Wir wissen zwar nicht, ob Friedrich die verschwundene Pfalz in Hagenau modernisiert hat, wo er sich in diesen Jahren gerne aufhielt; es kann auch sein, dass ihr Ausbau durch seinen Großvater Friedrich I. seinen Ansprüchen noch genügte. Aber die als Ruine erhaltene Pflixburg bei Colmar (Abb. 1) entstand während Friedrichs Aufenthalt in Deutschland neu, denn er bestätigte 1220 eine Schenkung seines ehemals dort sitzenden, aber 1219 bereits verstorbenen „Ministerialen und Prokurators auf der Pflixburg
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und im Elsass“. Noch eindrucksvoller war Girbaden in den Vogesen westlich von Straßburg, eine der größten Burgen des Elsass, die – wie etwas jüngere Verträge und der Bestand der Ruine belegen – ab 1218/19 auf Veranlassung des Kaisers geradezu pfalzartig ausgebaut wurde, insbesondere mit einem prunkvollen Saalbau und einer großen „Vorburg“ mit Burgmannensitzen (Abb. 2). Auch die Pflixburg umfasste in einer vergleichbaren, aber nicht ummauerten Vorburg Unterkünfte für eine größere Besatzung, sodass man in beiden Burgen das Bemühen erkennen kann, die staufischen Besitzungen und Ansprüche in der Region durch gut bemannte Stützpunkte zu schützen. Dabei spricht der Titel eines „Prokurators im Elsass“, also eines auf der Pflixburg sitzenden, aber für das ganze Land zuständigen kaiserlichen Vertreters, gleichfalls für den Versuch, zumindest den Oberrhein organisatorisch fester an den Kaiser zu binden; der frühe Tod dieses Prokurators dürfte allerdings zu den Gründen gehört haben, warum dies nur schlecht gelang. Das wichtigste Mittel, Deutschland trotz seiner Rückkehr ins Königreich Sizilien an das staufische Haus zu binden, sah Friedrich jedoch fraglos darin, dass er seinen erstgeborenen Sohn Heinrich – ab 1216 Herzog von Schwaben, ab 1218 Rektor von Burgund – in Deutschland beließ und 1220 seine Wahl zum deutschen König durchsetzte, seinen Titel also mit dem Sohn teilte. Ein solches Vorgehen war durchaus üblich, denn mittelalterliche Adelige, deren Macht entscheidend auf der Treue von Personen beruhte, vertrauten letztlich offenbar nur ihren Familienangehörigen wirklich, in einer noch völlig patriarchalisch geprägten Epoche also den Söhnen; Friedrich hatte drei legitime Söhne und mindestens sechs illegitime, von denen er mehreren wichtige politische Ämter übertrug. Die vorhersehbare Problematik lag im Falle Heinrichs aber darin, dass er bei seiner Königswahl erst neun Jahre alt war und damit noch keineswegs selbst regieren konnte, als Friedrich kurz nach der Wahl – noch vor Heinrichs Krönung – Deutschland wieder verließ. Die Regierung oblag vielmehr zunächst Reichsverwesern aus der Gruppe der geistlichen und weltlichen Fürsten – zunächst dem Erzbischof von Köln und nach dessen Tod dem Herzog von Bayern. Allein diese Fürsten besaßen zwar die Mittel, sich in den vielfältigen Spannungen und Konflikten der Epoche durchzusetzen, aber sie waren zugleich auch wichtige Vertreter jener Gruppe, die die Macht in Deutschland schon weitgehend usurpiert hatte und gewiss nicht gewillt war, sie aufzugeben. Dass Friedrich den geistlichen
Fürsten bei der Wahl Heinrichs eine Reihe wichtiger Königsrechte formell zugestand – das Dokument wird heute als Confoederatio cum principibus ecclesiasticis („Bund mit den Kirchenfürsten“) bezeichnet –, bedeutete daher realpolitisch wohl keinen allzu einschneidenden Verzicht, sondern eher einen weiteren Beleg, dass Friedrich die problematische Lage in Deutschland begriffen hatte. Heinrich (VII.), der bei staufertreuen Reichsministerialen aufwuchs, bemühte sich später, als er volljährig geworden war, durchaus um die Stärkung der staufischen Position in Deutschland. So zwang er 1228 den Herzog von Bayern, der auf die päpstliche Seite gewechselt war, zur Unterwerfung und zog gegen den Bischof von Straßburg ins Feld, einen langjährigen Konkurrenten der Staufer. Aber Heinrichs Unterstützung der in dieser Zeit aufblühenden Städte, die tendenziell die Macht der Fürsten einschränkte, machte weitere von ihnen zu Gegnern der Staufer. Und da auch Friedrich dringend die Unterstützung der deutschen Fürsten gegen den Lombardenbund benötigte (vgl. 1.4. Der Kampf um die Lombardei), kam es später zu einer weiteren Abtretung königlicher Rechte an die Fürsten, dem sogenannten Statutum in favorem principum („Statut zugunsten der weltlichen Fürsten“) von 1231, das Heinrich erließ und Friedrich bestätigte. Damit und mit einem entsprechenden Eid, den er zeitnah seinem Vater leisten musste, geriet Heinrich in eine nur noch schwer beherrschbare Zwangslage – er sollte einerseits dem kaiserlichen Vater gehorchen, aber andererseits auch den Fürsten Wohlverhalten zeigen, obwohl viele von ihnen die Staufer anfeindeten. Unverkennbar überforderte ihn das, denn Heinrich paktierte in der Folge mit Feinden des Kaisers wie dem Grafen von Urach-Freiburg und verschiedenen Bischöfen. Friedrich hob daher mehrfach Erlasse des Sohnes auf und musste schließlich, als Heinrich sogar zum offenen Aufstand überging, 1235–37 ein zweites und letztes Mal nach Deutschland kommen. Der erst 24 Jahre alte Heinrich wurde seiner Königswürde enthoben und als Gefangener mit nach Süditalien genommen, wo er 1242 starb, wohl durch Selbstmord; nach Untersuchungen seiner vermutlichen Gebeine im Dom von Cosenza war er wohl an Lepra erkrankt. Heinrichs Nachfolger als deutscher König wurde Konrad, ein anderer legitimer Sohn Friedrichs, der aber bei seiner Wahl auch erst neun Jahre alt war. Der Kaiser ging nach Italien zurück, wo er durch andere dauerhafte Konflikte gebunden war, nämlich durch die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit dem Papsttum und den Versuch,
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die Städte der Lombardei zu unterwerfen. Konrad IV. aber blieb, unterstützt von einigen Reichsfürsten und dem König von Böhmen, mit einer Lage in Deutschland konfrontiert, die sich nicht grundsätzlich verbessert hatte. Als Friedrich schließlich 1239 exkommuniziert worden war, wandten sich immer mehr deutsche Fürsten gegen Konrad, und nachdem der Papst den Kaiser 1245 sogar für abgesetzt erklärt hatte, erklärte sich einer der anfänglichen Unterstützer Konrads, Heinrich Raspe, der Landgraf von Thüringen, 1246 sogar zum Gegenkönig. Nachdem Konrad eine Schlacht gegen Heinrich verloren hatte, folgte auf dessen Tod ein weiterer Gegenkönig, Wilhelm von Holland, der sich in Deutschland aber nur bedingt durchsetzen konnte. Die staufische Position nördlich der Alpen war damit aber dennoch schon vor dem Tod Friedrichs II. (13. Dezember 1250) sehr geschwächt und unübersichtlich; Konrad zog sich daher weitgehend in die staufertreuen Gebiete Südwestdeutschlands zurück. Nach dem Testament Friedrichs wurde er dessen Nachfolger auch als Kaiser und zog 1251/52 nach Italien, wo er allerdings auch Durchsetzungsprobleme hatte, u. a. gegen seinen dort bisher regierenden Halbbruder Manfred. Papst Innozenz IV. exkommunizierte auch Konrad sofort, weil er – wie schon zu Zeiten Friedrichs – eine Herrschaft fürchtete, die seinen eigenen kleinen Staat im Norden und Süden umklammerte; das folgende, bis 1266 sich hinziehende Ende der Staufer als Herrscher und Dynastie ist bekannt. Dies also zur Ereignisgeschichte der letzten Staufer, soweit sie Deutschland betraf. Über die Ereignisse hinaus wird es der zeittypische Mangel an Quellen, die persönliche Empfindungen betreffen, für immer im Dunkeln lassen, welches Verhältnis Friedrich II. als Mensch zur (südwest)deutschen Herkunft seiner Dynastie hatte. Daher sind Fragen nach seinem „Heimat-„ oder gar „Nationalgefühl“, die die ältere deutsche Forschung implizit so sehr bewegten, in Wahrheit unbeantwortbar, wenn nicht geradezu unsinnig; offiziell immerhin bezeichnete sich Friedrich in seiner Titulatur gelegentlich als „italienisch“, während eine entsprechende Nennung als „deutsch“ oder „schwäbisch“ nicht bekannt ist: Imperator Fridericus Secundus Romanorum Caesar Semper Augustus Italicus Siculus Hierosolymitanus Arelatensis Felix Victor Ac Triumphator. Man kann daher bestenfalls versuchen, aus Friedrichs dokumentiertem Verhalten abzuleiten, was die Landschaft nördlich der Alpen für ihn und seine Politik bedeutet haben könnte. Als selbstverständlich darf man
Abb. 3 Der Hochmeister des Deutschen Ordens Hermann von Salza. Statue des Bildhauers Rudolf Siemering von 1877 in der Marienburg (Malbork, Polen), die allerdings erst lange nach dem Tod Hermanns Hochmeistersitz des Deutschen Ordens wurde.
voraussetzen, dass Friedrichs ererbter Anspruch auf die Herrschaft auch im Königreich Deutschland durchaus von Bedeutung war und dass dieser Anspruch durch das politisch starke Kaisertum seines Vaters und Großvaters nochmals überhöht worden war. Andererseits müsste ihm spätestens bei seinem ersten Aufenthalt nördlich der Alpen klar geworden sein, dass die Verwirklichung dieser Herrschaftsansprüche vom fernen Süditalien aus nicht einfach sein würde. Darüber hinausgehende, etwas „persönlichere“ Aussagen kann man aber höchstens davon abzuleiten versuchen, wie er mit diesem Anspruch bzw. den Problemen umging, auf die er dabei traf. Schon die Tatsache, dass Friedrich II. in seinen 56 Lebensjahren nur zweimal nach Deutschland reiste, bestä-
1.1. Herrschaftsansprüche in Deutschland
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tigt recht deutlich, dass er Italien, das Land seiner Geburt und Kindheit, stets als die stabilere Basis seines politischen Handelns betrachtet hat. Dabei dürfte sein erster, deutlich längerer Aufenthalt durchaus noch Ausdruck einer Zuversicht gewesen sein, er könne dort seine Macht auf einem ähnlichen Niveau stabilisieren, wie es zu Zeiten seines Großvaters und seines Vaters bestanden hatte. Was auch immer er dabei über die Zersplitterung der Macht in Deutschland gelernt haben mag – hinzu kamen dann jedenfalls die Erfahrungen seines Sohnes in den folgenden anderthalb Jahrzehnten: Sein zweiter, weitaus kürzerer Besuch erscheint jedenfalls nur noch als Notmaßnahme, die durch das Versagen Heinrichs erzwungen wurde. Dem widerspricht auch nicht die in der deutschen Forschung wegen ihrer Bedeutung für das spätere Preußen – und damit scheinbar auch für ein überbetontes „Deutschtum“ – viel beachtete „Goldene Bulle von Rimini“, mit der Friedrich 1226 (nach neuerer Forschung erst frühestens 1235) dem Deutschen Orden staatliche Rechte im späteren Ordensland zugestand. Denn mit ihr unterstützte der Kaiser fraglos vor allem Interessen seines wichtigen Beraters, des Hochmeisters Hermann von Salza (Abb. 3), während eine Ausweitung seiner eigenen Macht in diese abgelegene Region nicht wirklich zu seiner auf Italien zentrierten Politik gepasst hätte. Die ältere Interpretation, Friedrich habe die Macht in Deutschland allzu sehr vernachlässigt und damit dessen territoriale Zersplitterung mehr oder minder schuldhaft eingeleitet, dürfte seine Möglichkeiten und auch die seiner Söhne also überschätzen. Weit begründbarer scheint vielmehr die Sicht, dass die nach dem Tod Friedrichs I. 1190 eingetretene Schwäche staufischer Herrschaft – verstärkt durch den Weggang Heinrichs VI. nach Italien und seinen frühen Tod – den deutschen Fürsten Raum für einen Machtausbau geboten hatte, der zu Zeiten Friedrichs II. nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Eine wichtige Rolle spielte dabei fraglos auch die Tatsache, dass das 13. Jh. eine Zeit von Entwicklungen war, in denen die Traditionen königlicher Herrschaft gegenüber neuen Formen wirtschaftsbasierter Macht zu schwinden begannen. Dies wurde in der staufischen Epoche in den Kämpfen mit den lombardischen Städten besonders deutlich, aber durchaus auch im deutschen Raum, wo die Herrschaft über die aufblühenden Städte in den Konflikten zwischen den staufischen Herrschern und den Fürsten ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte.
1.2. HERRSCHAFT UND STAAT IN SIZILIEN Friedrich wurde in seiner Kindheit in Palermo fraglos beschützt und erhielt eine standesgemäße Erziehung, aber natürlich bedeutet das nicht, dass in dieser Phase auch seine Interessen als Herrscher gewahrt wurden. Denn die Abwesenheit eines erwachsenen, politisch und kriegerisch handlungsfähigen Herrschers war im Mittelalter allemal höchst problembeladen. Neben Angriffen anderer Herrscher und Aufständen im eigenen Land waren in solchen Situationen vor allem mehr oder minder sichtbare Entfremdungen von Besitz und Rechten der Normalfall. Dass dies während der Kindheit Friedrichs auch im Königreich Sizilien geschah, verdeutlichen die Gesetze, die er bei der Rückkehr nach Italien 1220 zur Widerherstellung seiner Herrschaft erließ. Ein Jahrzehnt später folgte ein zweites Gesetzeswerk, das dem inzwischen konsolidierten Königreich eine noch dauerhaftere Ordnung geben sollte. In der Darstellung Friedrichs II., wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jh. in Deutschland verbreitet war, haben diese beiden Gesetzessammlungen Friedrichs – die „Assisen von Capua“ (1220/21) und die „Konstitutionen von Melfi“ (1231) – dazu geführt, dass man ihn zu einem starken, durchsetzungsfähigen Herrscher stilisierte, einem „Gesetzgeber“, wie er dem Geist schon der wilhelminischen und dann der nationalsozialistischen Ära entgegenkam. Schon seine ältere Charakterisierung als der vermeintlich „erste moderne Mensch auf dem Throne“ (Jacob Burckhardt, 1860) beruhte wesentlich auf einer ähnlichen Deutung dieser Ordnungsmaßnahmen. Solche Akzentuierungen verkennen aber die Bedingungen, unter denen diese und weitere Gesetze bzw. Vereinbarungen entstanden. Die „Assisen von Capua“ stellten einfach einen dringend erforderlichen Versuch dar, die Fehlentwicklungen einer Zeit mit schwacher Herrschaft zu korrigieren, das heißt, sie waren im Grunde eine ad hoc getroffene, wenn auch gut durchdachte und durchgesetzte Notmaßnahme. Und das gilt ebenso und noch mehr für die beiden berühmten Vereinbarungen mit den deutschen Fürsten 1220 und 1231, durch die Friedrich nämlich seine Macht in Deutschland selbst wesentlich einschränkte, weil er nur so in Italien handlungsfähig bleiben konnte. Allein die „Konstitutionen von Melfi“ darf man demnach als ein Gesetzeswerk ansprechen, das der Herrscher unabhängig von einer äußeren Zwangslage formulieren ließ, um seinen Staat im Sinne eigener politischer Vorstel-
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lungen zu reformieren. Auch bei ihnen kann allerdings von politischer „Modernität“ nicht wirklich die Rede sein, weil sie zwar Institutionen und Ebenen der Verwaltung schufen, diese aber noch keineswegs in ein differenziertes Regelwerk neuzeitlicher Art einbanden. Vielmehr blieben alle Mitglieder dieser Einrichtungen jederzeit dem direkten Zugriff des Kaisers unterworfen, der sie noch nicht als unabhängig, sondern im Grunde als Teil eines erweiterten Hofstaates begriff. Wenn daher verschiedene Forscher für die Regierung Friedrichs wie auch schon für das vorangegangene normannische Königtum den Begriff des „Absolutismus“ verwendet haben, so wirkt dies auf den ersten Blick zwar unhistorisch, trifft aber bei näherer Betrachtung durchaus ein wesentliches Merkmal des süditalienischen Staatsgebildes, dessen Ungewöhnlichkeit innerhalb der Epoche man vor allem aus byzantinischen Traditionen und damit letztlich aus dem spätrömischen Recht heraus erklären kann. Die „Assisen von Capua“, eine Reihe von Gesetzen, die Friedrich direkt nach der Rückkehr aus Deutschland und der Krönung zum Kaiser erließ, waren also ein erstes Mittel der Wiederherstellung königlicher Macht. Schon die Ortswahl des Hoftages zeugt von der Wichtigkeit der Handlung, denn Capua war die erste größere Stadt im Königreich Sizilien, die man erreichte, wenn man aus Rom kam. Friedrich trat also bei seiner Ankunft unverzüglich und demonstrativ als Gesetzgeber auf und betonte damit seinen Willen, die Dinge wieder in die Hand zu nehmen; dass der Jurist Petrus von Vinea, einer seiner wichtigsten Ratgeber, aus Capua stammte, mag die Ortswahl unterstützt haben. Konkret zielten die Assisen, die im Folgejahr noch etwas ergänzt wurden, auf die Wiederherstellung jenes Rechtszustandes, der beim Tod des letzten normannischen Herrschers von Sizilien, von Friedrichs Großvater Wilhelm II. (1166–89), geherrscht hatte. Abgesehen von der Entschlossenheit, mit der Friedrich hier vorging, ist dabei auch aufschlussreich, dass die „Assisen“ eben nicht, wie es eigentlich ja nahezuliegen scheint, an die Regierungszeit seines 1197 verstorbenen Vaters Heinrich VI. anknüpfte, sondern an die noch weiter zurückliegende Zeit der normannischen Herrschaft. Denn darin zeigt sich deutlich, in welch hohem Maße das vermeintlich „moderne“ Staatsverständnis Friedrichs an rechtliche und administrative Voraussetzungen anknüpfte, die bereits die normannischen Herrscher im 12. Jh. geschaffen hatten.
Laut den „Assisen“ mussten alle nach 1189 getroffenen Besitz- und Rechtsänderungen im Königreich Sizilien neu bewertet und – falls sie nämlich zum Nachteil der Krone gewesen waren – aufgehoben oder zumindest anders gefasst werden; dieses Vorgehen war für das süditalienische Festland, wo die Grafen und Adelsfamilien ihre Eigeninteressen wesentlich kraftvoller, gelegentlich sogar mit kriegerischen Mitteln verfolgten, wichtiger als für Sizilien, wo ein Großteil des Landes schon seit normannischer Zeit einer straffen Verwaltung unterlag. Die Maßnahmen umfassten neben der Aufhebung neuer Zölle und Gebühren als einen der wichtigsten Punkte auch den Besitz von Burgen, denn dieser bedeutete ja, dass ihr jeweiliger Herr die Umgebung beherrschte und sie damit prinzipiell dem Zugriff des Landesherrn hätte entziehen können; war dies einmal geschehen, konnte es nur mit hohem Aufwand rückgängig gemacht werden, nämlich zumeist durch die Eroberung der Burg. Dementsprechend sollten nach den „Assisen“ alle nach 1189 entstandenen Burgen geschleift werden. Wir haben natürlich keine Übersicht, wie viele Burgen dies in der Realität betraf, wie viele ohne großen Widerstand zerstört oder übergeben und welche schließlich erhalten und mit kaiserlichen Gefolgsleuten besetzt wurden. Zumindest in Einzelfällen kam es jedenfalls belegbar zu kriegerischen Auseinandersetzungen bzw. Belagerungen wie 1223 im Falle des Grafen von Molise und
Abb. 4 Roccamandolfi, Grundriss der 1223 von Truppen Friedrichs II. zerstörten Burg, mit Hervorhebung des ursprünglichen, aus normannischer Zeit stammenden Wohnturms, der dann erst in nachfriderizianischer Zeit ergänzt wurde.
1.2. Herrschaft und Staat in Sizilien
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Celano, dessen Herrschaft im Norden des Königreiches nahe dem Papststaat ihn wohl auf mehr Unabhängigkeit hatte hoffen lassen. Die Burg Celano wurde wie die benachbarte Stadt zerstört, die Bewohner wurden umgesiedelt und auch die Burg Roccamandolfi (Abb. 4) wurde geschleift; beide Burgen waren nach den erhaltenen Resten bescheidene Bauten, die auf ihren Felsspitzen aus kaum mehr als einem (Wohn-)Turm und einer Ringmauer mit nur noch vermutbaren Nebenbauten bestanden. Hatten die „Assisen von Capua“ also zunächst die Ordnung im Königreich Sizilien wiederherstellen sollen, wo es während der Kindheit und langen Abwesenheit Friedrichs Entfremdungen von Besitz und Herrschaft gegeben hatte, so sollten die „Konstitutionen von Melfi“ bzw. der Liber Augustalis (= Buch des Kaisers) ein Jahrzehnt später dem Reich durch Institutionen und geregelte Verfahren eine dauerhafte Grundordnung verschaffen. Die „Konstitutionen“ waren dabei aber nicht so neuartig, wie manche Forscher sie beschrieben haben, sondern sie waren einerseits recht direkt vom römischen Recht abgeleitet und integrierten andererseits viele bereits bestehende lokale Rechtsgewohnheiten. Entsprach dies durchaus späteren mittelalterlichen Gesetzessammlungen, die in aller Regel weniger neu gestalten als vielmehr traditionelles Recht zusammenfassen wollten, so muss man den Charakter der „Konstitutionen“ darüber hinaus als ausgesprochen konservativ bezeichnen, denn ihr zentrales Ziel war unübersehbar die Erhaltung und Stärkung der Macht des Kaisers selbst, während aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen nicht nur weitgehend unerwähnt blieben, sondern vielfach sogar verboten wurden. Zwar wurden durch den Liber Augustalis Ämter und Institutionen ins Leben gerufen, die bestimmte staatliche Aufgaben erfüllen sollten und damit in einem recht weiten Sinne „modern“ waren, aber alle Amtsinhaber bzw. Mitglieder der Institutionen wurden vom Kaiser persönlich ernannt und konnten folglich auch jederzeit abberufen werden. Das konnte im Einzelfalle sogar die Existenz der Institutionen als solche infrage stellen, sodass die neu geschaffene Ordnung letztlich fragil bleiben musste; nichtsdestoweniger galten Zweifel an kaiserlichen Entscheidungen als Sakrileg. Höchst konservativ blieb außerdem die Rolle des Adels. Denn, obwohl seine Eigenständigkeit im Königreich Sizilien deutlich stärker eingeschränkt blieb als etwa in Deutschland, spielte er bei der Vergabe höherer Ämter weiterhin die zentrale Rolle und auch seine Standesprivilegien wurden ausdrücklich
bestätigt; Ritter konnte man nur als Sohn eines Ritters werden oder durch königliche Ernennung, und der Adel musste sich nur der Rechtsprechung von Standesgenossen stellen. Auch die überkommenen Rechte der Adeligen gegenüber ihren Vasallen wurden bekräftigt. Andererseits stellte Friedrichs Gesetz alle Tendenzen zu städtischer Selbstbestimmung unter Strafe, was natürlich die Wirtschaftsentwicklung entscheidend behinderte. Die im 12. Jh. als reich geltende Insel Sizilien produzierte zwar – im Gegensatz zum weniger fruchtbaren Festlandteil des Königreichs – Weizen in hoher Qualität und das wertvolle, auch zum Pökeln von Fisch wichtige Salz, zudem Holz und Waren aus Baumwolle und Leder; es gab außerdem Manufakturen, die Seide und Luxustextilien fertigten. Inwieweit Initiativen Friedrichs zum Anbau von Zuckerrohr und Indigopflanzen in der Praxis erfolgreich waren, wissen wir nicht. Jedenfalls aber lagen die Weizenproduktion und der Handel als „Regalien“ so gut wie vollständig in den Händen der Krone, sodass die weit höheren Gewinnchancen aus freiem Handel ungenutzt blieben. Dabei sollten außerdem diese Einschränkungen der städtischen Handelsfreiheit wie die „Konstitutionen“ in ihrer Gänze keineswegs nur für das Königreich Sizilien gelten, sondern für das gesamte Imperium und insbesondere auch für Norditalien, was den Konflikt mit den in Wirtschaft und Politik bereits entscheidend weiter entwickelten Stadtstaaten dieser Region natürlich schüren musste. Friedrich II. teilte das Königreich Sizilien in Provinzen ein, die, gelegentlich noch abgeändert, künftig die Grundlage der Verwaltung bilden sollten – eine für seine Epoche fortschrittliche Maßnahme, deren Strukturen bis ins frühe 19. Jh. erhalten blieben. Und er entwickelte Institutionen normannischer bzw. letztlich byzantinischer Entstehung weiter, die eine effektivere Verwaltung dieser Provinzen und des Königreichs ermöglichen und die über Gebühren und Geldstrafen Einnahmen generieren sollten. Die dafür nötigen „Beamten“, die offenbar meist aus den niederen Adelsschichten und dem reicheren Bürgertum der Städte stammten, mussten – was uns heute selbstverständlich scheint, aber damals noch neu war – über eine fachliche, das heißt insbesondere juristische Ausbildung verfügen. Vor allem der Schaffung einer solchen Funktionärsschicht diente offenbar die Gründung der Universität Neapel 1224, der ersten in Süditalien. Mit dieser Initiative zeigte sich Friedrich allerdings ein weiteres Mal keineswegs als „Erfinder“ eines Konzeptes, son-
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dern nur als intelligenter Importeur von Strukturen, die an anderer Stelle längst entwickelt waren. Denn Juristen, die an der seit dem 11. Jh. bestehenden norditalienischen Universität Bologna ausgebildet worden waren, hatten schon früher in der Verwaltung des Königreichs Sizilien eine wichtige Rolle gespielt, vor allem auch als persönliche Berater des Kaisers. Wichtigste Wirkungsstätte der Juristen blieb auch im Reich Friedrichs der kaiserliche Hof mit seiner unter Friedrich stark anwachsenden Kanzlei, neben den nun aber, hierarchisch untergeordnet, die Verwaltung der neuen Provinzen trat. Es entstand das Großhofgericht als zentrale Institution der kaiserlichen Rechtsprechung, das in zwei Kammern einerseits Kriminalfälle, andererseits Zivilprozesse zu verhandeln hatte. Der dort tätige oberste Justiziar – das Amt der Justiziare stammte aus normannischer Zeit, war zuvor aber meist mit Adeligen ohne besondere Ausbildung besetzt worden, die den neuen Fachleuten oft ablehnend gegenüberstanden – fungierte als Vorgesetzter von Justiziaren in den Provinzen, die, dort unterstützt durch weitere Notare, regionale Konflikte regeln sollten. Den Justiziaren in den Provinzen – die man in moderner Sicht als eine Art Gouverneure ansprechen könnte – unterstanden außerdem auch die Kastellane und Sergeanten in den Burgen, die nötigenfalls mit Gewalt für die Durchsetzung des kaiserlichen Willens zu sorgen hatten. Die Burgvögte und offenbar noch weitere Verwaltungsbeamte wurden von provisores castrorum (= Aufseher über die Burgen) ausgesucht und waren natürlich diesen und damit dem Kaiserhof gegenüber weisungsgebunden. Außerdem wurden manche Burgen, unter denen viele der bis heute eindrucksvollsten sind, von Friedrich offensichtlich als letzter Rückhalt im Falle einer möglichen Krise eingeschätzt, weswegen er dort persönlich einen Burghauptmann bestimmte, den er als besonders treu einschätzte. Diese Burgen wurden als castra exempta (= ausgenommene Burgen) bezeichnet, für die eine leider unvollständige und später vielleicht veränderte Liste wohl aus den späten 1230er-Jahren erhalten ist. Jenseits der defensiven Aufgaben dienten ebenfalls fachlich ausgebildete Kämmerer (camerarii) der Verwaltung der vor allem auf Sizilien umfangreichen königlichen Domänen, denen, über das Land verteilt, zahlreiche Vögte (baiuli) untergeordnet waren. Dabei war vor allem der festländische Teil des Königreichs auch in der Zeit Friedrichs II. offenbar in weiten Bereichen dünn besiedelt, die Städte nur klein, sodass erheblicher Aufwand für die
Wiederbesiedlung und landwirtschaftliche Erschließung getrieben werden musste. Beispiele für Stadtgründungen mit neuer Burg, die anstelle verlassener antiker Siedlungen oder gänzlich neu entstanden, sind etwa L´Aquila, Lucera, Altamura, Monteleone/Vibo Valentia, Gela und Augusta. Bei dieser Übersicht über die Ämter und Funktionsträger in Friedrichs Königreich Sizilien muss man sich jedenfalls, um es nochmals zu unterstreichen, stets bewusst bleiben, dass sie eben noch keine Institutionen bzw. Beamte in einem heutigen Sinne waren, dass sie also nicht immer klar definierte Aufgaben hatten bzw. dass die Besetzung der Stellen wechselhaft und die Handlungsmöglichkeit der Amtsträger begrenzt war – und insbesondere auch, dass unsere Kenntnis von ihrer Arbeit sicher unvollständig ist. Gerade die wichtigsten Männer waren jedenfalls in aller Regel Männer aus Friedrichs Hofstaat, denen er persönlich vertraute, also Verwandte und „Getreue“, sodass die Grenzen zwischen Familie, Hofstaat und Verwaltung nach heutigen Begriffen noch verschwammen. Der Kaiser behielt persönlich alle Fäden in der Hand und konnte überall jederzeit eingreifen, auch indem er etwa Aufgaben an Funktionsträger des Staates verteilte, die mit ihrem eigentlich definierten Arbeitsgebiet gar nichts zu tun hatten. Dass diese Verhältnisse die Funktionalität der neu aufgebauten Verwaltungsstrukturen von Anfang an und in widersprüchlicher Weise belasteten, ist durch viele Indizien belegt. Jenes Element in der Politik Friedrichs II. und seiner Epoche anzusprechen, das sich mit der Vorstellung „moderner“ Staatlichkeit fraglos am wenigsten verträgt – und das auch für seinen Burgenbau von zentraler Bedeutung ist –, war die Selbstverständlichkeit, mit der auch Friedrich wie praktisch alle Herrscher der Epoche Gewalt zur Lösung von Konflikten anwandte. Dies betraf einerseits außerhalb des Königreichs Sizilien ausgefochtene Kriege – den Machtkampf in Deutschland, die Konflikte in der Lombardei, den Kreuzzug –, die in jener Epoche mit ungebremster Brutalität ausgefochten wurden. Aber auch der Umgang mit der eigenen Bevölkerung war oft von ähnlicher, heute nur noch schwer nachvollziehbarer Härte. Denn es kam immer wieder zu Aufständen, insbesondere in Sizilien, wo schon das Nebeneinander ethnisch und religiös unterschiedlicher Bevölkerungsteile zu Spannungen geführt haben muss, wozu aber auch noch weitere Ursachen wie die fraglos sehr hohe Besteuerung oder das Fehlverhalten örtlicher Funktionsträger hinzutraten.
1.2. Herrschaft und Staat in Sizilien
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Abb. 5 Centuripe bei Catania, dahinter der Ätna. Die typisch italienische Bergstadt wurde nach einem Aufstand 1232 zusammen mit anderen Städten von Friedrich II. erobert und zerstört, ihre Bewohner umgesiedelt.
Das wohl berühmteste, jedenfalls aber relativ frühe Beispiel eines lokalen Aufstandes in Friedrichs Reich war der Aufstand der sizilianischen Sarazenen, der von den Besitzungen des Bischofs von Girgenti/Agrigent ausging. Friedrich besiegte die auf der Insel verbliebenen, eindeutig unterprivilegierten Angehörigen der muslimischen Bevölkerung in den Jahren 1222–25 mit erheblicher Mühe und siedelte sie dann bis 1245 in die damals offenbar ziemlich menschenleere Region um die Stadt Lucera in der Capitanata um, wo sie sich als Bauern, aber auch spezialisierte Handwerker betätigten. Erstaunlicherweise wurden sie dort schnell zu besonders treuen Gefolgsleuten des Kaisers, vor allem in seiner Armee, was sich nach seinem Tod noch in ihrem hinhaltenden Widerstand gegen Karl von Anjou zeigte. Ein wichtiger Grund dieser Treue war sicherlich die für die Epoche ganz außergewöhnliche Tatsache, dass Friedrich die Muslime nicht zum Christentum bekehren wollte, sondern – natürlich zum Unwillen des Papstes – ihren anderen Glauben respektierte und ihnen auch Selbstverwaltung und eigene Rechtsprechung zugestand. Die Umsiedlung aufständischer Bevölkerungsteile wurde auch später noch mehrfach von Friedrich ange-
wandt, wobei die Folgen in der Regel aber weniger positiv waren. Solche Umsiedlungen waren offenbar auch ein Mittel der Siedlungspolitik, etwa als 1232 in Ostsizilien ein Aufstand gegen den dortigen Justiziar entstand, zu dessen Unterdrückung Friedrich selbst auf die Insel kommen musste. Das Zentrum der Rebellion war Messina, aber sie griff auch auf Syrakus und weitere, kleinere Städte über, die in der Folge erobert und in manchen Fällen systematisch zerstört wurden. So siedelte man etwa die Bewohner von Centuripe (Abb. 5) und einigen Nachbarorten in die neue Stadtgründung Augusta und nach Palermo um. Auch das Verhalten gegenüber den Orten, die Friedrichs Abwesenheit auf dem Kreuzzug für allzu selbstständige Aktionen bzw. sogar für eine Annäherung an den Papst und seine Truppen versucht hatten, war von konsequenter Härte. Die Städte Sora bei Montecassino und San Severo bei Foggia wurden 1229 zerstört, ihre Einwohner vertrieben; Foggia, Troia, Casalnuovo, Larino und Civitate verloren außerdem zumindest ihre Befestigungen und mussten Geiseln stellen. Dass Friedrich II. auch das wirtschaftliche Geschehen reflektierte – was für einen mittelalterlichen Adeligen durchaus ungewöhnlich war –, zeigte schon früh die Tat-
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sache, dass er Genua, aber auch Pisa und Venedig bei seiner Rückkehr nach Italien 1220 wichtige Handelsprivilegien entzog. Die reiche Stadtrepublik Genua, die seit der Zeit Heinrichs VI. auch mit Syrakus belehnt gewesen war, hatte ihn auf seinem Weg nach Norden 1212 noch unterstützt, später aber das zu Sizilien gehörende Malta besetzt, um Druck auf den Kaiser auszuüben. Friedrich wandte mit dem Entzug solcher Privilegien eine Strafmaßnahme an, die eine norditalienische Stadtrepublik fraglos hart traf, denn bis dahin profitierten vor allem Genua und Pisa stark vom Transport des im Königreich Sizilien produzierten Getreides. Das hatte aber eben bedeutet, dass die beiden Hafenstädte aus dem wirtschaftlich hoch entwickelten Norditalien die wenigen Gewinne abgeschöpft hatten, die sonst das Reich Friedrichs II. hätte erzielen können. Denn außer Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten wurden dort eben kaum Handelswaren hergestellt und auch Sizilien war – außer im Osten, wo auch alle neuen Burgen Friedrichs mit Ausnahme von Enna entstanden – offensichtlich nur dünn besiedelt. Außer Palermo und Neapel gab es nur viele kleine Städte und der eigenständig betriebene Handel des Königreichs hielt sich daher fraglos in sehr engen Grenzen. Friedrich versuchte dann in einer späteren Phase seiner Herrschaft, etwa ab dem Erlass des Liber Augustalis 1231, den Fernhandel des Königreichs gezielt zu fördern, vor allem durch Einrichtung von Monopolen bzw. Zöllen auf verschiedene Waren, aber auch durch die Verstärkung der schon seit normannischer Zeit bestehenden Flotte, die neben der Kriegführung auch dem Handel dienen sollte. Die Anordnungen, die er 1240 bezüglich seiner Neugründung Augusta und des Hafens bei der wohl gleichfalls neu erbauten Burg Milazzo traf, sollten den Handel stärken;
nur von diesen beiden Plätzen an der festlandsnahen Küste Siziliens aus sollte künftig Handel mit dem Ausland getrieben werden. Dass es dabei vor allem um Getreide ging, zeigen die im Bau befindlichen Kornspeicher in Augusta, die ebenfalls 1240 in Briefen des Kaisers erwähnt wurden. Auch die Unterstützung von Unternehmern in dieser im Aufbau befindlichen Stadt und in Catania, die dort vermutlich Steinbrüche erschließen und Landwirtschaft treiben wollten, war Friedrich eine eigene Äußerung wert; in Milazzo hatte schon früher eine „tonnara“, wohl eine Anlage für Fang und Verarbeitung von Thunfischen, seine persönliche Aufmerksamkeit gefunden. Besondere Beachtung in wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht haben auch die „Augustalen“ gefunden, schwere Goldmünzen, mit denen der Kaiser ab 1231 dem bis dahin den Handel beherrschenden byzantinischen und arabischen Geld etwas entgegensetzen wollte (Abb. 6). Die Begrenztheit seines Verständnisses wirtschaftlicher Prozesse zeigte sich jedoch auch in diesem Zusammenhang. Dass nämlich letztlich nur der Markt den Wert einer Währung bzw. die Preise bestimmen kann, blieb ihm offensichtlich verschlossen. Er versuchte vielmehr, einen bestimmten und für den Handel en détail sicherlich allzu hohen Wert dieser Münze durch rigide Strafandrohung durchzusetzen – eine Methode, die bestenfalls im eigenen Reich funktionieren konnte, keineswegs aber im Handel mit anderen Ländern. Zudem wurden die wertvollen Goldmünzen nicht durch Münzen kleineren Wertes ersetzt, die der Handel jedoch dringend benötigt hätte. Bei alledem muss man sich außerdem ein weiteres Mal vor Augen halten, dass wir die Tragweite auch von Friedrichs wirtschaftlich geprägten Maßnahmen wegen der Lückenhaftigkeit der Quellen kaum wirklich einschätzen
Abb. 6 Ein goldener Augustalis Friedrichs II., der nach 1231 in Brindisi geprägt wurde.
1.2. Herrschaft und Staat in Sizilien
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können. Sie belegen zwar einerseits sein persönliches Interesse auch an der Wirtschaft des Königreichs, aber sie zeigen andererseits auch, dass er das gesamte Wirtschaftsgeschehen weiterhin extrem zentralisiert zu steuern versuchte, geleitet offenbar von einem einseitigen Interesse an Steuern und Abgaben, aber ohne wirkliche Einsicht in das Marktgeschehen. Damit nahm er gerade jener Eigeninitiative den Raum, die den Händlern im Norden gleichzeitig wachsende Reichtümer einbrachte.
1.3. DER KREUZZUG Den latenten Kampf gegen den Islam als selbstverständliche und dauerhafte Pflicht christlicher Herrscher etabliert zu haben, war der vielleicht größte politisch-psychologische Erfolg, den das Papsttum im Mittelalter erzielt hat. Die Päpste hätten ihren Machtanspruch – der immer wieder hervortrat, auch wenn die wechselnden Amtsinhaber recht verschieden agierten – nicht mit eigenen kriegerischen Mitteln durchsetzen können, denn ihre Truppen waren den weltlichen Herrschern Europas zu allen Zeiten weit unterlegen. Zudem erwies sich der gelegentliche Versuch, aus dieser Schwäche heraus weltliche Herrscher zum Schutz des weitgehend machtlosen Papststaates zu verpflichten, als zweischneidiges Schwert, denn die Helfer – vor allem auch die Normannen aus dem Geschlecht der Hauteville – nutzten ihre Erfolge nur allzu gerne, um sich eine eigene Machtposition aufzubauen, und wurden damit selbst zur nächsten Bedrohung. Aus diesen Bedingungen heraus war es fraglos ein genialer Schachzug des Papsttums, die Eroberung von Jerusalem, des Ortes von Martyrium und Grab Jesu (Abb. 7), nicht nur allgemein als hohes religiöses Ziel zu propagieren, sondern darüber hinaus Feldzüge ins Heilige Land zur Pflicht jedes wahrhaft christlichen Herrschers zu erklären. Denn es bedeutete in der Realität, dass die Herrscher und ihre Heere jahrelang fern von Italien gebunden wurden und zumindest in diesen Zeiten keine Bedrohung der päpstlichen Territorien und Ansprüche sein konnten. Außerdem würde der jeweilige Papst so oder so der Gewinner sein: Bei Erfolg des Kreuzzuges würde sein Name für immer mit der Wiedergewinnung der wichtigsten christlichen Stätten verbunden bleiben, bei dessen Scheitern würden wenigstens die christlichen Heere so geschwächt zurückkehren, dass die Bedrohung des Papststaates zumindest eine Zeit lang deutlich gemindert wäre. Es überrascht daher keineswegs, dass Papst Innozenz III. auch Friedrich II. schon 1215 bei dessen Königs-
Î Abb. 7 Die Grabeskirche in Jerusalem birgt nach der Überlieferung das Grab Christi und auch Golgatha, die Stätte der Kreuzigung. Als eine der heiligsten Stätten der Christenheit, die von der muslimischen Herrschaft „befreit“ werden sollte, war sie eines der wichtigsten Ziele der Kreuzzzüge.
krönung in Deutschland zu einem Kreuzzug verpflichtet hatte; Friedrich sollte damit auch dem Vorbild seines Vaters und Großvaters folgen, die allerdings beide schon vor der Abreise bzw. vor der Ankunft im Heiligen Land gestorben waren. Friedrich verschob den Aufbruch aus meist durchaus begreiflichen Gründen mehrfach, zuletzt 1227, als seine Armee unter einer Hungersnot und Krankheiten litt. Trotz solcher Umstände bot dies der aggressiven Politik des noch neuen Papstes Gregor IX. (reg. 1227– 41) eine willkommene Gelegenheit, Friedrich als Strafe für seinen angeblichen Wortbruch zu exkommunizieren. Der Papst verstärkte dies noch durch eine zweite Exkommunikation, als Friedrich sich nicht beirren ließ, sondern im Sommer des Folgejahres 1228 doch zum Kreuzzug aufbrach – nun war es nach Gregors Darstellung ein Sakrileg, dass ein mit dem Kirchenbann Belegter ein so christliches Unternehmen wie einen Kreuzzug anführen wollte. Und der Papst ging noch einen neuartigen und unerhörten Schritt weiter, indem er sich selbst als Kriegsherr gerierte und die Abwesenheit des Kaisers nutzte, um im Sinne eines eigenen Kreuzzuges mit Truppen in das Königreich dieses „Verfolgers der Kirche“ einzufallen – freilich mit nur geringem Erfolg. Aber auch Friedrichs Kreuzzug blieb in seiner Wirkung beschränkt. Zwar neigte die Geschichtsschreibung lange dazu, seine friedliche Einigung mit dem Sultan al-Malik alKamil als ein Zeichen besonders gekonnter und vor allem friedlicher Diplomatie zu feiern, aber auch diese Deutung blendet wichtige Faktoren aus. Insbesondere war der Umgang Friedrichs mit den realen Machthabern in den christlichen Kreuzfahrerstaaten Zyperns, Palästinas und
Î Abb. 8 Die Templerburg Chastel Pèlerin nahe Haifa, hier die Reste der Angriffsseite, war die wohl stärkste fränkische Burg in den Kreuzfahrerstaaten. Die Templer als ihre Erbauer und Herren verweigerten Friedrich II. trotz seiner Kaiserwürde den Zutritt.
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1.3. Der Kreuzzug
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Abb. 9 El Kerak in Jordanien, die Burg von Osten. Die Burg, deren heutiger Bauzustand allerdings erst nach der Zeit Friedrichs II. erreicht wurde, war unter den über den Jordan vorgeschobenen Posten der Kreuzfahrerstatten der wohl stärkste. Da Friedrich II. 1228/29 ihre Rückgabe an die fränkischen Kräfte nicht erreichte, konnte auch Jerusalem nur einige Jahre lang gehalten werden.
Syriens wenig geschickt, weil er offenbar allzu einseitig auf das Gewicht seiner Kaiserwürde setzte und damit die von ihm relativ unabhängigen und zudem schon stark zerstrittenen lokalen Mächte gegen sich aufbrachte; so machte er sich etwa von Anfang an den durch seine französischen Wurzeln geprägten Templerorden zum Gegner und damit eine der stärksten militärischen Mächte der Kreuzfahrerstaaten (Abb. 8). Ohne Unterstützung aus der Region aber hätte sich Friedrich gegen die extreme Übermacht der muslimischen Staaten keineswegs durchsetzen können und so blieb ihm im Grunde wirklich nur die Möglichkeit einer friedlichen Einigung mit dem Sultan, der seinerseits erst um die wirkliche Macht in Syrien und Palästina rang und daher relativ kompromissbereit war. Die Einigung immerhin spricht für Friedrichs diplomatisches Geschick und noch grundlegender für seine in Sizilien erlernte pragmatische Toleranz gegenüber dem Islam. Auch der erreichte zehnjährige Waffenstillstand und die Anerkennung staatlicher Unabhängigkeit der Stadt Jerusalem und anderer christlicher Stätten samt Zugangskorridoren von den Mittelmeerhäfen her wirken aus heutiger Sicht zwar als Erfolg, aber unter militärischen Ge-
sichtspunkten war der mittelfristige Verlust dieser allzu begrenzten und nicht wirksam zu sichernden Gebiete dennoch absehbar. Denn eine Neubefestigung der Stadt Jerusalem wurde vertraglich untersagt und die großen Burgen jenseits des Jordans, auf denen die Sicherheit des Königreichs Jerusalem früher entscheidend beruht hatte, blieben in muslimischer Hand (Abb. 9). Der von Friedrich bei seiner schnellen Abreise hinterlassene Statthalter hatte daher keine wirkliche Möglichkeit, das allzu ungeschützte Territorium – in dem zu allem Unglück auch die Konflikte der christlichen Parteien andauerten – auf Dauer zu schützen. So wurde es schon 1244 wieder von muslimischen Herrschern besetzt. Diese Vermeidung eines erwartbar verlustreichen und aussichtslosen Krieges mit dem muslimischen Sultanat von Kairo mag zwar heute als beachtlich vernunftgeleiteter politischer Erfolg Friedrichs erscheinen, aber dem Erwartungshorizont des christlichen Europas entsprach er im Mittelalter jedenfalls nicht. Als Erfolg wären damals nur siegreiche Schlachten gegen die oft verteufelten Andersgläubigen gewertet worden. Dass die Umstände dies nicht zuließen, dass wegen der Übermacht der muslimi-
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schen Heere auch andere Herrscher die Kämpfe schon in engen Grenzen gehalten hatten wie etwa der für seine Kühnheit berühmte Richard I. „Löwenherz“ von England, zählte in einer so kriegsgewohnten und toleranzarmen Welt nicht. Vielmehr bot die Verständigung Friedrichs mit dem andersgläubigen Herrscher dem politisch aggressiven Gregor IX. eine zusätzliche Gelegenheit, die christlichen Überzeugungen Friedrichs anzuzweifeln, was in der mittelalterlichen Welt den schärfsten möglichen Angriff darstellte. Ein Vorteil von Friedrichs Einsicht in die im Grunde hoffnungslose Lage der Kreuzfahrerstaaten bzw. seiner dementsprechenden Zurückhaltung bestand jedoch darin, dass er sehr schnell, nach weniger als einem Jahr Abwesenheit, und mit einem ungeschwächten, aktionsfähigen Heer ins Königreich Sizilien zurückkehren konnte.
Damit nämlich war es kein Problem, die relativ schwachen und durch die Rückkehr des Kaisers verunsicherten Truppen des Papstes und seiner Verbündeten wieder aus dem Land zu treiben; die folgenden Strafaktionen gegen untreue Städte wurden schon erwähnt. Blieben die Erfolge im Heiligen Land also allzu begrenzt, so konnte Friedrich zumindest größere Machteinbußen in seinem eigenen Reich vermeiden – und das war in jener Epoche höchst relevant und keineswegs selbstverständlich.
1.4. DER KAMPF UM DIE LOMBARDEI Die Lombardei gehörte seit Karl dem Großen, der sich 774 zum König der Langobarden erklärt hatte, als Königreich Italien formal zum „Heiligen Römischen Reich“ – wie zumindest nach der Auffassung Friedrichs I. auch Süditalien. Die seit der Antike fruchtbare und städtereiche
Abb. 10 Der Kirchenstaat bildete in staufischer Zeit eine Barriere zwischen dem Königreich Sizilien und den ebenfalls staufischen Königreichen Italien und Deutschland. Der Anspruch Friedrichs II. auf das Herzogtum Spoleto und die Mark Ancona hätte die staufischen Herrschaftsbereiche vereinigt und das Patrimonium Petri minimiert.
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Landschaft, die vor allem durch den Po und seine Nebenflüsse, aber auch schon früh durch neu angelegte Kanäle sehr gute Möglichkeiten für den Handel bot und damit schnell reich wurde, war für die deutschen Kaiser aber nicht nur deswegen wichtig. Auch ihre Lage zwischen dem weit in die südlichen Alpen reichenden deutschen Siedlungsraum einerseits und Rom als Sitz des Papstes andererseits spielte dafür eine wesentliche Rolle, denn der direkte Weg zur Kaiserkrönung führte folglich durch Norditalien; die Krönung zum König von Italien erfolgte dabei traditionell in Pavia. Schon Friedrich I., der Großvater Friedrichs II., hatte daher ab 1154 in langen Kämpfen versucht, das Selbstständigkeitsstreben der größeren lombardischen Städte zu unterdrücken und seinen formalen Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Er hatte dabei zwar spektakuläre Erfolge erzielt, insbesondere hatte er 1162 Mailand erobert und zerstört. Aber in der Folge hatte der 1167 gegründete „lombardische Bund“, den die Städte zu ihrer Verteidigung geschlossen hatten und den das normannische Sizilien, Byzanz und Venedig finanziell unterstützten, dennoch ein hohes Maß von Unabhängigkeit durchsetzen können. Denn in Oberitalien hatte ab dem 11. Jh. eine Entwicklung stattgefunden, die als „kommunale Bewegung“ bezeichnet wird. Viele größere Städte schüttelten in dieser Zeit, auch in Anknüpfung an ihre zentralen Verwaltungsaufgaben bereits im Imperium Romanum, die feudale Herrschaft ab, die bis dahin meist bei ihren Bischöfen gelegen hatte; sie wurden so auch wieder uneingeschränkte Herren über ihr für die Versorgung wichtiges Landgebiet, den „contado“ (ursprünglich: Grafschaft). Auf der Grundlage dieser gewachsenen Unabhängigkeit konnten sich die ökonomischen Interessen der städtischen Händler und Handwerker viel besser entfalten und so war vor allem die Lombardei im 12./13. Jh. zu einer der aktivsten und reichsten Wirtschaftsregionen Europas geworden. Es liegt auf der Hand, dass die Bürgerschaft dieser Städte unter diesen Umständen nicht mehr bereit war, ihre Selbstbestimmung erneut einer feudalen Herrschaft unterzuordnen, also auch nicht den kaiserlichen Ansprüchen Friedrichs I. Der lombardische Bund baute daher das zerstörte und verlassene Mailand in kurzer Zeit wieder auf, nicht ohne es stark zu befestigen, und kämpfte, unterstützt durch das Papsttum, weiter gegen den Kaiser. Dabei erwiesen sich der Bevölkerungsreichtum und die besseren ökonomischen Möglichkeiten der lombardischen Städte auf die Dauer als entscheidend, ergänzt auch durch die Mög-
lichkeit, die Alpenpässe für aus Deutschland kommende Truppen zu sperren. Den entscheidenden Sieg errang der Bund 1176 bei Legnano nordwestlich von Mailand, wonach sich der durch den langen Konflikt erschöpfte Kaiser dem Papst unterwarf und 1183 in Konstanz einen Kompromissfrieden schloss. Diese Vereinbarung wahrte zwar formell die Rechte des Kaisertums bzw. des Königs von Italien, aber in Wahrheit gab Friedrich I. entscheidende Teile davon aus der Hand. Die Städte konnten nun königliche Rechte (Regalien) kaufen, soweit diese die Verhältnisse innerhalb ihrer Mauern betrafen, und sie durften eigene Konsuln wählen, die künftig anstelle der bisherigen königlichen Vögte ihre Politik bestimmten. Damit hatten sie ein hohes Maß von Autonomie errungen; der Kaiser war nur noch oberster Gerichtsherr – was bedeutungslos blieb, solange es den Stadtrepubliken gelang, ihre freilich nicht seltenen Konflikte unter sich zu regeln. Durch die Krönung Heinrichs VI. zum König auch von Sizilien 1194 wurde die Beherrschung Oberitaliens für die staufischen Herrscher nochmals entschieden wichtiger, denn nun bildete nur noch der kleine Papststaat eine potenzielle Barriere zwischen Gebieten, die de facto oder – in der Lombardei – zumindest nominell von den Staufern beherrscht wurden; natürlich schürte dies auch die Angst der Päpste vor dem Verlust ihrer Territorien (Abb. 10). Heinrich VI. vermied allerdings in seiner nur kurzen Regierungszeit Konflikte mit den lombardischen Städten, weil er oft ihre Unterstützung benötigte, vor allem eben bei der Eroberung Siziliens. Und auch Friedrich II. hielt sich im Norden Italiens zunächst zurück, solange er nämlich mit der Absicherung seiner Herrschaft in Deutschland und Sizilien befasst war und später dann auch mit dem Kreuzzug. Aber wenig später, als er in beiden Königreichen zumindest zeitweise eine solide Basis geschaffen hatte, versuchte Friedrich im Bewusstsein seines kaiserlichen Ranges, auch in der Lombardei seine Herrschaft durchzusetzen. Zu Ostern 1226 hielt er einen Hoftag in der ihm günstig gesinnten Stadt Cremona und verkündete dort, dass er in Oberitalien wieder umfassendere königlichen Rechte etablieren wolle, was begreiflicherweise viele lombardische Städte alarmierte. Sie reaktivierten den Lombardenbund und stellten Gegenforderungen, die das seit Jahrzehnten herrschende fragile Gleichgewicht endgültig unterminierten: Friedrich sollte auf sein Recht als oberster Gerichtsherr verzichten und den Umfang seines Heeres in der Lombardei begrenzen. Da sie auch den Al-
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Abb. 11 Der erbeutete mailändische Fahnenwagen „Carroccio“ nach der Schlacht bei Cortenuova, in der Friedrich II. 1237 zeitweise die Oberhand in Norditalien gewann, nach Giovanni Villanis „Nuova Cronica“ (14. Jh.).
penübergang über den Brenner an der Veroneser Klause für die aus Deutschland kommenden Truppen seines Sohnes Heinrich sperrten, sah Friedrich die „Ehre des Reiches“ (honor imperii) verletzt; er tat die im Bund vereinten Städte in die Reichsacht und widerrief den Konstanzer Frieden von 1183. Damit war dem von Friedrich I. mühsam ausgehandelten, allerdings für die Staufer unvorteilhaften Gleichgewicht der Kräfte der Boden entzogen; die restliche Regierungszeit Friedrichs II. blieb durch eine dauerhafte Konfrontation des Kaisers mit den meisten lombardischen Städten bestimmt. Für den Moment freilich war Friedrich wegen der Unterlegenheit seines nur von wenigen oberitalienischen Städten pflichtgemäß unterstützten Heeres zum Verzicht auf militärische Maßnahmen gezwungen. Stattdessen sollte der politisch gemäßigte Papst Honorius III. den Konflikt durch einen Schiedsspruch lösen, dessen erster Entwurf aber für den Kaiser inakzeptabel blieb; gegen die Stellung von 400 Rittern für den bevorstehenden Kreuzzug, aber ohne formelle Unterwerfung hätte er den gegnerischen Städten verzeihen sollen. Der Konflikt blieb zunächst ungelöst, eben wegen Friedrichs Vorbereitungen auf den Zug ins Heilige Land (vgl. 1.3. Der Kreuzzug). Erst nach dem Kreuzzug versuchte Friedrich ein zweites Mal, die lombardischen Städte zu unterwerfen, anfangs allerdings ohne erkennbaren Erfolg – dem Ruf zu einem Hoftag in Ravenna im November 1231 folgte keine Stadt des Lombardenbundes. Der daraufhin erneut als Schiedsrichter angerufene Papst, nun Gregor IX., wieder-
holte die wenig überzeugenden Vorschläge seines Vorgängers von 1226; erstaunlicherweise verzichtete er aber zunächst auf direkte Maßnahmen gegen den Kaiser, obwohl dieser damit ein weiteres Mal die für das Papsttum bedrohliche Verbindung des Reichs mit dem Königreich Sizilien zu verwirklichen suchte. Friedrich erließ zum selben Zweck nun ein zweites Gesetz, mit dem er die Unterstützung aus Deutschland fördern wollte. 1220 hatte er mit der heute so bezeichneten confoederatio cum principibus ecclesiasticis die deutschen Kirchenfürsten bereits dauerhaft an sich zu binden versucht und entsprechend sollte nun das sogenannte statutum in favorem principum (= Statut zugunsten der Fürsten) 1231/32 die Unterstützung der weltlichen deutschen Fürsten gegen die lombardischen Städte sichern. Das Statut brachte ihm kurzfristig Vorteile, aber langfristig war es von größtem Nachteil für die Macht der Staufer und die Politik in Deutschland, denn es machte die Fürsten – zum Nachteil der Zentralgewalt und der Städte und damit der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands – zu unabhängigen Herren ihrer Territorien. Das Statut von 1231/32 markierte damit – ohne dass dies unbedingt vorherzusehen war – die Geburtsstunde jener „Kleinstaaterei“, die dann letztlich bis ins 19. Jh. Deutschlands Entwicklung prägte. Kurzfristig brachte es außerdem, wie schon erwähnt, Friedrichs Sohn, König Heinrich (VII.), in eine unhaltbare Lage, weil es ihm nahezu unmöglich wurde, gleichzeitig die königlichen Rechte und die entgegenstehenden Ansprüche der Fürsten zu wahren; sein Aufstand 1235 und die folgende Entmachtung durch den Vater leiteten im Grunde schon
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Abb. 12 Die Ruinen der Burg (links) und Stadt Castel Fiorentino. Friedrich II. starb am 13. September 1250 in der Burg, auf einem Jagdausflug. Die heute durch Getreidefelder geprägte Landschaft muss damals ein gutes Jagdrevier gewesen sein.
das Ende staufischer Herrschaft in Deutschland ein, denn die Zeit von Heinrichs Nachfolger, König Konrad, war im Grunde kaum noch mehr als ein lang gezogenes Rückzugsgefecht. In der Lombardei stellten sich Erfolge erst ein, als sich 1236 Ezzelino da Romano, der Herrscher von Verona, zweifellos vor allem in Verfolgung eigener Interessen, mit Friedrich verbündete und den Weg durch die Veroneser Klause für Truppen aus Deutschland freigab. Friedrich sandte ihm aus Deutschland 500 Ritter und 100 Armbrustschützen, woraufhin Ezzelino Vicenza, Padua und Treviso erobern konnte; aus Angst vor weiteren Truppen, die aus Deutschland in Marsch gesetzt wurden, wechselten nun auch Mantua und Ferrara die Seiten. Damit verfügte Friedrich, der schon länger von Parma, Cremona, Reggio Emilia und Modena unterstützt worden war und auch Darlehen von Bankiers in Rom und der Lombardei nutzen konnte, endlich über eine so starke Streitmacht, dass er dem auf sechs Städte geschrumpften Lombardenbund (Mailand, Alessandria, Brescia, Piacenza, Bologna, Faenza) die Stirn bieten konnte. Im November 1237 siegte er in der Schlacht bei Cortenuova (Abb. 11), woraufhin der Lombardenbund Verhandlungen anbot und in der Toskana auch Pisa und Florenz die Waffen streckten. Für einen weniger machtorientierten Mann wäre dies der Moment gewesen, um aus einer Position der Stärke
heraus Frieden zu schließen. Friedrich hatte viel mehr erreicht als sein Großvater, der nach der Niederlage bei Legnano 1174 weitgehende und schmerzhafte Zugeständnisse hatte machen müssen. Nichts hätte also nähergelegen, als seinen Feinden unter den Städten Gnade zu gewähren, die Verbündeten aber durch Privilegien zu belohnen und sie so alle ans Reich zu binden; nur in dieser Weise hätte er Nutzen einerseits aus den Konflikten der Städte untereinander ziehen können, die ja keineswegs in dauerhafter Harmonie lebten, und andererseits aus ihrer hocheffektiven Wirtschaft. Aber eine solch kluge Politik hätte vorausgesetzt, die Städte als gleichwertigen Verhandlungspartner anzuerkennen, zumindest jedenfalls ihre militärische Stärke und die Überlegenheit ihres Wirtschaftsmodells, wenn schon nicht ihre rechtliche und politische Gleichrangigkeit. Dazu aber war Friedrich keineswegs bereit, für ihn kam allein die vollständige Unterwerfung unter seine kaiserliche Hoheit infrage – an kaum einer anderen Stelle wird so deutlich, wie „mittelalterlich“ seine politischen Auffassungen noch waren. Vielleicht aus der Befürchtung heraus, die starken Befestigungen Mailands nicht überwinden zu können, versuchte Friedrich nun, Brescia einzunehmen – und scheiterte nach langer Belagerung, von Juli bis Oktober 1238. Damit zeigte sich schnell, wie wenig ihm der Sieg in der offenen Feldschlacht genützt hatte, zumal der Papst nun, in diesem Moment offensichtlicher Schwäche des Kaisers, den alten Konflikt wieder verschärfte, indem er Friedrich 1239 ein weiteres Mal exkommunizierte. Friedrich reagierte weiterhin militärisch, indem er 1240–41 das Herzogtum Spoleto, die Marken und einen Teil des Papststaates besetzte, damit Rom direkt bedrohend, und in der Romagna Ravenna und Faenza eroberte. Ein Seesieg der verbündeten Pisaner über eine genuesische Flotte brachte zwar zahlreiche Kardinäle in seine Hand, womit er ein von Gregor IX. einberufenes Konzil verhinderte. Aber auf die Dauer konnte Friedrich all diese Eroberungen nicht halten und der Nachfolger Gregors IX., Innozenz IV., verschärfte den Druck zusätzlich, indem er – nachdem er sich vorsichtshalber nach Lyon zurückgezogen hatte – ein Konzil einberief, das Friedrich die Kaiserwürde formell entzog. Das war der härteste Schlag, zu dem das Papsttum mit seinen weitgehend ja nur spirituellen Mitteln fähig war. Er konnte mangels entsprechender Mittel nicht militärisch ausgenutzt werden, wirkte aber psychologisch nur allzu deutlich auf jene nicht wenigen Unterstützer Friedrichs,
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denen ihr Glaube bei aller Treue zum Kaiser doch wichtig geblieben war – und noch mehr natürlich auf jene, die ihn nur aus eigennützigen Gründen unterstützt oder die sich gar nur seinen überlegenen Heeren unterworfen hatten. Dementsprechend behielt Friedrich das Königreich Sizilien zwar offenbar ohne größere Probleme in der Hand und auch im Norden gab es im Adel noch einzelne Verbündete. Aber viele Gefolgsleute in Mittel- und Norditalien fielen von ihm ab, darunter auch Inhaber hoher Ämter und sogar Petrus de Vinea, einer seiner ältesten und bewährtesten Berater. Dass sich darüber hinaus viele der gewaltsam unterworfenen lombardischen Städte sofort wieder gegen Friedrich wandten, versteht sich fast von selbst. Auch in Deutschland konnte sich König Konrad nicht mehr gegen die gewachsene Selbstständigkeit der Fürsten durchsetzen, sondern zog sich weitgehend in traditionell staufertreue Regionen zurück. Nach der päpstlichen Amtsenthebung wurden dort nun – wie schon angesprochen – mehrere Gegenkönige ausgerufen, die zwar wenig erfolgreich agierten; im Ergebnis nahm das Chaos konkurrierender Interessen der Fürsten und des Adels in Deutschland dennoch immer weiter zu. Friedrich versuchte auch in dieser ungünstigen Situation, dem Papst weiterhin mit propagandistischen Mitteln entgegenzutreten. Er plante außerdem einen Zug nach Lyon, um den Papst in direkter Begegnung umzustimmen. Unklar bleibt, ob er dabei vor allem auf den Glanz seines Auftretens hoffte oder ob er auch Gewalt anzuwenden gedachte; dies fürchtete zumindest der Papst, wie ja schon sein Rückzug nach Lyon gezeigt hatte. Aber es kam nicht zur direkten Begegnung der Kontrahenten, denn auch Parma, bis dahin einer der treuesten Verbündeten in Oberitalien, wandte sich nun gegen Friedrich. Sein Versuch, die Stadt militärisch zu unterwerfen, endete im Februar 1248 mit einer gravierenden Niederlage, auf die der Abfall der erst wenige Jahre zuvor besetzen Städte in den Marken und der Romagna folgte. 1249 wurde zudem nach einer weiteren Schlacht Enzio, ein weiterer illegitimer Sohn Friedrichs und König von Sardinien, gefangen und kam bis zu seinem Tode nicht wieder frei. Mitten in diesen vielfältigen Spannungen und Rückschlägen starb Friedrich am 13. Dezember 1250 im Alter von nur 56 Jahren. Dass dies in Castel Fiorentino geschah, einer kleinen, nicht weit von seinem Lieblingsaufenthalt Foggia entfernten Burg (Abb. 12), die nur als kurzfristiger Jagdaufenthalt gedient haben kann, legt zwei Annahmen nahe. Einerseits meinte Friedrich of-
fenbar, sich trotz der schwierigen politischen Lage noch Jagdausflüge leisten zu können; vielleicht brauchte er sie geradezu zur Entspannung. Anderseits kam sein Tod wohl unerwartet, denn in Foggia hätte es fraglos bessere medizinische Versorgung gegeben. Aus heutiger Sicht starb Friedrich jedenfalls an einem Tiefpunkt seiner Machtpolitik, sodass er auch im Falle eines längeren Lebens fraglos viel Mühe gehabt hätte, wieder an seine früheren Erfolge anzuknüpfen.
1.5. DER KONFLIKT MIT DEN PÄPSTEN Spätestens ab 1226/27 wurde ein immer schärferer Konflikt mit dem Papsttum zu einem bestimmenden Element der Herrschaft Friedrichs II. und blieb es während der Regierung dreier Päpste bis zu seinem Tod und darüber hinaus. Diese harte Konfrontation war einerseits Folge
Abb. 13 Monreale bei Palermo, das Mosaik im Dom stellt die Krönung des normannischen Königs Wilhelm II. direkt durch Gott dar, ohne Vermittlung durch den Papst – Ausdruck einer im christlichen Europa einzigartigen Unabhängigkeit.
1.5. Der Konflikt mit den Päpsten
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aktueller Geschehnisse – des verschobenen Kreuzzugs, der Konflikte in der Lombardei –, aber andererseits gab es auch Ursachen, die viel weiter zurück reichten oder von grundsätzlicher Art waren. Zwar war der Investiturstreit seit einem Jahrhundert beendet und hatte insofern nur noch indirekte Folgen. Er hatte aber die Position und das Selbstbewusstsein des Papsttums gegenüber den weltlichen Machthabern gestärkt und sie auch zu einer Art von Konkurrenten werden lassen, denn nach dem Ende des Konflikts definierten sich auch die Päpste – über ihre geistlichen Funktionen hinaus – zunehmend als Feudalherren, deren Unabhängigkeit wesentlich durch das beherrschte Territorium garantiert wurde. Das Gefühl der Bedrohung des kleinen Papststaates durch einen Herrscher, der sowohl im Norden als auch im Süden riesige Territorien kontrollierte oder es zumindest entschlossen anstrebte, dürfte denn auch der ursprüngliche und dauerhafte Anlass der Auseinandersetzungen gewesen sein, die sich ab 1227 zwischen dem neuen Papst Gregor IX. und Friedrich II. entwickelten. Aber es gab auch Konflikte zwischen beiden Parteien, deren Ursprung religiöser Art war und viel weiter zurückreichte. Insbesondere war der Zugriff des Papstes auf die Kirchenorganisation des Königreichs Sizilien schon zur Zeit der normannischen Könige in einer für die lateinische Christenheit ungewöhnlichen Weise eingeschränkt gewesen. Denn der Schutz gegen äußere Bedrohung, den die normannischen Herrscher den Päpsten mehrfach geboten hatten, veranlasste diese im Gegenzug zur Duldung eines Zustandes, in dem sich der König von Sizilien, auch hier wie in vieler Hinsicht byzantinischen Vorbildern folgend, als unmittelbar von Gott beauftragter Legat verstand – ohne Mittlerrolle des Papstes, lediglich als dessen Vasall (Abb. 13); das Interesse des Papsttums, Sizilien dem orthodoxen Christentum zu entziehen, wird außerdem bei der Gewährung dieser Ausnahme mitgewirkt haben. Schon zu Zeiten Rogers II. hatte Papst Innozenz II. erwogen, einen regelrechten Kreuzzug(!) gegen die allzu selbstherrlichen Herrscher aus dem Hause Hauteville zu initiieren, und Honorius III. hatte dann die Sonderposition der Könige von Sizilien aufzuheben versucht, indem er Friedrich bei der Königskrönung seines Sohnes Heinrich 1215 die Zusage abnahm, künftig auch in Sizilien die üblichen Zugriffsrechte des Papsttums zu akzeptieren. Aber Friedrichs Machtwille hatte dafür keinen Raum gelassen, sondern er behandelte den Klerus Siziliens ab sei-
ner Rückkehr 1220 weiterhin als Untertanen, über die er allein zu bestimmen hatte. Damit beschnitt er nicht nur politische Möglichkeiten der Päpste, etwa bei Bischofswahlen, sondern beeinträchtigte eben auch deren überall sonst selbstverständliche religiöse Rechte. Er nahm Einfluss auf Bischofswahlen und zog die Einkünfte unbesetzter Bischofsstühle für die königliche Kasse ein; manchmal sorgte er offenbar sogar dafür, dass die Neubesetzung sich hinzog, um länger in den Genuss dieser Mittel zu kommen. Ferner wurden die unteren Ränge der Kirchenhierarchie keineswegs steuerfrei gestellt und auch die alleinige Zuständigkeit der Kirchengerichte wurde übergangen; der Klerus wurde vielmehr besteuert wie alle anderen Untertanen und gegebenenfalls auch von kaiserlichen Gerichten abgeurteilt. Als eine gewisse Milderung dieses Verhaltens, die wohl auch ein verhandlungsbereiter Papst verstehen konnte, durfte allein die Tatsache gelten, dass Friedrich diese sizilianischen Sonderverhältnisse nicht selbst geschaffen, sondern lediglich beibehalten hatte. Außerdem war in Versprechungen, die einem Papst anlässlich von Krönungen gegeben wurden, immer ein Unterton der Nötigung spürbar, der vielleicht zu einer milderen Betrachtung ihres Bruches geführt haben mag. Jedenfalls konnte Friedrich sich sein Verhalten offenbar erlauben, solange der politisch milde, vielleicht auch sich seiner militärischen Machtlosigkeit bewusste Honorius regierte; aber eine gewisse Grundspannung blieb damit dauerhaft erhalten. Dass aus dieser Problematik ein mit propagandistischen und zeitweise sogar kriegerischen Mitteln ausgefochtener heftiger Konflikt werden konnte, hatte einerseits mit der anderen Persönlichkeit von Honorius´ Nachfolger Gregor IX. zu tun (Abb. 14), der weit weniger bereit war, um des Friedens willen zurückzustecken; Abulafia spricht sogar von einer „fixen Idee“ des Papstes, die darin bestand, dass er nicht nur seine weltliche, sondern auch seine religiöse Macht bedroht sah. Friedrich hatte schon seit seinen ersten Jahren in Süditalien den Konflikt zusätzlich verschärft, indem er Ansprüche auf zumindest Teile des Kirchenstaats, also der weltlichen Machtbasis der Päpste, anmeldete. Denn Otto IV., der Vorgänger und welfische Konkurrent Friedrichs, hatte 1201 während des Ringens um seine Anerkennung als König zwei bis dahin kaiserliche Gebiete dem Kirchenstaat übertragen. Das Herzogtum Spoleto und die Mark von Ancona hatten bis dahin eine Landverbindung zwischen dem Königreich Sizilien und der Lombardei gebildet; nun aber hatte Otto
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dem Papststaat eine territoriale Barriere bis an die Adria zugestanden. Diese Einbuße wollte Friedrich rückgängig machen und kündigte daher 1222 an, Spoleto und die Marken wieder der kaiserlichen Herrschaft unterstellen zu wollen. 1226 rief er auf dem Weg in die Lombardei den Adel beider Regionen zu seinen Fahnen, behandelte sie also, die päpstlichen Ansprüche übergehend, als Vasallen des Reiches. Spätestens die Ereignisse während des Kreuzzuges 1227/28 – der doppelte Kirchenbann durch den neuen Papst, dessen Einfall ins Königreich Sizilien, schließlich die begrenzten Erfolge der beiden Kriegszüge in die Lombardei und ins Heilige Land – scheinen Friedrich jedoch etwas später zu einer Milderung seiner Haltung veranlasst zu haben. Zwar trieb er 1230 einerseits die päpstlichen Armeen aus dem Königreich, wendete also Gewalt an – die in diesem Falle freilich defensiv und nachvollziehbar war –, andererseits machte er aber ein weitreichendes Zugeständnis, das wohl doch aus der Einsicht in die Begrenztheit seiner Möglichkeiten zu erklären ist. Er gewährte nämlich dem Papst eben jene Zugriffsmöglichkeiten auf den sizilianischen Klerus, die zwar fast überall im Abendland üblich waren, nur in Sizilien mit seiner byzantinisch-arabisch-normannischen Vorgeschichte bisher eben nicht. Wie mag nun aber Friedrichs häufig und kontrovers diskutierte Haltung zur Religion tatsächlich gewesen sein? Eine Antwort auf diese Frage ist mindestens sehr schwierig, eigentlich aber unmöglich, weil man – angesichts der bis heute hohen Relevanz religiöser Überzeugungen – die extrem begrenzten Aussagen der zeitgenössischen Quellen von den Bewertungen neuzeitlicher Interpreten kaum trennen kann; manche Historiker lehnen Friedrich bis heute wegen seiner vermeintlichen Religionsfeindlichkeit ab, andere schätzen ihn eben deswegen. Fraglos aber konnte Gläubigkeit schon im Mittelalter vielfältige und widersprüchliche Formen annehmen. Sie reichte mindestens von tiefer persönlicher Gläubigkeit über eine oberflächliche – oder auch nur politisch absichtsvolle – Religiosität bis zu einem sicher nur ausnahmsweise offen gezeigten Atheismus mit einer fast beliebigen Zahl von Grautönen. Wo selbst eine weit überdurchschnittlich dokumentierte Herrscherpersönlichkeit wie Friedrich II. auf diesem weiten Feld zu lokalisieren ist, muss daher letztlich offenbleiben. Friedrich zeigte nach der uns zugänglichen Überlieferung als junger Mann eine für seine Zeit und Stellung un-
Abb. 14 Papst Gregor IX., wie er – in Ermangelung einer zeitgenössischen Darstellung – 1508–11 durch Raffael in der Stanza della Segnatura des Vatikans dargestellt wurde.
auffällige Gläubigkeit. Zwar taugt sein Kreuzzug dafür nur bedingt als Beleg, weil er fraglos auch politisch begründet war, und die mehrfache Verschiebung aus politischen wie praktischen Rücksichten spricht eher gegen eine allzu hohe Bedeutung des Religiösen in seinem Weltbild. Aber Friedrich förderte wie viele Fürsten und Adelige seiner Epoche den Zisterzienserorden; dass er sich, wie eine gern zitierte Legende behauptet, in eine Zisterzienserkutte kleiden ließ, als er im Sterben lag, ist allerdings nicht zweifelsfrei belegbar. Fraglos verehrte Friedrich außerdem die etwas jüngere, schon 1231 verstorbene Landgräfin Elisabeth von Thüringen, die 1235 wegen ihrer Fürsorge für die Armen heiliggesprochen wurde, und auch seine grundsätzliche Ablehnung von Ketzern ist belegbar. Solche Indizien weisen am ehesten auf einen Herrscher, dessen Gläubigkeit sich in einem für seine Epoche eher unauffälligen Rahmen bewegte – gewiss kein religiöser Fanatiker, aber fraglos auch alles andere als ein Ketzer. Man fühlt sich dabei durchaus an das dictum Georges Dubys über den englischen Earl – und zeitweisen Regenten
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Englands – William Marshal (1144–1219) erinnert: Typisch für ihn und wohl insgesamt für den Adel seiner Zeit sei eine selbstverständliche, unaufgeregte Gläubigkeit gewesen, die sich „nur mit Maßen der Priester bediente“. Wenn man aber dieser Vorstellung einer einfach nur zeittypischen Gläubigkeit Friedrichs II. zustimmen will – warum dann die erbitterten Propagandaschlachten mit drei Päpsten? Mehr als nahe liegt die Antwort, dass es in Wahrheit doch primär um Macht ging und dass die Religion nur missbraucht wurde, um verbale Wurfgeschosse zu liefern. Der Auslöser, der eine latente, aber nicht akute Spannung zwischen den Parteien in einen „kalten Krieg“ – mit Phasen wirklicher Kämpfe – verwandelte, wäre gemäß dieser Einschätzung also keine atheistische Haltung Friedrichs gewesen, sondern sein Machtstreben, das die territorialen Interessen des Papsttums direkt wie indirekt bedrohte: direkt durch den Anspruch auf das Herzogtum Spoleto und die Mark von Ancona, indirekt durch die wiederholten Unterwerfungsversuche der lombardischen Städte, die im Erfolgsfalle zu einer hoffnungslosen Einschnürung des kleinen und wehrlosen Papststaates geführt hätten. Dies also wäre der wirkliche Grund gewesen, warum Friedrich von Gregor IX. und seinem Nachfolger mehrfach exkommuniziert wurde und warum man letztlich sogar versuchte, ihn seiner Kaiserwürde zu berauben. Dass es nur spirituelle bzw. psychologisch wirksame Mittel waren, die ein Papst gegen die Militärmacht eines Kaisers nicht in wirkliche Macht hätte umsetzen können, führte dann fast zwingend zu der Propagandaschlacht, deren konkrete Behauptungen manche älteren Historiker sicherlich deswegen etwas überbewertet haben, weil sie ihnen in vielen Originaltexten vorliegen, ganz im Gegensatz zu den politischen Hintergründen und den persönlichen Erwägungen der Handelnden, die im Mittelalter so gut wie immer im Dunkeln bleiben. Dabei sprechen die überlieferten Texte bei etwas kritischer Betrachtung eindeutig dafür, dass die Propagandisten beider Seiten, hochgradig geschulte Rhetoriker, sehr schnell jegliche Orientierung an den Fakten und alle Skrupel beiseiteließen, um dann jeden Aspekt hemmungslos umzudeuten, der für ihre Zwecke auch nur im Geringsten brauchbar schien. Das für die päpstlichen Hassprediger a priori nächstliegende Element lag natürlich in der überdurchschnittlichen Nähe Friedrichs zur muslimischen Welt, die in objektiverer Betrachtung freilich kaum mehr war als pragmatische Toleranz. Es gab auf Sizilien bis in Friedrichs
Regierungszeit hinein neben orthodoxen Christen und einigen Juden auch noch einen relativ großen „sarazenischen“ Bevölkerungsanteil, der von seinen Vorgängern weitgehend geduldet worden war; er führte die Duldung eigentlich nur fort, ohne dass man darin irgendeine Aussage über persönliche religiöse Präferenzen erkennen müsste. Denn, als die durchaus unterprivilegierten sizilianischen Muslime dann rebellierten, behandelte er sie keineswegs etwa milder als andere Untertanen; dass sie trotzdem später nach erzwungener Umsiedlung treu in Friedrichs Heer dienten, war fraglos nicht mehr als ihre Reaktion auf diese in der Epoche ungewöhnliche religiöse Toleranz. Auch der Friedensschluss mit Sultan al-Malik al-Kamil war sicherlich kein Ausdruck von Friedrichs Religiosität, sondern weit eher Folge der Einsicht in die politische und militärische Schwäche seiner Position, ergänzt allerdings wieder durch die auf Sizilien erlernte Toleranz; ohne sie wäre keine Gesprächsebene mit dem muslimischen Herrscher erreichbar gewesen. Dieser Verhandlungsfriede war jedoch für die christlichen Fanatiker um Gregor IX. – im Sinne des beim europäischen Adel verbreiteten Weltbildes, in das nur blutige Siege über die „Ungläubigen“ passten – ein perfekter Ausgangspunkt für die Verteufelung des bereits doppelt gebannten Kaisers. Nimmt man schließlich noch hinzu, dass Friedrichs weit überdurchschnittliches Interesse an der Wissenschaft seiner Epoche ihn öfter – und aufgrund des damals großen Wissensvorsprunges in der muslimischen Welt geradezu unvermeidlich – mit muslimischen Wissenschaftlern in Kontakt brachte (vgl. 1.6. Hofkultur und Wissenschaft), so war es für den ebenso machtpolitisch verunsicherten wie rhetorisch geschulten päpstlichen Hofstaat fast unausweichlich, eben dies zum Angriffsziel zu wählen. So kam es sogar zu Gerüchten wie dem, Friedrich halte sich einen Harem, in dem er selbst die Königin gefangen halte, er sei gar selbst Muslim, und letztlich zum Höhepunkt der Angriffe, nämlich der Gleichsetzung des Kaisers mit dem „Antichristen“, dem Satan – was in der Epoche der Kreuzzüge eine durchaus verbreitete Herabwürdigung Andersgläubiger war, insbesondere von Muslimen. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch eine fast schon modern wirkende propagandistische Äußerung des Tommaso da Gaeta, Friedrich habe auch die Armen für den Bau seiner Burgen ausgebeutet – er hätte besser gottgefällige Bauten errichtet. Die Propagandisten auf kaiserlicher Seite hatten diesem rücksichtslosen Missbrauch ebenso religiös unter-
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fütterter wie weitverbreiteter Vorurteile und Ängste offensichtlich kaum etwas Gleich- oder gar Höherwertiges entgegenzusetzen. Sie übernahmen daher die religiöse Ebene der päpstlichen Attacken und formulierten, anknüpfend an althergebrachte religiöse Konnotationen des Königtums – jeder König war auf einer grundsätzlichen Ebene rex et sacerdos (König und Priester) –, einen überhöhten und universalen Herrschaftsanspruch des Kaisers, um ihn auf eine mit dem Papst auch insoweit gleichwertige Ebene zu heben. Er wurde als Spross des Hauses David bezeichnet, als Aaron – Moses Bruder und von Gott eingesetzter Ahn aller Priester Israels –, schließlich als Ankündiger Christi. Auf einer anderen, weit realeren Ebene warf Friedrich dem Papst Böswilligkeit vor – wobei er darauf achtete, nur die Person anzugreifen, nicht aber das Amt – und er attackierte den Reichtum der Päpste, der ja fraglos in krassem Gegensatz zur überlieferten Besitzlosigkeit Christi stand. Selbstverständlich wäre es also Unfug, in den beidseitig extrem weit hergeholten Anwürfen dieses Propagandakrieges Faktenbehauptungen erkennen zu wollen, die man verifizieren oder falsifizieren könnte; dies ist dementsprechend auch nie versucht worden. Immerhin aber wurde die Behauptung, Friedrich sei dem muslimischen Glauben zumindest zugeneigt gewesen, von manchen älteren Historikern hinreichend ernst genommen, um sie zu diskutieren. Eine indirekte Folge dieser zeitgenössischen Propaganda kann man auch in der öfter zitierten Behauptung sehen, Friedrich habe in auffälliger Weise darauf verzichtet, Kirchen und Kapellen zu bauen; so habe er etwa in Apulien nur einen einzigen Domneubau begründet, nämlich jenen in dem von ihm neu besiedelten Altamura (Abb. 15). Alternative Erklärungen blieben aber auch in diesem Falle ungeprüft, etwa die naheliegende Erwägung, dass Apulien mit seiner Fülle romanischer bzw. unter normannischer Herrschaft entstandener Bischofs- und anderer Kirchen in den nur dreißig Jahren der Herrschaft Friedrichs möglicherweise gar keinen Bedarf an neuen Kathedralen mehr gehabt haben könnte. Auch wies David Abulafia darauf hin, dass Friedrich im Dom von Cefalù durchaus einige Mosaiken hat anbringen lassen, dass aber gerade die Mosaikkunst in seiner Zeit zurückging, vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen. Auf eine Reihe weiterer schwer beweisbarer Behauptungen, die der Unterstellung zugrunde liegen, Friedrichs Burgen hätten sehr selten Burgkapellen besessen, wird noch genauer einzugehen sein (vgl. 2.5.1. Räume und Raumfunktionen).
1.6. HOFKULTUR UND WISSENSCHAFT Betrachtet man den Forschungsstand zu Kaiser Friedrich II., seinem Staat und seiner Politik auf einer grundsätzlichen Ebene, so drängt sich schnell der Eindruck auf, dass dieses Gesamtbild fast stärker durch die kulturellen Hinterlassenschaften des Kaisers geprägt wird als durch „historische“ Darstellungen im engeren Sinne, die also politische, administrative oder militärische Fragen beträfen, oder gar die lange eher marginalisierten Bereiche der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Diese überdurchschnittliche Bedeutung kultureller Aspekte ist durch die hohe Qualität bestimmter Schöpfungen Friedrichs durchaus zu erklären, vor allem durch
Abb. 15 Altamura bei Bari, der Dom, hier von Nordwesten, war der einzige von Friedrich II. unmittelbar geförderte Kirchenbau in Apulien.
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Abb. 16 Dass die prunkvolle Innenausstattung von Bauten wie des Doms von Monreale – hier ein Ausschnitt der Decke im Bereich des Querschiffs – oder der Palastkapelle in Palermo die Idee von einem „orientalischen“ Herrscher Friedrich II. förderte, liegt nahe, jedoch stammen diese Bauten von seinen normannischen Vorgängern.
die künstlerisch herausragenden Idealbauten unter seinen Burgen und – auf wissenschaftlicher Ebene – durch die für ihre Zeit ungewöhnlichen, sachbezogenen Beobachtungen und Interpretationen in seinem „Falkenbuch“. Das hohe Niveau solcher Werke prägte letztlich auch jene Überhöhung des vermeintlich so besonders „deutschen“ Kaisers, die vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jh. verbreitet war. Denn die Qualität der Werke galt manchen Autoren jener Zeit mehr oder minder als Beleg der Hochrangigkeit oder gar Überlegenheit alles Deutschen; zwar wurde dies kaum direkt formuliert, aber es spiegelte sich in der weit überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit, die das Thema in deutschen Veröffentlichungen jener Epoche fand, und vor allem auch darin, dass die italienischen Burgen des „Stauferkaisers“ als selbstverständliches Pendant deutscher „Stauferburgen“ präsentiert wurden, während
Vergleiche mit italienischen Burgen unterblieben, ebenso wie fast alle Versuche, anderen Einflüssen nachzuspüren, etwa denen der französischen Gotik, obwohl diese vor allem in den Fenster- und Wölbformen unübersehbar sind (vgl. 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik). Das kulturelle Zentrum in Friedrichs Reich war der kaiserliche Hof, der ursprünglich seinen Platz in Palermo auf Sizilien hatte, später in Foggia in Apulien; dabei muss man sich aber auch bewusst bleiben, dass der Hofstaat mit dem Kaiser auch in entfernte Regionen reiste und dass eine gut ausgestattete Kanzlei dem Kaiser darüber hinaus die Möglichkeit bot, Korrespondenzen mit fernen Partnern zu führen, auch wenn er sie nie persönlich traf. Das öffentliche Bild des kaiserlichen Hofes, wie es bei vielen Zeitgenossen entstand, wurde aber verständlicherweise nicht von diesen intellektuellen Spezialinteressen geprägt,
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sondern von einem weitgehenden Unverständnis der besonderen Traditionen Siziliens, das sich in legendenhafter Übersteigerung äußerte und von der päpstlichen Propaganda nach Kräften ausgenutzt wurde – arabische Tänzerinnen und schwarze Trompeter hat es an Friedrichs Hof wahrscheinlich wirklich gegeben, aber nur die Hautfarbe und vielleicht die Art ihrer Vorführungen dürften sie letztlich vom Leben an anderen Höfen der Epoche unterschieden haben. Dass diesem Hof eine exotische Prachtentfaltung zugeschrieben wurde, ist auch heute noch nachvollziehbar, wenn man die goldglitzernde Prachtentfaltung der Palastkapelle in Palermo auf sich wirken lässt oder jene des nahen Domes von Monreale (Abb. 16) – nur dass diese Bauten schon unter den normannischen Vorgängern Friedrichs entstanden waren und dass sie ihre gestalterischen Vorbilder im Byzantinischen Reich und letztlich in der Kunst des Imperium Romanum besaßen, nicht erst in der islamischem Welt, deren Kunst sich vielmehr aus den gleichen Vorbildern nährte. Ähnliches gilt für die Menagerien an Friedrichs Hof, deren Charakter ebenfalls weitgehend missverstanden und märchenhaft übersteigert wurde. Denn Tiergärten waren an mittelalterlichen Höfen keineswegs selten, weil sie in enger Beziehung zur Jagd standen, dem adeligen Vergnügen par excellence. Was die Menagerien Friedrichs II. von dem in Mittel- und Westeuropa Üblichen in staunenswerter Weise abgehoben haben dürfte, war offenbar nur ihr Tierbestand, der aufgrund der Handelsbeziehungen Siziliens auch exotische Tiere umfassen konnte, die man nördlich der Alpen damals noch nicht kannte: verschiedene Raubkatzen und Kamelarten, Affen, Papageien und je eine Giraffe und ein Elefant sind belegt. Friedrich machte sich die regionale Unbekanntheit solcher Tierarten fraglos bewusst zunutze, indem er 1235, als er wegen des Aufstandes Heinrichs (VII.) nach Deutschland kam, Kamele, Affen und Geparden mitführte, die in Worms samt ihren arabischen und äthiopischen Betreuern angestaunt wurden. Dieses Staunen – den bis heute ständig zitierten stupor – seiner Zeitgenossen durch solche Mittel gezielt hervorzurufen, gehörte also durchaus zu den Vorgehensweisen Friedrichs wie andererseits auch die für den mittelalterlichen Adel allerdings generell typische Freigebigkeit gegenüber Troubadouren, die seinen zum Märchenhaften tendierenden Ruf dann an anderen Höfen verbreiteten. Dass derart unrealistische Überhöhungen seiner Hofhaltung auch von Gegnern missbraucht werden konnten, indem
sie den „orientalischen“ Prunk böswillig als Ausdruck einer Nähe zum Islam – und damit des Ketzertums – umdeuteten, kam dem Kaiser und seinen Getreuen offenbar nicht in den Sinn oder hat sie zumindest nicht beunruhigt. Kann man die für uns nur noch zu ahnenden prunkvollen Formen des friderizianischen Hofes also überwiegend als lediglich ungewöhnliche, der kulturellen Vielfalt Siziliens geschuldete Variante der sonst durchaus zeittypischen Kultur von Fürstenhöfen einordnen, so kennzeichnet das Interesse, wissenschaftliche Korrespondenzen mit Gelehrten zu führen, und zwar in mehreren Sprachen, Friedrich tatsächlich als ungewöhnliche Herrscherpersönlichkeit. Auch insoweit war er allerdings – wieder vor dem Hintergrund der Traditionen Siziliens – keineswegs singulär, denn ausgeprägte naturwissenschaftliche Interessen hatte schon sein normannischer Großvater Roger II. von Sizilien gezeigt. Man muss dabei außerdem auch davon ausgehen, dass die wissenschaftlichen Interessen Friedrichs sein späteres Bild eher unverhältnismäßig stark geprägt haben, einfach weil die Schriften der von ihm besonders beeindruckten Wissenschaftler, ähnlich wie die Propagandaschriften mit ihrem ganz anderen Tenor, nun einmal eine nachhaltigere Wirkung hatten und weiterhin haben als andersartige, jedoch nirgends festgehaltene und uns daher unbekannte Eindrücke und Urteile der Zeitgenossen. Besonders bekannt ist Friedrichs Korrespondenz mit dem in Salerno lebenden jüdischen Philosophen Moses ben Solomon, der sich vor allem einen Namen als Übersetzer und Kommentator des 1204 verstorbenen Philosophen, Rechtsgelehrten und Arzt Maimonides aus Cordoba gemacht hatte. Friedrich förderte auch sonst, wie aus Widmungen in Handschriften hervorgeht, Übersetzungen wichtiger Werke aus dem Arabischen, so jene seines ebenfalls breit gebildeten Zeitgenossen Michael Scotus, der Schriften des im 10./11. Jh. lebenden Gelehrten Ibn Sīnā/Avicenna ins Lateinische übersetzte, außerdem Werke des Aristoteles sowie Aristoteles-Kommentare des im 12. Jh. lebenden, ebenfalls muslimischen Ibn Ruschd/Averroes. Mit diesen Interessen und Aktivitäten hatte Friedrich einen wichtigen Anteil an der wissenschaftlichen Entwicklung seiner Zeit, die darin bestand, im muslimischen Raum überlieferte antike Werke durch Vermittlung jüdischer Gelehrter und durch Übersetzung ins Lateinische wieder dem Wissen des Abendlandes zu erschließen. Dies bezog sich primär auf geographische Darstellungen, ferner auf Betrachtungen eher philosophi-
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scher Art, aber auch auf medizinische Themen, die – im Sinne der Reflexion über den menschlichen Körper – der damals erst entstehenden Philosophie noch näherstanden. Aber Friedrich förderte durchaus auch religiöse Werke wie jene des Theodor von Mopsuestia, der im 4./5. Jh. unter anderem wichtige Bibelkommentare verfasst hatte oder mathematische Schriften des zeitgenössischen Rechenmeisters Leonardo da Pisa, dessen Haupt-
werk, der Liber abaci, das Leonardo sich bei Reisen nach Byzanz, Afrika und Syrien angeeignet hatte, ein weiteres Mal auf arabischen Wissensständen beruhte. Es gab aber auch wissenschaftliche Interessen Friedrichs, die nicht von Überlieferungen im muslimischen Raum abhängig waren. Dazu gehörte etwa jene Rechtsschule, die ab dem 11. Jh. das römische Recht wiederbelebt hatte und deren Zentrum die Universität von Bologna
Abb. 17 Porträtartige Darstellungen Friedrichs II. gibt es nicht. Das Bild des thronenden Friedrich II. mit einem Falken aus seinem Buch De arte venandi cum avibus (links) stellt auf die kaiserliche Würde ab, nicht auf die Person. Die antikisierende, aber mittelalterliche Büste rechts, gefunden in einer masseria bei Barletta, heute im dortigen Museum, wird zwar gerne als Bildnis Friedrichs bezeichnet; es ist aber unklar, wen sie darstellt.
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war; es wurde schon erwähnt, dass dortige Absolventen zu den wichtigsten juristischen Beratern und Propagandisten Friedrichs gehört hatten – bekannt sind vor allem Petrus de Vinea, Taddeo da Suessa und Andrea da Cicala – und dass er die Universität Neapel nach dem Vorbild Bolognas gegründet hatte, um vor allem für gut ausgebildete Amtsträger im Königreich Sizilien zu sorgen. In diesem thematischen Zusammenhang gehörte auch das Interesse des Kaisers an der Rhetorikschule des Boncompagno da Signa, eines ebenfalls zeitgenössischen Professors in Bologna und Padua; Rhetorik galt seit der Antike als ein eng mit den Rechten verbundenes Fach. Boncompagno schrieb aber auch ein Buch über die gescheiterte Belagerung von Ancona im Jahre 1173 durch Reichstruppen unter dem Erzkanzler Christian von Buch, das damals als Beschreibung eines historischen Ereignisses noch seltene Ausnahme war. Außerdem war Boncompagno einer der ersten Autoren, die in einer Volkssprache schrieben, nämlich Italienisch; dass Friedrich II. das Italienische auch darüber hinaus schon als literarische Sprache förderte, vermerkte Dante Alighieri, der dies später weiterführte. In dieser recht vielfältigen Weise – meist als Förderer, oft aber auch als Gesprächspartner auf gleichberechtigter Ebene – nahm der Kaiser also am wissenschaftlichen und philosophischen Diskurs seiner Epoche teil. Dass er dabei nicht selbst neue philosophische Ansätze entwickelte, sondern sich „nur“ intensiv und kritisch für die zeitgenössischen Entwicklungen interessiert zeigte – wie John Larner anmerkte –, stellt seine Leistungen sicher nicht infrage, denn es gilt ganz allgemein für die Wissenschaft der Epoche, die vor allem mit der Rezeption des verschütteten Wissens der Antike beschäftigt war und noch kaum mit innovativer Forschung am Objekt selbst, wie sie uns heute geläufig ist. Umso eindrucksvoller wirkt noch auf den heutigen Betrachter das berühmte eigene Werk Friedrichs De arte venandi cum avibus (= Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen; Abb. 17), denn es beruht tatsächlich auf langjähriger Beobachtung der Tiere und darauf beruhenden logischen Rückschlüssen, die in für die Epoche gänzlich ungewohnter Weise nicht mehr durch Rücksichten auf hergebrachte, aus Glaubensüberzeugung stammende religiöse Dogmen gefärbt waren. Friedrich zeigte sich damit durchaus als in gewisser Weise „moderner“ Intellektueller, der von dem vordringenden und von der Amtskirche mit Argwohn gesehenen Aristotelismus beeinflusst war, der also die
Aussagen seiner wissenschaftlichen Gesprächspartner nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern wirklich verarbeitet hatte. Dass sein arabischer Falkner Moamyn an den Aussagen des Werkes mitgewirkt haben mag, stellt die Leistung Friedrichs nicht infrage, belegt es doch ein weiteres Mal seine Fähigkeit zum fruchtbaren inhaltlichen Austausch, und dies sogar mit einem rangmäßig weit unter ihm Stehenden orientalischer Herkunft und womöglich sogar anderen Glaubens. Dem Falkenbuch ist ein zweites, allerdings weit weniger bekanntes Beispiel „moderner“ Forschung hinzuzufügen, nämlich der Fall des Giordano Ruffo di Calabria, der ursprünglich (Huf-) Schmied und Pferdepfleger des Kaisers war, später sein Kastellan in Montecassino, der seinen Beruf zu einer Art Tätigkeit als Tierarzt weiterentwickelte und ein berühmtes, von Friedrich zumindest angeregtes Traktat über Hippiatrie (Pferdekrankheiten, insbesondere von Schlachtrössern) hinterließ.
1.7. FRIEDRICH II. IN SEINER EPOCHE Jede allzu eindimensionale Charakterisierung Friedrichs II. verfehlt, so viel kann und muss man trotz der Begrenztheit der Quellen festhalten, sowohl die Persönlichkeit des Kaisers als auch die Epoche, in der er lebte. Friedrich war zwar selbstverständlich ein mittelalterlicher Herrscher mit durchaus typischen Verhaltensweisen, vor allem, was den Machtanspruch, das Verhältnis zur Gewalt und die Statussymbolik betrifft, aber er war zugleich wesentlich mehr als das. Umgekehrt kann aber auch sein ungewöhnliches Interesse an der zeitgenössischen Wissenschaft und Philosophie, das gelegentlich als „modern“ bezeichnet wurde, die Persönlichkeit des Kaisers nicht vollständig beschreiben, sondern es verband sich mit den zeittypischen Merkmalen eines Herrschers und Hochadeligen zu einem Amalgam, das wir heute nur als höchst widersprüchlich empfinden können. Diese spannungsreiche Mischung rührte im Wesentlichen daher, dass Friedrichs Königreich Sizilien aufgrund seiner zentralen, verkehrsgünstigen Lage im Mittelmeer seit langer Zeit Einflüsse anderer Kulturen integriert hatte, aus Byzanz, dem Vorderen Orient und Nordafrika. In dieser besonderen sizilianischen Kultur hatte die gern überinterpretierte Toleranz Friedrichs, vor allem gegenüber dem Islam, ihren Ursprung, während wir seine persönliche, offenbar eher unauffällig gelebte Religiosität im engeren Sinne nicht mehr wirklich beurteilen können.
1.7. Friedrich II. in seiner Epoche
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Als Machtpolitiker war Friedrich lebenslang ausgesprochen aktiv, scheiterte aber in mehrfacher Hinsicht. Sein Beharren auf einer nicht mehr zeitgemäßen und daher auch nicht mehr durchsetzbaren Vorstellung absoluter Macht des Herrschers brachte jahrzehntelang Krieg und Unglück insbesondere über Italien und auch über seine Dynastie, deren letzte Mitglieder ihn unter latenten Kämpfen und bei rasant schwindender Macht nur noch wenige Jahrzehnte überlebten. In Deutschland, dem sich Friedrich vor allem zu Beginn seiner Regierung zugewandt hatte, förderten die Kompromisse, die er mit Rücksicht auf seine Interessen in Italien geschlossen hatte, langfristig eine Zersplitterung der Machtverhältnisse, die bis in die Neuzeit nachwirkte. Und in den Kreuzzugsstaaten des Vorderen Orients spricht zwar der schnell erreichte Verhandlungsfriede nicht nur für seine Kompromissfähigkeit auch muslimischen Herrschern gegenüber, sondern auch für diplomatische Fähigkeiten. Aber die tieferen Gründe lagen dort eher in der Einsicht in seine allzu begrenzten militärischen Möglichkeiten und im Interesse des Sultans an raschem Frieden. Die Chancen, die auch für Friedrich und seine Herrschaft in der rasanten Wirtschaftsentwicklung der Epoche gelegen hätten, verkannte er dagegen weitgehend, weil er auf der Durchsetzung eines überholten Konzepts von Alleinherrschaft beharrte und die Bedeutung freier Entscheidungen im Marktgeschehen nicht begriff. Die Folge war auch hier wiederholter und langjähriger Krieg, in dem sich die Städte Norditaliens als die nicht nur wirtschaftlich, sondern letztlich auch militärisch Stärkeren erwiesen. Zudem dürften Friedrichs gewaltsame Versuche, die Lombardei unter seine Herrschaft zu bringen, und die damit einhergehende ständige Bedrohung des kleinen Papststaates der entscheidende Grund für die zunehmende Gegnerschaft des Papsttums gewesen sein, das dann den ungewöhnlichen kulturellen Hintergrund Siziliens geschickt nutzte, um den Kaiser zu Unrecht,
aber offenbar wirkungsvoll in die Nähe des Ketzertums zu rücken. Dass die herausragenden kulturellen und intellektuellen Leistungen Friedrichs II. scheinbar im Widerspruch zu diesem eher dunklen Bild seiner Machtpolitik stehen, ist entscheidend damit zu erklären, dass diese Leistungen so gut wie alle im Königreich Sizilien entstanden sind, also in jenem Machtzentrum des Kaisers, in dem er seine straffe Idee von Herrschaft dauerhaft und ohne ernsthafte Bedrohung von außen hatte umsetzen können. Hier, wo die Paläste in Palermo und Foggia seine wichtigsten Lebensmittelpunkte waren, entstanden nicht nur das „Falkenbuch“ und seine Dichtungen, sondern von dort aus praktizierte er auch die Unterstützung zeitgenössischer Intellektueller. Und eben auch fast alle berühmten Burgen Friedrichs II. – um die es im folgenden Hauptteil des Buches geht – stehen in Süditalien; Prato in der Toskana ist die einzige Ausnahme, geplant wohl als Ausgangspunkt einer dann nicht mehr durchführbaren Unterwerfung auch Norditaliens. Der Eindruck, den Veröffentlichungen der 1930er–60er-Jahre erwecken wollten, indem sie „Hohenstaufenschlösser in Deutschland und Italien“ als Varianten desselben Phänomens ausgaben, verfehlte die Besonderheit der süditalienischen Burgen in mehrfacher Hinsicht. Denn dort wurden nicht nur ganz andersartige deutsche Bauten früherer Herrscher neben sie gestellt, sondern auch viele Burgen des deutschsprachigen Raumes, die von Adelsfamilien weitgehend selbstbestimmt errichtet worden sind, oft ohne Zustimmung der Herrscher oder gar gegen ihre Interessen. Die Beziehung solcher Bauherren und ihrer Burgen zur Zentralgewalt war in Deutschland eine entscheidend andere als im straff organisierten Königreich Sizilien, wo die Burgen direkt vom Kaiser erbaut wurden und ein gut organisierter Beamtenapparat neben direkten Zugriffsmöglichkeiten Friedrichs eine stets kaisertreue Besatzung garantierte.
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2. DIE BURGEN FRIEDRICHS II. IM KÖNIGREICH SIZILIEN Per idem tempus imperator de consilio curie romane accepit conservos de omnibus abbatiis cisterciensis ordinis regni Siciliae et Apuliae ac Terre Laboris, quos instituit magistros gregum, armentarum et diversarum actionum et ad construenda sibi castra et domicilia per civitates regni, ubi non habebant domos proprias ad ospitandum. Ad quod peragendum iussit exigi pecuniam per singulos ab omnibus, exceptis clericis et militibus qui non habebant serviles possessiones. Augusto Gaudenzi (Hg.): Ignoti monachi Cisterciensis S. Mariae de Ferraria chronica et Ryccardi de Sancto Germano chronica priora (Società Napoletana di Storia Patria, Monumenti storici, ser. prima: Cronache), Neapel 1888, S. 38, zum Jahr 1223 (Zur gleichen Zeit empfing der Kaiser nach dem Ratschlag der Römischen Kurie Konversen von allen Klöstern des Zisterzienserordens des Königreichs Sizilien, aus Apulien und der Terra di Lavoro, die er als Meister des Viehs, der Herden und weiterer Arbeiten einsetzte und die ihm Burgen und Wohnsitze in den Städten des Königreichs bauen sollten, wo sie keine eigenen Herbergen hatten. Um dies auszuführen, befahl er, dass bestimmte Personen Geld von allen einziehen sollten mit Ausnahme der Kleriker und jener Ritter, die keine unfreien Besitzungen haben.)
2.1. ZUR FORSCHUNGSGESCHICHTE Der Forschungsstand zu den Burgen Kaiser Friedrichs II. im Königreich Sizilien ist zugleich relativ gut und relativ schlecht – je nachdem, ob man das Thema vom Standpunkt der Historiker bzw. der Mediävistik her betrachtet oder von dem der Architektur- und Kunstgeschichte. Einerseits nämlich sind die thematisch wichtigen Schriftquellen in hohem Maße und guter Qualität publiziert, wodurch zumindest ein gewisser Konsens möglich wurde, welche Burgen im Auftrag des Kaisers bzw. von seinen Architekten erbaut oder umgebaut worden sind. Wendet man sich aber andererseits den zentralen Fragen der Architektur- und Kunsthistoriker zu, also vor allem je-
nen nach der Struktur, Datierung und Bauabfolge einzelner Bauten sowie der Entwicklung dieser Art von Architektur in ihrer Gänze, so stößt man auch hier auf typische Probleme, die einerseits für die Kunstgeschichte im Allgemeinen, andererseits für das Sondergebiet der Burgenforschung charakteristisch sind. Die Historiker Jean Louis Alphonse Huillard-Bréholles, Eduard Sthamer und Hubert Houben haben ab der Mitte des 19. Jh. die Archivbestände zur Herrschaft Friedrichs II. sehr weitgehend aufgearbeitet und verfügbar gemacht. Insbesondere wurden durch die Arbeit von Sthamer und Houben die Bestände im Staatsarchiv Neapel erfasst, die allerdings im Zweiten Weltkrieg großenteils
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verloren gingen. Die Urkunden des Kaisers sind außerdem in mehreren Bänden der Monumenta Germaniae Historica erfasst, weitere Quellen darüber hinaus separat veröffentlicht, so viele Briefe bzw. Mandate Friedrichs und wichtige zeitgenössische Chroniken, etwa die des Richard von San Germano oder jene des Nikolaus von Jamsilla (vgl. Literatur am Ende des Bandes). Vor allem bei den Archivbeständen in Neapel handelte es sich allerdings nur teilweise um originale Stücke aus der Zeit Friedrichs II.; vielmehr war das meiste, das sich auf seine Epoche bezieht, nur in Abschriften aus angevinischer Zeit überliefert. Das erschwert selbstverständlich die Interpretation, weil zumindest gelegentlich unklar bleiben muss, ob und in welchem Maße die originalen Aufzeichnungen nachträglich ergänzt oder korrigiert worden sind. Als besonders wichtige Quellen, die eine Übersicht über die Burgen bieten, sind einerseits die in der Einleitung schon erwähnte Liste der castra exempta hervorzuheben und andererseits das „Statut über die Reparatur der Kastelle“. Als castrum exemptum (= ausgenommene Burg) verstand man eine Burg, die Friedrich II. als so wichtig erachtete, dass er sich die Auswahl des Burgvogtes selbst vorbehielt, sie also nicht seinen Verwaltungsinstanzen bzw. den zuständigen Funktionären überließ; dahinter stand fraglos das Ziel, dass Friedrich II. im Falle eines Krieges oder größerer Unruhen in die eine oder andere dieser Burgen hätte flüchten können, weil er sich
Abb. 18 Die Staufer spielen bis heute im historischen Bewusstsein und in der Werbetätigkeit Süditaliens eine wichtige Rolle: eine Ferienwohnung in Termoli, und ein „staufisches“ Mineralwasser.
der Treue ihres Vogtes besonders sicher sein konnte. Aus diesem Charakter der Liste ergibt sich also, dass dort nur eine Auswahl besonders wichtiger Burgen erfasst ist. Dagegen nennt das „Statut über die Reparatur der Kastelle“ weitaus mehr Burgen, nämlich weit über zweihundert, für die in dieser Liste dokumentiert wurde, welche Ortschaften jeweils für ihre Instandhaltung zuständig waren; man darf sogar erwägen, dass dort tendenziell alle kurialen Burgen des Königreichs erfasst wurden. Das „Statut“ wird erst ab 1270 in Unterlagen der angevinischen Verwaltung sicher greifbar, aber Sthamer nahm begründet an, dass es ab den 1230er-Jahren entstanden war, nachdem der Kaiser nämlich das Amt der provisores castrorum (= Versorger der Burgen) geschaffen hatte; denn in der Chronik des Richard von San Germano, eines wichtigen Hofbeamten, wurde schon 1231 ein Dokument erwähnt, das man für den Kern des „Statuts“ halten könnte. Eine Schriftquelle wie das „Statut über die Reparatur der Kastelle“ wirkt auf den ersten Blick vielversprechend für den Bau- und Kunsthistoriker, denn eine Burg, die reparaturbedürftig ist, muss natürlich schon seit einiger Zeit existiert haben; das Dokument bietet insoweit also einen terminus ante – einen Zeitpunkt, vor dem die Burg existiert haben muss. Bei näherer Überlegung allerdings schwinden die Hoffnungen auf gute Datierungsmöglichkeiten aufgrund dieser Quelle, denn einerseits sind die Aussagen zu bestimmten Burgen hier ja nicht sicher datierbar; zwischen 1230 und 1270 könnten jederzeit Änderungen des Textes entstanden sein. Und andererseits hält das „Statut“ in Wahrheit ja nur fest, welche Ortschaften verpflichtet waren, Bauarbeiten an bestimmten Burgen zu finanzieren und durchzuführen, ohne dass dabei konkrete Aussagen über ihren Baubestand gemacht werden. Die Aufnahme in die Liste bedeutet ja nicht einmal, dass die Burgen zu dem Zeitpunkt, als man sie in der Liste erfasste, wirklich reparaturbedürftig waren; es kann sich also um pure Vorsorge für den hypothetischen Fall erst später notwendiger Arbeiten gehandelt. haben Und erst recht ist einem Eintrag in dieser Liste nicht das zu entnehmen, was den Architekturhistoriker interessiert: ob und welche Bauarbeiten tatsächlich ausgeführt wurden. Fakten, die den Bauvorgang oder den Bau selbst genauer beschreiben – die also Planung, Auftrag, Auftragnehmer, Baubeginn, Materialbeschaffung, Bautechnik, Bauabschluss, Bezahlung usw. betreffen –, waren in jener Epoche noch so gut wie nie Thema schriftlicher Dokumentation, zumindest im nichtsakralen Bereich. Viel-
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mehr finden wir in Süditalien in der Regel höchstens die namentliche Erwähnung einer Burg ohne jede Angabe zu ihrem Baubestand oder zu Arbeiten an ihr, gelegentlich darüber hinaus Aussagen über die Besatzung. Nur in sehr seltenen Fällen ist eine schriftliche Anweisung des Kaisers zu einer Einzelmaßnahme überliefert, die aber wegen der fast immer fehlenden Kenntnis der Zusammenhänge in der Regel trotzdem hochgradig interpretationsbedürftig bzw. umstritten bleibt. Erst in der Zeit der angevinischen Herrschaft, also ab den 1260er-Jahren, werden die Schriftquellen aussagefähiger, weil sie nun auch konkrete Arbeiten und in diesem Zusammenhang bestimmte Bauteile betreffen, außerdem auch Angaben zur Besatzung der Burgen, ihrer Ausstattung mit Kriegsmaterial usw. Daraus sind hier oder dort vorsichtige Rückschlüsse auf den Bestand der Burgen schon zur Zeit Friedrichs II. möglich, die aber naturgemäß begrenzt und mit Vorsicht zu handhaben sind. Es verwundert unter diesen ungünstigen Umständen nicht, dass Historiker immer wieder versucht haben, aus den Bezeichnungen einzelner Bauten, wie sie im „Statut über die Reparatur der Kastelle“ und in anderen Schriftquellen verwendet wurden, Rückschlüsse auf die Bauformen zu ziehen. Bezeichnete das Wort castrum wirklich auschließlich stark befestigte Burgen – und was unterschied diese gegebenenfalls von einer rocca? Und meinte domus im Gegensatz dazu wirklich immer eine bescheidenere, eher unbefestigte Unterkunft, etwa ein (Jagd-) Haus, ein palacium dagegen einen Bau, der überwiegend repräsentative Ansprüche entfaltete? Alle Versuche, die Bauten selbst, die ja nicht nur unter dem Aspekt ihrer Befestigung durchaus Unterschiede zeigen, in eine überzeugende Beziehung zu diesen Bezeichnungen zu setzen, sind jedoch bisher gescheitert. Es muss also wohl doch als sehr wahrscheinlich gelten, was bereits Sthamer formuliert hat, dass nämlich die verschiedenen Bezeichnungen von örtlichen Funktionsträgern oder in der kaiserlichen Kanzlei ursprünglich relativ frei und unsystematisch gewählt und dann ohne wirkliche Überprüfung vor Ort weiterverwendet wurden. Gänzlich ohne Aussagekraft sind selbstverständlich die lokal üblichen Bezeichnungen der Burgen, wie man sie heute in der Tourismuswerbung oder etwa in „Google Maps“ findet, zu schweigen von der als Werbeträger eingesetzten Namensgebung von Hotels, Restaurants oder lokalen Produkten (Abb. 18). In Italien sind für Adelssitze traditionell Bezeichnungen üblich, die aus dem Namen
Abb. 19 Der Einband des großformatigen Werkes von Arthur Haseloff von 1920, einem der frühesten Beiträge zur Erforschung der friderizianischen Burgen.
der Ortschaft einerseits und dem des besitzenden Geschlechtes andererseits zusammengesetzt sind. Wenn der Bau aus der Renaissance oder noch späteren Epochen stammt, stützt sich diese Benennung in der Regel auf gesichertes historisches Wissen – z. B. „Villa Foscari in Malcontenta“ (= Landsitz der Familie Foscari im Dorf Malcontenta) –, aber bei mittelalterlichen Bauten, wo oft wenig oder gar kein Wissen über Erbauer und häufig wechselnde Besitzer vorliegt, greift man auch in Italien gerne auf Zuschreibungen zurück, die auf die Vermutungen von Heimatforschern des 19. Jh. oder noch früher zurückgehen. Daher besitzen häufige Bezeichnungen wie „castello normanno-svevo“ („normannisch-schwäbische“ bzw. „normannisch-staufische“ Burg) oder „castello svevo-angioino“ (staufisch-angevinische Burg) meist keinerlei Beweiskraft. Und wissenschaftlich fundierte Korrekturen solch traditioneller Bezeichnungen sind in Italien
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bisher äußerst selten und wurden vor allem so gut wie nie in die lokal üblichen Bezeichnungen übernommen – was in Deutschland ja häufig ähnlich ist. Die allzu begrenzte Aussagefähigkeit der Schriftquellen hat die Forschung schon früh dazu veranlasst, sie nicht nur isoliert zu betrachten, sondern auch den Abgleich mit anderen methodischen Ansätzen zu suchen, insbesondere mit denen der Bauforschung und Archäologie, aber auch der Stilgeschichte. Ganz am Anfang der Befassung mit der Bausubstanz der friderizianischen Burgen stand die Untersuchung der Burg in Bari, die Arthur Haseloff 1906 publizierte. Kaiser Wilhelm II., dessen Interesse an historischen Bauten allgemein bekannt war, hatte 1905 auf einer Rundreise verschiedene Burgen der Region besucht und war dabei von Paul Fridolin Kehr, dem Direktor des „Preußischen Historischen Instituts in Rom“, begleitet worden. Das Institut sollte sich dann in der Folge in methodischer Erweiterung seiner Zielsetzung auch der Erforschung dieser Bauwerke widmen und stellte dafür den Kunsthistoriker Haseloff ein, der sich – laut Kehr den „Nachhall des Besuches Ihrer Majestäten in den Herzen der Bevölkerung“ nutzend – zunächst Bari zuwandte und tatsächlich schon ein Jahr später zur Silbernen Hochzeit des Herrscherpaares einen heute nur noch schwer greifbaren Prachtband über die Burg präsentierte. Ihm folgte dann mit 14 Jahren Abstand ein viel umfangreicherer, um Fototafeln ergänzter Band, der weitere Forschungen Haseloffs vorstellte (Abb. 19). Er behandelte in der Hauptsache die Burg Lucera und den geringen Rest des Palastes in Foggia, außerdem die Burg von Manfredonia. Von den zehn „Lustschlössern“ der Capitanata, die er außerdem ansprach, blieben dann allerdings später – mit mehr oder minder guten Gründen – nur jene in Termoli und Castel Fiorentino im Blick der staufer- und architekturbezogenen Forschung. Beide Werke Haseloffs boten – nach den damals verpflichtenden Elogen an den Kaiser – sorgfältige Darstellungen der Quellenlage, aber auch der Bausubstanz insbesondere der wichtigen Burgen Bari und Lucera, ergänzt durch Grundrisse und andere Zeichnungen, die eine Erfassung der Gesamtanlage anstrebten. Dass es sich dennoch nur um einen Einstieg in die Thematik handeln konnte, zeigte sich dabei aber nicht allein in der Beschränkung auf im Wesentlichen nur drei Bauten, sondern auch im späteren Fortgang der wissenschaftlichen Diskussion. In Bari meinen manche Forscher bis heute, die prägenden Teile des Kastells seien nicht erst Friedrich II. zuzu-
schreiben, sondern noch normannisch, in Lucera gehen ausschließlich die Fundamente des kleinen, kaum befestigten Kernbaues auf den Kaiser zurück. In Manfredonia schließlich hat die erst in jüngerer Zeit erfolgte Auswertung des reichen Quellenmaterials sogar ergeben, dass die Anlage überhaupt erst in angevinischer Zeit entstand. Eine breitere Befassung mit den friderizianischen Burgen als Bauwerken blieb, nachdem schon Haseloffs zweites Werk erst nach der Abdankung des kaiserlichen Initiators erschienen war, der nachwilhelminischen Zeit vorbehalten. Sie fand ab den 1930er-Jahren in so beachtlichem Umfang statt, dass schon der Versuch eines halbwegs vollständigen Überblicks schwerfällt. Bereits ein Blick in das auswählende, insbesondere neuere Arbeiten erfassende Literaturverzeichnis des vorliegenden Buches verdeutlicht das Problem und noch besser der schon etwas weiter zurückliegende, aber auf breiter Kenntnis auch der italienischen Forschung beruhende Überblick, den Hubert Houben 1997 vorlegte unter Einschluss der Literatur auch zu angevinischen Bauten. Fast noch aussagekräftiger für die Fülle des inzwischen Publizierten und ihre Folgen ist aber die Dissertation, die Alexander Knaak 2001 unter dem hoch gegriffenen Titel „Prolegomena zu einem Corpuswerk der Architektur Friedrichs II. von Hohenstaufen im Königreich Sizilien (1220–1250)“ vorlegte. Knaak scheiterte weniger an seiner Übernahme schon damals überholter Simplifikationen, sondern vielmehr an der puren Menge und extrem schwankenden Qualität der vorliegenden Literatur, die außerdem auf einer weiterhin sehr lückenhaften Forschung beruht. Dass auf die von sehr umfangreichen Literaturangaben begleiteten „einleitenden Bemerkungen“ (= Prolegomena) Knaaks dann nie das eigentliche Werk folgte, liegt also letztlich nicht daran, dass der Autor durch die Bewältigung des Themas selbst überfordert worden wäre, sondern vielmehr an seiner grundlegenden Fehleinschätzung des Forschungsstandes, der eine auch nur halbwegs vollständige Auswertung im Sinne eines „Corpuswerks“ bisher keineswegs zulässt. Denn die Zunahme an wissenschaftlich solider Erkenntnis lief im 20. Jh. keineswegs einfach parallel zur schnell wachsenden Anzahl der Veröffentlichungen, sondern blieb zunehmend dahinter zurück, und zwar deswegen, weil sich zugleich grundsätzlich verschiedene Arten von Auseinandersetzungen mit der Thematik etablierten. Als grobe Orientierung sei dem folgenden Überblick vorausgeschickt, dass nun neben weiterhin eher seltenen
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wissenschaftlichen Analysen – die einerseits weiterhin von den Schriftquellen, andererseits aber auch von den Bauten selbst ausgingen – nun mindestens zwei weitere Arten von Publikationen in Erscheinung traten, die die Forschung im besten Falle wenig weiterbrachten, sie in anderen Fällen sogar auf Irrwege führten. Das letztere Problem, nämlich eine ideologisch verzerrte, simplifizierende Sicht auf die Thematik, hatte seinen Ursprung in der Zeit des Nationalsozialismus. 1937 nämlich publizierte der Kunsthistoriker Leo Bruhns in der damals populären Reihe der „Blauen Bücher“ den Band „Hohenstaufenschlösser“ (Abb. 20), dessen zahlreiche Fotos die friderizianischen Burgen Süditaliens ohne nennenswerte Diskussion der historischen Grundlagen mit einer Anzahl besonders schöner, romanischer Burgen in Südwestdeutschland unter dem Begriff des „Staufischen“ zusammenfasste. Schien diese Art der Gleichsetzung im Falle von Königspfalzen wie Wimpfen, Gelnhausen oder Kaiserswerth noch begründbar, so verzichtete der Band für die ebenfalls vorgestellten, viel zahlreicheren Burgen des deutschen Adels auf jegliche Begründung, was sie eigentlich zu „staufischen“ Burgen gemacht habe. Bruhns reichten die oft nur ganz weitläufigen Lehensbeziehungen zu den deutschen Königen offenbar völlig aus, um den Staufern auch nördlich der Alpen, insbesondere im deutschen Südwesten, einen direkten, geradezu an absolutistische Verhältnisse erinnernden Einfluss auf die baulichen Ausdrucksformen der adeligen Oberschicht zu unterstellen. Unverkennbar angeregt durch die „mythische Schau“ des aktuellen Werkes von Ernst Kantorowicz (1927) bzw. durch die irrational verklärenden Sehweisen des George-Kreises, zu dem auch Bruhns gehört hatte, wurden die Erbauer der Burgen einfach pauschal zu „Parteigängern“ der Staufer erklärt, selbst wenn die historischen Fakten im konkreten Fall das Gegenteil nahelegen – hätte man sie denn herangezogen. Dass die politische Struktur Deutschlands damals – mit problematischen Auswirkungen gerade in der Zeit Friedrichs II. – entscheidend anders aussah als jene des Königreichs Sizilien, dass ferner für eine derart ins Detail gehende Einflussmöglichkeit der herrschenden Dynastie nicht nur jeder Quellenbeleg, sondern auch jede Plausibilität fehlt und dass folglich auch die Bauten sehr verschieden aussahen, gab damals offenbar niemandem zu denken. So wurde damals ein diffuser kunsthistorischer Begriff des „Staufischen“ geprägt, der – losgelöst von der Zeit seiner Prägung und fast immer unterschwellig – in
Deutschland noch lange einflussreich blieb; erst recht spät wurde er langsam von einer schärfer definierten Begrifflichkeit abgelöst, die „staufisch“ im Sinne politischer Herrschaft von „stauferzeitlich“ im Sinne einer durchaus vielfältigen spätromanisch-frühgotischen Formenwelt zu unterscheiden begann. Das besondere Interesse deutscher Forscher an den süditalienischen Burgen Friedrichs II. hielt nach 1945 weiter an, wenn auch die Publikationstätigkeit zunächst durch die schwierige Nachkriegszeit behindert wurde. Die ideologischen Obertöne der wilhelminischen wie der Nazizeit wurden selbstverständlich weitgehend getilgt, meist allerdings nicht im Sinne besserer Erklärungsansätze, sondern nur in dem Sinne, dass man historische Interpretationen generell weitgehend vermied. Neben
Abb. 20 Der populäre Band von Leo Bruhns, 1937 erschienen und dann vielfach neu aufgelegt, machte den qualitätvollen Burgenbau des 12./13. Jh. populär, verschmolz aber auch verschiedene Phänomene in Deutschland und Italien zu einer nur scheinbar historisch begründbaren Einheit.
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Bildbänden wie etwa den 1961 erschienenen „Hohenstaufenburgen in Süditalien“ mit Fotos von Albert Renger-Patzsch und Texten von Hanno Hahn traten vielmehr andere gedankliche Zugänge zum Thema hervor. Einerseits nämlich entstanden weiterhin, wenn auch viel zu selten, wissenschaftliche Untersuchungen vor allem von Einzelbauten, aber auch Reflexionen auf einer kunsthistorisch vergleichenden Ebene. Andererseits entstanden nun aber auch mystifizierende, den Bereich der Esoterik manchmal mehr als nur streifende Darstellungen, die die allzu enge Begrenzung unseres Wissen nutzten, um in den Leerräumen frei entworfene Gedankengebilde zu platzieren, die vermeintliche „Geheimnisse“ der Bauten erklären sollten; beides gilt in freilich geringerem Maße auch für italienische Publikationen, die in dieser Phase neben die deutschen zu treten begannen. Ein frühes Beispiel qualitätvoller deutscher Forschung jener Zeit, bei dem die Ideologie der Vorkriegszeit nur noch ganz indirekt nachwirkte, war Carl Arnold Willemsens bekanntes Buch von 1953 über Friedrichs II. „Triumphtor“ in Capua. Willemsen, der während des Zweiten Weltkriegs das „Falkenbuch“ Friedrichs II. und einen Apulien-Führer veröffentlicht hatte, bot dort eine sachliche Darstellung der Baureste, in erster Linie der Skulpturen, aus der er dann einen anschaulichen Rekonstruktionsversuch der ursprünglichen Gestalt des Tores entwickelte. Erst beim Vergleich mit der 18 Jahre früher erschienenen Darstellung des Tores durch den Briten Creswell Shearer stellt man aber überrascht fest, in welch hohem Maße der Bau vom 16. bis zum 19. Jh. zerstört und verändert worden war und wie viel folglich von seinem heutigen, zwar reduzierten, aber sonst scheinbar unverfälschten Zustand erst Ergebnis einer aufwendigen Restaurierung der Mussolini-Zeit ist. Auch Willemsens Buch – so muss man feststellen – idealisierte seinen Gegenstand also noch, wenn auch nur, indem er den vorgefundenen Zustand implizit als pures Mittelalter erscheinen ließ und die tiefgreifende Restaurierung nur ganz am Rande erwähnte. Willemsen blieb Apulien auch in der Folgezeit verbunden und veröffentlichte insbesondere 1968 noch einen schmalen, aber wichtigen Band, in dem er neue Erkenntnisse vor allem italienischer Forscher in Bari, Lagopesole, Lucera und anderen Burgen zusammenfasste und dabei als Erster versuchte, die Kastellform friderizianischer Bauten nicht nur mit orientalischen, sondern auch mit westeuropäischen Vorbildern in Beziehung zu setzen; allerdings übersah er dabei, auf einen noch wenig entwi-
ckelten Forschungsstand angewiesen, dass die von ihm vorgestellten britischen und irischen Beispiele jünger waren als die Bauten Friedrichs II. Zu dieser Frage legte dann aber nur zwei Jahre später Cord Meckseper wichtige Erkenntnisfortschritte vor, indem er auf die französischen Kastelle aus der Zeit des Königs Philippe II. Auguste (1180–1224) verwies, die – wie seitdem durch viele französische und deutsche Forschungen weiter belegt wurde – eine starke Ausstrahlung in weite Teile Europas entwickelten (vgl. Abb. 47). Dass Mecksepers Hinweise in der deutschen Forschung lange wenig rezipiert wurden, wird man auf ein weiterhin nicht wirklich hinterfragtes, eher unbewusstes Fortwirken jener Denkweise zurückführen dürfen, nach der die Bauten Friedrichs II. eben doch irgendwie in ihrem Kern „deutsch“ sein mussten. Einen nach übernationalen Zusammenhängen fragenden und damit das Thema aus seiner Isolierung lösenden Weg hatte 1956 auch schon die österreichische Kunsthistorikerin Renate Wagner-Rieger eingeschlagen, indem sie die Bauten Friedrichs II. in den Zusammenhang der Anfänge der Gotik in Italien stellte. Bis dahin – und auch dies wirkte ausgesprochen langfristig – war es in der nichtitalienischen Kunstgeschichte üblich gewesen, die romanische und gotisch beeinflusste Architektur Süditaliens kaum als Phänomen eigenständigen Wertes zu betrachten, sondern, angeregt durch die dort wechselnden Eroberer und Herrscherdynastien, vor allem nach Einflüssen anderer Weltregionen zu suchen, neben antiken Vorbildern also insbesondere byzantinische, arabische, normannische und eben deutsche Vorbilder in den Blick zu nehmen. Dass vor allem Apulien aus eigener Kraft, aber auch aus der Integration solch vielfältiger Anregungen spätestens im 12. Jh. eine durchaus eigenständige Architektur entwickelt hatte, die sich primär im Sakralbau verwirklichte und bei der vor allem das regional hoch entwickelte Handwerk der Steinmetze eine zentrale Rolle spielte, wurde dabei wenig beachtet. Außerdem wurden bei dieser Betrachtungsweise leicht die Einflüsse übersehen, die gerade in der Zeit Friedrichs II. – nach 1200 – ihre Wirkung entfalteten, das heißt neben jenen des französischen Burgenbaues auch die des Zisterzienserordens, die in Wagner-Riegers Überlegungen nun aus gutem Grund eine wichtige Rolle spielten und heute eine weiterhin zunehmende Beachtung erfahren. Schon Haseloff hatte nämlich 1920 auf die Chronik des kampanischen Zisterzienserklosters Santa Maria de Ferraria verwiesen, nach der der Kaiser 1223 Konversen aller(!) Klöster des Ordens
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im Königreich herangezogen habe, um sich von ihnen „Burgen und Unterkünfte“ (castra et domicilia) in den Städten des Königreiches bauen zu lassen. Diesen Zusammenhängen spürte Wagner-Rieger nun anhand der Bauten nach, wodurch sie – auch hier im Einklang mit den knappen Andeutungen Haseloffs – den wohl wichtigsten Weg aufzeigte, auf dem eine spezifische, vor allem burgundisch geprägte Variante gotischer Formen ins Königreich Sizilien eingedrungen war. Jene deutschen Arbeiten zu den friderizianischen Burgen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden, driften in puncto Fragestellung und Methode – und daher auch in der Belastbarkeit der Ergebnisse – weit auseinander. Die interessantesten Fortschritte stellt man bei den Arbeiten über einzelne Bauten fest, die allerdings in der Regel auf kunsthistorischen und historischen Betrachtungen beruhen, während die aufwendigeren Methoden der historischen Bauforschung, deren detailliertere Dokumentation und Befassung auch mit technischen Merkmalen grundsätzlich noch bessere Erkenntnisse versprechen, unter den schwierigen Bedingungen Italiens bisher nur in Ausnahmefällen angewandt wurden. Die wichtigsten Untersuchungen eines Einzelbaues stellte eine Gruppe von Beiträgen zum Castel del Monte dar, dem berühmten Höhepunkt friderizianischer Architektur. Am Anfang dieser Forschungen stand das viel beachtete, auch ins Italienische übersetzte Buch des Kunsthistorikers und Verlegers Heinz Götze über die Burg als „Gestalt und Symbol der Architektur Friedrichs II.“ (1984, 2. Aufl. 1991), das von der vermeintlichen Erwähnung eines „Estrichs“ (astracus) im Mandat Friedrichs II. von 1240 ausging. Dieser glatte Estrich sei nämlich, so schlug Götze vor, auf dem Bauplatz aufgebracht worden, um darauf den durch Achtecke bestimmten Grundriss des Idealbaues im Maßstab eins zu eins exakt markieren zu können; der Verwendung oktogonaler Formen schrieb er nämlich eine besondere Symbolik zu, die er auch an anderen, älteren und weit entfernten Bauten fassen zu können meinte. Durch diese über alle Beweisbarkeit schwungvoll hinausgehende Deutung wurde der Architekt und Bauhistoriker Dankwart Leistikow angeregt, sie auf mehreren wissenschaftlichen Ebenen zu überprüfen. Zunächst belegte er, dass der 1240 benutzte, lange als unübersetzbar geltende Terminus actractus – als vermeintlicher Schreibfehler modern zu astracus (= Estrich) umgedeutet – in der Urkundensprache des Königreichs Sizilien im 13. Jh. einen Bauvertrag meinte. Ergänzend berechnete er, dass der
von Götze behauptete Estrich auf der unebenen Hügelkuppe mehr Mörtel verbraucht hätte, als es der gesamten Baumasse der Burg selbst entspricht. War der Deutung Götzes damit durch nüchtern wissenschaftliche Mittel wie Schriftquellenanalyse und Baumassenberechnung die Basis entzogen, so hatte die Kontroverse noch weitere positive Wirkungen. Mit Unterstützung Götzes wurde nämlich ein Neuaufmaß von Castel del Monte durch die TH Karlsruhe veranlasst (Literatur: Schirmer 2000), das dann lange die einzige wirklich exakte Baudokumentation einer friderizianischen Burg in Süditalien blieb und u. a. den Vorgang der Absteckung des Grundrisses auf dem Bauplatz wesentlich greifbarer machte; erst Jahre später wurde auch das Castello Maniace in Syrakus zum ersten Mal exakt vermessen. Manch spätere Publikation zum Thema hat dann allerdings gezeigt, dass die Klärung der Fakten zu Castel del Monte manche Autoren und wohl auch ihre Leser weiterhin nicht hinreichend befriedigt. So erklärte vor allem Rolf Legler in einem Buch von 2007 Castel del Monte ein weiteres Mal zum „Geheimnis“ und bot seinen Lesern u. a. die Behauptung, der Hof der Burg hätte von einer Kuppel überhöht werden sollen – ein auch den Einband zierendes grandioses Bild, das nur leider jeder Wahrscheinlichkeit entbehrt, von Beweisbarkeit zu schweigen. Kurzberichte über verschiedene Aspekte von Castel del Monte enthalten auch die Bände von 1996/97, die zwei Bonner Kolloquien zum 800. Geburtstag Friedrichs II. (1194) dokumentierten. Einige Aufsätze bezogen sich dort auf Einzelbauten wie Prato (Udo Liessem), die Kapelle von Lagopesole (Kai Kappel), sowie auf Augusta und Lucera (Alexander Knaak). Im Übrigen wurden dort aber eher übergreifende Interpretationsansätze verfolgt. So fragte Dankwart Leistikow ein weiteres Mal nach der Aussagekraft der Bezeichnungen der Bauten in den Quellen – außerdem behandelte er die Rekonstruktion des verschwundenen Palastes in Foggia – und Tanja Michalsky nach der „Inszenierung von Herrschaft“ am Capuaner Tor. Einen interessanten Ansatz verfolgte Dorothée Kemper, indem sie nach der „Adaption stauferzeitlicher Formelemente im Umfeld der friderizianischen Bautätigkeit“ fragte, was durchaus Chancen zur Korrektur fehlerhafter Zuschreibungen verspricht; auch Nicolas Reveyrons Beitrag zu den antikisierenden Portalen von Castel del Monte und Prato wies in vergleichbarer Weise über das engere Thema hinaus. Allerdings fiel bei den vielen Beiträgen dieser beiden Jubiläumsbände ein Phänomen auf, das für anlassgebun-
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dene Publikationen charakteristisch ist und sich daher auch in den vielen Beiträgen eines noch anzusprechenden italienischen Kolloquiums von 1978 wiederfindet wie auch in dem dicken Sammelband „Federico II, immagine e potere“, der 1995 ebenfalls zum Geburtstag des Kaisers erschien. Die Bindung an ein bestimmtes Datum – also insbesondere an die zu diesem Anlass ausgeschütteten, für Tagungen und Publikationen nun einmal nötigen Gelder – bedeutet nämlich, dass es glücklicher Zufälle bedarf, wenn gerade zu diesem Zeitpunkt neue Forschungen publikationsreif sind. Die meisten Beiträge in derartigen Werken weisen dagegen meist eine deutliche Tendenz auf, nur den längst bekannten Forschungsstand nochmals zusammenzufassen, bestenfalls – aber keineswegs immer – um einzelne neue Interpretationen des Verfassers bereichert. Das führt dazu, dass die durch den Umfang und bedeutenden Anlass signalisierte hohe Relevanz solcher Publikationen mit ihrer wirklichen Bedeutung für die Forschung nicht immer oder höchstens teilbereichlich übereinstimmt. Zwei noch neuere deutsche Dissertationen waren auf recht unterschiedliche Weise fraglos intensiv um Bewältigung des inzwischen unübersichtlich gewordenen Themas bemüht, schaffen es aber leider nicht, die altbekannten Bahnen hinter sich zu lassen. Birgit Wagner kam in einer Würzburger Dissertation von 2003/2005 vor allem aufgrund von Vergleichen mit Darstellungen aus anderen Kunstgattungen zwar zu der natürlich vertretbaren, aber längst nicht mehr originellen Einschätzung, Castel del Monte, Lucera, das Capuaner Tor und die drei sizilianischen Hafenburgen seien als „Monumente des Heiligen Römischen Reiches“ anzusprechen. Ihre Ableitungen der vermeintlichen Bedeutungsgehalte leiden dabei aber nicht nur unter der freiwilligen Beschränkung auf die wenigen Idealbauten, sondern darüber hinaus an nur geringen Kenntnissen der Entwicklung des Burgenbaues und insbesondere der Kastellform, deren enorme Verbreitung und Vielfalt dann erst jüngst (2018) Patrick Schicht aufwendig belegt hat. Dass Alexander Knaaks nie begründete und von der Forschung längst widerlegte Überzeugung, Buckelquaderwände würden einen Bau zweifelsfrei als „staufisch“ charakterisieren, leider nicht gänzlich folgenlos blieb, ist in der Dissertation von Simone Neumann über Lagopesole (2014) festzustellen, deren Argumentation in puncto Buckelquader – abgesehen vom Zitat knaakscher Arbeiten – rudimentär und damit ohne jede Beweiskraft bleibt. Ihre Arbeit bietet im Wesentlichen eine Dokumentation bestimmter
Teile der Burg, insbesondere der Konsolenformen der verschwundenen Schwibbögen, während eine Auseinandersetzung mit der Fülle widersprüchlicher Theorien zur Bauentwicklung der Burg, wie sie vor allem italienische Forscher, angeregt durch die Restaurierung des Baues, in den letzten Jahrzehnten vorgelegt haben, leider nicht stattfindet, obwohl sie inzwischen höchst wünschenswert wäre. Betrachtet man die italienische Forschung, so setzte sie erst rund drei Jahrzehnte nach den Arbeiten von Haseloff ein und ein wesentliches Merkmal blieb auch hier – trotz der direkteren Zugriffsmöglichkeit durch italienische Institutionen wie die Denkmalpflege oder die Universitäten – der lange anhaltende Verzicht auf Bauforschung im strengen Sinne, also auf exakte Aufmaße und detaillierte Bauuntersuchungen; eine mehr als naheliegende Erklärung dafür liegt natürlich in den bis heute nicht überwundenen wirtschaftlichen Problemen Süditaliens. Eine erste exakte Vermessung einer friderizianischen Burg mit den Mitteln des Computerzeitalters liegt inzwischen immerhin für das Kastell in Syrakus vor. Den qualitätvollen Beginn italienischer Forschung an den friderizianischen Burgen markierten die zwischen 1935 und 1969 erschienenen Bücher und Aufsätze des gebürtigen Sizilianers Giuseppe Agnello (1888–1976). Die beiden Werke des renommierten Antifaschisten behandeln in der Hauptsache die Bauten auf seiner Heimatinsel, aber auch das toskanische Prato, zu dessen Restaurierung er in den 1950er-Jahren herangezogen wurde. Seine oft sehr grundsätzlichen Interpretationen prägten das Verständnis der friderizianischen Burgen stark und blieben bis heute, auch in der deutschen Forschung, ausgesprochen folgenreich. Neben sorgfältiger Auswertung der Schriftquellen – einschließlich älterer Chroniken und Veröffentlichungen – findet man bei Agnello einen zu seiner Zeit noch keineswegs selbstverständlichen guten Blick für Baubefunde und darüber hinaus die wichtige Fähigkeit, aus der Gesamtschau dieser Anhaltspunkte eine Rekonstruktion des in der Regel nachträglich stark veränderten ursprünglichen Bauwerks abzuleiten. Seine rekonstruierten Grundrisse wichtiger Burgen wie vor allem Catania, Syrakus und Prato haben dementsprechend den Weg in zahllose spätere Veröffentlichungen gefunden, dort oft allerdings kaum erläutert, sodass man sie fälschlich für Bestandsaufnahmen des heutigen Zustands hielt – wofür keineswegs Agnello verantwortlich ist, denn er stellte auch den heutigen Zustand stets im Text und fast immer zusätzlich in Plänen dar.
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Abb. 21 Palermo, der Palazzo Chiaramonte – hier die Hofseite –, erbaut ab 1306 von der damals mächtigen Familie des Namens, entwickelte noch im 14. Jh. Bauformen weiter, die man bei oberflächlicher Betrachtung noch für friderizianisch halten könnte.
Wo viel Licht ist, ist allerdings auch ein wenig Schatten unvermeidbar. Agnello nahm nämlich in seine beiden Hauptwerke über die „architettura sveva“ in Sizilien (1935, 1961) auch eine Anzahl meist kleinerer Bauten auf, an deren Datierung bzw. an deren Zugehörigkeit zu einer von Friedrich II. beeinflussten Architektur erhebliche Zweifel bestehen (Adrano, Gela, Giuliana, Paterno, Scaletta, Targia). Seine Begründung des vermeintlich „friderizianischen“ Charakters der Bauten leitete er in diesen Fällen fast ausschließlich von stilistischen Merkmalen ab, neben Fensterformen insbesondere von der Tendenz zu geometrisch einfachen, meist quadratischen Grundrissen – die man aber, wie später immer deutlicher wurde, so eng keineswegs datieren darf. Dabei vermerkte Agnello es immerhin stets in eindeutiger Formulierung, wenn die Quellenlage seine Überlegungen nicht stützte, und er beschrieb oft auch selbst den erheblich größeren Datierungsspielraum. Die Überzeugungskraft seiner gut formulierten Darstellungen, denen bis heute in Sizilien nichts Gleichwertiges gegenübergestellt werden kann, war aber trotz seiner vorsichtigen Aussagen so hoch, dass
die meisten dieser Bauten nicht nur im populären Verständnis, sondern auch in einem großen Teil der jüngeren italienischen Literatur bis heute als „svevo“ angesprochen werden. Eine weitere Problematik in Agnellos Darstellungen – die ihm aber schon deswegen nicht vorzuwerfen ist, weil derartige Fragestellungen bis heute erst langsam in die architekturgeschichtliche Forschung vordringen – besteht darin, dass er grundsätzlich nicht nach den ursprünglichen Funktionen der Räume fragte und daher auch ihre oft unauffälligen, aber durchaus vorhandenen Unterschiede übersah. Seine Faszination durch die geometrisch idealen Grundrisse hatte ganz im Gegenteil in manchen Fällen die Folge, dass er dazu nicht recht passende Baumerkmale – wie etwa die Tonnenwölbung im Westflügel von Catania – zu Umbauten erklärte, auch wenn keinerlei Baubefunde in diese Richtung weisen. Damit verstärkte er – zweifellos ohne Absicht – den Eindruck, den schon die Regelmäßigkeit der Raumanordnungen selbst nahelegt: dass es nämlich in den friderizianischen Burgen keine funktionalen Festlegungen einzelner Räume gegeben
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habe. Auch Agnellos Frühdatierungen einiger nachstaufischer Bauten waren ja oft in seiner Bewunderung dieser räumlichen Strukturen begründet, also darin, dass er allzu kritiklos geometrische Klarheit, grandiose Gewölberäume und im weitesten Sinne frühgotische Fenster als Beweise staufischer Entstehungszeit verstand; heute wissen wir – etwa durch bessere Erforschung von Bauten wie den Burgen in Favara und Mussomeli oder des Palazzo Chiaramonte in Palermo (Abb. 21) –, dass sich solche Merkmale durchaus bis ins beginnende 14. Jh. gehalten haben. Nach den Arbeiten von Agnello hat sich die italienische Forschung nur selten an zusammenfassenden Darstellungen der friderizianischen Architektur versucht. Ein recht früher, allerdings weit über architektonische Fragestellungen hinausgehender Ansatz ist das von der Universität Rom herausgegebene zweibändige Werk „Federico II e l´arte del duecento italiano“ (= Friedrich II. und die Kunst des 13. Jh. in Italien), in dem die Beiträge eines 1978 veranstalteten Kolloquiums zusammengefasst wurden. Dem sehr breiten Ansatz entsprechend, befassen sich dort nur sieben von 24 Beiträgen mit Burgen, wobei vor allem jene, die sich um die Einordnung und Datierung einzelner Bauten bemühten (Salemi, Menfi, Giuliana, Lagopesole), heute in der Regel überholt sind. Jedoch bieten die Aufsätze für den Vergleich der „frühgotischen“ Formenwelt der Burgen – konkret vor allem für Castel del Monte und die Zisterzienserabtei Fossanova, auch für die Skulptur von Lagopesole – nach wie vor ein Material, das in diesem Umfang nicht wieder präsentiert wurde. Dagegen geht das anerkennenswerte Buch von Ferdinando Maurici „Federico II e la Sicilia, i castelli dell´Imperatore“ (1997) auf die Burgen als Bauwerke eher weniger ein, sondern stellt sie mit sozialhistorischer Methodik vor dem Hintergrund der Situation Siziliens während der staufischen Herrschaft dar. Im Übrigen liegen durchaus einige umfangreiche und informative, gelegentlich auch mit Plänen und Zeichnungen ausgestattete Werke zum Burgenbau bestimmter Regionen Süditaliens vor, die sich aber in der Regel nicht auf die stauferzeitlichen Bauten beschränken, sondern den gesamten Burgenbau der gewählten Regionen behandeln. Als wichtigstes Beispiel für Apulien ist bis heute der die Burgen betreffende Teil in Raffaele De Vitas Werk „Castelli, torri ed opere fortificate in Puglia“(1974, 2. Aufl. 2001) anzusprechen, dem für die Basilicata die noch neueren Bände „Castelli, mura e torri della Basilicata“ (2014) von Lucio Santoro an die Seite gestellt werden können; derselbe Autor hatte schon
1982 über die „Castelli angioini e aragonesi nel regno di Napoli“ geschrieben, und zwar innerhalb der grundlegenden, nach Dynastien bzw. Territorien gegliederten Sammlung „I castelli“ – in der ein Band über die Kastelle Friedrichs II. aber erstaunlicherweise fehlt. Aus diesen Werken über den Burgenbau begrenzter Regionen ragt als besonders bemerkenswerter neuerer Ausnahmefall Pio Francesco Pistillis Werk über die „Castelli normanni e svevi in Terra di Lavoro …“ heraus (2003), das zwar – ausgehend von der langjährigen Restaurierung der kriegszerstörten Rocca Janula in Cassino – ebenfalls nur den Burgenbau einer Region behandelt, aber als bisher erstes neben den deutschen Arbeiten über Castel del Monte viele Burgen des ehemaligen Königreichs Sizilien mit der entwickelten Methodik moderner Bauforschung erfasst; damit darf es als Pionierleistung gelten. Die überregionalen Einordnungen und auch das Literaturverzeichnis zeigen darüber hinaus, dass der Autor – in Italien leider noch immer eine Ausnahme – auch über den internationalen Stand der Burgen- und Bauforschung informiert ist. Zwei weitere, kaum bekannte Darstellungen italienischer Forscher, die Methoden der Bauforschung zumindest in Einzelfällen angewendet haben, verdienen hier noch Erwähnung. Der Geometer Nicola Saliani beschäftigte sich über ein Jahrzehnt lang während ihrer Restaurierung mit der kleinen Burg in seinem Heimatstädtchens Sannicandro di Bari und legte abschließend (1996) eine reich mit Plänen ausgestattete Analyse des Baues vor, in dem er durchaus diskutabel, wenn auch in der Folge kontrovers diskutiert, eine byzantinische, eine normannische und eine staufische Bauphase zu erkennen meinte. Ähnlich interessant ist andererseits das Buch von Antonio Donvito über die Burg Gioia del Colle, in dem es zwar auch um die Trennung der mittelalterlichen Phasen geht, in dem aber die genaue Beschreibung mehrerer den Bau stark prägender Restaurierungsphasen des 20. Jh. fast noch wichtiger ist. Versucht man einen zusammenfassenden, kritischen Überblick über die italienische Literatur, die sich ab dem Zweiten Weltkrieg etwas verspätet mit den (nicht nur) friderizianischen Burgen in Süditalien zu beschäftigen begann, so fällt einerseits positiv auf, dass dort die Bauten Friedrichs II. bei Weitem nicht so stark als isoliertes Phänomen betrachtet werden, wie es in älteren deutschen Publikationen üblich war, dass vielmehr meist der regionale Burgenbau in seiner Gänze thematisiert wurde. Die Schwäche der italienischen Forschung besteht dabei andererseits darin, dass die technisch viel differenzierteren
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Abb. 22 Nicastro, die Ruine, hier von Südosten, ist das anschauliche Beispiel einer Anlage, die wegen der Anpassung an das Gelände auf regelmäßig geometrische Grundrissformen verzichtet.
Methoden der Archäologie und der historischen Bauforschung – trotz der frühen Ansätze von Giuseppe Agnello und der wichtigen jüngeren Arbeiten von Pio Francesco Pistilli – in Italien bisher noch weit seltener angewandt wurden als beispielsweise in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Darin liegt einer der wichtigsten Nachteile einer Forschung, die bisher wesentlich stärker von der internationalen Forschung isoliert arbeitet, als es in anderen europäischen Ländern der Fall ist.
2.2. FUNKTIONEN DER BURGEN Dass Burgen der Sicherung feudaler Herrschaft dienten, indem sie einerseits ihre Herren und Bewohner bei Angriffen schützten und indem sie andererseits durch die Kämpfer, die sie beherbergten, auch das Umland mehr oder minder effektiv unter Kontrolle halten konnten, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie galt überall dort, wo es feudale Herrschaftssysteme gab, also insbesondere auch für praktisch das gesamte mittelalterliche Europa. Bezieht man diese Erkenntnis folglich auch auf die Burgen Friedrichs II., so fällt allerdings auf, dass deren defensive und
kontrollierende Funktionen in der Literatur bisher kaum behandelt wurden. Im Vordergrund der Betrachtung stehen vielmehr ästhetische und symbolische Aspekte, das heißt, die Bauten werden fast ausschließlich als – ebenfalls durchaus burgentypischer – baulicher Ausdruck königlicher bzw. kaiserlicher Herrschaft angesprochen. Dieses Ungleichgewicht der Darstellungen drängt zwei miteinander zusammenhängende Fragen auf, nämlich einerseits, ob diese einseitige Betonung dem Phänomen eigentlich gerecht wird, und andererseits, wie diese Einseitigkeit – vorausgesetzt, sie habe gute Gründe – eigentlich zustande gekommen sein mag. Wie ausgeführt, belegen die zeitgenössischen Quellen – so insbesondere das „Statut über die Reparatur der Kastelle“ –, dass es im Königreich Sizilien im 13. Jh. über zweihundert königliche bzw. kuriale Burgen gegeben hat. Die Tatsache, dass der weit überwiegende Teil der vorliegenden Literatur sich immer wieder mit nur einem Dutzend dieser Bauten beschäftigt hat, bedeutet also, dass dort keineswegs ein repräsentatives Bild der Burgen und ihrer Funktionen im Königreich Sizilien entstehen konnte
2.2. Funktionen der Burgen
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Castel del Monte, hier von Südosten, ist das herausragende Beispiel einer kastellförmigen Anlage, bei der maximale Regelmäßigkeit der Bauteile und Raumanordnungen verwirklicht wurde.
bzw. dass dies nicht einmal das Ziel der Autoren gewesen sein kann. Die beiden wesentlichen Gründe dieser Verengung auf ganz wenige Bauten liegen auf der Hand. Einerseits wurden natürlich vor allem jene Bauten untersucht, die noch in erheblichen Teilen erhalten sind; bezieht man diese auf die ungefähre Gesamtanzahl aus dem „Statut“, so kommt man freilich auf kaum fünf Prozent. Damit wird nur allzu deutlich, dass wir so etwas wie die „Normalgestalt“ jener Burgen, die die Macht Friedrichs II. im Königreich Sizilien sichern sollten, bisher gar nicht wirklich kennen – die erhaltenen Fälle könnten a priori auch ganz untypisch sein. Die gern mehr oder minder deutlich vorgetragene Einschätzung, „die“ Burgen Friedrichs II. in Süditalien seien in Wahrheit eher wenig wehrhafte und damit die kaiserliche Herrschaft eigentlich nur symbolhaft sichernde Bauten gewesen, eher „Schlösser“ also als Burgen, entbehrt daher einer belastbaren Grundlage. Es ist vielmehr durchaus möglich – um es überdeutlich zu akzentuieren –, dass bis zu 95 Prozent der Burgen in Friedrichs Königreich wehrhafte Bauten von eher durchschnittlicher architektonischer Qualität gewesen sind, oft sicherlich ältere Anlagen, die die kaiserliche Verwaltung nur übernommen hatte; anschaulich erhaltene Beispiele dafür sind etwa noch Rocca Janula, Capua, Melfi, Nicastro (Abb. 22) oder Garsiliato. Unter diesem Aspekt wäre das Königreich Sizilien des 13. Jh. also keineswegs der ästhetisch herausragende europäische Sonderfall gewesen, als der es meist akzentuiert wurde – die Mehrzahl seiner königlichen Burgen hätte vielmehr in ganz herkömmlicher Weise Friedrichs Herrschaft gesichert, ohne dass ihre Architektur von überdurchschnittlicher Qualität gewesen sein müsste.
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Caserta Vecchia – hier die Ruine des Wohnbaues bzw. des palatium und rechts der „Falkenturm“ – entstand nicht als curiale Burg, sondern als Hauptsitz eines mit Friedrich II. verschwägerten Grafen.
Andererseits ist natürlich unübersehbar, dass unter jener begrenzten Anzahl von Bauten, die immer wieder das Interesse moderner Autoren gefunden haben, einige durch ihre herausragende gestalterische Qualität auffallen, indem sie insbesondere das formale Schema des Kastelltypus zu erstaunlicher Vollendung geführt haben. Das betrifft insbesondere Catania, Syrakus und vor allem Castel del Monte (Abb. 23) sowie unter etwas anderen Vorzeichen auch Lucera und das „Triumphtor“ bzw. Brückenkastell in Capua; ihnen sind noch weitere, formal nicht ganz so perfekte, aber ebenfalls kastellartige Bauten an die Seite zu stellen. Dass diese architektonischen Glanzlichter immer wieder im Mittelpunkt der Darstellung gestanden haben, ist natürlich nicht allein dem Zufall ihrer guten Erhaltung zu verdanken, sondern auch den speziellen Auswahlkriterien der Kunstgeschichte bzw. dem besonderen Verhältnis dieser Disziplin zum Bautypus „Burg“. Generell nämlich gehören Burgen kaum zu den Gegenständen der Kunstgeschichte, sie werden dort in aller Regel vielmehr als reine Zweckbauten verstanden, die keine künstlerische Gestaltung kennen und daher – was in der Regel aber nicht ausgesprochen wird – im Grunde keine Betrachtung lohnen. Natürlich liegt in dieser kaum je diskutierten Sicht ein großes Missverständnis, indem sowohl die ikonologischen Ziele des Burgenbaues unverstanden bleiben – die Darstellung adeliger Macht – als auch die dabei angewandten gestalterischen Mittel, die sich allerdings von denen des Sakralbaues, des Hauptgegenstandes mittelalterlicher Architekturgeschichte, stark unterscheiden. Dementsprechend hat sich die Erforschung von Burgen ab dem späten 19. Jh. zunächst isoliert neben der Kunstgeschichte entwickelt; erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zunehmend auch kunsthistorische Methoden auf den Gegenstand angewendet. Vor dem Hintergrund dieses unterentwickelten Verhältnisses zum Bautypus Burg wurden Idealbauten wie Castel del Monte, Catania, Syrakus, Lucera und die „Torre di Federico“ in Enna von der kunsthistorischen Forschung offenbar fälschlich für ein Phänomen ganz eigener Art gehalten, die man daher mit weiteren Stützpunkten friderizianischer Macht, denen der Charakter des Kunstwerks ganz offensichtlich fehlt, nicht zwingend vergleichen musste. Die überragende Qualität der Idealbauten wurde damit oft diskussionslos als charakteristisch für das gesamte profane Bauen im Sizilien Friedrichs II. angenommen, anstatt zu erkennen, dass man es ganz im Gegenteil mit einem Sonderphänomen im Rahmen der typischen
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Merkmale des Burgenbaues zu tun hat, das gerade als solches auch der eigenständigen Erklärung bedarf. Damit blieb eine Fragestellung unbeachtet, die durchaus einen differenzierenden Beitrag zur Geschichte und Kultur Süditaliens im 13. Jh. leisten kann. Für die Ausgangsfrage dieses Kapitels – jene nach den Funktionen der Burgen – bedeutet diese Erkenntnis, dass diese Funktionen im Königreich Sizilien höchstwahrscheinlich nicht so viel anders einzuschätzen sind, als es auch für andere große Territorien Europas im hohen oder späten Mittelalter galt. Dass Könige wie auch andere Adelige mit ausgedehntem Besitz an Land und Rechten eine größere Anzahl von Burgen besaßen, die ihre Macht sicherten, war durchaus normal und daraus ergab sich unvermeidlich, dass viele dieser Burgen nicht oder höchstens gelegentlich von ihrem Eigentümer samt Familie und Hofstaat bewohnt wurden. Sie waren vielmehr Beauftragten anvertraut, entweder im Sinne der Verlehnung oder durch Einsetzung eines Vogtes bzw. von Burgmannen, die zumindest im deutschen Raum in der Regel Ministerialen, also Unfreie, waren. Nun hatten Friedrich und seine normannischen Vorgänger im Königreich Verwaltungsstrukturen geschaffen, die deutlich über das im Norden der Alpen Übliche hinausgingen. Insbesondere gab es beamtete Kastellane und von der Verwaltung am kaiserlichen Hof festgelegte Besatzungen aus Sergeanten und einer bestimmten Anzahl Knechte. Verlehnungen zumindest an Adelige mit größerem Besitz ließ Friedrich offenbar nur dann ausnahmsweise zu, wenn es sich um eindeutig seine Macht akzeptierende, am besten sogar familiär verbundene Geschlechter handelte wie etwa die zu seiner Zeit regierenden Grafen von Caserta und Acerra; beide waren Schwiegersöhne des Kaisers und errichteten bzw. modernisierten wichtige Burgen, nämlich Matinale und Casertavecchia (Abb. 24). Aus diesem grundlegenden und auch durchaus erklärlichen Misstrauen gegenüber dem Großteil des regionalen Adels ergab sich die erste Besonderheit der friderizianischen Burgen in Süditalien. Sie konnten nicht von einem dauerhaften Lehensnehmer zum Ausdruck seiner eigenen Macht ausgestaltet und damit quasi auch formal „entfremdet“ werden, sondern blieben, weil sie nur Sitz von „Beamten“ waren, ausschließlich Ausdruck kaiserlicher Macht. Dies ist von der Forschung auch fast immer so gesehen worden; nur die Frage, ob man diese besondere Art der Nutzung vielleicht nicht nur in der architektonischen Außenwirkung, sondern auch in den räumli-
Î Abb. 25 Torrechiara bei Parma von Südosten, erbaut bis 1448, ist ein Beispiel eindrucksvollen Burgenbaues, der in anderen Teilen Italiens, lange nach der Zeit Friedrichs II. entstand.
chen Strukturen der Burgen ablesen kann, ist bisher kaum gestellt worden. Die zweite Besonderheit jedoch, die auf der architektonischen Ebene liegt, ist bisher als solche kaum je richtig gewichtet worden, nämlich die Frage, warum Friedrich II. die in ihrer Form eher anspruchslosen, oft sicher älteren Burgen, die vielerorts seine Macht sicherten, durch eine kleine Anzahl von architektonisch höchst anspruchsvollen Idealbauten ergänzt hat. Diese wenigen, erst spät in seiner Regierungszeit entstandenen Burgen – und nur sie – belegen offenbar das Bedürfnis Friedrichs, seine Macht im Königreich nicht nur durch die Stationierung von Besatzungen und eine eher allgemein bekannte „Burgensymbolik“ zu festigen, sondern sie durch Schöpfungen von hohem ästhetischen Anspruch stärker zu veranschaulichen, als es sonst fast überall in Europa üblich war.
2.3. BURGENBAU VOR FRIEDRICH II. Auf den ersten Blick erscheint Italien dem Reisenden als ein mit Deutschland durchaus vergleichbares Burgenland. Hier wie dort krönen Burgen und Ruinen viele Berge und auch in den Ebenen, wo sie weniger ins Auge fallen, muss man nicht lange suchen, um eindrucksvolle Niederungsburgen zu finden; viele von ihnen gehören zu den berühmten Sehenswürdigkeiten des Landes (Abb. 25). Das gilt allerdings vor allem für Nord- und Mittelitalien – in Süditalien, im ehemaligem Reich Friedrichs II., drängt sich dem aufmerksamen Reisenden ein etwas anderer Eindruck auf, vor allem, wenn er sich auf das 12./13. Jh. konzentriert und die Anlagen der Spätgotik und Renaissance einmal beiseitelässt. Die Burgendichte ist dort im Süden offenbar geringer und die vergleichsweise wenigen, aber meist architektonisch durchaus anspruchsvol-
Î Abb. 26 Capua, die Stadtburg („Castello di Pietra“), entstand noch in normannischer Zeit als Kastellanlage, in der Spolien aus den nahen Ruinen des antiken Capua verwendet wurden.
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2.3. Burgenbau vor Friedrich II.
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len Burgen liegen eher in den Städten, vor allem den Hafenstädten, nur ausnahmsweise auf isolierten Höhen. Auch wenn man sich nicht näher mit der Geschichte Süditaliens befasst hat, legt schon dieser Eindruck die Deutung nahe, dass die Region im Mittelalter nicht in so viele Kleinherrschaften zersplittert gewesen sein kann, wie es für weite Teile Deutschlands und des nördlicheren Italien galt, sondern dass sich hier eine starke Landesherrschaft spiegelt, die insbesondere ihre Wirtschaftszentren sicherte, während die eher ästhetische Dominanz durch weithin sichtbare Höhenburgen eine begrenztere Rolle spielte. Diese Charakteristik einer starken und gut organisierten Landesherrschaft, die auch in der Verteilung und Gestaltung der Burgen abzulesen ist, traf auf das Königreich Friedrichs II. fraglos zu. Aber entstand dieses Grundprinzip der Beherrschung des Landes durch strategisch verteilte Burgen erst unter der Regierung Friedrichs II.? Oder konnte der Kaiser nicht vielleicht auf ein bestehendes Burgennetz zurückgreifen, das er lediglich erhielt und ausbaute? Diese Fragestellung liegt vor allem deswegen nahe, weil ja schon die normannischen Herrscher im Laufe des
Abb. 27 Melfi, Rekonstruktionsversuch der normannischen (blau) und der friderizianischen Bauteile (rot); die originalen Maueröffnungen im Bereich des Kernbaues sind nicht mehr sicher feststellbar.
12. Jh. ein starkes und gut organisiertes Staatswesen in Süditalien aufgebaut hatten. Noch weiter zurückzugehen, also nach den Anfängen des Baues von mittelalterlichen Burgen in (Süd-)Italien schlechthin zu fragen, würde allerdings nicht nur den Rahmen dieses Buches sprengen, sondern es würde auch in ein allzu wenig erforschtes Gebiet vordringen, wo es weit mehr Fragen als Antworten gibt. Zwar befasst sich die italienische Forschung immer wieder mit dem frühmittelalterlichen Phänomen des „incastellamento“, aber damit ist keineswegs die Entstehung des Bautypus der Adelsburg gemeint, sondern jener Vorgang, bei dem sich die Bevölkerung in großen Teilen des christlich geprägten Mittelmeerraumes ab dem 9./10. Jh. in befestigte Höhensiedlungen zurückzog, weil sie vor den Einfällen der Sarazenen, Ungarn und zuletzt eben der Normannen Schutz suchte. Diese Höhensiedlungen erscheinen in den Quellen unter der Bezeichnung „castra“ oder „castella“, was ihre Unterscheidung von den ersten Adelsburgen schwierig bis unmöglich macht, zumal, da es denkbar scheint, dass sich auch manche der Letzteren aus diesen befestigten Höhensiedlungen entwickelt haben; ein Beispiel, das auch in diesem Buch eine Rolle spielt, dürfte etwa Casertavecchia sein, das schon 861 als castrum Casa Irta erwähnt wird und dann 1092 Sitz eines Grafen und eines Bischofs war. Sicherlich umfasste dieses frühe castrum den gesamten, heute das Städtchen tragenden Bergsporn, während die kleinere gräfliche Burg an dessen Angriffsseite nach den Forschungen von P. F. Pistilli erst in normannischer Zeit ab dem späten 12. Jh. entstand. Die Entstehung und Frühphase der mittelalterlichen Adelsburg in Italien – die man auch dort wie im deutschen Raum wohl im 10./11. Jh. annehmen kann – wären also sicherlich nur mit archäologischen Mitteln, in günstigeren Fällen vielleicht auch mit denen der Bauforschung zu klären, wobei die Forschungen im deutschsprachigen Raum, besonders konzentriert etwa in der Schweiz, allerdings gezeigt haben, dass es der aufwendigen Untersuchung zahlreicher Objekte bedarf, um zu gesicherten und verallgemeinerbaren Erkenntnissen zu kommen. Von einem derartigen Forschungsstand ist Italien noch weit entfernt. Beschränkt man sich daher auf die Betrachtung der Burgen, die von den normannischen Herrschern aus dem Hause Hauteville und vom normannischen Adel im 12. Jh. erbaut wurden – also in der Epoche, die jener Friedrichs II. unmittelbar voranging –, so findet man zumindest ein gro-
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Abb. 28 Byblos/Giblet (Libanon), Grundriss einer im 12. Jh. in mehreren Phasen entstandenen, kastellförmigen Burg in den Kreuzfahrerstaaten (Deschamps, Châteaux des croisés, III).
ßes rechteckiges Kastell mit quadratischen Ecktürmen, das als direkter Vorgänger von friderizianischen Bauten wie Bari, Trani, Brindisi, Augusta oder Prato erscheint. Gemeint ist das „Castello di Pietra“ in Capua (Abb. 26), von dem ein quadratischer Turm und eine Kurtine umgebaut erhalten sind, aufgemauert aus römischen Spolien der benachbarten antiken Ruinenstadt Capua. Ebenso erinnert das bescheidenere Sannicandro di Bari an den Kastelltypus, auch wenn seine sechs Mauertürme im Einzelnen schwer datierbar sind (vgl. Abb. 170). Eine größere normannische Burg, die mit rechteckigen Mauertürmen zwar dem Konzept eines Baues wie Capua oder eben den späteren Kastellen friderizianischer Zeit nahekommt, aber in Anpassung an das Gelände und eine bestehende Siedlung einen unregelmäßig polygonalen Grundriss aufweist, ist schließlich auch die eben schon angesprochene
Grafenburg in Casertavecchia, die nach P. F. Pistilli um 1170 erbaut und in spätstaufischer Zeit aufwendig erweitert wurde (vgl. Abb. 155). Zwei weitere kastellartige Burgen, die bis vor einiger Zeit oder zumindest von manchen Forschern als normannisch eingeschätzt wurden, dürften allerdings eher in friderizianischer Zeit entstanden sein, nämlich Melfi und Bari. In diesen beiden wichtigen Fällen kann man trotz erheblicher Schwierigkeiten für die Bauanalyse – in Melfi vielfältige Umbauten, in Bari eine Pulverexplosion im 17. Jh. – mit einiger Wahrscheinlichkeit einen großen Kernbau in der Art eines Donjons herausschälen, vermutlich in beiden Fällen in mehreren Geschossen zweiräumig mit Mittelwand (Abb. 27). Auch der älteste Bauteil der Burg in Gioia del Colle ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen; allerdings lässt die nur niedrige Erhaltung
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Abb. 29 Belvoir (Israel), Grundriss der um 1168-75 erbauten Johanniterburg (links) und Alt-Paphos („Saranda Kolones“), Grundriss. Die beiden frühen Vertreter des Kastelltypus in der Region der Kreuzzüge sind entwurflich eng verwandt; der Erbauer von Alt-Paphos ist aber umstritten.
Abb. 30 Chlemutsi (Griechenland, Peloponnes), die Kernburg des 1220–23 erbauten Hauptsitzes der Fürsten von Achaia von Süden und Grundriss des Hauptgeschosses. Die allseitig von gewölbten Flügeln umgebene, polygonale Kernburg mit einzelnen Ecktürmen verweist trotz ihrer einfacheren, romanischen Formen bereits auf das zwei Jahrzehnte jüngere Castel del Monte.
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von lediglich drei der Außenwände des 36 x 15 m messenden Baues keine Aussage über seine ehemalige Höhe und Funktion mehr zu. Alle drei Bauten dürften jedenfalls mindestens in die 1. Hälfte des 12. Jh. zurückgehen. Vor allem das „Castello di Pietra“ in Capua zeigt, dass die in staufischer Zeit entstandenen Kastelle – Bari, Trani, Aversa, das Castel Capuano in Neapel, Augusta, Milazzo, Matinale u. a. (vgl. 2.4.2. Die Kastelle) – nicht auf gänzlich neue Ideen der Architekten Friedrichs II. zurückgingen, sondern dass es in Apulien zumindest ein älteres Vorbild für sie gab. Darüber hinaus aber drängt sich auch eine Erwägung auf, woher diese Bauform ursprünglich stammte, nämlich aus den Kreuzfahrerstaaten des Vorderen Orients, mit denen das Königreich Sizilien im 12. Jh. in ständigem Austausch stand. Denn über die wichtigen Häfen im Südosten des italienischen „Stiefels“ – Bari, Brindisi, Otranto, Tarent u. a. – reisten nicht nur immer wieder Kämpfer in das latent bedrohte Heilige Land, sondern es gab auch bedeutende Handelsbeziehungen, die diesen Weg nutzten. Die nach heutiger Kenntnis wohl älteste Burg in den Kreuzfahrerstaaten, die über quadratischem Grundriss mit ebenfalls quadratischen Ecktürmen errichtet wurde, ist jene in Giblet, dem antiken Byblos (Libanon; Abb. 28). Wie so viele Burgen ist sie schwer zu datieren, aber die allgemeine Annahme besagt, dass der Wohnturm im Zentrum der Anlage noch im frühen 12. Jh. entstand, bald nach der Eroberung des Platzes 1104, und die umgebende Ringmauer mit den Ecktürmen jedenfalls noch vor 1200. Jüngere und etwas besser erforschte Beispiele in den Kreuzfahrerstaaten sind etwa Coliath (Libanon) oder Mi´ilya (Israel), denen etliche weitere Anlagen mit kleineren Ecktourellen an die Seite zu stellen sind. Die Idee, dass das Konzept der quadratischen Anlage mit ebensolchen Ecktürmen durch entsprechende spätrömische Kastelle des limes arabicus angeregt wurde, von denen in der syrischen Wüste bis heute erhebliche Reste erhalten sind, liegt mehr als nahe. Der formale und fortifikatorische Höhepunkt der Kastelle mit quadratischen Türmen in den Kreuzfahrerstaaten war fraglos der Neubau von Belvoir, der 1168–75 in Galiläa auf einem hohen Berg über dem Jordantal entstand (Abb. 29), von einem ebenfalls kastellförmigen Zwinger umgeben. Belvoir dürfte nicht nur die erst kurz zuvor erfolgte „Militarisierung“ der als Krankenpflegeorden gegründeten Johanniter symbolisiert haben, sondern war vielleicht auch als repräsentativer Sitz ihres Hochmeisters
vorgesehen. Dazu scheint es allerdings nicht gekommen zu sein, denn die Burg wurde schon 1189 von Saladin erobert, gelangte nie wieder in christliche Hand und wurde spätestens 1213 endgültig zerstört. Dass das beeindruckende Konzept des konzentrischen Kastells mit dem langen Niedergang der Kreuzfahrerstaaten keineswegs an ein Ende gekommen war, sondern durchaus fortentwickelt wurde, nur eben weiter westlich, belegt der bemerkenswerte Fall der Burg in Alt-Paphos (Pafos) auf Zypern (vgl. Abb. 29). Die ab 1954 freigelegten Reste der Burg – die wegen der Zweitverwendung antiker Säulentrommeln heute auch „Saranda Kolones“ (= vierzig Säulen) genannt wird – datiert man in die Zeit um 1200, wofür neben einer päpstlichen Aufforderung von 1198 an die Templer und Johanniter, Zypern durch Burgen zu sichern, die frappante Ähnlichkeit mit Belvoir das Hauptargument ist. Denn in der Tat wirkt die Burg in Pafos im Grundriss wie eine allerdings verkleinerte Variante der etwa 20–30 Jahre älteren Burg in Galiläa, bei der lediglich der Grundriss einiger Türme abgewandelt wurde, nämlich des inneren Torturms und der Türme der äußeren Mauer. Da außerdem auch technische Details der Quaderverarbeitung, der Gewölbeansätze usw. Belvoir in frappanter Weise entsprechen, liegt hier wohl wirklich ein Beleg vor, dass eine Equipe von Bauleuten einschließlich eines „Architekten“ das Land gewechselt hat, wobei der Auftraggeber freilich umstritten bleibt. Ein weiteres aussagekräftiges Beispiel, dass bauliche Konzepte aus den Kreuzfahrerstaaten den Weg nach Westen fanden, ist die Burg Chlemutsi/Castel Tornese auf dem Peloponnes (Abb. 30). 1204 war Konstantinopel auf dem fehlgeleiteten Vierten Kreuzzug von Kreuzfahrern erobert worden, die danach auch den Peloponnes beutegierig unter sich aufteilten. Dabei entstand u. a. das Fürstentum Achaia, dessen Hauptsitz die 1220–23 erbaute Burg werden sollte. Das relativ spät entstandene Chlemutsi kann natürlich nicht mehr zu den Vorbildern normannischer Burgen im Königreich Sizilien gehört haben, aber seine in Griechenland einzigartige Bauform mit der ganz gleichmäßig umlaufenden, spitztonnengewölbten Halle deutet ebenso wie die historische Bindung an die Kreuzzüge darauf hin, dass hier Konzepte aus dem palästinensisch-syrischen Raum in eine Region importiert worden waren, die Süditalien schon wesentlich näher liegt als Zypern. Dass der polygonale Grundriss von Chlemutsi mit seinen voll umlaufenden Gewölbehallen und vorspringenden schlanken Ecktürmen auch zu den
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Anregern des nur zwei Jahrzehnte jüngeren, aber gotisch geprägten und daher weitaus regelmäßigeren Castel del Monte gehört haben dürfte, ist ebenfalls schon vermerkt worden (vgl. Abb. 47). Dass es neben einem großen Kastell wie Capua, neben mehrtürmigen Burgen wie Sannicandro oder Casertavecchia und schließlich neben voluminösen Donjons wie in Melfi, Bari oder auch Gioia del Colle im normannischen Süditalien aber auch noch kleinere, von den unteren und mittleren Adelsschichten genutzte Burgen gegeben haben dürfte, gehört zu jenem Fragenkomplex um den frühen italienischen Burgenbau, der bisher wenig geklärt ist. Die Reste der beiden bescheidenen Turmburgen in Celano und Roccamandolfi (vgl. Abb. 4), die Friedrich II. 1223 zerstören ließ, lassen immerhin ahnen, dass selbst gräfliche Burgen, die zumindest in die Zeit um 1200 oder noch früher zurückgegangen sein dürften, erstaunlich kleine und bescheidene Anlagen waren. Nimmt man noch hinzu, dass auch in den friderizianischen Neubauten von Bari und Trani, vielleicht auch in der extrem umgebauten Burg Aversa ergrabene bzw. verbaute Reste von großen (Wohn-)Türmen erfasst oder vermutbar sind, dass schließlich auch in der später weitgehend erneuerten Burg Barletta ein ältester Bau erhalten ist, der turmartig war und in normannische Zeit gesetzt wird, dann legt dies eine bestimmte Interpretation nahe. Man wird nämlich im Sinne einer Arbeitshypothese vermuten dürfen, dass Wohntürme bei den frühen Adelsburgen Italiens eine ähnlich wichtige Rolle gespielt haben wie in großen Teilen des übrigen Europa, insbesondere in Frankreich, England und im deutschen Raum, und ähnlich auch in den Kreuzfahrerstaaten – nur dass der wenig entwickelte, vor allem archäologisch basierte Forschungsstand in Italien dazu noch kaum gesicherte Aussagen zulässt. Tatsächlich wurde ja auch schon ab dem 19. Jh. behauptet, dass zwei eindrucksvoll erhaltene Turmburgen Siziliens, Adernò und Paternò, „normannisch“ seien – was aber nur auf den ersten Blick zu dieser Überlegung zu passen scheint, denn die Bauformen diese beiden berühmten Fälle erweisen sie eindeutig als Bauten erst nachstaufischer Entstehung um und nach 1300. Zusammenfassend kann man also zum Burgenbau der normannischen Herrscher im Königreich Sizilien des 12. Jh. festhalten, dass er für uns durchaus noch greifbar ist, und zwar sowohl in Form vereinzelter großer Anlagen in wichtigen Städten, die fraglos von Anfang an kurial
waren, als auch in Beispielen kleiner, eher im Lande verstreuter Burgen, die dem Adel zuzuschreiben sind. Und es ist, um auf das Thema dieses Buches zurückzukommen, in Einzelfällen durchaus zu notieren, dass solche Burgen unter der Regierung Friedrichs II. weitergenutzt und manchmal auch ausgebaut wurden.
2.4. DIE ARCHITEKTUR DER BURGEN Friedrich II. konnte nur von 1220 bis 1250, also drei Jahrzehnte lang, selbst die Herrschaft in seinem süditalienischen Reich ausüben; das war wenig Zeit, um eine größere Anzahl von Burgen bauen zu lassen oder zumindest in größerem Umfang zu erneuern. Ein wesentlicher Punkt, der diesen Tatsachen entspricht, war schon angesprochen worden (vgl. 2.2. Funktionen der Burgen ), nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass von den über zweihundert kurialen Burgen, die für die Zeit Friedrichs II. belegbar sind, viele schon vor seinem Regierungsantritt existiert haben dürften und von ihm nur übernommen wurden. Die relativ geringe Anzahl von Burgen, die in der Literatur immer wieder als Bauten des Kaisers in Anspruch genommen werden, dürfte also nicht allein durch spätere Zerstörungen oder entstellende Umbauten zu erklären sein, sondern sie kann teilweise auch daran liegen, dass in den wenigen Jahren von Friedrichs Regierung nicht allzu viele Burgen neu gebaut werden konnten, während man bei anderen nur notwendige Instandhaltungen oder begrenzte Modernisierungen ausführte. Zu dieser Feststellung passt auch die Beobachtung, dass nicht wenige der Burgen als unvollendet anzusprechen sind; insbesondere fehlen Obergeschosse entweder des gesamten Baues wie etwa in Catania oder Syrakus oder zumindest von Turmgeschossen und einer Zwingermauer wie im Falle von Castel del Monte. Jene Burgen, bei denen entweder der Bau in seiner Gesamtheit oder zumindest erhebliche Teile aufgrund der Schriftquellen relativ sicher in die Zeit Friedrichs II. datiert werden können, werden im Katalog (5. Die Bauten) monographisch behandelt, um eine gesicherte Faktenbasis zu schaffen, auch bezüglich ungeklärter bzw. umstrittener Punkte. In diesem Kapitel geht es dagegen um eine zusammenfassende Betrachtung und Interpretation unter Aspekten der Gesamtform und der Raumaufteilung, weiterhin um die verschiedenartigen Funktionen und die „Architekten“, letztlich um Fragen des Stils und der Ableitung von Entwicklungen in anderen Regionen Europas und des Mittelmeerraumes. Die unregelmäßigen, im
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Grundriss stark ans Gelände gebundenen Anlagen bilden dabei den Anfang, darauf folgen die Burgen mit regelmäßigen Grundrissformen, also zunächst die einfacheren, noch nicht geometrisch perfekten Kastellanlagen, und schließlich die relativ kleine Gruppe der im Grundriss konsequent geometrisch gestalteten und auch in der Gewölbe- und Fassadenbildung ausgesprochen anspruchsvollen Idealbauten. Den Abschluss bilden dann jene formal und funktional deutlich abweichenden Bauten, die in der Literatur mit gutem Grund als „Jagdschlösser“ angesprochen werden. In der kunsthistorisch geprägten Literatur, die ja die Idealbauten in den Mittelpunkt stellt oder sie sogar ausschließlich thematisiert, wurden bisher Fragen der Architekturikonologie bzw. Symbolik betont und im Zusammenhang damit Fragestellungen ästhetischer Natur und die Diskussion von „Einflüssen“ anderer Regionen bzw. Kulturen. Dies soll hier vor allem durch die bisher weniger behandelten Fragen der Funktion ergänzt werden, das heißt es wird auch darum gehen, welche Raumfunktionen und Zusammenhänge erkennbar sind, und zwar sowohl für den Bereich der herrschaftlichen Repräsentation als auch für Bereiche wie Wohnen und Wirtschaften; dabei soll etwa auch gefragt werden, ob die Burgen wirklich fast nie Kapellen besaßen. Und nicht zuletzt bleibt hier ein Funktionsbereich zu betrachten, der in den meisten Regionen Europas bei der Betrachtung von Burgen im Mittelpunkt steht, aber gerade bei den Burgen Friedrichs II. bisher stiefmütterlich behandelt wurde – nämlich die Formen der Befestigung, die ja gerade im Laufe des 13. Jh. wichtige Entwicklungen durchliefen.
2.4.1. Unregelmäßige Anlagen
Von jenen auch im Reich Friedrichs II. recht häufigen Burgen, deren unregelmäßige Grundrissform und bauliche Gestaltung stark durch die Anpassung an das Gelände bestimmt war, sind immerhin einige Beispiele so gut erhalten, dass wir uns noch ein etwas besseres Bild machen können; bei anderen wurde zwar die in staufischer Zeit eher noch bescheidene Bausubstanz in nachstaufischer Zeit völlig erneuert – weswegen sie hier im Katalog nicht erfasst werden –, aber es sind Höhenburgen, bei denen man schon deswegen von Anfang an eine eher pragmatische Anordnung der Bauten vermuten darf; dies gilt etwa für Presenzano und Airola sowie für das Castel dell´Ovo (Abb. 31) in Neapel – alle in Kampanien – und für Roseto (= Rocca Imperiale) in Kalabrien.
Unter den im Wesentlichen erhaltenen Burgen mit weitgehend friderizianischer Bausubstanz kann man das „Castello della Lombardia“ in Enna an den Anfang stellen (Abb. 32; vgl. Abb. 123). Die Burg entstand in einem Bereich, der schon zur antiken Stadt gehört hatte und damals offenbar ein Sakralbezirk gewesen war, vielleicht in der Art einer Akropolis; Hypogäen zeugen davon und noch im Mittelalter standen drei Kapellen in der Burg. Die unregelmäßige Form der sehr großen, in drei Höfe gegliederten Gesamtanlage ist dabei weitgehend durch die Kanten einer spornähnlich vorspringenden Felsplattform bestimmt. Der innere Teil, heute Kern- und Vorburg, wurde schon in byzantinischer Zeit durch einen Graben separiert; es bleibt aber letztlich unklar, ob die bestehenden ältesten Bauteile noch aus vorstaufischer Zeit stammen könnten oder doch in ihrer Gänze erst in den 1230er-Jahren auf Initiative Friedrichs II. entstanden. Die viertürmige Kernburg, die einen Saalbau enthielt, vermeidet jedenfalls die strenge Form eines echten Kastells, obwohl der Bauplatz dafür geeignet gewesen wäre. Dagegen wirkt die rechteckige äußere Vorburg mit ihren ehemals drei symmetrisch angeordneten Fronttürmen hinter dem stadtseitigen Graben durchaus kastellartig und ist auch nach gestalterischen Details fraglos erst in friderizianischer Zeit entstanden. Trotz vieler offener Fragen vergleichbar ist der Fall von Oria. Auch dort wurde der höchste Teil einer bestehenden Stadt, in dem ursprünglich die Kathedrale und eine von Pilgern stark besuchte Grabkapelle gestanden hatten, offenbar erst in den 1230er-Jahren zur Burg ausgebaut. Bausubstanz friderizianischer Zeit ist in der wenig untersuchten Anlage bisher nur in Form eines ehemals mehrgeschossigen Baues sicher erkennbar, eines vielleicht schon turmartigen Wohngebäudes, das im 16. Jh. als Kavalier ummantelt wurde (vgl. Abb. 174); immerhin belegt die Lage dieses Baurestes aus dem 13. Jh., dass die Burg von Anfang an die gesamte Bergspitze umfasste. Die beiden nur als Ruinen erhaltenen Burgen in Agira und Lentini (vgl. Abb. 185, 191) auf Sizilien entsprechen denselben Prinzipien wie Enna und Oria; sie entstanden gleichfalls auf landschaftsbeherrschenden Kuppen über einer antiken Stadt. In Lentini ist aufgrund der aufwendigen Bearbeitung der Felsgräben außerdem vermutet worden, dass die Burg Nachfolger einer bereits antiken, mit dem Kastell Euryalos in Syrakus vergleichbaren Befestigung gewesen sei; im Prinzip liegt ja für alle Anlagen mit diesen typischen Merkmalen die Frage nahe, ob sie
2.4. Die Architektur der Burgen
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Neapel, das „Castel del Ovo“. Die auf einer Felseninsel im Meer stehende Burg – der Felsen wurde vollständig umbaut – war in staufischer Zeit unter anderem Aufbewahrungsort des Staatsschatzes, jedoch sind aus dieser Zeit heute kaum noch Baureste erkennbar.
nicht die Stelle antiker Akropolen einnehmen. In diesen Fällen muss es sich aber nicht unbedingt um eine symbolhafte Wahl des Bauplatzes gehandelt haben, in der eine bewusste Anknüpfung an seine antike Bedeutung zum Ausdruck gekommen wäre. Ebenso nahe liegt die Annahme, dass es einfach die beherrschende und zugleich siedlungsnahe Position war, die zur mittelalterlichen Wiederbefestigung des Ortes angeregt hat. Anders liegt der Fall bei der Rocca Janula über Cassino, die aber auch an eine ältere Befestigung anknüpfte (vgl. Abb. 152). Hier war nämlich schon im 10. Jh. eine Burg des Klosters Montecassino in typischer Spornlage entstanden. Sie wurde 1221, den „Assisen von Capua“ entsprechend, zunächst geschleift, dann aber ab 1235 im Zusammenhang mit der Stadtbefestigung als castrum exemptum neu ausgebaut. Bei der friderizianischen Erneuerung der Burg wurde nach den Erkenntnissen von Pio Francesco Pistilli ein Bau des frühen 12. Jh. in die Vorburg einbezogen, aber auf der äußersten Bergspitze entstand damals eine neue Kernburg, die hauptsächlich aus einem großen, bewohnbaren Fünfeckturm in qualitätvollem Quaderwerk bestand (Abb. 33). Große Türme mit der Spitze gegen die Angriffsseite, die als friderizianisch gelten, gibt es auch, in beiden Fällen nur zum Teil erhalten, in Vibo Valentia und Nicastro (vgl. Abb. 22, 181, 182). Der fünfeckige Turm in Vibo Valentia, der mit der Burg in den 1230er-Jahren entstand, enthielt über einer Zisterne einen in zwei Jochen kreuzrippengewölbten Raum, vielleicht eine Kapelle. Über den Hauptturm in Nicastro, der wegen seiner „abgeschnittenen“ Spitze sechseckig ist, kann aufgrund lediglich punktueller Grabungen bisher nur gesagt werden, dass auch er sicherlich im 13. Jh. entstand; die Bauentwicklung der
ç Abb. 32
Enna, die Burg – „Castello della Lombardia“ – von Norden, von dem Felsen aus, der in der Antike einen CeresTempel trug. Die Kernburg ist rechts an den vier Türmen zu erkennen.
großen und komplexen Gesamtanlage, die mindestens bis ins 16. Jh. anhielt, ist sonst kaum geklärt. Die beachtliche Größe der Türme in Vibo Valentia und Nicastro, ihre Fenster und die Wölbungsreste in Vibo machen jedenfalls deutlich, dass es sich wie schon bei der Rocca Janula keineswegs um innenräumlich schlichte Bergfriede gehandelt hat, sondern um bewohnbare Türme, wohl sogar mit recht repräsentativen Räumen. Die beiden Burgen in Casertavecchia und Sannicandro di Bari – beide waren nicht kurial, sondern gräflich bzw. an Adelsfamilien verlehnt – gehören nur insoweit in dieses Kapitel, als sie in friderizianischer Zeit mit einigem Aufwand ausgebaut wurden (vgl. Abb. 155, 170). Beide unterstreichen aber in aussagekräftiger Weise die Tendenz, an schon früher befestigten Plätzen zu bauen bzw. an vorhandene Bausubstanz anzuknüpfen, nämlich in Casertavecchia an die bereits beachtlich große normannische Grafenburg, die ihrerseits innerhalb einer frühmittelalterlichen Höhensiedlung entstanden sein dürfte, in Sannicandro an eine kleine Niederungsburg, die wohl bis in byzantinische Zeit zurück ging. Neben solch großen Burgen hat es aber nicht nur in normannischer, sondern auch noch in staufischer Zeit eine erhebliche Anzahl kleinerer Höhenburgen von ebenfalls meist unregelmäßiger Grundrissbildung gegeben, über die wir nur deswegen wenig wissen, weil sie bisher nur selten untersucht sind. Viele dieser Anlagen wurden ihrer Kleinheit und Abgelegenheit wegen früh aufgegeben, andere dagegen später ausgebaut, um wachsenden Ansprüchen an Verteidigungsfähigkeit und Wohnlichkeit zu entsprechen; in beiden Fällen bedürfte es des intensiven Einsatzes archäologischer und bauanalytischer Methoden, um bezüglich ihrer ursprünglichen Gestalt und Datierung sichere Ergebnisse zu erzielen. Die vereinzelten Beobachtungen, die bisher möglich sind, deuten aber immerhin an, dass bei diesen Burgen nicht nur in normannischer Zeit (vgl. 2.3. Burgenbau vor Friedrich II.), sondern auch noch im 13. Jh. die Form des Wohnturms eine zentrale Rolle spielte, wie ja schon das Auftreten solcher Türme in größeren Burgen wie Rocca Janula, Vibo Valentia oder Nicastro angedeutet hat. Viele dieser kleineren Burgen dürften tatsächlich wohl wenig mehr als eine Art Wachtürme gewesen sein, die, höchstens um kleine Nebenbauten ergänzt, neuralgische Punkte der Landschaft oder des Straßennetzes überwachten, wobei die kleine Besatzung oft im Turm selbst gewohnt haben dürfte.
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Das besterhaltene Beispiel einer solchen Kleinanlage ist die Burg in Roseto Capo Spulico, die an der Grenze zwischen der Basilicata und Kalabrien den Engpass der porta Roseti an der Küstenstraße sicherte (Abb. 34). Sie war wohl ein vorgeschobener Posten der größeren und küstenferner liegenden Burg Roseto, der heutigen „Rocca Imperiale“, die selbst nur noch nachstaufischen Bestand zeigt. Auf einem kleinen Felsen, der den Strand überragt, stand an der porta Roseti anfangs nur ein Wohnturm; lediglich zwei Doppelfenster deuten an, dass dieser Turm wie auch ein bald angebauter, kleiner Wohnbau in friderizianische Zeit zurückgeht; sicher erwähnt wird die Burg erst unter den Anjou, nämlich 1269, als sie kurial und bereits
Abb. 33 Rocca Janula über Cassino, der friderizianische Fünfeckturm in der Kernburg; sein hier unsichtbarer hinterer Teil wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Ob die Mauer mit den niedrigen Schlitzscharten und vermauerten Zinnen noch stauferzeitlich ist, scheint zweifelhaft.
erheblich vergrößert war. Einen vergleichbaren, wieder von Pio Francesco Pistilli untersuchten Fall stellt die Burg Roccaguglielma nahe Cassino dar, die wohl ebenfalls einen Weg vom Papststaat nach Neapel sichern sollte (vgl. Abb. 74, 153). Ihr noch aus dem 12. Jh. stammender, ursprünglich mit Balkendecken versehener Turm wurde ab 1231 umgebaut; zuoberst erhielt er ein Kreuzgratgewölbe, unten wurde eine Zisterne eingerichtet. Eine Ringmauer mit Eckturm, der eine weitere Zisterne enthält, ergänzte damals den Turm zu einer kleinen Burg, die dann bis ins Spätmittelalter hinein weiter modernisiert wurde. Ähnlich ist nach Pistilli die Entwicklung der nicht weit entfernten, aber heute stärker verfallenen Burg Castrocielo zu beschreiben, an die sich allerdings noch ein befestigtes Dorf anschloss. Einen Höhepunkt in puncto Unregelmäßigkeit bildet schließlich die einem Felszacken angepasste Burg in Garsiliato (oder Grassuliato) auf Sizilien, deren Reste so schwer zu erfassen sind, dass bisher kein vollständiger Grundriss vorliegt (vgl. Abb. 189). Historisch ist sie aber ein aussagekräftiger Fall, denn der Name ist als Bezeichnung eines casale und einer terra schon seit dem 11. Jh. belegbar, sodass man von einem frühen Adelssitz ausgehen kann, der sich dann bis 1240 zur kurialen Burg entwickelt hatte. Damals nämlich beklagte sich ihr Kommandant beim kaiserlichen Hof, dass ihm die Mittel zur Unterhaltung der vorgeschriebenen Besatzung fehlten. Deutlicher kann der Fall einer kleinen Adelsburg, die nachträglich in kuriale Verwaltung gekommen war, nicht beschrieben werden, vor allem nicht die praktischen Probleme ihres Unterhalts bzw. ihrer Ausstattung. Zwei Anlagen, die eigentlich nicht als unregelmäßige Burgen beschreibbar sind, die aber jedenfalls in ihrer Urform andererseits auch nicht zu den echten Kastellen gehört haben können, sind anzufügen. Von der ursprünglichen Anlage der Burg in Gioia del Colle, die spätestens um 1100 in praktisch ebener Lage entstand, wissen wir nur noch, dass ihr Hauptgebäude ein großer Rechteckbau von 35 x 15 m war (vgl. Abb. 171); ob sie schon vor dem Neubau der erhaltenen stauferzeitlichen Anlage Nebengebäude besaß, wissen wir nicht mehr. Auch Friedrichs Palast in Foggia, der Lieblingsaufenthalt des Kaisers in der zweiten Hälfte seines Lebens, folgte offenbar keinem burgartigen Konzept. Er bildete vielmehr ein separat ummauertes „Viertel“ in einer wohl erst unter Friedrich II. entstandenen Stadterweiterung, war also vermutlich gar nicht separat befestigt, sondern
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Abb. 34 Roseto Capo Spulico, die Burg von Südosten, mit dem Wohnturm als ältestem Teil im Vordergrund.
nur durch die heute fast völlig verschwundene Stadtmauer geschützt. In Foggia dürfte es sich wirklich um einen „Palast“ mit locker angeordneter Bebauung gehandelt haben, zu dem u. a. auch Gartenanlagen gehört haben dürften. Nur vom offensichtlichen Hauptbau, der wohl einen Saal im Obergeschoss besaß, können wir noch eine grobe Vorstellung gewinnen, die auf eine gewisse Ähnlichkeit nicht zu den Burgen Friedrichs, sondern eher zu seinen Jagdschlössern verweist. Man darf also festhalten, dass die meisten der weit über zweihundert Burgen, die im Königreich Sizilien die Macht Kaiser Friedrichs II. sichern sollten, sicherlich keine unter seiner Regierung neu errichteten Bauten waren – die womöglich in allen Fällen anspruchsvollen Idealkonzepten entsprochen hätten –, sondern dass es sich meist um eher kleine und oft ältere Anlagen handelte, deren Höhenlage
in der Regel zu einer unregelmäßigen Anordnung der Bauten geführt hatte. Diese Behauptung ist beim gegenwärtigen Forschungsstand noch nicht flächendeckend zu beweisen, aber man kann sie doch hinreichend wahrscheinlich machen und durch nicht wenige Beispiele belegen. Dieser Hintergrund nimmt der „idealen“ Architektur der kastellartigen Burgen, die der Kaiser zwischen etwa 1220 und 1250 errichten ließ, nichts von ihrer Bedeutung – er lässt ganz im Gegenteil ihre Besonderheit noch deutlicher hervortreten. Denn offensichtlich waren diese Idealbauten eben nicht nur das Ergebnis einer regionalen Entwicklung, sondern sie gingen auf einen Gestaltungswillen zurück, der die überdurchschnittliche Qualität suchte und dabei auch an Vorbilder und Anregungen aus anderen Regionen und Kulturen anknüpfte.
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2.4.2. Die Kastelle
Süditalienische Kastelle – also rechteckige Burgen mit Ecktürmen – gelten sowohl der deutschen wie auch der italienischen Forschung häufig als generell staufisch. Wie sich diese etwas zu pauschale Einschätzung entwickelt hat, die früh und prägnant in den einflussreichen Büchern von Giuseppe Agnello vorgetragen wurde, liegt auf der Hand, wenn man die beachtliche Reihe erhaltener Burgen im Königreich Sizilien betrachtet, die diesem Konzept entsprechen; insbesondere vertreten die immer wieder behandelten Idealbauten in Syrakus, Catania und Castel del Monte, in eingeschränkter Weise auch in Lucera, das Kastellprinzip und haben es vor allem in Castel del Monte zu einem zeitlos wirkungsvollen und daher berühmten Höhepunkt geführt. Die idealisierende Deutung, dass alle süditalienischen Kastelle aus der Bautätigkeit Friedrichs II. hervorgegangen seien, lässt jedoch wesentliche Aspekte außer Acht. Einer davon wurde bereits im vorigen Kapitel angesprochen, nämlich die Tatsache, dass die Kastellform keineswegs typisch für alle Burgen des friderizianischen Königreichs war, sondern nur für eine begrenzte Gruppe unter ihnen, während die Mehrheit der kurialen Burgen auch dort kleinere, meist dem Gelände angepasste Anlagen waren, die zudem in vielen Fällen schon vor Friedrichs Regierungszeit bestanden hatten. Ähnlich wichtig ist auch eine zweite Fragestellung: Ob nämlich die Kastellform wirklich auf die Epoche Friedrichs II. beschränkt war oder ob sie nicht vielmehr auch davor bzw. danach aufgetreten ist. Der erste Teil dieser Frage wurde bereits angesprochen (vgl. 2.3. Burgenbau vor Friedrich II.) und es war festzustellen, dass die ersten süditalienischen Kastelle mit quadratischen Ecktürmen bereits unter den normannischen Herrschern entstanden waren, nämlich insbesondere in Capua (vgl. Abb. 26), und dass zudem in ihnen wohl ein Einfluss wirkte, der wahrscheinlich von den Kreuzfahrerstaaten ausging, von Palästina, Syrien und Zypern (vgl. Abb. 28–30). Bisher wenig diskutiert wurde außerdem die Frage, ob die vermeintlich „staufischen“ Formen im Konzept bzw. Grundriss der Burgen, aber auch in ihrer Ornamentik wirklich mit der Regierungszeit Friedrichs II. ein Ende gefunden haben oder ob sie nicht vielmehr darüber hinaus bis in die angevinische Epoche hinein wirkungsvoll geblieben sind. Beide Fragen – die nach den Vorgängern und die nach den Nachfolgern – verweisen ein weiteres Mal auf die Tatsache, dass die Einordnung der friderizianischen Kastelle
in Entwicklungslinien bzw. auch Fragen nach Einflüssen und Nachwirkungen bisher wenig untersucht wurden. Das lag teilweise, insbesondere bei der deutschen Forschung, an der ideologischen Einengung auf das vermeintlich „Deutsche“, später zumindest noch an einer allzu einseitig kunsthistorischen Herangehensweise. Andererseits spielte aber natürlich auch der Stand der internationalen Burgenforschung eine wichtige Rolle, die ja erst in den letzten fünf bis sechs Jahrzehnten etwas intensiver versucht, auch die Forschungsergebnisse in europäischen Nachbarländern in ihre Überlegungen einzubeziehen. Betrachtet man jene größeren kastellförmigen Anlagen, die nach heutigem Forschungsstand unter der Regierung Friedrichs II. neu entstanden, so liegt es nahe, sie in zwei Gruppen aufzuteilen. Einerseits sind da die immer wieder thematisierten Spitzenbauten in Lucera, Syrakus, Catania und Castel del Monte, denen man noch das andersartige, aber in mehrfacher Hinsicht nahe verwandte Brückenkastell in Capua hinzufügen kann; sie werden im nächsten Kapitel behandelt (2.4.3. Die Idealbauten). Andererseits gibt es aber auch eine deutlich umfangreichere Gruppe von Burgen, die zwar ebenfalls viereckig sind und vorspringende Ecktürme aufweisen, dabei aber die geometrische Perfektion der Idealbauten nicht erreichen. Das Grundviereck ist bei ihnen länglich oder verschoben, die Türme sind verschieden groß, springen unterschiedlich weit vor oder haben sogar unterschiedliche Grundrisse und auch die Bebauung im Inneren unterscheidet sich meist von Flügel zu Flügel – um nur die wichtigsten Unregelmäßigkeiten zu nennen. Das besterhaltene Kastell dieser Art, das nicht ohne Grund gerne mit dem nahen und wohl gleichzeitig entstandenen, aber größeren und unregelmäßigeren Bari verglichen wird, ist die 1233 begonnene Burg in Trani (Abb. 35). Ähnlich ist bei den beiden am Meeresufer liegenden bzw. jeweils den Hafen schützenden Burgen vor allem die Anordnung der Türme: Die beiden größeren und weit vorspringenden sichern die landseitigen Ecken, während die meerseitigen an der Wasserseite nicht vorspringen und auch kleiner sind. Trani hat aber nicht nur deutlich geringere Ausmaße als Bari, sondern es ist auch regelmäßiger; das gilt vor allem für das Grundquadrat, das in Trani nahezu exakt ist, und teilweise auch für die Anordnung der Flügel. Dem meerseitigen Saalbau, in dem der Saal im Obergeschoss über eine reich geschmückte Loggia erreichbar war, stand in Trani landseitig eine zweigeschossige, in Bögen zum Hof geöffnete, aber flach-
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Abb. 35 Bari (links) und Trani, Ansichten und Rekonstruktionsversuch der Grundrisse in friderizianischer Zeit. Die beiden Konzepte sind eng verwandt, wobei der vermutlich gleiche Entwerfer in Trani schon den Weg zu idealer Regelmäßigkeit verfolgte.
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Abb. 36 Matinale, Ansicht der unvollendeten Anlage von Nordwesten. Die eng zusammengerückten Türme links flankierten kein Tor, sondern nur eine Poterne.
gedeckte Halle gegenüber, in die stadt- und landseitig je ein Tor führte (vgl. Abb. 66); die beidseitigen Wohnflügel sind dort sehr verändert. Diesem formalen Konzept von Trani, das fraglos als Fortentwicklung von Bari anzusprechen ist, dürften in ihren Grundzügen auch das „Castel Capuano“ in Neapel und die Burg in Aversa (vgl. Abb. 157) entsprochen haben; beide wurden allerdings im Barock so tiefgreifend umgestaltet, dass ihre ursprüngliche Gestalt nur durch die Forschungen von Pio Francesco Pistilli wieder teilweise greifbar wurde. Ein Spätling des weitgehend, aber eben nicht völlig regelmäßigen Kastelltyps ist die Burg Matinale, die vor
Abb. 37 Lagopesole, die als unvollendeter Turm wirkende nordwestliche Eckvorlage, die im Grundriss nur L-förmig ist.
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1247 von einem Schwiegersohn des Kaisers, dem Grafen Tommaso II. von Aquino, in beherrschender Lage über der kampanischen Ebene erbaut wurde (Abb. 36); der genaue Baubeginn ist unbekannt, jedoch deutet der eindeutig unvollendete Zustand der Burg sicherlich an, dass er nicht sehr lange vor 1247 lag und dass der Tod Friedrichs und die folgenden Wirren den Weiterbau verhinderten. Auch Matinale besitzt ungefähr quadratische Ecktürme, die in leicht variabler Weise vor die Ecken vorspringen und innen gegen die geplanten Wohnflügel leicht ausgeklinkt sind. Ein fünfter Turm schützte nicht etwa das Haupttor, sondern in der Art eines Doppelturmtores eine talseitige Poterne. Der ursprünglich vorgesehene Innenausbau wurde im 14./15. Jh. nur stark reduziert ausgeführt, aber die Fenster, Wand- und Gewölbeansätze an der Außenmauer lassen, wie Pio Francesco Pistilli dokumentierte, die regelmäßige Planung der Flügel mit je vier quadratischen, aber spitztonnengewölbten Jochen pro Seite erkennen (vgl. Abb. 57, 156); auch die geplante Anordnung von Saal und Wohnräumen ist noch nachvollziehbar. Den deutlich weniger anspruchsvollen Fall eines Kastells mit rechteckigen Ecktürmen vertritt die offenbar in den 1230er-Jahren entstandene Burg in Milazzo auf Sizilien, denn auf der geräumigen Hügelkuppe hätte man durchaus auch eine regelmäßig quadratische Anlage realisieren können. Stattdessen entstand ein dieser Form nur grob angenähertes Polygon mit neun zumeist stumpfwinkligen Ecken, das mit vier Eck- und (ehemals) vier Zwischentürmen verstärkt ist (vgl. Abb. 183). Auch Größe, Grundrissform und Vorsprung dieser Türme variieren ohne erkennbaren Grund stark zwischen den Extremen von 10 x 10 m beim Hauptturm und einem nur 4,5 m breiten und kaum über 2 m vorspringenden Zwischenturm im Westen. Auch auf die sonst so verbreitete lückenlose Umbauung mit vier eingewölbten und gut ausgestatteten Flügeln wurde in Milazzo zugunsten lediglich eines hohen Wohn- und Saalbaues in einer Ecke verzichtet. Innerhalb der Entwicklung des friderizianischen Burgenbaues vertreten Milazzo und Matinale zwei wichtige Aspekte. Einerseits nämlich wird hier deutlich, dass die in den Kreuzfahrerstaaten, aber auch im Königreich Sizilien selbst in die 2. Hälfte des 12. Jh. zurückreichende Bauform des Kastells mit quadratischen Ecktürmen bis in die Mitte des folgenden Jahrhunderts keineswegs etwa ausgestorben war. Vielmehr existierte sie neben der Spitzengruppe der viel stärker formalisierten Idealbauten einfach weiter und zeigte dabei eine erstaunliche Spann-
weite der Variationen. Einerseits übernahm ein Bau wie Matinale zumindest teilweise die strenge Jochgliederung, wie man sie in Idealbauten wie Syrakus und Catania findet oder auch in Prato hätte finden sollen. Andererseits zeigt ein Bau wie Milazzo, dass andere Entwerfer zwar auch auf das Kastellschema zurückgriffen, dabei aber das Ziel höchster geometrischer Strenge keineswegs immer
Abb. 38 Lagopesole, Rekonstruktionsversuch der ersten Entwicklungsphase der bestehenden Anlage (Phase II, vor 1137 oder eher um/nach 1200, vgl. Abb. 178).
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vollständig nachvollzogen, sondern ganz im Gegenteil die Unregelmäßigkeit und Abwechslung suchten. Ob die Kastellform zu dieser Zeit weiterhin Einflüsse der Kreuzfahrerstaaten verarbeitet hat oder ob es sich nun um eine Entwicklung ausschließlich innerhalb des Königreichs Sizilien handelte, ist schwer zu bestimmen; angesichts der beachtlichen Anzahl der Beispiele muss man eine regional begrenzte Weiterentwicklung aber sicherlich für möglich halten. Es gab vereinzelt noch stärker abweichende Variationen des Kastelltypus mit quadratischen bzw. Rechtecktürmen, nämlich einerseits Rechteckanlagen, die nicht an jeder Ecke Türme besaßen, und andererseits solche, die Ecktürme nur andeuteten. Dem ersten Fall entspricht die offenbar gräfliche Burg Gioia del Colle, an deren älteren,
rechteckigen Kernbau in friderizianischer Zeit ein Dreiflügelbau mit zwei hohen Ecktürmen angesetzt wurde. Der Grund für das „Fehlen“ der beiden anderen Ecktürme liegt hier also in der Bauentwicklung bzw. wohl darin, dass man den älteren Bau erhalten wollte. Ähnlich sind auch die Gründe für ungewöhnliche Eigenheiten der in ihrer Entwicklung viel diskutierten Burg in Lagopesole zu beschreiben. Die Anlage zeigt an allen Ecken leicht vorspringende, weitgehend mit Buckelquadern verkleidete Bauteile, die man in der Außenansicht zunächst für unvollendete, die Kurtinen nicht überragende Türme halten würde (Abb. 37). Der Grundriss (vgl. Abb. 178) zeigt jedoch, dass es sich nur um L-förmige Baukörper handelt, deren geringe Tiefe es ermöglichte, die Rechteckräume in den dahinterliegenden Flügeln nicht
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durch einspringende Turmecken zu beeinträchtigen. Es scheint dabei, als ob es L-förmige „Scheintürme“ dieser Art hier schon in einer früheren Bauphase der Anlage – es ist umstritten, ob sie noch in normannischer oder eher schon in friderizianischer Zeit entstand (Abb. 38) – an zwei Ecken der damals noch etwas kleineren Burg gegeben hätte und dass man diese Anregung dann beim Ausbau im mittleren 13. Jh. für alle Ecken der damals vergrößerten Anlage übernommen hätte. Im Übrigen treten im Grundriss L-förmige Türme, die im europäischen Burgenbau sonst selten sind, auch in Matinale und Gioia del Colle auf, nur bei Weitem nicht so ausgeprägt bzw. in geringer Tiefe wie in Lagopesole; in Matinale ist jeweils nur eine relativ kleine Ecke der vier Türme ausgeklinkt, indem man dort die Außenmauer des Turmes wesentlich dün-
ner ausführte; und in Gioia schließt lediglich ein schmales, aber die ganze Turmhöhe erreichendes Treppenhaus an den größeren Turm an, sodass auch er im Grundriss L-förmig erscheint. Kann man die auf unterschiedliche Weise „reduzierten“ Kastelle von Gioia del Colle und Lagopesole also beide aus einer mehrstufigen Entwicklung der Burgen bzw. der Weiterführung einer örtlichen Sonderform ableiten, so weicht eine weitere Gruppe von Kastellen aus anderen Gründen von der vollständigen Regelmäßigkeit ab – sie variiert nämlich die Grundrisse der Türme offensichtlich aus dem einzigen Grund, so Abwechslung in das äußere Erscheinungsbild zu bringen. Urbild dieser Variante des Kastells war wieder fraglos Bari, wo die beiden längeren, landseitigen Kurtinen des unregelmäßigen Grundrechtecks durch je einen weit vorspringenden Mittelturm verstärkt waren, einen fünfeckigen im Westen, einen polygonalen im Süden. Am nächsten kommt dem das 1233 im Bau befindliche, also mit Bari wohl gleichzeitige und ebenfalls verschoben rechteckige Brindisi (Abb. 39; vgl. Abb. 175), das an der östlichen Stadtseite zwei ungefähr quadratische Ecktürme und einen fünfeckigen Mittelturm besitzt, während an der westlichen Feldseite zwei runde Ecktürme einen mittleren Torturm rahmen, der seiner beachtlichen Größe halber als Hauptturm der Anlage gelten muss. Ein nur gekappt und verbaut erhaltener kleinerer Rechteckturm, der vermutlich das Tor zur Stadt enthielt, sprang aus der Mitte der Südkurtine vor, während die hafenseitige Nordkurtine als einzige auf einen Mittelturm verzichtet. In der Abwechslung der Turmformen relativ nahe kommt dem das gegen 1240 begonnene Prato, bei dem allerdings schon zwei als Mitteltürme der Kurtinen einbezogene ältere und sehr hohe „Geschlechtertürme“ ein recht unregelmäßiges Gesamtbild ergaben (Abb. 40). Jedoch war dies dem Entwerfer des friderizianischen Baues offenbar noch nicht genug der Abwechslung, denn er gestaltete die Mitteltürme der beiden anderen Kurtinen als Fünfecktürme und variierte die Maße, das Mauerwerk und die Innenräume der vier quadratischen Ecktürme erheblich.
Abb. 39 Brindisi, das „castello svevo“ von Nordwesten, über den Hafen. Die Burg ist als Sitz eines Marinekommandos nicht zu besichtigen. Hinter der Bebauung des 15.–19. Jh. erkennt man rechts den massiven Torturm, flankiert von den beiden runden Ecktürmen.
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ç Abb. 40
Prato, Rekonstruktionsversuch des geplanten, aber nicht erreichten Endzustandes, Erdgeschoss und Schnitt Süd-Nord (vgl. Abb. 180).
Abb. 41 Cosenza, Rekonstruktionsversuch des ursprünglichen Grundrisses, rekonstruierte Teile in grau.
Einer solch gewollten Vielfalt der Turmformen gegenüber wirken zwei weitere Kastellvarianten schon wieder regelmäßiger, trotz der Verwendung von jeweils zwei verschiedenen Turmformen. Das in den 1230er-Jahren entstandene Kastell in Augusta (vgl. Abb. 192) ist nämlich eine quadratische Anlage mit ebenfalls rechteckigen Eck- und seitlichen Zwischentürmen, wobei die südliche Schmalseite jedoch mittig durch einen großen polygonalen, mit Spiegel- bzw. Buckelquadern verkleideten Hauptturm akzentuiert wurde, der auch die Stadt optisch beherrscht haben muss (vgl. Abb. 85). Durch die Anordnung der Türme, aber auch durch das Fehlen eines Südflügels ist die Anlage nur um eine nordsüdlich verlaufende Achse symmetrisch, nicht jedoch um eine ostwestliche. Vergleichbar ist schließlich das Kastell von Cosenza, das aber noch etwas unregelmäßiger gestaltet wurde (Abb. 41). Noch ausgeprägter als in Augusta besitzt der Bauplatz zwei Angriffsseiten, während die anderen Seiten dort durch das Meer, in Cosenza durch steile Hänge geschützt sind. Dabei ist die Bergkuppe in Cosenza deutlich schmaler, weswegen die längsrechteckige Anlage auf
einen Westflügel verzichtet. Gegen die relativ geräumige und daher besonders gefährdete Spitze des Burgberges ist die nördliche Schmalseite mit zwei starken quadratischen (Eck-)Türmen gesichert, von denen der östliche, der Stadt zugewandte als noch etwas kräftigerer Hauptturm ausgeführt war. Dagegen besteht das besondere Interesse der beiden über quadratischem Sockel als Achteck aufsteigenden Ecktürme der Südfront darin, dass sie nicht nur der äußeren Form nach, sondern auch in der Gestaltung ihrer Gewölbe unmittelbar mit den Türmen von Castel del Monte verwandt sind (vgl. Abb. 89). Kastelle – das heißt Rechteckanlagen mit vier Ecktürmen einschließlich reduzierter oder erweiterter Varianten dieser Form – waren also unter den größeren Neubauten Friedrichs II. im Königreich Sizilien so häufig, dass sie als Leitform seines Burgenbaues anzusprechen sind. Dies wird noch deutlicher, wenn man sich klarmacht, dass auch von den erst im nächsten Kapitel anzusprechenden fünf Idealbauten drei – Syrakus, Catania und Castel del Monte – Kastellform aufweisen, dass diese also keineswegs Einzelschöpfungen unklarer Herkunft
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insbesondere also die Geländeformen des Bauplatzes, aber auch und nicht unbedingt zuletzt den Versuch, den Anblick der Bauten abwechslungsreicher zu gestalten – für die bisher behandelten Kastellformen also quasi das Gegenteil des Strebens nach einem „idealen“ Bauwerk, dessen Anblick an jeder Seite mehr oder minder gleich ist.
2.4.3. Die Idealbauten
Abb. 42 Die friderizianischen Idealbauten, Grundrisse in gleichem Maßstab. Für Syrakus ist die Rekonstruktion von Agnello dargestellt, für Catania die eigene Rekonstruktion, für Lucera jene von Willemsen.
sind, sondern vielmehr ästhetisch perfektionierte Höhepunkte einer architektonischen Kultur, die eine Fülle von Beispielen dieser Form hervorgebracht hatte. Dabei darf man den enormen Variantenreichtum in der Einzeldurchbildung – also in erster Linie in Anordnung, Größe und Form der Türme – in dem Sinne interpretieren, dass hier keineswegs eine geradlinige Entwicklung mit dem Ziel einer perfekten Form stattfand, sondern vielmehr ein Experimentieren, dem verschiedene, a priori gleichberechtigt nebeneinander stehende Ideale zugrunde lagen. Als Hauptfaktoren, die diese Varianten hervorbrachten, wird man neben dem Streben nach geometrischer Perfektion vor allem das Eingehen auf die verschiedenen Möglichkeiten eines Angreifers zu berücksichtigen haben,
Das besondere Interesse, das die „Kastelle Kaiser Friedrichs II.“ seit über einem Jahrhundert auf sich ziehen, richtet sich – wie schon mehrfach angesprochen – bei näherer Betrachtung keineswegs auf alle Burgen, die der Kaiser nach heutigem Wissen bauen oder ausbauen ließ. Vielmehr stand und steht weit überwiegend eine sehr kleine Anzahl architektonisch herausragender Bauten im Fokus der Betrachtung. Diese Burgen bezeichne ich wegen ihrer hohen gestalterischen Qualität als „Idealbauten“. Den Kern der Gruppe bilden das Castel del Monte und die beiden eng verwandten Kastelle in Catania und Syrakus, ferner das wohl einige Jahre ältere und ehemals durch seine Dreigeschossigkeit hervorgehobene „palatium“ in Lucera (Abb. 42). Die „Torre di Federico“ in Enna und das Brückenkastell in Capua sind in anderer Weise idealen Planungsprinzipien verpflichtet, wobei das Capuaner Brückentor zusätzlich durch den besonderen Aufwand hervorsticht, mit dem die kaiserliche Macht durch Skulpturen versinnbildlicht wurde. Dass die drei wichtigsten Bauten dieser Spitzengruppe Kastellform besitzen, kann nicht mehr überraschen, wenn man bedenkt, wie verbreitet diese Form im friderizianischen Burgenbau generell war und dass auch ein normannischer Bau wie Capua schon diese Form besessen hatte (vgl. 2.3. Burgenbau vor Friedrich II. und 2.4.2. Die Kastelle; vgl. Abb. 26). In einer ersten Annäherung darf man Castel del Monte, Catania und Syrakus also durchaus als besonders gelungene Vertreter eines regional traditionsreichen Typus ansprechen, die vor allem durch ihre hohe geometrische bzw. entwurfliche Konsequenz hervorstechen. Denn bei ihnen wird nicht nur die Grundform des Quadrates bzw. Achtecks mit hoher Genauigkeit eingehalten, sondern sie wird auch durch die allseitig gleiche Tiefe der Flügel quasi bis in den Innenhof gespiegelt – wobei Syrakus den Begriff der „Flügel“ angesichts der vereinheitlichten Halle aus fünf mal fünf gleichen Jochen eigentlich schon hinter sich gelassen hat. Die Achteckform von Castel del Monte erscheint inner-
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halb dieser Gruppe nur als quasi spielerische Variante, als Ableitung von einem quadratisch-achttürmigen Bau wie Catania und unter Integration einer schon in Cosenza erprobten Turmform – im Ergebnis natürlich ein äußerst wirkungsvoller Bau, aber, wenn man die Denkweise von Architekten zugrunde legt, auch eine durchaus naheliegende Weiterentwicklung. Die zweite, vor allem ihre Außenwirkung entscheidend prägende Neuerung der drei kastellförmigen Idealbauten sind die regelmäßig angeordneten runden bzw. achteckigen Türme; zuvor und auch bei gleichzeitig entstandenen anderen Burgen hatte es – ausgenommen je zwei Ecktürme in Brindisi (vgl. Abb. 39, 175) und Cosenza (vgl. Abb. 41) – ausschließlich quadratische oder rechteckige Türme gegeben. Wichtig ist dabei auch die regelmäßige Form und Verteilung der Türme: Rundtürme gleichen
Durchmessers und mit gleichem Vorsprung vor die Kurtinen an allen vier Ecken in Catania und Syrakus, in Catania außerdem vier wieder untereinander gleiche, aber etwas kleinere Rundtürme in der exakten Mitte jeder Seite (Abb. 43) – der entwurfliche Schritt von einem solchen Konzept zur Anwendung ausschließlich oktogonaler Grundrissformen wie im Falle von Castel del Monte ist durchaus nicht weit. Das nur noch in Grundzügen rekonstruierbare „palatium“ von Lucera erscheint als naher Verwandter von Catania, Syrakus und Castel del Monte und kann durchaus als ihr entwurflicher Vorläufer angesprochen werden. Auch Lucera war bereits ein maßgenau quadratischer Bau mit vier gleich tiefen Flügeln um einen quadratischen Hof (vgl. Abb. 42, 160). Unterschiede zu den drei etwas jüngeren Kastellen bestanden aber in zwei wichtigen Punkten.
Abb. 43 Catania, Rekonstruktionsversuch des ursprünglichen Grundrisses mit vermutlichen Raumfunktionen.
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Einerseits war Lucera nicht eingeschossig (wie offenbar Syrakus) oder zweigeschossig (wie Catania und Castel del Monte), sondern sogar dreigeschossig, wodurch der Bau – vor der Hinzufügung des angevinischen Schrägsockels – geringfügig höher als breit war. Die gelegentlich zu findende Bezeichnung als „Donjon“ ist dabei zwar nachvollziehbar, aber typologisch nicht akzeptabel, denn Donjons waren Türme, das heißt geschlossene Baukörper, während Lucera einen Innenhof besaß. Der andere, in der ehemaligen Außenansicht fraglos noch wirkungsvollere Unterschied zu den drei Kastellen bestand darin, dass Lucera keine Eck- oder Zwischentürme besaß; zwar wird das ehemalige Vorhandensein von Ecktürmen gelegentlich behauptet, aber die einzige höher erhaltene Ecke des Baues spricht eindeutig gegen diese Annahme. Die „Torre di Federico“ in Enna (Abb. 44; vgl. Abb. 187, 188) ist mit Lucera, Catania, Syrakus und Castel del Monte durch die Konsequenz ihres geometrisch klaren Grundrisses verbunden, wobei das auch hier in mehrfacher Varia-
tion zugrunde gelegte exakte Oktogon natürlich an Castel del Monte erinnert. In der Anordnung der Baukörper folgt die „Torre“ jedoch einem gänzlich anderen, bis ins Spätmittelalter in ganz Europa verbreiteten Konzept als die Kastelle, nämlich jenem der Turmburg, bei dem ein in der Regel bewohnbarer geräumiger Turm das Zentrum der Burg bildet, von einer Ringmauer mit weiteren Bauten umgeben. Wir wissen bisher nicht, ob die an die achteckige Ringmauer gelehnten Bauten im Falle der „Torre“ ebenfalls ein vollständiges Oktogon gebildet haben, aber es liegt angesichts der perfekten Geometrie der erhaltenen Bauteile durchaus nahe; nur eine Grabung könnte hier vielleicht mehr Klarheit bringen. Dass schließlich die Gestalt des Capuaner Brückentors wieder anderen Prämissen folgte, ergibt sich aus dem anderen Bautypus. Bei einem Tor ging es – anders als bei einer Burg – nicht um den Schutz von der Außenwelt abgeschlossener, bewohnbarer und repräsentativer Innenräume, sondern im Gegenteil um einen Durchlass, der nur im Notfall verschließbar und verteidigungsfähig
Abb. 44 Enna, die „Torre di Federico“. Im Vordergrund Reste der achteckigen Ringmauer, deren Quaderschale geraubt und nur teilweise notdürftig ersetzt ist.
Abb. 45 Capua, die römische, aber nach dem Zweiten Weltkrieg erneuerte Brücke über den Volturno, dahinter die restaurierten Reste des friderizianischen Brückentors.
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Abb. 46 Der Louvre in Paris, die Fundamente der um 1190–1202 erbauten, kastellförmigen Burg des Königs Philippe II. Auguste, nach den Grabungen 1984–86 (L´enceinte et le Louvre de Philippe Auguste, 1988).
sein musste und der in vielen Fällen zusätzlich dem Ankömmling die Herrschaft über den betretenen Bereich symbolhaft vor Augen führen sollte. Für das Tor in Capua, das einerseits den Zugang zur Brücke über den Volturno und zur Stadt Capua zu sichern hatte (Abb. 45; vgl. Abb. 154), das aber andererseits auch durch die skulpturengeschmückte, Rom zugewandte Fassade den Eintritt in den Rechtsbereich des Königreichs Sizilien bzw. des Kaisers markierte, gilt diese Verbindung der Funktionen in perfekter Weise. Die architektonische Ähnlichkeit mit den späten Kastellen Friedrichs II. beschränkte sich dabei auf die flankierenden Rundtürme, wobei allerdings schon früh darauf hingewiesen wurde, dass die Gewölbeformen in diesen Türmen mit jenen in den trapezförmigen Räumen von Castel del Monte eng verwandt sind. Mit der Form der Gewölbe und ihrer perfekten Einfügung in den Entwurf ist ein weiterer zentraler Aspekt der friderizianischen Idealbauten angesprochen, der keineswegs Castel del Monte und Capua allein betrifft, sondern die Architektur dieser Bautengruppe insgesamt prägt – die gelungene Integration der gotischen, aus Frankreich importierten Gewölbeformen in den Burgenbau. Denn das geometrische Gleichmaß der Grundrisse, das die sechs Idealbauten auszeichnet, beruht ja nicht einfach auf der Festlegung und dann regelhaften Anwendung von Längen und Breiten, sondern vielmehr auf der systematischen Addition gleicher oder nur nach strengen Regeln variierter kreuzrippengewölbter Joche. Bei der Interpretation der friderizianischen Kastelle durch deutsche und italienische Forscher ist zwar bis in jüngere Arbeiten hinein immer wieder nach dem Einfluss einerseits antiker und andererseits vorderorientalischmuslimischer Bauformen gefragt worden, während zwei
andere Einflüsse kaum diskutiert wurden, obwohl sie im Grunde näherliegen als die Verarbeitung antiker Vorbilder: nämlich einerseits jene der apulischen Romanik und andererseits der französischen Gotik. Die apulischen Vorbilder sind dabei primär im Bereich der Bauplastik bzw. Skulptur zu finden und werden deswegen hier an anderer Stelle behandelt (vgl. 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik). Zwischen der Annahme orientalischer Einflüsse einerseits und jener der französischen Gotik andererseits besteht jedoch ein enger forschungsgeschichtlicher Zusammenhang, der vor allem die Formen der Gesamtanlage betraf und daher hier anzusprechen ist. Denn die Frage, wieso in Süditalien um 1240 „plötzlich“ Kastelle mit runden Ecktürmen auftraten, beschäftigt die architekturgeschichtliche Forschung seit Langem. Ab 1948 propagierten Wolfgang Krönig und dann auch die italienischen Forscher Giuseppe Agnello und Stefano Bottari zwei Jahrzehnte lang den Vorschlag, Burgen wie Catania und Syrakus seien von umayyadischen Bauten des 7./8. Jh. abzuleiten, die Friedrich II. während seines Kreuzzuges 1228/29 kennengelernt haben könne. Schon 1968 wies aber Carl Arnold Willemsen mit Recht darauf hin, dass bei schärferer Betrachtung allzu viel gegen diese Idee spricht. Denn die umayyadischen, nur in der äußeren Form an friderizianische Burgen erinnernden „Wüstenschlösser“ waren zur Zeit dieses Kreuzzugs einerseits schon ein halbes Jahrtausend alt und daher in der Regel längst verlassen und sie liegen andererseits in Regionen, die Friedrich II. – und auch die ihn möglicherweise begleitenden Baumeister – nie hatten bereisen können. Seitdem hat die architekturhistorische Burgenforschung große Fortschritte gemacht und vor allem verdeutlicht, wie weit sich Kastelle mit Rundtürmen in der
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Abb. 47 „Philippinische“ Kastelle und polygonale Burgen mit Ecktürmen im Königreich Frankreich, Grundrissvergleich mit Catania (nach Agnello), Castel del Monte und Chlemutsi/ Tornese (nach C. Meckseper).
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1. Hälfte des 13. Jh. in weiten Teilen Europas verbreitet hatten. Abgesehen von Beispielen in Spanien (und Nordafrika), die sicherlich von umayyadischen Bauformen und ihren Nachfolgern beeinflusst waren, gilt heute eine schon deutlich vor 1200 einsetzende Entwicklung im Königreich Frankreich als Ursprung dieses dynamischen Geschehens. Sie wurde nach wichtigen Darstellungen von Pierre Héliot vor allem von Jean Mesqui mit dem inzwischen allgemein übernommenen Begriff der „fortification philipienne“ bezeichnet, weil ihre Entstehung in die Regierungszeit des Königs Philippe II. Auguste (1180–1224) fiel und weil der königliche Neubau des Pariser Louvre (um 1190–1202) zu ihren wichtigsten frühen Realisierungen gehört hat (Abb. 46). Mesqui versteht das Aufkommen dieser Formen als Verarbeitung von Anregungen, die durch die Ruinen der in Westeuropa verbreiteten spätrömischen Stadtbefestigungen und Kastelle zur Verfügung gestellt wurden. Dass sich diese Formen dann im Lauf des 13. Jh. in Nachbar- bzw. Randgebiete Frankreichs ausbreiteten, manchmal unter erkennbarer Anpassung an örtliche Traditionen, ist inzwischen in mehreren Regionen festgestellt worden, so in England und noch deutlicher in Schottland und Irland, in Savoyen bzw. der heutigen Westschweiz und eben auch am Westrand des damaligen deutschen Sprachgebiets, am Oberrhein bzw. im Elsass und der Pfalz, auch am Niederrhein. Die Verbreitung von Kastellformen im weiteren Sinne von der Antike bis an die Schwelle der Renaissance und in allen Weltregionen hat dann zuletzt Patrick Schicht in einem materialreichen Überblick dokumentiert; zwar sind keineswegs alle dort angeführten Beispiele hinreichend erforscht und dürften daher einer genaueren Prüfung nicht in jedem Falle standhalten, aber unabweisbar ist nach Schichts Arbeit jedenfalls, welch zahllose Varianten der Kastellform auch in weiten Teilen des mittelalterlichen Europa entstanden waren – womit jede Herleitung der süditalienischen Kastelle von einer ganz bestimmten Region willkürlich erscheinen muss, solange sie nicht mit weiteren Argumenten untermauert wird. Schon vor einem halben Jahrhundert ist auf die kraftvolle Ausstrahlung der ab dem späten 12. Jh. entstehenden königlich französischen Kastelle hingewiesen worden und auch auf ihren Einfluss im Königreich Sizilien. Zwar bildete Carl Arnold Willemsen 1968 noch einige Beispiele aus England, Schottland und Irland ab, die deutlich zu jung waren, um als Vorbilder der friderizianischen Bauten infrage zu kommen; er hatte also den Ursprung des Phä-
nomens noch nicht lokalisiert. Aber nur zwei Jahre später setzte Cord Meckseper die Architektur des Castel del Monte bereits explizit mit französischen Rundturmkastellen in Beziehung, die bis dahin ausschließlich von französischen Forschern thematisiert worden waren – also mit eben jenem einflussreichen Phänomen, das heute als „fortification philipienne“ überregionale Beachtung findet (Abb. 47). Dass zumindest in den Wölbformen von Castel del Monte französische Einflüsse festzustellen sind, war allerdings schon ein Dreivierteljahrhundert früher vermerkt worden, als nämlich Émile Bertaux 1897 darauf hinwies, dass jene spezielle Gewölbebildung über trapezoidem Grundriss, die sich dort aus der Achteckform des Baues ergibt, gleichzeitig nur in der Champagne zu finden ist. Trotz solch vereinzelter Beobachtungen und Hinweise und auch trotz der Betonung der systematischen Grundrissbildungen, die in den einflussreichen Werken Giuseppe Agnellos eine wichtige Rolle spielten, wurden aber die ästhetisch höchst anspruchsvollen Rippenwölbungen in den späten Kastellen Friedrichs II. bzw. ihr Ursprung später kaum diskutiert. Enttäuschend war in dieser Hinsicht auch das schon erwähnte, 1957 erschienene und grundsätzlich sehr kenntnisreiche Überblickswerk von Renate Wagner-Rieger über „Die italienische Baukunst zu Beginn der Gotik“, wo zwar einerseits für Süditalien starke französische Einflüsse seit normannischer Zeit konstatiert wurden, deren konkrete Umsetzung in den friderizianischen Burgen Wagner-Rieger aber kaum analysierte. Für sie war Süditalien in dieser Epoche pauschal ein „wölbefeindliches“ Gebiet gewesen und die Architektur der Burgen Friedrichs II. deutete sie – nur mühsam nachvollziehbar – als „Ausklingen in einen Manierismus“. Bei ihr klang auch die häufig zitierte Aussage noch an, in Italien habe es im Grunde nie eine „wirkliche“ Gotik gegeben, denn die (süd)französisch-gotischen Einflüsse seien hier stets so mit regionalen Traditionen verschmolzen worden, dass das Ergebnis im Grunde nicht mehr als Gotik bezeichnet werden könne. Hinter solchen inzwischen fast sieben Jahrzehnte zurückliegenden Einschätzungen standen Faktoren verschiedener Art. Der folgenreichste lag fraglos darin, dass die Beurteilung von Burgen nach Maßstäben, die aus der Analyse des Kirchenbaues gewonnen wurden – und das traf für Wagner-Riegers Arbeit sehr weitgehend zu –, fast immer in die Irre führt. „Das Abgleiten ins Unstruktive“, das die Autorin in der spätstaufischen Architektur Süd-
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italiens zu erkennen meinte, ist ganz anders zu bewerten, wenn man sich die abweichende Funktion von Burgen verdeutlicht. Ihre dicken Mauern ermöglichten nun einmal die Einfügung von Gewölben in nahezu beliebiger Form, ohne dass dafür ein komplexes, aber auch ästhetisch gestaltetes Abstützungssystem wie im gotischen Sakralbau erforderlich gewesen wäre. Daraus ergab sich aber keineswegs zwingend ein Qualitätsproblem, denn die unbekannten Architekten nutzten die gestalterische Freiheit, die sie durch die Eigenheiten der massiven Konstruktion gewannen, in bemerkenswerter Weise, indem sie nämlich die systematische Anordnung gleicher Joche, zu der sie ja keineswegs gezwungen waren, zum quasimodularen Grundprinzip ihrer Entwürfe machten – kreuzrippengewölbte Joche wurden zum formalen Baustein und ästhetischen Merkmal weniger, dabei aber durch ihre gestalterische Qualität herausragender Burgen (vgl. 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik). Dass die ästhetische Relevanz der im spätfriderizianischen Burgenbau neu auftretenden Rippenwölbungen von Wagner-Rieger und auch späteren Forschern übersehen wurde, dürfte übrigens auch in einer Fehleinschätzung anderer Wölbformen dieser Bauten begründet gewesen
Abb. 48 Bari, Spuren der originalen Streichbalkendecke zwischen Erd- und Obergeschoss des Westflügels, wie sie in den 1930er–60er Jahren freigelegt wurden; heute sind sie nicht mehr sichtbar (Willemsen 1968).
Î Abb. 49 Castel del Monte, Rekonstruktionsversuch mit Ergänzung nicht vollendeter Teile. Die obersten Geschosse der Türme nach den Forschungen des Teams von Schirmer, die Zwingermauer nach Grabungsbefunden von 1892 (vgl. Abb. 93), die Schlitzscharten nach Befunden in Trani und Enna.
sein, die erst durch die Bauforschung der letzten Jahrzehnte schrittweise korrigiert wird. Die Innenräume vieler friderizianischer Burgen waren nämlich bis ins späte 20. Jh. durch massive, in der Regel leicht spitzbogige Tonnenwölbungen charakterisiert, deren Alter man schlecht einschätzen konnte, zumal, da viele dieser Innenräume wegen ihrer militärischen oder anderen offiziellen Nutzung lange Zeit kaum zugänglich waren. Erst Restaurierungen führten in vielen dieser Fälle zu der Erkenntnis, dass die meisten dieser Wölbungen erst im 16. Jh. entstanden waren, als die Kastelle nämlich der aufkommenden Artillerie angepasst wurden; zuvor dürften Balkendecken weitverbreitet, wenn nicht geradezu der Normalfall gewesen sein (Abb. 48). Falls sich dies durch künftige Untersuchungen weiterer Burgen bestätigen sollte, würde es die kreuzrippengewölbten Idealbauten der friderizianischen Spätphase nochmals in ein anderes Licht stellen. Die ästhetisch anspruchsvolle Form des Kreuzrippen- oder auch sternförmigen Rippengewölbes hätte dann nämlich nicht evolutionär einfachere, romanische Wölbungen ersetzt, folglich also nur eine Modernisierung vorhandener Konstruktionen dargestellt, sondern mit ihr wäre dann die Möglichkeit der Wölbung überhaupt erst in größerem Umfang im Burgenbau Süditaliens aufgetreten. Kombiniert man diese beiden Feststellungen der neueren Forschung – die Anregung durch die Kastellgrundrisse der „fortification philipienne“ und die systematische Integration der Rippenwölbung –, so muss man folglich für die 1240er-Jahre, das letzte Regierungsjahrzehnt Friedrichs II., eine weitere Welle eines französischen Einflusses konstatieren. Die aus Frankreich übernommenen Formen wurden dabei ein weiteres Mal mit regionalen Traditionen verschmolzen, das heißt, man knüpfte zwar
Î Abb. 50 Vibo Valentia, die stadtseitige Front mit ihren drei Türmen war vor Zerstörungen durch Erdbeben und dem frühneuzeitlichen Wiederaufbau fraglos höher.
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an die bis dahin auch in Süditalien vorherrschenden Kastellformen mit ihren hohen Außenmauern und wenigen, schon halbwegs regelmäßig verteilten Fenstern an, entwickelte sie aber zu Bauten mit streng geometrischer, aus der jochweisen Wölbung abgeleiteter Grundrissform weiter. Die schlankeren, maßlich gleichen Rundtürme, insbesondere aber ihre ebenfalls regelmäßige Anordnung – an den Ecken und in der Mitte der Seiten – wurde dabei ein zusätzliches Mittel, um die Klarheit der Grundrisse auch äußerlich wahrnehmbarer zu machen. Der formale Höhepunkt dieser Architektur, das Castel del Monte, ist vor diesem Hintergrund keineswegs das in seiner Großartigkeit isolierte Einzelphänomen, als das es immer wieder angesprochen wird, sondern nur die in wenigen letzten Schritten erreichbare Konsequenz dieser entwurflichen Mittel (Abb. 49). Indem er nun auch die Quadratseiten mittig in stumpfem Winkel brach, erreichte der unbekannte Entwerfer in einem sehr einfachen Schritt die Grundform des perfekten Oktogons und, indem er die Türme, die nun alle acht gleichartig waren, gleichfalls ins Oktogon überführte, entstand jenes kristalline, von allen Seiten gleich wirkungsvolle Gesamtbild, durch das Castel del Monte seinen Platz unter den zeitlosen Höhepunkten der Architekturgeschichte gefunden hat. Vergleichbar originell waren mit jeweils allerdings anderen Mitteln nur das Kastell in Syrakus (vgl. Abb. 193) und die „Torre di Federico“ in Enna (vgl. Abb. 187). In Syrakus lag die Kreativität vor allem in der Gestaltung des Inneren als Vielstützenhalle mit nur sehr kleinem, zentralem Lichthof; nach außen wurde der hohe Anspruch dieses Konzeptes fast nur in dem großen gotischen Portal sichtbar, für das Vergleiche allein im Sakralbau zu finden sind. Beim Turm in Enna lag die Originalität vor allem darin, dass das achteckige Idealkonzept von Castel del Monte dort vereinfacht und quasi in sein „Negativ“ verkehrt wurde – das Zentrum bildete nun der Baukörper des Turms, nicht die offene Fläche des Hofes. Dass die kreativen Entwürfe von Castel del Monte und Syrakus und auch die architektonischen Merkmale der friderizianischen Kastelle allgemein kaum Verwandtes bzw. Nachfolger hervorgebracht haben – wenn man von der eher bescheidenen Schaufront in Vibo Valentia einmal absieht (Abb. 50) –, wird von der Forschung bisher fast immer mit dem Tod Friedrichs II. 1250 und dem rasch folgenden Zusammenbruch der staufischen Herrschaft und Dynastie erklärt. Denn die Befestigungsarchitektur unter Karl I. und seinen angevinischen Nachfolgern
zeigte nach allgemeiner und gut begründeter Annahme dann fast ausnahmslos andere Merkmale (vgl. 3. Süditalienischer Burgenbau nach Friedrich II.). Bei kritischer Betrachtung scheint es allerdings durchaus nicht zwingend, dass die Ablösung einer Dynastie durch eine andere zu einem deutlichen Wechsel der Architektur führt, insbesondere nicht im Bereich der Befestigungsbauten, deren Entwerfer aus gutem Grund zu allen Zeiten dazu neigten, die konzeptionellen Fortschritte der anderen Seite genau zu beobachten und möglichst bald zu übernehmen. Gibt es also – so bleibt zu fragen – noch andere Gründe, warum die friderizianische Architektur zwar kurz vor 1250 so eindrucksvolle Höhepunkte erreichte, um dann aber schlagartig abzubrechen? Eine Antwort liegt möglicherweise eben in der perfektionierten Ästhetik dieser letzten friderizianischen Burgen, die – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. 2.5.2. Elemente der Befestigung) – die raschen Fortschritte des zeitgenössischen Befestigungsbaues etwas zu lange unbeachtet ließ, um stattdessen allzu einseitig auf die symbolhaft ästhetische Veranschaulichung von Macht zu setzen. Das war es vermutlich, was Renate Wagner-Rieger veranlasste, hier von einer Art Manierismus zu sprechen – hätte sie damit eine Architektur bezeichnen wollen, die ihre vor allem ästhetischen und symbolischen Mittel bis zum Letzten ausgereizt hatte, so wäre ihr Urteil durchaus begründet gewesen.
2.4.4. Die Jagdschlösser
Neben den Burgen – den festen Stützpunkten, von denen aus das Land beherrscht, verwaltet und nötigenfalls verteidigt wurde – ist der Forschung schon früh ein anderer Bautypus aufgefallen, der im Königreich Sizilien offenbar aus persönlichen Vorlieben Friedrichs II. entstanden ist, wahrscheinlich durchaus angeregt durch Bauten, die letztlich aus dem muslimischen Kulturkreis stammten. Er wird in den Quellen oft als domus oder domus solaciorum bezeichnet, in der deutschen Literatur in der Regel als „Jagdschloss“; dabei wurde interessanterweise noch kaum je darauf hingewiesen, dass Bauten dieser Bezeichnung bzw. Zweckbestimmung sonst erst in der Renaissance und im Barock aufgetreten sind – Friedrich II. hätte hier also einen Bautypus entweder „erfunden“ oder zumindest als Erster in Europa realisiert. Aus den Schriftquellen geht hervor, dass der Kaiser vor allem in Apulien, nahe seinem Lieblingsaufenthalt in Foggia, rund 35 solcher Jagdschlösser besaß, manchmal ergänzt durch eingehegte Tiergärten; viele sind lokali-
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siert, Überreste aber nur in Ausnahmefällen erhalten. So ist z. B. von dem besonders häufig besuchten Bau in Apricena auf dem Monte Gargano in der Nähe von guten Jagdgebieten für Wasservögel nur ein Torbau erhalten, verbaut in einem weitaus jüngeren Schloss und Stadthäusern. Es empfiehlt sich allerdings aus mehreren Gründen auch hier, den Zugang zum baulichen Phänomen nicht allein über die Schriftquellen zu versuchen, sondern auch von den Bauten bzw. ihrer Typologie her. Denn schon Arthur Haseloff hielt 1920 fest, dass die Abgrenzung der Bautypen bzw. Bezeichnungen in staufischer Zeit noch ganz unklar war: „… die Benennungen ‚castrum‘, ‚palacium‘ und ‚domus‘, die später unter den Anjou schärfer auseinandergehalten werden, sind noch fließend und gehen ineinander über. Derselbe Bau, der an einer Stelle als ‚castrum‘ vorkommt, kann an anderer als ‚palacium‘ oder sogar als ‚domus‘ aufgeführt werden“ (Haseloff 1920, Textbd., S. 17). Außerdem ist die Bauform jener Anlagen, die im „Statut über die Reparatur der Kastelle“ halbwegs sicher als Jagdschlösser identifizierbar sind, praktisch nirgends mehr feststellbar. Sucht man folglich unter den baulich noch fassbaren Anlagen Friedrichs II. solche, die als Jagdschlösser ansprechbar scheinen, so trifft man einerseits auf eine recht unübersichtliche Liste von Bauten ganz unterschiedlicher Gestalt, die immer wieder unter dieser Überschrift genannt werden, andererseits aber auch auf eine Gruppe von konzeptionell sehr ähnlichen Anlagen, deren Merkmale sie eindeutig von Burgen unterscheiden und die daher von der Forschung seit Längerem als „Jagdschlösser“ akzeptiert sind. Den Fall, dass die Literatur große, die Bedürfnisse einer Jagdgesellschaft bei Weitem übersteigende Burgen als Jagdschlösser angesprochen hat, betrifft vor allem Lagopesole und Castel del Monte. Im Falle von Lagopesole betonte ein Chronist in der Zeit König Manfreds die angenehme Lage der Burg, zu der auch die Möglichkeit der Jagd gehörte; Ähnliches dürfte aber für viele Burgen nicht nur Süditaliens gegolten haben und wurde auch durchaus gelegentlich erwähnt. Da die Jagd das wohl wichtigste „Freizeitvergnügen“ des mittelalterlichen Adels war, bedeutet eine solche Erwähnung aber fraglos nicht, dass der betreffende Bau primär zum Zweck der Jagd erbaut war und benutzt wurde; vielmehr ist davon auszugehen, dass jede Burg, in deren Nähe es jagdbares Wild gab, gelegentlich oder häufig entsprechende Dienste leistete. Anders ist der Fall von Castel del Monte zu beurteilen, der mitten in die lange, aber unscharf dis-
kutierte Forschungsproblematik der friderizianischen „Schlösser“ zurückführt. Weil nämlich der Bau auf den ersten Blick wenig verteidigungsfähig scheint – die unvollendete Zwingermauer wurde ja kaum je zur Kenntnis genommen – und weil er weitab jeder Grenze oder strategischen Problemzone liegt, stufte ihn bereits Haseloff als Jagdschloss ein, was jedoch mangels aller Quellen zur geplanten Funktion des Baues auch auf schwachen Füßen steht. Wahrscheinlicher ist durchaus, dass auch Castel del Monte jener gemischten Funktionalität herrschaftlichen Lebens, Repräsentierens und Verteidigens entsprechen sollte, die typisch für die meisten Burgen ist; die Hügellage, die einen sehr weiten Blick über die Landschaft erlaubt, passt durchaus zu einer Burg, was freilich noch weit deutlicher erkennbar wäre, wenn der umgebende Zwinger fertiggestellt worden wäre. Das meistbeachtete Beispiel jener Bautengruppe, der andererseits die architekturhistorische Forschung seit Langem die Funktion von Jagdschlössern zuschreibt, ist eine Ruine in Hügellage nördlich der Stadt Gravina in Puglia, die als einzige von vier besser erhaltenen Anlagen etwas besser erforscht ist. Die anderen drei Beispiele – Palazzo San Gervasio bei Venosa, Apice (heute „Castello del Principe“) östlich von Benevent sowie Belvedere in Marano westlich von Neapel – wurden später weiter genutzt und verändert, weshalb ihre ursprüngliche Baustruktur schwerer zu erfassen ist (vgl. Abb. 173). Als Sonderfall wird abschließend noch Castel Fiorentino anzusprechen sein, das den fließenden Übergang zwischen kleineren Burgen und neu konzipierten Jagdschlössern gut verdeutlicht. Gravina ist – nur insoweit entfernt mit friderizianischen Burgen verwandt – als exaktes Rechteck entworfen; sein Grundriss entwickelt sich im Prinzip symmetrisch zu einer Mittelachse, die an der einen Schmalseite durch den mittig angeordneten Torbau markiert wird (Abb. 51). Auffällig ist die Klarheit seiner hierarchischen Struktur, die man so deutlich von den Burgen nicht kennt. Denn die andere Schmalseite auf der Hügelspitze wird in ganzer Breite von einem zweigeschossigen Saalbau eingenommen, der von den großen Fenstern und einer vorkragenden Galerie des oberen Saals einen weiten Blick in die Landschaft bot (Abb. 52). Die beiden Längsseiten wurden dagegen von langen, nur in Fundamenten erhaltenen Flügeln eingenommen, die durch (teilweise jüngere?) Quermauern in Räume verschiedener Größe unterteilt waren. Zumindest an der Südwestseite muss es ein Obergeschoss
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ç Abb. 51
Gravina in Puglia, das friderizianische Jagdschloss von Osten. Rechts das Tor, links die Sockel der Abortanbauten.
mit intensiv genutzten Wohnräumen gegeben haben, wie drei außen angebaute Abortschächte belegen; solche Einrichtungen fehlen an der Nordostseite – mit Ausnahme eines nur vom Obergeschoss des Saalbaues zugänglichen Abortes –, sodass man an dieser Seite vielleicht nur Stallungen anzunehmen hat; unter dem Hof liegt eine große Zisterne. Charakteristisch für die Anlage ist das Fehlen jeglicher Befestigung; zwar ist die Anlage von einer Mauer mit nur einem Tor umschlossen, aber es gab keine Türme und auch auf Wehrgänge fehlt jeder Hinweis – ein Befund, der sich insoweit nicht von späteren Guts- bzw. Bauernhöfen Süditaliens unterscheidet. Eine Anlage wie Gravina erklärt sich in ihrer Klarheit weitgehend selbst. Sie diente offensichtlich zum Aufenthalt einer nicht kleinen Jagdgesellschaft, die einerseits aus dem Kaiser mit einem Gefolge aus adeligen Höflingen und Gästen bestand und andererseits aus zahlreichen
weiteren Personen wie Jägern, Treibern, Pferdepflegern und weiteren Bediensteten. Der ersten, kleineren Gruppe stand der zweistöckige, aussichtsreiche Saalbau zur Verfügung mit dem oberen Saal für den Kaiser und sein engeres Gefolge; die anderen bewohnten mindestens das Obergeschoss des Südwestflügels, dessen Erdgeschoss zusammen mit dem gegenüberliegenden Flügel Wirtschaftsfunktionen und Stallungen für die zahlreichen Pferde aufnahm. Die große Zisterne unter dem Hof entspricht dem erhöhten Wasserbedarf der von der Jagd erschöpften Menschen und Tiere, die Mehrzahl der Aborte der hohen Personenzahl. Die anderen, stärker verbauten Vergleichsbeispiele, die zuletzt Pio Francesco Pistilli zusammenfassend behandelt hat, entsprachen Gravina in ihrem drei- bis vierflügeligen Grundkonzept weitgehend, nur dass sie bei ungefähr gleicher Breite alle kürzer sind – Gravina ist über 58 m lang, Belvedere und Palazzo San Gervasio 39 m, Apice nur 28 m. Darin spiegelt sich wohl primär die Größe der Jagdgesellschaften, die jeweils aufgenommen werden sollten; dass außerdem die Nähe der zur Versorgung nötigen Siedlungen eine Rolle spielte, ist eher unwahrscheinlich, weil alle Anlagen zwar isoliert, aber nicht allzu weit von Dör-
ê Abb. 53 Palazzo San Gervasio, Rekonstruktion der Außenç Abb. 52
Gravina in Puglia, Blick aus dem Torbau auf die talseitige Außenwand des ehemaligen Saalflügels. Der Einblick ist möglich, weil die hofseitige Wand des Flügels fehlt.
front des Saalflügels auf Grundlage einer Bauaufnahme von M. R. d’Ambrosi. Von den Fenstern und Okuli sind mit wenigen Ausnahme Reste erhalten, vom heute vermauerten Tor im Erdgeschoss nur die Schwelle.
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fern oder Kleinstädten lagen; Palazzo San Gervasio liegt sogar direkt im Ort, der freilich erst nach dem Jagdhaus entstanden sein mag. Erstaunlich ist aber die wechselnde Anzahl der Abortschächte, die außer in Gravina durchweg symmetrisch angeordnet sind; denn die beiden mittelgroßen Anlage Belvedere und Palazzo San Gervasio besitzen einerseits sechs, andererseits nur zwei solcher Anlagen, während das besonders kleine Apice über vier verfügt. Hier zeigen sich offensichtlich wechselnde Komfortansprüche des Bauherrn oder auch nur seiner Baumeister. Im Falle von Palazzo San Gervasio haben Bauuntersuchungen es ermöglicht, dass zumindest die Hauptfront des Saalbaues, der auch hier auf einer aussichtsreichen Spornspitze steht, rekonstruiert werden kann (Abb. 53). Während das Erdgeschoss nur durch vier Okuli belichtet wurde, verfügte der Saal im Obergeschoss über eine symmetrische Gruppe von fünf Fenstern mit einem dreiteiligen Fenster mit Spitzbogenöffnungen in der Mitte, flankiert von je einem kleeblattbogigen und einem rundbogigen Doppelfenster; auch im Obergeschoss dienten vier Okuli
als ergänzende Oberlichter. Interessant ist hier ein heute vermauertes großes Rundbogentor im Erdgeschoss, das sich in der Mittelachse des Flügels zur Bergspitze hin öffnete; entweder gab es hier ein (zweites?) Haupttor der Anlage oder es sollte ein großzügiger Zugang zu einer vorgelagerten Terrasse bzw. einem Garten geschaffen werden. Leider ist die Hofseite des Flügels so stark verändert, dass nur noch zwei Doppelfenster im Obergeschoss erkennbar sind, die wohl das Portal des Saales flankierten. Die beiden Seitenflügel dürften ursprünglich nur ein Erdgeschoss besessen haben und vielleicht auch schmaler gewesen sein, was die Bescheidenheit der Anlage – verglichen mit Gravina – nochmals unterstreicht. Die ergrabenen Reste von Castel Fiorentino (Abb. 54) sind zwar unvollständiger erhalten als die vier angesprochenen Jagdhäuser, aber als Sonderfall interessant. Kern der Anlage war auch hier ein Rechteckbau mit zwei symmetrisch angebauten Abortanlagen, deren interne Gestaltung auf die zusätzliche Nutzungsmöglichkeit auch vom verschwundenen Obergeschoss aus deutet. Diese
Abb. 54 Castel Fiorentino, Blick von Süden auf die Westseite der „domus“, die wohl anstelle einer kleinen Burg entstand. Vorne die ergrabenen Reste des südlichen Abortanbaues, hinten erkennt man den nördlichen.
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Merkmale veranlassten die Ausgräber, diesen Bau unter die Jagdhäuser des Kaisers einzureihen, obwohl er in zwei wichtigen Punkten von anderen bekannten Jagdhäusern abweicht. Einerseits lag er in einer Stadt, auch wenn diese recht klein war, und andererseits sprechen diese Lage und einige Baubefunde dafür, dass hier eine ältere Burg umgestaltet wurde. Das zeigt zumindest, dass der Bautypus des Jagdhauses nicht zwingend isoliert liegen musste, in erheblichem Abstand zu anderen Siedlungen. Und es verdeutlicht außerdem, dass das Jagdhaus – die in vielfachen Beispielen erwähnte domus der Quellen – wirklich ein Bautypus war, für den gewisse entwurfliche Regeln entwickelt worden waren, denn anderenfalls hätte man ja auch die bestehende Burg einfach unverändert nutzen können.
2.5. DIE BAUTEILE
2.5.1. Räume und Raumfunktionen
Die Wirkung der Kastellform entsteht primär aus der Kombination zweier peripherer Elemente der Burgen, nämlich ihrer Außenmauer und der Mauertürme; sie zielte also so gut wie ausschließlich auf einen außerhalb der Burg stehenden Betrachter. Die Anordnung der Bauteile und Nutzungen im Inneren ist für diesen Betrachter kaum erkennbar und kann höchst unterschiedlich aussehen – zwischen einer umlaufenden, allseitig gleich geformten Halle wie in Syrakus und einer ganz unregelmäßigen Anordnung von Einzelbauten ist vieles möglich. Die unregelmäßige Anordnung kam zwar im Königreich Sizilien kaum vor – am ehesten in Enna („Castello della Lombardia“; vgl. Abb. 186) und in Milazzo (vgl. Abb. 183) –, war aber beispielsweise für die nur wenig älteren Burgen charakteristisch, die ab der Regierungszeit des Königs Philippe II. Auguste im Königreich Frankreich entstanden. Was wissen wir also über die Funktionen und die Anordnung der Räume in den Kastellen Friedrichs II.? Selbstverständlich gibt es auf diese Frage wie allgemein im Burgenbau nur eingeschränkte Antworten, weil die meisten Bauten nachträglich stark verändert wurden, sodass solche Fragen bestenfalls nach aufwendiger Bauforschung beantwortet werden könnten, wie sie in Italien bisher nur selten vorliegt. Einige Feststellungen sind aber möglich. Zunächst ist festzuhalten, dass die Mehrheit der Kastelle einschließlich der Idealbauten eine Bebauung aufwies, die als geschlossener Ring bzw. Vierflügelbau den Innenhof umschloss; Ausnahmen waren nur das dreiflügelige Cosenza, dort offenbar aus Platzgründen (vgl.
Abb. 41), und das später stark veränderte Milazzo. Dieses Prinzip des geschlossenen Rings, das Pio Francesco Pistilli als „ala continua“ (etwa: fortlaufender Flügel) bezeichnet hat, ist schon aus syrischen und palästinensischen Kreuzfahrerburgen vor allem der Johanniter und Templer bekannt und ich habe es dort – ausgehend vor allem vom Crac des Chevaliers und Belvoir, zwei Johanniterburgen der Zeit um nach 1170 (vgl. Abb. 29) – inhaltlich ganz entsprechend als „Endloshalle“ bezeichnet. Die ebenfalls den Hof lückenlos umschließenden Hallen dieser Burgen wurden nämlich zunächst mit einer kontinuierlich ausgeführten Spitztonne überwölbt und wirkten in dieser ersten Ausführungsphase daher zunächst „endlos“. Da sie dann aber noch während des Baues durch Querwände unterteilt wurden, ergaben sich in der fertiggestellten Burg ebenfalls vielräumige Flügel – also dasselbe Prinzip wie bei den friderizianischen Kastellen, freilich mit einer wesentlichen Abweichung. Die Burgen in der Kreuzfahrerregion besaßen nämlich relativ hohe Hallen, über denen eine auch als Wehrgang nutzbare, breite Plattform lag, während ein Obergeschoss außer auf den Türmen fehlte. Dagegen besaßen die friderizianischen Kastelle zumindest in manchen Fällen – Lucera, Catania, Castel del Monte – ein Obergeschoss oder gar mehrere, in dem dann, vergleichbar mit mitteleuropäischen Burgen, fraglos vor allem die herrschaftlichen bzw. repräsentativen Räume lagen.
Säle
Fragt man nun nach den einzelnen Räumen und ihren Funktionen in diesem Gebäudering, so ist es sinnvoll, mit jenen zu beginnen, die grundsätzlich in fast jeder Burg zu erwarten sind, also mit den Räumen, die im weitesten Sinne für den Aufenthalt von Menschen, zum Schlafen oder auch zum Arbeiten vorgesehen waren. Und unter diesen sind insbesondere die größeren Räume bzw. Säle meist noch gut erkennbar, die oft, wenn auch nicht unbedingt immer, für Versammlungen und herrschaftliche Repräsentation vorgesehen waren. In Bari lag der fraglos wichtigste Saal, von dem aber nur eine Wand erhalten ist (Abb. 55), im Obergeschoss des wenig gefährdeten und aussichtsreichen meerseitigen Flügels; Erdgeschosshallen minderrangiger Funktion wie Aufenthalt der Mannschaften, Lager oder Stallungen lagen außerdem im West- und Südflügel. Trani folgt dem Konzept des größeren Bari auch bezüglich dieses meerseitigen Hauptsaales, wobei dort zwei kleinere Hallen, symmetrisch zu einer meerseitigen Pforte und wenig be-
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é Abb. 55 Bari, der Saal im Obergeschoss des meerseitigen
Flügels. Die Gewölbeansätze an der Außenmauer stammen nach ihren Formen noch vom friderizianischen Bau der Zeit ab 1233.
lichtet, darunterliegen (vgl. Abb. 35). In Trani sind zudem erhebliche Reste der skulptural reich geschmückten Loggia erhalten, die den Zugang zum Saal vermittelte (vgl. Abb. 63, 97, 106). Trani besaß außerdem einen heute wiederhergestellten zweiten Saal im Obergeschoss des Westflügels, der mit dem meerseitigen Saal verbunden war (Abb. 56). Auch in Brindisi entstand der größte Saal an der Hafenseite, aber quellenmäßig erst in angevinischer Zeit. In den Fällen der unvollendeten Burgen Prato und Matinale sind die Stellen geplanter, jeweils dreijochiger Säle anhand der Gewölbeansätze sicher rekonstruierbar. In Prato (vgl. Abb. 40) wäre der Saal über einem Kellergeschoss entstanden, wobei er aber durch die künstliche Aufhöhung des Hofbereiches ebenso wie alle weiteren
Abb. 56 Trani, eine hofseitige Biforie des Saals im Obergeschoss des Westflügels; das äußere Element des Gewändes ist abgeschlagen, die Säule fehlt
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Räume im Erdgeschoss zugänglich war. Ungewöhnlich ist in Prato allerdings, dass der Saal an der Feldseite der im Flachland liegenden Burg geplant war, nicht an der durch deren Mauern geschützten Seite zur Stadt. Und im Falle von Matinale trifft man auf das schon in Trani aufgetretene Problem mehrerer Säle – es gibt nämlich keineswegs nur den Fall, dass man neben einem einzigen Saal nur deutlich kleinere Räume findet, sondern manchmal gibt es zwei oder gar noch mehr saalartig große Obergeschossräume in einer Burg, was die Bestimmung der Raumfunktionen schwierig macht. In Matinale hätte es nach der begründeten Rekonstruktion von Pio Francesco Pistilli (Abb. 57) zwei dreijochige Säle im Obergeschoss gegeben, nämlich einen im Südwestund einen im Nordostflügel, wobei die Ausstattung mit Fenstern keine Unterschiede zwischen beiden Räumen erkennen lässt. Zwar hätte der südwestliche Saal den besseren Ausblick über die kampanische Ebene bis Neapel und zum Vesuv geboten, während die Sicht aus dem anderen begrenzter gewesen wäre, aber über die genaueren Nutzungen der Säle lässt auch das keine sicheren Aussagen zu. Auf eben dieses Problem trifft man auch in Gioia del Colle, wo es – als Ergebnis einer in diesem Punkt wohl richtigen Restaurierung – im Erdgeschoss einen und im Obergeschoss zwei größere Säle gibt, wobei die letzteren zumindest heute unmittelbar aneinanderstoßen (Abb. 58). Am deutlichsten wird die Problemstellung aber in der großen Anlage von Lagopesole, die – fraglos in mehreren Planungsphasen entstanden und vermutlich nie ganz vollendet – offensichtlich für den Aufenthalt eines großen Hofstaates eingerichtet wurde und in den drei Flügeln ihres „Großen Hofes“ in jedem Geschoss drei große Säle enthält, insgesamt also nicht weniger als sechs. Identifizierbar ist dort der wichtigste herrschaftlich genutzte Saal im ersten Obergeschoss des Westflügels, zu dem ehemals eine aufwendige Freitreppe heraufführte; den erdgeschossigen Saal im Ostflügel darf man dagegen vielleicht als Stallung ansprechen, jenen im Erdgeschoss des Nordflügels wegen seines beachtlich aufwendigen Portals (vgl. Abb. 119) eventuell als Aufenthaltsraum oder Speisesaal für ein höherrangiges Gefolge. Aber all dies können – in Lagopesole wie in anderen Burgen mit Sälen auch im Erdgeschoss – nur begründete Vermutungen sein; sie erklären außerdem auch nicht, warum es in den Flügeln um den großen Hof von Lagopesole noch drei weitere Säle gibt.
Abb. 57 Matinale, der Rekonstruktionsversuch der nicht vollständig umgesetzten Planung zeigt, angedeutet durch die rekonstruierbaren Gewölbeformen, mehrere große Säle in beiden Geschossen des Nordost- und des Südwestflügels.
Ein entsprechendes Interpretationsproblem, jedoch mit zusätzlichen Erschwernissen, findet man in den Kastellen von Augusta und Cosenza, deren Flügel im allein erhaltenen Erdgeschoss aus einer regelmäßigen Abfolge von kreuzrippengewölbten Jochen bestehen. Akzeptierte man diesen Zustand als den ursprünglich so geplanten – also ohne Querwände –, so hätte es in Augusta im West- und Ostflügel je einen siebenjochigen, über 50 m(!) langen, schmalen Saal gegeben und dazwischen im Nord-
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é Abb. 58 Gioia del Colle, der Saal im Obergeschoss des
Westflügels gegen Süden. Die Ausstattung, insbesondere der Thron und der Kamin, stammt von der ersten Restaurierung 1907–09, die stählerne Dachkonstruktion von der zweiten, 1969–74.
flügel einen etwas kürzeren, aber keinen einzigen kleineren Raum (vgl. Abb. 192). Und ganz ähnlich findet man in den drei Flügeln von Cosenza im Erdgeschoss einen sechsjochigen, einen drei- und einen zweijochigen Raum (vgl. Abb. 41), aber keinen kleineren. Wäre nun über diesen schwer deutbaren Erdgeschossen von Augusta und Cosenza jeweils ein Obergeschoss geplant oder gar ausgeführt gewesen – was in beiden Fällen durchaus vorstellbar, aber nicht sicher ist –, so könnten wir heute dessen Raumaufteilung leider nicht mehr bestimmen, denn über jedem der die Joche trennenden Gurtbögen wäre statisch eine Trennwand vorstellbar, was für die Raumaufteilung
Abb. 59 Milazzo, ein Teil des Saals im Hauptgebäude. Die „in die Ecke gequetschte“ Lage des Kamins gehört zu den unübersehbaren Indizien für den begrenzten gestalterischen Anspruch des unbekannten Baumeisters.
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des eventuellen Obergeschosses zahlreiche, für uns aber nicht mehr bestimmbare Möglichkeiten ergibt. Der im mitteleuropäischen Raum übliche Fall eines Saalbaues als separates Gebäude, das an die Ringmauer gelehnt und höchstens mit einen weiteren Einzelbau verbunden ist, etwa mit einer Kapelle oder „privateren“ Räumen des Burgherrn, ist bei den Burgen Friedrichs II. nur in zwei, vielleicht auch in drei Fällen festzustellen. Insbesondere entspricht der Saal in der Kernburg von Enna, von dem wenig mehr als das Erdgeschoss mit Resten von Schwibbögen erhalten ist, diesem Konzept, zumal an ihn ein weiterer Bau anschloss, der im Obergeschoss mit Kamin und Abort ausgestattete Räume für den Burgvogt oder auch den Kaiser selbst enthielt. In Milazzo dagegen gibt es einen isoliert in einer Burgecke stehenden Bau, der auf einem Felskopf den Burghof überragt und neben dem Saal einen kleineren Raum enthält sowie einen noch kleineren Raum in einem der Ecktürme. Der hohe, mit Schwibbögen überdeckte Saal besitzt einen Kamin, der auffällig ungeschickt in eine Ecke gepresst ist, wurde aber auch mit einem großen Fenster mit Meerblick ausgestattet (Abb. 59); auch die Verbindung dieses Baues mit dem Hauptturm der Burg über einen dazwischenliegenden, nur kleinen Hof ist für die Burgen Friedrichs II. ungewöhnlich. Nimmt man hinzu, dass die Saalbauten sowohl in Enna als auch in Milazzo in Burgen liegen, deren Grundriss als „ungeschickt“ verzogenes Kastell beschreibbar wäre, so drängt sich die Erwägung auf, dass in diesen beiden sizilianischen Anlagen ein Entwerfer tätig gewesen sein könnte, dem die regionaltypische Tendenz zur geometrisch klaren Kastellform ganz fremd war, während er einen isoliert stehenden Saalbau mit einem benachbarten, bergfriedähnlichen Turm für genauso normal hielt wie den Verzicht auf Gewölbe. Könnte hier womöglich ein Entwerfer tätig gewesen sein, der seine Schulung ursprünglich nördlich der Alpen erhalten hatte, etwa in Deutschland? Wir wissen es nicht, aber die Möglichkeit einer solchen Erwägung erinnert jedenfalls daran, wie vielfältig die Interpretationsmöglichkeiten der friderizianischen Burgen sind. Dass schließlich der beachtlich große, mehrgeschossig auf einen – als Bauplatz eigentlich ungünstigen – Abhang gesetzte Saalbau in Melfi noch unter Friedrich II. entstand, halte ich aufgrund von Überlegungen über die Gesamtentwicklung dieser Burg für wahrscheinlich (vgl. Abb. 27); Michelangelo Levita, der sich zuletzt mit der Baugeschichte der Burg auseinandergesetzt hat, setzt ihn jedoch erst in angevinische Zeit.
Ist für die Fälle, bei denen in derselben Burg mehrere Säle lagen, demnach eine zusammenfassende Deutung möglich? Leider kommt man dafür nicht über allgemeine Überlegungen hinaus, die nirgends durch konkrete Angaben untermauert werden können. Es liegt zwar nahe, mit solchen Überlegungen bei der Anordnung der Säle im Erd- bzw. im Obergeschoss anzusetzen, ausgehend von der vielfach bestätigten Erfahrung, dass die herrschaftlichen Räume in der Regel im Obergeschoss lagen, jene für das das Gefolge und Gesinde dagegen im Erdgeschoss; Erdgeschosssäle wie in Lagopesole oder Gioia del Colle sind vielleicht in dieser Weise zu erklären. Dass große, dabei aber kaum belichtete und schmucklose Räume andererseits gar nicht zum Aufenthalt von Menschen gedient haben müssen, sondern etwa auch als Lagerräume oder Ställe, ist dabei freilich nicht außer Acht zu lassen; eine Deutung als Stall liegt etwa bei einem der Erdgeschosssäle in Lagopesole im Ostflügel des „Großen Hofes“ durchaus nahe, denn die außergewöhnlich große Burg konnte ja zahlreiche Menschen aufnehmen, die in der Regel natürlich zu Pferde anreisten. Noch schwieriger ist eine Mehrheit von Sälen im Obergeschoss zu deuten (Trani, Matinale, Gioia del Colle, Lagopesole). Hier kann man überlegen, ob eine Mehrheit herrschaftlicher Haushalte mit repräsentativen Räumlichkeiten versorgt werden sollte, etwa eine politische Delegation oder auch nur hochrangige Gäste anlässlich einer Jagd, wie sie beim mittelalterlichen Adel zu den häufigsten Beschäftigungen gehörte und dabei auch durchaus politische bzw. repräsentative Nebenfunktionen haben konnte. Im Falle des besonders großen und räumlich differenzierten Lagopesole ist außerdem – ausgehend von den beiden Oratorien, die beidseitig der Kapelle im Obergeschoss angeordnet sind (vgl. Abb. 178) – durchaus nachvollziehbar erwogen worden, ob hier separate Raumangebote für den König einerseits, die Königin andererseits geschaffen werden sollten. Man könnte daraus durchaus die weitergehende Fragestellung entwickeln, ob dort – oder etwa auch in der Grafenburg Matinale – separate Wohnbereiche für den Burgherrn und seine Gemahlin bestanden oder geplant waren, jeweils natürlich mit eigenem Gefolge. Solche Bereiche sind zwar erst in wesentlich späteren Epochen der Architekturgeschichte nachzuweisen, in der Renaissance und vor allem im Barock, aber vorstellbar scheinen sie vor dem Hintergrund gewisser Grundstrukturen der adeligen bzw. höfischen Lebensform durchaus auch schon im 13. Jh.
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Abb. 60 Castel del Monte, Schnitt durch Aborte, Sammelschacht und Sammelgrube in Turm 6, und die entsprechenden Grundrisse.
Kleinere Räume
Sind demnach die großen und repräsentativen Profanräume bzw. Säle der Burgen leider nur teilweise und mit aller Vorsicht funktional zu deuten, so sieht es mit den kleineren Räumen nochmals problematischer aus. Nur selten sind sie noch in ihrer ursprünglichen Form des 13. Jh. zu fassen und in noch weniger Fällen gibt es Hinweise auf ihre Nutzung. Ein weiteres Mal ist Lagopesole ein zumindest zu Überlegungen besonders anregender Fall, denn hier gibt es an der Ostseite des „Kleinen Hofes“, der mit seinem frei stehenden Turm eine Art Kern-
burg bildete, einen Flügel, der im Obergeschoss drei annähernd quadratische Räume enthält, die durch einen hofseitig vorgelagerten Gang erschlossen werden (vgl. Abb. 178). Hier mit manchen Autoren einen abgesonderten Wohnbereich des Kaisers – oder des Königs, falls der Ausbau erst unter Manfred stattfand – zu vermuten, liegt nahe, zumal ein nie vollendetes Bad im vorgelagerten Hof hätte entstehen sollen. Aber schon die unregelmäßig verteilten kleineren Räume in den Flügeln um den „Großen Hof “ von Lagopesole entziehen sich einer näheren Deutung; manche
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sind mit separaten Aborten versehen und waren daher sicher für den komfortableren Aufenthalt einer höherrangigen Person eingerichtet. In Prato hätte es zwei gegenüberliegende Flügel geben sollen, offenbar mit einer Reihe kleinerer Räume (vgl. Abb. 40); in Trani könnte man das für den Ostflügel zumindest vermuten. Dermaßen beschränkte Befunde entziehen sich einer näheren Interpretation leider fast völlig, die Kleinheit der Räume deutet aber zumindest an, dass den Bewohnern ein gewisses Maß von „Privatheit“ geboten werden sollte, im Falle der zugeordneten Aborte auch persönlicher Komfort. Vorgesehener Bewohner eines solchen Raumes könnte also ein ranghöherer Mann, durchaus mit Gefolgsleuten oder Bediensteten, gewesen sein, aber auch eine Gruppe von gleichberechtigten, nicht ganz so hochrangigen Wächtern/Kriegern oder „Beamten“, die ja in vielen friderizianischen Burgen tätig waren; manche Räume könnten daher auch Schreibstuben, Archive o. Ä. gewesen sein. Schließlich sind vor allem in den Obergeschossen selbstverständlich auch weibliche Bewohner mit Gefolge anzunehmen, über die die Quellen endgültig schweigen. Man muss sich bei alledem vor Augen halten, dass gerade die kleineren Räume in ihrer Nutzung wahrscheinlich eher wenig festgelegt waren. Die unbekannten Entwerfer hatten sicherlich auch mit wechselnden bzw. unvorhersehbaren Bewohnern zu rechnen, also mit nur zeitweiligen Gästen, Besatzungen oder „Beamten“, sodass viele gerade der kleineren Räume a priori vermutlich „anonym“ geplant wurden, das heißt ohne allzu enge Vorstellung ihrer künftigen Nutzung. Ein Sonderfall ist auch hier wie in so vielen anderen Punkten das Castel del Monte. Denn es besteht ausschließlich aus gleich großen Räumen, die allerdings nur sehr bedingt als „klein“ anzusprechen sind – sie messen jeweils über 65 qm. Natürlich ist es bei einem Bau, der in höchstem Grade auf der Gleichheit aller Maße aufgebaut ist, endgültig unmöglich, Funktionen bestimmter Räume zu identifizieren. Dafür ist dort aber, wenn man Details wie vor allem das Vorhandensein von Pforten und deren Anschlagsrichtung, das Vorhandensein von Kaminen und anderes sorgfältig auswertet, etwas feststellbar, was vielleicht auch für andere friderizianische, aber unregelmäßiger konzipierte Burgen gilt, vielleicht aber auch etwas ganz Neues und Zukunftsweisendes war: Die Räume konnten in variabler Weise zu größeren und kleiner Raumgruppen „zusammengeschaltet“ werden, zwei-
fellos um der Nutzung durch immer wieder andere bzw. verschieden große Gruppen von Nutzern entsprechen zu können. Auch diese ganz modern anmutende Flexibilität der Nutzung gehört zu den besonderen Merkmalen des ungewöhnlichen Baues.
Aborte
Eine noch immer eher selten behandelte Fragestellung im Zusammenhang der Bewohnbarkeit von Burgen betrifft die Aborte. Dass deren Anordnung Hinweise geben kann, welche Räume für den dauerhaften Aufenthalt von Menschen vorgesehen waren, war bei der Behandlung der Säle und kleineren Räumen schon zu erwähnen. Man wird demnach Aborte an kleinen Räumen
Abb. 61 Gravina in Puglia, die Sammelgrube des Aborts am Saalflügel, rechts das untere Ende des Schachtes; der Einstieg zur Leerung der Grube muss sich in ihrem weitgehend zerstörten Gewölbe befunden haben.
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im Obergeschoss durchaus als Indiz für herrschaftliche Bewohnbarkeit deuten dürfen, während solche an größeren Räumen entweder auf den Saal für repräsentative Versammlungen oder auch – eher im Erdgeschoss – auf Räume für „Mannschaften“ bzw. das Gesinde hinweisen mögen. Bei den friderizianischen Burgen sind kleine, durch Türen gegen einen größeren Raum abschließbare Aborte in der Dicke der Außenmauer der Normalfall. Erhaltene, wenn auch meist restaurierte Anlagen dieser Art findet man – neben dem auch in dieser Hinsicht besonders gut untersuchten Castel del Monte (Abb. 60) – auch in Lagopesole (Wohnturm und mehrere „Ecktürme“), Caserta („Torre dei Falchi“), in der Burg Enna („Torre Pisana“) und auch der „Torre di Federico“ in Enna, schließlich in drei Türmen von Prato; von einem Abort in der Ringmauer der „Torre di Federico“ ist nur ein Rest des Schachtes erhalten. Auch in den Idealbauten Castel del Monte, Catania und Syrakus liegen die Aborte in Turmwänden bzw. an den Gängen, die manche der Türme erschließen. In Catania gibt es außerdem einen Abort am Erdgeschosssaal im Westflügel, der vermutlich Aufenthalt der Mannschaften war, während in Syrakus nur die beiden Türme an der dem Angriff abgewandten Südostseite über Aborte verfügten – einer der wenigen Hinweise auf den sonst in Syrakus schwer bestimmbaren Aufenthalt des Kaisers und seines engeren Hofstaats. Von außen sind solche in den Mauern liegenden Aborte nur an ihren kleinen Belüftungs- und Lichtöffnungen erkennbar, während die auffälligere Form des Aborterkers, wie sie nördlich der Alpen üblich war, in Süditalien fehlt; worin dieser Unterschied begründet ist, kann man immerhin vermuten. Denn zweifellos ist der Aborterker das ästhetisch wie olfaktorisch primitivere Konzept – die Fäkalien hinterließen an der Außenmauer deutliche Spuren, die in dem regenärmeren Klima nur langsam abgewaschen wurden und daher auch eine länger anhaltende Geruchsbelästigung darstellten; die Wichtigkeit dieses Aspektes wurde noch dadurch gesteigert, dass die süditalienischen Burgen öfter als im deutschen Raum in Städten lagen. Die Frage, wie die Fäkalien letztlich entsorgt wurden, wäre dabei aber nur durch aufwendige Untersuchungen zu klären, denn das untere Ende der in der Mauerdicke liegenden Entsorgungsschächte ist heute nur noch sehr selten zugänglich bzw. zu erkennen. Bisher konnten lediglich im Castel del Monte solche Schächte bis in den Sockelbereich mehre-
Î Abb. 62 (li.) Bari, die Loggia im Hof, in die das feldseitige Tor mündete.
Abb. 63 (re.) Trani, eine Adlerkonsole, die mit anderen skulpturalen Konsolen die unterwölbte Loggia vor dem Saal im Obergeschoss des Nordflügels trug.
rer Türme erforscht werden; dort fehlt eine Reinigungsöffnung von außen und man muss daher annehmen, dass die Gruben durch mühsam hinabsteigende Arbeiter entleert wurden. Eine etwas aufwendigere Abortform, nämlich ein separater, im Grundriss rechteckiger Anbau, der den Schacht und unten die Sammelgrube enthält, darüber den Raum mit einem oder mehreren Sitzen, tritt an den friderizianischen Burgen nur selten auf. Man findet eine derartige Anlage an einem der Mauertürme in Casertavecchia und offenbar auch an dem Bauteil, der die Wohnräume nahe dem Saalbau in Enna enthält; in Gioia del Colle liegt der Abort eines Obergeschosssaales im schmalen Anbau eines Eckturms, der außerdem die Wendeltreppe zu den oberen Turmgeschossen enthält. Weitaus prägender waren solche rechteckigen, turmähnlichen Abortanbauten aber an den friderizianischen Jagdschlössern, bei denen sie stets mehrfach auftraten (und in laienhaften Rekonstruktionen gelegentlich als Elemente der Verteidigung bzw. Mauertürme missverstanden wurden; vgl. 2.4.4. Die Jagdschlösser). In Castel Fiorentino waren zwei solcher Anbauten der Längsseite des Saalbaues angefügt mit doppelt abgewinkelten Zugängen; etwas unklar bleibt dort, ob es schon im Erdgeschoss Sitze gab oder nur im (verschwundenen) Obergeschoss (vgl. Abb. 54). Palazzo San Gervasio verfügte ebenfalls über zwei Anbauten am Saalbau, dort aber an den Giebelseiten (vgl. Abb. 53). Noch eindrucksvoller sind aber die insgesamt vier Abortanbauten in Gravina, von denen einer wieder vom Saal aus benutzbar war, die anderen aber vom Obergeschoss eines der langen Seitenflügel; beim Saalabort ist die große Sammelgrube erhalten (Abb. 61), aber der Zugang zu ihr
Î Abb. 64 Castel del Monte, Blick in den Hof, mit zwei von den drei Portalen im Obergeschoss, die auf einen Umgang aus Holz deuten (Th. B.).
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Abb. 65 Bari, die Torhalle am feldseitigen Tor.
bleibt unklar. Nochmals übertroffen wurde dies durch die beiden nur verbaut erhaltenen Jagdschlösser von ApiceCubante („Castello Del Principe“ bei Benevent) und Belvedere (Marano, Kampanien). Das erste besaß vier Abortanbauten – zwei am vermutlichen Saalbau –, das letztere sogar sechs. Diese Fülle von Aborten an den Jagdschlössern deutet wie schon die Mehrflügeligkeit dieser eigentlich eher kleinen Anlagen auf eine beachtliche Anzahl von Menschen, die hier untergebracht werden mussten, also wohl eine Jagdgesellschaft samt Gästen und Bediensteten.
Galerien
Galerien bzw. Loggien an der Hofseite der Flügel waren in den friderizianischen Kastellen – wenn man hofseitig of-
fene kleine Torhallen wie in Bari (Abb. 62) einmal beiseitelässt – ausgesprochen selten, zumindest, wenn man vom heutigen Zustand ausgeht. Dabei ist freilich ein weiteres Mal nicht zu vergessen, dass solche relativ empfindlichen Bauteile leicht verschwinden konnten, etwa bei Umbauten, wie sie bei den friderizianischen Kastellen vor allem ab dem 16. Jh. häufig waren. Im Grunde bewahrt nur Trani noch eindeutige Spuren einer zweigeschossigen, reich geschmückten Loggia, die über eine Freitreppe den Zugang zum seeseitigen Saal im Obergeschoss vermittelte. Die genaue Form der spitzbogigen, auf skulpierten Konsolen ruhenden Arkaden im Erdgeschoss ist nicht mehr zu klären – ein ergrabenes Fundament deutet hofseitig Säulen an –, aber vom Obergeschoss blieben weitere reich skulpierte Konsolen (Abb. 63), auf denen wiederum spitzbogige Wölbungen ruhten. Interessante Fragen zum Thema der Galerien stellen die Befunde im Hof des Castel del Monte, wo drei hofseitige Portale im Obergeschoss zweifellos auf eine umlaufende Galerie führen sollten, von der heute sonst jede Spur fehlt (Abb. 64). Gino Chierici meinte 1934 noch entsprechende Balkenlöcher bzw. Stellen zerstörter Konsolen zu erkennen; heute ist dies – nach einer sehr umfassenden Ergänzung der schwer geschädigten Quaderschale – nicht mehr nachzuvollziehen, aber durchaus glaubwürdig. Dass eine dem Hauptflügel hofseitig vorgelagerte Galerie in Gravina in Puglia, von der nur Sockel der quadratischen Stützen erhalten sind, erst eine barocke Ergänzung war, wird mit gutem Grund angenommen; es sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Torhallen und Torverteidigung
Bleiben die genauen Funktionen der Säle und anderen bewohnbaren Räume also ein Problem, das nur auf einer allzu allgemeinen Ebene lösbar scheint, so sind zwei weitere Raumarten zum Glück etwas besser zu fassen, nämlich die Torhallen und die Kapellen. Die Tore der friderizianischen Burgen besitzen in der Regel einfache Spitzbogengewände, die gefast oder in anderer Weise eher schlicht bereichert sind; die viel diskutierten Tore des Castel del Monte und von Prato mit ihren reichen Rahmungen in überwiegend antikischen Formen sind Ausnahmen, die an anderer Stelle zu behandeln bleiben (vgl. 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik; vgl. Abb. 128). In einigen Burgen wurde aber die Bedeutung dieser in der Außenansicht bescheidenen Durchlässe
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durch eine dahinterliegende und repräsentativ ausgestaltete Torhalle gesteigert, was sich schon deswegen ergab, weil die meisten Anlagen eine lückenlose Umbauung besaßen. Die sechsjochige, durch eine zweijochige Loggia in den Hof verlängerte Torhalle von Bari (Abb. 65; vgl. Abb. 62) ergänzte nach herrschender Meinung erst nachträglich das bestehende Kastell, wofür die etwas improvisiert wirkende Einfügung in eine spitzwinklige Ecke der Burg zu sprechen scheint; allerdings dürften alle vier Flügel der Anlage erst in einer zweiten Ausführungsphase an die zuvor realisierte Umfassungsmauer der Anlage angefügt
sein, sodass die Torhalle eigentlich kein Sonderfall ist. Ihre prinzipielle Gleichzeitigkeit mit dem übrigen Bau wird außerdem auch durch die antikisierenden Formen der Säulen und Kapitelle der Torhalle und der Loggia bestätigt, die mit regionalen Sakralbauten der 1220er-/30erJahre vergleichbar sind. Die insgesamt als Abkömmling von Bari wirkende gleichzeitige Burg von Trani entwickelte auch die Form der Torhalle systematisch weiter. Die Halle bildete dort – im 16. Jh. verbaut, bei modernen Restaurierungen aber teilweise wieder freigelegt und rekonstruierbar – den gesamten Südflügel der Burg (Abb. 66). Über der flach-
Abb. 66 Trani, Rekonstruktion der Halle an der Südseite des Hofes, in die beide Tore führten; die Zeichnung zeigt das Erdgeschoss gegen Osten, hinten das stadtseitige Tor (Fr. Rossi in: Il castello svevo di Trani, 1990).
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Abb. 67 Catania, die Torhalle gegen Westen.
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Abb. 68 Gioia del Colle, die Torhalle gegen Westen.
gedeckten Halle, in deren Schmalseiten beide Tore – zur Stadt und zur Feldseite – angeordnet sind, lag eine zweite im Obergeschoss; beide waren in je vier Spitzbögen zum Hof geöffnet. Giuseppe Agnello vermutete übrigens in Augusta eine ähnliche, sogar zweischiffige Torhalle, was neuere Untersuchungen aber nicht bestätigt haben. Die weiteren Torhallen, die in friderizianischen Burgen erhalten oder rekonstruierbar sind, besitzen, jeweils vom Tor aus gesehen, nur die Tiefe eines Jochs und öffnen sich lediglich durch ein Tor bzw. als jochbreiter Bogen zum Hof. Allerdings reihen sie in der Querrichtung zwei bzw. sogar drei Joche, sodass auch dort eine größere Halle entsteht, die zwar gegen den Hof stärker abgeschlossen, aber wie schon in Trani durchaus zum Aufenthalt einer Wache oder für repräsentative Empfänge geeignet war. Besonders gilt dies für die eindrucksvolle dreijochige Halle im stadtseitigen Nordflügel von Catania (Abb. 67), aber auch Prato und das Castel del Monte besaßen zweijochige Tor-
hallen, wobei jene in Prato allerdings unausgeführt blieb, während es sich beim Castel del Monte eigentlich um zwei nur durch ein Tor verbundene Räume handelt. Die Tatsache, dass der Weg zum Hof in Castel del Monte nicht nur durch ein einziges Tor zu sperren war, sondern dass drei verriegelbare Tore aufeinander folgten, ist unter den Burgen Friedrichs ein Ausnahmefall. Kleinere Torhallen findet man in Gioia del Colle, wo die Halle durch einen Schwibbogen auf abgekragten Wandsäulen bereichert und in voller Breite zum Hof geöffnet ist (Abb. 68); ursprünglich war sie vermutlich mit zwei kreuzgewölbten Jochen überdeckt. Besser erhalten ist die schmale Torhalle in Cosenza, wo das Kreuzrippengewölbe voll erhalten blieb (Abb. 69). Die schlichtesten Formen trifft man schließlich in Brindisi und Gravina in Puglia, im ersten Falle als breiter Gang im voluminösen Torturm, nur durch Gurtbögen, in einem Falle mit Fallgatterführung, gegliedert. Im „Jagdschloss“ Gravina öffnet sich die kleine, bis auf das Kämpfergesims der Ton-
2.5. Die Bauteile
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nenwölbung schmucklose Torkammer in voller Breite zum Hof. Über besondere Verteidigungseinrichtungen verfügten die Tore der friderizianischen Burgen kaum. Die einfachen Durchlässe lagen in der Regel zwar neben einem Turm – oder ausnahmsweise wie etwa in Prato zwischen zwei Türmen –, sodass sie von dessen Plattform aus ver-
Abb. 69 Cosenza, die Torhalle gegen Norden. Das Gewände des ehemaligen Tores (hinten) ist beim Anbau des barocken Flügels bzw. des Treppenhauses verschwunden.
teidigt werden konnten, besaßen sonst aber kaum zusätzliche Sicherungen, wie sie aus anderen europäischen Regionen bekannt sind, also z. B. flankierende Scharten, vorgelagerte Torgassen, Wurflöcher usw. Die Anordnung eines Tores mit Fallgatter in einem groß dimensionierten Turm wie in Brindisi, der im Obergeschoss auch repräsentative Wohnräume enthielt, ist das einzige und in seiner Größe außergewöhnliche Beispiel eines Torturms im friderizianischen Burgenbau Süditaliens. Allenfalls Lagopesole mit den das Tor beidseitig flankierenden Lisenen aus Buckelquadermauerwerk kann man sonst als Beispiel einer besonderen baulichen Betonung des Tores anführen, wobei der Effekt aber rein ästhetischer Natur ist, denn die Lisenen sind massiv, enthalten also keinerlei Einrichtungen zu aktiver Verteidigung, sondern im Obergeschoss lediglich Zugänge zum Fallgatter (Abb. 70). Fallgatter gibt es neben Brindisi und Lagopesole auch an den Haupttoren von einigen weiteren Burgen wie etwa Matinale, womit sie aber immer noch Ausnahmefälle bleiben. Sowohl in Castel del Monte als auch in Trani, Syrakus und Prato findet man Fallgatterschlitze allein an den Haupttoren, nicht an den Nebentoren, wobei besonders auffällt, dass es sich dabei nur in Trani und Syrakus um das feldseitige, also besonders gefährdete Tor handelte. In Castel del Monte und Prato dagegen ist nicht einzusehen, warum das Haupttor entscheidend stärker gefährdet gewesen sein sollte als das Nebentor, und die zusätzliche Tatsache, dass das Fallgatter in beiden Fällen in eine höchst anspruchsvolle Portalarchitektur integriert war, legt die Frage nahe, ob hier nicht das Fallgatter auch der Repräsentation dienen sollte, also der Demonstration einer gewissen Modernität, nicht allein der Verteidigung. In Gioia del Colle war über dem südlichen der beiden Tore auf der Höhe des Wehrganges vor der ersten Restaurierung von 1903 der Rest eines Wurferkers erhalten, der damals restauriert und über dem anderen Tor der Burg durch ein Pendant ergänzt wurde; dort waren aber bestenfalls Reste von Kragsteinen erhalten gewesen (vgl. Abb. 172). Ein entsprechender Rest hat sich
Î Abb. 70 Lagopesole, das Haupttor wird von zwei mit Buckelquaderwerk verkleideten Risaliten betont. Zwischen ihnen lag im Obergeschoss der Raum für die Bewegung des Fallgatters, dessen Außenwand zerstört ist.
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auch über dem seeseitigen Tor von Trani erhalten und derartige Wurferker hoch oben über dem Tor kann es natürlich noch bei weiteren Burgen gegeben haben, nur dass die heutige Zerstörung der oberen Mauerteile bzw. Brustwehren sie verschwinden ließen. In Catania gibt es an der nördlichen Torseite der Burg noch eine Reihe mehrfacher Kragsteine, die fraglos Maschikulis trugen; sie werden allerdings mit gutem Grund als spätere Ergänzung eingeschätzt.
Abb. 71 Catania, die freigelegte gotische Sakramentsnische im Erdgeschoss-Saal des Südflügels, der demnach als Kapelle diente.
Kapellen
Auch das Thema der friderizianischen Burgkapellen war lange durch ideologisch gefärbte Überlegungen belastet. Die Propagandaschlacht in der Spätzeit Friedrichs II., als der Kaiser von päpstlichen Parteigängern als Feind des Christentums attackiert wurde, hatte nämlich einen Teil der frühen Forschung zu der eher kurzschlüssigen Folgerung veranlasst, ein so religionsfeindlicher Mann könne in seinen Burgen kaum Kapellen eingebaut haben. Und da die aus dieser Idee abgeleitete Suche in den Bauten zunächst tatsächlich kaum eindeutige Kapellenräume identifizieren konnte, fand man die Ausgangsthese allzu schnell bestätigt. Unterstützung fand die Anschauung zusätzlich darin, dass der Kaiser ja generell nicht als Initiator großer Sakralbauten belegbar ist; die Kathedrale von Altamura (vgl. Abb. 15) ist das einzige häufig zitierte Gegenbeispiel. Selbstverständlich stand die zeitweise oft zitierte Behauptung, in den friderizianischen Burgen habe es keine Kapellen gegeben, von Anfang an auf schwachen Füßen, weil sie die Auswirkungen der umfangreichen Umbauten und Umnutzungen, die in den meisten Burgen spätestens ab dem 16. Jh. stattgefunden haben, gänzlich außer Acht ließ. Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen nämlich ist die Vorstellung ausgesprochen realitätsfern, man könne eine ehemalige Kapelle sicher feststellen, bevor eine genaue Untersuchung mit den Methoden moderner Bauforschung stattgefunden hat. Zwar gibt es natürlich auch in Süditalien Fälle, in denen eine Burgkapelle in ihrer unverwechselbaren Baugestalt – also mit Westportal, Ausrichtung nach Osten, Apsis usw. – oder gar in ihrer ursprünglichen Funktion über die Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben ist. Aber das sind seltene Ausnahmen und in zahllosen anderen Fällen können ursprüngliche Kapellenräume durchaus später umgenutzt und dabei unkenntlich geworden sein. Außerdem besteht gerade bei den friderizianischen Burgen mit ihrer generellen Tendenz zu Rechteckräumen und axialer Anordnung von Fenstern grundsätzlich immer die Möglichkeit, dass auch eine ursprüngliche Kapelle demselben Prinzip unterworfen war und daher selbst nach nur relativ begrenzten Veränderungen heute nicht mehr als ursprüngliche Kapelle zu erkennen ist. Diese Möglichkeit verdeutlicht am besten ein bisher wohl übersehener, jedenfalls offenbar unpublizierter Befund im Kastell von Catania. Bis zu einer Restaurierung war dort nämlich die Nutzung des dreijochigen Saals im
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Î Abb. 72 Lagopesole, die Westfront der Kapelle. Die aus Bruchstücken rekonstruierte kleine Rosette, heute im Museum in der Burg, dürfte im erneuerten oberen Teil der Fassade gesessen haben.
Erdgeschoss des Südflügels nicht näher bestimmbar. Erst die Entfernung von Putz und Farbschichten legte im Ostteil seiner Nordwand eine ehemalige Sakramentsnische frei, deren vorspringende Teile zwar abgeschlagen, aber noch gut erkennbar sind, ebenso wie die ergänzende, von einem Kreuz bekrönte Farbfassung (Abb. 71), deren Gestaltung an die Adlernische über dem Burgtor erinnert. Dieser westöstlich ausgerichtete Erdgeschosssaal war also die ursprüngliche, mit etwa 23 x 7 m auch keineswegs kleine Burgkapelle. Das herausragende Gegenbeispiel einer in ihrer Bauform, wenn auch nicht ihrer Ausstattung, voll erhaltenen Kapelle ist dagegen der hohe, außen wie innen recht streng wirkende Saalbau von Lagopesole mit seiner runden Apsis, der in der Gesamtanlage der Burg eine zentrale Position einnimmt. Durch das Burgtor eintretend, sieht man nämlich das Kapellenportal direkt vor sich (Abb. 72) und auch an der Ostseite der Anlage ist die Kapelle durch einen die Apsis rechteckig ummantelnden Risaliten betont. Diese Gestaltung der Ostpartie, die außerdem die Anordnung einer kleinen Sakristei im Mauermassiv neben der Apsis erlaubte, ist durchaus begründet mit Burgkapellen in den Kreuzfahrerstaaten verglichen worden, nämlich mit jenen der Johanniterburgen Crac des Chevaliers und Margat, bei denen man in Margat ähnliche Räume neben der Apsis findet, die mit gutem Grund von den Pastophorien byzantinischer Kirchen hergeleitet werden – einer der vielen Hinweise auf Einflüsse der Kreuzfahrerstaaten im Königreich Sizilien. Auch die Burgkapelle in Melfi dürfte nach dem heutigen Stand der Forschung in staufischer Zeit entstanden sein, zusammen nämlich mit dem großen, zweigeschossigen Saalbau, an den sie angebaut ist (vgl. Abb. 27). Trifft diese noch umstrittene Datierung zu, so hätte es sich um einen ganz ähnlichen Bautypus wie in Lagopesole gehandelt, nämlich einen schmalen und hohen Saalbau von hier etwa 10 m Länge, dessen kleine Apsis sich nach außen hinter einer geraden Wand verbirgt. Weitere Hinweise auf ursprüngliche Kapellen friderizianischer Burgen betreffen nur noch weitaus kleinere
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Abb. 73 Trani, das Portal zum Saal im Obergeschoss des Westflügels. Die beiden Pfauen auf dem Tympanon haben zu der Hypothese geführt, der Raum vor diesem Portal sei ursprünglich eine Kapelle gewesen. Das ist aber unwahrscheinlich, weil das Tympanon den Zugang zum Saal betonte, nicht den Raum davor.
Räume oder begrenzte Befunde. Durchaus glaubwürdig ist die sakrale Deutung eines quadratischen Raumes von nur etwa 5 m Seitenlänge im Obergeschoss des Ostflügels von Gioia del Colle. Zwar wurde das Kreuz, das den betreffenden Raum außen an der Ostwand markiert (vgl. Abb. 171), erst im frühen 20. Jh. angebracht, aber zwei symmetrisch zur Raumachse angeordnete Spitzbogenfenster, die weit über Kopfhöhe in dieser Wand sitzen, sind in der Burg ein-
zigartig und daher durchaus als Hinweis auf eine Kapelle akzeptabel. In Lentini auf Sizilien schließlich wird nur noch eine gerundete Mauer als Rest einer nordöstlich ausgerichteten Kapelle verstanden (vgl. Abb. 191). Dagegen kann die Annahme eines Kapellenraums im Westflügel der Burg Trani nicht überzeugen. Dort zeigt zwar das Tympanon einer Pforte im Obergeschoss zwei Pfauen im Relief, die als Symbol der Unsterblichkeit und damit als Hinweis auf einen Sakralraum angesprochen worden sind; man vermutete ihn folglich über dem Haupttor an der Südwestecke der Burg. Gegen diese Deutung spricht aber schon die Tatsache, dass das Relief dem betreffenden Raum zugewandt ist, womit es nicht den Eintritt in die Kapelle symbolisch markiert hätte, sondern gerade im Gegenteil jenen in den benachbarten Saal (Abb. 73). Der vermeintliche Kapellenraum ist zudem im Grundriss unregelmäßig und eine offene Treppe, die direkt neben der hypothetischen Altarstelle in den Hof hinabführt, wäre für eine Kapelle ausgesprochen ungewöhnlich. Da es in diesem Raum früher so etwas wie einen Altarrest gegeben haben soll, ist eine spätere Nutzung als Kapelle freilich nicht auszuschließen und ähnliche Fälle findet man auch in Cosenza und Gravina in Puglia. In Cosenza wird ab dem 15. Jh. eine Barbarakapelle in einem Raum erwähnt, der sich in voller Breite zur Torhalle öffnet und daher ursprünglich eher als Aufenthalt der Wache anzusprechen ist; im Jagdschloss Gravina in Puglia ist ähnlich spät eine Katharinenkapelle im heute verschwundenen Obergeschoss des Torbaues belegt. Wir kennen also wirklich nicht allzu viele sichere Beispiele von Kapellen in friderizianischen Burgen, die von Anfang an zu deren Konzept gehört hätten. Bevor man daraus aber endgültige Schlüsse zu ziehen versucht, ist ein weiterer Fall zu bedenken, der zu einem vollständigen Bild der Sakralbauten bzw. -räume in den kaiserlichen Burgen gehört. Denn in mancher Burg, die bereits vor der Zeit Friedrichs II. bestanden hatte und unter seiner Regierung weitergenutzt wurde, kann ja bereits eine ältere Kapelle gestanden haben, die einen friderizianischen Neubau überflüssig machte. So ist zum Beispiel im Castel dell’ Ovo in Neapel, wo es heute nur noch sehr begrenzte Baureste aus der Zeit vor dem 14. Jh. gibt, als einer der ältesten Bauten eine romanische Kapelle erhalten und in Sannicandro di Bari findet man sogar zwei kleine Kapellen, die recht sicher in byzantinische Zeit zurückgehen, wobei die eine, geradezu winzige sicherlich ein privates Oratorium in einem Mauerturm war. Die große Burg in
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Enna entstand offenbar sogar um drei ältere Kirchen oder Kapellen herum, von denen aber keine erhalten ist; ob sich eine dieser Kapellen vielleicht sogar in einem Eckturm der äußeren, wohl erst aus friderizianischer Zeit stammenden Vorburg befand, ist angesichts eines reich geschmückten Fensters in diesem Turm eine naheliegende Idee, wäre aber noch näher zu prüfen. In Agira, ebenfalls auf Sizilien, steht im Bereich der stark zerstörten Burg noch heute eine offenbar romanische Kapelle (vgl. Abb. 185), die aber offenbar nicht näher untersucht ist. Schließlich darf man abschließend die Burg in Bisceglie als besonders suggestives Gegenbeispiel ansprechen, weil an ihr besonders gut abzulesen ist, wie eine bestehende romanische Kirche, die ursprünglich nichts mit einer Burg zu tun hatte, nachträglich in diese einbezogen wurde; das Beispiel gehört aber eigentlich nicht hierher, weil die Burg erst in angevinischer Zeit entstand. Fasst man also den heutigen Kenntnisstand zum Thema „Kapellen in den friderizianischen Burgen Süditaliens“ zusammen, so kommt man zwar weiterhin nicht um die Feststellung herum, dass wir in vielen der kaiserlichen Anlagen heute keine Sakralbauten bzw. Sakralräume feststellen können. Immerhin aber fehlen sie keineswegs etwa vollständig und unter den Beispielen, die man inzwischen doch anführen kann, verdienen vor allem jene Beachtung, die erst in den letzten Jahren durch Bauuntersuchungen bzw. Restaurierungen erkennbar wurden. Denn sie machen ausgesprochen deutlich, wie vollständig spätmittelalterliche und neuzeitliche Baumaßnahmen einen ursprünglich für Gottesdienste vorgesehenen Bau oder Raum unkenntlich machen konnten, vor allem in räumlich so klar gegliederten Bauten wie den friderizianischen Kastellen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jene nicht wenigen Burgen, die bisher nicht näher untersucht wurden – und bei denen dies oft auch nicht bald zu erwarten ist, wegen Geldmangel oder weil spätere Gestaltungen hohe Eigenwertigkeit besitzen –, durchaus Kapellen besessen haben mögen, ohne dass wir es heute schon erkennen könnten. In einem derart begrenzten Wissen den Beleg für einen vermeintlichen Atheismus Friedrichs II. entdecken zu wollen, würde aber jedenfalls jede wissenschaftliche Methodik vermissen lassen.
2.5.2. Elemente der Befestigung
Die friderizianischen Burgen unter dem Aspekt der Befestigung zu betrachten, bedeutet ein weiteres Mal, sich auf ein von auffälligen Widersprüchen geprägtes Feld
bisheriger Befassung mit dem Thema zu begeben. Denn einerseits hat die Betrachtung von Burgen als „Wehrbauten“ eine problematische Tradition, weil dabei allzu oft die anderen wichtigen Aspekte dieser Architekturform vernachlässigt wurden – Fragen der Bewohnbarkeit, des Wirtschaftens, der Repräsentation, der Symbolik und künstlerischen Gestaltung. Und andererseits ist bei den „Kastellen“ Friedrichs II. eine gerade entgegengesetzte Tendenz der Forschung festzustellen, nämlich die weitgehende Vernachlässigung aller die Wehrhaftigkeit betreffenden Fragen zugunsten einer starken Betonung künstlerischer Aspekte bzw. der herrschaftlichen Symbolik – oft in der Frage gipfelnd, ob nicht viele dieser Bauten eher als Frühform eigentlich unbefestigter „Schlösser“ anzusprechen seien. Insofern dringt die Frage nach der Wehrhaftigkeit der friderizianischen Burgen bzw. nach den konkreten Mitteln, die ihre Erbauer damals zu diesem Zweck einsetzten, auf ein bisher vernachlässigtes Feld vor.
Lagewahl und Gräben
Als ein erstes Element, das ihre Wehrhaftigkeit schon in der ersten Planungsphase prägte, ist die Lagewahl der Burgen anzusprechen. Der populären deutschen Vorstellung des Phänomens „Burg“ entspricht dabei am ehesten die Höhenlage auf Bergspornen oder Gipfeln, die natürlich auch in Süditalien häufig war (Roccaguglielma [Abb. 74], Rocca Janula, Casertavecchia, Matinale, Lucera, Melfi, Lagopesole, Castel del Monte, Oria, Cosenza, Nicastro, Vibo Valentia, Agira, Enna). Ähnlich charakteristisch für das Reich Friedrichs II., kaum aber für den deutschen Raum, waren andererseits große Hafenburgen, in der Regel verbunden mit einer ummauerten Stadt (Barletta, Trani, Bari, Brindisi, Milazzo, Catania, Augusta, Syrakus), wobei der Bauplatz der Burg die Umgebung in der Regel kaum überragte. Die Lagewahl dieser Burgen am Hafen war ganz offensichtlich nicht primär durch die Suche nach optimierter Wehrhaftigkeit geprägt, sondern vor allem durch die Notwendigkeit, einen wichtigen Wirtschaftsplatz zu sichern; etwas abgewandelt gilt dies auch für jene Burgen in Höhenlage, die gleichfalls mit einer Stadt verbunden waren (Rocca Janula, Casertavecchia, Lucera, Oria, Enna, Agira, Lentini). Die verhältnismäßig flache Lage gerade der Hafenburgen hätte nach heutigem Verständnis eigentlich dazu führen müssen, dass Gräben bei ihrer Verteidigung eine wichtige Rolle spielten, indem sie nämlich jene Seiten sicherten, wo die Burg an festes Land grenzte. Dies im Ein-
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zelfall zu verifizieren, fällt jedoch aus denselben Gründen schwer, die schon unter anderen Aspekten beschrieben wurden – aufwendige Umbauten, insbesondere Zwinger bzw. bastionäre Außenringe des 15./16. Jh., haben den ursprünglichen Zustand vieler Anlagen so tiefgreifend verändert, dass er nur noch bedingt zu ermitteln ist. Das Castel Ursino in Catania ist heute die einzige friderizianische Niederungsburg, die scheinbar noch teilweise von einem Graben umgeben ist und bei der ältere Pläne zusätzlich belegen, dass dies noch im 16. Jh. allseitig der Fall war. Allerdings kann man auch in Catania nicht ausschließen, dass im Süden und Osten erst die im 16. Jh. erbauten Bastionen der Stadtbefestigung quasi als Nebenwirkung eine Art Graben entstehen ließen, und wie es an der Westseite war, ist spätestens seit der Füllung des dortigen Grabens mit Lava 1669 kaum noch zu klären. Es liegt durchaus nahe, dass die Burg ursprünglich auf einer niedrigen Felserhebung am Hafen gestanden hat, die nur nördlich durch einen Graben gegen die Stadt gesichert werden musste – aber auch das muss angesichts der Veränderungen des Geländes beim Ätna-Ausbruch letztlich Vermutung bleiben. Ähnlich ist die Lage bei der von Bastionen des 16. Jh. umgebenen Burg Bari, wo das Gelände zwischen der Burg und den Kurtinen zwar aufgefüllt ist,
Î Abb. 75 Lucera, die Angriffsseite der angevinischen Befestigung mit dem spätmittelalterlichen Zwinger und dem Graben.
aber Grabungen an der Westseite zumindest eine tiefer liegende Poterne freilegten; auch dies beweist allerdings letztlich noch keinen Graben, denn die archäologischen Forschungen im Inneren der Burg haben belegt, dass das ufernahe Gelände im Bereich der Burg im 11./12. Jh. noch mehrere Meter tiefer gelegen hat als heute. Dass die Burg in Brindisi ursprünglich dreiseitig durch Gräben gesichert war, deuten angeblich heute noch „unterirdische“ Hallen zwischen dem staufischen Kernbau und dem umgebenden Zwinger des späten 15. Jh. mit seinen Rondellen an. Hier wären diese Gräben bei der Anlage der Außenbefestigungen mit dem neuen äußeren Graben also nicht zugeschüttet, sondern überwölbt worden; ähnlich findet man das bei der (größtenteils jüngeren) Burg in Lecce, wo der bastionäre Außenring im 16. Jh. entstand. Dass die Niederungsburg in Prato von Gräben umgeben war, wissen wir nur aufgrund von Schriftquellen des 13. Jh.; heute ist sie an drei Seiten von Anschüttungen umgeben, die von einem Großteil der Literatur fälschlich
Abb. 74 Roccaguglielma, die Angriffsseite der Ruine. Vor dem (hier nicht sichtbaren) normannisch-staufischen Burgkern gibt es keinen Graben.
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als natürlicher Hügel angesehen werden (vgl. Abb. 40). In Trani belegt eine Ausfallpforte in der 1249 vollendeten Zwingermauer immerhin, dass landseitig mit ihr ein Graben angelegt wurde. Nur noch vermuten, aber bisher nicht belegen kann man das Vorhandensein von Gräben schon um den friderizianischen Bau bei den Burgen Barletta und Augusta, die beide von bastionären Werken des 16.–18. Jh. umgeben sind. Ein Sonderfall ist schließlich Syrakus, das auf seiner felsigen Halbinsel im Nordwesten eigentlich einen Abschnittsgraben benötigt hätte – den es aber zumindest direkt vor der Kastellanlage kaum gegeben haben dürfte, denn das großartige gotische Portal in dieser Front weist keinerlei Hinweise auf eine Brücke auf. Hier muss man also vermuten, dass der Graben ein Stück vor der Burg lag, entweder an der Stelle, wo er heute vor den bastionären Werken des 16. Jh. verläuft – demnach hätte es schon in friderizianischer Zeit einen Vorburgbereich gegeben –, oder auch vor einem ursprünglichen Zwinger direkt vor dem Kastell, für den allerdings alle Belege fehlen. Dass die friderizianischen Niederungsburgen ursprünglich von Gräben umgeben waren, liegt also zwar nahe, ist aber nur in wenigen Fällen noch vor Ort nachvollziehbar. Dass andererseits der Beleg für Gräben in vielen anderen Fällen nicht mehr zu erbringen ist, liegt ein weiteres Mal an den von der älteren Forschung kaum reflektierten Modernisierungen der Anlagen bzw. an ihrem Ausbau zu Festungen, gelegentlich auch daran, dass sie mitten in Städten lagen, deren Bewohner die platzraubenden Gräben später zugeschüttet haben mögen (Gioia del Colle, Sannicandro di Bari). Auch bei jenen friderizianischen Burgen, die auf Anhöhen lagen, würde man vermuten, ausgehend von zahllosen mittelalterlichen Burgen in ganz Europa, dass Gräben ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Befestigung gewesen seien, vor allem als Halsgräben bei Burgen in Spornlage, aber oft auch als Ringgräben, die über flacheren Abhängen um die gesamte Anlage oder zumindest um besonders gefährdete Teile herumgeführt waren. Erstaunlicherweise ist aber auch dies bei den friderizianischen Höhenburgen kaum zu belegen. Bezeichnend für diese Tatsache ist Giuseppe Agnellos Einschätzung des castellum novum (1239) bzw. „castellaccio“ in Lentini auf Sizilien, das als einzige in friderizianischer Zeit ausgebaute Burg Süditaliens definitiv durch zwei tiefe Felsgräben mit senkrecht bearbeiteten Wänden geschützt wurde (vgl. Abb. 191). Agnello fand den Befund
nämlich so außergewöhnlich, dass er diese Gräben vermutungsweise ins 5. Jh. v. Chr. zurückdatieren wollte, im Vergleich nämlich mit dem nahen, um 400 v. Chr. erbauten Kastell Euryalos in Syrakus; da der „castellaccio“ im Randbereich der antiken Stadt Leontinoi liegt, kann man eine solch frühe Entstehungszeit in der Tat nicht völlig ausschließen. Agnellos Zweifel, ob solche Gräben aus friderizianischer Zeit stammen können, wird sofort verständlich, wenn man die übrigen in friderizianischer Zeit erbauten oder weitergenutzten Höhenburgen Süditaliens betrachtet, denn allein in Oria findet man vor dem einzigen stauferzeitlichen Wohnbau oder Wohnturm eine Art Hals- bzw. Quergraben an der erwartbaren Stelle, der allerdings durch Modernisierungen bis mindestens ins 16. Jh. so verändert wurde, dass die Entstehungszeit völlig offen ist. Ähnlich kann man den Fall von Cosenza beschreiben, wo der heutige Zustand des Torgrabens und seines Vorwerkes erst vom 16. bis zum 18. Jh. geprägt wurde, aber natürlich trotzdem auf den friderizianischen Bau zurückgehen könnte. In einigen weiteren Fällen liegt die nachstaufische Entstehungszeit der Gräben dagegen auf der Hand, so vor allem in Lucera, wo der lange stadtseitige Graben fraglos zum großflächigen Ausbau der Burg unter Karl I. gehört (Abb. 75) wie ganz entsprechend auch der Ringgraben von Melfi. Einen aufwendig ausgearbeiteten, im 19. Jh. verschwundenen Felsgraben vor ihrer äußeren Vorburg besaß auch die große Burg in Enna, das „castello della Lombardia“; da dieser aber den kaum vor dem 14. Jh. entstandenen angriffsseitigen Zwinger ergänzte, dürfte er kaum in friderizianische Zeit gehört haben. Andererseits kann der zweite Quergraben, der vor den beiden inneren Höfen in Enna gelegen hat, nach Grabungen bereits in byzantinische Zeit datiert werden. Vor den übrigen Höhenburgen der friderizianischen Zeit sind überhaupt keine Gräben belegbar, weder ursprüngliche noch spätere. In wenigen Fällen kann man dies aus dem günstigen Bauplatz erklären, der einen Graben überflüssig machte, so etwa bei den Gipfelburgen in Nicastro und Agira und auch – etwas weniger überzeugend – im Falle der Rocca Janula, die zwar auf einem Bergsporn liegt, bei der aber die Fronten der Vor- und der Kernburg jeweils auf einer natürlichen, wenn auch niedrigen Felsstufe stehen. Ist also die Ausbeute ursprünglich angelegter Gräben vor den friderizianischen Höhenburgen schon dort gering, wo es zwar Gräben gibt, die wir aber nicht sicher datieren
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können, so gewinnt das Phänomen eine noch stärkere Aussagekraft dort, wo das Vorgelände auch heute keinerlei Spuren von Gräben aufweist, obwohl es für einen Angriff durchaus günstig war, so in den Fällen von Roccaguglielma (vgl. Abb. 74), Casertavecchia, Matinale, Castel del Monte, Vibo Valentia, Lagopesole und der „Torre di Federico“ in Enna. Besonders bemerkenswert sind dabei jene frühen Fälle, in denen die Burg sogar schon vor der Zeit Friedrichs II. entstanden war; so kann man etwa die angriffsseitigen Mauern und Türme der normannischen Grafenburg Casertavecchia über einen flachen Hang erreichen, ohne auf die geringste Spur eines Grabens zu stoßen. Wie kann man diesen Verzicht auf eine ebenso schlichte wie wirksame Verteidigungseinrichtung verstehen, die wegen ihrer Vorzüge sonst überall üblich war, wo man im Mittelalter, aber auch davor und danach, Verteidigungsanlagen erbaute? Als pragmatische Erklärung mag man erwägen, dass die Gräben zu jenen Teilen der Anlage gehört haben, die durch den Tod Friedrichs II. nicht mehr vollendet werden konnten – immerhin wurden die meisten Anlagen erst in den 1230er-/40er-Jahren begonnen und viele zeigen deutliche Spuren ihrer Unvollendung, z. B. fehlende obere Abschlüsse oder nie mehr ausgebaute Flügel. Diese Erklärung stünde allerdings in einem Spannungsverhältnis zu der gesamteuropäisch belegbaren Feststellung, dass die Gräben zugleich als Steinbrüche dienten, die das Baumaterial für die Burg lieferten. Dies jedenfalls kann bei den friderizianischen Höhenburgen kaum je der Fall gewesen sein, obwohl die meisten von ihnen auf Kalkstein stehen, der Material zumindest für das Füllmauerwerk liefern konnte und der oft sicherlich auch für die Quaderschalen geeignet war. Weitere Erklärungsversuche der fehlenden Gräben gehören in den Bereich purer Vermutung. Man mag etwa erwägen, dass es in Süditalien regionale Sondertraditionen der Befestigung gegeben hat, oder auch, dass hier nicht mit Angreifern gerechnet wurde, die über eine entwickelte Belagerungstechnik verfügten. Beides wirkt aber unwahrscheinlich, insbesondere die Annahme der fehlenden Belagerungsmittel, denn die letztlich aus römischer Technik hervorgegangenen Wurfmaschinen und Bliden hatten in den Kreuzfahrerstaaten eben erst wieder an Bedeutung gewonnen und selbst im kriegstechnisch eher spät entwickelten deutschen Raum sind Belagerungstürme ab der 2. Hälfte des 12. Jh. nachweisbar und Bliden spätestens ab dem frühen 13. Jh. Warum sollte man also gerade in Süditalien, das schon im 12. Jh. ständigen Kriegszügen aus-
Abb. 76 Dourdan südwestlich von Paris ist eines der besterhaltenen „philippinischen“ Kastelle mit den typischen runden, mit hohen Schlitzscharten ausgestatteten Flankierungstürmen, erbaut 1220–22. Die runden Schartenerweiterungen sind sekundär.
gesetzt gewesen war und das mit dem Vorderen Orient in direkter Verbindung stand, nicht mit dem Einsatz von Kriegsmaschinen gerechnet haben? Vorläufig wird der „Grabenverzicht“ der friderizianischen Höhenburgen also sicherlich ein ungelöstes Rätsel bleiben müssen.
Außenmauern
Das offenbar recht verbreitete Fehlen vorgelagerter Gräben bedeutete, dass die Verteidigungsfähigkeit der friderizianischen Burgen nicht nur in höherem Maße als in anderen Regionen auf der Festigkeit und Höhe ihrer Mauern und Türme beruhte, sondern im Grunde sogar ausschließlich. Die Bauten entsprachen damit dem Prinzip einer ausschließlich „passiven Verteidigung“, die es dem Angreifer zwar schwer machte, die Mauern zu ersteigen oder gar zu zerstören, die aber noch fast vollständig auf aktive Einwirkungen verzichtete mit Ausnahme allein des Wurfes oder Schusses von einem Wehrgang oder der Wehrplatte eines Turmes. Diesem einfachen Prinzip hatten zumindest bis ins späte 12. Jh. die Burgen und Befestigungen fast ganz Europas entsprochen, einschließlich auch – zumindest zu Anfang – seines Einflussgebietes in den Kreuzfahrerstaaten. Erst im 13. Jh. findet man, in Europa ausgehend
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Milazzo (links) und Sannicandro di Bari. Die Schlitzscharten in Mauertürmen – von beiden Türmen blieben nur Stümpfe – sind im friderizianischen Burgenbau Ausnahmen.
von Frankreich und England, zunehmend Elemente einer „aktiven Verteidigung“, insbesondere in Form von langen, schlitzförmigen Schießscharten für Bogen und/ oder Armbrust, die oft in vorspringenden Türmen flankierend angeordnet waren (Abb. 76), aber auch in ersten Zwingermauern oder in der Hauptmauer selbst. Die Frage, ob es sich dabei um Übernahmen bereits in der Spätantike entwickelter Formen gehandelt hat, angeregt etwa von byzantinischen Anlagen im Mittelmeerraum – die These wird vertreten und ist fraglos interessant –, kann angesichts der Fülle und schwierigen Datierbarkeit der erhaltenen Bauten hier nicht diskutiert werden, ebenso wenig wie der genaue Ablauf der Verbreitung in Europa. Angesichts des paradigmatischen Charakters dieser neuen Befestigungsformen, die mit der ähnlich umwälzenden Entstehung der gotischen Architekturformen zeitparallel verlief und auch die Herkunftsregion teilte, muss aber zumindest die Frage gestellt werden, ob und wie die neuen Befestigungsformen auch im süditalienischen Reich Friedrichs II. rezipiert wurden – auf halbem Wege also zwischen Frankreich und den Kreuzfahrerstaaten, wenn man vor allem die bedeutende Rolle süditalienischer Häfen wie Bari, Brindisi, Otranto oder Tarent bedenkt. Auf den ersten Blick waren die friderizianischen Burgen, sieht man sie vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, noch vollkommen oder zumindest sehr weitgehend einer ausschließlich passiven Verteidigung verpflichtet. Zwar besitzen viele der Kastelle weit vorspringende Türme, von deren Höhe ein seitlicher Blick und auch Schuss auf die benachbarten Mauerabschnitte möglich war, aber als Standort der Verteidiger kam dabei allein die für einen zielgenauen Schuss allzu hoch liegende Plattform infrage. Die Möglichkeit von Schießscharten in den unteren Turmteilen, die es erlaubt hätten, einen
ç Abb. 78
Lagopesole, die Burg von Norden mit dem nordöstlichen, L-förmigen „Eckturm“ links. Die Außenmauer der Burg ist allseitig 17 m hoch.
Angreifer auf gleicher Höhe und von der Seite her viel zielgenauer zu bekämpfen, blieb bis auf ganz wenige Ausnahmen ungenutzt (Milazzo, Sannicandro [Abb. 77], Vibo Valentia). Dabei wurde eben dieses Prinzip gleichzeitig in den Rundtürmen französischer Burgen immer häufiger angewendet, aber, obwohl Bauten wie Catania, Syrakus und Castel del Monte über Türme verfügten, die für die Anordnung solcher Scharten nicht nur ideal geeignet gewesen wären, sondern die auch formal und in ihren gotischen Gewölbeformen offensichtlich auf französische Bauten zu beziehen sind, findet man dort nichts dergleichen. Die auffällig kurzen Schlitzscharten in der Mauer, die auf der Rocca Janula vor dem Fünfeckturm verläuft – und die im Gegensatz zu dieser Aussage stünden –, dürften mit dieser gesamten Mauer entgegen der Ansicht von Pio Francesco Pistilli erst in nachstaufischer Zeit entstanden sein, denn sie wären sonst die einzigen tief liegenden Scharten, die in der Ringmauer einer friderizianischen Burg bekannt sind, und auch die Kürze des Schlitzes passt schlecht ins 13. Jh. (vgl. Abb. 33). Solche Feststellungen bedeuten im Grunde, dass die unbekannten Architekten Friedrichs zwar französische Bauten kannten, aber nur ihre ästhetischen Prinzipien und ihre Wölbungsformen rezipierten und weiterentwickelten, ebenso ihre Schmuckformen (vgl. 2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik), nicht aber deren fortschrittlichen Einrichtungen zur Verteidigung. Offensichtlich schätzten sie also die Bedrohungslage noch nicht so ein, dass derartige Neuerungen als wichtiges Angebot verstanden worden wären. In einer gewissen Weise passt das auch zu den weitgehend fehlenden Gräben – die Entwerfer dieser Bauten und fraglos auch der Bauherr rechneten offensichtlich noch nicht mit Angriffen eines Heeres, das mit modernen Wurfmaschinen, Belagerungstürmen und Mineuren ausgestattet war –, eine besonders interessante Feststellung, wenn man bedenkt, in welch hohem Maße Süditalien schon im 11./12. Jh. von den Heerzügen vielfältiger Herrscher und Armeen betroffen gewesen war. Die Mauern der friderizianischen Burgen mussten also – in häufiger Ermangelung von Gräben und praktisch völligem Fehlen tief liegender Schießscharten – dem Angreifer praktisch allein den nötigen Widerstand leisten. Dementsprechend wiesen sie in der Regel eine beachtliche Dicke und Höhe auf. Soweit exakt vermessene Grundrisse und Aufrisse vorliegen – und mit Abgreifmaßstäben versehen sind, die in Italien leider oft fehlen –, schwankt die Dicke der Kurtinen zwischen minimal etwa
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Abb. 79 Trani, die östliche, stadtseitige Außenmauer zeigt an der Krone noch Schlitzscharten und vermauerte Zinnen und Schießfenster, die aber offenbar jünger sind.
1,50–1,60 m (Trani Stadtseite, Brindisi) und erstaunlichen 3,50 m in Syrakus; die Umfassungsmauer von Gravina in Puglia ist mit etwa 1,20 m die schwächste, was nochmals den Sondercharakter des Jagdschlosses unterstreicht. Auffällig ist die ziemlich gleiche Dicke von etwa 2,20 m der Außenmauer mehrerer Kastelle (Augusta, Bari, Castel del Monte, Catania, Enna), die die Verwendung derselben Maßeinheit nahelegt. Vermutlich sind diese Mauern sieben Fuß dick, wobei ein im Mittelalter weit verbreitetes Fußmaß von etwa 31,4 cm zugrunde gelegen hätte. Im Vergleich betrachtet, sind das Mauerdicken, die mit jenen von Burgen im deutschen Raum durchaus vergleichbar sind oder aber über ihnen liegen. Auch die Höhe der Mauer ist in den Fällen, in denen sie noch festzustellen ist, beachtlich; allerdings trifft man beim Versuch ihrer Ermittlung auf erhebliche Probleme, weil nur wenige Mauern bis zum Wehrgang bzw. zur Brustwehr erhalten sind, aus Gründen der Nichtvollendung, des Umbaues
oder des Verfalls; auch Veränderungen in der Geländehöhe bzw. der Grabentiefe erschweren sichere Angaben. Trotz dieser Einschränkungen erhält man aber noch ein eindrucksvolles Bild von den Mauerhöhen der friderizianischen Kastelle. Geht man nämlich von Erfahrungswerten aus, die man aus der Betrachtung deutscher Burgen in der 1. Hälfte des 13. Jh. gewinnen kann, so ist zu sagen, dass die Mauern einschließlich ihrer Zinnen in der Regel zwischen 6 und 10 m hoch waren – was von den friderizianischen Kastellen bei Weitem übertroffen wurde. Die
Î Abb. 80 In Bari (oben) wies die südliche Außenmauer ursprünglich eine symmetrische Fensteranordnung aus kleinen Rundbogenfenstern und Oculi auf, mit einem polygonal vorspringenden, heute fehlenden Turm als Mittenbetonung. Die entsprechende Seite des verwandten Trani entwickelte das Konzept zu noch größerer Klarheit.
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niedrigsten Mauern besaß vermutlich noch Trani; man kann ihre ursprüngliche Höhe einschließlich der noch durch einzelne Schlitzscharten markierten Brustwehr auf 12–13 m schätzen. Syrakus wäre genauso hoch gewesen, falls zu den erhaltenen Mauern nur noch eine Brustwehr hätte kommen sollen; falls dort aber ein Obergeschoss geplant war, was unklar bleibt, hätte sich natürlich noch eine weit größere Höhe ergeben. Die Außenmauern in Gioia del Colle mit restaurierter Brustwehr erreichen noch heute – vermutlich über verfüllten Gräben – etwa 14 m Höhe (vgl. Abb. 104, 172), für Bari kommt man unter entsprechender Voraussetzung auf 16 m, in Lagopesole auf 17 m (Abb. 78), was auch für den mittleren, das Tor enthaltenden Bauteil in Capua gegolten haben dürfte; die am Flussufer tiefer gegründeten Türme waren dort sogar gegen 22 m hoch (vgl. Abb. 154). Etwa diese Höhe – über das Doppelte besonders hoher Burgmauern in Deutschland – darf man wohl für Prato rekonstruieren, als nämlich dessen Gräben noch offen waren. In Catania hätten sich die Mauern bei Vollendung des Obergeschosses rund 25 m über den Felsgrund erhoben und dieses Maß würde auch für Castel del Monte zutreffen, wenn es eine Brustwehr erhalten hätte (vgl. Abb. 49). Den Spitzenwert hätte nach durchaus plausiblen Rekonstruktionen schließlich das Palatium in Lucera mit über 30 m erreicht (vgl. Abb. 161); damit war der aus gutem Grund oft als „turmartig“ apostrophierte Bau, der aber in Wahrheit aus vier Flügeln um einen engen Hof bestand, höher als die meisten deutschen Bergfriede. Die die Außenmauern sicherlich in den meisten Fällen bekrönende Brustwehr ist, wie schon erwähnt, nur bei wenigen friderizianischen Burgen in aussagefähigen Resten erhalten, wofür es verschiedene Gründe geben dürfte. Manchmal werden die Brustwehren einfach zu jenen Teilen gehört haben, die nicht mehr vollendet wurden – in manchen Fällen samt einem Obergeschoss –, in anderen Fällen haben sie wahrscheinlich existiert, sind aber verschwunden, weil sie aus dünnerem Mauerwerk ausgeführt und der Witterung besonders ausgesetzt waren. Der wohl häufigste Grund des Verschwindens der originalen Brustwehren dürften jedoch Modernisierungen sein; im 15. und besonders im 16. Jh. sollten die Plattformen der Burgen bzw. die von Gewölben getragenen Dächer ihrer Flügel und auch der Türme zur Aufstellung von Kanonen genutzt werden, die neue, dickere Brustwehren mit breiteren Scharten benötigten. Daher haben sich originale Brustwehren oder nennenswerte Reste davon tatsächlich nur noch in fünf Fällen erhalten, nämlich
in Trani (Abb. 79), Milazzo (vgl. Abb. 103) und, ergänzt, in Gioia del Colle (vgl. Abb. 172) und Sannicandro di Bari (vgl. Abb. 140) sowie vor allem auf der „Torre di Federico“ in Enna, wo die Brustwehr zwar samt dem Gewölbe eines obersten Geschosses unausgeführt blieb, aber die unteren, dreieckigen Endungen geplanter schlitzförmiger Senkscharten dennoch erhalten sind (vgl. Abb. 188). Erstaunlicherweise kann man in vier dieser fünf Fälle keine Zinnen belegen, sondern nur Schlitzscharten, was in anderen Teilen Europas durchaus unüblich war; allein in Trani scheinen an der Seeseite originale Zinnen mit integrierten Schlitzscharten erhalten. Angesichts der sehr geringen Anzahl dieser erhaltenen Fälle wissen wir natürlich nicht, ob es sich dabei um vereinzelt erhaltene Beispiele der damals allgemein üblichen Form handelt oder um Ausnahmen in einem Baubestand, in dem sonst eher Zinnen üblich gewesen sein mögen. Aber eine Aussage lassen diese wenigen Brustwehren mit Schlitzscharten durchaus zu, nämlich dass wichtige Neuerungen aus dem vor allem französischen Raum im friderizianischen Süditalien doch schon bekannt waren, aber eben noch nicht in der in Frankreich üblichen Weise verwendet wurden – vor allem bodennah und flankierend –, sondern auf eine Art, die den vermutbaren regionalen Traditionen noch näherstand, das heißt nur an den Wehrgängen. In gewisser Weise erinnert das an einige elsässische und oberrheinische Burgen des 13. Jh., die die Schlitzscharten zwar auch aus Frankreich „importierten“, sie aber ebenfalls ganz anders in ihre überkommenen Bauformen integrierten, nämlich in den Erdgeschossen der Wohnbauten, also zwar bodennah und insofern effektiver als in Süditalien, aber in der Regel nicht in vorspringenden Bauteilen, das heißt ohne flankierende Wirkung. Verfehlt wäre es aber bei alledem, die Außenmauern der friderizianischen Kastelle ausschließlich als Befestigungselemente zu betrachten, denn das würde ihre ästhetische Wirkung auf den Betrachter ganz außer Acht lassen. Diese Wirkung nämlich wird zwar primär durch ihre Großflächigkeit, vor allem durch die beachtliche Höhe bestimmt, auch durch die Struktur des Mauerwerks, insbesondere aber – entsprechend ihrer Funktion als Außenwand bewohnbarer Flügel – durch die Anordnung und Form der Fenster als in der Regel einzige Öffnungen neben den Toren. In jenen Fällen, in denen diese Fenster besonders repräsentative Formen besitzen – vor allem als romanische oder gotische Biforien oder profilierte Okuli –
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Î Abb. 81 Lagopesole, der frei im „Kleinen Hof“ stehende Wohnturm mit seinem aufwendig gestalteten Hocheinstieg sollte vermutlich noch mindestens ein weiteres Obergeschoss. erhalten.
und in denen sie gar symmetrisch angeordnet sind, entwickelt die Wand zusätzlich eine Fassadenwirkung, die über die Wehrbauästhetik deutlich hinausgeht (Abb. 80; vgl. Abb. 102); denn die große Mauerdicke ist von außen nicht erkennbar, die Hochlage der Fenster muss nicht nur defensiv begründet sein und die Zinnen oder Schlitzscharten der Brustwehr fallen auf der hohen Mauer nur wenig auf. Natürlich setzt diese ästhetische Wirkung der Außenmauern nicht nur die Überzeugung der Entwerfer voraus, dass hoch liegende Fenster keine wirkliche Gefahr darstellten, sondern etwas noch Grundsätzlicheres, das im friderizianischen Burgenbau jedoch so selbstverständlich wirkt, dass man immer wieder leicht geneigt ist, es zu vergessen: Die Außenmauern der Kastelle waren so gut wie nie frei stehende Ringmauern, wie sie in Deutschland, aber auch in anderen Ländern weitverbreitet waren, sondern sie sind in aller Regel zugleich die Außenmauern von Gebäuden, die mehr oder minder regelmäßig den Hof der Vierflügelanlage umgeben.
Türme
In Deutschland wie auch in Frankreich und England herrschten im 12. und 13. Jh. Burgformen vor, für die die Dominanz eines einzelnen, besonders hohen oder massiven Turms charakteristisch war. In Frankreich und England waren es voluminöse Wohntürme (donjons, keeps), in Deutschland – wo es von Anfang an daneben auch Wohntürme gab – unbewohnbare, schlankere Türme, die meist die Angriffsseite der Burgen dominierten (Bergfriede); vergleichbare Türme gab es allerdings auch in Südfrankreich und Norditalien sowie in vielen weiteren Ländern.
Î Abb. 82 Caserta Vecchia, der außerhalb der älteren Burg errichtete Falkenturm („Torre dei falchi“) orientiert sich an französischen Runddonjons, die Sockelausbildung ist aber vom nahen Brückentor in Capua angeregt.
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Eine entsprechende Dominanz eines einzelnen Turms war bei den friderizianischen Burgen Süditaliens selten; insbesondere fehlte dort der isoliert stehende, unbewohnbare Turm im Sinne des deutschen Bergfrieds fast vollständig. Es sind lediglich einige Fälle zu nennen, bei denen ein Turm, insoweit deutschen Beispielen entsprechend, an die Angriffsseite einer Burg gesetzt wurde, in die Ringmauer eingebunden oder dicht hinter ihr stehend. So ist es bei den frei im Hof stehenden Fünfecktürmen der Rocca Janula (vgl. Abb. 33) und in Nicastro (vgl. Abb. 22); die Stellung des Fünfeckturmes als vorspringende Spitze der Burg in Vibo Valentia erinnert besonders stark an Beispiele im deutschen Raum (vgl. Abb. 182).
Abb. 83 Enna, das Obergeschoss der „Torre di Federico“ mit dem auf Diensten ruhenden Sterngewölbe.
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Diese drei Türme enthielten jedoch eindeutig bewohnbare oder repräsentative Räume und das gilt auch für den frei im „Kleinen Hof “ von Lagopesole stehenden, in seinem quadratischen Grundriss und dem Buckelquaderwerk durchaus an deutsche Bergfriede erinnernden Turm (Abb. 81). In diesem Falle deutet aber nicht nur das kreuzrippengewölbte und gut ausgestattete Hauptgeschoss samt dem Skulpturenschmuck am Hocheinstieg auf einen Bau, der in Notfällen dem Burgherrn als vornehm akzentuierter Rückzugsort hätte dienen sollen, sondern auch die Stellung innerhalb der Gesamtanlage, benachbart den vermutlich für den König bzw. Kaiser vorgesehenen Wohnräumen. Bei dieser Deutung ist der Turm eher mit gewissen französischen Donjons vergleichbar, die allerdings in der Regel rund und von der übrigen Burg durch einen Graben isoliert waren; die riesenhafte „Torre dei falchi“ der Burg in Casertavecchia ist eine süditalienische Variante dieser Form französischer Herkunft, auch hier wiederum unter Verzicht auf einen Graben (Abb. 82). Der formale Höhepunkt des Prinzips, einen für herrschaftliche Nutzungen ausgestatteten Wohnturm zur Dominante der Burg zu machen, ist die „Torre di Federico“ in Enna, wo der große Achteckturm das Zentrum einer geometrisch perfekten Achteckanlage bildete (vgl. Abb. 187). Obwohl das Konzept der „Torre“ auf den ersten Blick durchaus an die mitteleuropäisch-deutsche Bauform der Turmburg erinnert, übertrifft sie derartige Anlagen nicht nur durch den hohen Anspruch des „idealen“ Grundrisses, sondern auch in den monumentalen Dimensionen des Turms – das größte Maß seines Grundrisses beträgt fast 18 m – und in der höchst anspruchsvollen Gestaltung seiner großen kreuzrippengewölbten Säle (Abb. 83). Für solche Merkmale fehlt im deutschen Raum zumindest vor der Mitte des 13. Jh. jeder Vergleich. In der Regel standen die Türme der friderizianischen Burgen jedoch weder frei, noch dominierten sie als Einzelbau die Gesamtanlage, sondern sie waren konstituierende Bestandteile der Kastellform, nämlich weit vorspringende Mauertürme; neben Ecktürme traten dabei in Einzelfällen auch Zwischentürme wie etwa in Bari, Brindisi, Catania (Abb. 84) und Milazzo (vgl. Abb. 168, 190, 183). Die Türme übernahmen dabei im Konzept der Gesamtanlage eine grundsätzlich andere Funktion als allein stehende Türme, obwohl viele von ihnen durchaus an die Maße deutscher Bergfriede heranreichten oder sie sogar übertrafen. Sie wirkten vielmehr als akzentuierende Bestandteile eines regelmäßigen und scheinbar geschlosse-
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Abb. 84 Catania, das besterhaltene Beispiel für ein quadratisches Kastell mit Zwischentürmen an allen Seiten; nur jene im Norden und Westen sind erhalten, von den beiden anderen blieben nur die Sockel. Das geplante Obergeschoss wurde nur privisorisch vollendet.
nen Baukörpers, der zu einem allseitig weitgehend gleichen Anblick der Anlage führte. Die starke Integration der Türme in die Gesamtanlage spiegelte sich dabei oft in ihren gut nutzbaren Innenräumen, die nämlich direkt mit jenen der angrenzenden Flügel in Verbindung standen. Entweder enthielten die Türme zusätzliche, beachtlich große und mit Tragbögen, Säulen und Fenstern ausgestattete Wohnräume, wie sie etwa in Bari oder Trani erhalten sind, oder sie beherbergten Nebenfunktionen der Wohnräume in den angrenzenden Flügeln. Solche Nebenfunktionen in wesentlich kleineren Türmen findet man insbesondere bei der Gruppe der Idealbauten (Castel del Monte [vgl. Abb. 60], Catania, Syrakus), wo in den Türmen Treppen die Geschosse verbanden, oder aber Aborte und sogar Waschräume untergebracht wurden. Die Türme waren bei den späten, gotisch geprägten Idealbauten bereits auf die Funktion architektonischer Akzente reduziert, die schon aufgrund ihrer
Abb. 85 Augusta, der mit „kissenförmigen“ oder „Polsterquadern“ verkleidete Stumpf des Hauptturmes neben dem Tor. Die Burg wurde durch den Umbau zum Gefängnis im 19. Jh. stark beeinträchtigt.
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geringen Maße nur noch derartige Nebenräume aufnehmen konnten. Als Höhepunkte dieser Tendenz sind Augusta und insbesondere Lagopesole zu nennen. In Augusta enthalten zwar die größeren Ecktürme Innenräume, aber in zwei Mitteltürmen, die kaum vorspringen, war wenig mehr als jeweils eine Zisterne untergebracht. Und Lagopesole schließlich besitzt zwar in der Außenansicht scheinbar rechteckige, die Mauer allerdings nicht überragende Ecktürme, aber der Grundriss zeigt, dass es sich nur um L-förmige Vorlagen handelt, die gegen das Burginnere nicht vorspringen, um die Rechteckform der Räume in den Flügeln nicht einzuschränken (vgl. Abb. 37,
Abb. 86 Enna, die „Torre Pisana“ des „Castello di Lombardia“. Der bergfriedähnliche Turm ist der höchste im inneren Hof bzw. in der Kernburg. Er muss ursprünglich, wie der große Bogen links zeigt, zum Burginneren hin offen gewesen sein.
78); auch hier enthalten die Vorlagen Nebenräume wie Aborte und Treppen. Von der ausgereiften, idealen Form des Kastells, bei der nur noch relativ kleine, maßlich und formal völlig gleiche Türme der Akzentuierung des Äußeren dienten, unterscheiden sich die nicht ganz so regelmäßigen Kastelle (vgl. 2.4.2.) nicht nur darin, dass ihre im Grundriss weit größeren Türme ähnliche Räume wie in den anschließenden Flügeln enthalten. Vielmehr strebten die Entwerfer dieser Kastelle auch noch keineswegs jene perfekte Gleichheit der Türme an, die dann für die Idealbauten konstitutiv wurde. Wir finden dort meist das Prinzip, dass die relativ regelmäßig an der Peripherie der Burg aufgereihten Mauertürme eben nicht vollständig gleich waren, sondern dass es Unterschiede gab, die die Unregelmäßigkeit des Grundrisses der Gesamtanlage zusätzlich akzentuieren. Das häufigste Mittel dieser Akzentuierung war die Vergrößerung eines einzelnen Mauerturmes, die zwar entfernt an die Haupttürme deutscher Burgen erinnert, aber doch etwas anderes ist, weil es sich eben nur um einen unter mehreren regelmäßig verteilten Mauertürmen handelt. Der eindrucksvollste Fall dieser Art war Augusta, wo allerdings lediglich ein Stumpf des Hauptturmes erhalten ist, der zudem hinter neuzeitlichen Bastionen und Gefängnisbauten des 19. Jh. nur noch aus nächster Nähe sichtbar ist (Abb. 85). Mit einem größten Durchmesser von weniger als 12 m reichte dieser Achteckturm zwar keineswegs an den anderthalb mal so großen zentralen Turm der „Torre di Federico“ in Enna heran, aber seine anspruchsvolle Verkleidung mit Spiegelquadern und die Platzierung in der Mitte jener Seite, die das Haupttor enthielt, sicherte ihm fraglos eine dominante Wirkung; über seine Innenräume wissen wir nichts Sicheres mehr, aber das allein erhaltene, enge Untergeschoss und die Isolierung von den drei Flügeln der Burg deutet eher auf einen Turm ohne Wohnfunktion. Auch in Brindisi ist ein besonders voluminöser Hauptturm in die Mitte der Front mit dem Haupttor gesetzt, aber mit vollkommen anderer Gestaltung im Detail (vgl. Abb. 39) – der Turm ist ungefähr quadratisch, er enthält im Erdgeschoss das feldseitige Tor und besaß im Obergeschoss, aus den Resten von Doppelfenstern zu erschließen, vornehme Räume. Grundsätzlich anders sind die Haupttürme der Burgen in Enna („Castello della Lombardia“) und Melfi zu beschreiben, und zwar aufgrund ihrer schlankeren Pro-
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portionen, die sie von vornherein weniger von den anderen Türmen der Burg unterschieden; letztlich mag es sogar sein, dass sie in Wahrheit nur einer von mehreren ziemlich gleichen Mauertürmen waren und heute nur durch den Zufall ihrer höheren Erhaltung als Haupttürme erscheinen. Die „Torre Pisana“ der Kernburg von Enna (Abb. 86) war nur einer von zehn Mauertürmen der großen, dreiteiligen Burg, wobei die übrigen nur als Stümpfe erhalten sind, teils aber sogar größere Grundrissmaße aufweisen. Man würde den mauerstarken Turm, der außer einem Abort keine wohnlichen Merkmale aufweist, durchaus mit einem deutschen Bergfried vergleichen, wenn nicht der Baubefund zeigen würde, dass sein unterstes Geschoss ursprünglich in einem großen Bogen geöffnet war; der Grund bzw. die dahinterstehende Bauentwicklung sind bisher offenbar ungeklärt. Wieder andere Merkmale weist die „Torre di Marcangione“ in Melfi auf, einer von vier ungefähr quadratischen Türmen, die Michelangelo Levita dem Ausbau des normannischen Kernbaues unter Friedrich II. zuschreibt. Auch die Größe dieses Turmes übertrifft jene der drei anderen dem normannischen Kernbau angefügten Türme nicht, ebenso wenig seine Mauerstärke und selbst die Höhe war anfangs weniger eindrucksvoll, wie vermauerte Zinnen zeigen (Abb. 87). Was diesen Turm dennoch als Hauptturm erscheinen lässt, ist einerseits die Tatsache, dass er durch ein kurzes Mauerstück, in dem das Burgtor liegt, vom Kernbau abgesetzt und damit betont ist und dass andererseits zwei sehr große Rundbogenfenster – eine Monofore, ein Doppelfenster – eine repräsentative Bewohnbarkeit des Obergeschosses verdeutlichen. Als wieder anders gearteter, letzter Sonderfall ist schließlich der Hauptturm in Milazzo anzusprechen (Abb. 88). Zwar ist auch er ein relativ voluminöser Wohnturm mit gut nutzbarem Innenraum und insoweit grundsätzlich mit der „Torre di Federico“, mit Brindisi oder auch Melfi zu vergleichen. Aber seine Anordnung an der höchsten und sichersten Stelle der Burg, weit vom Tor entfernt, stellt wieder eine neue Variante dar, die allerdings zu der auch im Grundriss merkwürdigen, weil ohne Grund unregelmäßigen Gesamtanlage passt. Die Burg war auf ihrer oben nur mild geneigten Hügelkuppe dreiseitig angreifbar und der Hauptturm steht keineswegs an der besonders gefährdeten Seite. Vielleicht wurde seine Stelle deswegen gewählt, weil der (im 16. Jh. gekappte und durch einen Schrägsockel ergänzte) Turm vom Meer aus weithin sicht-
bar sein sollte; aber auf dem landschaftsbeherrschenden Bauplatz hätte diese Funktion auch ein Turm an jeder anderen Stelle der Burg übernehmen können. Verglichen mit diesen Beispielen, die vor allem durch ihre Verschiedenheit auffallen, sind Burgen wie Gioia de Colle, Cosenza, Prato und auch Sannicandro in Bezug auf die Funktion ihrer Türme weit einfacher zu beschreiben – sie sind Vertreter der meistverbreiteten, etwas unregelmäßigeren Art von Kastellen. In Gioia del Colle wurde zwar zugunsten der Erhaltung eines älteren Bauteils auf zwei der Ecktürme verzichtet, aber die beiden ausgeführten Ecktürme mit ihren durchaus nutzbaren, großen Innenräumen bieten ein Bild, das vollständigen Kastellen
Abb. 87 Melfi, der höchste Turm der Burg, die „Torre del Marcangione“, war bewohnbar und schloss vor einer Erhöhung mit Zinnen, die bei einer Restaurierung markiert wurden.
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Abb. 88 Milazzo, der Hauptturm ist Teil einer kleinen Kernburg, die mit Hof und Saalbau rechts anschließt. Der Turm wurde im 15./16. Jh. gekappt und durch den hohen Schrägsockel ergänzt.
wie etwa Bari oder Trani durchaus entspricht – nur eben mit der Variante, dass einer der beiden Türme etwas größer und höher ist und zudem durch einen schmal vorspringenden Anbau ergänzt, in dem eine Treppe zu seinen Obergeschossen und ein Abort des anschließenden Saales liegen (vgl. Abb. 171). Cosenza und Prato sind dagegen vollständige, das heißt vier- bzw. achttürmige Kastelle, bei denen aber die Form der Türme variiert wurde. In Cosenza setzte man zwei schlanke, entschieden an Castel del Monte erinnernde Achtecktürme an die Ecken der weniger angreifbaren Schmalseite (Abb. 89) und zwei viel massivere quadratische Türme an die Torseite (vgl. Abb. 41). Die beiden letzteren sind aber nicht exakt gleich, sondern der östliche, die Stadt überragende Turm, von dem Erdbeben nur einen Stumpf übrig gelassen haben, zeigt geringfügig größere Maße und eine alte Ansicht belegt, dass der Turm außerdem einen schlanken polygonalen Aufsatz trug, durch den er nicht nur die Burg, sondern auch die Stadt am Hang darunter dominierte. Dabei muss die Entstehungszeit des Aufsatzes natürlich offenbleiben, aber die größeren Maße des Stumpfes belegen, dass der
Turm von Anfang an als eine Art Hauptturm akzentuiert werden sollte. Noch komplexer stellt sich der Fall von Prato dar, wo in der durchaus nicht besonders großen Burg nicht weniger als fünf verschiedene Turmformen auftreten (vgl. Abb. 40). Dabei überragten zwei sehr hohe, von einem Vorgängerbau übernommene „Geschlechtertürme“ die Burg so entschieden, dass sie den kastelltypischen Gesamteindruck betonter Regelmäßigkeit geradezu gestört haben müssen. Dass dies dennoch nicht der Fall, sondern im Gegenteil sogar gewollt war, zeigen aber die sechs mit der Burg neu entstandenen Türme. Neben zwei fünfeckigen Mitteltürmen sind die vier Ecktürme zwar alle quadratisch, aber in drei Variationen: Neben zwei kleinere Ecktürme, die nur Wendeltreppen enthalten, treten hier zwei größere, bewohnbare Türme, die sich aber in Größe und Mauerwerk zusätzlich unterscheiden. Deutlicher als in Prato konnte der unbekannte Entwerfer kaum ausdrücken, dass sein ästhetisches Ziel keineswegs die absolute Regelmäßigkeit war – der gleichzeitige Bauten wie Castel del Monte oder Catania so weitgehend entsprachen –,
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sondern vielmehr ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen regelmäßiger Gesamtform und Variation im Detail. Entsprechend kann man auch die Burg in Sannicandro in ihrem Ausbauzustand des mittleren 13. Jh. beschreiben, wobei dort allerdings die unregelmäßige Gesamtform der älteren Anlage auch die modernisierte Burg viel stärker prägte und auch der beim stauferzeitlichen Ausbau ergänzte Zwinger eine Rolle spielte (vgl. Abb. 170). Die Hinzufügung von drei neuen Türmen, wobei aber auch vier ältere, kleinere sichtbar blieben, schuf auch hier ein differenziertes Gesamtbild, in dem Mauertürme unterschiedlicher Größe eine entscheidende Rolle spielten mit einem neuen großen Hauptturm in der Mitte der Westseite. Worin bestand nun aber der Beitrag zur Verteidigung der Burgen, den diese in Form und an Innenräumen so vielfältigen Türme leisten sollten? Angesichts dessen, was bereits über die Außenmauern der Burgen und ihre passive Wehrhaftigkeit festgestellt wurde, überrascht es nicht, dass für die große Mehrheit der Mauertürme dasselbe gilt. Die meisten Türme, vor allem jene der Kastellanlagen, springen zwar vor die anschließenden Außenmauern vor und boten daher durchaus die Möglichkeit, deren Vorgelände – und die Gräben, wenn sie denn vorhanden waren – seitlich einzusehen und dorthin vordringende Angreifer zu beschießen. Der Fachbegriff für diese Art der Verteidigung – die noch im 13. Jh. eine große Bedeutung gewinnen sollte und noch mehr vom 16. bis zum 19. Jh. als fundamentales Prinzip bastionärer Festungen – ist der der „Flankierung“, wobei allerdings ein entscheidendes Element dieses Prinzips bei den friderizianischen Burgen eben noch fast vollständig fehlt, nämlich die Anordnung tief liegender, geschützter Positionen für Bogen- oder Armbrustschützen, also von seitlichen Schießscharten in den unteren Turmgeschossen; sie fand erst später bei den angevinischen Burgen auch in Süditalien Verbreitung (vgl. 3. Süditalienischer Burgenbau nach Friedrich II.). Nur drei der friderizianischen Burgen Süditaliens besitzen nach gegenwärtigem Kenntnisstand originale Schlitzscharten in ihren Mauertürmen, nämlich Milazzo, Sannicandro (vgl. Abb. 77) und Vibo Valentia. Hinzu kommen die Schlitzscharten auf der Plattform der „Torre di Federico“ in Enna, die aber eben kein Mauerturm ist (vgl. Abb. 188), und einen kurzen Blick verdient auch die wohl jüngere sizilianische Burg Salemi mit ihren zahlreichen Scharten (vgl. 3. Süditalienischer Burgenbau nach Friedrich II.). Die Burg in Milazzo, die einen von Fried-
rich II. als besonders wichtig erachteten Hafen schützte, fällt einerseits durch ihren Grundriss auf, der als „ungeschickte“ Abwandlung des Kastellschemas mit Eck- und Zwischentürmen erscheint. Umso erstaunlicher wirkt es daher, dass man gerade hier – und nicht etwa in einem konsequent geometrisch entworfenen Kastell – in zumindest mehreren Türmen hohe Schlitzscharten auf der Höhe des Erdgeschosses findet. Weniger konsequent wirkt im Vergleich die dreitürmige, sicherlich von Bauten wie Catania oder Syrakus abgeleitete Front der Burg in Vibo Valentia, wo nur die beiden runden Ecktürme (noch) wenige Schlitzscharten aufweisen. Beide Fälle gehören dabei nicht zu den formal herausragenden Bauten Friedrichs II. und legen damit die Einschätzung nahe, dass hier in den 1240er-Jahren nur allererste Ver-
Abb. 89 Cosenza, nur einer der beiden achteckigen Ecktürme der Südfront ist erhalten. Er war vor Erdbebenschäden höher, denn der untere Teil steckt in einem hohen, nachmittelalterlichen Schrägsockel und der obere Abschluss fehlt.
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Abb. 90 Anlässlich der Kämpfe um Salerno 1191 sind in der zeitgenössischen „Liber ad honorem Augusti“ Zugbliden dargestellt, die von den Kämpfern auf dem höchsten Stadtmauerturm von Salerno – der heutigen Burg – und auch auf einem nahen Hügel eingesetzt wurden.
suche mit einem neuen Prinzip der Verteidigung gemacht wurden, das die „idealen“ Hauptwerke des friderizianischen Burgenbaues und deren Entwerfer aber noch nicht erreichte. Anders ist die Burg in Salemi in Westsizilien zu beurteilen, deren von Teilen der Forschung behaupteter, unvollendeter Neubau noch in friderizianischer Zeit nicht zu beweisen ist. Schon ihr runder Hauptturm mit mehreren sterngewölbten Rundsälen übereinander belegt hier einen ganz direkten französischen Einfluss, der in Süditalien eher im späten 13. Jh. vorstellbar ist (vgl. Abb. 150). Dazu passt auch die konsequente Anordnung besonders hoher Schlitzscharten, die man hier nicht nur im untersten Geschoss des Rundturmes findet, sondern auch in den anderen Mauertürmen und der Ringmauer – ein Phänomen, das in Frankreich schon in den 1220er-Jahren gar nicht auffiele, für das man süditalienische Vergleiche aber erst in angevinischen, in der Regel königlichen Bauten der Zeit ab 1270–80 findet. Mangels Schießscharten waren die Türme friderizianischer Burgen nur von ihrer Plattform aus zu verteidigen, was als letzte Fragen zu diesem Thema jene nach der Höhe der Türme und nach der Art der Brustwehren
aufwirft – beides Fragen, die wegen des Erhaltungszustandes der Türme nur noch selten zu beantworten sind. Denn den weitaus meisten Türmen fehlen die originalen oberen Abschlüsse, entweder weil sie nie vollendet wurden – was oft nur vermutet werden kann – oder weil man sie später abgetragen und neu gestaltet hat, insbesondere im Zeitalter der aufkommenden Artillerie. Tatsächlich sind nur in drei Fällen Türme so unverändert erhalten geblieben, dass noch Aussagen über ihre originale Höhe und die Brustwehren möglich sind. Die in einer späteren Erhöhung verbaut erhaltenen originalen Zinnen des bewohnbaren Hauptturmes von Melfi wurden schon erwähnt; der Turm dürfte demnach, soweit dies ohne Aufmaß schätzbar ist, ursprünglich etwa 20 m hoch gewesen sein. In Gioia del Colle wurden die Brustwehren der Türme und Flügel zwar sicherlich im frühen 20. Jh. restauriert, dürften aber in ihrer Grundsubstanz mit Schlitzscharten, aber offenbar ohne Zinnen, noch original sein; hier war der größte Turm („Torre De´ Rossi“) knapp 30 m hoch, der im Grundriss kaum kleinere Nachbarturm („Torre Imperatrice“) immerhin noch etwa 24 m (vgl. Abb. 172). Die „Torre di Federico“ in Enna schließlich – ein Sonderfall, weil der Turm isoliert im Burginneren stand – hätte im
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Falle der Vollendung auch des zweiten Obergeschosses eine Höhe von etwa 33 m erreicht; die Plattform sollte zumindest an der Seite gegen das Burgtor steile Senkscharten (vgl. Abb. 188) erhalten. Es spricht schließlich einiges dafür, dass auf den Türmen friderizianischer Burgen nicht nur Bögen und Armbrüste zum Einsatz kamen, von schlichten Wurfgeschossen wie Steinen ganz abgesehen. Denn bereits der um 1195/97, also noch zu Zeiten Heinrichs VI. entstandene Liber ad honorem Augusti (= Buch zu Ehren des Kaisers) zeigt bei mehreren Gelegenheiten Zugbliden auf Türmen, die im Text als funda (Schleuder) bezeichnet werden (Abb. 90). Die Geschosse solch kleinerer Wurfgeschütze, deren langer Arm noch nicht durch ein Gegengewicht bewegt wurden, sondern durch die Muskelkraft mehrerer Männer, waren sicher noch nicht geeignet, Mauern zu zerstören, aber sie vergrößerten fraglos das Schussfeld der Verteidiger, vor allem bei ihrer hohen Aufstellung.
Zwinger
Zwingermauern – in den beiden Variationen als einerseits räumlich begrenzter, ausschließlich einem Tor zugeordneter Torzwinger und andererseits als „umlaufender“ Zwinger vor der gesamten Hauptmauer einer Befestigung oder zumindest einem großen Teilabschnitt – gelten in den meisten europäischen Ländern als typisch spät-
mittelalterliche Befestigungselemente, die meist erst im 14./15. Jh. entstanden sind. Die Anfänge insbesondere der Torzwinger können aber durchaus noch weiter zurückgehen, nämlich mindestens in die 2. Hälfte des 13. Jh., auch wenn die genaue Datierung vielfach schwierig zu bestimmen und daher oft umstritten ist. Im Reich Friedrichs II., das mit seinem Tod 1250 endete, würde man also vor dem Hintergrund dieser herrschenden Auffassung a priori noch nicht unbedingt Zwingeranlagen erwarten und in der Tat findet man hier nur drei frühe Beispiele, deren Bedeutung damit aber umso höher einzuschätzen ist. Das aus mehreren Gründen wichtigste Beispiel ist Trani, wo der die Burg umlaufende Zwinger nicht nur sehr weitgehend erhalten ist, sondern auch anlässlich mehrerer Restaurierungen relativ genau untersucht und dokumentiert werden konnte – und der vor allem inschriftlich datiert ist. Die Datierung findet man auf einer Inschrifttafel über dem Westtor (Abb. 91), wo die Planung der Anlage (circa castrum munitio talis et ante) dem Herrn von Conversano und Kastellan in Bari, Philippus Cinardus, zugeschrieben und außerdem auch der aus Trani selbst stammende Bauunternehmer genannt wird (Stephani Romoaldi Carabarensis). Dieser Zwinger, der als nahezu perfektes Quadrat die Gesamtanlage umgab, verzichtete auf alle vorspringenden Teile wie insbesondere Ecktürme (vgl. Abb. 35) – bemerkenswert für einen Bau, der gleichzeitig mit Castel del Monte, Catania und Syra-
Abb. 91 Trani, die Inschrifttafel von 1249 über dem westlichen Tor des Zwingers, die dessen Entwerfer und den Bauunternehmer nennt.
2.5. Die Bauteile
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Abb. 92 Trani, zwei Scharten in einem Teil des Wehrganges der Zwingermauer, der an dieser Stelle im 16. Jh. nicht massiv ausgemauert wurde.
kus entstand. Dafür aber versuchte der Entwerfer mit beachtlichem Aufwand, den fortifikatorischen Mangel der meisten friderizianischen Burgen zu beheben, nämlich das Fehlen von Schießscharten. Die Zwingermauer war nämlich mit einem umlaufenden Gang in der Mauerdicke ausgestattet, aus dem dicht gereihte Schlitzscharten den Beschuss des Vorgeländes ermöglichten (Abb. 92); wohl im 16. Jh. wurde dieser Gang allerdings bis auf wenige Abschnitte massiv ausgemauert, weil er sonst dem Artilleriebeschuss nicht widerstanden hätte. Auch die Mehrheit von Auslässen – je ein Tor an den drei Landseiten, dazu eine Nebenpforte in den südlichen Graben – verdeutlicht, dass hier in den 1240er-Jahren ein ganz entschiedener Paradigmenwechsel vollzogen wurde, nämlich von der ausschließlich passiven Verteidigung zur Beherrschung des Vorfeldes durch Schützenstellungen und die Möglichkeiten zu Ausfällen.
Abb. 93 Castel del Monte, die bei Restaurierungen im späten 19. Jh. ergrabenen Mauerreste des offenbar nie vollendeten Zwingers, dunkel angelegt und jeweils mit „b“ bezeichnet. Plan des Architekten E. Bernich, 1892.
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Wie die Zwingermauer um das Castel del Monte hätte gestaltet werden sollen, die nach den Grabungen der 1880er-Jahre begonnen wurde, aber offenbar nicht über Fundamente hinauskam, wissen wir natürlich nicht (Abb. 93). Aber der Vergleich mit dem gleichzeitig entstandenen Zwinger des nur 30 km entfernten Trani legt nahe, dass hier etwas recht Ähnliches geplant war, nämlich eine turmlose und daher vermutlich intensiv mit Scharten ausgestattete Mauer. Und als drittes Beispiel in derselben Region ist schließlich die Burg in Sannicandro di Bari zu nennen, zu deren jüngsten Bauteilen auch eine die gesamte Anlage polygonal umfassende Zwingermauer gehört; ihre original erhaltenen Teile zeigen vereinzelte hohe Schlitzscharten, wie sie auch die in der gleichen Ausbauphase entstandenen Türme der Burg enthalten (vgl. Abb. 77). Diese drei Fälle, die wohl alle erst in die 1240er-Jahre und damit in die Endzeit der Regierung Friedrichs II. gehören, stellen die frühesten Belege einer Entwicklung dar, die sich dann erst unter der angevinischen Herrschaft stärker entfalten sollte (vgl. 3. Süditalienischer Burgenbau nach Friedrich II.). Denn bei den wesentlich besser dokumentierten Baumaßnahmen dieser anschließenden Phase wird der Bau von Zwingern verschiedentlich erwähnt und erhaltene Bauteile wie insbesondere der mit neun teils sehr großen Türmen und zahlreichen langen Senkscharten ausgestattete äußere Mauerring von Melfi vermitteln deutlich, dass die Entwicklung in Süditalien erst damals etwas verspätet Anschluss an den internationalen Stand gewann. Nun erst verwirklichten die französischen Baumeister Karls I. (reg. 1266–85) mehrere Burgen, bei denen der flankierende Schuss aus der Deckung der Türme und Mauern heraus eine zentrale Rolle spielte – das hocheffektive Prinzip der Flankierung, das dann im gesamten Spätmittelalter und in ganz Europa seine Bedeutung behielt. Ein letzter, mit der Form des Zwingers verwandter Bauteil, den man vor allem aus der Kenntnis des deutschen Burgenbaues heraus auch bei den Burgen Friedrich II. erwarten könnte, sind Vorburgen bzw. befestigte Wirtschaftshöfe. Auch in dieser Hinsicht sind große Unterschiede zwischen den Regionen zu vermerken, denn derartige Anlagen fehlten in Süditalien offenbar fast völlig. Von einer wirklichen Vorburg kann im Grunde nur beim „Castello della Lombardia“ in Enna die Rede sein, wo der dritte, angriffsseitig dem Bereich der älteren Befestigung vorgelagerte Hof mit seiner dreitürmigen Front
offenbar erst beim staufischen Neubau der gesamten Burg entstand, während die ältere, in byzantinische Zeit zurückgehende Befestigung an dem weiter innen liegenden Quergraben endete (vgl. Abb. 186); über die Nutzung dieses vorgelagerten Hofes wissen wir allerdings nichts, außer dass ein Eckturm zu einer Kapelle gehört haben dürfte bzw. sie sogar enthielt. Ob die beiden Terrassen der nur rudimentär erhaltenen Burg in Agira als Kern- und Vorburg genutzt wurden oder sich einfach nur aus der Bergform ergaben (vgl. Abb. 185), muss offenbleiben und natürlich wissen wir auch nicht, ob der vor dem Tor der Kernanlage vorspringende, nie vollendete Zwinger des Castel del Monte Wirtschaftsgebäude wie etwa Ställe hätte aufnehmen sollen; dass er eine große Zisterne schützen sollte, ist aber durch deren Erhaltung belegt. Im Falle der Rocca Janula findet man zwar heute eine Trennung in eine kleine Kernburg und eine Vorburg mit erneuerten Nebengebäuden, aber die Forschungen von Pio Francesco Pistilli haben gezeigt, dass dies erst das Ergebnis einer nachträglichen Aufteilung ist, wobei man an der staufischen Zeitstellung der Trennmauer sogar zweifeln muss. Schließlich wendet das Castel Maniace in Syrakus der allein zugänglichen Seite ein so prachtvolles, für die Verteidigung gänzlich ungeeignetes Portal zu (vgl. Abb. 117), dass man eine zusätzlich vorgelagerte Verteidigungslinie unterstellen muss; diese ist auch geräumig und mit tiefem Graben vorhanden, stammt aber in der heutigen Form vollständig aus dem 16. Jh. Diese insgesamt spärlichen Befunde kann man nur so interpretieren, dass Vorburgen oder befestigte Wirtschaftshöfe bei den friderizianischen Burgen im Königreich Sizilien unüblich waren. In den meisten Fällen ist dies sicherlich damit zu erklären, dass die Burgen mit Städten verbunden waren, die sowohl die Versorgungsfunktionen als auch die einer vorgelagerten Befestigung übernehmen konnten; und in den Fällen, bei denen es sich nur um unbefestigte Siedlungen handelte, war zumindest der wirtschaftliche Aspekt gegeben, etwa in Gioia del Colle oder Lagopesole. Dennoch gibt auch das Fehlen von Vorburgen – wie schon das der Schießscharten –, der Zwinger und wohl sogar der Gräben weiteren Anlass zu Reflexionen über das sehr traditionelle bzw. passive Verteidigungskonzept der meisten friderizianischen Burgen, das – von ersten Fortschritten in den 1240er-Jahren abgesehen – wirklich noch fast ausschließlich auf Mauerdicke und Verteidigung von der Höhe der Mauern und Türme setzte.
2.5. Die Bauteile
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2.6. ENTWERFER UND BAUVERWALTER Heute scheint es selbstverständlich, dass man für praktisch jedes Gebäude den Namen des entwerfenden Architekten kennt, auch wenn der Bau schon etwas älter ist. Sein Name ist in den Akten der Bauämter, in Architekturzeitschriften und auf viele andere Arten dokumentiert, insbesondere dann, wenn er aufgrund einer Mehrzahl besonders gelungener Bauten als hervorragender Künstler galt. So zumindest ist es seit dem späten 19. Jh. – dass es früher und damit auch im Königreich Sizilien des mittleren 13. Jh. noch ganz anders war mit der Folge, dass wir über die damals für den Kaiser und vielleicht weitere Bauherren tätigen Entwerfern so gut wie nichts wissen, hat mehrere Gründe. Selbstverständlich muss es auch im 13. Jh. schon Persönlichkeiten mit Spezialkenntnissen gegeben haben, die anspruchsvolle Bauwerke wie Kirchen, Burgen oder Stadtpaläste entwarfen. Aber eine Hochachtung, wie sie heute Architekten und anderen Künstlern entgegengebracht wird, gab es damals noch nicht. Solche Personen mögen damals in den eng begrenzten Kreisen ihrer potenziellen Auftraggeber durchaus ein besonderes Ansehen genossen haben, aber Derartiges fand nach den Üblichkeiten der Zeit kaum je den Weg in eine Art von Schriftstücken, die uns heute über die Namen derartiger Entwerfer bzw. „Architekten“ informieren könnten. Grundsätzlich kann man an drei Gruppen innerhalb der damaligen Gesellschaft denken, aus denen theoretisch Persönlichkeiten mit besonderen entwurflichen bzw. gestalterischen Fähigkeiten hervorgegangen sein könnten. Da waren zunächst einmal die Steinmetze, die in Apulien mit der reichen, oft skulpturalen Ornamentik seiner romanischen Sakralbauten zweifellos zahlreich und in vielen Fällen auch künstlerisch begabt waren. Aus der Gotik in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern wissen wir, dass manche der berühmten, im Sakralbau tätigen Baumeister des 13.–16. Jh. ursprünglich Steinmetzen waren, die sich zu Entwerfern auch hochkomplexer Bauten weitergebildet hatten, zu Architekten also in einem modernen Sinne. Im Süditalien Friedrichs II. fehlen zwar schriftliche Hinweise auf Architekten solcher Herkunft, was aber nicht bedeuten muss, dass es sie nicht gegeben hat. Es kann ebenso gut sein, dass sie aufgrund ihrer nichtadeligen Herkunft als nicht erwähnenswert galten – sie waren wie alle anderen am Bau Tätigen „Diener“ ihrer adeligen Herren und Auftraggeber, deren Arbeit als nicht besonders erwähnens- oder gar rühmenswert galt.
Als Beispiel eines offenbar nichtadeligen, sondern allein durch seine handwerkliche Kompetenz ausgewiesenen Bauausführenden darf man wohl jenen „Meister“ (p[ro]to[magister]) Bartholomeus ansprechen, der laut der isoliert erhaltenen Bauinschrift in Foggia dort „baute“ (construxit; vgl. Abb. 163) – aber war er wirklich der Entwerfer, nicht vielleicht nur ein Bauleiter oder verantwortlicher Bauunternehmer? Angesichts des Verschwindens der Bauten in Foggia würde uns selbst dieses Wissen nicht weiterführen, wenn wir es denn hätten. Als weiteren Fall eines offenbar einfachen Mannes ohne Nachnamen oder gar Titel kann man jenen „Fuccio“ ansprechen, der im 16. Jh. von Vasari als Erbauer des Jagdhauses in Gravina di Puglia genannt wurde. Offenbar verfügte Vasari noch über Schriftquellen, die uns heute fehlen; wie zuverlässig diese Quellen waren, bleibt dabei aber offen und damit erst recht die Frage, welche Leistungen dieser Fuccio genau erbracht hat. Eine zweite soziale Gruppe, der man prinzipiell eine Einarbeitung in künstlerische und entwurfliche Aufgabenbereiche zutrauen darf, weil sie einerseits eine gewisse Nähe dazu und andererseits auch die Zeit dafür mitbrachten, waren Geistliche. Es gibt tatsächlich eine Notiz aus einer relativ frühen Phase von Friedrichs II. Regierungszeit in Süditalien, die in diese Richtung deutet; sie entstand bei einem Mönchsorden, dessen Schriftüberlieferung wesentlich besser erhalten ist als die der kaiserlichen Kanzlei und Verwaltung. 1224 nämlich – vier Jahre, nachdem Friedrich aus Deutschland zurückgekehrt war, aber vor den frühesten Baudaten, die wir für seine süditalienischen Burgen kennen – entstand die schon erwähnte Notiz (vgl. 2.1. Zur Forschungsgeschichte) in der Chronik des kampanischen Zisterzienserklosters Santa Maria de Ferraria, nach der der Kaiser Laienbrüder aus den Klöstern dieses Ordens angefordert habe, ihm „Burgen und Häuser zu bauen“ (ad construenda castra et domicilia). Diese Notiz ist unter mehreren Aspekten glaubwürdig, denn einerseits waren die mit praktischen Aufgaben betrauten Laienbrüder, die die Zisterzienser in ihren über ganz Europa verstreuten Klöstern unterhielten, bekannt für ihre professionellen Fähigkeiten beim Bauen. Und dass andererseits bei den Bauaktivitäten, die sie in der 1. Hälfte Europas in vielen ihrer Klöster, auch in Italien, entwickelten, viele französisch-burgundisch geprägte Detailformen auftraten, die auch an den friderizianischen Burgen festzustellen sind, ist vor allem von Renate Wagner-Rieger herausgearbei-
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Abb. 94 Die Westfassaden der zisterziensischen Klosterkirche Casamari (Latium, 1203-17; unten) und des Domes von Cosenza (Weihe 1222, restauriert). Beide Kirchen sind von Luca Campano entworfen, dem Abt von Casamari und Bischof von Cosenza.
2.6. Entwerfer und Bauverwalter
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tet worden und in der Tat unübersehbar. Es liegt schon deshalb nahe, weil der Orden 1098 in Burgund gegründet worden war und dort auch die Anfänge seiner rasanten Entwicklung stattfanden. Im Einzelnen hilft diese Notiz wegen der fehlenden Angaben zu konkreten Bauten allerdings wenig weiter. Man kann allenfalls Vermutungen über Zusammenhänge im Einzelfall entwickeln, von denen eines als Beispiel angeführt sei. Luca Campano, der für seine Fähigkeiten als Architekt berühmte Abt des Zisterzienserklosters Casamari, wo eine neue Kirche 1203–17 entstand, wurde spätestens 1203 auch zum Erzbischof von Cosenza ernannt und errichtete dort den Dom neu, der 1222 in Gegenwart Friedrichs II. geweiht wurde und in vielerlei Hinsicht Merkmale einer zisterziensischen Klosterkirche trägt bzw. der Kirche von Casamari ähnelt (Abb. 94). Luca Campano scheint 1227 gestorben zu sein; nur wenige Jahre später – nach zwei Erdbeben 1230 und 1239 im Bau – entstand auf dem Berg über Dom und Stadt Cosenza eine der architektonisch anspruchsvollsten Burgen Friedrichs II., die in mancher Hinsicht als formaler Vorläufer von Castel del Monte gelten kann. Darf man daraus vielleicht schließen, dass der Entwurf der Burg noch von Luca Campano stammte, der folglich auch postum eine Art Schöpfer von Castel del Monte gewesen wäre? Oder – weniger sensationell, aber in den Zeitabläufen widerspruchsfreier – könnte der Entwerfer der Burgen Cosenza und Castel del Monte nicht ein besonders fähiger Schüler des Luca Campano gewesen sein? So verführerisch solche Gedankengänge sein mögen – beweisbar sind sie natürlich nicht. Das beginnt schon damit, dass es in einem Brief des Kaisers 1239 um die Verstärkung von Bögen oder Gewölben der Burg in Cosenza geht, was auch noch die freilich recht nebelhafte ältere Burg in Cosenza betroffen haben könnte. Dann wäre der erhaltene Bau erst in den 1240er-Jahren begonnen worden, also noch länger nach dem Tod des Bischofs – genauso unbeweisbar, aber grundsätzlich natürlich möglich. Folglich können wir also sowohl durch eine Schriftquelle als auch durch häufig beachtlich ähnliche Bauformen eine starke Beziehung zwischen zisterziensischen Bauten und friderizianischen Burgen belegen – aber die beweiskräftige Konkretion im Einzelfall bleibt uns letztlich verschlossen. Eine dritte und letzte soziale Gruppe, deren Angehörige aufgrund ihrer privilegierten Lebensverhältnisse Fähigkeiten zum architektonischen Entwerfen hätten entwickeln können, waren natürlich die Adeligen; in ge-
wisser Weise darf man ihnen schon die Baumeister aus dem Zisterzienserorden zurechnen, da die eigentlichen Brüder – im Gegensatz zu ihren Konversen – in der Regel fraglos adeliger Herkunft waren. Die in diesem Zusammenhang interessanteste, aber auch umstrittenste Persönlichkeit ist der magister Richard von Lentini, der in dem einzig erhaltenen Kanzleiregister von 1239/40 als prepositus novorum hedificorum bezeichnet wird und in einem Vertrag von 1249 als magister edificiorum imperialis Curie – also „Aufseher der neuen Bauten“ und gar „Kaiserlicher Hofbaumeister“. Seine Zuständigkeit bezog sich nach seinen namentlichen Erwähnungen insbesondere auf die späten Burgen Siziliens, also Milazzo, Lentini, Syrakus, Catania und Augusta; offenbar verstärkte er auch die Befestigungen der Städte Messina und Caltagirone und wohnte 1249 in Augusta. Ob der 1246 in Prato als Zeuge auftretende Ricciardo magister castri imperatoris ebenfalls mit Richard von Lentini identisch war, ist allerdings zu Recht als unbeweisbar bezeichnet worden. Dass Richard im letzten Lebensjahrzehnt Friedrichs an leitender Stelle für den Bau neuer Burgen zuständig war, zumindest für jene Siziliens, ist nach diesen Quellen nicht zu bezweifeln. Aber was genau war seine Tätigkeit? War er wirklich der Entwerfer dieser Burgen, ihr ästhetischer Schöpfer bzw. „Architekt“ in einem modernen Sinne? Eben diese Hypothese fasste Pio Francesco Pistilli zusammen und gründete sie vor allem auf die geometrische Konsequenz und zisterziensische Prägung der späten Kastelle; die Ausbildung Richards versuchte er dabei auf die „cultura architettonica dell´ordine monastico“ zu beziehen, insbesondere auf die ehemalige Abtei Roccadia bei Lentini. Er erklärte Richard damit also – anknüpfend an Giuseppe Agnellos ältere Überlegungen zu einem Baubüro („organismo tecnico“) unter Richards Leitung – versuchsweise zu jenem kreativen „mastermind“, dem die späten Idealbauten Friedrichs II. zu verdanken seien. Was ist von dieser Hypothese zu halten? Die deutsche Forschung zur Frage mittelalterlicher „Architekten“ ist nach längerer Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, dass jene Persönlichkeiten, die in mittelalterlichen Quellen scheinbar als solche angesprochen wurden, in den meisten Fällen durchaus keine schöpferischen Künstler im Sinne eines modernen Verständnisses waren, sondern vielmehr vom Bauherrn beauftragte Verwalter – Organisatoren bzw. Funktionäre, denen die Aufsicht über den Baufortgang übertragen war und die daher am Ende si-
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cherlich auch die Abrechnung prüften, aber nicht zwingend kreative Köpfe. Dass der eine oder andere dieser Aufseher auch über die Fähigkeit zum Entwerfen verfügt haben mag, ist dabei natürlich auch nicht sicher auszuschließen, aber – und das ist der entscheidende Punkt: Der Charakter mittelalterlicher Quellen, auch jener aus dem Königreich Sizilien, erlaubt es nicht, in dieser Frage zu definitiven Erkenntnissen zu kommen, weder im positiven noch im negativen Sinne. Pistillis These ist daher interessant, auch weil sie an die Problematik des Themas heranführt – letztlich beweisbar ist sie nicht. Zumindest eine Beobachtung zwingt jedenfalls zu einer Differenzierung der These von Pistilli. Richard von Lentini war definitiv in irgendeiner Weise für den Bau der Kastelle in Catania und Syrakus einerseits, in Augusta und Milazzo andererseits zuständig. Ist es dann aber denkbar, dass derselbe Entwerfer einerseits die formal äußerst strengen und zugleich perfekt proportionierten wie ästhetisch beeindruckenden Bauten in Catania und Syrakus entworfen hat, daneben aber einen vergleichsweise konservativen und schlichten, wenn auch grundrisslich strengen Bau wie Augusta und womöglich gar eine entwurflich so primitive Variante eines Kastells wie Milazzo? Das Mindeste, was man einem solchen Vergleich entnehmen muss, ist doch wohl, dass Richard – falls er denn nicht nur der Bauaufseher, sondern in anderen Fällen auch der Entwerfer gewesen wäre – in Milazzo diese Aufgabe einem anderen Architekten von sehr viel geringeren entwurflichen Fähigkeiten überlassen hat; dabei dürfte dieser andere Architekt allerdings in fortifikatorischer Hinsicht zugleich fortschrittlicher gewesen sein als sein hypothetischer „Vorgesetzter“, denn Milazzo besitzt bereits Schießscharten – im Gegensatz zu fast allen anderen friderizianischen Burgen. Ob Richard von Lentini aus einer nach dieser Stadt sich nennenden Adelsfamilie stammte oder ob die Bezeichnung „da Lentini“ lediglich die Herkunft eines nichtadeligen Baumeisters angab, ist unklar. Eindeutig (nieder) adelig war dagegen jener Philippus Cinardus, der laut der Inschrift am Zwinger in Trani (vgl. Abb. 91) eben diesen im Jahre 1249 erbaute (… fit circa castrum munitio talis et ante … huic operi formam seriem totumque necesse Philippi Studium Cinardi protulit esse …) und der schon zwei Jahre zuvor Kastellan von Bari gewesen war. Er war zypriotischer – dem Namen nach aber wohl ursprünglich französischer – Herkunft und dominus in Conversano und Terlizzi, was auf einen Adeligen mit Landbesitz im Raum von Bari
und Trani deutet. Bei ihm liegt eine Deutung nicht so sehr als „Architekt“ im heutigen Sinne nahe – also nicht als vor allem ästhetisch qualifizierter Gestalter –, aber doch halbwegs sicher als Befestigungsspezialist, denn der Zwinger in Trani, wo allein sein Name vermerkt wurde, war schon als solcher, aber noch mehr mit dem Gang in der Mauerdecke und den zahllosen Schlitzscharten, in Süditalien ein höchst innovativer Bauteil, auf den vor allem sein Entwerfer durchaus stolz sein konnte. Man darf sich sogar fragen, ob Cinardus nicht eventuell erst aufgrund seiner Leistungen als „Architekt“ in den Adelsstand erhoben und mit Grundbesitz ausgestattet worden sein könnte – aber auch dies muss eine plausible Überlegung bleiben. Die Cinardus´ Namen nennende Inschrift am Zwinger von Trani ist noch in weiterer Hinsicht bemerkenswert, denn sie nennt uns den einzigen ausführenden Bauunternehmer einer friderizianischen Burg, nämlich Stefan Romuald Carabarensis aus Trani (… quoque magis fierent studiis haec fama tranensis prefuit his Stephani Romoaldi Carabarensis …); leider aber wird auch er sonst nirgendwo erwähnt. Das Bild, das wir uns aus diesen wenigen und verstreuten Angaben machen können, vermittelt nur Ahnungen des wirklichen Geschehens und der dahinterstehenden organisatorischen Strukturen. Dass der Kaiser einen Kreis von Höflingen um sich versammelte und dass er an vielen wichtigen Plätzen des Königreichs über weitere Getreue verfügte, die auch höhere Funktionen in der Verwaltung seines Staates übernahmen, ist in vielerlei Hinsicht erforscht und unbestritten. Dass der Kaiser dabei grundsätzlich alle Zügel in der Hand behalten wollte, also auch gelegentlich in praxisnahen Fragen persönlich eingriff, und dass in der Folge die „Zuständigkeiten“ öfter und häufig schwer nachvollziehbar wechselten, sind ebenfalls Punkte, in denen sich die neuere Forschung weitgehend einig ist. Dass zu diesen kaisernahen Funktionsträgern zumindest im letzten Lebens- und Regierungsjahrzehnt Friedrichs auch Richard von Lentini gehörte, zumindest als Oberaufseher der neu entstehenden Kastelle auf Sizilien, vielleicht auch in Prato, ist schließlich hinreichend belegt. Dass allerdings Richard von Lentini zugleich selbst der Entwerfer zumindest all jener sizilianischen Burgen gewesen sei, mit deren Bauvorgang er durch Schriftbelege in Verbindung gebracht wird, kann über eine Hypothese nicht hinauskommen. Fraglos war unter den Baumeistern von Friedrichs Burgen mindestens ein Architekt
2.6. Entwerfer und Bauverwalter
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von herausragender Begabung, der offenbar auch gut über die aktuellen Entwicklungen außerhalb des Königreichs informiert war, vor allem in Frankreich; ihm wird man zumindest Entwurf und Bau von Castel del Monte, vermutlich auch den von Catania und Syrakus und des Tores in Capua zuschreiben können, vielleicht auch noch den weiterer Burgen. Aber diese Deutungen beruhen ausschließlich auf stilistischen Einschätzungen, die praktisch nie tragfähig bzw. eindeutig genug sein können, um die unbezweifelbare Identifikation eines einzelnen Künstlers zu erlauben. Außerdem ist, was die Notwendigkeit dieser Zurückhaltung weiter unterstreicht, auch im Falle der friderizianischen Burgen eine so große Spannweite der entwurflichen Kompetenz und stilistischen Durcharbeitung festzustellen, dass man nicht an einen einzelnen Entwerfer glauben mag. Ganz im Gegenteil drängt sich hier die Annahme auf, dass in den kaum mehr als zehn Jahren – nimmt man Capua und Lucera als relativ frühe Projekte hinzu, so vergrößert sich dieser Zeitraum auf maximal 17 Jahre – eine Mehrzahl von Entwerfern nötig war, um gleichzeitig so viele Bauten zu konzipieren und auszuführen. Ob diese verschiedenen Entwerfer von Richard von Lentini nicht nur überwacht, sondern vielleicht auch entwurflich von ihm angeregt oder angeleitet wurden, mag man diskutieren, ebenso wie die Frage, ob er selbst entwarf und vielleicht sogar der geniale Kopf unter ihnen war – sicher wissen werden wir das aber wohl nie. Und an einer letzten Frage zum Entwerfer der friderizianischen Burgen wird man umso weniger vorbeikommen, je mehr man sich mit der älteren deutschen Literatur zum Thema auseinandergesetzt hat: Könnte Friedrich II. vielleicht selbst der Entwerfer seiner berühmten Burgen gewesen sein? Aus den bisherigen Ausführungen ist sicherlich klar geworden, dass es für eine solche Behauptung keinerlei Belege gibt; sie ist auch angesichts des Aufwandes, die eine solche Tätigkeit von einem viel beschäftigten, ständig reisenden Herrscher verlangt hätte, a priori ganz unwahrscheinlich. Es handelt sich bei dieser Erwägung vielmehr um eine der vielen Spekulationen aus jener Phase des beginnenden 20. Jh., als die Person des Kaisers – anknüpfend an die antipäpstliche Propaganda seiner Zeit und an die weit besser begründete Bewunderung seiner vielfältigen Interessen und Fähigkeiten – allzu sehr überhöht wurde. Zwei Quellen gibt es immerhin, die den Kaiser mit den späten Idealbauten der 1230er-/40er-Jahre persönlich in
Verbindung bringen. Die eine, der viel diskutierte, aber erst nach langen Missverständnissen richtig gedeutete Brief vom 29. Januar 1240, in dem der Kaiser Richard von Montefusco(lo) auffordert, sich um den Bauvertrag (actractus) für Castel del Monte zu kümmern, unterstreicht immerhin, dass die persönliche Befassung des Kaisers mit Aufgaben, für die er eigentlich ja Beauftragte oder gar „Behörden“ geschaffen hatte, auch im Bereich des Bauens durchaus vorkam. Er griff hier ja in Bereiche ein, für die doch eher Richard von Lentini – oder ein diesem Gleichgestellter, aber auf dem Festland wirkender – zuständig gewesen wäre. Dass der Kaiser Castel del Monte selbst entworfen hätte, belegt dieser Brief aber natürlich nicht. Der Deutung des Kaisers als entwerfender Architekt noch näherkommen könnte, zumindest nach Meinung mancher Friedrich-Bewunderer, ein Vermerk des wichtigen Chronisten Richard von San Germano. Er bezeugt nämlich für das Jahr 1234, dass der Kaiser persönlich vor Ort den Bauauftrag für das Capuaner Brückentor erteilt hat. Er habe, so heißt es, den Entwurf des castellum vor Ort eigenhändig bestätigt – also wohl eine Unterschrift geleistet (manu propria consignavit). Das belegt fraglos ein direktes und starkes Interesse des Kaisers an der symbolkräftigen Architektur des Baues, also durchaus die Rolle eines engagierten Bauherrn – aber, dass er selbst der Entwerfer des bestätigten Planes gewesen sei, geht auch aus dieser Notiz keineswegs hervor. Ganz im Gegenteil darf man in der besonderen Betonung der kaiserlichen Anwesenheit und ortsbezogenen Aktivität auch eine weitere Bestätigung dafür sehen, dass eben diese persönliche Anteilnahme eine Ausnahme war.
2.7. STILFRAGEN – ANTIKE, ROMANIK, GOTIK Geht man von der weit überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit aus, die die süditalienischen Burgen Friedrichs II. von wilhelminischer Zeit bis in die 1960er-Jahre und darüber hinaus genossen haben, dann stellt man mit einem gewissen Erstaunen fest, wie wenig bisher auch nach ihrer Einordnung in die europäische Stilentwicklung des 13. Jh. gefragt wurde. Vor dem Versuch, dies wenigstens in Grundzügen nachzuholen, drängt sich daher ein weiteres Mal die Frage nach den Gründen des Versäumnisses auf. Der hier nächstliegende Erklärungsansatz liegt auch darin, dass das Interesse am Thema von Anfang an nicht von eigentlich kunstgeschichtlicher Art war, sondern dass es eher aus einem historischen Ansatz entstand – al-
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lerdings keineswegs im Sinne der unvoreingenommenen Betrachtungsweise, die heutigen Mediävisten selbstverständlich ist, sondern in einer zeitgebundenen, höchst problematischen Weise. In der extrem nationalistischen Epoche des Wilhelminismus und dann des Nationalsozialismus verstand man die Dynastie der Staufer nicht als ein Phänomen, das es mit wissenschaftlicher Zurückhaltung zu interpretieren galt – vielmehr wurden die Herrscher von Friedrich I. bis zu Friedrich II. a priori als Repräsentanten eines einseitig positiv imaginierten „Deutschtums“ vereinnahmt, sie wurden zu Belegen vermeintlich zeitloser deutscher Überlegenheit und „Größe“. Ein solcher Ansatz bot selbstverständlich keinen Nährboden für eigentlich kunsthistorische Fragestellungen, das heißt insbesondere für einen methodisch sauberen Versuch, die Herkunft, Verwendung und Bedeutung der Formen zu klären, die die friderizianischen Bauten Süditaliens prägen. Als dem Zeitgeist entsprechender Ersatz für kritische Analysen und Herleitungen wurde damals vielmehr ein Begriff des „Staufischen“ aus der Taufe gehoben, der nur ganz am Rande kunstgeschichtliche Tatsachen beschreiben wollte, indem er z. B. ziemlich oberflächlich mit dem älteren Begriff des „Übergangsstils“ zur Deckung gebracht wurde. Diese simplifizierende Begriffsbildung vermied die exakte Erfassung und Trennung der Phänomene und ordnete sich von vornherein einem ideologischen Ziel unter, nämlich eben dem Beweis deutscher Überlegenheit über andere Völker. Wäre dieser ungenaue und verfälschende Versuch einer Begriffsbildung mit dem Ende des Nationalsozialismus restlos verschwunden, so würde er heute kein Problem mehr darstellen. Selbstverständlich hörte zumindest die Suche nach vermeintlichen Beweisen deutscher „Größe“ nach 1945 auf, so wie auch die unmenschliche Sprache des Nationalsozialismus verschwand. Aber ein vermeintlich ganz harmloser, weil scheinbar ausschließlich historisch bzw. stilgeschichtlich definierter Begriff wie der des „Staufischen“ überlebte, vor allem auch deswegen, weil er von Burgenforschern und begeisterten Laien am Leben gehalten wurde, insbesondere im deutschen Südwesten, der ursprünglichen Heimat der Staufer. In den Veröffentlichungen der Nachkriegszeit, die in der Regel von recht populärer und vor allem gänzlich unpolitischer Art waren und deren Autoren ohnehin wenig an exakten Definitionen interessiert waren (vgl. 2.1. Zur Forschungsgeschichte), stellte die Unschärfe vieler hergebrachter Begriffe zunächst kein größeres Problem dar. Im
deutschen Raum genügte noch lange eine kaum begründete Pauschaldatierung in die Zeit zwischen dem 12. und dem mittleren 13. Jh., argumentativ möglichst unterstützt von Buckelquadermauerwerk, um eine Burg sofort mit dem Prädikat des „Staufischen“ zu belegen. Unterstützt wurden solche Vorstellungen von einem sehr vereinfachten Bild des mittelalterlichen Adels, bei dem eine irgendwie geartete, oft nur entfernte oder gar unterstellte Beziehung zu den staufischen Herrschern häufig ausreichte, um eine Adels- oder Ministerialenfamilie zu deren treuen Parteigängern und gar architektonischen Propagandisten zu erklären. Besonders problemlos gelang dies verständlicherweise bei den Pfalzen und den Burgen von Reichsdienstmannen im deutschen Raum, aber fast noch besser in Süditalien, weil dort ein adeliger Burgenbau, der mit jenem des Kaisers hätte konkurrieren können, kaum existiert hat. Warum sich die im engeren oder weiteren Sinne „staufischen“ Burgen des deutschen Raumes in vielen unübersehbaren Eigenheiten von jenen im friderizianischen Königreich Sizilien unterscheiden, gehört dabei zu den vielen Fragen, die erstaunlicherweise so gut wie nie gestellt wurden. Dies vorausgeschickt, bleibt im Bereich des Stilistischen vor allem zwei Fragen nachzugehen. Einerseits sind die Schmuckformen der friderizianischen Burgen zu betrachten und es ist nach ihrer Herkunft zu fragen. Dafür steht allerdings – typisch für den Burgenbau – nur begrenztes Material zur Verfügung, vor allem Fensterformen, Säulen, Konsolen und Gewölbedetails; aufwendigere Formen wie Reliefs oder Skulpturen findet man nur selten und meist nur an besonders hervorgehobenen Stellen wie Toren und Portalen, gelegentlich auch auf Fenstertympana. Andererseits bleibt das Thema der Buckelquader zu behandeln, bei dem es vor allem um die noch immer oft wiederholte Behauptung gehen muss, dass diese Art des Mauerwerks ein spezifisch staufisches Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht habe oder dass es gar eine Art Propaganda der Dynastie gewesen sei (vgl. 2.8. Der Mythos des „staufischen“ Buckelquaders). Die süditalienischen Burgen Friedrichs II. entstanden im Wesentlichen in dem kurzen Zeitraum zwischen 1230 und 1250. In dieser Epoche ist aus allgemeiner Kenntnis der Architekturgeschichte davon auszugehen, dass die Schmuckformen die irgendwie geartete Begegnung einer romanischen Formenwelt mit gotischen, das heißt von der französischen Entwicklung geprägten Formen spiegeln. Dies ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, im
2.7. Stilfragen – Antike, Romanik, Gotik
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ehemaligen Königreich Sizilien durchaus der Fall, aber es führt dabei nicht weit, allzu rigide zwischen romanischen und gotischen Formen unterscheiden zu wollen. Denn eine „rein“ romanische Formenwelt ist bei den friderizianischen Burgen kaum noch zu finden, ebenso wenig wie eine bereits ausschließlich gotische. Es handelt sich vielmehr, wie a priori durchaus zu erwarten war, um eine zeitlich ja eng begrenzte Phase des Übergangs, in der Elemente beider Stile in vielfältiger Variation neben- und miteinander auftreten. Man muss also die Kompromisse zu verstehen versuchen, die von den Erbauern zwischen den neuen gotischen Formen und den Traditionen der apulischen Romanik geschlossen wurden; denn die abrupte, vollständige Ablösung einer Formenwelt durch eine neue ohne eine Phase des Übergangs wäre in der
Abb. 95 Bari, das restaurierte Gewände des feldseitigen Tores.
Kunstgeschichte eine extreme Merkwürdigkeit und ist daher auch hier nicht zu erwarten. Darüber hinaus drängt es sich auf, am vorliegenden Beispiel auch die grundsätzliche Frage zu reflektieren, welche Rolle Schmuckformen überhaupt bei einem Bautypus spielen konnten, der primär durch seine Verteidigungsfähigkeit geprägt war und daher nur begrenzte Spielräume für ästhetische Gestaltung zur Verfügung stellen konnte.
Romanische Gesamtanlagen
Lediglich zwei friderizianische Burgen könnte man mit einer gewissen Berechtigung noch als insgesamt romanische Bauwerke ansprechen, nämlich die eng verwandten in Bari und Trani. In Bari ist der romanische Charakter der Schmuckformen tatsächlich so ausgeprägt, dass Teile der Forschung lange vermutet haben, der Bau sei entweder insgesamt oder zumindest zu großen Teilen noch in normannischer Zeit entstanden, in der 2. Hälfte des 12. Jh. Die auffälligsten romanischen Bauteile findet man hier im südwestlichen Eckbereich der vier Flügel, in der sechsjochigen, auf zwei Säulen ruhenden Torhalle, einer sie ergänzenden Loggia in der entsprechenden Hofecke mit einer weiteren Säule und zwei Halbsäulen (vgl. Abb. 62, 65), schließlich in einem Eckraum mit zentraler Säule im Obergeschoss direkt über der Torhalle. Dass all diese Säulen, insbesondere ihre antikisierenden Kapitelle, direkt mit Formen u. a. der Kathedralen von Bitonto, Foggia und Altamura vergleichbar sind, die in den 1220er-/30er-Jahre entstanden, ist früh erkannt worden; die Vertreter einer Datierung der Gesamtanlage vor 1200 mussten daher eine nachträgliche Einfügung der Torhalle annehmen, die aber aus den Baubefunden keineswegs zwingend hervorgeht. Das spitzbogige Gewände des Haupttors (Abb. 95), dessen Archivolte teils figurale Reliefs trägt, dürfte zwar sekundär eingefügt sein und in den Wänden der Torhalle gibt es zwar verschiedene, aber schwer datierbare Umbaubefunde; dabei kann es sich aber durchaus um die Folge von Planänderungen innerhalb einer geschlossenen Bauzeit handeln. Romanisch sind in Bari weiterhin die rundbogigen Biforien des seeseitigen Saales sowie die innen aufwendig gestalteten Okuli der anderen Flügel (Abb. 96), schließlich die Gewölbe zwischen auffällig breiten Gurtbögen, entweder als Gratgewölbe oder im seeseitigen Saal mit mandelförmigen Rippen, von denen aber weitgehend nur die schlichten Konsolen und Bogenansätze erhalten sind (vgl. Abb. 55).
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é Abb. 96 Bari, der Saal im Obergeschoss des Ostflügels
mit seinen an der Innenseite stärker profilierten Okuli. Die Kamine und das Gewölbe stammen aus dem 16. Jh.
Auch die Burg in Trani, eine verkleinerte und regelmäßiger gestaltete Variante von Bari, die wohl auch gleichzeitig begonnen wurde, lässt noch starke Einflüsse der romanischen Sakralarchitektur Apuliens erkennen, vor allem in Form zahlreicher romanischer Kapitelle, Konsolen, Fenstergewände usw. Leider sind diese Werkstücke zum großen Teil nur als Spolien erhalten; sie wurden bei den tiefgreifenden Umbauten des 16. und 19. Jh. als Baumaterial verwendet und sind dann bei Restaurierungen gesichert worden; heute befinden sie sich überwiegend im Burgmuseum. In situ erhalten sind vor allem einige figürliche Konsolen, die in zwei Geschossen die Loggia vor
Abb. 97 Trani, eine figurale Konsole vom ehemals gewölbten Obergeschoss der Loggia vor dem meerseitigen Hauptsaal: Adam und Eva.
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Abb. 98 Prato, Löwenskulptur im Kämpferbereich des stadtseitigen Haupttors; dahinter liegt der Schlitz des Fallgatters.
Abb. 99 Barletta, eine beschädigte Biforie im Obergeschoss des friderizianischen Flügels, mit Adlerrelief im Tympanon.
dem Portal zum meerseitigen Hauptsaal trugen (Abb. 97; vgl. Abb. 63); leider ist die spitzbogig gewölbte und hofseitig sicherlich auf Säulen ruhende Loggia selbst zerstört. Der Zusammenhang der Konsolen und mancher Spolien mit dem apulischen Sakralbau wird hier auch durch die Ikonographie verdeutlicht, denn die dargestellten Themen sind meist biblischer Natur: ein Weltenrichter, der Erzengel Gabriel, die Jungfrau Maria, Adam und Eva u. a. Bari und Trani sind also die einzigen Burgen, bei denen man noch von einer den gesamten Bau erfassenden romanischen Prägung sprechen kann; in allen anderen Fällen erinnern nur noch Einzelformen bzw. Spolien in einer sonst bereits deutlich gotisch geprägten Formenwelt an die beeindruckenden Traditionen des apulischen Sakralbaues. So wurden etwa bei den Ausgrabungen in Castel Fiorentino zwei im Burgenbau Apuliens offenbar einzigartige Reste von Säulenschäften gefunden – von einer Schlangensäule und einer mit Zickzackmuster –, deren ursprüngliche Stelle angesichts des Verschwindens der oberen Geschosse des Jagdhauses aber offenbleibt; in einer Stadt mit ehemals benachbarten Sakralbauten ist bezüglich ihrer Herkunft ohnehin Vorsicht angebracht.
Skulptur
Als vereinzelte Nachklänge der apulischen Romanik, die in sonst schon gotisch geprägte Bauten integriert wurden, muss man die schon im Falle von Trani angesprochene, aber sonst in Burgen dieser Epoche seltene Ausstattung mit Skulpturen ansprechen. Problemlos herzuleiten sind die weit vorspringenden Löwenskulpturen, die in die antikisierende Portale von Castel del Monte und Prato (Abb. 98) integriert wurden und Kirchenportale des 12. Jh. zitieren, wo sie in der Regel als Symbole der Stärke bzw. als Wächter gedeutet werden – was zur Übertragung auf eine Burg durchaus passt. Auch in Trani ist ein Löwenkopf romanischer Prägung museal bewahrt, dessen ursprüngliche Stelle aber unbekannt bleibt, insbesondere, da dort die erste Kapelle nicht lokalisiert ist. Eine naheliegende und daher verbreitete Deutung gibt es auch für die Adler, die man als Relief auf zwei Fenstertympana in Barletta, auf der Archivolte des Haupttors in Bari und am Portalrest des Palastes in Foggia findet (Abb. 99; vgl. Abb. 95, 162). Sie werden in der Regel als Symbole des Reichs, das heißt der kaiserlichen Gewalt Friedrichs II., angesprochen, wobei freilich das nicht seltene Auftreten auch im Sakralbau nicht nur
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Apuliens, etwa an Kapitellen oder Kanzeln, zu denken gibt, denn die enge Beziehung zu Kaiser und Reich ist keineswegs überall gleich plausibel. Am ehesten wird man diese Deutung noch dort für gesichert halten, wo die Adlerdarstellung einen direkten Bezug zum Haupttor hat wie in Bari, wo das Adlerrelief zwar von weiteren Menschen- und Tierfiguren flankiert ist, aber immerhin die Bogenspitze einnimmt (vgl. Abb. 95). Schwer anzuzweifeln ist auch die Bedeutung der Adlerskulptur in Catania, wo sie unter gotischem Baldachin weithin sichtbar seitlich über dem Haupttor thront als wahrscheinlich einzige Skulptur des gesamten Baues (Abb. 100). In Syrakus, dem benachbarten sizilianischen Idealbau, wurden die wenigen skulpturalen Teile erstaunlicherweise geradezu versteckt, nämlich als Gewölbekonsolen in den kurzen Gängen, die zu den Wendeltreppen in zwei Türmen und gleichzeitig zu Aborten führten – offenbar hätten sie die dort schon angestrebte Klarheit der großen, von gotischen Formen geprägten Säulenhalle sonst gestört; ähnlich könnte man auch die Beschränkung skulpturaler Konsolen und Schlusssteine auf die Turmräume in Castel del Monte beschreiben. Die Deutung, dass hier ein nach gotischer Klarheit und Strenge strebender Entwerfer einen Kompromiss mit der apulischen Tradition reichen skulpturalen Schmucks gesucht hat, drängt sich auf. Im Übrigen kann man auch einzelne skulptural gestaltete Konsolen noch als bescheidene Reminiszenzen an romanischen Formenreichtum sehen, so etwa jene über dem Hocheinstieg des Wohnturms von Lagopesole (Abb. 101) oder auch die weit vorstehenden, mit Blattornamentik versehenen Konsolen der Herrschaftsloge in der dortigen Kapelle, schließlich zumindest einzelne der vielen Konsolen, die in den Sälen von Lagopesole Schwibbögen trugen, die sich aber den Platz ebenfalls bereits mit Konsolen in antikisierenden und auch bereits gotischen Formen teilen müssen.
Romanische Fenster-, Pforten- und Torformen
Im Gegensatz zu skulpturalen Teilen sind Fenster, Pforten und Tore Bauteile, die die Kunstgeschichte bei der in ihrem Zentrum stehenden Behandlung von Sakralbauten meist nicht wirklich zur „Ornamentik“ rechnet oder die zumindest oft als nachrangig behandelt werden. Im Burgenbau, der nicht nur aus fortifikatorischen Gründen, sondern auch wegen der kraftvollen Symbolik geschlossener Mauerflächen viel weitgehender auf Or-
Abb. 100 Catania, Nische mit Adlerskulptur an der stadtseitigen Eingangsfassade, schräg oberhalb des Haupttors; auch das Fenster dürfte noch aus der ursprünglichen Bauzeit stammen.
namentik im eigentlichen Sinne verzichtet, kam ihnen aber eine erhöhte Bedeutung zu, weil sie die mindestens wichtigsten, wenn nicht gar einzigen Elemente waren, die dazu geeignet waren, die Mauerflächen wirkungsvoll zu gliedern. Beginnt man mit jenen kleinen, einlichtigen Fenstern – die im internationalen Burgenbau allgemein weitverbreitet waren, wo sie vor allem untergeordnete Räume, insbesondere im Erdgeschoss, belichteten und belüfteten –, so traten sie selbstverständlich auch im friderizianischen Burgenbau vielfach auf. Dabei sind sie hier aber auch im Hauptgeschoss zu finden, wo sie wegen des sehr hellen Lichts des Mittelmeerraumes offenbar zur Erhellung der Räume völlig genügten. Ob solche Fenster – und vielleicht auch größere – in der Regel oder zumindest manchmal verglast waren, ist dabei eine interessante Frage, die offenbar noch nie untersucht wurde; nur in Castel Fiorentino ist archäologisch Fensterglas nachgewiesen, wobei
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ç Abb. 101
Lagopesole, die Kopfkonsolen über dem Hocheinstieg des freistehenden Wohnturmes im „Kleinen Hof“ der Burg – von der lokalen Bevölkerung als Darstellung Friedrichs II. und seiner Geliebten Bianca Lancia gedeutet.
aber gerade dort kein einziges Fenstergewände erhalten ist. Der eindrucksvollste Fall solcher monoforen Fenster auch im Hauptgeschoss war das Castel Maniace in Syrakus, dessen Vielstützenhalle fast ausschließlich durch schmale, trichterförmige Rundbogenfenster belichtet wurde, die – entsprechend den Jochen der Halle – die vier Außenwände des Baues in leichter Höhenstaffelung symmetrisch gliederten (Abb. 102); ein einziges reich geschmücktes Doppelfenster durchbrach dort diese Ordnung. Am häufigsten war bei den kleinen Monoforen oder Schlitzfenstern die Rundbogenform, etwa noch im Erdgeschoss von Castel del Monte; daneben kommen – wohl bereits ein gotischer Einfluss – aber auch rechteckige Fenster vor, deutlich seltener spitzbogige (Catania, Gioia del Colle) und als ausgesprochene Ausnahmen solche mit einem Kleeblattbogen als Abschluss (Lagopesole). Deutlich größere rundbogige Monoforen, insbesondere in Haupträumen, gab es dagegen so gut wie gar nicht; das einzige Beispiel, das ich notieren konnte, öffnete sich im Saal des Hauptbaues von Milazzo, außen gestuft und zweifach mit Rundstab geschmückt (Abb. 103). Milazzo ist dabei allgemein ein Bau von geringer architektonischer Qualität, was vielleicht auch die Erklärung für das Auftreten einer so ungewöhnlichen bzw. unmodernen Form sein könnte; interessanterweise herrscht auch an dieser Burg sonst der Spitzbogen vor, insbesondere an den Toren, die ganz ähnlich profiliert sind wie dieses Fenster. Wäre es sicherlich überzogen, für diese kleinen Fenster allein aufgrund der Bogen- oder Rechteckabschlüsse zwischen „romanisch“ und „gotisch“ unterscheiden zu wollen, so tritt an den friderizianischen Burgen daneben aber noch eine zweite Form kleiner Fenster auf, die sich
fraglos vom romanischen Sakralbau Apuliens ableitet, nämlich Oberlichter in Kreisform (Okuli) sowie solche in Form eines auf die Spitze gestellten Quadrats. Okuli in geradezu monumentaler Größe und Detailgestaltung, die zugleich auch die Außenansicht der Flügel bzw. Ringmauern strukturierten, findet man vor allem wieder in den gleichzeitigen und konzeptionell eng verwandten Burgen von Bari und Trani, in Bari aus weißem, marmorartigem Stein, der sie zusätzlich hervorhebt (vgl. Abb. 80, 96). Vergleichbar sind ferner die besonders profilierten Rundfenster im oberen Teil der Türme von Gioia del Colle (Abb. 104) und weitere, einfachere Formen in Lagopesole. In Palazzo San Gervasio belichteten rekonstruierbare acht kleine Okuli als Oberlichter sowohl das Erd- als auch das herrschaftliche Obergeschoss des Hauptflügels und waren zusammen mit den Biforien und einem Triforium im Obergeschoss zugleich wesentliches Mittel zur Gliederung der symmetrischen Fassade (vgl. Abb. 53). Im Hof des Castel del Monte waren sie dagegen die Aus-
Abb. 103 Milazzo, das einzige größere, den Blick auf das Meer eröffnende Fenster des Saales ist der im friderizianischen Burgenbau sehr seltene Fall eines größeren einlichtigen Rundbogenfensters.
ç Abb. 102
Syrakus, die Ostfassade der Burg war durch rundbogige Monoforen in leichter Höhenstaffelung gegliedert; der rechte Teil der Fassade samt dem Eckturm ist allerdings nach einer Pulverexplosion 1704 erneuert.
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Abb. 104 Gioia del Colle, der südöstliche Eckturm („Torre dell´ Imperatrice“) mit originellen, stark geschmückten Varianten von Monoforen und Okuli
nahme gegenüber einer größeren Anzahl kleiner Rundbogenfenster (vgl. Abb. 64). Die Kombination von Okuli mit ähnlich großen, auf die Spitze gestellten Quadraten, abwechselnd als Oberlichter angeordnet, stammt ein weiteres Mal aus dem romanischen Sakralbau Apuliens, wo sie etwa die Fassade und die Seitenschiffe der Kathedrale von Troia prägen (Abb. 105). Man fand sie aber, noch abwechslungsreicher gruppiert, auch in den drei Geschossen des palatium in Lucera, wo wir aus Zeichnungen des 18. Jh. allerdings nur noch die hofseitigen Wände kennen (vgl. Abb. 160); die verbreiteten Rekonstruktionen der Fensterformen der damals bereits zerstörten Außenwände sind spekulativ. Die Torfassade des Jagdschlosses in Gravina wirkt dagegen wie eine auf die schlichteste Grundform reduzierte Variante der Domfassade von Troia: Das Tor wird symmetrisch von je zwei quadratischen und zwei runden kleinen Oberlichtern flankiert, die trichterförmig, aber unprofiliert sind. Die Gewände der Tore und der Pforten zu wichtigeren Räumen boten schon wegen der generellen Schlichtheit bzw. unauffälligen Anordnung, die für die meisten friderizianischen Burgen charakteristisch ist, und ihrer auch im Falle von Haupttoren recht geringen Größe nur wenig Möglichkeiten für eine reichere bzw. „romanische“ Ornamentik. Am ehesten findet man hier eine mit Blattwerk belegte Archivolte, am spitzbogigen Haupttor von Bari durch kleine Reliefdarstellungen von Menschen und Tieren bereichert (vgl. Abb. 95). Zweireihiges Blattwerk charakterisiert dagegen das nur teilweise erhaltene rundbogige Saalportal in Trani (Abb. 106) und auch den spoliiert erhaltenen, auf Adlerkonsolen ruhenden Portalbogen des kaiserlichen Palastes in Foggia (vgl. Abb. 162).
Abb. 105 Troia bei Foggia, die Westfassade der Kathedrale, deren unterer Teil noch aus der Zeit vor 1120 stammt. Charakteristisch für die apulische Romanik ist der Wechsel von Okuli und auf die Spitze gestellten quadratischen Blendfenstern, der sich ähnlich etwa noch an dem ein Jahrhundert jüngeren palatium von Lucera fand.
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Abb. 106 Trani, vom Portal zum Saal im meerseitigen Flügel ist ein mit Blattwerk geschmückter, äußerer Teil der Archivolte erhalten. Über den figuralen Konsolen ist auch die Spur der Wölbung der ehemaligen Loggia erkennbar.
Abb. 107 Gioia del Colle, Haupttor (links), und Sannicandro di Bari, Tor zur inneren Burg. Teile beider Burgen sind durch besonders anspruchsvolles „kissenförmiges“ Buckelquaderwerk charakterisiert, das nur an diesen beiden Burgen auftritt. Der hier besonders wirkungsvolle „arco lunato“, der nach oben hin anschwellende „mondförmige“ Bogen, war dagegen in Apulien weit verbreitet.
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Eine bescheidenere, aber wirkungsvolle „Schmuckform“, die fraglos aus regionalen Handwerkertraditionen hervorging, ist der „arco lunato“ (= mondförmiger Bogen), der ab dem 12. Jh. an apulischen Sakral- und Profanbauten vielfach zu finden war und auch an den friderizianischen Burgen öfter auftritt. Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass die Bogensteine insbesondere von Portalen, aber auch von Fensterblenden umso länger werden, je mehr sie sich dem höchsten Punkt des Bogens nähern, dass sie also – einer Mondsichel vergleichbar – zur Mitte hin bzw. eben nach oben anschwellen; bei Spitzbogen wirkt das Prinzip optisch noch stärker, weil die Spitze auch des „arco lunato“ das Anschwellen noch zusätzlich unterstreicht. Das Phänomen trat selbstverständlich nur im Quaderbau auf und erzielte seine beste Wirkung bei Spiegelquadern oder kissenförmig überarbeiteten Buckelquadern. Die wichtigsten Beispiele findet man in den formal eng verwandten Fällen von Gioia del Colle und des sekundären Außenringes von Sannicandro di Bari (Abb. 107), aber auch etwas weniger auffällig in Bari, Trani, Matinale, Barletta und weiteren Burgen.
Unterschätzung des gotischen Einflusses
Zieht man an dieser Stelle eine Zwischenbilanz, so kann die wichtigste Feststellung nur lauten, dass die aus der Tradition der apulischen Romanik stammenden Formen im friderizianischen Burgenbau bereits eindeutig auf dem Rückzug waren. Nur in den zwei eng verwandten Fällen von Bari und Trani kann der Begriff der Romanik noch begründet auf eine gesamte Burg angewendet werden. In allen anderen Fällen treten romanische, insbesondere skulpturale Elemente nur noch punktuell an Bauten auf, die im Übrigen schon stark gotisch geprägt sind. Dass diese kaum übersehbare Dominanz gotischer Einzelformen im friderizianischen Burgenbau bisher nur selten deutlich angesprochen oder gar analysiert wurde, ist eine der vielen Merkwürdigkeiten des Themas, die wiederum wohl nur durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren zu erklären ist. Zunächst fehlte sicherlich sowohl den deutschen als auch den italienischen Forschern lange Zeit die Motivation, ihren Blick noch in ein drittes Land bzw. auf dessen Einflüsse zu richten. Für die ältere, bis mindestens in die 1960er-Jahre abgeschwächt nachwirkende deutsche Forschung spielte hier die schon angesprochene nationalistische Prägung eine erhebliche Rolle – es ging eben anfangs vor allem um den Beleg deut-
scher „Größe“, wobei eine allzu klare Betonung von Einflüssen aus dem Land des vermeintlichen „Erbfeindes“ natürlich kontraproduktiv gewesen wäre. Und die erst später einsetzende italienische Forschung, die von derartigen Zielsetzungen natürlich frei war, ist bisher – insoweit durchaus typisch für die Bau- und Kunstgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte – weit überwiegend damit beschäftigt, Einzelbauten aufzuarbeiten. Soweit das Phänomen von ihr überhaupt zusammenfassend in den Blick genommen wird, geschieht dies in der Regel auf einer Ebene, die die historischen Fragen der Epoche und die verschiedenen Kunstgattungen insgesamt thematisiert, wobei für Fragen architektonischer Einflüsse wenig Platz bleibt. Damit ist auch schon ein weiterer Grund für die Einseitigkeit der älteren Forschungsansätze berührt, nämlich die traditionell starke Konzentration der Kunstgeschichte auf das Sakrale bei weitgehender Vernachlässigung des Profanbaues. Zwar sind die Gründe dieser Einseitigkeit durchaus nachvollziehbar, denn der viel reicher gestaltete Kirchenbau bietet einfach entschieden mehr Material für Stilanalysen und die Herleitung bestimmter Formen – abgesehen von der auch heute noch starken religiösen Grundierung des Themas. In einer stärker historisch akzentuierten Sicht ist es jedoch bedauerlich, dass die Kunstgeschichte ihr differenziertes Instrumentarium so wenig auf den Profanbau anwendet, denn a priori ist die Herleitung der Formen, die in den Bauten des Adels, der Fürsten, der Könige und Kaiser verwendet wurden, fraglos ähnlich aussagekräftig wie die Zusammenhänge und Einflüsse im Bereich der kirchlichen Institutionen. Solange die Untersuchungen auch von Profanbauten nicht systematischer betrieben werden, ist also leider immer wieder mit allzu undifferenzierten Darstellungen selbst hochrangiger Phänomene des Profanbaues zu rechnen, die – gerade in der 1. Hälfte des 13. Jh., also in der Blütezeit des Burgenbaues – kaum über die pauschalisierende Feststellung hinauskommen, die Bauten entsprächen einem Misch- bzw. „Übergangsstil“. Das trotz seines Alters und seiner durchaus hohen Qualität immer noch eindrücklichste Beispiel dieser Behandlung des Profanbaues ist die schon mehrfach erwähnte, in den 1950er-Jahren entstandene Abhandlung der österreichischen Kunsthistorikerin Renate Wagner-Rieger über „Die italienische Baukunst zu Beginn der Gotik“, die in ihrem zweiten Band die Entwicklung in Süditalien behandelt. Dort widmete sie nur 24 von insgesamt 273 Sei-
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ten auch den „Schloß- und Wehrbauten“ der (schon als Begriff problematischen) „Hohenstaufenarchitektur“, wobei aber wiederum nur 14 Seiten die „architektonische Stellung der Schloß- und Wehrbauten“ behandeln, während der Rest einerseits Kurzbeschreibungen wichtiger Burgen bietet und andererseits „Sakralbauten im Zusammenhang mit der Hohenstaufenarchitektur“ behandelt. Auf diesen wenigen Seiten weist Wagner-Rieger – neben der Diskussion umayyadischer Anregungen, die inzwischen überholt ist, und der Erwähnung der antiken Vorbilder für Einzelheiten – immerhin auf Zusammenhänge mit der Architektur der Kreuzfahrerstaaten und auf Anregungen durch die Zisterzienserarchitektur bzw. die Architektur Südfrankreichs hin. Das verdeutlicht immerhin, dass ihr Studium des Sakralbaues Erkenntnisse hervorgebracht hatte, die dann andererseits zu durchaus fruchtbaren Fragestellungen auch an den Profan- bzw. Burgenbau führten. Der geringe Umfang der entsprechenden Passage zeigt aber auch, dass detailliertere Vergleiche der Sakral- und Profanbauten auch hier kaum stattgefunden hatten, dass die Verfasserin sich vielmehr weiterhin stark auf die von Stauferbegeisterung geprägte Sicht des Phänomens bezog, die die Zeit zwischen der wilhelminischen Epoche und der frühen Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hatte. Immerhin darf man vermerken, dass Wagner-Rieger Stichworte lieferte, die auch andere Forscher durchaus hätten vertiefen können, was dann aber erst sehr verspätet und nur punktuell geschah; die weiter von staufischer „Größe“ raunende Sicht des Phänomens stand ihrer versachlichten Betrachtung noch im Weg.
Gotische Fenster-, Pforten- und Torformen
Die Biforie war im 12./13. Jh. die weitaus üblichste Form eines repräsentativen, den herrschaftlichen Räumen zugeordneten Fensters im Burgenbau nicht nur Süditaliens, sondern weiter Teile Europas. Die Form bot reiche Variationsmöglichkeiten, von denen man annehmen darf, dass sie den Entwerfern in einer Zeit des Stilwandels besonders willkommen waren. Man konnte die Öffnungen rund-, spitz- oder kleeblattbogig schließen, eine Mittelsäule oder einfache Stütze verwenden, darüber ein Oberlicht in verschiedener Form anordnen, das Gewände profilieren oder das gesamte Fenster mit einer reich gestaltbaren Blende umgeben. Hinzu kam noch die Möglichkeit, die Form zum Triforium weiterzuentwickeln und
Abb. 108 Matinale, Sturz einer rundbogigen Biforie im Obergeschoss des Nordflügels.
so einen Akzent zu setzen, ohne eine neue Form einführen zu müssen. In einem strengen Sinne „romanische“ Biforien, unter ausschließlicher Verwendung des Rundbogens und ohne gotische Details, findet man an den friderizianischen Burgen an drei Stellen, die aber durchweg Fragezeichen erfordern. In Matinale ist nur der Sturz einer relativ kleinen Rundbogenbiforie erhalten mit gekehltem Gewände unter schlichter Spitzbogenblende (Abb. 108). Eine Biforie der „Torre di Marcangione“ von Melfi (vgl. Abb. 87) ist dagegen nicht nur durch ihre Ausmaße und die extreme Schlichtheit der Form eine Ausnahme im süditalienischen Burgenbau, sondern es ist auch durchaus nicht abschließend geklärt, ob der Turm erst in friderizianischer Zeit entstand (M. Levita) oder ob er nicht doch noch normannischen Ursprungs ist. Und im Falle von Bari findet man neben zwei rundbogigen, mit Oberlicht und Rundbogenblende versehenen Biforien im seeseitigen Saal eine dritte, einen Nachbarraum belichtende, deren Blende stärker profiliert ist und deren teilzerstörte Öffnungen offenbar schon spitzbogig waren und – soweit das ohne Detailaufmaß feststellbar ist – wohl sogar schon eine Art Maßwerk enthielten (Abb. 109). Damit ist auch das ansonsten ganz in romanischen Formen gehaltene Bari an dieser offenbar einzigen und leicht übersehbaren Stelle ein Beispiel für die Vielfalt der Fensterformen in
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Abb. 109 Bari, die nördliche, seeseitige Wand mit den Fenstern des Saales und eines weiteren Raumes (links) im Obergeschoss.
Abb. 110 Lagopesole, eine kleeblattbogige Biforie in der Außenwand des Westflügels.
den 1230er-Jahren, die man sonst an verschiedenen Bauten findet, kaum nebeneinander an einem einzigen. Allein der Hauptflügel von Palazzo San Gervasio (vgl. Abb. 53) verdeutlicht noch auf anspruchsvolle Weise, wie man Biforien – sowohl mit Rund- wie mit Kleeblattbogen –, ein spitzbogiges Triforium als Mittenbetonung und etliche Okuli zu einer weitgehend symmetrischen Fassadengliederung kombinieren konnte. Vergleicht man dies mit Lagopesole, so weist dort zwar der westliche Hauptflügel mit dem Saal ebenfalls unterschiedliche Fensterformen auf – neben kleeblattbogigen Biforien (Abb. 110) auch ebensolche Monoforien sowie wiederum Okuli –, aber sie wurden nicht genutzt, um eine Fassadenwirkung zu gestalten, sondern bleiben in pragmatischer Verteilung auf die Innenräume bezogen. Ob und inwieweit schließlich die beeindruckende Fenstervielfalt in Gioia del Colle, wie wir sie heute vorfinden, dem ursprünglichen Bestand entspricht, muss leider weitgehend offenbleiben, denn manche der allzu reichen, schon dem Maßwerk zuzurechnenden Formen – die man eigentlich eher in die Ära der Anjou datieren würde – wurden bei der fantasievollen
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Restaurierung des frühen 20. Jh. aus vermauert vorgefundenen Spolien frei rekonstruiert (vgl. Abb. 172). Alle anderen Burgen beschränken sich an ihren Biforien auf jeweils eine Bogenform, nämlich den Kleeblattoder den Spitzbogen. Die einfachste Verwendung des Kleeblattbogens findet man in zwei beschädigten Varianten am Wohnturm von Roseto Capo Spulico, jeweils als Blenden auf dem Sturz und durch ein Oberlicht ergänzt, beim weit größeren Fenster des Hauptgeschosses zusätzlich von einer gefasten Spitzbogenblende umgeben (Abb. 111). Die reicheren, aber nur teilweise erhaltenen
Saalfenster in Sannicandro besaßen Kleeblattbögen mit Oberlicht unter einer gestuften und mit Rundstäben profilierten Spitzbogenblende (Abb. 112). Den mit Abstand größten Aufwand trieb aber auch insoweit der Entwerfer des Castel del Monte, wo die Archivolten der kleeblattbogigen Biforien nicht nur fein profiliert und teilweise von regelrechten Rosen überhöht sind, sondern in Spitzbogenblenden sitzen, deren wiederum profilierte Archivolte aus Korallenbrekzie besteht und auf eingestellten Säulen aus demselben Material ruht (Abb. 113). Dabei setzt sich das Motiv ihrer Knospenkapitelle auch am Fensterge-
ç Abb. 111
Roseto Capo Spulico, die seeseitige Ostwand des Wohnturms mit drei originalen Fenstern; der rundbogige Lichtschlitz im Erdgeschoss und die große Biforie im 1. Obergeschoss sind verändert. Die Stürze der beiden Biforien tragen kleeblattbogige Blenden.
ê Abb. 112 Sannicandro, eine nur
teilweise erhaltene, ehemals kleeblattbogige Biforie in der nördlichen Außenwand des Saales.
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Abb. 113 Castel del Monte, eine ergänze Biforie in der nordöstlichen Außenwand des Obergeschosses.
Abb. 114 Caserta Vecchia, restaurierte Biforie in der Hofwand des Wohnbaues bzw. des palazzo.
wände selbst fort und zusammen mit der (leider überall verschwundenen) Mittelsäule ergab sich ein Bild, dessen Reichtum an keinem anderen süditalienischen Bau Friedrichs II. übertroffen wurde – zumal damit noch nicht alle Gestaltungselemente des Fensters beschrieben sind. Es sitzt nämlich, von einem schmalen Streifen fast weißen Marmors umgeben, in einer leicht vertieften Rechteckblende, deren Zwickel wiederum mit Brekzie ausgelegt waren, und das Ganze ruht auf einem profilierten Konsolfries antikischer Art. Eine letzte Steigerung dieser höchst verfeinerten Formen im Obergeschoss des Castel del Monte bietet schließlich ein einziges Triforium, bei dem das Oberlicht durch eine kleine rundbogige Biforie ersetzt ist. Der Grund für diese Hervorhebung – nur Palazzo San Gervasio besitzt im erhaltenen friderizianischen Burgen- und Jagdschlossbau ebenfalls eine Triforie (vgl. Abb. 53) – ist unbekannt; dass die Betonung des auf die 18 km entfernte Stadt Andria ausgerichteten Fensters darin begründet ist, dass in der dortigen Kathedrale zwei Ehefrauen Friedrichs ruhen, beide jung im Kindbettfieber verstorben, ist aber behauptet worden und auch durchaus erwägenswert. Schon bei der Beschreibung der Bi- und Triforien, deren Öffnungen im Rund- oder Kleeblattbogen oder mit
Stürzen abschließen, kam das Wort „spitzbogig“ dennoch öfter vor, weil nämlich zumindest die Blenden, die viele dieser Fenster umgeben, oft spitzbogig sind. Vergleichbar den ebenfalls aus dem gotischen Kirchenbau stammenden Kleeblattbögen ließ man sich in diesen Fällen also durchaus durch neue Gestaltungsideen anregen, verwandte sie aber zunächst nur zurückhaltend bzw. an weniger bedeutsamen Stellen; dass der Kleeblattbogen relativ früh auch für die Öffnungsform selbst übernommen wurde, hat sicherlich damit zu tun, dass er formal dem lange vorherrschenden Rundbogen am nächsten stand und dementsprechend auch schon vor 1200 gelegentlich vorkam. Bei dieser variablen Anwendung und Mischung traditioneller und neuer Formen handelt es sich also offenbar um ein typisches Phänomen des Überganges von der Romanik zur Gotik, das im Übrigen keineswegs nur in Süditalien, sondern auch im deutschen Raum und weiteren Teilen Europas zu beobachten ist. Es beweist also gerade nicht die von der älteren Forschung suggerierte Sonderstellung der friderizianischen Architektur, sondern ganz im Gegenteil ihre Eingebundenheit in Prozesse, die zu dieser Zeit in ganz Europa abliefen. Dass diese Prozesse nicht überall gleiche, sondern oft nur ähnliche Formen hervorbrachte,
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Abb. 115 Syrakus, die beschädigte Biforie in der hafenseitigen Wand, das ursprünglich einzige größere Fenster der Burg.
Abb. 116 Enna, Torre di Federico, Rekonstruktion eines der Fenster im Obergeschoss des Turmes (Zchn. v. R. Carta).
dürfte weniger an der Variationsbreite der genuin französischen gotischen Formen gelegen haben, sondern in weit höherem Maße an den regionalen Variationen der bis dahin die Architektur prägenden Romanik. Jene Fenster der friderizianischen Burgen, deren Öffnungen im Spitzbogen schließen, sind vor diesem Hintergrund einerseits als die Fälle zu betrachten, bei denen die aus Frankreich „importierten“ Formen besonders schnell und direkt übernommen wurden. Dabei legt aber andererseits ihre geringe Anzahl, die jene der anderen Bogenformen keineswegs deutlich übertrifft, durchaus nahe, dass sie von den Zeitgenossen noch nicht als jener Durchbruch empfunden wurden, der einer modernen, streng stilgeschichtlichen Betrachtungsweise entspräche, sondern vielmehr als weitere Bereicherung einer Vielfalt, die den Stilvorstellungen der Zeit eher entsprach. In Barletta sind zwei beschädigte Biforien erhalten mit profilierter Spitzbogenöffnung unter spitzbogiger Blende, wobei aber profilierte Kämpfer und ein ebensolches Gesims unter dem Fenster eine Bereicherung darstellen, insbesondere aber der Adler anstelle des dort fehlenden Oberlichtes eine bedeutungsvollere Variante prägt (vgl. Abb. 99). Gänzlich anders wirkt die einzige, allerdings stark res-
tauriert erhaltene Biforie an der Hofseite des Wohnbaues in Casertavecchia, wo die beiden Spitzbögen unter einer flach hervortretenden, außen profilierten Rundbogenblende liegen (Abb. 114). Und nochmals sehr viel reicher geschmückt war das einzige größere und mehrlichtige Fenster des Castel Maniace in Syrakus, das den Blick über den Hafen betonte, aber leider später durch den Einbau kleinerer Fenster zerstört wurde (Abb. 115). Die wahrscheinlich wieder spitzbogige Blende war hier doppelt gestuft, die beiden eingestellten Säulen mit Knospenkapitellen trugen eine Archivolte mit Rundstab zwischen zwei Kehlen, ausgeführt in mehrfarbigem Marmor, die darunter durch eine flache Kehle mit Blattwerk ergänzt war. Am eigentlichen Fenstergewände der Biforie setzte sich das Blattwerk der Kapitelle fort und ebenso das stark profilierte Kämpfergesims. Die relativ reiche Ausgestaltung der drei Beispiele Barletta, Casertavecchia und insbesondere Syrakus belegt zwar, dass der Spitzbogen den Baumeistern der friderizianischen Kastelle durchaus schon als akzeptable Würdeform galt – nur galt dies wohl nicht für diese Form als die einzige, sondern man sah offensichtlich gerade die Vielfalt bzw. das Experimentieren mit ganz unterschiedli-
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chen Formen als Ausdruck besonderer Repräsentativität. Dafür kann als letzter Beleg noch eine Form angeführt werden, die in der süditalienischen Architekturlandschaft der Epoche völlig einzigartig dasteht, nämlich die Fenster und Portale der Torre di Federico in Enna, die zwar stark verwittert, aber zeichnerisch durchaus noch rekonstruierbar sind (Abb. 116). Auch dort findet man an den beiden großen Fenstern des Obergeschosses zunächst ein doppelt gestuftes Gewände mit eingestellten Säulen, die ein schlichtes, nur durch die profilierten Kämpfer wenig gegliedertes Fenster rahmen. Über dem Kämpfer folgte dann aber kein Bogen, sondern dort war ein Rechteck mit ausgeklinkten Ecken aufgesetzt, das von drei parallel geführten flachen Profilen gebildet wurde; die beiden inneren ruhen auf den Säulen, das äußere auf zusätzlichen Konsolen; das Rechteck mit ausgeklinkten Ecken kehrte auch an zwei Pforten des Turmes wieder. Die Einzigartig-
Abb. 117 Syrakus, das Haupttor des „Castello Maniace“ erinnert in Dimension und Detailgestaltung an Kirchenportale. Das Bogenfeld war früher geschlossen, in den beidseitigen Nischen oben befanden sich die antiken Bronzewidder (vgl. Abb. 129).
keit dieser Form hat dazu geführt, dass manche Forscher die Fenster zu sekundären Einbauten erklärten, was aber durch den Mauerverband weitestgehend ausgeschlossen wird; andere wollten wegen ihnen den gesamten Turm erst in nachfriderizianische Zeit datieren oder gar erst ins frühe 14. Jh., in die Zeit des Friedrich von Aragon, der Sizilien 1291–1337 regierte. Gerade das Fehlen von Vergleichsbeispielen macht jedoch hier eine Stildatierung letztlich unmöglich und, da die Formen im Turminneren durchaus mit anderen Idealbauten der 1240er-Jahre vergleichbar sind, spricht die größte Wahrscheinlichkeit nach wie vor für einen kaiserlichen Bau der 1240er-Jahre. Ein letztes Beispiel einer im Burgenbau ausgesprochen ungewöhnlichen Form wurde in Lagopesole aus Fragmenten rekonstruiert und befindet sich heute im Burgmuseum: eine kleine, bereits spitzbogige Formen integrierende Fensterrose (vgl. Abb. 72). Wo sie sich befunden hat, ist unbekannt, aber im Grunde kommt dafür fast nur die im oberen Teil völlig erneuerte Westfassade der Kapelle infrage.
Gotische Portale
An den Portalen der friderizianischen Burgen, das heißt sowohl an den Toren als auch an den Portalen, die vom Hof aus wichtigere Räume erschlossen, überwiegt die Form des Spitzbogens eindeutig. Das entspricht zwar einerseits der auch anderswo zu beobachtenden Tatsache, dass neue, aus anderen Regionen vordringende Formen anfangs gerne an Stellen eingesetzt wurden, die für die repräsentative Wirkung des Baues weniger Bedeutung hatten wie eben Pforten bzw. Portale; andererseits ist aber auch nicht ganz zu vergessen, dass der Spitzbogen in Europa regional schon ab dem 11. Jh. auftrat, so vor allem in Burgund, von wo aus Einflüsse nach Süditalien durchaus denkbar sind. Entschieden gotisch ist jedoch das großartige Hauptportal des Castel Maniace in Syrakus, das allein schon aufgrund seiner Dimensionen (lichte Höhe etwa 6,10 m, lichte Breite 2,60 m) nur mit Kirchenportalen vergleichbar ist, nicht aber mit „normalen“ Burgtoren (Abb. 117). Der Eindruck des Repräsentativen bei gleichzeitig völliger Vernachlässigung des Defensiven wird dort dadurch unterstrichen, dass sich das Tor ohne jeglichen Schutz etwa durch einen Turm, durch Wurferker, Schießscharten u. Ä. auf das Vorgelände öffnet; nur das Fallgatter, das wie in Castel del Monte und Prato geschickt im Gewände versteckt ist, konnte im Angriffsfalle einen gewissen zusätz-
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lichen Schutz bieten. Ein sehr kleiner, nur noch durch alte Abbildungen belegbarer Torzwinger ohne vorgelagerten Graben, der das Tor völlig verdeckt haben muss, war zweifellos jünger, während die Befestigung des ausgedehnten Vorhofes, die man schon wegen der Art des Portals von Anfang an unterstellen muss, im 16. Jh. vollständig erneuert wurde. Das dreifach gestufte Gewände des Portals ist mit Säulen ausgestattet, wobei sich die Blattornamentik der Knospenkapitelle am eigentlichen Torgewände fortsetzt – ein an den friderizianischen Burgen übliches Motiv. Die spitzbogige Archivolte – Sturz und Tympanon der rechteckigen Toröffnung fehlen heute – ist ebenfalls reich mit Rundstäben und Kehlen, auch mit zwei Blattfriesen gegliedert. Zur besonders schmückenden Wirkung des Portals – wie auch des beschädigten Prunkfensters in der Ostwand der Burg, das ganz entsprechende Elemente verwendet (vgl. Abb. 115) – trägt die Verwendung rosafar-
benen, grauen und weißen, in der Regel stark changierenden Marmors Entscheidendes bei. Das Hauptportal des Castel del Monte ist wegen seiner antikischen Prägung an anderer Stelle zu thematisieren, obwohl in der versteckten Anordnung des Fallgatters eine wichtige Ähnlichkeit mit Syrakus und auch Prato liegt. Aber die drei kleineren Portale im Hof von Castel del Monte – eines bezieht sich auf die Torhalle und wendet dem Hof daher nur seine Nische zu – sind durchaus mit Syrakus vergleichbar, mit eingestellten Säulen, deren Blattwerk am Gewände weitergeführt ist, mit der reich profilierten Archivolte und der Verwendung der rötlichen Korallenbrekzie; eines der beiden Portale fällt durch eine originelle, ebenfalls profilierte Fünfeckblende auf, vergleichbar mit dem Kapellenportal von Lagopesole (Abb. 118; vgl. Abb. 72). Eine interessante Aussage zur Rangfolge der Formen, wie sie noch in den 1240er-Jahren
Abb. 118 Castel del Monte, eines der Portale im Hof, ausgeführt in Korallenbrekzie, sitzt in einer giebelförmigen Blende (vgl. das Kapellenportal Lagopesole, Abb. 72).
Abb. 119 Lagopesole, das Hauptportal in den Erdgeschosssaal des Nordflügels; die eingestellten Säulen tragen Knospenkapitelle.
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selbst an einem so hochrangigen Bau verstanden wurde, enthält aber die Tatsache, dass die spitzbogigen Portale im Hof von Castel del Monte nur im Erdgeschoss liegen, während jene Portale, die im herrschaftlich genutzten Obergeschoss auf eine Hofgalerie hätten führen sollen, bei ähnlich reicher Ausgestaltung Rundbogenblenden über Konsolstürzen aufweisen. In Lagopesole findet man ausschließlich spitzbogige Portale, und zwar in erstaunlichem Variantenreichtum. Das Portal des dortigen Nordflügels (Abb. 119) – unklar ist die Funktion des Saales, den es erschloss – ist mit einem der Erdgeschossportale in Castel del Monte vergleichbar, aber in vereinfachten Formen und Proportionen und nicht aus Brekzie, sondern aus rötlichem Sandstein. In seiner Profilierung schlichter, aber durch die skulpierten Konsolen und eine ehemalige Inschrifttafel darüber ebenfalls ausgezeichnet, ist das Portal zum Obergeschoss des Wohnturmes im Hof – für den Hocheinstieg eines Turmes absolut ungewöhnlich (vgl. Abb. 81). Wieder ganz andere Elemente verwendet das Kapellenportal in Lagopesole, wo ein schlichtes Profil von einem „romanischen“ Zackenband begleitet und das Ganze von einer Fünfeckblende umgeben ist (vgl. Abb. 72). Das eigentliche Pfortengewände ist hier schlicht rechteckig, aber aus Brekzie; mit einem Relief oder Mosaik im Tympanon, das heute verschwunden ist, muss man jedenfalls rechnen. Die einfachste Variante der Spitzbogenform, nämlich die Betonung allein durch einen schlichten, ohnehin in dieser Zeit verbreiteten Rundstab, zeigt in Lagopesole das Burgtor (vgl. Abb. 70) – wie an sich naheliegt, aber im Vergleich mit Fällen wie Castel del Monte, Prato oder Syrakus doch als Besonderheit erscheint. Als extreme Gegenbeispiele im Sinne des Verzichts auf nahezu jede Variation kann man zuletzt die Tore und auch ein Fenster der Burg von Milazzo anführen, denn hier treten überhaupt nur zwei Gewändeformen auf. Das Tor zum Hof der kleinen Kernburg und ebenso das dahinter folgende Portal zum Hauptsaal sind beide gestuft, dabei die Stufen mit je einem kräftigen Rundstab betont; dasselbe Gewändeprofil findet man auch am einzigen großen Fenster der Burg, das vom Saal den Blick auf das Meer erlaubte (vgl. Abb. 103). Allein die beiden Tore zeigen in Milazzo eine etwas abweichende Gestaltung, indem um den Spitzbogen des rechteckig unprofilierten Gewändes ein einfaches Gesims läuft – eine Form, die gerade in ihrer Reduktion letztlich moderner wirkt als die viel stärker geschmückten Tore der gleichzeitigen Idealbauten.
Gotische Säulen, Dienste, Pilaster und Konsolen
Bis zu dieser Stelle war die Formenwelt der friderizianischen Burgen als ausgesprochen vielfältig und kreativ zu beschreiben – als ein Phänomen also, wie es in einer Zeit des Stilwandels auftrat, wenn die Künstler das Neue zwar schon zu integrieren suchten, aber das Alte noch nicht gänzlich hinter sich lassen wollten. Eine gewisse Dominanz der neuartigen, gotischen Formen war nur in der weitgehenden Vorherrschaft des Spitzbogens an Toren, Portalen und größeren Fenstern festzustellen. Noch wesentlich deutlicher wird der starke Einfluss der Gotik aber, wenn man sich den Detailformen zuwendet, die an solchen Öffnungen und insbesondere auch im Zusammenhang von Wölbungen verwendet wurden. Vor allem nämlich gilt dies für die Formen gewölbetragender Säulen und Dienste, auch vieler formal angeglichener Konsolen entsprechender Funktion, bei denen nämlich die frühgotische Form des Knospenkapitells das Bild bereits sehr weitgehend beherrscht; selbst in der noch stark romanisch geprägten Burg Bari, wo die Kapitelle in den wichtigeren Räumen antikisierende Formen fortführen, findet man an abgelegeneren, vielleicht auch etwas später vollendeten Stellen wie in den landseitigen Ecktürmen bereits vereinzelte Knospenkapitelle. Generell sind Säulen in den friderizianischen Burgen heute kaum noch in Form kleinmaßstäblicher Mittelstützen von Doppelfenstern oder etwa als Kaminsäulen erhalten, was vor allem darin begründet scheint, dass diese Teile meist bei Modernisierungen oder auch mutwillig zerstört wurden; der heute mangels einer Zwischendecke unzugängliche Kamin im ältesten Wohnbau von Oria ist ein seltenes erhaltenes Beispiel. Die dichteste Konzentration von Knospenkapitellen findet man in fünf Idealbauten, nämlich in Castel del Monte, Capua, Syrakus, Catania und der Torre di Federico in Enna; Cosenza dürfte auch in diese Liste gehört haben, ist aber ein etwas problematischer Fall, weil dort nämlich manche gotisierenden Kapitelle erst im Barock erneuert wurden. In all diesen Fällen sind die häufig mit feinem Blattwerk belegten Kapitelle in der Regel mit kräftig profilierten Abaki kombiniert, wobei man meist ein Profil mit tiefer Kehle zwischen zwei Wülsten findet, mehrfach gut erhalten etwa in Castel del Monte, Syrakus, Catania und Cosenza. Im Castel del Monte treten die Formen des Knospenkapitells nicht nur an den Pilastern des antikisierenden Hauptportals und an den Portalsäulen im Hof auf, son-
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Abb. 120 Castel del Monte, die Dienste im Erdgeschoss (links) und die Dienstbündel im Obergeschoss tragen durchweg Knospenkapitelle.
dern auch an den Halbsäulen, die die Gewölbe des Erdgeschosses tragen, und an den Dienstbündeln bzw. durch Dienste ergänzten Pilastern im Obergeschoss (Abb. 120); wären die Fenstersäulen nicht durchweg verloren, so dürften wir höchstwahrscheinlich notieren, dass im Castel del Monte ausschließlich Knospenkapitelle vorkamen. Eben diese Feststellung mit entsprechender Einschränkung wegen der dort umfangreicheren Zerstörung gilt auch für das Castel Maniace in Syrakus. Die Säulen am Hauptportal und dem hafenseitigen Prunkfenster trugen Knospenkapitelle, ebenso auch die zahlreichen Säulen und die vier Säulenbündel der großen Halle (Abb. 121, 122); Spolien bestätigen die Annahme, dass die vielen zerstörten Säulen auch hier entsprechend gestaltet waren, während einige skulpturale Konsolen in Nebenräume
verbannt sind – was, wie erwähnt, an die skulpturalen Konsolen ausschließlich in den Türmen des Castel del Monte erinnert. Auch in Catania tragen die Halb- und Viertelsäulen in den kreuzrippengewölbten Räumen alle Knospenkapitelle (vgl. Abb. 67), ähnlich dem Erdgeschoss von Castel del Monte; jedoch gibt es hier auch Räume mit schlichterer Tonnenwölbung und die Sterngewölbe in den Türmen ruhen auf relativ einfachen Konsolen. Eine ähnliche Abstufung, hier aber geschossweise angeordnet, findet man in der Torre di Federico in Enna: Das Sterngewölbe im Erdgeschoss ruht auf einfachen Konsolen, jenes im Obergeschoss jedoch auf kräftigen Diensten, die fast alle Knospenkapitelle tragen (vgl. Abb. 83). In Cosenza werden oder wurden die Kreuzrippengewölbe überwiegend von Pilastern getragen, die von je
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ç Abb. 121 Syrakus, Rekonstruktionsversuch des ur-
sprünglichen Innenraumes. Die Säulen und Säulenbündel (vgl. Abb. 122, 124) trugen offenbar alle Knospenkapitelle.
ê Abb. 122 Syrakus, eines der beiden erhaltenen Säulen-
bündel, von denen vier den zentralen Hof umgaben (vgl. Abb. 121).
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ç Abb. 123
Enna, „Castello della Lombardia“, ein Fenster der „Torre della campana“ (Glockenturm) in antikisierenden Formen, aber mit Knospenkapitellen. Das Fenster deutet auf eine hervorgehobene Nutzung des Turms; vielleicht enthielt er selbst die Kapelle, die seine Bezeichnung andeutet.
zwei Diensten flankiert werden – eine der vielen aussagekräftigen Ähnlichkeiten zwischen der Burg einerseits und Castel del Monte wie dem Capuaner Tor andererseits. Manche dieser Pilaster tragen Kapitelle, die von Knospenkapitellen abgeleitet sind, was auch für mehrere Gewölbekonsolen in der Torhalle gilt (vgl. Abb. 69). Irritierend jedoch wirken in der größten Halle von Cosenza, wo heute die Wölbung fehlt, einige Pilasterkapitelle in ausgesprochen fantasievoll schwellenden Formen; sie dürften erst der Erneuerung der beschädigten Burg für ein Priesterseminar in der 2. Hälfte des 18. Jh. angehören. An anderen friderizianischen Burgen, die nicht zur herausragenden Gruppe der Idealbauten gehören, sind Knospenkapitelle ebenfalls nicht selten, treten jedoch nur vereinzelt im Rahmen der zeittypischen Vielfalt auf. Neben der erwähnten Säule in einem Turm von Bari ist hier besonders Lagopesole interessant, wo zwar – im heutigen, stark restaurierten Zustand – echte Knospenkapitelle nur an einem Hofportal zu finden sind, wo aber zugleich viele der breiten, ehemals Schwibbögen tragenden Konsolen eine entsprechende Gestaltung zeigen. Interessante Einzelbeispiele, bei denen die Form des Knospenkapitells in einem antikisierenden Zusammenhang erscheint – wie sonst nur am Hauptportal von Castel del Monte –, findet man an der „Torre della Campana“ der Burg Enna (Abb. 123) und schließlich als Wandsäulen in der Torhalle von Gioia del Colle (vgl. Abb. 68), wo die Fenster und Portale sonst fast völlig erneuert sind. Neben Konsolen und den Kämpfern von Torgewänden, die von Knospenkapitellen abgeleitet sind, sowie den reicheren, oft skulpturalen Formen in Castel del
ç Abb. 124
Syrakus, die zweischiffige Halle im Südostflügel konnte als einziger Teil des ursprünglichen Raumkonzepts wiederhergestellt werden; insbesondere die Gewölbe sind fast völlig neu. Rechts ist noch eines der vier Säulenbündel erkennbar, die ursprünglich den kleinen Hof markierten (vgl. Abb. 121).
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Î Abb. 125 Cosenza, das nördliche Endjoch des Ostflügels, mit dem dort allein erhaltenen Gewölbe.
Monte treten auch bescheidenere Konsolenformen auf. So hätten die nicht mehr ausgeführten Wölbungen in Prato auf Konsolen in Form auf dem Kopf stehender Pyramiden ruhen sollen, die mit zwei symmetrisch angeordneten Blättern nur bescheiden geschmückt sind – eine Form burgundischer Abstammung, die ein weiteres Mal auf Zisterzienserbauten verweist. Sonst findet man auch die ganz glatte Pyramide wie etwa im allein erhaltenen Erdgeschoss von Augusta mit seinen räumlich durchaus anspruchsvollen Hallen (Abb. 126) und hier oder dort dieselbe einfache Form, deren Spitze aber mit einer kleinen Kugel betont wird.
Rippengewölbe
Dass die Gewölbe der friderizianischen Kastelle in der Literatur bisher zwar häufig erwähnt und abgebildet wurden, wobei man sie aber als Selbstverständlichkeit behandelte und den Aspekt ihrer Herkunft nie intensiver diskutierte, gehört zu den zahlreichen Auffälligkeiten des doch so häufig behandelten Themas. Neben der Tatsache, dass Rippenwölbungen im 2. Viertel des 13. Jh. in weiten Teilen Europas längst keine Neuigkeit mehr darstellten, dürfte für diesen Mangel auch die Fehleinschätzung eine Rolle gespielt haben, viele der Kastelle seien von Anfang weitgehend gewölbt gewesen. Erst die in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Restaurierungen haben in mehreren wichtigen Fällen verdeutlicht, dass deren rippenlose Wölbungen oft nicht aus der ersten Bauzeit stammen, sondern erst im 16. Jh. bei jenen in Süditalien häufigen Modernisierungen eingebaut wurden, die vor allem mit der Anpassung ans Artilleriezeitalter zu tun hatten – die Räume sollten besser gegen einfallende Geschosse gesi-
Î Abb. 126 Augusta, Joche des Erdgeschossraumes im Westflügel.
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chert, eigene Geschütze auf den nun weit tragfähigeren Plattformen aufgestellt werden (vgl. Abb. 96). Dass vor allem die größeren Räume in den Flügeln der Burgen ursprünglich Balkendecken besessen haben, ist bisher nur in wenigen Fällen durch Baubefund belegbar – es gibt heute ja in der Regel keinen Grund, die Gewölbe abzureißen –, aber schon ihre auffällig schlichte Form als meist spitzbogige Tonnen ohne Rippen spricht vielfach für ihre späte Entstehung; hätte es dort von Anfang an Gewölbe gegeben, so wäre es im Normalfall weit einfacher gewesen, sie zu verstärken, anstatt sie abzubrechen und völlig neu einzubauen. Eindeutige Spuren der ursprünglichen Balkendecken gibt es bisher vor allem in Bari, wo die Balkenlöcher der älteren Decke in den 1960er-Jahren freigelegt wurden (vgl. Abb. 48), und in Trani, wo die laufenden Arbeiten verschiedene Befunde hinter den Ansätzen der jüngeren, aus Großquadern gemauerten Tonnenwölbungen freilegten. Besonders aussagekräftig ist auch der Fall von Lagopesole, wo die Balkendecken nicht
Abb. 127 Catania, das Sterngewölbe des nordwestlichen Eckturms; der Schlussstein ist mit einer Rosette geschmückt.
zwischen den Außenwänden spannten, sondern parallel zu ihnen zwischen Schwibbögen, die in regelmäßigen Abständen angeordnet waren und von denen vor allem viele der formal stark variierten Konsolen erhalten sind; nur ein einziger Raum, die „stanza segreta“ im Westflügel, wurde unübersehbar nachträglich mit einem Kreuzgewölbe mit mandelförmigen Rippen versehen – ein Indiz, dass zumindest dieser Teil der Burg schon vor den 1240erJahren existiert haben dürfte. Das einzige friderizianischen Kastell, in dem noch Räume mit der relativ altertümlichen Form des Gratgewölbes erhalten sind, ist Bari, wo man diese Form in der Torhalle (vgl. Abb. 65) und in dem darüberliegenden Raum findet; in beiden Fällen tragen Säulen breite Gurtbögen, zwischen denen sich spitzbogige Kreuzgewölbe mit noch sehr schwach ausgeprägter Spitze spannen. Dass die Räume dennoch nicht im 12. Jh. entstanden sind, belegt aber der ehemalige Obergeschosssaal an der Meerseite, wo an der Außenmauer die Ansätze für etwas reichere Gewölbe erhalten blieben, nämlich für Kreuzgewölbe mit „mandelförmigen“ Rippen, die ebenfalls zwischen breite Gurtbögen eingespannt waren (vgl. Abb. 55). Die einfachste Rippenform, die in den friderizianischen Burgen auftritt, ist die gefaste, relativ kräftig dimensionierte Bandrippe, die überwiegend in den Erdgeschossen zu finden ist. Das gilt insbesondere für Castel del Monte, wo das Erdgeschoss durch Schild- und Gurtbögen sowie Rippen mit diesem Profil geprägt wird, aufgesetzt auf Halbsäulen, während im Obergeschoss wieder das in der Hauptsache mandelförmige Profil über Dienstbündeln auftritt (vgl. Abb. 120); dieses letztere charakterisierte auch, nach Spolien zu beurteilen, etwas variiert das Capuaner Tor sowie den kreuzrippengewölbten Raum im Nordflügel von Lagopesole. Die das ganze Innere des Kastells füllende Halle des Castel Maniace in Syrakus entsprach in ihren Detailformen ganz dem Erdgeschoss von Castel del Monte (vgl. Abb. 120), jedoch mit der Variation, dass jene vier Stützen, die den zentralen Lichthof rahmten, als Dienstbündel ausgebildet waren (vgl. Abb. 121, 122, 124), also dem Obergeschoss von Castel del Monte entsprachen. Auch Catania, wo das Obergeschoss nur begonnen wurde, zeigt im Erdgeschoss die aus Castel del Monte bekannte Form der gefasten Bandrippe auf Halb- bzw. Viertelsäulen (vgl. Abb. 67), während das System in Cosenza wiederum etwas variiert erscheint, indem die Joche durch Gurtbögen auf Pilastern getrennt sind und die Rippen auf Diensten ruhen, die in die Ecken
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der Pilaster eingestellt sind (vgl. Abb. 41, 69; 125). Eine noch weiter vereinfachte Form trifft man im ebenfalls allein erhaltenen Erdgeschoss von Augusta, wo die Wandvorlagen sehr schlicht sind und die Rippen auf ebenfalls recht einfachen Konsolen ruhen (vgl. Abb. 126). Schließlich findet man auch bei den Sterngewölben der Torre di Federico von Enna in allen drei Geschossen schmal gefaste Bandrippen, bei denen nur die tragenden Elemente variiert sind: im Erdgeschoss einfache Konsolen mit kugelbesetzter Spitze und in dem als Hauptraum anzusprechenden Obergeschoss schlanke Dienste (vgl. Abb. 83); im unvollendeten zweiten Obergeschoss hätten wohl wieder einfache Konsolen die Bandrippen tragen sollen. Einzige ergänzende Zier der Bandrippen waren gelegentlich variabel gestaltete Rosetten auf den Rippenkreuzungen, die keinen größeren Schlussstein erforderten (Abb. 127); man findet sie in gut erhaltener Form etwa noch in Castel del Monte, wo manche Schlusssteine auch mit Masken geschmückt sind, ferner an dem einzigen, nachträglich eingebauten Rippengewölbe von Lagopesole, in den Ecktürmen von Catania und in Augusta. Hätte man aus der Gestaltung von Castel del Monte, das zumindest bis zum Dach vollendet wurde, vielleicht schließen können, dass die Abfolge von Bandrippen (auf Wandsäulen) im Erdgeschoss und mandelförmigen Rippen (auf Dienstbündeln) bei den friderizianischen Idealbauten bereits so etwas wie ein Kanon gewesen sei, dann stellt der räumlich ja ebenfalls sehr anspruchsvolle Turm in Enna also einen Gegenbeweis dar. Auch bei den Formen der Rippengewölbe und ihrer Tragelemente herrschte offensichtlich – bei einem eigentlich eng begrenzten Formenrepertoire – ein deutlicher Wille zur Variation im Einzelfall, der gut in eine Zeit des tastenden Stilüberganges passt. Die besondere Relevanz der frühgotischen Rippengewölbe, die die späten friderizianischen Idealbauten in leichten Variationen prägen, besteht aber keineswegs nur darin, dass mit ihnen eine neue, formal anspruchsvolle Form der Geschossdecke in Süditalien in Erscheinung trat. Vielmehr beruht auch jene konsequente Regelmäßigkeit der Grundrisse, die dieser Bautengruppe seit den Darstellungen Giuseppe Agnellos so große Aufmerksamkeit sichert, in entscheidendem Maße auf der systematischen Gruppierung gleicher Jochformen und -maße (vgl. Abb. 42). Die Erkenntnis, dass hier ein neuer und kraftvoller Einfluss der französischen Gotik wirksam wurde, bezieht sich daher nicht nur auf Einzelformen wie Rippen-
gewölbe, Knospenkapitelle oder Spitzbogen, sondern sie meint darüber hinaus auch einen höchst bedeutsamem Entwicklungsschritt des entwurflichen Denkens in seiner Gesamtheit. Wo bis dahin gerade beim Entwerfen von Burgen weitgehend Pragmatismus geherrscht hatte, der herrschaftliche Repräsentation nicht in der geometrischen Stringenz von Grundrissen suchte, sondern allein in Formen von Mauerwerk, Fenstern und Portalen, höchstens in der Gestaltung wichtiger Innenräume, da wurde nun eine streng geometrisch durchgearbeitete Planung der Gesamtanlage zum neuen Darstellungsmittel von Ordnung und Herrschaft.
Antikisierende Formen
Die Integration antiker, das heißt von römischen Bauten übernommener Formen war in der Forschung über die friderizianischen Burgen früh ein wichtiges Thema, was vor allem in den eng verwandten, prachtvollen Haupttoren von Castel del Monte und Prato begründet ist (Abb. 128). In beiden Burgen wird das eigentliche, durch ein „verstecktes“ Fallgatter geschützte Spitzbogentor durch kannelierte Pilaster gerahmt, die einen aus (konsolgestützten) Simsen gebildeten Blendgiebel tragen. Im Detail gibt es dabei durchaus Unterschiede; so ist das Tor in Castel del Monte deutlich besser proportioniert und detailreicher, während in Prato die regional traditionsreiche „Streifigkeit“ aus hellem und dunkelgrünem Marmor für besondere Effekte genutzt wurde. Ein kleineres, aber formal entsprechendes Motiv wurde bisher fast nie erwähnt, nämlich ein teilzerstörtes Fenster der „torre della Campana“ der Burg in Enna (vgl. Abb. 123); dort sind zwar von den rahmenden Säulen nur die Kapitelle geblieben, aber der bekrönende Blendgiebel über einer Muschelform lässt keinerlei Zweifel über die antike Herkunft der Form. Es gibt durchaus noch weitere Belege, dass antike Formen und vor allem auch originale Skulpturen jener Epoche im friderizianischen Königreich Sizilien als Träger betonter Repräsentation galten – nur sind sie heute weniger sichtbar als die drei genannten Beispiele. Nicht mehr in situ, aber immerhin erhalten ist einer der beiden antiken Bronzewidder, die das Tor in Catania in zwei hoch liegenden Nischen flankierten (Abb. 129); der andere wurde leider 1848 beschädigt und dann eingeschmolzen. Nur indirekt, nämlich in Form von Zeichnungen der Zeit um 1500 und um 1550, ist ferner die zerstörte Fassadengestaltung des Brückentores in Capua überliefert, in der sich antikisierende Anleihen – Skulpturen in Nischen,
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Tondi, Säulen, Blendarkaden, Voluten usw. – mit romanisierenden Elementen mischten und auch mit solchen, deren Herkunft schwer zu bestimmen ist wie Gesimsen in Form spitzer „Zacken“; auch die erhaltenen Skulpturen des Tores zeigen ja eine Mischung antikischer und spätromanischer Elemente (Abb. 130; vlg. Abb. 154). Darüber hinaus ist in Capua besonders interessant, dass sich nach einer Beschreibung des 15. Jh. „über dem Scheitelpunkt des Torbogens … ein königliches Gemach mit marmornen Statuen und antiken Bildwerken geschmückt“ befand (Übersetzung Carl Arnold Willemsen). Die Forschung verstand dieses regium cubiculum bisher fast durchweg als Metapher für die Fassadengestaltung mit den Skupturennischen, aber eigentlich dürfte mit diesem Begriff eher ein kleiner Raum über der Durchfahrt beschrieben sein, der mit den oberen Teilen des Tors verschwunden ist und in dem originale antike Skulpturen aufbewahrt wurden (vgl. Abb. 154); die nahen Ruinen des römischen Capua
boten dafür fraglos reiches Material. Damit wäre das Tor von Capua eine Art bescheidenes Gegenstück zum palatium von Lucera gewesen, über das uns der Chronist Jamsilla zu 1242 berichtet, man habe dorthin Bildwerke zum Schmuck des Baues gebracht; er betont darüber hinaus den persönlichen Charakter der in Lucera verwahrten Besitztümer, vor allem Kunstwerke und Waffen, die dem Kaiser selbst, König Konrad (IV.), und weiteren Hochadeligen gehörten. Über die Portal- und Fassadengestaltungen in Castel del Monte, Prato und Capua und die nur noch indirekt belegbaren Antikensammlungen in Capua und Lucera hinaus gibt es vor allem in den Idealbauten noch weitere, aber weniger auffällige Übernahmen antiker Gestaltung, die man auf kaiserliche Vorlieben zurückführen könnte, aber ebenso auch auf eigenständige Entscheidungen der unbekannten Entwerfer. Insbesondere ist hier an die unvollendeten Verkleidungen der Innenräume von Castel
Abb. 128 Castel del Monte (links) und Prato, die Haupttore, deren antikisierende Formgebung nur an diesen beiden Burgen auftritt.
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Abb. 129 Syrakus, der antike Bronzewidder, der mit einem Gegenstück das Haupttor schmückte (vgl. Abb. 117), befindet sich heute im Museo archeologico regionale in Palermo, ein Abguss (links) im Museum in der Burg; der zweite Widder ist nur ein seitenverkehrter Abguss.
Abb. 130 Capua, die Sitzstatue des Kaisers, die das Zentrum der Fassade des Brückentors bildete (vgl. Abb. 154), befindet sich heute im „Museo Provinciale Campano di Capua“. Die Skulptur wurde im 16. Jh. geköpft und in zwei Teile gesägt, als man sie im Festungsbau als Baumaterial verwendete. Rechts die Büste eines der vermutlichen Richter, angeblich des Petrus von Vinea.
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ç Abb. 131 Castel del Monte, zwei Zeichnungen der Uni-
versität Karlsruhe, die antikisierende Elemente der Wandgestaltungen dokumentieren. Oben Streifen von opus reticulatum im Schildbogen einer Querwand des Obergeschosses, unten Rekonstruktionsversuch der ehemaligen Verkleidung mit Marmorplatten, an der Innenseite einer Außenwand im Erdgeschoss.
del Monte zu denken. Sowohl die Verkleidung mit Platten aus Korallenbrekzie, die auch sonst an Schmuckformen des Baues verwendet wurde, als auch die in opus reticulatum ausgeführten Wandflächen sind Übernahmen aus der antiken Architektur (Abb. 131). Dabei belegt die Verbindung mit frühgotischen, teilweise in farbigem Marmor ausgeführten Formen wie den Dienstbündeln ein weiteres Mal, dass ältere Formen nicht einfach kopiert, sondern in ein durchaus „modernes“ Formensystem integriert wurden. Wandverkleidungen aus „kostbarem“ Gestein, insbesondere aus Marmor in verschiedenen Farben und Musterungen, können im Übrigen in den friderizianischen Bauten noch durchaus häufiger gewesen sein, denn sie stellten in späteren Zeiten eine latente Versuchung zur Demontage und Wiederverwendung dar – wenn sie nicht wie in Castel del Monte ohnehin unvollendet geblieben waren. Ein gesichertes Beispiel für die spätere Demontage ist die Kapelle von Lagopesole, deren Inneres ehemals teilweise mit „verde antico“ verkleidet war, einem aus Griechenland importierten Porphyrgestein, und die nach dessen Entfernung einen zwar immer noch monumentalen, aber auch allzu nüchternen Eindruck hinterlässt. Ein letztes Beispiel für die Integration offenbar antiker Vorbilder in Burgen Friedrichs II. stellen die sorgfältig gearbeiteten, dabei aber durchaus unterschiedlichen Sockelprofile dar, die in Capua und Castel del Monte jeweils an den Türmen auftreten, in Prato zumindest an den Ecktürmen (Abb. 132). In Capua prägt ein kräftiger Rundstab den Abschluss des vorspringenden Sockels, durchaus passend zu den wuchtigen Spiegelquadern, während das zugleich feinere und viel stärker eingeschnittene, insoweit durchaus gotisch wirkende Profil von Castel del Monte besser zur Glattquaderung des gesamten Baues passt; auch das Profil in Prato, das von dem einer attischen Basis abgeleitet ist, wirkt durchaus gotisch. Ob derartige Sockelbildungen antiken Anregungen folgten, ist dabei diskutabel. Im Burgenbau sind sie je-
denfalls Ausnahmen, wobei freilich viele süditalienische Burgen so tief in jüngeren Auffüllungen stecken, dass sie durchaus profilierte Sockel haben könnten, die wir heute nur nicht mehr sehen. Als eine gewisse Annäherung an eine so formvollende Betonung des Sockels kann man allenfalls hohe Schrägen bezeichnen, wie sie etwa das Castel Ursino in Catania besitzt, oder die mehrfachen schmalen Sockelschrägen in Syrakus; zumindest der dortige Westturm hat aus ihnen eine geometrisch komplexe, trotz des Fehlens echter Profilierungen ebenfalls sehr anspruchsvolle Form entwickelt (Abb. 133). Bei den Forschern, die sich bisher mit dem friderizianischen Burgenbau befasst haben, spielte die Diskussion eine nicht unwichtige Rolle, ob hier angesichts der antikisierenden Elemente eigentlich schon der Begriff der „Renaissance“ anwendbar und angemessen sei; diesen Vorschlag findet man etwa schon in dem Buch von Shearer über das Capuaner Tor von 1935. Bei dieser Diskussion geht es, begründet in charakteristischen Denkansätzen der (älteren) Kunstgeschichte, um die Frage, ob man die antikisierenden Architekturelemente in Friedrichs Bauten als unmittelbare Vorbilder der zwei Jahrhunderte später in Italien aufkommenden Renaissance betrachten dürfe oder ob es sich doch eher um zwei weitgehend voneinander unabhängige Phänomene gehandelt hat. Auf derartige Fragen sind natürlich immer nur Antworten von mehr oder minder erhöhter Wahrscheinlichkeit möglich. Hier ist einerseits bekannt, dass antikisierende Bauten wie das Capuaner Tor noch im 16. Jh. nicht nur bewundert wurden, sondern dass auch ihr Bauherr durchaus noch bekannt war. Damit kommen sie als Vorbild für Baumeister der Renaissance zwar einerseits infrage, aber andererseits wurden bisher keine Bauten des 15./16. Jh. namhaft gemacht, die in wirklich überzeugender Weise dem Capuaner Vorbild folgen. Zwar wird das ab 1453 entstandene Haupttor des Castel Nuovo in Neapel häufig mit dem Tor von Capua verglichen, was aber nicht wirklich überzeugt (Abb. 134). Denn man findet zwar in beiden Fällen eine stark geschmückte Fassade zwischen zwei kräftigen Rundtürmen, aber die Gestaltung der Neapolitaner Fassade folgt im Detail gänzlich anderen, sowohl im Aufbau strengeren als auch im Detail reicheren Vorbildern als Capua. Angesichts des Wissens, das wir über die Notizen und Skizzenbücher von italienischen Renaissancearchitekten haben, wird man letztlich doch eher davon ausgehen
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müssen, dass das Aufblühen einer antikisch inspirierten Architektur in Italien ab dem mittleren 15. Jh. weitaus direkter von damals noch gut erhaltenen römischen Originalbauten ausging als von der Rezeption der in ihrer Anzahl doch allzu begrenzten friderizianischen Burgen. Dass schon Friedrich II. und seine Architekten gelegentlich auf solche Vorbilder zurückgriffen, bezeugt fraglos deren hohe ästhetische, die Nachwelt immer wieder beeindruckende Qualität – dass aber zwischen der Rezeption der 1240er-Jahre und der weitaus folgenreicheren, die dann um 1450 einsetzte, ein direkter Zusammenhang im Sinne einer Vorbildwirkung bestand, scheint doch eher wenig wahrscheinlich.
Will man die Beobachtungen zu den Stilelementen der friderizianischen Burgen zusammenzufassen, so läuft dies auf wenige zentrale Aussagen hinaus.
Zunächst fällt auf, dass Elemente nebeneinander und in von Fall zu Fall immer wieder variierter Kombination auftreten, die wir nach heutigen Kategorien drei verschiedenen Stilen zuordnen: der antiken bzw. römischen Architektur, der Romanik und der Gotik. Hält man Abstand zu allzu eingeengten Stilvorstellungen, so ist bei diesem Phänomen aber weder das zeitliche Nebeneinander der Formen überraschend noch die Tatsache, dass sie im Einzelfall immer wieder anders kombiniert wurden. Dabei handelt es sich vielmehr um ein Phänomen, das in der 1. Hälfte bis Mitte des 13. Jh. in weiten Teilen Europas auftrat und früher gern als „Übergangsstil“ bezeichnet wurde. Gemeint kann damit heute allerdings nicht mehr ein halbwegs planmäßig ablaufender Übergang von einem älteren Stil zu einem „moderneren“ sein, sondern nur eine Phase vergrößerter Offenheit gegenüber verschiedenen sowohl althergebrachten wie auch neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Die unbekann-
Abb. 132 Sockelprofile der Türme des Brückentors in Capua (unten) und von Castel del Monte.
Abb. 133 Syrakus, zeichnerische Darstellung des Sockels am südlichen Eckturm.
Stilfragen: Zusammenfassung
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Abb. 134 Neapel, die Eingangsfront des „Castel Nuovo“, das in dieser Form ab 1442 erneuert wurde; die Fassade zwischen den Rundtürmen wurde in den 1460er Jahren vollendet.
ten Entwerfer waren eben gerade noch nicht durch festgelegte Stilbegriffe eingeengt, sondern sie konnten ein deutlich erweitertes Formenrepertoire frei nutzen und taten dies in einer immer wieder variierten, geradezu experimentellen Weise. Der wirkungsvollste Beleg dieser Experimentierfreude ist die in dieser Epoche ungewöhnliche Übernahme antikisierender Elemente, vor allem in Form repräsentativer Gestaltung der Haupttore und der Auskleidung von Räumen mit kostbarem Gestein. Diese Übernahme zeigt – vor allem, wenn man die quellenmäßig belegbaren Sammlungen antiker Skulpturen Friedrichs II. und seiner Söhne in die Betrachtung einbezieht – das auch persönliche Interesse des Kaisers an den Ausdrucksformen des antiken Kaisertums. Andererseits zeigt sie, dass die unbekannten Architekten der Epoche die Formen erhaltener antiker Bauten in Italien bereits in ähnlicher Weise dokumentierten und zur Entwurfsgrundlage machten, wie wir es dann vor allem von den italienischen Architekten des 15./16. Jh. kennen. Überschätzen sollte man aber die Aus-
sagekraft dieser doch nur ausnahmsweise feststellbaren Integration antiker Elemente nicht; sie waren offensichtlich eine Möglichkeit, kaiserliche Majestät zu versinnbildlichen, aber keineswegs die einzige und wohl noch nicht einmal die wichtigste. Die Gruppe der in den 1240er-Jahren entstandenen Idealbauten ist weit stärker durch einen neuen Einfluss bestimmt, der – im Gegensatz zu den antiken und den apulisch-romanischen Formen – seine Wurzeln nicht in Süditalien selbst hatte, sondern in Frankreich, insbesondere in Burgund und offenbar bei Baumeistern, die aus dem Zisterzienserorden kamen. Die bei diesen wenigen späten Bauten Friedrichs II. auftretenden Formen sind so viel konsequenter durch die neuartigen gotischen Formen und Entwurfsideen geprägt, dass man nicht mehr von einer experimentell geprägten Mischung traditioneller und neuer Stilelemente sprechen kann. Die Bauten unterscheiden sich vielmehr in ihrer konsequenten Entwurfssystematik, die vor allem auf der gleichmäßigen Reihung kreuzgratgewölbter Joche und exakten Symmetrien um
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mehrere Achsen beruht, die sich aber auch in Details wie dem nun absolut vorherrschenden Knospenkapitell spiegelt, so grundsätzlich, dass man sie trotz der vereinzelten Integration traditioneller bzw. antikisierender Formen als eindeutig „gotisch“ bezeichnen muss. Dass sie dem verbreiteten Bild von Gotik nur wenig entsprechen und daher bisher nur sehr selten als gotisch charakterisiert wurden, ist einerseits darin begründet, dass es sich nicht um Sakralbauten handelt, sondern um Burgen, deren Bild nun einmal von geschlossenen Mauerflächen, nicht von Glasfenstern und Strebewerk geprägt ist; auch die regionale Relevanz der Kastellform, die auch die Idealbauten vordergründig vor allem als Fortschreibung süditalienischer Traditionen erscheinen lässt, spielt hier eine Rolle. Bedeutsam war aber fraglos auch die Tatsache, dass in Süditalien nicht die „eigentliche“ Gotik, das heißt die der Île-de-France mit ihrem Fokus auf große Sakralbauten, ihren Einfluss entfaltete, sondern mehr die burgundische Variante, die – vor allem auch durch die Verbreitung der Zisterzienser transportiert – sich von vornherein nicht nur an Kirchen, sondern auch an Profanbauten wie den Klausuren und Nebengebäuden der Klöster entwickelt hatte.
2.8. DER MYTHOS DES „STAUFISCHEN“ BUCKELQUADERS Dass Buckelquader (weniger gebräuchlich: Bossenquader) im Burgenbau des 12. und 13. Jh. in Deutschland wie in (Süd-)Italien ein Ausdruck staufischer Herrschaft bzw. ein Zeichen politischer Parteinahme für die Staufer gewesen seien, ist ein in Deutschland entstandener kunsthistorischer Mythos, der nie bewiesen oder auch nur näher begründet wurde. Er entstand ohne erkennbare Vorstufen in den 1930er-Jahren und wurde spätestens in den 1970er-/80er-Jahren in intensiven Fachdiskussionen als unbegründet erkannt; dass die Ergebnisse dieser Diskussionen nie zitierfähig bzw. in größerem Umfang zusammengefasst wurden, ist ein bedauerlicher Mangel, der aber durch das zwar wichtige, aber wenig spektakuläre Ergebnis – Buckelquader mögen ein adeliges Symbol der Stärke gewesen sein, mehr aber auch nicht – durchaus erklärbar ist. Es ist nämlich, so darf man die damaligen Erkenntnisse resümieren, schlechterdings unmöglich, die politische Haltung der weitaus meisten Bauherren von Burgen zu ermitteln, weil einerseits die Quellenlage in der Regierungszeit der Staufer dafür noch viel zu lückenhaft
war und weil andererseits auch allzu wenige Burgen bisher so eingehend untersucht worden sind, dass man ihre genaue Entstehungszeit und damit ihren Bauherren sicher bestimmen könnte. Basis des suggestiven Bildes vom „staufischen Buckelquader“ waren offensichtlich nur einige Pfalzen sowie Burgen staufischer Ministerialen, die Bauteile aus Buckelquadern aufweisen. Schon in diesen Einzelfällen war die Behauptung, diese Mauerwerksform transportiere eine Aussage über die politische Haltung des Erbauers, unbeweisbar; sie mündete aber endgültig in pure Spekulation, als man sie ohne jede weitere Betrachtung des historischen Hintergrundes auf die zahllosen Burgen mit Buckelquaderwerk übertrug, die es vor allem im süddeutschen Raum gibt, primär in Regionen mit Buntsandsandstein oder Kalkstein. Dass eine so unbegründete Behauptung, die nur ganz willkürlich und ohne jede Beweisführung an ein technisch-ästhetisches Phänomen geknüpft wurde, sich über viele Jahrzehnte halten konnte, dass sie selbst heute noch gelegentlich auftaucht, hat ein weiteres Mal Wurzeln in jenen autoritär geprägten Phasen der deutschen Geschichte des 19./20. Jh. zwischen Wilhelminismus und Nationalsozialismus, in denen die überzogene Stauferverehrung insgesamt ihren Ursprung hatte. Namentlich der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder hatte 1935 in seinem Werk „Die Kunst der deutschen Kaiserzeit …“, anknüpfend vor allem an das wenig ältere, einflussreiche Werk des Historikers Ernst Kantorowicz, ein Bild der Stauferzeit kreiert, in dem die Dominanz „großer“ Herrscher vermeintlich auch die Architektur der Epoche auf eine mythische Weise geprägt hätte. Ausgehend von derartigen Anschauungen entwickelte dann Walter Hotz, etwa anderthalb Generationen jünger als Pinder, sein einprägsames, allerdings von allzu nationalistischen Elementen bereinigtes Bild der „staufischen (Reichs-)Burgen“, die nach seiner Ansicht nicht nur an ihrem Buckelquaderwerk erkennbar seien, sondern durch dieses Mauerwerk eben auch die Parteinahme ihrer Erbauer für die Staufer zum Ausdruck gebracht hätten. Diese Sicht wurde offenbar tatsächlich von Hotz ganz neu formuliert, denn bis dahin hatte man – als Erster wohl Karl August von Cohausen 1898 – die Buckelquaderwände mancher Burgen zwar durchaus in die Regierungszeit der Staufer datiert, ihnen aber keineswegs ikonologische bzw. dynastische Aussagen unterstellt. Durch zahlreiche und weitverbreitete Bücher prägte Hotz in der Folgezeit das Verständnis des deutschen Burgenbaues im Allge-
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meinen und des Buckelquaderwerks im Besonderen bis mindestens in die 1980er-Jahre. Heute wird der Bedeutungsgehalt der Buckelquaderwände im deutschen Burgenbau wesentlich zurückhaltender gesehen. Die Technik entstand offenbar aus einer Sparform des Großquaderwerks – man verzichtete auf das aufwendige Glattarbeiten der Buckel –, erreichte aber schon im mittleren 12. Jh., wohl zuerst am Oberrhein, die Qualität einer Schmuckform, die man heute als „Ausdruck ritterlicher Kraft und herrschaftlicher Repräsentation“ (Hans-Martin Maurer) versteht, also als formales Mittel von Teilen des Adels, gelegentlich also durchaus auch von Angehörigen des staufischen Hauses, aber eben nicht allein der Herrscher bzw. gar einer bestimmten Dynastie. Lagen also die Anfänge des formalen Phänomens durchaus in der Epoche des staufischen Königs- und Kaisertums, so ist man sich heute weitgehend einig, dass es keineswegs mit dem Ende des staufischen Hauses im mittleren 13. Jh. ausstarb, sondern in verschiedenen Regionen des deutschen Raumes weiterhin gerne verwendet wurde, teils bis ins 16. Jh. und in Einzelfällen sogar ins 18. Jh. hinein, beispielsweise in Franken. Darüber hinaus ist heute unumstritten, dass es in Europa und im Mittelmeerraum weitere Regionen gegeben hat, wo Buckelqua-
derwerk im hohen und späten Mittelalter konzentriert auftrat, darunter als vermutlich frühester, ins 12. Jh. zurückreichender Fall die Kreuzfahrerstaaten des Vorderen Orients und – wohl erst im fortgeschrittenen 13. Jh. – südliche Regionen des Königreichs Frankreich wie die Provence und der Nordrand der Pyrenäen. Nimmt man hinzu, dass es weitere „Buckelquaderregionen“ gibt, die von der Forschung bisher kaum bemerkt, geschweige denn intensiv untersucht wurden – so etwa am lombardischen Südhang der Alpen, in der weiteren Region um Bergamo –, so ist nicht zu übersehen, dass auch für die Frage nach den eventuellen Zusammenhängen dieser verschiedenen Regionen bisher bestenfalls Überlegungen vorliegen können, keineswegs aber abschließende Erkenntnisse. Selbstverständlich blieb auch das Königreich Sizilien Friedrichs II. von der Ideologie des „staufischen Buckelquaders“ nicht unberührt. Leo Bruhns hatte schon 1937 im Rahmen der überschießenden Staufermystifizierung in dem erwähnten populären Bildband eine Auswahl von „Hohenstaufenschlössern“ sowohl in Deutschland als auch in Italien präsentiert. Damit wurden auch hier wieder ohne jede Reflexion im Detail zwei sehr unterschiedliche Architekturphänomene zur vermeintlich historisch
Abb. 135 Capua, Spiegelquaderwerk mit abgeschrägten Kanten am Ostturm des Brückentors. Man erkennt Pressfugen, die nicht dem Fugenbild der Spiegelquader entsprechen und damit andeuten, dass die Quader von antiken Bauten stammen und ihrer neuen Verwendung angepasst werden mussten.
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ç Abb. 136 Vier Beispiele von Buckelquaderwerk des
12./13. Jh. im oberrheinischen Raum (v. o. l. n. u. r.): Hohkönigsburg (Unterelsass), ehem. Wohnbau der Ostburg, 2. H. 12. Jh.; Wildenberg (Odenwald), Ringmauer und Bergfried, um 1170–90; Breuberg (Odenwald), Bergfried, um 1200; Steinsberg (Kraichgau), Bergfried, wohl ab 1220.
begründbaren Einheit verschmolzen und damit war absehbar, dass man bald auch in Süditalien den vermeintlich „staufischen“ Buckelquader entdecken würde. Dies fand zunächst in den Übersichtswerken von Hotz statt und noch um 2000 als deren unkritische Fortschreibung etwa in der Dissertation und weiteren Beiträgen von Alexander Knaak und auch in der darauf sich beziehenden Doktorarbeit von Simone Neumann über Lagopesole (2013). Insgesamt aber wurde der vermeintlich „staufische“ Buckelquader im Königreich Sizilien deutlich schwächer propagiert, als es für den deutschen Raum der Fall war, und dafür dürfte der wichtigste Grund in der Tatsache liegen, dass die italienische Forschung das Thema insgesamt wenig zur Kenntnis nahm – es hatte sich letztlich eben doch fast nur aus der deutschen Staufermythologie der 1920er- bis 1940er-Jahre genährt. Eine nach Vollständigkeit strebende Übersicht über die mittelalterlichen Buckelquaderbauten Süditaliens – die schließlich Voraussetzung einer wissenschaftlich soliden Analyse des Phänomens wäre – fehlt bis heute, wie zuletzt Kai Kappel 1997 in der Einleitung einer der wenigen Untersuchungen betonte, die bisher überhaupt dieses Thema berühren. Die Lücke kann natürlich auch hier nicht gefüllt werden, denn sie benötigte als Grundlage einen umfassenden, durch wissenschaftliche Bearbeiter ausgeführten „survey“, für den in dem mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen belasteten Süditalien die Voraussetzungen fehlen. Aber der Überblick über die friderizianischen Burgen des ehemaligen Königreichs Sizilien, der für das vorliegende Buch erarbeitet wurde, hat doch einige arbeitshypothetische Aussagen ermöglicht, die den simplifizierenden Begriff eines angeblich „staufischen“ Buckelquaders auch in Süditalien entschieden infrage stellen. Zunächst ist festzuhalten, dass in der Literatur zum süditalienischen Burgenbau recht verschiedene Phänomene unter der Bezeichnung „Buckelquader“ zusammengefasst worden sind. Insbesondere wurde neben dem Buckelquader im eigentlichen Sinne – dessen Merk-
mal der wenig oder gar nicht bearbeitete Buckel ist – oft auch ein Mauerwerk aus Spiegelquadern so bezeichnet, bei dem zwar der Spiegel (= die Ansichtsfläche) ebenfalls über die Fugen bzw. den Randschlag vorspringt, aber eben als rechteckig bearbeitete „Platte“ (Plattenrustika; Abb. 135), deren perfekte ästhetische Wirkung sich stark von der gröberen, aber auch kraftvolleren des eigentlichen Buckelquaders unterscheidet. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass zwar das Buckelquaderwerk im engeren Sinne im deutschen Burgenbau vor allem des 12./13. Jh. ausgesprochen häufig war (Abb. 136), dass aber der Spiegelquader in dieser Epoche dort nicht auftrat. Wenn man darüber hinaus die Bauten bzw. ihr Mauerwerk näher betrachtet, wird zusätzlich deutlich, dass auch die Unterscheidung zwischen Buckelquadern und Spiegelquadern die Spannweite möglicher Formen noch keineswegs vollständig beschreibt, sondern dass bei beiden Arten von Mauerwerk weitere Differenzierungen zu beobachten sind. Um mit den Buckelquaderwänden zu beginnen – nur Wandflächen dieser Art sind hier Thema, nicht die allein an Gebäudeecken verwendeten Buckelquader, die in weiten Teilen Europas über einen großen Zeitraum hinweg auftraten –, so kommen neben den noch in normannische Zeit datierten, recht flachen eines Turmes in Barletta (Abb. 137) und ähnlichen an den Feld- und Meerseiten der Burg Trani auch solche mit relativ grob belassenen Buckeln an den Ecktürmen von Lagopesole vor (Abb. 138), schließlich auch Formen mit stärker überarbeiteten Buckeln; das beste Beispiel der letzten Form ist der frei stehende Wohnturm von Lagopesole (Abb. 139). Vergleichbare Buckelquaderformen sind weitaus häufiger an Burgen des südwestdeutschen Raumes zu beobachten; dabei fehlt aber im Königreich Sizilien jenes besonders großquadrige Mauerwerk mit teils wuchtig vorspringenden, unbearbeiteten Buckeln, das in Südwestdeutschland mit gutem Grund „früh“ datiert wird bzw. bis ins mittlere 12. Jh. zurückgeht. Dafür fehlen in Deutschland andere Varianten, die man an friderizianischen Burgen Süditaliens findet. Insbesondere gilt dies für jene Formen, die oft – mit Ausnahme der Eckquader – auf einen Randschlag verzichten (opus rusticum) wie etwa an den meisten friderizianischen Teilen von Sannicandro di Bari (Abb. 140) und an der Stadtseite der Burg Trani oder – wofür es in Deutschland erst recht keine Vergleiche gibt –, ausschließlich im Sockel von Wänden, die wie in Gioia del Colle darüber
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ein steinmetzmäßig äußerst anspruchsvolles Quaderwerk mit perfekt gerundeten „Polsterbuckeln“ aufweisen (vgl. Abb. 104). Die Art und formale Vielfalt der Buckelquader in Süditalien unterscheiden sich also deutlich von vergleichbaren Quaderformen im deutschen Raum, was allein schon erhebliche Zweifel an einer direkten Beziehung beider Phänomene begründen muss. Diese Zweifel werden weiter verstärkt, wenn man zusätzlich in die Betrachtung einbezieht, dass Buckelquaderwerk in Süditalien auch an Bauten angevinischer Entstehung auftritt, z. B. am Wohn- und Saalbau von Barletta. Das durch neuere Quellenforschung bestbelegte Beispiel ist hier der „Hafenturm“ in Manfredonia, der 1277/78 erbaut und bald danach in die Burg einbezogen wurde; sein heute nur noch ausschnittsweise sichtbarer Sockel war mit relativ kleinteiligem und gleich-
mäßigem Buckelquaderwerk verkleidet (Abb. 141). Noch eindrucksvoller ist die gleichzeitig entstandene „Torre della Leonessa“, der mächtige runde Eckturm der riesigen angevinischen Erweiterung der Burg Lucera (Abb. 142), dessen Unterteil mit ganz ähnlichen Buckelquadern verkleidet ist. Alexander Knaak datierte diesen Turm gegen die gesamte übrige Forschung und gegen eindeutige Merkmale, die den anderen angevinischen Teilen der Burg entsprechen, allein wegen der Buckelquader noch in staufische Zeit – eine der spätesten Nachwehen des längst überholten Staufermythos. Vergleicht man diese Quaderformen mit den seit damals besser erforschten in den meist königlichen Burgen Süd- und Südwestfrankreichs, so überzeugt dieser Vergleich weitaus besser. Die Form des Spiegelquaders bzw. der Plattenrustika – hinzufügen kann man den „Polsterquader“ mit
Abb. 137 Barletta, der wohl noch aus normannischer Zeit stammende Turm, der in der Festung verbaut ist, zeigt ein unregelmäßiges Mauerwerk, in dem auch Buckelquader mit unsauberem Randschlag vorkommen.
Abb. 138 Lagopesole, der obere Teil des nordwestlichen, L-förmigen Eckturms zeigt voll entwickeltes Buckelquaderwerk des mittleren 13. Jh.
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seinem ebenfalls höchst sorgfältig glatt bzw. in rundliche Form gearbeitetem Buckel – wirkt schon aufgrund der geometrischen Form der Quaderspiegel und der meist erheblichen Größe, die einen weit höheren Aufwand an Steinmetzarbeit erforderten, viel repräsentativer als Buckelquader. Diese Form trat schon an antiken Monumentalbauten auf, wo sie vor allem im Vorderen Orient für hohe Sockel verwendet wurde wie etwa am herodianischen Temenos des Jerusalemer Tempels („Klagemauer“) oder an den Tempeln in Baalbek. Mit solchen Bauten vergleichbar ist unter den friderizianischen Befestigungen allein der polygonale Sockel des Brückentors von Capua, dessen große und perfekt gearbeitete Kalksteinspiegelquader mit geschrägten Kanten nach herrschender Auffassung Spolien aus der nur vier Kilometer entfernten antiken Stadt Capua (heute Santa Maria Capua Vetere) sind (vgl. Abb. 135). Für diese Interpretation spricht, dass der Verlauf der dort möglichst unauffällig „versteckten“ tatsächlichen Fugen nicht mit den scheinbaren der Spiegelquader überein-
Abb. 139 Lagopesole, der wohl als Rückzugsort für den König/ Kaiser vorgesehene Wohnturm im „Kleinen Hof“ zeigt ein sehr sauberes, betont regelmäßiges Buckelquaderwerk.
Abb. 140 Sannicandro di Bari, die Außenfront des gegen Mitte des 13. Jh. erbauten Saalbaues zeigt ein regelmäßiges, kleinteiliges Mauerwerk, bei dem die Spiegel zwar gebuckelt sind, aber keinen Randschlag besitzen.
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stimmt; die antiken Spolien mussten also durch sorgfältig nachgeschlagene Stücke ergänzt werden, um sie für die polygonalen Sockel der Türme verwenden zu können. Grundsätzlich passt aber der an antike Triumphbogen angenäherte Charakter des Tores, das ja nach Aussage
Abb. 141 Manfredonia, der nur teilweise freigelegte Sockel des in angevinischer Zeit 1277/78 errichteten (und im 15. Jh. mit einem Rondell umbauten) „Hafenturmes“ zeigt Buckelquader, die sich von solchen der friderizianischen Spätzeit nicht unterscheiden lassen.
von Quellen auch antike Skulpturen beherbergte, sehr gut zu dem Sockel aus Plattenrustika, auch zu dem kraftvollen Profil, das den vorspringenden unteren Teil des Sockels abschließt (vgl. Abb. 132), und zu den Voluten am Übergang zu den runden Turmschäften. Neben Capua ist einer der stadtseitigen Ecktürme der Burg Prato das einzige Beispiel von vergleichbar exakt bearbeitetem Spiegelquaderwerk im friderizianischen Burgenbau, wobei dort aber die Begrenzung auf den mittleren Abschnitt eines einzigen Turmes schwer zu erklären bleibt (Abb. 143); wollte man vielleicht diesen bewohnbaren Turm, der dem Stadtinneren zugewandt war, als Sitz des kaiserlichen Burgkommandanten hervorheben – aber warum setzt dann das Spiegelquaderwerk erst über einem Sockel aus Kleinquadern und einem profilierten Absatz an und hört nach wenigen Schichten wieder auf? Die einzige Burg in Apulien, die einen – mit Ausnahme des ältesten Bauteils – vollständigen Spiegelquadermantel besaß, ist Bari; die ästhetische Wirkung der Quaderform ist dort allerdings heute durch die fortgeschrittene Verwitterung des Kalksteins und auch viele erneuerte Partien eingeschränkt (vgl. Abb. 80, 109). Dass die besonders aufwendige Technik der Plattenrustika gerade in Bari und nur dort zum Einsatz kam, könnte man mit der besonderen Bedeutung der Stadt erklären, die zwar in normannischer Zeit ihren Hauptstadtstatus an Palermo verloren hatte, aber als Hafen und vor allem Wallfahrtsort fraglos weiterhin die wichtigste Stadt der apulischen Küste war; schon die pure Größe der Burg spiegelt das ja wider. Für zwei benachbarte Burgen im Hinterland von Bari, deren aufwendige Mauertechnik noch stärker beeindruckt, ist ein derartiges, das heißt von der Bedeutung der Anlage abgeleitetes Erklärungsmodell aber nicht anwendbar. Fast die gesamte Anlage von Gioia del Colle (vgl. Abb. 104; 172) und zwei Torbereiche in Sannicandro di Bari zeigen nämlich ein extrem aufwendig gearbeitetes Mauerwerk aus Polsterquadern, für das ich keine Vergleiche ähnlicher Qualität kenne. In Gioia geht dieses Mauerwerk – über dem erwähnten Sockel aus opus rusticum – mit anspruchsvollen und teils höchst originellen Fensterformen einher, die einen kreativen Entwerfer verraten. Auch in Sannicandro dienten die beiden nachträglich eingefügten Tore mit ihrem kraftvollen arco lunato eindeutig der repräsentativen Aufwertung der Anlage; beim äußeren Zwingertor betrifft
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Abb. 142 Lucera, die „Torre della Leonessa“ an der Südwestecke der 1273–80 erbauten Befestigung Karls I. Die Art des Buckelquaderwerks und die extrem hohen Senkscharten sind eng mit französischen Burgen und Befestigungen des späten 13. Jh. verwandt.
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die Polsterform nur den Bogen selbst, beim dahinterliegenden Haupttor ist die gesamte Mauer zwischen zwei älteren Türmen so verkleidet (vgl. Abb. 107). Ein letztes Beispiel für Polsterquader findet man beim achteckigen Hauptturm(stumpf ) der Burg von Augusta auf Sizilien (vgl. Abb. 85); auch hier beschränkte sich die besonders aufwendige Technik offenbar auf eben diesen Turm und diente damit auch der Betonung des Haupttores, das
Abb. 143 Prato, der nördliche, stadtseitige Eckturm der Burg zeigt über dem profilierten Sockelabsatz eine Zone guten Spiegelquaderwerks; warum dieses Mauerwerk an der Burg nur in diesem begrenzten Bereich verwendet wurde, ist unklar.
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danebenliegt; die übrigen Außenmauern und Türme der Kernburg zeigen dort glattes Mauerwerk. Wie kann man dieses ausgesprochen vielfältige Bild der Mauertechnik an apulischen und sizilianischen Burgen interpretieren? Zunächst muss daran erinnert werden, dass das Bild, das die verschiedenen Variationen von Buckel-, Spiegel- und Polsterquaderwerk bieten, noch unvollständig ist. Denn auch glattes Quaderwerk in verschiedenen Größen und als kostengünstigste Variante auch Bruchsteinmauerwerk, meist ergänzt durch Eckquader, kommen im friderizianischen Burgenbau nicht selten vor, sei es an der gesamten Anlage, sei es nur an Teilen von ihr, dann oft in Mischung mit Arten aufwendigeren Mauerwerks. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für diesen letzteren Fall ist die gut erhaltene Anlage von Lagopesole, bei der neben verschieden stark ausgeprägten Buckelquaderwänden auch großflächige Außenschalen aus Bruchstein auftreten sowie Partien aus Glattquadern (vgl. Abb. 70, 78). Das hat man dort – mehr oder weniger überzeugend – mit Bauabfolgen bzw. technischen Aspekten zu erklären versucht, aber es bleiben dennoch schwer erklärliche Abfolgen wie etwa die vier horizontalen „Streifen“ aus verschiedenartigem Mauerwerk, die Teile der langen Westfassade kennzeichnen. Kommt man aber auf die Frage einer angeblich staufisch-dynastischen Bedeutung des Buckelquaders zurück, so begründen schon die Vielfalt der real zu beobachtenden Formen ebenso wie das eher seltene und weit verstreute Auftreten von Buckel-, Spiegel- und Polsterquadern tiefgreifende Zweifel an der Behauptung. Und erst recht weist nichts darauf hin, dass es etwa einen direkten Zusammenhang zwischen den (süd)deutschen Buckelquadern und jenen im Königreich Sizilien gegeben haben müsse. Vielmehr weist einerseits das Fehlen der großen Quader mit kaum bearbeiteten Buckeln, also der deutschen Frühform, in Süditalien auf eher voneinander unabhängige Entwicklungen, was andererseits die in Deutschland völlig fehlenden, aber in Süditalien zumindest an wichtigen Bauten auftretenden Spiegelquader unterstreichen. Dass die Tradition durchaus unterschiedlicher Buckel- und Rustikaquaderformen in Apulien tatsächlich weit in vorstaufische Zeit zurückgeht, darauf hat Kai Kappel bereits 1997 hingewiesen, indem er neben den Kathedralen von Bisceglie (Turmsockel, nach 1167), Altamura (Emporenbereich, wohl um 1232) und Acerenza (wiederverwendete antike Quader und solche des spä-
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ten 11./12. Jh.?) vor allem auf den Südwestturm der Wallfahrtskirche San Nicola in Bari hinweist, der nach Baubefund und Inschriften um 1087–95 entstanden ist und relativ sorgfältig abgerundete Buckelquader aufweist. Kappel weist ergänzend auch auf einen (vermutlichen) Wohnturm in Giovinazzo hin, den er in die 1. Hälfte des 13. Jh. setzt und dessen Sockel abwechselnde Schichten von Glatt- und Buckelquadern zeigt; ihm kann man einen ähnlichen Turm in Bisceglie an die Seite stellen (Abb. 144), und intensivere Suche dürfte sicherlich weitere Wohntürme mit derartigem Mauerwerk in apulischen Städten feststellen. Buckelquadermauerwerk ist also in Apulien tatsächlich bereits im späten 11. Jh. belegbar und damit, wie schon Kappel zurecht betonte, nicht nur früher als im (südwest)deutschen Raum (Mitte 12. Jh.), sondern sogar früher als an Burgen der Kreuzfahrerstaaten (1. Hälfte 12. Jh.). Seine Deutung, dass es sich dabei im Falle der Verwendung an gut sichtbaren Turmsockeln um einen Ausdruck von Solidität und Stärke handelt – vielleicht in Anlehnung an regionale Wohntürme des Adels, von denen wir so frühe Beispiele allerdings bisher nicht kennen –, an weniger sichtbaren Stellen aber auch nur um Sparformen echter Quader, ist dabei durchaus nachvollziehbar. Sie läuft zwar parallel zu Deutungsansätzen, die für das Buckelquaderwerk des 12./13. Jh. im deutschen Raum entwickelt wurden, aber die sowohl zeitlichen als auch formalen Unterschiede sprechen klar gegen einen unmittelbaren Zusammenhang, also gegen direkte „Beeinflussung“ oder gar eine gemeinsame dynastische Propaganda. Und dies gilt um so mehr, als wir für den gleichen Zeitraum inzwischen noch weitere europäische „Buckelquaderregionen“ benennen können wie vor allem Oberitalien noch im 12. Jh. und Südfrankreich im späten 13. Jh. Für weiteren Forschungen in ganz Europa bleibt bei diesem Forschungsstand noch immer sehr viel Raum, aber schon unser momentanes Wissen macht die Vorstellung vom überregional „staufischen Buckelquader“ entschieden unwahrscheinlich und veranschaulicht
Abb. 144 Bisceglie, ein Wohnturm in der Altstadt, der möglicherweise noch im 12. Jh. entstand – ein Beispiel vieler derartiger Türme in apulischen Städten, von denen aber nur wenig erhalten ist – , zeigt am Sockel ein in seiner Art seltenes Mauerwerk mit abwechselnden Lagen von glatten und Buckelquadern.
eher ein nicht ortsgebundenes Phänomen, das – einerseits als Sparform echter Quader, andererseits als Bedeutungsträger von Festigkeit und Stärke – in verschiedenen Regionen Europas und des Mittelmeerraumes zu verschiedenen Zeiten auftrat.
2.8. Der Mythos des „staufischen“ Buckelquaders
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ie Burgen, die Friedrich II. im Königreich Sizilien erbaut hat, waren durchaus nicht die ersten, die dort erbaut wurden, und sie blieben auch keineswegs die letzten. Vielmehr entstanden auch unter den Anjou (regierten 1266–1442), unter der Krone von Aragon (1443–1516) und zuletzt unter den Habsburgern (ab 1516) noch zahlreiche Burgen bzw. Befestigungen, von denen viele erhalten sind und wesentlich dazu beitragen, dass Süditalien für den architekturgeschichtlich Interessierten ein sehr attraktives Ziel ist. Für das Verständnis bzw. die Interpretation der Burgen Friedrichs II. ist diese Weiterentwicklung in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Einerseits wurden die meisten Bauten Friedrichs später noch erheblich um- und ausgebaut, sodass oft aufwendige Untersuchungen nötig sind, um die wirklich aus der staufischen Epoche stammenden Teile des Baues zuverlässig zu erfassen. Andererseits entstanden unter den Anjou, unmittelbar nach der Herrschaft Friedrichs II. und seiner Söhne, manche Neubauten, die wegen des geringen Zeitabstandes den staufischen Bauten formal noch nahestehen, sodass eine Datierung allein aus dem Baubefund heraus nicht selten problematisch ist. Das ist gelegentlich schon wissenschaftlich diskutiert worden mit mehr oder minder eindeutigen Ergebnissen, aber in anderen Fällen haben wir es weiterhin mit Pauschaldatierungen zu tun, die den Bau hemdsärmelig als „svevo“ oder „angioino“ einsortieren. Die wichtigsten
Diskussionsfälle dieser Art werden hier – um diesen interessanten Teil des Phänomens nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen – in einem Anhang zum Burgenkatalog vorgestellt (s. Sonderliste: Bauten, die unbeweisbar oder fälschlich Friedrich II. zugeschrieben wurden). Sicher als angevinisch sind aber inzwischen einige Bauten identifiziert, für die eine ausgewertete Schriftüberlieferung vorliegt, wie sie aus dieser Phase oft viel umfangreicher erhalten ist; insbesondere gilt dies für Manfredonia, Barletta und umfangreiche Bauteile von Melfi und Lucera. Die Stadt Manfredonia wurde 1256 vom späteren König Manfred gegründet und die gut erhaltene Burg am Hafen (Abb. 145) wurde lange dieser Gründungsphase der Stadt zugeordnet, womit sie zwar nicht mehr friderizianisch, immerhin aber noch staufisch gewesen wäre; dabei spielte wohl auch die vermeintliche, aber keineswegs überall geltende Faustregel eine Rolle, nach der Städte immer bei Burgen herangewachsen seien, nicht etwa umgekehrt. Eine unvoreingenommene Auslegung der schon seit Längerem publizierten Schriftquellen aus den 1270er-/80er-Jahren hat jedoch inzwischen gezeigt, dass am Hafen erst 1278 ein quadratischer Turm als Endpunkt der im Vorjahr begonnenen Stadtmauer entstand (vgl. Abb. 141), der dann zwischen 1279 und 1284 als Eckturm in die damals neu entstehende Burg einbezogen wurde. Aufgrund späterer Modernisierungen, vor allem Ende des
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Abb. 145 Manfredonia, Bestandsplan mit roter Hervorhebung der bis zum mittleren 15. Jh. entstandenen Teile. Von der 1279–84 erbauten Burg sind nur das Ringmauerquadrat und der quadratische Eckturm im Osten erhalten, im stärkeren Südrondell steckt der ältere Hafenturm (vgl. Abb. 141); der Südostflügel entstand im 20. Jh. neu.
15./16. und im frühen 20. Jh., ist die ursprüngliche Form der Burg Manfredonia nicht mehr in allen Einzelheiten rekonstruierbar, aber wahrscheinlich ist, dass die relativ kleine quadratische Anlage auch an den drei anderen Ecken weit vorspringende quadratische Türme besessen hat, nur etwas kleiner als der ältere „Hafenturm“. Damit stand die Burg durchaus noch in der Tradition der bis ins 12. Jh. zurückgehenden Kastellanlagen wie Capua bzw. von friderizianischen Bauten der 1230er-Jahre wie Bari und Trani (vgl. Abb. 35) – das vielleicht beste Beispiel für die schwere Unterscheidbarkeit friderizianischer und früher angevinischer Burgen, deren Bau ja in der Tat nicht einmal ein halbes Jahrhundert auseinanderlag.
In Barletta ist vom Neubau der Burg in den Jahren 1275–91, der an begrenzte normannische und friderizianische Teile anknüpfte, aufgehend nur wenig erhalten, weil die Festung des 16. Jh. einem ganz anderen Grundkonzept folgte. Die Schriftquellen lassen aber immerhin erkennen, dass der wichtige Baumeister Karls I., Pierre d´Angicourt, der in Melfi und Lucera noch aufwendigere Projekte realisierte, hier einerseits einen neuen Wohn- und Repräsentationsbau („palazzo“) schuf, was an den teilweise erhaltenen meerseitigen Flügel in Bari erinnert, auch an den etwa gleichzeitigen in Brindisi, andererseits aber auch Schäden am bestehenden Bau beseitigen musste. Das Ergebnis scheint eine Rechteckan-
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Abb. 146 Melfi, zwei Türme des 1277–81 entstandenen, angevinischen äußeren Mauerrings von Süden; typisch sind die hohen Schlitzscharten (vgl. Abb. 142).
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lage gewesen zu sein, die durch ihre aus mindestens drei Bauzeiten stammenden Teile sicher etwas inhomogen wirkte (vgl. Abb. 164); auf den gleichzeitig hinzugefügten Zwinger („maczia“) bleibt noch zurückzukommen. Die eindrucksvollsten Neubauten des Pierre d´Angicourt in Apulien sind jedoch Melfi und Lucera, die beide als Erweiterungen normannischer bzw. friderizianischer Burgen entstanden und vollständiger auf uns gekommen sind als Manfredonia und Barletta. Das Gemeinsame beider Burgen liegt darin, dass der ältere Kern von einer großzügig dimensionierten äußeren Ringmauer umgeben wurde, die durch zahlreiche vorspringende Türme mit extrem langen Schlitz- bzw. Senkscharten verstärkt ist (Abb. 146). Melfi ist dabei die kompaktere Anlage, bei der die neue Mauer mit dem vorgelegten breiten Graben den Burgkern im relativ geringen Abstand von 10–20 m umgibt (vgl. Abb. 177). Allein vom Grundriss her würde man hier von einem Zwinger sprechen, aber die Türme – abwechselnd größere Fünfeck- und kleinere Rechtecktürme – sind so hoch und voluminös, dass sie in Wahrheit eine neue Hauptverteidigungslinie bilden, hinter der die ältere, auch schon mehrtürmige Burg sowohl optisch wie defensiv zurücktrat. Der Höhepunkt angevinischen Burgenbaues in Süditalien und sicherlich auch im Werk des Pierre d´Angicourt war jedoch der Ausbau von Lucera zu einer ausgedehnten, an eine befestigte Garnison erinnernden Anlage in den Jahren 1269–80. Friedrich II. hatte hier einen hohen Vierflügelbau errichten lassen in anspruchsvoller, die angevinische Bezeichnung als „palatium“ erläuternder Architektur (vgl. Abb. 161), aber offenbar ohne Befestigungselemente, die über seine pure Höhe hinausgegangen wären; der Bau stand am Rande der antiken Stadt bzw. eines geräumigen Bergsporns, aber, ob deren Befestigungen damals noch Schutz boten bzw. ob der Bau Friedrichs noch von Besiedlung umgeben war, bleibt unklar. Karl I. ließ dann den gesamten Bergsporn mit einer hohen, fast 900 m langen und mit 24 vorspringenden Türmen verstärkten Mauer umgeben, in deren Innerem zahlreiche an Kasernen erinnernde längsrechteckige Bauten, Magazine und Stallungen entstanden, ergänzt durch eine Kapelle, eine vermutliche Waffenmanufaktur und Zisternen (Abb. 147; vgl. Abb. 159). Die nüchtern-systematische Anlage von Lucera, die durchaus die Größe einer mittelalterlichen Stadt erreichte, kann man nur als eine Art „Garnison“ verstehen – freilich nicht für damals noch kaum vorstellbare
bezahlte Söldner, sondern nur für eine große Anzahl bewaffneter Knechte, die von hier aus weite Teile Apuliens kontrollieren sollten. Ihr defensiver, wenn nicht geradezu „militärischer“ Charakter, der im späten 13. Jh. ziemlich ungewöhnlich gewesen sein muss, betrifft dabei auch die Funktionalität ihrer weitgehend in Backstein errichteten Ringmauer, die sich – wie schon die äußere Mauer von Melfi – durch ihre konsequent defensive Gestaltung ganz entschieden vom betont repräsentativen, nur auf passive Solidität setzenden Charakter der meisten friderizianischen Neuschöpfungen absetzt. Wesentliches Mittel dieser viel funktionaleren und zukunftsweisenden Bauweise waren neben tiefen Gräben vor den angreifbaren Seiten (vgl. Abb. 75) sowohl in Melfi wie in Lucera die systematisch gereihten und weit vorspringenden, meist eckigen Flankierungstürme, die konsequent mit hohen Schlitzscharten mit Dreieckfuß ausgestattet wurden. Besonders beeindruckend ist dabei in Lucera die Gestaltung der östlichen, über 200 m langen Angriffsfront, deren sieben Türme zum aggressiv vorstoßenden Fünfeck abgewandelt sind mit Scharten auf den drei Ecken (vgl. Abb. 75). Eine zusätzliche Betonung dieser Stadtseite bilden die beiden runden Ecktürme, insbesondere der „Löwinnen-„ oder „Königinnenturm“ an der Südecke (vgl. Abb. 142), ein Rundturm von etwa 15 m Durchmesser, der bis auf halbe Höhe mit Buckelquadern verkleidet ist, darüber mit qualitätvollen Glattquadern; seine Senkscharten sind bis zu 7 m hoch. Der hohe Sockel des friderizianischen Vierflügelbaues in Lucera wurde beim angevinischen Ausbau durch einen geräumigen, mit einer Halbtonne überwölbten Wehrgang geschützt, der außen über senkrechtem Sockel eine hohe Schräge bildet (Abb. 148). Form und Backsteingewände der regelmäßig gereihten hohen Schlitzscharten in dieser Schräge lassen keine Zweifel an der angevinischen Entstehung dieses ungewöhnlichen Wehrgangs, der mit der in den Jahren 1273–80 mehrfach erwähnten, weil damals im Bau befíndlichen maczia veteris castri zu identifizieren ist. Damit ist ein Thema berührt, das schon deswegen interessant ist, weil Bezeichnungen von speziellen Bauteilen im Burgenbau vor 1300 noch recht selten sind; leider wirft der Begriff aber auch erhebliche Deutungsprobleme auf. Der Begriff maczia (oder macza, maccia) ist in Schriftstücken frühangevinischer Zeit nicht nur in Lucera zu finden, sondern auch bei weiteren Burgen, nämlich Roseto Capo Spulico (1269), Barletta (1277/78) und Melfi (1279), auch in diesen Fällen in einem nicht allzu detaillierten,
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Lucera, der 1269–80 entstandene, angevinische Mauerring an der Westseite.
aber hilfreichen Zusammenhang. Vor allem in Barletta geht aus den Formulierungen hervor, dass für den Schreiber die Begriffe „mac(c)ia“/“maczia“ einerseits und „talus“ andererseits austauschbar waren. Da „Talus“ damals, auch in den Kreuzfahrerstaaten, eine schräg aufsteigende Mauer meinte – also in heutiger Technikersprache eine Mauer „mit Anzug“–, dürfte es sich um eine durchaus ähnliche Konstruktion gehandelt haben, wie sie in Lucera erhalten ist; der Barletta restaurierende Architekt Marcello Grisotti, der die Burg auch publiziert hat, geht davon aus, dass sie die Anlage allseitig umgab und damit seeseitig auch Schutz gegen Unterspülung bieten sollte. In Roseto Capo Spulico wird 1269 erwähnt, dass einer von drei Türmen an eine macza angebaut sei. Das lässt die genaue Form des so bezeichneten Bauteils im Unklaren, aber es ist natürlich nicht auszuschließen, dass er jenen in Lucera und Barletta ähnelte; eindeutige Reste fehlen ebenfalls, aber eine hypothetische Rekonstruktion der Anlage in Roseto ist möglich. Antonio Cadei schlug schließlich vor, dass eine murus veteris Balii (u. ä.) bzw. murus … a barbacano, die 1279 an der Süd- und Ostseite der Burg in Brindisi als verfallen erwähnt wird, einen weiteren Zwinger bezeichnete, wobei man hier aber auch an einen geräumigeren Vorhof denken könnte. Schließlich sind die Reste der angevinischen maccia in Melfi kaum noch zu identifizieren. Die Forschung konnte bisher nicht klären, wovon das Wort maczia, macza, maccia abzuleiten ist; neben einem italienischen Ursprung ist dabei angesichts der Herkunft von Bauherr und Baumeister möglicherweise an ein französisches Wort zu denken und auch eine arabische Herkunft kann angesichts der Beziehungen zu den Kreuzfahrerstaaten nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Rainer Brunner und Ulrich Rebstock vom Orientalischen Seminar der Universität Freiburg, die ich wegen der letz-
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Lucera, der schräge, einen Wehrgang mit hohen Schlitzscharten enthaltende Sockel (murus maczie palatii), der 1273–80 um den unteren Teil des heute zerstörten friderizianischen Baues gelegt wurde, von Nordosten.
teren Möglichkeit um Rat fragte, schlossen dies jedoch aus, womit die romanische Herkunft übrig bleibt: „maczia“ dürfte am ehesten eine ältere Form des italienischen „macchia“ (bzw. des französischen „maquis“) sein. Allerdings bedeutet das Wort in beiden Sprachen so viel wie Gebüsch oder Dickicht, was auf den ersten Blick schlecht zu einem steinernen Wehrgang bzw. Zwinger oder gar nur einer schrägen Stützmauer passt. Im heutigen Französisch wird „maquis“ allerdings auch in einer nachgeordneten Bedeutung verwendet: „servir de maquis“ bedeutet so viel wie „als Unterschlupf dienen“ und davon könnte durchaus ein Weg zum Konzept eines überdeckten Wehrganges führen, aus dem heraus unsichtbare Verteidiger die Angreifer durch die Schießscharten beschossen. Sollte die Begriffsbildung womöglich von einem „Gebück“ als Annäherungshindernis ausgegangen sein, das der Mauer als erste Verteidigungslinie vorgelagert war und das später zum Zwinger bzw. überdeckten Wehrgang „versteinert“ wäre? Es wird Hypothese bleiben müssen, so wie auch unklar und daher irritierend bleibt, ob die schräg ansteigende Mauer wirklich überall einen Wehrgang enthielt. Jedenfalls aber erreichte mit den überdeckten, schartenreichen Wehrgängen von Lucera, Barletta und vielleicht Roseto Capo Spulico eine Entwicklung einen ersten Höhepunkt, die sich schon im letzten Jahrzehnt Friedrichs II. in frühesten Beispielen angekündigt hatte. Insbesondere der 1249 vollendete Zwinger von Trani mit seinem schartenreichen Wehrgang in der Mauerdicke ist als direkter Vorläufer von Lucera und Barletta anzusehen (vgl. Abb. 35, 92); ob die unvollendete Außenmauer von Castel del Monte (vgl. Abb. 49, 93) ähnlich hätte ausgestaltet werden sollen, wissen wir natürlich nicht und der die Burg von Sannicandro umgebende Zwinger zeigt zumindest heute keine Schießscharten mehr, wohl aber die zur selben Ausbauphase gehörenden Türme (vgl. Abb. 77). Gegenüber den massiven, schartenlosen Außenmauern der meisten friderizianischen Kastelle, denen außerdem wohl keineswegs immer Gräben vorgelagert waren (2.5.2. Elemente der Befestigung), bedeutete dies den bedeutsamen Schritt von einer noch ganz passiv auf Mauermasse setzenden Verteidigung zu einer weitaus wirksameren Einwirkung auf den Angreifer, indem auf gleicher Höhe mit ihm Bogen- oder Armbrustschützen vor dem Mauerfuß platziert wurden. Um 1240–80 gab es erste Beispiele von Zwingeranlagen gleicher Funktion, die dann bis zum Spätmittelalter in weiten Teilen Europas Verbreitung fanden mit einem Höhepunkt in der Zeit der
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Abb. 149 Le Coudray-Salbart (Frankreich, Dép. Deux-Sèvres), Baualterplan von J. Mesqui mit dem Schützengang im Inneren der Ringmauer.
ersten Feuerwaffen, im 15. Jh. Es liegt mehr als nahe, auch diese fortifikatorische Entwicklung jenen französischen bzw. gotischen Einflüssen zuzurechnen, die bereits bei den entwurflichen Konzepten und der Ornamentik der friderizianischen Burgen festzustellen waren, insbesondere bei den Idealbauten der 1240er-Jahre. Als Vergleichsbeispiel ist dabei etwa jener Wehrgang in der Mauerdicke (gaine) zu nennen, den Pierre Héliot schon 1972 in der wohl nach 1226 entstandenen Burg Le Coudray-Salbart (Frankreich, Dép. Deux-Sèvres) vorstellte (Abb. 149), oder das Gegenbeispiel von Saint-Gobain (Dép. Aisne, 2. Viertel 13. Jh.), auf das er ebenfalls hinwies; in Nevers (Dép. Nièvre) hätte es eine entsprechende Anlage schon in der Stadtmauer des späten 12. Jh. gegeben. Eine weitere Frage zur Beziehung zwischen dem friderizianischen Burgenbau einerseits und jenem der angevinischen Folgezeit betrifft eine Reihe von Burgen, deren Datierung zwischen beiden Epochen umstritten ist, weil sie in Quellen friderizianischer Zeit nicht oder zumindest nicht eindeutig erwähnt sind, während ihre Baumerkmale
durchaus in beiden Zusammenhängen denkbar scheinen. In den beiden Büchern, die Giuseppe Agnello den friderizianischen Bauten Siziliens widmete, findet man eine Reihe von Burgen und Sakralbauten, deren Datierung noch in die Zeit Friedrichs II. lediglich Vermutung war. In den meisten dieser Fälle versuchte Agnello, erhaltene Bauten oder Baureste mit solchen zu identifizieren, die in Schriftquellen erwähnt sind, ohne dass ihre ehemalige Lage aber klar wäre; er hat den hypothetischen Charakter dieser Versuche stets vermerkt. Inzwischen, sechs Jahrzehnte später, ist die Forschung in den meisten dieser Fälle mehr oder minder deutlich fortgeschritten und man kann heute – auch wenn der Quellenmangel ein letztlich nicht behebbares Problem bleibt – doch in den meisten Fällen eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit in der einen oder anderen Richtung feststellen. Sofern diese erhöhte Wahrscheinlichkeit inzwischen eine friderizianische Entstehungszeit eher bestätigt, sind die Burgen hier im Kapitel „5. Die Bauten“ in Form von Kurzmonographien behandelt und generell in die Betrachtung mitein-
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bezogen worden. Dies gilt etwa, um wichtige Beispiele zu nennen, für die „Torre di Federico“ in Enna, die manche Forscher wegen der außergewöhnlichen Gestaltung ihrer Portale und Fenster erst ins späte 13. Jh. datieren wollten, oder für Lagopesole, das einige der vielen Forscher, die dort tätig waren, wegen der dann dichteren, aber bezüglich eventueller Bauvorgänge keineswegs eindeutigen Quellenlage erst der Zeit König Manfreds (Reichsverweser 1250/51, König 1254–66) zuschrieben. Jene weiteren Burgen mit erheblicher Datierungsproblematik, die nach gegenwärtigem Forschungsstand wohl doch eher erst in angevinischer oder noch späterer Zeit entstanden sind, bei denen aber die friderizianische Entstehung in der Vergangenheit durchaus seriös diskutiert wurde, sollten hier aber auch nicht gänzlich unbehandelt bleiben. Sie werden daher am Schluss des Buches in der „Sonderliste: Bauten, die unbeweisbar oder fälschlich Friedrich II. zugeschrieben wurden“, ebenfalls kurz diskutiert. Unter ihnen sind mehrere Bauten, bei denen angesichts des Mangels früher Quellenbelege und zugleich unübersehbar nachstaufischer Bauformen schwer nachvollziehbar ist, wie es überhaupt zu einer Datierung vor 1250 kommen konnte. Offenbar wurden in mehreren Fällen populäre Auffassungen, die in späteren Jahrhunderten dem „großen Staufer“ alles halbwegs Eindrucksvolle zuschreiben wollten, unkritisch übernommen; das betrifft etwa Favara, Giuliana, Menfi und Targia. Wesentlich klarer ist die späte Entstehung in den Fällen des in diesem Kapitel schon behandelten Manfredonia, wo die Quellenlage eigentlich eindeutig ist, aber offenbar lange unausgewertet blieb; ähnlich mag man den Fall der älteren Burg von Salerno ansprechen, wo in Wahrheit nichts – weder in den Quellen, noch im Baubestand – auf Arbeiten in friderizianischer Zeit deutet. Auch in San Miniato al Tedesco fehlen Belege für Bauarbeiten in dieser Epoche und die dortige Turmform weist deutlich auf einen neuen Turmbau der Kommune, der nicht vor 1300 entstanden sein kann. Schließlich fehlten auch der Vermutung, dass zumindest Teile der Burg in Bisceglie in die Zeit Friedrichs II. zurückgingen, stets solide Grundlagen; die zunehmende Entfernung der neuzeitlichen Überbauung in den letzten Jahren hat einen Bau recht eindeutig des späten 13. oder 14. Jh. freigelegt, der lediglich eine romanische Kapelle integrierte. Es bleiben drei Bauten, die auch heute noch weiteren Diskussionsstoff bieten können. Termoli (vgl. Abb. 196)
galt Haseloff und dann weiteren früheren Forschern als staufischer Bau, weil es dort eine Inschrift Friedrichs II. gibt, die allerdings nur isoliert erhalten ist und den Bau, an dem sie angebracht war, mit keinem Wort beschreibt – sie könnte sich also auch auf die Stadtbefestigung bezogen haben. Haseloff fühlte sich offenbar durch den hohen Sockel des Turmes von Termoli an Lucera er-
Abb. 150 Salemi, der Hauptturm und das Tor. Am Turm sieht man unten eine hohe Schlitzscharte, wie sie auch an anderen Teile der Anlage mehrfach auftritt.
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innert, jedoch ist der erstere weitaus kleiner und seine Einzelmerkmale weisen eindeutig ins Spätmittelalter; die lokale Forschung hat sich daher inzwischen auf die Deutung zurückgezogen, dass nur der Turmsockel mit seiner Zisterne noch friderizianisch oder auch normannisch sei – solide Belege fehlen aber auch dafür. Der kleine und stark umgebaute wohnturmartige Bau von Scaletta an der sizilianischen Ostküste wird zwar in friderizianischer Zeit erwähnt, aber keineswegs im Sinne eines Baues oder Umbaues; einige seiner Doppelfenster
wirken zwar romanisch, aber sie könnten auch vor der Zeit Friedrichs entstanden sein. Schließlich könnte die recht gut erhaltene, aber offenbar nie vollendete Burg von Salemi im Westen Siziliens in manchen Merkmalen noch friderizianisch sein, auch nach dem freilich sehr französisch wirkenden runden Donjon mit Rippensterngewölben in drei Geschossen (Abb. 150). Es sind dort letztlich die besonders hohen Schlitzscharten in der Art von Melfi und Lucera, die doch eher eine Entstehung in den 1270er-/80er-Jahren nahelegen.
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4. DER BURGENBAU FRIEDRICHS II. ZWISCHEN SYMBOLIK UND FUNKTIONALITÄT – EINE ZUSAMMENFASSUNG
I
n der Architektur der Burgen, die Kaiser Friedrich II. vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten seiner Regierung, in den Jahren zwischen etwa 1230 und 1250, im Königreich Sizilien erbauen ließ, spiegeln sich vielfältige Aspekte seiner Herrschaft und durchaus auch seiner in der Epoche außergewöhnlichen Persönlichkeit, zugleich aber auch überregionale Entwicklungen. Einerseits dienten die weit im Lande verteilten, oft Städten zugeordneten Burgen, unter denen auch viele ältere, mehr oder minder modernisierte waren, in zeittypischer Weise der Beherrschung und Sicherung des Landes, dabei besonders wirtschaftlicher Brennpunkte wie vor allem der Hafenstädte. Sie beherbergten kaisertreue Mannschaften, die bei Angriffen äußerer Feinde und internen Aufständen eingreifen konnten, wurden auch von „Beamten“ bewohnt, die für die Verwaltung der jeweiligen Region zuständig waren und dienten von Fall zu Fall sicherlich auch als Unterkunft des kaiserlichen Hofstaates und anderer Getreuer des Kaisers. Dabei war die Organisation des Staatswesens im friderizianischen Staat zwar etwas fortschrittlicher als in großen Teilen des üb-
rigen Europas, hatte aber mit heutiger Differenziertheit und klarer Organisation noch wenig zu tun, insbesondere auch, weil der Kaiser selbst jederzeit auf jeder Ebene eingreifen konnte. Dass er als Person das einzige Machtzentrum des Staates war und die Burgen als entscheidendes Mittel seiner Sicherheit betrachtet, zeigte sich insbesondere im Institut der castra exempta: Friedrich überließ die Wahl der Vögte dieser ausgewählten Burgen nicht seinen Verwaltungsorganen, sondern wählte sie persönlich unter besonders treuen Gefolgsleuten aus, um im Notfall sichere Rückzugsorte zu haben. Burgen, die insoweit in typisch mittelalterlicher Weise der Sicherung des Landes und seines Herrschers dienten, bedurften noch nicht zwingend ästhetisch besonders anspruchsvoller Formen. Feste Mauern und nutzbare, großzügige Räume reichten vielmehr zur Erfüllung dieser Grundfunktionen aus, lediglich oft ergänzt durch eine symbolhaft herrschaftliche Fernwirkung, die sich aus der Lage auf Bergen oder am Meeresufer ergab. Wenn also in der Spätzeit von Friedrichs Herrschaft einige Burgen neu entstanden, deren architektonische Qualität diese Grund-
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anforderungen bei Weitem übertraf und die tatsächlich zum Besten gehören, was mittelalterliche Architektur hervorgebracht hat, dann liegt es ausgesprochen nahe, in diesen Idealbauten den Ausdruck einer Herrscherpersönlichkeit zu sehen, deren belegte intellektuelle und künstlerische Interessen und Aktivitäten deutlich über das zeittypische Maß hinausgingen; dass nur eine einzige konkrete Äußerung des Kaisers zu einem dieser Projekte bekannt ist, nämlich zum Brückentor von Capua, widerspricht dieser Annahme nicht, sondern ist allein von der begrenzten Quellenüberlieferung herzuleiten. Keineswegs alle Burgen, die Friedrichs Macht in Süditalien sichern sollten, wohl aber einige von jenen, die er gänzlich oder in wesentlichen Teilen neu errichten ließ, vertraten also ein Konzept von Herrschaftsarchitektur, das nicht allein auf die Veranschaulichung von Kraft, Stärke und staatlicher Organisation setzte – wie es im Burgenbau seit Langem üblich war –, sondern das darüber hinaus zahlreiche Mittel ästhetisch anspruchsvoller Architektur mit großer Könnerschaft einsetzte, die man sonst in dieser Epoche fast nur im Sakralbau fand: klare Strukturierung von Bauvolumen, Raumform und Raumanordnung, konsequente Symmetrie, akzentuierter Einsatz von Schmuckelementen und Materialien und anderes mehr. Grundlage der Entwicklung blieb dabei die schon in normannischer Zeit nachweisbare und wohl auch von den Kreuzfahrerstaaten beeinflusste Form des Kastells, die sich in Friedrichs Regierungszeit von noch relativ unregelmäßigen Grundrissformen zu Bauten höchster formaler Stringenz entwickelte. Dabei sind zwei Phasen zu beobachten, die allerdings nicht scharf zu trennen sind. Die schwere Erkennbarkeit des Überganges von der einen zur anderen ist einerseits schon in der burgentypischen Seltenheit von Schmuckformen begründet. Andererseits sind Übergänge von einer herrschenden Formenwelt zu einer neu aufkommenden ja oft dadurch charakterisiert, dass beide Formen über gewisse Zeiträume hinweg in immer wieder anderen, experimentellen Zusammenstellungen auftreten, wodurch es manchmal unmöglich, oft aber zumindest wenig sinnvoll wird, bestimmte Bauten allzu eindeutig der älteren oder der neueren Formenwelt zuzuordnen. Für die Burgen Friedrichs II., die ja in kaum mehr als zwei Jahrzehnten entstanden, gilt diese Feststellung sehr weitgehend. Die beiden Entwicklungsstufen der friderizianischen Burgen mit den Begriffen „romanisch“ und „gotisch“ zu beschreiben würde die reale Entwicklung nicht hinrei-
chend beschreiben. Denn im Grunde waren nur zwei in den 1230er-Jahren entstandene Burgen, Bari und Trani, noch so eindeutig durch Formen der apulischen Romanik geprägt, durch Friese, Kapitelle und skulpturale Formen, dass man sie insgesamt noch als „romanisch“ bezeichnen könnte (weswegen Teile der Forschung sie ins 12. Jh. zurückdatieren wollen). Aber auch bei ihnen lässt sich bereits – wenn auch nur in wenigen unauffälligen Details – jene Entwicklung zu dezidiert gotischen Formen festzustellen, die nach begrenzten Quellenhinweisen, aber aussagekräftigen Formvergleichen stark zisterziensisch geprägt war. Bei der kleinen und späten Gruppe der friderizianischen Idealbauten wurde diese Formenwelt schließlich so einflussreich, dass man auch in Süditalien von jenem wirkmächtigen Einfluss der französischen Architekturentwicklung sprechen kann, der – unter der erst im 16. Jh. aufkommenden Bezeichnung „Gotik“ – seit dem späten 12. Jh. ganz Europa erfasste, wenn auch mit verschiedener Geschwindigkeit und zahlreichen Abwandlungen, die vor allem durch regionale Bedingungen und Traditionen bestimmt wurden. Auch die friderizianischen Burgen sind problemlos in diese Entwicklungen einzuordnen. Während die Burgen Friedrichs II. also auf die stilistischen Entwicklungen der Epoche in einer durchaus verbreiteten Weise reagierten, blieben sie in fortifikatorischer Hinsicht zunächst auffällig rückständig; hohe und starke Mauern und Türme mit Verteidigung aus der Höhe blieben so gut wie ausnahmslos das Mittel der Wahl, wobei oft wohl sogar auf vorgelagerte Gräben verzichtet wurde. In Frankreich waren dagegen ab dem Ende des 12. Jh. neue Formen aktiver Verteidigung entwickelt worden, insbesondere Schießscharten in Form hoher Schlitze, die – im unteren Teil der Mauer und meist flankierend angeordnet – weitaus gezielter und effektiver auf Angreifer einwirken konnten, als es in traditioneller Weise von hohen Türmen und Mauern aus möglich war. Diesen Fortschritten blieben die friderizianischen Neubauten noch fast völlig verschlossen, was umso auffälliger ist, als die Form des weit vorspringenden, in der Regel runden Eckturmes vor allem in den späten Idealbauten durchaus übernommen wurde; Scharten aber sucht man in diesen Türmen vergebens. Erst in den letzten Jahren Friedrichs gab es zumindest einen interessanten Versuch mit der bodennahen Anordnung von Schießscharten, nämlich den 1249 datierten Zwinger in Trani, zu dem vielleicht weitere, aber nie mehr vollendete Zwingeranlagen
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vor allem in Castel del Monte hätten kommen sollen. Das politische Geschehen – Friedrichs Tod und die folgenden Kriege bis zur endgültigen Durchsetzung der angevinischen Herrschaft – bewirkten in der Folge, dass die Neuerungen französischer Befestigungsarchitektur erst ab den 1270er-Jahren verspätet, aber umso kraftvoller in neue Befestigungsbauten Süditaliens vordrangen. Die kleine Gruppe der friderizianischen Idealbauten erscheint nach alldem als Höhepunkt einer zwar ästhetisch vollendeten, aber in Wahrheit schon etwas unzeitgemäßen Art von Herrschaftsarchitektur, die noch überwiegend auf eine symbolhafte Veranschaulichung von Macht und geordneter Staatlichkeit setzte, während die Architektur der Burgen und Herrschaftssitze andernorts bereits Formen hatte entwickeln müssen, die neuen Angriffsmethoden standhalten konnten und die daher weitaus funktionaler geprägt waren. Wer jedoch die Entwerfer der friderizianischen Burgen gewesen sind, ist eine Frage, die angesichts von deren besonderer architektonischer Qualität oft gestellt wurde,
auf die aber weiterhin keine wissenschaftlich gesicherte Antwort möglich ist. Zwar werden in den Schriftquellen vereinzelt Namen genannt, aber diese betreffen entweder nur einen Bauteil – wie den Zwinger in Trani – oder die Befassung dieser Personen mit kaiserlichen und anderen anspruchsvollen Bauten ist zwar belegbar, ihre konkrete Tätigkeit aber nicht festzustellen. Aus stilistischen Gründen muss man sicherlich von einer Mehrzahl burgenbauender Entwerfer in Friedrichs Diensten ausgehen; dass unter ihnen ein höchst begabter Architekt war, dem man zumindest mehrere der Idealbauten zuschreiben kann, liegt auf der Hand. Dass viele der Projekte, vor allem auf Sizilien, unter der Oberleitung des Richard von Lentini entstanden, ist zwar belegt, aber nicht, dass er über eine verwaltende Tätigkeit hinaus auch selbst entworfen hätte. Näher liegt – vor allem aus stilistischen Beobachtungen, aber auch aufgrund einiger weniger Schriftquellen – die Vermutung, dass es Zisterzienser oder auch ihre Konversen waren, die zumindest manche der Burgen entworfen und gebaut haben.
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5. DIE BAUTEN
A
llein der Überblick über die Literaturfülle, die in über einem Jahrhundert herangewachsen ist – man vergleiche das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes – und die dabei sowohl in ihren Fragestellungen als auch in den vorgeschlagenen Antworten eine beachtliche Vielfalt bietet, kann schon erklären, warum Einzeldarstellungen der Bauten den Abschluss dieses Buches bilden müssen. Die Bauwerke selbst sind das Fundament jeder architekturgeschichtlichen Darstellung und der Forschungsstand enthält bei den Burgen Friedrichs II. so unterschiedliche Interpretationen, dass an monographischen Darstellungen mit kurzer Diskussion der Baubefunde, Schriftquellen und bisherigen Deutungen kein Weg vorbeiführen kann. Den folgenden Einzeldarstellungen liegt eine Auswahl der Bauten zugrunde, die ebenfalls der Erläuterung bedarf, denn die Forschung hat schon insoweit sehr verschiedene Maßstäbe angelegt. Einerseits stellte Haseloff schon 1920 fest, dass das im Kern wohl aus den 1230erJahren stammende „Statut über die Reparatur der Kastelle“ etwa 225 Burgen nennt, wobei selbst diese hohe Anzahl aber nicht vollständig sein muss. Das andere Extrem der Auswahl bilden viele kunsthistorische Publikationen, die implizit den Eindruck vermitteln, dass nicht einmal ein Dutzend Neubauten aus der Initiative des Kaisers heraus entstanden seien, nämlich in der Regel ausschließlich jene, die ich in diesem Buch als „Idealbauten“ bezeichne. Einen Kompromiss bietet der kleine Katalog „Architettura sveva nell´Italia meridionale“, den die Gemeinde Prato 1975 veröffentlichte. Er führt 47 einschlägige Ob-
jekte auf, die – veranschaulicht durch die beigefügten Fotos und Zeichnungen – noch über nennenswerte Bausubstanz verfügen; Notizen über weitere, damals noch wenig untersuchte Bauten bringen die Gesamtzahl der als friderizianisch zu betrachtenden Bauten dort auf über 50. Was bedeuten nun diese unterschiedlichen Zählungen für das vorliegende Buch bzw. für die Frage: Welche Burgen muss man wirklich betrachten, wenn man zu einem aussagekräftigen Bild der Bauten, ihrer Formen und Funktionen sowie letztlich ihrer Rolle für der Herrschaft und Kultur im Reich Friedrichs II. kommen will? Die hohe Anzahl aus dem „Statut“ kam offenbar dadurch zustande, dass dort alle Burgen erfasst wurden, die zur Zeit Friedrichs II. der kurialen Verwaltung unterstanden; wann sie erbaut worden waren, spielte dabei keine Rolle. Viele der über 200 Burgen, vermutlich sogar die weitaus meisten von ihnen, können durchaus schon vor seiner Regierungszeit entstanden sein. Wir wissen daher in den meisten dieser Fälle weder, wer die Burg erbaut hat, noch, wie sie aussah. Grundlage einer architekturgeschichtlichen Analyse können aber natürlich nur jene Burgen sein, bei denen noch heute Bausubstanz aus friderizianischer Zeit erhalten ist. Jene etwas über 50 ganz oder teilweise erhaltenen Bauten, die demnach den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen bilden, wurden im Wesentlichen in dem 1975 publizierten Katalog der Gemeinde Prato erfasst. Dabei muss man sich allerdings zwei Einschränkungen vor Augen führen, die von dessen Verfassern in Kauf genommen wurden, um nicht unabsichtlich Bauten auszuschließen,
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die entgegen dem ersten Anschein doch zum Thema gehören. Einerseits wurden die Ansprüche an die Schriftquellen bzw. den historischen Zusammenhang sehr weit gefasst, das heißt, man akzeptierte im Extremfall sogar populäre Überlieferungen bis hin zu Legenden als beachtenswerte Hinweise auf „staufische“ Entstehung; außerdem wurden auch Bauten einbezogen, die nach der Quellenlage zwar keine kaiserlichen waren, sondern von Hochadeligen errichtet wurden, die dem Kaiser nahegestanden hatten. Auf der Ebene des Bauwerks selbst blieb außerdem die Frage nach dem jeweiligen Umfang der stauferzeitlichen Bausubstanz weitgehend undiskutiert, fraglos aufgrund der Einsicht, dass sie in vielen Fällen nur durch aufwendige Untersuchungen einer nachträglich sehr veränderten Bausubstanz zu beantworten gewesen wäre. Die Fragen der Bauanalyse bzw. der Rekonstruktion des friderizianischen Zustandes spielt daher im folgenden Katalog eine zentrale Rolle. Zwar können jene Umund Anbauten, die auf das Aufkommen der Artillerie und die veränderten Wohn- und Repräsentationsansprüche ab dem 15./16. Jh. zurückzuführen sind, oft noch relativ einfach abgegrenzt werden, aber spätestens ab dem 19. Jh. wurden jene Burgen, die in Städten lagen, oft so stark von jüngeren Bauten überwuchert und im Inneren umgestaltet – meist zu Wohnzwecken, aber auch etwa als Kasernen oder Gefängnisse –, dass sie kaum noch zu erkennen waren; das „castello svevo“ von Brindisi, noch immer Sitz eines Marinekommandos, ist bis heute ein beeindruckendes Beispiel dieses Zustandes (vgl. Abb. 39, 175) oder die zum Gefängnis umgenutzte und heute praktisch dem Verfall überlassene Burg von Augusta auf Sizilien. Viele besonders sehenswerte Burgen wurden zwar nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert, um etwa als Museum oder Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum zu dienen (Bari, Barletta, Castel del Monte, Sannicandro, Gioia del Colle, Trani, Lecce, Catania, Syrakus u. a.), aber nur bei oberflächlicher Betrachtung kann man sich dem Irrtum hingeben, dass sie damit ihre mittelalterliche Gestalt zurückerhalten hätten – verlorene Fenster oder Portale sind nicht zurückzugewinnen und geschlossene Durchbrüche, wiederhergestellte Wände oder ergänzte Mauerschalen bleiben Verluste. Bei genauer Analyse erkennt man leicht, in welchem Maße auch scheinbar perfekt erhaltene Bauten wie etwa Trani oder Gioia del Colle nach umfassenden Restaurierungen in Wahrheit zu schwer analysierbaren „Flickenteppichen“ geworden sind. Einen Höhepunkt
hatten die problematischen, aber von der älteren deutschen Forschung kaum diskutierten Restaurierungen in der Mussolini-Zeit erreicht, als der Drang zur Darstellung vergangener Größe oft zur übermäßigen „Glättung“ der Bausubstanz bzw. Tilgung ganzer Bauphasen führte – etwa im Falle des Tores von Capua oder auch von Castel del Monte, wo man die Ende des 19. Jh. entdeckten Überbleibsel der äußeren Mauer konsequent einebnete und wo nach dem Zweiten Weltkrieg die schwer geschädigte Quaderschale des Baues durch viele neue Steine ergänzt wurde; das war fraglos sinnvoll, um weiteren Schäden zuvorzukommen, aber es brachte auch wichtige Spuren des Urzustandes zum Verschwinden wie z. B. Reste von Konsolen und Balkenlöcher. Nur vertiefte Forschung am Einzelobjekt kann unter diesen Umständen zu sicheren Erkenntnissen über ihre Gestalt zur Zeit Friedrichs II. führen. Im Katalog wird daher der Stand der Forschung für jeden Einzelfall beschrieben, wobei jene Bauten, bei denen eine günstige Quellenlage und ein sicher in friderizianische Zeit zurückgehender Baubestand zusammentreffen, natürlich ausführlicher behandelt werden. Aufgenommen sind ferner – wie schon im Prateser Katalog von 1975 – auch Bauten, die aus stilistischen Gründen meist als friderizianisch angesprochen werden, auch wenn sie belegbar „nur“ von dem Kaiser nahestehenden Hochadeligen erbaut wurden. Sie einzubeziehen, ist deswegen sinnvoll, weil an ihnen fraglos oft dieselben Entwerfer und/oder dieselben Bauleute tätig waren wie an den kaiserlichen Bauten. Den Fällen schließlich, bei denen der Baubestand nichts mehr aus friderizianischer Zeit erkennen lässt, sondern in der Regel jünger ist, wurde im Katalog nur dann eine knappe Notiz gewidmet, wenn die Quellen dennoch auf Baumaßnahmen in dieser Zeit deuten; dabei geht es vor allem auch darum, die Aussagen älterer Literatur zu korrigieren, in denen der Baubefund oft kaum berücksichtigt wurde. Einige Burgen, die in der älteren Literatur Friedrich II. bzw. seinen Architekten zugeschrieben wurden – oft von Giuseppe Agnello, aber auch von anderen Autoren –, findet man in diesem Katalog nicht mehr, weil spätere Forschung gezeigt hat, dass sie jünger sind. Sie deswegen ganz wegzulassen, schien aber ebenso wenig angemessen wie eine kommentarlose Einreihung unter jene Burgen, die auch nach heutigem Wissensstand friderizianisch sind. Daher wurde hier eine Sonderliste angelegt, in der die betreffenden Objekte kurz vorgestellt werden unter besonderer Betonung der Argumente, warum sie nicht
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zu den Bauten Friedrichs II. gehören („Bauten, die unbeweisbar oder fälschlich Friedrich II. zugeschrieben worden sind“; S. 272 ff.).
LATIUM/LAZIO
Castrocielo (Abb. 151)
Die kleine Ruine Castrocielo überblickt aus einer Höhe von 700 m ü. d. M. das breite Liri-Tal und damit die Via Latina nordwestlich von Cassino/San Germano; das ummauerte, an die Burg anschließende Dorf Castrocielo wurde im 17. Jh. verlassen. Kern der Anlage war auf felsigem Untergrund ein fast rechteckiger Wohnturm, den Pio Francesco Pistilli in die Zeit um 1200 datiert; es ist unklar, ob er von den Äbten von Montecassino erbaut wurde oder von den Grafen von Aquino, deren Burg auf einem anderen Ausläufer desselben Berges lag. Ein Ausbau, den Pistilli ins Jahr 1231 setzt, fügte dem Turm westlich einen
Abb. 151 Castrocielo, Baualterplan nach P. F. Pistilli.
kleinen Hof mit dem Tor hinzu und verstärkte seine östliche Längsseite mit einem hohen Anzug. Eine kleine Vorburg entstand im Osten und Süden des Turmes in Bruchstein mit noch erkennbaren Zinnen, einem Wehrgang auf Balken und kleinen Schießscharten. Unter den Anjou wurde die Burg in den 1270er-Jahren einem Ritter verlehnt; Verstärkungen mit ehemals drei Rundtürmen – nur einer ist erhalten – und einer Erhöhung der Ringmauer entstanden wohl im späten 14. Jh.
Rocca Janula in Cassino (Abb. 152)
Die Stadt Cassino – antik Casinum, mittelalterlich San Germano – wird westlich von einem Berg überragt, den anstelle der antiken Akropolis die 529 n. Chr. gegründete Abtei Montecassino bekrönt – der Ort, von dem aus dann die Regel des Benedikt von Nursia das mittelalterliche Mönchtum prägte. Die strategische Lage des Klosters über der Straße von Rom nach Neapel, der antiken „Via Latina“, führte im Zweiten Weltkrieg 1944 zu seiner Zerstörung; es wurde nach dem Krieg in der Form des 16.– 18. Jh. wiederaufgebaut. Aus dem Nordosthang des Berges springt ein felsiger und steil abfallender Bergsporn gegen Osten vor, der die Stadt um 120 m überragt. Er trägt die Burg „Rocca Janula“, deren Name von einem Heiligtum des Gottes Janus herrühren könnte oder aber von ianula (lat.: kleines Tor). Auch die Rocca wurde 1944 weitgehend zerstört; danach wurden in jahrzehntelanger Restaurierung umfangreiche Mauerteile erneuert, die durch regelmäßig eingefügte Backsteinschichten erkennbar sind. Die Baugeschichte der Burg hat 2003 Pio Francesco Pistilli publiziert, auch unter Heranziehung von Abbildungen und Fotos aus der Zeit vor 1944. Nach der Klosterchronik und anderen Quellen haben zwei Äbte von Montecassino den Bergsporn bereits in der 2. Hälfte des 10. Jh. befestigt. 1115 wurde dieser Bau durch Abt Gerardo verstärkt, aber elf Jahre später durch die Einwohner von San Germano zerstört; erst Abt Roffredo dürfte ihn knapp nach 1200 wiederhergestellt haben. Nachdem man die Burg 1221, den „Assisen von Capua“ entsprechend, entfestigt hatte, wurde sie 1232 dem Kaiser übergeben und dann, wie der Chronist Richard von San Germano notierte, ab 1235 umfassend erneuert. Zuvor, ab 1230, war die an die Burg anschließende, nur in Resten erhaltene Stadtmauer bereits im Bau gewesen; Burg und Stadt sollten den ersten starken Vorposten an der Via Latina gegen den Kirchenstaat bilden. 1239 gehörte die of-
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fenbar inzwischen fertiggestellte Anlage zu jenen Burgen, deren Vögte der Kaiser selbst bestimmte (castra exempta); sie wurde gegen Angriffe aus dem Papststaat unter anderem mit einer Blide und weiteren Wurfmaschinen ausgerüstet. Nach dem Tod Friedrichs II. gehörte die Rocca Janula weiterhin zu den wichtigen Stützpunkten der angevinischen Landesherren, u. a. erscheint sie 1269 im Statut zur Reparatur der königlichen Kastelle und war Ende des 13. Jh. mit einem Burgvogt und 20 Knechten besetzt, deren Versorgung sorgfältig geregelt wurde; Bauarbeiten sind aber nicht belegt. 1417 fiel die Burg bis Anfang des 16. Jh. an das Kloster Montecassino zurück, das inschriftlich „1428“ einen halbrunden Turm neben dem Tor anbaute; vermutlich entstanden wenig später auch die vorgelagerten Zwinger gegen die Angriffsseite und die Stadt. 1623 wurde die Rocca Janula bereits als Ruine bezeichnet. Heute beherbergen die Nebengebäude und die Kapelle in der Vorburg, die fast vollständig nach 1945 neu entstanden, einen Verein, der sich um die Darstellung mittelalterlichen Lebens bemüht; die Kernburg mit dem Fünfeckturm ist noch nicht restauriert und unzugänglich (2019). Die Anlage, die in typischer Weise aus der Spornlage entwickelt wurde, ist in eine zweitürmige Vorburg gegen die Angriffsseite und die kleinere Kernburg auf der leicht überhöhten Spitze geteilt. Den ältesten Bestand der angriffsseitigen Vorburgmauer samt dem größeren Südturm schreibt Pistilli dem Bau des Abtes Gerardo von 1115 zu. Es handelt sich offenbar um den Rest eines größeren Wohnbaues mit zwei Obergeschossen, von denen kleine Rundbogenfenster ohne Werksteingewände zeugen; die Mauer wurde später mehrfach verstärkt und erhöht, erkennbar an vermauerten Zinnen. In der Kernburg steht nach den Zerstörungen 1944 noch die angriffsseitige Spitze eines etwa 20 m hohen, voluminösen Fünfeckturmes, der mit qualitätvollen glatten Quadern verkleidet ist (vgl. Abb. 33). Die erhaltenen Teile und Zeichnungen des noch unzerstörten Turmes aus den 1920er-Jahren zeigen, dass der Turm über einer gewölbten Zisterne drei relativ geräumige Geschosse mit kleinen Rechteckfenstern besaß, wobei der Einstieg ins unterste Geschoss etwa 3,5 m über dem Boden lag. Die hohe Qualität des Quaderwerks mit Steinmetzzeichen passt durchaus zu einer Entstehung in friderizianischer Zeit ab 1235; der Turm war anfangs offenbar der einzige bewohnbare Bau in der Kernburg. Nach Pistilli entstanden die in Resten erhaltenen Außenmauern von Kern- und Vorburg im
Abb. 152 Rocca, Janula, Baualterplan nach P. F. Pistilli.
Anschluss an den Turm bis 1239 mit einem zweiten Rechteckturm gegen die Angriffsseite und einem rechteckigen Vorsprung nahe dem Tor. Auch die Quermauer zwischen beiden Burgteilen datiert er in diese Zeit, woran angesichts der dichten Reihung kurzer Schlitzscharten allerdings zu zweifeln ist. Das schlechte Mauerwerk der Außenmauern der Kernburg – Quader findet man nur in der Partie um das Tor – belegt jedenfalls eine deutliche Ab-
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senkung des technischen Anspruchs nach der Vollendung des Fünfeckturms. Spätere Verstärkungen (14./15. Jh.) sind am Bau noch zu erkennen, aber nicht näher datierbar. Das gilt für die Erhöhung sowohl der angriffsseitigen Vorburgfront als auch der Quermauer vor dem Fünfeckturm; an beiden Stellen erkennt man vermauerte Zinnen. Auch der Schrägsockel, der den westlichen Turm stützt, gehört in diese Phase. Der ehemals hohe halbrunde Turm östlich vom Tor von 1428 wurde 1944 zerstört, seinen Sockel hat man bei der Wiederherstellung angedeutet. Schließlich kann man einen repräsentativen Bau (wohl um 1500) seitlich und hinter dem Fünfeckturm noch aus alten Fotos erschließen.
Roccaguglielma (Abb. 153)
Die kleine Burg Roccaguglielma bewachte südwestlich von Cassino/San Germano auf hoher Felsnase über dem Dorf Esperia eine Talenge, durch die Angreifer, das breitere Tal des Flusses Liri vermeidend, zur Küste und nach Neapel hätten vordringen können. Die Burg existierte, wohl ab 1103 erwähnt, jedenfalls bereits in normannischer Zeit, wie auch der von Pio Francesco Pistilli ins späte 12. Jh. datierte quadratische Hauptturm bezeugt. Der friderizianische Ausbau ab 1231 betraf nach Pistilli einerseits das Turminnere, in dem die Holzdecken durch ein aus Bruchstein gemauertes Kreuzgratgewölbe über dem obersten, bewohnbaren Raum ersetzt wurden und
Abb. 153 Roccaguglielma, Baualterplan nach P. F. Pistilli.
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im unteren Turmteil eine Zisterne eingebaut wurde. Der Turm wurde damals vermutlich durch eine Ringmauer ergänzt, von der aber nur Reste eines kleineren, ebenfalls rechteckigen Turmes mit einer weiteren Zisterne im Sockel erhalten sind. Die übrige in Ruinen erhaltene Anlage wurde im 14./15. Jh. erheblich vergrößert und modernisiert, u. a. durch Wohnbauten und ein Rondell gegen die Angriffsseite (vgl. Abb. 74).
KAMPANIEN/CAMPANIA
Capua, Brückentor (Abb. 154)
Das heutige Capua entstand als Nachfolger der im 9. Jh. von den Langobarden zerstörten antiken Stadt in einer geschützten Schlinge des Volturno an der römischen Flussbrücke der Via Appia. Ab dem 10. Jh. Sitz eines Erzbischofs und eines weitgehend selbstständig agierenden Grafen, besaß Capua spätestens in normannischer Zeit eine Burg im Zuge der Stadtmauer, von der Mauerteile und ein Eckturm erhalten sind (castrum lapidum, wohl Mitte des 12. Jh.; vgl. Abb. 26). Obwohl die Stadt 70 km hinter der Grenze zum Kirchenstaat lag, galt Capua – als erste größere Stadt des Königreiches im Verlauf der Via Appia/Via Latina und Sitz eines bedeutenden Gerichtshofes – in friderizianischer Zeit quasi als Tor zum Königreich Sizilien und wurde daher mit einem Torbau geschmückt, der zu den anspruchsvollsten Projekten Friedrichs II. gehörte. Von ihm ist nach weitgehenden Umgestaltungen im 16. Jh., als er zum Kavalier eines Ravelins wurde, nur der untere, in den 1920er-Jahren stark restaurierte Teil erhalten. Der symmetrisch gestaltete Torbau bildete als „Brückenkastell“ den nördlichen Brückenkopf am Volturno und wandte dort dem Ankömmling eine Schaufassade zwischen zwei Rundtürmen zu (vgl. Abb. 45); die Fassade ist nur noch aufgrund früher Zeichnungen in großen Zügen rekonstruierbar. Richard von San Germano bezeugt, dass der Kaiser 1234 selbst den Bauauftrag erteilte – er habe den Entwurf des castellum vor Ort eigenhändig bestätigt (manu propria consignavit); dass diese Formulierung zwar eine persönliche Entscheidung des Kaisers, keineswegs aber einen eigenhändigen Entwurf meint, ist heute weithin anerkannt. 1239 folgte die Abrechnung des fertiggestellten Baues. Die beiden runden, nur gegen die hindurchführende Straße abgeflachten Türme waren aufwendig gestaltet. Über dem gestuften Fundament folgt ein hoher, sechseckiger Sockel, der mit äußerst sorgfältig gearbeiteten,
großen Spiegelquadern aus fast weißem, marmorähnlichem Travertin verkleidet ist (vgl. Abb. 135); sie stammen wohl teilweise vom römischen Amphitheater in Capua Vetere. Drei Meter über dem Fundament wird der Sockel durch einen mehrteilig profilierten Rücksprung gegliedert (vgl. Abb. 132). Der Übergang von den Ecken des Sockels zu den gerundeten Obergeschossen wird knapp 8 m über dem Fundament durch eine Schräge gebildet, die, der Rundung folgend, zwischen den Ecken eine abschwingende Linie bildet und ursprünglich an den Spitzen über den Ecken durch teilweise erhaltene Büsten geschmückt war. Das Erdgeschoss wurde in der Zeit als Ravelin (16. bis frühes 20. Jh.) durch Durchbrüche, Schießscharten, neue Wände usw. sehr stark verändert, was Creswell Shearer 1935 dokumentierte. Dass erhebliche Teile des heutigen Bestandes erst bei der Restaurierung der 20er-Jahre entstanden, wurde in der in Deutschland bekannteren Publikation von Carl Arnold Willemsen über das „Triumphtor“ nur am Rande erwähnt. Der über den Sockel aufsteigende, runde, aber gegen die Torfahrt abgeflachte Teil der beiden Türme, der nur 5–6 Quaderschichten hoch erhalten ist, zeigt eine Verkleidung mit glattem Großquaderwerk aus Tuff; der dunkelgraue Stein setzt sich wirkungsvoll von dem hellen Sockel ab. Nach dem Rekonstruktionsversuch, den Willemsen, angelehnt an Shearer und noch ältere Vorschläge der lokalen Forschung, publiziert hat, dürfte die Plattform der Türme rund 18 m über dem Fundament gelegen haben. Wie die Wehrplatte gestaltet war, wissen wir nicht, aber die Qualität der Gestaltung war auch hier hoch, wie eine Beschreibung des 15. Jh. betont („propugnacula in der Art einer Krone hochgeführt, wie sie fähige Bauleute nicht stärker erdenken konnten“). Dass damit Schwalbenschwanzzinnen über einem Rundbogenfries gemeint waren, wie es die Rekonstruktionen bisher dargestellt haben, ist allerdings abzulehnen, weil solche Formen erst später und primär in Norditalien aufkamen. Zugang zu den Türmen boten zwei restaurierte Rundbogenpforten in den ersten Obergeschossen, die in kreuzrippengewölbte, etwas mehr als halbrunde Gemächer führten. In ihnen sind Reste von Wandvorlagen und Diensten erhalten, während die Gewölbe und die auf ihrer Höhe liegenden Fenster bis auf einige Rippenspolien und den Unterteil eines Fensters zerstört sind. In die Erdund Untergeschosse beider Türme gelangte man von den Obergeschossräumen aus über Wendel- und geradläufige
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ç Abb. 154
Capua, Brückentor, Rekonstruktionsversuch der Nordfassade und des Obergeschoss-Grundrisses, auf Grundlage der Rekonstruktionen von C. A. Willemsen. Für die Brustwehr der Plattform gibt es keine Belege.
Treppen in beiden Türmen. Die im 16. Jh. und später zu Kasematten umgebauten, relativ niedrigen und ursprünglich wohl kaum belichteten Erdgeschosse dienten sicher nur untergeordneten Zwecken; von beiden führten Treppen weiter hinab in einen Raum unter der Straße bzw. einen chronikalisch belegten Zugang zu Trinkwasser; das bestätigt, dass das Tor durchaus als Wehrbau konzipiert wurde, der im Notfalle auch isoliert verteidigungsfähig sein sollte. Wichtigster Bedeutungsträger des Torbaues war die reich gegliederte, mit Skulpturen und Inschriften geschmückte Fassade zwischen den Türmen, die leider 1557 zerstört wurde. Dass wir die Gestaltung dieser Fassade noch in großen Zügen kennen, verdanken wir zwei Zeichnungen des 16. Jh., Resten ihres Skulpturschmucks im „Museo Campano di Capua“ sowie frühen Beschreibungen. Creswell Shearer und besonders Carl Arnold Willemsen haben sich intensiv mit den Skulpturen und ihrer Bedeutung auseinandergesetzt. Die Grundzüge der Fassade kennen wir vor allem aus einer um 1550 entstandenen Skizze in den Florentiner Uffizien. Um das reich profilierte, an den Kämpfern mit Löwenskulpturen geschmückte Rundbogentor – der Torso eines Löwen ist erhalten – waren drei Tondi angeordnet. Über dem Torscheitel saß eine etwa 2 m hohe Frauenbüste, die vielleicht das „getreue Capua“ symbolisierte – oder eher die Iustitia – und die etwas tiefer von kleineren Männerbüsten flankiert wurde; erhalten sind nur die drei beschädigten Köpfe (vgl. Abb. 130). Beschriftungen, deren Buchstaben nach einem Fundstück in antikischer Weise mit Bronze ausgelegt waren, erläuterten sie als Vertreter kaiserlicher Gewalt, wohl Richter, die Getreuen Einlass gewährten, den Untreuen aber Strafe androhten. Über einem kräftigen Gesims thronte dann mittig in rundbogiger Nische die Statue des Kaisers selbst, in säulengetragener Blendarkatur flankiert von zwei wenig kleineren Figuren, deren Bedeutung unbekannt bleibt, genauso wie jene noch weiterer Figuren, die sich ein Geschoss höher in einer kleiner dimensionierten Blendarkatur befanden. Von der Kaiserstatue, die nach einer um 1500 entstande-
nen Zeichnung sicherlich Zepter und Reichsapfel hielt, ist der beschädigte Torso erhalten (vgl. Abb. 130). Die Gesamtkomposition dürfte also den Kaiser als Vertreter des weltlichen Rechts dargestellt haben, der über seinen Vertretern thronte; in der oberen Statuenreihe darf man vielleicht Heilige als Vertreter des höchsten, göttlichen Rechts vermuten. Die Rekonstruktion von Willemsen unterstellte eine Dicke der Torfassade von nur etwa 1,50 m; die Turmwände sind dagegen 2,50 m dick. Die wirkliche Fassadendicke bleibt mangels Unterlagen und Spuren am Bau unbekannt; die Fassade war nachträglich ohne Verband zwischen die fertiggestellten Türme gesetzt, sodass es keine Abrissspuren gibt. Mehrere Indizien deuten jedoch darauf hin, dass die Fassade bzw. der Bauteil über dem Tor eine größere Tiefe und innenräumliche Komplexität besaß, als Willemsen es rekonstruieren ließ. Einerseits erwähnte der Capuaner Chronist Sannelli, dass sich in der Torwölbung Skulpturen aus weißem Marmor befanden, die „viele Trophäen und Siege des Kaisers“ darstellten; dies spricht für eine Wölbung von erheblicher Tiefe, während Willemsens Darstellung überhaupt keine Wölbung enthält. Andererseits beschreibt die Biographie eines Kondottieres aus der Mitte des 15. Jh. ein königliches cubiculum (Kammer, Gemach) über dem Tor, in dem sich Marmorstatuen und alte Bildwerke befunden hätten – damit kann kaum nur der Statuenschmuck an der Fassade gemeint gewesen sein, wie bisher meist angenommen wurde, sondern eher ein wirklicher Raum. Drittens ist das Fundament, das den Kellerraum unter der Torfassade begrenzt, fast fünfeinhalb Meter dick, was für eine ähnliche Dicke der aufgehenden Mauer spricht, nicht für eine Wand von nur 1,5 m Dicke. Schließlich gibt es in Florenz eine weitere, durch Beischrift dem Tor zugeordnete Zeichnung, nun von einem antikisierenden Torgewände, dessen genauer Platz bisher unklar ist. Eine Rekonstruktion von Fassade und Durchfahrt, die alle diese Indizien integriert, wird hier zum ersten Mal versucht (Abb. 154).
Casertavecchia (Abb. 155)
Die bedeutende Burg im Städtchen Casertavecchia wird in den Schriftquellen erst 1277 fassbar. Ein castrum Casa Irta (= Caserta) in aussichtsreicher Spornlage über der campanischen Ebene ist zwar chronikalisch schon seit 861 belegbar und erschien 1092 zuerst als Sitz eines Grafen und eines Bistums, jedoch sind so frühe Befestigun-
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gen, die vermutlich noch das ganze spätere Städtchen umfassten, nicht mehr erkennbar. Die Burg an der nur wenig überhöhten östlichen Angriffsseite der Stadt dürfte nach der Anerkennung einer „Grafschaft Caserta“ durch König Roger II. im Jahre 1150 gegründet worden sein. Der hohe Rang Graf Roberts von Caserta unter Wilhelm II. (reg. 1171–89) als Justiziar von Apulien und der Terra Laboris unterstreicht diese Annahme und auch die Besetzung des Ortes durch Heinrich VI. 1191 dürfte in der Hauptsache in der Stärke der Burg begründet gewesen sein.
1223/24 wurde der offenbar zu papsttreue Graf von Caserta, Tommaso di Lauro, in Sizilien eingekerkert und dann aus dem Königreich verbannt, die Grafschaft in die königliche Domäne integriert. Sein Sohn Riccardo, der sie 1232 zurückerhielt, zählte dann aber zu den treuesten Gefolgsleuten Friedrichs II. und heiratete 1246 Violante, eine Tochter des Kaisers; ihm wird auch der entscheidende Ausbau der Burg in den 1240er-Jahren zugeschrieben, darunter der riesige Rundturm vor dem Tor. Nach Riccardo di Lauro bzw. dem Ende der Stauferherrschaft geriet die Burg offenbar bald in Verfall, denn 1277 und
Abb. 155 Caserta Vecchia, Baualterpläne der Burg nach Pio Francesco Pistilli.
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wieder 1283 wurde allein der Rundturm von Karl I. von Anjou verlehnt und 1327 ist in einem Erbverzeichnis eindeutig die Rede von der „Burg in der Stadt Caserta, die zum größeren Teil zerstört ist, ein Saal teilweise dachlos und zwei Tore [sind] zerbrochen“. Da ebenfalls schon im frühen 14. Jh. eine neue Residenz in der Ebene an der Stelle der heutigen Stadt und Residenz Caserta gegründet wurde, verloren Burg und Stadt Casertavecchia langfristig immer mehr an Bedeutung. Nur 1528 wurde die Burg im Rahmen der französisch-spanischen Kämpfe offenbar nochmals instand gesetzt. Von der Burg in Casertavecchia sind hohe Ruinen vor allem an der östlichen Angriffsseite von Burg und Stadt erhalten, während die Westseite wohl vor allem durch Steinraub stärker zerstört und teilweise unter Schutt begraben ist. Pio Francesco Pistilli, der sich eingehend mit dem Bau auseinandergesetzt hat, datiert den ältesten, später stark verbauten und durch seine Mauertechnik erkennbaren Kern des Bestandes noch in vorstaufische Zeit um 1170. Er bestand vor allem aus der sechseckigen Ringmauer, vor die drei rechteckige Türme vorsprangen. Nur jener an der Nordspitze ist hoch erhalten, der größere westlich gegen die Stadt als Ruine, von einem dritten im Südwesten sind nur noch Fundamente erkennbar. An die Westfront lehnte sich ein langes Gebäude, das mit dem im Obergeschoss gewölbten Westturm verbunden war; auch davon sind nur niedrige Mauern erhalten. Ein zum Hof offener Portikus schloss südlich an dieses Gebäude an. In der Ostseite der Ringmauer lag von Anfang an eine Poterne. Der Ausbau der 1240er-Jahre – nach Pistilli unter Riccardo di Lauro – schuf an den vorhandenen Außenmauern einen Ring zweigeschossiger Gebäude, der den Hof fast völlig umgab; nur im Südosten lag das Tor in einem frei stehenden, erneuerten Mauerabschnitt. Material dieser Bauteile war Tuff als Bruchstein mit Werkstücken nur an den Wölbungen, Öffnungen usw. Das Obergeschoss des älteren Westflügels wurde durch eine Freitreppe erschlossen, in den anschließenden Portikus wurde ein Bad eingebaut mit Hypokaustum und aufwendigen Vorrichtungen zur Erwärmung des Wassers; ein ähnliches Bad fand man in Lagopesole. Der Nordflügel wurde verbreitert, indem man dort – und nur dort – eine neue, sehr hohe Ringmauer außen vor der normannischen errichtete. Unklar bleibt, welche Funktionen dieser heute weitgehend zerstörte Flügel aufnahm; für West- und Nordflügel des stauferzeitlichen Ausbaues darf man jedoch Wohnfunktionen im weitesten Sinne annehmen.
Der entsprechend der Ringmauer geknickte, fast 40 m lange Ostflügel, heute Ruine, bildete, wie seine teils zweistöckig erhaltene Hoffassade verdeutlicht, das palatium, den Repräsentationsbereich der Grafenburg (vgl. Abb. 24). Seine beiden Geschosse waren kreuzgratgewölbt, der Saal über einen hofseitigen Holzbalkon erreichbar, der sich vielleicht auch vor den Flügeln im Norden und Westen fortsetzte. Allerdings sind die ehemals drei Doppelfenster (vgl. Abb. 114) und das Portal des Saales im Obergeschoss sehr weitgehend restauriert. Einer zweiten spätstaufischen Bauphase, die ab etwa 1246 direkt auf die erste gefolgt sei, schreibt Pistilli drei Türme zu, die durch ihr sauberes Tuffquaderwerk gekennzeichnet sind. Der quadratische Turm, der weit vor den Westflügel vorsprang, war zweigeschossig tonnengewölbt, wobei das Untergeschoss eine Zisterne, das Obergeschoss einen Wohnraum mit zwei großen Fenstern enthielt. Der größere, querrechteckige Turm im Osten gegen die Angriffsseite wurde dreigeschossig vor die ältere Poterne gesetzt. Er enthielt im Untergeschoss wieder eine Poterne; von dort konnte man nur mittels einer Leiter zum Erdgeschoss des Saalbaues heraufsteigen. Der Raum darüber, vom Saal zugänglich, besaß einen seitlichen Ausgang auf einen rechteckigen Anbau, der wohl Aborte aufnahm; ein oberstes Geschoss war vermutlich vom Wehrgang aus zu betreten. Der dritte Turm aus den Jahren nach 1246 ist der isoliert vor dem ehemaligen Burgtor stehende riesige Rundturm, die „Torre dei Falchi“ (Falkenturm), der einen Durchmesser von nahezu 20 m und eine Höhe von über 30 m besitzt (vgl. Abb. 82). Für seine Gestaltung sind gleich zwei eindeutige Vorbilder zu benennen. Einerseits geht der Typus des frei neben der Burg stehenden, von dieser nur über eine Brücke erreichbaren, mehrgeschossig gewölbten und bewohnbaren Rundturms auf französische Vorbilder zurück, die in der Regierungszeit von König Philippe II. Auguste ab der Zeit um 1200 entstanden. Andererseits ist der sechzehneckige, einmal abgesetzte Sockel aus weißen Kalksteinquadern, der durch dreieckige Zwickel zum runden Teil aus dunklem Tuff überleitet, unübersehbar ein vereinfachtes Zitat der wenig älteren Brückentürme Friedrichs im 12 km entfernten Capua. Dass sich im zweiten Punkt die enge Anlehnung des Grafen an seinen Schwiegervater, den Kaiser, spiegelt, liegt auf der Hand. Im Inneren des Rundturmes folgt über einer großen Zisterne zunächst ein schwach belichteter und nur von
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über dem Burgtor führte. Ob über der heutigen Plattform noch ein viertes Geschoss folgte, scheint unklar; jedenfalls kragte in dieser Höhe ein umlaufender Holzwehrgang vor, wie Balkenlöcher belegen.
Matinale (Abb. 156)
Abb. 156 Matinale, Grundrisse nach Pio Francesco Pistilli.
oben zugänglicher Wohnraum; an der Treppe zum zweiten Obergeschoss liegt auch ein Abort. Der Hocheinstieg in dieses Geschoss war über eine 7 m lange Brücke direkt vom Saal des Ostflügels der Burg erreichbar und erweist sich auch durch seine Ausstattung als der herrschaftliche Saal des Turmes. Der bis zu 12 m hohe, ehemals verputzte Gewölberaum wird durch drei Stichbogenfenster mit Seitensitzen belichtet und besitzt auch einen kleinen Kamin. Die breitere Treppe, die von hier zur Plattform führt, besaß einen weiteren (sekundären?) Hocheinstieg, von dem eine zweite, nur etwa 4 m lange Brücke zur Ringmauer
Die Burg Matinale – nach dem Bergnamen im Mittelalter auch castrum cancelli genannt – wird erst in einem Mandat von 1298 als Besitz von Margarethe von Schwaben erwähnt, einer illegitimen Tochter Friedrichs II. Sie hatte vor 1247 den Grafen Tommaso II. von Aquino geheiratet, der nach dem Mandat die Burg erbaute (castrum … Matinale edificatum olim per quondam Thomasium comitem Acerrarum), wohl auf Gütern, die zu Margheritas Mitgift gehört hatten. Im 14. Jh. wird die unvollendet gebliebene Burg nicht erwähnt; 1437, im Krieg zwischen Anjou und Aragon, wurde sie aber besetzt und war folglich verteidigungsfähig. Danach verfiel sie, wurde aber im 18. Jh. nochmals als adeliger Landsitz hergerichtet. Das Kastell mit vier quadratischen Ecktürmen und einem weiteren Mauerturm steht auf einem hohen Bergausläufer, der oben relativ viel Platz bietet und die campanische Ebene bis Neapel und zum Vesuv überblickt (vgl. Abb. 36). Im heutigen Zustand lehnt sich nur an die Südwestmauer ein zwar nicht überdachter, aber dickwandiger und im geplanten Obergeschoss mit einer Spitztonne gewölbter Flügel, während sonst nur Mauerfundamente und wenige höhere Reste auf jüngere Bauten deuten; an der Südostseite fehlen auch sie. Bereits Pio Francesco Pistilli stellte aber anhand von Gewölbeansätzen, Fenstern und ungenutzten Wand- und Bogenansätzen in der Ringmauer fest, dass hier ursprünglich ein regelmäßiger Vierflügelbau mit großzügigen Räumlichkeiten entstehen sollte, der aber unvollendet blieb (vgl. Abb. 57). Die Nichtvollendung wird besonders im Südwestflügel deutlich, der zwar mit Hofwand und Spitzbogentonne über dem geplanten Obergeschoss äußerlich vollständig scheint, wo aber eine untere Rundtonne über dem Keller zum größeren Teil unausgeführt blieb. Solche Befunde zeigen, dass die kurz vor 1247 begonnene Anlage nach dem Tod Friedrichs II. nicht zu Ende geführt wurde, weil der Bauherr fraglos den politischen Rückhalt verloren hatte. Das Spitzbogentor nahe dem südlichen Eckturm sollte durch den nicht mehr begonnenen Südostflügel führen; ein flacher Erker markiert die Stelle des aufzuziehenden Fallgatters. Ein zweites Tor würde man eigentlich an der Nordecke der Anlage vermuten, wo zwei eng aneinan-
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dergerückte Türme den Eindruck eines Doppelturmtors erwecken; jedoch lag zwischen ihnen nur eine Poterne in Hochlage. Der Raum im ersten Obergeschoss des benachbarten Eckturmes zeigt als einziger der Burg ein Kreuzgratgewölbe über profilierten Konsolen und einen innenliegenden Abort, und da der Turm auf der anderen Seite der Poterne im gleichen Geschoss Reste eines geschmückten Kamins enthält, waren hier wohl die Räume des Burgherrn vorgesehen. Im Südteil des anschließenden Nordostflügels deuten eine Bifora in Spitzbogenblende (vgl. Abb. 108) und an der Innenseite Ansätze von Schwibbögen die Stelle eines geplanten dreijochigen, aber mit Flachdecke geplanten Saales an. Er hätte 23 m lang werden sollen, blieb aber mit dem ganzen Flügel unausgeführt; die Stelle nahm später, vielleicht erst im 18. Jh., ein dünnwandiger, wohl nur erdgeschossiger Behelfsbau ein, möglicherweise ein Stall. Die beiden Südosttürme, die bis heute nur mit der Ringmauer, aber nicht mit Flügeln verbunden sind, waren im ersten Obergeschoss ebenfalls mit Kaminen ausgestattet; die Aborte lagen hier aber nicht in den Räumen, sondern allgemeiner zugänglich vor ihren Eingängen. Über den teilvollendeten Südwestflügel und die unausgeführten Flügel im Nordwesten und Südosten kann lediglich anhand ihrer kleinen Rechteckfenster gesagt werden, dass sie im Obergeschoss ebenfalls bewohnbar sein sollten. Die verfallenen Freitreppen, die vom Hof in die beiden Nordosttürme führen, entstanden erst behelfsmäßig in späterer Zeit.
Zeit bebauten Felseninsel (vgl. Abb. 31), beherbergte in staufischer und angevinischer Zeit den Staatsschatz und Behörden. Umbauten bis weit in die Neuzeit lassen aber kaum noch Aussagen über die Baugestalt des 13. Jh. zu; nur ein Schriftstück von 1324 und eine Buchmalerei des mittleren 14. Jh. deuten einen vieltürmigen Komplex auf dem länglichen Felsen an. Erhalten sind neben einer romanischen Kapelle verbaute Reste des 14. Jh., u. a. wohl eines mehrschiffigen Saalbaues. Andererseits entstand das „Castel Capuano“ offenbar in normannischer Zeit an der Stelle des nordöstlichen Stadttors, das deswegen verlegt wurde. Friderizianische
Abb. 157 Aversa, Grundriss des Erdgeschosses nach Pio Francesco Pistilli.
Aversa (Abb. 157)
Im „castello aragonese“ in Aversa, das ab 1751 von Luigi Vanvitelli als Kaserne durchgreifend erneuert wurde, sind die unteren Teile der vier Flügel eines rechteckigen Kastells erhalten. Allerdings sind die Gewölbe barock, die Wände weitgehend verputzt und hofseitig von einer barock erneuerten Arkade verdeckt. Die vier Ecktürme sind abgebrochen, aber auf einem Gemälde des späten 15. Jh. bezeugt; der größte mag noch aus normannischer Zeit gestammt haben. Pistilli geht mit gutem Grund davon aus, dass der Bau im Wesentlichen unter Friedrich II. zwischen 1223 und 1239 entstand.
Neapel
Unter den vier Burgen bzw. Festungen, die in Neapel bis zum 16. Jh. entstanden, reichen zwei in die staufische Epoche zurück. Das „Castel dell´Ovo“, auf einer ab römischer
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Baumaßnahmen sind dort 1223 sowie 1233 belegt und Pio Francesco Pistilli nimmt aufgrund einer Darstellung auf der „Tavola Strozzi“ (um 1487) an, dass erst damals ein vierflügeliges Kastell mit quadratischen Ecktürmen entstanden ist, deren Anordnung jenen in Bari und Trani entsprach, das heißt stadtseitig mit dem Flügel fluchtend, feldseitig vorspringend. Das Kastell, das dann in angevinischer Zeit (1268–83) umgebaut und instand gesetzt wurde, dient seit dem 16. Jh. als Gericht und erscheint nach einer allzu umfassenden Restaurierung 1858–61 heute äußerlich als neobarocker Bau; Bauforschung fehlt bisher.
APULIEN/PUGLIA
Castel Fiorentino (Abb. 158)
Castel Fiorentino war eine kleine Stadt 11 km nordwestlich von Lucera, die im frühen 11. Jh. gegründet wurde und später Bischofssitz war. Das eigentlich wenig bedeutende Städtchen ist nur deswegen bekannter, weil Friedrich II. nach chronikalischen Nachrichten am 13. Dezember 1250 dort starb. Die Stadt geriet schon im 13. Jh. in langsamen Niedergang; spätestens im frühen 17. Jh. war sie ganz verlassen. Heute steht auf dem Ostende des Hügels, dessen etwa 230 m lange Kuppe den ältesten Stadtkern trug (vgl. Abb. 12), als einziger noch höherer Bau eine Turmruine; weitere Reste, darunter jene der kleinen Burg, sind durch archäologische Untersuchungen 1984–94 genauer bekannt. Der friderizianische Bau lag auf dem Westende des Stadthügels, durch einen verflachten Graben von der Stadt getrennt. Ursprünglich mag dort eine normannische (Grafen-)Burg gestanden haben, von der geringe vorstaufische Mauerreste in der Ostmauer des Hauptbaues – mit Ansätzen wohl eines vorspringenden dickwandigen Bauteiles/Turms – und unterhalb auf dem Westhang erhalten sind; dabei scheint allerdings unklar, ob der letztere Rest nicht eher zur Stadtmauer gehörte. Dass der Bau auf der Kuppe, dessen Mauerreste ab 1984 freigelegt wurden, unter Einbeziehung der älteren Ostmauer in den 1220er-Jahren neu entstand, wird insbesondere deswegen angenommen, weil Friedrich II. 1223 seinen Hauptaufenthalt in das nur 35 km entfernte Foggia verlegt hatte und in der Umgebung mehrere „Jagdschlösser“ errichtete, zu denen man aus typologischen Gründen auch den Bau in Castel Fiorentino zählt. Seine 1,50–1,70 m dicken Mauern, in denen auch wenige Backsteine verwendet wurden, sind bis zu 2 m hoch erhalten und waren ehemals verputzt. Das Erdgeschoss bestand
Î Abb. 158 Castel Fiorentino, Stadtanlage und domus/Burg (oben) nach den Ausgrabungen von 1982–88.
aus zwei jeweils 6 m breiten, langen Räumen mit gemeinsamer Mittelwand. Der östliche, der Stadt zugewandte „Flügel“ war außen 23 m lang, der westliche sprang beidseitig je 3 m über ihn vor; beide Erdgeschosshallen besaßen Ziegelböden und waren durch je drei Gurtbogen, von denen nur die Auflager erhalten sind, in vier balkengedeckte Joche unterteilt. Beide Räume besaßen im Süden separate Zugänge; im Norden waren sie durch eine Pforte in der Mittelwand verbunden. Doppelt abgewinkelte Gänge an den Enden der Westwand des Westraumes führten zu zwei Abortanbauten, die fraglos auch dem verschwundenen Obergeschoss dienten (vgl. Abb. 54). Sie wurden von den Ausgräbern für Ergänzungen der angevinischen Zeit gehalten, was nicht zwingend scheint, denn vergleichbare Anbauten findet man auch in anderen friderizianischen „Jagdschlössern“. Neben den Aborten belegen drei Kamine, dass auch das Erdgeschoss des Baues dem Aufenthalt von Menschen diente, wobei Fenster in den zerstörten höheren Mauerteilen anzunehmen sind. Ein schmaler Sockelvorsprung an der Westwand des Ostraumes war entgegen der Annahme der Ausgräber aufgrund seiner Schmalheit sicherlich keine Sitzbank. In nachstaufischer Zeit wurde das Erdgeschoss des Westraumes durch Mauern unterteilt und im frühen 15. Jh. ist belegt, dass Marmorplatten aus dem „verlassenen Palast des Kaisers Friedrich“ nach Lucera gebracht wurden; die daraus erschließbare reichere Ausstattung gehörte fraglos zum verschwundenen Obergeschoss des Baues. Heute zeugen von ihr nur noch ergrabene Spolien von Gesimsen, Säulen und Pilastern, teils in Formen und Dimensionen, die auf gekuppelte Fenster schließen lassen; beachtlich sind auch Funde von mehrfarbigem Fensterglas. Die Lage der Treppen ins Obergeschoss bleibt aber offen. Auch von der östlich vorgelagerten Stadt sind einzelne Bereiche archäologisch erforscht worden. Erhalten sind noch Mauerreste der romanisch-gotischen Kathedrale nahe der Burg und weiter östlich Teile eines spätmittelalterlichen Stadtquartiers mit einem vielleicht als Kapelle anzusprechenden Bau. Von dem quadratischen Turm am Ostende des Hügels ist nur das kreuzgratgewölbte Erdgeschoss erhalten
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mit heute teilweise durchbrochenen Wänden. An seiner Südseite wurde ein profiliertes Sockelprofil freigelegt, das später in einer Art „Einmottung“ verschwand. Sie bestand in einem größeren, ebenfalls quadratischen Sockel, aus einer Erdschüttung, die von einer geböschten Stützmauer eingefasst war; in der Verfüllung wurden zwölf radiale Mauern freigelegt, deren Zweck unklar bleibt (Abstützung?). Ob der vermutlich noch stauferzeitliche Turm nur die Angriffsseite der Stadt verteidigen sollte oder ob er auch bewohnt war, muss ebenfalls offenbleiben.
Lucera (Abb. 159, 160, 161)
Burg und Stadt Lucera, hervorgegangen aus der antiken, aber im Mittelalter wohl nicht mehr besiedelten Stadt Luceria, liegen auf einem Plateau östlich des Apennins, das die Küstenebene weithin überblickt. Die besondere Bedeutung der Stadt unter Friedrich II. entstand vor allem dadurch, dass der Kaiser die sarazenische Bevölkerung Siziliens hierhin umsiedelte und in der Folge ihre treue Gefolgschaft gewann, indem er ihr – für einen christlichen Herrscher im Mittelalter ganz ungewöhnlich – ihre muslimische Religion zugestand. Die Burg, die
durch den monumentalen Mauerring des späten 13. Jh. geprägt ist, liegt auf einem geräumigen Bergsporn westlich vor der Stadt, wo schon in der Antike ein teilbereichlich ausgegrabener Stadtteil lag. Die Reste des kleinen staufischen Baues nehmen die Nordostecke dieses angevinischen Mauerrings ein. Zu Lebzeiten Friedrichs II. wird, obwohl er sich oft dort aufhielt, die Anlage in Lucera nur zweimal explizit angesprochen, nämlich 1240 und von dem Chronisten Jamsilla 1242; es ging im zweiten Fall um den Transport von Bildwerken nach Lucera, die offenbar den Bau schmücken sollten. Jamsilla notiert mehrere Räume in der Burg, die persönliche Besitztümer, Kunstwerke, Waffen usw. des Kaisers, seines Sohnes König Konrad (IV.) und weiterer Hochadeliger aufnahmen. Von dem staufischen Bau, dessen Errichtung die Forschung für 1233 oder 1235 annimmt, sind nur Fundamente bzw. Reste des Sockelgeschosses erhalten. Sie würden keine nähere Rekonstruktion des Bauwerks mehr zulassen, wenn nicht zwei Zeichnungen des französischen Künstlers Jean Louis Desprez von 1778, die die Ruine vor dem endgültigen Abriss 1790 darstellen, auch
Abb. 159 Lucera, die Gesamtanlage mit den Grundmauern des quadratischen friderizianischen palatium und seines Zwingers rechts unten. Hier sind nur die ergrabenen Reste der angevinischen Innenbebauung dargestellt; weitere mittelalterliche Reste sind durch Bodenradar bekannt, wurden aber noch nicht in druckfähiger Umzeichnung vorgelegt.
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Informationen zu den aufgehenden Wänden enthielten. Die Auswertung dieser Informationen ergibt das Bild eines quadratischen Vierflügelbaues mit Außenmaßen von rund 34 m, der mit seinem hohen, verfüllten Unterbau und drei Geschossen auch etwa 34 m hoch gewesen sein muss; im erhaltenen Sockel sind mehrere Zisternen nachgewiesen. Die Zeichnungen Desprez´ zeigen nur noch Teile der hofseitigen Mauern mit Ansätzen von Rippengewölben in allen drei Geschossen, während wir über die 1778 bereits fehlenden Außenseiten des Baues fast nichts mehr wissen; eine Zeichnung von Desprez zeigt immerhin noch ein einzelnes Rundbogenfenster im Erdgeschoss. Die symmetrische Gliederung der hofseitigen Wände legt lediglich nahe, dass auch für die Wölbungen und die Außenwände mit vergleichbarer Klarheit zu rechnen ist. Bei Grabungen gefundene einzelne Buckelquader können jedoch entgegen Behauptungen in der Literatur keineswegs belegen, dass die gesamten Außenwände so verkleidet waren. Auch eine verbreitete Rekonstruktion, die für die verschwundenen Außenwände gleichförmig gereihte Biforien annimmt, ist angesichts der Originalität der Hofwände wenig wahrscheinlich. Die beiden von Desprez dargestellten Hofwände wiesen eine axiale Gliederung auf, die sicherlich an allen vier Wänden gleich oder ähnlich vorhanden war. Im Erdgeschoss wurde ein Spitzbogenportal in Wandmitte von Okuli oder quadratischen, auf die Spitze gestellten Oberlichtern flankiert, im ersten Obergeschoss folgte ebenso mittig eine hohe Biforie in Rundbogenblende, über einem Bogenfries wiederum von Okuli flankiert. Auch im dritten Obergeschoss betonte über einem weiteren Gesims ein wohl dreiteiliges, blendenüberfangenes und von zwei Okuli flankiertes Fenster die Mitte, ein weiterer Okulus saß über dem Fenster. Dabei wurde die Hoföffnung auf der Höhe dieses Geschosses durch große Trompen in ein sicherlich gleichseitiges Achteck überführt – vermutlich, um noch weniger von dem grellen Sommerlicht in den Hof zu lassen. Diese Achteckform des oberen Hofabschlusses hat in der Literatur früh dazu geführt, dass Lucera als Vorläufer von Castel del Monte gedeutet wurde. Aber, obwohl die Form des allseitig gleich gestalteten Flügelbaues ebenfalls an den jüngeren Bau erinnert, gibt es doch auch erhebliche Unterschiede. Vor allem war der dreigeschossige Bau in Lucera viel höher und erinnerte äußerlich fraglos an einen – freilich außergewöhnlich breiten und natürlich hoflosen – Wohnturm und auch Ecktürme, die Castel del
Abb. 160 Lucera, die Reste des friderizianischen palatium 1778, kurz vor dem endgültigen Abbruch, in zwei Zeichnungen von Jean-Louis Desprez. Höher erhalten waren damals vor allem noch Teile der hofseitigen Wand.
Monte so entschieden akzentuieren, sind in Lucera zwar manchmal behauptet worden, aber nicht belegbar. In angevinischer Zeit musste Karl I. zunächst die sarazenische Bevölkerung der Stadt Lucera unterwerfen, die den Staufern weiterhin die Treue hielt. Nach der Eroberung 1269 ließ er die Stadtmauern schleifen und begann, das kleine castrum seu palatium Friedrichs durch jene riesenhafte Befestigung zu ergänzen, deren Ummauerung noch gut erhalten ist; darüber liegen zahlrei-
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ç Abb. 161
Lucera, Grundriss der Fundamente des friderizianischen palatium und Rekonstruktionsversuch seines Querschnitts.
che Schriftnachrichten vor. 1273–80 wurde in diesem Zusammenhang auch der staufische Bau mit einer maczia bzw. murus maczie palatii umgeben, bei der es sich fraglos um jenen einhüftig gewölbten Wehrgang handelte, der in erheblichen Resten erhalten ist; beim Neubau der Burg in Barletta wurden 1277/78 die Worte „mac(c)ia“/“maczia“ und „talus“ in gleicher Bedeutung verwendet, und zwar für einen Bauteil von exakt angegebenen, erheblichen Ausmaßen. In Lucera schützte der weitgehend aus Backstein bestehende Umgang alle vier Seiten des staufischen Baues und erreichte die Höhe von dessen Sockel und Erdgeschoss; vermutlich gab es davor gegen das Burginnere einen Graben (vgl. Abb. 148). Über einer Balkendecke lagen in der hohen, geböschten Außenseite des Umganges ehemals allseitig neun hohe Schlitzscharten mit Backsteingewände in stichbogigen Innennischen (an der Westseite acht und eine Pforte); über der Schräge umlief offenbar ein schmaler Wehrgang den staufischen Kernbau. Anschließend an das verstärkte staufische palatium entstand 1273–80 ein den gesamten Bergsporn umschließender, fast 900 m langer Mauerring, überwiegend aus Backstein, der über den Steilhängen durch 15 meist querrechteckige Türme mit quaderverstärkten Ecken und hohen Schlitzscharten verstärkt ist (vgl. Abb. 147). An der südöstlichen Angriffsseite findet man dagegen hinter dem breiten Graben sieben regelmäßig gereihte Fünfecktürme und an beiden Ecken größere Rundtürme (vgl. Abb. 75). Die letzteren zeigen dieselben hohen Schlitzscharten wie der übrige angevinische Mauerring, sind aber mit Kalksteinquadern verkleidet; im Falle des größeren Südturmes („Torre della Leonessa“ – vgl. Abb. 142 – oder „della Regina“), der mit der angriffsseitigen Mauer im Verband steht, zeigt der untere Teil Buckelquader. Ansätze eines originalen Talus sind beidseitig an der „Torre della Leonessa“ erhalten, dieser wurde jedoch an der Angriffsseite später (im 15. Jh.?) durch einen vor den Türmen polygonal vorspringenden Zwinger ersetzt. Im Inneren der ausgedehnten Anlage wurden – neben Spuren eines römischen Stadtviertels – Reste einer angevinischen Neubebauung teils ergraben, teils durch Bodenradar erfasst. Neben einer einschiffigen Kirche mit
Polygonalchor gab es hier einen Vierflügelbau, der früher als Königspalast galt, heute aber als Waffenmanufaktur angesprochen wird. Ungewöhnlicher waren zahlreiche parallel angeordnete langrechteckige Bauten, die im Grundrissbild durchaus an die Kasernen römischer Kastelle erinnern. Das können sie nicht gewesen sein, weil es im 13. Jh. keine stehenden Heere gab, aber man wird an die Ansiedlung einer wehrhaften Bevölkerung denken müssen, die die Sarazenen in der benachbarten Stadt, aber an so strategischer Stelle sicherlich auch die Capitanata in ihrer Gänze unter Kontrolle halten sollte. Manche der Bauten müssen außerdem Magazine und Stallungen gewesen sein und auch riesige Zisternen bzw. lange Wasserleitungen zu deren Füllung passen gut zum Bild einer Art befestigter Garnison.
Foggia (Abb. 162, 163)
1223, nur drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Deutschland und der Krönung zum Kaiser, verlegte Friedrich II. seinen Hauptsitz aus dem sizilianischen Palermo in die kleine Stadt Foggia in der Capitanata. Das für seinen dort entstehenden Palast gern verwendete Wort „Residenz“ ist irreführend, denn Friedrich und sein Hof wechselten noch ständig ihren Aufenthalt, wie es im Zeitalter der Reiseherrschaft üblich war; von einer Residenz spricht man jedoch streng genommen erst in der frühen Neuzeit und meint damit den dauerhaften Standort eines Hofes und einer (auch damals noch rudimentären) Staatsverwaltung. Dass der Kaiser sich oft in Foggia aufhielt, wird gerne auf seine Jagdleidenschaft zurückgeführt, für die die Capitanata gute Bedingungen bot, jedoch war sicherlich auch die größere Nähe zur umkämpften Lombardei bzw. dem Königreich Italien sowie zum konkurrierenden Papststaat ein wichtiger Grund, sich weiter im Norden des Königreichs aufzuhalten. Friedrichs Bau in Foggia überlebte seine Regierungszeit, denn 1271 und 1281 ließ Karl I. ihn nochmals instand setzen. Von dem Palast sind heute nur noch zwei aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Reste erhalten, nämlich ein Torbogen und eine Bauinschrift, die heute beide an der Seitenwand des „Museo Civico“ an der „Piazza Vincenzo Nigri“ eingemauert sind. Dies ist nicht ihr ursprünglicher Platz, denn vor der Beschießung durch amerikanische Truppen 1943 befanden sich beide an der Wand eines damals zerstörten Hauses an der Südseite desselben Platzes. Von dem Torgewände sind die beiden
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Abb. 162 Foggia, der vom Palast Friedrichs II. erhaltene Torbogen, vielleicht von seinem Haupttor, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die Wand des städtischen Museums eingebaut wurde.
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Abb. 163 Foggia, die Inschrift vom Palast Friedrichs II., die bis 1943 über dem Torbogen des Palastes (Abb. 162) eingemauert war.
Kämpfer erhalten, die mit zwei Reihen Akanthusblättern im Flachrelief belegt sind. Darüber folgen Adlerkonsolen, die das allein erhaltene äußere Element der Archivolte tragen; der Bogen springt gekehlt vor und ist wieder mit zwei Reihen Akanthusblättern besetzt, die aber größer und plastischer ausgeführt sind. Die senkrechten Teile des Torgewändes bestanden vor 1943 aus unprofilierten Großquadern, die wohl noch zum originalen Tor gehört hatten und am heutigen Ort nachempfunden sind; die Toröffnung war 3,05 m breit. Wie die inneren Teile der Archivolte aussahen, ist unbekannt; sie sind heute durch einen unprofilierten Bogen aus Backstein ersetzt. Die unter dem Bogen eingesetzte Bauinschrift, die sich nach einer Darstellung von 1703 früher wohl über dem Bogen befand, ist eine wichtige Quelle zur Entstehung des Palastes und seinem Baumeister. Sie lautet: SIC CAESAR FIERI OPUS ISTUM P[RO] TO[MAGISTER] BARTHOLOMEUS SIC CONSTRUXIT ILLUD So ließ der Kaiser das Werk machen und so führte es der erste [Meister] Bartholomäus aus. A[NNO] AB INCARNATIONE MCCXXIII M[ENSE] IUNII XI IND[ICTIONIS] R[EGNANTE] DOMINO NOSTRO FREDERICO IMPERATORE R[OMANORUM] SEMPER AUGUSTO A[NNO] III ET REGE SICILIE A[NNO] XXVI HOC OPUS FELICITER INCEPTUM EST PRAEPHATO DOMINO PRAECIPIENTE
Im Jahr 1223 seit der Fleischwerdung im Monat Juni in der 11. Indiktion während der Regierung unseres Herrn Friedrich im 3. Jahr seiner Herrschaft als römischer Kaiser und allzeit Mehrer und als König von Sizilien im 26. Jahr seiner Herrschaft wurde dieses Werk glücklich begonnen auf Befehl des genannten Herrn. HOC FIERI IUSSIT FREDERICUS CESAR UT URBS SIT FOGIA REGALIS SEDES INCLITA IMPERIALIS Dieses Werk befahl Kaiser Friedrich, damit die Stadt Foggia, der königliche Sitz, als ein kaiserlicher geehrt werde. Über die Inschrift hinaus lassen nur frühe Abbildungen der Stadt weitere Überlegungen zur Lage und Gestalt des kaiserlichen Palastes zu; sie wurden von Dankwart Leistikow 1997 zusammengefasst. Nach zwei – allerdings stark vereinfachenden – Stadtansichten aus dem späten 16. Jh. und von 1703 ist es wahrscheinlich, dass sich der Bogen bis 1943 noch an seiner ursprünglichen Stelle befand, sodass die heutige „Piazza V. Nigri“ wohl ein Vorplatz vor diesem Haupttor des Palastes war; der Platz liegt an der Hauptstraße der Stadt, der Via Arpi, und zwar direkt hinter dem als Umbau des 19. Jh. erhaltenen nordöstlichen Stadttor, der „Porta Grande“. Seitlich, das heißt südwestlich neben oder auch hinter dem Torbogen, zeigen die beiden frühen Ansichten einen großen, zweigeschossigen Rechteckbau, der nach der Ansicht des 16. Jh. südlich drei Portale und im Obergeschoss Fensterreihen an beiden Längsseiten besaß. Leistikow hielt ihn durchaus
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plausibel für den Hauptbau des Palastes, der im Obergeschoss einen großen Saal aufnahm; sein allerdings etwas zu detaillierter Rekonstruktionsversuch lehnte sich an die Hauptgebäude naher friderizianischer „Jagdschlösser“ wie Gravina in Puglia, Palazzo San Gervasio und Castel Fiorentino an. Zwei mit Kreuzen bekrönte Türme, die die Ansicht von 1703 hinter diesem Bau zeigt, dürften kaum noch mit Bauten der friderizianischen Zeit zu tun gehabt haben; die Kirche Maria Santissima della Misericordia, die dort etwas erhöht steht, entstand erst ab 1650. Man darf nach alledem vermuten, dass das Palastareal mit Maximalmaßen von ungefähr 130 m auf 170 m die etwas erhöhte Ostecke der Stadt einnahm, die nach Vin-
cenzo Salvato erst Friedrich II. in diese Richtung erweitert und neu ummauert hätte. Ein Brunnen auf der Piazza Federico II, dessen Form romanische Vorbilder in Apulien zitiert, wird in der Literatur gelegentlich ins 13. Jh. datiert, entstand aber erst in der Mussolini-Zeit.
Barletta (Abb. 164)
Von außen betrachtet, präsentiert sich der „castello“ von Barletta heute als eindrucksvoll gut erhaltene bastionäre Zitadelle, die von Karl V. 1532 nach dem Frieden von Cambrai begonnen und bis 1559 im Wesentlichen vollendet wurde. Nur im Inneren, vom Hof her, lassen unregelmäßig aneinanderstoßende Bauteile erkennen, dass
Abb. 164 Barletta, Grundriss der Festung mit Rekonstruktionsversuch der angevinischen Burg; der normannische Turm ist blau, der friderizianische Flügel rot markiert.
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in diesen Neubau Reste einer mittelalterlichen Burg einbezogen wurden. Bei der umfassenden Restaurierung ab 1973, nach der die Anlage heute als Kulturzentrum mit Museum und Bibliothek dient, wurden viele Befunde zu diesen älteren Bauteilen dokumentiert und erhalten, mit den Schriftquellen abgeglichen und abschließend vom Architekten selbst veröffentlicht (Grisotti 1995). Freilich sind die Befunde bei einem so umfassenden Umbau einer Burg zur frühneuzeitlichen Festung in aller Regel so lückenhaft und komplex, dass dennoch verschiedene Deutungen möglich bleiben. Einen rechteckigen Turm, dessen Stumpf in der Südostecke der Hofumbauung erhalten ist, datiert man aufgrund seines Mauerwerks, das auch viele Buckelquader integriert, gut nachvollziehbar noch in normannische Zeit, also ins 12. Jh. (vgl. Abb. 137). Neben dem Turm wurde im 16. Jh. ein weiterer mittelalterlicher Bauteil in die Bebauung integriert, der längsrechteckig den Ostflügel der Burg gebildet haben muss. Er enthält übereinander zwei Säle, die mit Spitztonnen über Gurtbögen gewölbt sind; die Wölbung des unteren Saals dürfte allerdings erst ins 16. Jh. gehören. Der obere Saal wird hofseitig durch zwei nur beschädigt erhaltene, ehemals rundbogige Doppelfenster unter Spitzbogenblenden belichtet. Das Bogenfeld des südlichen trägt noch das Relief eines (Reichs-) Adlers (vgl. Abb. 99) und dieses Motiv wiederholt sich im Tympanon einer Pforte weiter nördlich, zu der eine Freitreppe als Saalzugang hochgeführt haben muss. Vor allem wegen der beiden Adlerreliefs wird dieser Bauteil in die Zeit Friedrichs II. datiert. Unter Karl I. von Anjou (1275–91) wurde die Burg aufwendig modernisiert und eine dichtere Quellenlage lässt nun auch einzelne Bauteile erkennen. 1276 ist zuerst die Rede von Turm und Haus bzw. palatium, die dort unter der Aufsicht des Pierre d´Angicourt neu entstehen sollten. Weitere Belege und auch Grabungsbefunde ergeben für diese Zeit eine Anlage, die als ungefähres Rechteck etwas mehr als der Südhälfte der Zitadelle des 16. Jh. entsprach. Ihre Außenmauern waren damals offenbar beschädigt, vor allem an der Westseite, denn dort stürzten die Außenmauer und der Turm an der Südwestecke ein, der Letztere erst während der Bauarbeiten; er wurde durch einen Rundturm ersetzt, dessen Fundamente bei der Restaurierung gefunden wurden. Reste eines weiteren kleinen Turms sind im Nordosten verbaut erhalten und, da die Einstürze des späteren 13. Jh. schon damals ein höheres Alter der Bauten nahelegen, könnte schon die
normannisch-staufische Burg eine Rechteckanlage mit vier Türmen gewesen sein. Detailliert und mit genauen Maßen beschrieben wurde in den Quellen der 1270er-/80er-Jahre auch der Bau eines Zwingers, der die Anlage allseitig umgeben sollte; er wurde als „mac(c)ia“ oder „maczia“ bezeichnet – der Begriff tauchte u. a. beim gleichzeitigen Ausbau von Lucera und in Roseto Capo Spulico auf –, später wird auch der Begriff „talus“ verwendet, was vermuten lässt, dass die auch als Schutz gegen das Meerwasser vorgesehene Mauer einen starken Anzug erhalten sollte.
Trani (Abb. 165)
Das Kastell am Westrand der Altstadt von Trani, am Meeresufer, wurde – nach einer Inschrift über dem Westtor der Kernburg und der Chronik des Richard von San Germano – 1233 begonnen. Grabungen haben allerdings ältere Baureste an dieser Stelle freigelegt, u. a. Fundamente eines quadratischen Turms, der allerdings auch ein Teil der Stadtbefestigung gewesen sein könnte. König Manfred feierte hier 1259 seine zweite Hochzeit und unter Karl I. von Anjou sind Arbeiten durch Pierre Angicourt belegt, die aber am Bau nicht mehr identifizierbar scheinen. Erhebliche Umbauten, die den heutigen Bestand stark prägen, erfolgten im 16. Jh. in Anpassung an die Artillerie, dann ab 1832 für die Nutzung als Gefängnis. Nach dessen Aufhebung wurde die Burg 1979–98 mit EU-Mitteln restauriert und diente als Museum und Unterkunft verschiedener Behörden und Firmen; zurzeit (2019) beseitigen weitere Maßnahmen Undichtigkeiten der Mauern und Dächer, danach ist die museale Nutzung des gesamten Baues geplant. Der weitgehend erhaltene staufische Kernbau bildet ein nahezu perfektes Quadrat mit vier Flügeln und vier quadratischen Ecktürmen. Die beiden größeren, landseitigen Türme – sie wurden nach den Verzahnungen wohl zuerst ausgeführt, die Flügel sekundär angesetzt; im 16. Jh. wurden sie gekappt – springen beidseitig in fast voller Breite vor, während die kleineren gegen das Meer außen mit dem dortigen Flügel fluchten, aber gegen Westen und Osten ebenfalls vorspringen; dieser Grundriss ähnelt stark dem wohl gleichzeitigen Kastell im nahen Bari, das allerdings größer und kein exaktes Quadrat ist (vgl. Abb. 35). Die Außenseite der Mauern und Türme sind zumindest stadtseitig mit kleinen, auf Randschlag verzichtenden Quadern mit kaum vorspringenden Buckeln verkleidet, einem Mauerwerk, das auch noch an
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den jüngeren Bauteilen auftritt und ohnehin regional bis ins 20. Jh. weitverbreitet blieb (vgl. Abb. 79); die anderen Seiten zeigen etwas einfacheres Mauerwerk. Der meerseitige Nordflügel ist wenig verändert. Über zwei symmetrisch zu einem Tor angeordneten, schwach belichteten Erdgeschossräumen mit gurtbogenverstärkten Spitztonnen liegt im Obergeschoss ein durchgehender, rund 45 m langer Saal; er war ursprünglich flach gedeckt, wurde aber im 16. Jh. gewölbt wie viele Räume der Anlage. Er ist meerseitig in drei nur teilweise erhaltenen rundbogigen Biforien mit Oberlichtern geöffnet, ehemals außerdem durch drei Okuli als Oberlichter, die es ähnlich auch im Süd- und Westflügel gab. In der meerseitigen Mauerdicke liegen an beiden Enden des Saals Aborte in der Mauerdicke; die beiden Turmräume waren ursprünglich durch Mauern vom Saal getrennt.
Man erreichte den Saal über eine (heute) abgewinkelte Freitreppe in der Nordostecke des Hofes, die ursprünglich ins Obergeschoss einer zweigeschossigen Loggia vor dem Westteil der Fassade führte. Die Loggia wurde leider in der Gefängniszeit durch eine schmalere und schlichtere ersetzt, die zudem auf ein Obergeschoss verzichtet. Von der ursprünglichen Loggia blieben in der Hofwand des Flügels in beiden Geschossen die Spuren der spitzbogigen Gewölbe sichtbar und insbesondere mehrere qualitätvolle skulpturale Konsolen, die sie trugen (vgl. Abb. 63, 97); dargestellt sind u. a. im Obergeschoss die Jungfrau Maria, der Erzengel Gabriel sowie Adam und Eva. Ein im Hof freigelegtes rundes Fundament ist wohl auf eine Säule der Loggia zu beziehen und lässt den Schluss zu, dass die ursprüngliche Loggia über doppelt so tief war wie die bestehende. Vom Portal zum Saal ist nur ein Teil
Abb. 165 Trani, Grundriss im Zustand vor den 1979 begonnenen Restaurierungen.
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der mit Blattwerk geschmückten Archivolte erhalten (vgl. Abb. 106); zwei große Rundbogenfenster weiter östlich über der Freitreppe besitzen formal angepasste Gewände, die aber erst im 16. Jh. eingesetzt wurden. Von den beiden seitlichen Flügeln ist der westliche besser erhalten, obwohl seine hofseitigen Öffnungen bis auf zwei ersetzt sind und die Wölbungen beider Geschosse erst im 16. Jh. entstanden. Im Erdgeschoss muss die Loggia des Nordflügels in den Westflügel hineingeführt haben, wie freigelegte Gewölbeansätze zeigen; weiter südlich ist an der Hofseite des Westflügels eine originale Spitzbogenpforte erkennbar geblieben, aber die ursprüngliche Raumaufteilung des Geschosses bleibt unklar. Im Geschoss darüber konnte dagegen ein großer Saal mit drei hofseitigen Biforien – und ehemals drei Okuli – wiederhergestellt werden, von denen aber nur ein Gewände erhalten ist (vgl. Abb. 56); der Saal wird durch einen kleineren Raum vom Saal des Nordflügels getrennt. Ein weiterer, südlich an den Westsaal anschließender Raum über dem feldseitigen (Haupt-)Tor in der Südwestecke der Burg besaß offenbar von Anfang an ein Kreuzgratgewölbe. Er wurde wohl wegen dieser Lage und der Wölbung, vor allem aber aufgrund des Pfauenreliefs im Tympanon des Portals zum Saal (vgl. Abb. 73) als ursprüngliche Kapelle angesprochen; auch soll es hier früher Reste eines Altarblocks gegeben haben. Die unregelmäßige Grundrissform und weitere Merkmale – es führt eine Treppe nach unten und der Raum beherbergte zudem das hochgezogene Fallgatter – sowie auch die Tatsache, dass das Pfauenrelief den Raum nicht etwa vom Saal aus sakral akzentuiert, sondern ihm vielmehr zugewandt ist, sprechen aber gegen diese Deutung; der vermeintliche Altarblock könnte auch von einer späteren Nutzung hergerührt haben. Vom Ostflügel des 13. Jh. sind dagegen nur Teile der Hofwand und Reste von Querwänden in Erdgeschosshöhe erhalten, während die viel dünnere, mehrphasig ausgeführte Hofwand der Obergeschosse erst im 16. (oder eher 19.) Jh. erneuert wurde und dort auch die Innenwände weitgehend sekundär entstanden; nur im Süden dürfte eine quer im Flügel liegende Treppe zum Obergeschoss noch original sein. An der Südseite des Hofes befand sich ursprünglich eine lange Säulenhalle, die sich mit vier Spitzbögen auf Rechteckpfeilern in dessen voller Breite zum Hof öffnete; im Osten und im Westen führen die beiden Burgtore in diese Halle (vgl. Abb. 66). Sie war über zuge-
spitzten Schwibbögen flach gedeckt, im Obergeschoss folgte eine zweite, formal entsprechende Halle. Dieser Bauteil wurde im 16. Jh. zerstört, als man die durch Artilleriefeuer gefährdete Landseite der Burg durch Hintermauerung auf rund 4,5 m verstärkte und dahinter einen neuen, erhaltenen Flügel mit Kanonenstellungen errichtete, der den ursprünglich etwa quadratischen Hof zu einem Rechteck verkleinerte. Dabei wurde die südliche Ringmauer einbezogen und auch die hofseitigen Pfeiler der ursprünglichen Halle; das ermöglichte es bei der Restaurierung der Burg in den 1980er-/90er-Jahren, die Innenseite der ursprünglichen Ringmauer samt den originalen Fenstern und Bogenansätzen wieder freizulegen, wodurch auch die zeichnerische Rekonstruktion der ursprünglichen doppelstöckigen Halle möglich wurde. Der trotz einiger Anbauten und Veränderungen noch weitgehend erhaltene, turmlose Zwinger, der rechteckig die Gesamtanlage umgibt, ist durch eine Inschrift über seinem Westtor datiert (vgl. Abb. 91; … fit circa castrum munitio talis et ante …). Er wurde demnach 1249 vollendet, der Entwerfer wird namentlich genannt (… Philippi Cinardi … – ein aus Frankreich stammender Zypriot) und außerdem der ausführende Bauunternehmer aus Trani (… Stephani Romoaldi Carabarensis …). Die Zwingermauer besaß einen umlaufenden Gang in ihrer Dicke mit dicht gereihten Schlitzscharten, der aber im 16. Jh. bis auf kleinere Kammern ausgemauert wurde (vgl. Abb. 92). An der Westseite sind darüber noch vermauerte Zinnen erkennbar; ob die viel tiefer liegenden Zinnen der Seeseite noch ins 13. Jh. gehören, müsste dagegen angesichts der daruntersitzenden Kanonenscharten noch näher untersucht werden. Der Zwinger erhielt Tore auch im Süden, heute zugesetzt, und im Osten – das heutige Haupttor –, im Süden zusätzlich eine Poterne auf die Grabensohle. Dass an der Ostseite des Zwingers, direkt nördlich neben dem stadtseitigen Tor, schon im 13. Jh. eine neue Kapelle entstanden sei, ist eine Fehlinterpretation. Zwei Inschriften Karls V. von 1533 – südlich oben im Hof und auf dem Sturz des stadtseitigen Haupttores – dokumentieren offenbar erste Verstärkungen der Renaissance; die hohe „lanzenförmige“ Bastion der Südwestecke und wohl auch das Rechteckbollwerk im Nordosten, das heutige Museum, entstanden dann 1559. 1586–1677 war in der Burg das oberste Gericht der Provinz Bari untergebracht, ab 1832 wurde sie zum Gefängnis umgebaut, was sie bis 1974 blieb. Auffälligste Überbleibsel der Gefängniszeit
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sind heute der den Hof umlaufende Bogengang und ein ähnlicher Gang vor der gesamten Seefront; diese offenen Gänge dienten als Zugang zu den Zellen und zur Überwachung der Gefangenen. Der 2019 für die Restaurierung verantwortlichen Architektin Rosa Mezzina danke ich für eine Burgführung und die intensive Diskussion der Befunde.
Castel del Monte (Abb. 166, 167)
Das Castel del Monte auf einem nicht allzu steilen, aber landschaftsbeherrschenden Hügel 15 km südlich der Stadt Andria (vgl. Abb. 23) gehört zu den berühmtesten mittelalterlichen Bauwerken überhaupt, zur epochenübergreifenden Kategorie der formal perfekten Idealbauten, was sich auch in einer kaum noch überschaubaren und weiterhin wachsenden Literaturfülle spiegelt. Dabei sind allerdings aus wissenschaftlicher Sicht jene Werke in der Minderzahl, die sich auf die sachliche Erfassung und Interpretation des Baues und seiner Geschichte beschränken. Ihnen steht eine Fülle von Publikationen gegenüber, deren Deutungsversuche weit über das Beweisbare oder zumindest Plausible hinausgehen, bis hin zu Darstellungen eindeutig esoterischen Charakters. Es mag daher zutreffen, dass Castel del Monte noch länger „ein Ärgernis der Wissenschaft“ bleiben wird – wie Carl Arnold Willemsen 1982 anmerkte –, aber dieses Ärgernis lässt sich durchaus in Grenzen halten, wenn man a priori zwischen beantwortbaren und unbeantwortbaren Fragen zu unterscheiden versucht und insbesondere darauf verzichtet, allzu faktenferne Höhenflüge als Scheinantworten auszugeben. Die Voraussetzungen für eine solche Versachlichung sind durchaus nicht schlecht, denn die allerdings äußerst begrenzte Quellenlage ist geklärt und auch eine exakte Dokumentation des Baulichen liegt vor, seitdem ein Team des Instituts für Baugeschichte der Universität Karlsruhe unter Leitung von Wulf Schirmer den Bau 1990–96 vermessen und dokumentiert hat. Der Versuch einer Antwort auf die Frage, was ein so dauerhaftes und hohes Interesse an Castel del Monte begründen konnte, muss zunächst den Mythos des kaiserlichen Bauherrn in Rechnung stellen, ebenso wie die architektonische und landschaftliche Wirkung des isoliert einen Hügel bekrönenden, hell strahlenden und aus jeder Richtung scheinbar gleich aussehenden Baues – die populäre Assoziation einer „Krone Apuliens“ ist durchaus nachvollziehbar. Noch entscheidender für die Außen-
wirkung sind aber die eingesetzten entwurflichen Mittel, also insbesondere Symmetrie und konsequente Axialität, die am Außenbau durch gestalterische Details wie profilierte Turmsockel, ein Stockwerkgesims und die Fensterformen zusätzlich unterstrichen werden. Das Ergebnis ist eine „ideale“ Architektur, deren äußere Klarheit in verwirrendem Widerspruch zu der oft betonten „labyrinthischen“ Raumstruktur des Baues steht. Die Art dieser Architektur hat zu vielfältigen Versuchen geführt, ein geometrisches, vermeintlich symbolhaftes Grundmuster herauszulesen, die letztlich aber alle unbeweisbar bleiben. So einfach Grundrisse und Außen- wie Hofansichten des Baues eigentlich zu erfassen sind, so verwirrend wirkt die nur unauffällig variierte Gleichförmigkeit der acht Seiten und acht Türme und erst recht die der Innenräume, in denen der Besucher schnell die Orientierung verliert. Die immer ähnlich, aber keineswegs völlig gleich gestaltete Verbindung der meisten – aber eben nicht aller – Räume miteinander durch Pforten mit wechselnder Gewänderichtung und Treppen in den Türmen fügt dieser offensichtlich durchaus beabsichtigten Irritation des Betrachters weitere Gründe hinzu. Leider eröffnet auch die Quellenlage weiten Raum für Spekulationen über die Absichten des Bauherrn und seines unbekannten Architekten. Denn nur ein einziges Schriftstück, das zudem lange fehlgedeutet wurde, verbindet Friedrich II. mit dem Bau und gibt Hinweise auf die Entstehungszeit. Am 29. Januar 1240 nämlich befahl der Kaiser seinem Justiziar der Capitanata, Richard von Montefusco(lo), in einem (lateinischen) Mandat: Da wir für die Burg, die wir bei Santa Maria del Monte errichten wollen, durch Dich – obwohl sie nicht in Deinem Jurisdiktionsbezirk liegt – sofort den „actractus“ gemacht haben wollen, beauftragen wir Dich als Getreuen, diesen „actractus“ mit Kalk, Steinen und allem sonst Nötigen sofort zu bearbeiten; Du sollst uns häufig darüber informieren, was Du in dieser Sache unternimmst … Nach vielfachen Spekulationen, was das dem klassischen Latein unbekannte Wort actractus bedeuten könnte, gelang Dankwart Leistikow erst in den 1990er-Jahren der Nachweis, dass es sich dabei um eine im Mittelalter in Süditalien durchaus geläufige Bezeichnung für Lieferantenverträge handelt, die der Materialbeschaffung für
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Abb. 166 Castel del Monte, Grundrisse.
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einen geplanten Bau zugrunde lagen. Damit ist nun gesichert, dass Castel del Monte im Jahre 1240 erst in Planung war; es ist plausibel, dass die Bauausführung mit geringer Verzögerung folgte. Dass der Bau andererseits beim Tod des Kaisers 1250 unvollendet war, zeigen fehlende Bauteile, etwa der Turmbekrönungen und der Wandverkleidungen mit Korallenbrekzie. Die meisten Forscher gehen bisher davon aus, dass Castel del Monte kaum verteidigungsfähig gewesen sei, obwohl die landschaftlich beherrschende Lage durchaus einer Burg entspricht und der Grundriss als entwurfliche Weiterentwicklung der etwa gleichzeitigen Hafenkastelle in Catania und Syrakus unverkennbar ist (vgl. Abb. 47). In der Tat sichern zwar die massiven Mauern, die an der Außenseite erst sechs Meter über dem Boden Fenster besitzen, eine gewisse Unzugänglichkeit, die nötigenfalls durch das Fallgatter des Tores – nicht aber der an der entgegengesetzten Seite liegenden Nebenpforte – ergänzt werden konnte. Aber dem ausgeführten Bau fehlen alle Einrichtungen zu aktiver Verteidigung wie insbesondere Schießscharten in den Türmen, die in Frankreich und sogar in Deutschland in den 1240erJahren bereits konstitutiv für den neuen Typus kastell-
förmiger Burgen waren; die zahlreichen engen Lichtschlitze in den Türmen von Castel del Monte waren als Scharten unbrauchbar. Dass in der Dachzone bzw. auf den unvollendeten Türmen Zinnen – oder eher Schießscharten – geplant waren, ist naheliegend, aber natürlich unbeweisbar. Jedoch gibt es durchaus solide Indizien, dass der erhaltene Kernbau von einer Zwingermauer umgeben werden sollte; diese Möglichkeit wurde in der Literatur gelegentlich erwähnt, meist aber als unwahrscheinlich zurückgewiesen. Die Ablehnung kann man als Reaktion auf die schon 1885 publizierte Behauptung eines sogar dreifachen Mauerringes deuten, die auf den ersten Blick tatsächlich allzu fantasievoll wirkt. Jedoch existiert ein Plan des Schweizer Architekten Ettore Bernich aus dieser ersten Restaurierungsphase, der mindestens dreizehn damals entweder oberirdisch sichtbare oder ergrabene Teilstücke einer siebeneckigen, das Kastell in 12–13 m Abstand umlaufenden Mauer dokumentiert (vgl. Abb. 93, 49); diese Befunde sind bei der Glättung des Geländes in den 1930er-Jahren leider vollständig überdeckt oder sogar beseitigt worden. Betrachtet man nun die hofseitige Mauer des ausgeführten Baues als eigenständigen
Abb. 167 Castel del Monte, Querschnitt Ost-West.
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Mauerring, so wird die Formulierung vom dreifachen Ring – Hofmauer Kernbau, Außenmauer Kernbau, Zwinger – durchaus nachvollziehbar, auch wenn sie allzu stark abstrahiert. Auch die neuere Feststellung einer großen unterirdischen Zisterne einige Meter vor dem Tor durch Bodenradar unterstreicht die Planung eines Zwingers, denn ohne ihn wäre dieser wichtige Wasservorrat schutzlos geblieben. Der funktionale Hauptakzent lag bei Castel del Monte jedoch fraglos auf der repräsentativen Wohnnutzung. Ob der deswegen gelegentlich verwendete neuzeitliche Begriff des „Schlosses“ dies treffend beschreibt, bleibt allerdings nicht nur wegen des rekonstruierbaren Zwingers diskutabel. Am ehesten scheint Castel del Monte tatsächlich der Begriff des „Jagdschlosses“ gerecht zu werden, denn dies ist sicherlich die – vor dem Hintergrund der Lebensführung des Kaisers und der Lagewahl – wahrscheinlichste Deutung des Baues, der ja keine Grenzsituation oder in anderer Weise besonders gefährdete Region gesichert hätte. Dass hier nicht nur eine Jagdgesellschaft untergebracht werden sollte – wie in anderen, einfacheren „Jagdhäusern“ Friedrichs (vgl. 2.4.4. Die Jagdschlösser) –, sondern vielleicht auch hochrangige Gäste samt ihrem Gefolge, ist dabei ein naheliegender Gedanke angesichts des umfangreichen und aufwendig gestalteten Raumangebots. Letztlich allerdings sollte man bei Idealbauten wie Castel del Monte auch nie außer Betracht lassen, dass die Faszination der Form den Bauherrn – und erst recht den Entwerfer – mehr motiviert haben könnte als allzu nüchterne funktionale Ansprüche. Aus dem geometrischen Gesamtkonzept des Baues ergibt sich, dass er in beiden Geschossen je acht im Grundriss gleiche, trapezförmige Räume aufweist; geringe Maßabweichungen sind dabei ausführungsbedingt, wie Schirmer und seine Mitarbeiter zeigen konnten. Die Form der Räume ist durch die Rippenwölbung geprägt – über Halbsäulen im Erdgeschoss, über Dienstbündeln im Obergeschoss (vgl. Abb. 120) –, zumeist mit Knospenkapitellen, also Formen, die dem damaligen Entwicklungsstand der französischen Gotik entsprachen; skulpturale Konsolen und Schlusssteine findet man nur in den Türmen, was direkt an die Gänge zu den Treppen und Aborten in Syrakus erinnert. Émile Bertaux führte schon 1897 aus, dass die spezielle Gewölbebildung über trapezoidem Grundriss – Kreuzrippenquadrat, beidseitig ergänzt durch Spitztonnen über Dreieckgrundriss – gleichzeitig nur in der Champagne nachweisbar ist.
Die Fenster sitzen axialsymmetrisch in den Wänden und dies gilt ebenso für die Pforten, die die Räume miteinander verbanden bzw. die im Obergeschoss an drei Stellen auf eine Galerie im Hof führten (oder hätten führen sollen; vgl. Abb. 64, 118). Die Fenster sind im Erdgeschoss rundbogige Monoforen oder Okuli, die dicht unter den Gewölben sitzen, im Obergeschoss an der Feldseite jedoch größere und weit anspruchsvollere Biforien in Übergangsformen von der Spätromanik zur Gotik (vgl. Abb. 113). Die Öffnungen schließen im Kleeblattbogen mit verschieden geformten Oberlichtern, sitzen aber unter spitzbogigen Blenden und innen in profilierten Spitzbogennischen. Die fast überall vorhandenen Seitensitze boten eine weite Aussicht; die Fenstersäulen sind durchweg ausgebrochen. Ein einziges dreilichtiges Fenster betont an der Nordseite den Blick auf die Stadt Andria – nach der Legende deswegen, weil die ersten beiden Ehefrauen Friedrichs II. dort begraben seien. Die Säulen und Dienstbündel sind meist aus stark gemusterter Korallenbrekzie („breccia rossa“), teils auch aus erstaunlich vielfarbigem Marmor, und viele Befunde – an den Säulen, den Dienstbündeln, um Pforten und Fenster – zeigen, dass die meisten Räume auch Wandverkleidungen aus Brekzie- oder Marmorplatten hätten erhalten sollen, die aber unvollendet blieben oder später demontiert wurden (vgl. Abb. 131). Die Richtung der Türanschläge und die Verbindungen bestimmter Räume in beiden Geschossen, unter anderem durch Wendeltreppen in drei Türmen, erlauben es bei genauer Analyse durchaus, Raumgruppen bzw. „Appartements“ in beiden Geschossen zu definieren. Zudem lassen die Anordnung von Kaminen in nur einigen Räumen bzw. die Zuordnung von Aborten in bestimmten Türmen (vgl. Abb. 60) eine Unterscheidung in beheizbare Aufenthaltsräume einerseits und (Schlaf-)Kammern andererseits erkennen. Dabei deuten aber die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten, die durch die Pforten gegeben sind, außerdem an, dass von Fall zu Fall auch größere Raumgruppen hätten gebildet werden können, was zu der Vorstellung eines auch für Empfänge geeigneten „Jagdschlosses“, in dem Gesellschaften wechselnden Umfanges unterzubringen sein sollten, gut passt. Entscheidendes zur anspruchsvollen Außenwirkung des Baues trägt das ebenfalls zum großen Teil in Korallenbrekzie ausgeführte Hauptportal bei, für das jenes des Kastells in Prato (Toskana) das einzige direkte Vergleichsbeispiel ist (vgl. Abb. 128). Hier wie dort sitzt ein Rechteckportal, dessen Sturz auf Blattfriesen ruht, in einer tiefen
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Spitzbogennische, die zwischen zwei Wandsäulen das Fallgatter (ver)barg; den Bogenansatz darüber schmücken zwei weit vorspringende Löwenskulpturen. Das insoweit noch ganz gotisch und im Detail der Löwen sogar romanisch geprägte Tor wird dann aber in entschieden antikischen Formen gerahmt: Zwei kannelierte Pilaster, wiederum mit Knospenkapitellen, tragen ein Gesims auf Konsolen, darüber folgt ein flacher Giebel in ähnlicher, aber noch reicher profilierter Durchbildung, schließlich über rechteckigem Aufbau ein weiteres Gesims, auf dem das Obergeschossfenster direkt aufsitzt. Das Portal ist neben den Wandverkleidungen des Inneren – und, wenn man so will, auch den klassischen Proportionen des Gesamtbaues – das einzige Element von Castel del Monte, das auf antike Vorbilder zurückgreift, während sonst fast alle Details der gleichzeitigen französischen Gotik angehören. Die gelegentlich betonten orientalischen Einflüsse bleiben dagegen Randerscheinungen; viele Elemente etwa der Wasserversorgung und Durchlüftung reagieren einfach auf die klimatischen Verhältnisse des Mittelmeerraumes und müssen daher keineswegs durch direkte Vorbilder im muslimischen Orient bedingt sein.
Bari (Abb. 168, 169)
Bari, auf einer Halbinsel neben einer günstigen Hafenbucht, war seit der Antike eine der wichtigen Hafenstädte Apuliens, in römischer Zeit municipium und ab dem 4. Jh. Bistumssitz; als Hauptstadt der Region Apulien/Puglia bewahrt es diese zentrale Rolle bis heute. Ab 870 war die Stadt Zentrum der byzantinischen Besitzungen in Italien, was mit der Eroberung durch den Normannen Robert Guiskard 1071 endete; Hauptstadt des späteren Königreichs wurde damals Palermo. 1087 wurden die Reliquien des heiligen Nikolaus nach Bari gebracht, über dessen Grab die romanische Basilika San Nicola entstand, einer der wichtigsten Wallfahrtsorte und Sakralbauten Apuliens. 1131 soll König Roger auch eine erste Burg in Bari erbaut haben, sicherlich schon anstelle der heutigen an der den Hafen überblickenden Westecke der Stadtmauer. Nach einer Rebellion 1155 ließ Wilhelm I. im Folgejahr Bari bis auf die Kathedrale und San Nicola zerstören und vertrieb die Bewohner; jedoch gewann die Stadt spätestens unter den Staufern und Anjou ihre Bedeutung zurück. Die Burg diente nach einem letzten Intermezzo als Witwensitz und einer aufwendigen Modernisierung im mittleren 16. Jh. nur noch als Festung, schließlich von 1832
bis 1931 als Gefängnis. Heute beherbergen fast alle Räume Museen, auch die Ausgrabungen unter drei Flügeln sind zu besichtigen.
Ausgrabungs- und Baubefunde normannischer Zeit
Grabungen unter dem Nord-, West- und Südflügel der Burg haben gezeigt, dass es dort vor ihrer Gründung auf einem mehrere Meter tiefer liegenden Niveau in byzantinischer Zeit eine Wohnbebauung gab, die mindestens bis ins mittlere 11. Jh. bestand; zu ihr gehörte auch eine kleine Kirche unter dem späteren Nordflügel der Burg, von der eine Seitenwand mit dem Ansatz der Apsis erhalten ist. In einer nächsten Phase entstand eine etwa 2 m dicke Mauer, die über die abgebrochene Bebauung schräg zum Nordwestflügel der späteren Burg hinüberzog und an die innen ein quadratischer oder rechteckiger Turm mit einem rundbogigen Doppelfenster angebaut war. Diese Bauteile könnte man als Teile der von Roger II. 1131 begonnenen Burg verstehen, vielleicht aber auch nur als hafenseitigen Eckturm der Stadtmauer; denn unter dem heutigen Südflügel der Burg wurden die Fundamente eines dickwandigen quadratischen Baues freigelegt, der fraglos als weiterer Turm der Stadtmauer anzusprechen ist. Die Standorte der zwei Türme passen gut zu dem aufgrund der Straßenführungen rekonstruierbaren Verlauf der ältesten westlichen Stadtmauer. Zu den Teilen, die nach allgemeiner Ansicht in die normannische Zeit zurückgehen, gehört auch ein großer Baukörper in der Westecke der Burg, dessen Problematik darin besteht, dass seine Reste nach einer Pulverexplosion 1626 nur notdürftig repariert und ergänzt worden sind. Er ist heute von der Uferpromenade, ehemals also vom Hafen, aus gut erkennbar, wo er als fast 23 m langer Bau leicht über die Flucht des Nordflügels vorspringt; die Reste des originalen Glattquadermauerwerks sind dort noch über 15 m hoch, darüber aber weitgehend modern ergänzt. Innen, wo u. a. ein neuzeitliches Treppenhaus eingebaut ist, sind im Obergeschoss dieses Bauteils noch Gewölbereste erhalten, die aber keine genauere Rekonstruktion der Raumaufteilung mehr zulassen. Man kommt aber noch zur Vorstellung eines Wohnturmes mit Grundrissmaßen von etwa 23 x 16 m, der von einer teilweise erhaltenen Quermauer geteilt war und östlich vermutlich an den Eckturm der ältesten Burg oder Stadtmauer stieß. Dass es sich dabei um den Hauptbau der ab 1131 errichteten Burg König Rogers gehandelt hat, ist eine naheliegende Vermutung; er würde an den ältesten Kern der Burg Melfi erinnern.
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Die Entstehungszeit des Kastells
Der mächtige Bau des Bareser Kastells, wie wir es heute vorfinden, entstand über einem gänzlich neu konzipierten, insbesondere stark vergrößerten Grundriss ohne Rücksicht auf die ältere Bebauung. Vor eine ungefähr trapezoide, hohe Außenmauer mit innen angelehnten Flügeln springen zwei große quadratische Türme an den landseitigen Südecken vor und zwei etwas kleinere und nur einseitig vorspringende nahe den meerseitigen Ecken. Ferner
gab es polygonale, weit vorspringende Türme jeweils in der Mitte der längeren Kurtinen im Süden und Westen, von denen noch die Ausrisse in den Kurtinen sichtbar sind und die ergrabenen und ergänzten Fundamente (vgl. Abb. 80); der südliche Turm war ein sechsseitiges Polygon, der westliche ein regelmäßiges Fünfeck. Die Außenseite der hoch erhaltenen Bauteile war mit ursprünglich regelmäßigem, heute aber von der Witterung zerfressenem bzw. teilweise erneuertem Spiegelquaderwerk aus Tuff verkleidet.
Abb. 168 Bari, Baualterplan des Erdgeschosses nach Einschätzung des Verfassers; der Verlauf der älteren Stadtmauer mit zwei ergrabenen Türmen ist mangels exakter Pläne nicht eingetragen.
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Über die Entwicklung und Datierung dieser großen und formal anspruchsvollen Anlage werden zwei verschiedene Meinungen vertreten, die beide mangels eindeutiger Schriftquellen und eng datierbarer Baubefunde nicht im strengen Sinne beweisbar sind. Lange nämlich wurde aus einer Notiz des Chronisten Richard von San Germano zum Jahre 1233, Friedrich habe die Burgen Trani, Bari, Neapel und Brindisi „verstärkt“ (iussu imperatoris firmantur), abgeleitet, dass die Burg Bari ab 1233 ganz neu entstanden sei. Carl Arnold Willemsen betonte dagegen 1968 mit gutem Grund, dass firmare (= festigen, verstärken) nicht auf einen Neubau schließen lässt. Selbstverständlich wäre es die einfachste Deutung der Chronik, die auch den Einwand Willemsens berücksichtigt, Friedrich II. habe ab 1233 lediglich die seit 1131 bestehende normannische Burg verstärkt. Die neuere italienische Forschung vertritt dagegen eine andere, wesentlich problematischere Hypothese. Demnach gingen nämlich allein die Außenmauern der bestehenden Anlage mit den vier Ecktürmen – und dem 1624 zerstörten Bauteil im Nordwesten – auf einen normannischen Bau zurück, während die drei Flügel im Westen, Süden und Osten samt der Torhalle dann ab 1233 an die normannischen Mauern angefügt worden seien, ebenso wie auch die beiden polygonalen Türme. Das offensichtlichste Problem dieser These stellen die polygonalen Türme dar, denn ihre Wände banden sauber in die Außenmauer ein und auch die Rundbogenpforten zu ihren verschwundenen Obergeschossen sitzen im Originalverband. Weiterhin ist angesichts der vielen aufwendig gestalteten und ebenfalls im Verband der Außenmauer sitzenden Fenster zu fragen, welcher Art eine daraus ableitbare ursprüngliche Innenbebauung der Burg gewesen sein sollte, die dann ab 1233 aus unbekanntem Grunde durch eine vollständig neue ersetzt worden wäre? Schließlich gibt auch das Fehlen jedes quellenmäßigen Hinweises auf einen so großen Neubau noch vor 1200 zu denken – denn, dass das bestehende Kastell noch die um 1131 begonnene Burg sei, hat angesichts der konzeptionellen Nähe zu den anderen Kastellen Friedrichs II., insbesondere zu Trani (vgl. Abb. 35), noch niemand unterstellt. Die Vorstellung eines doch erst 1233 im Anschluss an den älteren Wohnturm begonnenen Neubaues, der von Anfang an nicht nur die Außenmauern und alle sechs Türme des heutigen Baues umfasste, sondern auch alle vier Flügel, scheint nach diesen Befunden und Erwägungen doch die weitaus plausibelste Deutung der bestehenden Anlage.
Î Abb. 169 Bari, Ansichten von drei Seiten, mit Markierung der erneuerten Partien der Spiegelquaderschale.
Die Gestalt des Kastells
Aus der Erbauungszeit des Kastells, also wahrscheinlich aus den Jahren ab 1233, stammen neben den Außenmauern und Türmen auch erhebliche Teile aller vier Flügel. Im West- und Südflügel gilt dies, hofseitig an der hellen Kalksteinquaderung und Baufugen deutlich ablesbar, für das gesamte Erdgeschoss, bei den beiden anderen ist nur die Außenmauer in voller Höhe erhalten, während die weiteren Teile des Nordflügels in angevinischer Zeit und jene des Ostflügels im 16. Jh. umfassend erneuert wurden. West- und Südflügel enthalten im Erdgeschoss durchgehende lange Hallen mit hofseitigen Lichtschlitzen, die seit dem 16. Jh. mit Spitzbogentonnen über Gurtbögen überdeckt sind, während es dort ursprünglich Balkendecken gab. Interessanterweise wurden beide Torhallen sekundär in den Ring der Bauten eingefügt. Im Falle des schlichteren, ehemals stadtseitigen Tores neben dem Südostturm sitzt das spitzbogige Gewände zwar sauber in der Spiegelquaderschale der Außenmauer, aber eine hofseitige Baufuge zeigt, dass die von Pilastern und Wandsäulen getragene Kreuzgratwölbung der einschiffigen Torhalle erst nachträglich gegen den Südflügel gemauert wurde. Dass dagegen das Gewände des ursprünglich feldseitigen Tores nördlich neben dem Südturm – es zeigt in der skulpierten Archivolte u. a. den (Reichs-)Adler (vgl. Abb. 95) – insgesamt sekundär eingebaut wurde, wie bereits Haseloff und Willemsen betonten, bestätigt der Mauerwerksverband des Gewändes und der Nische. Auch die dahinterliegende sechsjochige Torhalle (vgl. Abb. 65), die in Form einer Loggia in den Hof hineinreicht (vgl. Abb. 62), zeigt in ihren Wänden viele Umbauspuren und auch ihre pragmatische Einfügung in die spitzwinklige Burgecke, die den unregelmäßigen Grundriss von Torhalle und Loggia zur Folge hatte, spricht für eine Planänderung. Die Datierung der Halle ist dabei aber unzweifelhaft, denn neben dem Reichsadler bestätigen auch Formvergleiche der vier antikisierenden Kapitelle und der Kämpfer die Entstehung in friderizianischer Zeit (Beispiele in Bitonto, Foggia, Altamura u. a.); einige Kapitelle sind zudem mit Namen gleichfalls regional belegbarer Steinmetzen bezeichnet.
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Die Obergeschosse von West-, Süd- und Ostflügel enthielten offensichtlich von Anfang an gewölbte große Säle, die heute durch Entfernung zahlreicher jüngerer Wände aus der Gefängniszeit zwar wieder ihrem ursprünglichen Volumen entsprechen, jedoch mit hofseitigen Wänden und Wölbungen des 16. Jh. Von den originalen Gewölben des Obergeschosses sind im südwestlichen Eckbereich der Burg einige kreuzgratgewölbte Joche erhalten, nämlich im Westteil des Südflügels, ferner in einem Eckraum mit zentraler Säule direkt über der Torhalle des Haupttores, schließlich ein Joch des angrenzenden Saales im Westflügel. Darüber hinaus findet man in den Obergeschosssälen aller vier Flügel an den originalen Außenmauern Auflagerreste der vermutlichen Kreuzgratgewölbe, nämlich in der Regel Pilaster, die Gurtbögen trugen. Nur der sicherlich wichtigste Saal im hafenseitigen Nordflügel besaß Rippengewölbe mit dem Profil eines zugespitzten Rundstabes, die auf komplex geformten Konsolen ruhten (vgl. Abb. 55). Dieser nördliche Saal besitzt gegen das Meer noch zwei modern ergänzte Doppelfenster, rundbogig mit Säule und Oberlicht unter Rundbogenblende (vgl. Abb. 109); in den Nischen gibt es Seitensitze, die über kurze Treppen erreichbar sind. Eine weitere Biforie am Kopfende des östlichen Saales zeigt etwas abweichende, offenbar schon gotisch beeinflusste Formen. An den drei anderen Flügeln und auch an den Türmen findet man im Obergeschoss kleine Rundbogenfenster, ferner im Süd- und Ostflügel hoch unter der Wölbung sitzende große Okuli, die außen nur stufig erweitert, innen aber reich profiliert sind (vgl. Abb. 96). Alle Fenster- und Pfortengewände sind wie auch jene der beiden Tore im Erdgeschoss und die hofseitigen Quaderwände von Süd und Westflügel in fast weißem Kalkstein ausgeführt, der besser zu bearbeiten und witterungsresistenter ist und sich auch optisch klar von dem grau-bräunlichen Tuff der Spiegelquaderschalen absetzt. Die beiden Südtürme werden vom Obergeschoss aus über Wendeltreppen in der Mauerdicke erschlossen. Sie sind innen vielfach verändert, jedoch stammen Spitzbogenarkaden, die die Decken oberer Geschosse tragen, noch aus der ersten Bauzeit; auch die Knospenkapitelle ihrer Säulen passen gut zu einer Bauzeit in den 1230er-Jahren.
Die angevinischen Bauteile
Bei Erhaltungsarbeiten 1967 wurde aus dem im 16. Jh. neu gestalteten Nordflügel des Kastells eine vierfache Spitzbogenarkatur herausgeschält, mit der sich die Erd-
geschosshalle einer früheren Bauphase gegen den Hof geöffnet hatte. Willemsen publizierte damals den Befund und datierte ihn unter Verweis auf vermeintlich ebenfalls zum Hof geöffnete Hallen in Augusta und Syrakus in staufische Zeit; der in der Folge restaurierte Raum wurde daher zunächst als sala sveva bezeichnet. Später setzte sich aber aus gutem Grund die Deutung durch, in der Arkatur den Unterbau für jenen neuen Saal samt Kammer und Kapelle zu sehen, die der erste Anjou-Herrscher Karl I. 1276–80 an der Stelle des damals beschädigten Nordflügels ausführen ließ; Sthamer hat den umfangreichen Schriftverkehr dazu ediert. Bei Freilegungen an der Ostseite der Bastionärbefestigung wurde in den letzten Jahren außerdem festgestellt, dass sich in der Kurtine des 16. Jh. eine ältere Zwingermauer erhalten hat, deren Wehrgang von einer nach innen offenen Arkatur mit leicht zugespitzten Stichbögen getragen wurde. Eine zeitweise erwogene Datierung noch in staufische Zeit ist dafür aber nicht begründbar; die Anlage dürfte eher ins 15. Jh. gehören.
Die Bauteile des 16. Jh.
Im 16. Jh. entstand der gut erhaltene Bastionenkranz um die Burg mit zwei größeren Bastionen im Süden und zwei kleineren Halbbastionen im Norden, die die beiden Seiten des Kastells, nicht aber die dem Hafen zugewandte Front flankierten. Offenbar vor 1524 begonnen, gehören diese Bastionen zu den frühen ihrer Art; möglicherweise sind sie sogar die ersten, die außerhalb der Toskana und des Papststaates entstanden. Ihre äußere Form mit dem hohen Aufbau, der über einer Konsolenreihe vorkragt, und die verschieden gestalteten Scharten auf mehreren Höhen deuten auf komplexe Innenräume, die aber offenbar noch unerforscht sind. Diese letzte Erweiterung der Anlage geht auf Bona Sforza zurück, die 1518 König Sigismund I. von Polen heiratete und 1524 durch Erbschaft auch Herzogin von Bari wurde. Sie ließ auch die bewohnbaren Räume ab spätestens 1549, wie eine Inschrift über dem Hauptportal im Obergeschoss festhält, als Witwensitz modernisieren und bezog sie 1556, nur ein Jahr vor ihrer Ermordung im Auftrag Philipps II. Bei diesen Arbeiten wurden vor allem die Obergeschosse aller vier Flügel umgestaltet – wovon heute nur noch Details zeugen – und es entstand wiederum ein modernisierter Saal im Nordflügel. Da auch die hofseitigen Fassaden mit neuen Portalen und Fenstern dem Zeitgeschmack angepasst wurden, vermittelt der
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Burghof heute, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung, den Eindruck eines Baues, der weitgehend erst der Renaissance entstammt.
Sannicandro di Bari (Abb. 170)
Eine Burg im Dorf Sannicandro, 17 km südlich von Bari an der Straße nach Tarent, wird 1119 zuerst erwähnt, als der Zehnte der zu ihr gehörenden Ländereien dem etwa 70 km entfernten Kloster Montescaglioso geschenkt wurde; dieses sollte einen Kaplan für die Burgkapelle stellen. Weitere Erwähnungen im 12. Jh. nennen wechselnde Adelsfamilien im Besitz der Burg, die aber offenbar zur Krondomäne gehörte; in staufischer Zeit wird sie nur zweimal erwähnt. 1304 fielen Lehen und Burg an das Kapitel von San Nicola di Bari und dabei blieb es bis ins frühe 19. Jh.; es folgten lange Streitigkeiten um den Besitz, bis die inzwischen kleinteilig für Wohnungen und eine Schule umgebaute Burg schließlich in den 1930erJahren an die Gemeinde fiel.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. wurde die Entstehungszeit der Burg verschieden beurteilt; manche Forscher datierten sie noch in normannische Zeit, andere in staufische oder gar erst ins bereits aragonesische 14. Jh.; diese Unklarheit war sicherlich auch durch die weitgehende Verbauung bzw. Unzugänglichkeit der Bausubstanz zu erklären. Erst mit Untersuchungen, die die Restaurierung ab 1980 begleiteten, wurde die Baugeschichte der Anlage greifbarer, wobei aber aufgrund der zahllosen Umbauten viele Details dennoch diskutabel bleiben. Über die Ergebnisse publizierte Nicola Saliani 1996 ein Buch; eine modifizierte Deutung legte Salvatore Capotorto in einem 2010 zuletzt bearbeiteten Beitrag im Internet vor. Heute präsentiert sich die Anlage zwar noch immer mit vielen neuzeitlichen Bauteilen, jedoch mit sanierten Wohnungen, einem Veranstaltungsraum im stauferzeitlichen Erdgeschosssaal der Nordseite und einem Restaurant. Den ältesten Kern des Baues bildet ein ungefähr trapezoides Ringmauerpolygon mit Maximalmaßen von
Abb. 170 Sannicandro di Bari, Grundriss des Obergeschosses vor der Restaurierung (vor 1980, links) und hypothetischer Baualterplan nach N. Saliani.
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50 bzw. 45 m, dessen vier Hauptecken ursprünglich abgeschrägt oder abgerundet waren. An diese Ringmauer sind sechs voll vorspringende, teils noch vier Geschosse hoch erhaltene Türme angebaut, deren Entstehungszeit umstritten ist. Saliani hielt alle sechs für gleichzeitig mit der Ringmauer, was zumindest bei den beiden westlichen Ecktürmen wohl nicht zutrifft, in deren Innerem nämlich die abgerundeten Ringmauerecken erhalten sind; es liegt nahe, dass nicht nur diese, sondern alle vier Ecktürme mit ihren ungewöhnlichen trapezoiden Grundrissen, bei denen die Front die breiteste Seite bildet, erst nachträglich angebaut wurden. Eben dies nimmt auch Capotorto an, der außerdem einem querrechteckigen, auffällig dünnwandigen Turm im Osten, dessen hoher Schrägsockel ihn von den anderen Türmen unterscheidet, in eine noch byzantinische Entstehungszeit setzen möchte. Das Innere der erstaunlich kleinen Türme – ihre Wände sind außen maximal 6 m lang – ist in der Regel verändert, nur der südöstliche Eckturm enthält im Obergeschoss einen Kuppelraum, der wegen seiner strengen, gegen den äußeren Turmgrundriss auffällig verdrehten Ostausrichtung fraglos eine Kapelle war. Bei einer Wandlänge des quadratischen Hauptraumes von nur knapp 2 m muss man hier wohl ein „privates“ Oratorium annehmen, das wahrscheinlich dem Burgherrn diente; seine Wohnung wird man dementsprechend an der Westseite der Anlage vermuten, wo noch heute das im 18. Jh. neu erbaute Herrenhaus steht. Einziger Rest der frühen Innenbebauung der Burg ist die kleine Kapelle, die sich in der Nordwestecke an die Ringmauer lehnt; an ihrer Ostseite ist der untere Teil einer kleinen Apsis erhalten und hoch darüber die Reste eines kleinen Tambours mit Kuppel. Während Saliani die Ringmauer und alle Türme dem Feldherrn Nikolaos Picingli (oder Epigingles) zuschreibt – den der byzantinische Kaiser Konstantin VII. 915 nach Süditalien geschickt hat, um die Sarazenen zu bekämpfen –, datiert Capotorto vier Türme im Osten und an der Südwestecke erst ins 12. Jh., erklärt sie aber im Widerspruch dazu ebenfalls noch für byzantinisch (die byzantinische Herrschaft in Süditalien endete 1071). Angesichts der Merkmale der beiden kleinen Kapellen wird man sich eher Salianis Datierung ins 10. Jh. anschließen. Im weiteren Sinne einig sind sich Saliani und Capotorto bezüglich des größten Turmes der Burg an der Westseite, den der erstere zwar für byzantinisch, aber in normannischer Zeit erneuert hält – dasselbe nimmt er für
den nordwestlichen Eckturm an –, während Capotorto ihn insgesamt einigen neuen Bauteilen zurechnet, die im 13. Jh. an der Nord- und Westseite der Burg entstanden. In der Tat unterscheidet sich das großteiligere, leicht gebuckelte Quaderwerk beider Türme deutlich von den älteren Bauteilen und auch die Mauerdicke des Hauptturmes, seine Spitzbogentonne und Mauertreppe sowie die Konsolen im nordwestlichen Eckturm deuten auf Entstehung frühestens im fortgeschrittenen 12. Jh., eher aber wohl auch erst in staufischer Zeit. Schließlich wird auch der innen stark veränderte Wohnbau, der sich innen an die nördliche Ringmauer lehnt, von Saliani noch für normannisch, von Capotorto möglicherweise für staufisch gehalten; die erhaltene rundbogige Rahmung einer sonst verschwundenen Biforie, die jenen an der Stadtseite des direkt anschließenden Saalbaues entspricht, lässt aber kaum Zweifel, dass Letzterer und der Wohnbau im Hof als einheitliches Projekt erst in friderizianischer Zeit entstanden sind. Bei einigen Bauteilen liegt ihre Entstehung in der Zeit Friedrichs II. auf der Hand. Neben dem Bau im Hof handelt es sich um zwei außen an den Kernbau angefügte Flügel im Norden und Westen mit zwei weiteren Türmen sowie um eine Zwingermauer mit ehemals sicherlich vorgelegtem Graben. Der Saalbau an der Nordseite (vgl. Abb. 140) enthält im Erdgeschoss einen etwa 32 x 7,50 m großen, über Schwibbögen flach gedeckten Saal, ehemals wohl ein Lagerraum oder Stall, der heute als Veranstaltungsraum wiederhergestellt ist; stadtseitig wird er durch eine Reihe originaler Rechteckfenster spärlich erhellt. In dem mit einer Spitztonne über Gurtbögen gewölbten Geschoss darüber wurde in den letzten Jahren ein etwas kleinerer Saal ebenfalls wiederhergestellt, den zwei Biforien an der Stadtseite belichteten, mit einem Kamin dazwischen; eine dritte Biforie gehörte zu einem westlich benachbarten kleineren Raum. Alle drei Biforien sind zwar ausgebrochen, ihre Formen aber rekonstruierbar als zugespitzte Kleeblattbögen mit Oberlicht, sicherlich über einer Säule (vgl. Abb. 112); sie sitzen außen unter doppelt gestuften und profilierten Spitzbogenblenden. In der östlichen Schmalwand des Saales ist das beschädigte Gewände einer weiteren, formal entsprechenden Biforie erhalten, das aber nach innen gerichtet ist; vermutlich wurde es dort sekundär als Rahmung einer Altarnische genutzt, denn an der Nischenrückwand sind Malereireste erhalten. Der östlich an die Saalbauecke angebaute kleine Turm enthält im Obergeschoss einen Abort, im Erdgeschoss
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hohe Schlitzscharten und solche Scharten findet man auch am Stumpf des größeren nordwestlichen Eckturmes der Burg (vgl. Abb. 77) ebenso wie an der Zwingermauer, die zeitgleich mit dem Saalbau und den beiden Türmen um die ganze Burg herumgeführt wurde. Von dem aus der gleichen Bauzeit stammenden westlichen Flügel, der wie der Saalbau außen vor die älteste Ringmauer gesetzt wurde, ist nur das Erdgeschoss erhalten. Die für die Einordnung der staufischen Bauteile wichtigsten Elemente in Sannicandro sind zwei spitzbogige Tore, von denen eines an der Nordostecke in den Zwinger führt; das andere liegt, unübersehbar nachträglich in den älteren Mauerring eingefügt, wenige Meter dahinter zwischen zwei Türmen und führt von Osten in den Hof (vgl. Abb. 107). Die Ausführung dieser Tore in hervorragendem „kissenförmigen“ Buckelquaderwerk („Polsterquadern“) mit Spitzbögen als „arco lunato“ mit differenzierten Profilierungen ist der Nachbarburg Gioia del Colle engstens verwandt, während Formen dieser Art und Qualität sonst an keiner apulischen Burg erscheinen. Ergänzt durch die Fensterformen des Saalbaues und die Schießscharten, machen sie hinreichend wahrscheinlich, dass der Saalbau samt dem Westflügel und den beiden Türmen und auch der Zwinger analog zu Gioia um 1230–50 entstanden sein müssen.
Gioia del Colle (Abb. 171, 172)
Eine Burg in Gioia del Colle war nach zwei Urkunden von 1108 und 1111, die ihre Schenkung an S. Nicola in Bari betreffen, schon Anfang des 12. Jh. im Besitz des Riccardo Siniscalco, des Sohnes des Grafen Drogo aus dem Hause Hauteville. Dass an dieser Burg auch in friderizianischer Zeit gebaut wurde, belegt allerdings keine zeitgenössische Quelle; ein damaliger Ausbau zu einem „Jagdschloss“ wurde erst im 16. Jh. behauptet. Friedrich II. hielt sich lediglich 1222 in der Burg auf, wie ein Brief bezeugt. Dennoch geht die Forschung seit Arthur Haseloff davon aus, dass der Bau ab dem Ende der 1220er-Jahre nach Friedrichs Rückkehr vom Kreuzzug seine heutige Gestalt erhielt. Antonio Donvito, der 1979 ein Buch über die Burg veröffentlichte, trennte darüber hinaus zwischen den nach seiner Ansicht normannischen Außenmauern samt dem Südwestturm und einem friderizianischen Innenausbau mit dem Südostturm, was jedoch – ähnlich wie in Bari – nicht überzeugt. Donvito dokumentierte außerdem recht detailliert die beiden Restaurierungen der vom 16. bis zum 19. Jh. stark veränderten, zuletzt in Wohnungen
aufgeteilten Burg, die 1907–09 (durch Angelo Pantaleo) und 1969–74 (durch Raffaele De Vita) stattfanden. Heute ist die Burg archäologisches Museum und daher mit Ausnahme einiger Verwaltungsräume gut zugänglich. Der heutige Nordflügel der Anlage wird mit gutem Grund als Rest eines wohl noch im 11. Jh. entstandenen Baues angesprochen, der im Grundriss einem Rechteck von etwa 36 x 15 m entsprach; seine Südwand ist allerdings verschwunden, ihre Lage im Hof wird nur noch durch einen Ausriss am Ostflügel angedeutet. Die erhaltenen Außenmauerteile dieses ältesten Bauteiles zeigen ein schichten- und hammerrechtes Kleinquaderwerk, von dem ein Teil im östlichen Treppenhaus freigelegt ist, während die Außenfronten in einem unzugänglichen Privatgarten liegen bzw. verbaut und damit unzugänglich sind. Dass darüber hinaus auch Teile von Innenwänden noch zu diesem ursprünglichen Bau gehören könnten, wirkt eher unwahrscheinlich; anstelle der Obergeschosse findet man nur noch eine Terrasse. Ob es sich bei diesem ältesten Baukörper um einen mehrräumigen Wohnbau, einen Saalbau oder gar einen Wohnturm gehandelt hat, muss offenbleiben; die geringe Dicke der erhaltenen Außenmauern spricht aber eher für eine begrenzte Höhe. Die Dreiflügelanlage mit zwei hohen quadratischen Ecktürmen, die später südlich an diesen älteren Bau angesetzt wurde und heute den Eindruck der Burg prägt, besticht vor allem durch die anspruchsvolle Steinmetzarbeit bzw. das Quaderwerk der Außenmauern und Türme. An den Türmen folgt über einem 4,50 m hohen Sockel aus weißen Kalksteinbuckelquadern ohne Randschlag ein einheitlich wirkendes Mauerwerk aus gelblichen Tuffspiegelquadern. An den alten Teilen der Mauerschale hat allerdings die fortgeschrittene Verwitterung des Tuffs die ursprünglich sicher sehr anspruchsvolle Wirkung erheblich beeinträchtigt; die im 20. Jh. erneuerten Teile heben sich davon deutlich ab. An den Außenmauern der Flügel fehlt der Kalksteinsockel, jedoch erscheint an den Turmecken und Fenstergewänden ebenfalls der wetterfestere weiße Kalkstein. Größere Fenster an der Außenseite findet man allein im Obergeschoss des Südflügels in Form zweier restaurierter Biforien mit Spitzbogenblenden auf dem Sturz und mehrerer, teils differenziert gestalteter Okuli vor allem in den beiden quadratischen Türmen. Die westliche „Torre de Rossi“ und die östliche „Torre dell´Imperatrice“ – die entgegen der Meinung von Donvito sicherlich beide in derselben Ausbauphase ab etwa
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1230 entstanden – sind über 28 m bzw. 24 m hoch und springen zwischen etwa 2,4 m und 5 m über die Außenmauern vor; sie hatten Balkendecken, nur zuoberst jeweils eine originale Spitztonne; die etwas größere südwestliche „Torre de Rossi“ besitzt in voller Höhe einen
schmalen Anbau, der im Obergeschoss eine Wendeltreppe in die oberen Turmgeschosse und einen Abort enthält. Charakteristisch für viele einfachere Öffnungen in Gioia, vor allem Portale und kleine Rundbogenfenster,
Abb. 171 Gioia del Colle, Grundrisse. Die rot angelegten Teile stammen aus der friderizianischen Epoche, wobei jedoch die einzelnen Öffnungen nicht unbedingt original sind.
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Abb. 172 Gioia del Colle, Ansichten der Außenwand des Südflügels und der hofseitigen Wand des Westflügels. Die bei den Restaurierungen erneuerten Teile sind durch fettere Zeichnung hervorgehoben.
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sind Bögen, deren Bogensteine nach oben breiter werden (arco lunato = mondförmiger Bogen). Teilweise als Monsterköpfe gestaltete Wasserspeier entwässerten das Dach – das heute durch eine Metallkonstruktion der Zeit um 1970 ersetzt ist – und den Wehrgang; eine bei den Restaurierungen verschwundene Balkenlochreihe war wohl ein Hinweis auf Hurden. Die Brustwehr, im Süden teilweise erneuert, besaß offenbar von Anfang an hohe Schlitzscharten, jedoch keine Zinnen; sowohl das westliche Haupttor als auch die Pforte im Süden wurden von (restaurierten) Wurferkern auf Höhe des Wehrgangs geschützt. Das westliche Haupttor mit seinem typischen, sehr repräsentativ wirkenden arco lunato (vgl. Abb. 107) entstand im Bereich des älteren Nordflügels, der bei der Anfügung der Dreiflügelanlage also schon teilweise abgebrochen wurde. Hinter dem Tor liegt eine zum Hof offene Halle (vgl. Abb. 68), mittig durch einen Gurtbogen gegliedert, der auf zwei Wandsäulen mit reich gestalteten Knospenkapitellen und Kämpfern ruht; das übrige Gewölbe dürfte allerdings erst aus dem 16. Jh. stammen. Hinter einer äußerlich ähnlichen, aber kleineren Pforte im Südflügel liegt ebenfalls eine gangartige Torhalle, dort aber mit einem einfachen Tonnengewölbe wohl noch der ersten Bauzeit. Der hohe formale Anspruch, der die Außenansicht von Gioia del Colle prägt – Mauerwerk, Tor- und Fensterformen, skulpturale Details – übertrifft die Gestaltung der meisten zeitgenössischen Burgen in Süditalien deutlich, auch jene vieler kaiserlicher Burgen. Sehr ähnliche Merkmale zeigt nur der äußere Mauerring der benachbarten Burg in Sannicandro di Bari mitsamt dem dortigen Saalbau und zwei Türmen; auch diese Bauteile sind allerdings nicht eng datierbar. Man muss sich bei alledem aber bewusst bleiben, dass die heute so einheitlich scheinende Außenansicht von Gioia auch durch viele Details geprägt wird, die erst 1907–09 entstanden sind, als Pantaleo viele Fenster und Pforten des 16.–19. Jh. durch Öffnungen ersetzte, die die Formen des mittelalterlichen Baues nachahmen. Die Restaurierung 1907–09 prägt auch die heutigen Hoffronten der drei stauferzeitlichen Flügel. Auch hier waren nämlich die Obergeschossfenster vom 16. bis zum 19. Jh. bis auf Reste beseitigt worden; im Erdgeschoss blieben dabei zwar einige originale Pforten erhalten, aber jüngere Treppen in beiden Südecken des Hofes – und ein großes Treppenhaus in der Nordostecke – hatten auch hier das Bild entstellt. Von der originalen Freitreppe in
der Nordwestecke, die den großen Saal im Ostflügel erschloss, hatte nur ein Podest verändert überlebt, während die Treppe selbst zerstört war. Die Restaurierung durch Pantaleo schuf aus diesem Podest eine Fantasiearchitektur mit aufgesetzter, pseudogotischer Loggia; diese wurde dann von De Vita wieder entfernt, jedoch ist auch die vereinfachte Treppe immer noch als Produkt des frühen 20. Jh. erkennbar. Die schlichte Hofwand des nur noch erdgeschossigen Nordflügels entstand erst bei der zweiten Restaurierung, jene des Ostflügels wurde durch De Vita zurückhaltend überarbeitet, sodass sie im Wesentlichen noch einen Zustand etwa des 16. Jh. widerspiegelt mit rundbogigen, teils wohl noch originalen Pforten im Erd- und schlichten Rechteckfenstern im Obergeschoss. Dagegen entstand die durchaus beeindruckende Hoffassade des Südflügels weitgehend erst bei Pantaleos Restaurierung. Zwar mögen die Pforten und das Tor im Erdgeschoss hinter den damals abgebrochenen jüngeren Treppen im Prinzip erhalten gewesen sein, aber die Öffnungen im Obergeschoss entstanden weitgehend neu. Insbesondere gilt das für das dreilichtige, bereits an Maßwerk erinnernde Fenster in Fassadenmitte, das Pantaleo aus Spolien rekonstruierte, die er beim Abbruch der Treppen fand; von den beiden Biforien nahe den Hofecken war nur der Sturz des östlichen mit seinen Spitzbogenblenden erhalten, ferner der Rest eines kleinen Rundbogenfensters. Von den vier Fenstern im Obergeschoss des Westflügels hatte nur die mittlere Biforie ohne Säule vermauert überlebt; das Doppelfenster der Südwestecke und zwei kleinere Fenster sind dagegen freie Nachschöpfungen. Die Innenräume im Erdgeschoss der Dreiflügelanlage wurden bei den beiden Restaurierungen offenbar im Großen und Ganzen im Zustand des 16. Jh. belassen mit den Kreuzgratgewölben des Saales im Westflügel und Tonnenwölbungen über Gurtbögen im Südflügel. Der südöstliche Eckraum war eine Küche mit großem, sekundär in den Eckturm eingebautem Backofen; die nördlich anschließenden Räume im Ostflügel, heute die Museumsverwaltung, enthielten wohl auch Spezialfunktionen, die im Einzelnen unklar bleiben. Im Obergeschoss bieten heute vor allem zwei Säle im Westflügel und im Westteil des Südflügels noch eine Annäherung an die Raumgestaltung des 13. Jh., auch wenn die Metallkonstruktion der flachen Satteldächer die zweite Wiederherstellung in den 70er-Jahren deutlich macht. Wesentlich problematischer als dieses moderne
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Element sind die historisierenden Ausschmückungen von 1907–09. Dies gilt vor allem für den großen Saal im Westflügel (vgl. Abb. 58), der damals mit einem Kamin, steinernen Sitzbänken und vor allem einem „Thron“ ausgestattet wurde, der die unbelegbare Deutung als kaiserlicher Bau unterstreichen sollte. Im Südwestturm und im südlichen Saal sind außerdem Elemente des 16. Jh. erhalten, nämlich ein schönes Spiegelgewölbe mit Stichkappen und steinerner Ornamentik im Turm, im Saal ein Renaissancekamin. Dass auch das Obergeschoss des Ostflügels, das ab dem 16. Jh. neu unterteilt wurde, dennoch schon zum Bau des 13. Jh. gehörte, zeigen noch einige Fenster in seiner Ostwand, die außen verbaut bzw. nur über Privatgärten zugänglich ist. Besonderes Interesse verdient hier ein Raum am Nordende des Flügels, der aufgrund zweier hochgesetzter Spitzbogenfenster in seiner Ostwand, die später durch die Wölbung zugesetzt wurden, als Kapelle angesprochen wird; ein außen zwischen den Fenstern angebrachtes Kreuz dürfte allerdings erst eine neuzeitliche Verdeutlichung dieser These darstellen. Die Datierung der Dreiflügelanlage von Gioia del Colle bleibt angesichts der fehlenden Schriftquellen problematisch, jedoch passen die bereits gotisch geprägten Formen gut zu einer Entstehung um 1230–50, die auch herrschende Meinung ist. Unwahrscheinlich ist dabei aber, dass Gioia eine kaiserliche Burg gewesen sei. Ähnlich dem benachbarten Sannicandro oder auch den Grafenburgen Casertavecchia und Matinale ist eher anzunehmen, dass es sich um den Bau eines Hochadeligen handelte; dieser müsste allerdings Friedrich II. recht nahegestanden haben, weil der Kaiser ihm sonst ein Projekt dieses Anspruchs kaum erlaubt hätte.
Gravina in Puglia (Abb. 173)
Anderthalb Kilometer nördlich der Altstadt von Gravina in Puglia stehen auf einem nicht hohen, aber die Landschaft beherrschenden Hügelsporn die Ruinen eines Baues, der traditionell Friedrich II. zugeschrieben wird, obwohl keine zeitgenössische Schriftquelle dies belegt (vgl. Abb. 51). Erst Giorgio Vasari schrieb Mitte des 16. Jh. einem sonst unbekannten Florentiner Architekten Fuccio die Anlage eines ummauerten Tiergartens zu. Es gibt Beschreibungen des Baues von 1309 und 1608, wobei er sich um 1600 aber schon im Verfall befand. Von der Rechteckanlage (58,50 x 29 m), unter deren Hof eine Tankzisterne liegt, sind im Wesentlichen die Außen-
mauern erhalten, darüber hinaus nur das Erdgeschoss des Torbaues, alle aus gutem glatten Quaderwerk. 1959–61 wurden die Grundmauern aller vier Flügel freigelegt und konserviert; außerdem lassen Öffnungen, Verzahnungen für Querwände und Bogenansätze an den höher erhaltenen Mauern ergänzende Aussagen über ehemalige räumliche Unterteilungen zu. Demnach lag dem Torbau in der Mitte der östlichen Schmalseite – sein verschwundenes Obergeschoss soll im Spätmittelalter eine Katharinenkapelle beherbergt haben – auf der westlichen Spornspitze der Hauptflügel mit den herrschaftlichen bzw. kaiserlichen Aufenthaltsräumen gegenüber (vgl. Abb. 52). Sein Erdgeschosssaal war durch vier Tragbögen in fünf Kompartimente unterteilt mit dem breitesten, in das sicherlich auch der Eingang führte, in der Mitte; der große Raum war durch kleine Rundbogenfenster und Okuli an den Schmalseiten beleuchtet, ein Kamin deutet auf Wohnfunktionen, vermutlich für das Gefolge. Im Obergeschoss ist ein weiterer Saal zu rekonstruieren, der nur durch zwei Schwibbögen unterteilt war; eine Pforte führte mittig auf einen Holzbalkon vor der gesamten Westfront, zusätzlich öffneten zwei große, (zumindest heute) rundbogige Fenster den Blick auf die Landschaft. Hofseitig war dem Saal offenbar eine Altane vorgelagert und dieser wiederum eine dreibogige Loggia auf Pfeilern, von denen nur noch Fundamente zeugen; die Loggia wurde aber wohl erst im 16. Jh. hinzugefügt. Die Fundamente der langen Seitenflügel, die sowohl an den Torbau als auch an den westlichen Hauptbau anschlossen, belegen nur noch die unregelmäßige Aufteilung der Erdgeschossräume, die teils sicher als Stallungen, aber auch als Lager- und andere Funktionsräume dienten, vielleicht auch als Unterkünfte des Gesindes. Sie wurden durch kleine hoch sitzende Rundbogenfenster in der Außenmauer belichtet, vermutlich außerdem vom Hof her; nur die Torseite ist durch vier symmetrisch angeordnete kleine Fenster anderer Form geschmückt, zwei auf die Spitze gestellte Quadrate und zwei Okuli. Drei rechteckige, nachträglich angefügte, aber aus dem gleichen Quadermauerwerk ausgeführte Vorbauten am südlichen Seitenflügel sind Abortschächte; die Aborträume bzw. -sitze selbst sind aber mit dem Obergeschoss des Seitenflügels verschwunden. Der einzige Abortschacht an der Nordseite war über eine erhaltene Pforte vom Obergeschosssaal des Hauptbaues zugänglich. Vom entsprechenden Anbau sind nur Fundamente
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erhalten, in denen aber die ehemalige Wölbung der Sammelgrube und auch die Stelle des eigentlichen Fäkalienschachtes erkennbar blieb (vgl. Abb. 61). Wie die Sammelgruben der vier Abortschächte entleert wurden, bleibt aber unklar, denn nur der östliche Abortschacht an der Südseite besitzt eine Pforte auf Erdgeschosshöhe, die aber sekundär eingefügt ist.
Beide Längsmauern der Anlage zeigen außen – direkt an bzw. unter der heutigen Mauerkrone – eine dichte und regelmäßige Reihe auffällig kleiner Balkenlöcher. Sie sind an der Nordseite fast in ganzer Länge der Mauer erhalten und dort in gewissen Abständen durch etwas tiefer angeordnete doppelte Kragsteine ergänzt; im Süden gibt es nur Reste der Balkenlöcher in den original erhaltenen Tei-
Abb. 173 Grundrisse der vier in wesentlichen Teilen erhaltenen Jagdschlösser, die wohl unter der Regierung Friedrichs II. entstanden, nach Pio Francesco Pistilli.
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len der Quaderschale, während Hinweise auf Kragsteine fehlen. Im Norden kann man diesen Befund vielleicht auf einen Laufgang beziehen, der außen vor den verschwundenen Obergeschossräumen verlaufen wäre; im Süden allerdings scheinen die Balkenlöcher ohne ergänzende Konsolen dafür wesentlich zu schwach. Gravina ist das heute bekannteste Beispiel jenes friderizianischen Bautypus, der als „Jagdschloss“ angesprochen wird (vgl. Kap. 2.4.4. Die Jagdschlösser). Charakteristisch für diese Bauten sind das Fehlen des Befestigungscharakters bei in der Regel trotzdem landschaftsbeherrschender Lage, die klare Rechteckform mit vier Flügeln um einen Hof, die Anordnung eines Hauptflügels mit Saal gegenüber dem Tor und vor allem auch die Mehrzahl der außen angefügten Aborte.
Oria (Abb. 174)
Die in die Antike zurückreichende Stadt Oria liegt auf einem Hügel, von dem man die umliegende, weitgehend flache Landschaft des südlichen Apulien überblickt; die Via Appia führte über Oria ins nahe Brindisi. Auf der überhöhten und steilen Nordspitze des Stadthügels ist – unter dem heutigen Burghof – die 1822 entdeckte Krypta der Ortsheiligen Crisante und Daria erhalten, eine neunjochige, zentralisierende Pfeileranlage mit fünf flachen Kuppeln und Resten von Wandmalereien, über der eine Kapelle anzunehmen ist. Ihr Bau wird ins späte 9. Jh. datiert, als Papst Stefan V. dem örtlichen Bischof Theodosius die Reliquien der beiden Heiligen schenkte. In der parallel zur Seitenwand der Krypta verlaufenden Schildmauer der Burg ist eine Wand mit kleinen Rundbogenfenstern verbaut, vermutlich ein Rest der romanischen Kathedrale von Oria, an den die Kapelle angebaut gewesen sein dürfte. Wann auf dieser Bergspitze eine Burg entstand, ist schwer zu bestimmen, denn die bis in die neueste Literatur wiederholte Behauptung, Friedrich II. habe sie zwischen 1227 und 1233 mit Erlaubnis und auf dem Gelände des Bischofs errichtet, hat keine Grundlage in Schriftquellen des 13. Jh., sondern ist nur bis ins 17. Jh. zurückzuverfolgen. Zu den beschriebenen Resten der älteren Sakralbauten passt sie allerdings in einer Weise, die zu denken gibt. Zudem existierte die Burg spätestens um 1240, denn im Statut über die Reparatur der Kastelle erscheint Oria als castrum exemptum. 1254/55 soll König Manfred Oria lange belagert haben; 1269 unter den Anjou befand sich die Burg in kurialer Ver-
Abb. 174 Oria, der im 15./16. Jh. zur „Torre quadrata“ umgebaute friderizianische Wohnbau, Schnitt Süd-Nord. Die ältere Bausubstanz ist vom Verfasser hellrot markiert, jedoch ist nicht sicher, ob die beiden Spitzbogentonnen aus der ersten Bauzeit stammen.
waltung. Vom 14. bis zum 16. Jh. wechselte sie mehrfach den Besitzer, wobei unter den Orsini Ende des 14. Jh. und 1433 Bauarbeiten belegt sind. 1495–1504 in den Kämpfen zwischen Franzosen und Aragonesen umstritten, kam die Burg 1496 an die Familie Bonifacio, dann 1562 an die Borromeo. 1776 fiel sie an den königlichen Fiskus zurück und wurde schließlich nach kurzer Zeit im Besitz der Benediktiner Eigentum der Kommune. Seit 1933 ist sie Privatbesitz und wurde restauriert; 2007 an die Gesellschaft „Borgo Ducale“ verkauft, die ein Konzept für ihre Nutzung als Veranstaltungsort ausarbeiten will, war sie bis 2019 leider nicht mehr öffentlich zugänglich. Zu ihrer heutigen Problematik gehört auch der Charakter der Altstadt mit ihren kaum für Autos zugänglichen Gassen und einer dichten Baustruktur, die auch einen Blick von außen auf die Burg nahezu vollständig verhindert. Der Baubestand der Burg Oria ist weitgehend durch das 16. Jh. geprägt, jedoch mit Umbauten und Restaurierungen bis ins 20. Jh. hinein. Historische Bauforschung fehlt, weswegen bisher nur ein Bauteil noch in staufische Zeit datiert werden kann. An der der Stadt zugewandten südlichen Angriffsseite der Burg stehen nämlich drei Türme, die in eine massive, fast 8 m dicke Schildmauer eingebunden sind: zwei Rundtürme in der Mitte und an der Südostecke sowie ein massiver, 20 x 16 m messender und über 20 m hoher Rechteckbau („torre quadrata“) an der Südwestecke. Dieser ist nach seinen dicken Wänden,
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nach dem Schrägsockel, den Schießscharten, Fenstern, einem Kielbogenfries und der Form des Treppenhauses in die Zeit um 1500 oder ins frühe 16. Jh. zu datieren; in der heutigen Form handelt es sich um einen „Kavalier“, also um ein überhöhendes Kanonenbollwerk. Im Inneren dieses Baues sind jedoch erhebliche Teile eines älteren erhalten, der in die 1. Hälfte des 13. Jh. zu datieren ist, also wohl in die erste Bauzeit der Burg; er ist im 16. Jh. einfach ummantelt worden. Der Bau war in seinem Westteil zweischiffig und zweigeschossig, wobei die Balkendecke über dem Erdgeschoss, die wohl auf Schwibbögen ruhte, heute fehlt, während das Obergeschoss durch zwei parallele, spitzbogige Tonnengewölbe über Gurtbögen abgeschlossen ist; diese Wölbung könnte allerdings auch erst aus dem 15./16. Jh. stammen. Der nordöstliche Teil des Obergeschosses ist durch eine Querwand mit Spitzbogenpforte abgetrennt; Genaueres ist über die Raumaufteilung aber nicht mehr zu sagen, denn die Ostund Westwand stammen erst aus dem 16. Jh. und auch die beiden älteren Wände sind teilweise erneuert. Im ehemaligen Obergeschoss ist an der Nordwand aber ein Kamin mit zwei Knospenkapitellen in Resten erhalten, in der Südwand zumindest eine große Fensternische. Die Knospenkapitelle passen durchaus zu einer Datierung in die 1220er-/30er-Jahre, jedoch bleibt unklar, ob es sich bei diesem nur noch teilweise rekonstruierbaren Gebäude um einen Wohnbau oder schon um einen (Wohn-)Turm gehandelt hat. Die beiden anderen, runden Türme an der Angriffsseite wird man vor allem aufgrund der Reste ihrer Maschikuli ins 14. oder frühe 15. Jh. datieren, was vermutlich auch für einen trapezoiden Turm an der Nordspitze der Burg gilt; die langen Ringmauern, die im Osten noch frei stehen, dürften ebenfalls in diese Phase oder sogar noch ins 13. Jh. gehören, während die komplexen Wohnbauten an der Westseite sicherlich mehrphasig sind, aber vor allem ein Gepräge des 16. Jh. aufweisen. In dieser Epoche wurde auch die Südfront so ausgebaut, wie sie heute das Bild der Gesamtanlage prägt. Der Wohnbau wandelte sich zum Kavalier bzw. zur „torre quadrata“, die beiden Rundtürme samt ihrer Verbindungsmauer wurden in eine neue, fast 8 m dicke Schildmauer mit hohem grabenseitigen Anzug integriert. All dies diente der Sicherung der Angriffsseite gegen die direkt anschließende Stadt, während an den anderen Seiten offenbar weiterhin die Steilhänge als Sicherheit angesehen wurden; lediglich westlich unter der „torre quadrata“ entstand ein kleines Flankierungswerk auf dem Westhang.
Brindisi (Abb. 175)
Für das Jahr 1233 ist belegt, dass die Burg in Brindisi – zusammen mit mehreren anderen – „verstärkt“ worden sei, und wenige Jahre später wurde sie im Statut über die Reparatur der Kastelle als castrum exemptum erfasst. Die Vermutung, sie sei schon 1227/28 begonnen worden, wie es etwa Willemsen und Wagner-Rieger vorgetragen haben, beruht nicht auf Schriftquellen, sondern allein auf der Überlegung, dass ein so strategisch bedeutender Platz früh hätte gesichert werden sollen. Denn neben dem Hafen, der wichtige Verbindungen ins östliche Mittelmeer vermittelte, gab es hier auch eine Münze, wo ab 1231 wie auch in Messina die neuen „Augustalen“ Friedrichs geprägt wurden. Auch in angevinischer Zeit blieb die Burg Brindisi kurial; 1269 sind Angaben zu ihrer Besatzung dokumentiert, 1276 zur Verproviantierung. 1277–80 unter der Herrschaft Karls I. werden dann verstärkte Bauarbeiten verzeichnet und ein neuer Kastellan wurde eingesetzt. Die Beschreibungen der Arbeiten der angevinischen Phase, die Antonio Cadei ausgewertet hat, verdeutlichen vor allem, dass die Burg bis zum Ende der friderizianischen Epoche unvollendet geblieben war; es existierte nur der Mauerring mit seinen sieben Türmen, ein repräsentativer Wohnbau entstand erst unter Karl I. an der Nordseite zum Hafen. Ferner wurden in dieser Phase Verbindungsgänge zu den Türmen geschaffen und Wehrgänge ergänzt oder erneuert. Cadei meint aus den Schriftquellen zudem die Anlage eines Zwingers, ähnlich Trani, erschließen zu können, allerdings nur an den Stadtseiten im Süden und Osten. Eine Überprüfung dieser Deutung am Bau ist derzeit durch die Veränderungen ab dem 15. Jh. und die heutige Unzugänglichkeit der Anlage nicht möglich. Die hohe strategische Bedeutung Brindisis führte dann zu weiteren Verstärkungen bis mindestens ins frühe 16. Jh. Auch für 1410 sind Bauarbeiten überliefert und ab den 1480er-Jahren entstand ein bereits für Feuerwaffen ausgelegter Zwinger mit vier Rondellen und dreiseitig vorgelegtem Graben. Schließlich verstärkte man um 1526/28 – in dieser Epoche erhielt die gesamte Stadt eine Bastionärbefestigung – die Hafenseite durch zwei hohe, polygonal vorspringende Werke. Wohl schon ab dem 18., vor allem aber im 19. Jh. wurde die gesamte Anlage stark ausgebaut, zunächst offenbar mit relativ anspruchsvollen Innenräumen. Dann aber wurde sie im 19. Jh. Gefängnis und schließlich Verwal-
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tungsgebäude der Marine. Die Bauten dieser Phase, die sich teilweise an die Anlage des 13. Jh. anlehnen und außerdem an und auf dem Zwinger des 15. Jh. entstanden, verdecken heute in der Außenansicht weitgehend den mittelalterlichen Baubestand. Aber auch im Innenhof
sind, soweit es nach Fotos einschätzbar ist, mittelalterliche Fenster oder andere Formen nicht mehr erkennbar; das dortige Strebepfeilersystem entstand vermutlich erst beim Einbau von drei gewölbten Geschossen, der wohl ins 18. Jh. zu datieren ist.
Abb. 175 Brindisi, Grundriss mit schematischer Eintragung der friderizianischen Ringmauern und Türme durch den Verfasser.
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Die stark veränderte Burg in Brindisi ist durch ihre militärische Nutzung seit Langem der Öffentlichkeit wie auch der Forschung entzogen; deswegen sind bisher nur grobe Angaben über ihre ursprüngliche Gestalt im 13. Jh. möglich. Erst eingehende Bauforschung, die nach der – nicht absehbaren – Freigabe durch das Militär möglich würde, könnte eine genaue Erfassung und angemessene Würdigung des wichtigen Baues ermöglichen. Die Burg besetzt einen niedrigen Hügel, der gegen eine tief ins Land reichende, als Naturhafen nutzbare Bucht vorspringt (vgl. Abb. 39); der Platz war noch im 19. Jh. durch offenes Gelände von der Bebauung der Stadt getrennt. Die Burg besitzt zwar Kastellform, bildet aber mit drei Flügeln und einer Abschlussmauer im Süden kein
exaktes Quadrat, sondern ein verschobenes Viereck mit Seitenlängen zwischen 25 und 32 m. Diese Unregelmäßigkeit wollten manche Forscher mit der Annahme eines normannischen Vorgängerbaues erklären, was aber nicht belegbar ist. Vielmehr scheinen auch die verschiedenen Formen der Ecktürme eher die Deutung zu stärken, dass die Unregelmäßigkeiten hier beabsichtigt waren. Soweit es ohne nähere Untersuchung festzustellen ist, waren nämlich Ost- und Westfront äußerlich zwar symmetrisch gestaltet, aber mit unterschiedlichen Turmformen. An der ehemals dem unbebauten Vorland zugewandten Westseite wird ein ungefähr quadratischer, mächtiger Tor- und Wohnturm, der etwas schräg vor die Kurtine vorspringt, von Rundtürmen an den Ecken flankiert; dagegen
Abb. 176 Lecce, Grundriss der Festung mit schwarzer Markierung der beiden angevinischen Türme. Geringe ältere Fundamente wurden nur im Hof (5) ergraben.
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rahmen im Osten gegen die Stadt quadratische Ecktürme einen unregelmäßig fünfeckigen Mittelturm. Die beiden anderen Seiten zeigen logischerweise jeweils verschiedene Ecktürme, wobei es an der Südseite ebenfalls einen rechteckigen Mittelturm mit einem Tor zur Stadt gab; er ist aber nur niedrig und verbaut erhalten. Die weniger bedrohte nördliche Hafenseite besaß als einzige offenbar keinen Mittelturm. Wie die Innenbebauung bzw. die Flügel der Burg ursprünglich geplant waren, ist unbekannt, weil sie in friderizianischer Zeit unausgeführt blieben. An der Fassade des großen Torturms im Westen sind über zwei modernen Rechteckfenstern noch spitzbogig geführte Gesimse sichtbar, fraglos Überreste zerstörter Biforien; in der Torfahrt darunter gibt es noch Führungen eines Fallgatters. Der obere Teil dieses Turmes ist zu einer Plattform mit Kanonenscharten umgestaltet und auch die Plattformen der übrigen Türme sind verändert, sicherlich beim Artillerieausbau des 15./16. Jh. Die durchgehenden Säle im Erdgeschoss der drei Flügel entstanden in ihrer heutigen Gestalt fraglos erst beim neuzeitlichen Ausbau der Burg wohl im 18. Jh.; auch das höhere Alter des angevinischen Nordflügels ist heute nicht mehr direkt ablesbar.
Lecce (Abb. 176)
Der „Castello“ von Lecce präsentiert sich heute als frühe bastionäre Festung, erbaut 1539–53 von dem aus der Region stammenden obersten Festungsbaumeister des Königreichs Sizilien (ab 1537) und des Königreichs Neapel (ab 1545), Gian Giacomo dell´Acaya. Ihr verschoben viereckiger Grundriss ist aber unverkennbar durch die trapezförmige Vierflügelanlage des Schlosses bestimmt, die der Bastionenkranz in paralleler Führung umgibt. Für das eigentliche Schloss, dessen Bausubstanz weitgehend erst ins 16. Jh. gehört, wurden früher staufische Ursprünge vermutet, weil das „Statut über die Reparatur der Kastelle“ festhält, dass die Bewohner von Lecce zur Instandhaltung einer Burg verpflichtet waren. Bei Grabungen ab dem Jahr 2000 konnte jedoch nur ein kurzer Mauerzug im Hof festgestellt werden, der ins 12. Jh. zurückgeht. Die beiden in den Vierflügelbau des 16. Jh. einbezogenen großen, aber dünnwandigen Türme – die torre magistra („Hauptturm“) an der Nordost- und die teilweise abgetragene torre mozza („stumpfer Turm“) an der Südostecke – sind aufgrund der Kreuzrippengewölbe mit Birnstabprofil in ihrem Obergeschoss, auch der Reste der
Maschikuli erst in angevinischer Zeit entstanden, gehören also frühestens in die Mitte, eher erst in die 2. Hälfte des 13. Jh. Weitere im Hof ergrabene Mauerzüge deuten an, dass die Burg in einer immer noch frühen Phase komplexer strukturiert war als der bestehende Bau, von dem aber die bestehenden Flügel im Süden und Osten im Kern auch noch spätmittelalterlich sein dürften. Bei der Restaurierung der Doppelbastion an der Nordspitze der weitgehend erst frühneuzeitlichen Stadtbefestigung von Lecce wurden vor dem Graben des 16. Jh. Fundamente einer unvollendeten Stadtmauer freigelegt, die man aufgrund der Erwähnung von Lecce im „Statut über die Reparatur der Kastelle“ Friedrich II. und den Jahren um 1241–45 zuschreiben möchte; eindeutig ist das aber angesichts der Zielsetzung des Statuts nicht, weil dieses ja nur grundsätzliche Verpflichtungen festhielt, nicht aber konkrete geplante oder ausgeführte Maßnahmen.
BASILIKATA/BASILICATA
Melfi (Abb. 177)
Melfi, gegründet im 11. Jh., war in normannischer Zeit neben Venosa, Troia und Salerno eine Art Hauptstadt des Herzogtums Apulien, wo auch mehrere Hoftage und Konzilien stattfanden. Es war bis in staufische Zeit die größte Stadt der Basilicata mit einem wichtigen, unmittelbar dem Papst unterstellten Bischofssitz – Bischof Richer (1215–32) war ein treuer Gefolgsmann Friedrichs – und wurde von den Herzögen und später Königen regelmäßig aufgesucht. Auch Friedrich II. weilte oft dort, nahe bei seiner „Residenz“ in Foggia, aber im kühleren Gebirge und in einem guten Jagdgebiet. Längere Aufenthalte sind 1231 für beachtliche fünf Monate und 1232 erwiesen, kürzere mehrfach in den 1240er-Jahren; auch hochgestellte Gäste des Kaisers wohnten oft in Melfi. Die Burg war unter jenen, auf denen die Steuereinnahmen des Königreiches sicher aufbewahrt wurden; 1239 zählte sie auch zu den castra exempta. 1231 wurden hier die „Constitutionen von Melfi“ erlassen, eine dann bis ins 19. Jh. geltende Gesetzessammlung, und auch der „Großhof “ (magna curia) als früher Fall einer standortfesten, nicht mit dem Hof reisenden Zentralverwaltung hatte seinen ersten Sitz in Melfi. Burg und Stadt liegen auf einer geräumigen, aber unebenen Hügelkuppe am Ostrand des Apennin, wobei die an höchster Stelle die Hangkante besetzende Burg ein Tal im Nordwesten überblickt, ebenso wie eine wichtige Straße, die das Gebirge von Kampanien nach Apulien
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Abb. 177 Melfi, Grundriss des heutigen Zustandes (oben) und hypothetische Bauphasen nach Michelangelo Levita.
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überquerte. Ihre Bauentwicklung ist nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu klären, weil sie im 16. Jh. modernisiert und im 20. Jh. bei der Adaptierung als Museum jeweils erheblich verändert wurde und daher heute außen wie innen weitgehend unter Putz liegt. Der Hauptbau, der im Erdgeschoss aus zwei längsrechteckigen Räumen beidseitig einer Mittelmauer besteht, misst nur etwa 15 x 20 m, wird aber durch vier quadratische und rechteckige Türme an seinen Ecken verstärkt, deren Verhältnis zum Kernbau allerdings unterschiedlich gestaltet ist. Die beiden Türme an der Südostseite gegen die Stadt sind direkt an den Hauptbau angesetzt, gegen Südosten voll vorspringend, aber mit nur leichtem Vorsprung gegen die beiden Schmalseiten des Hauptbaues. Der Oberteil dieser beiden Türme ist abgetragen und zwischen ihnen wurde wohl im 16. Jh. ein Bauteil eingefügt, der heute durch seine Putzfassade zwischen dem Sichtmauerwerk der Turmwände erkennbar ist; die Türme zeigen breite glatte Eckquaderungen und Bruchsteinwerk. Die beiden anderen Türme an der nordwestlichen Talseite sind dagegen vom Hauptbau abgerückt und durch kurze Mauerstücke mit ihm verbunden; beim westlichen Turm ist dieses heute ganz von späteren Bauteilen umgebene Mauerstück kaum zwei Meter lang, aber der größere Turm im Nordosten, die nachträglich erhöhte „Torre di Marcangione“ (vgl. Abb. 87), ist durch eine fast 8 m lange Mauer mit dem Hauptbau verbunden, in der das Tor zu dem dahinter anschließenden Hof liegt. Dieser Hof lag bereits auf dem Hang und wird nordwestlich durch einen tiefer stehenden zweigeschossigen und der ganzen Hofbreite entsprechenden Saalbau mit angebauter Kapelle abgeschlossen; heute liegt der (nur scheinbare) Hof 8 m über dem natürlichen Berghang, denn im 16. Jh. wurde auf den abfallenden Hang eine riesige überwölbte Tankzisterne gebaut, deren Plattform mit den Schöpföffnungen nun wie ein Hof wirkt. Diese zweiteilige Anlage aus dem Hauptbau einerseits, dem Hof mit Saalbau und Kapelle auf dem Hang andererseits stellt fraglos den aus normannischer und staufischer Zeit stammenden Kern der Burg dar, der dann in angevinischer Zeit von einer äußeren Mauer mit weiteren mächtigen Türmen umgeben und ab dem 16. Jh. vielfältig ergänzt und umgebaut wurde. Liegt diese grundlegende Entwicklung auf der Hand, so gibt es jedoch über die Trennung der normannischen von den staufischen Bauteilen verschiedene Meinungen (vgl. Abb. 27). 2008 vertrat Michelangelo Levita die Meinung,
nur der zweiräumige, rund 15 x 20 m messende Kern des Hauptbaues sei normannisch und ginge in die Zeit um 1100 zurück; er wäre dementsprechend als Donjon mit Mittelwand anzusprechen, für den es durchaus französische Vergleichsbeispiele gibt, z. B. Arques-la-Bataille in der Normandie (1120er-Jahre), aber vielleicht auch Bari. Nach Levita wären die vier Türme dann erst um 1220–30 unter Friedrich II. angefügt worden, was grundsätzlich durchaus plausibel wirkt. Bezüglich der Bauteile im dahinterliegenden Hof überzeugt seine Analyse dann aber nicht mehr, denn die den Hof umgebenden Mauern und Türme mit dem Saalbau und der Kapelle ergeben nur als geschlossene, das heißt friderizianische Gesamtanlage einen Sinn und auch ihre Einzelmerkmale, die noch keinen gotischen Einfluss erkennen lassen – das große rundbogige Doppelfenster der „Torre di Marcangione“, die halbrunde Kapellenapsis, die Rundbogenfenster des Saales –, passen schlecht zu einer Datierung erst in angevinische Zeit. In angevinischer Zeit unter Karl I., als die weiterhin kuriale Burg mit einem Kastellan und 20 Knechten besetzt und gut verproviantiert war, wurde Melfi unter Leitung des auch in Lucera und in weiteren Burgen tätigen Architekten Pierre d´Angicourt verstärkt. Er schuf vor allem stadtseitig einen starken äußeren Mauerring mit sechs fünfeckigen und rechteckigen Türmen; sie sind mit zahlreichen sehr hohen Schlitzscharten ausgestattet (vgl. Abb. 146). Dieselben Merkmale weisen die beiden erhaltenen Türme eines weiteren Hofbereichs nordwestlich unter dem Saalbau auf, die folglich – entgegen der populären Bezeichnung des größeren als „Torre del Imperatore“ und der wohl davon beeinflussten Datierung Levitas – ebenfalls erst angevinisch sind. Ein die Gesamtanlage umgebender, steil geschrägter, turmloser und ebenfalls mit vielen Schlitzscharten versehener Zwinger hinter dem dreiseitig vorgelegten breiten Graben dürfte als letzter fortifikatorischer Bauteil eher ins 14. oder frühe 15. Jh. gehören. Nach dem Ende der angevinischen Herrschaft verlor die Burg an Bedeutung. Eingreifende Umbauten erfuhr sie erst wieder durch den genuesischen Admiral Andrea Doria, den Karl V. 1532 zum Fürsten von Melfi ernannt hatte. Unter ihm wurde das Innere der Kernburg neu gestaltet und erweitert, vor allem in Richtung der „Torre di Marcangione“ und auch durch eine neue Kapelle an der Ostseite der äußeren Ringmauer. Auch die Zwischenräume zwischen den vorspringenden normannischen Türmen im Südwesten
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und Südosten wurden zu Wohnzwecken ausgebaut und ein hohes Nebengebäude innen an den südwestlichen angevinischen Mauerring angelehnt. Im 18. und 19. Jh. gab es Erdbebenschäden, schließlich folgten Restaurierungen und die Nutzung als Museum ab 1930.
Lagopesole (Abb. 178)
„Lacupesulum“ – der namengebende See lag im Tal östlich der Burg – wurde schon 1128/29 als oppidum bezeichnet und um 1150–60 erscheint der Ort als Lehen, was beides offenbar auf einen befestigten Adelssitz schon zur Zeit der normannischen Herrschaft hinweist; dabei bieten die Schriftquellen über dessen Ursprung und bauliche Gestalt keine Informationen. In der Regierungszeit
Friedrichs II. wird Lagopesole nur selten genannt, wobei die fünf Nennungen als Ausstellungsort von Urkunden 1242 und 1250 sehr allgemeine Formeln verwenden (in castris, in campis). Nur die Erwähnung im „Statut über die Reparatur der Kastelle“ lässt für die friderizianische Zeit den Schluss auf einen herrschaftlichen Bau zu, der aber weiterhin als domus bezeichnet wird. Diese Unklarheit der Bezeichnungen bleibt auch unter König Manfred unverändert, wobei aber die Häufigkeit seiner Aufenthalte – dreizehn zwischen 1254 und 1265 – die Existenz eines für den Hofstaat geeigneten Baues mehr als nahelegt; die Beschreibung als angenehmer Ort im Gebirge – kühl, wasserreich und zur Jagd geeignet – durch den Chronisten Saba Malaspina erklärt diese Vorliebe.
Abb. 178 Lagopesole, Grundrisse mit ergänztem Maßstab.
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Dass die Burg jedenfalls beim Herrschaftsantritt Karls I. 1266 bereits weitgehend dem heutigen Zustand entsprach, bestätigen viele Erwähnungen in den angevinischen Registern zwischen 1269 und 1279. Dort werden konkrete Bauteile erwähnt wie 1275 ein vornehmer Wohnbau (murum palacii castri), die Kapelle (ex parte capelle) und weitere Bauten (alias domos dicti castri). Ferner erscheinen Ställe und Infrastrukturelemente wie ein Brunnen und ein Aquädukt; bei diesen Einträgen geht es in der Regel aber um Reparaturen, nicht um Neubauten. Ab 1282 und erst recht unter den Nachfolgern Karls I. wurde Lagopesole kaum noch herrschaftlich genutzt, ab dem 15. Jh. ging es an Adelsfamilien über, u. a. 1531 an Andrea Doria, den Fürsten von Melfi; es folgten Nutzungen als Gutshof und Polizeistation. 1969 kam die damals teilweise in Ruinen liegende Anlage schließlich an den Staat, wurde aufwendig restauriert und ist heute großenteils museal genutzt. Lagopesole ist unter den süditalienischen Burgen, die traditionell Friedrich II. zugeschrieben werden, diejenige, über die in den letzten Jahrzehnten wohl am meisten geforscht und publiziert wurde, sowohl im Sinne der Archäologie als auch im Sinne der „historischen Bauforschung“ und der Kunstgeschichte. Die vorläufig letzte, die Quellenlage referierende und Thesen zur Bauentwicklung kritisch kommentierende Arbeit stammt von Simone Neumann (2013); ein Großteil ihrer Arbeit ist aber beschreibender Natur und bei den von ihr vorgelegten, an sich qualitätvollen Grund- und Aufrissen – die auf italienischen Arbeiten beruhen – fehlt leider der Maßstab. Bedauerlicherweise wurde bisher kein Versuch einer wirklich kritischen und den gesamten Bau umfassenden Analyse vorgelegt, etwa in Form eines Baualterplans, und ebenso wenig eine Deutung der Raumfunktionen. Die Burg liegt auf einem geräumigen Gipfel mit relativ flacher Kuppe, der breite Täler im Norden und Osten überragt und der großen Rechteckanlage von etwa 90 x 52 m reichlich Platz bietet; auf dem Hang südlich darunter liegt das Dorf Lagopesole. Eine Quermauer teilt die Anlage in einen kleineren Südhof (etwa 40 x 28 m) und einen deutlich größeren im Norden. Inmitten des „Kleinen Hofes“, der vom größeren durch eine Pforte zugänglich ist, steht, gegenüber den Außenmauern leicht gedreht, ein quadratischer, nur zweigeschossiger Turm, umgeben von Fundamenten weiterer Bauten. Den nördlichen „Großen Hof “ mit Außenmaßen von etwa 52 x 60 m fassen dagegen dreiseitig 12 m tiefe Flügel ein. Im Westen liegt di-
rekt nördlich der Quermauer, in den Flügel integriert, der Torbau, im Osten fast axial gegenüber die große Kapelle; beide Bauten akzentuieren auch in der Außenansicht die Längsseiten der Anlage, indem zwei Wandvorlagen das Tor flankieren, während östlich das Chorhaupt der Kapelle rechteckig vortritt. Der Ostflügel des „Großen Hofes“ setzt sich im „Kleinen Hof “ bis an die Südostecke der Burg fort, der Westflügel springt dagegen mit (ehemals) nur einem Raum pro Geschoss in den „Kleinen Hof “ vor. Die architektonische Einheit der Gesamtanlage, die durch die überall gleich hohen Außenmauern geschaffen wird und die innere Zweiteilung nach außen nicht erkennen lässt, erhält einen zusätzlichen Akzent durch die vier „Ecktürme“, bei denen es sich aber nicht um Volltürme handelt, sondern um im Grundriss L-förmige Anbauten, die nur außen vorspringen und auch die Ringmauer nicht überragen (vgl. Abb. 37, 78, 138). Um den Turm im „Kleinen Hof “ und außerdem vor der Südmauer der Burg wurden 1986–98 verschiedene Mauerzüge ergraben, von denen manche unregelmäßig schräg zu jenen der bestehenden Rechteckanlage verlaufen; zumindest diese, heute im Boden markiert, werden hier als Phase I bezeichnet. Neben einer Zisterne und Getreidegruben sind unter den Grabungsergebnissen die vermutlichen Fundamente eines älteren Turmes von Interesse, der, im Grundriss leicht gedreht, bereits die Stelle des bestehenden, fraglos stauferzeitlichen Turms einnahm; die Ausgräber konnten diesen älteren Turm nicht datieren, aber eben die leichte Drehung zeigt, dass er sich noch nicht auf die stauferzeitliche Rechteckanlage bezog. Bei den Grabungen wurden Münzen des 10./11. Jh. gefunden, aber außerhalb der Stratigraphie, sodass sie nichts zur Datierung der Mauern von Phase I aussagen; diese Baureste werden von den Ausgräbern daher pauschal als vornormannisch/byzantinisch angesprochen und ins 11. Jh. datiert. Über dieser ältesten bisher erfassten Bebauung, die sicherlich bereits zu einem befestigten Adelssitz gehörte, entstand dann in Phase II eine Rechteckanlage, die bis heute die Grundlage des Baues bildet, aber nachträglich noch erheblich erweitert und ausgebaut wurde (vgl. Abb. 38). Zu ihrem ursprünglichen Bestand gehören sicherlich die unteren Teile der Außenmauern im Norden, Westen und Süden, die im Gegensatz zu den oberen Teilen Bruchsteinwerk zeigen, und auch die Quermauer zwischen den Höfen, die damit belegt, dass der südliche „Kleine Hof “ auch in dieser neu konzipierten Anlage wei-
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terhin eine Kernburg bildete. In diesem Hof blieb anfangs wahrscheinlich noch der ältere Turm stehen. Die beiden Südecken seiner Ringmauer besaßen bereits L-förmige Eckverstärkungen aus Bruchsteinmauerwerk mit Eckbuckelquadern; der westliche wurde später erhöht, vom östlichen ist nur der untere Teil verbaut erhalten. In der Forschung umstritten ist die Lage der Ostmauer dieser ursprünglichen Rechteckanlage, jedoch spricht alles dafür, dass sie der heute hofseitigen Mauer des langen Ostflügels entsprach; Belege dafür sind eben der Rest der südöstlichen Eckvorlage und ein an sie anschließender Mauerrest im Ostflügel des „Kleinen Hofes“, ferner ein schon von Carl Arnold Willemsen 1968 angesprochenes Fundament unter der Kapelle und schließlich die relativ große Dicke der Hofwand des heutigen Ostflügels. Die Entstehungszeit dieser ganz neu konzipierten Rechteckanlage in Phase II ist umstritten; italienische Forscher schreiben sie noch den Normannen vor 1137 zu, aber eine Entstehung erst in staufischer Zeit, wie sie Kai Kappel vorschlägt, wirkt wahrscheinlicher. Der Ausbau des „Großen Hofes“ zur heutigen Dreiflügelanlage, deren Raumvolumen für den Aufenthalt eines nicht kleinen Hofstaats geeignet war, mag – vor allem nach den Formen vieler Konsolen – noch von Friedrich II. begonnen worden sein, in den 1240er-Jahren, wurde aber vermutlich unter Manfred weitergeführt (Phase III); dabei deutet vieles auf Planwechsel im Detail und auch darauf, dass die Anlage nie ganz fertiggestellt wurde. Der Architekt dieses Ausbaues wollte die Burg jedenfalls – trotz der beibehaltenen Querteilung – von außen als kastellähnliche Einheit erscheinen lassen, nicht nur durch die überall gleich hohen Außenmauern, sondern vor allem auch durch die Risalite an nunmehr allen vier Ecken. Der Westund der Nordflügel wurden innen an die bestehende, aber mit Buckelquaderschale erhöhte Ringmauer des „Großen Hofes“ angebaut, während der Ostflügel außen vor diese gesetzt wurde, auch im Bereich des „Kleinen Hofes“. Ein breites, im „Kleinen Hof “ parallel zur Trennmauer ergrabenes Fundament deutet außerdem darauf hin, dass dort wohl ein vierter, den Ring schließender Flügel geplant war, der aber nicht ausgeführt wurde. Die zahlreichen Räume der Dreiflügelanlage erhielten in beiden Geschossen offenbar fast durchgehend Schwibbögen über reich ornamentierten Konsolen, die wandparallel spannende Balkendecken tragen sollten. Ob diese Bögen überall realisiert wurden, ist unklar; der Ost- und der Westflügel wurden dann im 16. Jh. eingewölbt. Erhal-
ten sind in der Regel die Konsolen der Schwibbögen, die oft aus Knospenkapitellen entwickelt sind, aber auch romanisierende pflanzliche Ornamentik und antikisierende Formen sowie noch schlichtere Formen zeigen. Nur in einem einzigen kleineren Erdgeschossraum unbekannter Funktion im Nordflügel findet man ein nachträglich eingefügtes Kreuzrippengewölbe. Auch das daneben angeordnete (und wohl ebenfalls nachträglich eingebaute?) Portal in den Nachbarsaal (vgl. Abb. 119) legt die Deutung nahe, dass die Erdgeschossräume in diesem Flügel keineswegs nur untergeordneten Zwecken dienen sollten. Dass das Obergeschoss, das räumlich ähnlich unterteilt ist wie das Erdgeschoss, primär für das herrschaftlich repräsentative Wohnen vorgesehen war, verdeutlichen vor allem einige größere Fenster vornehmlich in den feldseitigen Wänden, darunter einige Biforien mit Kleeblattbögen (vgl. Abb. 110) und Okuli unter spitzbogiger Blende; hofseitig findet man kleinere Fenster, darunter auch etliche hoch liegende Okuli. Der Saal im Obergeschoss des Westflügels war offenbar von Anfang an der wichtigste Raum der Burg; zu ihm führte eine nur noch an Resten ablesbare Freitreppe, deren Unterwölbung auf einer Konsole und vier Säulen ruhte. Die zweifellos zur gleichen Phase III gehörende Kapelle, die etwas außermittig quer in den Ostflügel eingestellt ist und dessen Außenansicht durch ihr rechteckig vorspringendes Chorhaupt akzentuiert, ist ein großer, aber räumlich schlichter Saalbau (7,20 x 16,10 m) mit erneuerter Flachdecke und halbrunder Apsis, der noch romanisch wirkt, auch in Details des Hauptportals (vgl. Abb. 72); nur ein Chorfenster beleuchtet den Raum. Geringe Reste von Wandmalerei offenbar erst angevinischer Zeit sind erhalten, eine Verkleidung mit verde antico (einem grünen Vulkanitgestein) wurde im 18. Jh. für den Schlossbau in Caserta entfernt. Zu beiden Seiten der Kapelle findet man im Obergeschoss kleine Räume mit Apsiden, die als „private“ Oratorien anzusprechen sind; vom nördlichen, wohl dem König vorbehaltenen Oratorium erreichte man einen Balkon auf dekorativen Konsolen, der den direkten Blick auf den Altar der Kapelle bzw. auf den Gottesdienst erlaubte. Eine Treppe in der Nordwand der Kapelle führt zu einem Umgang in der Mauerdicke des Obergeschosses, der den gesamten Kapellenraum umläuft und über einen Gang auf der Trennmauer der beiden Höfe auch eine Verbindung zum Westflügel und zum Ostflügel im „Kleinen Hof “ herstellt; durch diesen Gang wurde – trotz des Ver-
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zichtes auf den Flügel an der Quermauer – für den internen Verkehr im Obergeschoss ein geschlossener Ring um den ganzen Nordhof geschaffen. Der Gang mündet nahe dem Torbau, der in den Westflügel der Burg integriert ist und feldseitig durch zwei rechteckige flankierende Wandvorlagen betont wird (vgl. Abb. 70). Der quadratische Turm, der isoliert, aber nicht ganz seitenparallel im „Kleinen Hof “ steht (vgl. Abb. 81), überragt die umgebenden Ringmauern kaum und übernimmt daher trotz seines qualitätvollen Buckelquaderwerks (vgl. Abb. 139) keineswegs jene dominante Rolle, die man von äußerlich vergleichbaren Bergfrieden deutscher Burgen gewöhnt ist; dass er eigentlich höher werden und damit einen fernwirksamen Akzent der Anlage bilden sollte, liegt nahe. Sein Untergeschoss enthält eine Zisterne, der kreuzrippengewölbte Raum darüber ist mit drei Schlitzfenstern und einem Abort als vornehmer Wohnraum ausgestattet. Dass hier eine besonders gesicherte Unterkunft für eine hochrangige Person – also den König oder Kaiser – geschaffen wurde, bestätigt der Hocheinstieg mit seinem kraftvoll profilierten Gewände und den beiden figuralen Konsolen, die ein Dach über dem Zugangserker tragen sollten (vgl. Abb. 101). Das Kreuzrippengewölbe im Obergeschoss dieses Turmes – das einzige der Burg neben dem Erdgeschossraum im Nordflügel – legt nahe, dass er zu den jüngsten Teilen der Anlage zählt und erst relativ spät den älteren Turm an gleicher Stelle ersetzte. Zwischen dem Turm und dem Ostflügel findet man im „Kleinen Hof “ die Grundmauern von zwei Bauteilen, die sich an die dort in Resten erhaltene ältere Ringmauer lehnten; der südliche war ein Bad mit Unterbodenheizung. Möglicherweise stammen diese (unvollendeten?) Bauten wie der erneuerte Turm aus der Spätzeit der staufischen Herrschaft – oder erst aus der Zeit Karls I., als 1275 eine Vollendung von Mauern dokumentiert wurde? – und sollten vom Ostflügel aus zugänglich gemacht werden; sie unterstützen die Erwägung, dass der „Kleine Hof “ mit seinem Ostflügel und dem bewohnbaren Turm als Aufenthalt der königlichen Familie geplant war. Spätmittelalterliche Teile fehlen in Lagopesole fast völlig, jedoch ist der auffällige Schrägsockel um den nordwestlichen Eckturm aufgrund seiner aufgesetzten Auskragung als Anfang einer Sonderform von Zwinger zu verstehen, wie man ihn um die Mitte des 15. Jh. etwa am „Castel Nuovo“ in Neapel oder an der Burg in Venosa findet; auch er wäre hier aber unvollendet geblieben. Die Umbauten des 16. Jh. im West- und Ostflügel, zu denen
auch die Treppe am Ostflügel gehörte, wurden schon erwähnt.
Palazzo San Gervasio (vgl. Abb. 173)
Die Erbauung des Palazzo San Gervasio – sein Name wurde für die Ortschaft übernommen – wird heute nicht mehr Friedrich II., sondern eher seinem Sohn Manfred zugeschrieben, der ab 1250 Verwalter des Königreichs war und 1258–66 selbst König. Denn erst 1255 wird Palazzo San Gervasio erwähnt, als „angenehmer Ort, wo man sich an der Jagd erfreuen kann“ (locum amoenum et venationibus delectabilem) und wo sich Manfred vom Krieg erholte. Unter den Anjou war der Ort vor allem für Pferderennen bekannt. Die etwa 23 x 38 m messende Dreiflügelanlage (vgl. Abb. 53) steht auf der Spitze eines Bergsporns, die gegen Norden und Osten die vorgelagerte Ebene überblickt. Der nordöstliche Hauptflügel besaß zwei Geschosse; seine Innenwände sind verändert, ebenso die Lage der Zwischendecke, aber bei einer letzten Restaurierung 2005–13 wurden die ursprünglichen Fenster in der talseitigen Längsfront weitgehend freigelegt. Seitdem erkennt man im Erdgeschoss zwei symmetrisch angeordnete Gruppen von je zwei hoch liegenden Okuli, von denen die südlichen ausgebrochen sind, außerdem mittig eine heute vermauerte, große Rundbogenöffnung, die wohl auf einen Altan oder eine Terrasse führte. Im oberen Geschoss, das wohl ein 29 m langer Saal einnahm, gab es fünf ebenfalls symmetrisch und mittenbetont angeordnete Fenster unter Rundbogenblenden, von denen das mittlere drei Spitzbogenöffnungen besaß; die anderen waren Biforien mit Rund- oder Kleeblattbögen und Oberlichtern und auch hier gab es zusätzlich vier hoch liegende Okuli. An den talseitigen Ecken sprangen beidseitig rechteckige Anbauten vor, deren obere Teile heute fehlen; sie dürften Aborte enthalten haben. An der noch nicht näher untersuchten Hofseite des Flügels flankierten offenbar zwei Biforien eine Pforte ins Obergeschoss, die wiederum mittig in der Wand saß; die Pforte ist aber erneuert, die bestehende Freitreppe davor weit jünger. Die beiden zweigeschossigen Seitenflügel wurden wohl erst nachträglich an die Hofmauern angebaut und hatten anfangs keine Obergeschosse, wie Eckverbände im Obergeschoss des Nordostflügels belegen. Die Seitenflügel dienten vermutlich vor allem Wirtschaftszwecken und wurden später aufgestockt und so stark umgebaut, dass originale Öffnungen fehlen. Die schmale Südwestseite
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der Anlage war sicherlich von Anfang an nur durch eine Mauer geschlossen, die mittig das Tor enthielt; das heutige, das wegen eines in den Hof gebauten, jüngeren Hauses aus der Achse gerückt werden musste, stammt aus dem 16./17. Jh. Die Südecke der Gesamtanlage ist wegen der offenbar von Anfang an hier heraufführenden Straße unten abgeschrägt und kragt erst dann über einer Profilierung vor. In seiner Anlage weist Palazzo San Gervasio große Ähnlichkeit mit dem nahen Gravina di Puglia und mit zwei anderen Anlagen auf (Apice, Belvedere in Marano; beide Kampanien). Der Typus wird daher sicherlich zu Recht als Jagdschloss angesprochen, das nur eine kleine
Abb. 179 Roseto Capo Spulico, Grundrissskizze mit hypothetischen Angaben zum Baualter.
Gruppe um den Herrscher aufzunehmen und keinen Befestigungscharakter hatte.
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Roseto Capo Spulico / Castrum Petre Roseti (Abb. 179)
Auf einem senkrecht aufragenden Felsklotz über dem Kiesstrand des Ionischen Meeres erhebt sich unterhalb des Dorfes Roseto Capo Spulico, von den Provinzhauptstädten Tarent und Cosenza etwa gleich weit entfernt, die kleine Burg Roseto, die im Mittelalter Castrum Petr(a)e Roseti genannt wurde (vgl. Abb. 34). In der Regierungszeit Friedrichs II. nennen Quellen mehrfach eine porta Roseti, was von manchen Autoren als Beleg für die Existenz der Burg angesehen wird, aber bei vorsichtiger Deutung nur den Engpass gemeint haben dürfte, der hier zwischen dem steil abfallenden Gebirge und dem Meer die Nordgrenze von Kalabrien gegen die Basilicata bildet. Noch heute führt die an der Küste verlaufende SS 106 als einzige direkte Verbindung von Apulien nach Kalabrien unmittelbar an der Burg vorbei, ebenso wie die Bahnstrecke Tarent – Reggio Calabria; dass es hier im Mittelalter wirklich ein „Tor“ im Sinne einer Straßensperre gab, ist keineswegs ausgeschlossen, jedoch ist der Bereich so umgestaltet, dass alle Spuren verschwunden wären. 1239 war die Rede von Kostenvoranschlägen für eine kaiserliche Burg Roseto (astraca castri nostri Roseti), was aber nach allgemeiner Ansicht die heute „Rocca Imperiale“ genannte größere Höhenburg meinte, die im Mittelalter ebenfalls „Roseto“ hieß, aber 18 km weiter nördlich liegt; ihr Baubestand geht allerdings nicht mehr bis ins 13. Jh. zurück. Die Annahme, dass die kleine Burg am Meeresufer noch vor 1250 von kaiserlichen Architekten erbaut worden sei, beruht daher nur auf der durchaus akzeptablen Stildatierung einiger Fenster, die in älteren Kunstführern vorgetragen wurde. 1269 wird die damals jedenfalls kuriale Burg dann mit ihrer Besatzung erwähnt und gleichzeitig oder wenig später spricht das „Statut zur Reparatur der Kastelle“ von drei Türmen: dem Hauptturm, einem an einer macza (Wehrgang, Zwinger?) und einem dritten am Tor. Heute ist in den beiden Vorburgen ein Restaurant untergebracht, die Kernburg kann für Veranstaltungen gemietet werden und ist auch zu besichtigen. Ältester Teil der Burg ist der dreigeschossige Wohnturm, dessen Grundriss dem Quadrat angenähert, aber an der Seeseite der Felskante entsprechend abgeschrägt ist; seine Zwischenböden lagen ursprünglich etwa 1,5–2 m
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höher als im später angesetzten Wohnbau, wurden diesen aber im 19. Jh. angepasst. Der Turm zeigt seeseitig im Erdgeschoss noch Reste eines originalen, rundbogigen Lichtschlitzes (vgl. Abb. 111). Darüber sieht man im ersten Obergeschoss, in das auch von Norden der spitzbogige Einstieg führt, an derselben Seeseite eine große, im 19. Jh. verkleinerte Biforie, die einen Sturz mit kleeblattbogigen Blenden unter einer Spitzbogenblende besitzt. Im Geschoss darüber liegt schließlich ein ähnliches, aber kleineres Fenster ohne Blende; beide Fenster sind noch in die erste Hälfte des 13. Jh. zu datieren. Das Mauerwerk des Turmes – wie auch des sekundär angesetzten Wohnbaues – besteht aus ehemals verputztem Bruchstein, jedoch mit Ecken aus qualitätvollen Glattquadern. Nördlich an den Turm wurde, durch Fugen abgesetzt, nachträglich ein rechteckiger, zweigeschossiger Wohnbau angefügt. Er enthält zwei im Prinzip gleiche, kleine Säle übereinander, die ursprünglich über je zwei spitzbogigen Gurtbögen flach gedeckt waren; sie wurden später beide eingewölbt, was eine Verstärkung der landseitigen Westmauer erforderte und auch die erhaltenen Anbauten an der östlichen Seeseite als Widerlager voraussetzte. Den Saal im Erdgeschoss und damit den gesamten Wohnbau betritt man durch ein originales, gefastes Spitzbogenportal an der westlichen Längsseite; ein spitzbogiger Lichtschlitz zur Seeseite ist sonst die einzige originale Öffnung des Geschosses, alle anderen Durchgänge, Pforten und Fenster sind nachträglich eingebaut oder umgestaltet. Der Saal im Obergeschoss besaß vier große Fenster, die aber gleichfalls alle verändert sind. Am besten erhalten sind noch zwei ehemalige Biforien an der westlichen Landseite, von denen die senkrechten Gewändeteile, die profilierten Kämpfer und die Spitzbogenblenden unverändert sind, während die originalen Bögen und die Mittelstützen fehlen; von einem ähnlich dimensionierten Fenster an der Seeseite sieht man innen nur noch die Nischenkanten. Ein etwas größeres Fenster in der nördlichen Schmalseite des Saales ist nur noch aufgrund der außen sichtbaren Bogenblende zu ahnen, das heute dort eingebaute Fenster ist viel kleiner. Die Lokalisierung der um 1269–78 erwähnten drei Türme und des Zwingers (macza) ist weitgehend unklar. Als macza wird man am ehesten die nördlich an die Kernburg anschließende Vorburg ansprechen dürfen, die – im Gegensatz zur jüngeren westlichen Vorburg – östlich und nördlich durch Felskanten geschützt ist, vor dem Eisen-
bahnbau vielleicht auch westlich. Vermutlich war die Westmauer dieser Vorburg als Zwinger vor dem Wohnbau weitergeführt, weil nur so die Pforte zum Wohnbau bzw. zur Kernburg von der Vorburg aus zu erreichen war; der quadratische Sockel des jüngeren Rundturmes am späteren Tor der Kernburg könnte wenige Meter daneben vielleicht ein Rest des im 13. Jh. erwähnten Turmes am Tor sein. Der Stumpf eines zweiten Turmes ist in der landseitigen Nordwestecke der (älteren) Vorburg erhalten und schließlich ist der damals ausdrücklich als solcher angesprochene Hauptturm (turris magistre) eindeutig zu identifizieren. An Hauptturm und Wohnbau wurden später weitere Räume angefügt, nämlich ein Abortanbau südlich am Turm und weitere, im Grundriss der Felskante angepasste Räume östlich am Wohnbau; zu diesen Anbauten gehört auch ein neues Treppenhaus. Landseitig entstand im Spätmittelalter eine zweite Vorburg mit einem langen Wirtschaftsgebäude und in ihr ein neuer, besser befestigter Zugang zur Kernburg in Form eines viertelrunden Turmes mit Zugbrücke, Schlitzscharten im Erdgeschoss und Maschikuli; sein quadratischer Sockel stammt vielleicht noch von einem der drei Türme, die in den 1270erJahren erwähnt wurden. Die jüngeren Bauteile dürften vor allem im 14./15. Jh. entstanden sein, die seeseitigen Anbauten am Wohnbau wohl noch später; am jüngsten ist das barocke Haupttor an der Südseite der jüngeren Vorburg.
Cosenza (Abb. 180)
Der über der Altstadt von Cosenza aufragende Bergsporn ist nur südlich durch einen deutlich tieferen Sattel mit dem Massiv verbunden. Knapp die Südhälfte seiner etwa 200 m langen Kuppe wird von der Burg eingenommen, während auf ihrem leicht abfallenden Nordteil – früher wahrscheinlich einem suburbium oder zumindest Wirtschaftsbereich – heute einige Wohnhäuser und ein ehemaliges Kapuzinerkloster stehen. Seit wann der Berg eine Befestigung trug, ist bisher unklar; gingen die Vermutungen früher bis in römische und sarazenische Zeit zurück, so wird heute nur noch angenommen, dass der bestehende Bau einen normannischen Vorgänger hatte, der 1184 und 1230 durch Erdbeben beschädigt wurde. Dass Friedrich II. hier nach dem zweiten Erdbeben bauen ließ, belegt jedenfalls ein Brief des Kaisers von 1239, in dem es um die Verstärkung von Bögen bzw. Gewölben ging – in der stark erdbebengefährdeten Region ein verständliches
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Abb. 180 Cosenza, Grundrisse des Erdgeschosses und des Obergeschosses des (barocken) Torflügels.
Thema. Die Burg wurde dann erst wieder in angevinischer Zeit erwähnt, als 1269/75 eine Liste der kurialen Kastelle ihre Besatzung dokumentierte. Aus architekturgeschichtlicher Sicht kann kein Zweifel bestehen, dass der bestehende, wenn auch mehrfach durch Erdbeben geschädigte und wiederhergestellte Bau eine anspruchsvolle Neuschöpfung aus den 1230erJahren ist; vermutlich wurde die Burg von Friedrich als kaiserlicher Hauptsitz in Kalabrien geplant, als der sie jedenfalls unter späteren Herrschern erkennbar ist. Aus dieser ersten Bauzeit großenteils erhalten sind die Erdgeschosse von drei kreuzrippengewölbten Flügeln im Norden, Osten und Süden; die Westseite war aufgrund des Platzmangels auf der schmalen Bergkuppe sicher von Anfang an nur durch eine Mauer geschlossen, die im 17. Jh. durch eine schwächere ersetzt wurde (vgl. Abb. 41). Der Ostflügel bestand aus einem einzigen Raum von fast 40 m Länge und über 7 m Breite, den man durch ein nur teilweise erhaltenes Portal vom Hof her betrat und der durch vier große Rundbogenfenster in der östlichen Außenmauer und eines in der südlichen Schmalseite belichtet war. Der Saal war mit sechs meist quadratischen
Kreuzrippenjochen über Wandvorlagen und Eckdiensten überwölbt; heute ist das Gewölbe nur im östlichen Joch erhalten (vgl. Abb. 125) und die Kapitelle der Wandvorlagen sind weitgehend im 18. Jh. erneuert worden. In der Nordostecke liegt eine Abortanlage in der Außenmauer, belichtet durch zwei originale Rundbogenschlitze, und im zweiten Joch von Süden lag an derselben Seite ein nur in Resten erhaltener großer Kamin. Zwischen diesem Saal und dem Burgtor an der Nordseite der Anlage war ein kleinerer Raum abgeteilt, anfangs vermutlich die zur Torhalle offene Unterkunft eines Torwächters; später wurde darunter eine Zisterne eingebaut, es entstand ein Tonnengewölbe und ab dem 15. Jh. ist hier eine Barbarakapelle belegt. Der Südflügel wiederholt die Wölbformen des großen Saales mit nur drei Jochen, deren Wölbung vollständig erhalten ist. Auch dieser kleinere Saal war ungefähr mittig durch ein Portal vom Hof zugänglich, während die Pforte zum östlichen Saal in der heutigen Form sekundär ist. Offenbar wurde der Saal nur durch ein einziges, verändert erhaltenes Fenster im Süden belichtet; im mittleren Joch ist außerdem eine Wandnische erhalten, die vermutlich einen Abort enthielt.
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Auch im Nordflügel findet man dasselbe Wölbsystem, dort allerdings nur mit zwei Jochen, weil die Torhalle östlich den Platz eines möglichen dritten einnahm. Dieser kleine Saal besaß im Gegensatz zu den beiden anderen ursprünglich an der angreifbaren Nordseite keine Öffnungen, sondern nur einen (erneuerten) Kamin. Zwei originale Öffnungen, das Portal im östlichen Joch, ein großes Fenster im westlichen, lagen an der Hofseite; ihre Gewände sind erneuert. Die schmale Torhalle (vgl. Abb. 69) zeigt ebenfalls Kreuzgratgewölbe, allerdings in kleineren Dimensionen und auf Konsolen, nicht auf Wandvorlagen und Diensten wie in den breiteren drei Sälen; das Gewände des Haupttores wurde im 18. Jh. ersetzt, als davor der neue Torflügel entstand. Die heutigen Plattformen der drei Flügel und die verschwundenen Obergeschosse zumindest der vier Ecktürme erreichte man ursprünglich über zwei Wendeltreppen, die in den Ecken zwischen dem Nord- bzw. Südflügel und der später erneuerten westlichen Ringmauer lagen. Die in den Hof vorspringenden Ecken dieser Treppen wurden später, sicherlich im 18. Jh., abgebrochen und jene Hälfte, die in der Hofwand der Flügel verblieb, wurde zugemauert; bei den Restaurierungen ab 2007 wurden jedoch Reste der Treppen an beiden Stellen wieder freigelegt. Die stringent konzipierte Rechteckanlage besaß offenbar von Anfang an vier Ecktürme, die jedoch im Süden und Norden unterschiedlich aussahen. Dass die beiden achteckigen Südtürme von Anfang an zur Planung gehörten, hat die Forschung mit Recht nie infrage gestellt. Der östliche ist noch bis zur Plattformhöhe bzw. ein Geschoss hoch erhalten, besaß aber nach Ansichten des späten 16. Jh. mindestens ein Geschoss mehr (vgl. Abb. 89). Auch die Tatsache, dass sein quadratischer, durch dreieckige Schrägen ins Achteck überführter Sockel heute in einem die gesamte Burg umgebenden hohen Schrägsockel steckt, zeigt, dass der Turm ursprünglich doppelt so hoch gewirkt haben muss. Sein hohes achteckiges Sockelgeschoss wurde von einem weitgehend zerstörten achtstrahligen Rippengewölbe auf Konsolen überdeckt, dessen unübersehbare Ähnlichkeit mit den Türmen von Castel del Monte schon oft angesprochen wurde. In seiner Mauerdicke ist ein Abort angeordnet, drei sehr schmale, außen schräg erweiterte Lichtschlitze erhellen den Innenraum und den Zugang zum Erdgeschoss. Von dem formal entsprechenden Südwestturm, der offenbar 1638 bei einem Erdbeben
einstürzte, sind nur niedrige und formlose Reste erhalten. Umstritten ist dagegen die Entstehungszeit der beiden quadratischen Nordtürme, die gleichfalls nur in Höhe ihres Erdgeschosses erhalten sind. Ihre geringfügig verschiedene Seitenlänge übertrifft in Wahrheit jene des Sockels der Achtecktürme kaum, aber wegen des abweichenden Grundrisses wirken sie weitaus wuchtiger. Die Forschung schwankt hier zwischen Datierungen in normannische und in angevinische Zeit – die Türme wurden also entweder als älter oder als jünger eingeschätzt, jedenfalls aber nicht als Bestandteil der friderizianischen Planung. Der Hauptgrund dafür ist sicherlich ästhetischer Art – die Form der Türme wirkt, verglichen mit der noch ahnbaren Eleganz der Achtecktürme im Süden, einfach zu grob, um beide Konzepte für gleichzeitig zu halten. Der Baubefund hilft in dieser Frage zumindest auf den ersten Blick nicht weiter, denn drei der Stellen, an denen die Türme in die Flügel einbinden, sind durch das Bruchsteinmauerwerk, reparierte Erdbebenschäden und Putz so verunklärt bzw. verdeckt, dass sichere Aussagen nicht mehr möglich sind. Jedoch bindet die (heute schwer zugängliche) Südwand des Nordwestturmes, deren Rest weitgehend mit guten Quadern verkleidet ist, sauber in die technisch entsprechende Westwand des Nordflügels ein – ein klarer Hinweis auf die Gleichzeitigkeit von Turm und Gesamtanlage. Betrachtet man außerdem den gut erhaltenen Erdgeschossraum des Nordwestturmes, so entsprechen sein Kreuzgratgewölbe mit Konsolen in Form eines Knospenkapitells, seine Lichtschlitze mit ihrer äußeren Abschrägung, die Pfortenformen und der Abort in der Westwand so vollständig der Gestaltung der drei Flügel und der Südtürme, dass ein Zweifel an der Gleichzeitigkeit kaum noch möglich ist. Von dem im Grundriss geringfügig größeren Nordostturm ist nur ein Stumpf erhalten, fraglos die Folge seines Einsturzes bei einem Erdbeben, vielleicht 1683, von dem auch noch große, abgestürzte Mauerwerksbrocken im Torgraben zeugen. Seine über dem Burgweg liegende Nordostecke wurde danach durch Quaderwerk abgestützt, aber sein Erdgeschoss ist noch mit Schutt gefüllt und im tonnengewölbten Westteil des Obergeschosses findet man keine originalen Details mehr. Eine Ansicht wohl des 16. Jh. – abgebildet von Francesca Paolino – zeigt, dass der Turm damals einen etwas schlankeren Aufsatz trug, mindestens so hoch wie der erhaltene Stumpf, so-
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dass der Turm insgesamt mindestens 25 m hoch gewesen sein muss. Natürlich ist das Alter des verschwundenen Aufsatzes nicht mehr zu klären, aber der Grund für die ehemals hervorgehobene Gestaltung gerade dieses Turmes liegt auf der Hand, denn er dominierte durch seine Position die darunterliegende Stadt weit mehr als die drei anderen Türme. Der Grund, warum die Nordseite der Burg mit so viel massiveren Türmen ausgestattet wurde, liegt fraglos in der Gestalt des Bauplatzes. Zwar hängt der Burgberg nur im Süden mit dem Massiv zusammen, aber der Sattel liegt dort rund 60 m tiefer und der Berghang ist steil; dagegen liegt vor der Nordfront der Burg relativ flaches Gelände. Hier war also die günstigste Angriffsseite, an der auch das Burgtor liegt. Die Burg in Cosenza diente bis ins Spätmittelalter verschiedentlich als Residenz der Herrscher, so 1420–34 für König Ludwig III. von Anjou oder 1459 für Alfons II. von Neapel. Bis ins 16. Jh. blieb die Anlage ein wichtiger Stützpunkt der aragonesischen Herrscher, aber in der Folgezeit verfiel sie; sowohl ihre repräsentativen Wohnmöglichkeiten als auch ihre defensive Funktion waren überholt, Erdbeben taten fraglos ein Übriges. Nachdem die Diözese Cosenza dann in der 2. Hälfte des 18. Jh. in der dafür wiederhergestellten Burg ein Priesterseminar eingerichtet hatte, wurde sie im 19. Jh. zum Gefängnis und kam schließlich als Teilruine an die Stadt Cosenza, die sie 2007–15 als Veranstaltungsort restaurierte und der Öffentlichkeit zugänglich machte. Im Bestand der Burg erkennt man, diesen vielfältigen Nutzungsänderungen entsprechend, mehrere nachstaufische Bauphasen. So liegt nördlich unter dem Nordostturm in einem dicken Mauerstück ein Spitzbogentor mit Fallgatterschlitz, das zusammen mit einer gegenüberliegenden Pforte als Rest eines Torzwingers oder einer Vorburg wohl des späten 13. oder 14. Jh. zu verstehen ist; die weitere Gestalt dieser Vorbefestigung ist aber – ebenso wie der frühere Zugang zu diesem Tor – durch die neue Vorbefestigung des 18. Jh. und die wohl gleichzeitige Zufahrtsrampe verunklärt. Dicht nördlich neben dem Tor entstand ebenfalls noch in gotischer Zeit ein quadratischer Bau, der sich ursprünglich allseitig in weiten Spitzbögen öffnete – vielleicht ein Pavillon als öffentliche Gerichtsstätte unmittelbar vor dem Herrschaftssitz? Später wurde der allzu fragile Bau dreiseitig ummauert, um ihn zu stützen; heute dient er dem Ticketverkauf und als Cafeteria.
Noch im 16. Jh. muss der hohe, das heutige Bild prägende Schrägsockel entstanden sein, der die Burg im Westen, Süden und Osten abstützt, zweifellos in erster Linie als Sicherung gegen weitere Erdbeben. Im Norden ist dieser Sockel durch ein schwaches, den gotischen Vorgänger ersetzendes Vorwerk ergänzt, das nur aus einer schartenbewehrten Mauer mit zwei flankierenden Vorsprüngen besteht und in dem eine (modern erneuerte) Brücke über den Torgraben zur Burg führt; das Vorwerk dürfte in dieser Form erst im 18. Jh. erneuert worden sein. Ob die ebenfalls nur schwache Mauer mit zwei an Halbbastionen erinnernden Türmchen, die an der Westseite der Burg die ursprüngliche Ringmauer ersetzt, ebenfalls erst ins 18. Jh. gehört, scheint zweifelhaft; eher entstand sie schon im 16. Jh. zusammen mit dem die Burg umgebenden Sockel, auf dem sie sitzt. Beim barocken Ausbau zum Priesterseminar dürfte die breite Rampe entstanden sein, die von Norden zum Vorwerk vor dem Tor heraufführt; sie erlaubte die Zufahrt mit Kutschen bis an den Quergraben. Hinter dem Graben entstand dann zwischen den Stümpfen der beiden Nordtürme ein heute wieder instand gesetzter geräumiger Anbau, in dem eine dreibogige Vorhalle den Ankömmling empfängt; daneben führt ein großzügiges Treppenhaus in einen Obergeschosssaal. Sonst wurden die Säle des 13. Jh. nach der Vergrößerung einiger Fenster offenbar wenig verändert für das Priesterseminar weitergenutzt; lediglich die sehr ungewöhnlichen „barocken“, aber an gotische Knospenkapitelle angelehnten Formen einiger Pilasterkapitelle deuten darauf, dass sie beschädigte des 13. Jh. ersetzten. Die restaurierten Räume wurden außerdem durch einen hofseitigen Arkadengang vor allen drei Flügeln miteinander verbunden, der am Südflügel in ein zweites neues Treppenhaus mündete; von dem Umgang selbst zeugen heute nur noch zwei profilierte Pfeiler in den Hofecken und ein Rest der Wölbung.
Nicastro (Abb. 181)
Nach der örtlichen Überlieferung ginge die Burg Nicastro bis ins 8./9. Jh. zurück – sie sei als Schutz gegen Sarazeneneinfälle entstanden und im 11. Jh. von den normannischen Herrschern erneuert worden; Quellenbelege für diese frühe Zeit fehlen jedoch. Zwar ist ein Neocastrum schon 1121 als Ausstellungsort einer Bulle von Papst Calixt II. bezeugt und auch 1195, als Heinrich VI. dort ein Diplom für Joachim von Fiore ausfertigte. Die Problematik dieser frühen Erwähnungen liegt jedoch darin, dass 1239 auch
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ein „Waldpalast Neocastrum“ erwähnt wird (in solario palatii nostri nemoris Neocastri) – eine Bezeichnung, die kaum die im selben Jahr zweimal ausdrücklich als castrum erwähnte Burg meinen kann, sondern vielmehr die Verschiedenheit beider Anlagen betont. Wo allerdings jener „Waldpalast“ gelegen hat, bleibt unklar, möglicherweise bei dem Dorf Pianopoli östlich von Nicastro. Gesichert ist die Existenz der Burg daher erst durch den 1239 erlassenen Befehl des Kaisers, die Steuereinkünfte des östlichen Sizilien und Kalabriens in der Burg aufzubewahren, und auch durch ihre Erfassung auf der Liste der castra exempta in den 1230er-Jahren. 1240–42 war hier auch der abgesetzte König Heinrich (VII.) gefangen; beim Abtransport zu einem neuen Gefängnis starb er, nach Analyse seiner Gebeine an Lepra erkrankt, wahrscheinlich durch Selbstmord. Die Burg blieb auch in angevinischer Zeit kurial, als 1269 und 1275 ihre Besatzung dokumentiert wurde; 1283 ist der Kastellan erwähnt. Später im Besitz der neapolitanischen Adelsfamilien Caracciolo und d´Aquino wurde die – nach ihrem Baubestand nochmals aufwendig modernisierte – Burg im 17. und 18. Jh. durch Erdbeben zur Ruine und im frühen 19. Jh. ist auch Steinraub insbesondere an den der Siedlung zugewandten Teilen belegt. Die Ruine ist seit 2016 gesperrt, weil die Sicherheit der Besucher nicht gewährleistet ist (2019). Nicastro ist eine ausgedehnte Ruine auf felsigem Gipfel zwischen zwei Bachtälern, der nur im Nordosten mit dem Bergmassiv zusammenhängt, auch dort aber durch einen tiefen Einschnitt geschützt (vgl. Abb. 22). Im Nordwesten und Südosten fällt der längliche Bauplatz steil ab, nur im Südwesten ist der vorgelagerte Hang flacher, wo der Hauptteil der kleinen Burgsiedlung entstand; dort liegt auch das Tor. Das Mauerwerk der Ruine besteht weitgehend aus Bruchstein, was die Trennung von Bauphasen erschwert; einzelne Kalksteinquader könnten von früheren Bauten wiederverwendet sein. Das Doppelturmtor, ein Eckrondell gegen die Siedlung und ein weiteres Rondell an der Südostseite sind fraglos erst ins 15. Jh. zu datieren, drei spitzwinklige Vorsprünge mit Kanonenscharten und teilweise Resten von Maschikuli an der nordöstlichen Angriffsseite ins frühe oder mittlere 16. Jh.; auch das Haupttor wurde frühneuzeitlich mit einer kleinen Bastion umbaut. Angesichts so ausgedehnter Veränderungen und bisher fast völlig fehlender Bauforschung fällt es schwer, ältere Bauteile sicher zu identifizieren. Bei Ausgrabungen
Abb. 181 Nicastro, Senkrechtaufnahme anstatt eines bisher nicht vorliegenden Grundrisses.
in der Umgebung des Hauptturmes wurde Keramik normannischer Zeitstellung als ältester Fundkomplex festgestellt; die Archäologen vermuten einen Rechteckbau dieser Zeit auf der höchsten Stelle des Felsens. An seiner Stelle wäre erst später ein polygonaler Turm entstanden – im Grundriss ein Fünfeck mit „abgeschnittener“ Spitze –, von dem höhere Reste mit weitgehend zerstörten Fenstern erhalten sind; nach den Grabungsergebnissen entstand er im 13. Jh., also wohl in friderizianischer Zeit, wie auch ein Vergleich mit dem konzeptionell ähnlichen Hauptturm im nahen Vibo Valentia unterstreicht. Nahe liegt darüber hinaus auch die Vermutung, dass sich die Kernburg des 13. Jh. auf die nordöstliche, auch westlich durch Felspartien geschützte Partie der Anlage beschränkte – Reste einer älteren Ringmauer wurden unter jener des 15. Jh. festgestellt – und dass der untere Teil der Gesamtanlage ursprünglich eine Vorburg gewesen sein mag, die erst im 15./16. Jh. stärker ausgebaut wurde. Von den dortigen Gebäuden sind nur niedrige Mauerreste er-
Kalabrien/Calabria
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halten, auch eine rechteckige Zisterne im Hof. Ein fast 40 x 10 m messender Bau mit einer Reihe von Mittelstützen, der sich an die Südwestmauer gegen die Siedlung lehnte, dürfte im Obergeschoss einen großen Saal enthalten haben.
Vibo Valentia (Abb. 182)
Die Stadt Vibo Valentia – das antike Hipponion, das seinen heutigen Namen in römischer Zeit erhielt und ihn seit 1928 wieder trägt – wird von einer Burg überragt, möglicherweise an der Stelle einer antiken Akropolis. Die verlassene Stadt wurde nach dem Chronisten Jamsilla von Friedrich II. wohl um 1240–45 neu besiedelt und auch die Burg sei damals entstanden; die Neugründung erhielt den Namen Monteleone. Unter angevinischer Herrschaft, als Monteleone Sitz eines Vikars war und mehrfach die Besatzung der Burg dokumentiert wurde, sind 1289 Bauarbeiten an der Burg und der Stadtmauer erwähnt. Die heutige Gestalt der beiden erhaltenen Wohnflügel geht aber frühestens in aragonesische Zeit, eher ins 16./17. Jh. zurück, als die inzwischen fortifikatorisch bedeutungslose Burg der Familie Pignatelli gehörte. Spätestens nach einem Erdbeben 1783 trug man das oberste Geschoss dieser Bauten ab, auch die Räume hinter dem Fünfeckturm verschwanden; in der Folge wurde die Anlage weitgehend
zur Ruine. Erst in den 1970er-/80er-Jahren fand eine Restaurierung statt; heute beherbergt der Bau ein archäologisches Museum. Die Burg besetzt eine Hügelspitze östlich über der Stadt, von der man das Umland im Westen und nördlich bis zum Meer überblickt. In 1995 publizierten Untersuchungen deutete Francesca Martorano den Baubestand so, dass vor allem der große Fünfeckturm an der nördlichen Angriffsseite und große Teile der Ringmauer noch auf den ursprünglichen Bau Friedrichs II. zurückgingen. Ihr wichtigstes Indiz dafür waren Partien aus sauberem Glattquaderwerk, die sich nur am Fünfeckturm noch in größeren Flächen finden, an anderen Stellen der Ringmauer in geringeren Resten. Martorano vermutete in ihnen letzte Belege einer ursprünglich überall vorhandenen Quaderschale, die aufgrund von Verfall und Steinraub verschwunden sei; genauere Betrachtung belegt jedoch, dass die Kalksteinquader sich auf den Fünfeckturm, auf Ecken und Öffnungs- bzw. Nischengewände beschränkten, während alle übrigen Mauerschalen aus (ursprünglich fraglos verputztem) Bruchsteinwerk bestanden. Der Stumpf des fünfeckigen Bergfrieds, der eine außergewöhnlich scharfe Spitze gegen die Angriffsseite richtete, enthält unten eine (verschüttete) Zisterne. Im
Abb. 182 Vibo Valentia, Grundriss mit rot vom Verfasser angelegten Bauteilen der ursprünglichen, friderizianischen Bauzeit.
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ehemaligen Einstiegsgeschoss sind Sockel von Wandvorlagen mit Eckdiensten erhalten, die auf zwei kreuzrippengewölbte, durch einen Gurtbogen getrennte Joche deuten; geringe Gewölbereste sind aus Backstein, in der hofseitigen Westecke lag die Wendeltreppe zu den verschwundenen oberen Turmgeschossen. In der Ringmauer südlich des Turmes lag das ursprüngliche Tor, dessen Gewände fehlt und dessen stark beschädigte Nische vermauert ist; es wurde an der benachbarten Mauerecke von einer beschädigten, unten rechteckigen und oben wohl ehemals runden Tourelle flankiert. In einem polygonalen Vorsprung bzw. einem ehemaligen Turm an der Südecke der Burg, dessen Form durch Schäden der Mauerschale verunklärt ist, hat sich noch ein kleines Rundbogenfenster erhalten. Die Nordwestseite der Burg, die als Schaufront die Stadt überragt, besteht aus einer 45 m langen Mauer, die von zwei Rundtürmen flankiert wird und aus der mittig ein dritter, polygonaler Turm vorspringt, sodass sich eine fast symmetrische Dreiturmfront ergibt (vgl. Abb. 50). Martorano hielt diesen Teil der Anlage für eine Ergänzung erst angevinischer Zeit um 1280, während F. A. Cuteri ihn – und auch alle weiteren, an ihrer Dicke erkennbaren Teile der ursprünglichen Ringmauer – in die erste, friderizianische Bauzeit setzt. Diese Einschätzung wird durch eine Reihe von Details vor allem in und nahe bei den beiden Rundtürmen bekräftigt, wobei das Fehlen erkennbarer Fugen oder Verzahnungen ein erstes, aber angesichts des Bruchsteinmauerwerks nicht allzu eindeutiges Argument darstellt. Der nordwestliche Turm enthält zwei hohe Schlitzscharten, von denen eine zum Fenster erweitert wurde; die in einen Mauerknick integrierte Wendeltreppe zu den oberen Turmgeschossen ist durch ein kleines Rundbogenfenster belichtet, das im späten 13. Jh. bereits unmodern gewesen wäre. Noch aussagekräftiger sind die Details des anderen, später mit einem Schrägsockel verstärkten Rundturmes an der Westecke, neben dem ein weiteres kleines Rundbogenfenster erhalten ist. Man betritt sein Erdgeschoss, in dem ein Abort in der Mauerdicke und eine weitere hohe Schlitzscharte erhalten sind, durch eine Rundbogenpforte; auch diese Einzelheiten gehören noch in die erste Bauzeit. Die beiden Wohnflügel und der südwestliche Torbau stammen in ihrer heutigen Form – aber ohne die im späten 18. Jh. abgetragenen Obergeschosse – im Wesentlichen aus der Renaissance. Ein vierter Flügel, der sich an den Stumpf des Fünfeckturmes lehnte und u. a. eine Kapelle
enthielt, ist bis auf geringe Reste zerstört; man erkennt noch die Apsis der Kapelle. Das Tor wurde in dieser Bauphase zunächst durch einen schmalen Zwinger geschützt, in dessen Mauer Feuerwaffenscharten und umfangreiche Ziegelverwendung die späte Entstehung bestätigen. Noch später, wohl im 18. Jh., öffnete man das Treppenhaus des 16. Jh. im Westflügel nach außen und machte es über eine doppelte Freitreppe in rundlich geschwungenen Formen zeitgemäß zugänglich.
SIZILIEN/SICILIA
Milazzo (Abb. 183)
Obwohl der von seiner Halbinsel aus weithin das Meer beherrschende, von der Landseite her nur schwer angreifbare Burgfelsen von Milazzo nach archäologischen Ergebnissen seit dem Neolithikum besiedelt war und ebenso von der griechischen bis mindestens zur byzantinischen Zeit, fehlen dort Befestigungsreste, die vor der Regierungszeit Friedrichs II. entstanden wären. Hauptgrund dafür dürften die aufwendigen Neubefestigungen des 13. bis 17. Jh. sein, für die ältere Bauten als Materiallieferanten dienten. In den frühen Regierungsjahren Friedrichs II. wurde Milazzo als Siedlung verschiedentlich erwähnt, aber vor 1239 fehlen Hinweise auf eine Burg. In den Schriftquellen erscheinen neben der Vergabe von Ländereien u. a. an verschiedene Klöster lediglich ein Tierpark und eine „tonnara“, eine Anlage für Fang und Verarbeitung von Thunfischen. Erst 1239 drückte der Kaiser dem für Bauten in Sizilien zuständigen Richard von Lentini seine Anerkennung aus für die abgeschlossenen Arbeiten an den Kastellen in Syrakus, Caltagirone und Milazzo; Milazzo zählte – wie noch unter den Anjou in den 1270er-Jahren – auch zu den castra exempta, also zu den Burgen, deren vom Kaiser selbst bestimmte Besatzung mehrfach der aktuellen Lage angepasst wurde. Die besondere Bedeutung, die der Kaiser der Burg kurz nach ihrer Fertigstellung zumaß, unterstreicht auch ein Brief von 1240, nach dem Augusta und Milazzo künftig die einzigen Häfen Siziliens sein sollten, von denen aus Handel mit dem Ausland getrieben werden durfte. Die strategische Relevanz von Milazzo blieb bis ins 19. Jh. erhalten. Im 14. Jh. wurde es in den Kämpfen der Anjou mit den Aragon mehrfach erobert; 1338 fiel die Burg nach fünf Monaten Belagerung durch Hunger an die angevinische Partei, wurde aber in einer zweiten, dreimonatigen Belagerung zurückgewonnen. Vertretern des noch
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unmündigen Königs Ludwig I. von Aragon gelang es 1345, die Stadt einzunehmen, nicht aber die Burg; diese fiel erst durch den Verrat ihres Kommandanten. Im späten Mittelalter war Milazzo oft Sitz der Vizekönige bzw. militärischen Befehlshaber von Sizilien. Die Relevanz des Hafens zeigte sich noch 1571, als Don Juan d´Austria hier die Flotte sammelte, die dann bei Lepanto über die Osmanen siegte. Bei einer Belagerung der von den Piemontesen gehaltenen Festung durch aragonesische Truppen 1718/19 wurden Stadt und Festung schwer zerstört; ab 1880 schließlich diente die Festung nur noch als Gefängnis. Die Burg von Milazzo ist eine nur grob dem Rechteck angenäherte polygonale Anlage mit vier Ecktürmen und heute noch vier – ehemals fünf – Zwischentürmen. Erin-
nert diese vereinfachte Beschreibung direkt an Augusta oder auch Lagopesole, so täuscht dies in Wahrheit erheblich, denn Milazzo ist ein Bau von weit geringerem formalen Anspruch, der solche Anregungen bestenfalls ahnen lässt. Die Grundrissform weist an der Südwest- und Südostseite mehrere stumpfwinklige Knicke auf, der Hauptturm und die kleineren Türme – ein fünfter Zwischenturm im Südosten ist abgebrochen – sind verschieden groß und unterschiedlich angeordnet; außerdem fehlt jeder Hinweis auf vereinheitlichte, gewölbte Flügel oder überhaupt auf Wölbungen aus der ursprünglichen Bauzeit, ebenso auf Schmuckformen wie Säulen oder Konsolen. G. Agnellos Behauptung, der unregelmäßige Grundriss sei durch die Bergform bedingt, trifft allerdings nicht zu – die relativ
Abb. 183 Milazzo, Grundriss des Obergeschosses.
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flache Bergkuppe hätte durchaus eine exakt rechteckige Anlage ermöglicht. Der Bau ist aus kleinteiligem Bruchstein errichtet mit vielen Reparaturen aus Dachziegeln und breiter Glattquaderung nur an den Turmecken; Material war dunkle Lava von den nahen Äolischen Inseln. Die relativ kleinen vier Eck- und (ehemals) vier Zwischentürme neben dem Hauptturm tendieren zum Rechteckgrundriss, sie springen verschieden weit und auch in verschiedenen Winkeln über die Kurtinen vor; fraglos wurden sie erst im Artilleriezeitalter gekappt. Ungewöhnlich für friderizianische Bauten sind die Schlitzscharten mit Quadergewände aus Lava in mehreren Türmen (vgl. Abb. 77); andere dürften Reparaturen zum Opfer gefallen sein, die man im Mischmauerwerk nur noch teilweise erkennen kann. Das Haupttor liegt in der nordöstlichen Schmalseite nahe dem östlichen Eckturm. Es ist ein einfaches Spitzbogentor mit Gewände aus hellem Kalkstein, das nur durch eine profiliert vorspringende Archivolte auf kurzen horizontalen Gesimsstücken geschmückt ist; ein vermauertes Nebentor im Südwesten aus Lavaquadern zeigt entsprechende Formen. Auch die gefasten Spitzbogenpforten zu den Mauertürmen sind im Inneren der jüngeren Kasernen weitgehend erhalten. Der quadratische Hauptturm der Anlage, der – als einziger halb ins Burginnere vorspringend – einen nordwestlichen Mittelturm ersetzt, ist mit Seitenlängen von über 10 m viel größer als die anderen Türme (vgl. Abb. 88); er entstand gleichzeitig mit dem Kastell, wird aber traditionell als „Torre saracena“ bezeichnet bzw. grundlos in normannische Zeit gesetzt. Unter der jüngeren Brustwehr läuft außen ein Zierband aus fischgrätig angeordneten Ziegeln um. Das ursprünglich von außen unzugängliche Erdgeschoss des Turmes war eine Zisterne, wie noch eine Wasserzuleitung im Geschoss darüber zeigt. Das heute einzige Obergeschoss mit drei Spitzbogenfenstern besitzt eine (restaurierte) Balkendecke über einem weitgespannten Schwibbogen. Ein steiler, wohl als Sicherung gegen Erdbeben zu deutender Schrägsockel, der dieselbe Eckquaderung aufweist wie die anderen Türme, nur deutlich breiter, erreicht heute fast die halbe Höhe des gekappten Turmes; dieser die Wand zum kleinen Hof aussparende Sockel ist später hinzugefügt, wie auch ein entfernter Sockelteil an der Turmnordostwand erkennen lässt. Der große Hof der Burg ist heute von Flügeln umgeben, die kleine Räume zwischen Bruchsteinmauern enthal-
ten und hofseitig schlichte Rechteckfenster besitzen; sie entstanden fraglos erst als Kasernen im 16./17. Jh. Fraglos aus der Erbauungszeit der Burg stammt dagegen ein großer, die übrige Bebauung auf einem Felskopf überragender Rechteckbau in der Westecke der Burg, der den Repräsentationsbereich der Burg bildete, sicherlich als Sitz eines Burgvogtes o. Ä. Vom Hauptturm ist er durch einen kleinen Vorhof getrennt, den man durch ein gestuftes, zweifach mit Rundstab profiliertes Spitzbogentor aus Kalkstein betritt; im Hof liegt die Treppe zum Obergeschoss des Turmes und der Zugang des Rechteckbaues. Sein einziges Geschoss, dessen restauriertes Portal jenem zum Hof ähnelt, enthält einen ungefähr quadratischen Saal, dessen hohe Balkendecke von zwei rundbogigen Schwibbögen über schlicht profilierten Kämpfern getragen wird; die Konstruktion entspricht jener im Hauptturm (vgl. Abb. 59). In der Südecke liegt ein restaurierter großer Kamin, der Raum wird durch hoch liegende, innen erweiterte Rundbogenfenster belichtet. Nur im mittleren Feld von Nordosten liegt ein Rundbogenfenster mit Seitensitzen und gestuftem, rundstabgeziertem Gewände, das – vergleichbar einem allerdings weit anspruchsvoller gestalteten Fenster im Kastell von Syrakus – einen großartigen Blick auf das Meer bietet (vgl. Abb. 103). Hinter dem Saal folgt, getrennt durch eine originale Querwand, ein schmalerer Raum mit Fenster zum Hof und Zisterne im anschließenden Eckturm. Der spätfriderizianischen Datierung des Kastells, die Giuseppe Agnello vortrug, wird man aufgrund des kaiserlichen Briefs von 1239 zustimmen, nicht aber seinem Versuch, die im Vergleich mit den friderizianischen Idealkastellen auffällig schlichte Architektur allein mit der Bergform und dem lokalen Steinmaterial zu erklären. Auch Agnellos Unterstellung, typische Elemente der anderen Kastelle, die hier fehlen – vor allem die den Hof umgebenden gewölbten Flügel –, seien ehemals vorhanden gewesen, aber später ersetzt worden, ist gänzlich unwahrscheinlich. Warum hätte man solide Konstruktionen des 13. Jh. durch technisch anspruchslose Neubauten ersetzen sollen, anstatt sie einfach durch Unterteilung neuen Erfordernissen anzupassen? Milazzo wurde vielmehr von einem Baumeister errichtet, der die qualitätvollen Formen anderer Kastelle bzw. Entwerfer zwar kannte, sie aber nur sehr grob nachahmte, während er im Übrigen – was bereits Agnello andeutete – Traditionen verpflichtet blieb, für die geometrische Konsequenz weit weniger wichtig war. Auffällig ist dabei allerdings das Auftreten
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von Schießscharten, die den friderizianischen Kastellen sonst weitgehend fremd waren. Im 15. bis 17. Jh. wurden Burg und Stadt Milazzo durch aufwendige Werke modernisiert. Zunächst entstand gegen den flacheren Hang im Südosten, wo die älteste Stadt lag, zwischen 1496 und 1508 ein Zwinger mit fünf Rondellen („cinta aragonese“), von denen die beiden nördlichen ein Doppelturmtor bilden. Spätestens in dieser Phase wurde auch die geräumige Felsplattform hinter der Burg mit einer Mauer auf der Hangkante umgeben; ein Vorsprung dieser Mauer ist mit der spielerischen Darstellung zweier Augen („occhi di Milazzo“) geschmückt, an die sich verschiedene Deutungen und Sagen knüpfen. 1529–40 folgte eine bastionäre Befestigung, die weiter unten am Hang den gesamten Bereich der ältesten Stadt – die „città murata“ oder „cittadella“ – in die Befestigung einbezog, vermutlich anstelle einer älteren Stadtmauer; sie wurde bis etwa 1575 weiter ausgebaut. Interessant sind
dort besonders die südliche „Bastione di Santa Maria“, die als Rondell begonnen und sekundär zur echten Bastion abgeändert wurde, sowie der Ravelin vor der sehr langen Hauptkurtine.
Rometta (Abb. 184)
Die Stadt Rometta, eine byzantinische Gründung, liegt 5 km vom Meer auf einem isolierten, 560 m hohen Gipfel, der allseitig von fast senkrechten Felswänden geschützt ist. Sie war nicht nur ein kaum einnehmbarer Rückzugsort – der sich etwa im 9. Jh. den arabischen Eroberern länger widersetzte als jede andere Stadt Siziliens –, sondern sie lag im Mittelalter auch an einer Straße, die von Messina über die nahen Monti Peloritani nach Palermo führte. Von der Befestigung der Stadt zeugen vor allem noch zwei Tore, während eine mindestens etwa 160 m lange Anlage auf dem Berggrat im Stadtzentrum wegen ihrer ungewöhnlichen Form von Giuseppe Agnello durch-
Abb. 184 Rometta, Grundrissskizze unter Verwendung von google maps; rekonstruierte Teile hellgrau.
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aus verständlich nicht als Burg, sondern als palatium angesprochen wurde. Jedoch stand Rometta 1239/40 auf der Liste der friderizianischen castra exempta, was sich kaum auf die Stadtbefestigung beziehen konnte, und war auch unter den Anjou 1274 und 1281 noch als königliche Burg mit einem concergius (Burgvogt) besetzt. Sie blieb mindestens bis gegen 1400 nutzbar, zuletzt als Sitz eines örtlichen „capitano“. Von Agnellos palatium sind an beiden Enden des Berggrates isolierte Ruinen erhalten, die tatsächlich auf den ersten Blick kaum Befestigungsmerkmale aufweisen. Der größere, symmetrisch gestaltete Bauteil im Südosten bestand in mindestens zwei Geschossen aus je drei Räumen, von denen die beiden westlichen zusammen ein mittig geteiltes ungefähres Quadrat bilden, an das der dritte östlich als schmaleres Rechteck ansetzt; das Erdgeschoss des dritten dürfte als Zisterne gedient haben. Im westlichsten Raum sieht man an der allein höher erhaltenen Nordwestwand noch die Ansätze von zwei Schwibbögen, die die Balkendecke über dem durch die Bögen gedrittelten Obergeschoss trugen; in der Wand liegt in Höhe dieses Geschosses auch eine Rechteckpforte mit Rundbogennische und spitzem Entlastungsbogen. Sie muss in einen ebenfalls zweigeschossigen Bauteil nordwestlich davon geführt haben, von dem aber nur noch Ansätze der beiden hohen Seitenmauern erhalten sind. Man kommt so zur Rekonstruktion eines axialsymmetrischen Baues über ungefähr kreuzförmigem Grundriss. Aus den beiden Maueransätzen jedoch zu schließen, dass sich hier „eine ununterbrochene Reihe von Räumen“ auf der gesamten Länge des Grates anschloss bis zu dem zweiten Baurest am Nordwestende – dies vermutete G. Agnello –, ist angesichts der Entfernung von 130 m allzu kühn; eher hat man hier einen langen Hof oder vielleicht eher eine Gartenanlage zu vermuten. Der zweite Baurest auf dem Nordwestende des Grates, neben dem heute der Zugang der Anlage liegt und wo auch das frühere Tor zu vermuten ist, erscheint auf den ersten Blick als Stumpf eines isolierten kleinen Rechteckturmes mit noch zwei Geschossen; das untere mag eine Zisterne gewesen sein. Bei genauer Betrachtung erkennt man aber auch hier an der südöstlichen Schmalseite die Ansätze zweier Schwibbögen, die zeigen, dass sich gratseitig ein querrechteckiger Bauteil angeschlossen haben muss, zu dessen Obergeschoss die erhaltene Pforte aus dem Turm führte. Hier ist demnach ein etwas kleineres Pendant zu dem 130 m entfernten Bau am Südostende des Grates zu rekonstruieren.
Dass diese Anlage mit ihrer Akzentuierung durch Wohnbauten an beiden Enden zusätzlich auch befestigt gewesen sein mag, deutet nur noch ein langer Mauerzug an der südwestlichen Längsseite an, der im Osten auch Reste eines vorspringenden Rechteckturmes aufweist. Von einem entsprechenden Mauerzug im Nordosten fehlt jede Spur, was auch an dem breiten Wasserbehälter liegen dürfte, der im 20. Jh. mittig zwischen den beiden mittelalterlichen Bauteilen in den Grat eingetieft wurde. Dass in Rometta 1239/40 ein castrum existierte, wird durch die Baureste also durchaus bestätigt, wobei die Form der Anlage aber kaum durch defensive Überlegungen bestimmt wurde, sondern vielmehr tatsächlich als kleiner, vielleicht durch Gartenanlagen ergänzter Palast erscheint, der in äußerst sicherer Lage und mit großartigem Fernblick als kühler Sommeraufenthalt dienen konnte; Agnellos Wahl des Begriffs palatium ist also auch nachvollziehbar. Dabei ist die Entstehungszeit der Bauten auf dem Berggrat schwer bestimmbar. Die ungewöhnliche Gesamtanlage, vielleicht um einen Garten, erinnert durchaus an Sommerschlösser aus der stark arabisch geprägten normannischen Zeit Siziliens, was also auf das 12. Jh. deuten würde. Die wenigen erhaltenen Pforten und Fenster sind aber auch mit einer Entstehung in der 1. Hälfte des 13. Jh. gut vereinbar. Der Durchschuss der ehemals verputzten Mauern mit wiederverwendeten Dachziegeln erinnert dagegen an byzantinische Technik, war aber im nordöstlichen Sizilien mindestens bis weit ins 13. Jh. hinein weitverbreitet; man findet sie etwa auch, wenn auch meist pragmatischer angewendet, in der vor 1239 begonnenen Burg im nahen Milazzo.
Agira (Abb. 185)
Für die Burg, die die bereits in der Antike bestehende Bergstadt Agira/Agyrion überragt, fehlen direkte Belege aus staufischer Zeit; Agnello identifizierte aber das 1274 in einer Liste der Kastellbesatzungen genannte castrum sancti Philippi mit Agira, weil es dort ein Kloster dieses Patroziniums gab. 1354 wurde die – zuvor von den Chiaramonte belagerte – Burg einem städtischen Präfekten unterstellt. Im 18. Jh. wird sie als Ruine beschrieben. Grabungen haben die schon antik-griechische Besiedlung der Kuppe belegt. An oberster Stelle steht neben undatierbaren Fundamenten und einer Zisterne eine Kapelle, die ihrem Grundriss nach romanisch sein dürfte. Eine diese Kuppe allseits umgebende untere Terrasse war von einer Ringmauer geschützt, von der aber nur an der
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Abb. 185 Agira, Grundrisskizze (Plan vor Ort).
westlichen Angriffsseite gegen die Stadt ein hoher Rest aus Bruchsteinmauerwerk erhalten ist. Nachträglich auf diesen Mauerteil aufgesetzt ist ein trapezoider, aus Quaderwerk aufgeführter Turm an der Südwestecke mit gewölbtem Obergeschoss; seine Südwand ist über hoher Felswand modern abgestützt. Nördlich schloss an diesen Turm ein Gebäude an, wie noch ein Dachanschlag bezeugt, früher auch Fensterreste in der Ringmauer. Auch ein achteckiger, innen runder und im Erdgeschoss ehemals kuppelgewölbter, aber nur in Resten erhaltener Turm in der Mitte der Westseite sowie ein quadratischer Turm noch weiter nördlich dürften nach ihrem Quaderwerk zu diesen nachträglichen Verstärkungen gehören; der nur als Stumpf erhaltene quadratische Turm besaß wohl einen Kamin. Die Wölb- und Öffnungsformen aller drei Türme – spitzbogige Gratgewölbe, Pforten und Lichtschlitze – dürften, wie schon Agnello annahm, einen Ausbau der Burg in der 1. Hälfte des 13. Jh. belegen.
Die Front mit zwei ungefähr rechteckigen Türmen an den Ecken und einem polygonalen Turm in der Mitte erinnert an Augusta und auch an die äußere Vorburg von Enna.
Enna, „Castello della Lombardia“ (Abb. 186)
Die Stadt Enna – so ihr antiker und aktueller Name, im Mittelalter hieß sie Castrogiovanni – liegt im Zentrum Siziliens auf einem isolierten, aber quellenreichen Berg fast 1000 m über dem Meer, was ihr spätestens seit römischer Zeit strategische Bedeutung sicherte. Auf der felsigen Ostspitze lag in der Antike eine Nekropole mit teils ergrabenen Hypogäen und Felsengräbern; die Ruinen von drei Kirchen, die noch im 18. Jh. in den Höfen der Burg standen, legen die Idee eines möglicherweise bis in die Antike zurückreichenden Sakralbezirks nahe. Archäologische Untersuchungen, die 1979–2002 in verschiedenen Bereichen der Burg stattfanden und solche Fragen hätten
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klären können, sind bisher offenbar nur in Form von Informationstafeln und eines kleinen Ausstellungsraumes in der Burg veröffentlicht. Die Entstehung der an dieser Stelle erbauten, außergewöhnlich großen Burg (maximale Maße 180 m/150 m) ist mangels Schriftquellen schwer zu klären. Sie wird jedenfalls 1239 als kaiserliches castrum exemptum genannt, wobei aber kontrovers ist, ob sie erst kurz davor von Friedrich II. erbaut wurde – am ehesten wohl ab 1232/1233, als der Kaiser im Zusammenhang mit einem örtlichen Aufstandes Enna aufsuchte – oder ob doch zumindest Teile von ihr in frühere Zeit zurückgehen. Unter den Anjou und den Aragon diente die Burg später noch als kühler Sommeraufenthalt, war aber schon im 16. Jh. teilweise verfal-
len. Abrisse fanden dann bis ins 20. Jh. hinein statt, bevor Restaurierungen einsetzten. Die Verteidigungsfähigkeit der Anlage beruhte neben ihrer erstaunlichen Größe vor allem darauf, dass die über 500 m langen Außenmauern auf einer 6–10 m hohen Felskante stehen, die als eine Art „Talus“ künstlich geglättet wurde (vgl. Abb. 32). Nur vor der Westseite der Anlage war ein Halsgraben nötig, der aber im 19. Jh. durch Tieferlegung des Vorgeländes verschwunden ist. Die Burg ist durch Mauern mit heute noch zehn Türmen – die Legende spricht von ehemals zwanzig – in drei Höfe unterteilt, nämlich den etwas höher liegenden im Norden als Kernburg und zwei Vorburgen, durch die der Weg dorthin führt. Auffällig ist dabei – gerade im Vergleich mit der
Abb. 186 Enna, Burg („Castello della Lombardia“), Grundriss. Die Ziffern 1–4 bezeichnen die Grabungsflächen.
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Spitzengruppe der friderizianischen Kastelle, den Idealbauten – die weitgehende Unregelmäßigkeit des Grundrisses, die vom Verlauf der Felskanten abzuleiten ist. Jedoch hätte die Größe des Plateaus zumindest für die Kernburg mit ihren vier Ecktürmen durchaus die Form eines regelmäßigen Kastells möglich gemacht. Unübersehbar spielte also in Enna das Ziel optimaler Verteidigungsfähigkeit eine zentrale Rolle, dem sich der Wunsch nach geometrischer Konsequenz und auch ornamentaler Akzentuierung klar unterordnete. Die Kernburg („Cortile San Martino“) bildet ein unregelmäßiges, an fünf Ecken durch rechteckige Mauertürme verstärktes Polygon; im Ostteil ihres Hofes stand die namengebende kleine Martinskirche, deren verbliebene Grundmauern erst bei den archäologischen Grabungen ab 1979 verschwanden. Der dickwandige Hauptturm („Torre Pisana“) aus gutem Quaderwerk steht an höchster, auch den westlichen Vorhof beherrschender Stelle (vgl. Abb. 86). Er ist dreigeschossig, wobei das unterste Geschoss sich anfangs in ungewöhnlicher Weise als großer Rundbogen gegen Osten öffnete, wo – offenbar erst später – in geringem Abstand ein großer Saalbau entstand. Die beiden oberen Turmgeschosse waren durch eine Balkendecke auf Kragsteinen getrennt, die Plattform mit ihren neuen Zinnen liegt aber über einem originalen Kreuzgratgewölbe; man erreichte sie auf einer teils in und teils vor der Wand geführten Treppe. Das oberste Geschoss besitzt zwei wenig größere Spitzbogenfenster und ein kleines, wohl als Abort dienendes Gelass in der Südwestwand. Südöstlich der „Torre Pisana“ lehnte sich ein 30 m langer Rechteckbau, der erwähnte Saalbau, an die Ringmauer der Kernburg. Die Mauer bewahrt noch drei rundbogige Schlitzfenster, die erneuerten Auflager für fünf Schwibbögen und eine Kragsteinreihe für die Erdgeschossdecke; von der Hofwand sind nur niedrige Reste mit beschädigten Resten der Bogenauflager erhalten. Im Obergeschoss dieses Baues lag fraglos der Hauptsaal der Burg. Südöstlich an ihn schloss rechtwinklig ein zweigeschossiger, besser erhaltener Bauteil an; sein Ostteil war ursprünglich ein vorspringender Mauerturm zum Schutz des danebenliegenden Spitzbogentors der Kernburg, während der Westteil – der weitgehend modern wiederhergestellt ist – mit je einem weiteren Raum im Erd- und Obergeschoss erst nachträglich hinzugefügt wurde, wie vor allem die andere Höhenlage der Zwischendecke zeigt. Offenbar nahm der Umbau dann im Obergeschoss Wohnräume
auf, die auf den Saalbau zu beziehen waren und folglich bei seinen Aufenthalten vermutlich dem Kaiser dienen sollten; man findet Kaminreste und ein rechteckiger Anbau zum Hof enthält nach Giuseppe Agnello eine Treppe zum Obergeschoss und einen Abort mit Grube. Das Erdgeschoss dieses Bauteils war ursprünglich nur von der Kernburg her zugänglich; das bestehende Tor zur Vorburg entstand erst im 20. Jh. In den beiden Obergeschossräumen sah man noch im 18. Jh. bemalte Decken und wohl sogar Stuck; diese jüngere Ausstattung ist verschwunden, die (ergänzten) Kreuzgratgewölbe sind aber erhalten. Auch an die nordöstliche und nordwestliche Ringmauer der Kernburg lehnten sich lange Gebäude unbekannter Funktion; im Nordosten sind die Wände des Erdgeschosses erhalten, das mit den beiden angrenzenden, stark zerstörten Türmen in Verbindung stand. Die durch die „Torre Pisana“ blockierte Pforte seiner ergrabenen Schmalseite belegt, dass auch im Südwesten der Kernburg ein Flügel existiert hat, der schon vor dem Turm bestand. Schlitzfenster in der Ringmauer gehören aber nicht zu diesem Bau, sondern zu einem modernen Keller. Südöstlich ist der Kernburg eine innere Vorburg vorgelagert, der größte der drei Höfe („Cortile della Maddalena“), in dessen Südteil noch im 18. Jh. Reste der namengebenden Magdalenenkirche und weiterer Bauten gestanden haben sollen; davon sah aber schon Agnello 1935 nichts mehr. Die lange Ringmauer – drei Lichtschlitze im Nordostteil deuten auf ein ehemals angelehntes Gebäude – ist nur stark restauriert erhalten mit einer spitzbogigen Poterne („Porta falsa“) im Norden und einem kleinen Rechteckturm auf Felssockel weiter östlich; ein heute leerer Felssockel lässt einen weiteren Turm auch an der Ostecke vermuten. Ein dritter Turm springt an der Südecke der inneren Vorburg vor und flankierte den archäologisch erfassten und in byzantinische Zeit datierten Felsgraben, der vor der Südwestmauer der inneren Vorburg, heute also innerhalb der äußeren Vorburg liegt. Etwa in der Mitte dieser Südwestmauer öffnet sich das einzige Tor von der äußeren zur inneren Vorburg, ein schlichtes Spitzbogentor in Rundbogennische („Porta della Catena“). Es wurde südlich von einem verschoben viereckigen, nur als Stumpf erhaltenen Turm flankiert, der in einem Mauerversprung steht; seine Pforte ist restauriert und nordöstlich besitzt er ein einziges kleines Rundbogenfenster. Die äußere Vorburg („Cortile San Nicolò“) ist der inneren südwestlich vorgelagert und bildete damit eine zusätzliche Sicherung gegen die Angriffsseite bzw. die Stadt.
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Ihre knapp 80 m breite Front über dem ehemaligen Halsgraben war durch drei rechteckig vorspringende Türme verstärkt: zwei an den Enden und einen dritten etwas außermittig. Von dem letzteren, der das danebenliegende Tor in die äußere Vorburg sicherte, zeugen nur noch Fundamente, die erkennen lassen, dass zumindest sein enger Innenraum unten sechseckig war. Einen die gesamte übrige Burg übertreffenden architektonischen Aufwand zeigt die Detailgestaltung des nördlichen Eckturmes, der über dem später unterteilten, hohen Erdgeschoss ein Kreuzrippengewölbe auf Wandsäulen besitzt, die durch ein profiliertes Gesims verbunden sind. Noch bemerkenswerter ist ein originales kleines Fenster hoch oben in der Südwand des Turmes, das einen Flachgiebel auf Kapitellen aufweist und darunter einen muschelförmigen Abschluss des im Übrigen ausgebrochenen Fensters (vgl. Abb. 123). Beide Ausstattungen – die Rippengewölbe und die antikisierende Fensterrahmung – deuten auf eine ehemalige Sonderfunktion des Turmes. Seine Bezeichnung als „Torre della campana“ legt nahe, dass er die Glocken der Kirche San Nicolò trug, die der äußeren Vorburg den Namen gab; schon Agnello konnte die Kirche aber in den 1930er-Jahren nicht mehr lokalisieren. Im 18. Jh. lehnte sich lediglich ein Bau an die Nordmauer der Vorburg, in dem die damals in der Kirche tätigen Geistlichen wohnten. Die Sonderausstattung des Turmes legt meines Erachtens die Frage nahe, ob der Sakralraum möglicherweise nicht bei der Kirche zu suchen ist, sondern dass er vielmehr mit dem rippengewölbten Raum im Turm selbst zu identifizieren ist, der jedenfalls als Kapelle für die Bewohner der Vorburgen gedient haben dürfte. Die Ringmauer der äußeren Vorburg ist in weiten Teilen noch hoch erhalten, trägt aber nirgends mehr Wehrgänge; auffällig sind die wechselnden Arten ihres Mauerwerks, denn das vorherrschende Bruchsteinwerk wird in wichtigen Bereichen wie etwa um das Tor, aber teils auch im gesamten Oberteil durch große Partien guten Quaderwerks ergänzt. Das Gelände in der äußeren Vorburg steigt gegen Nordosten leicht an, also gegen die Kernburg und die zweite Vorburg; es ist heute leer, abgesehen von antiken Hypogäen und dem teilweise ergrabenen, in byzantinische Zeit datierten Graben vor der Mauer der zweiten Vorburg. Vor der gesamten südwestlichen Angriffsseite der äußeren Vorburg – früher also hinter dem im 19. Jh. verschwundenen Graben – liegt ein turmloser Zwinger; nur der Ostteil seiner Mauer ist mit Zinnen erhalten. Früher enthielt er
ein Tor direkt vor dem Tor in der Vorburgmauer, zu dem eine Brücke führte. Alt ist nur noch das (heute verschlossene) Spitzbogentor am schmalen Südende des Zwingers, zu dem von Osten eine Rampe emporführt; das heutige Tor im Norden ist modern. Schon die Anlage als solche, aber auch die Fugen gegen die Türme zeigen, dass der Zwinger erst nachträglich vor die Angriffsseite der Burg gesetzt wurde, vermutlich im 14. Jh. Der älteste Beleg, dass die zuvor wohl seit Langem sakral bzw. für Bestattungen genutzte Bergspitze, auf der die Burg entstand, zur Befestigung umgestaltet wurde, ist also der archäologisch erfasste Graben vor der Westseite der inneren Vorburg; er wurde offenbar nach Funden in die byzantinische Zeit datiert, also ins 6.–11. Jh. Wann die ersten Bauten der bestehenden Burg entstanden sind, bleibt aber weiterhin unklar, denn Bauphasentrennungen und Datierungsversuche werden – wie bereits Agnello mit Recht betonte – durch die Detailarmut bzw. Zerstörung vieler Bauteile erheblich erschwert. Die Mauerwerksqualität weist, abgesehen von zahlreichen ausgebesserten und als solche nicht immer gut abgrenzbaren Partien, nicht nur in der äußeren Vorburg, sondern in allen Teilen der Anlage eine große Spannweite von unregelmäßigem Bruchsteinwerk bis zu gutem Glattquaderwerk auf. Dieses Nebeneinander geht in vielen Bereichen eindeutig in die ursprüngliche Bauzeit zurück; es markierte teilweise Bauteile von verschiedenem Anspruch, aber offenbar auch Ausführungsabschnitte verschiedener technischer Qualität. So fällt etwa auf, dass auch die Ringmauern und Türme der Kernburg weitgehend Quaderwerk zeigen, keineswegs nur der Hauptturm und die Saalbaureste; aber dasselbe gilt eben auch für große Teile der Mauer der äußeren Vorburg. In der Kernburg weisen andererseits mehrere Befunde auf nachträgliche Veränderungen hin. So wurde etwa die Pforte eines ergrabenen Baues durch die direkt davor errichtete „Torre Pisana“ praktisch unbenutzbar und die große Bogenöffnung eben dieses Turmes wurde wiederum zugesetzt, als südöstlich davor der Saalbau entstand, der zudem nachträglich durch einen Zwischenbau mit einem älteren Turm verbunden und so zum Wohnbereich umgestaltet wurde. Dass solche Beobachtungen die älteren Teile der Kernburg bis ins 12. Jh. bzw. in normannische Zeit zurückdatieren, kann man zwar erwägen, ist aber unbeweisbar; es kann sich ebenso gut um Planänderungen innerhalb einer staufischen Bauzeit handeln, etwa um die
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Einfügung repräsentativer Bauten in ein ursprünglich nur defensiv gedachtes Konzept. Die wenigen erhaltenen Detailformen der Burg – innen und außen erweiterte rundbogige und rechteckige Fenster, Spitzbogentore in Rundbogennischen – kann man durchaus mit der historisch plausiblen Entstehung der Burg in den 1230er-Jahren erklären. Verführerisch ist dabei auch die Erwägung, ob nicht die äußere Vorburg, die mit der Symmetrie der Angriffsseite und den antikisierenden Details der „torre de la campana“ einen erhöhten Anspruch erkennen lässt, eine nachträgliche Ergänzung des Entwurfs sein könnte.
Enna, „Torre di Federico“ (Abb. 187, 188)
Der Berg, auf dem die Stadt Enna liegt, wird durch ein von Süden einschneidendes Tal und kleinere Nebentäler
in mehrere Gipfel und Vorsprünge gegliedert; die Burg „Castello della Lombardia“ liegt dabei auf der östlichen Spitze, einem der höchsten Punkte. Am anderen, westlichen Ende der Stadt, knapp anderthalb Kilometer entfernt, bekrönt die „Torre di Federico“ eine weitere Höhe – ein Idealbau mit einem großen Achteckturm im Zentrum einer ebenso regelmäßig achteckigen, nur in Resten erhaltenen Ringmauer (vgl. Abb. 44). Von dort, einem im Mittelalter offenbar noch wenig bebauten Bereich, überblickte der Turm die Landschaft im Westen, was von der Burg aus nicht möglich war. Über diese zweite Burg in Enna fehlen Schriftquellen aus staufischer Zeit. Anknüpfend an eine Chronik des 16. Jh., erwog man lange, Namensgeber des Turmes sei erst Friedrich II. von Aragon gewesen (reg. 1296–1337), der ihn um 1300 errichtet habe. Erst gegen 1900 wurde
Abb. 187 Enna, „Torre di Federico“, Grundriss nach G. Agnello, mit Ergänzungen des Verfassers.
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Abb. 188 Enna, „Torre di Federico“, Schnitt und Grundrisse des Turms nach G. Agnello, mit Ergänzungen des Verfassers.
diese Datierung in Zweifel gezogen (Bertaux, Enlart) und G. Agnello unterstrich dann entschieden die Zuschreibung an Kaiser Friedrich II.; die gelegentlich erwogene Entstehung erst unter Friedrichs Sohn Manfred (1250– 66) oder noch später findet weder in Schriftquellen noch in den teils durchaus ungewöhnlichen Schmuckformen des Turmes eine sichere Stütze. 1398 ist die Anlage als regia domus klar von der Burg (regium castrum) unterschieden und 1457 wurde der inzwischen ruinierte Bau als turris sive castrum novum tamquam regium solacium („neuer Turm oder neue Burg als königlicher Aufenthalt“) einem Bürger übertragen, der ihn wiederherstellen, aber gegebenen-
falls gegen Kostenerstattung an den König zurückgeben soll; 1460 wurde dieser Vertrag noch ergänzt. Der Achteckturm, außen wie innen mit guten, teils allerdings stark verwitterten und vielfach bereits ersetzten Glattquadern verkleidet, sollte drei eingewölbte Geschosse erhalten; vollendet wäre er über 30 m hoch geworden. Die Achteckseiten sind 6,30 m lang, was einen größten Durchmesser von beachtlichen 17 m ergibt, die Mauern sind über die gesamte Höhe 3,35 m dick. Das Erdgeschoss, unter dem noch eine Zisterne anzunehmen ist, betritt man durch eine ebenerdige Spitzbogenpforte, was bereits die Bewohnbarkeit des Turmes charakterisiert.
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Dieses Geschoss ist über Spitzbogenblenden an allen Wänden von einem achtteiligen Gewölbe mit schmal gefasten Bandrippen überdeckt, das auf Konsolen in einfachen Formen ruht. Drei hoch liegende, beidseitig erweiterte rundbogige Schlitzfenster sorgen für etwas Licht; sie durchbrechen abwechselnd drei der acht Wände. In der entsprechenden vierten, westlichen Wand des Turmes liegt die Wendeltreppe zu den oberen Geschossen, von sieben axial angeordneten Schlitzfenstern beleuchtet. Etwa 8 m über dem Boden führte eine originale Rechteckpforte von der Treppe auf einen Holzerker in der Länge der Achteckseite, von dem Balkenlöcher und Spuren des Daches zeugen; gegenüber dem Tor der Außenmauer sollte er offenbar dessen Verteidigung unterstützen. Das erste Obergeschoss des Turmes entspricht in Grundform und Maßen dem Erdgeschoss und ist auch in gleicher Weise eingewölbt; eine anspruchsvollere Detailausstattung zeigt jedoch, dass hier wirklich ein Raum für einen hochrangigen Bewohner geschaffen wurde, also wahrscheinlich für den Kaiser (vgl. Abb. 83). Die Bandrippen ruhen nicht auf Konsolen, sondern auf kräftigen Diensten mit Knospen- und Blattwerkkapitellen. Ein beschädigter Abort in der Mauerdicke belegt Bewohnbarkeit und das gilt auch für zwei große Fenster mit Seitensitzen, von denen das eine den Blick nach Osten auf Stadtkern und Burg öffnet, das andere jenen nach Südwesten in die dortigen Täler. Trotz starker Beschädigung ist die ungewöhnliche äußere Form dieser Fenster noch zu rekonstruieren (vgl. Abb. 116), auch mithilfe der ähnlichen Pfortenform im unvollendeten zweiten Obergeschoss des Turmes. Die rechteckigen Fenster sitzen außen in einer doppelt gestuften Blende, in die auf hohen Sockeln Säulchen eingestellt sind; diese und kleine Konsolen tragen eine ebenfalls rechteckige, dreifach gestufte und profilierte Rahmung über dem Fenstersturz, die an den oberen Ecken zusätzlich einspringt – eine Form, für die, wie schon Agnello mit Recht betonte, Vergleiche fehlen. Vom Gewölbe des mit 6,40 m deutlich niedriger geplanten zweiten Obergeschosses sind nur die Konsolen und Bandrippenansätze in vier Ecken erkennbar. Die nie ausgeführte Plattform darüber sollte – eine Ausnahme bei den friderizianischen Bauten Süditaliens – schlitzförmige Senkscharten erhalten, von denen an zwei Seiten des Achtecks noch die untersten, dreieckig erweiterten Teile erhalten sind. Von der achteckigen, etwas über 2 m dicken Außenmauer, die in 23 m Abstand konzentrisch um den Turm
geführt war, sind nach weitgehendem Steinraub nur noch Abschnitte mit Resten der sehr qualitätvollen Quaderverkleidung erhalten, die innen noch bis zu 4 m und außen mindestens bis zu 7 m hoch aufragen. Die geringen Reste eines aufwendig profilierten Gesimses, die Agnello neben und über dem Rest des Haupttores noch sah, sind verschwunden. Ob dieses Gesims eine Geschosstrennung der ehemals innen an die Mauer gelehnten Bebauung visualisieren sollte, wie Liessem annimmt, ist nicht beweisbar, jedoch erinnert es in der Tat an die Außenmauern von Castel del Monte. Vom westlichen, vielleicht außen von einem Strebepfeiler flankierten Haupttor ist nur ein Gewänderest erhalten; im Nordosten liegt eine Nebenpforte, von der aber auch nur noch die Innennische original ist. Dass sich an die Ringmauer Bauten lehnten, legen schon allgemeine Überlegungen zur Nutzbarkeit der Burg nahe, denn im Turm fehlen alle zur Versorgung bzw. zum Wirtschaften nötigen Räume. Das geometrische Konzept der Gesamtanlage führt darüber hinaus zu der Überlegung, ob nicht auch den Bauten an der Ringmauer als Grundriss ein regelmäßiges Oktogon zugrunde lag, also lückenlos umlaufende Flügel gleicher Tiefe und womöglich auch regelmäßiger innenräumlicher Aufteilung; beweisbar ist das mangels sichtbarer Reste aber nicht. Dass zumindest an der Südseite der Ringmauer eine zweigeschossige Bebauung existierte, beweist immerhin der durch das Fehlen der Außenverkleidung sichtbare Schacht eines Aborts, der im Obergeschoss gelegen haben muss; seine Anordnung in der Mitte der Achteckseite unterstreicht, dass sich zumindest dieser Bauteil dem geometrischen Konzept der Anlage unterordnete. Schon 1460 muss die Bebauung an der Ringmauer – falls sie je ausgeführt worden war – verfallen gewesen sein, denn der Enneser Bürger, dem die Burg damals übergeben wurde, sollte sie nicht nur restaurieren, sondern auch neue Häuser in ihr bauen. Die „Torre di Federico“ erhebt durch ihre weithin beherrschende Lage, ihre puren Maße und die teils ungewöhnlichen und daher schwer datierbaren Schmuckformen, insbesondere aber durch die Konsequenz ihrer geometrischen Grundform einen hohen Anspruch, der durchaus zu einer kaiserlichen Unterkunft passt, unabhängig davon, ob der Bau vollendet und wirklich genutzt wurde. Träfe diese Deutung zu, so wäre die „Torre“ tatsächlich als jenes repräsentativere Pendant zur „militärisch“-funktionalen Burg von Enna entworfen worden, als das die Anlage uns heute noch erscheint.
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Abb. 189 Garsiliato, die Ruinen der Burg über dem Tal des Flusses Gela, links der Monte Formaggio.
Garsiliato/Grassuliato (Abb. 189)
Eine Familie von Garsiliato, auch ein „casale“ und eine „terra“ Garsiliato ist ab dem späten 11. Jh. (und bis ins 18. Jh.) belegt; eine Burg dieses Namens erscheint jedoch erst in einem Brief vom April 1240 an den kaiserlichen Hof, in dem ihr Befehlshaber Giacomo de Lentini darauf hinweist, dass ihm die Mittel fehlten, eine vorschriftsmäßige Besatzung auf der Burg zu unterhalten. Man muss demnach vermuten, dass ein Sitz regionalen Adels in staufischer Zeit in kurialen Besitz übergegangen war. Unter den Anjou zwischen 1271 und 1281 wird mehrfach eine Besatzung aus einem Ritter und vier Knechten genannt; die Belege für die Nutzung der Burg reichen bis ins frühe 16. Jh. Die sehr verfallenen Ruinen besetzen die felsig aufragende Spitze eines Bergsporns über dem Tal des Flusses Gela, sieben Kilometer südöstlich der Stadt Mazzarino. Die Baureste passen sich dem zerklüfteten Gipfel an und sind in ihrem ehemaligen Zusammenhang heute nur noch schwer nachzuvollziehen; ein Grundriss wurde offenbar noch nicht vermessen. Offenbar wurde einem älteren Baukomplex mit relativ schwachen Mauern in staufischer Zeit an der Südseite ein dreijochig kreuzrippengewölbter Saalbau angefügt, von dem aber nur Reste dreier Wände mit Gewölbeansätzen erhalten sind.
Catania, „Castel Ursino“ (Abb. 190)
Catania war in der Stauferzeit eine der wichtigen Hafenstädte Siziliens. Der Erzbischof von Catania, Walter von Pagliara, war während Friedrichs Kindheit Mitglied des Familienrats und nach dem Tod Heinrichs VI. der wich-
tigste Verantwortliche für Schutz und Erziehung des jungen Königs; später wurde Walter trotz mancher Spannung im Verhältnis zur Herrscherfamilie auch Kanzler von Sizilien. Der mündig gewordene Friedrich hielt sich 1209/10 nach seiner ersten Hochzeit in Catania auf und auch 1223/24 weilte er lange in der Stadt, die er aber später, vor allem nach der Verlegung seines Herrschaftsmittelpunkts nach Apulien bzw. Foggia, nur noch selten besuchte. 1232 war er nach der Niederschlagung eines Aufstandes in mehreren Städten der Region kurz in Catania. Dass der Kaiser auch in Catania ein castrum errichten wollte, belegt ein Brief aus Lodi vom 17. November 1239, als er dem Verantwortlichen für die kaiserlichen Bauten Siziliens, Richard von Lentini, befahl, einen Bauplatz und einen geeigneten Steinbruch zu suchen. Weitere Briefe belegen, dass die Arbeiten unverzüglich begonnen und die Finanzmittel bereitgestellt wurden, u. a. in Form von Beiträgen der Bürger von Catania. Im März des Folgejahres informierte Richard den Kaiser, der sich bis ins Detail für die Planung interessierte, über die vorgesehenen Hauptmaße des Baues. Dann aber fehlen weitere Informationen über den Fortgang; auch der Ursprung der seit 1274 belegbaren Bezeichnung „Castel Ursino“ ist unklar. Der Bau blieb in der Folge, obwohl das Obergeschoss offenbar nur teilweise und provisorisch vollendet wurde, bis ins 16. Jh. eine der wichtigsten Burgen Siziliens. Sie diente den jeweils herrschenden Fürsten und ihren Gästen zum Aufenthalt, auch bei politischen Anlässen; gelegentliche Angaben zur Besatzung, sowie die bis 1931 bestehenden erheblichen Umbauten zeigen, dass sie außerdem ein wichtiger militärischer Stützpunkt blieb.
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Beim Ausbruch des Ätna 1669 füllten sich ihre Gräben allerdings mit Lava und die Brücke verbrannte; der erkaltete Lavastrom trennte die Burg außerdem dauerhaft vom nahen Meeresufer bzw. Hafen. Das Erdbeben von 1693 überstand das Castello Ursino nur mit erheblichen Schäden, blieb aber zunächst Sitz einer Garnison; im 19. Jh. diente es aber zeitweise nur noch als Gefängnis. Ab 1837 und bis in die 1860er-Jahre fanden nochmals erhebliche Umbauten statt; eine Restaurierung 1931–34 bereitete schließlich die heutige museale Nutzung vor. Die Burg entstand – was durch die Lavamassen von 1669 und das darauf entstandene große Stadtviertel heute völlig unkenntlich ist – am südlichen Stadtrand von Catania, nur 50 m vom alten Hafen entfernt; heute ist das Meer fast
500 m entfernt. Sie gehört zu den gotischen Idealbauten Friedrichs (vgl. Abb. 42, 47); durch die Ausführung in dunklem Lavabruchstein – mit Kalkstein nur an Gewänden und anderen Werkstücken – wirkt das Kastell allerdings düsterer und bescheidener als die Kalksteinquaderbauten etwa von Syrakus und Castel del Monte (vgl. Abb. 84). Vier maßlich gleiche Flügel bilden eine quadratische Anlage von 50 m Seitenlänge mit vier runden Ecktürmen und etwas kleineren Rundtürmen in der Mitte jeder Seite; von den Letzteren – im Süden und Osten sind nur die Schrägsockel erhalten – enthielten der nördliche und wohl auch der zerstörte östliche Wendeltreppen. Die Flügel bestanden nach der grundsätzlich überzeugenden, aber differenzierungsbedürftigen Rekonstruk-
Abb. 190 Catania, Grundriss des Erdgeschosses im heutigen Zustand.
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tion Agnellos im Erdgeschoss aus den vier quadratischen Eckräumen, zwischen denen in drei Flügeln jeweils ein einziger längerer Rechteckraum lag; nur der später stark umgebaute Ostflügel muss ursprünglich anders aufgeteilt gewesen sein (vgl. Abb. 43). Die vier Eckräume waren alle kreuzrippengewölbt, wobei die Bandrippen auf kräftigen Viertelsäulen in den Ecken ruhen; nur im Nordwestraum sind die Viertelsäulen durch Konsolen ersetzt. Die Wölbung ist in drei Eckräumen erhalten, nur im Südosten wurde sie entfernt, wobei die Abmeißelung der Viertelsäulen aber noch deutlich erkennbar ist. Die Rundtürme, die jeweils vom Eckraum zugänglich sind, enthalten achteckige, ebenfalls rippengewölbte Innenräume (vgl. Abb. 127) und besitzen neben drei Schlitzfenstern jeweils einen Abort in der Mauerdicke; nur der Südostturm ist ein Neubau aus der Zeit der musealen Nutzung. Im südwestlichen Eckraum liegt die Pforte, von der man ursprünglich zum Hafen hinabsteigen konnte. Die jeweils 25 x 8 m messenden Rechtecksäle zwischen den Eckräumen – im Nord-, West- und Südflügel – sind durch Pforten mit allen Eckräumen verbunden und besaßen auch jeweils eine mittig angeordnete Pforte zum Hof, die allerdings in den stark umgebauten Flügeln im Süden und Osten später ersetzt wurde. Der Raum im Westflügel besitzt noch zwei originale kleine Rundbogenfenster nach innen und außen, der nördliche zwei nur zum Hof; dieser Flügel verzichtet völlig auf Fenster an der nördlichen Stadtseite. Der Mittelraum des Nordflügels (vgl. Abb. 67) besitzt als einziger noch originale Kreuzrippengewölbe in drei Jochen über Wandsäulen wie in drei Eckräumen. In diese geräumige Torhalle führt das schlichte Spitzbogentor, über dem außen etwas seitlich eine gotische Nische die Skulptur eines Adlers beherbergt, der einen erlegten Hasen in den Fängen hält (vgl. Abb. 100); durch ein zweites (restauriertes) Tor gegenüber dem äußeren tritt man aus der Torhalle in den Hof. Der entsprechende, im 16. Jh. neu gestaltete Mittelraum des Südflügels war ursprünglich ebenfalls in drei Jochen kreuzgratgewölbt, wie Spuren mehrerer abgemeißelter Wandsäulen zeigen. In diesem Raum ist ein wichtiger Hinweis auf seine ursprüngliche Funktion erhalten, nämlich eine abgemeißelte, nach Vermauerung heute wieder freigelegte Sakramentsnische in der Hofwand nahe der Ostwand (vgl. Abb. 71); sie belegt, dass der Raum als Burgkapelle diente. Der Mittelraum im Westflügel ist genauso groß wie seine Pendants im Nord- und Südflügel, aber schlichter
überwölbt mit einer Spitzbogentonne über zwei Gurtbögen. Agnello konnte sich diese Abweichung von der vermuteten Gleichheit aller vier Flügel nicht als Teil der ursprünglichen Planung vorstellen und erklärte diese Wölbung daher zu einem Umbau wohl des 14. Jh.; dies widerspricht aber dem Baubefund, der keinerlei Hinweise auf eine solche nachträgliche Veränderung aufweist. Man wird hier also von Anfang an einen schlichter überwölbten Raum anzunehmen haben, der, wie auch ein Abort in der Außenwand nahelegt, etwa als Aufenthaltsraum für die Mannschaften der Burg gedient haben kann; an seinem Südende wurde im 16. Jh. eine große Treppe ins Obergeschoss eingebaut, die man bei der Restaurierung – unter Erhaltung ihres Hofportals – wieder entfernte. Schwer zu klären ist aufgrund des heutigen Zustandes die ursprüngliche Gestaltung des Ostflügels, der heute nach erheblichen Umbauten aus drei Räumen besteht; Agnello rekonstruierte im Rahmen seiner allzu idealen Rekonstruktion auch hier einen einzigen, dreijochig kreuzrippengewölbten Rechteckraum, aber die Befunde widersprechen dem in wichtigen Punkten. Alle Decken wurden hier im 16. Jh. oder später erneuert und von ehemals gewölbetragenden Viertelsäulen in den Ecken gibt es Spuren nur im südlichen Raum; im nördlichen Raum fehlen sie und ebenso im mittleren, wobei dort allerdings die beiden (sekundären?) Querwände eventuell ursprüngliche Gewölbeauflager verdecken könnten. Es fällt zudem auf, dass die hofseitige Wand des mittleren Raumes wesentlich dünner ist als jene der beiden seitlichen – sollte der Raum etwa ursprünglich oder auch nur nach einem Umbau hofseitig offen gewesen sein? Die Frage ist bisher nur so weit zu beantworten, dass dieser Raumbereich ursprünglich jedenfalls anders aussah als die entsprechenden Teile der drei anderen Flügel. Dass ein stauferzeitliches Obergeschoss auf allen vier Flügeln vorgesehen war, wurde gelegentlich angezweifelt, ist aber wahrscheinlich. Reste gibt es auf dem Nordflügel in Form einiger Fensternischen und Pforten, vor allem aber der gewölbten, völlig dem Erdgeschoss entsprechenden Innenräume der Türme; dass die Obergeschossräume rund 4 m höher geplant waren, als sie es heute sind, zeigen außerdem unvollendete Gewölbeansätze. Die Obergeschosse der drei anderen Flügel sind durch Renaissanceformen bzw. durch die Restaurierung der 1930er-Jahre geprägt mit großen Fenstern im Südund Ostflügel, während man im Nord- und Westflügel beidseitig nur kleine Rechteckfenster findet.
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Die erhaltenen Säulen und Knospenkapitelle des Wölbsystems von Catania sind eng mit dem Castel Maniace in Syrakus, aber auch mit dem Kastell von Augusta und mit Castel del Monte verwandt, ebenso die Konsolen der Turmgewölbe; die Tore und Pforten sind hier mit wenigen Ausnahmen spitzbogig. Ob die Burg ursprünglich bereits Außenwerke und einen Graben besaß, bleibt aufgrund der späteren Veränderungen unklar; was heute im Süden und Osten als Contrescarpe eines Grabens erscheint, entstand erst durch die hier vorgelegten Kurtinen der Bastionärbefestigung des 16. Jh. und ein ehemaliger runder Vorbau am Tor und ein dieser Seite vorgelegter Zwinger sind sicherlich erst spätmittelalterlich. Vor allem der Süd- und der Ostflügel wurden, wie im Detail schon beschrieben, im 16. Jh. stark umgebaut mit neuen Zwischenwänden, Decken, Treppenhäusern, größeren Fenstern usw. Von einer Kapelle im südlichen Mittelturm blieb nach dessen Abriss nur ein reich profilierter Bogen, vor dem Ostflügel entstand eine (in den 30er-Jahren erneuerte) Freitreppe im Hof. Der zerstörte südöstliche Eckturm wurde bei der Restaurierung der 1930er-Jahre neu errichtet, um Treppe und Fahrstuhl aufzunehmen.
Lentini, „Castellaccio“ (Abb. 191)
Die antike Stadtgründung Leontinoi hat ihre Bedeutung bis zur friderizianischen Zeit bewahrt, was auch durch einige Erlasse des Kaisers und die Rolle verschiedener ihrer Bürger an seinem Hof belegt ist. Von Bedeutung war insbesondere Richard von Lentini, der in dem einzig erhaltenen Kanzleiregister von 1239/40 als prepositus novorum hedificorum bezeichnet wird und in einem Vertrag von 1249 als magister edificiorum imperialis Curie – also „Aufseher der neuen Bauten“ und gar „Kaiserlicher Hofbaumeister“ erscheint. Mehrfach führte er eine direkte Korrespondenz mit dem Kaiser über den Bau mehrerer Burgen (vgl. 2.6. Entwerfer und Bauverwalter). Dass er deswegen aber durchweg deren entwerfender Architekt gewesen sei, wie behauptet wurde, ist nicht belegbar; er ist eher als Organisator und Finanzverwalter für das kaiserliche Bauwesen anzusehen, insbesondere für Sizilien. Die erste Erwähnung eines Burgbaues in Lentini findet man in den drei Briefen, die der Kaiser am 17. 11. 1239 aus Lodi an Richard von Lentini und zwei weitere hohe Beamte schrieb und in denen es außerdem um den Bau der Burgen in Syrakus und Augusta ging. Für Lentini
sprach der Kaiser dort explizit die in Quadertechnik erneuerten Mauern an sowie den Bau von drei neuen Türmen; außerdem ging es um die Finanzierung der Besatzung und Versorgung der drei Burgen. Sie waren damals also im Bau fortgeschritten, aber noch unvollendet. In angevinischer Zeit wurde zwischen 1273 und 1281 mehrfach die Besatzung der Burg notiert, die 1267 noch von Staufergegnern besetzt gewesen war und als eine der stärksten an der Ostküste galt; ihr Kommandant wurde bei der „Sizilianische Vesper“ 1282 ermordet. Im 14. Jh. spielte Lentini eine Rolle in den Kämpfen der großen Adelsfamilien, es wurde u. a. mehrfach mit Belagerungsmaschinen angegriffen und eingenommen. Nach einem Erdbeben 1542 setzte man die Burg nochmals instand; sie war 1675 immerhin noch stark genug, um französische Truppen von einem Angriff abzuschrecken, wenig später sank sie dann aber zum Gefängnis herab. Das Erdbeben von 1693 zerstörte die Anlage endgültig; Steinraub der Stadtbewohner ließ die Ruinen in der Folge weitgehend verschwinden. Die Burg stand auf einem lang gestreckten Plateau zwischen zwei parallel verlaufenden felsigen Schluchten in einem Randbereich der antiken Stadt. Ihr ungefähr 100 x 60 m großer Bauplatz wurde durch zwei 15–20 m tiefe Quergräben mit teilweise senkrechten Wänden aus dem Plateau herausgeschnitten und auch ihr Nordhang ist als steile Schräge aufwendig glatt gearbeitet. In beiden Gräben ließ man Felsendämme als Zugänge stehen, wobei der westliche durch einen schmalen Grabeneinschnitt unterbrochen ist. Agnello hielt es im Vergleich mit dem nahen Kastell Euryalos in Syrakus und in Ausdeutung der Bezeichnung als castellum novum 1239 für denkbar, dass diese Bearbeitung des Bauplatzes und einige stark verwitterte Mauerreste an der Südseite bis ins 5. Jh. vor Chr. zurückgehen. Die Ostspitze der Anlage bildet ein noch 10 m hoher Mauerrest mit Anzug, der über einem entsprechend bearbeiteten Felssockel ein spitzwinkliges Dreieck mit der Spitze gegen den östlichen Quergraben bildet. Zweifellos ist dies, vergleichbar mit dem Hauptturm in Vibo Valentia, der Rest eines Turmes, der von Chronisten des 16.–18. Jh. noch beschrieben wurde (turris … tribus angulis aedificata, triqueta arx u. ä.), dessen oberer Teil aber bei einem Erdbeben 1542 einstürzte. Von den Ringmauern im Süden und Norden, die auf die hohen künstlichen Felsschrägen aufgesetzt waren, sind nur begrenzte Reste aus Quaderwerk mit Steinmetzzeichen erhalten, insbesondere an
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Abb. 191 Lentini, „Castellaccio“, Grundriss der erhaltenen Teile ohne Alterseinstufung.
der Südseite. Hinter dem westlichen Graben liegen Reste zwei paralleler Verteidigungslinien, von denen die innere die heute ihrer Schalen beraubte Hauptmauer war. Vorgelagert war offenbar ein schmaler Zwinger, von dem kein Mauerwerk, aber drei in die Felsschräge gearbeitete, nach unten stark erweiterte Senkscharten erhalten sind; sie gehören sicherlich erst in die Spätzeit der bis ins 16. Jh. modernisierten Anlage. Wo ein Achteckturm gestanden hat, von dem im 18. Jh. noch Mauerreste aus Quadern beschrieben wurden, ist unklar; es wird vermutet, dass er die Front hinter dem westlichen Graben verstärkte. Von der sonstigen Innenbebauung der Burg blieben drei Zisternen und zerstreute Gebäudereste vor allem über den seitlichen Steilhängen erkennbar; eine gerundete Mauer, die in nordöstlicher Ausrichtung an die nördliche Felsschräge stößt, war wohl die Apsis einer Kapelle. Umfassender erhalten ist allein ein Kellerraum, der im Westteil der Anlage etwa 20 m hinter der Hauptmauer parallel zu ihr liegt. Die restaurierte Halle von 16,72 x 5,58 m (Agnello) ist mit einer
Spitztonne gewölbt, die durch vier Gurtbögen auf Wandvorlagen gegliedert wird; in der Wölbung gibt es kleine Luftöffnungen. Der über eine steile Treppe erreichbare Keller bildete fraglos den Sockel eines repräsentativen Gebäude(flügel)s.
Augusta (Abb. 192)
Burg und Stadt Augusta liegen auf einer gegen Süden ins Ionische Meer vorspringenden, geräumigen Halbinsel, vergleichbar dem nahen Syrakus, wobei die Burg hier aber nicht wie dort auf der äußersten Spitze liegt, sondern im Norden hinter der schmalsten Stelle der Halbinsel den Zugang zur Stadt sicherte. Es ist umstritten, ob der Name von Stadt und Burg auf die Gründung eines römischen Kaisers an der Stelle des antiken Megara Hyblaea an der Westseite der Bucht zurückgeht oder ob er erst die ab 1231 entstehende Stadt Friedrichs II. bezeichnen sollte. Eine bei Petrus de Vinea überlieferte Inschrift soll jedenfalls Friedrichs Neugründung an heutiger Stelle bezeugt haben; hierhin wurden 1232 die Bewohner der aufständi-
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schen Städte Centuripe und Montalbano (Elicona) umgesiedelt. Eine für die friderizianische Zeit überdurchschnittlich dichte Überlieferung bezeugt das besondere Interesse des Kaisers an der neuen Stadt. Schon 1234 durfte sie Vertreter zu den Parlamenten des Königreichs entsenden und sich offiziell als veneranda („ehrwürdig“) bezeichnen, 1239 ernannte Friedrich einen Angelo Frisar zum Verantwortlichen für mehrere Häfen Siziliens und übertrug ihm wenig später auch die Verwaltung von „Kornspeichern, Feldern, Mühlen und verschiedenen Steuern“ in Augusta. Ein Jahr später befahl er Frisar, durch geeignete Personen sicher-
zustellen, dass nur aus den Häfen Augusta und Milazzo Güter mit dem Ausland gehandelt werden sollten; jedoch waren die Kornspeicher von Augusta 1240 dafür offenbar (noch?) ungeeignet, denn im selben Jahr musste teilweise verdorbenes Getreide von dort in ein anderes Gebäude umgelagert werden. Weitere Befehle des Kaisers von 1240 betrafen die Unterstützung von Unternehmern aus der Stadt und aus Catania, die dort „graben“ (= Steinbrüche erschließen?) und Landwirtschaft betreiben wollten. Dass die Burg in Augusta gleichzeitig mit der Stadt begonnen wurde, liegt angesichts ihrer den Zugang sperrenden Lage nahe; eine Zahlung von 1232 für Bauten in
Abb. 192 Augusta, Grundriss des Erdgeschosses mit grau angelegten Teilen des friderizianischen Gründungsbaues.
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Augusta könnte man daher schon recht wahrscheinlich auf ihre Errichtung beziehen. Eindeutig de castro nostro Auguste handelten aber erst drei Briefe des Kaisers an Verantwortliche in Sizilien, darunter Richard von Lentini, von 1239, die die Finanzierung der Burg betrafen. 1242 sei der Bau abgeschlossen gewesen, wie ehemals Inschriften bezeugten, die mindestens bis zum 17. Jh. über zwei Toren angebracht waren; in der Liste der castra exempta, die aus den 1230er-Jahren stammt, erscheint die Burg dementsprechend noch nicht. Unter der angevinischen Herrschaft wurde die Burg in Augusta nur erwähnt, wenn es um ihre Besatzung und die Verproviantierung ging (1274, 1281); während der „Sizilianischen Vesper“ 1282 tötete die örtliche Bevölkerung den französischen Statthalter und plünderte die Lebensmittelvorräte der Burg. 1287 fiel diese aber durch einen Handstreich wieder an angevinische Parteigänger und wurde erst nach viermonatiger Belagerung vom aragonesischen König Jakob I. eingenommen; auch im Laufe des 14. Jh. spielte die inzwischen verlehnte Burg noch mehrfach eine Rolle in den Kämpfen zwischen den Königen von Aragon und Vertretern der angevinischen Interessen. Im 16. Jh. – vermutlich ab 1567, als die Burg wieder Teil der königlichen Domäne wurde – baute man sie zur Festung mit vier Eckbastionen aus. Damals wurde auch der Isthmus durchstochen, sodass Burg und Stadt nun auf einer Insel lagen; im Hafenbereich entstanden ergänzend drei Inselforts. Die fortwährende Bedeutung des Hafens zeigte sich auch in Angriffen der osmanischen Flotte 1585 und 1594 sowie in der Eroberung durch französische Truppen 1675. Drei Jahre später versuchten die Franzosen, die Befestigungswerke vor ihrem Abzug zu sprengen. Deswegen wurden bis 1681 erhebliche Reparaturen nötig, außerdem wurde ein Gürtel äußerer Bastionen hinzugefügt; die Werke dieser ausgedehnten Zitadelle sind großenteils erhalten, aber heute stark restaurierungsbedürftig. 1693 erschütterte ein Erdbeben den Südosten Siziliens. Augusta wurde völlig zerstört, ein durch das Beben ausgelöstes Feuer brachte außerdem das Pulvermagazin in der Burg zur Explosion; allein dort gab es an die 50 Todesopfer. Nachdem der Wiederaufbau bis 1702 gedauert hatte, sollte die Zitadelle nach dem Übergang Siziliens an das Haus Savoyen 1713 geschleift werden, was die örtliche Bevölkerung zwar verhinderte, wobei aber erhebliche Schäden an der Bausubstanz entstanden. In napoleonischer Zeit ab 1806 wurde die Festung wieder in den Verteidigungszustand versetzt und ab 1831 nochmals besser aus-
gerüstet, u. a. mit der Artillerie der damals entfestigten Burg in Catania. Nachdem sie 1848 erfolglos von den Aufständischen verteidigt worden war, besetzten schließlich 1860 Truppen Garibaldis die Festung. 1890–1978 diente sie dann als Gefängnis, was umfangreiche und entstellende Umbauten zur Folge hatte, u. a. die Hinzufügung von zwei nüchternen Obergeschossen mit Zellen. Heute stellt die mit ihren Bastionen sehr ausgedehnte, verfallende Anlage ein ungelöstes Problem der regionalen Politik und Denkmalpflege dar; sie ist nur selten zugänglich. Die Burg wurde offenbar auf einem flachen Hügel etwa 20 m über dem Meeresspiegel errichtet, was heute aber wegen der Bastionen des 16./17. Jh. nur noch schwer erkennbar ist. Der friderizianische Kernbau ist ein quadratisches Kastell von 62 m Seitenlänge, vor das vier ungefähr quadratische, ursprünglich kreuzrippengewölbte Ecktürme vorsprangen. An drei Seiten gab es außerdem Mitteltürme, die im Westen und Osten rechteckig sind und nur wenig vorspringen, während im Süden neben dem Tor ein voluminöser, ursprünglich fraglos viel höherer Achteckturm stand (vgl. Abb. 85). Allein die unteren Teile dieser Türme sind erhalten; der nordöstliche Eckturm fehlt vermutlich seit der Explosion des Pulvermagazins 1693. Agnello nahm einen weiteren Turm auch in der Mitte der Nordfront an, für den aber Belege fehlen. Soweit der Putz des 19. Jh. es erkennen lässt, ist der Bau in Kalksteinbruchstein aufgeführt mit Quadern an den Ecken. Der Stumpf des achteckigen Mittelturms an der Südseite – seine hofseitigen Ecken verschwanden bei Umbauten – zeigt als einziger eine Verkleidung mit großen Quadern, teils mit gerundeten „Polsterquadern“, teils mit Spiegelquadern. Er besitzt einen Schrägsockel, von dem heute, da der (zumindest im Spätmittelalter) vorgelagerte Graben verfüllt ist, nur noch der oberste Teil sichtbar ist. Das Haupttor lag südlich neben dem Turm; es zeigt heute wie auch ein zweites Tor im Norden Formen des 16. Jh. und war in dieser Spätzeit durch eine Zugbrücke mit Schwungruten gesichert. Die nur außen flach vorspringenden Rechtecktürme in der Mitte der West- und Ostseite enthielten u. a. Zisternen, zumindest im erhaltenen Sockelgeschoss aber keine größeren Räume. Dass der Hof ursprünglich von drei Flügeln umschlossen war, während ihn im Süden nur eine Mauer mit dem Achteckturm abschloss, scheint heute gesichert; die von Agnello vermutete zweischiffige Halle hinter dem Turm ist dagegen nicht belegbar. Im Erdgeschoss sind die sieben Joche des Westflügels (vgl. Abb. 126) und die beiden west-
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lichen des Nordflügels mit ihren Kreuzrippengewölben erhalten, getrennt von kräftigen, schmal gefasten Gurtbögen, die auf rechteckigen Wandvorlagen aufsitzen. Die entsprechend geformten Rippen in den Jochen ruhen auf schlanken Eckkonsolen aus Sandstein und reich profilierten Konsolgesimsen. Sie zeigen heute nur noch in wenigen Fällen ornamentale Gestaltung, etwa mit einem Zickzackmuster oder Blättern; Agnello vermutete hier späte Abarbeitungen, aber warum sollte man sich die Mühe einer Glättung gemacht haben, anstatt gleich die gesamte Konsole abzumeißeln? Die schlichten Schlusssteine der Kreuzrippengewölbe tragen in einigen Fällen Rosetten. Von den ursprünglichen, innen stark erweiterten, wahrscheinlich rundbogigen Fenstern zur Feldseite sind nur innen noch Reste erkennbar; nach örtlicher Überlieferung hätte es über ihnen Oberlichter abwechselnder Form gegeben wie etwa in Bari oder an vielen apulischen Sakralbauten wie z. B. der Kathedrale von Troia. Vor den drei Flügeln lag ein ebenfalls mit Bandrippen kreuzgewölbter, in Spitzbögen zum Hof geöffneter Gang, der an der Ostseite allerdings beseitigt ist; vor seine hofseitigen Pfeiler sind außen flache Wandvorlagen gesetzt. In der Hofmitte gibt es einen Brunnen, der aber spätestens im 16. Jh. verfüllt wurde, als man neben ihm zwei große Zisternen einbaute. Für ein originales Obergeschoss – das im 16./17. Jh. wegen seiner Zerstörbarkeit durch Artillerie abgetragen worden sein könnte – gibt es keine Belege mehr, vor allem keine Treppen oder alten Darstellungen; dasselbe gilt für ein potenzielles Kellergeschoss.
Syrakus, Castel Maniace (Abb. 193, 194)
Das Castel Maniace steht auf der schmalen südlichen Felsspitze der Insel Ortygia, das heißt der mittelalterlichen Stadt Syrakus. Die Stelle war vielleicht schon antik bebaut; einen ersten Turm an der die Hafenzufahrt beherrschenden Stelle soll der byzantinische Feldherr Maniakes errichtet haben, der Syrakus 1038 kurzfristig besetzte. Unter Friedrich II. und seiner ersten Gemahlin Constanze genoss Syrakus, das zur Krondomäne gehörte, anfangs besondere Vorrechte, aber in der Folge des Aufstandes 1232 versuchte die Stadt wie viele andere, sich der kaiserlichen Herrschaft zu entziehen. Nach der Niederwerfung der Rebellion erhielt Syrakus aber dennoch 1234 den Titel einer urbs fidelissima (= allertreuesten Stadt). Dass Friedrich die Burg in Syrakus erneuern ließ, belegen drei Briefe aus Lodi vom 17. November 1239, in denen er seinem praepositus der Neubauten, Richard von
Lentini, und zwei weiteren Vertretern der kaiserlichen Gewalt in Sizilien befahl, die Vollendung der Burgen Syrakus und Lentini vorrangig zu betreiben. Die neue Burg in Syrakus war damals also im Bau, aber es ist ungeklärt, wie lange; gerne wird trotz der sieben Jahre Abstand der Aufstand 1232 als Anlass des Baues genannt. Dass die Burg 1240 zu den castra exempta zählte, deren Kastellan Riccardo Vetrano namentlich genannt wird, bedeutet jedenfalls fraglos, dass sie damals verteidigungsfähig war. In angevinischer Zeit wurde sie 1273 und 1281 inspiziert und die Besatzung festgelegt, aber Hinweise auf Bauarbeiten fehlen; ungeklärt ist die Unterscheidung der Quellen zwischen einem castrum einerseits und einem palacium andererseits in Syrakus. Peter III. von Aragón bewohnte die Burg 1288 mit seinem Hofstaat, 1298 widerstand sie einem Angriff angevinischer Parteigänger und spielte wegen ihrer strategischen Lage auch bis Mitte des 14. Jh. vielfach eine Rolle in Kämpfen zwischen der aragonesischen und der angevinischen Partei. In der Regel war sie damals Sitz der Oberbefehlshaber der sizilianischen Truppen; im späteren 14. und 15. Jh. diente sie außerdem als Gefängnis. 1448 wurden aufständische Adelige in die Burg gelockt und dort ermordet. 1498 begann man mit baulichen Verstärkungen – wozu fraglos die teilweise erhaltene zwingerartige Außenmauer zählte – und die Burg erhielt eine Besatzung von 150 Mann; der gegen den Ausbau protestierende Bischof von Syrakus wurde zeitweise eingekerkert. Die Verstärkung der Befestigungen wurde unter Karl V. in den 1530er-Jahren durch den international tätigen Militäringenieur Antonio Ferramolino fortgesetzt, der die vermutbare Vorburg durch die erhaltenen tenaillierten Vorwerke an der Landseite ersetzte. 1629 entstand auf der Felsspitze hinter der Burg eine Pferdemühle; die Arbeiten an den Befestigungen der gesamten Stadt wurden im 17. Jh. fortgesetzt. 1704 explodierte das Pulvermagazin der schon 1693 durch ein Erdbeben beschädigten Burg nach einem Blitzschlag; 33 Soldaten kamen um, der nördliche Eckturm und mehrere Gewölbejoche des friderizianischen Baues wurden zerstört. Beim Wiederaufbau erneuerte man den Eckturm und die Außenmauer in äußerlich alter Form, aber das Innere des Kastells wurde ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Gestaltung zu Kasernen und Magazinen umgestaltet. 1838/39 entstand auf der äußersten Felsspitze eine gut erhaltene Batterie zum Schutz der Hafeneinfahrt; 1860 fiel die Festung, in der zuvor liberale Aktivisten eingekerkert gewesen wa-
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ren, kampflos Garibaldis Truppen in die Hände; sie blieb aber noch lange militärisches Sperrgebiet und ist erst seit 2004 zu besichtigen. Mehrere Restaurierungsetappen stellten seitdem einen Teil der ursprünglichen Innenraumgestaltung wieder her, führen aber auch immer wieder zu langen Schließungen für das Publikum. Hinter dem stadtseitigen Graben liegen zunächst die Vorwerke des 16. Jh.; das ungeschützte Portal des eigentlichen Kastells legt nahe, dass an der Stelle dieser Vorwerke auch schon im 13. Jh. eine äußere Befestigung lag. Das Kastell selbst bildet ein Quadrat von 51 m Seitenlänge mit vier runden Ecktürmen (vgl. Abb. 42, 133). Seine Außenmauern sind – unter den Burgen Friedrichs II. nicht sehr häufig, aber typisch für Syrakus – aus bestem glatten Kalksteingroßquaderwerk mit zahlreichen Steinmetzzeichen. Das große gotische Portal in der Mitte der Nordwestfront (vgl. Abb. 117) weist reiche, eher einem Sakralbau angemessene Formen auf mit beidseitig drei eingestellten Säulen mit blattbelegten Knospenkapitellen und einer reich profilierten Archivolte, deren Rundstäbe teils auf beschädigten Tierskulpturen sitzen, Greifen oder geflügelten Löwen; die Polychromie des weißen, grauen und roten, teils farblich changierenden Marmors unterstreicht den prachtvollen Eindruck. Der Fallgatterschlitz ist unauffällig ins Gewände integriert, der Granitarchitrav aber ausgebrochen und das Tympanon fehlt. Links und rechts oberhalb des Portals ruhten ursprünglich auf konsolgestützten Steinplatten zwei antike Bronzewidder (vgl. Abb. 129), von denen einer im „Museo archeologico regionale“ in Palermo erhalten ist; das Wappen über dem Tor stammt von 1614. Die Symmetrie der gesamten Fassade wird durch zwei innen und außen erweiterte, einlichtige Rundbogenfenster in gleichem Abstand zum Tor ergänzt. Auch die anderen drei Fronten des Kastells waren symmetrisch gegliedert, indem einfache Rundbogenfenster wie an der Torseite durch Variation ihrer Größe eine Mittenbetonung ergaben (vgl. Abb. 102). Je fünf Fenster gab es an den hafen- bzw. meerseitigen Wänden im Südwesten und Nordosten – die Nordostseite ist nach der Explosion 1704 teilweise erneuert –, während die Rückfront der Eingangsseite ähnelte: eine (veränderte) Nebenpforte in der Mitte, flankiert von zwei Rundbogenfenstern in gleichem Abstand und mit einem dritten über der Pforte; hohe, jedenfalls vor 1704 eingearbeitete Schlitze in den oberen Fassadenteilen dienten der Entwässerung des Daches. Die einzige Variation dieser schlichten Fassadengliederung bildete ein großes Fenster in der Südwestwand des
Abb. 193 Syrakus, Grundriss im heutigen Zustand – Wiederaufbau nach Pulverexplosion 1704 (oben) – und Rekonstruktion des ursprünglichen Zustand nach G. Agnello mit Nachtrag der vier Säulenbündel um den Hof.
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Kastells, das einen Blick auf den Hafen bot (vgl. Abb. 115). Es war auch durch seine sehr aufwendige Gestaltung bemerkenswert, von der allerdings nach einer groben Verkleinerung beidseitig nur säulengezierte Gewändeteile und Ansätze der Archivolte erhalten blieben; sie ähneln generell und auch in ihrer Ausführung aus mehrfarbigem Marmor den Formen des Haupttores. Die Reste erlauben die Rekonstruktion einer Spitzbogenblende, die eine säulengestützte Biforie umgab. Das Innere des Kastells enthielt ursprünglich, wie als frühester Beleg ein vor 1704 entstandener Plan zeigt,
nicht Flügel um einen Hof, sondern eine einzige, nicht unterteilte Säulenhalle zu 24 quadratischen, kreuzrippengewölbten Jochen über frei stehenden, aus Marmor oder Granit bestehenden Säulen bzw. Wandsäulen (vgl. Abb. 121); die Joche waren zweischiffig um einen zentralen Lichthof angeordnet, der nur die Größe eines solchen Joches besaß (etwa 8 x 8 m). Von den Freistützen sind nur neun erhalten, sieben als Säulen im eigentlichen Sinne und zwei Säulenbündel an den Südostecken des Hofes (vgl. Abb. 122); fraglos sahen auch die beiden anderen Stützen am Hof so aus. Alle Kapitelle zeigen – soweit sie erhalten und nicht
Abb. 194 Syrakus, fotogrammetrische, steinrechte Ansichten der Nordwestfront mit dem Haupttor (oben) und der Südwestfront mit der veränderten Biforie.
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allzu beschädigt sind – Variationen der Knospenform mit bis zu drei Blattreihen mit stark profilierten Abaki; die Bandrippen sind dagegen nur schmal gefast, ihre erhaltenen Schlusssteine verzichten auf Ornamente. Das in seiner ehemaligen Raumwirkung höchst originelle Konzept erinnerte auf einer rein formalen Ebene an antike Atriumhäuser, aber auch an große Moscheen; es dürfte allerdings wegen der fehlenden Abschließbarkeit gegen die Witterung selbst unter mediterranen Bedingungen zu Problemen bei der Nutzung geführt haben. Vier stark beschädigt erhaltene Kamine an beiden Torwänden in den Eckjochen sind als winterliche Gegenmaßnahmen erklärlich; dass auch eine dünne Mauer, die zwischen drei Säulen die vier östlichen Eckjoche gegen den Ostflügel abschloss, noch in der Stauferzeit eingefügt wurde – eine bei den laufenden Restaurierungen entstandene Annahme –, ist allerdings unwahrscheinlich, denn auf dem erwähnten Plan der Zeit vor 1704 ist sie nicht vermerkt. Die 14 Rundbogenfenster in den Außenwänden, auch die beiden Tore und das große Südwestfenster saßen jeweils mittig unter den Schildbögen der Joche. Die Ecktürme enthalten – mit Ausnahme des im 18. Jh. erneuerten Nordturms – Wendeltreppen zur Plattform, zugänglich durch kurze, kreuzrippengewölbte Korridore in der Dicke der meerseitigen Außenmauern; zwei kleine Zusatzräume an den beiden südöstlichen Korridoren, in denen man die einzigen figürlichen Konsolen des Baues findet, enthielten Aborte. Wie reich auch die verschwundenen Teile des staufischen Baues geschmückt waren, zeigen zahlreiche Spolien, meist von Kapitellen und Konsolen, die heute in einer Ausstellung in der Burg zu sehen sind. In der Dicke der südwestlichen Außenmauer führt eine lange Treppe nach unten, winkelt unter der Nordwestwand des Kastells gegen Nordosten um und erreicht schließlich 9,20 m unter dem Boden innerhalb der Säulenhalle einen kleinen Rechteckraum mit einem Sammelbecken, in dem heute Meerwasser steht – in der populären Überlieferung das „Bad der Königin“ (Bagno della regina). In Wahrheit war dies offenbar der Zugang zu einer Süßwasserquelle, der als Umbau einer vormittelalterlichen Mikwe entstand; der Meeresspiegel hatte damals tiefer gelegen, sodass das Quellwasser nicht salzig war. Beim Bau der Burg wurde in ihre dicke Außenmauer ein Schacht eingebaut, der – mit den Maßen des Sammelbeckens – fast 19 m hoch bis zur Plattform hinaufführt; er diente der Belichtung und Belüftung, aber auch die Einleitung von
Dachwasser oder gar das Schöpfen von der Plattform aus sind denkbare Funktionen. Die Überlegungen Agnellos zu einem geplanten (oder später zerstörten) Obergeschoss kommen nicht über Vermutungen hinaus; dass das Kastell im Spätmittelalter oft und hochrangig bewohnt wurde, beweist jedenfalls kein ursprüngliches Obergeschoss; es kann durchaus Unterteilungen der Halle gegeben haben, die später wieder verschwunden sind. Denn das grandios einfache Konzept der vieljochigen Halle ist durch die unregelmäßigen und schmucklosen Einbauten, die nach der Explosion 1704 entstanden, heute weitgehend unkenntlich; sieben Freisäulen fehlen, die anderen sind in den Wänden der Kasernen und Magazine verbaut. Erst 2013–16 wurden die beiden Südostschiffe wieder als Saal gestaltet und ihre Gewölbe restauriert, wobei sie durch schwarzes Lavagestein eine Zweifarbigkeit erhielten; dies knüpfte durchaus an originale Reste an, aber es ist wahrscheinlich, dass die Wölbungen früher verputzt waren. Immerhin aber deutet der restaurierte Saal zum ersten Mal wieder die ursprüngliche, einzigartige Wirkung des Baues an (Abb. 124).
NORDITALIEN
Prato (Toskana/Toscana; Abb. 195)
Zur Stauferzeit bildeten die Markgrafschaft Tuszien, die Lombardei und die Markgrafschaft Verona das Königreich Italien innerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Hier strebten allerdings die Städte ab dem 11. Jh. nach politischer Unabhängigkeit, was spätestens unter Friedrich I. (1152–90) auch in der Toskana zu beständigen Kämpfen mit dem Kaiser führte. Der plötzliche Tod Heinrichs VI. schwächte die königliche Position in Italien, denn sowohl der Welfe Otto IV. als auch Friedrich II. sicherten zwischen 1201 und 1213 mehrfach die Wahrung vom Papst geforderter Rechte in Mittel- und Unteritalien zu und verzichteten damit auf umfangreiche Gebiete, auch auf die Toskana. Später aber versuchte Friedrich, die im Königreich Sizilien eingeführten Verwaltungsformen auf Reichsitalien zu übertragen, indem er Generalvikare aus dem Kreis seiner Familie und von Vertrauten einsetzte; 1239 ernannte er seinen illegitimen Sohn Enzio zum Generallegaten für Reichsitalien. Auch diese Maßnahmen stießen aber auf den beständigen Widerstand der dortigen Städte. Prato liegt strategisch günstig an der Mündung der Straßen von Bologna ins Arnotal, zugleich an der Verbindung Pistoia – Florenz; über die Bisenzio-Brücke in Prato führte die Straße dann weiter nach Süditalien. Die
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Stadt entwickelte sich spätestens ab langobardischer Zeit und stand lange unter der Herrschaft der Grafen Alberti, die hier ihren Hauptsitz hatten, bevor die Stadtgemeinde im Laufe des 11./12. Jh. die Macht an sich zog. Im 12. Jh. hielt Prato zum Reich und empfing u. a. Heinrich VI. und Otto IV.; dass ein ab den 1190er-Jahren erwähntes palatium imperatoris auf die frühere Grafenburg der Alberti zu beziehen ist, liegt nahe, während frühere Nennungen eines castellum ab 1035 auch noch die umwehrte Siedlung gemeint haben könnten. 1192–96 erhielt Prato einen (zweiten) Mauerring, der nach Grabungsergebnissen an die Burg der Alberti anschloss, den Vorgänger des Kastells. Die Erbauungszeit des friderizianische Kastells überliefert keine zeitgenössische Schriftquelle; eine seit dem 15. Jh. belegte lokale Überlieferung behauptet jedoch, Friedrich selbst habe 1237 vor Ort den Bau befohlen – er war damals jedenfalls in Norditalien –, nachdem eine Bürgerin von Prato ihr Erbe dem Reich hinterlassen hatte, und zwar für den Bau einer Burg zum Schutz der ghibellinischen Partei. Stilvergleiche, unter anderem mit Castel del Monte, legen tatsächlich eine Bauzeit in den 1240er-
Jahren nahe wie auch der verstärkte Zugriff des Kaisers auf die Toskana in diesem letzten Jahrzehnt seiner Regierung. 1245 ernannte er Friedrich von Antiochia, einen weiteren illegitimen Sohn, zum Generalvikar der Toskana; dieser war zeitweise auch Podestà von Florenz. In nachstaufischer Zeit blieb Prato zwischen Guelfen und Ghibellinen umkämpft, geriet dann aber im 14. Jh. unter die Herrschaft des nahen Florenz, das eine Besatzung in die Burg legte; auch überregionale Mächte griffen mehrfach nach dem strategisch wichtigen Platz. 1309 sind Bauarbeiten belegt, die vor allem das Umfeld der Burg betrafen; 1350 wurde ein Wehrgang („cassero“) vollendet, der die ins Stadtinnere gerückte Burg mit der (dritten) äußeren Stadtmauer verband. Im 16. Jh. diente die Burg, die damals schon in schlechtem Zustand war, nur noch als Kaserne. Als sie 1767/68 Invalidenunterkunft wurde, kappte man die beiden älteren Türme, die die Burg nach älteren Darstellungen weit überragt hatten, und es entstanden innen und auch zwischen und auf den Türmen Neubauten; das Tor verschwand hinter einem Vorbau. Durch mehrere Restaurierungen ab 1932 erhielt die Burg
Abb. 195 Prato, Grundriss im heutigen Zustand.
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dann die heutige, weitgehend auf die stauferzeitlichen Teile reduzierte Form. Die Burg wurde nicht nach dem ursprünglichen Entwurf vollendet und besteht daher nur aus der Ringmauer mit acht vorspringenden Türmen. Die geplante Innenbebauung ist nur aus Spuren an der Ringmauer – und einigen Kellern – grob ableitbar, was einerseits Kai Kappel/Klaus Tragbar (2001) und andererseits der Verfasser (2019) untersuchten mit im Wesentlichen gleichen Ergebnissen bezüglich der geplanten Raumaufteilung (vgl. Abb. 40). Der Bau entstand in flachem Gelände, etwa 330 m vom Flussufer entfernt; ein (wassergefüllter?) Graben samt Brücken ist in der 2. Hälfte des 13. Jh. belegt, wurde jedoch früh verfüllt, wohl nach der Stadterweiterung im 14. Jh.; an seiner Stelle erwecken heute bis zu 5 m hohe Anschüttungen, die nur nördlich des Tores fehlen, den irritierenden Eindruck einer Hügellage. Die außen mehrfach schlicht abgesetzte, auf Hofhöhe noch 2,60 m dicke Ringmauer aus Mergel („pietra alberese“) begrenzt ein Grundquadrat von knapp 45 m Seitenlänge. Heute ist sie innen bis zum Wehrgang über 13 m hoch, wobei die obersten Schichten und die auch auf den Türmen umlaufenden Zinnen den unvollendeten Bau erst nachträglich nutzbar machen sollten; die Form als Schwalbenschwanzzinnen wurde bei der Restaurierung nachgewiesen, die dann die meisten Zinnen entsprechend nachempfand. Verdeutlicht man sich den ehemals umlaufenden Graben, so muss der Bau außen ursprünglich rund 20 m über die Grabensohle aufgeragt haben. Dass die stadtseitige Ringmauer mit dem Tor im unteren Teil aus echten Quadern ausgeführt wurde, am Nordturm teilweise auch aus Spiegelquadern, deutet sicherlich an, dass dieser Teil der Burg im Schutze der älteren Stadtmauer zuerst begonnen wurde; die Teile, die außerhalb von deren Flucht ausgeführt wurden, zeigen ein einfacheres, aber ebenfalls sauberes Mauerwerk. Aus der Ringmauer springen vier Eck- und vier Zwischentürme vor. Zwei ältere Geschlechtertürme, wie sie in der Toskana und auch in Prato häufig waren, wurden im Nordwesten und -osten als Zwischentürme in den Bau integriert; sie sind offenbar Reste von Sitzen des Stadtadels, die im 12./13. Jh. im Bereich der Grafenburg entstanden waren. Typisch sind ihre geringen Grundrissmaße (7 x 7 m), die weitgehende Öffnungslosigkeit und die Spuren von Balkendecken, aber auch die beachtliche Ursprungshöhe. Der westliche Turm, dessen originale Pforte außerhalb der Kastellmauer liegt, wurde 1254 als „Torre della campana“ mit einer Glocke ausgestattet.
Die Ecktürme sind quadratisch, ihre Sockelzone wird auf (ehemals) halber Höhe durch einen Rücksprung abgeschlossen, über dem sie dann glatt aufsteigen; das Profil des Rücksprungs entspricht einer attischen Basis. Zwei der Ecktürme enthalten nur Wendeltreppen, während im Nord- und im Südturm bewohnbare, kreuzgratgewölbte und mit Aborten versehene Räume liegen, die aber nur über Schlitze belichtet werden. Diese beiden Türme sind auch äußerlich hervorgehoben, der stadtseitige durch 14 Schichten gute Spiegelquader über dem Sockel (vgl. Abb. 143); der ursprünglich feldseitige Südturm erscheint dagegen durch seine größere Seitenlänge von 13,20 m als Hauptturm. Der begrenzte Komfort der Turmräume spricht aber gegen höhergestellte Bewohner und die Vermutung, es könnten noch Obergeschosse geplant gewesen sein, wird durch das Fehlen von Innentreppen widerlegt. Die beiden Zwischentürme – wie die Ecktürme aus einem Guss mit der Ringmauer – sind fünfeckig; ihr Inneres ist gleichfalls kreuzgratgewölbt, der südöstliche enthält einen Abort. Die weitgehend erhaltene Gestaltung des stadtseitig von zwei Türmen flankierten Haupttors kontrastiert mit der Schmucklosigkeit der Ringmauer und der Türme (vgl. Abb. 128). Die Toröffnung mit ihrem flach stichbogigen Konsolsturz liegt in einer tiefen Spitzbogennische und ist in eine antikisierende Rahmung mit Flachgiebel über schlanken, ehemals kannelierten Wandsäulen eingepasst; sie erinnert stark an das freilich reichere und im Detail kraftvollere Tor von Castel del Monte, wobei aber offenbleiben muss, welches von beiden Toren das ältere ist. Gotisch sind hier neben dem Spitzbogen vor allem die weiteren Säulen, die beidseitig den Fallgatterschlitz in der Nische flankierten; die Säulenkapitelle und der aus ihnen abgeleitete, in den Konsolsturz übergehende Fries orientieren sich aber wieder an antiken Akanthusformen. Die abwechselnden Quaderlagen aus hellem Mergel und dunkelgrünem Marmor („verde di Prato“), die die Wandfläche um das Tor prägen, und die liegenden Löwen auf den äußeren Säulen verweisen auf lokale bzw. romanische Traditionen (vgl. Abb. 98). An der Südostseite neben dem südlichen Eckturm liegt rund 5 m über dem heutigen Außenniveau eine spitzbogige Nebenpforte mit gestuftem und rundstab-profiliertem Gewände; auch dieses und die beidseitigen Mauerflächen sind durch „Streifen“ von Mergel- und grünen Marmorquadern hervorgehoben und oben durch ein Gesims abgeschlossen (die schmucklose Nebenpforte in der
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Nordostfront wurde erst für die äußere Stadtmauer des 14. Jh. eingebrochen). Dass der geplante Vierflügelbau innerhalb der Ringmauer nie ausgeführt wurde, notierte bereits Giuseppe Agnello. Grabungen legten dementsprechend keine Fundamente von Innenmauern frei, nur im Südwesten sind Kellerräume erhalten, die vier Jochen des dort geplanten Flügels entsprochen hätten und daher fraglos in die ursprüngliche Bauzeit gehören; der Brunnen im Norden des Hofes dürfte sogar auf die ältere Burg zurückgehen. Auf dem Hofniveau – es lag früher über einen Meter höher – ist das Kastell heute leer, nachdem die Einbauten des 18. Jh. abgerissen sind. Spuren an der Außenmauer zeigen aber, dass ursprünglich an jeder Seite sechs quadratische, bis zum Gewölbescheitel über 10 m hohe Joche geplant waren. Vorgehaltene Wandverzahnungen, erhaltene oder abgearbeitete, aber rekonstruierbare Konsolen lassen in der Regel erkennen, wo Querwände und wo nur Gurtbögen vorgesehen waren. Demnach sollten teils Räume entstehen, die nur einem Joch entsprachen, teils aber auch solche, die mindestens zwei Joche zusammenfassten. An der Südostseite kann man aus den abgeschlagenen, aber rekonstruierbaren Konsolen als geplanten größten Raum des Geschosses einen dreijochigen Saal erschließen. Feldseitig wären diese Gewölbehallen nur durch erhaltene bzw. restaurierte Lichtschlitze erhellt worden; ihre Belichtung hätte also überwiegend von der Hofseite her erfolgen müssen. Dort muss jedoch – anders, als es der oft abgedruckte Rekonstruktionsversuch von Agnello darstellt – eine tragfähige Wand als Auflager für die Gewölbe geplant gewesen sein. Eine weitgehende Öffnung der Joche zum Hof durch große Bögen zwischen gewölbetragenden Stützen ist angesichts des in Norditalien kälteren Klimas unwahrscheinlich. Dass die durch zeitgenössische Schriftquellen nicht enger datierbare, unvollendete Prateser Burg auf Friedrich II. zurückgeht, hat Agnello aus dem Vergleich mit dessen süditalienischen Idealbauten (Catania, Syrakus, Castel del Monte) durchaus überzeugend abgeleitet und der historische Hintergrund passt auch zu dieser Deutung. Entscheidende Merkmale sind die regelmäßige Kastellform, das mit Castel de Monte vergleichbare Haupttor und die an Zisterzienserbauten erinnernden Formen der Konsolen. Lokal geprägt sind dagegen technische und formale Einzelheiten wie Mauertechnik, Pfortenformen und besonders das „gestreifte“ Mauerwerk am Tor und der Nebenpforte,
das man auch an pratesischen Sakralbauten findet. In der Höhe und Geschlossenheit des Äußeren und der Schlichtheit der Turmräume liegt dabei ein besonderes Charakteristikum von Prato, eine Betonung des Wehrhaften, die in der Flachlandlage, aber auch in der politischen Situation in Norditalien begründet gewesen sein dürfte.
Monselice (Venetien/Veneto)
Die Kleinstadt Monselice, 25 km südwestlich Padua, liegt am Fuß eines steilen Berges vulkanischen Ursprungs; von seinem Gipfel, 152 m über dem Meer, überblickt man die Poebene bis zu den Alpen und zur Adria. Eine Befestigung auf dem Montesilice, umgeben von mehreren Kirchen, ist seit 914 belegbar; Friedrich I. suchte den Ort 1161 und 1184 auf. Friedrich II., für den hier kaiserliche Richter amtierten, befahl bei einem Aufenthalt im Frühjahr 1239, den Berg neu zu befestigen (murari iussit), wofür eine Kirche zerstört werden musste. Schon zehn Jahre später, in der Schwächephase des Kaisers, besetzte aber Ezzelino da Romano, Schwiegersohn und Verbündeter Friedrichs, die von einem apulischen Kommandanten befehligte Burg. Die Ruine ist ab den 1980er-Jahren archäologisch untersucht worden; ihre Restaurierung war 2020 noch nicht abgeschlossen. Von der byzantinischen Bebauung wurden Teile der Kirche, des Campanile und weiterer Bauten freigelegt, auch Schenkelmauern auf dem Berghang. Den Kern des friderizianischen Neubaus bildet ein rechteckiger Wohnturm („mastio federiciano“), der über massivem Sockel mit Zisterne und Abortgrube zwei mit Aborten ausgestattete Wohngeschosse enthält. Man erreicht die Räume über einen Hocheinstieg, in dem Spolien wohl der abgebrochenen Kirche vermauert sind. Das untere Geschoss besitzt eine Balkendecke, deren Unterzug auf Konsolen der aus Prato bekannten schlichten Art ruht; das über eine Treppe in der Mauerdicke erreichbare obere Geschoss zeigt dagegen eine Tonnenwölbung mit Stichkappen über mittlerem Gurtbogen. Viel spricht dafür, dass auch diese Wölbung noch zur ersten Bauzeit gehört, womit sie ein frühes Beispiel für die im 14. Jh. regional übliche Backsteinverwendung wäre; die in den Nischenwölbungen der originalen Lichtschlitze und Okuli verwendeten Backsteine bestätigen diese Annahme. Ob der heute 20 m hohe Turm ein weiteres Geschoss besaß oder ob die Treppe in der Mauerdicke nur zur Wehrplatte führte, bleibt unklar. Später hinzugefügt sind der hohe Schrägsockel des Turmes und einige Rechteckfenster im Obergeschoss.
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Außer dem Turm gehört die in Teilen erhaltene polygonale Ringmauer mit Achsen von 100 m und 50 m zum friderizianischen Bau. Die Wohnbauten darin sind wie ein zweiräumiger Bau an der Nordspitze und ein offenbar weitergenutzter Wohnbau der abgerissenen Kirche im Südwesten teilweise älter; von einem mit der Mauer entstandenen größeren Bau im Westen zeugen nur noch Balkenlöcher. Das spitzbogige Tor lag wohl in einem nur innen vorspringenden Schalenturm an der Ostseite. Von drei weitgedehnten Zwingerringen auf dem Berghang, die ältere Abbildungen zeigen, ist nur der oberste teilweise erhalten; sie dürften kaum vor dem 14. Jh. entstanden sein.
Insgesamt betonte der friderizianische Neubau von Monselice zwar in der Wahl des Bauplatzes einen hohen Sicherheits- und Herrschaftsanspruch, hatte aber wenig mit der süditalienischen Architektur des Kaisers zu tun. Allenfalls ist der Hauptturm mit dortigen Wachtürmen oder Haupttürmen vergleichbar, aber die polygonale Ringmauer ohne Mauertürme erinnert eher an den deutschen oder auch späteren norditalienischen Burgenbau. Die Architektur belegt damit im Vergleich mit dem Königreich Sizilien eher die Schwäche der kaiserlichen Herrschaft in Norditalien.
Norditalien
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SONDERLISTE: BAUTEN, DIE UNBEWEISBAR ODER FÄLSCHLICH FRIEDRICH II. ZUGESCHRIEBEN WURDEN
einen älteren, auffällig großen und im Grundriss unregelmäßigen Eckturm der Burg integrierte, wie angenommen wird, bliebe zu prüfen.
Bisceglie (Apulien/Puglia)
Die kleine Burg in der Südostecke der Stadtbefestigung – sie ist derzeit nur gelegentlich zu besichtigen – wurde in nachmittelalterlicher Zeit weitgehend überbaut, aber in den letzten Jahrzehnten teilweise wieder freigelegt und restauriert. Mit zunehmender Kenntnis der Bausubstanz schwindet seitdem die lokal traditionsreiche Frühdatierung, die vermeintlich älteste Teile für normannisch erklärte und die Gesamtanlage als „castello svevo“ einschätzte. Ins 12. Jh. geht allein die Kapelle San Giovanni in der Nordostecke der Anlage zurück, die aber eindeutig erkennbar erst nachträglich in die Burg integriert wurde. Auch der hohe quadratische Hauptturm, der, einen Eckturm ersetzend, isoliert etwa 2,5 m vor der Südwestecke des Kastells steht, ehemals im Zug der Stadtmauer, wurde früher als „Torre normanna“ angesprochen, ohne dass es dafür zwingende Gründe gäbe. Er enthält spitzbogige Tonnengewölbe in drei Höhen, der Hocheinstieg mit Konsolsturz und die kleinen quadratischen Fenster können auch erst in der 2. Hälfte des 13. Jh. oder im 14. Jh. entstanden sein ebenso wie die für Feuerwaffen umgearbeiteten Schlitzscharten; auch das Mauerwerk, das den anderen Türmen, den Ringmauern und dem Saalbau entspricht, deutet auf eine einheitliche Entstehung der Gesamtanlage erst in angevinischer Zeit. Freigelegt und einschätzbar waren 2019 über den Hauptturm hinaus die Ringmauern im Norden und Westen sowie drei Türme, die alle stark restauriert sind. Der rechteckige Nordostturm überbaut die ältere Kapelle, der nordwestliche Eckturm und der Torturm in der Mitte der Westfront sind relativ kleine Bauten über quadratischem Grundriss; in die südliche Seitenwand des Torturms wurde wohl im 15. Jh. eine Zugbrücke mit Blende und Schlitzen für die Schwungruten eingebaut. An der Ostseite des Hofes sind ferner Teile eines gotischen Saalbaues freigelegt mit langer, im Spitzbogen zum Hof geöffneter Erdgeschosshalle und einem beschädigten Maßwerkfenster vom Saal des Obergeschosses; die Fensterform ist vor dem späten 13. Jh. nicht denkbar. Die wohl 1541 begonnene Eckbastion der Stadtbefestigung, die der Südostecke der Burg vorgelagert war, ist im 19. Jh. samt deren Südfront vollständig überbaut worden und daher heute nicht mehr zu erkennen; ob die Bastion
Castelvetrano (Sizilien/Sicilia)
In dem Dokument, in dem Friedrich II. am 5. Oktober 1239 provisores castrorum im gesamten Königreich ernennt und dabei auch die castra exempta aufführt (Sthamer 1914, Anhang II), ist unter den sieben castra exempta westlich des Flusses Salso auch eine Burg Belluvidere genannt, die sonst kaum erwähnt wird. Ihre Lage ist unbekannt, jedoch wird seit Kurzem die These vertreten, es habe sich um die relativ große Burg gehandelt, deren Reste im Palazzo Pignatelli im Zentrum der Stadt Castelvetrano (Provinz Trapani, nördlich Selinunt) verbaut sind. Die These beruht ausschließlich auf ihrer Kastellform, von der noch zwei Flügel besser erhalten sind, ferner ein Eckturm mit zumindest achteckigem Aufsatz und die Fundamente eines achteckigen Mittelturms. Die Vorstellung einer regelmäßig quadratischen Anlage mit (quadratischen!) Ecktürmen und achteckigen Mitteltürmen ist vertretbar, der formale Vergleich mit Catania und Castel del Monte liegt nahe. Jedoch fehlen bisher alle Angaben zur Entstehungszeit und auch die Identifikation mit dem Bellu(m)videre der Schriftquellen ist unbelegt.
Favara (Sizilien/Sicilia)
Der Palazzo am Hauptplatz der Stadt Favara ist ein hoher quadratischer Vierflügelbau, der für die Familie Chiaramonte um 1280 erbaut und später nur geringfügig verändert wurde. Dass er auf einen unvollendeten Bau staufischer Zeitstellung zurückginge, ist nicht belegt. Diese Vermutung beruht offenbar nur auf der Grundrissform bzw. Raumanordnung, die aber bis ins frühe 14. Jh. typisch für sizilianische Palazzi war; zu vergleichen ist insbesondere der Palazzo Chiaramonte in Palermo (ab 1306). Typisch für die Bauform ist die erstaunliche Höhe der Flügel, ebenso die zwei großen Säle im Obergeschoss, die mit regelmäßig angeordneten Fenstern ausgestattet sind (vgl. die wohl etwa gleichzeitigen Wohntürme in Paternò und Adrano); im Erdgeschoss findet man Tonnen-, im Obergeschoss ehemals Kreuzrippengewölbe. Reiche Knospen- und andere Kapitelle sind erhalten, mindestens der Schlussstein einer Spitzbogenpforte trug ein Wappen. Die Fenstergewände sind allerdings meist ersetzt, wohl im 16. Jh. Original erhalten und besonders reich ausgestattet ist jedoch das Portal der Kapelle, die eine „maurische“
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Pendentifkuppel und eine komplex profilierte spitzbogige Apsis besitzt; etwas schlichter ist das Portal zum Hauptsaal. Im Hof vermittelte ein hölzerner, schmaler Umgang Zugänge zu den Obergeschossräumen. Zwei von Carmelo Antinoro (Il castello dei Chiaramonte di Favara, Favara 2005) vermutete Türme sind spekulativ; der vermeintliche „mastio“ war in Wahrheit die Küche, über der eine zweite lag.
Giuliana (Sizilien/Sicilia)
Nach örtlicher Überlieferung sei das vermeintliche „castello di Federico II“ auf hohem Basaltgipfel bereits in arabischer oder byzantinischer Zeit erbaut worden und in staufischer Zeit habe man es erneuert und außerdem den Ort ummauert; für all dies fehlen aber Schriftquellen. Die Burg war in angevinischer und aragonesischer Zeit königlich (von 1277 stammt offenbar die Ersterwähnung) und blieb es bis zum späten 14. Jh.; sie wurde danach vielfach verlehnt und diente vom 16. bis zum frühen 20. Jh. u. a. als Gefängnis, Kloster und Waisenhaus. Die Anlage über hohem Felsabsturz im Süden besteht aus der Kernburg und einer stadtseitigen Vorburg. Die Kernburg wird von einem knapp 45 m langen Flügel gebildet, aus dem ein (früher sicherlich höherer) Fünfeckturm mittig an einem stumpfwinkligen Knick gegen die Angriffsseite vorspringt. Die Kernburg zeigt ein durch die örtliche Geologie begünstigtes Mauerwerk aus gut geschichteten, hammerrechten Quadern. Auch die polygonale Ringmauer der Vorburg – an und auf sie wurden umfangreiche Bauten des 16./17. Jh. gesetzt, vor allem in der Klosterzeit – zeigt diese Mauerwerksstruktur, sodass prinzipiell von einer einheitlichen Entstehung von Kernund Vorburg auszugehen ist. Die Zeit der Erbauung ist mangels datierbarer Details schwer zu bestimmen. Viele Öffnungen mit Gewänden aus braunem Sandstein(?), der auch an den Turmecken erscheint, sind ab dem 17. Jh. erneuert worden, einige zeigen Spitz- oder Rundbogen, kleinere Fenster einfache Konsolstürze; die heute schmucklosen Innenräume der Kernburg sind spitztonnengewölbt. Die neuere Forschung nimmt mit gutem Grund eine nachstaufische Entstehung erst gegen Ende des 13. Jh. an, aber wohl vor 1277.
Manfredonia (Apulien/Puglia)
Die Ebene südlich des Monte Gargano war ab der Altsteinzeit besiedelt und mindestens ab dem 8. Jh. v. Chr. lag dort in einem sumpfigen Gebiet direkt am Meer eine
Siedlung des illyrischen Volkes der Daunier. Sie wurde später als einer der nördlichsten Häfen der „Magna Graecia“ hellenisiert und 189 v. Chr. unter dem Namen Siponto römische „Colonia“. Spätestens ab 465 Bischofs-, ab dem 11. Jh. sogar Erzbischofssitz, bewahrte die Stadt ihre auch wirtschaftliche und strategische Bedeutung bis ins 13. Jh. 1223 und nochmals 1255 wurde sie jedoch von Erdbeben zerstört, worauf vermutlich vulkanisch bedingte Senkungen oder Hebungen des Bodens folgten. Das zerstörte Siponto wurde verlassen und König Manfred gründete 1256 etwa 3,5 km nördöstlich, wo die Bedingungen für einen Hafen besser waren, als Nachfolger die nach ihm benannte Stadt Manfredonia (die unter den Anjou kurzfristig zu Sypontum novellum umbenannt wurde). Vom antiken und mittelalterlichen Siponto zeugen heute nur noch Ausgrabungen, aber auch eine Reihe bedeutender romanischer Kirchen im ehemaligen Stadtgebiet und seiner Umgebung. Als Friedrich II. 1250 starb, hatte er Konrad (IV.) als legitimen Sohn zum Universalerben als König und Kaiser bestimmt. Da Konrad jedoch in Deutschland erhebliche Durchsetzungsprobleme hatte, wurde Manfred, ein legitimierter Sohn von Friedrich II. mit Bianca Lancia, zunächst (Fürst von Tarent und) Verweser von Reichsitalien und Sizilien. Konrad kehrte zwar 1251/52 ins Königreich Sizilien zurück, hatte aber auch dort mit Widerstand zu kämpfen; auch das Verhältnis zu seinem Halbbruder Manfred war anfangs gespannt. Nachdem Konrad aber schon 1254 am Fieber gestorben war, wurde Manfred erneut Verweser des Königreichs Sizilien und ließ sich 1258 zum König krönen unter Missachtung der Erbansprüche von Konrads Sohn Konradin. Manfred fiel 1266 in der Schlacht bei Benevent, als er ein französisches Heer zurückschlagen wollte, das die Ansprüche von Karl (I.) von Anjou auf das Königreich Sizilien durchsetzen sollte; Karl war von Papst Clemens IV., einem Gegner der Staufer, damit belehnt worden. Mit Manfreds Tod endete die Herrschaft der Staufer in Italien und Deutschland, mit der Hinrichtung Konradins zwei Jahre später starb auch die Familie aus. Die 1256 von Manfred gegründete Stadt Manfredonia war anfangs größer geplant, wie ein 1277 erwähntes und dann wieder abgetragenes Stück einer ersten Stadtmauer nahelegt. Die verkleinerte Altstadt bildet ein Rechteck über Rastergrundriss mit teils schräg verzogenen Längsstraßen; ihre Ummauerung begann 1277. Dabei entstand auch ein „Hafenturm“ am Ostende der nördlichen Stadtmauer, dessen Gestaltung 1278 in zwei Briefen beschrie-
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ben wurde; Reste seines Buckelquadersockels stecken in dem starken Rundturm von „1458“ (torre della cisterna) an der Südspitze der Burg. Vom Bau der Burg selbst ist erst in zahlreichen Schriftstücken zwischen 1279 und 1284 die Rede; sie wurde also entgegen älteren Meinungen erst 13 Jahre nach dem Tod Manfreds bzw. der Machtübernahme Karls I. begonnen. Der damals entstandene Kern der Anlage ist ein Kastell über einem Grundquadrat von rund 35 m Seitenlänge. Es zeigt heute an der nordwestlichen Landseite zwei runde Ecktürme, an der Ostecke einen originalen quadratischen Turm und im Süden den größeren Rundturm, der den quadratischen „Hafenturm“ von 1277/78 integriert. Man nimmt an, dass ursprünglich an allen Ecken der neuen Anlage quadratische, weit vorspringende Ecktürme standen; ein fünfter Turm in der Mitte der Nordostfront, der das feldseitige Tor flankiert hätte, scheint fraglich. Von diesen ältesten Türmen ist nur der östliche an der Seeseite erhalten. Die landseitig vermuteten quadratischen Türme wurden im 15. Jh. durch die erhaltenen, mehrgeschossig gewölbten Rundtürme ersetzt; diese dürften in dieselbe Zeit gehören wie der ähnliche, aber größere Südturm von „1458“. Über die ursprünglichen Wohnbauten wissen wir nichts Sicheres, der bestehende meerseitige Flügel entstammt in seiner heutigen Gestalt erst der Zeit um 1920. Um 1487–91 entstand der äußere, die Burg eng umschließende Befestigungsring mit drei erhaltenen Eckrondellen. Seine nur durch Schießkammern mit Kanonenscharten durchbrochenen, aber noch Zinnen mit Schießscharten tragenden Mauermassen stellten eine unmissverständliche Reaktion auf die steigende Zerstörungskraft der Artillerie dar. Die hohe fünfeckige „Bastione dell‘ Annunziata“ an der stadtseitigen Westecke – ihr Name bezieht sich auf ein Relief nahe dem Tor – stand dagegen erst 1541 vor der Vollendung, wurde aber schon wenig später als veraltet charakterisiert.
Menfi (Sicilia/Sizilien)
Am Südostrand der Altstadt von Menfi, integriert in einen Palazzo des 17. Jh., der heute als Rathaus dient, war bis zu einem Erdbeben 1968 ein Bau erhalten, der im Grundriss aus zwei aneinanderstoßenden, quadratischen Türmen mit im Winkel angesetztem Treppenhaus bestand; seine geringen Reste wurden danach in ein modernes Gebäude integriert. Der einheitlich wirkende Bau, vielleicht Rest einer größeren Anlage, besaß Merkmale des späten 14.
oder 15. Jh. Agnellos Datierung in friderizianische Zeit beruhte lediglich auf einem Brief von 1239, der einen Bau bei – nicht etwa in – Menfi erwähnt; weitere Erwähnungen im 14. Jh. sind möglicherweise auf die Burg zu beziehen, sichere aber erst im 16. Jh.
Salemi (Sicilia/Sizilien)
Auf dem Hügel über einer Kreuzung wichtiger Straßen, der schon in der Antike eine Stadt trug, bestand nach dem Chronisten Al-Idris im mittleren 12. Jh. eine Befestigung. Di Stefano (1935) vermutete, dass die erhaltene Burg um 1240 entstanden sei; quellenmäßig belegt ist sie jedoch erst nach 1300 und meines Erachtens dürfte sie eher aus der 2. Hälfte des 13. Jh. stammen. Als direktes Vergleichsbeispiel wurde verschiedentlich die Burg im nahen Marsala genannt, die jedoch genauso wie die quadratische Gründungsstadt, deren landseitige Ecke sie einnimmt, kaum untersucht ist. Die Anlage bildet ein dem Rechteck angenähertes Trapez mit drei Ecktürmen; ein vierter an der (durch ein Wasserreservoir veränderten) Nordecke ist nur Vermutung. Agnello (1961) sah in der Burg ein „absolut einheitliches Gebäude“, was auch E. Caruso (1998) bestätigt. Das ist im Prinzip richtig, aber es gibt zahlreiche Baufugen, Verzahnungen usw., die eine abschnittsweise Ausführung und letztlich auch die Nichtvollendung der Burg belegen. Caruso vermutete im Quaderwerk bestimmter Teile, insbesondere in den Sockeln der quadratischen Türme, Reste einer normannischen (oder noch älteren) Anlage, was aber unbegründbar ist, auch wenn die Mauerschalen sonst aus Bruchstein sind. Der runde Hauptturm an der exponierten Nordwestecke (Abb. 150) enthält in drei Geschossen achteckige Räume, die mit gerippten Sterngewölben überdeckt sind; die Behauptung Carusos, die beiden oberen seien durch Balkendecken unterteilt gewesen, beruht auf der Fehlinterpretation von Balkenlöchern für die Gewölbeschalung. Es gibt zwei originale Einstiege, der untere – rundbogig in Stichbogenblende, die Blende entspricht den Fenstern im Wohnbau – liegt etwa 1,50 m über dem Hof; der obere mit Konsolsturz führt ins zweite Obergeschoss. Inschriften auf den Stürzen des Einstiegs und einiger Fenster sind heute nicht mehr sicher lesbar. Vor allem das Erdgeschoss des Turmes besitzt rundum hohe Schlitzscharten; weitere Schlitze im oberen Turmteil dürften eher Lichtschlitze sein. Schlitzscharten finden sich auch in den anderen Türmen, etwa das Tor flankierend, und
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vor allem in der nördlichen und östlichen Ringmauer in sehr hoher Form und mit erweitertem Fuß. Derartige Scharten sind in Sizilien sehr selten, aber Melfi und Lucera bieten angevinische Vergleichsbeispiele. Neben dem Turm in der Nordseite liegt eine originale Nebenpforte. Die beiden quadratischen Türme der Stadtseite springen vor die Enden des Hauptflügels vor und sind intern mit ihm verbunden. Auch sie zeigen in den durch Mauertreppen verbundenen Geschossen Kreuzrippengewölbe. In den oberen Geschossen bestätigen Aborte die Bewohnbarkeit; die größeren Fenster mit Konsolsturz, die oft Lichtschlitze ersetzt haben, sind aber in der Regel erst modern. Der Hauptflügel ist im Erdgeschoss in drei Räume unterteilt, die mit Spitztonnen über Gurtbögen gewölbt sind bzw. es im Saal ursprünglich waren. Der mittlere, knapp 20 m lange Saal besitzt hofseitig ein modernes Portal, das symmetrisch von spitzbogigen Säulenbiforien in Stichbogenblenden flankiert wird; nur ihre Blenden sind sicher alt, die Gewände aber offenbar neu. Das Obergeschoss des Flügels ist unvollendet; fertiggestellt wurden nur zwei Räume an beiden Enden; der dazwischen fraglos geplante Saal fehlt, nur Verzahnungen für seine Hofwand zeugen von der Planung. Hofseitige Ansätze am Ostende des Hauptflügels, Fenster in der östlichen Ringmauer und offenbar(?) auch ein altes Fenster in der nördlichen Ringmauer zeigen, dass außerdem ein Ostflügel geplant war. Das spitzbogig gestufte Haupttor liegt in der südwestlichen Schmalseite der Burg in einem hofseitigen Risalit; dahinter stand hofseitig ein Torbau, von dem noch Bogenansätze und eine Pforte ins ehemalige Obergeschoss zeugen. Wofür eine Konsole außen schräg über dem Tor dienen sollte, ist unklar. Auch ein Mauerstück aus Bruchstein, das östlich der Burg schräg nach Nordosten zielt, besitzt hohe Schlitzscharten; es dürfte Rest eines Zwingers sein.
Salerno (Campania/Kampanien)
Die ältere Burg über der Hafenstadt Salerno blieb in staufischer Zeit wichtig, wurde daher von Friedrich II. unter die castra exempta eingereiht und 1239 mit 30 Knechten besetzt; Bauarbeiten sind aber in staufischer Zeit nicht belegt. Offenbar war die Burg aus einem spätestens in byzantinischer Zeit – vielleicht unter dem Feldherrn Narses um 551–568 – errichteten Turm auf dem die Stadt 300 m überragenden Bergsporn entstanden; verbaute Reste in Tuffquadern sind in dem heutigen, bis ins 16. Jh. verstärkten Turm zu erkennen und die in staufischer und angevi-
nischer Zeit übliche Bezeichnung der Burg als turris maior bestätigt die prägende Rolle dieses Baues. Unter dem langobardischen Herzog Arichis II. (ital. Arechi, um 734–787), der sich meist in Salerno aufhielt, wurden offenbar die Stadtmauern begonnen, die als Schenkelmauern an den Turm anschlossen und noch heute als Außenmauern die Form der Burg prägen. Noch vor 1200 entstanden dann beidseitig des Hauptturmes zwei weitere Rechtecktürme, die in der um 1195/97 verfassten liber ad honorem Augusti (fol. 111r) als Teil einer emblematischen Dreiturmgruppe dargestellt und dort insgesamt als turris maior bezeichnet sind; die Sockel beider Türme sind im Baubestand noch erkennbar. Auch in angevinischer Zeit blieb die Burg wichtig, wie mehrere Notizen zur Besatzungsstärke in den Jahren 1269–82 belegen. Der gegenwärtige Zustand der in den letzten Jahren restaurierten, heute museal genutzten Anlage geht jedoch auf weitgehende Umbauten zurück, die bis ins 15./16. Jh. reichten; wegen des Bruchsteinmauerwerks und der Zerstörung vieler Teile ist die genaue Entwicklung der Anlage aber kaum zuverlässig zu klären.
San Miniato al Tedesco (Toscana/Toskana)
Die Ursprünge der Siedlung auf den Hügeln von San Miniato al Tedesco, die die wichtige Kreuzung der Pilgerstraße „Via Francigena“ mit einer Straße auf dem Südufer des Arno kontrollierte, lagen wohl im 8. Jh. Im 10. Jh. wurde der Platz als „castellum“ bezeichnet, Otto I. soll ihn 962 befestigt haben. Im 11. Jh. war San Miniato Sitz eines Gerichts, Friedrich I. besuchte den Ort 1178 und 1185; Friedrich II. verlieh auch der herangewachsenen Stadt zahlreiche Privilegien und erhob sie zum Sitz des kaiserlichen Vikars der Toskana, der den dortigen Reichsbesitz verwaltete. Die Burg von San Miniato stand auf der höchsten Erhebung des Ortes mit weitem Blick ins Arnotal; die Stadt nimmt die anschließenden schmalen Bergkämme ein, meist mit Bebauung nur entlang einer einzigen Straße. Von der mittelalterlichen Bausubstanz der Burg ist spätestens nach den Zerstörungen durch deutsche Truppen 1944 nichts mehr erhalten. Zuvor stand in der Westspitze einer bereits weitgehend verschwundenen Ringmauer ein hoher quadratischer Turm aus Backstein, der schon einige Schäden aufwies. Er wurde von einer Konstruktion aus vier gemauerten Rundstützen bekrönt, die zweifellos Glocken trug; die Form entspricht sehr weitgehend
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den nahen Kommunalpalästen von Florenz und Siena. Der Turm, der dann 1958 in alter Form neu errichtet wurde, dürfte daher frühestens um 1300 als Symbol der Kommune von San Miniato entstanden sein; er hatte mit Friedrich II. nichts mehr zu tun. Auch die meist ebenfalls in Backstein aufgeführte Bausubstanz im Bereich des am Berghang liegenden Domplatzes mit dem „palazzo dei Vicari“, darunter auch mindestens zwei weitere Türme, markiert zwar sicherlich einen früh befestigten Außenbereich der Gipfelburg, dürfte aber ebenfalls, den Dom selbst ausgenommen, kaum vor das 14. Jh. zurückgehen.
Scaletta (Sicilia/Sizilien)
Ob Friedrich II. um 1220, also direkt nach seiner Rückkehr aus Deutschland, Matteo Selvaggio als Burgherrn von Scaletta bestätigt hat, ist offenbar ungesichert. Jedenfalls aber saß dieser 1239 auf der Burg, als der Kaiser brief-
Abb. 196 Termoli, Querschnitt Nordwest-Südost.
lich befahl, ihm Zahlungen zukommen zu lassen; ein Jahr später gehörte Scaletta zu den castra exempta. Unter den Anjou war die Burg 1274 von einem scutifer („Schildträger“ bzw. Adeliger) und sechs Knechten besetzt, 1281 nur noch mit vier Knechten. 1282 flüchteten sich während der „Sizilianischen Vesper“ französische Kämpfer auf die Burg. 1325 wurde sie verlehnt und blieb auch später stets Adelsbesitz. Die Burg beherrscht auf hoher Felsnase die Küstenstraße zwischen Messina und Catania. Ältester Teil ist ein unregelmäßig sechseckiger Wohnturm aus Kalksteinbruchstein, aber mit Eckquaderung, auf der höchsten Felsspitze; seine Innenräume sind heute durchweg verputzt. Man betritt das kaum belichtete, vierräumige Erdgeschoss, das heute teils moderne Holzdecken besitzt, durch ein Spitzbogentor im Nordwesten. Das auch früher nur über hölzerne Innentreppen erreichbare Hauptgeschoss öffnet sich südöstlich, meerseitig in zwei Biforien mit gedrehten Säulchen; Spuren zweier ähnlicher, aber vermauerter Fenster sieht man in der Südwestwand und einen vermauerten älteren Hocheinstieg in der Nordwestseite. Die Tonnenwölbungen über drei Räumen des Hauptgeschosses und das Kreuzgratgewölbe über dem deutlich niedrigeren vierten entstanden vermutlich nicht vor dem 16. Jh. Ein zweites Obergeschoss existierte wohl nur in Form von zwei kleineren Räumen im Südosten, wo drei Fenster mit Konsolsturz erhalten sind. Ob der unter dem modernen Putz nur noch ahnbare ursprüngliche Baubestand noch in die Zeit Friedrichs II. zurückgeht – wie Agnello annahm – oder ob er doch erst im späten 13. oder 14. Jh. entstand, bleibt aufgrund der wenigen datierbaren Details unklar; die Formen erinnern an die nahe Burg Paternò, die gleichfalls lange für romanisch gehalten wurde, aber mit einiger Sicherheit erst nach 1300 entstand. Die Burg Scaletta wurde im 16./17. Jh. wegen ihrer die Küstenstraße beherrschenden Lage für den Einsatz von Artillerie ausgebaut. Damals erneuerte man mindestens die Treppe zur Plattform und im Erdgeschoss wurden zwei Kanonenscharten gegen Südwesten und Nordosten eingebrochen. Aus dieser Spätzeit stammen auch umfangreiche Vorwerke an der nordwestlichen Bergseite und im Süden, deren durch Flankierung geprägte Grundrissformen ihre späte Entstehungszeit verdeutlichen; dass sie mittelalterliche Teile integrieren, ist aber denkbar. Vor allem wird man dies von einer großen Plattform im Süden vermuten, von der die Treppe zum Wohnturm aufsteigt;
276 | 5. DIE BAUTEN
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sie dürfte Nachfolger der Vorburg sein. Im 17. Jh. entstand unterhalb der Burg auch ein Fort direkt über der Küstenstraße.
Targia (Sicilia/Sizilien)
Wo ein palati[um] nostr[um] quod est in Chindia prope Syracusiam gelegen hat, das Friedrich II. in einem Brief vom 21. 3. 1 240 erwähnte, ist ungeklärt. Die Überlegung Agnellos, es mit einem erhaltenen Bau im nordwestlichen Ortsteil Targia von Syrakus zu identifizieren, wird durch dessen Merkmale eindeutig widerlegt. Es handelt sich um ein kleines Kastell mit runden Ecktürmen aus Quaderwerk, die bereits rechteckige Kanonenscharten und eine Brustwehr über Kielbogenfries zeigen; sie gehen nicht vor das späte 15. Jh. zurück. Die Flügel wurden im 19. Jh. weitgehend erneuert.
Termoli (Molise; Abb. 196)
Das mittelalterliche Städtchen Termoli liegt auf einer felsig erhöhten Halbinsel, die nördlich des Monte Gargano ins Adriatische Meer vorspringt. Der kleine Stadtkern – seine Achsen betragen nur 200 und 150 m – ist bis heute von Mauern umgeben, die aber fast vollständig erneuert oder in Häusern verbaut sind; an der südlichen Angriffsseite sind zudem Reste eines Torzwingers mit Eckturm erhalten. An der Südwestecke der Stadt steht ein gut erhaltener quadratischer Turm, der auf einen breiteren Schrägsockel mit runden Ecktürmchen und Plattform aufgesetzt ist; leider ist das Innere der Anlage als meteorologische Station der „Aeronautica Militare“ nicht öffentlich zugänglich. Dass zumindest Teile dieser Anlage als Bau Friedrichs II. gelten, geht auf eine Inschrift zurück, die sich früher dort befunden haben soll: Federicus Dei gratia Roman. imp. Rex Ierusalem et Sicil. fieri fecit An. Dom. Incar. MCCXLVII. Imp. XXVI Regni Ierus. XII Sicil. XLI Friedrich, von Gottes Gnaden Kaiser der Römer, König von Jerusalem und Sizilien, ließ dies machen im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1247, im 26. Jahr als Kaiser, 12. Jahr als König von Jerusalem und 41. Jahr als König von Sizilien Wirkt dieser Text als solcher durchaus glaubwürdig – verglichen etwa mit der Inschrift in Foggia –, so bleibt unklar,
auf welchen Bau bzw. Bauzustand sich die Inschrift bezog. Die bis heute meistzitierte Deutung geht auf Haseloff zurück, der Termoli als eine Art verkleinerte Variante von Lucera interpretierte und den Bau daher in seiner Gänze für staufisch hielt; dagegen sprechen jedoch gewichtige Argumente. Schon der Vergleich des viel größeren, räumlich komplexen und formal anspruchsvollen Vierflügelbaues von Lucera mit dem schlichten Turm in Termoli kann keineswegs überzeugen. Hinzu kommt, dass der außen schräg abfallende Wehrgang mit seinen zahlreichen Schlitzscharten, der in Lucera den Fuß des staufischen Baues umgibt, erst in angevinischer Zeit ab 1273 hinzugefügt wurde. Der Schrägsockel von Termoli, ehemals stadtseitig von Gräben geschützt, erscheint im Vergleich damit aufgrund seines kleinteiligen Bruchsteinmauerwerks, der zweigeschossigen gewölbten Wehrgänge, kurzen Schlitzscharten und vor allem der Ecktürmchen nochmals deutlich jünger. Er enthielt auch, bisher unbeachtet, als ursprünglichen Zugang eine hoch liegende, später vermauerte Pforte, über der zwei Schlitze von ehemaligen Schwungruten zeugen; die heutige, tiefer liegende Pforte ist modern. Der Schrägsockel ist nach alledem kaum vor dem 14./15. Jh. entstanden. Der eigentliche Turm misst im Grundriss rund 10 x 10 m und besitzt vier Stockwerke; das Mauerwerk unterscheidet sich nicht von dem des Sockels. Das unterste Geschoss, vom oberen Wehrgang des Sockels umgeben, war eine tonnengewölbte Zisterne. Die drei Geschosse darüber enthalten bei etwas dünneren Außenmauern jeweils zwei gleich große, ebenfalls tonnengewölbte Räume beiderseits einer Mittelwand, von denen zumindest die beiden oberen aufgrund ihrer Fenster mit Seitensitzen bewohnbar waren. Die Wehrplatte zeigt noch dicht gereihte, dreifache Kragsteine von Maschikuli. Entwicklung und Datierung des Turms von Termoli sind wegen des schwer differenzierbaren Bruchsteinmauerwerks und vieler Veränderungen der Öffnungen und anderer Details durchaus unklar. Die örtliche Forschung erklärt heute den unteren Teil des Turmes noch für normannisch, während die drei konzeptionell einheitlichen, jeweils zweiräumigen Obergeschosse als der Bau von 1247 angesprochen werden, auf den die Inschrift verweist. Noch näher liegt aber die Deutung, dass die Inschrift, die ja keine Burg oder ein anderes konkretes Bauwerk anspricht, eher die Stadtbefestigung betraf; die Burg wäre in diesem Falle in ihrer Gänze spätmittelalterlich.
Sonderliste: Bauten, die unbeweisbar oder fälschlich Friedrich II. zugeschrieben wurden
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Karte 2 Übersichtskarte zur Lage der behandelten Burgen: südliches Apulien und Kalabrien
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ç Karte 1 Übersichtskarte zur Lage der behandelten Burgen: Latium, Kampanien, Basilikata und nörd-
liches Apulien.
ê Karte 3 Übersichtskarte zur Lage der behandelten Burgen: Sizilien.
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LITERATUR Die im Folgenden genannten Bücher und Aufsätze stellen eine Auswahl dar. Kriterium war dabei die Wissenschaftlichkeit, das heißt insbesondere die Nennung von Quellen für die historischen Daten und die Überprüfbarkeit von Baubeschreibungen vor Ort. Kurze, den Forschungsstand zu einzelnen Bauten zusammenfassende Beiträge in größeren Sammelwerken werden in der Regel nicht separat angeführt, nur die Sammelwerke als solche (in Abschnitt 3); das gilt insbesondere für die zwischen 1978 und 1995 erschienenen italienischen Werke, die in der Regel den Haupttitel „Federico II …“ tragen. Touristische Kurzdarstellungen bzw. Führer werden nur ausnahmsweise genannt, vor allem, wenn sie neuere Erkenntnisse enthalten, die an anderer Stelle noch nicht publiziert wurden.
QUELLEN (CHRONOLOGISCH NACH ERSCHEINUNGSDATUM) Carcani, Cajetanus (Hg.): Constitutiones regum regni utriusque Siciliae mandante Friderico II Imperatore per Petrum de Vinea Capuanum Praetorio Praefectum et Cancellarium … et Fragmentum quod superest Regesto eiusdem Imperatoris Ann. 1239 et 1240, Neapel 1786 Historia diplomatica Friderici II sive constitutiones, privilegia, mandata, instrumenta quae supersunt istius imperatoris et filiorum eius, Vol. 1–6, Hg. Jean Louis Alphonse Huillard-Bréholles, Paris 1852–61 (Nachdruck Turin 1963) Richard von San Germano: Ryccardi de Sancto Germano notarii chronica, MGH SS XIX, 1866, S. 321–386 Nicolaus de Jamsilla, Historia de rebus gestis Friderici II imperatoris eiusque filiorum Conradi et Manfredi (Cronisti e scrittori sincroni Napoletani), Bd. 2, hg. von G. Del Re, Napoli 1868, dort u. d. T. „Ad historiam N. Jamsillae anonymi supplementum“ Weiland, Ludwig: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum inde ab a. MCXCVIII usque a. MCCLXXII (1198– 1272), Hannover 1896 Kölzer, Theo, Marlis Stähli (Hg.), Gereon Becht-Jördens (Textrevision u. Übersetzung): Petrus de Ebulo, Liber ad honorem
Augusti sive de rebus Siculis (Codex 120 II d. Burgerbibliothek Bern), eine Bilderchronik der Stauferzeit, Sigmaringen 1994 Stürner, Wolfgang: Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, Hannover 1996 Die Urkunden Friedrichs II., bearb. v. Walter Koch unter Mitwirkung v. Klaus Höflinger u. Joachim Spiegel u. unter Verwendung v. Vorarbeiten v. Charlotte Schroth-Köhler (= Monumenta Germaniae Historica Diplomata, Band 14,1), Hannover 2002–10; Wiesbaden 2014–18: 1: Die Urkunden Friedrichs II. 1198–1212 (2002); 2. Die Urkunden … 1212–1217 (2007); 3. Die Urkunden … 1218–1220 (2010); 4. Die Urkunden … 1220–1222 (2014); 5. Die Urkunden 1222–1226 (Wiesbaden 2018) Il Registro della cancelleria di Federico II del 1239–1240 (= Fonti per la storia dell‘Italia medievale, Antiquitates, Bd. 19), hg. von Cristina Carbonetti Vendittelli, 2 Bde., Roma 2002
Kunst, Geschichtl. Reihe); Ausgabe KlettCotta, Stuttgart: 5. Aufl. 2019 Larner, John: Italy in the age of Dante and Petrarch, 1216–1380 (Longman History of Italy), London/New York 1980 Lerner, Robert E.: Ernst Kantorowicz, eine Biographie (Ernst Kantorowicz: A Life, dt.), Stuttgart 2020 Rill, Bernd: Sizilien im Mittelalter, das Reich der Araber, Normannen und Staufer, Darmstadt 1995 Stürner, Wolfgang: Friedrich II., 2 Teile, Darmstadt 1992–2000 (Sonderausgabe 2009) Stupor Mundi – zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen, hg. v. Gunther Wolf (Wege der Forschung, Band CI), Darmstadt 1966, 2. Aufl. 1982 Winkelmann, Eduard: Kaiser Friedrich II, 2 Bde. (Jahrbücher d. deutschen Geschichte, Bd. 20, 1 u. 2), Leipzig 1889–97 (Nachdruck 1967)
HISTORISCHE LITERATUR
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Abulafia, David: Herrscher zwischen den Kulturen, Friedrich II. von Hohenstaufen, Berlin 1991 (Frederick II, a medieval emperor, London u. a. 1988, deutsch) Curtis van Cleve, Thomas: Frederick II. of Hohenstaufen – Immutator Mundi, Oxford 1972 Federico II – Enciclopedia fridericiana, hg. v. Massimo Bray, 3 Bde., Roma 2005–2008 Grünewald, Eckhart: Ernst Kantorowicz und Stefan George, Beiträge z. Biographie d. Historikers bis z. Jahre 1938 u. seinem Jugendwerk „Kaiser Friedrich der Zweite“ (Frankfurter historische Abhandlungen, Bd. 25), Wiesbaden 1982 Houben, Hubert: Kaiser Friedrich II. (1194–1250) – Herrscher, Mensch und Mythos (Kohlhammer Urban-Taschenbücher, Bd. 618), Stuttgart 2008 ders.: Domus: http://www.treccani.it/ enciclopedia/domus_%28Federiciana%29/ (Abruf 2.10.2019) Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927; Ergänzungsband Quellen und Nachweise, Berlin 1931 (Werke d. Wissenschaft aus d. Kreise d. Blätter f. d.
ÜBERGREIFENDE LITERATUR ZU DEN BAUTEN
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Federico e la Sicilia, dalla terra a la corona – archeologia e architettura, hg. v. Carmela Angela Di Stefano u. Antonio Cadei, Begleitband z. Ausstellung Palermo 1994/95, Palermo 1995, S. 560– 581 Federico II e l´arte del duecento italiano, Atti della III settimana di studi di storia dell´arte medievale dell´Università di Roma (1978), a cura di A. M. Romanini, 2 Bde., Lecce 1980 (Università degli Studi di Roma, Cattedra di Storia dell´Arte Medievale) Federico II e l´Italia, percorsi, luoghi, segni e strumenti, Ausstellungskatalog Rom 1995/96, Roma (1995) Federico II, immagine e potere, hg. von Maria Stella Calò Mariani u. Raffaella Cassano, Venezia 1995 Federico II „Puer Apuliae“, Storia, arte, cultura, Atti del Convegno Internazionale di studio in occasione dell´ VIII centenario della nascità die Federico II, Lucera, 29. marzo – 2 aprile 1995, Galatina 2001 Gangemi, Francesco: Die Kastelle als Regierungsinstrument im Königreich Sizilien, in: Staufer, Die, und Italien, Bd. I, S. 189–199 Hahn, Hanno, Albert Renger-Patzsch (Fotos): Hohenstaufenburgen in Süditalien, Ingelheim a. Rh. 1961 Herzner, Volker, Jürgen Krüger (Hg.): Burg und Kirche zur Stauferzeit (Akten der 1. Landauer Staufertagung), Regensburg 2001 Hotz, Walter: Pfalzen und Burgen der Stauferzeit, Darmstadt 1981 Houben, Hubert: Der deutsche Beitrag zur interdisziplinären Erforschung der Kastelle Friedrichs II. von Hohenstaufen und Karls I. von Anjou, in: Kunst im Reich, Bd. 2, S. 33–49 Kaiser Friedrich II. (1194–1250), Welt und Kultur des Mittelmeerraumes, Begleitband z. Sonderausstellung im Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg, hg. von Mamoun Fansa, Karin Ermete, Mainz 2007 Kappel, Kai: Buckelquader an Sakralbauten Süditaliens – Symbol staufischer Herrschaft? in: Rücksicht, Festschrift für Hans-Jürgen Imiela zum 5. Februar 1997, Mainz 1997, S. 43–57
Kemper, Dorothee: Hofkunst jenseits des Hofes? Zur Adaption stauferzeitlicher Formelemente im Umfeld der friderizianischen Bautätigkeit, in: Kunst im Reich, Bd. 1, S. 152–161 Knaak, Alexander: Der Buckelquader im Mittelalter, Überlegungen zu seiner Verwendung an deutschen und italienischen Bauwerken der Stauferzeit, in: Kunst im Reich, Bd. 2, S. 211–218 ders.: Bemerkungen zur Forschungsgeschichte, friderizianische Architektur betreffend, in: Herzner/Krüger, Burg und Kirche, S. 193–204 ders.: Prolegomena zu einem Corpuswerk der Architektur Friedrichs II. von Hohenstaufen im Königreich Sizilien (1220–1250), (Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte, Bd. 16) Marburg 2001 Kunst im Reich Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen, Akten d. (2.) Internationalen Kolloquiums zu Kunst und Geschichte der Stauferzeit (Rhein. Landesmuseum Bonn … 1994 bzw. 1995), hg. v. Kai Kappel, Dorothee Kemper und Alexander Knaak bzw. (Bd. 2) v. Alexander Knaak, 2 Bde., München/Berlin 1996, 1997 Leistikow, Dankwart: Castra et domus, Burgen und Schlösser Friedrichs II. im Königreich Sizilien, in: Kunst im Reich, Bd. 1, S. 21–34 Licinio, Raffaele: Castelli medievali, Puglia e Basilicata: dai Normanni a Federico II e Carlo I D´Angiò, Bari 1994 Maurici, Ferdinando: Federico II e la Sicilia, i castelli dell´Imperatore (Collana Universitates saggi storia arte folklore), Catania 1997 ders., Castelli federiciani in Sicilia, Introduzione die Giuseppe Quatriglio, Palermo 2014 Natella, Pasquale, Paolo Peduto: Rocca Ianula, Lucera, Castel del Monte, un problema occidentale, in: Palladio, n. s. XXII, 1972, S. 33–48 Occhinegro, Ubaldo: Il progetto e la costruzione dei castelli a pianta regolare nel „Regnum Siciliae“ di Federico II di Svevia, in: I Beni Culturali: tutela, valorizzazione, architettura contemporanea e bioarchitettura, Nr. 4–5, 2012, S. 1–12 Pistilli, Pio Francesco: Castelli normanni e svevi in Terra di Lavoro, insediamenti
LITERATUR
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LITERATUR
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161 (unten) | Francesco Raciti: 5 | Gerhard Huber: 105 | Gianfranco de Benedittis, Carlo Ebanista, Il castello di Roccamandolfi, Rocamandolfi 2007: 4 | Giuseppe Agnello, Architettura …, 1935: 116, 187, 188, 193 (unten) | google maps: 181 | Grisotti, Barletta, 1995: 164 | Großer Historischer Weltatlas, II, 1979: 10 | Haseloff 1920, Textband: 196 | Il castello dell´Imperatore, 1975: 195 | Il castello svevo di Trani, 1990: 66 | Joe Rohrer, bildebene.ch: 2, 49, 121 | Künker Münzauktionen: 6 | Levita, Melfi, 2008: 177 (unten) | M. Lo Curzio, Castel Maniace a Siracusa, Quaderni PAU 1995: 115, 133, 193 (oben), 194 | Martorano, Vibo Valentia, 1995: 182 | Meckseper, Ztschr. f. Kunstgeschichte, 33, 1970: 47 | Megaw, Saranda Kolones, Report of the Department of Antiquities, Cyprus, 1982: 29 (rechts) | J. Mesqui, Châteaux et enceintes de la France médiévale, I: 149 | Mondi medievali, glossario ragionate delle opere di fortificazione:
191 | Museo Castello della Lombardia: 186 | Museo Civico Castello Ursino: 190 | Museo del Castello Maniace: 122 | N. Tomaiuoli, in: Storia di Manfredonia I, 2008: 145 | Neumann, Domus Lagopesole, 2014: 178 | Nils G. Wollin, Desprez en Italie, dessins topographiques et d’architecture ... (1935): 160 | Pio Francesco Pistilli, 2003: 26 (rechts), 57, 151–153, 155–157, 173, 175, 192 | Plan vor Ort: 185 | robometrics: 174 | Saliani, Sannicandro, 1996: 170 | Salvo Lentini: 85 | Schirmer, Castel del Monte, 2000: 60, 131, 166, 167 | sicilyontour: 183 | Thomas Biller, Foto: 3, 8, 9, 12, 13, 15–17 (rechts), 18, 21–26 (links), 30 (links), 31, 32, 34, 35, 37, 39, 44, 45, 50–52, 54, 55, 56, 58, 59, 61, 62–65, 67–89, 91–104, 106– 114, 117–120, 123–125, 127–130, 132, 134–144, 146–148, 150, 162, 163 | Thomas Biller, Zeichnung: 27, 29 (links), 33, 35, 38, 40–43, 53, 154, 179, 184 | Warrington, Andrew: 1 | Willemsen 1968: 48, 159, 161 (oben)
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Wissen verbindet uns Die wbg ist ein Verein zur Förderung von Wissenschaft und Bildung. Mit 85.000 Mitgliedern sind wir die größte geisteswissenschaftliche Gemeinschaft in Deutschland. Wir bieten Entdeckungsreisen in die Welt des Wissens und ein Forum für Diskussionen. Unser Fokus ist nicht kommerziell, Gewinne werden reinvestiert. Wir wollen Themen sichtbar machen, die Wissenschaft und Gesellschaft bereichern. In unseren Verlags-Labels erscheinen jährlich rund 120 Publikationen, darunter viele Werke, die ansonsten auf dem Buchmarkt nicht möglich wären. Wir bieten außerdem Zeitschriften, Podcasts und die wbg-KulturCard. Seit 2019 vergeben wir den mit € 60.000 höchstdotierten deutschsprachigen WISSEN!-Sachbuchpreis. Vereinsmitglieder fördern unsere Arbeit und genießen gleichzeitig viele Preis- und Kulturvorteile. Werden auch Sie wbg-Mitglied. Zur Begrüßung schenken wir Ihnen ein wbg-Buch Ihrer Wahl bis € 25,– Mehr Infos unter wbg-wissenverbindet.de oder rufen Sie uns an unter 06151 3308 330
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Ein Ausnahmephänomen mittelalterlicher Architektur Die qualitätvollen Burgen, die Kaiser Friedrich II. in Süditalien und Sizilien erbauen ließ, wurden – weil sein Vater Staufer war – lange als Ausdruck deutscher ‚Größe‘ verstanden. Die meiste Zeit verbrachte der Kaiser jedoch in Italien und war dort von einer Kultur umgeben, die sich aus arabischen, byzantinischen und norman-
Dr. phil. Dr.-Ing. Thomas Biller ist Architektur- und Kunsthistoriker und Inhaber eines Büros für Baugeschichte und Bauforschung in Freiburg im Breisgau. Er ist einer der profiliertesten Burgenforscher Deutschlands und verfasste zahlreiche Publikationen zur Architekturgeschichte.
Umschlagmotive: Friedrich II. in De arte venandi cum avibus, Vatikan. Apostol. Bibl., Cod. Pal. Lat. 1071; Castel del Monte © Thomas Biller; Syrakus, Castel Maniace, Rekonstruktion des Innenraums © Joe Rohrer, bildebene.ch Umschlaggestaltung: Jutta Schneider
nischen Einflüssen speiste. Aus dieser Kultur sind die Stauferburgen Süditaliens entstanden, die zu den wichtigsten mittelalterlichen Herrschaftsbauten Europas zählen: Catania, Syrakus und das legendäre Castel del Monte. Mit vielen Plänen und Abbildungen gibt der renommierte Burgenforscher Thomas Biller einen neuen Überblick aller italienischen Burgen Friedrichs II.
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4309-3
Biller · Die Burgen Kaiser Friedrichs II. in Süditalien
Thomas Biller
Die Burgen Kaiser Friedrichs II. in Süditalien Höhepunkt staufischer Herrschaftsarchitektur
Im deutschen Geschichtsgedächtnis gilt die Stauferzeit und besonders die Regentschaft Friedrichs II. als Höhepunkt des mittelalterlichen Kaiserreichs. Die süditalienischen Burgen des Kaisers fanden lange besondere Beachtung bei deutschen Forschern, weil sie von einem Staufer erbaut worden sind. Vernachlässigt wurde dabei, dass Friedrich II., als Sohn einer normannischen Mutter in Sizilien geboren, den weit größeren Teil seines Lebens in Italien verbrachte. Erst in jüngerer Zeit ermöglichten neue Betrachtungen der Person des Kaisers, verbunden mit Fortschritten der internationalen Burgenforschung, ein differenzierteres Verständnis der friderizianischen ‚Kastelle‘. Ihre Architektur wird heute als Verschmelzung kultureller Einflüsse gedeutet, die so nur im mediterranen Raum möglich war.