Die Bonner Republik 1945-1963 - Die Gründungsphase und die Adenauer-Ära: Geschichte - Forschung - Diskurs 9783839442180

The Bonn Republic: This book reflects on the sustainability of the public memory about the formation period of the F.R.G

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German Pages 408 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Konzepte und Dimensionen des Forschungsschwerpunkts Bonner Republik in Düsseldorf
Zur Konzeption des Forschungsschwerpunkts. Bonner Republik im Kontext von Wissenschaft und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert
Nachkriege im Zeichen der Demokratie
Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen. Ein Versprechen auf dem Weg zu den Zentenarien von Bauhaus und Weimarer Republik
Forschungsperspektiven
Christliches Abendland am Rhein – ein politisches Denkmodell der frühen Bonner Republik. Ein Essay
Auferstanden aus Ruinen? Rückwärtsgewandtheit am literarischen Neubeginn nach 1945
Neue Gärten braucht das Land. ‚Entnazifizierung‘ und ‚Amerikanisierung’ der Gartenkunst im Rheinland
Nachkriegsbilder. Die Einsamkeit des Rudolf Schwarz
Wie allgemein kann man trauern? Plastische Bilder der Erinnerung in der frühen Nachkriegszeit und ihre Voraussetzungen
Kennwort: „Askarispende“. Koloniale Kontinuitäten der Ära Adenauer und darüber hinaus
Chaos, Kontinuität und Aufbruch. Avantgarde und Moderne in Museen und Ausstellungen an Rhein und Ruhr in der Mitte des 20. Jahrhunderts
Rheinische Künstler zwischen Demokratie und Markt in den 1960er Jahren
Autorinnen und Autoren
Namensregister
Ortsregister
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Die Bonner Republik 1945-1963 - Die Gründungsphase und die Adenauer-Ära: Geschichte - Forschung - Diskurs
 9783839442180

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Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener (Hg.) Die Bonner Republik 1945–1963 – Die Gründungsphase und die Adenauer-Ära

Histoire  | Band 131

Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener (Hg.)

Die Bonner Republik 1945–1963 – Die Gründungsphase und die Adenauer-Ära Geschichte – Forschung – Diskurs

Publiziert mit Unterstützung der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e.V., dem Landschaftsverband Rheinland, der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dem Kreis der Freunde des Instituts für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Dieser Band erscheint als Gabe des Arbeitskreises zur Erforschung der »Moderne im Rheinland« e.V.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bundeshaus, Bonn, 6. Mai 1961 @Bundesarchiv, B 145, Bild-F010479-0006 / CC-BY-SA 3.0 Satz: Hannah Schiefer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4218-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4218-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@ transcript-verlag.de

Inhalt

Vorwort  Gertrude Cepl-K aufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener  | 7

Konzepte und Dimensionen des Forschungsschwerpunkts Bonner Republik in Düsseldorf Zur Konzeption des Forschungsschwerpunkts. Bonner Republik im Kontext von Wissenschaft und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert Gertrude Cepl-K aufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener  | 11

Nachkriege im Zeichen der Demokratie Gertrude Cepl-K aufmann | 29

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen. Ein Versprechen auf dem Weg zu den Zentenarien von Bauhaus und Weimarer Republik Thomas Schleper | 57

Forschungsperspektiven Christliches Abendland am Rhein – ein politisches Denkmodell der frühen Bonner Republik. Ein Essay Georg Mölich  | 85

Auferstanden aus Ruinen? Rückwärtsgewandtheit am literarischen Neubeginn nach 1945 Volker C. Dörr | 97

Neue Gärten braucht das Land. ‚Entnazifizierung‘ und ‚Amerikanisierung’ der Gartenkunst im Rheinland Christof Baier | 133

Nachkriegsbilder. Die Einsamkeit des Rudolf Schwarz Jürgen Wiener | 179

Wie allgemein kann man trauern? Plastische Bilder der Erinnerung in der frühen Nachkriegszeit und ihre Voraussetzungen Hans Körner | 225

Kennwort: „Askarispende“. Koloniale Kontinuitäten der Ära Adenauer und darüber hinaus Stefanie Michels | 265

Chaos, Kontinuität und Aufbruch. Avantgarde und Moderne in Museen und Ausstellungen an Rhein und Ruhr in der Mitte des 20. Jahrhunderts Ulrike Laufer | 305

Rheinische Künstler zwischen Demokratie und Markt in den 1960er Jahren Michael Cornelius Zepter | 331

Autorinnen und Autoren | 385 Namensregister | 391 Ortsregister | 403

Vorwort Als abgeschlossener Zeitraum ist die Bonner Republik sowohl in das regionale als auch das politisch-nationale Gedächtnis als Zeit des Wiederaufbaus und beginnender Prosperität eingegangen. Nicht zuletzt die Vorstellung einer spezifisch rheinischen Disposition und daraus resultierender positiver Einflüsse auf die Identitätsbildung der Bundesrepublik sind Teil dieses Bildes. Die hier vorgelegten Beiträge stellen Forschungsperspektiven verschiedener Disziplinen zu der Frühphase der Bonner Republik vor: Von den Vergleichsebenen zwischen früheren Demokratiebewegungen, der Frage nach der ‚Stunde Null‘, über die literarischen Anknüpfungspunkte, künstlerischen Aufbrüche, Gartenkonzepte in den Bombenlandschaften, Umgang mit einer Trauerkultur bis hin zum Umgang mit dem kolonialen Erbe versammeln die Beiträge exemplarische Zugriffe auf das Forschungsfeld Bonner Republik aus den Literatur-, Geschichts-, Kunst- und Sozialwissenschaften. Die Grundlage des Bandes stellen die Vorträge einer Ringvorlesung der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in Kooperation mit dem dortigen An-Institut „Moderne im Rheinland“, der Stadt Düsseldorf im Wintersemester 2016/17 sowie ein Workshop des Arbeitskreises zur Erforschung der „Moderne im Rheinland“ e.V. im Mai 2016 dar. Zielebene der Aktivitäten ist die Intensivierung der Forschungslandschaft zum Thema mit interdisziplinärem Zugriff aus Düsseldorf und aus der Region heraus sowie die Etablierung eines Forschungsschwerpunkts an der Heinrich-Heine-Universität. Für die Bereitschaft, am Thema mitzuarbeiten, möchten wir uns sehr herzlich bei den AutorInnen bedanken. Die Unterstützung durch Förderer macht diese Aktivitäten inklusive der Publikation erst möglich. Unser Dank gilt der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e.V., dem Landschaftsverband Rheinland, der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dem Kreis der Freunde des Instituts für Kunstgeschichte der Hein-

rich-Heine-Universität Düsseldorf für die Förderung, die die Publikation ermöglichten. Unser Dank gilt darüber hinaus den Kooperationspartnern der Ringvorlesung: der Stadt Düsseldorf, dem Forum Freies Theater Düsseldorf, dem Goethe Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, dem Haus der Universität, dem K 20, der Stiftung Schloss und Park Benrath, der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf und den Stadtbüchereien Düsseldorf.

Die Herausgeber, im März 2018

Konzepte und Dimensionen des Forschungsschwerpunkts Bonner Republik in Düsseldorf

Zur Konzeption des Forschungsschwerpunkts Bonner Republik im Kontext von Wissenschaft und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener

Mit der hier vorgelegten Verschriftlichung eines Workshops im Sommersemester 2016 sowie einer Ringvorlesung im Wintersemester 2016/17, an denen als kooperierende Institutionen die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, das An-Institut „Moderne im Rheinland“ mit dem dazugehörigen Arbeitskreis und die Stadt Düsseldorf beteiligt waren, legt die Forschergruppe zur Bonner Republik der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf einen ersten Band vor. Sie stellt sich damit der Öffentlichkeit und präsentiert den zunächst chronologisch strukturierten Zugriff auf das Thema mit einer ersten Zeitklammer – Gründungsphase und Adenauer-Ära. Darüber hinaus präsentiert sie sich, anknüpfend an Wilhelm Voßkamps Aufsatz über Interdisziplinarität in den Geisteswissenschaften im Kontext eines forschenden Nachdenkens über eine gemeinsame Klammer zum Thema und über die mit dem Anspruch auf Interdisziplinarität verbundenen Verständigungsnotwendigkeiten.1 Der vorliegende Beitrag versteht sich als Reflexion über den bisherigen Prozess der Forschergruppe sowie als Positionierung im Hinblick auf mögliche Zielebenen im Kontext eines zeitadäquaten Wissenschaftsbegriffs.

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1. Konstituierungsprozesse – die D üsseldorfer F orschungsgruppe zur B onner R epublik Für das Jahr 2014 stieß der Landschaftsverband Rheinland unter der Federführung von Thomas Schleper ein Verbundprojekt mit dem Titel 1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg an, das den Beginn des Ersten Weltkriegs 100 Jahre zuvor zum Anlass nahm, mit einer Vielzahl an Aktivitäten in den Bereichen Kultur und Wissenschaft auf die „Urkatastrophe des 20.  Jahrhunderts“ aufmerksam zu machen und damit zugleich Fragen nach der Aktualität von Krieg sowie nach Strategien seiner Verhinderung virulent werden zu lassen. Als Beiratsvorsitzende war Gertrude Cepl-Kaufmann von Anfang an eng in die Ausdifferenzierung der inhaltlichen Gestaltungsmerkmale eingebunden. Weitere Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats aus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dem An-Institut „Moderne im Rheinland“ waren die Historiker Gerd Krumeich und Susanne Hilger sowie der Kunsthistoriker Jürgen Wiener. Auf der Basis dieser Kooperation zwischen Kulturpraxis, lokal- und regionalpolitischer Ebene sowie universitärer Wissenschaft in einer Region zu einem Schwerpunktthema entstand gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Ulrich Rosar die Idee, auf die erprobte Forschungskooperation anhand eines neuen und eigenen Themenfeldes, der Bonner Republik, aufzubauen. Auch hierbei ging es um den Ausbau einer regionenspezifischen Forschungskompetenz von Düsseldorf aus sowie um die Einbindung interessierter Akteure in der Stadt. Dementsprechend wurde bereits frühzeitig der Oberbürgermeister Thomas Geisel in die Planungen einbezogen, der beispielsweise für den Vortrag Ulrich Rosars über Die junge Bonner Republik: Eine Demokratie ohne Demokraten im Rahmen der Ringvorlesung den Plenarsaal des Rathauses zur Verfügung stellte. Eine Vielzahl an Institutionen der Stadt waren Veranstaltungsorte und -partner der ersten Ringvorlesung, so z.B. die Stadtbüchereien Düsseldorf, das Goethe Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, das Forum Freies Theater Düsseldorf und die Stiftung Schloss und Park Benrath. Parallel zu diesen Absprachen

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

auf institutioneller und städtischer Ebene konstituierte sich an der Heinrich-Heine-Universität eine Gruppe von Wissenschaftlern, die die Kompetenzen der individuellen Forschungsbiografie in einen neuen, interdisziplinären Forschungsschwerpunkts zur Bonner Republik einbrachten. Dieser Gruppe gehören Ulrich Rosar aus der Sozialwissenschaft, aus dem Forschungsbereich „Moderne im Rheinland“ Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande und Jürgen Wiener, der zugleich im Forschungsschwerpunkt die Kunstgeschichte gemeinsam mit Christof Baier, Hans Körner und Ulli Seegers vertritt, Beate Fieseler, Stefanie Michels und Guido Thiemeyer aus der Geschichtswissenschaft, Volker C. Dörr und Vera Gerling aus der Literaturwissenschaft und Martin Morlok aus der Rechtswissenschaft an. Als Beitrag zum Forschungsdiskurs und als Mittel zur Verständigung über den jeweiligen Fachzugriff wurden drei Ringvorlesungen für die Wintersemester 2016/17, 2017/18 und 2018/19 konzipiert, in denen die Vortragenden anhand ausgewählter fachspezifischer Themen exemplarisch Fachpositionen zur Bonner Republik erörtern und mit den Zuhörern diskutieren. Auf der Ebene des Nachdenkens über ein Forschungsfeld geht es hierbei um den Transfer einer „aggregative Interdisciplinarity“ zu einer „Egalitarian Collaboration“.2 Oder, um den Konstituierungsprozess mit Wilhelm Voßkamp zu beschreiben, so ließe sich sagen, dass die erste Ringvorlesung und auch die mit dem Wintersemester 2017/18 abgeschlossene zweite Ringvorlesung mit dem zeitlichen Schwerpunkt auf die 1960er und 1970er Jahre, im Zeichen der „Orientierung“ und „Einübung“ standen. Mit der gemeinsamen Publikation wird die nach Voßkamp zweite Phase, die „Konstituierungsphase“ eröffnet, in der „eine Verständigung über Grundbegriffe“ bereits erfolgt ist und in der über einen „definitorischen Minimalkonsens die Voraussetzung für einen ersten Gruppenkonsens“ gelegt wurde.3 Als eine Veranstaltungsreihe an öffentlichen Orten im städtischen Raum, mit der die Kompetenzen und Interessen der Bürger in der Stadt aktiviert – sei es in Form von Lebenserinnerungen, sei es in Form von privaten Sammlungen oder anderer Motivationen – und in den Wissenschaftsdiskurs aufgenommen wurden, zielte die Ringvorlesung

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konzeptionell auf eine Verortung in der Region, um von hier aus die Thematik in einem Spannungsfeld von „Diskurs – Forschung – Öffentlichkeit“4 entfalten zu können. Die Intention war also auch, einen ausschließlich universitär basierten Wissenschaftsbegriff aufzubrechen, in der auf Erfahrung im Wissenschaftsalltag beruhenden Überzeugung, dass sich über die Kooperation mit weiteren forschenden Akteuren – Museen, Archiven, Vereinen und ihren institutionellen Trägern wie den Kommunen oder dem Landschaftsverband – mit ihren jeweils eigenen Forschungsbegriffen die Forschungskompetenz einer Region zu einem von und in ihr geprägten Forschungsschwerpunkt optimieren lässt. Die vorgelegte Publikation greift diesen Begriff vernetzter Wissenschaft auf, indem hier Beiträge im Rahmen des Workshops des Arbeitskreises zur Erforschung der „Moderne im Rheinland“ e.V. mit den Beiträgen der Forschergruppe zusammen präsentiert werden. Neben dem interdisziplinären Zugriff geht es daher auch um das Nachdenken über transdisziplinäre Forschungen. Auf der Basis von Thomas S. Kuhns Überlegungen, nach denen die Erkenntnis- und Vermittlungsdimension von Wissenschaft ein Gruppenprozess ist, 5 und anknüpfend an aktuelle Perspektiven wie etwa die Profilierung der Heinrich-Heine-Universität als Bürgeruniversität6 oder wie die Konzeption von Forschungsförderungsformaten auf Stifterseite,7 verstehen wir den Impuls zur Forschungsgruppe Bonner Republik als Beitrag zum Nachdenken über aktuelle Herausforderungen der Wissenschaft. Teil dieser Überlegungen betreffen auch Fragen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, dessen Nivellierung im Zuge einer Öffnung entgegengewirkt werden muss, z.B. durch die Benennung und Darstellung der jeweiligen individuellen, aber eben auch institutionell geprägten Zugriffe und Sinnebenen.8 Im Vordergrund steht also eine Ausdifferenzierung der Profile, die darüber hinaus nach der jeweiligen Anschlussfähigkeit fragt. Denn zumindest über den Zugriff auf das im Netz abgelegte Wissen sind die Akteure und Fragestellungen miteinander verbunden.9 Am Ausbau dieser Dimensionen arbeitet auch der vorliegende Band.

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

2. Z um F orschungsschwerpunkt B onner R epublik Den ersten Impuls im Zugriff auf das Thema stellt eine Irritation in der aktuellen Rezeption dar, die so dezidiert positiv ist, dass selbst gezielte Gegenschreibungen, wie sie Frank Witzel und Philipp Felsch 2016 in BRD noir unter dem Stichwort der „alten BRD“ vorgenommen haben, mehr zur Etablierung des idealisierenden Rückblicks beitragen können als gegen sie.10 Gerade in Abgrenzung zur Berliner Republik wird eine Erinnerung an eine bessere, eben die Bonner Republik stark gemacht,11 wobei insbesondere die aus Bonn und dem Rheinland bestehende Erinnerungslandschaft eine besondere Rolle spielt.12 Als beendetes, sowohl zeitlich als auch räumlich begrenztes Konstrukt eignet sich diese Übergangsphase mit Regierungssitz Bonn in besonderer Weise zur Abgrenzung in historischen und gegenwärtigen Perspektiven und ist in diesem Rahmen, u. a. anlässlich des 200. Gründungsjubiläum der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zum Thema geworden, wenn diese sich unter politik- und sozialwissenschaftlicher Perspektive dem Verhältnis von Universität, Stadt und Politik, insbesondere im 20. Jahrhundert, widmet.13 Dabei steht zur Frage, worauf konkret mit dem Begriff Bonner Republik verwiesen wird? Dass die mit dem Begriff konnotierten und transportierten Bedeutungsdimensionen komplex sind und über den Zeitraum und den Regierungsort hinausweisen, legt nicht erst die aktuelle Rezeption in den Medien dar. Auch ein Blick in den Begriffsgebrauch in der historischen Öffentlichkeit zeigt, dass Bonner Republik gegenüber Bundesrepublik Deutschland besonders stark mit Sinngehalten beladen ist. So wird generell davon ausgegangen, dass der Begriff Mitte der 1950er Jahre geprägt wurde, Fritz René Allemanns 1957 erschienener Band Bonn ist nicht Weimar gilt als Multiplikator der Formulierung Bonner Republik, mit der fortan eine Differenz zur gescheiterten ersten Weimarer Republik kommuniziert werden sollte.14 Dem Begriff der Bonner Republik, so ließe sich festhalten, wohnt also von vornherein eine übergeordnete Bedeutung inne, mit der die Nachkriegszeit nach

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1945 sich von der Vergleichbarkeit mit der Nachkriegszeit nach 1918 abgrenzte. Verwendet wurde der Begriff allerdings, so Axel Schildt, der damit auf eine weitere Konnotation aufmerksam macht, eher nicht von der Bundesrepublik, sondern „von der ‚nationalen‘ Propaganda der DDR in eindeutig negativer Konnotation, zeitweise in der Version vom ‚Staat der Bonner Spalter‘“.15 Wie also lassen sich die Begriffsdimensionen der Bonner Republik fassen? Manuel Becker schlägt eine Differenzierung von drei Bedeutungsebenen vor: (1.) Innen- und gesellschaftspolitisch steht der Begriff ‚Bonner Republik‘ für eine rückblickend betrachtete beachtliche demokratische Stabilität, die auf zwei wesentlichen Pfeilern ruhte: ökonomische Prosperität und parteipolitische Kontinuität. […] (2) In außenpolitischer Hinsicht akzentuiert die Chiffre ‚Bonner Republik‘ bewusst verschiedene Charakteristika der neuen Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg: Die kleinstädtische Prägung der Stadt am Rhein symbolisierte auf ihre eigene Art die Absage an jegliche Form von neu aufkeimenden Allmachtsfantasien. Die offen demonstrierte Bescheidenheit wurde zum Programm des neuen Deutschlands nach dem Krieg erhoben. Der Baustil der Bonner Regierungsbauten und der deutschen Botschaften im Ausland legt bis heute ein beredtes Zeugnis davon ab. Prägend für die ‚Bonner Republik‘ war eine äußerst defensive Auffassung der Kategorie ‚Macht‘. Ein Verzicht auf nationale Alleingänge und ein uneingeschränkter Multilateralismus gehörten seit ihren Kindertagen zur Staatsraison. […] Die deutsche Außenpolitik war in erster Linie ökonomisch imprägniert. Deutschland beteiligte sich an der Bewältigung internationaler Krisen vor allem mit Geld. […] (3) Die ‚Bonner Republik‘ definierte sich drittens maßgeblich vor dem Hintergrund ihrer Geschichte, und zwar in erster Linie in Bezug auf die ‚totalitäre Erfahrung‘. Waren die 1950er Jahre noch primär dem Wiederaufbau des zerstörten Landes gewidmet, so arbeitete sich die Bundesrepublik in Intellektuellen- und Akademikerkreisen bereits seit der ‚Fischer-Kontroverse‘ im Jahre 1961 und gesamtgesellschaftlich darauf folgend seit der Mitte der 1960er Jahre dauerhaft

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

an der nationalsozialistischen Vergangenheit ab. Nicht selten wurde in diesem Zusammenhang vor allem unter Intellektuellen vielfach mit dem eigenen Land gehadert.16

Der Zugriff Beckers aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive stellt einen ersten, sinnvollen Überblick bereit, an den sogleich angeknüpft werden muss mit der Überprüfung und Hinterfragung der festgestellten Bedeutungsebenen vor dem Hintergrund z.B. der Chiffre 1968 oder auch der Postmoderne. Beckers Zugriff fordert also zu einer disziplinären Erweiterung auf, insbesondere durch die kunst-, literatur-, geistesund sozialwissenschaftlichen Fächer. So lassen sich die Bedeutungsdimensionen zur Bonner Republik nicht nur auf der politischen Ebene feststellen, denkt man sie z.B. mit KünstlerInnen wie Joseph Beuys oder Mary Bauermeister und SchriftstellerInnen von Heinrich Böll über Günter Grass zu Karin Struck und Rolf Dieter Brinkmann u.v.m. weiter, die in der Rezeption als wichtige Stimmen in der BRD und stellvertretend für die Zeit gelesen werden. Auch die Anfänge der Postmoderne, die mit dem Versuch künstlerisch ganz andere Schwerpunkte zu setzen und im Kontext von Internationalisierung und Kommerzialisierung aller provisorischen Beschaulichkeit eine Absage erteilte oder auch die Anfänge der ‚Demokratiemüdigkeit‘, für die eine Vielzahl an Politik-Affären verantwortlich gemacht werden, von vertuschter Vergangenheit über Verschleierungstaktiken von Machtmissbrauch bis finanzieller Vorteilspolitik.17 Gleichwohl ist der Gebrauch des Begriffes disziplinär different, in der Sozialwissenschaft als Fachbegriff vertraut, beäugt ihn die Geschichtswissenschaft eher kritisch und setzen ihn gerne in Anführungszeichen, in der Kulturwissenschaft handelt es sich nicht um einen ja auch potentiell epochal zu verstehenden Fachbegriff, im Gegenteil. In der Zusammenschau dieser Vielfalt an Adaptionen gilt es zu fragen, wie sich ein gemeinsamer Zugriff auf den Gegenstand entwickeln lässt, der die Perspektive für den Umgang mit den divergenten Aufladungen integriert. Die Utopieforschung in ihrer Ausrichtung auf funktionsgeschichtliche Fragestellungen ließe sich hier anführen als eine Möglichkeit, die Aufladungen des Begriffs als Versuch einer positiven Selbst-

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belegung zu befragen.18 Ausgehend von dem Begriff des Chronotopos wäre hier auch die Verbindung von zeitlicher und räumlicher Signatur anzubringen und mit der Spezifik des Temporären, des Übergangs zu verbinden. Mit dieser Ausrichtung arbeitet die Forschergruppe an der Bonner Republik als MetaErinnerungsort und verbindet damit die Qualitäten des wissenschaftlichen Paradigmas Erinnerungsort im Sinne von Pierre Noras lieu de memoire mit der Klammer als gemeinsamer Nenner vieler weiterer Erinnerungsorte im engeren Sinne (z.B. Gruppe 47, Institut für Sozialforschung, ‚Wirtschaftswunder‘, ‚Vertreibung‘, ‚Gastarbeiter‘, ‚Stunde Null‘, Darmstädter Gespräche, ‚Die Unfähigkeit zu trauern‘, ‚Zweite Moderne‘, etc.) wirksam ist. Wir gehen von der Beobachtung aus, dass sich diese Erinnerungsorte immer nur im Zusammenspiel mehrerer Akteure aus verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft (legislative und exekutive Politik, Rechtsordnung, Bevölkerungsentwicklung/Biopolitik, Architektur, Medien, Literatur, Kirche) etablieren konnten. Dabei können bestimmte Akteure in unterschiedlichen Subsystemen auftauchen, wo sie mit anderen Akteuren und Netzwerken Verbindungen eingehen. Daher ist unsere Ausgangsthese, dass die gesellschaftlichen und kulturellen Äußerungsformen und Ausdrucks- und (Selbst-)Wahrnehmungsweisen der Bonner Republik nicht als nachgeschalteter Ausdruck einer Sichtbarmachung einer identitären Politik gleichsam als deren symbolische Formen zu begreifen sind, sondern dass sehr unterschiedliche Akteure bzw. Netzwerke mit unterschiedlichen Identitätsstrategemen aktiv an dem teilhaben und das formieren, was das komplexe Phänomen Bonner Republik in seinen vielfältigen und -schichtigen Ausprägungen auszumachen scheint. Die verschiedenen Medien und ihre jeweiligen Archive machen nicht nur sichtbar, was die politischen Entscheidungsträger im Rahmen der westlichen Integrations- und Blockbildungsprozesse durchgesetzt haben, sondern sind wesentlich Produzenten spezifisch bundesrepublikanischer Weisen von Identitätspolitik und Identitätserfahrung. Folglich werden die frühen Jahrzehnte der Bundesrepublik nicht als parallele Linien in den damit befassten historischen Wissenschaftsdisziplinen verstanden, die hier und da synchrone Seitenblicke erlauben, sondern als ein – inter- und transdisziplinär mit

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

den Archiven (im Sinne Michel Foucaults) zu erforschendes – dichtes und emergentes Geflecht politischer, gesellschaftlicher und kultureller Eliten in Reaktion auf ereignisgeschichtliche Konstellationen, die ihrerseits Akteure sind und sich dem unmittelbaren Zugriff der Eliten auch entziehen können. Die neue und gerade im transdisziplinären Verbund mit den externen Institutionen wirksame Perspektive besteht darin, die verschiedenen Weisen der Sichtbarwerdung der Bonner Republik überhaupt erst im Zusammenwirken der beteiligten Disziplinen unter Einschluss der externen Partner darstellbar zu machen. Die Publikation nimmt die Frühphase der Bonner Republik aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven in den Blick und versteht sich als Auftaktband zu einer insgesamt drei Bände umfassenden Reihe.

3. Z um B and Der Band eröffnet mit den „Konzepten und Dimensionen zum Forschungsschwerpunkt Bonner Republik“ neben der Darstellung des Forschungsschwerpunkts mit Beiträgen von Gertrude Cepl-Kaufmann und Thomas Schleper. Gertrude Cepl-Kaufmann nimmt die beiden Nachkriegszeiten 1919 und 1945 in den Blick und arbeitet die unterschiedlichen Voraussetzungen und Lösungsansätze heraus, mit denen sich Intellektuelle, KünstlerInnen, AutorInnen u.v.m. nach dem Krieg im Kontext des gesellschaftlichen Rahmens positioniert haben. Ihr Beitrag liefert darüber hinaus einen Vorschlag zum methodischen Zugriff auf die Jahre 1919 und 1945, der den Zugriff nicht ‚rückwärts‘, von der Katastrophe her ausrichtet, sondern an den in der Zeit präsenten Strömungen sowie die dominanten Narrative, z.B. von der ‚Zwischenkriegszeit‘ kritisch auf den Kontext ihrer Entstehung befragt – im Sinne der Forderung Benjamins: „In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen.“19 Thomas Schleper, als Urheber der Aktivitäten seitens des LVR zum Centenaire 2014, skizziert das Erkenntnispotential, das anschließend an 1914 – Mitten in Europa im aktuellen Großprojekt zum Bauhaus-Jubiläum liegt. Darüber hinaus leistet

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sein Beitrag einen Entwurf für eine mögliche transdisziplinäre Arbeits- und Zielebene, ganz praxisnah am Beispiel zweier Großprojekte. In den Forschungsperspektiven werden exemplarische Zugriffe aus der Forschergruppe der Heinrich-Heine-Universität und dem Arbeitskreis zur Erforschung der „Moderne im Rheinland“ e.V. angeführt. Dabei stellt die Frage, wie sich aus der jeweiligen disziplinären Perspektive das Verhältnis Kontinuität und Neubeginn darstellt, eine verbindende Perspektive dar: Auf welche Konzepte griffen AutorInnen, KünstlerInnen, (Landschafts)Architekten, griffen Politik und Gesellschaft nach 1945 zurück, um sich in ihrer Zeit im Verhältnis zur Vergangenheit zu positionieren? Wie differieren hier die Perspektiven auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus und welche Weichen stellte dies für die Staatsgründung 1949? Dabei nehmen die Beiträge vor allem Beispiele aus dem Rheinland in den Blick, insbesondere aus Bonn, und fragen somit auch nach den die Region bestimmenden und durch die Region bestimmten Weichenstellungen für die Zukunft der Bonner Republik. Georg Mölich, Mitglied im Beirat des Arbeitskreises „Moderne im Rheinland“ und zuständig für den Bereich Förderung im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte sowie ein in einer Vielzahl weiterer regionaler Aktivitäten vernetzter Historiker, erörtert Dimensionen des Abendlandbegriffs in seinem Essay. Volker C. Dörr, Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, untersucht den Kulturbegriff nach 1945 in Deutschland. Ausgehend von Adornos kritischer Stellungnahme weist er anhand einer Vielzahl an inhaltlichen Stationen vom Blick auf das Leseverhalten der Deutschen nach 1945 über die Positionierung der Gruppe 47 bis zu den Feierlichkeiten anlässlich des Goethe-Jahres 1949 nach, dass die öffentlich vertretenen Positionen unverhältnismäßig stark von dem Bemühen um Selbstlegitimation und Wiedererklärung geprägt waren. Eine besondere Rolle spielten dabei auch Versuche, nach 1945 einen modus vivendi zu finden, der trotz der Vergangenheit eine Möglichkeit bot, die eigene Bedeutung im Kontext des Deutschen wieder hervorzuheben. Dörr kontrastiert diese mit Stimmen, die bereits deutlich weiter waren. Christof Baier, Juniorprofessur für Gartenkunstgeschichte, lenkt den Blick auf das Spannungsfeld von ‚Entnazifizierung‘ und ‚Amerikanisierung‘ im Garten-

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

und Landschaftsbau der Nachkriegszeit am Beispiel des Düsseldorfer Nordparks und des Kölner Grüngürtels. Dabei stellt insbesondere die Frage nach der ‚Amerikanisierung‘ eine Herausforderung dar, der Baier mit Blick auf die amerikanischen Siedlungen im Regierungssitz Bonn nachgeht. Insgesamt kann er zeigen, dass dem Landschaftsbegriff in diesem Kontext eine besondere Position zukommt, vergleichbar dem Abendlandbegriff in Politik und Kultur. Architektur im Spannungsfeld von Nachkriegszeit, Moderne, Kirchen- und Städtebau stellt Jürgen Wiener, Kunsthistoriker und Vorstandsmitglied des Arbeitskreises „Moderne im Rheinland“, am Beispiel der Positionen von und Konflikte um Rudolf Schwarz‘ nach 1945 dar. Dabei stellt er mit dem Begriff der Einsamkeit einen biographischen Bewältigungsansatz von Rudolf Schwarz vor, der zugleich nach der anteiligen Relevanz von individuellem Handeln und historischen sowie gesellschaftlichen Voraussetzungen zwischen Kontinuität und Provokation fragt. Darüber hinaus leistet der Beitrag eine exemplarische Reflexion zum Verhältnis von Individuum und Geschichte, bzw. Glaube und Kunst. Hans Körner, ebenfalls Mitglied des Düsseldorf Instituts für Kunstgeschichte, widmet sich in seinem Beitrag der Darstellbarkeit von Trauer nach 1945 im Bereich der Skulptur. Dabei zeigt er, dass die Entwicklungslinie der Skulptur in der Moderne ausgehend von Lehmbruck den Fokus auf das Allgemeine legt und damit einen anderen Schwerpunkt setzt als einen für den Kontext einer Diskussion von Schuld und Opfer nach 1945 relevanten Beitrag zu liefern. Während sich viele Künstler nach 1945 mit ästhetischen Abstraktionen einen Namen machten und mit ihren Werken bis heute weiterwirken, wird deutlich, dass ihr Begriff für den Schulddiskurs, für die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu seiner Gegenwart im Verhältnis zur Geschichte vor 1945 verstellend wirken kann. Stefanie Michels, die am im Institut für Geschichte die Professur zur Geschichte der Europäischen Expansion innehat, legt mit ihrem Beitrag eine über das Jahr 1918 und 1945 währende Kontinuität kolonialen Denkens offen, das sie exemplarisch über den Begriff der Askarispende und die einseitige Rezeption analysiert. Mit ihren Forschungen trägt sie zur Begriffskorrektur der kolonialen Amnesie bei, die lange Zeit implizierte, dass die koloniale Vergangenheit gleichsam als Gedächtnisverlust

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in Deutschland nicht erinnert wurde. Demgegenüber macht Michels den Begriff der kolonialen Aphasie stark, der vielmehr auf eine durch sprachliche Codierung unzulängliches Verständnis und Vorstellung von der kolonialen Vergangenheit Deutschlands verweist. Selbst Ralph Giordanos Film Heia Safari von 1966 erweist sich unter diesem auch methodischen Zugriff eher als Kontinuität, denn als Bruch mit der Vergangenheit. Ulrike Laufer, Mitglied des Arbeitskreises „Moderne im Rheinland“, Historikerin, Museumspädagogin und freie Kuratorin, die aktuell an der Neukonzeption zweier wichtiger kulturhistorischer Orte – Schloss Burg und im Deutschen Bergbau-Museum in Bochum – beteiligt ist, reflektiert über Ausstellungen und Museen nach 1945 in der Region vor der Perspektive ihrer Modernität – begriffen als Kontinuität vor 1933 und Anknüpfungspunkt nach 1945. Michael Cornelius Zepter, langjähriges Mitglied des Arbeitskreises „Moderne im Rheinland“, Künstler und Kunstpädagoge, befragt mit einer zweifachen Blickführung das Verhältnis von Demokratie und Markt mit einem Fokus auf die 1960er Jahre und verknüpft dies mit eigenen Erinnerungen aus der Studienzeit. Er nimmt also eine abgleichende Hinterfragung der historischen Lesart aus der biographischen Perspektive vor und schließt den Band insofern ab, als sein Beitrag einen Appell an die Wissenschaft beinhaltet, sich angemessen zur Zeit und zur Vergangenheit zu verhalten – ein Appell, der aus dem Mehrwert von Lebenserfahrung und kunstgeschichtlichem Zugriff entsteht. Mit Zepters Beitrag wird zugleich die Perspektive für eine Weiterschreibung im zweiten Band eröffnet, in dem sich z.B. Ulli Seegers, Professorin für Kunstvermittlung und Kulturmanagement im Institut für Kunstgeschichte, dem Thema widmet.

A nmerkungen 1 | Voßkamp, Wilhelm: Interdisziplinarität in den Geisteswissenschaften (am Beispiel einer Forschungsgruppe zur Funktionsgeschichte der Utopie), in: Kocka, Jürgen (Hg.), Interdisziplinarität. Praxis – Herausforderungen – Ideologie, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987, S. 92–105.

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

2 | Vgl. die Typologies of Interdisciplinarity von Padberg, Britta: The Center for Interdisciplinary Research (ZiF) - Epistemic and Institutional Considerations, in: Weingart, Peter/Padberg, Britta (Hg.), University Experiments in Interdisciplinarity: Obstacles and Opportunities, Bielefeld: transcript 2014, S. 95 –113, hier S. 103ff. Im Rahmen der zweiten Ringvorlesung hat Jürgen Wiener in seinem Vortrag über Campus-Universitäten zwischen 1960 und 1975 auf die Anfänge des Begriffs Interdisziplinarität aus den Naturwissenschaften hingewiesen. Parallel hierzu hat Gertrude Cepl-Kaufmann die Frage aufgeworfen, ob Interdisziplinarität als Begriff überhaupt als zeitgemäße Klammer für spartenübergreifende Forschungsfragen fungieren kann. Zur Geschichte, Aktualität und Kritik interdisziplinärer Forschung und einer Differenzierung zu den Naturwissenschaften vgl. ebd. B. Padberg, Interdisciplinary Researchv, S. 95–113. 3 | Vgl. W. Voßkamp, Interdisziplinarität in den Geisteswissenschaften, S. 98. 4 | So lautet der Untertitel der Ringvorlesungen: Die Bonner Republik. Diskurs – Forschung – Öffentlichkeit, vgl. hierzu auch ein 2016 durch den LVR gefördertes und am An-Institut „Moderne im Rheinland“ erarbeitetes Konzeptpapier zu einem Kompetenzzentrum „Das Rheinland in Europa“. 5 | Vgl. Thomas S. Kuhns „Vorwort“, auf das sich auch Wilhelm Voßkamp bezieht, in: Krüger, Lorenz (Hg.), Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1978, S. 43. 6 | Vgl. hierzu den Rektoratsbeschluss Wissen teilen – Transferstrategie der Heinrich-Heine-Universität (HHU) vom 02.02.2017: „Als Bürgeruniversität legt [die HHU] besonderen Wert darauf, ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens der Stadt und Region Düsseldorf zu sein, und sieht sich verpflichtet, durch ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und mit ihrer intellektuellen Ausstrahlungskraft die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungsprozesse verantwortungsvoll mitzugestalten. Mit diesem Profil rekurriert die HHU auf das Selbstverständnis des Bürgertums in der Aufklärung, deren großes Ziel es war, die Gesellschaft durch Fortschritt, Rationalität, Bildung und

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Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener

Emanzipation mitzugestalten. Das Programm für eine bürgerliche Gesellschaft ging und geht auch heute noch Hand in Hand mit den Prinzipien der autonomen Wissenschaft. Denn das SichLösen von Vorurteilen, das kritische Hinterfragen vermeintlicher Wahrheiten, freies und vernunftgeleitetes Denken bestimmen jegliche wissenschaftliche Arbeit.“ http://www.forschung.uni-duesseldorf.de/fileadmin/redaktion/ ZUV/Dezernat_2/Abteilung_2.2/Dokumente/170214_aktuell_Internet _Transferstrategie_HHU.pdf, 28.02.2018. 7 | Vgl. das Gespräch zwischen Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, und Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung: „Ein Hunger für Wissenschaft ist da, doch wir stillen ihn nicht.“, in: Impulse. Das Magazin der VolkswagenStiftung (2018), S. 8 –11. Weiter zum Thema aus der Perspektive der Öffentlichkeitskommunikation im gleichen Heft: Wegner, Stefan: Das grosse public missunderstanding, S. 13–15. 8 | Zum Begriff der Transdisziplinarität im Kontext der Partizipation vgl. Hanschitz, Rudolf-Christian/Schmidt, Esther/Schwarz, Guido, Transdisziplinarität in Forschung und Praxis. Chancen und Risiken partizipativer Prozesse, 2009: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 185–197. 9 | Mit der Frage nach der Vernetzung von Digitalisierung und Wissensproduktion mit Blick auf die universitäre Forschung setzt sich im April 2018 eine Tagung des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. in Dresden auseinander: Forschungsdesign 4.0 – Datengenerierung und Wissenstransfer in interdisziplinärer Perspektive. 10 | Witzel, Frank/Felsch, Philipp: BRD Noir. Berlin: Matthes & Seitz 2016 (= Fröhliche Wissenschaft). Ein Indiz dafür, dass die Kontrastierung der Abgründe mit den Idealisierungen, wie sie Felsch und Witzel über den in der Titelmatrix angezeigten Transfer zum film noir, in dem die scheinbare Idylle den Raum für verbrecherische Entgleisung bietet, den idealisierenden Rückgriff und die Verharmlosung verstärkt, stellt z.B. ein Interview des Regisseurs Kilian Riedhof anlässlich seines ARD-Zweiteilers Gladbeck dar, in dem dieser angibt: „Es war die Begegnung mit dem Animalischen. Das traf die Bonner Republik unvorbereitet, weil nach dem Dritten Reich die direkte Auseinandersetzung mit dem Bösen weitgehend verdrängt worden war. Aber nun saß das Monster mitten in einer

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

Fußgängerzone, dem Inbegriff bundesdeutscher Alltäglichkeit. Polizei und Staat standen ihm gelähmt gegenüber. Presse und Schaulustige ließen sich rauschhaft von ihm verführen. Und die Geiseln waren seiner Willkür schutzlos ausgeliefert.“ Vgl. Hannes Roß, Kulturredakteur des Sterns im Interview mit Kilian Riedhof, https://www.stern.de/kultur/tv/gladbeck--regisseur---ein-land-liess-sich-vom-sog-des-animalischenmitreissen--7890614.html, veröffentlicht am 07.03.2018, Zugriff ebd. 11 | Vgl. hierzu den www.blog-der-republik.de, z.B. die Beiträge „Dank an die Bonner Republik“ vom 6.9.2017 von Friedhelm Ost oder „Bonn – Berlin – Was hat’s gebracht? Eine Polemik“ ebenfalls vom 6.9.2017 von Wolfgang Wiemer oder „Merkels Merksätze: Ganz ohne Pathos“ von Wolfgang Tönnesmann vom 16.9.2017: „Die Bonner Republik war eine Republik ganz ohne Pathos. Auch wenn zuweilen leidenschaftlich gestritten und gut geredet wurde, auch in Wahlkämpfen, so schien es doch einen Konsens zu geben: Beim Reden alle Register der Rhetorik ziehen, nein, das tut man nicht.“ Der Blog der Republik versteht sich als Ergänzung zum Mainstream in der politischen Öffentlichkeit. 12 | Vgl. z.B. die Geschichten, die Matthias Brandt, mit Rückgriff auf die Erinnerungen seiner Kindheit unter dem Titel Raumpatrouille, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016 versammelt hat. 13 | https://www.200jahre.uni-bonn.de/de, 28.02.2018. 14 | Tatsächlich findet der Begriff „Bonner Republik“ z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits 1949 Verwendung durch den Frankreich-Korrespondenten Paul Medina, vgl. Medina, Paul: Warum Frankreich zögert?, in: FAZ 19.11.1949, S. 2; Ders.: Die wunde Stelle. Nachklänge aus Paris, in: FAZ, 07.12.1949, weitere Artikel von Paul Medina 1950, in denen es um die französische Perspektive um Beitritt und Rolle der BRD in der EU geht. 15 | Vgl. z.B. Schildt, Axel: Abschied vom Westen? Zur Debatte um die Historisierung der ‚Bonner Republik‘, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10 (2000), S. 1207–1212, hier S. 1208. 16 | Becker, Manuel: Geschichtspolitik in der ‚Berliner Republik‘: Konzeptionen und Kontroversen, Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 14f. 17 | Walter Grasskamp zählt zur Abgrenzung seiner Begriffswahl einer „unästhetischen Moderne“ eine Reihe in seiner Einleitung auf, die er für

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epochal relevant einstuft. Grasskamp, Walter: Einleitung, in: Ders., Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaft, München: Wilhelm Fink 1992. 18 | Vgl. Voßkamp, Wilhelm/Blamberger, Günter/Roussel, Martin: Möglichkeitsdenken. Utopie und Dystopie in der Gegenwart. Unter Mitarbeit von Christine Thewes. München: Wilhelm Fink 2013. 19 | Benjamin, Walter: „Über den Begriff der Geschichte“. In: Unseld, Siegfried (ausgewählt von): Illuminationen, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001, S. 695.

L iteratur Becker, Manuel: Geschichtspolitik in der ‚Berliner Republik‘: Konzeptionen und Kontroversen, Wiesbaden: Springer VS 2013. Benjamin, Walter: „Über den Begriff der Geschichte“. In: Unseld, Siegfried (ausgewählt von): Illuminationen, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001. Brandt, Matthias: Raumpatrouille, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016. Grasskamp, Walter: Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaft, München: Wilhelm Fink 1992. Hanschitz, Rudolf-Christian/Schmidt, Esther/Schwarz, Guido, Transdisziplinarität in Forschung und Praxis. Chancen und Risiken partizipativer Prozesse, 2009: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. Medina, Paul: Warum Frankreich zögert?, in: FAZ 19.11.1949, S. 2. Ders.: Die wunde Stelle. Nachklänge aus Paris, in: FAZ, 07.12.1949. Padberg, Britta: The Center for Interdisciplinary Research (ZiF) – Epistemic and Institutional Considerations, in: Weingart, Peter/Padberg, Britta (Hg.), University Experiments in Interdisciplinarity: Obstacles and Opportunities, Bielefeld: transcript 2014, S. 95 –113. Schildt, Axel: Abschied vom Westen? Zur Debatte um die Historisierung der „Bonner Republik“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10 (2000), S. 1207–1212. Voßkamp, Wilhelm: Interdisziplinarität in den Geisteswissenschaften (am Beispiel einer Forschungsgruppe zur Funktionsgeschichte der

Die Bonner Republik als Forschungsschwerpunkt

Utopie), in: Kocka, Jürgen (Hg.), Interdisziplinarität. Praxis – Herausforderungen – Ideologie, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987, S. 92–105. Voßkamp, Wilhelm/Blamberger, Günter/Roussel, Martin: Möglichkeitsdenken. Utopie und Dystopie in der Gegenwart. Unter Mitarbeit von Christine Thewes. München: Wilhelm Fink 2013. Vogel, Johannes und Krull, Wilhelm im Gespräch, „Ein Hunger für Wissenschaft ist da, doch wir stillen ihn nicht.“, in: Impulse. Das Magazin der VolkswagenStiftung (2018), S. 8–11. Wegner, Stefan: Das grosse public missunderstanding, in: Impulse. Das Magazin der VolkswagenStiftung (2018) S. 13–15. Witzel, Frank/Felsch, Philipp: BRD Noir. Berlin: Matthes & Seitz 2016 (= Fröhliche Wissenschaft).

Internet-Texte http://www.forschung.uni-duesseldorf.de/fileadmin/redaktion/ ZUV/Dezernat_2/Abteilung_2.2/Dokumente/170214_aktuell_ Internet_Transferstrategie_HHU.pdf. https://www.stern.de/kultur/tv/-gladbeck--regisseur---ein-landliess-sich-vom-sog-des-animalischen-mitreissen--7890614.html www.blog-der-republik.de https://www.200jahre.uni-bonn.de/de

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Nachkriege im Zeichen der Demokratie Gertrude Cepl-Kaufmann

Es gilt, im Blick auf 1919 und 1945 zusammenzudenken, was zusammengehört! Über Jahre, in annähernd der gleichen Zeitspanne, in der sich der zivilisatorische Urknall, der Erste Weltkrieg, vollzog, ereignet sich hundert Jahre danach in Deutschland zur Zeit eine Erinnerungskultur, die in bemerkenswerter Weise eine vergleichbare Entgrenzungs-Dynamik aufweist. Carl von Clausewitz hatte es 1834 in seinen Gedanken Vom Kriege auf den Punkt gebracht: „Der Krieg ist ein [...] Chamäleon“1. Gerd Krumeich, der sich mit seinen jahrzehntelangen Forschungen zum Dauerkonflikt Frankreich-Deutschland in die Wissenschaftsgeschichte2 eingeschrieben hatte,3 nahm es am Anfang dieser Memorialphase wieder auf und behielt doppelt Recht: Sowenig damals, am 1. August 1914 die Dimensionen des Grande Guerre einschätzbar waren und sich nach eben dem Chamäleon-Prinzip zum Monster entwickelten, war bereits vom Beginn der Planungen bis zum Großereignis am 1. August 2014 aus dem Gedenkjahr ein Welterinnerungskomplex ungeheuren Ausmaßes – geradezu im Tsunami-Format4 – geworden. Nehmen wir Europa, so waren es kollektive Ereignisse wie das Projekt Europeana Collections 1914 –1918,5 auch der Kongress European Commemoration im Dezember 2014 im Berliner Auswärtigen Amt,6 bei dem die fast ausschließlich aus ost- und südosteuropäischen Ländern zusammengekommenen Wissenschaftler und Kulturmacher erst begannen, hinter ihrer oktroyierten Identität des gesamten 20. Jahr-

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hunderts dieses Kapitel ihrer Geschichte wieder zu entdecken. Aleida Assmann trug bei dieser Gelegenheit die erinnerungstheoretische Fundierung bei. Schon am Ende des ersten Gedenkjahres hatte sich Grundlegendes verändert: 1. Ob man dafür oder dagegen war: Christopher Clark hatte den Deutschen ein Geschenk gemacht, ihnen ein schwer wiegendes, ein Jahrhundert geltendes Schuldpaket abgenommen, indem er das Schlafwandler-Syndrom als europäisches Phänomen festmachte.7 Die Deutschen bedankten sich indem sie 200.000 Exemplare des 2013 erschienenen Buches kauften, während es andere europäische Länder im Schnitt nur auf 20.000 brachten. 2. Europa war größer geworden! Es ging offensichtlich nicht nur um die ‚Erbfeinde‘ Deutschland und Frankreich, die die Rezeptionsgeschichte zum Ersten Weltkrieg bisher dominiert hatten. Spätestens gegen Ende 2014 war auch dem verschlafenen Auswärtigen Amt wie allen Ländern, die eine je eigene nationale Erinnerungskultur betrieben hatten, klar, dass man mit der nationalen Sicht nicht wirklich weitergekommen war, dass vielmehr die fundamentale Vernetzung, ja, Verstrickung wie ein Filz über diesem Europa gelegen hatte und Pulverfässer nicht im eigenen Haus kontrolliert lagerten, sondern immer im oft gänzlich irrationalen Dissens mit Nachbarn – einem unendlichen Nachbarn – wie in einem Dominoeffekt ferngezündet wurden. 3. Ein Ende der nationalen Kulturen, die man wie einen Sandkasten besitzen und bespielen wollte, war unübersehbar: In den behüteten europäischen hortus conclusus war Fremdes, z.B. Osmanisches, Senegalesisches, Südpazifisches und mehr eingedrungen. Wo waren damals, beim Urereignis die Mahner, wo die, die Öl ins Feuer schütteten? War es die doch so erkenntnislüsterne Wissenschaft, die die Herausforderung angenommen hatte? Mitnichten! Scheinbar unisono wurden sie tätig: Der evangelische Fundamentalist Paul Rohrbach mit seinem „ethischen Imperialismus“ und der These von der Auserwähltheit der Deutschen zum Herrenvolk,8 die Historiker, nicht zuletzt die Germanisten, die die Bürde einer Wissenschaft, die sich der nationalen, heroischen Geschichtsschrei-

Nachkriege im Zeichen der Demokratie

bung verpflichtet fühlte, mit der Besetzung des Germanistenlehrstuhls 1871 im wieder eingedeutschten Straßburg mit Wilhelm Scherer fleißig angereichert hatte. Doch unsere jüngsten Erfahrungen mit unserer eigenen Erinnerung lassen uns hoffen. Das Lesebuchkapitel der Geschichtsschreibung hat uns bestätigt: Sicher scheinende Deutungsmuster lassen sich aufbrechen, verschüttete Ereignisse ausgraben und strahlend polieren! Wir können innehalten und unsere Position bedenken. Vielleicht ist es gerade die deutsche Geschichte, die sich so global in das 20. Jahrhundert eingeschrieben hatte, die dazu herausfordert und die wir uns exemplarisch anschauen sollten! Unser Erkenntnisauftrag richtet sich auf 1945, deshalb, ja, gerade deshalb sollten wir bereits weit früher, mit einer Rückschau und Selbstvergewisserung beginnen:

Von 1914

zu

1919

Auf 1914 folgte 1919: Ein erbärmlicher Schützengraben- und Gaskrieg, in dem z.B. ab 1916 Madagaskar, Nepal, Neufundland und zig weitere ‚Feinde‘ aufgerieben wurden, ließ zunehmend bange Fragen aufkommen: Was soll der Irrsinn und was kommt danach? Obwohl die Waffen bereits im November 1918 schwiegen, wurde 1919 entscheidend. Dieses Jahr erwies sich, wohl oder übel, als eine historische ‚Stunde null‘! Für uns kann dieses Jahr aus heutiger Sicht zu einer Herausforderung werden, um einem weiteren Deutungsmuster an den Kragen zu gehen! Einen Ansatzpunkt haben wir vorgegeben: Nicht zuletzt der hohe Latenzzustand, mit dem sich dieses Jahr präsentiert, erlaubt es, Einsicht zu gewinnen in die mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verschütteten Quellen humanitären Denkens, an das Auf und Ab von Freiheit und Gerechtigkeit, die auch und erst recht zu unserer nationalen und damit auch europäischen Geschichte gehören. Sie waren nicht allein das Produkt der Bonner Republik, sondern wurden bereits nach dem Ersten Weltkrieg angelegt. Gerade als Wissenschaftler, Humanwissenschaftler sind wir hier an der richtigen Stelle!

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Aber wer sind sie, die Humanwissenschaftler, wer hat hier das Sagen? Die Historiker haben, trotz des cultural turn, der den einen oder anderen nachdenklich gemacht hat, einen Hang zur Deutungshoheit und so wird die Geschichtsschreibung – zumindest in der deutschen Forschung – nach wie vor vom Topos ‚Zwischenkriegszeit‘ geprägt. Der Erste Weltkrieg, so meint das Gros der Historiker, habe den Zweiten schon angelegt, die zwölf Jahre der Weimarer Republik seien nur interessant unter dem Aspekt, wie diese unvermeidliche Direttissima ins Dritte Reich und den Untergang verlaufen sei. Ein beträchtlicher Teil der deutschen Identität wird damit ausgeblendet und fordert heute heraus: Es geht also um die produktive Wiederentdeckung einer genuinen nationalen, ja, transnationalen Kraft und grenzsprengenden Geschichte und Kulturgeschichte, auch den Anteil, den die Künste und ihre jeweilige Wissenschaftssparte darin haben und die Grundtugenden Freiheit und Gerechtigkeit, die wir ihnen da entdecken und sichern wollen, wo sie über Jahrzehnte hinweg keinen Stellenwert in der Geschichtsschreibung gehabt hatten. Zwei Zeiten wirkten in das Jahrhundert hinein, beide waren eng an den jeweiligen Wechsel der politischen Systeme gebunden. Diese Systeme hatten zu katastrophalen Kriegen geführt. Das Ende wurde jeweils von außen provoziert, die Handlungsnormen von Alliierten festgelegt. In diesen vergleichbaren Verhältnissen positionierten sich die jeweils betroffenen Menschen und Generationen. Beginnen wir mit 1919: Kreativität und hohe Motivation zeichneten dieses Jahr 1919 aus, so, als gelte es, mit schöpferischer Potenz, Visionen, Utopien, Denkbildern einen als gänzlich leer, ja, apokalyptisch belegten politischen und gesellschaftlichen Raum um 180 Grad zu drehen und ihm neuen Sinn zu geben. Das war eine Art metábasis es állo génos, mehr als der Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit, die immer die Voraussetzung, und immer die immanente Norm sein sollten! Es waren auch nicht nur die politischen Entwürfe, die hier benennbar sind. Der Gleichzeitigkeit der Ereignisse und Abläufe entspricht eine bemerkenswerte Simultaneität, die sich in den Ästhetiktheorien

Nachkriege im Zeichen der Demokratie

der Zeit ebenso qualifiziert wie in den utopieversessenen konkreten Versöhnungsprojekten der Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und der kulturaktiven Öffentlichkeit. Dies alles wird in Qualität und Quantität sichtbarer, wenn wir ein Vergleichsfeld eröffnen zum zweiten Ereignis in diesem bellizistischen Jahrhundert: Der unmittelbaren Nachkriegsphase nach 1945, die allein wir bisher als die ‚Stunde null‘ zu bezeichnen pflegen! Beginnen wir mit einer Besichtigung des Jahres 1919.

1919 – E in Wimmelbild Was erlebte der Zeitgenosse: Zurückdrängendes Militär und schlagkräftige Auseinandersetzungen im Straßenkampf, die Kunde von einem ins niederländische Haus Doorn zum Holzhacken entflohenen Kaiser, an mehreren Ecken und Balkonen verkündete Republiken, Extrapost am Morgen, Mittag und in Abendausgaben, Steckbriefe, Gerüchte. In toto: Eine im Nachklang des Schreckens hektisch agierende, doch zugleich lethargisch erstarrte Masse! Das aber war nur die halbe Wahrheit, wie sich im Panoramablick auf die nicht minder vorhandene Aufbruchs-Topografie ausmachen lässt. Vor uns entfaltet sich eine Art Wimmelbild. Die seit Jahrzehnten erfolgreiche, von Ali Mitgutsch 1968 erdachte und gezeichnete Serie der Wimmelbücher lässt sich deshalb so sinnvoll als Denkbild auf das Jahr 1919 beziehen, weil die Vielfalt der Ereignisse, die sich auf den üppig bestückten Kinderbildern ausmachen lässt, scheinbar wahllos ist, sich aber dennoch durch eine innere Struktur und Kohärenz auszeichnet.9 Das trifft auch auf unseren Erkenntnisgegenstand zu: Wie ein warmer Segen an Herz, Verstand und Hoffnung hatten sich Visionen von einem zukünftigen Deutschland und Europa übers Land gelegt. Utopien, an die man glauben wollte! Man kann es kaum in seiner Dynamik, ja, Dramatik überbewerten: Da platzte förmlich eine Bombe, ja, ein Mythos wurde umgeschrieben. 1919 bescherte eine Art umgewidmete,

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nämlich positiv bestückter Büchse der Pandora, bei der die berühmte spes sola nicht drinnen blieb, sondern sich als allererste Botschafterin auf den Weg machte! Hier eine kleine Palette, die problemlos erweitert werden könnte:

Anarchismus Unter dem damaligen von Bakunins kollektivistischem bis zu Max Stirners Individual-Anarchismus reichenden Spektrum anarchistischer Grundeinstellungen hatte sich als eine Art Bibel Kropotkins Schrift über die Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt hervorgetan. Übersetzt war sie von Gustav Landauer,10 der um die Jahrhundertwende (1900) im Londoner Exil mit dem russischen Fürsten befreundet war und seinem libertären Sozialismus damit eine geradezu franziskanische Würde verliehen hatte. In Künstlerkreisen wurde dieser humanitäre, spätaufklärerische Anarchismus zum Vorbild für Neue Gemeinschaften, die sich allerorten bildeten, etwa im Weimarer Bauhaus, aber auch im Kölner Kreis um die Galerie Nierendorf und Max Ernst und im Düsseldorfer Jungen Rheinland mit Otto Dix, Gert Wollheim, Jankel Adler, dem Schauspieler Gustaf Gründgens und Schriftstellern wie Herbert Eulenberg. Von hier aus gab es Netzwerke zu René Schickeles Züricher pazifistischem Europaverlag und zum Monte Verità.11

Rätebewegung Landauer selbst hatte gerade seine Dramaturgenstelle am Reformtheater von Louise Dumont in Düsseldorf übernommen. Für Uraufführungen hatte er dort die Protagonisten- und Verkündigungsdramen Georg Kaisers empfohlen, also Expressionismus pur. Sein Weg in die Münchner Räterepublik, inspiriert von Mary Goldman ebenso wie von Eustache de Saint Pierre, dem Messias in Kaisers Drama Die Bürger von Calais, sollte der realisierte Traum einer direkten Demokratie und gewaltfreier Politik sein. Mit seiner Ermordung Anfang Mai 1919 blieb er ein Märtyrer, der weiter wirkte, bis sich über Kapp-Putsch, Inflation und Ruhrbesetzung die stärkeren ‚realpolitischen‘ Mächte durchsetzten.

Nachkriege im Zeichen der Demokratie

Spartakus Märtyrer gab es auch in Berlin: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Luxemburgs Votum „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“12 sei heute hier und für alle Zeit als Metatext wieder einmal herausgestellt. Erinnert sei an den positiven Impuls, den der rote Sozialismus à la Sowjetunion in seinen geradezu unbefleckten Zeiten zu bewegen vermochte: Die Gleichzeitigkeit eines Revolutionsdenkens, das Hand in Hand ging mit der ästhetischen Avantgarde von Wassily Kandinsky, Wladimir Majakowski bis zu Anatoli Lunatscharski, von Futurismus und Dadaismus, in der Wissenschaft vom russischen Formalismus bis zum Strukturalismus. Der kurze Traum von der Reintegration der europäischen Boheme in Gesellschaft und Politik wurde zerrieben. Doch noch Peter Weiß hatte ihn nachwirkend in den 1970er Jahren in seinem Drama Trotzki im Exil als Theaterutopie beschworen und belächelt, wenn er Lenin plus politische Entourage und die Dadaisten in Zürichs berühmter Spiegelgasse aufeinandertreffen lässt. Und es bliebe eine schöne Provokation, hier zu fragen, ob roter oder weißer Sozialismus, die uns diese Zeit der Weimarer Republik in Form von Amerika inkl. Amerikanismus und der Sowjetunion beschert hatte, die menschenverachtendere Eliminierung von Freiheit und Gerechtigkeit waren – zumindest was die Initiationsphase anging!

Uspd Kurt Eisner. Der Chronist Victor Klemperer skizziert in seinem Tagebuch Man möchte immer weinen und lachen in einem13 die Situation in Leipzig, wo er gerade als junger Wissenschaftler erste Erfolge einheimst. Er bewegt sich zwischen Leipzig, Berlin, seiner geistigen Heimat, und München, seinem Wohnort hin und her. Überall das gleiche Chaos, aber auch mehr: Ganz Deutschland im Aufbruch, politische Pragmatiker mit Tiefgang von Rathenau bis zu Eisner, den Klemperer nicht minder wie den auf Erden wandelnden Messias zeichnet. Der Hoffnungsträger, Symbiose aus Schriftsteller und Politiker; ein

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Mensch, wie nach seiner Ermordung der USPD-Dichter Ernst Toller betont. Expressionisten im schwierigen Geschäft des Pazifismus! Auch Erich Mühsam gehört in diesen Kontext – obwohl es ihm schwer fiel, sich zwischen den politischen Lagern eine Heimat zu suchen!

Aktivismus Zwei Versionen dieser politischen Sammlungsbewegung Intellektueller formierten sich: Heinrich Mann, mit dem Elsässer und einem eng mit der linksintellektuellen Szene in Frankreich liierten René Schickele schon 1914 im pazifistischen Bund Neues Vaterland neben Albert Einstein, Ernst Reuter, Kurt Eisner, Stefan Zweig und weiteren großen Europäern aktiv, will, inspiriert von den ‚Zivilisationsliteraten‘ Frankreichs – gegen die sein Bruder Thomas Mann gerade noch in dem opus magnum Betrachtungen eines Unpolitischen zu Felde gezogen war – seinen Appell Geist und Tat von 1910 Praxis werden lassen. Sein Ziel: eine Litterature engagée und „geistige Politik“, geleitet von der Idee, „Liebe“, Menschenliebe, sei eine politische Kategorie!14 Ganz anders Kurt Hiller, jüdischer Intellektueller von großem Format. Er rekurriert auf Staatsideen Platons, beschwört Ein Deutsches Herrenhaus. Seine Ziel-Jahrbücher proklamieren einen intellektuell begründeten Humanismus und Pazifismus. Hillers parallel zur Rätebewegung etablierten Räte der geistigen Arbeit suchen nach einer Deutungshoheit in dieser schwierigen Zeit. Seine Vorstellungen und die des Aktivistenbundes, der in vielen Städten Ableger findet, vermischen sich mit Ideen einer Gelehrtenrepublik im Sinne Klopstocks, der auch Goethe und der größte Dichter des Sturm und Drang, Jakob Reinhold Michael Lenz als Idealmodell einer Geistpolitik folgten. Welch eine Vision, z.B. verkündet im Juni 1919 auf dem Gesamtdeutschen Aktivistenkongress in Berlin.

Nachkriege im Zeichen der Demokratie

Paneuropäisches Es entwickelte sich in bemerkenswerter Weise in und um die Universität Bonn, wo Ernst Robert Curtius, der später mit seinen Forschungen zum Thema Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter unsterblich wurde, im Verbund mit Ernst Bertram und Thomas Mann antrat gegen die von Maurice Barrès inszenierte Annektionsidee unter dem Motto Le Génie du Rhin (Rheingenius), eine Art paneuropäisches Friedenskonzept. Mit der These von den liebenswerten, geradezu antipreußisch dimensionierten Rheinländern wollte er die Bereitschaft des linksrheinischen Deutschlands stärken, sich den ihnen mental nah stehenden Franzosen anzuschließen. Mit Curtius erkennen wir die alternativen, im Gegensatz zu Barrès’ nationalistischem Denken europäisch dimensionierten Netzwerke: Die Verbindungen zu den großen europäisch-pazifistischen Wirtschaftsmagnaten wie der Familie Mayrisch in Luxemburg, und zum Genfer Völkerbundprojekt. Auch hier: Welch eine Symbiose von Wirtschaft – Politik – Kultur – welch eine Utopie – bis heute!

D emokratie

und

R epublik

Nicht zuletzt, aber letztlich evident wurde die Etablierung der ersten Republik auf deutschem Boden am Ende des Jahres 1919. Für die Räteidee bedeutete sie das Aus, dennoch: Diese Demokratie, die Weimarer Republik, war in der Gründungsidee und in der Gründungsphase nicht ohne dieses spezifische utopische Moment, das dieses Jahr auszeichnete. Man hat das Scheitern dieser Weimarer Republik aus der Rückschau immer wieder an der allzu blauäugigen Zulassung aller Parteien zum Parlament, ein System ohne einschränkende Prozenthürde, festgemacht. Dieses Narrativ hat zweifellos eine Berechtigung, aber dieses Gleichheitsprinzip war nicht das von den Trägern dieser Staatsform eingebrachte negative Moment, vielmehr der Kontext: eine Gesellschaft, deren antidemokratische Ausrichtung, aggressiver Ges-

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tus und die populistische Einmischung letztlich der Totengräber dieser hoffnungsvoll eingeläuteten Wende der Politik in Deutschland und im Blick auf Europa gewesen war. Für den neuen Geist lassen sich drei Elemente nennen: • Nie war so viel Emanzipation: Diese Demokratie kam aus Deutschland selbst. Es waren nicht zuletzt die Frauen, die ihren Platz fanden: vom Giftgasprotest Clara Immerwahrs, der Frau des Giftgas-Erfinders Fritz Haber, angesichts der Todesverstiegenheit des eigenen Mannes zum Selbstmord entschlossen. Dieser Selbstmord war, wie jüngere Forschungen zeigen, auch eine Absage an den mangelnden Humanismus der Wissenschaften.15 Motivierend wirkten die Selbsterfahrungen der Frauen, die an der ‚Heimatfront‘ ihren Mann gestanden hatten. Das alles war erlebte, konkrete Utopie! Ein ungeheurer Befreiungsschub folgte: Weg mit den Korsetts und der inszenierten Lebensfeindlichkeit, Wahlrecht für die Frauen und Anteil an der praktischen Politik! Tatsächlich: Es tat sich was, einmalig für den größten Rest des Jahrhunderts! Denn: 1919 saßen 9 % Frauen in der Nationalversammlung; 1932 waren es nur noch 6 %, genau so viel wie 197216 im Bonner Parlament! Wie beschämend für ein Männer(kriegs)jahrhundert! • Nie war so viel Geist und Macht! Eine Republik, in der jüdische Intellektuelle und Wirtschaftsbosse als Symbiose denkbar waren und ihren Platz hatten: allen voran Walther Rathenau.17 • Hier waren schon die großen Europäer präsent, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf die politische Bühne treten würden, allen voran Konrad Adenauer. Dessen Rede als Oberbürgermeister seiner Stadt vor den Delegierten für die erste Nationalversammlung vom Februar 1919 im Hansasaal des Kölner Rathauses bedeutete den kaum verhohlenen Versuch einer ‚Entpreußung‘18, eines Preußen freilich, das seine Bildungsidee, der wir unsere Universität und damit vor allem die tragende Idee der Humanwissenschaften mit verdanken, schon lange hinter sich gelassen und sich mit dem Geist der anderen preußischen Seite, dem Militarismus verbündet hatte.19 Mehr noch: Angesichts der ihn umgebenden Besetzung durch

Nachkriege im Zeichen der Demokratie

die Franzosen und eines heute kaum nachvollziehbaren vergifteten, aggressiven medialen und tagespolitischen Klimas hielt er eine Rede, deren verblüffende Pragmatik und selbstsichere Gelassenheit wie ein immerwährendes Heilmittel für Völkerhass gelesen werden kann – einschließlich des rheinischen Katholizismus eine, wenn auch westeuropäisch inspirierte Europaidee!20

1919 –

ein

Flächenbrand !

Das war, könnte man sagen, die große Politik! Es war bemerkenswert anders: Wo war denn die Mitte? Karl Schlögel hat es uns schmackhaft gemacht: Im Raume lesen wir die Zeit.21 Es war nicht der zentralistische Entscheidungsprozess bis zur Etablierung der Republik – politisch in Berlin – symbolisch in Weimar, den dieses Jahr ausmachte. Wie Flammenherde hatte sich revolutionäres Denken in allen deutschen Landen verbreitet. Wieder einmal zeigte sich, dass das zentralistische Kaiserreich von 1871 die Ausnahme war, eigenwillige aktuelle Formationen in Kultur und Gesellschaft letztlich auf die in Jahrhunderten festgeschriebenen Herrschaftsstrukturen und eine für Deutschland zutreffende differenzierte politische Landschaft bauen konnten.22 Schon 1917 hatte der Verleger Eugen Diederichs auf die oberfränkische Burg Lauenstein eingeladen: Neben den großen Männern, allen voran Max Weber, strömten, in Hoffnung auf eine Erneuerung, junge Leute, vom Krieg zum Pazifisten geläutert wie Ernst Toller, um sich hier Weisheit für die Zukunft zu holen. Doch die „Entzauberung der Welt“,23 mit der der große Heidelberger Soziologe 1919 seine Zeit, die Entfremdung der Moderne und die Bedeutung, die Intellektualisierung und Rationalisierung durch die Wissenschaften daran hatten, auf den Punkt bringen wollte, sollte es gerade nicht sein. Toller gründete einen, über das akademische Milieu hinaus, für die gesamte Generation gedachten Kulturpolitischen Bund der Jugend in Deutschland und ließ in der Stadelheimer Festungshaft, wohin ihn ein glückliches Schicksal wegen der Teilnahme an der Münchner Räterepublik vor dem sicheren

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Tod gerettet hatte, seinen Protagonisten im pazifistischen Kultdrama Die Wandlung das Hohelied einer „Menschheitskathedrale“ verkünden: Nun öffnet sich, aus Weltenschoss geboren / Das hochgewölbte Tor der Menschheitskathedrale. / Die Jugend aller Völker schreitet flammend / Zum nachtgeahnten Schrein aus leuchtendem Kristall. / Gewaltig schau ich strahlende Visionen – kein Elend mehr, nicht Krieg, nicht Hass! [...] Den Weg – Du Dichter weise!24

Walter Benjamin begründet mit seinem Freund Florens Christian Rang eines der unzähligen Versöhnungs- und Utopieprojekte im Bekenntnis zur Bauhütte, ebenfalls einem Rekurs auf die mittelalterliche Idealgemeinschaft des Kathedralbaus, mit der Spiritualität, künstlerische Avantgarde und politisch-moralische Verantwortlichkeit zusammenkommen sollten. Lionel Feininger gibt dem Bauhaus, das im gleichen Jahr in Weimar Fuß zu fassen sucht, als Titelbild von Programm und Manifest mit der in die Moderne weiter geschriebenen Kathedrale ein Signet. Kurt Schwitters beginnt in Hannover mit der Etablierung seines ersten Merz-Baus, einer Hommage an die Ästhetik des Alltäglichen und Sinnlosen, zugleich einer Gegenwelt unter dem programmatischen Titel Kathedrale des erotischen Elends. Martin Buber in Heppenheim sucht die Verquickung von christlichem und jüdischem Messianismus, nahe an Ernst Blochs Geist der Utopie. Utopiebereite Zeitgenossen treffen sich dort in der Nachpfingstwoche. Romano Guardini verbündet Christliches an der Universität Bonn, begleitet vom Abt des Klosters Maria Laach, Ildefons Herwegen. Ihr Netzwerk wird die Quickborn-Bewegung, angesiedelt in der Burg Rothenfels am Main, für das einer der ganz Großen, der Architekt Rudolf Schwarz spirituelle Räume schafft. Ein vergleichbarer Geist entwickelt sich im Kloster Beuron. Die sie tragende katholische Liturgiebewegung hat höchste ästhetische Maßstäbe, realisiert ein zukünftiges Christusbild, das Jesus als Salvator, Opfer, Leidendenden schlechthin verkündet, analog zum Messianismus im expressionistischen Theater, z.B. bei Georg Kaiser.

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Novembergruppen verbreiten sich von Dresden aus übers Land. Sie nehmen politisch-revolutionär Stellung. In ihren Kreisen entwickelt sich zugleich eine Architekturrevolution, die um und mit Bruno Taut schon im Februar 1919 in der utopischen Vereinigung Gläserne Kette ein Sprachrohr sucht. Taut hatte schon 1914 mit seinem Glaspavillon auf der Kölner Werkbundausstellung – einem globalen Ereignis – eine Versöhnung von Orient und Okzident zelebriert. Auch dies schon ein Kapitel Utopie, neben Henry van de Veldes Werkbundtheater, das Stücke von Emile Verhaeren gespielt hatte und den berühmten Alexander Sacharow tanzen ließ. Am Bodensee trafen sich der damals vielgelesene Neukantianer Paul Natorp, Wilhelm Schäfer und Alfons Paquet, verfassten im Namen des Versöhnungsprojektes Bund der Sommerhalde einen Aufruf an das Proletariat,25 dem auch Albert Einstein und Thomas Mann zustimmen. In Köln arbeitet man an dem vielleicht aufregendsten Denk-/ Schlüssel-Bild, wenn wir die Version eines katholischen Anarchismus als eigenes Format sehen. Max Ernst hatte bereits 1912 sein Ölbild Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen verfertigt, jetzt gewinnt es eine eigene Aktualität. Ernst und die Pariser Freunde, auch Gala Eluard treffen sich. Mit der Muse dreier Jahrhundertmänner (Eluard, Max Ernst und Dali) wird diese Avantgarde mit dem Umzug der Ménage à trois nach Paris weitergeschrieben und vernetzt mit dem aus Zürich eingewanderten Dadaismus, hinein in den Surrealismus. Auch dies: ein Beitrag zum Völkerfrieden. In der Kölner Szene versagte das Nihilismuspostulat der Moderne, statt Asebie funktionierte hier eine besondere Weiterschreibung in die Moderne! Der rheinische Katholizismus (heute bekannt von Böll) investierte in Dada mit DadaMax Ernst, Hans Arp, Heinrich Hoerle und Johannes Theodor Baargeld, eingebunden in die große Kunsthandelsszene um Alfred Flechtheim, Karl Nierendorf und Henry Kahnweiler, mit Außenposten im kleinen Eifelort Simonskall. Mit dem großen Europäer Alfons Paquet, Promoter für alle Formen der Genossenschaft als Modell einer Basisdemokratie mit hohem Wert des Gemein(schafts) wohls, gipfelt das spirituelle Denken: Im November hält Paquet in der

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Galerie Nierendorf die Rede Der Rhein als Schicksal,26 in der er gegen das Petrinische, versteinerte, lebens- und menschenfeindliche Projekt des Christentums das Johanneische setzt.

Z wischenbilanz Fragt man, was dieses Jahr zusammenhielt, so war es eben diese hochexplosive Mischung aus realen Auflösungssyndromen und Starre und einer Art Pfingsten, mit der dieser geradezu eschatologisch inspirierte, mit Paradiesbildern ausgeschmückte Sehnsuchtsort Europa herbeigeschrieben, -gemalt und -beschworen wurde!

1945 – E in (B lick-)Wechsel Kriegsende. Chaos, rückströmende Soldaten, Auflösung aller Ordnung: Nur alles in verschlimmerter Aufmachung. Zeitungen nur, wenn es Papierzuweisungen gab und die Alliierten ihre Zustimmung gaben, die Städte zerstört, kein Ort nirgends! Der Topos vom unbehausten Mensch machte mit Hans Egon Holthusen27 die Runde. Auch der Vergleich der Organisationsformen unter Intellektuellen offenbart es: Frommes nur von der zurückgeblieben Inneren Emigration, etwa Werner Bergengruen und Reinhold Schneider, die ihre Kommentare zur Zeit in christliche Abendlandgedanken verpackten. Bei den Jüngeren: keine Bünde! Alles Spirituelle, Religiöse wird spätestens mit Heinrich Bölls Satire Dr. Murkes gesammeltes Schweigen entlarvt als Herrschaftsgestus und Opportunismus einer mediengeilen Kulturmafia, hier dem in der Bonner Republik überaus wirkungsvollen Westdeutschen Rundfunk, dessen bis heute zum Kult avancierter Paternoster in Bölls literarischem Schmuckstück so etwas wie ein Narrativ für das Restaurative und den Schrecken, den es beim kritischen Zeitgenossen verursacht, abgibt. Nicht minder symptomatisch die Gruppe 47, ortlos seit ihrem Beginn dem bereits 1945 im amerikanischen Kriegsgefangenenlager Fort

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Phil Kearney in Rhode Island von den Amerikanern formierten Kreis demokratischer Kräfte, aus dem sich ein zwanzig Jahre lang marktbeherrschender Fundus von Autoren entwickelt, fast gänzlich unpolitisch, mit Hans Werner Richter als einer Art Petrus des Schriftstellerhimmels vorneweg, ein ambulantes, programmresistentes, multiästhetisches ‚One-Man‘-Projekt! Die Universitäten? Schweigen – keine Gemeinschaften – mit wem auch? Noch in meinen ersten Semestern in den Sechzigern beherrschte ein Benno von Wiese in der Germanistik das Feld und bedeutende Historiker wie Theodor Schieder strickten an der These von der Zwischenkriegszeit. Erst spät wurde ihre Geschichte bekannt. Für einen Wechsel bedurfte es einer neuen Generation. Ganz anders als die Zeitgenossen von 1919, die gerade mit der Erfahrung des Krieges ihre spontanen gesellschaftsverändernden Ideen und Aktivitäten legitimierten, musste eine neue Quelle für den Ruf nach einer Einheit von Politik und Moral wirken, die dann tatsächlich im 1960er Jahrzehnt mit der Dortmunder Gruppe 61, der Sozialdemokratischen Wählerinitiative und der Befreiungsbewegung in den Kunstakademien Realität wurde: Ihre Stärke erhielt die politische, intellektuelle und künstlerische Bewegung aus den Kreisen von Exilintellektuellen wie Max Horkheimer und Theodor Wiesengrund Adorno, deren Kritische Theorie zu wirken begann, von Exilpolitikern wie Willy Brandt und dem ehemaligen Stuka-Flieger Joseph Beuys, den die eigenen Leiden nach einem Absturz seines Flugzeuges zum Pazifismus bekehrt hatten und der nun mit seinem Votum: „Jeder Mensch ein Künstler“28 zu einem Programm existentieller Freiheit aufrief. Wieder war es wesentlich die Generation der Erfahrenen, nur brauchte sie viel, viel länger, um einem Geist der Utopie etwas abzugewinnen, auch Ernst Bloch, der dennoch kurz vor seinem Tod zum geradezu zeichenhaften Gast des ersten Schriftstellerkongresses 1971 in Stuttgart wurde. Seit an Seit mit Autoren und Politikern wie Willy Brandt und Gustav Heinemann saß er in der ersten Reihe. Initiator dieses bemerkenswerten neuerlichen Versuchs einer Reintegration von Geist und Politik war Günter Grass, der Meister einer unauflöslichen Spannung von Apokalypse und Utopie. Das Stuttgarter Ereignis aber

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war, vergleicht man die Utopiebereitschaft und Demokratieidentität mit der um 1919, nur ein Bruchteil und Restbestand, der schon mit dem Sturz Willy Brandts in seiner Emphase erloschen war – entzaubert. Schon ein Jahrzehnt nach diesem Fortschrittsappell hat Grass mit seinem Denkbild Rättin den inkarnierten Beweis von Gottes „verpfuschter Schöpfung“ literarisch etabliert und an Jean Paul Richters Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, auf die er sich in diesem Roman beruft, gebunden. Er liefert damit das stärkste, nicht zu widerlegende oder widerlegte Pendant zum Utopiebegriff und utopisch-praktischem Lebensversuch der Intellektuellengeneration von 1919. Sein Paradox, getragen vom Existentialismus der französischen Intellektuellen und im Absurden des Theaters ansehbar gemacht, war nur noch ein bescheidener Rest, sozusagen das Negativ der hoffnungsschwangeren Utopie der frühen Jahre. Da ging keine spes sola mehr mutig in die Friedensschlacht, sondern trottete, schwer von Vergangenheitsbildern in eine nichts versprechende Zukunft. War die Generation von 1919 die, die die Zukunft beschwören wollte, zeigte sich diese Generation von Intellektuellen der zweiten Nachkriegszeit als die Generation der Abschiednehmenden. Und es reizt, Walter Benjamins geschichtsphilosophische Reflexionen, die er angesichts der 1920 entstandenen aquarellierten Zeichnung Angelus Novus von Paul Klee, die er 1921 erstanden hatte und 1940, kurz vor seinem Freitod in seinen geschichtsphilosophischen Reflexionen zum Anschauungsbild evoziert, als Deutungsmuster hier einzubeziehen: Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt. 29

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Für Benjamin ist er das Denkbild für Geschichte: Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. 30

Anders als der Engel der Geschichte aber ist der Historiker keineswegs zu völliger Ohnmacht verdammt. Denn im Unterschied zum Engel vermag er im Sturmwind der Geschichte innezuhalten – zu „verweilen“31 – und in den toten Trümmern der Vergangenheit Splitter jenes messianischen Jetzt auszumachen, die es freizusetzen – mit einem anderen Wort – zu erlösen gilt. Als eine, so Benjamin, stets gegenwärtige Möglichkeit. Nehmen wir Benjamins geschichtsphilosophische These, so können wir im Sinne dieses Anschauungsobjektes sehr unterschiedliche Antworten geben, wenn wir die beiden Nachkriegszeiten vergleichen. Wovon hatten sich die Zeitgenossen von 1945 verabschiedet und wie haben es Schriftsteller als Interpreten vermittelt? Günter Eich hat in Camp 16, einem mit 35.000 Gefangenen in freier Natur belegten Lager bei Remagen, wohin man ihn verbracht hatte, sein Dasein mit der Poesie unterlegt, die seinem Seelenzustand entsprach. Zitieren möchte ich aber nicht aus dem bekannteren Gedicht Inventur, das als Reduktionsform von Sprache, Gedankenwelt und Weltsicht in Form eines Nagels, mit dem das lyrische Ich seinen Namen in eine zur Rundumversorgung gebliebene Blechdose ritzt: eine minimalistische Selbstbehauptung. Kropotkins utopisches Paradies von der Gegenseitigen Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, von dem oben als identitätsstiftendem Text der Generation von 1919 die Rede war, scheint im Gedicht Camp 16 ad absurdum geführt, wenn es in Eichs Gedicht heißt:

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„Wo blieben die Kameraden? / Ach, bei Regen und Sturm / Wollen sich zu mir laden / Nur Laus und Regenwurm.“32 Stille, Leere, keine Ismen, Aktivismen! Mehr noch: Eich benennt in seinem Gedicht etwas, von dem er nicht einmal Abschied nehmen kann, weil es als identitätsstiftender Ort entschwunden ist: Zur Lagerstatt rupf ich Luzerne. / Nachts sprech ich mit mir allein. / Zu Häupten mir funkeln die Sterne. / Es flüstert verworren der Rhein. / Bald wird die Luzerne verdorrt sein, / Der Himmel sich finster bezieht, / im Fließen des Rheins wird kein Wort sein, / Das mir süß einschläfert das Lid. 33

Heinrich Heines Loreley, das Romantische, das Rüdiger Safranski zu Recht als das deutsche Muster schlechthin fixiert,34 und das Henning Ritter mit der Zuweisung, der Rhein „ist die Höhle der Deutschen“,35 topografisch verortet hatte, ist nur noch als Schwundform eines Zitats vernehmbar. Es ist die Absenz von realer, mentaler und intellektueller Heimat – auch die Absenz messianischer Deutungsmuster. Fast möchte man mit Nietzsches 1884 entstandenen Gedicht weiterdenken. Unter den wechselnden Titeln Vereinsamt, Der Freigeist, Abschied, Heimweh, Aus der Wüste heißt es dort: „Die Krähen schrei’n / Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: / Bald wird es schnei’n – / Weh dem, der keine Heimat hat!“36 Dennoch: Demokratie, eine, die wir aus der Rückschau als verlässliches Fundament unseren derzeitigen Deutschland und Europa ansehen müssen, können, dürfen wir auch in diese trostlose Zeit geben! Diese Demokratie kam nicht, wie der geradezu emphatische Entwurf von 1919 von innen oder wurde von den Betroffenen selbst vorangebracht. Wo kam sie her? Ein Rundblick um den Kölner Neumarkt zeigt im Umkreis von 100 Metern in schönster 1950er Jahre Architektur: Amerikahaus, British Council, Belgisches Haus – bis Anfang des Jahrtausends blieben sie der Kontext einer zunächst fragilen, und nur in einem langen Prozess der Sensibilisierung gediehenen solideren Existenz – der Demokratie.

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Fazit Ziehen wir, auch im Blick auf Benjamins Geschichtsdeutung, ein Fazit: Zwei Nachkriegszeiten – zwei Demokratien – zwei Welten, die dennoch unter dem Aspekt einer kulturhistorischen Verortung in eine bemerkenswerte Traditionslinie gestellt werden dürfen. Was heißt das für unser Narrativ? Antwort kann ein Blick auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg geben. Diese Zeit kann uns über das Wesen eines politischen Wechsels aufklären: In diesem Fall war es der in vielerlei Entwürfen ansetzende dringende Wunsch der Widerlegung verlorener Menschlichkeit, nennen wir sie im Blick auf unser Thema Gerechtigkeit. Ein sensibles Gefühl der Gleichheit, der neuen Gemeinschaft kam aus der Mitte der kriegerlebenden Generation, getragen vom Geist, Kultur, Bildung, doch vor allem der Suche nach dem adamitischen Menschen. Hugo Ball hatte ihn ebenso beschrieben wie wir die Maler der Brücke, den Blauen Reiter und Carl Einstein. Die Weimarer Republik hatte im Ansatz eben diese Demokratie gebracht, die sich als Kurswechsel verstehen wollte. Sie war nicht das Paradies, das damals in einer Fülle literarischer und künstlerischer Visionen in Theater, Bild und Poesie erschien, aber Freiheit, Gerechtigkeit und auch Gleichheit waren ihr in bemerkenswerter Weise eingeschrieben, sogar, anders als in manchen der als Utopien verstandenen Aufrufe der Zeit, als realpolitisches Programm. Erst der „Verrat am Geist“, um einmal mit Heinrich Manns oft geäußerter Formel für den Niedergang zu argumentieren, hatte dieses Demokratieprojekt von hinten erschlagen – eine vom Paradox eingeholte Dolchstoßlegende! Antwort kann aber auch der Blick auf den Neubeginn, die ‚Stunde Null‘ nach dem Zweiten Weltkrieg geben. Die Dinge lagen anders: Nicht der Verlust an Menschlichkeit war es, der die Generation derer umtrieb, die nun handeln mussten. Sie hatten eine Lektion vor sich, die viel härter war: Sie musste sich erst einmal von einer Identität der selbst praktizierten, ideologisch unterfütterten Unmenschlichkeit, auch wenn sie mit einer vorgeblichen Verführbarkeit sich zu exkulpieren suchte, befreien. Nicht Freiheit konnte hier das Schlüsselwort sein, son-

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dern Befreiung: so, wie Siegfried Lenz es in der Deutschstunde als Lesebuchkapitel vorgibt. Wie lange dieser Prozess dauerte, konnte Richard von Weizsäckers Rede zum 8. Mai im Jahre 1985, also 50 Jahre später zeigen. Im Sinne der Annales37 erweist sich das Jahr 1919 als Evenment, als Ereignis, doch in unserem Fall wird es, setzen wir es zum Ereigniskomplex der unmittelbaren Nachkriegszeit ab 1945 in Beziehung, zu einem Modellfall der longue durrée – der europäischen Demokratie. Trotz einer Ereigniskette der Unglücke lässt sich die Kontinuität eines europäischen Denkens von 1919 in die Zeit nach 1945 weiterverfolgen. Dies als Idee des Humanen zu werten, dürfte hier auf großen Konsens stoßen. Nehmen wir die Geschichte als Trümmer im Sinne Benjamins, so müssen und können wir sie auch noch als Splitter und weiter, zukünftig zusammenfügen: Wir müssen zur Freiheit die Befreiung geben. Wir müssen zur Gerechtigkeit die Gemeinschaft geben. Wir müssen zu diesem allen die Stimmen herauslocken, aus Archiven, aus Wissenschaftsdiskursen aus den verschütteten Örtern des Gedächtnisses, um die Stimmen zu aktivieren, derer eine Demokratie bedarf. Das ist leicht gesagt. Humanwissenschaften sind in unseren Zeiten eine Universitätsdisziplin, eine Fakultät, die wir gründlich in den Orkus treiben! Nietzsche hatte in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen die „Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des ‚Deutschen Reiches‘“38 beklagt. Wir könnten, ungerührt, wie es sich tatsächlich vollzieht, heute von der Exstirpation des Europäischen Geistes zugunsten der globalen Wirtschaft sprechen. Dennoch: Ansteckend könnten die Zeiten wieder einmal werden, die eine andere Tinte benutzten, andere Sprachen und Bilder fanden. Hier ließe sich mit den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts eine noch weitgehend unentdeckte, oder von einer an ganz anderen Zusammenhängen orientierten Geschichtsdeutung als konstruktive Kraft aktivieren und gegen tradierte Deutungsmuster angehen. Für eine zukünftige Wissenschaftskultur müssten wir, um zum Ausgangsbild zurückzukommen, uns ein eigenes Chamäleon züchten. Anregung könnten wir wieder einmal bei Walter Benjamin finden. Seine Idee des Lumpensammlers, als den er den kritischen Zeitgenossen und den Historiker beschreibt, nehmen und ihn für uns fruchtbar

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machen: Eine suchende, entdeckende Wissenschaft, keine, die vom Deutungstrieb her ihren imperialen Anspruch definiert. Wir brauchen ein produktives Kulturmodell. Nutzen können wir dieses Riesenfeld aktiver und schöpferischer Menschen für einen konstruktiven Vergleich. Das Konkurrenz-Modell einmal umkehren! Vom frühen 20. Jahrhundert einmal die Vielheit lernen! Die Offenheit, das Utopische als das Menschliche, Literatur als Prognostik und weniger als Konkurrenzkampf im lustvollen Beschreiben von Kriegen aller Art. Mein Lehrer Alfred Döblin schon hatte dieser Festschreibung der Entfremdung den Kampf angesagt. In seinem letzten Roman Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende war er zum literarischen Projekt angetreten, sein Jahrhundert unter der Erkenntnis, dass es „vielerlei Kriege“ gebe, aus psychoanalytischer wie auch aus historisch-politischer Sicht über das Wesen jedes Krieges aufzuklären. Für ihn war der Krieg generell ein aus der Ordnung Kommen der Dinge! Auch für ihn ging es nur ganzheitlich! Walter Benjamins Vermächtnis sollte uns nicht kalt lassen. Es liegt in eben diesem Paradox, das den Lumpensammler antreibt im sicheren Bewusstsein, dass Humanwissenschaften und das Humane zusammengehören und im Wissen darum, dass er es suchen, aber nicht finden wird!

A nmerkungen 1 | http://gutenberg.spiegel.de/buch/vom-kriege-4072/3, vom 6.4.2017. 2 | Krumeich, Gerd: Juli 1914. Eine Bilanz. Mit einem Anhang: 50 Schlüsseldokumente zum Kriegsausbruch. Paderborn: Schöningh 2014. 3 | Zur Verwendung der Clausewitz-These vgl. das Großprojekt 1914 – Mitten in Europa des Landschaftsverbandes Rheinlandes (LVR) www. rheinland1914.lvr.de; Krumeich wirkte im Beirat, die Verfasserin war dort Vorsitzende und begleitete die gesamte Realisierungszeit von 2013–2016.

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4 | Diese Konnotation, die Harald Heppner auf dem I. Internationalen Kongress des Forums für Humanwissenschaften (Ljubljana, September 2016) einbrachte, nehme ich dankbar auf! 5 | http://www.europeana-collections-1914-1918.eu, vom 03.03.2018. 6 | Das Auswärtige Amt veranstaltete nach langem Zögern, sich überhaupt beim Centanarium angemessen zu beteiligen, im Dezember 2014 den Kongress European Commemoration in den Räumen des Auswärtigen Amtes, wandte sich dabei aber vor allem den bisher kaum bewusst gewordenen Geschichten in ost- und südosteuropäischen Ländern zu. 7 | Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München: Deutsche Verlagsanstalt 2013. 8 | Rohrbach, Paul: Der deutsche Gedanke in der Welt. Düsseldorf: Langewiesche 1912. 9 | Den Gewinn dieses Denkbildes verdanke ich einem intensiven Gespräch mit Christoph Schnoor, Associate Professor, Unitec Institute of Technology, Auckland, Neuseeland. 10 | Kropotkin, Peter: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Leipzig: Theod. Thomas 1908. Das Werk Peter Kropotkins Mutual Aid: A Factor of Evolution (1902) wurde von Gustav Landauer übersetzt und ist unter dem Titel Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung 1904 erschienen. Die bekannteste Leseausgabe wurde die zweite Auflade, die 1908 mit dem veränderten Titel Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt erstmals erschien. Landauer hatte zunächst den in der damaligen interessierten Szene und ihrem Denken in der Kategorie Weltanschauung favorisierten Begriff Entwickelung gewählt. 11 | Die Forschungen des Instituts „Moderne im Rheinland“ haben diesen Zusammenhang seit den 1990er Jahren im Blick. Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen dazu vgl. Cepl-Kaufmann, Gertrude: „Gustav Landauer im Friedrichshagener Jahrzehnt und die Rezeption seines Gemeinschaftsideals nach dem 1. Weltkrieg“, in: Delf, Hanna u. Mattenklott, Gert (Hrsg.), Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 235 –275. 12 | Luxemburg, Rosa: „Zur russischen Revolution“, in: Levi Paul (Hrsg.), Rosa Luxemburg. Gesammelte Werke, Bd. IV. Berlin: Dietz 1918, S. 365.

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13 | Klemperer, Victor: Man möchte immer weinen und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919. Mit einem Vorwort von Christopher Clark und einem historischen Essay von Wolfram Wette. Berlin: Aufbau 2015. 14 | Cepl-Kaufmann, Gertrude: „Liebe und Güte als politische Kategorien im Werk von Heinrich Mann“, in: Neuhaus-Koch, Ariane u. Cepl-Kaufmann, Gertrude (Hrsg.), Literarische Fundstücke. Wiederentdeckungen und Neuentdeckungen. Festschrift für Manfred Windfuhr. Heidelberg: Winter 2002, S. 275 –300. 15 | Kammasch, Gudrun: „Fritz Haber und Clara Immerwahr – wem dient die Wissenschaft“, in: Loureda, Oscar (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg und die Folgen. Heidelberg: Winter 2016, S. 47–75. 16 | In diesem Jahr mussten Ehefrauen nach wie vor noch eine Erlaubnis ihrer Ehemänner vorlegen, wenn sie berufstätig sein wollten. 17 | Delabar, Walter: Walter Rathenau. Der Phänotyp der Moderne. Literatur- und kulturwissenschaftliche Studien zu Walter Rathenau. Bielefeld: Aisthesis 2009. 18 | Mit diesem bisher unbeachteten Phänomen habe ich mich im Kontext des Preußenjahres im Rheinland beschäftigt. Unter dem Titel Danke Berlin. 200 Jahre Preußen am Rhein wurde an die Beziehung der Rheinländer zu Preußen erinnert (vgl. dazu auch Cepl-Kaufmann, Gertrude: „‚Jahrtausendfeiern‘ und ‚Befreiungsfeiern‘. Kulturelle Manifestationen im besetzten Rheinland“, in: Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 31 (2016), S. 169 –188. Mit den politischen Entscheidungen auf dem Wiener Kongress kam die Rheinprovinz an Preußen. Nach dem Ersten Weltkrieg und mit den politischen Veränderungen lösten sich zwar alte Herrschaftsstrukturen zugunsten des Freistaat Preußen auf, doch zusammengehalten wurden die deutschen Provinzen mit dem 1921 etablierten Preußischen Staatsrat, der neben dem Preußischen Landtag als zweite Kammer fungierte. Adenauer war dort nicht nur Mitglied, sondern wurde mit Beginn zum Präsidenten des Staatsrates gewählt und blieb es bis 1933. 19 | Gordon Craig hat die Doppelstruktur Preußens im Anschluss an die Forschungen Rudolf von Thaddens Fragen an Preußen (1981) herausgestellt. Vgl.: Craig, Gordon: Das Ende Preußens. München: Beck 1985.

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20 | Die Rede ist im Internet zugänglich (https://www.konrad-adenauer. de/dokumente/reden/1919-02-01-rede-hansasaal, vom 5.12.2016). Die Rolle Adenauers muss im Kontext der Kommunalreform gesehen werden: Mit ihr erhielten die Städte ein ungleich höheres, antizentralistisches Gewicht, das z.B. die großen rheinischen Oberbürgermeister wie Adenauer in Köln, Robert Lehr in Düsseldorf und Karl Jarres in Duisburg trotz der Besetzung des Rheinlands für einen neuen Geist der Demokratie nutzten. 21 | Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München: Carl Hanser 2003. 22 | Harald Heppner hat im Gespräch in Ljubljana 2016 darauf hingewiesen, dass es vergleichbare, ungeplante politische Aktivitäten mit jeweils sehr eigenwilligen Lösungsmodellen gegeben hatte. Hier könnte der Ansatz für eine auch methodisch vielversprechende Studie liegen, in der einmal europäische Regionen verglichen werden! 23 | Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. München: Langen 1919, S. 488. 24 | Toller, Ernst: „Die Wandlung. Das Ringen eines Menschen“, in: Spalek, John M. u. Frühwald, Wolfgang (Hrsg.), Ernst Toller. Gesammelte Werke. Bd. 2. Dramen und Gedichte aus dem Gefängnis. München: Dtv 1978, S. 7– 62, hier S. 51. 25 | Cepl-Kaufmann, Gertrude: „Gemeinschaftsutopien am Rhein. Wilhelm Schäfer und der ‚Bund der Sommerhalde‘“, in: Bosch, Manfred/Gaier, Ulrich/Rapp, Wolfgang/Schneider, Peter/Schürle, Wolfgang (Hrsg.), Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1800 –1950. Biberach/Riß: Oberschwäbische Elektrizitätswerke 2006, S. 703–717. 26 | Paquet, Alfons: Der Rhein als Schicksal oder Das Problem der Völker. München: Kurt Wolff 1920. 27 | Holthusen, Hans Egon: Der unbehauste Mensch. Motive und Probleme der modernen Literatur. Essays. München: Piper 1951. 28 | Vgl. hierzu auch das Interview mit Joseph Beuys von Brügge, Peter: Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt. In: Spiegel-Online, 4.6.1984. In: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13508033.html, vom 7.4.2017. 29 | Benjamin, Walter: „Über den Begriff der Geschichte“. In: Unseld, Siegfried (ausgewählt von): Illuminationen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001, S. 697.

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30 | Ebd., 697– 698.   31 | Ebd. 32 | Eich, Günther: Abgelegene Gehöfte. Frankfurt/Main: Schauer 1948, S. 34. 33 | Ebd. 34 | Safranski, Rüdiger: Die Romantik. Eine deutsche Affäre. München: Carl Hanser 2007. 35 | Ritter, Henning: Das Rheintal ist die Höhle der Deutschen, in: FAZ, 28.8.2007, S. 12. 36 | Nietzsche, Friedrich: „Vereinsamt“, in: ders., Gedichte im Zeitraum von 1882 –1885. Werke, I. Abt., Bd. 8. Leipzig: Diederichs 1895, S. 355. 37 | Hier insbesondere: Bloch, Marc/Braudel, Fernand/Febvre, Lucien: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zu systematischen Aneignung historischer Prozesse. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977; Le Goff, Jacques/Chartier, Roger/Revel, Jacques (Hrsg.): La nouvelle histoire. Les encyclopédies du savoir moderne. Paris: Retz 1978 und als deutsche Ausgabe der gekürzten französischen Neuauflage von 1988: dies: Die Rückeroberung des historischen Denkens. Grundlagen der Neuen Geschichtswissenschaft. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch 1994; Burke, Peter: Offene Geschichte. Die Schule der „Annales“. Berlin: de Gruyter 1991, aktualisiert und erweitert in ders.: Burke, Peter: Die Geschichte der Annales. Die Entstehung der neuen Geschichtsschreibung. Berlin: de Gruyter 2004. 38 | Nietzsche, Friedrich: „Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück: Der Bekenner und der Schriftsteller“, in: Schlechte, Karl (Hrsg.), Werke in drei Bänden. München: Carl Hanser 1966, S. 137–207.

L iteratur Benjamin, Walter: „Über den Begriff der Geschichte“. In: Unseld, Siegfried (ausgewählt von), Illuminationen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001, S. 697– 698.

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Nachkriege im Zeichen der Demokratie

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Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen Ein Versprechen auf dem Weg zu den Zentenarien von Bauhaus und Weimarer Republik1 Thomas Schleper

1. Das G edenken des Weltkriegs als F riedensversprechen Als europäisches Projekt ganz unwahrscheinlicher Konfiguration darf man vielleicht das 2012 vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) angestoßene, von 2013 bis 2016 laufende und von einem international besetzten Beirat kompetent begleitete Veranstaltungsprogramm 1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg bezeichnen. Eine Auswertung des auch für den Landschaftsverband ungewöhnlichen und in vielerlei Hinsicht herausfordernden Vorhabens ist mittlerweile publiziert.2 Aus regionaler Perspektive wurde an mehr als zwölf Ausstellungsorten statt der nationalen eine europäische Karte gezogen: praktisch, was den umfangreichen internationalen Leihverkehr betrug; thematisch, weil der europäische Weltkrieg auch kaum die Beschränkung auf einen nur regionalen Interaktionsraum zuließ. Und dies, obwohl im Rheinland keine ‚Schlachtengemälde‘ anstanden, sondern die sogenannte Heimatfront. Doch die vielfältigen Zusammenhänge und die multifokalen Perspektivierungen, die historische, archäologische, technische, medizinische, politische und künstlerische Bezüge auf-

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nahmen, haben immer wieder den grenzüberschreitenden Verkehr der verwandten Narrative stark gemacht. Dazu hatte sicherlich die mittlerweile transnational aufgestellte Forschung beigetragen. Andererseits hat auch das Projekt selbst zur Forschung in Sachen europäischer Erinnerungskultur beigetragen. Dementsprechend waren die Ausstellungsprojekte zum Ersten Weltkrieg kaum regionalspezifisch oder nationalkonzentriert, schlossen aber nationale bzw. regionale, ja sogar lokale Schattierungen und Schwerpunktsetzungen keinesfalls aus. Was zudem alle größeren Ausstellungen, die im In- und Ausland in den Blick kamen, überwiegend auszeichnete, war das gemeinsame Narrativ einer Friedensbotschaft: „Nie wieder!“, lautet der deontologische Anspruch, während das heutige Europa als ein Garant dafür erscheinen sollte und im Zentrum die deutsch-französische Aussöhnung. Wurde nicht 2012 der Europäischen Union der Friedensnobelpreis zugesprochen? Insofern bargen die Ausstellungen ein gut begründetes Versprechen. Auch der rheinische Ausstellungs- und Veranstaltungsreigen nahm diese Spur auf. Gleichwohl darf ich mir als Projektleiter eine selbstkritische Note erlauben. Hier wurde ja ganz bewusst ein noch anderes Narrativ stark gemacht, das ein „Nie wieder!“ mit einem Verständnis von Moderne überschrieb, das eine tiefgründige Ambivalenz am Werke sah: Aggression und Avantgarde. So der programmatische Titel des Kongresses im LVR-LandesMuseum Bonn, der den rheinischen Veranstaltungsreigen im September 2013 einleitete und damit eine Leitlinie vorgab, die auch in den Vorworten aller Kataloge des Ausstellungsverbundes aufgenommen wurde.3

2. A ufklärungsarbeit und B ildungsauftrag im K onflikt? Dieses Narrativ, diese Leitlinie war hörbar einer Quintessenz Walter Benjamins nachgebaut, derzufolge es kein Dokument der Kultur gebe, das nicht zugleich eines der Barbarei sei. Das nicht alternativ, sondern komplementär angesetzte ‚Passwort‘ „Aggression und Avantgarde“ ver-

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

stand sich dann auch noch als Theorem, das über eine engere Thematik „1914“ hinausreichte und nicht etwa einer historischen Sequenz entsprach, wie vielfach als ein Nacheinander von Belle Époque und Apokalypse des Krieges beschrieben und wie z.B. im TGV-Bahnhof zu Lüttich großformatig ausgestellt wurde.4 Im Rheinland die Alliteration mit dem Terminus „Aggression“ beginnen zu lassen stand dem entgegen. Die Formel verstand sich insofern als größter Nenner einer Schrecken verbreitenden Dialektik der Moderne. Als solche fungierte sie wie eine „regulative Idee“, deren epistemologischer Wert sich im Sinne Kants keiner konstativen, sondern Orientierung gebenden Funktion verdankt. So wie der unerwartet große Widerhall, den das Thema Erster Weltkrieg 2014 nicht nur in Ausstellungen fand, ein Sujet explizit und prominent gemacht hat, das bislang nicht nur im Schulunterricht vernachlässigt worden war, so provozierte doch die im rheinischen Verbund bei aller Multifokalität durchgehaltene Orientierung auf ein Ganzes und Allgemeineres eine Art vertrackte Meistererzählung. Ersteres folgte dem wohlverstandenen Bildungsauftrag, letzteres konnte seine Durchführung auch wieder in Schwierigkeiten bringen. Hier spielen zudem noch die kontingenten Rezeptionsbedingungen eine Rolle. Denn just zum Gedenken an den ersten Weltenbrand schwelte bzw. brannte es bereits an den Rändern Europas: auf der Krim, im Nahen Osten. Die weltpolitischen Rahmenbedingungen standen also für pessimistische Auslegungen und düstere Überzeugungen eher im Sinne von „Aggression und Avantgarde“ und weniger von „Nie wieder!“. Und es war sicherlich die Duisburger Schau Zeichen gegen den Krieg, die hier einen Schwerpunkt setzte, indem sie den Ersten Weltkrieg aus dem bloßen Rückblick einer ‚urkatastrophischen‘ Epochenmarkierung herausholte und mit ihren Beispielen bis in die Jetztzeit mit allergrößter Betonung auf den betrüblichen Gesichtspunkt einer fragwürdigen Humanität bezog: weil diese nicht aufhört, Kriege zu führen und Schrecken zu verbreiten – als handle es sich um eine Konstante des Menschseins: „wie die Liebe“ – so Brechts Mutter Courage.5 Nun war von Beginn an klar, dass ein verbindendes Narrativ zum Ersten Weltkrieg kaum einer Vorstellung von Moderne als „Heilsgeschehen“

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folgen konnte, wie sie etwa gerne in der Automobilwerbung, aber auch noch in so mancher Kunst- und Architekturgeschichte vertreten wird.6 Demgegenüber starteten die Rheinländer, so könnte man die Dramaturgie ihres Ausstellungsverbundes lesen, zwar mit dem wunderbaren Archiv der Autochrome des Philanthropen Albert Kahn, um eine hoffnungsfrohe, weil als universale Friedensbotschaft sprichwörtlich gesammelte Welt in Farbe vor dem Großen Krieg auferstehen zu lassen.7 Doch kontrastierten die folgenden Präsentationen mit der gründlichen, in reicher Facettierung belegten Negierung solche Hoffnungen. Als hätten sie die Kritik Roland Barthes᾿ an einem vergleichbaren Unternehmen, nämlich der seit den 1950er Jahren tourenden Fotoausstellung von Edward Steichen für das MoMa in New York, mit den Mitteln der historischen Ausstellung und sozusagen projektspezifsch nachvollzogen.8 Auch darin bestand sicherlich eine wichtige Aufklärungsleistung. Doch welchem Menschenbild setzte (nicht nur) das rheinische ‚Negativ-Narrativ‘ einer derart obsiegenden „répugnante absurdité“ („abscheulichen Absurdität“) die doch auch ganz gezielt angesprochenen Heranwachsenden aus?9 Hätte man nicht stärker der Gefahr des Ausstellens verabsolutierter Vergeblichkeit begegnen müssen, gerade weil diese heutige Ereignisse weltweit und mit erschreckender Plausibilität nur zu gut bestätigen dürfte? Reproduzierte man nicht die weltkriegserfahrene und altersgrame Perspektive des Schriftstellers Dieter Wellershoff, indem man sie auf die multimedialen Ausstellungsbühnen brachte: nämlich eine Welt zu denken, „die für sich da ist, fremd und undurchschaubar, in gleichgültiger Faktizität, und immer wieder durchwirkt vom Zufall“?10 Hätte man nicht solche Fixierungen von so geballter wie ausgesuchter Gnadenlosigkeit vermeiden sollen, zumindest konterkarieren müssen? Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass sogar öffentliche Medien- und Rundfunkanstalten keineswegs zimperlich sind, blutrünstige Brutalitäten anzubieten, die natürlich auch Jugendliche erreichen und entsprechend längst – sagen wir einmal: seelisch – ‚abgehärtet‘ haben. Meine (vorläufige) Argumentation zielt, in Anknüpfung an die Diskussionsrunden im Rahmen der im Februar 2015 durchgeführten Eurovision im LVR-Industriemuseum in Oberhausen, eines großen

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

Abschlusstreffens zum Verbundprojekt mit rund zwanzig Schulklassen aus sieben europäischen Ländern, auf die Aufklärung eines Selbstmissverständnisses: Der ganze Schrecken der Moderne war womöglich längst gedämpft; nicht etwa durch eine Widerlegung der konzeptionellen Leitlinie von „Aggression und Avantgarde“, sondern durch die formalen Qualitäten seiner Darstellung, nämlich im Hinblick auf Medienbedingungen und Präsentationsformate von Ausstellungen, die linearen Meistererzählungen grundlegend widersprechen. Dies muss an dieser Stelle als Hinweis genügen.11 Gleichwohl scheint mir mittlerweile diese Antwort noch ungenügend, da sie nur eine, wenn auch begründbare, so doch hypothetisch bleibende, weil empirisch noch nirgendwo belegte Bedingung für die wahrscheinliche rezeptive Abschwächung der dunklen Narration im Rahmen der zum Ersten Weltkrieg präsentierten Ausstellungen ins Feld führt. Es existiert jedoch ein günstiger Umstand im Kalendarium der Gedenkfeiern, dem man selbstredend nicht sklavisch zu folgen braucht, der aber für didaktische Vorhaben immerhin probate Anknüpfungspunkte bietet. Er offeriert nämlich eine ‚inhaltlich‘ bzw. thematisch veranlasste Möglichkeit, in der Vermittlung der grundlegenden Ambivalenz der Moderne gegenüber dem ‚Negativ-Pol‘ nun ein positives Gegengewicht in die Waagschale zu werfen – unabhängig von den medialen Bedingungen der Vermittlung. Denn mit dem Jahr 2019 erwartet uns das doppelte Zentenarium von Bauhaus und Weimarer Republik. Kommen wir zunächst auf die Republik als positives Anregungspotential zu sprechen.

3. Das Versprechen

der

Weimarer R epublik

In diesem Sinne könnte man von ‚positiver‘ Kritik sprechen, die sich als eine notwendige Bedingung versteht, um eine perspektivenreichere Darlegung der ambivalenten Moderne zu ermöglichen. Denn eine Ausstellung (oder allgemeiner: Darbietung) kann aufklärerisch nicht nur in negativ-kritischer Funktion, sondern auch in einer positiv-kritischen Ausrichtung Wirkung entfalten, um genau in diesem Sinne ein Verspre-

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chen zu erfüllen. Versprechen sind noch nicht einzulösende Wechsel auf die Zukunft, für deren gelingendes Eintreten viele Verantwortung tragen. Auch weil die Projekte, die ich nun anspreche, noch in der Zukunft liegen, müssen meine Skizzen dazu entsprechend vage bleiben.12 Kommen wir zum Ersten Weltkrieg zurück, besser: zu dessen Ende, zum Beginn der Weimarer Republik – deren Ende uns stets nur zu deutlich bereits vor Augen zu stehen scheint. So könnte sich in der Tat schon wieder der eingeübte – ‚negativ‘ kritische – „Desaster-Diskurs“ fortspinnen lassen, wie dies etwa Philipp Blom vom Taumelnden Kontinent zu den Zerrissenen Jahren so eloquent wie publikumsträchtig vorgeführt hat.13 Im Kontext von Schul-Curricula, bezogen auf Themenfelder und zu erwerbende Sachkompetenzen wird tatsächlich noch immer das traditionelle, in der Bonner Republik verstärkte Weimar-Bild kolportiert. Überspitzt formuliert: An der ‚Weimarer Republik‘ wird noch immer und vorrangig deren ‚Zerstörung‘ und ‚Scheitern‘ gelernt. Es wird die Republik als schwaches Opfer aus einer Perspektive ex-post ins Visier genommen. Typisch auch die Formulierung, wie sie einem Begleitbuch der momentan in Überarbeitung befindlichen Dauerausstellung des LVR-LandesMuseums Bonn zum vergleichsweise spärlichen Abschnitt „Weimarer Republik“ knapp und bündig zu entnehmen ist: Der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution veränderten die ganze Welt. In Deutschland wurde die Republik ausgerufen, die jedoch keine Stabilität gewann. Inflation und Arbeitslosigkeit waren der Nährboden für die Nationalsozialisten, die 1933 in Deutschland die Macht übernahmen.14

Dabei hat die historische Forschung längst herausgearbeitet, dass das Weimarer Zentenarium tatsächlich die Chance böte, die Perspektive der Betrachtung umzudrehen, indem die Republik von ihrem Anfang her und stärker auch im Hinblick auf ihre Zukunftspotentiale betrachtet wird.15 Und wie schon beim Thema Erster Weltkrieg in Sachen Krieg und Frieden der Fall, dürfte auch die gesellschaftspolitische Aktualität der Weimarer Republik gegenwärtig kaum in Frage stehen.16 So lässt sich an dieser Stelle festhalten: Wie es nicht nur mit Projekten aus dem Rheinland gelungen ist, den Ersten Weltkrieg aus dem

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

Erinnerungs- und Lernstoff-Schatten des Zweiten Weltkrieges zu holen, dürfte man jetzt vielleicht – ‚positiv‘ kritisch – auch stärker die progressiven Aspekte der Weimarer Republik ausleuchten, freilich ohne ihre Krisen und ihr Scheitern völlig auszublenden. Ein Perspektivwechsel wäre immerhin vorzunehmen, der ihre Geschichte, ihr kulturgeschichtliches Potenzial, nicht so sehr von ihrem desaströsen Ende her, nicht nur als Vorspann der größten abendländischen Barbarei betrachtet, sondern ihren vielversprechenden Ansatz und Anfang stärker in den Blick nehmen würde, nämlich der der ersten parlamentarisch verfassten Republik ganz Deutschlands samt „Möglichkeitsstrukturen“ (Reinhard Koselleck) und noch oft unterschätzter Wehrhaftigkeit. Philosophisch wie methodologisch Interessierten sei der Hinweis gestattet, dass es sich lohnt, hierzu noch einmal Walter Benjamins geschichtsphilosophische Thesen zu konsultieren. Auch wenn sie bereits beim ersten LVR-Verbundprojekt mit der neunten eher in ihrem apokalyptischen Tenor in Anspruch genommen wurden, wonach der „Engel der Geschichte“, vom Fortschrittssturm getrieben, nur noch zurückschauen kann, „während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst“. Nun aber könnte man die Einladung annehmen, ein politisch helleres, wenn sicherlich auch messianisch-heliotropistisch blendendes Motto aus der zweiten These zu überprüfen: dass nämlich Vergangenheit einen „zeitlichen Index“ mit sich führe, der sie auf „Erlösung“ verweise.17 Es spricht für das erwähnte Aktualisierungspotenzial, wenn Alfons Kaiser, der für das Ressort Deutschland und die Welt der Frankfurter Allgemeine zuständige Journalist, zum Jahreswechsel 2015/16 und angesichts der sich anbahnenden Herausforderungen für unsere Demokratie ebenfalls auf Benjamins „Engel der Geschichte“ eingeht. Er lädt zu einem Überdenken des in der neunten von Klees Angelus Novus entliehenen Bildes ein. Es gelte doch nun, jeden „Fatalismus“ zu vermeiden, weil uns die Zukunft bald eine andere Vergangenheit hinterlassen wird.18 Das ist dann wohl Kaisers Ansprache für den ‚positiv‘ kritisch auszulegenden „Index“, denn der Sturm, der den Angelus in die Zukunft zieht, „weht“ gemäß Benjamin „vom Paradiese her“.19 Ein solches auf Aktualisierung ausgerichtetes Bemühen folgt noch einer weiteren These Benjamins. Deren sechste führt nämlich mit Be-

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zug auf den historischen Materialismus der internationalen Rheinländer Marx und Engels aus, dass es darum gehen müsse, „ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt“.20 Von alten und neuen Gefahren für die heutige Demokratie, die den Rückblick orientieren und schärfen, künden zahlreiche Diskurse, die bis in die aktuellste Gegenwart und die kleinsten Details reichen.21 An dieser Stelle möchte ich endlich die Frage angehen, wie denn das zweite Zentenarium, das 2019 auf uns wartet, nämlich der 100. Jahrestag der Gründung der legendären Reformschule Bauhaus, in den beschriebenen Kontext zu stellen sei. Es wird sich zeigen, dass auch dieses eine ‚positiv‘ kritische Betrachtung verdient, jedoch anders als vielleicht von großer Hand gedacht.

4. Das weite Versprechen des Bauhaus-Jahres Die Frage nach einem ‚Zusammenstimmen‘ der beiden Zentenarien ist keinesfalls trivial, gerade im Vergleich zum Verbund mit der Weltkriegsthematik, der eher von einer themenbedingt allseits akzeptierten Dominanz der Historiker-Diskurse ausgehen konnte – was freilich Kunstausstellungen wie in Duisburg oder aber – noch größer – in Lens nicht ausschloss.22 Muss man nun aber im Hinblick auf das Jahr 2019 vielleicht schon von einem ‚Streit der Fakultäten‘ sprechen, wenn der kunst- und kulturhistorisch orientierte Bauhausverbund 2019 und die eher von der wissenschaftlichen Community der Historiker und Politikwissenschaftler bearbeitete Weimarer Republik nach allem, was zu hören ist, nicht so recht zusammenfinden? Gleichwohl mag die Frage nach den historischen Kausalitäten geklärt sein: So war das Bauhaus nur mit der Weimarer Republik zu haben. Am Ende der Weimarer Republik gab es dann auch kein Bauhaus mehr. Doch statt Priorisierens, welcher Art auch immer, scheint mir eine synergetisch wirksame Verbindung der beiden sich jetzt zunehmend ausdifferenzierenden Grundausrichtungen des Gedenkens sinnvoller.

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

Das versuchen wir tatsächlich im Westen unserer Republik, mit 100 jahre bauhaus im westen nämlich,23 wozu auf der Ebene des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem mittlerweile für Kultur und Wissenschaft zuständigen Ministerium sowie mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) seit etwa Anfang 2016 vom LVR initiierte Sondierungsrunden stattfinden, um das Thema Bauhaus 100 und Weimarer Republik unter dem Zentralnarrativ von „Gestaltung und Demokratie“ programmgemäß zu konfigurieren.24 Als besonderen Ausläufer des Westens soll dabei eben auch das Thema Bonner Republik eine Rolle spielen, die der ‚Weimarer‘ mehr verdankte als es die Versuche einer Abgrenzung zur eigenen Identitätsfindung der jungen Bundesrepublik nahelegen. Ein Kongress ist für all diese Zusammenhänge für den 13.–14. September 2018 auf dem Welterbe Zeche Zollverein in Planung. Es gibt nun zahlreiche Hinweis darauf, dass sich das historische Bauhaus selbst nicht nur als Schule für Kunst, Design und Architektur verstand, also auch nicht nur von mit den so benannten Fachausrichtungen betrauten Fakultäten allein zu reklamieren wäre; dass es sich vielmehr lohnt, einem breiteren, sicherlich auch ambitionierten Ansatz von Bauhaus zu folgen, wie er der Tendenz und Intention nach zumindest partiell dazumal auch tatsächlich angelegt war. Der Gründungsdirektor Martin Gropius hat dazu in einer Erklärung zur Meisterratssitzung vom Dezember 1921 Relevantes ausgeführt: Ich würde es für einen Fehler ansehen, wenn sich das Bauhaus nicht mit der realen Welt auseinandersetzt und sich als isoliertes Gebilde für sich betrachtet. Das ist der Grundfehler der bisherigen „Kunstschulen“, die deshalb Drohnen […] erziehen.

Das Zitat bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit dem Formmeister Johannes Itten und ist den Bauhaus NEWS der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar von 2015 entnommen. Es hält mindestens zweierlei Botschaft bereit: 1. Wird einer institutionellen Isolierung in Gestaltungfragen und Ausbildung programmatisch widersprochen;

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2. scheint es wohl mehrere Ansichten von den Aufgaben und Bestimmungen der Schule schon zu Zeiten ihrer Existenz gegeben zu haben.25 Dies hätte auch ein Gedenken nach 100 Jahren zu berücksichtigen. Und die für die Vorbereitung von 100 jahre bauhaus verantwortliche Geschäftsstelle des Bauhaus Verbundes 2019 greift diesen Ansatz auch tatsächlich auf, und zwar explizit im Programm-Heft Nr. 1 „Das große Jubiläum 2019“: Man wolle und solle „nicht die Ikonen der klassischen Moderne in den Vordergrund“ rücken (S. 8), vielmehr das „kulturelle Erbe des Bauhauses […] als ein großes Laboratorium der Moderne“ verstehen (S. 10), es „als Vorbild für ein gemeinschaftliches, zukunftsorientiertes und lustvolles Gestalten unserer Lebenswelt“ betrachten (S. 11) und einladen zu dem Motto „Die Welt neu denken“ (S. 33). Ginge es doch den Bauhäuslern [wie den Bauhäuslerinnen], sagt Annemarie Jaeggi, Direktorin Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung, Berlin, „um nichts Geringeres als um die Revolution des Alltags, um neues Bauen und Wohnen, um gestalterische Lösungen für eine bessere Welt“ (S. 25). Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), wiederum kommt in der jüngsten Publikation der Geschäftsstelle des Bauhaus-Verbunds in Weimar zu Wort und hält fest, dass es im Bauhaus um eine „große ganzheitliche Philosophie“ und den dort „[…] versammelten Künstlern und Kreativen nicht nur um eine neue Philosophie des Bauens, sondern weit umfassender um ganzheitliche gestalterische Konzepte für eine bessere Welt ging.“26 Allein – die Worte sind das eine, 27 die Taten das andere. So hört man zwar im gleichen Heft zum Programmpunkt Thüringen, dass in diesem Bundesland „bewusst auch Bezüge zum 100. Gründungsjubiläum der Weimarer Republik und der Moderne hergestellt“ werden (S. 51).28 Doch die letzten Verlautbarungen zu den Thüringer Aktivitäten scheinen dem kaum zu entsprechen. Auch die Verteilung der Bundesmittel spricht eher einer Separierung unter bevorzugter Berücksichtigung des Bauhausjubiläums das sicher auch touristisch und marketingstrategisch bewertete Wort. Der Bauhaus-Verbund darf bekanntlich gleich mit drei neuen Museen in Weimar, Dessau und Berlin rechnen.29 Demgegenüber ist es der Weimarer Republik e.V., der, mit allerdings deut-

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

lich bescheideneren Mitteln, aber auch mit einer Forschungsstelle an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgestattet, das Jubiläum der Weimarer Republik mit Tagungen und bereits durch die Berliner Republik tourenden Ausstellungen vorbereitet.30 Der nun in NRW verfolgte breitere Ansatz im Verständnis des Bauhauses, also die Annahme der vielfach ausgesprochenen Einladung, eine möglichst weite, womöglich auch strittige Perspektive zu wählen, öffnet sich dann inhaltlich bewusst der Demokratiegeschichte Weimars. Dabei kommt sicherlich auch ein Begriff von Gestaltung zum Tragen, der, keinesfalls mit Design gleichzusetzen, im Deutschen bereits seit Friedrich Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen mit den nicht ganz ungefährlichen Ambivalenzen von politischer, pädagogischer und künstlerischer Kreativität bzw. Bildungsarbeit verbunden ist. Umso mehr muss es Ziel des verbindenden Verbundes im Westen sein, dass ein sich gegenseitig ausleuchtendes Verständnis dessen gelingt, was einerseits unsere Demokratie und andererseits gesellschaftlich relevante Gestaltungsarbeit heute ausmachen kann oder sollte, und was sie gefährdeten.

5. D er „E nthusiasmus

für das

N eue “

Wenn das große Vorhaben in Nordrhein-Westfalen diesen Ansatz bereits seit Ende 2015 verfolgt, so ist nachzutragen, dass der Titel des Unterfangens ursprünglich Weimar im Westen hieß und nun, vom Tourismus im Lande dringendst empfohlen, mit Bauhaus im Westen aufwartet. Doch soll, wie der maßgebende Untertitel „Gestaltung und Demokratie“ deutlich genug anzeigt, die politische Dimension des Bauhaus-Jubiläums in engem Bezug zur Gründung der Weimarer Republik sehr wohl erhalten bleiben. Dazu besteht auch aller Grund: Tim B. Müller und Adam Tooze seien dazu noch einmal zitiert. Sie haben die aktuelle Dimension des Themas deutlich genug angesprochen: Wir sollten beim Thema Weimar

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[ …] nicht nur Wirtschaftskrisen und politische Gewalt, „social engineering“ und sozialen Radikalismus, Massenkultur und künstlerische Avantgarde im Sinn haben, sondern vor allem das, was das Neue und Charakteristische und Dynamische des Zeitalters war – die Demokratie, die in diesen Jahren zur europäisch-atlantischen Norm und internationalen Verheißung wurde. 31

„Demokratie“, und ich ergänze: in Verbindung mit (ästhetischer) Gestaltung, um sie, ihre Probleme wie Chancen, anschaulich zu machen und um auf breitester Ebene Erfahrungen von eigener Wirksam- und Bedeutsamkeit zu ermöglichen. Denn wie die in Rede stehenden Gestalterinnen und Gestalter am Bauhaus sich konkret wie utopisch zur zeitgeschichtlichen Politik hin öffneten und ausrichteten, um am großen Diskurs der gesellschaftlichen Möglichkeiten teilzunehmen,32 so müsste auch die Fraktion der Historiker sich der damaligen und gegenwärtigen Bedeutung von Gestaltung bewusst sein. Wohlgemerkt nicht aus allein didaktischem Interesse, aus Gründen der Illustration, sondern wegen einer neuen politischen Relevanz, die der Herrichtung von Nahräumen zugesprochen werden muss, dem Überschaubaren und Gestaltbaren, wenn man so will: der ‚Heimat‘ im progressiven, nicht exklusiven Verständnis.33 Es waren in den 1920er Jahren (nicht nur) am Bauhaus die stets strittigen Experimente, von den Fabriken bis zu den Siedlungsbauten, von den öffentlichen Einrichtungen bis zur Gestaltung von Kirchen oder Küchen, die Lebensumwelten ganz konkret konfigurierten. Dass die dabei kreierten ästhetischen Qualitäten von ihrer politischen Dimension und gesellschaftlichen Relevanz kaum zu trennen waren, wird heute auch mit Blick auf das gesellschaftliche Ganze oder aus großer theoretischer Höhe kaum mehr bestritten. So liest man beim gleichfalls schon zitierten Historiker Rüdiger Graf: „Das Bauhaus und andere Architekten entwarfen neue Häuser und Wohnräume, die das traditionelle Lebensumfeld radikal umgestalteten und an die wirklichen Bedürfnisse des Menschen anpassen sollten“.34 Der Philosoph Axel Honneth, ein Denker des „revidierten Sozialismus“, führt zu vergleichbaren Schlüssen, doch in abstrakterer Gedankenführung: Wenn er den s.E. noch möglichen Sozialismus, also

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jenseits eines heroischen Subjekts, einer ehernen Gesetzmäßigkeit und eines ökonomischen Absolutismus, nunmehr als „Sache vornehmlich der politischen Bürgerinnen und Bürger“ bezeichnet, hält er Ausschau nach „Emanzipationsbestrebungen in allen Teilsystemen“ der historischen wie gegenwärtigen Gesellschaften. Dann dürfte sein Interesse zweifellos auch für die Experimentierwerkstätten des Bauhauses geweckt sein. Städtebau, Architekturen, auch deren Grundrisse und Ausstattungen zählen zu den von ihm angesprochenen „sinnvoll überschaubaren Bezugsfeldern kollektiven Handelns“ für „[…] das ethische Projekt […], an der existierenden Sozialordnung die Potentiale eines stärkeren Füreinanders und damit einer zukünftigen Verwirklichung von sozialer Freiheit freizulegen.“35 Schon sein akademischer Lehrer Jürgen Habermas hatte mit einer vielzitierten Verteidigung des Projektes der Moderne Anfang der 1980er Jahren u.a. im Bauhaus das utopische Moment einer wegweisend ausbalancierten Verbindung von ästhetischen, ethischen und funktionalen Orientierungen gesehen, mit der sich die „Lebenswelt“ gegen ihre „Kolonialisierung“ seitens der imperial durchgreifenden Systeme von Ökonomie und Bürokratie zu erwehren versucht.36 Ein so verstandenes „Laboratorium der Moderne“, das mit dem politischen Weimar und seinem kulturellen Ausleger Bauhaus den „Möglichkeitsraum mit offenen Zukunftshorizont“ aufsucht,37 lässt sich als historisch-experimentelles Integral von Revolution, Reform und Republik begreifen, das folgerichtig zum mutigen Gedenkverbund von Weimarer Republik und Bauhaus einlädt, zu einer fälligen Verbindung von kultureller und gesellschaftlicher Moderne und somit für eine interdisziplinäre und thematisch übergreifende Kooperation, und zwar nach Maßgabe beschriebener ‚positiver‘ Kritik. Die in NRW mit zahlreichen, dezentral und flächendeckend verteilten Museumsstandorten vertretene ‚Industriekultur‘ kann begrifflich, methodisch und praktisch eine Art ‚Brückenfunktion‘ für solche interdisziplinären Ansätze ausüben. Ihre Reichweite umfasst die Domänen von Kunst-, Architektur-, Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Themen wie Rationalisierung, Alltagskultur, Soziale Bewegungen oder auch Produktdesign sind ihr vertraut, Werkbund, Folkwang oder

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Hagener Impuls für sie keine Fremdworte. All das aber zählt zu den Wurzeln, Kontexten und Anwendungsfeldern dessen, was das ‚authentische‘ Bauhaus entwickelt und auf den Weg gebracht hat – und bis in die Bonner und Berliner Republik zu verfolgen lohnt. Zudem wäre eine Zielansprache, die beide Zentenarien im sozusagen gedoppelten Blick hat, breiter gestreut und könnte eine größere Öffentlichkeit für Vermittlungs- und Bildungsarbeit adressieren. Dabei würde sich insbesondere die alles verbindende Frage nach der Möglichkeit des Aufbruchs zu Neuem stellen, die auf allen gesellschaftlichen Ebenen auftrat. Honneth definiert diese Ebenen als die in der Moderne ausdifferenzierten Bereiche des wirtschaftlichen Handels, der politischen Willensbildung und der persönlichen Beziehungen – und spart dabei offensichtlich wieder einmal und bezeichnenderweise für einen Philosophen seiner Couleur: die ästhetische Dimension aus.38 Anders der NRW-Verbund in seiner Absicht, eine Verbindung beider Zentenarien nicht als Konkurrenz, sondern komplementär, bzw. als komplettierendes Korrektiv zu einem „Bauhaus im Osten“ (oder Norden oder Süden) zu entfalten. Besagtes neues Stichwort ist nunmehr einer zentralen These der politischen Philosophin und widersprechenden Heidegger-Schülerin Hannah Arendt entnommen, die „Gebürtlichkeit“ zum zentralen Thema ihrer politischen Philosophie gemacht hat. Gebürtlichkeit als die menschliche Fähigkeit, überhaupt etwas anfangen zu können, aufzubrechen: Es sei nämlich „Natalität für politisches Denken ein so entscheidendes, Kategorien-bildendes Faktum […], wie Sterblichkeit seit eh und je im Abendland [...] der Tatbestand war, an dem metaphysisch-philosophisches Denken sich entzündete“.39 Die es charakterisierende „Suche nach Utopien, Chancen und Inspirationen“ macht das Bauhaus zu einem historischen Fallbeispiel für „Gebürtlichkeit“ und das Jubiläumjahr zu einem aktuellen Test derselben. Nur mit der Republik konnte es auf „das Gelingen von Zusammenleben in einer sich rasch wandelnden Welt“ abzielen.40 Dieses programmatisch im Verbund umzusetzen bedürfte, dem Literaturhistoriker Robert Pogue Harrison zufolge, „Weisheit“ – politische, pädagogische und sicher auch ästhetische Weisheit –, der es nämlich gelänge, „das radikal Neue zu übersetzen in verständliche Be-

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griffe und einzureihen in die Traditionen, ja ihm überhaupt einen Platz zu schaffen im Kontext der Gegenwart, damit daraus nicht nur Bruch, Umsturz, Zerstörung, sondern Zukunft werde“.41 „In verständliche Begriffe“ – und noch einmal ergänze ich: in leitende Anschauungsformen, einleuchtende Beispiele, gestaltbare Orte. Hannah Arendt und Robert Poque Harrison geben damit vielleicht das größte Versprechen und die ‚positive‘ Antwort auf Benjamins Trümmer-Metapher. Dabei muss fällige Kritik an den Institutionen und Protagonisten der Weimarer Republik wie auch etwa an der bauhäuslerisch überschwänglichen „Idee einer metaphysischen Ordnung, die sich in der gestalteten Materie niederschlägt“,42 keineswegs ausgespart bleiben. Das alles liegt ja schließlich auch hundert Jahre zurück. Doch selbst der von Grund auf skeptische Weise namens Philipp Blom, der weiß, was mittlerweile alles auf dem Spiel steht, könnte vorsichtig zustimmen: zum womöglich ansteckenden „außerordentliche Enthusiasmus für das Neue“,43 der, trotz mancher melancholischer, auch Traumata verarbeitender Einschläge, das historische Experiment Weimar und Bauhaus auszeichnet, jedoch heutzutage als Haltung und Moral nur schwer noch zu finden ist – und gleichwohl „Verpflichtung“ bleibt,44 soll Bildung ein Versprechen mit sich führen, das den Schrecken bannt.

A nmerkungen 1 | Der Aufsatz versucht eine reflexive Aktualisierung des im Haus der Universität in Düsseldorf am 30.05.2016 gehaltenen Vortrags zur Kickoff-Tagung zum Forschungsschwerpunkt der Bonner Republik. Dabei stand zwar nicht die Bonner Republik im Vordergrund, wohl aber eine Hinführung insofern, als die bevorstehenden und in Planung befindlichen Zentenarien von Bauhaus und Weimarer Republik explizit Aktualisierungsbezüge zum Thema Bundesrepublik aufweisen und diese in Veranstaltungen auch aufnehmen werden. Zudem geht es um methodische Fragen einer fachübergreifenden Kooperation, die exemplarische Relevanz aufweisen.

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2 | Vgl. Schleper, Thomas (Hg.): Erinnerung an die Zerstörung Europas. Rückblick auf den Großen Krieg in Ausstellungen und anderen Medien, Essen: Klartext 2016. 3 | Vgl. Schleper, Thomas (Hg.): Aggression und Avantgarde. Zum Vorabend des Ersten Weltkrieges, Essen: Klartext 2014. Pars pro toto das Vorwort im gleichnamigen Katalog der größten Ausstellung im Verbund: Karabaic, Milena/Schleper, Thomas: „‚Industriekultur‘: Drama der Moderne“, in: Grütter, Heinrich Theodor / Hauser, Walter (Hg.), 1914. Mitten in Europa. Die Rhein-Ruhr-Region und der Erste Weltkrieg. Katalogbuch zur Ausstellung des LVR-Industriemuseums und des Ruhr Museums auf der Kokerei Zollverein, 20. April bis 26. Oktober 2014, Essen: Klartext 2014, S. 8. 4 | Vgl. Anm. 9 in diesem Text. 5 | Vgl. Dinkla, Söke (Hg.): Zeichen gegen den Krieg. Antikriegsplastik von Lehmbruck bis heute, Köln: Wienand 2014, S. 22ff. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg vom 11. September 2014 bis 1. Februar 2015. 6 | Mönninger, Michael: „Baugeschichte als Heilsgeschehen, Schlüsselwerke: Christian Freigangs Band über die Moderne beschließt eine dreiteilige Architekturgeschichte“, in: FAZ, 30.9.2015, S. 10. 7 | Vgl. LVR-LandesMuseum Bonn (Hg.): 1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg, Ostfildern: Hatjes 2013. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Kooperationsprojekt des LandesMuseums mit dem Martin-Gropius-Bau, Berlin, im LVR-LandesMuseum Bonn vom 24.9.2013 bis 23.3.2014; anschließend, nämlich vom 1. August bis 2. November im Martin-Gropius-Bau, Berlin. (Vom 20. Januar bis zum 26. April 2015 war die Ausstellung unter dem Titel Around the World auf Schloss Moyland zu sehen und vom 8. Mai bis zum 27. September 2015 im Museum Rietberg, Zürich). Vgl. auch die Besprechung der im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigten Ausstellung von Kilb, Andreas: „Sehnsucht nach der Welt von gestern. Das Bunte ging, das Graue kam, das war der Lauf der Dinge: Eine Berliner Ausstellung mit farbenprächtigen Fotografien vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts spiegelt unseren Blick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg“, in: FAZ vom 14.8.2014, S. R 6: „Aber gerade in dieser Auswahl spiegelt sich unser heutiger Blick auf die Zeit

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vor dem Ersten Weltkrieg genauer als in vielen klugen Aufsätzen zum Jubiläumsjahr 2014. Die Welt von damals soll eben nicht unruhig und unzufrieden gewesen sein, von Klassenkämpfen und kolonialen Gegensätzen zerrissen, sondern farbenprächtig, gesättigt und im Gleichgewicht.“ Demgegenüber bemerkt Caroline Fetscher im Tagesspiegel den „universellen Anspruch“ dieses Kahnschen Unterfangens seiner „Archives de la planète“. Die Aufnahmen spiegeln „den Größenwahn des kolonialen Projekts des Imperialismus wie den humanistischen Einspruch gegen eben dieses Projekt.“ (Fetscher, Caroline: „Wie ähnlich wir einander sind. Panorama der Menschheit: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt sensationelle Farbfotografien aus der Zeit vor 1914“, in: Tagesspiegel vom 6.8.2014). 8 | Vgl. Barthes, Roland: „La grande famille des hommes“ (1957), in: Barthes, Roland, Mythologie, Paris: Édition du Seuil 2014, S. 190–193. 9 | Europa 50 s.c.r.l.-f.s (Ed.): «Épilogue», in: Balace, Francis / Bechet, Christophe / Broun, Jacques / Lambiet, Thomas / Lanneau, Catherine, Liège Expo 14‘18. Catalogue de l‘exposition – J‘avais 20 ans en 14, Liège: Van Raek 2014, hier S. 71. Die Ausstellung verstand sich als „une des plus grandes expositions jamais organisées autour de la Première Guerre mondial“ (S. 10) und sprach mit ihren hyperrealistischen Szenen von Grabenkämpfen und Zerstörungen, die derart im Rheinland nicht zu finden waren, jugendliches Publikum in ganz Europa an. Schulprojekte und länderübergreifende Kooperationen waren aber auch bei den Rheinländern feste Programmpunkte. 10 | Zitiert nach Bahners, Patrick: „Abendlicher Besuch von der Gottesanbeterin. Die Welt ist nur für sich da und der Mensch ihr gleichgültig. Zum neunzigsten Geburtstag von Dieter Wellershoff erscheint eine Auswahl seiner Erzählungen“, in: FAZ vom 3.11.2015, S. 12. 11 | Vgl. die ausgeführte Argumentation bei Schleper, Thomas: „Synopse zum ausgestellten Krieg. Erinnern in aller Öffentlichkeit“, in: Schleper, Thomas (Hg.), Erinnerung, S. 231–294. 12 | Eine gewisse Vorarbeit geleistet zu haben darf ein besonderes Projekt des rheinischen Reigens beanspruchen, das unter dem Titel Orte der Utopie sozusagen in die Netze ging und mit der Eurovision auch noch nicht abgeschlossen war. Das Team um Gertrude Cepl-Kaufmann

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und Jasmin Grande vom Institut „Moderne im Rheinland“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf leitet damit wie eine Brücke zum nächsten Verbundprojekt über, das im Folgenden näher beschrieben wird. Vgl. http://www.ortederutopie.eu/ sowie Grande, Jasmin: „Düsseldorf/Internet: Auf der Suche nach der Utopie. Neue Ausstellungen 1914–2014“, in: Schleper, Thomas (Hg.), Erinnerung, S. 222–229. 13 | Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900–1914, München: Carl Hanser 2009; Blom, Philipp: Die zerrissenen Jahre. 1918–1938, München: Carl Hanser 2014. 14 | Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hg.): Das Rheinische Landesmuseum Bonn. Die neun Themen, Köln: Greven 20052, S. 25f. 15 | Hierzu einige Publikationen der letzten Jahre: Hardwig, Wolfgang (Hg.): Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, München: Oldenbourg 2003; Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933, München: Oldenbourg 2009; Müller, Tim B./Tooze, Adam (Hg.): Normalität und Fragilität. Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg: Hamburger Edition 2015; Dreyer, Michael/Braune, Andreas (Hg.), Weimar als Herausforderung. Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner 2016. 16 | Vgl. Schleper, Thomas: „Es ‚weimart‘ schon sehr. Hinweise auf ein Verbundprojekt im Westen anlässlich des Jubiläums von ‚Bauhaus‘ und ‚Weimarer Republik‘“, in: Dreyer, Michael /Braune, Andreas (Hg.), Weimar als Herausforderung, S. 229–257. 17 | Benjamin, Walter: Geschichtsphilosophische Thesen, in: Benjamin, Walter, Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Mit einem Nachwort von Herbert Marcuse, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981, S. 78–94, hier S.78f., S. 84f. 18 | Kaiser, Alfons: „Drei Worte Zukunft“, in: FAZ vom 31.12.2015, S. 1. 19 | Benjamin, Walter: Geschichtsphilosophische Thesen, S. 85. 20 | Benjamin, Walter: Geschichtsphilosophische Thesen, S. 81. Vgl. zur Interpretation dieses Bildes Friedländer, Eli: Walter Benjamin. Ein philosophisches Porträt, München: C.H. Beck 2013, S. 236–240. 21 | Vgl. die durchaus mit Modernisierungs- und Lebensstilfragen einhergehende Debatte um das Problem der „demokratischen De-

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lemmata der mittleren Vernunft“, wenn kleine Schritte und maßvolle Kompromisse einer Radikalität der zu bewältigenden Aufgaben nicht mehr gerecht werden. Zu einer alles andere denn quantité négligeable aus der Ökologie äußert sich Ulrich, Bernd: „Die Wahrheit auf sechs Beinen. Das Insektensterben ist eine Umweltkatastrophe. Doch die Politik verschließt die Augen, weil sie den Sinn fürs Radikale verloren hat: Breiter Konsens und mittlere Vernunft sind ihr wichtiger als das ökologisch Unausweichliche. Und was machen die Grünen?“, in: DIE ZEIT vom 26.10.2017, S. 3. 22 | Vgl. Musée du Louvre-Lens (Hg.): Les désastres de la Guerre. 18002014. Paris: Somogy éditions d‘art 2014. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Louvre-Lens vom 28. Mai bis 6. Oktober 2014. 23 | Es handelt sich hier noch um einen vorläufig-tentativen Arbeitstitel, der in einem nächsten Schritt marketingstrategisch überarbeitet wird. 24 | Vgl. Schleper, Thomas: „Es „weimart“ schon sehr, S. 229-257. 25 | Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar (Hg.): bauhaus NEWS. Stimmen zur Gegenwart, Leipzig: Spector Books 2015, hier S. 71. 26 | „100 jahre bauhaus. Im Gespräch mit Monika Grütters“, in: 100 jahre bauhaus. Geschäftsstelle Bauhaus Verbund 2019 (Hg.): 100 jahre bauhaus. Der Weg zum Jubiläum vom Juni 2017, o. P. (S. 3f.). 27 | Anlässlich einer Pressekonferenz des Bauhausverbundes am 21.11.2016 wurde eine Pressemitteilung verbreitet, in der es u.a. heißt: „Unter dem Motto „Die Welt neu denken“ lädt der Bauhaus Verbund gemeinsam mit regionalen, nationalen und internationalen Partnern dazu ein, die historischen Zeugnisse des Bauhauses ebenso neu zu entdecken wie seine Bedeutung für Gegenwart und Zukunft. Das Bauhausjubiläum wird dementsprechend nicht die eine große Bauhausgeschichte erzählen, sondern ein Zusammenspiel von Positionen und Perspektiven darbieten, die durchaus miteinander im Widerstreit liegen können. Denn gerade die vielfältigen Ambivalenzen, Bezüge und Spannungsverhältnisse sind es, die das Bauhaus bis heute so faszinierend machen.“ (http://www.bauhaus100.de/bh100/export/sites/default/de/assets/ bilder/Presse/PK_21.11.2016/b100_PM_Jubilaeumsprogramm.pdf, S.1f. vom 30.10.2017).

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28 | 100 jahre bauhaus. Geschäftsstelle des Bauhaus Verbundes 2019: 100 jahre bauhaus. Das große Jubiläum 2019. Heft 1, Potsdam: Brandenburgische Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH 2016. 29 | Zum Hintergrund eine Textpassage aus einem zusammenfassenden Dossier von Joachim Henneke, Vertreter des Landes NRW und neben Claudia Bockrath (LWL) und Thomas Schleper (LVR) Mitglied des Lenkungskreises des NRW-Verbunds Bauhaus im Westen: „Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2015 beschlossen, die Aktivitäten zum 100-jährigen Bauhausjubiläum zu fördern. Bereits 2013 hatten sich zunächst die Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Bauhausverbund 2019 zusammengeschlossen. Im Jahre 2015 traten ihm die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen bei. Der Bund beteiligt sich mit 52 Mio. Euro an Museumsneubauten in Berlin, Dessau und Weimar. Zudem übernimmt die Kulturstiftung des Bundes sowohl die Finanzierung des antragsoffenen Fonds „Bauhaus heute“ und der sog. Bauhaus Agenten als auch die Mitfinanzierung des Jubiläumsprogramms 2019 in Höhe von 16,5 Mio. Euro. Das Großprojekt 100 Jahre Bauhaus ist eine Initiative des Bauhaus Verbundes 2019, in dem die drei sammlungsführenden Bauhaus-Institutionen (das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung Berlin, die Stiftung Bauhaus Dessau und die Klassik Stiftung Weimar) die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die Kulturstiftung des Bundes sowie zehn Bundesländer zusammenarbeiten. Diese Kooperation beruht auf einer Bund-Länder-Vereinbarung vom 21.01.2016, der auch Nordrhein-Westfalen förmlich beigetreten ist. Die sog. Kernländer Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen gründeten für ihren Zuständigkeitsbereich als organisatorisch-operative Einheit die „Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar GmbH“.“ 30 | Seit November 2015 ist eine Wanderausstellung auf Tour: Dazu heißt es unter http://www.weimarer-republik.net/325-0-Wanderaustellung vom 30.10.2017: „Die Wanderausstellung Die Weimarer Republik Deutschlands erste Demokratie zeigt den hoffnungsvollen Anfang, aber auch die Krisen, aus denen sie sich immer wieder hinausmanövriert sowie ihr desaströses Ende durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Sie

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zeigt stille und heute vergessene Helden, die ihr Leben für die Demokratie aufs Spiel gesetzt haben.“  31 | Müller, Tim B. / Tooze, Adam: Normalität und Fragilität, S. 32. 32 | Zum ‚Zukunftsdiskurs‘ der Weimarer Republik vgl. Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik, S. 33ff. sowie Graf, Rüdiger: „Die Mentalisierung des Nirgendwo und die Transformation der Gesellschaft. Der theoretische Utopiediskurs in Deutschland 1900–1933“, in: Hardwig, Wolfgang (Hg.), Utopie und politische Herrschaft, S. 145–173. 33 | Vgl. Mitzscherlich, Beate: „Die neue Heimatliebe. Jeder hat eine andere Vorstellung davon – Entscheidend ist, was man als Kind erlebt hat“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Magazin vom 27.10.2017, hier S. 02f. 34 | Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik, hier S. 21. 35 | Honneth, Axel: Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung, Berlin: Suhrkamp 20163, hier S. 148, 154, 160. 36 | Habermas, Jürgen: Moderne und postmoderne Architektur, in: Habermas, Jürgen, Die Neue Unübersichtlichkeit (1981). Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/Main 1985, S. 11–29. 37 | Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik, hier S. 15. 38 | Honneth, Axel: Die Idee des Sozialismus, hier S. 164. 39 | Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben (The Human Condition, 1958). München, Berlin, Zürich: Piper 2015, hier S. 18. Vgl. auch Arendt, Hannah: Über die Revolution. Mit einem Nachwort von Hermann Lübbe, München: Piper 1965, hier S. 307. 40 | 100 jahre bauhaus vom Juni 2017, o.P. (S. 2.). 41 | Zitiert nach Seidl, Claudius: „Die Abschaffung des Alters“. In: FAZ, 8.11.2015, hier S. 41. 42 | Hierholzer, Michael: „Form geht der Funktion voraus. Gruß ans Bauhaus: Das Deutsche Architekturmuseum zeichnet die neuen Meisterhäuser in Dessau aus“, in: FAZ, 5.2.2016, hier S. 13. 43 | Arendt, Hannah: „Die Krise in der Erziehung. Erwin Loewenstein zum siebzigsten Geburtstag“ (1958), in: Arendt, Hannah: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, München: Piper 1994, S. 255–276, hier S. 256. 44 | Blom, Philipp: Was auf dem Spiel steht, München: Hanser 2017, hier S. 217.

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L iteratur „100 jahre bauhaus. Im Gespräch mit Monika Grütters“, in: 100 jahre bauhaus. Geschäftsstelle Bauhaus Verbund 2019 (Hg.): 100 jahre bauhaus. Der Weg zum Jubiläum vom Juni 2017. 100 jahre bauhaus. Geschäftsstelle des Bauhaus Verbundes 2019: 100 jahre bauhaus. Das große Jubiläum 2019. Heft 1, Potsdam: Brandenburgische Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH 2016. Arendt, Hannah: Über die Revolution. Mit einem Nachwort von Hermann Lübbe, München: Piper 1965. Dies.: „Die Krise in der Erziehung. Erwin Loewenstein zum siebzigsten Geburtstag“ (1958), in: Arendt, Hannah: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, München: Piper 1994, S. 255–276. Dies.: Vita activa oder Vom tätigen Leben (The Human Condition, 1958). München, Berlin, Zürich: Piper 2015. Bahners, Patrick: „Abendlicher Besuch von der Gottesanbeterin. Die Welt ist nur für sich da und der Mensch ihr gleichgültig. Zum neunzigsten Geburtstag von Dieter Wellershoff erscheint eine Auswahl seiner Erzählungen“, in: FAZ, 3.11.2015. Barthes, Roland: „La grande famille des hommes“ (1957), in: Barthes, Roland, Mythologie, Paris: Édition du Seuil 2014, S. 190–193. Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar (Hg.): bauhaus NEWS. Stimmen zur Gegenwart, Leipzig: Spector Books 2015. Benjamin, Walter: Geschichtsphilosophische Thesen, in: Benjamin, Walter, Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Mit einem Nachwort von Herbert Marcuse, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981, S. 78–94. Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900–1914, München: Carl Hanser 2009. Ders.: Die zerrissenen Jahre. 1918–1938, München: Carl Hanser 2014. Ders.: Was auf dem Spiel steht, München: Hanser 2017. Dinkla, Söke (Hg.): Zeichen gegen den Krieg. Antikriegsplastik von Lehmbruck bis heute, Köln: Wienand 2014, S. 22ff. Katalog zur

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gleichnamigen Ausstellung im Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg vom 11. September 2014 bis 1. Februar 2015. Dreyer, Michael/Braune, Andreas (Hg.), Weimar als Herausforderung. Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner 2016. Europa 50 s.c.r.l.-f.s (Ed.): „Épilogue!“, in: Balace, Francis / Bechet, Christophe / Broun, Jacques / Lambiet, Thomas / Lanneau, Catherine, Liège Expo 14‘18. Catalogue de l‘exposition – J‘avais 20 ans en 14, Liège: Van Raek 2014. Fetscher, Caroline: „Wie ähnlich wir einander sind. Panorama der Menschheit: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt sensationelle Farbfotografien aus der Zeit vor 1914“, in: Tagesspiegel, 6.8.2014. Friedländer, Eli: Walter Benjamin. Ein philosophisches Porträt, München: C.H. Beck 2013. Graf, Rüdiger: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933, München: Oldenbourg 2009. Ders.: „Die Mentalisierung des Nirgendwo und die Transformation der Gesellschaft. Der theoretische Utopiediskurs in Deutschland 1900–1933“, in: Hardwig, Wolfgang (Hg.), Utopie und politische Herrschaft, S. 145–173. Grande, Jasmin: „Düsseldorf/Internet: Auf der Suche nach der Utopie. Neue Ausstellungen 1914–2014“, in: Schleper, Thomas (Hg.), Erinnerung, S. 222–229. Habermas, Jürgen: „Moderne und postmoderne Architektur“, in: Habermas, Jürgen, Die Neue Unübersichtlichkeit (1981). Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/Main 1985, S. 11–29. Hardwig, Wolfgang (Hg.): Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, München: Oldenbourg 2003. Hierholzer, Michael: „Form geht der Funktion voraus. Gruß ans Bauhaus: Das Deutsche Architekturmuseum zeichnet die neuen Meisterhäuser in Dessau aus“, in: FAZ, 5.2.2016. Honneth, Axel: Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung, Berlin: Suhrkamp 20163. Kaiser, Alfons: „Drei Worte Zukunft“, in: FAZ, 31.12.2015.

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Karabaic, Milena/Schleper, Thomas: „‚Industriekultur‘: Drama der Moderne“, in: Grütter, Heinrich Theodor/ Hauser, Walter (Hg.), 1914. Mitten in Europa. Die Rhein-Ruhr-Region und der Erste Weltkrieg. Katalogbuch zur Ausstellung des LVR-Industriemuseums und des Ruhr Museums auf der Kokerei Zollverein, 20. April bis 26. Oktober 2014, Essen: Klartext 2014. Kilb, Andreas: „Sehnsucht nach der Welt von gestern. Das Bunte ging, das Graue kam, das war der Lauf der Dinge: Eine Berliner Ausstellung mit farbenprächtigen Fotografien vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts spiegelt unseren Blick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg“, in: FAZ, 14.8.2014. LVR-LandesMuseum Bonn (Hg.): 1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg, Ostfildern: Hatjes 2013. Mitzscherlich, Beate: „Die neue Heimatliebe. Jeder hat eine andere Vorstellung davon – Entscheidend ist, was man als Kind erlebt hat“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Magazin, 27.10.2017. Mönninger, Michael: „Baugeschichte als Heilsgeschehen, Schlüsselwerke: Christian Freigangs Band über die Moderne beschließt eine dreiteilige Architekturgeschichte“, in: FAZ, 30.9.2015. Müller, Tim B./Tooze, Adam (Hg.): Normalität und Fragilität. Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg: Hamburger Edition 2015. Musée du Louvre-Lens (Ed.): Les désastres de la Guerre. 1800–2014. Paris: Somogy éditions d‘art 2014. Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hg.): Das Rheinische Landesmuseum Bonn. Die neun Themen, Köln: Greven 20052. Schleper, Thomas (Hg.): Aggression und Avantgarde. Zum Vorabend des Ersten Weltkrieges, Essen: Klartext 2014. Ders. (Hg.): Erinnerung an die Zerstörung Europas. Rückblick auf den Großen Krieg in Ausstellungen und anderen Medien, Essen: Klartext 2016. Ders.: „Es ‚weimart‘ schon sehr. Hinweise auf ein Verbundprojekt im Westen anlässlich des Jubiläums von ‚Bauhaus‘ und ‚Weimarer Republik‘“, in: Dreyer, Michael /Braune, Andreas (Hg.), Weimar als Herausforderung, S. 229–257.

Perspektiven von Kultur und Bildung im Westen

Ders.: „Synopse zum ausgestellten Krieg. Erinnern in aller Öffentlichkeit“, in: Schleper, Thomas (Hg.), Erinnerung, S. 231–294. Seidl, Claudius: „Die Abschaffung des Alters“. In: FAZ, 8.11.2015. Ulrich, Bernd: „Die Wahrheit auf sechs Beinen. Das Insektensterben ist eine Umweltkatastrophe. Doch die Politik verschließt die Augen, weil sie den Sinn fürs Radikale verloren hat: Breiter Konsens und mittlere Vernunft sind ihr wichtiger als das ökologisch Unausweichliche. Und was machen die Grünen?“, in: DIE ZEIT, 26.10.2017. Internet-Texte http://www.bauhaus100.de/bh100/export/sites/default/de/assets/ bilder/Presse/PK_21.11.2016/b100_PM_Jubilaeumsprogramm. pdf http://www.ortederutopie.eu/ http://www.weimarer-republik.net/325-0-Wanderaustellung

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Forschungsperspektiven

Christliches Abendland am Rhein – ein politisches Denkmodell der frühen Bonner Republik Ein Essay Georg Mölich

Man hat ihn in einem Nachruf als Chronist der Bonner Republik bezeichnet1 – den Fotografen Josef Heinrich Darchinger (geboren 1925 in Bonn, gestorben in Bonn 2013). Schaut man zwei umfangreiche, von ‚Jupp‘ Darchinger konzipierte Bildbände mit seinen Fotografien zur Bonner Republik durch, so fällt bei aller Vielfältigkeit doch ein blinder Fleck auf. Sowohl im Band Die Köpfe. Achtzig Porträts aus der Geschichte der Republik von 19962 als auch im Band Die Bonner Republik von 19973 fehlen die deutschen Würdenträger der katholischen Amtskirche4 wie etwa Josef Kardinal Frings vollständig, obwohl sie doch nicht unmaßgeblich zum politischen Profil zumindest der frühen Bonner Republik hinzugehörten. Dass die katholische Kirche nach der Etablierung der Regierung in Bonn intensiv bestrebt war, ihren Einfluss auf Politik und Politikgestaltung zu etablieren, kann nicht weiter überraschen.5 Als eine prägende Grundorientierung der frühen Bonner Republik kann der Rückbezug auf das Sinn- und Sprachbild des ‚christlichen Abendlandes‘6 benannt werden, der es erlaubte, eine politische Orientierung auf den engen Zusammenhang mit dem ‚Westen‘ in historischer, vor allem auf das frühe und hohe Mittelalter bezogener Perspektive zu formulieren, der zudem explizit die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ ausblendete. „Als ebenso plakative wie vieldeutige Vokabel

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Georg Mölich

konnte das ‚Abendland‘ einerseits als ‚politischer Kampfbegriff‘ eingesetzt werden, andererseits aber vor allem innerhalb des bürgerlichen Spektrums eine gesellschaftliche Integrationsfunktion übernehmen.“7 Dieses gedankliche Konstrukt prägte in ideologischer, politischer und pragmatischer Hinsicht die Vorgeschichte und die frühe Bundesrepublik unter Adenauer und wurde in gewissem Umfang als mächtige ideengeschichtliche Strömung registriert. Ein frühes Beispiel soll das belegen: Bereits in der von der Militäradministration in Köln 1945/46 herausgegebenen Zeitung Kölnischer Kurier hieß es im August 1945 in der pathetischen Sprache eines deutschen Journalisten grundsätzlich: Die Menschen hier am Rhein haben die lebendige Verbindung mit der besten Tradition deutscher Geschichte stets bewahrt. Hier am ewigen Strom, im alten heiligen Köln hat immer ein Volk gelebt, das mit aufgeschlossenem Sinn und freundlichen Augen über alle Grenzen hinwegschaute. Hier hatte einst die glückliche Idee des christlichen Abendlandes tiefe Wurzeln geschlagen. Wie aus vielen Zuflüssen hier der Rhein zum mächtigen Strom anschwillt, der als befruchtende Lebensader das sonnige Land durchzieht, so war hier aus Antike, Christentum und Germanentum jenes lebenskräftige Ideal zur lebendigen Gewißheit geworden, das die Völker Europas zu einer Völkerfamilie verband.8

Auf die ideengeschichtlichen Kontexte solcher regionaler Selbststilisierung kann hier nicht eingegangen werden. Deutlich wird aber, wie hier mit dem Argument der Kontinuität der Bezug zum christlichen Abendland hergestellt wird.9 Ähnliche Kontinuitätsbeschwörungen vollzogen sich nach 1945 in Westdeutschland mit Rückgriffen eben auch auf das Abendland bei den häufigen Rückbezügen zu den Deutschen Klassikern – hier speziell zu Goethe, der eben immer auch als abendländischer Dichter stilisiert wurde.10 Auch bei Konrad Adenauer11 finden sich vielfältige Hinweise zur Nutzung des Sprachbildes – etwa in einem wichtigen Interview vom Februar 1948:

Christliches Abendland am Rhein

Zwischen Loire und Weser schlug einst das Herz des christlichen Abendlandes. Der Stil des Kölner Doms, des ehrwürdigen Wahrzeichens des deutschen Westens, hat seine Wurzeln im französischen Boden. Eine Erneuerung des abendländischen Gedankens kann nur das Ergebnis einer fruchtbaren Begegnung zwischen Deutschland und Frankreich sein.12

In der frühen Bundesrepublik gab es eine Fülle von christlich-abendländischen Gedenktagen oder Gedenkveranstaltungen mit intensiven Bezügen zur Abendlandidee.13 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier genannt: • • • •

1948 das Dombaufest in Köln (700 Jahre Grundsteinlegung), 1950 Köln „1900 Jahre Stadt“, 1953 800. Todestag Bernhard v. Clairvaux, 1954 1.200 Todestag des Winfried-Bonifatius (mit dem Katholikentag in Fulda), • 1955 Augsburg 1.000 Jahre Schlacht auf dem Lechfeld, • 1956 Ausstellung Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr Essen/Villa Hügel, • 1956 Katholikentag in Köln. Zunächst soll ein Blick auf die äußerst erfolgreichen Aktivitäten in Köln zum Domjubiläum im August 1948, das an die Grundsteinlegung zum Bau des gotischen Doms im Jahre 1248 – also vor 700 Jahren – erinnerte, gerichtet werden.14 Dieses Domfest in der zerstörten Kölner Innenstadt hatte auch überregional enormen Eindruck hinterlassen. Das in Reden und publizistischen Beiträgen während des Domfestes immer wieder beschworene Denkbild des christlichen Abendlandes als zentraler Bezugsrahmen und als Basis eines neuen (West-)Europa unter Einbeziehung des westlichen Deutschlands stand dabei im Vordergrund. Schon im Vorfeld hatte der Kölner Erzbischof Frings in seinem Hirtenwort vom 14. Juni 1948 diesen Akzent eindeutig betont:

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So wird wenigstens für einige Tage das ‚christliche Abendland’ des 13. Jahrhunderts wieder erstehen, in dem die ganze Christenheit noch religiös geeint war in dem einen katholischen Glauben, wo die Nationalstaaten erst in der Bildung begriffen waren und das ganze Abendland sich noch eins wußte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wo die christlichen Lehrer wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Duns Scotus bald in Köln, bald in Paris, bald in Rom und Neapel lehrten.15

Die vielfältigen Veranstaltungen des Domfestes in Köln boten genügend Möglichkeiten für Redner ganz unterschiedlicher Herkunft, sich mit dem Dom auch als Symbol des christlich geprägten Europas zu beschäftigen. Diese Akzente konnten dann in dem zwei Jahre später in Köln gefeierten Jubiläum „1900 Jahre Stadt“ wieder aufgegriffen und weitergeführt werden.16 Im Rahmen dieses knappen Essays kann nicht auf die weiteren Veranstaltungen und deren je spezifische zeithistorischen Kontextualisierung eingegangen werden. Es sollte aber deutlich geworden sein, dass das christliche Abendland durchaus einen festen Stellenwert in der Performanz- und Ideengeschichte der Bonner Republik hatte – bis hin zur Präsentation entsprechender Orte und Landschaften in Rahmen von Staatsbesuchen.17 Eine der ersten großen historischen Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland mit dem enormen Publikumszuspruch von 271.000 Besuchern war die Präsentation Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr, die von Mai bis September 1956 in der Villa Hügel in Essen gezeigt wurde und die mehr als 1.000 Exponate aus ganz Europa zusammenführte.18 Seit 1953 wurde die Ausstellung von einem breit aufgestellten Arbeitsausschuss vorbereitet, in dem wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche und kirchliche Elitenvertreter im Kontext einer allgemeinen Orientierung auf das christliche Abendland als politischem Grundkonsens der konservativ geprägten frühen Bundesrepublik zusammenarbeiteten. In einer kritischen Analyse der Ausstellung und der Eröffnungsfeierlichkeiten schrieb dazu der Journalist Albert Schulze Vellinghausen:

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Die Eröffnung, mit poetischer Uebersteigerung, feierte das Rheinland als ‚Kerngehäuse des Abendlandes‘. [...] Aber es sagt sich so leicht hin, Kerngehäuse des werdenden Abendlands: die Köpfe recken sich, die Busen schwellen vor historischem Stolz. Draußen legt sich ein Rauchfilter vor die Sonne und innen zitiert ein Minister Rilke.19

Das Bild des Abendlandes war umfassend in der Bonner Republik angekommen und dort bis zum Ende der 1950er Jahre verankert. 1954 hieß es etwa in einer Broschüre des Bundes der Industriellen: Die gesamte westdeutsche Industrie fühlt sich der westlichen Welt engstens verbunden und verpflichtet. Aus der abendländischen Kultur und ihren überkommenen Gesetzen leitet sie die beschwingenden Kräfte allen Widerstands gegen eine asiatische Überflutung her.20

A nmerkungen 1 | Jäger, Lothar: „Chronist der Bonner Republik“, in: Süddeutsche Zeitung, vom 5.8. 2013, S. 11. 2 | Darchinger, Josef H./Kaiser, Carl-Christian: Die Köpfe. Achtzig Porträts zur Geschichte der Republik, Bonn: Bouvier 1996. 3 | Darchinger, Josef H.: Die Bonner Republik. Bilder – Menschen – Ereignisse, herausgegeben von Klaus Honnef, Köln: Rheinland Verlag 1997. 4 | Vertreten ist die katholische Kirche im Band Die Köpfe nur durch Papst Johannes Paul II. (S. 98f.). 5 | Vgl. als Überblick: Gauly, Thomas M.: Katholiken. Machtanspruch und Machtverlust, Bonn: Bouvier 1991, bes. S. 119ff.; neuerdings umfassend: Buchna, Kristian: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre, Baden-Baden: Nomos 2014. Buchna untersucht erstmals die Arbeit der beiden Lobbybüros der christlichen Kirchen in Bonn. 6 | Zum semantischen Umfeld vgl. Felbick, Dieter: Schlagwörter der Nachkriegszeit 1945–1949, Berlin/New York: de Gruyter 2003, Stichwort „Abendland“, S. 104–112. Es wird hier auf die Auflistung einschlägiger Lexikonartikel verzichtet. Als breit angelegte ideengeschichtliche

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Studie: Becker, Winfried: „Die Abendlandidee“, in: Raasch, Markus/ Hirschmüller, Tobias (Hg.), Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag, Berlin: Duncker & Humblot 2013, S. 499–530; Hürten, Heinz: „Der Topos vom christlichen Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden Weltkriegen“, in: Langer, Albrecht (Hg.), Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa, Paderborn etc.: Ferd. Schöningh 1985, S. 131–154; Klöckler, Jürgen: Abendland – Alpenland – Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945–1947, München: Oldenbourg 1998, bes. S. 81ff.; Schildt, Axel: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der fünfziger Jahre, München : Oldenbourg 1999, bes. S. 21ff.; Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München: Oldenbourg Verlag 2005, bes. S. 25ff. 7 | Großmann, Johannes: Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945, München: de Gruyter 2014, S. 66. Vgl. dort insgesamt das Kapitel „Die abendländische Bewegung“, S. 60–76. 8 | Kölnischer Kurier vom 10.08.1945, zitiert nach: Felbick, Dieter: Schlagwörter der Nachkriegszeit 1945–1949, Berlin/New York: de Gruyter 2003, Stichwort „Europa“, S. 256–264, hier S. 260. Anfang August 1945 übertrugen die Briten die Herausgabe der Zeitung einer deutschen Redaktion, die unter ihrer Kontrolle arbeitete, vgl. ebd. S. 88. Zum Kölnischen Kurier vgl. Fuchs, Peter: „Kölnischer Kurier“. Die Zeitung der Besatzungsmächte und Adenauers Alternativprojekt, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 66 (1995), S. 167–189. 9 | Dazu exemplarisch Brockmann, Stephen: „Germany als Occident at the Zero Hour“, in: German Studies Review 25 (2002), S. 477– 496. 10 | Hier nur der Hinweis auf Mandelkow, Karl Robert: Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers. Bd. II: 1919–1982, München: C. H. Beck 1989, bes. S. 137ff. 11 | Das Thema wird in den großen Adenauerbiografien immer wieder aufgegriffen, systematisch vgl. Doering-Manteuffel, Anselm: „Rheinischer Katholik im Kalten Krieg. Das „christliche Europa“ in der Weltsicht

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Konrad Adenauers“, in: Greschat, Martin/Loth, Wilfried, Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, Stuttgart etc.: W. Kohlhammer 1994, S. 237–246. Dort S. 240 zusammenfassend: „[...] die Rede vom ‚christlichen Abendland‘ war ein Instrument des ideologischen Kampfes im Kalten Krieg, mit Hilfe dessen sich Grenzverläufe beschreiben ließen. Es diente zur offensiven Abgrenzung gegenüber der Sowjetunion, die Adenauer als antichristliche, nationalistische, militärisch aggressive und asiatische Macht bezeichnete.“ 12 | Zur Londoner Konferenz – Unbekannt: „Dr. Adenauer zur Gestaltung des deutschen Raumes“, in: Rheinischer Merkur, Nr. 8 vom 21.02.1948. 13 | Zu diesen Gedenktagen vgl. im Überblick Pape, Matthias: „Lechfeldschlacht und NATO-Beitritt. Das Augsburger ‚Ulrichsjahr‘ 1955 als Ausdruck der christlich-abendländischen Europaidee in der Ära Adenauer“, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 94 (2001), S. 269– 308, bes. S. 276–280 mit Literaturhinweisen zu den Veranstaltungen. Zu Bayern und zur CSU im Kontext der Abendlandbewegung nach 1945 insgesamt vgl. Götschel, Konstantin: „Abendland in Bayern. Zum Verhältnis von Abendländischer Bewegung und CSU zwischen 1945 und 1955“, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 69 (2017), S. 367–398. 14 | Zum Domfest 1948 mit unterschiedlicher Perspektive: Trippen, Norbert: „Das Kölner Domfest 1948. Rückbesinnung auf die mittelalterlichen Wurzeln in der Not der Gegenwart“, in: Honnefelder, Ludger u. a. (Hg.), Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln, Köln: Verlag Kölner Dom 1998, S. 349–366; Brügger, Jürgen: „Das Kölner Domjubiläum 1948: Vom Versuch, sich eine neue Vergangenheit zu geben“, in: Dülffer, Jost (Hg.): Köln in den 50er Jahren. Zwischen Tradition und Modernisierung, Köln: SH-Verlag 2001, S. 219–238. Neuerdings zu diesem Domfest im Rahmen der Stadtgeschichte Schäfke, Werner: Köln nach 1945. Die Geschichte unserer Gegenwart, Rheinbach: Regionalia Verlag 2017, S. 160f., zusammenfassend formuliert Schäfke (S. 13): „In Köln, für Köln und weit darüber hinaus ist das 700-jährige Jubiläum der Grundsteinlegung des gotischen Domes ein das historische Bewusstsein bis heute dominierendes Ereignis.“ Zur Bedeutung des Domfestes für Frings vgl. Trippen, Norbert: Josef Kardinal Frings (1887–1978). Bd. I:

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Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland, Paderborn: Ferd. Schöningh 2003, S. 215–226. 15 | „Hirtenwort vom 14.06.1948“, in: Mertens, Annette (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen und Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1948/49, Paderborn etc.: Ferd. Schöningh 2010, S. 223–226, Zitat S. 225. In dieser Edition ist auch die Predigt des Kölner Erzbischofs vom 15.08.1948 abgedruckt: S. 269–271. 16 | Dazu Mölich, Georg: „‚Köln ist wieder da‘ – Facetten des Stadtjubiläums „1900 Jahre Stadt“ im Jahr 1950. Kommunale Identität als Inszenierung“, in: Geschichte im Westen 29 (2014), S. 207–222. 17 | Dazu Derix, Simone: Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, bes. S. 180ff. Beim Besuch des italienischen Staatspräsidenten De Gasperi 1952 wurde praktisch eine „Kartographierung des christlichen Abendlandes“ geboten. 18 | Eine umfassende Darstellung dieser Ausstellung ist ein Desiderat. Eine Studie dazu befindet sich in Vorbereitung. Vgl. knapp Jansen, Kai: „Die Ausstellung ‚Werdendes Abendland‘“, in: Grütter, Heinrich Theodor (u.a.) (Hg.), Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr. Katalog zur Ausstellung im Ruhr Museum 2015, Essen: Klartext 2015, S. 338–343. 19 | Schulze Vellinghausen, Albert: „Schatzgüter deutscher und westlicher Frühzeit“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.6.1956. 20 | Zitiert nach A. Schildt, Zwischen Abendland und Amerika, (Anm. 6), S. 35.

L iteratur Becker, Winfried: „Die Abendlandidee“, in: Raasch, Markus/Hirschmüller, Tobias (Hg.), Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag, Berlin: Duncker & Humblot 2013, S. 499–530.

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Brockmann, Stephen: „Germany als Occident at the Zero Hour“, in: German Studies Review 25 (2002), S. 477–496. Brügger, Jürgen: „Das Kölner Domjubiläum 1948: Vom Versuch, sich eine neue Vergangenheit zu geben“, in: Dülffer, Jost (Hg.): Köln in den 50er Jahren. Zwischen Tradition und Modernisierung, Köln: SH-Verlag 2001, S. 219–238. Buchna, Kristian: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre, Baden-Baden: Nomos 2014. Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920-1970), München: Oldenbourg Verlag 2005. Darchinger, Josef H. /Kaiser, Carl-Christian: Die Köpfe. Achtzig Porträts zur Geschichte der Republik, Bonn: Bouvier 1996. Darchinger, Josef H.: Die Bonner Republik. Bilder – Menschen – Ereignisse, herausgegeben von Klaus Honnef, Köln: Rheinland Verlag 1997. Derix, Simone: Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Doering-Manteuffel, Anselm: „Rheinischer Katholik im Kalten Krieg. Das „christliche Europa“ in der Weltsicht Konrad Adenauers“, in: Greschat, Martin/Loth, Wilfried, Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, Stuttgart etc.: W. Kohlhammer 1994, S. 237–246. Felbick, Dieter: Schlagwörter der Nachkriegszeit 1945–1949, Berlin/ New York: de Gruyter 2003. Fuchs, Peter: „‚Kölnischer Kurier‘. Die Zeitung der Besatzungsmächte und Adenauers Alternativprojekt“, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 66 (1995), S. 167–189. Gauly, Thomas M.: Katholiken. Machtanspruch und Machtverlust, Bonn: Bouvier 1991. Götschel, Konstantin: „Abendland in Bayern. Zum Verhältnis von Abendländischer Bewegung und CSU zwischen 1945 und 1955“,

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in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 69 (2017), S. 367–398. Großmann, Johannes: Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945, München: de Gruyter 2014. Hirtenwort vom 14.06.1948, in: Mertens, Annette (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Westliche Besatzungszonen und Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1948/49, Paderborn etc.: Ferd. Schöningh 2010, S. 223–226. Hürten, Heinz: „Der Topos vom christlichen Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden Weltkriegen“, in: Langer, Albrecht (Hg.), Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa, Paderborn etc.: Ferd. Schöningh 1985, S. 131–154. Jäger, Lothar: „Chronist der Bonner Republik“, in: Süddeutsche Zeitung, vom 5.8.2013, S. 11. Jansen, Kai: „Die Ausstellung ‚Werdendes Abendland‘“, in: Grütter, Heinrich Theodor (u.a.) (Hg.), Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr. Katalog zur Ausstellung im Ruhr Museum 2015, Essen: Klartext 2015. Klöckler, Jürgen: Abendland – Alpenland – Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 19451947, München: Oldenbourg 1998. Mandelkow, Karl Robert: Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers. Bd. II: 1919–1982, München: C. H. Beck 1989. Mölich, Georg: „‚Köln ist wieder da‘ – Facetten des Stadtjubiläums „1900 Jahre Stadt“ im Jahr 1950. Kommunale Identität als Inszenierung“, in: Geschichte im Westen 29 (2014), S. 207–222. Pape, Matthias: „Lechfeldschlacht und NATO-Beitritt. Das Augsburger ‚Ulrichsjahr‘ 1955 als Ausdruck der christlich-abendländischen Europaidee in der Ära Adenauer“, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 94 (2001), S. 269–308. Schildt, Axel: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der fünfziger Jahre, München: Oldenbourg 1999.

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Schulze Vellinghausen, Albert: „Schatzgüter deutscher und westlicher Frühzeit“, in: FAZ 13.6.1956. Schäfke, Werner: Köln nach 1945. Die Geschichte unserer Gegenwart, Rheinbach: Regionalia Verlag 2017. Trippen, Norbert: „Das Kölner Domfest 1948. Rückbesinnung auf die mittelalterlichen Wurzeln in der Not der Gegenwart“, in: Honnefelder, Ludger u.a. (Hg.), Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln, Köln: Verlag Kölner Dom 1998, S. 349–366. Ders.: Josef Kardinal Frings (1887–1978). Bd. I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland, Paderborn: Ferd. Schöningh 2003, S. 215–226. Unbekannt: „Dr. Adenauer zur Gestaltung des deutschen Raumes“, in: Rheinischer Merkur, Nr. 8 vom 21.02.1948.

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Auferstanden aus Ruinen? Rückwärtsgewandtheit am literarischen Neubeginn nach 1945 Volker C. Dörr

Gewissermaßen zum ersten Semester der Bonner Republik, zum Wintersemester 1949/50, kehrte Theodor W. Adorno, zunächst vertretungsweise, an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zurück, die im Februar 1946 ihren Betrieb wiederaufgenommen hatte. (Endgültig kehrte er dann 1953 aus dem Exil zurück.) Dabei war Adorno offenbar nicht wenig, wenn auch nicht eigentlich positiv, überrascht über das „geistige Klima“, das sich ihm zeigte; sein berühmter im Mai 1950 im fünften Jahrgang der Frankfurter Hefte abgedruckter Essay über die Frage einer Auferstehung der Kultur in Deutschland gibt davon beredtes Zeugnis. Und schon der von Adorno offenkundig ironisch gemeinte Titel Auferstehung der Kultur, der mit dem vielleicht überdeutlichen Ironiesignal eines Fragezeichens versehen ist, gibt einen Hinweis auf die ganz unironisch metaphysische Grundstimmung des intellektuellen Deutschlands der frühen Nachkriegszeit, in dem aus Ruinen neben Wohnraum auch wieder eine metaphysische Behausung erstehen sollte. Erwartet hatte Adorno offenbar, dass die unheilige Allianz eines „totalitären Regimes“, das sämtliche Formen geistiger Selbständigkeit aus Selbstschutzgründen unterdrücken musste, auf der Seite der Zivilbevölkerung mit „de[m] nackte[n] Zwang zur Selbsterhaltung während des Krieges und der ersten Jahre danach“ zu einem „Verschwinden“ von Kultur wie überhaupt der „Teilnahme an dem, was über die tägliche Sorge hinausgeht“, geführt hätte. Tatsächlich aber will ihm „die Beziehung zu

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geistigen Dingen, im allerweitesten Sinne verstanden, […] größer erscheinen als in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung“.1 Klingt die Beschreibung dieses Phänomens noch einigermaßen versöhnlich, so erweist sich bei eingehenderer Diagnose, dass der Befund alles andere als positiv zu nennen ist. Zwar nimmt der Universitätslehrer Adorno mit gewissem Behagen im Besonderen „eine leidenschaftliche Teilnahme der Studenten an den sachlichen Fragen“ wahr; das „politische Interesse“ im Allgemeinen sei aber „erschlafft, während der verwaltete Kulturbetrieb die Menschen noch nicht wieder ganz eingespannt hat“ – und im Blick auf Adornos Äußerungen andernorts wie auch im weiteren Verlauf dieses Essays muss man ergänzen: Auch die Kulturindustrie hat um die Jahreswende 1949/50 ihre Produktion nach dem Krieg quantitativ noch nicht wieder auf Vorkriegsniveau gehoben, wenn auch die Verlage schon wieder in großem Umfang E- und vor allem U-Literatur produzieren (doch dazu unten noch mehr). Dass es einerseits kein „politisches Interesse“ gebe, andererseits noch nicht wieder einen funktionierenden Kulturbetrieb, resultiere letztlich, so Adorno, in einem „Zwang zur Verinnerlichung“2 (wobei man doch etwas beckmesserisch anmerken kann, dass in Deutschland traditionell nie besonders großer Zwang aufgewendet werden musste, um Intellektuelle in die „Verinnerlichung“ zu treiben). Was Adorno entsprechend wahrnimmt, ist eine allgemeine Flucht in spekulative Abstraktion, eine Atmosphäre „angespannter Vergeistigung“, in der im Privaten etwa „literarische Neuerscheinungen“ mit großem Engagement besprochen werden.3 In der Öffentlichkeit und im Blick auf die politischen Fragen der Zeit, oder auch deren philosophische Fundierung, vermisst Adorno dieses Engagement ganz entschieden: Wenige bemühen sich um Einsicht in die Gesetze, welche das jüngst vergangene Unheil zeitigten, um den Begriff einer menschenwürdigen Einrichtung der Welt und seine theoretische Begründung, oder gar um die Analyse der heute aktuellen Möglichkeiten zur ganzen, inhaltlichen Verwirklichung der Freiheit.4

Die wohl eher leise Hoffnung, in deren Proklamation Adornos Text mündet, hat sich, so wird man sagen müssen, nicht auch nur ansatz-

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weise erfüllt; vielmehr wird man den Befund, vermindert um die Hoffnung auf Besserung, annähernd genauso auch heute formulieren können: Vor allem die geistig Tätigen müssten, so Adorno, einsehen, daß heute in vollem Maße ein Zustand der Welt möglich ist, welcher die Menschen nicht mehr als Objekte von Prozessen bestimmt, die über ihren Köpfen hinweg sich abspielen, daß heute ein Zustand möglich ist, in dem sie vereint ihr Schicksal bestimmen und damit erst wahrhaft zu Subjekten werden. Die Starre, die der Geist widerspiegelt, ist keine natur- und schicksalhafte Macht, der man ergeben sich zu beugen hätte. Sie ist von Menschen gemacht, der Endzustand eines geschichtlichen Prozesses, in dem Menschen Menschen zu Anhängseln der undurchsichtigen Maschinerie machten. 5

Der Hinweis auf das Menschengemachte der Maschinerie, die eben kein Ergebnis natur- oder schicksalhaften über- und unpersönlichen Waltens ist, ist nur allzu angebracht angesichts der Tatsache, dass in den öffentlichen Diskussionen nach 1945 genau diese Behauptung in einem heute kaum erträglichen Übermaß begegnet: die Behauptung also, dass die Ereignisse der 1000 Jahre von 1933 bis 1945 Ausdruck eines Waltens übermenschlicher „Räume und Zeiten durchwaltender Mächte“6 (so eine Formel des heute weitgehend vergessenen Literaten Ernst Kreuder) gewesen sind. Man wird das Pathos, mit dem Adornos Text schließt, heute nicht mehr guten Gewissens aufnehmen können – der Gedanke, den er pointiert, ist als Regulativ gleichwohl nicht einfach von der Hand zu weisen: Die Maschinerie durchschauen, wissen, daß der Schein des Unmenschlichen menschliche Verhältnisse verbirgt, und dieser Verhältnisse selbst mächtig werden, sind Stufen eines Gegenprozesses, der Heilung. Wenn wirklich der gesellschaftliche Grund der Starre als Schein enthüllt ist, dann mag auch die Starre selber vergehen. Der Geist wird lebendig sein in dem Augenblick, in dem er nicht länger sich bei sich selber verhärtet, sondern der Härte der Welt widersteht.7

Aber noch einmal zurück zu Adornos Blick auf die in Deutschland ‚auferstandene‘ Kultur: Adorno wäre nicht Adorno, wenn er sie nicht unter

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das Verdikt des bloß Kulturindustriellen, unter Kitsch- und Schundverdacht stellen würde: Was sich unter den deutschen Kulturschaffenden seinerzeit nämlich noch nicht herumgesprochen habe, sei die Tatsache, „daß Kultur in traditionellem Sinne tot ist“; sie sei den wenig heldenhaften Tod als Ware gestorben, indem sie „zu einer Ansammlung von katalogisiertem, an Verbraucher geliefertem, dem Verschleiß preisgegebenen Bildungsgut geworden ist“. Was sie nur noch zu bieten vermag, sei ein „gefährliche[r] und zweideutige[r] Trost der Geborgenheit im Provinziellen“.8 Was diese Kultur hingegen nicht bieten könne, sei dasjenige, was etwa die klassische Literatur noch habe leisten können (Adorno nennt als Beispiel interessanterweise nicht etwa Schillers Ästhetik – obwohl Schiller zu den Urahnen dieses Gedankens zählt –, sondern die „Gretchentragödie“ des ersten Teils von Goethes Faust): In der Literatur der Klassik komme „die von der gesellschaftlichen Ordnung geschändete Natur“ zur Sprache und führe „die Idee eines Zustandes herauf […], in dem solches Leiden abgeschafft ist“.9 (Das ist gewissermaßen Adornos Ästhetische Theorie in nuce und at its best.) Damit sind die beiden zentralen Aspekte, um die es hier gehen soll, eingekreist: Gezeigt werden soll, dass einerseits die westdeutsche Literatur der frühen Nachkriegszeit, also der Westzonen und der frühen Bonner Republik der mittleren 1940er bis mittleren 1950er Jahre, in hohem Maße Ausdruck einer Kultur im Sinne Adornos gewesen ist: dass sie oft (oder meist?) bloße „Geborgenheit im Provinziellen“ geboten hat, dass sie demgegenüber kaum einen Vorschein der Freiheit, des Abgeschafftseins von Entfremdung und Leid geboten hat; sowie dass andererseits die Feuilleton-Diskussionen in hohem Maße und großer Beredtheit (und nur allzu oft Geschwätzigkeit) nicht das Menschengemachte der Verstrickung in eine entfremdende Maschinerie aufgedeckt, sondern vielmehr der angeblichen Natur- und Schicksalshaftigkeit dieser Verstrickung, und konkret der Verstrickung in die Verbrechen Deutschlands im Nationalsozialismus sowie der daraus resultierenden Folgen wie etwa der weitgehenden Zerstörung deutscher Städte, das Wort geredet haben. Beide Aspekte verbindet ein übergreifender: Der literarische und publizistische Neubeginn nach 1945 ist alles andere als ein unbelasteter, der Zukunft zugewandter Neuanfang in einer ‚Stunde

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Null‘ gewesen; vielmehr ist er auf allen Ebenen durch Rückwärtsgewandtheit charakterisiert gewesen: inhaltlich, konzeptuell und auch personell. Damit hat die Kultur in der Bonner Republik eine Chance verspielt, die später mühsam nachgeholt werden musste; dass dies dann doch wohl sehr weitgehend gelungen ist, ist eine andere Geschichte. Sie soll ein andermal erzählt werden. Im März 2016 erschien bei Galiani in Berlin Christian Adams bemerkenswertes und viel beachtetes Buch über Die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945.10 Und so respektabel, informativ und notwendig die Studie ist: sie zeigt nicht nur selbst, dass der Traum vom Jahre Null (so die titelgebende Formulierung, die von Hans Mayer stammt11) nicht verwirklicht worden und der Mythos eines unbelasteten Neubeginns nicht haltbar ist; vielmehr zeigt die Rezeption des Buches im Feuilleton mindestens in ebenso hohem Maße, wie wenig sich diese bereits etwas ältere Erkenntnis bis dahin durchgesetzt hatte. Denn Adams Buch gehen eine ganze Reihe von Studien voraus, die bereits nachgewiesen hatten, wie unhaltbar im Falle der Literaturproduktion der Mythos der ‚Stunde Null‘ (so die viel prominentere Formulierung, die sich allerdings niemandem mehr persönlich zurechnen lässt) ist.12 Die (unbestritten große) neue Leistung Adams besteht vielmehr darin, gesichtet zu haben und ebenso überzeugend wie lesenswert zu charakterisieren, was die Leute denn tatsächlich gelesen haben. (Dass es offenbar vielen immer noch so scheinen will, als habe eine sog. „Junge Generation“ nicht eigentlich 1945, sondern im einschlägigen Jahr 1947 unbelastet auf den Trümmern neu begonnen, hat wohl viel mit der (Selbst-)Mythisierung der Gruppe zu tun, die dieses angebliche Jahr Null der deutschen Literatur programmatisch in ihren Namen aufgenommen hat.) Dass die in den Westzonen und der frühen Bonner Republik tatsächlich massenhaft gelesene Literatur in hohem Maße, mit Adorno gesprochen, „gefährlichen und zweideutigen Trost der Geborgenheit im Provinziellen“ geboten hat, das jedenfalls lässt sich Adams Untersuchungen eindeutig entnehmen: Zu den laut Adam „populärsten Büchern der Nachkriegszeit“ gehört der 1954 bei Ullstein in Berlin erschienene Roman Ich denke oft an Piroschka – Untertitel: Eine hei-

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tere Sommergeschichte – von Hugo Hartung, der 1962 vom Spiegel als auflagenstärkster belletristischer Titel nach 1945 gelistet worden ist und von dem bis dahin, 1962, annähernd 1,2 Mio. Exemplare verkauft worden sind.13 Der Roman erzählt die Geschichte eines Studenten, der 1923 in ein Ungarn reist, das geradezu aus Klischees zusammengezimmert ist: Weinseligkeit, unentwegt musizierende „Zigeuner“, „Salami und Paprikaspeck“.14 Mit der titelgebenden Piroschka verbringt der Student eine Nacht, um dann, gegen sein Versprechen, nie wieder zu ihr zurückzukehren, aber eben – man ahnt es früh – oft an sie zu denken. Die in jeder Hinsicht provinzielle Geborgenheit des Textes funktioniert aber vielleicht nicht so sehr, wie Christian Adam es deutet, als „Wunschmaschine“, die „in ein Zeitalter der Unbekümmertheit zurück[versetzt]“;15 vielmehr führt der Text ja bereits eine vollzogene Flucht in die Unbekümmertheit vor, die der Leser dann nachvollziehen kann und soll: Dabei wird die Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs samt Wirtschaftskrise – der Roman spielt, wie gesagt, 1923 – als Parallele zur Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs mit ihrer ökonomischen Unsicherheit angeboten (denn dass 1954 bereits ein lange andauerndes Wirtschaftswunder zu wirken begonnen hatte, ist ja erst im Rückblick unbezweifelbar geworden). Nun könnte man einwenden, gegen die These, dass der Roman tröstende „Geborgenheit im Provinziellen“ bieten wolle, spreche, dass er doch von einer Reise nach Ungarn erzähle, was doch wohl eine gewisse Weltläufigkeit impliziere. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass diese Reise in der Zeit und nicht im Raum stattfindet; es ist eine Reise rückwärts in der Zeit, nicht ostwärts im Raum – wie überhaupt alle Reisen in die Geborgenheit des Provinziellen sich zuletzt als Reisen in der Zeit erweisen, oder anders gefasst: Es handelt sich stets um phylogenetische und/oder ontogenetische Regressionsphantasien. Auch der Autor, Hugo Hartung, steht für alles andere als einen Neubeginn: 1902 geboren, war er nach Studium und Promotion zunächst, bis 1931, als Schauspieler und Dramaturg an der Bayerischen Landesbühne in München tätig und schrieb Beiträge u.a. für den Simplicissimus. Danach war er als freier Autor vor allem für den Hörfunk tätig. Offenbar kein glühender Nationalsozialist, trat er dennoch 1937

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der NSDAP bei und wurde 1944 noch zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem Krieg war er dann Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei in Thüringen, bevor er nach West-Berlin und später München übersiedelte, um ein erfolgreicher Unterhaltungsschriftsteller zu werden.16 An dieser Biographie ist zweierlei bemerkenswert: zum einen die ausgesprochene Durchschnittlichkeit, zum anderen die Tatsache, dass das Dritte Reich und der Krieg auf Hartungs schriftstellerische Karriere offenbar keinen allzu großen Einfluss genommen haben; sie verlief vielmehr recht geradlinig und ebenso durchschnittlich. Zu den weiteren wenigen Büchern, die so erfolgreich waren wie Ich denke oft an Piroschka gehört ein überaus populäres sog. Sachbuch: der Titel Götter, Gräber und Gelehrte, der unter dem Autornamen „C. W. Ceram“ erschien und es zwischen seinem Erscheinungsjahr 1949 und 1962 auf ca. 1,3 Mio. verkaufte Exemplare brachte; als Longseller ging er bis 1999 weltweit fast fünf Mio. Mal über den Buchladentisch.17 2008 erschien dann eine von einem Archäologen „behutsam“ überarbeitete Neuauflage; sie wiederum liegt seit 2015 in zweiter Auflage vor. Dass der Text sich im Untertitel einen „Roman der Archäologie“ nennt, begründet sich wohl mit dem deutlichen mehr oder minder poetischen oder zumindest formal rhetorisch zu nennenden Gestaltungswillen des Autors; Adams Urteil, dass es sich tatsächlich um „eine mit viel Aufwand ausstaffierte Kompilation aus der vorhandenen archäologischen Literatur“ handelt,18 kann wohl nur schwer widersprochen werden. Weniger die textuelle Qualität also macht diesen Nicht-Roman interessant als vielmehr das Moment der Kontinuität, das sich ihm in mehrfacher Hinsicht ablesen lässt: C. W. Ceram, der tatsächlich Kurt W. Marek hieß, war Journalist und dann Kriegsberichterstatter, ist als solcher auch mit wehrertüchtigenden Büchern wie Wir hielten Narvik in Erscheinung getreten und brachte es dann nach dem Krieg zum Cheflektor bei Rowohlt, wo dann auch Götter, Gräber und Gelehrte erschien.19 Interessant sind auch die Veränderungen der öffentlichen Meinung, die sich den kleinen Varianten zwischen den verschiedenen Auflagen ablesen lassen: So heißt es in der Erstausgabe, wohlgemerkt 1949, im Zusammenhang mit dem von Schliemann entdeckten Schatz des Priamos noch „Es kam der deutsche Zusammenbruch, Not, Tod, Flucht“,

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während dieser Satz in späteren Auflagen fehlt.20 Das mag als Hinweis darauf dienen, dass der 8. Mai 1945 in der ersten Zeit nach dem Krieg keineswegs als Tag einer Befreiung verstanden worden ist – wie auch dafür, dass das Thema des deutschen Leidens in Krieg und Nachkrieg keineswegs von Günter Grass nach langem Schweigen im Krebsgang erschlossen worden ist; vielmehr ist es dann bloß ins Rampenlicht gerückt worden, neben dem es kontinuierlich weiterexistiert hatte. Darauf hat im Übrigen bereits Erich Loest hingewiesen, und Adam referiert, dass Ende der 1980er Jahre bereits über 50 Romane und 100 Erzählungen sich des Themas Flucht und Vertreibung angenommen hatten.21 Für die gefällige Nachkriegsliteratur in diesem Themenbereich ist etwa der 1954 erschienene Familienroman Ehe die Spuren verwehen von Christine Brückner, die später mit ihrer Poenichen-Trilogie zu einer der meistgelesenen deutschen Autorinnen werden sollte, paradigmatisch.22 Aber zurück zu Cerams Archäologie-Pseudoroman: Interessant ist weiterhin eine Kontinuität im Denken, die Adam, wiewohl er diesen Aspekt des ceramschen Textes referiert, übersieht: Wenn es etwa heißt, für die „archäologische Bewertung einstiger Größe“ sei es „nicht entscheidend, ob beim Bau der Pyramiden Zwangsarbeiter zu Tode kamen, ob die Maya ihren Göttern Menschenopfer darbrachten oder die Assyrer ganze Völker ausrotteten“, dann bedeutet das zum einen, so Adam, „eine ungeheure Entlastungsfunktion […], immer unter dem Motto, wo Weltgeschichte geschrieben wird, müssen bisweilen Opfer gebracht werden“;23 zum anderen schließt Marek hier unausgesprochen an exakt die Haltung an, die Gottfried Benn u.a. 1933 in seiner Rundfunkrede Der neue Staat und die Intellektuellen formuliert hatte, der zufolge Kultur eigentlich nur in „Sklavenstaaten“ gedeihen kann.24 Wie sein Sortiment auch steht der Rowohlt Verlag ungefähr so sehr für das Moment von Kontinuität wie für einen echten Wieder- und Neubeginn nach dem Krieg. Ernst Rowohlt war 1938 mit Berufsverbot belegt worden und zunächst in die Schweiz und nach Brasilien emigriert, danach war er, nach Deutschland zurückgekehrt, 1941– 43 Hauptmann der Wehrmacht gewesen, aus der er wegen politischer Unzuverlässigkeit wieder entlassen worden war; der Verlag wurde unter der Leitung des ältesten Sohnes Rowohlts, Heinrich Maria Ledig(‑Rowohlt), zu-

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nächst der Deutschen Verlags-Anstalt angegliedert, 1943 dann endgültig geschlossen.25 Der heutige Rowohlt Verlag entstand aus der 1950 vollzogenen Vereinigung zweier Nachkriegs-Neugründungen: der Verlage von Vater und Sohn Rowohlt.26 Aber auch dessen Programm fügt sich ins allgemeine Bild, das Christian Adam in einer schlagenden Statistik zusammengefasst hat: Bis 1961 waren im gesamten Deutschland 24 % der verkauften Titel Longseller, die bereits vor 1933 erschienen waren; schockierende 13 % stammten von „NS-belasteten Autoren“, 18 % von solchen aus der sog. Inneren Emigration und nur jeweils 7 % von echten Nachkriegsautor_innen bzw. Autor_innen, die emigriert oder verboten worden waren.27 Das ist weder ein Beleg für einen radikalen Neubeginn noch dafür, dass die Leserinnen und Leser nach dem Krieg nach dem gedürstet hätten, was ihnen tausend Jahre lang mehr oder minder schwer zugänglich war.28 Zu den Gründungsmythen der Literatur der Bonner Republik gehört, dass sie 1947 praktisch aus dem Nichts einer Trümmerlandschaft von einer Gruppe der Angehörigen einer Jungen Generation, sämtlich Debütanten, neu erschaffen worden ist und dann durch das Wirken der Gruppe, die sich den Namen ihres Gründungsjahres gegeben hat, schnell den Anschluss an die Höhen internationalen Literaturschaffens erlangt hat. Die beiden Herausgeber des Rufs, der laut Untertitel Zeitschrift der jungen Generation, die zu den Urahnen der Gruppe 47 zählt, können dabei paradigmatisch einstehen für die vielfältigen Kontinuitäten und die konzeptuelle Rückwärtsgewandtheit dieses scheinbaren Neubeginns. Alfred Andersch war 1947 mit 33 Jahren nicht eigentlich mehr jung zu nennen, und er debütierte auch keineswegs erst nach dem Krieg – vielmehr hatte er bereits zu Kriegszeiten, u.a. 1944 in der Kölnischen Zeitung, Erzählungen publiziert und hatte auch bereits 1943 selbst seine Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer beantragt, von deren Erfordernis er aber wegen der Geringfügigkeit seines Œuvres befreit wurde.29 Am 9. November 1947 hielt Andersch – unter großer Begeisterung – auf einem Empfang, den der Oberbürgermeister von Ulm für die Mitglieder der Gruppe 47 gab, die seinerzeit in Herrlingen bei Ulm ihr

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zweites Arbeitstreffen veranstaltete, eine Rede mit dem Titel Deutsche Literatur in der Entscheidung, die 1948 als selbständige Publikation auch veröffentlicht wurde.30 Der Text ist für das Selbstverständnis der Gruppe 47 entscheidend, weil er einerseits in der Konsolidierungsphase der Gruppe vorgetragen, dazu über den engeren Kreis der Gruppe weit hinausgehend verbreitet worden ist und schließlich weil er zu den wenigen programmatischen Äußerungen der generell eher theorie- und programmatikfeindlichen31 Gruppe 47 überhaupt gehört. Als Beleg für Adornos Thesen kann dabei dienen, dass Andersch, obwohl er nebenbei gegen die „aufgedrungene Anerkennung einer Kollektivschuld“32 opponiert, eigentlich keinerlei differenziertere historische Ursachenforschung betreibt oder auch nur anregt; der Text ist weder politisch, noch fordert er eine politische Literatur. Vielmehr gibt er, neben einer deutlichen Sympathie seines Verfassers gegenüber den Autoren der Inneren Emigration (sowie besonders gegenüber Ernst Jünger),33 einer profunden Skepsis gegenüber den „propagandistischen Vorzeichen“, unter die „realistische Tendenzkunst“ geraten könne, Ausdruck.34 Andersch charakterisiert seine Situation und die seiner Zeitgenossen des Jahres 1947 als vom „Gefühl einer völligen Voraussetzungslosigkeit“35 bestimmt; der Text redet also entschieden dem Glauben an eine ‚Stunde Null‘ das Wort. Nun, in einer Situation des Übergangs, des „Interregnums“, um es mit Hans Werner Richter zu sagen, zwischen „apokalyptischer Vergangenheit“ und „dem Alptraum eines nahen Untergangs“,36 sei eine literaturkritische „Inventur“ gefordert, die zur „Wiederherstellung“ der „Reinheit und Unabhängigkeit“ des „deutschen Geistes“ führen solle. Dabei sollen dann nicht etwa Fragen nach politischer Verantwortung für die Vergangenheit oder politischen Forderungen an die Zukunft gestellt werden; vielmehr müsse vor allem „die historische und die metaphysische Situation“ gedeutet werden, in die der deutsche Intellektuelle gestellt sei.37 Diejenigen Schriftsteller, die sich mit dem Nationalsozialismus eingelassen haben, seien bloß „gehobene Propagandisten, bar jenes Stigmas geheimer Dämonie, in dem sich – auch noch beim glücklichsten künstlerischen Temperament – die Spannung zwischen Freiheit und Aufgabe verrät“.38 Wenn das Feh-

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len des „Stigmas geheimer Dämonie“ aber eigentlich ein Mangel ist, so ist das Stigma eher das Merkmal einer Auszeichnung: Zeichen eines privilegierten Zugangs zur ‚dämonischen‘ Tiefe der Realität. Wie Hans Werner Richter auch plädiert Andersch für eine neue ‚realistische‘ Literatur, eine „Literatur aus Wahrheitsliebe; die Wahrheit aber spricht immer für sich selbst, sie hat keine Tendenz und keine Predigt nötig“.39 Dass dieser neue Realismus ein magischer Realismus ist, wird deutlich, wenn man einen Seitenblick auf Anderschs Essay über Die neuen Dichter Amerikas wirft, der im Juni 1945 im Ruf, der seinerzeit noch in US-amerikanischen Kriegsgefangenenlagern erschien, abgedruckt worden ist: „Der Realismus bleibt, aber er verschafft sich den Zugang in die Zone, in der deutlich wird, dass die Dinge nur Hieroglyphen der Schrift sind, mit denen sich der grosse uralte Zauber in die Wirklichkeit schreibt.“40 In eine ganz ähnliche Richtung, wenn nicht marschiert, so doch geht der andere der beiden prominenten Begründer des Rufs und damit der zweite der Urväter der Gruppe 47. Hans Werner Richters programmatischer Essay Literatur im Interregnum erschien im März 1947 im Ruf, dessen Mitherausgeber Richter seit dem vierten Heft des ersten Jahrgangs war;41 auch er bemüht sich vordringlich um einen neuen, angemessenen Begriff des Realismus. Für das überkommene Konzept etwa im Sinne Theodor Fontanes gelte: „Es [sc. das Realistische im Sinne Fontanes] ist der Spiegel einer Welt, nicht ihre Durchdringung und Gestaltung über das äußere Bild ihrer Erscheinungen hinweg.“ Das „Wirkliche“, dem sich ein neuer Realismus zuwenden müsse, „beginnt zugleich hinter der Wirklichkeit, die wir objektiv erfassen“. Die spezifischen deutschen Erfahrungen erfordern, so Richter, anderes als den bloßen epigonalen Anschluss etwa an den amerikanischen Realismus, nämlich einen spezifischen, magischen Realismus, der mit dem überkommenen Konzept nichts mehr gemein habe: Es ist das blutige Erlebnis unserer Zeit und unseres Lebens, es ist die Fragwürdigkeit unserer geistigen Existenz und es ist die Unsicherheit unserer seelischen Verwirrung, die ihn [sc. den neuen Realismus] aus der bloßen Wahrnehmung

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des Objektiven ins Magische erhebt. Dieser Realismus ist weit entfernt von dem Realismus der anderen [sc. etwa der Amerikaner].42

Diese durchaus nicht vereinzelte Position kann auch gegen die verbreitete These angeführt werden, die Literatur der sog. ‚Stunde Null‘ sei nicht nur durch den Wunsch nach einem Neuanfang bestimmt gewesen, sondern auch durch den Wunsch nach Anschluss an bisher Unzugängliches wie die amerikanische Short Story. Ein solcher magischer Realismus aber, der dem Gefühl, im politischen wie ästhetischen Sinne ein „Interregnum“ zu durchleben, angemessener wäre, erfordert vor allem ein erkenntnistheoretisches Programm. Richter liest die Welt als einen magisch-realistischen Text, dessen zentrales Ding-Symbol die Ruine ist: Das Kennzeichen unserer Zeit ist die Ruine. Sie umgibt unser Leben. Sie umsäumt die Straßen unserer Städte. Sie ist unsere Wirklichkeit. In ihren ausgebrannten Fassaden blüht nicht die blaue Blume der Romantik, sondern der dämonische Geist der Zerstörung, des Verfalls und der Apokalypse.43

Als „die Realität unserer Zeit“ apostrophiert Richter den „Ausbruch des Dämonischen, diese Eruption dunkler Kräfte, denen der Mensch nicht mehr Herr zu werden vermag, inmitten der großen Strukturwandlung der menschlichen Gesellschaft“. Richters Programm fordert von einer noch zu schreibenden Literatur eine Erkenntnis, die sich auf eine Tiefenstruktur der (historischen) Wirklichkeit richtet, oder anders: Richters magischer Realismus44 bedeutet alles andere als einen politischen Blick auf die jüngste Geschichte; vielmehr erscheint hier Geschichte wie häufig in der frühen Nachkriegsliteratur45 als Spielfeld übermenschlicher, überzeitlicher, geradezu mythischer Mächte. Ein solches Plädoyer für einen Zugriff der Literatur auf Magisches bedeutet den Verzicht auf eine Analyse der politischen Realität. Nun scheint es aber, als läge zumindest in der dezidierten Abwehr vom Überkommenen à la Fontane ein Moment konzeptueller Neuheit; allein: dem ist nicht so, denn das Konzept bedeutet vielmehr eine Rückkehr zu Formen der Literatur, wie sie bereits zur Abwehr der Neuen

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Sachlichkeit, man wird sagen können: ins Feld geführt worden sind. Beispielhaft erscheint hier das Programm der Zeitschrift Die Kolonne 46, die von 1929 bis 1932 erschien47 und als – so der Untertitel – Zeitschrift für Dichtung vor allem einem traditionellen, antimodernen Lyrikverständnis verpflichtet war und sich die magische Durchdringung der Oberflächenrealität auf die Fahnen geschrieben hat.48 Friedhelm Kröll hat bereits 1982 in einem wichtigen Forschungsbeitrag, der die Literaturpreise nach 1945 durchaus polemisch, aber mit gutem Grund als „Wegweiser in die Restauration“ bezeichnet, die Gruppe 47 als „Testamentsvollstrecker des Kolonne-Kreises“ charakterisiert und dies damit begründet, dass sie etwa Günter Eich die „historische Umrisse verwischende Aura eines literarischen Novizen“ verliehen und damit zugleich metaphysische Tendenzen der Gegenwartsliteratur befördert habe.49 Eich gilt im kulturellen Gedächtnis wohl eher als jemand, der nach 1945 debütiert hat (oder noch plakativer gesagt: der vor allem als Autor des geradezu ikonischen Gedichtes Inventur aufgetreten ist, das ebenfalls nur den Anschein einer creatio ex nihilo erweckte, weil es doch mehr noch als aus der Realität des Kriegsgefangenenlagers aus anderer Literatur entstanden ist50). Neben ihm zählten zum Kolonne-Kreis noch Hermann Kasack, Elisabeth Langgässer und Wilhelm Schäfer, und vor allem die beiden Letztgenannten stehen für die große Zeit auf irgendeine Weise ‚magischer‘ Naturlyrik, die zum Teil in den 1950er Jahren erst noch kommen sollte. Der genannte Hermann Kasack, der in Adams Buch im Übrigen überraschenderweise nicht erwähnt wird, kann dabei als herausragendes Beispiel dafür dienen, dass in der frühen Bonner Republik eben nicht eine junge Generation von neuen Autoren (oder gar Autorinnen) tonangebend war, sondern vielmehr die Generation der bereits mehr oder minder Arrivierten, die meist zur sog. Inneren Emigration (oder auch zu den ‚Mitläufern‘) zu zählen sind, die womöglich nach einer vorübergehenden Phase der Distanzierung später wieder ins Rampenlicht gerückt wurden (Gottfried Benn wäre hierfür ein Beispiel), oder eben für solche, die bereits vor dem und während des Krieges publiziert hatten und daran unmittelbar nach Kriegsende anschließen konnten.

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Hermann Kasack, 1896 geboren, hatte bereits während seines Studiums der Volkswirtschaft und Literaturgeschichte in Berlin Gedichte veröffentlicht. 1920 wurde er Lektor im Potsdamer Gustav Kiepenheuer Verlag, bis März 1933 war er auch für den Rundfunk tätig. 1941 wurde er Lektor im von Peter Suhrkamp geleiteten S. Fischer Verlag, der 1942 in Suhrkamp Verlag umbenannt wurde. 1944 vertrat er den verhafteten Suhrkamp als Verlagsleiter. Nach dem Krieg war Kasack Gründungsmitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums und Mitglied in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz.51 Berühmt geworden und sehr lange geblieben ist er aber mit dem ersten seiner beiden Romane, Die Stadt hinter dem Strom, der 1947 erschien. Er erzählt nicht nur, relativ kunstfrei und in arg bemühtem Anschluss an den damals weitgehend verdrängten Franz Kafka, davon, dass jemand zum Chronisten in eine namenlose Stadt im Zwischenreich zwischen Leben und Tod berufen wird. Er erzählt auch von dem, was der Chronist dort an Weisheit erfährt, und diese Weisheit teilt er im Roman seinen Zuhörern in der kriegszerstörten Welt der Lebenden mit. Was er in der Stadt erfährt, ist nicht weniger als der tiefere Sinn, der im massenhaften Sterben im Krieg liegt: Dieser millionenfache Tod geschah, mußte in dieser Maßlosigkeit geschehen, wie der Chronist mit langsamem Schauder einsah, damit für die andrängenden Wiedergeburten Platz geschaffen wurde. Eine Unzahl von Menschen wurde vorzeitig abgerufen, damit sie rechtzeitig als Saat, als apokryphe Neugeburt in einem bisher verschlossenen Lebensraum auferstehen konnte. 52

Dabei wirkt die Metapher der „Saat“ heute ebenso befremdlich wie der politisch hochbelastete Terminus „Lebensraum“.53 Und auch Kasacks Lebensraum liegt im Osten: Die Vorstellung hatte etwas Bestürzendes, aber zugleich etwas Trostreiches, weil sie dem immer wieder als sinnlos Erscheinenden einen Plan, eine metaphysische Ordnung gab. Die Selbstvernichtung, das Harakiri, das Europa im zwanzigsten christlichen Jahrhundert beging, bedeutete […] nichts anderes als die

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Vorbereitung dafür, daß sich der Erdteil Asien den Zipfel wieder zurückholte, der sich für eine Weile zu einem selbständigen Kontinent gemacht hatte.54

Wohlgemerkt: der Roman spricht über den Sinn im Geschehen innerhalb des Romans; aber natürlich wird dem Leser sehr deutlich nahegelegt, die angebotene ‚trostreiche‘ „metaphysische Ordnung“ auch seiner eigenen Welt und damit dem gerade vergangenen Geschehen des Zweiten Weltkriegs zu unterstellen. Und als wäre das nicht schon frappierend genug: geradezu erschütternd ist, in wie hohem Maße dieses Angebot von der Literaturkritik wie von den Lesern angenommen worden ist. Denn es befriedigt ganz offenbar ein Bedürfnis, das in der frühen Nachkriegszeit und auch noch lange nach Gründung der Bundesrepublik vor allem im Westen an Literatur herangetragen worden ist: ein Bedürfnis danach, konkretes (Kriegs‑)Geschehen und damit auch die Frage nach Verantwortung aufzuheben in abstrakter „metaphysischer Ordnung“.55 Die Stadt hinter dem Strom wurde 1949 mit dem Berliner Fontane-Preis ausgezeichnet. Der Roman erlebte eine Reihe von Auflagen (ab 1956 in einer ein wenig entschärften, sog. „durchgesehenen Fassung“) und wurde zuletzt 1996 als Suhrkamp Taschenbuch aufgelegt; inzwischen ist er vergriffen. Hermann Kasack war von 1953 bis 1963 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er starb am 10. Januar 1966. Hermann Kasack kann als eines der eklatantesten Beispiele dafür dienen, in wie hohem Maße im Westdeutschland der frühen Nachkriegszeit ein überkommenes Konzept nachgefragt und auch geliefert worden ist: dasjenige des sog. poeta vates, des Dichters als Seher, der tiefer sieht als die anderen, dem sich, was anderen oberflächlich als Ergebnis von Geschehen in der banalen physikalischen Raumzeit einer bloßen Realität scheint, öffnet auf eine tiefere eigentliche Wirklichkeit, in der numinose Mächte wirken und nicht paranoide Parteiführer und banale Spießer; dem also die Trümmer durchsichtig werden für ein quasi-mythisch begriffenes eigentliches Geschehen. Von heute aus ist nicht so sehr erschreckend, wie sehr Menschen nach einer Sinngebung des Krieges, nach einer metaphysischen Behausung – und sei sie vom Antichrist oder vom Bösen gestellt – gedürstet haben; erschre-

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ckend ist vielmehr, mit welchem ungebrochenen Sendungsbewusstsein sog. Dichter dieses Bedürfnis zu befriedigen sich befleißigt haben und wie sehr sie dafür gerühmt und gepriesen worden sind – unter ihnen eben Autorinnen und Autoren wie Kasack oder auch Elisabeth Langgässer. Und selbst Autoren wie die Begründer der „Gruppe 47“ haben, wie eben gezeigt, an diesem Diskurs des poeta vates aktiv partizipiert. Psychologisch ist das leicht zu erklären; und noch etwas anderes ist es zweifellos: zutiefst rückschrittlich. Zum Syndrom einer „Auferstehung der Kultur“ unter unpolitischem Vorzeichen, wie es Adorno skizziert hat, gehört das Symptom, dass nicht nur konkrete Phänomene, in diesem Fall Autoren und deren Werke, aus dem kulturellen Gedächtnis reanimiert werden – sofern sie überhaupt je abgestorben waren –, sondern dass auch Strukturmuster reaktiviert werden, die das kulturelle Gedächtnis bewahrt hat und die es nun als Deutungsmuster auch für andere Gegenstände bereitzustellen scheint als diejenigen, an denen sie entwickelt worden sind. So lassen sich dann auch Geschichte und Zeitgeschichte durch solche kulturellen Muster einer Sinndeutung zuführen. Eine der in diesem Sinne strukturell produktivsten Blaupausen bietet einer der ältesten und erhabensten kulturellen Gegenstände überhaupt: die Tragödie. Interessanterweise und nicht ganz überraschend ist dies, also die Deutung der Zeitgeschichte durch altehrwürdige kulturelle Muster, ein Feld, auf dem sich im Nachkriegsdeutschland auch Geisteswissenschaftler, beispielweise Germanisten, positionieren. Klaus Ziegler etwa, der seit 1946 Privatdozent, später außerplanmäßiger Professor für Deutsche Philologie in Göttingen war und dann Ordinarius in Tübingen geworden ist,56 veröffentlicht 1945/46 im ersten Jahrgang der Zeitschrift Die Sammlung einen Essay mit dem Titel Sinn und Grenzen des tragischen Menschentums. Dort kontrastiert Ziegler dem tragischen den technischen Menschentypus, der seine Umwelt durch rationale Kalkulation zu beherrschen suche; jener, der tragische Typus, hingegen wisse, „daß sich der Mensch vor der Übermacht des Schicksals entweder im Verzicht oder im Untergang beugen muß“.57 Geradezu typisch für die zeitgenössischen Diskurse ist hier die enge Verbindung von

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Geschichtsdeutung und Technikkritik. Dass hier Rationalität auf instrumentelle Zweckrationalität verengt wird, schließt an irrationale Diskurse der Romantik ebenso an wie an die Modernekritik aus der Zeit der Weimarer Republik; mit der Kritik der Zweckrationalität, wie sie Horkheimer und Adorno formulieren, hat das hingegen wenig zu tun. Was allerdings recht untypisch ist: Ziegler unternimmt den expliziten Versuch, seine Begriffe zu entnazifizieren. Er verschweigt durchaus nicht, dass auch die NS-Ideologie mit einer Auffassung der Geschichte als Tragödie operiert hat.58 Vielmehr wendet er sich explizit gegen NS-faschistische Deutungen des Tragischen, denen zufolge das „heldische Scheitern“ ein „Mittel zum selbstherrlichen Triumph des Menschen über die Welt“ gewesen sei.59 Ziegler zufolge müsse aber der tragische Mensch die „Dämonie des Daseins […] allein aus der Liebeskraft des eigenen Herzens heraus überwinden“ und dabei die Versuchung abwehren, „die Majestät des Schicksals zu freveln“.60 Damit aber hat sich Ziegler dann allerdings längst nicht so weit von NS-faschistischen Tragödienkonzepten entfernt, wie er behauptet. Denn auch dort – exemplarisch etwa bei Curt Langenbeck – fungiert das Schicksal als eine Größe, deren Primat gegenüber dem Individuum, das eben nicht frei ist zum Helden zu werden, unzweifelhaft ist.61 Denn das genau ist ja die entscheidende Leistung solcher Deutungen der Geschichte als Tragödie: Der Einzelne wird von Handlungsmacht und damit von der Verantwortung für sein Tun entlastet, weil er, um im Bilde zu bleiben, nicht Figur, sondern bloß Darsteller in einer Tragödie ist, die eine andere Instanz verfasst hat. Gleichviel ob diese Instanz in irgendeiner Weise personal (etwa als Schöpfergott) oder mehr oder minder diffus numinos gedacht ist: wenn es eine Autorinstanz gibt, gibt es auch einen von ihr intendierten Sinn des Geschehens. Modern gesprochen ist das Muster der tragischen Weltdeutung (wenn damit nicht einfach banal eine übellaunige Deutung des Geschehens als wenig erfreulich gemeint ist) eine mächtige Maschinerie zur Reduktion von Kontingenz: Was so undurchschaubar scheint (oder meist: was aus Gründen der Selbstentlastung als undurchschaubar behauptet wird), kann einer anderen Instanz restlos in Rechnung gestellt werden. Und gegenüber der anderen, heute noch erfolgreicheren Schablone zur

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brachialen Reduktion von Kontingenz und Komplexität der Welt: gegenüber Verschwörungstheorien hat die tragische Deutung den großen Vorzug, dass nicht nur der tragische Weltdeuter, also der Tragödiendarsteller, der sich zum Tragödienleser aufschwingt, nicht, sondern dass überhaupt niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann; denn der Autor, egal wie er beschaffen ist, ist eines nicht: greifbar und haftbar. Am prominentesten aber ist wohl der Beitrag des ‚Großgermanisten‘ Benno von Wiese zu dieser Sorte Diskurs. Von Wiese war seit 1945 Professor in Münster, seit 1949 dort Ordinarius, später dann bis zum Ende seiner Dienstzeit, 1970, in Bonn.62 Auf dem ersten Germanistentag der Nachkriegszeit, der im September 1950 in München stattfand, stellte er unter dem nicht ganz treffenden Titel Probleme der deutschen Tragödie im 19. Jahrhundert eine Art geschichtsphilosophische Zuspitzung der Kernaussagen seiner berühmten zweibändigen Studie Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel vor; sie war 1948 erschienen und ist mit acht Auflagen bis 1973 (und danach noch in einer Zweitverwertung als Taschenbuch) wohl eine der wirkmächtigsten literaturwissenschaftlichen Studien nicht nur der 1950er Jahre (in denen sie allein drei Auflagen erlebte) gewesen. In beiden Texten wird deutlich, dass für von Wiese die Geschichte selbst eine Tragödie ist: die Tragödie eines Verlusts von Transzendenz, des Glaubens, des Aufgehobenseins in einer alles umfassenden göttlichen Weltordnung. Zentral für die Tragödie ist gar nicht das Problem der Schuld des Einzelnen oder auch nur des Handelns des Einzelnen; denn: „Wer die Einsicht hat“ – gemeint ist: die Einsicht in „die göttliche Ordnung […], die richtend über aller Geschichte steht“ –, „vermag nicht zu handeln.“ Und umgekehrt: „Wer handelt, verstrickt sich in Verworrenheit und Sünde“.63 Als Konsequenz ergebe sich die Notwendigkeit, gegenüber der Geschichte eine (erhöhte) Beobachterposition einzunehmen, auf ein Handeln in der Geschichte zu verzichten. Es geht für die Menschen überhaupt nicht darum zu handeln, sondern vielmehr die Nähe Gottes wiederzugewinnen, die Entgötterung der Welt durch die aufklärerische Säkularisierung zurückzunehmen, und die Tragödie soll der Ort dieses Ringens sein. Der Einzelne soll von der Rolle als Handelnder in der Geschichte entbunden werden, und politische

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Zeitgeschichte überhaupt erscheint aufgehoben in einem umfassenden Zusammenhang der Moderne als einer entgötterten Welt. Ganz entsprechend heißt es an anderer Stelle: Aber, das Ganze des geschichtlichen Verlaufs bis zu unsren Tagen betrachtend, müssen wir aussprechen, daß der Mensch in eine immer gefährlichere Verlorenheit geraten ist, daß also die Kraft des Glaubens und die Macht der Frömmigkeit mehr und mehr abgenommen haben, und daß […] Gott in immer schwerer erreichbare Ferne sich entrückt hat.64

Die von der Tragödie geforderte Leistung bestehe deswegen darin, nicht nur Ausdruck der Glaubenskrise, sondern Theologie des Schmerzes zu sein: Sie [sc. die Tragödie] hat denjenigen Menschen, die […] dem Unheimlichen, dem Verhängnis, der Selbstzerstörung sich preisgegeben sehen, die Möglichkeit vorgebildet, wie man dieser gefährlichen Gefahren dadurch Herr werden kann, daß man sie, durch und durch, erleidet und dabei den Glauben an die Götter nicht nur in sich bekräftigt, sondern erst recht erringt und in der eigenen Seele wie in der Welt begründet.65

Diese beiden Zitate allerdings stammen nicht von Benno von Wiese – sondern aus einer 1939 in München gehaltenen Rede des der NS-Literatur durchaus nahestehenden Dramatikers und Dramaturgen Curt Langenbeck. Man sieht: allenthalben merkwürdige und bemerkenswerte Kontinuitäten. In wenigstens den weiteren Kontext von Auffassungen der (jüngeren) deutschen Geschichte als einer Tragödie gehört auch der häufig begegnende Versuch, den Deutschen einen faustischen Nationalcharakter zuzuschreiben, wie er schon vor dem Krieg etwa von Oswald Spengler in Der Untergang des Abendlandes unternommen worden ist.66 Am prominentesten hat hier aber wohl ausgerechnet Thomas Mann gewirkt – und das sowohl in diskursiver als auch in poetischer Form: in seiner am 29. Mai 1945 in der Library of Congress gehaltenen Rede Deutschland und die Deutschen einerseits, andererseits in seinem Roman Doktor

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Faustus, die beide zudem in engem Zusammenhang stehen. Aber auch in den politisch-kulturellen Zeitschriften in Westdeutschland sind solche Deutungen lebhaft diskutiert worden – teilweise wiederum im Anschluss an Manns Faustus-Roman.67 Überhaupt darf, noch dazu in einem im Düsseldorfer Goethe-Museum gehaltenen Vortrag, Goethe nicht fehlen, wenn es um den geistigen Wiederaufbau Deutschlands, die Auferstehung seiner Kultur in den frühen Nachkriegsjahren gehen soll; denn schließlich ist das Jahr der Gründung der Bundesrepublik auch ein Goethe-Jahr, das Jahr der 200. Wiederkehr seines Geburtstages, gewesen. Und auch hier hat Thomas Mann einen der, wenn nicht den prominentesten Beitrag geleistet: mit einer Rede, die er, wortgleich, am 25. Juli 1949 in Weimar wie am 1. August in Frankfurt am Main gehalten hat – jeweils als Dank für die Verleihung eines Goethe-Preises. Thomas Mann nutzt diese Rede zunächst, um sich in mehrfacher Hinsicht ausführlich selbst zu positionieren: Nach einem grundsätzlichen Bekenntnis seiner „aktive[n] Treue zur deutschen Sprache, dieser wahren und unverlierbaren Heimat, die ich mit mir ins Exil genommen und aus der kein Machthaber mich vertreiben konnte“,68 wendet er sich gegen Vorwürfe, die im Rahmen der sog. Großen Kontroverse gegen ihn erhoben worden sind: Er stellt klar, dass der „Abscheu“, der in seinen Radioansprachen an Deutsche Hörer zu vernehmen gewesen ist, nicht Deutschland selbst, sondern „nur den machthabenden Verführern Deutschlands und ihren Untaten“ gegolten habe69 – womit er allerdings der bis heute gern gepflogenen säuberlichen Scheidung zwischen den wenigstens indifferenten, wenn nicht guten, Deutschen hier und dort ihren „Verführern“ und deren „Untaten“ (die offenbar nicht diejenigen der Deutschen gewesen sind) doch erheblichen Vorschub leistet. Das zur Erhebung über viele Exulanten genutzte, nennen wir es: Argument, sie seien nicht dabei gewesen, könnten sich also kein Urteil erlauben, ja ihnen fehle geradezu die schicksalhafte Auszeichnung, die darin stecke, kontert Mann mit der Bemerkung, sein Doktor Faustus zeige doch wohl, wie sehr er „die deutsche Not geteilt hat“.70 Nun, angesichts von „Trümmer[n] […], welche die nationale Katastrophe sinnfällig zurückgelassen“, und vor allem der Tatsache, dass das „Land zerrissen und aufgeteilt

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[ist] in Zonen der Siegermächte“, komme es ihm, Mann, als „unabhängige[m] Schriftsteller, dessen wahre Heimat […] die freie, von Besatzungen unberührte Deutsche Sprache ist“, zu, „die Einheit Deutschlands“ nicht nur „dar[zu]stellen“, sondern gar zu „gewährleisten“.71 Diese Einheit liegt in der Tiefe, und dies aufzuzeigen ist offenbar die Funktion Goethes, auf den Thomas Mann erst in der zweiten Hälfte seiner Rede zusammenhängend zu sprechen kommt. Der Einschätzung Manns, die Antwort auf die Frage „was […] lehrt und rät uns sein Werk […]?“, laute „[n]ichts und alles“, ist, gerade im Blick auf die anderen Reden des Jahres 1949, schwerlich zu widersprechen. Geht es Mann in Deutschland und die Deutschen um eine Parallelisierung von Faust und Deutschland, so ist es ihm hier, in der Goethe-Rede, um eine tiefe Parallele zwischen Goethe und Deutschland zu tun; die Parallele besteht im Modus der Repräsentanz, denn in Goethe hat sich das Deutschtum, und zwar „großes Deutschtum“ inkarniert. Und in diesem Sinne spricht Mann tatsächlich dann mit gutem Grund, und eigentlich ganz unironisch, vom 28. August 1749 als dem Tag einer „Epiphanie“.72 „Großes Deutschtum“, so Mann, hat von Gutheit so viel, wie Größe überhaupt davon haben mag, aber das ‚böse‘ Deutschland ist immer auch in ihm, und den Helden des Tages [sc. Goethe] sehen wir, glaube ich, in wahrem Licht, wenn wir einen Ausbruch großen Deutschtums, eine Erscheinung [lies: eine „Epiphanie“] deutscher Gewaltigkeit in ihm sehen – allerdings die sublimste, humanisierteste, gebändigtste Abwandlung davon […].73

Goethes „glückliche[] Ausgewogenheit und Klassizität“ sei nicht einfach naturgegeben, sondern Ergebnis einer ‚sittlichen‘ Leistung gewesen: der Wendung „dämonisch-gefährliche[r] und möglicherweise zerstörerische[r] Anlagen […] zum Guten und Lebensdienlichen“.74 Es liegt auf der Hand, dass der Text von Manns Rede hier massiv anbietet, die 1949 noch sinnfällige Zerstörung des Krieges als Ausdruck nicht von bewusstem menschlichen Handeln, sondern vom Wirken eines „Dämonisch-Dunkle[n], Übermenschlich-Unmenschliche[n]“

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zu deuten – eines „Teuflische[n]“, das Goethe eben überwunden habe, Deutschland augenscheinlich noch nicht. Ist Goethe also einerseits geradezu die fleischgewordene „deutsche Größe“, so soll er ganz offenbar andererseits als Beispiel dafür dienen, wie das Dämonische zu bändigen sei: indem es „versittlicht“75 und zum „höchsten Humanismus“76 gesteigert wird. Indem er anbietet, Zeitgeschichte als Ausdruck von Dämonie zu deuten, reiht Mann sich recht bruchlos in entsprechende geschichtsphilosophische Zusammenhänge ein, die in der Publizistik der frühen Nachkriegsjahre allenthalben nachweisbar sind.77 Den meisten anderen Reden des Goethe-Jahres 1949 fehlt allerdings der Hinweis auf das Dämonische, sei es in Goethe, sei es im Deutschen, ganz. Eines der wohl seltenen Beispiele für eine Goethe-Festrede, die sich kritisch gegen eine Auferstehung der Kultur im Zeichen einer ungebrochenen Goethe-Idolatrie wendet, bietet die Rede, die Richard Alewyn im Festjahr gehalten hat. Sie fungierte als öffentliche Antrittsvorlesung wie auch als eine Art „Präambel“ zu seiner Goethe-Vorlesung des Sommersemesters 1949 an der Universität zu Köln.78 Alewyn war 1932, frisch habilitiert, auf die (außerordentliche) Professur Friedrich Gundolfs in Heidelberg berufen und bereits 1933 wegen seiner ‚nicht-arischen‘ Abkunft, im Zuge der Maßnahmen zur – wie es so unnachahmlich zynisch hieß – „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, entlassen worden; er war dann nach einer europäischen Odyssee in die USA emigriert, von wo er 1949 zurückkehrte: zunächst nach Köln, dann war er von 1955 bis 1959 an der FU Berlin tätig und schließlich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er bis zu seiner Emeritierung 1967, gewissermaßen als Antipode zu Benno von Wiese, lehrte.79 Seine Kölner Vorlesung nun vermag unmittelbar an Adornos entsprechende persönliche Bemerkungen anzuschließen, mit dem Unterschied, dass Alewyn sich auf den Fall Goethe konzentriert; bemerkenswert ist dies nicht zuletzt deswegen, weil Alewyn sich sonst überhaupt nie öffentlich zu seiner eigenen Persönlichkeit geäußert hat80: Es gibt wenig, was auf den Neuankömmling in Deutschland einen so bestürzenden Eindruck macht, als die Unbekümmertheit, mit der man sich allerorten

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schon wieder anschickt, Goethe zu feiern, als ob dies für einen Deutschen die natürlichste Sache von der Welt wäre, als ob gar nichts geschehen wäre, oder als ob irgend etwas damit ungeschehen gemacht werden könne.81

Zumindest scheinbar an Thomas Mann anschließen kann Alewyn hingegen mit dem Hinweis auf eine unhintergehbare Dialektik – mit dem entscheidenden Unterschied, dass Alewyn sie weder in der Psychologie Goethes noch in derjenigen der Deutschen noch gar in einer mythischen Tiefe grundiert. Vielmehr verweist Alewyn auf den unauflöslichen historischen Zusammenhang eben nicht zwischen Gut und Böse im „großen Deutschtum“, sondern zwischen Goethe und Hitler in der deutschen Geschichte: Man kann natürlich jederzeit erklären, mit dem deutschen Volk nichts mehr zu tun zu haben. Man kann auch durchaus die Frage aufwerfen, wieviel eigentlich Goethe mit den Deutschen zu tun habe. Was aber nicht geht, ist, sich Goethes zu rühmen und Hitler zu leugnen. Es gibt nur Goethe und Hitler, die Humanität und die Bestialität. Es kann, zum mindesten für die heute lebenden Generationen, nicht zwei Deutschlands geben. Es gibt nur eines oder keines.

Die Einsicht, um die man 1949, so Alewyn, „nun einmal nicht herum [komme]“, fasst er in eine Formel, die seitdem durchaus eine gewisse Prominenz gewonnen hat: „Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald.“82 Dass hier Buchenwald als metonymische Chiffre für die deutschen Verbrechen unter Hitlers Regime eingesetzt wird, erklärt sich natürlich, das muss nicht gesagt werden, aus der geographischen Nähe des Konzentrationslagers zum Weimarer Musensitz. Dass das KZ Buchenwald nicht, wie die anderen, geographisch konkret benannt worden war, resultiert ja daraus, dass der naheliegende, aber bereits mit Goethe verbundene Name „Ettersberg“ nun wiederum den NS-faschistischen Goethe-Kult kontaminiert hätte. Insofern steckt in der Chiffre „Buchenwald“ selbst, ex negativo, wiederum der Hinweis auf die multiplen Instrumentalisierungen Goethes, gegen die Alewyn sich wendet. – Dass seinerzeit tatsächlich Buchenwald als allgemeinverständliche Metonymie für die NS-faschistische Vernichtungspolitik eingesetzt

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werden konnte, liegt daran, dass eine der wenigen Darstellungen des KZ-Systems, die bereits vorlagen, Eugen Kogons bereits 1946 erschienenes Buch Der NS-Staat gewesen ist, in dem er von seiner Zeit in Buchenwald berichtet – wie übrigens auch Ernst Wiechert in seinem 1946 erschienen Buch Der Totenwald. Zugleich lässt sich hier der Hinweis anbringen, dass die Konzentrationslager, so denn überhaupt an sie erinnert wurde, noch lange vordringlich als Lager für politische Häftlinge und Kriegsgefangene wahrgenommen worden sind. Die systematische Vernichtung der europäischen Juden, die Shoah, rückte erst später ins Blickfeld; dann begann der Ortsname „Auschwitz“ die Rolle der metonymischen Formel einzunehmen, die er heute hat. Solche Stimmen wie die Alewyns oder Adornos aber gab es selten83; sonst herrschte allenthalben die Kontinuität eines auf dem rückwärtigen Auge ziemlich blinden Weitermachens. Wahrscheinlich sehr treffend heißt es in der Zeit vom 1. September 1949 resümierend: Der zweihundertste Geburtstag Goethes wurde in aller Welt festlich begangen. Im ganzen läßt sich sagen, daß es sich dabei nicht um die mehr oder minder wichtige Einlösung einer Anstandsverpflichtung oder um die selbstgefällige Repräsentation längst fragwürdig gewordenen Bildungsstolzes handelte, sondern, daß die ungeminderte Lebenskraft jener geistigen Macht, die wir unter dem Namen Goethe verstehen, und ihre anscheinend niemals zu erschöpfende aktuelle Wirksamkeit den Menschen unserer Tage wieder einmal zu Bewußtsein kam.84

Man sieht, was man schon vorher wusste: Mit Goethe lässt sich alles Mögliche belegen – eines aber nur schwerlich: ein Neuanfang im Angedenken an das Vergangene, was nicht dasselbe ist wie eine Berufung aufs Vergangene, die einen Neuanfang nur behauptet. Eines aber ist sicher: weder 1945 noch auch 1947 (und 1949 eben auch nicht) hat es für die deutsche Literatur eine ‚Stunde Null‘ gegeben, zu der sie, gar noch unbeschwert und unbelastet von Vergangenem, neu angefangen hätte. Wenn man nach plakativen Daten sucht, zu denen wirklich etwas neu begonnen hat – und das aber eben nicht im Zeichen aufbauseliger Geschichtsvergessenheit –, so hätte man bis vor einigen Jahren vielleicht noch gesagt: 1958 – das Jahr, in dem Günter Grass beim Treffen

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der Gruppe 47 aus der Blechtrommel gelesen hat. Das möchte man mit Blick auf beide, die Gruppe 47 wie den ehemaligen SS-Angehörigen, heute so sicher nicht mehr sagen. Ein besseres Datum wäre womöglich 1960 – das Jahr, in dem Paul Celan den Georg-Büchner-Preis erhielt.85Aber das ist, wie gesagt, eine ganz andere Geschichte.

A nmerkungen 1 | Adorno, Theodor W.: „Auferstehung der Kultur in Deutschland?“, in: Frankfurter Hefte 5 (1950), S. 469–477, hier S. 469. 2 | Ebd., S. 469. 3 | Ebd., S. 470. 4 | Ebd., S. 472. 5 | Ebd., S. 477. 6 | Kreuder, Ernst: „Funktion und Wesen der Dichtung“, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Jahrbuch 1952, Wiesbaden: Steiner Verlag 1952, S. 263–274, hier S. 266. 7 | Th. W. Adorno: Auferstehung der Kultur, S. 477. 8 | Ebd., S. 471. 9 | Ebd., S. 475. 10 | So der zweite Teil des Untertitels. 11 | Mayer, Hans: „Einleitung“, in: ders. (Hg.), Deutsche Literaturkritik. Vom Dritten Reich bis zur Gegenwart (1933–1968), Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 1978, S. 45; zit. nach Adam, Christian: Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Bücherwelt, Berlin: Verlag Galiani 2016, S. 20. 12 | Bereits 1971 hat Heinrich Vormweg das Moment der Kontinuität zwischen der Zeit vor und nach 1945 betont; vgl. Vormweg, Heinrich: „Deutsche Literatur 1945–1960: Keine Stunde Null“, in: Durzak, Manfred (Hg.), Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen, Stuttgart: Reclam 1971, S. 13–30. – Frank Trommler hat schon 1972 im Blick auf die Kontinuitäten für eine Auffassung der Zeit von 1930 bis 1960 als einer Epoche politischer und kultureller Reaktion plädiert; vgl. Trommler, Frank: „Emigration und Nachkriegsliteratur. Zum Problem

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der geschichtlichen Kontinuität“, in: Grimm, Reinhold/Hermand, Jost (Hg.), Exil und innere Emigration. Third Wisconsin Workshop, Frankfurt/ Main: Athenäum Verlag 1972 (= Wissenschaftliche Paperbacks Literaturwissenschaft, Bd. 17), S. 173–197. Vgl. auch Schäfer, Hans Dieter: „Zur Periodisierung der deutschen Literatur seit 1930“, in: Literaturmagazin 7 (1977), S. 95–115; Hüppauf, Bernd: „Krise ohne Wandel. Die kulturelle Situation 1945–1949“, in: ders. (Hg.), „Die Mühen der Ebenen“. Kontinuität und Wandel in der deutschen Literatur und Gesellschaft 1945–1949, Heidelberg: Winter 1981 (= Reihe Siegen. Germanistische Abteilung, Bd. 17), S. 47–112, u.v.a. 13 | Ch. Adam, Traum vom Jahre Null, S. 275, S. 363. 14 | Zitate nach ebd., S. 276. 15 | Ebd., S. 277. 16 | Vgl. ebd., S. 277–280. 17 | Vgl. ebd., S. 239. 18 | Ebd., S. 240. 19 | Vgl. ebd., S. 241. 20 | Vgl. ebd. 21 | Vgl. ebd., S. 280f. 22 | Vgl. ebd., S. 280–284. 23 | Vgl. ebd., S. 243. 24 | Benn, Gottfried: „Der neue Staat und die Intellektuellen“, in: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, in Verbindung mit Ilse Benn hg. v. Gerhard Schuster, Bd. IV: Prosa 2, Stuttgart: Klett-Cotta 1989, S. 12–20, hier S. 18. 25 | Eintrag „Rowohlt, Ernst“, in: Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger.de/document /00000002189 vom 15.9.2017. 26 | Eintrag „Ledig-Rowohlt, Heinrich Maria“, in: Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger. de/document/00000011724 vom 15.9.2017. 27 | Vgl. Ch. Adam, Traum vom Jahre Null, S. 310. 28 | Davon etwa, dass ausländische Literatur in der Zeit des NS-Regimes generell verboten gewesen wäre, kann keine Rede sein; immerhin wurden in diesen zwölf Jahren in Deutschland 1.378 Titel als Übersetzun-

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gen aus dem Englischen, 173 Titel aus dem Amerikanischen publiziert (vgl. Adam, Christian: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin: Verlag Galiani 2010, S. 230f.). Amerikanische Literatur im Original durfte erst nach dem Kriegseintritt der USA in Deutschland nicht mehr ausgeliefert werden (vgl. ebd., S. 233). 29 | Vgl. Sarkowicz, Hans/Mentzer, Alf: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg/Wien: Europa Verlag 2000, S. 73f. 30 | Vgl. dazu Wende-Hohenberger, Waltraud: Ein neuer Anfang? Schriftsteller-Reden zwischen 1945 und 1949, Stuttgart: Metzler 1990, S. 144–186; Wehdeking, Volker: Der Nullpunkt. Über die Konstituierung der deutschen Nachkriegsliteratur (1945–1948) in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern, Stuttgart: Metzler 1971, S.  97–135; ders.: „Literarische Programme der frühen Nachkriegszeit“, in: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 21 (1990), H. 2, S. 2–15, hier S.  2–4. – Zu Anderschs zwiespältigem Verhältnis zur Gruppe 47 (und zu Hans Werner Richter) vgl. Heidelberger-Leonard, Irene: „Zur Dramaturgie einer Abwesenheit – Alfred Andersch und die Gruppe 47“, in: Braese, Stephan (Hg.), Bestandsaufnahme. Studien zur Gruppe 47, Berlin: Erich Schmitt 1999 (Philologische Studien und Quellen, H. 157), S. 87–101 – Vgl. zum Folgenden Dörr, Volker C.: Mythomimesis. Mythische Geschichtsbilder in der westdeutschen (Erzähl-)Literatur der frühen Nachkriegszeit (1945–1952), Berlin: Erich Schmidt 2004 (Philologische Studien und Quellen, H. 182), S. 469 – 472. 31 | Vgl. W. Wende-Hohenberger, Ein neuer Anfang?, S. 155. Nach Irene Heidelberger-Leonard wird die Gruppe generell vom „Nicht-Gesagten“ zusammengehalten: vom Schweigen über die „eigene Verwicklung in die Hitler-Diktatur“ (I. Heidelberger-Leonard, Dramaturgie einer Abwesenheit, S.  95). Dem korrespondiert die These Klaus Brieglebs, der die Funktion der Gruppe 47 im Wesentlichen darin sieht, „Gruppe 47“ zu sein; vgl. Briegleb, Klaus: „‚Neuanfang‘ in der westdeutschen Nachkriegsliteratur – Die ‚Gruppe 47‘ in den Jahren 1947–1951“, in: Weigel, Sigrid/Erdle, Birgit (Hg.), Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus, Zürich: vdf Hochschulverlag 1996 (= Zürcher Hochschulforum, Bd. 23), S. 119–164.

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32 | Andersch, Alfred: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der literarischen Situation, Karlsruhe: Verlag Volk und Zeit o.J. [1948], S. 27; vgl. V. Wehdeking, Der Nullpunkt, S. 99. 33 | Neben der Apologie der Inneren Emigration und dem panegyrischen Lob Ernst Jüngers irritiert auch das Verschweigen der Shoah – „stattdessen selbstgefälliges Zelebrieren eines neuen Morgens“ (I. Heidelberger-Leonard, Dramaturgie einer Abwesenheit, S. 99). Vgl. Bullivant, Keith: „Alfred Andersch, ‚Deutsche Literatur in der Entscheidung‘ (1947/8)“, in: Literatur für Leser 1994, S. 99–107, hier S. 100–102. – Zu den Tendenzen von Anderschs Programmatik in dieser Zeit vgl. auch W. Wende-Hohenberger, Ein neuer Anfang?, S. 160–165. 34 | A. Andersch, Deutsche Literatur, S.  19f.; zu den zuweilen merkwürdigen literarischen bzw. moralischen Urteilen vgl. Williams, Rhys W.: „Deutsche Literatur in der Entscheidung. Alfred Andersch und die Anfänge der Gruppe 47“, in: Fetscher, Justus/Lämmert, Eberhard/Schutte, Jürgen (Hg.): Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik, Würzburg: Königshausen und Neumann 1991, S. 23–43, hier S. 31–33. 35 | A. Andersch: Deutsche Literatur, S. 25. 36 | Ebd., S. 30. 37 | Ebd., S. 6. 38 | Ebd., S. 8. 39 | Ebd., S. 19. 40 | Andersch, Alfred: „Die neuen Dichter Amerikas“, in: Der Ruf. Zeitung der deutschen Kriegsgefangenen in USA, Nr. 7, 15.6.1945, S. 7. 41 | Zur Geschichte des Rufs vgl. V. Wehdeking, Der Nullpunkt, S. 17–20; Vaillant, Jérôme: Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation (1945–1949). Eine Zeitschrift zwischen Illusion und Anpassung. Mit einem Vorwort von Harold Hurwitz, München/New York/Paris: Saur 1978 (= Kommunikation und Politik, Bd. 11) – Vgl. zum Folgenden V. Dörr, Mythomimesis, S. 126 –128. 42 | Richter, Hans Werner: „Literatur im Interregnum“, in: Der Ruf 1 (1946/47), Nr. 15, S. 10–11, hier S. 10. 43 | H. W. Richter, Literatur im Interregnum, S. 10f. 44 | Den Terminus „magischer Realismus“ benutzt Richter dann explizit in der unveröffentlichten Nullnummer der Zeitschrift Skorpion, die

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als ‚Nachfolge‘-Organ des Rufs geplant war: „Nein, wir wollen die Wirklichkeit unserer Zeit. Die einen nennen es Realismus, die anderen magischer Realismus. […] Vertiefung der Wirklichkeit, das heißt die Oberfläche des Naturalismus überwinden, das heißt das Magische unserer Zeit, ihre Zwiegesichtigkeit, ihre Dämonie, ihre irrationale Unsicherheit in den Bereich des Wirklichen ziehen. Im magischen Realismus ist die Wirklichkeit transparent und das Unwirkliche real […].“ (Richter, Hans Werner: „Skorpion“, in: Der Skorpion 1 (1948), H. 1, S. 7–9, hier S. 8; vgl. V. Wehdeking, Der Nullpunkt, S. 172, Fn. 34.) 45 | Vgl. V. Dörr, Mythomimesis. 46 | Zu dem sich um sie, die Zeitschrift Der weiße Rabe sowie den Verleger V. O. Stomps gruppierenden Umfeld zählen neben anderen Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Elisabeth Langgässer, Ernst Jünger und Wilhelm Lehmann; vgl. Scheffel, Michael: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung, Tübingen: Stauffenburg 1990 (= Stauffenburg Colloquium, Bd. 16), S. 83. 47 | Vgl. Becker, Sabina: Neue Sachlichkeit, Bd. 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920–1933), Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2000, S. 324–332, S. 339f. 48 | Vgl. M. Scheffel, Magischer Realismus, S. 77f. 49 | Kröll, Friedhelm: „Literaturpreise nach 1945. Wegweiser in die Restauration“, in: Hermand, Jost/Peitsch, Helmut/Scherpe, Klaus R. (Hg.): Nachkriegsliteratur in Westdeutschland 1945–1949. Schreibweisen, Gattungen, Institutionen, Berlin: Argument-Verlag 1982 (Literatur im historischen Prozeß, N.F. 3; Argument-Sonderbd. 83), S.  143–164, hier S. 157. – Briegleb deutet die allgemeine Kontinuität der Schreibweisen, die die Gruppe 47 prägt, als Resultat von deren „kritischer Konturlosigkeit“; die Programmatik der Gruppe reduziert sich für ihn auf die bloße Frage nach der Zugehörigkeit zu ihr (K. Briegleb, ‚Neuanfang‘ in der westdeutschen Nachkriegsliteratur, S. 126). 50 | Gerhard Kaiser hat auf die tatsächlich frappierende Nähe zum Gedicht Jean Baptiste Chardin des tschechischen Dichters Richard Weiner hingewiesen; vgl. Kaiser, Gerhard: „Günter Eich: Inventur. Poetologie am Nullpunkt“, in: Hildebrand, Olaf (Hg.), Poetologische Lyrik von Klopstock

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bis Grünbein. Gedichte und Interpretationen, Köln: Böhlau 2003, S. 268– 285, hier S. 282. 51 | Eintrag „Kasack, Hermann“, in: Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger.de/document /00000002624 vom 15.9.2017. 52 | Kasack, Hermann: Die Stadt hinter dem Strom, Berlin: Suhrkamp 1947, S. 423. 53 | Vgl. auch Sebald, W. G.: „Zwischen Geschichte und Naturgeschichte – Versuch über die literarische Beschreibung totaler Zerstörung mit Anmerkungen zu Kasack, Nossack und Kluge“, in: Orbis Litterarum 37 (1982), S. 345–366, hier S. 349; ders.: Luftkrieg und Literatur. Mit einem Essay zu Alfred Andersch, Frankfurt/Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 2001, S. 56. 54 | H. Kasack, Die Stadt hinter dem Strom, S. 423. 55 | Vgl. dazu V. Dörr, Mythomimesis, S. 473–488. 56 | Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 7. Ausgabe, Berlin: de Gruyter 1950, Sp. 2342; Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 9. Ausgabe, Berlin: de Gruyter 1961, Bd. 2, Sp. 2344 – Vgl. zum Folgenden Dörr, Volker C.: „Die ‚Geburt des Sinnes inmitten der Sinnlosigkeit‘. Benno von Wieses Pantragismus“, in: Dörr, Volker C./Schneider, Helmut J. (Hg.), Die deutsche Tragödie. Neue Lektüren einer Gattung im europäischen Kontext, Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 213–234. 57 | Ziegler, Klaus: „Sinn und Grenzen des tragischen Menschentums“, in: Die Sammlung 1 (1945/46), S. 161–168, hier S. 165. 58 | Vgl. dazu Ketelsen, Uwe-Karsten: Heroisches Theater. Untersuchungen zur Dramentheorie des Dritten Reichs, Bonn: Bouvier 1968 (= Literatur und Wirklichkeit, Bd. 2), S. 83–93. 59 | K. Ziegler, Sinn und Grenzen des tragischen Menschentums, S. 166. 60 | Ebd., S. 167f. 61 | Vgl. U.-K. Ketelsen, Heroisches Theater, S. 105–111. 62 | Vgl. Rossade, Klaus-Dieter: Art. „Wiese, Benno von“, in: König, Christoph (Hg.): Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, Berlin/New York: de Gruyter 2003, Bd. 3, S. 2025–2018, hier S. 2026. 63 | Wiese, Benno von: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, 2 Bde., Hamburg: Hoffmann und Campe 1948, Bd. 1, S. 37.

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64 | Langenbeck, Curt: Wiedergeburt des Dramas aus dem Geist der Zeit. Eine Rede. München: Langen-Müller 1940, S. 33. 65 | Ebd., S. 25. 66 | Vgl. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1, 76–81. Aufl., München: Beck 1923, S. 405–409 u. pass. 67 | Vgl. Eberan, Barbro: Luther? Friedrich ‚der Große‘? Wagner? Nietzsche? …? …? Wer war an Hitler schuld? Die Debatte um die Schuldfrage 1945–1949, München: Minerva-Publikation 1983, S. 81–91. 68 | Mann, Thomas: „Ansprache im Goethejahr 1949“, in: ders.: Reden und Aufsätze 3, Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1990 (= Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Bd. 11), S. 481–497, hier: S. 483. 69 | Ebd., S. 484. 70 | Ebd., S. 485. 71 | Ebd., S. 487f. 72 | Ebd., S. 490. 73 | Ebd., S. 492f. 74 | Ebd., S., 493. 75 | Ebd. 76 | Ebd., S. 497. 77 | Vgl. dazu V. Dörr, Mythomimesis, S. 99–121. 78 | Garber, Klaus: „Weimar und Buchenwald. Richard Alewyns Kölner Goethe-Rede aus dem Jahr 1949“, in: Stüben, Jens/Woesler, Winfried (Hg.), „Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde“. Acta-Band zum Symposion „Beiträge Jüdischer Autoren zur Deutschen Literatur seit 1945“ (Universität Osnabrück, 2.–5.6.1991), Darmstadt: Häusser 1994, S. 329–343, hier S. 335. 79 | Vgl. Weber, Regina: Art „Alewyn, Richard Wolfram“, in: König, Chr. (Hg.): Internationales Germanistenlexikon, Bd. 1, S. 18–21, hier S. 18f. 80 | Vgl. K. Garber: Weimar und Buchenwald, S. 336. 81 | Alewyn, Richard: „Goethe als Alibi?“, in: Mandelkow, Karl Robert (Hg.): Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland. Teil IV: 1918–1982, München: Beck 1984, S. 333–336, hier S. 333f. 82 | Ebd., S. 335.

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83 | Ähnlich ablehnend gegenüber historisch blinden vereinnahmenden Aktualisierungen Goethes argumentierten allerdings der Rektor der Frankfurter Universität, der Jurist Franz Böhm, in seiner Eröffnungsansprache zum 1949er-Geburtstagskongress Goethe und die Wissenschaft sowie Rudolf Augstein im Spiegel vom 1. September 1949; vgl. K.-R. Mandelkow (Hg.), Goethe im Urteil, S. 336–341, S. 332f. 84 | W-h, Die Goethe-Feiern, in: Die Zeit, 1. September 1949; zit. nach http://www.zeit.de/1949/35/die-goethe-feiern/komplettansicht (letzter Zugriff am 17.9.2017). 85 | Dies geschah im Übrigen, das muss fairerweise angemerkt werden, unter der Akademie-Präsidentschaft Hermann Kasacks.

L iteratur Adam, Christian: Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Bücherwelt, Berlin: Verlag Galiani 2016. Adorno, Theodor W.: „Auferstehung der Kultur in Deutschland?“, in: Frankfurter Hefte 5 (1950), S. 469–477. Alewyn, Richard: „Goethe als Alibi?“, in: Mandelkow, Karl Robert (Hg.): Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland. Teil IV: 1918–1982, München: Beck 1984, S. 333–336. Andersch, Alfred: „Die neuen Dichter Amerikas“, in: Der Ruf. Zeitung der deutschen Kriegsgefangenen in USA, Nr. 7, 15.6.1945, S. 7. Ders.: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der literarischen Situation, Karlsruhe: Verlag Volk und Zeit o.J. [1948]. Becker, Sabina: Neue Sachlichkeit, Bd. 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920–1933), Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2000. Benn, Gottfried: „Der neue Staat und die Intellektuellen“, in: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, in Verbindung mit Ilse Benn hg. v. Gerhard Schuster, Bd. IV: Prosa 2, Stuttgart: Klett-Cotta 1989, S. 12–20.

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Briegleb, Klaus: „‚Neuanfang‘ in der westdeutschen Nachkriegsliteratur – Die ‚Gruppe 47‘ in den Jahren 1947–1951“, in: Weigel, Sigrid/ Erdle, Birgit (Hg.), Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus, Zürich: vdf Hochschulverlag 1996 (= Zürcher Hochschulforum, Bd. 23), S. 119–164. Bullivant, Keith: „Alfred Andersch, ‚Deutsche Literatur in der Entscheidung‘ (1947/8)“, in: Literatur für Leser 1994, S. 99–107. Dörr, Volker C.: „Die ‚Geburt des Sinnes inmitten der Sinnlosigkeit‘. Benno von Wieses Pantragismus“, in: Dörr, Volker C./Schneider, Helmut J. (Hg.), Die deutsche Tragödie. Neue Lektüren einer Gattung im europäischen Kontext, Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 213–234. Ders.: Mythomimesis. Mythische Geschichtsbilder in der westdeutschen (Erzähl-)Literatur der frühen Nachkriegszeit (1945–1952), Berlin: Erich Schmidt 2004 (Philologische Studien und Quellen, H. 182). Eberan, Barbro: Luther? Friedrich ‚der Große‘? Wagner? Nietzsche? …? …? Wer war an Hitler schuld? Die Debatte um die Schuldfrage 1945–1949, München: Minerva-Publikation 1983. Garber, Klaus: „Weimar und Buchenwald. Richard Alewyns Kölner Goethe-Rede aus dem Jahr 1949“, in: Stüben, Jens/Woesler, Winfried (Hg.), „Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde“. Acta-Band zum Symposion „Beiträge Jüdischer Autoren zur Deutschen Literatur seit 1945“ (Universität Osnabrück, 2.5.6.1991), Darmstadt: Häusser 1994, S. 329–343. Heidelberger-Leonard, Irene: „Zur Dramaturgie einer Abwesenheit – Alfred Andersch und die Gruppe 47“, in: Braese, Stephan (Hg.), Bestandsaufnahme. Studien zur Gruppe 47, Berlin: Erich Schmitt 1999 (Philologische Studien und Quellen, H. 157), S. 87–101. Hüppauf, Bernd: „Krise ohne Wandel. Die kulturelle Situation 1945– 1949“, in: ders. (Hg.), „Die Mühen der Ebenen“. Kontinuität und Wandel in der deutschen Literatur und Gesellschaft 1945–1949, Heidelberg: Winter 1981 (= Reihe Siegen. Germanistische Abteilung, Bd. 17), S. 47–112. Kaiser, Gerhard: „Günter Eich: Inventur. Poetologie am Nullpunkt“, in: Hildebrand, Olaf (Hg.), Poetologische Lyrik von Klopstock bis

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Auferstanden aus Ruinen?

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Neue Gärten braucht das Land ‚Entnazifizierung‘ und ‚Amerikanisierung‘ der Gartenkunst im Rheinland Christof Baier

Zur Gartenkunst im Nationalsozialismus ist in den letzten gut 20 Jahren eine umfangreiche Forschung entstanden, die zum überwiegenden Teil von Landschaftsarchitekten geleistet wurde und wird.1 Die Beschäftigung mit der Gartenkunst der Nachkriegszeit hingegen hat erst in den letzten Jahren begonnen.2 Dabei steht es so prekär um die Erforschung, Wertzuschreibung und den Erhalt der Gärten, Parks und Freiräume der 1950er und frühen 1960er, dass die deutschsprachigen Gartenkunstgesellschaften 2014 mit einer Wiener Erklärung an die Öffentlichkeit gingen.3 Im Rahmen dieses Bandes zur Frühzeit der Bonner Republik erscheint es doppelt sinnvoll, das unmittelbare Nachkriegsjahrzehnt 1945 bis etwa 1955 in den Fokus zu stellen. Dafür müssen die titelgebenden Begriffe ‚Entnazifizierung‘ und ‚Amerikanisierung‘ in Bezug auf die Gartenkunst zunächst als pauschalisierende Zuschreibungen markiert werden, denn ob es eine Entnazifizierung oder Amerikanisierung der Landschaftsarchitektur überhaupt gegeben hat, ist ebenso schwierig zu bestimmen, wie charakteristische Eigenschaften einer ‚nationalsozialistischen‘ oder ‚amerikanischen‘ Gartenkunst zu benennen. Dementsprechend soll mit diesen Schlagworten die in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingebettete Orientierungssuche zwischen Kontinuität und Wandel befragt werden, welche auch die Disziplin der Landschaftsarchitektur nach 1945 in verschiedenen Ausprägungen beschäftigte.

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Verstrickungen der Gartenkunst mit dem Nationalsozialismus und daraus resultierende potenzielle Umbruchphänomene nach 1945 sind auf vier Ebenen zu finden: Erstens auf persönlicher, zweitens auf personeller, drittens auf ideologischer sowie viertens auf formal-gestalterischer Ebene. In allen größeren deutschen Städten gab es selbstverständlich auch während des Nationalsozialismus Gartenamtsleiter oder -direktoren. In Dortmund etwa war Konrad Glocker (1900–1977) 1938 Nachfolger des von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegten und zwangsweise in den Ruhestand versetzten Richard Nose (1881–1965).4 Glocker, der seit 1933 Mitglied in der NSDAP und SS war, wurde 1945 entlassen, war aber nach einer kurzen Pause von 1950 bis 1965 wieder als Gartenamtsleiter in Dortmund tätig. Anders erging es Paul Thyssen (1891–1974), der in den 1920er Jahren in Köln Assistent bei Fritz Encke war. Als der Kölner Gartendirektor Joseph Giesen 1933 mit nur 45 Jahren ‚pensioniert‘ wurde, löste ihn Thyssen, der selbst NSDAP-Mitglied war, ab.5 Thyssen leitete das Kölner Gartenamt bis er Anfang der 1940er Jahre zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Nach 1945 kehrte er nicht in diese Funktion zurück, sondern wurde Gartendirektor der Arzneimittelfirma Madaus.6 Theodor Nußbaum (1885–1956), der seit der Amtszeit von Encke das Entwurfsbüro des Gartenamts geleitet hatte, bewarb sich 1933 erfolglos um den Posten des Amtsleiters, war aber 1940–1945 stellvertretender Gartendirektor.7 Er kehrte nach 1945 nur sehr kurz als Leiter der Entwurfsabteilung ins Amt zurück. In Düsseldorf wurde Willy (Wilhelm) Tapp, der bei dem Gartendirektor von Engelhardt gelernt und seit 1914 das Entwurfsbüro des Gartenamts, seit 1919 das dortige Forstamt leitete, 1933 Gartendirektor.8 Im gleichen Jahr war er in die NSDAP eingetreten. Nach 1945 wurde Tapp aufgrund seiner Parteizugehörigkeit kurz suspendiert, überprüft und dann entlastet, kehrte aber krankheitsbedingt nicht in sein Amt zurück. Viele der kommunal angestellten Protagonisten der Gartenkunst während des Nationalsozialismus hatten, wie die Beispiele Paul Thyssen, Theodor Nußbaum oder Willy Tapp zeigen, vor ihrem Karrieresprung nach

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1933 eine teils schon jahrzehntelange Karriere in den kommunalen Hierarchien hinter sich, so dass eindeutige Beurteilungen schwierig sind. Leichter fällt dies bei Heinrich Wiepking-Jürgensmann (1891– 1973),9 der 1934 nach dem Freitod seines Vorgängers Erwin Barth neuer Professor und Direktor des Instituts für Gartengestaltung an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin wurde. Wiepking-Jürgensmann war neben Gustav Allinger (1891–1974) oder Alwin Seifert (1890–1972) zweifellos einer der führenden Gartenarchitekten der NSZeit. Er trat als Propagandist einer völkisch-rassischen Landschaftsarchitektur auf und prägte als Lehrer mindestens eine Generation von Landschaftsarchitekten. Zudem arbeitete er eng mit Heinrich Himmler zusammen. So war Wiepking-Jürgensmann Sonderbeauftragter für Fragen der Landschaftsgestaltung in den zu erobernden Gebieten Osteuropas in Himmlers Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums. Als Wiepking-Jürgensmann 1947 den Fachkollegen Walter Rossow, der sich dem Nationalsozialismus bewusst auch beruflich entzogen hatte, um ein entlastendes Gutachten bat und anführte, er habe nie der „NSDAP oder einer ihrer Gliederungen“ angehört, antwortet dieser ebenso sachlich wie deutlich: Ich hatte in diesen Jahren [vor 1945, CB] keine Gelegenheit, mich mit Ihnen über politische Angelegenheiten zu unterhalten und kann infolgedessen nur Ihre Wirkung nach aussen beurteilen. Diese war nach meinem Eindruck leider nicht so, dass sie auf einen inneren oder äusseren Widerstand Ihrerseits schließen liess. […] Die Mitgliedschaft zur NSDAP war eine Formsache, die ich persönlich für nicht so erheblich halte. Wesentlich ist doch wohl die Ausstrahlung ihrer Arbeit und Stellungnahme auf die Studenten und die Fachwelt. Sie standen an einer sichtbaren und exponierten Stelle, arbeiteten mit Begeisterung und setzten Ihre Persönlichkeit dafür ein.10

Die Weigerung Rossows, Wiepking-Jürgensmann zu entlasten, verzögerte dessen Entnazifizierungsverfahren jedoch nicht. Hoch geehrt leitete dieser vielmehr von 1948 bis 1958 die von ihm wesentlich mit aufgebaute Hochschule für Gartenbau und Landeskultur in Hannover.

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Ähnlich tief und engagiert war Hans Hasler (1895–1976) in die Ideologie des Nationalsozialismus verstrickt.11 Hasler, ein Schüler und langjähriger Mitarbeiter von Willy Lange, war Mitglied der NSDAP (seit 1922), der SA (seit 1927) und des Kampfbunds für Deutsche Kultur (seit 1934). 1933 wurde er Dozent und Leiter der Abteilung Gartenkunst an der Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau in Geisenheim. 1945 wurde Hasler auf Anordnung der Militärregierung aus dem Staatsdienst entlassen. Neben den Gartenamtsleiter und -direktoren sowie den Hochschullehrern gab es noch eine Reihe anderer staatlicher oder kommunaler Anstellungsmöglichkeiten für Gartenarchitekten im Nationalsozialismus, wie beispielsweise die Landschaftsanwälte, also Gartengestalter, die unter der Führung des „Reichslandschaftsanwalts“ Alwin Seifert mit landschaftsplanerischen Aufgaben etwa beim Bau der „Reichsautobahnen“ betraut waren. Auch in diesem Berufsfeld waren die personellen Kontinuitäten nach 1945 groß. Die hier beispielhaft dargestellten persönlichen und personellen Verflechtungen, die eine berufliche Tätigkeit an herausgehobener Position während des Nationalsozialismus mit sich brachte, sind sehr ambivalent und nicht vereinheitlichend zu beurteilen. Deutlich ist aber, dass die Neubegründung oder Fortsetzung von Karrieren nach 1933 die Protagonisten mindestens zu Kompromissen und Zugeständnissen auf verschiedenen Ebenen zwang. Auf der ideologischen Ebene ist an erster Stelle wiederum Heinrich Wiepking-Jürgensmann zu nennen. Dieser hatte 1936 nach eigenem Bekunden mit dem Gelände des Olympischen Dorfs nahe Berlin ein Landschaftsbild geschaffen, das, die „bis in die Steinzeit reichende landschaftliche und seelische Verankerung“ einer deutschen Kulturlandschaft in sanft schwingender auenartiger Anmutung zum Ausdruck brachte.12 Was in dieser Formulierung noch harmlos wirkt, ist in anderen Äußerungen an schockierender Klarheit nicht zu übertreffen. Nach dem Ende der Olympischen Spiele von 1936 schrieb Wiepking-Jürgensmann an den Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten: „Wir (die dt. Gartengestalter) sind mehr oder minder Volksbiologen von dem Bewußtsein ausgehend, das die Mutationsge-

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setze nicht nur für Pflanzen und Tiere massgebend sind, sondern auch für den Menschen.“13 Als Fazit hebt er hervor: „Letzten Endes ist die Aufgabe des Landschafts- und Gartengestalters eine wehrpolitische, die mit der Aufzucht der Familie in gesunder lebensgünstiger Umwelt beginnt und in die großen erhabenen Fernziele des Volkes mündet.“14 1941 finden wir in Wiepking-Jürgensmann „Landschaftsfibel“ noch deutlichere Formulierungen: Immer ist die Landschaft eine Gestalt, ein Ausdruck und eine Kennzeichnung des in ihr lebenden Volkes. Sie kann das edle Antlitz seines Geistes und seiner Seele ebenso wie auch die Fratze des Ungeistes, menschlicher und seelischer Verkommenheit sein. […] So unterscheiden sich auch die Landschaften der Deutschen in allen ihren Wesensarten von denen der Polen und Russen, – wie die Völker selbst […] Die Morde und Grausamkeiten der ostischen Völker sind messerscharf eingefurcht in die Fratzen ihrer Herkommenslandschaften.15

Hans Hasler, wie erwähnt NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, propagierte 1939 in seinem Buch Deutsche Gartenkunst wie sein Lehrer Willy Lange eine „bodenständige Gartenkunst“. Er trat für den Naturgarten als die für das deutsche Volk naturgemäße Gartengestaltung ein und eröffnete sein Buch mit dem Satz: Alle Kultur und damit auch alle Kunst und ihre Stile sind – diese Wahrheit hat sich heute in Deutschland allgemein durchgerungen – immer nationalen und rassischen Ursprungs und Lebens. Das Trugbild einer ‚internationalen Kultur‘, einer ‚Weltkultur‘, gehört der Vergangenheit an, jedenfalls für uns Deutsche.16

Weiter schreibt Hasler, dass auch das von Spenglers Untergang des Abendlandes forcierte Konzept eines „abendländischen Kulturbegriffs […] für uns heute gegenstandslos geworden“ sei, da nun der „den nordisch deutschen Gedanken verkörpernde Nationalsozialismus“ das „rassenbewusste völkische Schaffen“ auch der Gartenkünstler vorantreibe.17 Seinem Lehrer Willy Lange sei es gelungen, so Hasler weiter, unter Auswertung aller bisheriger Gartenstile und durch „Eindeutschung des fremdrassigen Baugedankens“ einen „biologisch-physio-

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gnomischen naturlichen Garten“ zu entwickeln, einen „Deutschen Gartenstil“, der, selbstverständlich, die „höchste Gartenentwicklungsstufe“ darstelle.18 Nehmen wir diese und ähnliche Äußerungen beim Wort, so müssen wir konstatieren, dass es auf dieser, auf den geistigen Gehalt und künstlerischen Ausdruck ihrer Schöpfungen zielenden ideologischen Ebene zweifellos eine nationalsozialistische Gartenkunst gegeben hat. In formaler oder gar stilistischer Hinsicht lassen sich in der Gartenkunst während des NS jene zwei Grundrichtungen ausmachen, die seit dem 18. Jahrhundert als barock-architektonische und landschaftlich-natürliche die europäische Gartenkunst geprägt haben. So gibt es selbstverständlich die monumentalen, große Achsen inszenierenden Freiräume des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, des Berliner Olympiageländes von 1936 oder des Gartenschauareals der Reichsausstellung Schaffendes Volk in Düsseldorf von 1937. Diese Gartenräume sind geprägt durch deutlich an einem hierarchisierten Achsensystem ausgerichtete, architektonisch klar gegliederte Strukturen, die in Entsprechung zur monumentalen Repräsentationsarchitektur des Nationalsozialismus entworfen sind. Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn haben eindrucksvoll gezeigt, dass zum Erbe der Gartenkultur und der Landschaftsarchitektur der NS-Zeit auch die Konzepte des Naturgartens und der Landschaftspflege gehören. Mit diesen Konzepten einhergehende freiere Gestaltungsweisen wie etwa weitläufig-landschaftliche Areale, wiesenhaft wirkende Pflanzungen oder gar die Pflanzweise von Stauden in fließend-langgestreckten Amöbenformen finden sich in zahllosen Privatgärten ebenso wie bei Wiepking-Jürgensmann oder bei dem für nationalsozialistische Sympathien unverdächtigen Hermann Mattern. Wir können festhalten, dass der Nationalsozialismus vor allem auf persönlich-personeller und insbesondere auf ideologischer, gartentheoretischer Ebene auf die Gartenkunst wirkte. Klare formal-stilistische Gestaltungsprämissen hingegen lassen sich weit weniger deutlich bestimmen. Hier sind die Kontinuitäten zu groß. Wenn wir im Folgenden also von Entnazifizierung sprechen, müssen wir sehr präzise die fallspezifische Ebene benennen, auf der es um eine aktive Bewältigung des Erbes der NS-Zeit ging.

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E ntnazifizierung des A usstellungsparks der R eichsausstellung schaffendes Volk in D üsseldorf Gleich im ersten Beispiel begegnen wir der beschriebenen stilistischen Doppelgesichtigkeit. Der heutige Nordpark war als Gartenschau wesentlicher Bestandteil der 1937 mit großem propagandistischem Aufwand inszenierten Großen Reichsausstellung Schaffendes Volk. Die als wegweisend verstandene Präsentation auch der Künste allgemein und der Gartenkultur im Besonderen war dabei ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts. (Abb. 1) Die Aufteilung des Ausstellungsgeländes und damit auch die Hauptachsen des Gartenschaugeländes stammen von dem seit 1933 amtierenden Direktor der Kunstakademie Düsseldorf, dem Architekten Peter Grund, der spätestens seit 1933 NSDAP-Mitglied war.19 Wie Stefanie Schäfers gezeigt hat, war Grund der Ansicht, dass das „‚raumgrößte‘ Gelände nach dem ‚raumstrengsten‘ Gartenstil, nach einer monumentalen, axialen Gliederung verlangte.“20 Und so richtete Peter Grund die Gartenabschnitte axial auf die geplanten Bauten aus und schuf eine strenge, der Axialität der Hallenarchitektur untergeordnete Grünanlage. Für die gewünschte monumentale Raumwirkung war es nötig, das zuvor baumlose Areal mit zahllosen Sträuchern und fast 2.000 Bäumen zu bepflanzen. Welche zentrale Rolle die zu erzielende Monumentalität spielte, zeigt sich darin, dass die 800 größten verpflanzten Bäume teils eine Höhe von 20 Metern erreichten. Das Gelände bestand nach den Planungen von Peter Grund aus vier Hauptteilen: der Schlagetersiedlung, dem Areal der Ausstellungshallen, dem winkelförmigen Gartenschaugelände sowie dem Vergnügungspark. Insgesamt gliederten fünf Achsen das Areal. In Ost-West-Richtung verliefen parallel zueinander die Fahnenallee mit den Rossebändigern am Haupteingang, die Hallenstraße im eigentlichen Ausstellungsgelände und schließlich die Gartenachse. Letztere setzte sich in Teilabschnitten aus der Wasserachse, dem Konzertplatz und der Blumenachse zusammen. Im Konzertplatz kreuzte sich die

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Abbildung 1: Wilhelm Tapp: Plan des Gartenschaugeländes der „Großen Reichsausstellung Schaffendes Volk“.

Quelle: Wilhelm Tapp: „Die Gartenschau im Rahmen der Großen Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ Düsseldorf 1937“, in: Die Gartenkunst 1937, Heft 7/8, S. 150.

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Gartenachse mit einer der beiden in Nord-Süd-Richtung geführten Achsen, die am Tanzring begann und über den Konzertplatz bis zu einer Schaufensterstraße verlief. Parallel dazu war weiter im Westen eine weitere Nord-Süd-Achsen angelegt, die von der Blumenhalle südwärts über den Wassergarten zum Rosengarten führte. Dem Düsseldorfer Gartendirektor Wilhelm Tapp oblag die Ausgestaltung der rechtwinklig-architektonischen Gartenräume. Monumentalität und strenge Symmetrie prägten zentrale Gartenräume wie die Wasserachse mit den sie begleitenden Skulpturenreihen der zwölf Ständischen, den Hauptkonzertplatz mit der Leuchtfontäne von Werner von Wecus und der strengen backsteinernen Pergolaeinfassung oder den von 44 Bäumen und Kandelabern umstandenen BDM-Tanzring. Auf der Staudenwiese zwischen Blumenhalle und Wassergarten hingegen pflanzte Tapp Stauden in fließend-langgestreckten Amöbenformen. Auch andere kleinere Gartenräume wie etwa jenen vor dem Kinderheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt mit Wasserbecken, Liegeterrasse, Märchengarten und Blumenwiese zeigten sowohl strenge, architekturbezogene Axialität als auch freiere „Naturlichkeit“ im Sinne Willy Langes.21 Tapp selbst spricht 1937 neutral von den beiden „Gestaltungsmöglichkeiten der ‚Natur-‚ und der ‚Kulturform‘“ die neben „klarer Achsengliederung“ auch „eine Fülle edelster Pflanzenschätze: ‚Einzelpersönlichkeiten‘ – in freier Anordnung“ möglich machten.22 Nach 1945 wurde das Areal durch die britische Rheinarmee beschlagnahmt. Erst 1953/1957 wurden große Teile wieder an die Stadt Düsseldorf übergeben. Damit fiel der Stadt gut 10 Jahre nach Kriegsende ein Park zu, der zwar verwildert und heruntergekommen, doch immer noch deutlich die Spuren der NS-Propagandaausstellung trug. Ulrich Wolf, der 1930 mit Ernst May in die Sowjetunion gegangen und 1933 kurzzeitig vor den Nationalsozialisten in die Schweiz geflüchtet war, wurde 1954 Düsseldorfer Gartendirektor. Ihm und seinem Mitarbeiter Georg Penker fiel nun die Aufgabe der Umgestaltung und Reaktivierung des Parks zu. Claus Lange hat in seinem Nordparkführer präzise die zwei wesentlichen Ziele der Umgestaltung benannt.23 Zum einen musste der für fast sieben Millionen Besucher geplante, üppig bepflanzte Ausstel-

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Abbildung 2: Georg Penker: Plan zur Umgestaltung der westlichen Hälfte des Nordparks, Blei- und Buntstift auf Pergament, um 1957.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker, Foto: Christof Baier.

lungspark an die Nutzungsansprüche und Pflegemöglichkeiten einer städtischen Grünanlage angepasst werden. Dem diente die Reduzierung des Wegenetzes und der Blumenpflanzungen. Auffallend ist, dass trotz des gravierenden Funktionswandels der Gesamtanlage sehr viele Teilbereiche in ihrer funktionalen Bestimmung etwa als Kindergärten, Kakteengärten oder Rosengärten, an ihrem alten Ort bestehen blieben. Zum anderen ging es wohl insbesondere Ulrich Wolf persönlich darum, das als nationalsozialistisch belastet wahrgenommene Areal in seiner gestalterischen Wirkung zu verändern. Georg Penker spricht noch heute davon, es sei dem prinzipienfesten Sozialdemokraten Ulrich Wolf und ihm bei der Umgestaltung wesentlich um eine „Demokrati-

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Abbildung 3: Nordpark Düsseldorf. Bestuhlung und Sandkästen auf dem breiten Weg nahe des heutigen Japanischen Gartens, Diapositiv um 1960.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker.

sierung“, ja, ausdrücklich, um eine „Entnazifizierung“ des Nordparks gegangen.24 Erst dieses zweite Ziel legte die konkreten gestalterischen Prämissen der Umgestaltung fest, denn eine Reduzierung und Vereinfachung hätte man auch bei größtmöglichem Festhalten am Erscheinungsbild des Parks realisieren können. Gehen wir also von dieser durchaus persönlichen Zielsetzung aus und betrachten wir einige von

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Abbildung 4: Nordpark Düsseldorf. Fontänenplatz, Fotografie aus den späten 1950er Jahren.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker.

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der Umgestaltung besonders betroffene Bereiche genauer: den Gesamtplan samt Wege- und Achsensystem (inkl. Wasserachse, Blumenachse, Zedernwiese), den ehemaligen Hauptkonzertplatz, jetzt Fontänenplatz, den Kindergarten sowie den Kakteen- und Sommerblumengarten. Eine Entwurfsskizze von Georg Penker zum westlichen Teil des Nordparks zeigt, dass mit dem Konzertplatz, jetzt Fontänenplatz, der Blumenachse, dem Blumenrondell anstelle der zerstörten Blumenhalle, der jetzt Zedernwiese genannten ehemaligen Staudenwiese und dem Wassergarten mit Pergola wesentliche Hauptstrukturen beibehalten werden. (Abb. 2) Wir sehen aber auch, dass die Grundstruktur durch markante Wegeführungen und Pflanzflächenformen absichtsvoll gestört wird. Die starken neuen gestalterischen Elemente sind immer im Gegenüber zu den ursprünglichen Formen entwickelt. Sie stören und konterkarieren diese. Eine nichthierarchische Landschaftlichkeit soll entstehen, die durch asymmetrische Raumbildungen, amorphe Pflanzflächen, schräg verlaufende und nicht rechtwinklig sich kreuzende Wege gebildet wird. Dass in der Realisierung teilweise von der hier skizzierten Idee abgewichen wurde, ist nicht unser Thema. Ganz im Sinne dieses Entwurfs werden auch die beibehaltenen monumental wirkenden Wegeachsen durch gestalterische Eingriffe zu zwanglosen Aufenthaltsräumen umgedeutet. (Abb. 3) Dazu trugen wesentlich zwei Elemente bei: die Sandkästen und die bewegliche Bestuhlung. Die Sandkästen mit ihren provisorisch anmutenden Formen wurden so auf den Wegen platziert, dass ihre Anordnung zwar zufällig wirkte, jedoch bewusst die alte Axialität aufbrach. Kinder in ihrem Spiel wurden so auf den Hauptwegen sichtbar. Die bewegliche Bestuhlung mit leichten weißen Stühlen und Tischen, Sonnenschirmen und Pflanzkübeln war, wie Georg Penker sich erinnert, eine durchaus kostspielige funktionale Belebungs- und gestalterische Entnazifizierungsmaßnahme, die in größerem Umfang nur während der Amtszeit von Wolf aufrechterhalten wurde.25 Ein noch heute besonders anschauliches Beispiel für das gestalterische Konzept von Wolf und Penker liefert der nun Fontänenplatz genannte frühere Hauptkonzertplatz. Die strenge Weite dieses Platzes wurde durch die unregelmäßige Anordnung rechteckiger Kiesflächen

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Abbildung 5: Georg Penker: Kleinkinder-Spielplatz an der Milchstation im Nordpark, Vorentwurf, 1. Fassung um 1958.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker, Foto: Christof Baier.

mit lose gruppierten Pflanzkübeln aufgelockert. Auch die Pergola wurde als zu hart, zu weihevoll und zu ernst empfunden.26 (Abb. 4) Die Pfeiler der vordem backsteinsichtigen Pergola sollten daher, so Penker, in einem hell-beigen Farbton gestrichen werden, die vordem schwer wirkende Holzkonstruktion wurde erneuert und dabei optisch leichter gemacht. Vor allem wurden innerhalb des Pergolaraums Gehwegplatten entfernt und auf den so entstehenden Leerflächen Schlingpflanzen gesetzt. An Seilen wachsen diese nach oben und lassen so den Eindruck eines üppig bepflanzten Gewächshauses entstehen. Penker bezeichnet diesen damals von Wolff und ihm realisierten Umgang mit der Pergola als „starkes Stück“, als – bewusst kalkulierte „Zumutung“, die entsprechenden Protest auslöste. Sie stellten also eine gezielte formale Provokation dar, die politisch gemeint war.

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Abbildung 6: Georg Penker: Kleinkinder-Spielplatz an der Milchstation im Nordpark, Vorentwurf, 3. Fassung um 1958.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker, Foto: Christof Baier.

Dort, wo sich 1937 die Sondergärten für Kinder und der Schulgarteni27 befanden, wurde nach 1957 wiederum ein Kinderspielpatz mit der dann 1960 eröffneten Milchgaststätte angelegt. (Abb. 5) In mehreren Schritten befreite sich Georg Penker, so verraten es erhaltene Skizzen, zeichnend von den vordem dominierenden rechteckigen Grundstrukturen. Schließlich ließ er alle rechteckigen Formen radikal beiseite und wählte eine den Raumeindruck dynamisierende freie Anordnung von Sandkästen, Mulden und Hügeln, zu denen noch eine bewegliche, leichte Bestuhlung kam. (Abb. 6) Der über drei Entwurfsskizzen dokumentierte Entwurfsprozess zeigt, wie wichtig das freie Skizzieren als formale Befreiungsarbeit war – auch hier wieder im bewussten Gegen-

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über zu den Formen des nationalsozialistischen Gartenschaugeländes. Dabei bleibt das Alte im Neuen als dasjenige erkennbar, mit dem gebrochen wurde. Abbildung 7: Georg Penker: Sommerblumengarten im Nordpark, Entwurf, um 1957.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker, Foto: Christof Baier.

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Auf dem Gelände, auf dem 1937 ein Begoniensondergarten, ein Kakteengarten und ein Gartenhof eingerichtet worden waren,28 entwarf Georg Penker unter Wiederverwendung der drei runden Wasserbecken des Gartenhofs einen Sommerblumen- und Kakteengarten, der sich in seinen Formen besonders augenscheinlich von den Gartenräumen der Reichsausstellung Schaffendes Volk absetzt. (Abb. 7, 8) Schon der für die formfindende Skizzierung gewählte zeichnerisch-malerische Modus zerstört alle älteren Spuren. Markant verweigern insbesondere die winkelförmig-asymmetrische Gestalt des Wasserbeckens und die luftige Leichtigkeit der zunächst aus Bambus gefertigten Pergola jede Form von Axialität und Monumentalität. Sie schaffen zusammen mit der Bestuhlung und leise plätschernden Wasserstrahlen einen lockerungezwungenen, kleinräumigen Aufenthaltsraum. Nachdem wir die Umwandlung des Gartenschaugeländes der Reichsausstellung Schaffendes Volk in den Nordpark genauer betrachtet haben, ergibt sich ein Zwischenfazit, für das wir auf die eingangs angesprochenen vier Ebenen zurückgreifen. Auf personell-persönlicher Ebene kann festgehalten werden, dass sich der politisch sozialdemokratisch orientierte Ulrich Wolf und sein Mitarbeiter Georg Penker mit ihrer Umgestaltung absichtsvoll gegen die Schöpfung der späten 1930er Jahre und damit gegen die braunen Seilschaften um Friedrich Tamms stellten.29 Seit den späten 1940er Jahren bis Mitte der 1950er Jahre war es in Düsseldorf zwischen dem aus der Position der Amtsträger agierenden braunen Netzwerk um Friedrich Tamms und dem 1949 gegründeten Architektenring Düsseldorf (Joseph Lehmbruck, Bernhard Pfau) immer wieder zu heftigen Streitereien und Polemiken gekommen. In dieses Umfeld sah sich Wolf 1954 bei seiner Ernennung zum Gartendirektor gestellt – und er positionierte sich deutlich. Georg Penker berichtet sehr anschaulich von der in der Presse, in Gesprächen aber auch in Drohbriefen sich ausdrückenden Stimmung gegen die Art und Weise der Umgestaltung des Nordparks. Wolf und Penker mussten gerade in diesen Reaktionen eine Bestätigung ihrer Arbeit sehen. Wie präsent Protagonisten wie Ulrich Wolf die NS-Zeit und die damals tonangebenden Leute noch Jahrzehnte nach dem Kriegsende

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Abbildung 8: Nordpark Düsseldorf. Sommerblumengarten noch mit der später durch Eisenstangen ersetzten Bambus-Pergola, Fotografie um 1960.

Quelle: Archiv Georg und Erika Penker.

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waren und welche Befürchtungen sie bezüglich des fortgesetzt einflussreichen Agierens der NS-Größen hegten, zeigt ein Brief von Hermann Mattern an seinen Studienfreund Ulrich Wolf aus dem Jahr 1965. Es geht darin um einen Aufsatzband über den großen deutschen Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné. Mattern hatte seine Mitarbeit aufgekündigt als er erfahren hatte, das auch Wiepking-Jürgensmann einen Beitrag liefern sollte. Mattern schreibt dazu an Wolf: Bücherverbrennungen, Hakenkreuzschmierereien und ähnliche Dinge sind wieder im Gange. Ich habe den Eindruck, daß wir von einer Situation 1932 nicht allzu weit entfernt sind. […] Herr Wiepking sollte in Ruhe seine Jahre genießen. Aber wir sollten uns bemühen, ihm möglichst wenig Einfluß, vor allem auf unseren Nachwuchs, zu geben. 30

So zweifelsfrei die Gartenräume der Reichsausstellung auf inhaltlich-ideologischer Ebene eng mit der NS-Propaganda verknüpft waren, so unmöglich ist es, auf formal-gestalterischer Ebene eindeutige Verortungen vorzunehmen. Trotz dieser stilistischen Variabilität kann doch kein Zweifel daran bestehen, das die Mitte der 1950er Jahre vorgefundenen gartenkünstlerischen Formen – so „unbelastet“ sie auch im Allgemeinen erscheinen mögen – von den Fachleuten in besonderem Maße als nationalsozialistisch belastet wahrgenommen wurden. Bei der Beurteilung der Umgestaltung heute von „Anpassung an die Gestaltungsweise“ oder an das „Lebensgefühl“ der Nachkriegszeit zu sprechen, ist daher verharmlosend. Die spielerisch-humorvoll wirkenden Eingriffe Wolfs und Penkers waren sehr ernst gemeint.

E ntnazifizierung

des

Kölner G rüngürtels

Ein zweites, völlig anders gelagertes Beispiel für eine landschaftsarchitektonische ‚Entnazifizierung‘ liefert der Kölner Grüngürtel. In Köln war 1937/38 im Inneren Grüngürtel, direkt südlich an den Aachener Weiher angrenzend, ein Maifeld genannter Aufmarschplatz angelegt worden.31 (Abb. 9) Mit seinem axialen Bezug auf das Rechteck des

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Abbildung 9: Theodor Nußbaum: „Vorentwurf der Stadtverwaltung für den Fest- und Aufmarschplatz Köln“. Rechts der quadratische Aachener Weiher und links daneben das rechteckig auf diesen bezogene Maifeld mit Tribüne.

Quelle: Die Gartenkunst 1936, Heft 4, S. 63.

Aachener Weihers und mit seinem rechteckigen Zuschnitt fügte sich dieser typisch nationalsozialistische öffentliche Funktionsraum formal sehr gut in das Raumkonzept des seit den 1920er Jahren nach Plänen von Fritz Schumacher und Fritz Encke gestalteten inneren Grüngürtels ein. Man könnte sagen, Theodor Nußbaum, der für den Entwurf letztlich verantwortlich war, arbeitete hier in der Tradition jener gartenkunstgeschichtlichen Entwicklung, die um 1900 mit dem Schlagwort „Reformgartenkunst“ bekannt wurde. Nußbaum steht auch insofern für Kontinuität, da er bereits seit 1920, also noch unter Fritz Encke, das Entwurfsbüro des Kölner Gartenamts leitete. Das Kölner Maifeld war also weniger formal, dafür aber funktional unzweifelhaft in die nationalsozialistische Politik und Propaganda eingebunden.

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Abbildung 10: Schnitt durch den „Aachener Berg“, aus Guido Erxleben: „Trümmerberge und ihre Begrünung“.

Quelle: Rudolf Schwarz: Das neue Köln, Köln: Bachem 1950, S. 106.

Infolge der alliierten Flächenbombardierungen verwandelte sich Köln im Zweiten Weltkrieg in eine Stadtwüste mit etwa 30 Millionen Kubikmetern Trümmerschutt (allein in der Innenstadt lagerten 11,5 Millionen). Diese galt es nach 1945 schnellstmöglich zu entsorgen – nicht nur, um Platz für den Wiederaufbau zu gewinnen, sondern auch, um der demoralisierenden Wirkung des tagtäglichen Anblicks solcher Trümmer zu begegnen. Wie in vielen anderen Städten auch, wurde in Köln eine Trümmerverwertungsgesellschaft gegründet. Für die schnellstmögliche Entsorgung des Trümmerschutts setzte sich aufgrund der Menge und der zerstörten Infrastruktur im Nachkriegsdeutschland der innenstadtnahe Trümmerberg als Normalfall durch. In Fachzeitschriften der Landschaftsarchitekten, Architekten und Städtebauer wie etwa Garten und Landschaft oder Die Neue Stadt, waren der Trümmerberg und seine ebenso schnelle wie dauerhafte Begrünung in den Jahren bis 1950 ein zentrales Thema. Auch in Köln entwickelte die Wiederaufbau-GmbH ein Konzept dafür, ca. 5 Millionen Kubikmeter Trümmer im Inneren Grüngürtel unterzubringen. (Abb. 10) Um dieses Konzept zu evaluieren, bestellten die Kölner den selbst nicht unbelasteten, aber weiterhin sehr renommierten Gartenarchitekten und Raumplaner Alwin Seifert zum

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Gutachter. Seifert publizierte das Gutachten über die Unterbringung von 5 Millionen cbm. Altstadtschutt im Inneren Grüngürtel der Stadt Köln 1950 in der Zeitschrift Garten und Landschaft.32 Mit Blick auf Seiferts Karriere im Dritten Reich, seine Entwürfe und Texte dieser Zeit, wäre eine genauere Analyse dieses Gutachtens sehr lohnend. Hier soll es jedoch genügen, darauf hinzuweisen, dass Seifert die Schöpfer des Grüngürtels Schumacher und Encke als „verspätete Nachblüte“ der Zeit eines „satten Bürgertums“ diffamierend charakterisiert und klarstellt, dass man zu falschen Lösungen komme, wenn man bei der Neuplanung „auf die alten Pläne zurückschaut.“ Seifert selbst sieht die Trümmerberge dezidiert als neue Volksgärten – auch dies keine wirklich neue Idee, sondern ein Anknüpfen an Positionen der 1920er Jahre. Auch in Rudolf Schwarz᾿ Das neue Köln. Ein Vorentwurf von 1950 kommt das Problem der Trümmerbeseitigung und der Trümmerberge vor. Der Landschaftsgestalter Guido Erxleben,33 der vor 1945 mit den NS-Garteneliten in Westfalen als sogenannter „Landschaftsanwalt“ bestens vernetzt war, aber auch unter Seifert bei der Autobahnbegrünung und bei der Tarnbegrünung des Westwalls tätig war, beschreibt darin ausführlich die technisch-logistischen, pflanzenkundlichen, aber auch gestalterischen Prämissen. Erxleben betont: „Die Formung der Trümmerberge ist eine gestalterische Aufgabe“.34 Die Anlage soll „im Endzustand einwandfrei geformt und schön begrünt“ sein, damit so „ein großer neuer Volkspark“ entstehe. Konkret zu den wohl von ihm selbst stammenden Planungen für den sogenannten „Aachener Berg“ schreibt Erxleben: Die Planung sieht eine wellige Hügellandschaft mit verschieden hohen Kuppen vor […] die in weicher, ungezwungener Modellierung jeweils in die veränderlichen Höhenlagen der drei senkrecht schneidenden Straßen wieder einschwingt. Eine mittlere, zügige Talmulde betont sinnfällig die halbkreisförmig schwingende Tendenz des inneren Grüngürtels.

Der Punkt, um den es mir hier geht, wird jedoch weder in Seiferts Gutachten noch in Erxlebens Bericht angesprochen. Es stellt sich die Frage, warum wurde ausgerechnet das Maifeld als einer der innenstadtnahen

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Standorte für einen Trümmerberg gewählt? Warum nicht andere Areale im Grüngürtel? 1948 jedenfalls, als rundum im inneren Grüngürtel Kleingärten und Behelfsheime standen, war hier schon ein großer Trümmerberg samt Aufbereitungsanlage entstanden. Es liegt auf der Hand, dass mit der Auswahl dieses Standortes direkt nach Kriegsende zwei Fliegen mit einer Klappe erlegt wurden: Mit dem Trümmerschutt wurde zugleich das Maifeld entsorgt. Schließlich kam bei der von Guido Erxleben und später von Kurt Schönbohm geleiteten gestalterischen Eingliederung der Trümmer ein neuer, landschaftlicher Zug in den Freiraum des inneren Grüngürtels. Zwar ergaben sich Höhe, Neigungswinkel und Wegeführung bei den Trümmerbergen zunächst aus dem Antransport und der Schüttung der Trümmer, doch ist an den Bodenmodellierungen noch heute deutlich ablesbar, dass hier gestalterische Vorstellungen eingeflossen sind. Das Landschaftliche scheint gegen das als nationalsozialistisch belastet empfundene, allzu Architektonische der Schuhmacher-Encke-Nußbaum-Fassung gesetzt worden zu sein. Oder ist es nicht doch so, dass uns das betont Landschaftliche, kunstvoll Schwingende hier eher als eine Konstante zwischen dem Dritten Reich und der Nachkriegszeit, denn als Gegensatz begegnet? Wir werden dieser spannenden Spur nicht weiter folgen, behalten aber das Landschaftliche im Hinterkopf.

A merikanisierung

des

S iedlungsgrüns?

Im Jahr 1937 widmet die Zeitschrift Die Gartenkunst ihre Septemberausgabe der Betrachtung der positiven und negativen Seiten der amerikanischen Gartenkunst.35 Der in die USA ausgewanderte und dort in Chicago zu Renommee gelangte Landschaftsarchitekt Jens Jensen, einer der wichtigsten Vertreter des Naturgartens in den USA,36 schreibt darin über die in den USA zu findende, gute Landschaftsarchitektur nach „germanischen, d.h. nordischen Vorstellungen“ und darüber, dass das „Romanische und Orientalische […] immer weiter über unser Land kroch und kriecht“.37 Walter Baumgarten, Landschaftsarchitekt aus Cambridge (Massachusetts) betont, dass es „den amerikanischen

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Abbildung 11: Amerikanische Siedlung, Modellfoto, aus: „Neue Stadtlandschaften im Bonner Raum“.

Quelle: DIE NEUE STADT, VI. Jg. (1952), Heft 1, S. 9.

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Garten als Begriff, wie etwa den Begriff ‚Englischer Garten‘ oder ‚Italienischer Garten‘ […] nicht gibt.“38 Michael Mappes, Schriftleiter der Zeitschrift, schreibt über die Grünräume amerikanischer Siedlungen: In den größeren Anlagen werden zwar irgendwo sehr intime, formale Sondergärten untergebracht, das aber so gehandhabt, dass sie keine Störung in der lockeren, mehr landschaftlichen Grundhaltung […] bedeuten. Das Grün eines ganzen Straßen- und Wohngebietes schließt sich aus diesem Grunde zu einem parkartigen Gesamtbild harmonisch zusammen: Das Gefühl der Wohnzelle schwindet!39

Mappes kommt zu dem Ergebnis, dass die in dem Heft vorgestellten amerikanischen Gärten, ob positiv oder negativ, „unserem deutschen Streben nach einheitlicher, land- und artgemäßer Gartengestaltung […] nur von Vorteil sein“ können. Diese bemerkenswerten Befunde können als Folie dienen. Wichtig sind die Beobachtungen, dass die Auseinandersetzung mit der Landschaftsarchitektur in den USA nach 1933 nicht abreißt und dass dabei die gartenkünstlerische – „landschaftliche“ – Gestaltung amerikanischer Siedlungen einen großen Umfang einnahm. Dies letztere, die Planung und Realisierung der Freiräume großer und kleiner Siedlungen, war Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem zentralen Tätigkeitsfeld der Landschaftsarchitekten diesseits und jenseits des Atlantiks geworden – auch diesbezüglich stellen die Jahre 1933 oder 1945 keine Zäsur dar. Dabei bestimmten die jeweiligen städtebaulichen Vorstellungen ganz wesentlich die Voraussetzungen und Entwurfsprämissen der Grünplaner. Da zugleich im Wiederaufbau nach 1945 dem Siedlungsbau eine enorme Bedeutung zukam, ist es vielversprechend, der Frage einer möglichen Amerikanisierung der Landschaftsarchitektur nach 1945 am Beispiel der Entwicklung des Siedlungsgrüns nachzugehen. Wieder begegnen wir zunächst erheblichen begrifflichen Schwierigkeiten. Es gilt daher, dem Begriff Amerikanisierung klärend den der Westernisierung zur Seite zu stellen. Anselm Doering-Manteuffel sieht in den beiden Begriffen verschiedene Formen des Kulturtransfers beschrieben.40 Für das 20. Jahrhundert konstatiert Doering-Manteuffel, dass „aufs Ganze gesehen, die kreislaufförmige Struktur des europäisch-atlantischen Ideenverkehrs prägend“ wurde. Diese „zirkuläre

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Kommunikation, die auf der Ebene von Konzepten und Ideen verläuft, den Wandel von politischen oder gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen beeinflusst und die Adaption vorhandener Vorstellungen an ein anders formatiertes Modell steuert“, nennt er Westernisierung. Davon unterscheidet er klar die Amerikanisierung. Diese, so Doering-Manteuffel, „beschreibt von Seiten des Senders das Angebot – intentional oder nicht intentional – und von Seiten des Empfängers die Anverwandlung von Gebräuchen, Verhaltensweisen, Bildern und Symbolen bis hin zu Manifestationen der Warenwelt und künstlerischer Artikulation.“ Während also Westernisierung eine zirkuläre Form des Kulturtransfers zwischen Europa und den USA beschreibt, meint Amerikanisierung einen Transfer in eine Richtung, vom Sender USA zum Empfänger Europa/Deutschland. Für uns stellt sich neben dieser begrifflichen, eine zweite, inhaltliche Schwierigkeit. Hinsichtlich der Landschaftsarchitektur von Amerikanisierung oder Westernisierung zu sprechen, setzt voraus, dass es 1945 tatsächlich so etwas wie eine eigenständige nordamerikanische Landschaftsarchitektur gegeben habe. Diese Frage kann jedoch nicht eindeutig positiv beantwortet werden. Selbstverständlich gab es in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert außer der dominierenden Tradition der Landschaftsarchitektendynastie Olmsted und einer an europäischen Beaux-Art-Mustern orientierten Hauptströmung eine Reihe einflussreicher Gartenarchitekten wie den maßgeblich am Metropolitan Park System of Greater Boston beteiligten Charles Eliot, die an wichtigen Siedlungsprojekten der 1920er und 1930er Jahre mitwirkende Marjorie Sewell Cautley oder den aus England eingewanderten Christopher Tunnard. Insbesondere die städtebaulich und stadtplanerisch relevanten großräumigen Planungen zu Parkways und metropolitanen Freiflächensystemen entfalteten schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine breite Wirkung. Aber eine wirkliche, auch nach außen hin in größerem Maßstab als vorbildgebend wahrgenommene gestalterische Eigenständigkeit wird erst im Verlauf der 1950er Jahre etwa durch das Werk von Thomas Church, Garrett Eckbo, Dan Kiley oder Lawrence Halprin greifbar. 41 Ernsthaft können wir einen stärkeren allgemeinen Einfluss der US-amerikanischen Landschaftsarchitekten auf ihre deutschen Kollegen erst ab

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den späten 1960er Jahren diskutieren, also deutlich nach dem uns hier interessierenden Zeitraum. Nähern wir uns der Frage nach einer möglichen Amerikanisierung oder Westernisierung bedeutsamer Aufgabenbereiche der Landschaftsarchitektur mit der eingehenderen Betrachtung der 1951 in Bad Godesberg errichteten sogenannten Amerikanische Siedlung. (Abb. 11) 1950 hatte John McCloy, der U.S. High Commissioner of Germany, beschlossen, sein Hauptquartier von Frankfurt/Main, in die künftige bundesdeutsche Hauptstadt Bonn zu verlegen. Dazu wurde binnen Jahresfrist ein beachtliches Bauprogramm realisiert. Neben dem Hauptsitz samt Verwaltungsgebäude direkt am Rhein im Schloss Deichmannsaue42 entstanden in Bad Godesberg und in Bonn eine Siedlung für die amerikanischen Angestellten und zwei Siedlungen für die deutschen Angestellten. Den Bau der Siedlung der amerikanischen Angestellten in Bad Godesberg-Plittersdorf, der Amerikanischen Siedlung, organisierten und finanzierten die Amerikaner selbst. Anders als für die Siedlungen der deutschen Angestellten gab es für Plittersdorf auch detaillierte Planungsvorgaben von Seiten der Amerikaner, die gestalterische Fragen einbezogen.43 Die Konzeption der Siedlung geht auf den HICOG Verwaltungsdirektor und in den Grundstrukturen auch auf den Architekten und Ingenieur des U.S. Armee Korps Lt. Col. George G. Davies zurück.44 Für die Bearbeitung der Lagepläne wurde Sep Ruf engagiert; die übrigen architektonischen Arbeiten wurden dem Frankfurter Architekturbüro Apel-Letocha-Rohrer-Herdt übertragen. Die Freiflächengestaltung vergab die Stadt Bad Godesberg an Hermann Mattern. Die Grundidee geht von einer autarken Siedlung von etwa 500 Wohneinheiten aus, deren zentraler Bezugspunkt eine fünf Klassen umfassende Schule und ein Kindergarten sind. Zu dem umfangreichen realisierten Programm an Gemeinschaftsanlagen innerhalb der Siedlung gehören ferner ein „Kaufzentrum“ nach amerikanischem Muster (Shopping-Center), eine Kirche für drei Konfessionen, ein Kino, ein Hallenschwimmbad mit Turnhalle sowie ein Klubhaus. Die von Sep Ruf zweifellos in enger Absprache mit den amerikanischen Auftraggebern gewählte städtebauliche Grundfigur ist außerordentlich markant: Eine hufeisenförmig angelegte, sehr breite Ring-

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Abbildung 12: Hermann Mattern: Grünplanung HICOG Housing Projekt Plittersdorfer Aue (Siedlungsplan), Tusche, Bleistift auf Transparent, Juni 1951.

Quelle: TU Berlin, Architekturmuseum, Inv. Nr. 28131.

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Abbildung 13: Hermann Mattern: Grünplanung HICOG Housing Projekt Plittersdorfer Aue (Detail), Tusche auf Transparent, Juni 1951.

Quelle: TU Berlin, Architekturmuseum, Inv. Nr. 28133.

straße erschließt die Siedlung. Entlang dieser Straße sind die zwei bis dreigeschossigen Wohngebäude in locker gruppierter straßenparalleler Zeilenbauweise angeordnet. Weite, sehr großzügig bemessene Grünflächen bilden einerseits das Zentrum der Anlage und andererseits einen „grünen Ring“ um dieselbe. Konsequent ist der Autoverkehr auf die im Verhältnis sehr großzügigen Straßen beschränkt, während die separate Erschließung mit Fußwegen immer in die gemeinschaftlich nutzbaren Grünzonen führt. Kleingärten, Hausgärten oder Vorgärten, wie sie viele Siedlungen der 1920er Jahre geprägt hatten, fehlen. Lediglich der Kindergarten besitzt ein eigenes, abgegrenztes Außengelände.45 Die Grünplanungen von Hermann Mattern (Abb. 12) lassen sich

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in der Integration von insgesamt vier Spielplätzen, der Abpflanzung und Abschirmung der grünen Binnenräume zu den Straßen hin oder in der rhythmisch-lockeren Bepflanzung der Grünzonen problemlos in die Entwicklung des Siedlungsgrüns in Deutschland seit den 1920er Jahren einordnen. Amerikanische Einflüsse müssen hier ebenso wenig gesucht werden, wie bei der Gestaltung der gebäudenahen Gemeinschaftsfreiräume (Abb. 13), also der Wäschetrockenplätze, Müllbehälterstellflächen und verschatteten Ruheplätze oder bei der materiellen Beschaffenheit und Formgebung der Wege. Mit der Grundstruktur jedoch ist ein städtebaulich-(frei)raumplanerisches Modell beschrieben, das in den 1920er Jahren zunächst in den USA umfassend diskutiert und publiziert wurde.46 1929 hatte Clarence Arthur Perry sein Konzept einer Neighborhood-Unit als planerische und gestalterische Grundeinheit des modernen Städtebaus erstmals publiziert. Dabei dient der Einzugsbereich (kurze Fußwege) einer Schule als zentrale Bezugseinheit für Größe und Gestaltung der Siedlungseinheit. Geprägt ist die Neighborhood-Unit durch die Konzentration der Geschäfte an möglichst einem Ort, eine zellenartige Abgeschlossenheit durch die ringförmig geführte Haupterschließungsstraße, eine strenge Trennung von Durchgangs- und Wohnstraßen, welche bevorzugt kurvig angelegt werden, da dies als sicherer und schöner galt sowie durch einen festgelegten Grünflächenanteil von 10 %, in welchem auch Spielplätze und Orte der Begegnung zu gestalten waren. Schnell wurde dieses Konzept – versehen mit einem deutlich höheren, an englischen Gartenstadtideen orientierten Anteil an Grünflächen, zu einem bevorzugten Modell moderner Stadtplanung in den USA. Eine umfangreiche Rezeption auch in Europa erfuhr in diesem Zusammenhang die 1929 gegründete Siedlung Radburn in New Jersey, ebenso die Mitte der 1930er Jahre geplanten Greenbelt Towns wie Greenbelt (Maryland)oder Greendale (Wisconsin).47 So könnten die amerikanischen Verantwortlichen für die Konzeption der neuen Siedlung in Bonn Siedlungsplanungen wie das defense Housing project der Farm Security Administration beispielsweise in Vallejo oder Woodville in Kalifornien vor Augen gehabt haben, die ab

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Abbildung 14: George Howe, Louis I. Kahn und Oskar Stonorov: Siedlungsplan für Carver Court bei Coatesville (Pennsylvania).

Quelle: Elisabeth Mock: In USA erbaut 1932–1944, Metopen-Verlag, Wiesbaden 1948 (unter dem Titel „Built in USA: 1932–1944“ zuerst 1944 erschienen als Katalog einer gleichnamigen Ausstellung im Museum of Modern Art).

etwa 1940 in Fortschreibung der Ideen von Perry entwickelt worden waren,48 oder die 1940–1943 von George Howe, Louis I. Kahn und Oskar Stonorov für die Federal Public Housing Authority (FPHA) errichtete und durch Publikationen prominente Siedlung Carver Court bei Coatesville (Pennsylvania), oder aber Park Forest (GI Town), eine ab 1946 nach Plänen des Landschaftsarchitekten und Stadtplaners Elbert Peets realisierte Veteranensiedlung in Illinois.49 (Abb. 14 ) Als Beleg für eine Amerikanisierung der Freiraumplanung kann die Anwendung des Konzepts der grünplanerisch eingebetteten Nachbarschaftseinheit in Bonn jedoch nicht herangezogen werden, denn schon seit den 1930er Jahren beherrschte dieses auch die stadtplane-

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rischen Diskussionen in Großbritannien, Skandinavien (grannskapsenhet) oder in Deutschland. Hier war dieses Konzept in den frühen 1940er Jahren bereits von den führenden Stadtplanern des Dritten Reichs angewandt worden.50 Durchgrünte Stadtlandschaften waren ein wichtiges Schlagwort in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte.51 Dabei wurde die bei Perry den Maßstab und den ideellen Fokus gebende Schule durch die NSDAP-Ortsgruppe ersetzt, die nun als sozialpolitischer und raumgliedernder Bezugspunkt der kleinsten Stadteinheit, der Siedlungszelle, dienen sollte. Später in der Bundesrepublik so einflussreiche Städtebautheorien wie Hans Bernhard Reichows Organische Stadtbaukunst oder Die gegliederte und aufgelockerte Stadt von Johannes Göderitz, Roland Rainer und Hubert Hoffmann, sind allesamt noch vor 1945 konzipiert und teilweise niedergeschrieben worden.52 Markant ist dabei der hohe Stellenwert, der der Eingliederung in die Landschaft eingeräumt wird. Die Konzepte der Nachbarschaftseinheit und der Stadtlandschaft, die auch in der Amerikanischen Siedlung im städtebaulichen und im landschaftsarchitektonischen Entwurf anzutreffen sind, haben also komplexe Wurzeln. Eine wirkliche Amerikanisierung lässt sich allerdings nur schwer nachweisen. Vielmehr muss mit Blick auf die intensiven Wechselwirkungen dieser Kulturtransferprozess als Westernisierung betrachtet werden. Dass die Zeitgenossen dabei die amerikanischen (und britischen) Einflüsse sehr wohl sahen und als positive Impulse empfanden, zeigt ein kurzer Text von Karl Wimmenauer, Schüler und Mitarbeiter von Rudolf Schwarz und späterer Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wimmenauer schrieb 1952 mit Blick auf die für britische Besatzungstruppen erstellte Siedlung im Kölner Volkspark: Ist es nun ein Zufall, daß solche Siedlungen bei uns nur für ausländische Bauherren geplant und gebaut worden sind? Andererseits sind es aber deutsche Architekten, die diese Planungen entworfen haben; und da die Planungen gut sind, wie auch das Beispiel der amerikanischen Siedlung in Bad Godesberg zeigt, stellt sich die Frage, ob die Architekten zu der einen oder anderen Planungsart,

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d.h. der aufgelockerten oder der mehr starr dogmatischen durch den Bauherrn angehalten werden und welches nun eigentlich ihr echtes Wollen ist. 53

Markant und für die Landschaftsarchitektur zwischen 1945 und etwa 1960 besonders relevant ist das im Diskurs um das Siedlungsgrün erneut anzutreffende, schwer fassbare Begriffsfeld des Landschaftlichen. Dieses wird 1952 auch von dem Publizisten Hans Eckstein bemüht, um die Qualitäten der amerikanischen Siedlung zu beschreiben. Eckstein befasst sich eingehender mit der „Einpassung ins Stadt- und Landschaftsbild“ und schreibt: Die maßstäbliche Einfügung großer Baumassen in die Rheinufer-Parklandschaft von Godesberg ist dagegen vortrefflich gelungen bei dem Verwaltungszentrum der HICOG, des amerikanischen Hochkommissars. Ebenso fügen sich drei neu entstandene Siedlungen durch eine lebendig bewegte Gruppierung ihrer Baukörper in ausgedehnte Grünflächen, die den Bewohnern den Ausblick auf die Berge beiderseits des Rheins freihalten, harmonisch der Landschaft ein. 54

Hermann Mattern zielte bei seiner Freiraumplanung für die Amerikanische Siedlung auf eine spezifische Landschaftlichkeit, eine „schöne Wohnlandschaft“. 1950 publizierte er dazu den Aufsatz Über die Wohnlandschaft, in dem er sich mit dem Wert des Landschaftlichen für die Freiraumplanung befasst.55 Vor dem Hintergrund dessen, was Wiepking-Jürgensmann oder auch Reichow an mythischer oder organisch-biologistischer Aufladung des Landschaftsbegriffs betrieben haben, wäre der soziologisch-nüchterne Ansatz Matterns in diesem Text eine nähere Analyse wert. Matterns Argumentationsstruktur weist dabei Ähnlichkeiten mit Positionen des ehemaligen Berliner Stadtbaurats Martin Wagner auf, welche dieser 1948 in der Zeitschrift Bauen und Wohnen publizierte.56 Wagner, nun Professor für Stadt- und Landesplanung an der Harvard-University in Cambridge, spricht von der „‚organischen‘ Stadtschaftsstadt“, in der nicht zuletzt mit Hilfe gemeinschaftlicher grüner Freiräume ein sozialpolitisch idealer „ausgewogener Ich-Wir-Zustand“ realisiert werden solle.57 Inwieweit Wagners der Neighborhood-Unit von Perry sehr nahes Konzept mit den Stadtland-

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schaft-Konzepten von Hermann Matterns oder Rudolf Schwarz vergleichbar ist, bleibt zu prüfen.58 Landschaftlichkeit, dies mögen diese Beispiele belegen, spielt in den städtebaulichen und landschaftsarchitektonischen Konzepten der 1940er und 1950er Jahre in Deutschland eine zentrale Rolle. Dem von Landschaftlichkeit geprägten Siedlungsgrün kann in dem eingangs aufgezeigten Verständnis eine Westernisierung attestiert werden. Siedlungsbau und Siedlungsgrün können in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geradezu exemplarisch für einen zirkulären Kulturtransfer stehen. In den von Mattern gestalteten Freiräumen der Amerikanischen Siedlung können wir das noch heute beobachten. Insgesamt hat sich in der Beschäftigung mit dem Thema der Entnazifizierung und Amerikanisierung der Gartenkunst nach 1945 das so schwer greifbare Konzept von Landschaftlichkeit als ein zentraler Aspekt herauskristallisiert. Von der mythisch aufgeladenen germanischen Urlandschaft eines Heinrich Wiepking-Jürgensmann und der biologistisch in Dienst genommenen Stadtlandschaft eines Hans Bernhard Reichow über die Naturlandschaften der NS-Landschaftsanwälte bis hin zu der Stadtlandschaft eines Hans Scharoun, Martin Wagner und Rudolf Schwarz oder zu dem soziologisch-nüchternen Konzept der Wohnlandschaft von Hermann Mattern erstreckt sich hier das Feld. Auch Georg Penkers Entwurfshaltung, mit der er den gartenkünstlerischen Räumen der NS-Propagandaausstellung Schaffendes Volk zu Leibe rückte, kann in diesen Zusammenhang gestellt werden. Seine betont skizzenhaften Entwurfsnotationen, die den spontanen Bleistift-, Buntstift- und Pinselstrich absichtsvoll formdefinierend einsetzen, können als fast schon informel59 zu nennende Neuinterpretationen von Landschaftlichkeit gesehen werden. Penker macht so seine neue, freie Landschaftlichkeit zum Gegenbild einer mythisch aufgeladenen Landschaft, einer geometrischen Architektonik und einer Naturgartenideologie, die als einengende, bedrü­ckende und vor allem als belastete Zwangsform wahrgenommen wurde.

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Mit Blick auf diese komplexe Konstellation erscheint die Landschaft für die Gartenarchitekten, Stadtplaner und Raumplaner mit dem vergleichbar, was für die Politiker, Philosophen und Literaten in den 1940er und 1950er Jahren das Abendland gewesen ist.

A nmerkungen 1 | Siehe z.B. die Dokumentation der DGGL-Tagung 2012 in Nürnberg: Martz, Jochen/Wolschke-Bulmahn, Joachim (Hg.): Zwischen Jägerzaun und Größenwahn. Freiraumgestaltung in Deutschland 1933–1945 (PDF-Broschüre dazu unter: https://www.cgl.uni-hannover.de/fileadmin/ cgl/pdf/Publikationen/Broschueren/Jaegerzaun_Groessenwahn_ gesamt.pdf, 22.11.2017); Wolschke-Bulmahn, Joachim: „Zwischen völkischen Vorstellungen über Naturgärten und Avantgarde. Zu Tendenzen der Gartengestaltung in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert“, in: Hieber, Lutz (Hg.), Gesellschaftsepochen und ihre Kunstwelten, Wiesbaden: Springer 2018, S. 337–363; Wolschke-Bulmahn, Joachim: „Gärten, Natur und völkische Ideologie“, in: Hering, Rainer (Hg.), Die Ordnung der Natur. Vorträge zu historischen Gärten und Parks in Schleswig-Holstein, Hamburg: Hamburg University Press 2009, S. 143–187; Gröning, Gert: „Landschaftsarchitektur und Nationalsozialismus. Immer noch ein unbequemes Thema im angehenden 21. Jahrhundert“, in: Lorenz, Werner/Meyer, Torsten (Hg.), Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann 2004, S. 31–46; Gröning, Gert: „Teutonische Mythen – Trümmer, Schutt und Wiederaufbau. Eine Skizze zur Entwicklung der Landschaftsarchitektur in Deutschland 1940–1960“, in: Lichtnau, Bernfried (Hg.), Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum zwischen 1936 und 1980, Berlin: Lukas Verlag 2002, S. 153–168. 2 | Für die hier untersuchte Region siehe aktuell als ersten guten Überblicksbeitrag: Lange, Claus: „Auf der Suche nach den Wurzeln – Die Gartenarchitektur zwischen Kontinuität und Neuanfang nach 1945 in der BRD“, in: Die Gartenkunst 29, Nr. 1 (2017), S. 155–180.

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3 | Druckfassung der „Wiener Erklärung“ in: Butenschön, Sylvia/Gaida, Wolfgang/Gotzmann, Inge/Grunert, Heino/Kellner, Ursula/Krepelin, Kirsten (Hg.): Öffentliche Grünanlagen der 1950er- und 1960er-Jahre – Qualitäten neu entdecken. Projektbericht, Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin 2016, S. 148. 4 | Gröning, Gert/ Wolschke-Bulmahn, Joachim: Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Berlin/Hannover: Patzer 1997, S. 111f., 276. 5 | Josef Wimar Giesen wurde 1944 verhaftet und wegen „feindbegünstigender Wehrkraftzersetzung“ angeklagt, überlebte aber. Siehe: Dieter E. Kilian: Adenauers vergessene Retter – Major Fritz Schliebusch, Norderstedt: Miles-Verlag 2011, S. 19. 6 | Adams, Werner/Bauer, Joachim (Hg.): Vom Botanischen Garten zum Großstadtgrün. 200 Jahre Kölner Grün, Köln: Bachem 2001, S. 120, 174. 7 | G. Gröning/J. Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien, S. 278; W. Adams/J. Bauer: Großstadtgrün, S. 117. 8 | G. Gröning/J. Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien, S. 385. Zu Willy Tapp siehe Lange, Claus: „Das Düsseldorfer Gartenamt und seine Gartendirektoren“, in: Törkel, Doris/Schweizer, Stefan/Baier, Christof (Hg.), Gärten und Parks in Düsseldorf. Gartenkunst und Landschaftskultur vom 17. bis zum 21. Jahrhundert, Düsseldorf: Grupello 2017, S. 42f. 9 | G. Gröning/J. Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien, S. 415–419. 10 | Koenecke, Andrea: Walter Rossow (1910–1992). Die Landschaft im Bewußtsein der Öffentlichkeit, München: Akademischen Verlagsgemeinschaft München 2014, S. 80–83. 11 | G. Gröning/J. Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien, S. 131f. 12 | Butenschön, Sylvia: „Elstal. Zum Denkmalwert der Außenanlagen des ehemaligen Olympischen Dorfs von 1936“, in: Brandenburgische Denkmalpflege, Heft 2 (2005), S. 26. 13 | Hübner, Emanuel: Das Olympische Dorf von 1936. Planung, Bau und Nutzungsgeschichte, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2015, S. 221f. 14 | Ebd. S. 222. 15 | Gröning, Gert/Wolschke-Bulmahn, Joachim: Die Liebe zur Landschaft. Zur Bedeutung natur- und freiraumorientierter Bewegungen

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in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Entwicklung der Freiraumplanung, Münster: LIT 1995, S. 130. 16 | Hasler, Hans: Deutsche Gartenkunst. Entwicklung, Form und Inhalt des deutschen Gartens, Stuttgart: Eugen Ulmer Verlagsbuchhandlung 1939, S. 15. 17 | Ebd., S. 16. 18 | Ebd., S. 39. 19 | 1935–1937 war Grund NSDAP-Referent für Städtebau, siehe Forschungsdatenbank zur Baukultur, siehe http://www.baukulturforschung.de/datenbank/alphabetisch/e/p301/; [31.10.2017]. 20 | Schäfers, Stefanie: Vom Werkbund zum Vierjahresplan. Die Ausstellung Schaffendes Volk, Düsseldorf 1937, Düsseldorf: Droste 2001, S. 148. 21 | Tapp selbst spricht 1939 von den beiden „Gestaltungsmöglichkeiten der ‚Natur-‘ und der ‚Kulturform‘, also der landschaftlichen Inszenierung der einzelnen Pflanze und der „architektonisch-repräsentativen“ Gliederung. Bei einer von der „niederrheinischen Landschaft“ und der Bauaufgabe geforderten „starken Achsengliederung“ habe er dennoch auch die Schönheit der Einzelpflanze nicht vernachlässigt. Tapp, Wilhelm: „Die Gärten des Schaffenden Volkes“, in: Maiwald, Ernst W. (Hg.), Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ Düsseldorf 1937. Ein Bericht, Düsseldorf: Bagel 1939, Bd. 1, S. 110. 22 | Tapp, Wilhelm: „Die Gartenschau im Rahmen der Großen Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ Düsseldorf 1937“, in: Die Gartenkunst, Heft 7/8 (1937), S. 151. 23 | Lange, Claus: Nordpark in Düsseldorf, Neuss: Neusser Druckerei und Verlag 1994, S. 8, 15. 24 | Gespräch des Verfassers mit Georg Penker im Oktober 2016. 25 | Gespräch des Verfassers mit Georg Penker im Oktober 2016. 26 | Dies und das Folgende wieder aus dem Gespräch des Verfassers mit Georg Penker im Oktober 2016. 27 | Auf dem Tapp-Plan die Nr. 30, 31, siehe Abb. 1. 28 | Auf dem Tapp-Plan von 1937 die Nr. 21, 23, 25 siehe Abb. 1. 29 | Tamms arbeitete vor 1945 in Albert Speers Behörde „Generalinspektor für die Reichshauptstadt“, später im Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte und in der Organisation Tod; 1938 von

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Hitler persönlich zum Prof. an der TH Berlin ernannt; 1944 Aufnahme in die Gottbegnadetenliste; 1948–1954 Leiter des Stadtplanungsamts Düsseldorf, danach erst Beigeordneter, dann Dezernent für das Bauwesen der Stadt Düsseldorf; 1974 Großes Bundesverdienstkreuz; holt 1952 Julius Schulze-Frohlinde, ehem. Architekt der Deutschen Arbeitsfront, als Leiter des Hochbauamts nach Düsseldorf. Siehe Durth, Werner: Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen 1900–1970, München: dtv 1992, S. 346–382; Anna, Susanne: Architektenstreit: Wiederaufbau zwischen Kontinuität und Neubeginn, Düsseldorf: Droste 2009. Siehe dazu auch den Beitrag von Jürgen Wiener in diesem Band. 30 | Zitiert nach: Heinrich, Vroni: Hermann Mattern. Gärten – Landschaften – Bauten – Lehre, 2. überarb. Aufl., Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin 2013, S. 61. 31 | Eine aufschlussreiche zeitgenössische Diskussion des Wettbewerbs siehe bei Nußbaum, Theodor: „Der Ideenwettbewerb für die städtebauliche und architektonische Gestaltung eines Fest- und Aufmarschplatzes in Köln am Rhein“, in: Die Gartenkunst, Heft 4 (1936), S. 59–65. 32 | Seifert, Alwin: „Gutachten über die Unterbringung von 5 Millionen cbm. Altstadtschutt im Inneren Grüngürtel der Stadt Köln“, in: Garten und Landschaft, Heft 1 (Januar 1950), S. 2–4. 33 | Zu Erxleben siehe Oberkrone, Willi: Deutsche Heimat: Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, S. 216. Erxleben gründet schon im Februar 1947 in Münster das Amt für Landespflege; siehe dazu auch Zutz, Axel: „‚Grüne Arbeit im Ruhrgebiet‘. Heimatschutz und Landschaftspflege als Impulsgeber und Bestandteil der Regionalplanung 1930–1960, dargestellt am Beispiel der ‚Landschaftsanwälte‘ Guido Erxleben und Rudolf Ungewitter, in: Kastorff-Viehmann, Renate u. a. (Hg.), Regionale Planung im Ruhrgebiet. Von Robert Schmidt lernen?, Essen: Klartext 2014, S. 121–136. Siehe grundlegend Briesen, Detlef/Strubelt, Wendelin (Hg.): Raumplanung nach 1945. Kontinuitäten und Neuanfänge in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main: Campus 2015.

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34 | Dies und die folgenden Zitate aus Erxleben, Guido: „Trümmerberge und ihre Begrünung“, in: Schwarz, Rudolf: Das neue Köln, Köln: Bachem 1950, S. 104–107. 35 | Heft 9 des 50. Jg. Der Zeitschrift Die Gartenkunst ist online abrufbar unter: http://gartentexte-digital.ub.tu-berlin.de/archiv/Gartenkunst/ Jg.50/Heft_09.pdf, 30.11.2017. 36 | Siehe dazu und zu Jensens Nähe zur „nazistischen Blut-und-Boden-Ideologie“ Wolschke-Bulmahn: Gärten, Natur und völkische Ideologie, S. 153f. 37 | Jens Jensen: „Die Lichtung“, in: Die Gartenkunst, 50 Jg. (1937), Heft 9, S. 177–181, hier S. 181. 38 | Baumgarten, Walter: „Amerikanische Baumgärten“, in: Die Gartenkunst, 50 Jg. (1937), Heft 9, S. 189–193, hier S. 189. 39 | Dies und das Folgende aus Mappes, Michael: „Amerikanische Gartengestaltung unter den Gesichtspunkten der vorhergehenden Aufsätze“, in: Die Gartenkunst, 50 Jg. (1937), Heft 9, S. 194–196, hier S. 195. 40 | Dies und das Folgende aus: Doering-Manteuffel, Anselm: „Amerikanisierung und Westernisierung“, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18.01.2011 (http://docupedia.de/zg/doering_amerikanisierung_v1_ de_2011), S. 4f., 29.11.2017. 41 | Zum Fachbereich „Landscape Architecture“ an der überaus einflussreichen Harvard Graduate School of Design siehe Pearlman, Jill E.: Inventing American Modernism: Joseph Hudnut, Walter Gropius, and the Bauhaus Legacy at Harvard, Charlottesville: University of Virginia Press, S. 92–105. 42 | Zu der von Sepp Ruf zusammen mit Otto Apel, Rudolf Letocha, Rohrer und Herdt sowie den Landschaftsarchitekten Hermann Mattern und Heinrich Raderschall geschaffenen Anlage von Schloss Deichmannsaue siehe: Schyma, Angelika: „In Diplomatischer Zurückhaltung. Botschaftsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland in Bonn von der Staatsgründung bis zum Fall der Mauer“, in: Englert, Kerstin/Tietz, Jürgen (Hg.), Botschaften in Berlin, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2003, S. 29–41. 43 | Kähling, Kerstin: Aufgelockert und gegliedert. Städte- und Siedlungsbau der fünfziger und frühen 1960er Jahre in der provisori-

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schen Bundeshauptstadt Bonn, Bonn: Stadt Bonn Stadtarchiv 2004, S. 100f., 131f., 393f. Siehe auch: https://www.kuladig.de/Objektansicht/ O-21745-20111110-15, 13.11.2017. 44 | In einem offiziellen „Information bulletin“ der HICOG vom Juni 1952 heißt in einem Beitrag mit dem Titel „HICOG builds for the future“: „George G. Davies, architext of the US Army’s Corps of Engineers, […] was responsible for the initial drawings, the planning of the five sites and all the technical work relative to the building projects.“ Siehe: „Information bulletin“, Frankfurt, Germany: Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Office of Public Affairs, Information Division, APO 757-A, U.S. Army, June 1952 http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/History.om g1952June, 30.11.2017. 45 | Talbot, Franz Josef: „Kindergarten und Schule in der ehemaligen HiCoG-Siedlung in Bonn-Plittersdorf“, in: Denkmalpflege im Rheinland 32 (2015), H. 4, S. 155–162. 46 | Zur Entwicklung des Konzepts der Neighborhood Unit mit dem Fokus auf den Anteil der Chicagoer Schule der Soziologie und deren stadtsoziologische Ansätze siehe: Rowan, Jamin Creed: The Sociable City. An American Intellectual Tradition, Philadelphia: Penn Press 2017, insbes. das Kapitel „New Deal Urbanism and the Contraction of Sympathy, S. 42–74. 47 | Noch 1952 verweist der Architekt, Städtebauer und Baudirektor von Frankfurt/Main Herbert Boehm in einem Aufsatz über die für die britischen Besatzungstruppen realisierte Siedlung im Kölner Volkspark auf das „bewährte Vorbild von Radborn“. Siehe: Boehm, Herbert: „Siedlung im Kölner Volkspark“, in: DIE NEUE STADT VI (1952), H. 3, S. 89–96, hier S. 92. 48 | Siehe aus Sicht der Landschaftsarchitekten Treib, Marc/Imbert, Dorothée: Garrett Eckbo. Modern Landscapes for Living, Berkeley: University of California Press 1997, S. 144–150. 49 | Elbert Peets, der Landschaftsarchitektur an der Harvard University studiert hat, gründete 1916 zusammen mit dem deutschen Architekten, Stadtplaner und Architekturkritiker Werner Hegemann ein gemeinsames Büro. Beide zusammen gaben 1922 das einflussreiche Buch The American Vitruvius. An Architects’ Handbook of Urban Design heraus.

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50 | Siehe dazu Kuchenbuch, David: Geordnete Gemeinschaft. Architekten als Sozialingenieure – Deutschland und Schweden, Bielefeld: transcript 2010, insbes. S. 113–170. 51 | Düwel, Jörn/Gutschow, Niels: Städtebau in Deutschland. Ideen – Projekte – Akteure, Stuttgart: Teubner 2001, bes. S. 122–188. 52 | Reichow, Hans Bernhard: Organische Stadtbaukunst – Organische Baukunst – Organische Kultur, Braunschweig: Georg Westermann 1948; Göderitz, Johannes/Rainer, Roland/Hoffmann, Hubert: Die gegliederte und aufgelockerte Stadt Broschiert, Tübingen: Wasmuth 1957. 53 | Wimmenauer, Karl: „Siedlung im Kölner Volkspark“, in: DIE NEUE STADT, VI (1952), H. 3, S. 97–104, hier S. 101. 54 | Eckstein, Hans: „Siedlung in Bad Godesberg und Bonn. Architekt Sep Ruf“, in: Bauen + Wohnen 7 (1952), H. 3, S. 403–410. 55 | Mattern, Hermann: „Über die Wohnlandschaft“, in: Ders. (Hg.), Die Wohnlandschaft. Eine Sammlung von Aussagen über die menschliche Tätigkeit in der Landschaft. Das Buch der Deutschen Gartenschau Stuttgart, Stuttgart: Hatje 1950, S. 7–24. 56 | Wagner, Martin: „Die Stadtschaft auf dem Reissbrett – Eine Studentenvision“, in: Bauen und Wohnen, 3. Jg. (1948), Heft 8, S. 188–199; hier S. 194. Einen kritischen Blick auf eine einseitig ökonomisch ausgerichtete Weiterentwicklung von Wagners im Ausgangspunkt sozialdemokratisch-genossenschaftlichen Wohnbauideen zum Konzept der „Township“ siehe zuletzt Sevilla-Buitrago, Álvaro: „Martin Wagner in America: planning and the political economy of capitalist urbanization“, Planning Perspectives, 32 (2017), H. 4, S. 481–502, https://doi.org/10.1080/02 665433.2017.1299636, 30.11.2017. 57 | Zum Verhältnis von Gropius und Wagner an der Harvard Graduate School of Design mit Fokus auf städtebauliche Fragen siehe Anthony Alofsin: The Struggle for Modernism. Architecture, Landscape Architecture, and City Planning at Harvard, New York: W. W. Norton 2002, S. 180–185. 58 | Siehe zur Stadtlandschaft bei Schwarz den Beitrag von Jürgen Wiener in diesem Band. 59 | Informel hier im Sinne der in Düsseldorf in den 1950er Jahren sehr präsenten Kunst des Informel (Gruppe 53).

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L iteratur Adams, Werner/Bauer, Joachim (Hg.): Vom Botanischen Garten zum Großstadtgrün. 200 Jahre Kölner Grün, Köln: Bachem 2001. Alofsin, Anthony: The Struggle for Modernism. Architecture, Landscape Architecture, and City Planning at Harvard, New York: W. W. Norton 2002, S. 180–185. Anna, Susanne: Architektenstreit: Wiederaufbau zwischen Kontinuität und Neubeginn, Düsseldorf: Droste 2009. Baumgarten, Walter: „Amerikanische Baumgärten“, in: Die Gartenkunst, 50, H. 9 (1937), S. 189–193. Boehm, Herbert: „Siedlung im Kölner Volkspark“, in: DIE NEUE STADT VI, H. 3 (1952), S. 89–96. Briesen, Detlef/Strubelt, Wendelin (Hg.): Raumplanung nach 1945. Kontinuitäten und Neuanfänge in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main: Campus 2015. Butenschön, Sylvia: „Elstal. Zum Denkmalwert der Außenanlagen des ehemaligen Olympischen Dorfs von 1936“, in: Brandenburgische Denkmalpflege, 2 (2005). Butenschön, Sylvia/Gaida, Wolfgang/Gotzmann, Inge/Grunert, Heino/Kellner, Ursula/Krepelin, Kirsten (Hg.): Öffentliche Grünanlagen der 1950er- und 1960er-Jahre – Qualitäten neu entdecken. Projektbericht, Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin 2016. Durth, Werner: Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen 1900–1970, München: dtv 1992. Düwel, Jörn/Gutschow, Niels: Städtebau in Deutschland. Ideen – Projekte – Akteure, Stuttgart: Teubner 2001. Eckstein, Hans: „Siedlung in Bad Godesberg und Bonn. Architekt Sep Ruf“, in: Bauen + Wohnen 7, 3 (1952), S. 403–410. Erxleben, Guido: „Trümmerberge und ihre Begrünung“, in: Schwarz, Rudolf: Das neue Köln, Köln: Bachem 1950, S. 104–107. Göderitz, Johannes/Rainer, Roland/Hoffmann, Hubert: Die gegliederte und aufgelockerte Stadt Broschiert, Tübingen: Wasmuth 1957. Gröning, Gert/Wolschke-Bulmahn, Joachim: Die Liebe zur Landschaft. Zur Bedeutung natur- und freiraumorientierter Bewegun-

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gen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Entwicklung der Freiraumplanung, Münster: LIT 1995. Gröning, Gert/Wolschke-Bulmahn, Joachim: Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Berlin/Hannover: Patzer 1997. Gröning, Gert: „Teutonische Mythen – Trümmer, Schutt und Wiederaufbau. Eine Skizze zur Entwicklung der Landschaftsarchitektur in Deutschland 1940–1960“, in: Lichtnau, Bernfried (Hg.), Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum zwischen 1936 und 1980, Berlin: Lukas Verlag 2002, S. 153–168. Ders.: „Landschaftsarchitektur und Nationalsozialismus. Immer noch ein unbequemes Thema im angehenden 21. Jahrhundert“, in: Lorenz, Werner /Meyer, Torsten (Hg.), Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann 2004, S. 31–46. Hasler, Hans: Deutsche Gartenkunst. Entwicklung Form und Inhalt des deutschen Gartens, Stuttgart: Eugen Ulmer Verlagsbuchhandlung 1939. Heinrich, Vroni: Hermann Mattern. Gärten – Landschaften – Bauten – Lehre, 2. überarb. Aufl., Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin 2013. Hübner, Emanuel: Das Olympische Dorf von 1936. Planung, Bau und Nutzungsgeschichte, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2015. Jensen, Jens: „Die Lichtung“, in: Die Gartenkunst 50, 9 (1937), S. 177–181. Kähling, Kerstin: Aufgelockert und gegliedert. Städte- und Siedlungsbau der fünfziger und frühen 1960er Jahre in der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn, Bonn: Stadt Bonn Stadtarchiv 2004, Siehe auch: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-21745-2011 1110-15. Kilian, Dieter E.: Adenauers vergessene Retter – Major Fritz Schliebusch, Norderstedt: Miles-Verlag 2011. Koenecke, Andrea: Walter Rossow (1910 –1992). Die Landschaft im Bewußtsein der Öffentlichkeit, München: Akademischen Verlagsgemeinschaft München 2014, S. 80–83.

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Kuchenbuch, David: Geordnete Gemeinschaft. Architekten als Sozialingenieure – Deutschland und Schweden, Bielefeld: transcript 2010. Lange, Claus: „Auf der Suche nach den Wurzeln – Die Gartenarchitektur zwischen Kontinuität und Neuanfang nach 1945 in der BRD“, in: Die Gartenkunst 29, 1 (2017), S. 155–180. Ders.: „Das Düsseldorfer Gartenamt und seine Gartendirektoren“, in: Törkel, Doris/Schweizer, Stefan/Baier, Christof (Hg.), Gärten und Parks in Düsseldorf. Gartenkunst und Landschaftskultur vom 17. Bis zum 21. Jahrhundert, Düsseldorf: Grupello 2017. Mappes, Michael: „Amerikanische Gartengestaltung unter den Gesichtspunkten der vorhergehenden Aufsätze“, in: Die Gartenkunst 50, 9 (1937), S. 194–196. Martz, Jochen/Wolschke-Bulmahn, Joachim (Hg.): Zwischen Jägerzaun und Größenwahn. Freiraumgestaltung in Deutschland 1933– 1945 (PDF-Broschüre dazu unter: https://www.cgl.uni-hannover. de/fileadmin/cgl/pdf/Publikationen/Broschueren/Jaegerzaun_ Groessenwahn_gesamt.pdf) Mattern, Hermann: „Über die Wohnlandschaft“, in: Ders. (Hg.), Die Wohnlandschaft. Eine Sammlung von Aussagen über die menschliche Tätigkeit in der Landschaft. Das Buch der Deutschen Gartenschau Stuttgart, Stuttgart: Hatje 1950, S. 7–24. Nußbaum, Theodor: „Der Ideenwettbewerb für die städtebauliche und architektonische Gestaltung eines Fest- und Aufmarschplatzes in Köln am Rhein“, in: Die Gartenkunst, 4 (1936), S. 59–65. Oberkrone, Willi: Deutsche Heimat: Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004. Pearlman, Jill E.: Inventing American Modernism: Joseph Hudnut, Walter Gropius, and the Bauhaus Legacy at Harvard, Charlottesville: University of Virginia Press, S. 92–105. Reichow, Hans Bernhard: Organische Stadtbaukunst – Organische Baukunst – Organische Kultur, Braunschweig: Georg Westermann 1948.

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Rowan, Jamin Creed: The Sociable City. An American Intellectual Tradition, Philadelphia: Penn Press 2017. Schäfers, Stefanie: Vom Werkbund zum Vierjahresplan. Die Ausstellung Schaffendes Volk, Düsseldorf 1937, Düsseldorf: Droste 2001. Schyma, Angelika: „In Diplomatischer Zurückhaltung. Botschaftsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland in Bonn von der Staatsgründung bis zum Fall der Mauer“, in: Englert, Kerstin/Tietz, Jürgen (Hg.), Botschaften in Berlin, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2003, S. 29–41. Seifert, Alwin: „Gutachten über die Unterbringung von 5 Millionen cbm. Altstadtschutt im Inneren Grüngürtel der Stadt Köln“, in: Garten und Landschaft, 1 (Januar 1950), S. 2–4. Talbot, Franz Josef: „Kindergarten und Schule in der ehemaligen HiCoG-Siedlung in Bonn-Plittersdorf“, in: Denkmalpflege im Rheinland 32, 4 (2015), S. 155–162. Tapp, Wilhelm: „Die Gartenschau im Rahmen der Großen Reichsausstellung ‚Schaffendes Volk‘ Düsseldorf 1937“, in: Die Gartenkunst, 7/8 (1937). Ders.: „Die Gärten des Schaffenden Volkes“, in: Maiwald, Ernst W. (Hg.), Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ Düsseldorf 1937. Ein Bericht, Düsseldorf: Bagel 1939. Treib, Marc/Imbert, Dorothée: Garrett Eckbo. Modern Landscapes for Living, Berkeley: University of California Press 1997. Wagner, Martin: „Die Stadtschaft auf dem Reissbrett – Eine Studentenvision“, in: Bauen und Wohnen 3, 8 (1948), S. 188–199. Wimmenauer, Karl: „Siedlung im Kölner Volkspark“, in: DIE NEUE STADT VI, 3 (1952), S. 97–104. Wolschke-Bulmahn, Joachim: „Zwischen völkischen Vorstellungen über Naturgärten und Avantgarde. Zu Tendenzen der Gartengestaltung in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert“, in: Hieber, Lutz (Hg.), Gesellschaftsepochen und ihre Kunstwelten, Wiesbaden: Springer 2018, S. 337–363. Ders.: „Gärten, Natur und völkische Ideologie“, in: Hering, Rainer (Hg.), Die Ordnung der Natur. Vorträge zu historischen Gärten und

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Parks in Schleswig-Holstein, Hamburg: Hamburg University Press 2009, S. 143–187. Zutz, Axel: „‚Grüne Arbeit im Ruhrgebiet‘. Heimatschutz und Landschaftspflege als Impulsgeber und Bestandteil der Regionalplanung 1930–1960, dargestellt am Beispiel der ‚Landschaftsanwälte‘ Guido Erxleben und Rudolf Ungewitter, in: Kastorff-Viehmann, Renate u. a. (Hg.), Regionale Planung im Ruhrgebiet. Von Robert Schmidt lernen?, Essen: Klartext 2014, S. 121–136. Internet-Texte http://www.baukultur-forschung.de/datenbank/alphabetisch/e/p301/ Doering-Manteuffel, Anselm: „Amerikanisierung und Westernisierung“, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte (http://docupe dia.de/zg/doering_amerikanisierung_v1_de_2011) http://gartentexte-digital.ub.tu-berlin.de/archiv/Gartenkunst/Jg.50/ Heft_09.pdf Göderitz, Johannes/Rainer, Roland/Hoffmann, Hubert: Die gegliederte und aufgelockerte Stadt Broschiert, Tübingen: Wasmuth 1957 „Information bulletin“, Frankfurt, Germany: Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Office of Public Affairs, Information Division, APO 757-A, U.S. Army, June 1952 http://digital.library. wisc.edu/1711.dl/History.omg1952June Sevilla-Buitrago, Álvaro: „Martin Wagner in America: planning and the political economy of capitalist urbanization“, Planning Perspectives, 32 (2017), H. 4, S. 481–502, https://doi.org/10.1080/02 665433.2017.1299636. Düwel, Jörn/Gutschow, Niels: Städtebau in Deutschland. Ideen – Projekte – Akteure, Stuttgart: Teubner 2001

Nachkriegsbilder Die Einsamkeit des Rudolf Schwarz Jürgen Wiener

Die Einsamkeit des Rudolf Schwarz mutet eher wie ein Romantitel der Nachkriegszeit an und nicht wie ein zentraler Begriff einer Architekturtheorie, der er tatsächlich ist. Einsamkeit und Nachkriegsbilder sind wörtlich wie bildlich zu verstehen, und gerade die Spannung aus materiellem Realismus, Bildern und Zeichen sowie existentieller Verfasstheit ist das Grundthema der folgenden Überlegungen. Da Rudolf Schwarz Wirklichkeit komplex entwarf und prozessual begriff, indem er historische und systematische, materielle und immaterielle Aspekte, Zielgerichtetes und Zweckfreies, Größtes und Kleinstes, das einsame Individuum und das – nicht minder einsame – göttliche Ganze, Werdendes und Seiendes immer zusammen dachte sowie Existenz sowohl leiblich als auch symbolisch relational begriff,1 oszillieren seine Begriffe generell zwischen Metapher und Wirklichkeit oder, wie er es in seiner fast fremdwortlosen Sprache ausdrückte, zwischen Bild und Mittel.2 Schwarz war zuallererst Architekt – oder wie er bevorzugte: „Baumeister“ – und als solcher einer der größten seines Jahrhunderts, mögen auch andere Namen im kollektiven Gedächtnis präsenter sein. Außergewöhnlich umfassend gebildet, begründete er weit über eine Theorie der Praxis hinaus wie kein zweiter seines Faches seine Praxis theoretisch, und griff dafür – in der Regel höchst aktuelle – anthropologische, (schöpfungs)theologische, lebens- und technikphilosophische, soziologische, existentialistische, phänomenologische, ästhetische, psychologische, semiotische, holistische, gestalttheoretische,

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geologische und biologische Ideen auf. Entsprechend viele Facetten hat sein Einsamkeitsbegriff, der bei ihm zu einer generellen Signatur von Moderne wird, und gerade in seiner skeptischen, ja pessimistischen Sicht auf die bundesrepublikanische Wirklichkeit(sverdrängung) nach 1945 zu passen scheint. Seinem Wissen und Können zum Trotz halfen ihm seine höchst anspruchsvollen, immer – um in seiner Bild-Welt zu bleiben – „tief ins Grundsätzliche hinabsteigenden“3 Begründungsansätze für sein Nachleben zunächst wenig. Doch auf diese in der Genieästhetik der Aufklärung entwickelte Kategorie des einsamen Großen (etwa bei Diderot) kam es ihm ohnehin nicht an. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Ob es auch verstanden würde, scheint ihn wenig gekümmert zu haben. Tatsächlich waren seine Texte anspruchsvoll und selbst für sein eigenes Umfeld nicht leicht lesbar. Sie waren geradezu eine Zumutung im Vergleich zum gängigen unterkomplexen und von Schwarz sarkastisch als Glaubensbekenntnis bezeichneten Begründungszusammenhang der architektonischen Moderne, der sich auf die materialistisch-autopoietische Dreiheit von Material, Konstruktion und Funktion beschränkte, die alle drei dem Anspruch auf Aktualität und Sichtbarkeit genügen mussten und gewissermaßen von selbst für ihr kubistisches Erscheinungsbild sorgten. Nicht zuletzt solch schlichter Argumentarien wegen beharrte Schwarz auf der Berufsbezeichnung „Baumeister“, der „Baukunst“ als Resultat eines umfassenden intellektuellen Prozesses unter Maßgabe aller performativen, materiellen, ästhetischen, semantischen und atmosphärischen Vorgaben ersinnt – statt Ingenieur einer „Neuen Zeit“ zu sein. Nicht nur darin stand er quer zum modernistischen Habitus der Avantgarde, auf deren Denkfehler, theoretische Mängel und Inkonsequenzen er hinzuweisen nicht müde wurde. Dazu gehört auch, dass nicht allein die Modernität der Aufgabe über den Rang und das Zeitgemäße eines Gebäudes entscheidet. Andernfalls wäre wie im Fall des Kirchenbaus mit einer über 1600 alten Bauaufgabe Modernität weniger leicht einzulösen als bei einem Kaufhaus, einem Bahnhof, einer Fabrik oder einer Tankstelle. Ich vermute aber eher, dass – anders als in der noch viel älteren Bauaufgabe des Wohnbaus – aus ideologischen Vorbehalten das Resultat selbst

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dann nicht als so modern wahrgenommen werden wollte, wenn die Gestalt grundlegend neu bestimmt war. Dass der neue Kirchenbau im 20.  Jahrhundert nicht hinterherhinkte, sondern innerhalb eines urbanen Kontextes oft sogar und mitunter demonstrativ das modernste Gebäude darstellte, haben manche orthodoxe Anhänger moderner Architektur immer noch nicht verdaut, auch weil sie das Neue noch immer mit dem Außergewöhnlichen und nicht mit dem Alltäglichen assoziieren, zu dem der moderne Kirchenbau nach 1945 wurde. Kann, was alle machen, noch Avantgarde sein? Aber das ist nur ein letztlich nebensächlicher Punkt, wenn erklärt sein will, warum Schwarz in den einschlägigen Überblickswerken zur modernen Architektur, wenn überhaupt, nur mit einem Bau vorkommt: der 1930 geweihten Fronleichnamskirche in Aachen, die als sakrale Variante des Neuen Bauens gilt und sein erster komplett neu realisierter Kirchenbau war. Das hieße aber nur: neue Form bei traditioneller Aufgabe. Form allein war Schwarz, obgleich er sich als architektonischer Kubist verstand, immer zu wenig. Gegen die Trennung von Form und Inhalt, wie sie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sowohl in den stilistischen als auch in den ikonographischen Methoden der Kunstgeschichte betrieben wurden, wandte sich Schwarz zeitlebens, wie er überhaupt ein Denken in Dichotomien ablehnte (zumal solchen, wie sie die Stilkunstgeschichte systematisiert hatte),4 es sei denn in paradoxaler Verschränkung. „Trunkene Nüchternheit“5 oder „kalte Hochglut“6 sind Wortpaare, die nicht nur Sachlichkeit und Vitalität verbinden, sondern generell als forminhaltliches und die Benutzeraktivität einschließendes Motto über seiner Architektur stehen könnten. Solches Denken war Schwarz’ Aufnahme in den Kanon umso abträglicher, als sich die Avantgarde schon formiert hatte. Schwarz, Jahrgang 1897, fehlte die Gnade der frühen Geburt. Er wurde erst bekannt, als die um 1885 geborene Trias der Architekturavantgarde, Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier, schon etabliert war. Auch wenn sie sich in sehr unterschiedlicher Weise einer ‚Form-follows-function‘-Rhetorik verpflichtet fühlten, ist doch nicht zu übersehen, dass die neue Architektur vorrangig formal und weniger als Sichtbarmachen von Inhalten der gestellten Bauaufgabe begriffen wurde.

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Funktionalität, unter die seit dem Historismus sehr unterschiedliche Phänomene subsumiert wurden, war ohnehin nur zu einem geringen Grad an stilistische Präferenzen geknüpft. Die Materialien schließlich hingen nicht zuletzt auch von der Aufgabe ab und dementsprechend weit reichte das Spektrum von verputzen Klinkerbauten zu Stahl-Glas-Konstruktionen. Schwarz brachte all das –  20 Jahre nach dem Ende des Dessauer Bauhauses – in der sogenannten „Bauhaus-Debatte“ in aller Klarheit und Schärfe gegenüber den Alltagsmythen der Modernisten nochmals aufs Tapet, um von dieser schon damals zum Mythos erstarrenden Vergangenheitsfixierung auf die heroischen Anfänge der Avantgarde loszukommen und um ein „Gespräch“ über die Erfordernisse in der Nachkriegsgegenwart zu Beginn dessen, was später Wirtschaftswunder genannt wurde, führen zu können. Diese Debatte schadete seinem Ruf nachhaltig, so messerscharf er auch die konzeptionellen Mängel vor allem im Begründungszusammenhang von Form, Material, Konstruktion und Funktion und in den techno-, sozio- und ideologischen Bedingungen der industriellen Zivilisation bloßgelegt hatte. Im Grunde war ihm in allen Punkten mehr oder weniger zuzustimmen, auch als er einen Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und dem Totalitären der Avantgarde andeutete.7 Von deren lächerlichen Erlösungsanspruch ganz zu schweigen. Schwarz hatte Anfang 1953 in der damals besten deutschen Architekturzeitschrift baukunst und werkform, die im Verlag der Frankfurter Hefte von Eugen Kogon und Walter Dirks erschien, Gropius scharf angegriffen. Seine Kritik an dem von den Nazis aufgelösten Bauhaus gipfelte in dem Vorwurf, Gropius könne nicht denken. Gemeint war mit dieser drastischen Formulierung eigentlich nur, dass die Art und Weise, wie Gropius Moderne und über sie die Gestaltungsweisen des Neuen Bauens rechtfertigte, wenig tiefschürfend und, in seiner Wahrnehmung, von einer „unerträglichen Phraseologie“8 geprägt war – einmal davon abgesehen, dass er sich wie bei der Konzeption des Bauhauses des Gedankenguts anderer, in diesem Fall des von Schwarz sehr geschätzten Otto Bartning, bediente. Schwarz’ Frontalangriff war in einigen Punkten zu scharf, um auf der gegnerischen Seite als ein Ge-

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sprächsangebot wahrgenommen zu werden. Es liest sich in Teilen auch wie ein Pamphlet gegen die „sektiererische“ und „terroristische“ Intoleranz einer sich als unbedingt gerierenden Avantgarde, verkörpert in der Propaganda des Bauhauses, und namentlich durch Walter Gropius, und insbesondere gegen ihren materialistischen Funktionalismus unter der Bedingung einer als architektonische Moral verkauften Sichtbarkeit zeitgenössischer Materialien und Formen. Ihr wirft er Strategien und Praktiken, ja den Habitus einer religiösen Sekte vor, die im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit ist und neben sich nichts gelten lassen kann. Er nimmt sie als Sekte wahr, die die Geschichtlichkeit ihrer eigenen Position leugnet – die wichtigsten Ideen zur modernen Architektur seien bereits eine ganze Generation früher von Otto Wagner, Joseph Maria Olbrich und Henry van de Velde entwickelt worden9 – und alles schlecht redet oder schlicht ignoriert, was ihr nicht folgt. Für Schwarz stand hinter der in Gropius verkörperten Moderne ein zynisches Menschenbild, das alles auf seine Kosten-Nutzen-Rechnung runterrechne – wobei die Einnahmen aus diesen Rechnungen nicht bei den Bewohnern liegen. Eigentliches Ziel seines Essays war es, sowohl auf die konzeptionellen Unzulänglichkeiten einer primär auf Standardisierung und Einsparung abzielenden Avantgarde-Theorie mit ihrem maßlosen Anspruch auf totale Planbarkeit, deren Sozialethik in der Sicherung eines allein materiell begriffenen „Existenzminimums“ gipfelte, aufmerksam zu machen als auch die von Schwarz als totalitär wahrgenommenen und gezielt undifferenziert in die Nähe nationalsozialistischer Menschenverachtung gebrachten baupraktischen Folgen etwa im uniformierten Massenwohnungsbau (z.B. die Berliner Siedlungen Siemensstadt und Haselhorst; Siedlung Dammerstock in Karlsruhe)10 zu thematisieren und den faktischen Formalismus hinter einem oberflächlichen Technizismus zu hinterfragen. Schwarz hatte nicht zuletzt angemerkt, dass die Avantgarde des Neuen Bauens nicht einmal ihre konstruktiven und ökonomischen Ansprüche einlöste. In der Tat wurde bei vielen modernen Bauten traditionelles Material wie etwa Backstein eingesetzt, der auch noch verputzt wurde. Diese Kritik, die er mit der Forderung nach Kunst und Schönheit als anthropologische Grundbedürfnisse verband, hatte er im Grunde schon mit den-

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selben Argumenten 25 Jahre früher vorgetragen, auf den Darmstädter Gesprächen 1951 dann erneut. Vielleicht war der Affront gegen eine Institution, deren Stilisierung zur ‚Heiligen Kuh‘ einer vermeintlich anderen Weimarer Kultur schon damals begann und möglicherweise im Jubeljahr 2019 ein neues Ausmaß an Beweihräucherung erreichen wird, auch ein strategisches Mittel, sich Gehör zu verschaffen. Wenn es so gewesen sein sollte, wäre der Schuss nach hinten losgegangen. Schwarz’ Angriff wurde von vielen als Blasphemie wahrgenommen – zumal das Bauhaus mit Verfolgung durch die Nazis und, mit weniger Recht, mit Demokratie konnotiert war. Selbst in seinem eigenen Netzwerk galt er als überzogen. Das von ihm intendierte „Gespräch“ fand nicht statt, dafür hatte er es zu aggressiv begonnen. Bauhaus-Apologeten versuchten ihn vielmehr auf die gleiche Stufe der Diffamierung zu stellen, wie sie NS-Ideologen und NS-Lokalpolitiker in Dessau schon vor 1933 gegen das Bauhaus betrieben hatten. Das freilich war auf Seiten der Bauhaussympathisanten ein Versuch gezielter Verdrängung, denn viele Bauhäusler hatten zwischen 1933 und 1939 mit den Nazis kooperiert und manche aus ihrer Sympathie keinen Hehl gemacht. Hans Dustmann etwa, einst Mitarbeiter von Gropius, wurde HJ-Chefarchitekt. Schwarz, der Leiter der 1934 von den Nazis geschlossenen, hinsichtlich ihrer Moderneansprüche ambitionierten Aachener Kunstgewerbeschule war, verweigerte hingegen jede gestalterische Anpassung, nachdem er beschlossen hatte, statt zu emigrieren den Weg der ‚Einsamkeit‘ zu gehen. Einsamkeit war für ihn die Chiffre für die innere Emigration, die er auch auf Burg Rothenfels, dem am Rand des Spessart gelegenen Zentrum der katholischen Jugend- und Lebensbewegung Quickborn, gegeben sah, wohin er nach Aachen zunächst und erneut ging.11 Und als er seit Juni 1941 im besetzen Lothringen im Auftrag des NS-Regimes als Raumplaner tätig wurde,12 kam es sogar zu Konflikten mit Architekten, die mit den Rationalisierungsideen des Bauhauses den Effizienzanforderungen der Nazis entsprachen. Schwarz und mit ihm Emil Steffann, Alfons Leitl und Rudolf Steinbach, allesamt erfolgreiche Kirchenbauer der 1950er und 1960er Jahre, votierten in den Kriegsjahren für eine an die Landschaft und ihre historischen Bauweisen ange-

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passte Raumplanung, ohne dabei aber das zu realisieren, was nicht erst unter den Nazis Heimatstil-Architektur genannt wurde. Hier wurden sogar Modelle für den später als quer zur Wirtschaftswundermentalität wahrgenommenen rheinischen Kirchenbau der Nachkriegszeit gefunden und erprobt. Umso mehr schien 1953, als das Wirtschaftswunder Fahrt aufzunehmen begann, die Angst, dass jetzt erst die Zeit massenhafter Standardisierung gekommen sei, noch unbegründet. Die Planung der weitgehend betonbasierten Trabantenstädte für eine als Masse begriffene Bevölkerung, die zumal nach der Wohnraumzerstörung sowie nach Flucht und Vertreibung einen riesigen Wohnraumbedarf hatte, sollte erst ein paar Jahre später beginnen. Gerade aus der Perspektive der Bauhaus-Debatte erscheint es als Ironie der Geschichte, wenn sich Gropius mit der nach ihm benannten, seit ca. 1955 geplanten und 1962 begonnenen ‚Gropiusstadt‘ in Berlin mit ihrer menschenunwürdigen Geschossflächenzahl von 1,28 an solchen Massenwohnbaukonzepten beteiligte.13 Einstweilen aber waren mehr oder weniger im Sinne von Schwarz Einfamilienreihenhäuser und niedrigere Zeilen mit Eigentums- und Mietwohnungen angesagt, die materiell und konstruktiv Älteres und Neueres mischten. Für diejenigen, die wie Mies van der Rohe oder Egon Eiermann seiner Meinung waren, verstand sich seine Kritik von selbst, weshalb darüber nicht groß zu reden sei.14 Man müsse zeigen, wofür, nicht wogegen man ist, warf Mies seinem Freund Schwarz vor.15 Diejenigen aber, die Schwarz direkt oder indirekt kritisiert hatte, verweigerten das Gespräch. Doch auch Schwarz’ Versuche, sein Netzwerk für eine Debatte zu mobilisieren, die keine Gropius-Debatte sein sollte, aber auch keine Debatte zum Bauen der Gegenwart wurde, sondern auf der Gegenseite meist nur teils öffentliche, teils private – und mitunter auch peinliche – Loyalitätsbekundungen für Gropius brachte, war nicht der erhoffte Erfolg beschieden.16 Hinzu kam, dass es in diesem Jahr noch eine andere Front in der architektonischen Vergangenheitsbewältigung gab, nämlich in Düsseldorf, wo Schwarz inzwischen an zwei Tagen in der Woche an der

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Kunstakademie Architektur und Städtebau lehrte. In Düsseldorf wurde – mit überregionaler Aufmerksamkeit – eine sehr viel realere und akutere Kontinuität des Nationalsozialismus in der Architektur verhandelt. Im sogenannten ‚Düsseldorfer Architektenstreit‘ wandten sich insbesondere die stark von Schwarz geprägten Architekten Josef Lehmbrock und Kurt Schweflinghaus gegen die erst schleichende, dann offene Etablierung von Architekten aus dem direkten Umfeld von Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer.17 Im Düsseldorfer Architektenring, der gegen den Leiter des Stadtplanungsamtes Friedrich Tamms, einst enger Mitarbeiter Speers, und der von ihm etablierten Seilschaft kompromittierter NS-Planer opponierte, war die Frage, wie sehr totalitäres Denken in Bauhauskonzepten präsent war, eine zweitrangige Frage gegenüber der Frage nach der Schuld von Architekten des Nationalsozialismus sowie gegenüber der Angst, nun in Düsseldorf nach dem Krieg mit einer Architektur überzogen zu werden, wie sie, wie vor allem einige Bankgebäude zeigen, zur architektonischen Repräsentation des Nationalsozialismus eingesetzt worden war, während Düsseldorf vor 1945 davon weitgehend verschont blieb. Obwohl sich Schwarz gerade im Zusammenhang mit der Bauhaus-Debatte unmissverständlich gegen Tamms ausgesprochen hatte,18 scheint er sich insgesamt zurückgehalten zu haben, weil er dann doch zu sehr damit beschäftigt war, den Staub, den er aufgewirbelt hatte, wieder abzuklopfen oder abklopfen zu lassen. Man muss sagen, dass Schwarz nach der fast das ganze Jahr 1953 währenden Bauhaus-Debatte etwas einsam in der deutschen Architektenszene dastand. Und es war wohl kein bloßer Zufall, dass er nach 1953 mit Ausnahme des kleinen Atelierbaus an der Düsseldorfer Kunstakademie nur noch Projekte für die katholische Kirche realisieren sollte, keines davon in Düsseldorf. Aus der für sein Denken und seine Lehre selbst so grundlegenden Gesamtheit in der baukünstlerischen Gestaltung, die von der Raumplanung bis zum Objektdesign reichte, blieb ihm nur der Kirchenbau. Es sollte bis Anfang der 1980er Jahre, 20 Jahre nach seinem Tod, dauern, bis er wiederentdeckt werden sollte. Zwischenzeitlich war die Kritik an der brutalistischen „Unwirtlichkeit der Städte“, wie es Alexander Mitscherlich nannte, virulent geworden.19 Dann begann man sich auf Schwarz’ Denken in kleineren, landschaft-

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lich und stadträumlich angepassten und aufgelockerten Einheiten ohne strikte Funktionstrennung in Wohnen, Arbeiten und Konsumieren zu besinnen – heute gehört, sofern es die neoliberale Städtebauvereinnahmung noch zulässt, was Schwarz mit seiner „Stadtlandschaft“ vor 70 Jahren entwickelt hatte zum städteplanerischen Common Sense.20 Wie im Bauhaus-Streit wurde er auch darin, wie wir noch sehen werden, ziemlich allein gelassen. Diese Einsamkeit durch mangelnde Solidarität, durch das von ihm im Namen eines christlichen Sozialismus scharf kritisierte marktwirtschaftlich diktierte Bauen21 und durch die Beschränkung der in der Architekturkritik zunehmend marginalisierten Bauaufgabe des Sakralbaus ist gleichwohl nicht – oder nicht vorrangig – mit der „Einsamkeit von Rudolf Schwarz“ gemeint, und damit auch nicht der in der Moderne gern bemühte Mythos vom Genie, das von den Herrschenden verkannt wird und das einsam seine auch nur von wenigen Einsamen verstandene Botschaft formuliert. Damit ist nicht ausgesagt, dass ihm die Genieästhetik völlig fremd gewesen wäre. Im Gegenteil, der einsame, weil verantwortungsvolle und daher notwendig hochgebildete Baukünstler ist fundamentaler Teil seiner christlichen Architekturanthropologie.22 Einsamkeit ist das Bedürfnis, sich mit dem Status quo nicht zufriedenzugeben, sie ist eine Möglichkeitsbedingung für die Freiheit und ihren Sinn für Schönheit jenseits einer käuflichen Welt.23 Das Streben zum einsamen Gipfel in einem Leben, dessen Verlauf er mit den geologischen Schichtungen der sich bis in die höchsten Berggipfel bauenden Welt in ein Verhältnis setzt, war ein Lebensmotto Schwarz’ und ein Kernaspekt in seinem gradierten Weltbild.24 Darin wird alles Sein nach dem Bild eines Bergs oder einer – ständisch – gestuften Pyramide entworfen.25 An ihrer Spitze steht die Anbetung, darunter schichten sich Arbeit, Bildung und Politik, die er als unbedingte Werte begriff, die in den Städten bildhaft sichtbar werden müssen. Indes war im Bauhaus-Streit solche Weltanschauung, in der die Luft zweifellos dünn wird, nicht angebracht – und schon gar nicht, wenn bereits die Gegenseite mit dem durch Schwarz blasphemisch verfemten Genie operierte. Wenn er auch weniger bekannt war als Gropius, so war Schwarz doch nicht verkannt, denn seit den späten 1920er Jahren wurde er, da-

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mals gerade mal 30 Jahre alt, überregional wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt leitete er bereits die Aachener Kunstgewerbeschule, für die er ein Programm entwarf, das in das 1929 veröffentlichte Buch Wegweisung der Technik einfloss. Mit ihm setzte die Reihe seiner Bücher ein, die historisch und systematisch auf einem überragenden intellektuellen Niveau eine essentialistische Begründung der technikbasierten Moderne versuchten, die in Konzeption wie Anspruch weit über die Moderne-Apologetik des Neuen Bauens, ja selbst Le Corbusiers hinausgingen. Sie gipfelt wortwörtlich in der Bebauung der Erde, ein in französischer Kriegsgefangenschaft konzipiertes Buch, das er veröffentlichte, als er Generalplaner von Köln war. In dem Buch wird Bauen bis in die Milliarden Jahre alte Geschichte der Natur als Baumeisterin zurückgeführt. Architekturtheoretische Texte schrieb er seit 1920, als er nach seinem Architekturstudium in Berlin nun in Köln und Bonn Philosophie, Theologie, Geschichte und Kunstgeschichte studierte, bevor er, erneut in Berlin, Assistent seines Lehrers Hans Poelzig wurde. Kurz danach holte ihn der damals als wichtigster Neuerer des Kirchenbaus geltende Dominikus Böhm an die Technischen Lehranstalten Offenbach. Von dort war es nicht sehr weit nach Rothenfels, wo die katholische, sich ausdrücklich als nicht bürgerlich begreifende Jugendbewegung Quickborn ihr Zentrum hatte, und wo Schwarz als Burgbaumeister seine ersten Sakralräume realisierte. Zusammen mit dem schon damals berühmten Theologen Romano Guardini war er der intellektuelle Kopf von Quickborn. In der von Schwarz geleiteten Quickbornzeitschrift Schildgenossen, in der auch der spätere Herausgeber der Frankfurter Hefte, Walter Dirks, publizierte, druckte er viele seiner frühen Aufsätze ab. Deutschlandweite Aufmerksamkeit erlangte er 1927, als er mit Böhm den Wettbewerb für die Frauenfriedenskirche in Frankfurt gewann, dem wichtigsten Kirchenwettbewerb während der Weimarer Republik. Bald danach erfolgte die Ernennung zum Leiter der Kunstgewerbeschule in Aachen, wo seine 1928 begonnene Kirche zum radikalsten Statement im damaligen Kirchenbau wurde und kontroverse Reaktionen provozierte. 1931 war er bereits Mitglied im Vorstand des Deutschen Werkbunds, der wichtigsten und aufgrund ihrer industriellen Förderer einfluss-

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reichsten Vereinigung moderner Architekten und Designer. 1932 holte man ihn in die Jury zu einem Kirchenbauwettbewerb in die Schweiz, wo er zum Vorbild für einige der wichtigsten jungen Architekten des Landes wurde.26 Enge Kontakte hatte er weiterhin nach Berlin. Er stand bis an sein Lebensende in Verbindung mit dem von Nazis entlassenen, in die USA emigrierten, sozialdemokratischen Berliner Stadtbaurat Martin Wagner und insbesondere mit dem ebenfalls 1938 emigrierten Mies van der Rohe, der Texte von ihm in den USA übersetzen ließ und der das „unvergleichlich tiefe Denken“ und die „einzigartige Größe“ seines Freundes schätzte.27 Zu dritt entwickelten sie Anfang der 1930er Jahre die Idee einer Ausbildungsstätte, die besser sein sollte als das Bauhaus.28 Mies, damals Direktor des Bauhauses, hatte jedenfalls keine Probleme mit Schwarz’ Bauhaus-Kritik. Nicht erst nach dem Krieg, als er zunächst oberster Stadtplaner beim Wiederaufbau von Köln, und im Anschluss daran bis zu seinem Tod 1961 an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte, war es eine Begegnung auf Augenhöhe mit Mies. Der architekturgeschichtliche Bewertung von Rudolf Schwarz nicht nur als bedeutendster Kirchenbauer des 20. Jahrhunderts, sondern auch als Stadtplaner und Architekturtheoretiker begann gleichwohl erst – nach einigen Anläufen zu seinem 20. Todestag29 – seit den 1990er Jahre deutlicher Konturen anzunehmen. Publikationen, die sich mit seinem bildenden Denken und denkenden Bauen befassen, nehmen seither stetig zu. Wissenschaftliche Monographien stehen inzwischen kaum noch hinter entsprechenden Büchern zu Mies oder Le Corbusier zurück.30 Im Mittelpunkt stehen dabei seine Kirchenbauten, die etwa 60 % seines Werks ausmachen. 31 Kirchen baute er von Grund auf, die meisten davon nach dem Krieg, hinzu kommen drei Dutzend Kirchenumbauten, neun Wiederaufbauten, darunter die Frankfurter Paulskirche, sowie Planungen für weitere 33 Kirchen. Trotz der großen Zahl an Kirchen und trotz seines Rufs als international vernetzte Autorität auf diesem Gebiet steht Schwarz’ Position nicht für den Common Sense im Kirchenbau der Nachkriegszeit. In den 30 Jahren nach 1945 wurden in der Bundesrepublik vermutlich mehr Kirchen gebaut als insgesamt auf dem entsprechenden Territorium zwischen der Spätantike und der Moderne. Das lag nicht nur am

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Bombenkrieg und der Flüchtlingswelle, sondern auch am Konzept der kurzen Wege und der kleinen Gemeindeeinheiten, ja Gemeinschaften, die man nun der Volksgemeinschaft und ihren Massenchoreographien entgegensetzen wollte. Die Kirchen sahen jetzt – auch zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit – ihre Stunde geschlagen. Dabei war die westdeutsche Industrieregion wie schon in der Zwischenkriegszeit besonders hochrangig vertreten. Und Schwarz war ihre zentrale Figur. Neben ihm trugen Dieter Baumewerd, Josef Bernard, Heinz Bielefeld, Dominikus und Gottfried Böhm, Günter Kleinjohann, Johannes Krahn, Josef Lehmbrock, Alfons Leitl, Stefan Leuer, Nikolaus Rosiny, Paul Schneider-Esleben, Hans Schilling, Kurt Schweflinghaus, Hans Schwippert, Joachim Schürmann, Emil Steffann, Fritz Schaller, Rudolf Steinbach und Karl Wimmenauer zum Weltruf der katholischen Sakralarchitektur an Rhein und Ruhr bei. Sie alle hatten entweder direkt mit Schwarz zusammengearbeitet oder waren für Mitarbeiter von ihm tätig. Schwarz war der wichtigste Impulsgeber dieser Gruppe von rheinischen Architekten, die auch im Ausland, insbesondere in Frankreich, in der Schweiz und in den USA als stilbildend im Bereich des modernen Kirchenbaus wahrgenommen wurde. In der Fülle des baulichen Bestands scheint es ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Längs-, Zentral- und Querbauten im Nachkriegskirchenbau zu geben. Man kann sie als funktionale Raummodelle sehen und sie, wie des Öfteren geschehen, als symbolische Formen einer Teleologie des modernen Sakralraums lesen. In einer Art von Selffulfilling Prophecy der Liturgischen Bewegung aus dem ersten Jahrhundertdrittel münden sie in eine neue, ansatzweise auch demokratische Kollektivität der Kirchgänger, wie sie das Zweite Vatikanum dann offiziell sanktionierte. Kleine gemeinschaftsbildende, zentriert auf den Altar als Messopferort bezogene Einheiten waren nun angesagt, und nicht mehr die militärisch akkurate Aufstellung hintereinander in Reih und Glied. Schwarz indes verstand die Raumtypologien der neuen Kirchenbauten, die formal oft experimenteller und avancierter waren als Hauptwerke andere Bauaufgaben, eher als Diskursmedien einer gebauten Theologie denn als aktivierende Medien einer emanzipierteren Partizipation an der Messe. Für ihn waren Längs- und Zentralbauten zwei grundsätzli-

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che Weisen nicht nur von Kirchen, sondern von Architektur überhaupt. Grundsätzliche Weisen, und doch weit weniger unterschieden als es aussehen mag, weshalb er die kleineren zentrierten Bauten auch weniger als Medien und Symbole der ihr von der liturgischen Bewegung zugeschriebenen Erwartungen eines Aufbruchs des Katholizismus begriff. In seinem existentialistischen, mit der liturgischen Bewegung nur teilweise kompatiblen Katholizismus war Schwarz – und erst recht nach der NS-Zeit – davon überzeugt, dass Menschen nicht in der Gemeinschaft erlöst werden, selbst wenn sie wie im Gottesdienst befristet Gemeinschaft erleben. Gleichwohl war für ihn Gemeinschaft von überragender Bedeutung. Die Wörter ‚gemeinsam‘, ‚Gemeinschaft‘, ‚Gemeinde‘ kommen in seinen Schriften hunderte Male vor. Sie sind bei ihm schon deswegen viel häufiger als ‚einsam‘, weil im Gemeinsamen Architektur schlechthin begründet sei. Die Qualität von ‚einsam‘ jedoch ist höher: Menschen können nicht im Kollektiv erlöst werden, weil sie wesentlich einsam sind. Kollektive waren ihm verdächtig, die rechten noch mehr als die linken. Einsamkeit ist bei Schwarz ein Begriff, der sich gegen kollektivistische Homogenisierung und Disziplinierung richtet und doch aus anthropologischer Notwendigkeit nach seinem Gegenwort gemeinsam verlangt. Einsamkeit ist für ihn primär kein soziales Defizitphänomen, wie es etwa im gesellschaftlichen Umgang mit alten Menschen ethisch moniert wird. Für Schwarz wäre dieser zwar ein Musterbeispiel für eine verfehlte Organisation des Sozialen in einer materialistischen Welt. Indes kann gegen solche Einsamkeit das Gemeinsame mobilisiert werden. Nicht aber gegen den Tod, der Teil dieser Einsamkeit ist. Einsamkeit und Endlichkeit des Menschen hängen für ihn direkt zusammen. Die Einsamkeit schlechthin aber ist Gott. Daher ist die Erfahrung von Einsamkeit im äußersten Fall die mystische Erfahrung der kosmologisch unendlichen „All-Einigkeit alles Geschaffenen“,31 der Unendlichkeit der Schöpfung, ist mithin Gotteserfahrung.32 Bevor es soweit ist, ist Einsamkeit auch für Schwarz zunächst einmal eine anthropologische, existentielle, gottgegebene Tatsache, die sowohl dem Gemeinsamen vorausgeht als auch einen Punkt erreicht, wo das Gemeinsame nicht mehr hinreicht – und zwar im doppelten

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Wortsinn. Einsamkeit ist eine der anthropologischen Voraussetzungen schlechthin für Architektur und ergänzt sich mit dem Begriff der Not, der materiellen ebenso wie der geistigen. Beide, Einsamkeit und Not, sind dem Menschen qua Geburt und qua Tod ureigen und er muss auch um der eigenen Freiheit willen lernen sie zu verstehen und zu akzeptieren.33 Zugleich ist diese Erkenntnis die Voraussetzung für Bindungsfähigkeit,34 damit es gelingen möge, beide zu minimieren – gänzlich entkommen kann der Mensch ihnen in dieser Welt nicht, nicht einmal durch die Liebe.35 Wenn Menschen sich zu Gemeinschaften zusammenschließen, können sie sich das Leben zumindest erleichtern. Unverkennbar schwingt hier die Mischung aus Solidarität und Subsidiarität der katholischen Soziallehre mit. Der materielle Ausdruck solcher Bindungen sei die Stadt, die wiederum in ihren Kirchen gipfelt. Nicht von ungefähr, das nur nebenbei, zog er Kirchen mit Kirchtürmen vor – Kirchtürme als die einsamen Gipfel der Stadt waren für ihn unabdingbares Medium für eine Stadt als Bild. Architektur wird zwar erst notwendig jenseits des Einzelnen – in ihren Gipfeln führt sie aber wieder in die Einsamkeit zurück. Diese Gipfel sind nicht zuletzt dort, wo jeder Zweck von Architektur hinter sich gelassen und diese als Baukunst in einer mystischen Höhe ins Poetische gewendet wird.36 Darin ist zugleich ausgedrückt, dass Architektur sich weit über diese Plan- und Berechenbarkeit der Zwecke hinaus erheben muss. Schwarz’ Aversion gegen die Allmachtphantasien totaler Planbarkeit von Welt als die Hybris schlechthin der Avantgarde, wie er sie wahrnimmt, mithin seine abgrundtiefe Abneigung des Funktionalismus, ist wiederum im Einsamen als dem Besonderen begründet.37 Architektur beginnt, wie gesagt, erst dort, wo das Sein über den Einzelnen hinaus- und in die Gemeinschaft übergeht, mag sie sich auch wieder ins Einsame erhöhen: „Das große Werk meint nicht den einzelnen als Einsamen, sondern die Gemeinde der Menschen und in ihr jeden einzelnen als Teilhaber.“38 Als Kunst für den neuzeitlichen Subjektivismus sei sie nicht geeignet.39 Eine solche Aussage wiederum verweist auf eine grundsätzliche Verfasstheit von Welt, denn Einsamkeit ist nie total, weil alles Seiende immer auch von anderem Seienden umgeben ist: „Kein Ding ist ja ganz einsam in seinem Standort, jedes hat um sich den andern, unendlichen Körper, mit dem es sich in das All weitet.“40

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Umso mehr gilt die Forderung nach einer schützenden Architektur für die Menschen in bestimmten historischen Konstellationen wie etwa der politischen Situation nach 1945: Einsamkeit meinte nicht zuletzt auch den Menschen, der unterwegs ist als Pilger, der nicht fest behaust ist, aber sich ins „Heimliche“ sehnt. Heim, Heimat und das Heimliche denkt Schwarz über die Etymologie eng zusammen. In einer Situation der Migration von Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen hatte dieses Konzept eine ganz andere Dringlichkeit als sie in der existentialistischen Situation an sich schon gegeben ist. Nach dem Krieg gelte es erst recht „dem Vereinsamten Heimat“ zu schaffen.41 Abbildung 1: Diagramm der Stadt als Netz um die vier Bereiche, körperliche Arbeit, geistige Arbeit, Politik und Religion.

Quelle: Rudolf Schwarz, Von der Bebauung der Erde, S. 198.

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Der Wechselseitigkeit von einsam und gemeinsam entsprach bei Schwarz auch der Gegensatz und die Ergänzung von Heim und öffentlichem Bau als zwei von vielen Perspektiven der Stadt, die er sowohl theoretisch zwischen morphologischer Konkretheit und äußerster diagrammatischer Abstraktion entwickelte als auch in seiner Funktion als oberster Stadtplaner in Köln – wenn auch nicht mit vollem Erfolg – umzusetzen versuchte. Sein gegen die CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) als dem Forum der Städteplanung der Avantgarde gerichtetes Konzept beruhte auf der Überzeugung, dass sich Stadt nicht in einer strikten Separierung in die letztlich statischen Bereiche Wohnen, Arbeit, Konsum, Freizeit, politischer und sakraler Repräsentation aufspalten darf.42 Schwarz’ Begriff für die dichte und komplexe Vernetzung (Abb. 1) in der Organisation des komplexen Gemeinschaftsgebildes namens Stadt war „Stadtlandschaft“. Der für Schwarz’ Denken zentrale Begriff hat eine schöpfungstheologisch und anthropologisch begründete allegorische Dimension weit über die Mischung aus Stadtgrün und Bebauung hinaus. Gemeint ist aber auch und zunächst ganz pragmatisch ein organizistisch konzeptualisiertes, städtebauliches Umsetzungsmodell –  ein zweifellos ziemlich rheinisches, ja kölsches Modell mit tatsächlich außergewöhnlich hoher Akzeptanz. Es fokussiert einerseits die Integration von materieller und immaterieller Arbeit – darunter ragen die politischen, administrativen und spirituellen Zentren heraus – in die überall bewohnte, komplexe Stadt und andererseits die Anordnung von Vierteln um die Kirchspiele. Zusammen bilden sie die vielen kleinen und wenigen großen Gipfel im Gebirge einer Stadt. Die geologische und biologische Welt vor dem Beginn der Menschheit liefert dabei das Bilderarsenal von Schwarz’ Welt-Bild. Stadt wäre demnach eine Mischung aus sternförmiger Zentrierung und dezentraler „Austeilung“ mit viel Grün, ohne durch das Grün den Stadtcharakter zu unterminieren. Dabei plädierte Schwarz expliziter als die meisten, die an der im Winter 1946/47 geführten und unter dem Titel Kirchen in Trümmern publizierten Debatte beteiligt waren (Architekten, Denkmalpfleger, Pfarrer, Museumleute, Kunsthistoriker, Künstler, Politiker) dafür, dass die mehr oder weniger zerstörten mittelalterlichen Kirchen Kölns nicht

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zu vermeintlichen Originalzuständen rekonstruiert werden, sondern flexibel gemäß ihres Zerstörungsgrades in modernen Techniken und Formen gesichert werden sollen, damit die Sichtbarkeit der Zerstörung zugleich ein Mahnmal gegen Nationalsozialismus und Bombenkrieg sei. Im Falle von St. Alban unmittelbar neben dem Gürzenich gelang ihm ein solches neues Denkmalverständnis in einer bis heute sichtbaren überragenden Weise (Abb. 2).43 Abbildung 2: Von Rudolf Schwarz inszenierte Ruine von St. Alban neben dem Gürzenich in Köln.

Fotografie: Jürgen Wiener.

Für die zerstörten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchen Kölns sollte sich hingegen die konsequente Rekonstruktion durchsetzen, für die sich damals nur einer ausgesprochen hatte: Konrad Adenauer, der sich vehement gegen eine differenzierte Position zwischen Bekenntnis zur jüngsten Geschichte und Anpassung an eine verstärkt technologisch bestimmte Zukunft wehrte. Er tat dies ausschließlich mit pragmatischen Gründen, die wenig mit städtischer Identität, noch we-

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Abbildung 3: Wallraf-Richartz-Museum (heute Kunstgewerbemuseum) am ehemaligen Kreuzgang der Minoritenkirche in Köln.

Fotografie: Jürgen Wiener.

niger mit Christentum, aber viel mit dem wirtschaftlichen Aspekt der Stadt zu tun haben. Pessimismus und Bußgesinnung seien fehl am Platz – „Anfangen und arbeiten“ respektive „Anfangen, Voranmachen“ lautete die von ihm ausgegebene Devise gegen „unsere typische deutsche Eigenschaft, Dinge doch sehr schwer und kompliziert zu nehmen.“44 So durchdrangen sich hier lokale Debatten zur Schönheit des Stadtbildes mit den weltpolitischen Visionen des ehemaligen Oberbürgermeisters und künftigen Kanzlers. Heute wissen wir, dass dieses Programm Jahrzehnte in Anspruch nehmen und sehr große Summen verschlingen sollte, die gerade in den frühen Jahren für dringlichere Aufgaben hätten eingesetzt werden können. Adenauers Konzept wurde durchgezogen ohne große Debatten über Ökonomie und Authentizität. Mischlösungen betrafen nur historistische Kirchen, denen ohnehin abgesprochen wurde, authentisch zu sein. Dass dabei das Ergebnis gelungener sein

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konnte als der Ursprungsbau, zeigen die von Schwarz wiederaufgebauten Marienkirchen in den Kölner Stadtteilen Mülheim und Kalk. Schwarz wurde in seiner auf Ausgleich bedachten Stadtplanung sicherlich nicht genug unterstützt – doch einsam zu sein war, wie gesagt, für ihn kein Problem, sondern Bedingung für Zukunft. Gegner waren zum einen Architektenkollegen, die ihm seine vertraglich ausbedungene Erlaubnis, auch freiberuflich arbeiten zu dürfen, neideten, und zum anderen und vor allem die Industrie und die ihr gefügige Politik, die autogerechte Strukturen wünschten. Solche Strukturen wurden nicht zuletzt in den Wiederaufbauplanungen um 1943 durch Speer und seine Architekten entwickelt sowie in personeller und konzeptioneller Kontinuität beispielsweise in der Stadtplanung von Hannover und Kassel oder in modifizierter, nachkriegsmodernerer Weise in Düsseldorf umgesetzt.45 In Köln schien die autogerechte Stadt umso legitimer, als dort die von Adenauer 1929 nach Köln geholten Fordwerke eines der anschaulichsten Signale für die Einbindung in das von den USA dominierte westliche Wirtschaftssystem waren. Stadtplanerisch sehr weitsichtig setzte Schwarz auf eine differenzierte, auf Ausgleich bedachte, nicht binär argumentierende, sondern die Komplexität bedenkende Position. Er favorisierte weder das Konzept der tabula rasa, bei dem der Anachronismus vormodernen Städtebaus zugunsten einer monokausal argumentierenden Funktionstrennung beseitigt werden konnte – auch hier gab es, wie Schwarz in den Kriegsjahren in Lothringen erfuhr, Schnittstellen zwischen den rationalistischen Uniformierungstendenzen der Avantgarde und nationalsozialistischer Stadtplanung – noch die stillstellende, heimatstilistische Stadtkosmetik wie in Münster und Freudenstadt, die in ihrer retrospektiven Romantik so tat, als wäre nichts gewesen. Zur Geschichte und damit zur Erinnerungspolitik einer Stadt gehörten für Schwarz auch ihre Wunden, ja die Schönheit der Verletzungen, in denen Wesentliches sowohl von menschlicher Existenz als auch von Geschichte sichtbar wird, wie auch der Maler Georg Meistermann hervorhob, der später Schwarz’ Kollege an der Kunstakademie wurde und für eine Reihe von Schwarz’ Kirchen die Glasfenster entwarf.46

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Schwarz plädierte für eine ortsspezifische Verbindung von Alt und Neu, wie er sie mustergültig am Ensemble von Gürzenich/St. Alban und am einstigen Wallraf-Richartz-Museum an der Franziskanerkirche (Abb. 3) realisieren sollte. Nicht historische Anpassung intendierte er, sondern integrative Vereinbarkeit der je eigenen Schönheit innerhalb eines gewachsenen und weiter wachsenden Stadtbilds. Er strebte eine die Vielzahl der Akteure vermittelnde Position an, die die Bedürfnisse einer technologisch definierten Zivilisation berücksichtigt, die aber die Innenstädte nicht entvölkert, sondern bewohnbar hält – bewohnbar für vor allem Familien als Kern von Gemeinschaft in der Gesellschaft, Abbildung 4: Der offene Ring in seiner simplen Form.

Quelle: Rudolf Schwarz, Vom Bau der Kirche, S. 121.

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rund um die Kirchen als Zentrum, versteht sich, und keinesfalls in anonymen Massenwohnungsbauten.47 Folglich sprach er sich, obwohl er alles andere als ein Gegner des Autoverkehrs war,48 lange bevor dieser als ein die Lebensqualität von Städten minderndes Problem kritisiert wurde, für verkehrsberuhigte Zonen aus, während die Stadtplanungen in einigen Großstädten nach den unter Speer entwickelten Konzepten breite und möglichst gerade Achsen in den Zentren vorsahen, die ebenso autogerecht wie aufmarschgerecht waren und auf eine militärische Kontrollierbarkeit zielten. Abbildung 5: Der offene Ring als Urplan mit den Kichenbenutzern als offene Ringe.

Quelle: Rudolf Schwarz, Vom Bau der Kirche, S. 55.

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Trotz der Widrigkeiten waren Schwarz’ Ideen nachhaltiger, als er es selbst wahrgenommen haben dürfte. Es war zwar gewiss nicht in seinem Sinn, dass er sich ab 1953 weitestgehend auf den Kirchenbau konzentrieren musste, aber es war vielleicht im Sinn der Architekturgeschichte, denn hier waren die Bedingungen dafür, dass sein Denken in Bildern materielle Gestalt annehmen konnte, weitaus besser als in seiner Stadtplanung. Das Zeichen schlechthin für die Dialektik aus einsam und gemeinsam ist der offene Ring, der wiederum auch das präferierte Prinzip seiner Kirchenkonzeption war (Abb. 4 und 5). Und aus ihm heraus entwickelte er seine Bilder, über die er das Surplus des Poetischen gegenüber dem Zweck gewann und die überhaupt erst einen Kirchenbau legitimieren – und nicht die Tatsache, dass man für die Liturgie einen Raum braucht, denn Räume gibt es überall. Mit dieser Meinung war er weit vom katholischen Mainstream entfernt. Ja er benutzte sogar ein protestantisches Argument, um die spezifische Heiligkeit des Ortes eines katholischen Baus zu schärfen. Diese Bilder sind nach dem Krieg andere, wenn auch nicht grundsätzlich andere, als davor. Wir kommen hier zum so schwer greifbaren, weil flottierenden Kern des genuin bildlichen Denkens von Schwarz – Architektur war für ihn bildende Kunst. Ausdruck dafür sind die Graphiken, die im Zentrum seines architekturtheoretischen Buches zum Kirchenbau stehen. Vom Bau der Kirche erschien 1938, konnte seine Wirkung aber erst nach 1945 entfalten. Es ist teilweise weit jenseits dessen angesiedelt, was die um gottesdienstliche Gemeinschaft bemühte Liturgische Bewegung – und mit ihr das sie zusammenfassende Zweite Vatikanum – als Begründung für moderne Kirchen aufbot. Seine als Urbilder begriffenen Graphiken halten eine eigenwillige Schwebe zwischen Diagramm, Grundriss, Symbol, Bild und Sitzverteilung. In Schwarz’ gestuftem Weltbild gehören diese Aspekte unlösbar zusammen und sind nicht ohne die Graphiken in Von der Bebauung der Erde zu verstehen, ein Buch, das tatsächlich als Fortsetzung zu Vom Bau der Kirche geplant war und eigentlich und durchaus konsequent Vom Bau der Welt hätte lauten sollen. Demnach baut die Natur selbst als Baukünstlerin der Erde, bevor der Mensch in diese Welt bildend eingreift.49 Die bebaute

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Erde, wie sie Schwarz begriff, gipfelt geologisch in eisigen Bergeshöhen und hinsichtlich der „Urbewegung des Geistes“50 in den Kirchen. Die Urbilder sind sieben unterschiedlich in der Wirklichkeit verankerte Denkmodelle zu grundsätzlichen Raum-Benutzer-Konstellationen, in denen die Beziehung von Mensch und Gott sakralbaulich verhandelt wird. Diese Bilder haben kurze Titel, die deutlich machen, dass bereits auf der diagrammatischen Ebene von leiblichen Relationen Phänomene aufscheinen, die metaphorisch auf Formulierungen wie ‚Der lichte und der dunkle Kelch‘, ‚Der Weg‘, ‚Das lichte Gewölbe‘ gebracht werden. Unter den Bildern spielt der offene Ring eine herausragende, sein Welt-Bild verdichtende Rolle, ist er doch Zeichen sowohl für den an sich einsamen und zugleich – um es mit Max Scheler und Helmuth Plessner zu sagen51 – exzentrischen Menschen als auch für Schwarz’ bauliches Idealbild. Das Zusammenklingen vom Kleinen und Einzelnen mit dem Großen und Ganzen ist bei Schwarz konstitutiv. Für Schwarz ist der Mensch einerseits zwar einsam, andererseits ist er aber auch offen auf andere und Anderes und letztlich auf die ganze Welt ausgerichtet. Dieses Sich-Öffnen ist in der Philosophischen Anthropologie mit dem Exzentrischen der Existenz gemeint. Der offene Ring symbolisiert die Verbindung von Zentrierung und Richtung, Endlichkeit und Ewigkeit, Begrenztheit und Vollendung, Bewahrung und Verausgabung, von Ich und Welt, von einem gerichteten und daher wertenden Leib und einer komplementären, ebenso prekären Welt, in der alles Geschöpfliche enthalten ist.52 Folglich wird aus dem leibanthropologisch begründeten exzentrischen Menschen das Modell für dessen höchste Tätigkeit: die Anbetung. Schwarz übertrug den offenen Ring auf das Kirchengebäude, wo der Altar zwar ein zentraler Ort ist, doch jenseits davon führt der Weg zur Unendlichkeit und Unfassbarkeit Gottes. Der offene Ring ist eine Absage an Konzepte, bei denen sich die Gemeinde um den Altar sammelt und allein auf ihn hin ausgerichtet ist. Der offene Ring meint immer den gerichteten Einzelnen, der sich über den Altar hinaus mit Gott in ein Verhältnis setzt. Daher widerspricht der offene Ring nicht den von Schwarz bevorzugten Längskirchen, die die „Einsamkeit in der Gemeinschaft“53 zum

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Bild haben und die der Realität in der modernen Welt mehr entsprechen als ein durch Gemeinschaft generiertes Lebensglück.54 Auch in Kirchen sind Menschen allein, andererseits müssen Kirchen gewährleisten, dass sich Menschen, selbst wenn sich dort niemand sonst befindet, nicht einsam, sondern Gott nah fühlen.55 Daher ist für Schwarz die Frage nach Längs- oder Zentralbau letztlich eine nachgeordnete. Implizit wird hier deutlich, dass er sich bei dem Begriffspaar ‚Gemeinschaft vs. Gesellschaft‘, wie es ebenfalls bei Scheler und Plessner entfaltet worden war, keineswegs einseitig auf die Seite der Gemeinschaft geschlagen hatte. Selbst die von ihm nach dem Idealtypus des offenen Rings entworfenen Anlagen mit kreuzförmiger Formation um den Altar wie in Essen (Abb. 6) oder Saarbrücken sind Längsbauten, selbst wenn die Wände kurviert sind. Dass Schwarz damit christozentrischen Choreographien in der Regel eine Absage erteilte, machte ihn verdächtig und angreifbar. Das gilt nicht minder für seine Aversion gegenüber einem modernen, irrational numinosen Religionsbegriff in der Nachfolge Rudolf Ottos, der trotz – oder gerade wegen? – der suggestiven Lichtinszenierungen der Nazis in den 1950er und 1960er Jahren hinter vielen Kirchenneubauten durchscheint. Außerdem kokettierte Schwarz im Kirchenbau weder mit einer plakativen konstruktiven Einfachheit noch mit bautechnischen Bravourstücken. Angreifbar war er aber auch, weil er selbst ein Angreifer war und keine Polemik scheute. Sein Habitus eines differenzierten Dazwischen oder auch eines Jenseits der Pole provozierte Missverständnisse, weil sein Denken und die besondere Sprache seines Denkens eine Herausforderung war – selbst für engste Freunde wie Romano Guardini.56 Sowohl zum Verständnis der spezifischen geschichtlichen Konstellation als auch als Bedingung für eine Frage, was Schwarz’ Beitrag über seine Werke hinaus für die postume Welt sein könnte, erscheint es umso dringlicher, seine Position als überragenden Kirchenbauer und Architekturtheoretiker seiner Zeit schärfer zu profilieren. Diese Profilierung richtet sich sowohl innerkirchlich gegen eine geschichtsverdrängende Teleologie des modernen Kirchenbaus zwischen liturgischer Bewegung und stimmungsvoller Schein-Heiligkeit im Vorfeld des Zweiten Vatikanums als auch gegen die Politik der Verdrängung und

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Abbildung 6: Rudolf Schwarz, St. Andreas in Essen-Rüttenscheid, Innenansicht.

Fotografie: Jürgen Wiener.

der Integration in den Materialismus der kapitalistischen Neuindustrialisierung. Als Stichworte seien genannt: Neubauten auf der Materialbasis zerstörter Kirchen (St. Anna in Düren; St. Albertus Magnus in Andernach) (Abb. 7) oder mit Steinen aus einem Konzentrationslager (Werktagskapelle von St. Theresia in Linz), sodann die historisch und menschlich sensible Stadtplanung in überschaubaren Einheiten statt der statischen Funktionsseparierung der Avantgarde. Selbst innerhalb des modernen Kirchenbaus seines engeren Netzwerks blieb Schwarz nach dem Krieg sperrig. Er passte weder in die moderate Moderne Dominikus Böhms noch in die Architektur der Armut und Demut wie bei Steffann, in der Buße vielleicht weniger praktiziert als signalisiert wurde und wo Entnazifizierung vielleicht zu leicht zu haben war, noch – trotz kapitalismuskritischer Ansichten – zu dem Linkskatholizismus eines Josef Lehmbrock, noch in die skulptural

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Abbildung 7: Rudolf Schwarz, St. Albertus Magnus in Andernach.

Fotografie: Jürgen Wiener.

informelle, archaistische Stimmungsarchitektur aus Farbe und krummen Wänden, noch in die Fortsetzung des eigenen Neuen Bauens. Er passte nicht in diese Schubläden und hatte doch mit allen Berührungspunkte. Er passte nicht, weil seine Räume mit binären Oppositionen wie konservativ-progressiv, aber auch wie Geist-Körper, Emotion-Intellekt, Individuum-Kollektiv, Unbewusstes-Reflexion, negative Theologie-sublime Irrationalität, Einsamkeit-Weltbejahung hinsichtlich von Stilentwicklung, Material und Materialität, liturgischen Konzepten, Form und Semantik, Rezeption und Partizipation nicht hinreichend erklärt werden können. Schwarz’ leibanthropologischer Ansatz war komplexer, weil er Gegensätze immer auch als komplementär begriff. Viel wichtiger als die Bedienung von liturgischen Funktionen durch die Neue Sakralarchitektur – auch für den Kirchenbau galt der funktionalistische Imperativ – war für den Antifunktionalisten Schwarz eine Architektur, die ‚Bau-Kunst‘ ist. Das war sie für ihn, wenn sie – im Ton nicht frei von der Diktion katholischer Inquisition – über die mate-

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Abbildung 8: Rudolf Schwarz, St. Josef in Köln-Braunsfeld: Bild der Kutte.

Fotografie: Jürgen Wiener.

rialistischen „Irrlehren“ von Funktionalismus, Konstruktivismus und Technizismus hinausging und poetisch, spielerisch wurde.57 Grundlage waren seine sogenannten Urbilder und Mittel seiner Architekturpoetik waren von ihm ausgeführte gebaute Bilder. Wieder kommt dabei das Wort Einsamkeit ins Spiel.58 Bilder in Sinne von Schwarz sind notwendig, weil die Architektur selbst und ebenso der Architekt als

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Bau-Künstler einsam geworden sind. Einsam sind sie, weil das Zusammenklingen aller Künste, die Einheit von Baukunst, Bildkünsten und Ornament nicht mehr gelinge – das war auch gezielt gegen das Programm des Bauhauses gesprochen – und historische Modelle nicht zurückgeholt werden können. Die Sehnsucht nach den Bildern müsse folglich aus der Architektur selbst heraus befriedigt werden: Die reformiert anmutende, scheinbare Bilderlosigkeit in Schwarz’ Kirchen ist kein Ikonoklasmus aus einem vermeintlich von Gott selbst geforderten Bilderverbot, sondern versucht im Gegenteil dem Verlangen nach Bildern, dem aber applizierte Bilder der Moderne nicht genügen, „wortkarg“ gerecht zu werden. Schwarz wollte nicht weniger, sondern mehr Bild. Diese Bilder sind keine Gemälde oder Skulpturen, die einem Bau integriert werden, sondern sie sind materiell mit dem Bau identisch. ‚Bau-Kunst‘ muss für Schwarz so autonom sein, dass sie auch über das Konzept der Kunst am Bau erhaben ist, mit dem einer an sich widersprüchlichen, weil einerseits autonomen und andererseits funktionalen Architektur Bildende Kunst an- oder zugefügt wird. In der Radikalität dieses architektonischen Bildbegriffs stand er ziemlich einsam da. Die Fronleichnamskirche, Inkunabel schlechthin einer Kirche aus dem Geist des Neuen Bauens, sollte Schwarz zufolge nicht nur Herrenleib heißen, sondern auch sein. Schwarz begründete detailliert, warum diese kahle Kirche ein Bild der Trinität und insbesondere der Mittlerstellung Christi zwischen Gott und der Welt sei.59 Diese auf den dogmatischen Kern des Christentums zielende Bildhaftigkeit begegnet jedenfalls nach dem Krieg nicht mehr. Wir haben nun Bilder, deren Titel Kristall, Teppich, Kutte (Abb. 8), Rose, Schlucht, Krone, Brücke (Abb. 9) und immer wieder Baum, Wald und Blume lauten. Es sind dies einfache Begriffe, die nicht nur stärker in der Welt und insbesondere in der Natur verortet, ja geerdet sind als die Trinität,60 sondern in denen auch Schwarz’ Welt-Bild als ein In-der-Welt-Sein zwischen Licht und Dunkel, zwischen den Tiefen der Erde und ihren höchsten Gipfeln deutlich wird. Es ist ein letztlich kosmologisches Weltbild, das auf der Geschichtlichkeit als Geschichtetheit und Geschöpflichkeit alles Seienden beruht sowie auf seiner leibanthropologischen Auffassung eines Austausches von Mensch und Welt, nicht nur –

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darin ganz modern naturwissenschaftlich – weil Mensch in Raum und Zeit über die Atome verbunden sind, sondern auch weil, wie im Offenen Ring symbolisiert, die unvollständige, einsame, exzentrische Existenz der Ergänzung bedarf. Er begründet dies schöpfungstheologisch, denn es habe „lange vor der Baukunst des Menschen eine Baukunst der Erde gegeben.“61 Eine Konsequenz daraus lautet, dass Religion nicht zuletzt Verantwortung gegenüber der Erde bedeutet statt Suspension von der Realität im Irrationalen und sich nicht in Stimmungsräumen, in denen Erleuchtung und Beleuchtung verwechselt werden,62 erschöpft. Damit plädierte er für eine Haltung, die immer weniger mehrheitsfähig wurde. Abbildung 9: Rudolf Schwarz, St. Florian in Wien: Bild der (Hänge-)Brücke.

Fotografie: Jürgen Wiener.

Fotografie: Jürgen Wiener.

Durchgesetzt hat sich die geschichtsvergessene, dem liturgisch bewegten Mainstream entgegenkommende Stimmungsarchitektur in der Nachfolge von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp, die selbst Ronchamp, die selbst die für sie verwendeten Trümmersteine versteckt. Solche Bauten, die noch nicht einmal das leisten, was sie leis-

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ten möchten, würden nur „unbestimmte Gefühle erregen, die dann als numinos ausgegeben werden und es doch nicht sind.“63 Für ihn war der Le Corbusier-Bau das perfekte Dispositiv des Sich-Versteckens in einer neuen Eigentlichkeit und Innerlichkeit der Religion, ohne Stellung zu beziehen, ohne die Frage nach der Schuld zu stellen. Schwarz’ Bauen implizierte aber immer die Frage nach der Verantwortung gegenüber Geschichte, Natur und Kultur. Schwarz versuchte sich nicht nur innerhalb des katholischen Kirchenbaus zu positionieren, sondern stellte auch die ökologische Frage nach einer menschlichen und nachhaltigen Architektur unter den Bedingungen von Verdrängung, Wiederaufbau und beginnenden Wirtschaftswunder. Dazu gehört nicht nur die Erinnerungsarbeit – welche „Bilder“ gelingen noch angesichts der Katastrophe des Weltkriegs, des Holocausts, des Bombenkriegs –, sondern auch die Frage nach Alternativen zum Nachkriegskapitalismus, ohne in die Falle einer Ost-West-Dichotomie zu tappen. Dazu gehört die Verortung des Menschen zwischen Geschichte und Geschöpflichkeit in einer materiell dynamischen, aber auch im Anthropozän durch den Menschen dynamisierten Natur, zwischen anthropologischen Seinsentwürfen und dem Verhältnis zur Technologie der Gegenwart, zwischen Erlösungshoffnungen und Erlösungsillusionen. Er begriff Technik als Möglichkeit und Herausforderung, aber nicht als Medium für ein Endziel, wie sie im historistischen Weltbild etwa der Marxismus entworfen hatte. Erlösung war bei ihm grundsätzlich christlich jenseitig entworfen. Als Konsequenz daraus für den Kirchenbau löste sich Schwarz erst nach 1945 ein wenig von dem Gedanken einer absoluten – will heißen: völlig zweckfreien – Architektur in einsamen mystischen Höhen, die für ihn letztlich nur im Kirchenbau realisiert werden kann. Die mit der Aachener Fronleichnamskirche realisierte „Situation vor der Schwelle, wo sie nichts mehr vor sich hat, was sie als Zweck oder Dienst beanspruchen könnte, Architektur ganz sie selbst werde“64 ist nur bedingt geeignet für die Gemeinschaft, die wiederum Grundbedingung von Architektur sei. Man könnte auch sagen: Die Bilder von Schwarz sind nach 1945 weniger erhaben, sie sind irdischer und damit wohnlicher geworden. So hat auch bei Schwarz das Denken eine Geschichte und besteht nicht nur aus

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ontologischen Setzungen. Dass das Seiende sich in fortwährenden Prozessen ereignet, ist aber wiederum eine Grundidee von Schwarz, die er mit dem Ewigen in einen nicht auflösbaren Spannungszustand bringt. Hätte statt der einseitig auf statistisch basierte Planbarkeit samt ihrem ökonomischen Kleinrechnen die Komplexität eines Schwarz die Planungsmodelle der 1960er Jahre bestimmt, wäre es zu der nach ’68 zum Schlagwort gewordenen Unwirtlichkeit der Städte nicht gekommen, die freilich nicht schon dadurch unwirtlich wurden, dass sie aus Beton errichtet wurden. Schwarz jedenfalls hat das Betonskelett auf einsame künstlerischen Höhen geführt, bei denen Ethik und Ästhetik wie selbstverständlich auseinander hervorgehen wie das Bauen aus der Schöpfung.

A nmerkungen 1 | Zur doppelten, gegen einen zeittypischen Funktionalismus gerichteten Perspektive von Bild und Mittel vgl. meine Aufsätze: Wiener, Jürgen: „Aura, Stimmung, Leib und Ding in der gestalttheoretischen Architekturanthropologie von Rudolf Schwarz“, in: Kritische Berichte 2 (2016), S. 49–63; Ders.: „Weltränder und Weltbilder. Zur Stofflichkeit von Mensch, Armut, Lichts und Nichts bei Rudolf Schwarz (1897–1961)“, in: Körner, Hans/Wiener, Jürgen (Hg.), Materialität des Heiligen. Materialwahl, Materialwirkung und Materialbewertung in der christlichen Kunst des 20. Jahrhunderts, Essen: Klartext 2017, S. 95–115; Ders.: „Kelch und Kathedrale. Der Rothenfelser Messkelch und Rudolf Schwarz’ Konzept von Bild und Mittel“, in: Körner, Hans / Wilkens, Manja (Hg.), Angewandte Kunst und Bild, München 2017, S. 110 –133. Grundsätzlich zur Konzeptualität von Schwarz’ Architektur: Hasler, Thomas: Architektur als Ausdruck – Rudolf Schwarz. Berlin: gta 2000, grundlegend für jede Beschäftigung mit Schwarz ist die Monografie von Pehnt, Wolfgang: Rudolf Schwarz 1897–1961. Architekt einer anderen Moderne, Ostfildern: Hatje 1997. 2 | Paradigmatisch dafür ist folgender Satz in Schwarz, Rudolf: Vom Bau der Kirche, Würzburg: Werkbund 1938, S. 167: „[…], und Kirche, wie wir sie meinten, ist nicht nur gemauertes Gehäuse, sondern alles zusammen, Gebäude und Volk, Leib und Seele, die Menschen und Christus,

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ein ganzes geistliches Weltall; ein Weltall zumal, das immer aufs neue verwirklicht werden muß. Diese bauende Urtat meinten wir, den Vorgang, in dem Kirche lebendige Gestalt wird.“ 3 | Schwarz, Rudolf: (Vortrag ohne Titel), in: Gesellschaft für Christliche Kultur (Hg.), Kirchen in Trümmern. Zwölf Vorträge zum Thema: Was wird aus den Kölner Kirchen, Köln: Pick 1948, S. 15–31, hier S. 15. 4 | Schwarz mochte die abstrahierenden Begriffe der Kunstwissenschaft nicht. Offensichtlich war Heinrich Wölfflin gemeint, wenn Schwarz gegen die optisch plastischen Empfindungen polemisierte; vgl. Conrads, Ulrich u. a.: Die Bauhaus-Debatte 1953. Dokumente einer verdrängten Kontroverse, Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg 1994, S. 38. Ähnlich auch Schwarz, Rudolf: „Das Anliegen der Baukunst“, in: Bartning, Otto (Hg.), Darmstädter Gespräch. Mensch und Raum, Darmstadt: Neue Darmstädter Verlagsanstalt 1952, S. 60–71, hier S. 64. 5 | Schwarz, Rudolf: Brief über Ronchamp, in: baukunst und werkform 9 (1956), H. 3, S. 117–118, hier S. 117; vgl. auch ders.: Von der Bebauung der Erde, Heidelberg: Lambert Schneider 1949, S. 13 und 233. 6 | Schwarz, Rudolf: „Vom Sterben der Anmut“, in: Die Schildgenossen 8 (1928), S. 284–293, hier S. 289; vgl. dazu auch Pehnt, Wolfgang: „Kalte Hochglut. Entstehung und Botschaft des Buches ‚Wegweisung der Technik‘“ als Nachwort zur Neuausgabe von: Rudolf Schwarz, in: Schwarz, Rudolf, Wegweisung der Technik, Köln: Walther König 2008 (ursprünglich Aachen; Müller & Kiepenheuer 1929). 7 | Nerdinger, Winfried: „Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik“, in: Conrads, U. , Bauhaus-Debatte, S. 7–19; ders. (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus zwischen Anbiederung und Verfolgung, München: Prestel 1993. 8 | U. Conrads, Bauhaus-Debatte, S. 44f. 9 | Das hatte R. Schwarz, Anliegen der Baukunst, S. 60, deutlich gemacht, und nannte auch noch August Endell und Hermann Billing. Überhaupt hatte er in Darmstadt einige Aspekte der Bauhaus-Debatte angesprochen, ohne dass dies dort Empörung ausgelöst hätte. 10 | Während er eine strukturelle, im Sinne Foucaults diskursive Nähe von Avantgarde und Nationalsozialismus behauptete, hielt er die Empörung über die Repräsentationsarchitektur des NS-Regimes, „den

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ganzen Nazischwulst für ganz belanglos“ und führte diese Art des Bauens, wie inzwischen unbestritten ist, auf ihre wilhelminischen Wurzeln (er meinte wohl Architekten wie Peter Behrens, Wilhelm Kreis, Hermann Muthesius) zurück. 11 | Schwarz, Rudolf: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle, Heidelberg: F. H. Kerle 1960, S. 50f.: „Ich blieb also im Lande, und bei mir blieb auch Johannes Krahn […] und er ging mit mir in die Einsamkeit. Was zu tun war, konnte ja nur einsam getan werden; wir nahmen uns vor, das eigene Werk reinzuhalten, keinen Strich zu zeichnen und kein Wort zu sagen, das ein Zugeständnis ans Geistlose wäre, lieber auf Werke zu verzichten, als damit dem Schlechten zu dienen und in kleinsten, unangreifbaren Bezirken das Feuer der Freiheit zu hüten und das Zukünftige zu bedenken.“ Über Rothenfels in dieser Zeit schreibt er unmittelbar im Anschluss: „Unzählige junge Menschen kamen zu uns – wir betrieben ja auch die große Jugendherberge, die, wenn ich nicht irre, damals die größte in Deutschland war, junge Menschen aus den verbotenen Bünden und andere, die ganz einsam geworden waren, als in eine Freistatt des Geistes, der ihnen in Feier und Gottesdienst und in der Besprechung der hohen und kostbaren Dinge wachgehalten wurde.“ 12 | Vgl. dazu zuletzt Frank, Hartmut: Stadtlandschaften. Rudolf Schwarz’ Planungen für Diedenhofen und Köln 1940–1950, in: Cohen, Jean-Louis /Frank, Hartmut (Hg.), Metropolen 1850–1950, Berlin, München: Deutscher Kunstverein 2013, S. 305–329; Smolian, Alexander Henning: Weltanschauung und Planung am Beispiel des Architekten und Stadtplaners Rudolf Schwarz, Aachen: Shaker 2014. 13 | Gemeint ist, dass auf einem Grundstück von 1.000m2 Geschossflächen von 1.280m2 erreicht werden. Die Architektur der Neuköllner Siedlung Gropiusstadt hat eine der schlechtesten Relationen im Verhältnis von Wohnraum zum Freiraum in der Bundesrepublik (fast 14.000 Einwohner/km2) und trägt damit wesentlich zu den sozialen Problemen dieses Viertels bei. 14 | Egon Eiermann etwa erachtete, Nikolaus Rosiny zufolge, die von Schwarz genannten Punkte für selbstverständlich; vgl. U. Conrads, Bauhaus-Debatte, S. 180f. Auch die Darmstädter Gespräche zeigen, dass viele führende deutsche Architekten Schwarz‘ Kritikpunkte teilten.

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15 | Leitl, Alfons: „Anmerkung zur Zeit: Mies van der Rohe in Deutschland“, in: Conrads, U., Bauhaus-Debatte, S. 188–191, hier S. 189. 16 | Hermann Baur, einer der Hauptvertreter der modernen Schweizer Architektur, stand zwar voll hinter Schwarz, hat dies aber nicht öffentlich gemacht. Hans Schwippert, Egon Eiermann und Otto Bartning hielten sich raus. Rudolf Steinbach und Martin Wagner nahmen hingegen ausführlich Stellung. 17 | Anna, Susanne (Hg.): Architektenstreit. Wiederaufbau zwischen Kontinuität und Neubeginn, Düsseldorf: Droste 2009; Durth, Werner: Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970, Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg+Teubner 1986, S. 359–375. 18 | U. Conrads, Bauhaus-Debatte, S. 46. Schwarz hatte sich dazu schon vorher geäußert; vgl. W. Pehnt, Architekt einer anderen Moderne, S. 141; Werner Durth, in: S. Anna, Architektenstreit, S. 32; W. Durth, Deutsche Architekten, S. 369. 19 | Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftungen zum Unfrieden. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1965 (272013). Von architekturkritischer Seite wäre die Aufsatzsammlung von Pehnt, Wolfgang: Der Anfang der Bescheidenheit. Kritische Aufsätze zur Architektur des 20. Jahrhunderts, München: Prestel 1983 zu nennen. Dort wird (S. 252f.) Schwarz als eine Gegenfigur, die „den Anstand, der sich mit dem nötigsten begnügt“ bewahrt hat. 20 | Vgl. das „Resumee“ von Smolian, Weltanschauung und Planung am Beispiel des Architekten und Stadtplaners Rudolf Schwarz, vor allem S. 391f. 21 | Vgl. R. Schwarz, Anliegen, wo er sich für einen christlichen Sozialismus aussprach. 22 | R. Schwarz, Bebauung der Erde, S. 134: „Vereinsamt sind die letzten Reste der Kunst. Von Einsamen kommt ihre Botschaft an Einzelne. Vergeblich versucht man, die wenigen Künstler, die ihres Volksamtes noch nicht entsetzt sind, ins Öffentliche zu bringen, indem man ihre Werke vervielfältigt. Vervielfältigung aber ist Verheimlichung, denn ihr Ort ist das Heim. Sie überbringt einsame Kunde zu einsamen Menschen, wo immer Gebildete in der Zerstreuung noch leben und allerdings auch zu den Familien, sie leistet nur im engsten Kreis das Gemeinsame. […].

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Noch immer wartet die Kunst, wieder erhabenes Weltvermögen zu werden und, was sie im Engsten noch schattenhaft leistet, am Großen und Ganzen zu tun, ihre verarmten, vereinsamten und in der Einsamkeit auch versponnenen Verfahren an der Welt zu erproben und sie darüber zu ändern, denn kein Künstler hat je, wenn er überhaupt einer war, seine Werke aus ‚ästhetischen‘ Gründen getan, sondern aus dem glühenden Wunsch, an der Welt die große Veränderung zu leisten, denn er wußte, daß seine Kunst die Mächte aufrief, die die Erde verändern würden, ließe man sie nur zu.“ Vgl. auch das Schwarz-Zitat in Anm. 38. 23 | Ebd., S. 140: „Wenn immer mehr Menschen ihre unbefriedigte Seele ins Einsame bringen und sie mit dem Seltenen ernähren, sie üben im Adel und prüfen in Verzicht auf das Üppige, selbst auf das Schöne und dieses alles unter ihnen zu liegen beginnt, da sie in die einsameren, kärglicher bewachsenen Gegenden hinausstiegen – wenn so die Erde sich allmählich mit Freien bevölkert und die Seelen dann alle nur eines ersehnen, das heilige Reich, dann mag es zu ihnen kommen.“ (ähnlich auch S. 150). 24 | Ebd., S. 53: Einsamkeit hat bei Schwarz mit Zeiterfahrung, die zugleich Raumerfahrung ist, zu tun: „Im Gebirg kamen neue Formen der Zeit auf: Die Zukunft und die Gegangenheit. Beides sind Worte, die einen einsamen Mann voraussetzen, der irgendwo draußen im Hang steht, auf der Erde, die schon da ist, in einer Landschaft, die da ist, und einem Neuen entgegensieht, das schon da ist, aber noch nicht bei ihm […]. Diesem einsamen Mann ist die Geschichte etwas, das durch eine große Landschaft dahingeht, eine Bewegung entlang einem Pfad oder ein Strom, in dem Schicksale schwimmen. Man kann den Verhalt auch umkehren und sagen, das Kommende sei das Entfernte und der Mann, das Volk sei unterwegs darauf hin. So spricht ein Volk, das auf Fahrt ist, ein Mann, der auf Wacht steht.“ Schwarz (ebd., S.  39) spricht vom „Zeitengebirge“. 25 | „[…] der Stufenturm aber ist nichts mehr als Treppe, nur noch Gestalt eines absoluten Gebirges, Stufengang der Erde ins Überirdische.“ (ebd., S. 37) Daher sind für Schwarz Stufentürme und spitze Berge „Sinnbild für den Aufstieg des Geistes aus den Niederungen über immer kargere Böden in die einsamen Gipfel, die schon beinahe ganz dem

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andern Bereiche gehören, kaum mehr etwas mit der Erde und ihrem zärtlichen Leben zu tun haben.“ (ebd, S. 36f.) „Und der ganze andere Bereich wiederum ist Gott, der die Einsamkeit schlechthin ist (ebd., S. 159). 26 | Vgl. dazu jetzt Wiener, Jürgen: „‚Nos amis d’Allemagne‘“. Ziemliche beste Freunde oder Dreiecksbeziehung? Zur Wahrnehmung des modernen Kirchenbaus in Deutschland durch ‚L‘Art sacré’, in: Körner, Hans/ Wiener, Jürgen (Hg.), «L’Art sacré». Konzepte der Moderne in der Sakralkunst Frankreichs, der Schweiz und Deutschlands, Essen: Klartext (im Erscheinen). 27 | Ludwig Mies van der Rohe, in: Rudolf Schwarz. Gedächtnisausstellung des BDA Köln, Heidelberg: Kerle 1963, S. 7. 28 | Schwarz, Kirchenbau, S. 49. Details dazu sind jedoch bislang nicht bekannt. 29 | Sundermann, Manfred et al. (Hg.): Rudolf Schwarz, Düsseldorf: Akademie der Architektenkammer 1981 (Architektur und Denkmalpflege, Bd. 17); Becker, Karin: Rudolf Schwarz, 1897–1961, München 1981. 30 | Neben der Werkmonografie von W. Pehnt, Architekt einer anderen Moderne, sind zu nennen: Zahner, Walter: Rudolf Schwarz – Baumeister der Neuen Gemeinde. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Liturgietheologie und Architektur in der Liturgischen Bewegung, Altenberge: Oros 1992 (Münsteraner Theologische Abhandlungen 15); Lienhardt, Conrad (Hg.): Rudolf Schwarz (1897–1961). Werk Theorie Rezeption. Regensburg: Schnell&Steiner 1997; Th. Hasler, Architektur als Ausdruck; Stegers, Rudolf: Räume der Wandlung. Wände und Wege. Studien zum Werk von Rudolf Schwarz, Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg&Teubner 2000; Macke, Julia: Entwurfspraxis im Büro Rudolf Schwarz, Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 2006; Sorge, Dorothee: Baukunst als Formung des eigenen Schicksals. Das Architekturverständnis von Rudolf Schwarz, Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 2008; Pehnt, Wolfgang: Die Plangestalt des Ganzen. Der Architekt und Stadtplaner Rudolf Schwarz (1897–1961) und seine Zeitgenossen. Mit 32 bisher unveröffentlichten Zeichnungen von Rudolf Schwarz, Köln: Walther König 2011; Smolian, Weltanschauung und Planung am Beispiel des Architekten und Stadtplaners Rudolf Schwarz;

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Caruso, Adam/Thomas, Helen (Hg.): Rudolf Schwarz and the monumental order of things, Zürich: gta 2016. Eine wichtige Rolle spielt Schwarz auch bei Kappel, Kai: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland, München, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008. 31 | R. Schwarz, Bebauung, S. 237. 32 | Ebd., S. 84: „Mit Leib und Seele ins Enge begrenzt sehnt sich der Mensch hinaus in das All. Mit einem Teil von uns selbst sind wir Mitbewohner der Atome und Sterne, wir fühlen, wie uns draußen die Seele erst weit wird und frei, wie sich ihr etwas löst; ihre stolzesten Kräfte erwachen, wenn sie den zärtlichen Garten des Lebens verläßt und einsam in der Unendlichkeit steht. Deutlicher scheint ihr auch Gott, denn sie ging ja den alten Weg der Schöpfung zurück in den Ursprung, widerrief die lange Gestaltung des Lebendigen und steht jetzt ganz dicht vor Gottes frühen Taten, sieht ihn die Gestirne urheben und ahnt, nur ein einziger Schritt wäre noch zu tun und sie stände ledig im Nichts. Hier erschöpft sich die Schöpfung, hier legt sich der Urgrund bloß und erschüttert schaut der Mensch den letzten Horizont seiner Welt. Er fühlt Gott in der Nähe und ahnt in sich den Auftrag zum Gleichnis. Er fühlt in sich die Gesetze, nach denen die Welt kreist und auch die Kräfte, die sie urhoben, und ahnt, daß der Mensch, der mit ihnen wirkt, einen besonderen Dienst an einem besonderen Geheimnis der Schöpfung tut.“ 33 | Ebd., S. 130. Einsamkeit als notwendige Erfahrung im Prozess des Lebens, als Teil der Psychogenese beim Erwachsenwerden: „Vieles lernt der Erwachsende nur in seinem Alleinsein. Mit wenigem versehen, nur ein lediger Mensch in dem Glück seines Jungseins, soll er die Welt sich erfahren, die Natur in ihrer Herrlichkeit und in ihrem Schrecken aufsuchen, wo sie ursprünglich blieb.“ Daher ist dieser Existenzialismus für ihn auch Ansatz einer Kritik politischer Kollektivität, indem er durch die Nazis den notwendigen Prozess politisch unterwandert sieht, wodurch die Jugend verraten und verkauft worden sei: „denn selbst den Rausch hatten die Alten verbilligt, sich frühzeitig verdorben zu billigem Stoff der Despoten und ihrer militärischen Pläne. Diese Jungen, die das Echte und Große erfuhren und das erwachende Herz im Einsamen für die große Liebe bereiteten und ihre Freiheit mit dem Bund umzäunten, dem

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Haus, das sie sich bauten, das Schöne und Rechte gemeinsam zu tun und eine Weile im Bedeutsamen zu leben, wurden verraten.“ 34 | Ebd., S. 94: Einsamkeit als Bedingung von Bindung: „eine neue Haltung: Hingabe ans Werk verbindet sich mit einem gleichzeitigen wachen Darüberstehen, Einsatz mit Zurückhaltung. Erst wer frei und einsam zu sein lernte, darf sich sachlich binden.“ 35 | Ebd., Vgl. Anm. 37. 36 | Eine Begegnung mit dem Göttlichen ist dort gegeben, wo jeder Zweck hinter sich gelassen wird. „Dabei bezog ich meine Überlegungen auf den Sakralbau, denn er steht an der Grenze, und es schien mir, daß erst in der Situation vor der Schwelle, wo sie nichts mehr vor sich hat, was sie als Zweck oder Dienst beanspruchen könnte, Architektur ganz sie selbst werde. Ich suchte also, ob es eine Ordnung von Gestalten gäbe, unter denen die Menschen Gott zu begegnen pflegen, und fand sie tatsächlich bei den Mystikern, die ihre Stufenfolgen hatten, und auch den Wechsel von Innigkeit und Entäußerung, aber das war eine Lehre für einsame Menschen, nicht für eine Gemeinde.“ (Schwarz, Kirchenbau, S. 9f.). 37 | Schwarz, Bebauung, S. 237. Das Unplanbare ist deswegen unplanbar, weil das Einsame trotz seiner Zugehörigkeit zur Einheit der Schöpfung immer auch die Unmöglichkeit des totalen Verstehens einschließt: Das Einsame ist das Besondere und sich einem vollständigen Verstehen verschließende, daher ist es auch nicht berechenbar. Schwarz’ Plädoyer für Kontingenz ist eine wesentliche Bedingung für seine Ablehnung des Funktionalismus. „Noch eine Grenze muß hier genannt sein, die allem Planen gesetzt ist; das ist seine eigenste Voraussetzung, die All-Einigkeit alles Geschaffenen. Das ist nur die eine Seite der Dinge, die andere ist ihr unsagbares Alleinsein. Jede Ordnung ist auch eine Ordnung unter einsamen Dingen. Sie mögen noch so zutraulich tun, uns alle Tage schnurrend im Schoß liegen, im Grunde bleibt doch jedes unverstehbar allein. Jedes ist einsam. Wer könnte denn sagen, er habe auch nur den Geliebten verstanden?“ Aus städtebaulicher Sicht gehört hierher auch, dass Städte aus „tiefen und fast vulkanischen Vorgängen [entstanden sind. …] Aber die wirkliche Stadt durchsteht und durchwächst die Jahrtausende aus tiefen und undurchschaubaren Wurzeln, sie bildet sich aus

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einer geheimnisvollen Uebereinkunft von Erde und Schicksal und ihre bildenden Mächte sind unerklärbar und voller Geheimnisse.“ (Schwarz, Kirchen in Trümmern, S. 16). Zum Unplanbaren explizit: Schwarz, Rudolf: „Das Unplanbare“, in: baukunst und werkform 1 (1947), S. 80–90. 38 | Schwarz, Bebauung, S. 64f.: „Die Ästhetik des vorigen Jahrhunderts hatte den Raum als die besondere Sprache des Kunstwerks wieder entdeckt, aber die neue Lehre war von einsamen Menschen erfunden, und mit den Erkenntnisschwierigkeiten ihrer Zeit überladen und fand nicht den Weg zu der Zeit und dem Raum, in denen die großen Kunstwerke, vornehmlich die Bauten, wirklich leben, deren unvergleichbare Leistung ja eben darin besteht, daß sie all die kleinen Räume und Bilder der Einzelnen einigen und in eine neue gemeinsame Gestalt erheben, die einfach wie ein Glaubenssatz ist und sich in Grundriß und Aufriß und Schnitt entwerfen und darstellen läßt, entwerfen freilich nach einer Mathematik erhabenster Art, einer Mathematik der Gemeinschaft. Das große Werk meint nicht den einzelnen als Einsamen, sondern die Gemeinde der Menschen und in ihr jeden einzelnen als Teilhaber. Einweihung in dem Sinn der hohen Gestalten müßte die Kunstlehre sein und darum vorab Einweihung in die große Gemeinde und in das besondere Mysterium, zu dem sie zusammentritt, schon eine Ästhetik, aber eine des gemeinsamen Auges, das das gemeinsame Weltbild erblickt. Aber davor scheuen die Ästheten zurück, denn sie wissen, dies würde das Opfer des Herzens bedeuten und wollen sich doch selber behalten. Sie betrachten in ihrer gescheiten Weise die gewaltigen Formen aus einsamem Standpunkt und illustrieren ihre dünnen gescheiten Bücher mit fotografischen Aufnahmen, deren man unzählige anfertigen kann und die doch niemals den Grundriß ergeben und nie in die gemeinsame Mitte führen, in die man nur über das Opfer hineinkommt.“ 39 | Schwarz, Bau der Kirche, S. 41: Einsamkeit als Grenze der Architektur als einer Gestaltaufgabe für die Gemeinschaft: „Allerdings kann Baukunst auch etwas anderes nicht – hier liegt ihre moderne Gefährdung: sie kann die Erwartungen einer ganz in ihrer subjektiven Einsamkeit befangenen Aesthetik nicht befriedigen, denn ihre Werke sind Gemeinschaftsformen, die der Einzelne, so lange er allein ist, nicht versteht. Sie werden von der Gemeinschaft hervorgebracht, die sich gerade da-

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durch als Einheit ausweist, und können auch nur von ihr aus verstanden werden.“ 40 | Schwarz, Bebauung, S. 56. In der für Schwarz wichtigen naturwissenschaftlichen Perspektive wäre dies etwa mit der gegenseitigen Anziehungskraft von Masse zu begründen. 41 | Schwarz, Kirchen in Trümmern, S. 19. 42 | Ohne sich auf Schwarz zu berufen, forderte die damalige Avantgarde (insbesondere das Team Ten) genau dies auf dem letzten Tagung von CIAM in Otterlo; vgl. Oscar Newman, CIAM ’59 in Otterlo (Dokumente der Modernen Architektur 1), Stuttgart: Karl Krämer Verlag 1961. 43 | W. Pehnt, Architekt einer anderen Moderne, S. 168–168, und grundsätzlich zum „Bauen in Ruinen“ bei Schwarz, S. 127–130. Tatsächlich hat Schwarz alle Möglichkeiten zwischen gesicherter Ruine als Denkmal einerseits und dem kompletten Neubau zerstörter Kirchen andererseits realisiert. 44 | Adenauer, Konrad: (Vortrag ohne Titel), in: Kirchen in Trümmern, S. 209, 210 und 211. 45 | Vgl. W. Durth, Deutsche Architekten. 46 | Meistermann, Georg: (Vortrag ohne Titel), in: Kirchen in Trümmern, S. 133–149, hier S. 141. 47 | Gegen den anonymen Massenwohnungsbau, den er schon um 1930 scharf kritisiert hatte, plädierte er für einen Siedlungsbau mit Einfamilienhäusern, wie ihn um 1930 Heinrich de Fries in Düsseldorf-Gerresheim vertreten hatte. Schwarz ging in der Grünraumeinbindung eher auf die Idee der Gartenstadt zurück, in Modellen, die er und vor allem sein Freund Emil Steffann im Krieg entwickelt hatten. Auf der Annahme der Familie als gesellschaftliche Grundeinheit holte er Steffann, der als Lübecker Stadtplaner gescheitert war, nach Köln, um seine Wohnbaumodelle umzusetzen, was auch hier nicht gelang; vgl. Grexa, Susanne: Emil Steffann 1899–1968. Verzicht auf Originalität als Programm, Diss. Marburg 1996, S. 68–77 (erschienen 1999 in Marburg: Tectum). 48 | W. Pehnt, Architekt einer anderen Moderne, S. 118, spricht sogar „von einer gewissen Mythologisierung des Verkehrs“ als „geheimnisvollen Strom“ bei Schwarz, von dem aber auch bestimmte Bereiche freigehalten werden müssen, vgl. Schwarz, Rudolf: „Das neue Köln“, in:

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Rudolf Schwarz. Ein Vorentwurf, Köln: Bachem 1950. Schwarz hatte sich immer für Technik begeistert und versuchte dies auch philosophisch zu rechtfertigen in ganzheitlichen statt in funktionalistischen Modellen, die davon ausgingen, dass die Technik selbst, wenn sie nur auf alle Lebenswelten übertragen und entsprechend designt würde, den Menschen zum „Neuen Menschen“ erlösen würde. 49 | W. Pehnt, Architekt einer anderen Moderne, S. 112. 50 | R. Schwarz, Bebauung, S. 36. 51 | Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos, Darmstadt: Reichl 1928; Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin-Leipzig: de Gruyter 1928. Zum Einfluss der Philosophischen Anthropologie von Scheler und Plessner auf Schwarz vgl. Th. Hasler, Architektur als Ausdruck. Das Wort exzentrisch gebraucht R. Schwarz, Bau der Kirche, S. 30. 52 | R. Schwarz, Bebauung, S. 241: „Kein irdisches Ding kann die eigene Bewegung aus dem eigenen Sinn vollenden, sie schließt sich erst über die Ewigkeit hin, und zwischen Ding und Ding, zwischen Mensch und Mensch schichtet sich Ewigkeit ein, sie bringt den Augenblick der Geschichte in den nächsten hinüber und überbrückt die offene Stelle, denn alles Erschaffene ist überall offen. Unsäglich ausgesetzter, gefährdeter, einsamer, unsäglich geborgener ist die Erde als wir meist meinen, von sich aus an jeder Stelle zu Ende und an jeder aus der Ewigkeit fortgesetzt.“ 53 | R. Schwarz, Bau der Kirche, S. 186. 54 | Ebd.: S. 94 Wegkirche/Heilige Fahrt: „ Hier […] steht jeder im Zusammenhang einsam, Schulter an Schulter und Schritt hinter Schritt ins Ganze addiert und zu geraden Linien ausgerichtet, nach einem rechtwinkligen Achsenkreuz an je einen Nachbarn verkettet. Was ihn mit den andern verbindet, ist genau gemessen und kühl, keine Bindung des Herzens sondern eigentlich nur eine des Schemas: ein Mensch geht ihm voraus, einer folgt ihm, zwei gehen mit und alle gehen zusammen; keinem sieht er ins Gesicht, zwei sieht er nebenbei und einen gar nicht; einer ist ihm vorgegeben, einer nachgegeben, zwei sind ihm mitgegeben im Raum. So sind alle auf gleiche Weise ins Ganze gewoben, jeder

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ist Ausgang eines so gebauten Kreuzes. Die Wegform läßt sie alle im Ganzen allein, das Herz bleibt vereinsamt.“ 55 | R. Schwarz, Kirchenbau, S. 272–276 über die Kirche Heilige Familie in Oberhausen: „Der ganze Raum [Heilige Familie in Oberhausen] ist durch die einfache Gestaltung der Bauteile, die sich nicht durch auffällige Formen aufdrängen, sondern demütig ihren Dienst tun, und durch die inbrünstigen Farben des Lichts von großer Stille erfüllt. Auch der einsame Beter wird nicht das Gefühl haben, in einen leeren Versammlungsraum geraten zu sein. Wir hoffen, er werde in einen Raum eintreten, wo Gott ist, auch wenn die Menschen nicht da sind.“ 56 | Vgl. das Vorwort von Guardini zu R. Schwarz, Bau der Kirche, S. 1f. 57 | R. Schwarz, Anliegen der Baukunst, S. 70. 58 | R. Schwarz, Kirchenbau, 321f. „Unsere Baukunst sehnt sich nach neuen Lobgesängen. Alte Sehnsüchte der Expressionisten und der Meister des organischen Bauens werden wieder wach. Man ersehnt wieder die Welt als Blume, die Welt als Kristall. Aber die neu erwachte Sehnsucht bleibt einsam. Sie brauchte ja den großen Auftrag, sich ihm anzuvermählen. Den können sich die Baumeister nicht selbst geben, er muß ihnen als großes, Teilnahme forderndes, plansetzendes geistliches Leben begegnen. Aber er begegnet ihnen nicht. Statt eines großen geistlichen Plans gibt man ihnen küsterhafte Beflissenheit um vermeintliche liturgische Zwecke, oder allenfalls eine tote Abschrift aus einem toten theologischen Lehrbuch. So überläßt man sie ihren kunstgewerblichen Vorlieben und Moden. Aber die Baukunst bliebe auch einsam. Ihr würde die Weggeleitung der anderen Künste fehlen. In den Raumgesängen des Barocks klangen sie alle zusammen, keine für sich trug große, einmalige Taten bei, ihr Zusammenklang war aber einmalig und groß. […] So scheint es denn, als werde die Baukunst ihren Weg einsam fortsetzen müssen, und als werde sie sich dabei auf nichts verlassen dürfen als auf ihre Fähigkeit, die ganze Welt in ihrem eigenen wortkargen Bau zu enthalten, und auf das, was ihr an großen, bedeutungstiefen heiligen Bildern auch heute noch – oder heute schon wieder – beratend beisteht.“ 59 | Schwarz, Rudolf: „Fronleichnamskirche“, in: Die Schildgenossen 11 (1931), S. 284–287; Ders., Kirchenbau, S. 16–30.

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60 | Selbst bei einem Teppich, das wie eine Kutte ein Gewebe ist und damit das Miteinander-Verwebt-Sein der Welt ausdrückt, gibt es Bezüge zur Natur wie zum Leben („bunt aus vielerlei Fäden muß der Teppich des Lebens gewoben sein. Das Leben versagt sich, wenn man ihm den bunten Teppich ausrodet.“, R. Schwarz, Bebauung, S. 57); oder: Der Bauer, indem er pflügt, „webt so allmählich den Acker zum Teppich“, (ebd., S. 75); Anordnung von Siedlungen nach „Art eines Teppichs“ (ebd., S. 110). Beim Blick von oben erscheint „das Flachland als Teppich, in den sinnvolle Bilder eingewebt sind“, (ebd., S. 123). Teppich ist also die in Muster verwandelte Landschaft. Zu Wänden als Teppich vgl. R. Schwarz, Kirchenbau, S. 185. 61 | R. Schwarz, Bebauung, S. 22. 62 | R. Schwarz, Kirchenbau, S. 56. 63 | Ebd. 64 | R. Schwarz, Kirchenbau, S. 9 oder 10.

L iteratur Anna, Susanne (Hg.): Architektenstreit. Wiederaufbau zwischen Kontinuität und Neubeginn, Düsseldorf: Droste 2009. Adenauer, Konrad: (Vortrag ohne Titel), in: Kirchen in Trümmern, S. 209–211. Becker, Karin: Rudolf Schwarz, 1897–1961, München 1981. Caruso, Adam/Thomas, Helen (Hg.): Rudolf Schwarz and the monumental order of things, Zürich: gta 2016. Conrads, Ulrich u. a.: Die Bauhaus-Debatte 1953. Dokumente einer verdrängten Kontroverse, Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1994. Durth, Werner: Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970, Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg+Teubner 1986, S. 359–375. Frank, Hartmut: Stadtlandschaften. Rudolf Schwarz’ Planungen für Diedenhofen und Köln 1940–1950, in: Cohen, Jean-Louis/Frank,

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Hartmut (Hg.), Metropolen 1850–1950, Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2013, S. 305–329. Grexa, Susanne: Emil Steffann 1899–1968. Verzicht auf Originalität als Programm, Diss. Marburg 1996, S. 68–77 (erschienen 1999 in Marburg: Tectum). Hasler, Thomas: Architektur als Ausdruck – Rudolf Schwarz. Berlin: gta 2000. Kappel, Kai: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland, München/Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008. Leitl, Alfons: „Anmerkung zur Zeit: Mies van der Rohe in Deutschland“, in: Conrads, U., Bauhaus-Debatte, S. 188–191. Lienhardt, Conrad (Hg.): Rudolf Schwarz (1897–1961). Werk Theorie Rezeption. Regensburg: Schnell&Steiner 1997. „Ludwig Mies van der Rohe“, in: Rudolf Schwarz. Gedächtnisausstellung des BDA Köln, Heidelberg: Kerle 1963. Macke, Julia: Entwurfspraxis im Büro Rudolf Schwarz, Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 2006. Meistermann, Georg: (Vortrag ohne Titel), in: Kirchen in Trümmern, S. 133–149. Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftungen zum Unfrieden. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1965 (272013). Nerdinger, Winfried: „Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik“, in: Conrads, U., Bauhaus-Debatte, S. 7–19. Ders. (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus zwischen Anbiederung und Verfolgung, München: Prestel 1993. Pehnt, Wolfgang: Der Anfang der Bescheidenheit. Kritische Aufsätze zur Architektur des 20. Jahrhunderts, München: Prestel 1983. Ders.: Rudolf Schwarz 1897–1961. Architekt einer anderen Moderne, Ostfildern: Hatje 1997. Ders.: „Kalte Hochglut. Entstehung und Botschaft des Buches ‚Wegweisung der Technik‘“ als Nachwort zur Neuausgabe von: Rudolf Schwarz, in: Schwarz, Rudolf, Wegweisung der Technik, Köln:

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Walther König 2008 (ursprünglich Aachen; Müller & Kiepenheuer 1929). Ders.: Die Plangestalt des Ganzen. Der Architekt und Stadtplaner Rudolf Schwarz (1897–1961) und seine Zeitgenossen. Mit 32 bisher unveröffentlichten Zeichnungen von Rudolf Schwarz, Köln: Walther König 2011. Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin/Leipzig: de Gruyter 1928. Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos, Darmstadt: Reichl 1928. Schwarz, Rudolf: „Vom Sterben der Anmut“, in: Die Schildgenossen 8 (1928), S. 284–293. Ders.: „Fronleichnamskirche“, in: Die Schildgenossen 11 (1931), S. 284– 287. Ders.: Vom Bau der Kirche, Würzburg: Werkbund 1938. Ders.: „Das Unplanbare“, in: baukunst und werkform 1 (1947), S. 80– 90. Ders.: (Vortrag ohne Titel), in: Gesellschaft für Christliche Kultur (Hg.), Kirchen in Trümmern. Zwölf Vorträge zum Thema: Was wird aus den Kölner Kirchen, Köln: Pick 1948, S. 15–31. Ders.: Von der Bebauung der Erde, Heidelberg: Lambert Schneider 1949. Ders.: „Das neue Köln“, in: Rudolf Schwarz. Ein Vorentwurf, Köln: Bachem 1950. Ders.: „Das Anliegen der Baukunst“, in: Otto Bartning (Hg.), Darmstädter Gespräch. Mensch und Raum, Darmstadt: Neue Darmstädter Verlagsanstalt 1952, S. 60–71. Ders.: Brief über Ronchamp, in: baukunst und werkform 9 (1956), H. 3, S. 117–118. Ders.: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle, Heidelberg: F. H. Kerle 1960. Smolian, Alexander Henning: Weltanschauung und Planung am Beispiel des Architekten und Stadtplaners Rudolf Schwarz, Aachen: Shaker 2014.

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Sorge, Dorothee: Baukunst als Formung des eigenen Schicksals. Das Architekturverständnis von Rudolf Schwarz, Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 2008. Stegers, Rudolf: Räume der Wandlung. Wände und Wege. Studien zum Werk von Rudolf Schwarz, Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg&Teubner 2000. Sundermann, Manfred et al. (Hg.): Rudolf Schwarz, Düsseldorf: Akademie der Architektenkammer 1981 (Architektur und Denkmalpflege, Bd. 17). Wiener, Jürgen: „Aura, Stimmung, Leib und Ding in der gestalttheoretischen Architekturanthropologie von Rudolf Schwarz“, in: Kritische Berichte 2 (2016), S. 49–63. Ders.: „Weltränder und Weltbilder. Zur Stofflichkeit von Mensch, Armut, Lichts und Nichts bei Rudolf Schwarz (1897–1961)“, in: Körner, Hans/Wiener, Jürgen (Hg.), Materialität des Heiligen. Materialwahl, Materialwirkung und Materialbewertung in der christlichen Kunst des 20. Jahrhunderts, Essen: Klartext 2017, S. 95–115. Ders.: „Kelch und Kathedrale. Der Rothenfelser Messkelch und Rudolf Schwarz’ Konzept von Bild und Mittel“, in: Körner, Hans/Wilkens, Manja (Hg.), Angewandte Kunst und Bild, München 2017, München: Morisel 2017, S. 110 –133. Ders.: „‚Nos amis d’Allemagne‘“. Ziemliche beste Freunde oder Dreiecksbeziehung? Zur Wahrnehmung des modernen Kirchenbaus in Deutschland durch ‚L‘Art sacré’, in: Körner, Hans/Wiener, Jürgen (Hg.), „L’Art sacré“. Konzepte der Moderne in der Sakralkunst Frankreichs, der Schweiz und Deutschlands, Essen: Klartext (im Erscheinen). Zahner, Walter: Rudolf Schwarz – Baumeister der Neuen Gemeinde. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Liturgietheologie und Architektur in der Liturgischen Bewegung, Altenberg: Oros 1992 (Münsteraner Theologische Abhandlungen 15).

Wie allgemein kann man trauern? Plastische Bilder der Erinnerung in der frühen Nachkriegszeit und ihre Voraussetzungen Hans Körner

Im Jahr des Kriegsendes 1945 modellierte Georg Kolbe die Plastik mit dem Titel Der Befreite. (Abb. 1) Bronzegüsse entstanden erst nach dem Tod des Künstlers im Jahr 1947. Eine nackte männliche Gestalt sitzt auf einem gegenständlich unbestimmt gelassenen Stumpf, das rechte Bein nach vorne gestellt, das linke weit nach hinten gezogen. Die Figur beugt sich nach vorne und vergräbt das Gesicht in den Händen. Wer ist dieser Befreite? Ein befreiter KZ-Häftling? Vielleicht, aber kurz nach Kriegsende war dieses Thema so sehr in den Hintergrund gedrängt, wir dürfen auch sagen, verdrängt worden, dass eine solche Deutung sehr unwahrscheinlich erscheint. Ursel Berger, die langjährige Direktorin des Berliner Kolbe-Museums, interpretierte die kleine Plastik folgendermaßen: „Mit der zusammengebrochenen Gestalt Der Befreite spiegelte Kolbe die Erschütterung der Deutschen nach Kriegsende wider“.1 Aber weshalb ist er erschüttert? Erschüttert über die Niederlage? Erschüttert über die Kriegstoten? Erschüttert über die zu Trümmerhaufen zerbombten deutschen Städte? Erschüttert über die Schuld, die die Deutschen auf sich geladen haben? Oder ist es nicht Leid, das den Nackten niederdrückt, sondern die Überwältigung durch die Freude über das Ende des Krieges auf dem Schlachtfeld und des Bombenkrieges und/oder die Freude, von der Diktatur der Nationalsozialisten befreit zu sein? Bekanntlich äußert sich ja die freudige ähnlich wie die leidvolle Überwältigung.

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Abbildung 1: Kolbe, Georg, Befreiter, 1945, Berlin, Georg-Kolbe-Museum.

Quelle: Tümpel, Christian (Hg.): Deutsche Bildhauer 1900–1945, entartet, Katalog der Ausstellung, Nijmegen, Museum Comanderie van Sint-Jans 1991, Königstein: Langewiesche 1992, S. 224.

Wie allgemein kann man trauern?

Abbildung 2: Michelangelo, Grabmal des Herzogs Lorenzo de‘ Medici (Statue des Herzogs) 1521–34, Florenz, Medici-Kapelle.

Quelle: Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Bd. 2: Michelangelos und seine Zeit, München: Hirmer 1992, Taf. 68.

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Wir haben also einen Bildtitel, wir haben eine Plastik, und wir haben viel Spielraum, um darüber nachzudenken, wie wir beide, Titel und Werk, aufeinander beziehen wollen. Die inhaltliche Unentschiedenheit dieser kleinen Plastik steht in einem scheinbaren Gegensatz zu der Bildtradition, aus der diese Figurenerfindung erwachsen ist. Es ist eine Bildtradition, die gerade auf die Selbst-Verständlichkeit des Sichtbaren setzte. Dieser Gegensatz ist aber eben nur ein scheinbarer. Im Unterschied zum aktiven außengewandten Herzog Giuliano de’ Medici charakterisierte Michelangelo den Herzog Lorenzo de’ Medici auf seinem Grabmal in der Medici-Kapelle in Florenz als in sich gekehrten, melancholischen Denker. (Abb. 2) Über die Darstellung von historischen Individuen hinaus, stiegen die beiden Verstorbenen auch dank der idealisierenden, vorsätzlich nicht porträthaften Gestaltung Michelangelos2 zu Verkörperungen des aktiven und des kontemplativen Lebens auf. Bezeichnend für diese Verallgemeinerung ist bereits, dass die Statue des Herzogs unter dem allgemeinen Name il pensieroso berühmt wurde.3 Ob Georg Kolbe bei der Schaffung seines „Besiegten“ auch an den pensieroso aus der Medici-Kapelle dachte, sei dahingestellt. Das wichtigste Nachfolgewerk der Michelangelo-Figur stand ihm mit Sicherheit vor dem inneren Auge: 1880 fertigte Auguste Rodin Entwürfe für eine männliche Figur, die gebeugt kauert und den Kopf in die rechte Hand stützt. Konzipiert war diese Figur für das Höllentor. Um den Bildhauer, den die Institutionen der französischen Kunst lange nicht allzu freundlich behandelt hatten, zu entschädigen, bedachte man ihn 1880 mit einem anspruchsvollen Auftrag für eine Bronzetür. Sie sollte den Haupteingang des neuzuschaffenden Pariser Kunstgewerbemuseums bilden.4 1887 wurde das Museumskonzept ad acta gelegt. Erst später erhielt das Musée des Arts décoratifs seine Räume in einem Flügel des Louvre. Ein eigener Museumsbau, wie zuerst geplant, wurde nicht errichtet. Man benötigte so auch kein neues Hauptportal mehr. Rodin wurde trotzdem weiterhin für das Projekt bezahlt, das aber jetzt funktionslos geworden war. Statt eine zu öffnende und verschließbare Tür schaffen zu müssen, mit den Funktionen, die eine Tür nun einmal zu

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Abbildung 3: Rodin, Auguste, Das Höllentor (Oberer Teil mit Dante Alighieri), 1880ff.

Quelle: Fath, Manfred (Hg.): Auguste Rodin: Das Höllentor. Zeichnungen und Plastik, Katalog der Ausstellung, Mannheim, Städtische Kunsthalle 1991–1992, München: Prestel 1991, S. 25.

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erfüllen hat, konnte Rodin „das Bild eines Tores […] gestalten“, somit ein „‚zweckfreies‘, d.h. denkmalhafte[s] autonome[s] Kunstwerk“.5 Die Ikonografie des Tors blieb bei dieser grundsätzlichen Transformation eines architekturgebundenen Werks der angewandten Kunst in ein autonomes Kunstwerk unverändert. Thema des Höllentors war und ist das Inferno, das Dante als ersten Teil seiner Göttlichen Komödie beschworen hatte. Die über den beiden Türflügeln sitzende Figur stellt den Dichter Dante Alighieri dar, in dessen Phantasie die Höllenvisionen aufsteigen. (Abb. 3) Doch der Zusammenhang von Bedeutung und Kunstwerk begann bei Rodin lose zu werden. So wie sich das Höllentor als Ganzes aus seinem anfangs vorgesehenen Kontext als autonomes Kunstwerks emanzipierte, so konnten sich ihrerseits die einzelnen Figuren und Figurengruppen aus dem Zusammenhang emanzipieren. Unabhängig vom Kontext des Höllentors wurden mehrere Güsse auch von der Dantefigur gefertigt, die dann auch nicht mehr Dante darstellten. U.a. hatte Rodin einen Guss dieser Figur für sein eigenes Grabmal in Meudon bestimmt.6 (Abb. 4) Aus der Figur des grübelnden Dichters Dante wurde die allgemeine Darstellung eines Denkers. Die Ikonografie wird bei Rodin einerseits allgemein, andererseits mobil. Sie ist allgemein und kann mobil werden, weil jetzt die künstlerische Gestaltung den Anspruch erhebt, sich selbst selbstverständlich aussprechen zu können. Damit hatte Rodin der Kunst des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Vorgabe geliefert: Die klassische Moderne tendierte zum selbstbezüglichen Kunstwerk: Das Bildwerk sollte seine künstlerische Qualität und seinen Sinn nicht durch Verweis auf etwas beziehen, was außerhalb des Kunstwerks liegt. Es sollte sich vielmehr selbst aussprechen, selbstbezüglich sein. Ein selbstbezügliches plastisches Kunstwerk ist beispielsweise Georges Vantongerloos Raumplastik von 1935. (Abb. 5) Platten und Vierkantstäbe, die in rechten Winkeln zueinander gesetzt sind. Die Weise, wie dieses rechtwinklige Zueinander ist, also die proportionalen Verhältnisse der Teile dieser Plastik, ihre Komposition im Raum, macht das Künstlerische aus, kein wie auch immer gearteter Versuch der Nachahmung der außerkünstlerischen Gegenstandswelt.

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Abbildung 4: Rodin, Auguste, Der Denker auf dem Grab Rodins, 1880 erster Entwurf.

Quelle: Wikimedia commons. Fotografie: Ibex73.

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Abbildung 5: Vantongerloo, Georges, Raumplastik, 1935, Kunstmuseum Basel.

Quelle: Trier, Eduard: Figur und Raum. Die Skulptur des XX. Jahrhunderts, Berlin: Verlag Gebr. Mann 1960, Taf. 18.

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Das ist bei einer im selben Jahr entstandenen Plastik Georg Kolbes anders. Der Künstler bezog sich sehr wohl auf die außerkünstlerische Wirklichkeit. Er modellierte das Bild eines stehenden nackten Mädchens. (Abb. 6) Die Bronzefigur ist in Wilhelm Pinders Monografie über den Bildhauer Kolbe abgebildet und trägt dort den Titel Stehendes Mädchen.7 Wozu diese Information? Dass die Bronze ein stehendes Mädchen oder eine stehende junge Frau zeigt, das sehen wir alle selber! Benötigen wir den Titel überhaupt? Nein, wir benötigen ihn nicht, und eben das war intendiert. Das Bildwerk soll sich selbst ganz aussprechen, soll selbstverständlich sein. Nicht literarische Bildung soll notwendig sein, um den Sinn dieses Bildwerks entschlüsseln zu können, es trägt seinen Sinn in sich selbst. Und insofern haben Vatongerloos Raumplastik und Kolbes nacktes Mädchen, so konträr sie auf den ersten Blick sind, dann doch eine Gemeinsamkeit. Sie wollen nicht über sich hinaus nach außen verweisen. Nun ließe sich einwenden, dass Kolbes Figur sehr wohl verweist, nämlich auf ein Modell, auf eine junge Frau. Doch ist man genau, dann verweist auch Vantongerloos Raumplastik: Sie verweist auf harmonische Proportionen in der Natur, auf Spannungen in der Organisation von Raum, wie wir sie in unserer Wirklichkeitswahrnehmung meist unbewusst erfahren, schließlich auf unser körperliches Gleichgewichtsgefühl. Dass ein Kunstwerk abstrakt ist, heißt ja nicht, dass es überhaupt keinen Gegenstandsbezug mehr hat. Bei Kolbe ist der Gegenstandsbezug offensichtlich, aber dieser Gegenstand ist so selbstverständlich, dass er das Kunstwerk bei sich lässt. Das war in der Tat die Parallelaktion der gemäßigt modernen Bildhauer in diesem modernen Unternehmen einer selbstbezüglichen Kunst. Es ging um den Körper, um den menschlichen Körper vor allem, der so sprechend gebildet sein sollte, dass alles was der Künstler ausdrücken wollte, in diesem Körper bereits ausgedrückt ist.8 Deshalb die vielen eigentlich überflüssigen Bildtitel, überflüssig, weil sie nur das sagen, was ohnedies jeder sehen kann. Trotzdem, auf höherer Ebene, sind diese Titel dann doch nicht überflüssig, weil sie die Selbstbezüglichkeit benennen, explizit zum Thema machen. Diesbezüglich nur einige Beispiele alle aus dem Oeuvre Georg Kolbes: Da gibt es die Frau,

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Abbildung 6: Kolbe, Georg, Stehendes Mädchen, 1935.

Quelle: Pinder, Wilhelm: Georg Kolbe. Werke der letzten Jahre, Berlin: Rembrandt-Verlag 1937, Taf. 57.

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Abbildung 7: Kolbe, Georg, Herabschreitender, 1928.

Quelle: Binding, Rudolf G., Vom Leben der Plastik. Inhalt und Schönheit des Werkes von Georg Kolbe, Berlin: Rembrandt 1933 (5. Aufl.), S. 8.

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Abbildung 8: Kolbe, Georg, Herabschreitende, 1928.

Quelle: Binding, Rudolf G., Vom Leben der Plastik. Inhalt und Schönheit des Werkes von Georg Kolbe, Berlin: Rembrandt 1933 (5. Aufl.), S. 9.

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Abbildung 9: Kolbe, Georg, Pietà, 1930.

Quelle: Pinder, Wilhelm: Georg Kolbe. Werke der letzten Jahre, Berlin: Rembrandt-Verlag 1937, Taf. 35.

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die mit dem linken Fuß aufsteigt, und deshalb Aufsteigende Frau heißt. Oder den Herabschreitenden (Abb. 7) und die Herabschreitende (Abb. 8), der deshalb so heißt, weil er herabschreitet, und die deshalb so heißt, weil sie herabschreitet. Oder, womit wir der eingangs genannten Figur Kolbes mit dem Besiegten motivisch näher kommen, die nackte Frau, die niederkniet und deshalb entweder Kniende, oder wenn größerformatig Große Kniende heißt. Wenn der menschliche Körper sich selbst ganz aussprechen kann, dann kann er möglicherweise mehr noch sagen als nur Knien, Herabsteigen, Aufsteigen. Dann kann aus einer Frau, wenn der Körper das nach oben Streben anders zum Ausdruck bringt, eine Auferstehende oder noch allgemeiner, eine Auferstehung, werden. Und aus einem Herabschreitenden der Zarathustra für ein Nietzsche-Denkmal. Oder aus einer Knienden eine Pietà. (Abb. 9) Solche anspruchsvollen auf Wesentliches zielende Titel lassen aber rückwirkend den Schluss zu, dass auch das Aufsteigen, das Herabsteigen und das Knien nichts Banales meinen. Es soll nicht ein beliebiger Moment gezeigt werden, in dem ein Mensch sich so oder so bewegt, sondern das Aufsteigen, das Herabsteigen, das Knien schlechthin. Und so stellte Rodin nicht einen nackten Herrn dar, der darüber nachgrübelt, was es heute Abend zum Abendessen geben soll, sondern den Denker, den Denker schlechthin. Und deshalb ist er auch nackt, so wie es bezeichnenderweise auch alle eben genannten Figuren Kolbes waren. Mit der Nacktheit ist das Zufällige und Individualisierende der Kleidung abgelegt. Nacktheit entspricht in solchen Bildwerken dem Allgemeinen, dem Wesentlichen. Nackt ist auch der Befreite Georg Kolbes. Und wir dürfen einigermaßen sicher sein, dass nicht die schiere Not dem Mann die Bekleidung genommen hat. Nacktheit meint auch hier von Zufälligkeiten befreites Allgemeines, allgemein Wesentliches. Insofern waren möglicherweise die Fragen, die ich vorhin an diese kleine Figur gestellt habe, unangemessen, verfehlten die Intentionen des Künstlers. Ich hatte gefragt, ob das Vergraben des Gesichts in den Händen die Erschütterung eines Menschen über die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg zeige? Oder Erschütterung über die Kriegstoten? Oder Erschütterung über die Zerstörungen des Bombenkrieges? Oder schmachvolle Erschütterung

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über die Schuld der Deutschen? Oder aber die überwältigende Freude über die Befreiung von den Nationalsozialisten und über das Ende des Krieges? Alle diese Fragen, die unbeantwortet geblieben waren, zielten auf eine konkrete historische, politische und moralische Situation. Solchen Konkretisierungen aber entzieht sich die Kunst, die auf Wesenhaftes und Wesentliches geht. Es ist Der Befreite, so wie Rodins Figur Der Denker ist. Alles, was Befreiung meinen kann, ist in Kolbes Figur aufgehoben. Aufheben im Hegelianische Sinne meint neben dem Aufbewahren aber sowohl ein Auf-eine-höhere-Ebene-Heben, als auch das Aufheben im Sinne des Ungeschehen-Machens, so wie man einen Beschluss aufhebt. Und damit ist das Problem solcher Figuren angesprochen. Indem sie Existenzielles auf die höchste, weil allgemeinste Ebene heben wollen, verweigern sie das Konkrete. Die erste Plastik der Nachkriegszeit, die sich dem stellt, was bis 1945 in Deutschland geschah, verweigert sich dem Thema auch wieder. Das Allgemeine ist eben auch eine besonders erfolgreiche Strategie der Verdrängung. Bei der Genealogie von Georg Kolbes Der Befreite, also dem Weg der in sich gekehrten sitzenden Figur von Michelangelos Herzog Lorenzo über Rodins Denker bis zu Kolbe, wurde im vorhergehenden ein wichtiges Zwischenglied ausgelassen. Den Sitzenden Jüngling schuf Wilhelm Lehmbruck 1916–1917. (Abb. 10) Als die Plastik erstmals in Gips in Basel ausgestellt wurde, hieß sie noch Der Gebeugte, in einer Ausstellung des Jahres 1918 wurde daraus Der Freund. Auf Fotografien, die Lehmbruck in seinem Atelier zeigen, ist die Figur dagegen Der Trauernde und einem Brief Gustav Hartlaubs ist zu entnehmen, dass Lehmbruck diesen Sitzenden Jüngling auch als Der Denker bezeichnete,9 womit die Bezugnahme auf Rodin ganz offengelegt war. Die frei flukturierenden Titel zeigen bereits, auf welchem Niveau wir uns bewegen, auf dem hohen Niveau des ganz Allgemeinen, des Wesentlichen. Die eingangs angedeutete Dialektik dürfte spätestens jetzt deutlich geworden sein: Rodins kauernde Figur kann sich je neu verorten, kann sich je neu mit Sinn füllen, weil sie als Figur selbst-verständlich ist. Und Lehmbrucks Sitzender kann erst der Der Gebeugte, dann Der Freund, dann Der Trauernde, dann Der Denker werden, oder gleichzeitig Der

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Abbildung 10: Lehmbruck, Wilhelm, Sitzender Jüngling, 1916–17, Duisburg, Wilhelm-Lehmbruck-Museum.

Quelle: Salzmann, Siegfried: Wilhelm Lehmbruck. Katalog der Sammlung des Wilhelm-Lehmbruck-Museums der Stadt Duisburg, Recklinghausen: A. Bongers 1981, S. 87.

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Abbildung 11: Lehmbruck, Wilhelm, Schlafender toter Krieger, um 1917, Zeichnung, Stuttgart, Staatsgalerie.

Quelle: Schubert, Dietrich: Die Kunst Lehmbrucks, Worms: Werner 1990, Abb. 221.

Gebeugte, Der Freund, Der Trauernde und Der Denker sein, weil sie als Figur selbst-verständlich und allgemein ist. Der Weg zum Allgemeinen lässt sich im Werkprozess nachvollziehen. Es gibt von Lehmbruck eine Zeichnung, die vermutlich mit der Konzeption des Sitzenden Jünglings im Zusammenhang steht. (Abb. 11) Eine nackte Figur zwischen Liegen und Kauern. Den Kopf senkt sie so wie der Sitzende Jüngling. Die Hände fassen in der Zeichnung allerdings ein Schwert. Ein Krieger. Lehmbruck bestätigte diese Interpretation mit seiner Aufschrift rechts oben auf dem Blatt: „schlafender toter Krieger mit Schwert – unten Schwurfinger auf Grabplatte auf den Namen der gefallenen Kameraden“.10 Die Beschriftung macht die Funk-

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tion der Zeichnung eindeutig. Es ist eine Studie für ein Kriegsehrenmal, ein Gefallenenmal für deutsche Kriegstote des Ersten Weltkriegs. Die merkwürdig widersprüchliche Bezeichnung „schlafender toter Krieger“ muss man wohl mit der Geste des „Schwurfinger[s] auf [der] Grabplatte auf den Namen der gefallenen Kameraden“ zusammensehen. Der sein Schwert umfassende tote Krieger ist kein Individuum; als Verkörperung kriegerischer Tugenden wird er auferstehen, um den Schwur zu erfüllen, seine toten Kameraden zu rächen. Das ist schon allgemein (auch problematisch) genug, doch die Allgemeinheit, die diese Zeichnung reklamiert, war Lehmbruck wohl nicht allgemein genug. Der Sitzende Jüngling führt kein Schwert mehr mit sich. Die in der Zeichnung ohnedies schon sehr allgemeinen Anspielungen auf die Gefallenen des Ersten Weltkriegs sind noch allgemeiner geworden. Wir sehen nur mehr eine sitzende nackte männliche Gestalt. Die Ikonografie des Besiegten und Getöteten, der aber auf die Gefallenen schwört, und damit sein Ungebrochensein demonstriert, zeigt sich jetzt nur noch in dem komplexen Dialog von passiver und aktiver Körpersprache: Die Arme fügen sich zu einem Rechteck. Die Beine bilden die Winkel eines Dreiecks. Selbst der gesenkte Kopf ist streng formalisiert. In der Hauptansicht wirkt der Kopf kugelförmig, als stereometrischer Körper. Der Körper wird gleich einem architektonischen Gebilde gebaut. So hatte es Lehmbruck intendiert. Eine Skulptur müsse, so der Künstler, „wie ein Gebäude [sein], wo Maß gegen Maß spricht“.11 Die geometrische Abstraktion, anders gesagt: die Architektonisierung macht die Plastik nicht ausdruckslos. Gerade weil die Figur so sehr sich geometrischen Figuren anverwandelt, wirken die leichten Abwandlungen nur um so eindringlicher. Die rechte Hand liegt auf dem linken Oberschenkel auf, während die linke schlaff herunterhängt. Dem entsprechend ist auch der rechte Oberschenkel etwas weiter nach außen gestellt. Beides – die schlaffe Hand und der nach außen wegkippende Oberschenkel – sind Ausdruck von Kraftlosigkeit. Und wenn man diese leichten Asymmetrien als Ausdrucksspuren wahrgenommen hat, dann überrascht auch nicht die stärkere Krümmung der Zehen des rechten Fußes. Das näher am Rumpf gehaltene linke Bein, das weiter

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nach vorn gestellt ist, verrät die aktivere, kraftvollere Seite. Und deshalb, wohl nicht allein, um formal das Übergewicht der raumgreifenderen rechten, schlafferen Körperhälfte auszubalancieren, ist auch der Kopf nicht ganz axial angeordnet, sondern neigt sich dieser aktiveren, widerständigeren linken Körperhälfte zu. Wilhelm Lehmbrucks Sitzender Jüngling führt modellhaft vor, wie sich Abstraktion und Expression verbinden lassen, und dieses Modell zeigte Wirkung. Selten allerdings ist in der Folge die Balance zwischen Expression und Abstraktion so eingehalten worden wie bei Lehmbruck. In der Nachfolge überwiegt entweder das eine oder das andere. Georg Kolbes Befreiter schließt an Lehmbruck an, verschiebt aber das Gleichgewicht von stilisierter Form und Expression zu Lasten der Stilisierung. Die emotionale Überwältigung schiebt sich vor die strenge Formgebung, so wie auch die immer noch an Rodin orientierte „lebendige“ Oberfläche der Plastik Kolbes dem Organischen Vorrang vor dem Tektonischen lässt. Wirkung zeitigte Lehmbrucks Sitzender Jüngling, bzw. sein Gebeugter, Der Freund, Der Trauernde oder Der Denker in der Prometheus-Figur von Gerhard Marcks. (Abb. 12) Erst in dieser Figur wird das gestalterische Anliegen von Lehmbruck im vollen Umfang neu zur Aufgabe gemacht. Der Sitzende Jüngling Lehmbrucks war offensichtlich das Vorbild, auf das Gerhard Marcks bei der Arbeit an seinem Gefesselten Prometheus geblickt hatte und mit dem er sich auseinandersetzte. Auch Marcks’ Figur fügt sich in ein geometrisches Gerüst ein. Wie bei Lehmbruck, aber dann doch ganz anders, umschreiben die Arme in Verein jetzt mit Schulter und Nacken ein Rechteck. Der untere Schenkel des Rechtecks – der linke Arm –, ist durchgebogen – Zeichen der Schwäche. Kraftvoller demgegenüber der rechte Oberarm, der das Rechteck nach oben zu abschließt. Diese aus den Armen gefügte Rechteckform rahmt den Rumpf der männlichen Figur, zeigt sein Geschlecht und den nach links sinkenden Oberkörper. Erschöpft liegt der Kopf auf dem linken Knie auf. Wie bei Lehmbruck, nur seitenvertauscht, ist dieses linke Bein stärker nach außen, hier auch stärker nach vorne gestellt, und stärker gekrümmt, man kann auch sagen verkrampft, sind die Zehen.

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Abbildung 12: Marcks, Gerhard, Prometheus II, 1948, Bremen, Gerhard Marcks Haus.

Quelle: Menschenbilder. Figur in Zeiten der Abstraktion (1945–1955), Katalog der Ausstellung, Mannheim, Kunsthalle 1998 –1999, Ostfildern-Ruit: Hatje 1998, S. 284.

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Hier, an dieser linken Seite der Figur, sammelt sich die Schwäche des Besiegten, denn um einen Besiegten handelt es sich, wie die Fesseln ausdrücklich machen. Doch diese Figur ist wie die Lehmbrucks nicht ganz gebrochen. Das rechte Bein steht kraftvoller auf dem Boden auf, ist gespannter, setzt dem Zusammensinken der linken Körperhälfte ein potentielles Aufrichtenkönnen entgegen. Auf dieses kraftvollere Bein stützt sich der vergleichsweise kraftvoll steil nach oben hochgeführte rechte Unterarm. Kraftlosigkeit und Kraft, Zerbrochensein in der Niederlage und Widerständigkeit sind in gespannten Ausgleich gebracht. Der Titel deckt ab, was der Körper von sich her spricht. Prometheus lehnte sich mit List gegen den Göttervater Zeus auf. Nachdem er den obersten Gott bei einem Schlachtopfer hatte betrügen wollen, nahm Zeus den Schutzbefohlenen des Prometheus, den Menschen, das Feuer. Prometheus raubte das Feuer, brachte es den Menschen zurück und wurde deshalb zur Strafe an einen Felsen geschmiedet. Tagtäglich sucht den Besiegten und Gefesselten ein Adler heim, der ihm die immer wieder nachwachsende Leber abfrisst. Trotz seiner Qualen bleibt Prometheus ungebrochen. Die Schlussszene des Gefesselten Prometheus von Aischylos lässt Prometheus trotzig sprechen: „So fahre auf mich / Das Doppelbündel des Feuers herab, / Und der Äther zerreiße vom Donnergetös, / Vom Taumel der wirbelnden Stürme. / [...] / Und er stürze kopfüber / Meinen Leib in den finsteren Tartaros / Im Wirbel des grausamsten Ende: / Nie kann er mich tödlich vernichten.“12

Der antike Mythos im Allgemeinen spielte nach 1945 eine besondere Rolle. Der Vergangenheit stellte man bevorzugt humanistisches Bildungsgut gegenüber. Wenn man sich damit als Begründung für diese Figur von Gerhard Marcks nicht zufrieden gibt, wenn man also einen konkreteren zeitgeschichtlichen Bezug sucht, dann allerdings stellen sich die kritischen Fragen, die Kai-Uwe Hemken an dieses Kunstwerk gestellt hat: „Wer hatte sich mit dem Gefesselten Prometheus im Jahre 1948 zu identifizieren? Die Täter? Die Opfer? Die Mitläufer? Die inneren und äußeren Emigranten?“13 Aber so genau wollte es Gerhard Mar-

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Abbildung 13: Breker, Arno, Prometheus, um 1938.

Quelle: Despiau, Charles: Arno Breker, Paris: Flammarion 1942, S. 66.

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cks wohl nicht gemeint haben. Auch diese Figur, obwohl ikonografisch bestimmt, meint Allgemeines. Einen Prometheus, der eben vom Himmel mit dem den Göttern geraubten Feuer herabsteigt, hatte Arno Breker in den späten 1930er Jahren geformt. (Abb. 13) Ein Heros. Ein trotziger Heros, der es wagt, die Götter herauszufordern. Mit ihm identifizierte sich die NSDAP. Folgerichtig war es ein Lichtträger, der als Personifikation der Partei im Ehrenhof der Reichskanzlei in Berlin aufgestellt wurde. Der Prometheus des Gerhard Marcks ist dann doch sehr anders. Auf Monumentalität ist verzichtet und an die Stelle des sieghaften ist der Gefesselte Prometheus getreten. Nicht verschwiegen sei, dass es von Arno Breker auch die Bronzefigur eines Verwundeten von 1941 gibt, geschaffen für den geplanten Großen Platz vor dem Führerbau in Berlin, der vielleicht ein Zwischenglied zwischen Lehmbrucks Sitzendem Jüngling und Marcks’ Prometheus bildet. Die Ausstellung Taking Positions, die 2001–2002 in Leeds, in Berlin und in Bremen stattfand, hat es gewagt, die drei kauernden Figuren Lehmbrucks, Brekers und Marcks’, sowie Kolbes Befreiten gemeinsam auszustellen,14 was zu Vergleichen über die ideologische und moralische Grenze hinaus anregt. Arie Hartog machte darauf aufmerksam, dass bei Marcks Kopf und gefesselte Hände einander entsprechen, „gleichwertig“ werden. So wichtig war Marcks diese Entsprechung, dass er den Oberkörper gegen jede anatomische Plausibilität sich beugen lassen musste. Marcks sägte deshalb die bereits fertige Gipsfigur des Prometheus auseinander und fügte anschließend Oberkörper und Becken neu und gegen die Anatomie zusammen.15 Ist die in der Parallelisierung von Kopf und Handfessel veranschaulichte Analogisierung von Schuld und Strafe als Eingeständnis der Schuld der Deutschen zu lesen? Das doch eher nicht, denn die gefesselten Hände bilden ein Kreuz. Schon der Kirchenvater Tertullian bezeichnete Prometheus als „Gekreuzigten“, stellte also einen Zusammenhang her zwischen dem antiken Dulder Prometheus und dem Kreuzestod Christi.16 So wird man den Gefesselten Prometheus des Gerhard Marcks also doch nicht als deutsches Schuldeingeständnis interpretieren dürfen, sondern mit Hartog, als Symbol für das menschliche Dasein im Allge-

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meinen. Der Mensch gedrückt, gefesselt vom Schicksal, und doch ungebrochen.17 Und nur auf dieser sehr allgemeinen Ebene konnten sich die Deutschen nach 1945 in dieser Figur wieder erkennen. Sie erkannten dabei weniger ihre Schuld, als vielmehr das von ihnen schicksalhaft Erlittene, und bekamen zugleich in der diskret angedeuteten Ungebrochenheit des antiken Kulturbringers den Appell, sich auch vom tiefsten Leid nicht zur Aufgabe zwingen zu lassen. In Hinblick auf die Verdrängung dessen, was vor 1945 an Schuld gehäuft wurde, ist Marcks’ Prometheus II also durchaus kritisch zu befragen. Fraglos aber ist Marcks damit ein großes Kunstwerk gelungen. Auch Wilhelm Lehmbrucks Sitzender Jüngling hob das Leid des Krieges und das Ungebrochensein noch im Tode auf die allgemeinste Ebene. Mit dem Wegfall des in die Vorzeichnung eingetragenen Schwertes und ohne den direkten Hinweis auf die gefallenen deutschen Soldaten, wird über Besiegtsein und Ungebrochensein, wie oben ausgeführt, jetzt nur noch in dem komplexen Dialog von passiver und aktiver Körpersprache verhandelt. Aber was heißt „nur“? Eben das war ja die große Leistung Lehmbrucks in dieser Plastik gewesen. Einen menschlichen Körper von Leid und Widerständigkeit sprechen zu lassen ohne äußere Zeichen, allein nur durch die Sprache des Körpers und durch die leichten Störungen des abstrakten Gerüstes. Ähnlich ist der Prometheus des Gerhard Marcks zu würdigen: Eine vollkommen ausgewogene Komposition, die trotzdem so gespannt ist, dass das, wovon der Künstler sprechen wollte – von Leid, von Erniedrigung, welche trotzdem nicht zur gänzlichen Selbstaufgabe führen, denen Widerständigkeit im Elend entgegengesetzt wird – ganz allein von einem durch Kunst gebildeten Körper gesprochen werden konnte. In der westdeutschen Kunst der folgenden Jahre konnte das Thema des Gebeugten noch stärker der Stilisierung und Abstrahierung unterzogen werden, als das bei Lehmbruck und Marcks der Fall war. Genannt und abgebildet sei der Vorgebeugte des oberbayrischen Künstlers Seff Weidl. (Abb. 14) Die Ästhetik der 1950er Jahre, mit ihrer „neuen Leichtigkeit“, dem weichen Schwung der Formen, hier: dem schwingenden Zusammenspiel der lang gezogenen Gliedmaßen, manifestiert sich in dieser Bronze. Seff Weidl hat eine formal gelungene Plastik ge-

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Abbildung 14: Weidl, Seff, Vorgebeugter, 1954.

Fotografie: Hans Körner.

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schaffen; er ist, wenn man teleologisch argumentieren wollte, was ich nicht will, moderner als Gerhard Marcks. Er ist aber auch unernster geworden. Die zwar sehr allgemeine, aber als Allgemeine doch existenzielle Dimension der Marcks’schen Figur ist in Dekoration übersetzt. Gerhard Marcks’ Hiob (Abb. 15), entstand 1957 und wurde in diesem Jahr „zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ auf dem Frankfurter Hauptfriedhof aufgestellt. Die ungefähre Bezugnahme auf die nationalsozialistische Vergangenheit, wie sie Marcks mit seinem Prometheus unternommen hatte, ist mit der Verortung dieser Figur bestimmter geworden, wenn auch die Opfergruppe, auf die das Werk referiert, immer noch sehr im Allgemeinen geblieben ist. Zu dieser Allgemeinheit stimmt das Thema: Hiob war das Opfer einer Wette zwischen Gott und Satan. Gott erlaubte Satan, Hiob alles zu nehmen, was diesem im Leben lieb und teuer war. Seine Herden wurden vernichtet, alle Kinder starben ihm. Er selbst wurde von Krankheit und Aussatz geschlagen. Doch alles Leid brach nicht sein Gottvertrauen. Der Glaube Hiobs widerstand allen Versuchungen Satans, und der standhafte Dulder Hiob erhielt schließlich von Gott als Lohn das Doppelte des Verlorenen zurück. Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden solcherart als göttliche Prüfung interpretiert. Ob es eine angemessene Interpretation ist, ist durchaus fraglich. Stellt man Reproduktionen des Hiob von Gerhard Marcks neben Seff Weidls Vorgebeugten, wird ersichtlich, dass der Trend zu einer stärkeren Stilisierung des menschlichen Körpers von Marcks mitvollzogen wurde. Nicht aber der Trend zu der bei Weidl deutlichen dekorativen Verharmlosung. Eher begab sich Gerhard Marcks mit seinem Hiob in noch größere Nähe zu dem prägenden Vorbild, Wilhelm Lehmbrucks Sitzendem Jüngling. Der Vergleich verdeutlicht, wie ähnlich und dann doch anders Marcks in seiner Figur Passivität und noch nicht erloschene Aktivität, Niedergedrücktsein und Ungebrochensein in subtile Spannung setzte. Man achte auf die Hebung und Senkung der Schulterpartie, auf die verkrampfte rechte und die zugreifendere linke Hand, auf das um Nuancen kräftiger aufstehende linke Bein. Man achte bei Marcks aber auch darauf, wie trotz oder wegen der Architektonisierung des hier gestängehaft ausgezehrten Körpers sich Körperlichkeit

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Abbildung 15: Marcks, Gerhard, Hiob, 1957, Frankfurt, Hauptfriedhof (Abguss vor Nürnberg, St. Klara).

Quelle: Wikimedia commons.

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Abbildung 16: Marcks, Gerhard, Kölner Totenmal (mit ursprünglichem Sockel), 1946–49, Köln, bei St. Maria im Kapitol.

Quelle: Rudloff, Martina (Hg.): Gerhard Marcks 1889–1981. Retrospektive, Katalog der Ausstellung, Köln, Josef-Haubrich-Kunsthalle u. a. 1989– 1990, Bremen/München: Hirmer 1989, S. 281.

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Abbildung 17: Marcks, Gerhard, Charonsnachen, Totenmal in Hamburg-Ohlsdorf, Sandstein, 1951.

Quelle: Frenzel, Ursula: Gerhard Marcks 1889–1981. Briefe und Werke (=Werke und Dokumente, Neue Folge Bd. 8 (HG. v. Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg) München: Prestel 1988, S. 287.

umso eindringlicher meldet. Leicht wölbt sich im Sitzen der Bauch des biblischen Dulders nach vorne. Dieser Wölbung, die das Absacken des Körpers im Sitzen verdeutlicht, korrespondiert der gesenkte Kopf; sie markiert die Verletzlichkeit dieses Körpers. Gerhard Marcks war für die frühe Nachkriegszeit in Westdeutschland die Instanz, wenn es Mahnmale aufzurichten galt. Dem Gedächtnis aller Kriegstoten – auch hier die aus heutiger Sicht problematische Gleichsetzung der gefallenen Soldaten mit den vom NS-Regime Ermordeten – widmete Marcks sein Kölner Totenmal. (Abb. 16) Für den Friedhof im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf schuf er das Mahnmal für die Opfer, die der Bombenangriff auf Hamburg 1943 gefordert hatte. (Abb. 17) Der Fährmann der Unterwelt, Charon, bringt die Schatten

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Abbildung 18: Kollwitz, Käthe, Der Vater. Gefallenenehrenmal auf dem Soldatenfriedhof in Eessen bei Dixmuiden, Granit, 1924–32.

Quelle: Werner, Bruno E.: Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin: RembrandtVerlag 1940, S. 50.

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Abbildung 19: Kollwitz, Käthe, Die Mutter. Gefallenenehrenmal auf dem Soldatenfriedhof in Eessen bei Dixmuiden, Granit, 1924–32.

Quelle: Werner, Bruno E.: Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin: RembrandtVerlag 1940, S. 51.

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der Verstorbenen über den Todesfluss Styx in die Unterwelt. In der von einem Korbbogen überfangenen Nische sehen wir diese grimmige Figur links mit dem Paddel in der Hand. Daneben – verkleinert – der Kauernde, ein Paar, eine Mutter mit Kind und ein nackter Mann der dem Ziel der Todesreise gefasst entgegenblickt. Mythologische Verbrämung einer durchaus konkreten politischen Konstellation, trotzdem oder sogar deswegen, ein großes Kunstwerk. Gerhard Marcks war gebürtiger Berliner. Zum Wahlrheinländer wurde er 1950, als er sich in einem von der Stadt Köln bereitgestellten Wohn- und Atelierhaus in Köln-Müngersdorf niederließ.18 Schon vor seiner Übersiedlung hatte er wichtige Denkmäler in und für Köln gesetzt: das Denkmal für Albertus Magnus vor der Kölner Universität und, wie erwähnt, das Kölner Totenmal vor St. Maria im Kapitol. Insofern dürfen wir Gerhard Marcks nicht allein als entscheidenden Vertreter der Erinnerungskultur der jungen Bonner Republik im allgemeinen, sondern sogar in einem spezifischen – einem spezifisch rheinischen Sinne – ansehen. Eingerheinischt, wenn man das so sagen darf, wurde eine berühmte Figurengruppe der im preußischen Königsberg geborenen Käthe Kollwitz. (Abb. 18, 19) Die Künstlerin schuf es ab 1924 für den Soldatenfriedhof in Vladslo in Flandern. Hier in der Nähe war ihr Sohn Peter – er hatte sich minderjährig freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und die Mutter hatte es nicht verhindern können oder wollen – in der ersten Flandernschlacht des Weltkriegs bei Ypern gefallen. Der Bombenkrieg, der das alte Köln in Trümmer gelegt hatte, verschonte auch den Gürzenich nicht. Im mittleren 15. Jh. war der Gürzenich von den Kölner Bürgern als Fest- und Tanzhaus errichtet worden. Als Ort des Festes sollte es nach den Kriegszerstörungen, die nur die Umfassungsmauern übrig gelassen hatten, neu erstehen. 1947 war Rudolf Schwarz zum Generalplaner für den Wiederaufbau Kölns bestellt worden. Ihm und seinem Mitarbeiter Karl Band wurde aufgetragen, den Gürzenich unter Wahrung der Außenmauern neu, aber eben erneut als Festhaus, wiederherzustellen. Diesen Bau, diesen Ort des heiteren Festes, hatte Rudolf Schwarz denn auch im Inneren so heiter, so festlich gestaltet, wie das in den frühen Nachkriegsjahren überhaupt möglich war.

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Abbildung 20: Köln, Blick vom Gürzenich auf St. Alban.

Quelle: Schwarz, Rudolf: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle, Heidelberg: Kerle 1960 (Regensburg: Schnell + Steiner 2007), S. 117.

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Der festlich-heitere Bau grenzte an die alte Pfarrkirche St. Alban. Auch St. Alban war zerstört worden. Nur Reste, Pfeiler, Bögen, einige Mauern ließen die Bomben von dieser Pfarrkirche, deren Geschichte weit, mindestens bis ins neunte Jahrhundert zurückreicht und deren Aussehen bis zum Bombenkrieg im wesentlichen einem Umbau aus den Jahren um 1670 verdankt war. Wie für den Wiederaufbau des Gürzenich waren Rudolf Schwarz und Karl Band auch für das zerstörte St. Alban zuständig. Sie setzten es durch, dass St. Alban als Ruine konserviert wurde. Abb. 20 zeigt den Blick auf die Ruine von St. Alban, wie man ihn von einem Fenster der Haupttreppe des Gürzenich aus hat. Auch und gerade das gehört zur Geschichte der modernen Architektur, obwohl oder eben gerade weil hier nur ein Zustand der Zerstörung als solcher konserviert wurde. Die Ruine und das Festhaus; Zerstörtes und prachtvoll Wiedererstandenes – dieser heftige Kontrast, der ein sehr katholischer Kontrast ist, gehört zu den großen Leistungen der Nachkriegsarchitektur. „[D]ie Feste des Lebens“ sollten, so Rudolf Schwarz, in dieser einzigartigen Verbindung von Festarchitektur und Ruine, „vor den Hintergrund des Todes gestellt werden, um an die unerforschliche Bosheit des menschlichen Herzens zu mahnen.“19 Einige Jahre später beauftragte man den Aachener Bildhauer Ewald Mataré die vergrößerte Kopie nach der Figurengruppe von Käthe Kollwitz anzufertigen. (Abb. 21) Mit der Aufstellung dieser Figurengruppe der Trauernden Eltern, wurde aus der alten Pfarrkirche St. Alban nun, 1959, auch offiziell ein Mahnmal: die Gedenkstätte der Zerstörung und der Toten der Weltkriege. Wieder begegnen wir der sehr unspezifischen Adressierung der Trauer. Aller Toten der Weltkriege und der Kriegszerstörungen insgesamt wird gedacht. Der Verallgemeinerung der Trauer korrespondiert die Entstehung des Erinnerungsbildes. Das Elternpaar von Käthe Kollwitz auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Flandern nahm seinen Ausgangspunkt von der privaten Trauer der Künstlerin als Mutter und ihres Mannes Karl Kollwitz über den toten Sohn, private Trauer, die die Trauer über die gefallenen deutschen Soldaten dieser Schlacht einschloss. Ewald Mataré holte die Trauergruppe aus ihrem Kontext, aus dem privaten Kontext, aus dem Kontext des Soldatenfriedhofs und verortete sie neu: hinein in die von Rudolf Schwarz erzeugte Spannung zwischen Alt und Neu, zwischen Zerstö-

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Abbildung 21: Mataré, Ewald, Kopie nach Käthe Kollwitz: Trauernde Eltern (1932), 1954, Köln, St. Alban.

Quelle: Wikimedia commons. Fotografie: K. Weisser.

rung und Neubau, zwischen Fest und Trauer. Und in der Vergrößerung der Skulpturengruppe emanzipierte sich die Kölner Kopie zusätzlich. Damit wurde das so angeeignete, neutkontextualisierte Werk der Kollwitz frei für neue inhaltliche Besetzungen, und die waren, wie gehört, von größtmöglicher Allgemeinheit: Die Eltern trauern jetzt über die Zerstörungen der Weltkriege (Mehrzahl) und über die Toten der Weltkriege (Mehrzahl). In den oben genannten und gezeigten Werken war Allgemeines Gegenstand des Trauerns. Man kann nicht abweisen, und das wurde im vorhergehenden auch nicht getan, dass diese Verallgemeinerungen Unschärfen erzeugen und insofern auch als Weisen des Verdrängens von Schuld beschrieben werden müssen. Doch wir dürfen auch der anderen Seite Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Allgemeine ist zwar das Thema, doch das Komplement zum Allgemeinen ist, wie oben diskutiert, ein Zweifaches: Selbst-Verständlichkeit im Sinne von Selbstbezüglichkeit und Vieldeutigkeit. Derart entstehen Öffnungen zum Besonderen, vor allem in der individuellen Wahrnehmung dieser Werke.

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Abbildung 22: Eisenmann, Peter, Holocaust-Denkmal, Berlin, 1997–2005.

Quelle: Wikimedia commons. Fotografie: K. Weisser.

Und diese potentiellen Öffnungen sollten wir nicht geringschätzen. Der Prometheus II des Gerhard Marcks und sein Hiob, um diese beiden Sitzstatuen nochmals zu erwähnen, haben das Potential, den sensiblen Betrachter zu erschüttern, und es spricht nichts dagegen, dass in der subjektiven Erfahrung der Kunstwerke sich das Allgemeine auf Besonderes hin aufschließen lässt. Ich will abschließend und nur kurz auf ein aktuelleres Beispiel von Erinnerungskultur zu sprechen kommen und will die Frage aufwerfen, wie sich unsere gegenwärtige Erinnerungskultur zur Problematik, oder um es auch positiv zu formulieren, zu den Möglichkeiten der Verallgemeinerung der Trauer verhält. Anders als die in der Adenauerschen Bonner Republik produzierten Denkmäler ist das Holocaust-Denkmal

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in Berlin (Abb. 22) in der Adressierung der Memoria präzis: Es ist nicht mehr pauschal den Opfern von Krieg und Gewalt unter dem Nationalsozialismus gewidmet, sondern den ermordeten Juden. Um jede Unschärfe im Vorfeld zu vermeiden, sind aus dem Gedenken die ermordeten Sinti und Roma ausgeschlossen worden, die erst 2012 im Großen Tiergarten eine Gedenkstätte bekamen. Peter Eisenmanns Stelenfeld drängt die Schuld der Deutschen nicht in das Ungefähre des Allgemeinen ab. Doch das Denkmal selbst bringt seine Allgemeinheit ins Spiel. Wer das Holocaust-Denkmal besucht hat, wird den Eindruck mitgenommen haben, dass dies ein beeindruckender Ort ist, ein Ort der Besinnung und der Trauer. Doch es ist eben auch Touristenspektakel, Teil des Freizeitvergnügens der Berliner, Treffpunkt für Liebespaare, Kinderspielplatz. Auch und gerade die Einbindung des Denkmals in alltägliche von der Erinnerung an Schuld unbelastete Alltagspraktiken ist eine Form der Verallgemeinerung, zumal es ja nicht ein Denkmal im öffentlichen Raum, sondern für sich bereits öffentlicher Raum ist. Man sollte den im Kunstwerk verallgemeinerten Erinnerungen der frühen Nachkriegszeit dieselbe Problematik und dieselbe Paradoxie zugestehen. Vielleicht gibt es restlos gelungene Erinnerungskultur im Kunstwerk gar nicht. Die vorsätzliche Verdrängung jedenfalls ist zumindest im Endeffekt nicht unbedingt problematischer als die nachsätzliche. Doch darüber kann man streiten.

A nmerkungen 1 | Berger, Ursel/Gabler, Josephine (Hg.): Georg Kolbe: Wohn- und Atelierhaus. Architektur und Geschichte, Berlin: Jovis 2000, zit. n. Untergang einer Tradition. Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich / Taking Positions. Figurative Sculpture and the Third Reich, Katalog der Ausstellung, Leeds, Henry Moore Institute u.a., 2001–2002, Leeds: Henry Moore Inst. 2001, S. 114. 2 | Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Bd. 2: Michelangelo und seine Zeit, München: Hirmer 1992, S. 111.

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3 | Thode, Henry: Michelangelo und das Ende der Renaissance. Band 3,2: Der Künstler und seine Werke, 2 Abteilung: Der Künstler und seine Werke, Berlin: Grote 1912, S. 46. 4 | Hierzu und zum folgenden, Fath, Manfred (Hg.): Auguste Rodin: Das Höllentor. Zeichnungen und Plastik, Katalog der Ausstellung, Mannheim, Städtische Kunsthalle 1991–1992, München: Prestel 1991, S. 13ff. 5 | Ebd., S. 14. 6 | Ebd., S. 141. 7 | Pinder, Wilhelm: Georg Kolbe. Werke der letzten Jahre, Berlin: Rembrandt 1937, Taf. 57. 8 | Dazu v.a. Springer, Peter: „Rhetorik der Standhaftigkeit. Monument und Sockel nach dem Ende des traditionellen Denkmals“, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. XLVIII / XLIX (1987/88), S. 365–408, S. 374, Hartog, Arie: Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz: Ernst-Rietschel-Kulturring e. V. 2009. Es ist bemerkenswert, dass Beenken 1944 der auf die Grundbewegungen des menschliche Körpers konzentrierten Plastik mangelnden „Sinnzusammenhang“ vowarf, aber zugestand, dass die Kunst sich für „ihre kommende Aufgabe“, „die des nationalen Denkmals“, erst noch rüsten müsse. Beenken, Hermann: Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft, München: F. Bruckmann 1944, S. 499. 9 | Salzmann, Siegfried: Wilhelm Lehmbruck. Katalog der Sammlung des Wilhelm-Lehmbruck-Museums der Stadt Duisburg, Recklinghausen: A. Bongers 1981, S. 86, Schubert, Dietrich: Die Kunst Lehmbrucks, Worms: Werner 1990, S. 248. 10 | Zit. n. D. Schubert: Die Kunst Lehmbrucks, S. 249. 11 | Zit. n. Beloubek-Hammer, Anita: „Expressivität und gesetztes Maß. Zur Wilhelm-Lehmbruck-Retrospektive im Alten Museum in Berlin“, in: Bildende Kunst, 1 (1988), S. 155–157, hier S. 157. 12 | Aischylos: „Prometheus“, in: Aischylos, Die Danaostöchter / Prometheus / Thebanische Trilogie / Die Netzfischer, dt. Übers. v. Ernst Buschor (1958), Zürich / München: Artemis 1979, S. 81–135, hier S. 133f.

Wie allgemein kann man trauern?

13 | Zit. n. A. Hartog, Moderne deutsche figürliche BIldhauerei, S. 181. 14 | Untergang einer Tradition/Taking Positions, S. 92. 15 | A. Hartog, Moderne deutsche figürliche Bildhauerei, S. 179. 16 | Hinweis von Reinhard Steiner. Reinhard Steiner stellt allerdings den behaupteten typologischen Aspekt der Prometheusfigur bei Tertullian in Frage. 17 | A. Hartog, Moderne deutsche figürliche Bildhauerei, S. 181. 18 | Zur Biografie: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Marcks vom 14.02.2018. 19 | Zit. n. Schilling, Hans: Architektur 1945-2000, Köln: König 2001, S. 40.

L iteratur Aischylos: „Prometheus“, in: Aischylos, Die Danaostöchter / Prometheus / Thebanische Trilogie / Die Netzfischer, dt. Übers. v. Ernst Buschor (1958), Zürich/München: Artemis 1979, S. 81–135. Beenken, Hermann: Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft, München: F. Bruckmann 1944. Beloubek-Hammer, Anita: „Expressivität und gesetztes Maß. Zur Wilhelm-Lehmbruck-Retrospektive im Alten Museum in Berlin“, in: Bildende Kunst, 1 (1988), S. 155–157. Berger, Ursel/Gabler, Josephine (Hg.): Georg Kolbe: Wohn- und Atelierhaus. Architektur und Geschichte, Berlin: Jovis 2000. Fath, Manfred (Hg.): Auguste Rodin: Das Höllentor. Zeichnungen und Plastik, Katalog der Ausstellung, Mannheim, Städtische Kunsthalle 1991–1992, München: Prestel 1991. Hartog, Arie: Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz: Ernst-Rietschel-Kulturring e. V. 2009. Pinder, Wilhelm: Georg Kolbe. Werke der letzten Jahre, Berlin: Rembrandt 1937. Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Bd. 2: Michelangelo und seine Zeit, München: Hirmer 1992.

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Salzmann, Siegfried: Wilhelm Lehmbruck. Katalog der Sammlung des Wilhelm-Lehmbruck-Museums der Stadt Duisburg, Recklinghausen: A. Bongers 1981. Schilling, Hans: Architektur 1945–2000, Köln: König 2001. Schubert, Dietrich: Die Kunst Lehmbrucks, Worms: Werner 1990. Springer, Peter: „Rhetorik der Standhaftigkeit. Monument und Sockel nach dem Ende des traditionellen Denkmals“, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. XLVIII / XLIX (1987/88), S. 365–408. Thode, Henry: Michelangelo und das Ende der Renaissance. Band 3,2: Der Künstler und seine Werke, 2 Abteilung: Der Künstler und seine Werke, Berlin: Grote 1912. Untergang einer Tradition. Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich / Taking Positions. Figurative Sculpture and the Third Reich, Katalog der Ausstellung, Leeds, Henry Moore Institute u. a., 2001– 2002, Leeds: Henry Moore Inst. 2001. Internet-Texte https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Marcks

Kennwort: „Askarispende“ Koloniale Kontinuitäten in der Ära Adenauer 1 und darüber hinaus Stefanie Michels

1945 bedeutete in Bezug auf die Beziehungen der Bonner Republik zu Afrika eine weit weniger tiefgreifende Zäsur als gemeinhin angenommen. Bis in die Gegenwart hinein wird die deutsche – wie die europäische – Afrikapolitik in vielfältiger Weise von kolonialen Kontinuitäten geprägt.2 Die neuere geschichtswissenschaftliche Forschung kann dabei empirisch dicht zeigen, durch wen, wann und wie diese Kontinuitäten gerade in der Ära Adenauer funktionierten. Ich gehe von zwei Prämissen aus. Erstens: Deutschlands koloniale Vergangenheit war lang und bedeutend und zweitens: Es gab in Deutschland zu keinem Zeitpunkt eine ‚koloniale Amnesie‘, also einen Gedächtnisverlust in Bezug auf die deutsche Kolonialvergangenheit. In Bezug auf ersteres zeige ich, dass sowohl die dreißig Jahre formeller deutscher Kolonialherrschaft (1884–1914) sowie in besonders prägender Form der Erste Weltkrieg in den deutschen Kolonien, aber auch die Weimarer Republik und als neuer Höhepunkt die NS-Zeit von kolonialen Aktivitäten, Planungen und persönlichen Erfahrungen geprägt waren und einen Interaktionsraum für Menschen aus den Kolonien und Deutschland darstellten, der sich entscheidend in die Bonner Republik und die Gegenwart einfand. Zum zweiten, dass sich dabei die Grenzen des Sag- und Schreibbaren in Bezug auf die koloniale Vergangenheit stetig verändert haben. Einen Wendepunkt machten die Jahre 19641966 aus – ohne einen Bruch darzustellen.3

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In der Bonner Republik gab es einen Kampf um das Sprechen über deutsche Kolonialgeschichte, ein Ringen um Begriffe, und die Deutungsmacht in der deutschen Öffentlichkeit, der bis heute andauert. Eine zentrale Leerstelle war die empirische Beschäftigung mit der deutschen Kolonialzeit in den Räumen des globalen Südens und mit Perspektiven und Narrativen in diesen Räumen und von den dort lebenden Menschen. Im geschichtspolitischen Kampf, der derzeit in den Feuilletons und auf Twitter wieder heiß ausgefochten wird, ist ‚koloniale Amnesie‘ ein Schlüsselbegriff. Die Beschäftigung mit den Debatten in der frühen BRD zeigt jedoch, dass dieser Befund empirisch nicht haltbar ist.4 Anstelle von ‚kolonialer Amnesie‘ wird stattdessen der Begriff der ‚kolonialen Aphasie‘ stark gemacht, der betont, dass es sich um eine Schwierigkeit handelt, Begriffe und Wörter bestimmten Gegenständen und Konzepten zuzuordnen.5 Viel wirkmächtiger und weitaus weniger beachtet, weil es darüber bis heute einen gesellschaftlichen Konsens zu geben scheint, ist die Verschiebung kolonialer Ideologien in die Entwicklungszusammenarbeit.6 Für die Bonner Republik zeige ich dies am Beispiel der direkten Beziehungen zu den deutschen Kolonialsoldaten. Unter dem Kennwort „Askarispende“ überwiesen Bundesbürger im Jahr 1964 Geld, das in Ostafrika von offiziellen Regierungsvertretern an ehemalige deutsche Kolonialsoldaten übergeben wurde. Dass die Askari 1964 selbst ebenfalls Geld sammelten, um eine Plakette am Grab des Kommandeurs der deutsch-ostafrikanischen Schutztruppe im Ersten Weltkrieg zu stiften, ist eine „Askarispende“, die in der zeitgenössischen deutschen Wahrnehmung nicht in den gleichen Zusammenhang gestellt wird. Wie der koloniale zeichnet sich auch der Entwicklungsdiskurs in der BRD weitgehend durch das Fehlen oder bewusste Ausgrenzen afrikanischer Stimmen aus. Wie dies funktionierte zeige ich exemplarisch am Beispiel einer WDR-Dokumentation aus dem Jahr 1966. Die ‚koloniale Aphasie‘ wird hieran deutlich.

Kennwort: „Askarispende“

I. Das lange deutsche Kolonialjahrhundert In der Ära Adenauer waren in der Bundesrepublik Deutschland in Politik und Gesellschaft Personen aktiv, die selbst über aktive koloniale Erfahrungen verfügten – dazu gehörte auch Konrad Adenauer selbst, der von 1931 bis 1933 Vizepräsident der deutschen Kolonialgesellschaft war und 1931 im Kölner Gürzenich eine Kolonialkundgebung ausgerichtet hatte.7 Andere Spitzenpolitiker der jungen Bonner Republik kamen aus regelrechten Kolonialfamilien und waren von ihrer Biografie und ihrer Ausbildung her auf ein Leben und Arbeiten in europäischen Kolonien festgelegt – hierzu gehörte Kai-Uwe von Hassel. Hassels Vater war Offizier in der deutsch-ostafrikanischen Kolonialtruppe und hatte sich mit seiner Familie anschließend in Deutsch-Ostafrika (DOA) niedergelassen. Kai-Uwe von Hassel besuchte 1934 die deutsche Kolonialschule in Witzenhausen und arbeitete ab 1935 in Tanganyika, dem ehemaligen DOA. Von 1939 bis 1940 war er wie die meisten Auslandsdeutschen in Dar es Salaam interniert. Von Hassel war von 1954–1963 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, von 1963–1966 Bundesverteidigungsminister, dann Vertriebenenminister und schließlich Bundestagspräsident.8 In vielen ehemaligen deutschen Kolonien, die seit 1919 offiziell dem Völkerbund unterstanden, waren bis zum Zweiten Weltkrieg ehemalige deutschen Siedler und Unternehmer aktiv.9 Sie dominierten die weiße Bevölkerung in Namibia, dem nun unter südafrikanischer Verwaltung stehenden Deutsch-Südwestafrika, ebenso in der Region um den Kamerunberg im britisch verwalteten Teil Kameruns und Tanganyikas. Am Beispiel der Plantagen in Kamerun hat aktuelle Forschung gezeigt, dass diese zwar nicht ungebrochen, aber dennoch kontinuierlich nach 1914 von Deutschen weiterbetrieben wurden und die dort aktiven Personen ihr Wissen nach 1945 für konkrete Projekte der Entwicklungshilfe zur Verfügung stellten.10 In Deutschland waren Menschen aus den ehemaligen Kolonien auch nach 1919 präsent, die in einigen Branchen und Regionen prägend waren.11 Die Idee einer erneuten kolonialen Betätigung Deutschlands in Übersee wurde bis 1943 in Deutschland aktiv verfolgt und gehörte

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zum Standardrepertoire politischen Denkens. Gleichzeitig formierten sich in Deutschland international vernetzte Verbände, die antiimperialistisch ausgerichtet waren.12 Diese wurden ab 1933 unter Druck gesetzt, Aktivisten ausgewiesen, verhört oder inhaftiert und die Verbände verboten. In Deutschland lebende Afrikaner aus den ehemaligen Kolonien äußerten sich jedoch weiterhin politisch, dabei positionierten sie sich mehrheitlich als mit den Deutschen gemeinsam auf das Ziel hinarbeitend die Kolonien zurückzugewinnen, jedoch mit deutlicher eigener Agenda. Abbildung 1: Josef Mambingo (*1890 in Duala/Kamerun, gest. 1952 in Düsseldorf), hier auf dem Kolonialkriegertag in Bremen 1938 in der Uniform der Askari der deutschen Kolonialtruppe in Ostafrika.13

Quelle: Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, Bildnummer 057-7041d-13.

Bis 1943 betrieben die staatlichen Behörden der NS-Zeit ein offizielles Kolonialprogramm und führten bestehende koloniale Infrastrukturen fort. Dies betraf verschiedene Wissenschaften, die sich mit kolonialen Planungen befassten, wie die Geografie, Sprachwissenschaft und Völ-

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kerkunde. Es wurden aber auch Institutionen weitergeführt, die ganz praktisch auf den Kolonialdienst vorbereiteten. Die Deutsche Kolonialschule im nordhessischen Witzenhausen beispielsweise bildete bis 1944 Schüler zu Koloniallandwirten aus. Die Koloniale Frauenschule in Rendsburg überdauerte gar die Kapitulation Deutschlands, allerdings erfolgte hier ab 1942 ein weitgehendes Umlenken auf die Ostgebiete.14 Die Ostexpansion und die Überseekolonisation gingen in der NS-Zeit in ein Großraumprogramm über, das der Historiker van Laak als Höhepunkt des deutschen Imperialismus bezeichnet.15 Grundsätzlich gab es allerdings Unterschiede zwischen den klassischen kolonialrevisionistischen Positionen, die bereits aus der Weimarer Republik kamen und den imperialen Plänen der Nationalsozialisten. Dennoch sahen viele der Kolonialrevisionisten hier die Möglichkeit, ihre politischen Ziele weiter zu verfolgen – Heinrich Schnee, der letzte Gouverneur von DOA und Paul von Lettow-Vorbeck gehörten dazu.16 Mit der Niederlage nach Stalingrad im Jahre 1943 wurden Deutschlands Kolonialplanungen offiziell abgebrochen und die Institutionen abgewickelt – auch für Menschen aus dem globalen Süden, wie den aus den ehemaligen deutschen afrikanischen Kolonien stammenden Menschen, wurde das Leben nun noch gefährlicher. Somit lässt sich als Zäsur für das Verschwinden der Forderung nach deutschen Kolonien als Teil der offiziellen deutschen Politik das Jahr 1943 ausmachen – die Forderung wurde danach von keiner deutschen Partei mehr erhoben. Einzelpersonen, wie der bereits erwähnte prominente Paul von Lettow-Vorbeck, taten dies jedoch noch in den 1950er Jahren – anlässlich einer Reise ins ehemalige DOA im Jahr 1953. Diejenigen Personen, die noch im Jahre 1943 aktiv an Kolonialplänen beteiligt waren, setzten ihre Karrieren in der früheren BRD fort und brachten auch das entsprechende Gedankengut ein.17 Der 1956 gegründete „Traditionsverband deutscher Überseetruppen“ (TSÜ) stand diesen Gedanken ebenfalls sehr nah.18 Auch die 1956 entstandene Bundeswehr pflegte die ‚Tradition‘ der ehemaligen kolonialen ‚Helden‘, wie Lettow-Vorbeck.19 In den 1950er Jahren wurde der Mythos von Lettow-Vorbeck und seinen treuen Askari zur Festigung des Bildes der ‚sauberen Wehrmacht‘ benutzt.20 Lettow-Vorbeck hat sich selber nie als Gegner der Nationalsozialisten bezeichnet. Im Gegenteil, er empfand Genugtuung in Anbe-

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tracht der Ehre und des Respekts, den ihm das NS-Regime angedeihen ließ. Seiner Popularität in der BRD tat dies keinen Abbruch – es bildeten sich sogar Legenden von einer Beteiligung Lettow-Vorbecks am Widerstand.21 Die ehemaligen deutschen Askari, als Soldaten in einer deutschen Armee, und ihre vermeintliche Verehrung für Lettow-Vorbeck sollten dies bezeugen. Deutschlands Presse berichtete von der Reise Lettow-Vorbecks in die ehemaligen deutschen Kolonien im Jahr 1953, dass Lettow-Vorbecks Name „noch heute wie ein Zauberwort unter den alten Askaris wirkt“22. Die Opfer auf afrikanischer Seite lagen hingegen völlig außerhalb des Wahrnehmungshorizonts. Auf dem Schlachtfeld des ‚ritterlichen Turniers‘ waren nur die Truppen, ihre Führer und Soldaten sichtbar, ansonsten blieb es menschenleer. Auf weltpolitischer Ebene waren Kolonialgebiete nach 1945 eigentlich diskreditiert. Auf Druck der USA und der 1941 verkündeten Atlantik-Charta wurden im asiatischen und pazifischen Raum die meisten Gebiete ab 1945 formell unabhängig. Während des Zweiten Weltkrieges waren die Kolonien für die europäischen Kolonialmächte allerdings äußerst wichtig, sowohl in wirtschaftlicher Sicht als auch als Rekrutierungsgebiet und im Falle der Truppen des Freien Frankreichs als Aufbaugebiet und Hauptquartier.23 Auf der einen Seite kam es zu einem Erstarken des internationalen Anti-Imperialismus, auf der anderen Seite postulierten die europäischen Kolonialmächte für Afrika einen „Entwicklungskolonialismus“, der argumentierte, die Kolonien müssten durch „Entwicklung“ durch Europa zu einem späteren Zeitpunkt erst in die Lage gebracht werden, unabhängig zu sein.24 Zu diesem Zeitpunkt begannen einige deutsche Politiker, die scheinbar fehlende deutsche Kolonialverwicklung als etwas Positives zu sehen. Deutschland wurde als kolonial unbelastet dargestellt, im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien, die in den 1950er Jahren blutige Kolonialkriege ausfochten. Westdeutschland konnte sich so strategisch im globalen Süden Absatz- und Rohstoffmärkte erschließen und für nicht mehr zugänglichen Märkte in Osteuropa kompensieren.25 Im deutlichen Gegensatz dazu stand die Präsenz von Deutschen mit aktiver kolonialer Erfahrung in zentralen politischen Institutionen der BRD wie dem Auswärtigen Amt26 und dem 1961 gegründeten ‚Ent-

Kennwort: „Askarispende“

wicklungsministerium‘.27 Auch in auf staatliche Initiative gegründeten Institutionen, wie dem „Deutschen Entwicklungsdienst“, waren Personen aktiv, die bis 1943 an den Kolonialplanungen beteiligt waren.28 Im Umfeld der deutschen Wirtschaft und deren Exportförderung waren Vereine und Lobbygruppen tätig, die bereits in der Kolonialzeit aktiv waren, wie der „C Hamburg-Bremen“ oder der „Übersee-Club. Gesellschaft für Weltwirtschaft e.V.“29 Die Historikerin Schilling kommt in Bezug auf koloniale Kontinuitäten für die junge Bonner Republik zu folgendem Schluss: The continuation of colonial memory in the public sphere in the long 1950s was […] not just a continuation of mentalities, but the actual continuity of personalities who had been active in colonial organizations during Weimar and Nazi Germany, and now resumed prominent positions in public life. 30

Deutschland reihte sich somit in eine europäische Erfahrung ein, in der sich vormals koloniale Beziehungen in neuen Institutionen weiter konsolidierten.31 In der frühen Bonner Republik waren dies die auswärtige Politik, die Etablierung von diplomatischen Beziehungen zu den ab 1960 unabhängigen Staaten sowie die damals sogenannten staatlichen, privaten und kirchlichen „Entwicklungshilfen“. Für die breitere Bevölkerung waren diese Verbindungen jedoch medial vermittelt und stellten – wie in der formellen Kolonialzeit auch – keine unmittelbare Erfahrung dar.32 Dem Fernsehen kommt seit den 1950er Jahren somit eine Schlüsselrolle als (geschichts-)politischer Akteur zu. In der Tat war es eine Sendung des westdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 1966, die bis heute als Wendepunkt in Deutschlands Auseinandersetzung mit seiner Kolonialgeschichte gilt: Heia Safari – die Legende vom deutschen Kolonialidyll in Afrika.33 Die Entstehung dieser Fernsehproduktion geht zurück auf das Jahr 1964: das Jahr, in dem Paul von Lettow-Vorbeck – wahrscheinlich Deutschlands größter ‚Kolonialheld‘ – starb und Kai-Uwe von Hassel in seiner Funktion als Bundesverteidigungsminister seine Grabrede hielt. Die Worte von Hassels lösten in dem jungen Journalisten Ralph Giordano den Wunsch nach einer „Attacke“34 aus – einer „Attacke“ gegen den „nationalistischen

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Traditionalismus“, so seine Formulierung. „Traditionalisten“, so Giordano, seien die Verbreiter der „Legende vom deutschen Kolonialidyll“. Das „Kolonialidyll“ sei die Ansicht, die deutsche Kolonialvergangenheit sei etwas Gutes gewesen, auf das auch die nächste Generation sich stolz beziehen könne. Was Giordano in seinem Film nicht weiter thematisierte, war die Tatsache, dass unter den Gästen der Beisetzung auch zwei Männer aus Ostafrika waren. Die Präsenz dieser beiden – ehemaligen deutschen Kolonialsoldaten – am Grab des Kommandeurs der deutschen Truppe in Ostafrika während des Ersten Weltkriegs steht empirisch und paradigmatisch für die koloniale Kontinuität der frühen Bonner Republik. Das Fehlen oder Übersprechen ihrer eigenen Stimmen nehme ich in einem zweiten Teil zur ‚kolonialen Aphasie‘ in der BRD wieder auf. Abbildung 2: Sallea Mlela, Alfonse Mussa, Kai-Uwe von Hassel, unbekannter Soldat der Bundeswehr (von rechts) 1964 am Grab von Paul von Lettow-Vorbeck in Pronstorf bei Bad Seegeberg.

Quelle: Still aus Heia Safari.

Kennwort: „Askarispende“

II. Kolonialsoldaten und die B undesrepublik D eutschland In den 1960er Jahren gab es intensive und direkte Verbindungen zwischen offiziellen Stellen der BRD und ehemaligen afrikanischen Angestellten des kolonialen Deutschlands – mehrheitlich Soldaten, aber auch Büroangestellte wie Schreiber, Kanzlisten und Angestellte der Post. Im westafrikanischen Togo und Kamerun 1960, für das ostafrikanische Tanganyika 1961.35 Die ehemalige Mandatsmacht Frankreich hatte während der Mandatszeit deutsche und sogenannte pro-deutsche Aktivitäten in Togo und Kamerun stets äußerst skeptisch verfolgt und offizielle deutsche diplomatische Reisen und Gesandtschaften Deutschlands untersagt. Unmittelbar nach der Unabhängigkeit errichtete die BRD dort aber diplomatische Vertretungen. Ehemalige Angestellte der deutschen Kolonialverwaltung, wie z.B. ehemalige Kolonialsoldaten, suchten diese nun auf und verwiesen auf ihre seit dem Ersten Weltkrieg offenen Lohnforderungen. Während einige direkt vor Ort vorsprachen, verschickten andere Briefe und fügten ihre alten Arbeitsverträge sowie ihre erworbenen militärischen Auszeichnungen bei.36 Abbildung 3: Peter Schmidt Malango und Vinzenz Somon an Bundespostminister und Oberpostdirektion, 22. August 1966.

Quelle: PAAA/BA 81/621.

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Ehemalige deutsche Kolonialbeamte – darunter an vorderster Front Lettow-Vorbeck – forderten nun die BRD auf, die nicht gezahlten Löhne an die Kameruner und Togoer zu zahlen. Die BRD stellte damals durch juristische Gutachten fest, dass sie keine Zahlungsverpflichtung hätte, weder in Kamerun und Togo, wo tatsächlich die deutschen Schulden nie beglichen worden waren, noch in Tanganyika, wo die Löhne auf Betreiben Lettow-Vorbecks 1926 bezahlt worden wären.37 Letztlich brachte der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier die BRD durch Zusagen während einer diplomatischen Reise nach Togo und Kamerun in Zugzwang – und obwohl die BRD es politisch und juristisch stets abgelehnt hatte, sah sie sich nun, aufgrund der öffentlichen Meinung, gezwungen, sogenannte „Gratialzahlungen“ in Kamerun und Togo durchzuführen. In den Jahren 1962 bis 1968 betraf dies in Togo ca. 400 Personen, in Kamerun ca. 1500 Personen, sowie weitere Einzelpersonen, aus anderen benachbarten afrikanischen Ländern (Ghana, Nigeria, Gabun). Jede berechtigte Person erhielt die Summe von 60.000 FCFA38 (in DM 980), was für die Betroffenen eine bedeutende Summe darstellte.39 Die kamerunischen, bzw. togoischen Behörden zahlten das Geld aus.40 Das Geld wurde von den Empfängern als vertraglich zugesicherte Gegenleistung gesehen. Mit dem Neffen von einer Person, der das Geld gezahlt worden war, dem ehemaligen Soldaten Takang Agbor Ngeng Tambong aus Nchang in Kamerun konnte ich im Jahr 2003 ein Interview darüber führen. Im Gegensatz zur offiziellen Position der BRD – es handele sich um freiwillige Zahlungen – hob dieser dessen Arbeitsleistung hervor. Sein Onkel habe ihm das Geld gezeigt und es als seinen „Schweiß“ bezeichnete. Takang stellte also seine persönliche Arbeitsleistung und damit auch seinen Verdienst in den Vordergrund. Das Geld stünde ihm zu, da er dafür „geschwitzt“ hätte. Als sein Schweiß war es sein Körper, der es hervorgebracht hatte. Im ostafrikanischen Tanganyika brachte die Unabhängigkeit von Großbritannien 1961 ebenfalls die ehemaligen deutschen Soldaten wieder in den Fokus deutscher Aufmerksamkeit. Es scheint sowohl für Kamerun und Togo, aber auch für Tanganyika zu gelten, dass die ehemaligen deutschen Soldaten ihre Netzwerke während der gesamten

Kennwort: „Askarispende“

Mandatszeit aufrechterhalten haben.41 Nach der Unabhängigkeit gründeten sie auch offizielle Vereinigungen, wie die Ex-German soldiers association in Manyu Division, Kamerun 1964 und die Association of former German Askari in Tanganyika ab 1962 unter dem Vorsitzenden Thomas Plantan.42 In einem Bericht der deutschen Botschaft klingt die Bedeutung an, die die deutsche Kolonialzeit für die Männer hatte und die die deutsche Botschaft anerkannte und unterstützen wollte: Die Veteranen der Lettow-Vorbeck’schen Armee fühlen sich gegenüber ihren Landsleuten, die in englischen Diensten standen und der British Legion angehören, zurückgesetzt, vereinsamt und vergessen. Gleich jenen wollen sie sich gelegentlich einmal treffen.43

Der Wunsch nach finanzieller Unterstützung schien demnach besonders auf den Zweck der gegenseitigen Kontaktpflege gerichtet. Das gleiche Anliegen lässt sich in Kamerun beobachten. Auch dort hatten sich die ehemaligen deutschen Kolonialsoldaten zu bestimmten Terminen zur Erinnerungspflege getroffen. Während eines Forschungsaufenthaltes im Jahre 2000 und 2003 berichteten mir ihre Söhne, dass sich ihre Väter an den Gräbern der 1914 gefallenen weißen deutschen Soldaten trafen, um ihrer gemeinsamen Zeit zu gedenken.44 In Ostafrika manifestierte sich das gemeinsame Gedenken und der Wunsch nach Kontakt zu Deutschland wenige Jahre nach der Unabhängigkeit. Als Lettow-Vorbeck 1964 starb, schickten viele Askari Kondolenzbriefe an die deutsche Botschaft.45 Die ehemaligen Kolonialsoldaten regten unter sich ebenfalls Sammlungen an, da einige einen Kranz an Lettow-Vorbecks Grab niederlegen und eine Plakette auf seinem Grabstein befestigten wollten. Demgegenüber hoben offizielle Vertreter in der BRD die materielle Armut der Askari hervor. Sie machten sie damit zu defizitären Personen und appellierten an das Mitleid sowie die paternalistische Idee der Fürsorge. Der Platz in der Hütte und das Essen sind ihnen gewiß. Was ihnen fehlt ist ein wenig über das Maß des Vegetierens hinaus: hin und wieder etwas Kleidung, ein

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wenig Tabak, ein paar Shillings für Pombe und die Möglichkeit, sich gelegentlich einmal zu einem ‚Weißt-Du-noch-Abend‘ zu treffen.46

Die hier in Erscheinung tretende Unvereinbarkeit von Armut und Würde zeigt einen Konflikt an, der erst durch die Konfrontation dieses Diskurses mit afrikanischen Perspektiven deutlich wird. Diese Form der kolonial-cum-karitativen Begründung, die bereits in den 1920er Jahren bemüht worden war, wurde nun 1962, kurz nach der Unabhängigkeit Tanganyikas und dessen beginnenden sozialistischen Reformen und zu Hochzeiten des Kalten Krieges noch um den Aspekt der ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ erweitert, wie aus den Akten der deutschen Botschaft in Dar es Salaam hervorgeht: Für eine Unterstützung der Askaris spricht neben ihrer Bedürftigkeit ihr Vertrauen, das sie auch jetzt noch Deutschland entgegenbringen. Schließlich würde eine deutsche Unterstützung auch eine wirksame Form der Öffentlichkeitsarbeit [für die BRD und „den Westen“, SM] in Tanganyika darstellen.47

Die Öffentlichkeitsarbeit im Eigeninteresse der BRD übersetzte sich im Folgenden in Hilfsbereitschaft, bzw. umgekehrt: Hilfsbereitschaft wurde zu Öffentlichkeitsarbeit. Wenn trotzdem so kurze Zeit nach der Unabhängigkeit schon recht enge Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Tanganyika bestehen, ist das einmal auf unsere Initiativen, wie die Einladungen von Nyerere und anderen Politikern in die Bundesrepublik, dann auf unsere Hilfsversprechen, schließlich aber auch darauf zurückzuführen, daß wir den Tanganjikern das Gefühl einer selbstlosen freundschaftlichen Hilfsbereitschaft vermittelt haben. Das Ergebnis unserer Bemühungen sieht heute so aus, daß man in Tanganjika fest überzeugt ist, in der Bundesrepublik einen ehrlichen Freund zu haben, der bereit ist, beim Aufbau des Landes mitzuhelfen.48

In der Logik des Kalten Krieges spielte sich ein erneuter ‚scramble‘ um Afrika ab. Darin nahmen die beiden deutschen Staaten eine Sonder-

Kennwort: „Askarispende“

rolle ein. Während die BRD darauf bedacht war, dass die unabhängigen afrikanischen Staaten die DDR offiziell nicht anerkannten, war das Bestreben Tanganyikas hingegen, sich in diesem Konflikt neutral zu verhalten. Entsprechend des politischen Klimas während des Kalten Krieges war die Öffentlichkeitsarbeit der BRD in Tanganyika von hoher Priorität. Symbolisiert wurden die „recht engen Beziehungen“ durch gegenseitige Staatsbesuche, großzügige Staatsgeschenke49 von deutscher Seite sowie durch ‚Entwicklungshilfe‘. Obwohl Tanganyika im Rahmen dieses Austauschs stets darauf hinwies, nicht an die deutsche koloniale Vergangenheit in den Beziehungen anknüpfen zu wollen, handelte die BRD de facto gegenteilig. So sandte die BRD zur Unabhängigkeitsfeier Tanganyikas Kai-Uwe von Hassel, dem von westdeutscher Seite ein enges Verhältnis zu dem ostafrikanischen Land und den „Führern“ des neuen Staates unterstellt wurde. Sehr wahrscheinlich rührte diese Ansicht daher, dass von Hassel sowohl das Englische als auch das Kiswahili beherrschte.50 Bei den Unabhängigkeitsfeiern in Togo und Kamerun waren ebenfalls hochrangige Kolonialbeamte anwesend – in Togo beispielsweise der letzte deutsche Gouverneur Alfred Friedrich zu Mecklenburg. Die BRD stellte sich somit bewusst in die Tradition des imperialen Deutschlands und wollte dessen ehemalige Unterstützer nun zu Werbe- und Sympathieträgern für die BRD machen. Dabei geriet die BRD in einen deutlichen Widerspruch zur Geschichtspolitik des unabhängigen Tanganyika. Der Maji-Maji-Krieg in der Kolonie DOA, dem aufgrund der deutschen Kriegstaktik der ‚verbrannten Erde‘ in den Jahren 1905-1908 zwischen 75.000 und 300.000 Menschen zum Opfer fielen, war von Staatspräsident Julius Nyerere zum Beginn jeglicher antikolonialer Widerstandsbewegungen und im Zuge der daraus resultierenden Unabhängigkeit sozusagen zum nationalen Gründungsmythos Tanzanias erklärt worden.51 Scharfe Kritik an dieser Politik der BRD wurde von der UdSSR geäußert, die von westdeutscher Seite allerdings als Polemik abgetan wurde. Die Regierung Tanganyikas machte diesen Punkt der BRD gegenüber zwar recht deutlich, blieb in den Formulierungen jedoch moderat.52

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Die Regierung Tanganjikas wünscht nicht an die alten historischen Bindungen Deutschlands zu Tanganjika anzuknüpfen, obwohl sie den deutschen Beitrag zum Aufbau des Landes in der Zeit von 1905-1914 durchaus anerkennt. Aber diese Zeit war eine Zeit der Herrschaft der Weissen über die schwarzen Tanganjiker und wird deshalb als Grundlage gegenseitiger Beziehungen abgelehnt. 53

Dennoch erschien die von Einzelnen geäußerte ‚Deutsch-Treue‘ den in den Ländern der ehemaligen deutschen Kolonien lebenden Deutschen, Angehörigen der Botschaften, Vertreter von Industrie und Handel, Pflanzern und ‚Entwicklungshelfern‘, angenehm und ‚rührend‘. Es schien, als ob die ‚deutschtreuen‘ Afrikaner stellvertretend äußern konnten, was die Deutschen selber nicht wagten. Daher rührte der Gedanke, die Afrikaner belohnen zu wollen. Hierbei erschien eine Reise nach Deutschland als Gipfel der Anerkennung.54 Von Kritik an der deutschen Kolonialzeit – und ganz besonders an Lettow-Vorbeck – wollte die deutsche Seite hingegen nichts wissen. Im Gegenteil: die deutschen Vertreter in Tanganyika fühlten sich diesbezüglich sogar persönlich angegriffen.55 Es erschien deswegen aus bundesdeutscher Sicht nur konsequent, zur Begräbnisfeier von Lettow-Vorbeck zwei ‚seiner‘ ehemaligen Askari einzuladen. An Lettow-Vorbecks Grab standen sie symbolisch für die alte koloniale Ordnung. Dort ehrten sie ihren ‚weißen Führer‘. Bei ihrem Besuch an der Berliner Mauer hingegen sollten ihnen – stellvertretend für die Bevölkerung Tanganyikas – die Gefahren des Sozialismus vor Augen geführt werden.56 Zwar sahen die politischen Vertreter der BRD keinen Widerspruch zwischen einer Verquickung von kolonialer Vergangenheit und den zeitgenössischen Gegebenheiten des Kalten Krieges. In Tanganyika fand dieser Vorgang jedoch ein ambivalentes Echo mit Zwischentönen, die höflich, aber dennoch deutlich waren. Von Lettow-Vorbeck is a reminder of colonial times, when the White man dominated and controlled the lives of the indigenous people. These are times that the people of Tanganyika quite rightly want to forget; not because there is anything to be ashamed about in the past (indeed there is a lot to be proud of),

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but because to live in the past is to go nowhere […]. Von Lettow represents a by-gone age, when the new ideas of today were only slowly creeping into men’s minds. He fought at a time when war was still regarded as exciting and romantic, when the world was only beginning to realise just how dreadful modern conflict could become.57

Abbildung 4: „View of Wall“.

Quelle: Tanganyika Standard, 3. April 1964.

Wenige Monate vorher wurden in der Fernsehsendung des WDR Reichsadler und Giraffe von 1964 alte deutsche Askari gezeigt, die die Unterstützungskasse für „former German Askari“ aufsuchten. Ein Deutscher mit weißen Shorts, dem Kennzeichen kolonialer Beamter, überwachte die Auszahlung an die Männer. Im Hinausgehen unterhielt er sich mit einem Afrikaner auf Deutsch. Möglicherweise handelt es sich um Thomas Plantan, der, wie aus den Unterlagen ersichtlich ist, die

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meisten Auszahlungen treuhänderisch vornahm. Das Sprechen der afrikanischen Soldaten blieb im Film aber nicht verstehbar. Namentlich wurden sie aufgerufen und den Empfang quittierten sie mit ihrem Fingerabdruck. Der Kommentar betonte, dass sie des Lesens und Schreibens nicht mächtig seien – für Thomas Plantan galt auch das nicht. Die Askari standen in dem Film für die ‚alte Ordnung des Reichsadlers‘, die bereits exotisiert war: „Die Zeiten, da die Askaris in der Blüte ihrer Jahre in den Dschungelkämpfen übermenschliche Strapazen lächelnd überstanden, sind vorbei“, so der Kommentar. Eine darauffolgende Szene an einem Begräbnisplatz deutscher Kolonialbeamten und die auf Deutsch vorgetragene Erinnerung an Lettow-Vorbeck fehlten nicht. Den Kontrapunkt zu dieser ‚Treue‘ und Deutschlands Erinnerung an seine frühere Glorie setzte eine Szene, in der die scheinbare ‚Undankbarkeit‘ Deutschlands entlarvt wurde: Die Unterstützungskassen wären leer, das Schild wurde abgeschraubt und weggeworfen. Zudem hob der Kommentar sowohl die materielle Armut und Hilfsbedürftigkeit der Askari hervor als auch deren Glauben an ein großes, mächtiges Deutschland: Heute sind sie Greise, müde, arm, von den unwilligen Almosen ihrer Söhne lebend […] Ihr Verband erhielt noch bis vor kurzem Unterstützung von ein paar deutschen Gönnern. Keine Pension, dazu reichten die Mittel nicht, ein kleines Trinkgeld von zehn Mark nur, das den Alten die Armut etwas linderte, mehr Symbol der Dankbarkeit als wirkliche Unterstützung. Ihr vergesst uns nicht, so wollen auch wir eure Treue nicht vergessen. Auch das ist nun zu Ende. Heute ist der letzte Zahltag. Das Geld ging aus. Die Bilanz ist Null und keine neuen Mittel sind gefunden. Das Alte gilt nichts. Die Bundesrepublik spendet Tanganyika großzügige Entwicklungshilfe, doch der Jugend, nicht den Greisen kommt sie zugute. Was soll man sich um Analphabeten Gedanken machen, die nicht einmal ihren Namen schreiben können. Der Reichsadler hat ausgespielt. Das Zeitalter der Giraffe, des freien Tanganyika, gehört nicht dem alten Soldaten, sondern dem jungen Ingenieur. Die Alten sollen sterben. Doch sie verstehen die Grausamkeit dieser Logik nicht. Deutschland ist groß und reich, sie kämpften tapfer unter seiner Fahne. Ist am Ende die Treue doch ein leerer Wahn?

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Die Ausstrahlung dieser Sendung hatte zur Folge, dass sich ein Strom von Briefen aus der Bevölkerung an den WDR, die Bundesregierung und auch an Frau Lübke, die Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten ergoss.58 Die Menschen zeigten sich erschüttert, dass Deutschland diesen ‚treuen‘ Veteranen, die für Deutschland ihr Leben eingesetzt hatten, keine Unterstützung gewähren würde, zumal diese ‚arm‘ und ‚bedürftig‘ wären. Die Stimmung in der Bevölkerung, die von Medienberichten geschürt wurde, war derart, dass die BRD sich von ihrer Argumentation, der rechtmäßige Sold sei bereits ausgezahlt worden, zurückzog und sich für die ‚armen Askari‘ engagierte. Sie richtete ein Konto mit dem Kennwort „Askarispende“ ein, auf dem nicht unerhebliche Summen eingingen und wandte sich an die Soldaten- und Veteranenverbände. Im gleichen Jahr noch überreichte Bundesbauminister Lücke in Dar es Salaam eine größere Summe an die Unterstützungskasse der Askari. Dieser Beweis der deutschen ‚Fürsorgepflicht‘ wurde medial sowohl in Tanganyika als auch in der BRD inszeniert. Lücke legte zusammen mit den ehemaligen Askari einen Kranz am Gefallenenmal in Dar es Salaam nieder.59 Die Askari standen in diesem Diskurs, der durch deutsche Medien vermittelt und von Deutschen organisiert wurde, für ‚Armut‘ und ‚Bedürftigkeit‘ und wurden somit in die klischeehafte Vorstellung der defizitären Menschen der sogenannten ‚Dritten Welt‘ eingereiht. In der Debatte um die Unterstützung der Askari durch deutsche Spenden stand ihre Armut – und weniger ihre Treue – im Vordergrund. In dieser Hinsicht bedeuten die Begriffe Armut und Entwicklung eine inhaltliche Verschiebung des Fortschrittsdispositives, auf das sich auch die Legitimation deutscher Kolonialpolitik stützte. Besetzt wurde dieses Dispositiv auch von afrikanischen Politikern der Unabhängigkeit, allerdings mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und Bedeutungsverweisen. Nyereres Ziele „Freiheit von Armut, Unwissenheit und Krankheit“60 zeugen von Optimismus und dem Vertrauen auf die eigene Kraft. Auch wenn er den Ausbau der Infrastruktur zur deutschen Kolonialzeit lobte, waren seine zentralen Anliegen Freiheit und menschliche Würde.

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It is true that through internal unity we in Tanganyika, like other countries in Africa, are able to make some economic headway despite our poor starting point. [...] But for all this it is still true that in the world society we individual states of Africa are almost in the position of beggars talking to millionaires. And we don’t like it. We are all endeavouring to develop our own economies, but the more we try the more we are forced to realise that only through African Unity can we really make a break-out of the vicious circle of poverty.61

Im Gegensatz dazu standen die zeitgleichen Berichte der deutschen Botschaft über die innenpolitische Lage Tanganyikas weiter in der kolonialen Tradition der eurozentrischen Geringschätzigkeit und Abwertung afrikanischer Realitäten. ‚Armut‘ wurde hier zur Gefahr, ‚Hilfe‘ aus Europa bzw. aus Deutschland, zur Notwendigkeit. Dem offensichtlichen Wohlstand der Europäer und auch der Inder steht eine unglaubliche Armut des weitaus überwiegenden Teils der Afrikaner gegenüber [...]. Wenn der so vernünftig eingeleiteten Unabhängigkeit Tanganjikas eine zweite, revolutionärere, Welle erspart bleiben soll – wofür alle Aussichten bestehen – so tut Beschleunigung der Wirtschaftshilfe auch unter sozialen Aspekten not. Das gilt insbesondere auch für den in Aussicht gestellten deutschen Beitrag.62

Das Beispiel der Geldzahlungen der BRD an die ehemaligen Kolonialsoldaten hat gezeigt, wie sich koloniale Ideen neukonfigurierten und in neuen Institutionen konsolidierten. Als „arme“ Askari bedürften sie der Fürsorge durch die BRD. ‚Armutsbekämpfung‘ ist bis heute die zentrale Legitimation für Entwicklungspolitik, der einzigen Politik, die der Westen konsequent mit Afrika betreibt. In der klassischen Legitimation für Entwicklungspolitik wird ‚Armutsbekämpfung‘ als eine Voraussetzung für ein Leben in Würde verstanden.63 Hier setzt seit einigen Jahren Kritik am entwicklungspolitischen Diskurs und dem materiellen Armutsbegriff an.64

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III. K eine ‚ koloniale A mnesie ‘, sondern ‚A phasie ‘ Der Befund, das Sprechen über Armut habe das Sprechen über die koloniale Vergangenheit ersetzt, könnte als Beleg dafür gelten, dass in den 1960er Jahren in Deutschland ‚koloniale Amnesie‘ eingesetzt hätte. In dieser Richtung wird koloniale Ideologie – sprich die Überlegenheit des Westens über einen defizitären Rest – in anderen Begriffen und neuen Institutionen weitertransportiert, ohne dass der explizite und begriffliche Bezug zur historischen Kolonialzeit sichtbar bleibt. In der gegenwärtigen feuilletonistischen und politischen Verwendung des Begriffes ‚koloniale Amnesie‘ scheint es aber darum zu gehen, dass die ‚kolonialen Verbrechen‘ nicht oder nicht ausreichend thematisiert würden, sondern nostalgisch und verklärend auf die deutsche Kolonialzeit geschaut werde. In ihrer fundierten Studie zur Geschichtsschreibung der BRD und der DDR in Bezug auf den Genozid in Namibia (1950–1984) hat Christiane Bürger auf die Wichtigkeit der Differenzierung im Umgang mit dem Befund der ‚kolonialen Amnesie‘ verwiesen. Sie fragt, wer die deutsche Kolonialvergangenheit vergessen habe und wer nicht, an welchen Orten Wissen darüber vorhanden sei und wo nicht. Für die Geschichtswissenschaft in der BRD konnte sie herausarbeiten, dass es nicht die klassischen Geschichtsinstitute waren, an denen zur Kolonialgeschichte gearbeitet wurde, sondern die Regionalwissenschaften – dass also an einem bestimmten Ort wenig Wissen vorhanden war, dafür an anderen Orten aber sehr wohl.65 Sie macht generell für die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Genozid in der BRD und der DDR Kontinuitäten aus – diese verortet sie in der Erzählstruktur, die einen tatsächlichen Perspektivwechsel unmöglich mache. Von unterschiedlichen politisch-ideologischen Positionen aus standen die BRDund die DDR-Geschichtsschreibung in einem geschichtspolitischen Kampf um die ‚richtige‘ Geschichte. Gemein war beiden Ansätzen, dass sie vor dem Hintergrund der NS-Geschichte und der Unabhängigkeiten der ehemaligen Kolonien schrieben und sich mehrheitlich auf die schriftlichen Quellen aus deutschen Archiven und Bibliotheken stützten.66 Implizit oder explizit arbeiteten die Historiker/innen dieser

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Zeit in Abgrenzung zu ihren jeweiligen politisch-ideologischen Verortungen. Bereits Ende der 1950er Jahre begannen Historiker/innen in der DDR sich mit der deutschen Kolonialvergangenheit auseinanderzusetzen. Zum einen hatten sie besseren Zugang zum Archivmaterial, das in Potsdam lagerte, zum zweiten richteten sie sich explizit gegen die – eher wirtschaftlich verstandenen – kolonialen Kontinuitäten in der BRD. Es begann ein intensiver Streit um Kolonialgeschichte in den beiden deutschen Staaten. Bei diesem Streit ging es nicht nur um die ‚richtige‘ Darstellung, sondern auch um Begriffe. Die DDR-Historiografie führte hier eine Sprache ein, die vor der Folie der NS-Zeit auf „Verbrechen“ und genozidale Strukturen aufmerksam machen wollte.67 Die Dramatik dieser Texte schlug sich in einer Sprache der Gewalt nieder, hier war von „Ausrottungspolitik“ und „niedermetzeln“ die Rede. Dabei griffen die Historiker/innen der DDR auf bereits in der Kolonialzeit von Kolonialkritikern wie August Bebel im Reichstag geäußerte Terminologie zurück, wie der des „Metzgerknechts“.68 Die DDR-Historiografie und auch die linke BRD-Historiografie konnte sich auf diese Weise in eine lange Tradition antikolonialer sozialdemokratischer Politik einschreiben und erschienen anschlussfähig an die revolutionären Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen, wie der TANU in Tanganyika und der SWAPO in Namibia, das erst 1990 unabhängig wurde. An dieser Stelle komme ich noch einmal auf die Askari zurück: Sie standen 1964 am Grab von Lettow-Vorbeck und an der Berliner Mauer, traten 1964 in der WDR-Produktion Reichsadler und Giraffe auf und erneut in dem 1966 von Ralph Giordano gedrehten Film Heia Safari. Was sie sagten, passte aber nicht in das deutsche Erzählmuster – weder das der BRD noch das der DDR. Ralph Giordano, der für den Film ausgedehnte Reisen nach Kamerun und Tanzania unternahm, sprach mit vielen Afrikanern (tatsächlich kommen im Film nur Männer vor), sowohl Wissenschaftlern als auch Zeitzeugen. Er thematisierte ihre ihm unpassende Perspektive explizit und entschied sich dafür, ihre Perspektiven sowohl explizit als auch subtil zu delegitimieren. Giordano führte damit viel weniger Neues im Reden über Deutsche Kolonialvergangenheit ein als ihm gemeinhin zugeschrieben wird.69 Er richtete sich zwar dezidiert gegen koloniale

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Kontinuitäten in der Ära Adenauer, rief dazu aber etablierte antikoloniale Deutungsmuster auf, die Erfahrungen und Perspektiven von Afrikanern nur dann zulassen, wenn sie zur ‚richtigen‘ Geschichte passen. Die Unmöglichkeit des Verstehens des Sprechens der anderen, und die Korrektur, die Giordano am Sprechen der Afrikaner vornahm, beschreibe ich abschließend als eine Ausprägung ‚kolonialer Aphasie‘. Dazu zeige ich Bild und Textsequenzen aus Heia Safari und beschreibe dazu den Ton. Im Film trat Giordano mehrfach mit einer eigenen Position vor die Kamera. Ziemlich zum Ende hin formulierte er: „Über den Höhepunkt der Unaufrichtigkeit der Legende aber ist jetzt zu sprechen.“

Hierauf erfolgt ein harter Schnitt und es folgen die Aussagen von zwei Afrikanern – einer aus Kamerun, der andere wahrscheinlich aus Tanzania, die zunächst in ähnlich autoritativer Form wie Giordano vor der Kamera sitzen und ähnlich ruhig, ohne Hintergrundgeräusche auf deutsch sprechen:

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„Die Deutschen werden nie hier in Kamerun vergessen. Niemals. Denn was sie aus Eisen, diese Werkzeuge, diese Instrumente gemacht haben, fühlen die Leute bis zum heutigen Tag, dass sie wirklich was gearbeitet haben.“

Es folgt wieder ein harter Schnitt und die nächste Person spricht:

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„Wie kann ich vergessen? Wenn ich schreibe, ich erinnere, wenn ich lese, ich erinnere, wenn ich Gott anbete, ich erinnere. Woher habe ich dieses Schreiben, Lesen, diese Religion – woher habe ich sie gekriegt? Ich habe sie gekriegt von deutscher Mission. Wie kann ich vergessen?“

Das Bild bleibt nun auf den Gesichtern der beiden Männer, die wechselnd gegeneinander geschnitten werden. Hierbei ändert sich nun aber die Kameraposition, die einmal am Körper des zweiten Mannes hinunterfährt und seine wie beim Parkinson-Syndrom zitternde Hand einfängt. Vom ersten Mann werden ebenfalls Details wie die Hände fokussiert. Der zweite Mann wird zudem einmal von der Seite gefilmt und ein großes rundes Haus mit konischem Dach aus geflochtenem Bambus wird sichtbar. Zudem werden nun monoton wiederkehrende Vogelstimmen eingespielt, die einen für die damalige deutsche Hörerschaft exotischen Hintergrund geben und die Männer in der Natur verorten – beide wurden im Gegensatz zu Giordano nicht innerhalb von Gebäuden aufgenommen. Die afrikanischen Männer sprechen über eine Zeit von 30 Sekunden nicht mehr, sondern schauen stumm in die Kamera, teilweise neben, über und unter die Kamera. Es ertönt die Stimme eines deutschen Sprechers aus dem Off. Diese Stimme ist

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an verschiedenen Stellen des Filmes zu hören gewesen – es handelt sich nicht um Ralph Giordano, sondern um eine körperlose Stimme, die nicht in Raum und Zeit verortet ist – also das, was in Prosatexten als auktoriale Erzählperspektive bekannt ist. Zu den oben beschriebenen Bildern und dem Ton spricht dieser Erzähler folgenden Text: „Wie kann ich vergessen? Diese Gesichter, diese Stimmen, diese Worte sind keine Legende. Sie sind das bewegendste, was wir in Afrika erlebt haben. Aber Treue durch ein persönliches Verhältnis zu den weißen Herren des Landes, das ist nie und nirgends typisch gewesen für das Verhältnis der Kolonialmacht und einheimischer Bevölkerung. Die Verklärung der eigenen Jugend hebt weder die Unbestechlichkeit der Dokumente auf, noch schreibt sie Afrikas Geschichte anders“.

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Die zitternde Hand des zweiten Mannes wird dabei genau an der Stelle der „Verklärung der eigenen Jugend“ gezeigt. Es sind also zwei Strategien, die hier genutzt werden, um für die Betrachter die „bewegenden“ Aussagen der Afrikaner verstehbar zu machen: 1. Sie würden ihre Jugend verklären und 2. ihre Sichtweise sei nicht typisch gewesen. In dem Verweis auf die „Unbestechlichkeit der Dokumente“ klingt die Hierarchisierung von schriftlichen über mündliche Quellen an – die postkoloniale und außereuropäische Geschichtswissenschaft ist heute zu deutlich anderen Ergebnissen gekommen. Der Gestus mit dem Giordano die Stimmen der Afrikaner marginalisiert, bleibt paternalistisch. Im Kampf gegen die ‚Legende‘ blieben bestimmte Perspektiven unsagbar.70 Der Kampf um die deutsche Kolonialgeschichte brachte so in den 1960er Jahren die afrikanischen Stimmen zum Schweigen. Statt einer ‚kolonialen Amnesie‘ stritten die Parteien in beiden Deutschlands um geschichtspolitische Fragen, die letztlich ethische Fragen wurden: War die deutsche Kolonialgeschichte ‚gut‘ oder war sie ‚schlecht‘. Jenseits dieses Paradigmas war kein Verstehen möglich. Das, was die afrikanischen Stimmen sagten, musste in andere Begriffe übersetzt werden.

Fazit 1945 bedeutete für die afrikanischen Kolonien nicht den Weg in die Unabhängigkeit – die europäischen Imperien blieben noch jahrzehntelang bestehen. Auch in Deutschland gab es nach 1945 noch einzelne Stimmen, die eine koloniale Betätigung Deutschlands wünschten – offizielle Politik wurde dies nicht mehr. Weit mehr Personen als gemeinhin angenommen verfügten allerdings auch in der Ära Adenauer über direkte Erfahrung in kolonialen Kontexten. Zwar kamen koloniale Diskurse und Positionen durch system- und generationenkritische Positionen ab den 1960er Jahren unter Beschuss. Doch diesen gelang kein Bruch mit eurozentrischen Deutungsmustern und Narrativen.71 Das Fortschrittsdispositiv brachte sowohl die Institutionen der Kolonial- als auch die der späteren Entwicklungspolitik hervor. Fast schon resignierend kann konstatiert werden, dass sich eben dieses Disposi-

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tiv bis heute als beklemmend stabil erweist – die Konstruktion eines Container-Raums „Afrika“ als defizitärem Imaginationsort ist auch in der Berichterstattung über den „EU-Afrikagipfel“72 im Jahr 2017 medial omnipräsent gewesen. Die zeitgleich in Deutschland stattfindenden Debatten um das Humboldt-Forum in Berlin und die Überlagerung deutscher Kolonialgeschichte durch die Debatte um den Genozid an den Herero und Nama stehen damit leider in Einklang und verfestigen sich so gegenseitig – wir leiden bis heute an ‚kolonialer Aphasie‘, nicht an ‚kolonialer Amnesie‘. Können wir verstehen, warum 1964 eine Gruppe älterer Afrikaner Spenden für einen verstorbenen deutschen Militär sammelten? Bis heute ist es in Deutschland einfacher Spenden in die umgekehrte Richtung als rational anzuerkennen – eine koloniale Kontinuität.

a nmerKungen 1 | Einige Aspekte dieses Artikels habe ich bereits an folgender Stelle veröffentlicht: Michels, Stefanie: „‚Reichsadler und Giraffe‘ – Askari am Grab von Lettow-Vorbeck“, in: Bechhaus-Gerst, Marianne/Gieseke, Sunna (Hg.), Koloniale und postkoloniale Konstruktion von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur, Frankfurt/ Main: Peter Lang Verlag, S. 315-338; Michels, Stefanie: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika, Bielfeld: Transcript 2009. In der jetzigen Version wurden einige formale Fehler der vorangegangen Veröffentlichungen beseitigt. Ich danke Michael Rösser für seine wertvollen Kommentare zu einer früheren Version dieses Textes. 2 | Jüngst dazu: Hansen, Peo/Jonsson, Stefan: Eurafrica. The untold History of European Integration and Colonialism, London et al.: Bloomsbury Academic 2014. 3 | Vgl. hierzu auch Maß, Sandra: Weiße Helden – schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964. Köln: Böhlau 2006, besonders S. 324–325, auch Theweleit, Klaus: Männerphantasien (1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte; 2. Männerkörper, zur

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Psychoanalyse des weißen Terrors), Basel, Frankfurt/Main.: Stroemfeld, Roter Stern 1986. 4 | Das Desiderat einer historiografiegeschichtlichen Untersuchung des Postulats einer ‚kolonialen Amnesie‘ ist jüngst gefüllt worden durch Bürger, Christiane: Deutsche Kolonialgeschichte(n). Der Genozid in Namibia und die Geschichtsschreibung der DDR und BRD, Bielefeld: Transcript 2017, vgl. dazu genauer meine Ausführungen weiter unten. 5 | Vgl. Schilling, Britta: Postcolonial Germany. Memories of Empire in a Decolonized Nation, Oxford: Oxford University Press 2014, S. 202. Afrikahistoriker/innen haben in ihren empirischen Untersuchungen seit den 1960er Jahren gezeigt, dass die binären Kategorien Kolonisierter – Kolonisierender lediglich Utopien in kolonialen Ideologien waren. Mit einiger Verve hat dies Frederick Cooper vor wenigen Jahren vertreten (Cooper, Frederick: Colonialism in Question. Theory, Knowledge, History, Berkeley, LA: University of California Press 2005), ähnlich differenziert auf deutsch Trotha, Trutz von: „Was war Kolonialismus? Einige zusammenfassende Befunde zur Soziologie und Geschichte des Kolonialismus und der Kolonialherrschaft“, in: Saeculum 55 (2004), S. 49–95 und immer noch lesenswert: Brandstetter, Anna-Maria: „Wider die vereinfachenden Dichotomien“, in: Wirz, Albert/Deutsch, Jan-Georg (Hg.), Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten, Berlin: Das Arabische Buch 1997, S. 75–105. 6 | Zeitgenössisch wurde dies bereits von DDR-Historikern 1959 geäußert, in der Fachwissenschaft sind diese Verbindungen sowohl personell wie auch ideell ebenfalls thematisiert worden, hier entfaltet sich ein neues Forschungsfeld, vgl. Dirk van Laaks Konzept, vom „nehmenden zum gebenden Imperialismus“ Laak, Dirk van: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München: Beck 2005, S. 156; Büschel, Hubertus/Speich, Daniel (Hg.): Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, Frankfurt/ Main: Campus 2009. Dabei handelt es sich um ein gesamteuropäisches Phänomen, das sich besonders aus den neuen kolonialen Rechtfertigungsdoktrinen Frankreichs und Englands in der Zwischenkriegszeit entwickelte, vgl. P. Hansen, S. Jonsson, Eurafrica.

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7 | Adenauer sagte damals: „Nie darf eine deutsche Regierung die Kolonialfrage zur Ruhe kommen lassen, um der deutschen Jugend willen [...] Unsere deutsche Jugend muß verkümmern wenn es nicht gelingt, den allzu engen mit mäßigem Boden und kargem Klima ausgestatteten Raum Mittel-Europas zu sprengen und ihr neuen, Hoffnung und Lebensmut beflügelnden Betätigungsraum in Übersee zu gewinnen“ (zit. nach Horstmann, Anne-Kathrin: „Das deutsche Volk braucht Kolonien“, in: Horstmann, Anne-Kathrin/Bechhaus-Gerst, Marianne (Hg.), Köln und der Kolonialismus, Köln: Böhlau 2013, S. 197–203, S. 198). 8 | Vgl. Kilian, Dieter E.: Kai-Uwe von Hassel und seine Familie. Zwischen Ostsee und Ostafrika. Militär-biographisches Mosaik, Berlin: Miles 2013 (den Hinweis auf dieses Werk verdanke ich Michael Rösser) und Hassel, Kai-Uwe von: Europa und Afrika, 1884–1984, Marburg a. d. L.: Tradtionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen/Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e.V. 1984; Dammann, Ernst: „Zur Erinnerung an Kai-Uwe von Hassel“, in: MTSÜ 84 (1999), S. 1–7. 9 | Deutschland hatte seinen formellen Status als Kolonialmacht im völkerrechtlichen Sinne offiziell 1919 verloren. Im Versailler Vertrag wurde festgehalten, dass Deutschland „unfähig zur Kolonisation“ sei. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden Mandatsgebiete des Völkerbundes und unter Verwaltung der Siegermächte (Japan, Australien, Südafrika, Belgien, Frankreich, Großbritannien und der USA) gestellt. Die Forderung nach Rückgabe der Kolonien war fester Bestandteil deutscher Außenpolitik und wurde von allen Parteien – außer der USPD – unterstützt. Die ehemaligen Kolonialbeamten wurden in verschiedenen Ministerien weiterbeschäftigt und es wurden zahlreiche Kolonialverbände gegründet, ab 1922 in einem Dachverband, der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Hierzu gehörte auch die 1884 aus verschiedenen Vorgängerverbänden gegründete Deutsche Kolonialgesellschaft. 10 | Vgl. Authaler, Caroline: Deutsche Plantagen in Britisch-Kamerun. Internationale Normen und lokale Realitäten 1925 bis 1940, Köln/Wien: Böhlau 2018 (im Erscheinen). 11 | Vgl. dazu detailliert Aitken, Robert/Rosenhaft, Eve: Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community. 1884–1960, Cam-

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bridge: Cambridge University Press 2013 und Alonzo, Christine/Martin, Peter (Hg.): Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, Hamburg/München: Dölling und Galitz 2004. 12 | In diesen Verbänden waren auch Menschen aus den ehemaligen Kolonien aktiv, die damit ihre eigene Agenda verfolgten, stellvertretend Martin Dibobe, der 1918 den Afrikanischen Hilfsverein in Berlin gründete. 1929 gründet der aus Frankreich kommende Kouyaté gemeinsam mit dem aus Kamerun stammenden Joseph Bilé die Liga zur Verteidigung der Negerrasse. Deutsche Kommunisten, wie Willi Münzenberger, gründeten gemeinsam mit Afrikanern in Berlin 1926 die international ausgerichtete Liga gegen den Imperialismus. Der Begriff „Imperialismus“ war damit bereits seit 1918 ein politischer Kampfbegriff, vgl. hierzu Fisch, Jörg/Groh, Dieter/Walther, Rudolf: „Imperialismus“, in: Koselleck, Reinhart (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart: Klett-Cotta 1982, S. 171–236. Der aus der Karibik stammende George Padmore betrieb bis 1933 in Hamburg das Negerarbeiterbüro, ausführlicher zu diesem Thema: Gerbing, Stefan: Afrodeutscher Aktivismus. Interventionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung Deutschlands 1919, Frankfurt/Main: Peter Lang 2010; Aitken, Robbie: „From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–1959). Performer, ‚Negerarbeiter‘ and Comintern Activist“, in: Journal of Contemporary History 43, 4 (2008), S. 597–61 und R. Aitken, E. Rosenhaft, Black Germany. 13 | Vgl. vertiefend zu ihm www.deutschland-postkolonial.de/portfolio /mambingo, Februar 2018. 14 | Linne, Karsten: Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanungen für Afrika. Berlin: Links Verlag 2008, S. 33–36. 15 | D. v. Laak, Welt, S. 142. Dieser war dabei vom italienischen Vorgehen in Abessinien 1935 ebenso inspiriert, wie ab 1941 durch ihn tatsächlich in einen Kriegszug auf nordafrikanischem Boden verwickelt. Die Konstruktion von Erwin Rommel und Paul von Lettow-Vorbeck als „ritterliche Kriegsführer“ entspricht ebenfalls einer kolonialen Kontinuität, die den nicht-weißen Soldaten und der Zivilbevölkerung kein Gewicht beimisst (vgl. S. Maß, Weiße Helden).

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16 | Vgl. für Schnee D. Steinbach, Daniel: „Schnee, Heinrich“, in: Daniel, Ute et al. (Hg.), 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, Berlin 2016-04-13. DOI: 10.15463/ie1418.10888; für Lettow-Vorbeck Schulte-Varendorff, Uwe: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck, Berlin: Links Verlag 2006 und Michels, Eckard: „Geschichtspolitik im Fernsehen Die WDR-Dokumentation ‚Heia Safari‘ von 1966/67 über Deutschlands Kolonialvergangenheit“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 467–492. 17 | Vgl. K. Linne, Deutschland jenseits des Äquators. 18 | Der TSÜ war ursprünglich ein Veteranenverband, dem sich viele Deutsche mit kolonialen Biografien anschlossen, Kai-Uwe von Hassel war Mitglied. In dem Nachruf auf ihn vom TSÜ, wird deutlich, in welcher Tradition diese standen, denn er „sah die Andersartigkeit der Afrikaner, die in keiner Weise als Diskriminierung gedacht war, aber in der Praxis berücksichtigt werden müßte“ (E. Dammann, Erinnerung). 19 | Der Stolz auf dessen Leistung in DOA wird in der Bundeswehr teilweise bis heute wach gehalten. Bis 1990 wurden Rekruten in der Lettow-Vorbeck-Kaserne ausgebildet und die Bundeswehr hielt zusammen mit dem TSÜ jährliche Kranzniederlegungen am Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal ab (vgl. Giordano, Ralph: Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr, Köln: Kiepenheuer&Witsch 2000; S. Michels, Reichsadler; Wilken, Holger: „Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Guerillero“, in: Information für die Truppe. Zeitschrift für Innere Führung 1 (2002), S. 65–70; MTSÜ 1997, S. 54; persönliche Mitteilung Oberstleutnant der Bundeswehr 2003 in Dakar, Senegal). 20 | Vgl. Möhle, Heiko: „Colonial monuments and politics of memory. The debate about a ‚Tanzania Park‘ in Hamburg“, in: Michels, Stefanie/ Temgoua, Albert-Pascal (Hg.), La politique de la mémoire coloniale en Allemagne et au Cameroun. Münster, Berlin: LIT 2005, S. 129–140. 21 | Vgl. Baer, Martin/Schröter, Olaf: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika, Frankfurt/Main et. al.: Büchergilde Gutenberg 2001, S. 140. Hierzu gehören auch der Übertritt Lettow-Vorbecks von der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) zur Volkskonservativen Vereinigung, die sich von der Zusammenarbeit mit der NSDAP, die die DNVP betrieb, distanzierte sowie das Verschweigen seiner Tätigkeit als Führer des Stahlhelm (Bund

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der Frontsoldaten), der seit 1931 gemeinsam mit DNVP und NSDAP in der Harzburger Front gegen die Republik kämpfte (vgl. http://www. dhm.de/lemo/biografie/biografie-paul-von-lettow-vorbeck.html, 28.04.2018; hingegen P. Lettow-Vorbeck, Leben 1957, S. 210–1, 213). 22 | „Er verließ Afrika unbesiegt – General von Lettow-Vorbeck hat Geburtstag“, in: BAF, N103/16. 23 | Brazzaville wurde die symbolische Hauptstadt des „Freien Frankreich“, Algier seit 1943 das Hauptquartier der Truppen des Freien Frankreichs, vgl. P. Hansen, S. Jonsson, Eurafrica, S. 93. 24 | Vgl. überblicksartig: Eckert, Andreas: „Spätkoloniale Herrschaft, Dekolonisation und internationale Ordnung“, in: Kruke, Anja (Hg.), Dekolonisation. Prozesse und Verflechtungen 1945 –1990, Bonn: Dietz Verlag 2009, S. 3–20. Für die anti-imperiale Mobilisierung Dinkel, Jürgen: „Farbiger Kosmopolitismus? Die Asiatisch-Afrikanische Konferenz von Bandung (1955)“, in: Löhr, Isabelle/Gissibl, Bernhard (Hg.), Bessere Welten. Kosmopolitismus in den Geschichtswissenschaften, Frankfurt/ Main: Campus 2017, S. 103–132. 25 | Vgl. D. v. Laak, Welt, S. 169. Hier spielte Südafrika eine entscheidende Rolle. 26 | Hasso von Etzdorf, der die Mittelafrika-Pläne der NS-Zeit ausgearbeitet hatte, entwickelte die Afrikapolitik der BRD im Auswärtigen Amt (vgl. B. Schilling, Postcolonial Germany, S. 92). 27 | C. Authaler, Deutsche Plantagen. 28 | Vgl. ebd. 29 | Vgl. D. v. Laak, Welt, S. 166. 30 | B. Schilling, Postcolonial Germany, S. 93. 31 | Vgl. P. Hansen, S. Jonsson, Eurafrica, und B. Schilling, Postcolonial Germany, S. 200. 32 | Vgl. für mediale Vermittlung kolonialen Wissens im Kaiserreich Short, John Phillip: Magic Lantern Empire. Colonialism and Society in Germany, Ithaca und London: Cornell University Press 2014. 33 | Vgl. S. Michels, Reichsadler; B. Schilling, Postcolonial Germany; E. Michels, Geschichtspolitik, 2008. 34 | So formuliert Giordano es selbst mehrfach in dem Film.

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35 | Die ehemaligen deutschen Kolonialgebiete Togo und Kamerun waren 1919 zwischen Großbritannien und Frankreich zur Verwaltung aufgeteilt worden. Der britisch verwaltete Teil Togos war 1956 nach einem Referendum bereits mit Ghana unabhängig geworden. In Kamerun fand 1961 ebenfalls ein Referendum statt, das die beiden Optionen – Anschluss an das bereits unabhängige ehemals französisch verwaltete Kamerun oder Anschluss an Nigeria – enthielt. Der Norden Kameruns entschied sich für Nigeria, der Süden für Kamerun. Tanganyika entstand aus dem Großteil des ehemaligen DOA 1961. 1964 vereinigte es sich mit der Insel Sansibar und nannte sich ab November 1964 Tanzania. Ruanda und Burundi wurden unter belgische Mandatsherrschaft gestellt, beide 1962 unabhängig. 36 | Vgl. hierfür detailliert S. Michels, Reichsadler. 37 | Diese stellten wegen damaliger Währungsumrechnungsunklarheiten nur einen Bruchteil des Wertes der Forderungen der deutschen Angestellten dar, vgl. Morlang, Thomas: Askari und Fitafita. ‚Farbige‘ Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin: Links Verlag 2008, S. 153. 38 | Damals Bezeichnung für: Franc de la Communauté Financières d’Afrique, 1958 als Nachfolgewährung des Franc des Colonies Françaises eingeführt. 39 | Vgl. Interviews von mir in Kamerun im Jahr 2003; für den gesamten Vorgang PAAA B81/621, B34/366, B81/478, B81/298b, B34/527, B34/440. 40 | Die Vorgänge sind sowohl im Auswärtigen Amt in Deutschland, als auch bei den kamerunischen Behörden dokumentiert und zwar sowohl im Nationalarchiv in Buea als auch in den regionalen Behörden, in denen sich die Listen, Quittungen und Nachweise finden lassen, vgl. S. Michels, Reichsadler; sowie S. Michels, Kolonialsoldaten. 41 | Vgl. hierfür ausführlicher S. Michels, Kolonialsoldaten und Ranger, Terence: Dance and Society in Eastern Africa, 1890-1970. The Beni Ngoma, Berkeley: University of California Press 1975. 42 | Thomas Plantan war Soldat in der deutschen Truppe. Sein Vater bekleidete hierin bereits den Rang eines Offiziers (effendi). Er war 1889 unter Hermann von Wissmann im Gebiet des heutigen Mocambique angeworben worden. Thomas Plantan war Mitglied einer beni ngoma, einer Tanzgesellschaft, mit der die Askari sich auch über 1914 hinaus

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organisierten, vgl. Pesek, Michael: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt/Main: Campus 2005, S. 321. 43 | Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 23.6.1962, in: PAAA B34/366. 44 | Vgl. ausführlicher dazu S. Michels, Kolonialsoldaten, S. 213–215. 45 | Vgl. PAAA B34, Brief der „Askaris wa Kidachi Zamani wa Iringa Region“ vom 17.03.1964. 46 | Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 2.5.1962, in: PAAA B34/366. 47 | Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 2.5.1962, in: PAAA B34/366. 48 | Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 25.6.1962, in: PAAA B34/365. 49 | Vgl. für eine inspirierende Analyse der „Staatsgeschenke“ beider deutscher Staaten an Tanganyika B. Schilling, Postcolonial Germany, S. 113–122. 50 | Vgl. Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 10.10.1973, in: PAAA ZA 102596. Ob von Hassels Einstellungen der politischen Führung Tanganyikas tatsächlich sympathisch waren, kann stark bezweifelt werden: schließlich sprach er sich 1984 noch positiv über das Apartheidsystem in Südafrika aus und führte ungebrochen den kolonialrevisionistischen Diskurs der Zwischenkriegszeit fort (vgl. K. Hassel, Europa). Entsprechend waren Mitte der 1970er Jahre die anfangs guten Beziehungen zwischen der BRD und Tanzania wegen der westdeutschen Südafrikapolitik und der positiven Einstellung Tanzanias zur DDR auch deutlich angespannt. 51 | Die Ende der 1960er Jahre im Rahmen eines Oral-History-Projekts der Universität Dar es Salaam aufgenommenen Erinnerungen tansanischer Zeitzeugen an diesen Krieg illustrieren, wie präsent diese dort noch waren, vgl. dazu auch Iliffe, John: A modern history of Tanganyika, Cambridge: Cambridge University Press 1979 und Iliffe, John/Gwassa, Gilbert: Records of the Maji Maji Rising, Nairobi: Historical Association of Tanzania, Papers 1969; Laurien, Ingrid: „‚That Homa Homa was worse, child!‘ Berichte afrikanischer Zeitzeugen über den Maji Maji Aufstand in

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Deutsch-Ostafrika“, in: Heine, Peter/van der Heyden, Ulrich (Hg.), Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika, Pfaffenweiler: Centaurus 1995, S. 350-367; sowie mit einer neuen Interpretation Monson, Jamie/Giblin, James (Hg.): Maji Maji. Lifting the fog of war. Leiden: Brill 2010. 52 | Vgl. Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 4.5.1962, in: PAAA B34/365/524. 53 | Botschaft der BRD Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, 25.6.1962, in: PAAA B34/365. 54 | Für Tanganyika wurde dies erstmals im Jahre 1963 vorgeschlagen (Auswärtiges Amt an Bundespresseamt, 12.11.1963, in: PAAA B34/440; vgl. PAAA B81/478 für einen ähnlichen Fall aus Nigeria). 55 | Vgl. Staatsbesuch des Vizepräsidenten der Republik Tanganyika, Rashidi Kawawa in Guinea, Bericht der Botschaft der BRD, 8.05.1963; Auswärtiges Amt an Bundesministerium für Verteidigung, 8.11.1963; beide in: B34/440. 56 | Vgl. Tanganyika Standard, 14.3.1964, 3.4.1964; Hamburger Abendblatt, 14./15.3.1964; Die Welt, 14.3.1964. 57 | Sunday News, 14.3.1964. 58 | Vgl. PAAA B34/527. 59 | Vgl. PAAA B34/440. 60 | Rede Nyereres beim Besuch der BRD, 14.6.1962, in: PAAA B34/365. 61 | Nyerere in einer Rede im Washington Press Club Luncheon, 15.7.1963, in: PAAA B34/440. 62 | Bericht über die innenpolitische Lage Tanganjikas, 28.4.1962, Deutsche Botschaft Dar es Salaam an Auswärtiges Amt, in: PAAA B34/365. 63 | „Die Bundesregierung engagiert sich in enger Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft für die Bekämpfung der Armut, für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, für eine faire Gestaltung der Globalisierung und für den Erhalt der Umwelt und der natürlichen Ressourcen. Eines der wichtigsten Instrumente, um diese Ziele zu erreichen, ist Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist ein Gebot der Menschlichkeit. Und sie ist ein Gebot der Vernunft. Denn sie sichert die Zukunft der Menschen in den Entwicklungsländern – und damit auch unsere eigene Zukunft.“ http://www.bmz.de/de/ministerium/ziele/index. html, 15.12.2017.

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64 | „The concept of standard of living has imposed itself with the force of a truth beyond all dispute because it is inscribed in the logic of modernity itself“ (Latouche, Serge: In the wake of the affluent society. An exploration of post-development, London, New Jersey: Zed Books 1991, S. 195, 207). Das ‚Entwicklungsparadigma‘, von dem hier die Rede ist, ist ein etablierter Begriff (vgl. auch A Ziai, Aram: Post-Development. Perspektiven für eine afrikanische Debatte, Hamburg: Institut für Afrikakunde 2001; Michels, Stefanie: „The Germans were brutal and wild“, in: Michels, Stefanie/ Temgoua, Albert-Pascal (Hg.), La politique de la mémoire coloniale en Allemagne et au Cameroun. Münster, Berlin: LIT 2005, S. 37–58; Sen, Amartya: Inequality re-examined, New York: Russel Sage Foundation 1992; Sen, Amartya: Development as freedom, Oxford: Oxford University Press 1999). 65 | C. Bürger, Kolonialgeschichten, S. 49. 66 | ebd. S. 275. 67 | Vgl. ebd., S. 133. 68 | Vgl. ebd., S. 144. 69 | Vgl. E. Michels, Geschichtspolitik. 70 | Heia Safari bleibt dennoch eine der wenigen Dokumentationen, in denen diese Stimmen überhaupt vorkommen und ein Versuch der Einordnung vorgenommen wird. 71 | Vgl. das Fazit von C. Bürger, Kolonialgeschichten, die zwar die Zeit nach 1990 nicht explizit miteinbezieht, sehr wahrscheinlich aber zu ähnlichen Ergebnissen kommen würde. 72 | Schon diese gängige Bezeichnung ist aufschlussreich. Es handelte sich korrekterweise um ein Treffen zwischen Regierungsvertretern der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union (AU).

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A bkürzungen BAF Bundesarchiv Freiburg DOA Deutsch-Ostafrika MTSÜ Mitteilungsblatt des Traditionsverbandes ehemaliger Schutz- und Überseetruppen PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes TSÜ Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen

L iteratur Aitken, Robbie: From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–1959). Performer, ‚Negerarbeiter‘ and Comintern Activist, in: Journal of Contemporary History 43, 4 (2008), S. 597–61. Aitken, Robert/Rosenhaft, Eve: Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community. 1884–1960, Cambridge: Cambridge University Press 2013. Alonzo, Christine/Martin, Peter (Hg.): Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, Hamburg/München: Dölling und Galitz 2004. Authaler, Caroline: Deutsche Plantagen in Britisch-Kamerun. Internationale Normen und lokale Realitäten 1925 bis 1940, Köln/Wien: Böhlau 2018 (im Erscheinen). Baer, Martin/Schröter, Olaf: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika, Frankfurt/Main et. al.: Büchergilde Gutenberg 2001. Brandstetter, Anna-Maria: Wider die vereinfachenden Dichotomien, in: Albert Wirz/Jan-Georg Deutsch (Hg.), Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten, Berlin: Das Arabische Buch 1997, S. 75–105. Bürger, Christiane: Deutsche Kolonialgeschichte(n). Der Genozid in Namibia und die Geschichtsschreibung der DDR und BRD, Bielefeld: Transcript 2017.

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Chaos, Kontinuität und Aufbruch Avantgarde und Moderne in Museen und Ausstellungen an Rhein und Ruhr in der Mitte des 20. Jahrhunderts Ulrike Laufer

[…] der gebildete Durchschnittsbürger schwärmte immer für diejenige Ausdrucksart, die zur Zeit seiner Großmütter aktuell war, während die wahrhaft originellen, weil vorauseilenden Künstler, vom größeren Publikum langwierig missverstanden und mit Entrüstung abgelehnt wurden.1 Today we can no longer believe in permanent laws, defined religions, durable architecture or eternal kingdoms.2

Der Kunstkritiker und Fotokünstler Franz Roh (1890-1965) gehörte zu den ersten, die sich – „Den Freunden echter Kunst gewidmet – den Feinden zur Ermahnung“3 – mit dem Schicksal der Avantgardekunst unter der Diktatur des Dritten Reichs auseinandersetzten. Er hatte als junger Dozent und Kunstkritiker seinen Hörern und Lesern den Wechsel in der Kunst der Avantgarde vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit bzw. den von ihm diagnostizierten „Magischen Realismus“4 nahegebracht, sich 1933 vehement gegen die Verfemung moderner Kunst gestemmt und war dafür einige Monate im KZ Dachau inhaftiert worden. Schon während des Zweiten Weltkriegs begann er sein Buch Der Verkannte Künstler. Studien zur Geschichte und Theorie des kulturellen Missverstehens, das 1948 erschien. Zusammen mit seiner Frau Juliane, geb. Bartsch, die bis 1937 den Mannheimer Kunstverein

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geleitet hatte, setzte er sich für die Vermittlung moderner Kunst ein. Roh war selbst als Künstler tätig, noch kurz vor seinem Tod 1963 zeigte er seine Fotocollagen in der Wuppertaler Galerie Parnass. Nirgendwo anders hätten diese magischen, surrealistischen, an die DADA-Kunst der 1920er Jahre erinnernden Werke hingehört. Der 1949 in Wuppertal gegründete Parnass war eine der Speerspitzen der Moderne im rheinischen Kunstbetrieb. Vom französischen Tachismus und deutschen Informel bis zur Fluxus-Bewegung inklusive der ersten Medienobjekte von Nam June Paik wurde hier vertreten, was andere Galerien sich noch nicht trauten, und zwar in einem alle Formen moderner Kultur umfassenden Programm, so wie es die Museen der Avantgarde in den 1920er Jahren bereits begonnen hatten. Der Leiter und Gründer der Galerie, Rolf Jährling, (1913–1991) hielt engen Kontakt zu namhaften Kunstkritikern seiner Zeit, eben Franz Roh, aber auch Albert Schulze-Vellinghausen, Eduard Trier oder John Anthony Thwaites. Als amerikanischer Kriegsgefangener hatte Jährling in einem alten Life-Magazin die kunstvollen Mobiles Alexander Calders entdeckt. 1952 zeigte er die erste Ausstellung von Calder in Deutschland. Die kurzen Einblicke in diese beiden Biografien zeugen von einem unbeirrten Willen zur Moderne. Das zerstörerische, todbringende Chaos, das mit der Willkürherrschaft der Nationalsozialisten, dem Zweiten Weltkrieg und dem daraus folgenden Zusammenbruch des Deutschen Reichs auch in diese beiden Lebenswerke hinein gebrochen war, wirkte sich in diesen Fällen verstärkend und richtungweisend aus. An anderer Stelle nahm die zwölfjährige Diktatur des sogenannten Dritten Reichs erheblich dramatischeren Einfluss und Verlauf. Künstler emigrierten (darunter auch der Düsseldorfer Akademieprofessor Heinrich Campendonk), wurden mit Ausstellungs- und Malverboten drangsaliert (Otto Pankok, Otto Dix), gingen in die innere Emigration, arbeiteten heimlich weiter, wurden inhaftiert, starben in KZs wie Rudolf Levy oder Otto Freundlich, dem die im Nachhinein rühmliche Ehre zukam, dass eine seiner Skulpturen auf dem Titel des Katalogs zur Münchner Ausstellung Entartete Kunst 1937 prangte. Der „Verlust an schöpferischen Kräften“5 gilt auch und insbesondere für die großen Kunstmuseen, die sich in den 1920er Jahren der Mo-

Chaos, Kontinuität und Aufbruch

derne und Avantgarde verschrieben hatten. Aus über 100 öffentlichen Sammlungen waren rund 5000 Gemälde und Plastiken, darüber hinaus etwa 12.000 Werke auf Papier beschlagnahmt und entfernt worden. Die größeren der betroffenen Museen hatte Franz Roh für sein Werk über die „entartete Kunst“ 1961 angeschrieben und nach ihren Verlusten im Rahmen der großen „Säuberungs“-Raubzüge der Nationalsozialisten 1937 befragt. Zu diesem Kreis von 21 Museen gehörten auch fünf rheinische, nämlich das Düsseldorfer Kunstmuseum, das Städtische Kunstmuseum Duisburg, das Museum Folkwang6 in Essen, das Wallraf-Richartz-Museum in Köln und das Carl-Brandts-Haus des Kunstmuseums Mönchengladbach. Sie erlitten nicht nur schwere Verluste in den Sammlungen, sondern verloren auch Direktoren und Mitarbeiter. In Essen war Ernst Gosebruch (1872–1953) schon vor der Machtergreifung von völkischen und nationalsozialistischen Kritikern wegen des Ankaufs eines Werks von Édouard Manet angegriffen worden, 1934 trat er unter großem Druck des nationalsozialistischen Oberbürgermeisters und der gleichgeschalteten Presse resigniert zurück.7 Gosebruch hielt von Berlin aus Kontakt zum Museum und vor allem zu den Mitgliedern des Museumsvereins. An seiner Stelle wurde der Kunsthistoriker und Nationalsozialist Claus Graf von Baudissin berufen, der vier Jahre später an der Spitze der Kommission zur Säuberung der Kunstmuseen von sogenannter „entarteter“ Kunst das ihm anvertraute Museum plündern sollte.8 1938 übernahm Heinz Köhn, erst Assistent Gosebruchs, dann Baudissins, zunächst stellvertretend, später dauerhaft bis zu seinem Tod 1962, die Leitung des Museums Folkwang in Essen. Auch in Duisburg war der Konflikt um die Moderne schon vor 1933 ausgebrochen – Lehmbrucks Kniende musste vor mutwilliger Zerstörungen bewahrt und aus dem öffentlichen Bereich ins Museum geholt werden. Als der Bergmannssohn Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) 1911 seine Statue Die Kniende entwarf, konnte er nicht ahnen, dass er damit eines der wichtigsten Symbole der freien Kunst Europas schuf.9 1912 war Die Kniende zunächst auf der Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler in Köln und 1913 auf der International Exhibition of Modern Art (Armory Show) in New York gezeigt worden. 1937 stand die zerbrechlich wir-

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kende, aufrechte Figur in der Münchner Hofgarten-Galerie in der Feme-Ausstellung Entartete Kunst. 1939 stand die Kniende als steinerner Abguss im Mittelpunkt der programmatischen Ausstellung Art in our time des Museum of Modern Art in New York. Die Figur hatte vor 1937 der Mannheimer Kunsthalle gehört. Neben den bildenden Künsten zeigte die programmatische Ausstellung in New York Fotografie, Architektur, Design und Film. Damit übernahmen die Vereinigten Staaten – an der Spitze das Museum of Modern Art – die Führung in der modernen Kunstvermittlung: Die große Bandbreite der Kunst, welche von avantgardistischen Museen unter dem Einfluss von Bauhaus, Folkwang und weiteren nationalen und internationalen Impulsen bereits in den 1920er Jahren entwickelt worden war, wurde mit dieser kulturell und politisch wichtigen Ausstellung perfektioniert. Noch in den frühen 1930er Jahren hatte Lehmbruck selbst in völkischen und nationalsozialistischen Kreisen Anerkennung gefunden. Insbesondere der Essener Gau-NSDAP-Kulturwart Will Kelter gehörte zu den Propagandisten eines ‚deutschen Expressionismus‘ als Ausdrucksform einer neuen Zeit.10 Dem Duisburger Museumsverein wurde die Wilhelm-Lehmbruck-Sammlung entzogen, der Vorsitzende des Vereins Dr. August Hoff entlassen und durch Dr. Herbert Griebitzsch aus Sachsen ersetzt. August Hoff hatte die 1923 gegründete Notgemeinschaft Duisburger Künstler gefördert. Diese wurde 1933 aufgelöst bzw. im Kampfbund für deutsche Kultur gleichgeschaltet. Sein Nachfolger Griebitzsch gehörte zu den lebhaftesten Verteidigern von Lehmbruck und eines falsch verstandenen ,deutschen Expressionismus‘. Sein publizistisches Werk wechselte in den 1940er Jahren scheinbar mühelos von nationalsozialistischen Kunstbetrachtungen, u. a. in der gleichgeschalteten Zeitschrift Kunst für alle, bis zu Publikationen der Nachkriegszeit, in denen er an die westdeutsche Moderne der 1920er Jahre erinnerte.11 1945 übernahm der Rechtsanwalt und Schriftsteller Dr. Ernst D‘ham (1887–1977) das Kulturdezernat und die Leitung des Museums in Duisburg. Noch im selben Jahr zeigte er eine Ausstellung mit Werken zuvor verpönter zeitgenössischer Künstler. 1946 folgte eine Ausstellung mit Aquarellen und Grafiken aus eigenem Besitz – fast alles

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Werke von Wilhelm Lehmbruck.12 D‘ham sprach in seinen Vorworten zu den ersten provisorischen Ausstellungen offen von der Abneigung vieler Zeitgenossen gegen die zeitgenössische moderne Kunst – diese wäre kein Ergebnis der nationalsozialistischen Propaganda, sondern schon zuvor deutlich spürbar gewesen. 1947 bildete sich ein neuer Arbeitsring Duisburger bildender Künstler. Mit ganzer Kraft setzte sich D‘ham dafür ein. Dies war bitter nötig: In den letzten Kriegsjahren und vor der Einführung der D-Mark im Juni 1948 war die Nachfrage nach Kunst groß.13 Danach richtete sich das Interesse der Deutschen auf die Freuden alltäglichen Konsums.14 1954 wurde D‘ham von Gerhard Händler abgelöst, unter dessen Leitung 1964 der Neubau des Wilhelm Lehmbruck-Museums eröffnet werden konnte. Herbert Griebitzsch verlor zwar mit dem Ende des Dritten Reichs seine Stellung als Museumsdirektor in Duisburg, nicht jedoch im Kunsttreiben an Rhein und Ruhr überhaupt. 1947 finden wir ihn als Leiter der Städtischen Galerie Oberhausen, wo er als erstes eine Ausstellung über Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth eröffnete. Seiner Begeisterung für eine gemäßigte, expressionistische Moderne, auch für Lehmbruck, konnte er hier wieder ungehindert Ausdruck geben. Ende der 1960er Jahre übernahm Thomas Grochowiak die Leitung der Oberhausener Galerie. Auch in Düsseldorf war die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ein schwerer Schlag für die Moderne. Das Kunstmuseum verlor sein Direktorat: neben dem verdienstvollen Dr. Karl Theodor Kötschau (1868–1949) zudem dessen Assistenten Dr. Walter Cohen, letzteren auch wegen seiner Abstammung. Zugleich wurde Walter Kaesbach (1879–1961), Leiter der Düsseldorfer Kunstakademie, seines Amtes enthoben. Kaesbach, Schüler und Freund Karl Ernst Osthaus‘, Hugo von Tschudis und Ludwig Justis, hatte 1922 dem Städtischen Museum in Mönchengladbach eine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst vermacht. Sie stieß allerdings auf eher kritische Resonanz in Kommunalpolitik und Öffentlichkeit. Erst 1928 fand sie einen endgültigen Ausstellungsort im Carl-Brandts-Haus. Seit 1924 reformierte Kaesbach die Düsseldorfer Akademie und gewann namhafte Künstler wie Heinrich Campendonk, Alexander Zschokke, Ewald Mataré und

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auch Paul Klee als Lehrer, was zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Kaesbach gehörte zu den Ersten, die nach der Machtergreifung ihr Amt verloren, er zog an den Bodensee. Aus der Ferne hielt er den Kontakt insbesondere zum Mönchengladbacher Kunstmuseum, das 1937 die im Carl-Brandts-Haus gezeigte Kaesbach-Sammlung verlor. Auch der Galerist Alfred Flechtheim verließ Düsseldorf. Seine Galerie der Moderne übernahm der ehemalige Assistent Alex Vömel (1897-1985). Vömel, ein Nachbar Matarés in Büderich, war zwar Mitglied der SA und seit 1937 auch der NSDAP. Dies konnte jedoch nicht verhindern, dass 1941 sein Galeriebestand beschlagnahmt wurde. Er hatte rheinische Künstler der Moderne (neben Mataré z.B. auch Campendonk) und auch Klee vertreten. Renée Sintenis nannte ihn einen „Schutzengel der Kunst“15. Seine Beziehungen zu den Künstlern der Avantgarde hielt er so gut es ging auch in der Zeit des Nationalsozialismus aufrecht. Vömel verfügte über ausgezeichnete Kontakte zu rheinischen Industriellen. Er trug wesentlich zur Vervollständigung der Sammlungen von der Heydt in Wuppertal, Hermann Lange in Krefeld und Haubrich in Köln bei.16 Ein Vortrag im Rotary-Club über expressionistische Kunst brachte ihn ins Visier der Gestapo.17 Nur kurzfristig erhielt er jedoch Ausstellungs- und Verkaufsverbot. Erst die Zerstörung seiner Galerie 1943 durch Bomben unterbrach seine Tätigkeit.18 1946 nahm Vömel seine Arbeit wieder auf, zunächst im Obergeschoss eines bekannten Düsseldorfer Haushaltswarengeschäfts. Einigermaßen unversehrt gebliebene Warenhäuser fungierten auch in Essen, Recklinghausen und vielen anderen Städten bis zur Währungsreform immer wieder als sogenannte Notgalerien für Kunstausstellungen, zumeist mit Werken, die unter dem Nationalsozialismus nicht hatten gezeigt werden dürfen. Die Ausstellungen waren erfolgreich – dazu trug nicht nur der Hunger nach Kunst, sondern auch die Freude an offener Auseinandersetzung mit der Kunst bei. Da die Museen noch weitgehend zerstört waren, trat Kunst und vor allem auch zeitgenössische Kunst an weiteren unerwarteten Orten in Erscheinung: In Galerien, die eigentlich Wohnräume waren, in Kirchen und Hallen. Dass der Künstlerbund Gruppe Ruhr zum Beispiel 1946 in der Abtei Essen-Werden ausstellte, war nicht so verwunderlich, da die Abtei zugleich Sitz

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der Folkwang-Schule war. Drei Jahre später fand seine Ausstellung in den GRUGA-Hallen am Rande der Messe Dach und Fach statt. Immer waren bei den Eröffnungen Vertreter der britischen Besatzungsmacht und der kommunalen Verwaltung zugegen. In den Grußworten der Oberbürgermeister – 1946 ist das in Essen der Kommunist Karl Renner, 1949 Gustav Heinemann (CDU) – wird mit Pathos auf den großen Anteil der Kunst beim Aufbau einer neuen Welt hingewiesen.19 Viele Museen lagen 1945 entweder in Trümmern oder standen leer. Ihre Sammlungen waren ausgelagert, zerstört oder geraubt. Schwer wog die langjährige Abgeschnittenheit vom freien künstlerischen Schaffen und vom Austausch in der Kunst und über Kunst, auch wenn einzelne Sammler, Galeristen und Museumsdirektoren Kontakte zur internationalen Szene oder einzelnen Künstlern zu halten vermochten. Im Deutschen Reich und im besetzten Europa produzierten Künstler weiter (Hans Arp, Pierre Bonnard, Henri Matisse, Pablo Picasso, Joan Miró). 1937 zeigte die Basler Kunsthalle die Ausstellung Konstruktivisten u.a. mit Werken von Alexander Calder, 1944 wurde an gleicher Stelle Konkrete Kunst gezeigt – mit Werken u. a. von Piet Mondrian, Wassily Kandinsky, Hans Arp, Sophie Taeuber und Paul Klee.20 Der Kunstmarkt blühte und verlagerte sich in die USA (Peggy Guggenheim gründet 1942 ihre Galerie The Art of the Century). Gleichzeitig entstand mit einer jungen Generation von Künstlern eine neue Moderne (Jean René Bazaine, Serge Poliakoff und Nicolas de Staël). Zuweilen waren den Museen im Zweiten Weltkrieg Ankäufe von moderner Kunst im besetzten Ausland gelungen, diese mussten jedoch unmittelbar nach Ende des Krieges zurückgegeben werden. So hatten es die Alliierten in der London Declaration schon Anfang 1943 beschlossen. Die britische Besatzung ordnete zudem an, dass Inhaftierte und Verfolgte des Naziregimes, auch Antifa-Leute, bei der Lizenzvergabe für den Kunsthandel bevorzugt werden sollten. Dies blieb weitgehend Theorie.21 Die Neuorganisation des Kunsthandels, die auch angesichts eines ,wilden Kunsthandels‘ im Rahmen von Schwarzmarkt und Hehlerei bitter nötig war, gehörte zu den Aufgaben von Josef Busley, der sich darin mit Major Lionel Perry von der britischen Besatzungszone

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verständigte. Busley machte glaubhaft, dass neben den Museen auch der Kunsthandel zu den Geschädigten der nationalsozialistischen Kunstpolitik zu zählen sei.22 Dr. Josef Busley (1888–1969), 1927 Landesverwaltungsrat und Leiter der Kultur- und Denkmalpflegeabteilung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, wechselte 1933 in die weniger politische Denkmalinventarisation in Bonn. Während des Krieges gehörte er zur Abordnung der Heeresverwaltung für den Kunstschutz im besetzten Frankreich. Damit geriet er in das Visier der Amerikaner, die Busley nach der Einnahme Bonns im März 1945 für einen Tag zum Verhör holten. Es stellte sich heraus, dass erstens die Amerikaner über seine Tätigkeit in Frankreich genauestens informiert waren und dass sie zweitens diese für unbedenklich hielten.23 Damit stand der weiteren Verwendung Busleys nichts im Wege. 1945 wurde er Referent für Kultur und Denkmalpflege beim Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz. 1947 bis 1954 fungierte er als Ministerialrat im Kultusministerium des jungen Landes Nordrhein-Westfalen zunächst mit dem besonderen Zuständigkeitsbereich Museumspflege.24 Ausstellungen mit moderner zeitgenössischer Kunst gehörten zum Redemokratisierungs-Programm der Alliierten. Der gleiche Dr. Busley, der 1927 als Mitarbeiter der Provinzialverwaltung der Rheinprovinz wenig Verständnis für den Ankauf eines Gemäldes von Édouard Manet für das Museum Folkwang aufgebracht hatte, entwickelte sich zu einem eifrigen Förderer der Moderne.25 Seit 1936 war im Deutschen Reich nicht einmal mehr Kunstkritik erlaubt gewesen, allenfalls durfte das, was die Nationalsozialisten als Kunst gelten ließen, beschrieben und bepriesen werden. Damit agierte auch die Kunstkritik bzw. die Diskussion über Kunst bis 1945 nur noch im Verborgenen. Franz Roh berichtet in seinen Erinnerungen von „armseligen und verscheuchten Pianissimogesprächen“, einem Zusammenhalt wie in einer „Geheimsekte“.26 In seinen Erinnerungen sprach auch Ewald Mataré von der Freude, mit Ende der Kriegshandlungen den künstlerischen Austausch mit Gleichgesinnten wieder aufnehmen zu können. Er bezog sich dabei auf die ,Konvente‘ im Kölner Weinhaus Denant und Gesprächen mit Ludwig Mies van der Rohe, Gottfried Benn, Josef Haubrich, Ludwig Gies, Rudolf Schwarz und Max Ernst.27

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Das Anknüpfen an die Tradition der Avantgarde der 1920er Jahre, die Rückkehr zum Pluralismus, zu Öffentlichkeit und Kontroverse belebte die Kunst- und Museumsszene und förderte die Stimmung von Aufbruch und revolutionärem Neuanfang.28 Schon im November 1945 versicherte der spätere Professor der Düsseldorfer Kunstakademie Karl Otto Götz (1914–2017) einem Künstlerkollegen: „Die Zeit ist für uns.“29 Wie kaum ein anderer personifizierte Götz die Kontinuität von der Vor- zur Nachkriegsavantgarde. Den Anschluss der Kunstszene in der Bundesrepublik an die internationale Avantgarde unterstützte er durch die Herausgabe der Zeitschrift META. Götz war Gründungsmitglied der Künstlergruppe Junger Westen und der Quadriga und erster Preisträger des Kunstpreises Junger Westen. Eine weitere treibende Kraft der Kunstszene im Rheinland war Georg Meistermann (1911–1990), ein Schüler Ewald Matarés. Der im Nationalsozialismus verfemte Meistermann setzte sich für den Anschluss an die internationale Moderne und den Wiederaufbau des Deutschen Künstlerbundes ein. Von 1955 bis 1960 war er Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wenn auch die Freiheit der Kunst in den Künstlervereinigungen und in den Reden der Politiker gefeiert wurde – in der breiten Bevölkerung stießen weder Expressionismus noch Abstraktion auf Verständnis. Die Ablehnung, die die Bevölkerung schon während der Weimarer Republik der neuen Kunst entgegenbrachte, wurde durch die Parolen und Verfemungen der Nationalsozialisten noch bekräftigt. Die 1948 erschienene Publikation Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts,30 in der der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr eine vernichtende Beweisführung gegen die Kunst der Avantgarde vornimmt, fand zum Schrecken der Museumsfachleute und anderer Anhänger der Moderne breite Akzeptanz im Bildungsbürgertum. Sedlmayr verbreitete seinen Standpunkt eifrig auf Vortragsreisen und 1950 auch in Düsseldorf. Peter Ludwig verfasste mit seiner Dissertation von 1950 Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines generationsmäßig bedingten Lebensgefühls eine Gegenrede.31 Damit erreichte er allenfalls ein Fachpublikum; ebenso wie der Folkwang-Lehrer für Gestaltung Max Burchartz, der 1949 mit Gleichnis der Harmonie für ein neues Sehen warb.32 Die explosive Stimmung eines Teils der

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Öffentlichkeit gegen die moderne Kunst war latent. Als im Dezember 1949 Ewald Matarés Phönix im Düsseldorfer Landtag aufgestellt wurde, drohte das Unterfangen in einem Debakel zu enden. Mataré notierte in seinem Tagebuch: „Den Ablehnenden liegt das Wort ,entartet‘ schon wieder auf der Zunge. Sie wagen es nur nicht es auszusprechen.“33 Die meisten Zeitungen beklagten den „Spießerprotest“34 gegen moderne Kunst und schrieben eifrig dagegen an.35 Als sich 1952 sieben im Bereich Eisen und Stahl wirkende Wirtschaftsverbände an Rhein und Ruhr zur Förderung einer großen Ausstellung zeitgenössischer Künstler in Düsseldorf entschieden, war die Ablehnung der von der akademisch besetzten Jury für diese Ausstellung mit dem Titel Eisen und Stahl ausgesuchten Werke der Moderne groß. In der Kritik kam es wieder zu den zehn Jahre zuvor gehörten Verurteilungen von „Lachkabinett“ oder „schreckliche Abteilung“ sowie zu unverhohlen geäußerten Befürchtungen, die zur Ausstellung eingeladenen Arbeiter könnten in ihrem „natürlichen Empfinden“ gestört werden.36 Aus Sympathie für Künstler, welche die Jury abgelehnt hatten, die aber dem Kunstverständnis der Sponsoren und Organisatoren eher entsprachen, stellte man eiligst eine zweite Ausstellungshalle mit Werken ohne ,-ismen‘ und Abstraktionen zusammen. Neben den Künstlern und ihren Vereinigungen wirkten insbesondere die Galerien als Katalysatoren im Bemühen um Anschluss an die Moderne und Förderer zeitgenössischer Kunst. Zu diesen Galerien gehörte vor allem Der Spiegel von Eva und Hein Stünke, die Ende 1945 in Köln-Deutz eröffnete und erst später ins Kölner Zentrum zog. Insbesondere Düsseldorf positionierte sich (wieder) als Galeriestadt. Axel Vömel wurde schon erwähnt, zu nennen ist aber auch die Galerie der ehemaligen Tänzerin Hella Nebelung (1912–1985). Die Kunstkritikerin Anna Klapheck hat im Nachruf auf Hella Nebelung die Wiederbegegnung mit moderner Kunst nach dem Krieg eindrucksvoll beschrieben: An jenem Wintermorgen 1945 strömten die Besucher in Scharen in die neue Galerie. Helmut Hentrich hatte das Trümmerhaus in der Logengasse einigermaßen bewohnbar gemacht, ein Kaminfeuer knisterte. An den frisch geweißten Wänden hingen die Bilder ihrer rheinischen Malerfreunde, von denen viele in

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den letzten Jahren nur im Verborgenen hatten arbeiten können: Peter Janssen, Oswald Petersen, Heinz May, J. B. Hundt, Pudlich, Weitz, Buschmann, Ari Kampf, Ehepaar Neyers. Werner Heuser, der wenige Tage später zum Akademiedirektor gewählt wurde, sprach ein Grußwort. Wohl keiner der vielen Gäste war es, der sich dem Zauber der Stunde entziehen konnte. 37

Ab 1957 kam die Galerie von Alfred Schmela (1918–1980) dazu. Schmela half unter anderem Heinrich Dattenberg, dem Direktor des Mönchengladbacher Kunstmuseums, beim Aufbau einer neuen Sammlung nach dem großen Verlust der Kaesbach-Stiftung. Dattenberg hielt auch guten Kontakt zu Walter Kaesbach, der dem Museum später eine umfangreiche Sammlung aus dem Werk Heinrich Nauens schenkte. Trotzdem konnte der Verlust von 1937 nicht ausgeglichen werden – die Preise für expressionistische Kunst stiegen eklatant schnell an. Auch aus diesem Grund wandten sich viele Museen nach 1945 dem Aufbau von Sammlungen der jungen zeitgenössischen Kunst zu. Dies machte die Aufgabe der Kunstvermittlung nicht leichter. Die Museumsdirektoren mussten oft bei Kommunalpolitikern und Museumsvereinen intensive Überzeugungsarbeit leisten, bis ein Werk der Abstraktion oder eines ,-ismus‘ angekauft werden konnte. Und nicht immer war diese Arbeit von Erfolg gekrönt. So geschehen in Essen mit Werken von Ernst Wilhelm Nay. Der 1933 aus dem Amt gedrängte ehemalige Direktor des Museum Folkwang Ernst Gosebruch hielt weiterhin Kontakt zu seinem Museum. Gosebruch lernte Nay schon 1934 kennen und machte ihn mit Sammlern bekannt.38 Nach Ausstellungen in München 1946 und Hannover 1947 holte Alex Vömel Nay noch im gleichen Jahr nach Düsseldorf. 1948 folgte eine Ausstellung in Köln. 1951 übersiedelte Nay nach Köln. Das Museum Folkwang, an anderer Stelle durchaus progressiv und weltoffen, kaufte nicht. Erst 1962 zeigte es eine große Retrospektive seines Schaffens. Zu einem explosiven Zentrum für zeitgenössische Kunst wurde seit der Berufung von Paul Wember (1913–1987) das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld bzw. die seit 1955 dazugehörige Dependance Haus Lange (mit einer Architektur von Ludwig Mies van der Rohe aus den 1920er Jahren). Unmittelbar nach dem Kriege legte man im Kaiser

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Wilhelm Museum das zum Schutz vor der Zerstörungswut der Nationalsozialisten zugemauerte Wandgemälde von Johan Thorn Prikker Lebensalter wieder frei und berief den in Recklinghausen geborenen jungen Kunsthistoriker Paul Wember zum neuen Direktor. Wember war seit 1944 in Lübeck am St. Annen-Museum tätig gewesen, wo er schon vor dem Ende des Dritten Reichs begonnen hatte, Kontakte zu verfemten Künstlern aufzunehmen und ihre Werke ins Museum zu holen. Wember verstand sein Museum als „hyperaktiven Aufklärungsort“ und forderte das Krefelder Publikum mit ultramoderner Kunst mehr als einmal heraus. Legendär wurde der „Krawall um Yves Klein“39 1961, der den unbeirrbaren Museumsdirektor beinahe um seine Stellung brachte. Nicht immer hing die Neuausrichtung eines Kunstmuseums nach 1945 von einem Wechsel in der Leitung ab. In vielen Fällen wurde die personelle Kontinuität von der Weimarer Republik oder der NS-Zeit bis in die Bonner Republik bewahrt, wobei sich die Ausrichtung der Museumsarbeit allerdings änderte.40 Der schon erwähnte Direktor des Museum Folkwang in Essen Heinz Köhn kehrte nach 1945 scheinbar mühelos zu den Positionen des Folkwangs vor 1933 zurück und wurde zu einem eifrigen Verfechter der Moderne. Die Anpassungsfähigkeit des Essener Museumsdirektors war für damalige Zeitgenossen weniger befremdlich, als es im Rückblick wirken mag. Unzweifelhaft lag im Fall des Museum Folkwang in derartiger Kontinuität auch Gewinn. An anderer Stelle traten allerdings auch Verwerfungen auf. Der nationalsozialistisch linientreue Direktor des Düsseldorfer Kunstmuseums Fred Kocks wurde von der britischen Militärregierung entlassen. Sein Nachfolger, der Grafiker und Maler Werner Doede (1904-2000), Organisator der Kunstausstellung Eisen und Stahl, war nach dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie und Promotion in Köln (1935) Mitarbeiter des Düsseldorfer Kunstmuseums und seit 1940 Kunstberichterstatter der Rheinisch-Westfälischen Zeitung in Essen. Er hatte den Abschied des Hauses von der Moderne nach 1933 miterlebt: Die vergebliche Gründung einer Galerie der Neuzeit als Dependance des Kunstmuseums, aus der Hans Hupp (1896-1943), der damalige Direktor, erst verkaufen musste, und die dann 1937 ausgeplündert wurde.

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Wie auch die Berufung des NS-adäquaten Malers Fred Kocks nach dem Tode Hupps. Ihm folgte dann Doede. Er bekannte sich 1946 mit der Gedächtnisausstellung Lebendiges Erbe. Kunstwerke verfemter Künstler zur Moderne und baute in diesem Sinne die Sammlung wieder auf. 1953 kam es jedoch zu einem endgültigen Zerwürfnis, nachdem das Düsseldorfer Kulturamt den ehemaligen Direktor Kocks als Kustos wieder ans Museum geholt hatte.41 Nur kurz währte die Interimsphase unter Dr. Meta Patas, die versuchte, im Sinne Doedes weiter zu arbeiten. Sie wurde von dem ehemaligen NS-Kunsthistoriker Dr. Gert Adriani (1909–1989) ersetzt,42 der an den Kunstrauben in den Niederlanden und in Frankreich beteiligt war. 1958–60 schloss das Museum ganz, da die Räume für die Düsseldorfer Messe gebraucht wurden. In Köln wurde der Direktor des Wallraf-Richartz-Museums Otto Helmut Förster als linientreuer Nationalsozialist 1945 zwar entlassen, kehrte aber von 1957 bis 1960 als Generaldirektor der Kölner Museen und Direktor des Wallraf-Richartz-Museums wieder zurück. Zwischenzeitlich baute Leopold Reidemeister (1900–1987) mithilfe der Stiftung Haubrich und mit Unterstützung von Josef Haubrich (1889– 1961) eine Sammlung der Moderne auf, die leider bis 1957 ohne eigenes Museum blieb. Im Jahr der Eröffnung des neuen Museums wechselte Reidemeister nach Berlin.43 In Mülheim a. d. Ruhr setzte Werner Kruse (1886–1968), Direktor des Museums von 1922 bis 1951, noch in den 1930er Jahren sein Ausstellungsprogramm mit Kunst der Moderne unbeirrt fort und zeigte neben Otto Pankok auch Werke von Käthe Kollwitz, Christian Rohlfs und anderen. Noch 1934 konnte in Hagen unter mutiger Führung des jungen Malers Hans Leusden eine Ehrung für den 85-jähigen Christian Rohlfs geschehen. Mit dem Karl Ernst Osthaus-Preis stiftete die Stadt Hagen 1946 den ersten Preis für zeitgenössische Kunst in Deutschland überhaupt, ein Jahr später wurde der Karl Ernst Osthaus-Bund in Hagen gegründet, beides wie auch die Gründung der Henry van de Velde Gesellschaft 1959 gingen wesentlich auf die Kunsthistorikerin Hertha Hesse-Frielinghaus (1910–1989) zurück, die im Herbst 1945 das Osthaus Museum wiedereröffnete und die Sammlung ganz neu aufbaute.

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Ihr zur Seite standen der erste, 1947 gekürte Träger des Karl Ernst Osthaus-Preises Eberhard Viegener (1890–1967) und der Künstler Wilhelm Wessel (1904–1971). Dank der unbeirrbaren Leonie Reygers (1905–1985) fand Dortmund nach 1945 wieder den Zugang zur Moderne. Offiziell wurde Reygers erst 1947 zur Direktorin ernannt, nachdem sie schon 1940 die Verantwortung für das Museum übernommen hatte. Reygers war eine Expertin für alles, was vor 1945 als „entartete“ Kunst diffamiert worden war, und eine Kämpferin gegen die nationalsozialistischen Verbrechen an der Kunst und den Künstlern. Ein Museum hatte ihrer Meinung nach die Pflicht, in den Kampf gegen das noch latente nationalsozialistische Gedankengut einzugreifen. Dazu brauchte es vor allem Räume. Doch auch in Dortmund lag das Museum in Trümmern und die Sammlung war nach Schloss Cappenberg ausgelagert. 1949 eröffnete Reygers eine erste Ausstellungshalle auf der provisorisch geräumten Ruine des alten Museums. Ohne Architekt, nach eigenen Vorstellungen und mit tatkräftiger Hilfe der Bevölkerung, die selbst mit anpackte oder die Arbeiter mit Essen versorgte, entstand ein hochmodernes Museumsgebäude, das als eines der ersten, vielleicht sogar als erstes in der Bundesrepublik 1956 eröffnete. Noch während der Bauphase gelangen Reygers Ausstellungen mit Werken von Alexander Calder, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky oder Pablo Picasso. Freundschaften mit Daniel-Henry Kahnweiler oder Hildebrand Gurlitt machten es möglich. Selbstbewusst bezeichnete Leonie Reygers ihr Museum als „Museum of Modern Art“44. Der Leiter des Märkischen Museums Witten Peter Emil Noelle (1885–1953) stand von 1930 bis 1937 an der Spitze einer kleinen Gemeinschaft, die für die Moderne bis zum offenen Konflikt mit der Gestapo kämpfte. 1937 wurde er zum Aufgeben gezwungen, doch schon von 1946 bis 1953 leitete er wieder das Wittener Museum und propagierte ein offenes, modernes Kunstverständnis. Für Thomas Grochowiak, Mitbegründer des Jungen Westens, war er ein „aktiver und entschiedener Förderer moderner Kunst“45 trotz seines Versuchs in den dreißiger Jahren, ein Arrangement mit Joseph Goebbels᾿ Auffassungen von einem ‚deutschen Expressionismus‘ zu bewältigen. Unmittelbar nach

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Ende der Kriegshandlungen gehörte er zu den Kunden des Galeristen Dr. Werner Rusche, wo er Grafiken der ,Verfemten‘ kaufte. Der gelernte Kaufmann Rusche hatte sich erst 1946 offiziell als Kunsthändler in Köln registrieren lassen, zunächst ohne besondere Berufserfahrung, aber nach ausgedehnten Museumsbesuchen in den letzten Kriegsjahren.46 Eine der sinnvollsten und nachhaltigsten Kulturinitiativen der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik entstand 1947 unter dem Aufruf „Kunst gegen Kohle“. Eine tragende Rolle spielten und spielen dabei nicht Mäzene aus Bürgertum und Industrie, sondern die Gewerkschaften. Der ehemalige Leiter des Vestischen Museums in Recklinghausen Franz Große-Perdekamp hatte sich mit den Nationalsozialisten arrangiert, förderte aber nach dem Zweiten Weltkrieg die Hinwendung zur Abstraktion als unumgängliches Mittel in der Kunst. Abstrakte Kunst, Informel und Konstruktivismus prägten die Werke der jungen Recklinghausener Künstler, die seit den frühen 1950er Jahren in der Kunsthalle ausgestellt wurden. Unter der Leitung Große-Perdekamps entstand in Recklinghausen ein Zentrum moderner Kunst- und Kulturvermittlung mit internationaler Strahlkraft. Einen wesentlichen Anteil daran hatte sein Mitarbeiter und Nachfolger Thomas Grochowiak (1914–2012), ein Bergarbeiterkind, das von seinem Lehrer zum Selbststudium ins Museum Folkwang in Essen geschickt worden war. Alles begann mit Theateraufführungen Hamburger Schauspieler als Dank für die Überlassung einiger Zentner Kohle unter der Hand oder auch den Augen der Besatzer, nach dem Motto „Kunst gab ich für Kohle“. Parallel dazu entstand die Ausstellung Junge Künstler zwischen Rhein und Weser im leerstehenden Warenhaus Althoff in Recklinghausen, die zur Gründung der Ruhrfestspiele und der Gruppe Junger Westen führte. Die Gedenktafel an dem 1965 eingeweihten Festspielhaus Recklinghausen fasst die begriffliche Verquickung von Kunst und Demokratie dieser Zeit zusammen: VOR DEN RUINEN DES VATERLANDES/VEREINTEN SICH IM JAHRE 1946/ BERGLEUTE UND KÜNSTLER/ ZU GEGENSEITIGER HILFE AUS DEM TAUSCHE/KOHLE GEGEN KUNST/KUNST GEGEN KOHLE/WUCHS FREUNDSCHAFT/ERSTANDEN DIE RUHRFESTSPIELE

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DIESES HAUS/IST EIN WERK DER DEMOKRATIE ES SOLL NACH DEM WORT/VON THEODOR HEUSS SEIN:/EINE HEIMAT DER MUSEN/EINE HERBERGE MENSCHLICHER BEGEGNUNGEN/UND EINE BURG FREIHEITLICHEN SEINS

Die Idee, Festspiele im Ruhrgebiet zu veranstalten, quasi traditionelle in Salzburg und Bayreuth geschaffene Konzepte im Revier auf Kohle und Stahl für das ‚werktätige Volk‘ zu entwickeln, entsprach der Folkwang-Idee von Karl Ernst Osthaus bzw. insgesamt den seit der Jahrhundertwende entwickelten Maximen von ‚Die Kunst dem Volke‘. Unter der Führung des DGB-Vorsitzenden der britischen Besatzungszone Hans Böckler (1875–1951) übernahmen die Gewerkschaften, neben dem DGB auch die IG Bergbau, nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern auch gemeinsam mit der Stadt Recklinghausen die Rolle der Veranstalter. Böckler benannte Otto Burrmeister (1899–1966) zum Leiter der Ruhrfestspiele. Er kam aus der Arbeiter-Jugendbewegung und hatte vor dem Krieg Erfahrungen in der kulturellen Arbeit mit Erwerbslosen gesammelt.47 Die Schaffung einer „sozialen Kultur der Gegenwart“ war für den „Vater der Ruhrfestspiele“48 vordringlich, wobei er keine „Arbeiterkultur“, sondern eine „Arbeitnehmerkultur“ mit der Vereinigung der „Kopf- und Handarbeiter“ ins Leben rufen wollte.49 Aus den Lehren von Weimar heraus wollte man mithilfe der Kultur die Arbeiter an den neuen demokratischen Staat binden, sie quasi zu Trägern der Demokratie machen (zum Programm der ersten Jahre gehörten klassische Aufführungen von Goethes Iphigenie auf Tauris, Lessings Nathan der Weise und Schillers Don Carlos, aber auch Stücke von Carl Zuckmayer, Bertolt Brecht, Frank Wedekind, Ernst Toller, Friedrich Dürrenmatt, Jean-Paul Sartre, Albert Camus und Thornton Wilder). 1953 wurden 75 % aller Eintrittskarten von den Betrieben des Ruhrreviers, darunter vor allem des Bergbaus, verteilt. Das Programm lief auch unter dem Titel Kulturtage der Arbeit und umfasste seit 1950 Kunst- und Buchausstellungen sowie das Europäische Gespräch mit politischen Diskussionen. Ministerialrat Busley verwies in diesem Zusammenhang auf das Ruhrstatut, das allein schon dazu beitrage, das Ruhrgebiet in den Mittelpunkt übernationalen kul-

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turellen Interesses zu stellen. Folgerichtig zeigte die erste Kunstausstellung im Rahmen der Festspiele Deutsche und Französische Kunst der Gegenwart. Danach entwickelten Franz Große-Perdekamp und Thomas Grochowiak ein neues Konzept für die Ausstellungen, in dem sie diese unter thematischen Fragestellungen und zwar über Stile, Gattungen oder Epochen hinweg ordneten, z.B. Arbeit – Freizeit – Muße 1953 oder Das Bild des Menschen 1955 oder Verkannte Kunst 1957. Erfolgreich konnten alle Versuche abgeschmettert werden, die Ruhrfestspiele in die zentraleren, ohnehin kulturverwöhnten Großstädte des Ruhrgebiets Duisburg, Essen oder Bochum zu verlegen. Die „Arbeitnehmer-Festspiele“ blieben im Zentrum der seit dem Zweiten Weltkrieg größten Bergbauregion Europas. 1952–54 entstanden kurzfristig Pläne für ein weiteres Mekka für die Kunst an der Ruhr, das nach den hochfliegenden Plänen der Protagonisten sogar als „Nationalmuseum“ den Verlust der Museumsinsel in Berlin ersetzen sollte. Carl Hundhausen, Direktor der Krupp‘schen Widia-Werke, der Sammler und Kunstkritiker Albert Schulze-Vellinghausen, RWE-Direktor Ernst Henke und viele andere Industrielle standen hinter den Plänen. Sie wollten ein museales Zentrum in der Region an Rhein und Ruhr schaffen, das die Sammlung Folkwang, die Ruhrfestspiele und das Ruhrlandmuseum vereinte. Pläne für ein zusätzliches neues Museumsgebäude im Park der Villa Hügel aus der Hand von Ludwig Mies van der Rohe dokumentierten den Willen zur internationalen, aber inzwischen schon recht klassischen Moderne. Das Museum sollte in der Trägerschaft einer gemeinsamen Stiftung von Bund, Land und Stadt Essen stehen. Das Projekt scheiterte an einem ungeschickten Taktieren der Stadt Essen.50 Die hochfliegenden Pläne verzögerten zudem den Neubau für das Museum Folkwang. Erst 1960 erhielt das Museum ein neues Museumsgebäude. Damit stand es in einem Reigen der Eröffnungen teilweise spektakulärer Museumsneubauten an Rhein und Ruhr.51 Mit dem Rückenwind des wirtschaftlichen Aufschwungs aus Kohle und Stahl hatte sich innerhalb von zehn oder fünfzehn Jahren nach dem Ende von Diktatur und Krieg zwischen Köln, Krefeld und Hagen

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ein Kraftzentrum für die Vermittlung eines neuen Kunst- und Kulturverständnisses entwickelt, das traditionelle (Bauhaus, Folkwang) und neue Impulse miteinander verband und geprägt war von eigenständigen Stilentwicklungen, Pluralismus und Interdisziplinarität, aber auch dem unbedingten Willen zu einer demokratischen Kultur und Kunst. Ob vor diesem Hintergrund der durch die Ausstellung Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg im Haus der Kulturen der Welt, Berlin 2017, gezeigten Infiltration der europäischen Avantgarde durch gezielte Aktionen des CIA wirklich wesentlicher Einfluss zuzuschreiben ist, bleibt fraglich. Gerade mit dem Aufzeigen von Kontinuitäten, die sich auch im Dritten Reich erhalten konnten, entsteht eher der Eindruck, dass der Wille zur Moderne nicht von außen gesteuert war, sondern auf Eigenwillen beruhte und von einzelnen Biografien und eindrucksvollen Lebenswerken abhing. Als 1950 in Berlin auf Initiative der CIA der Kongress für kulturelle Freiheit zum ersten Mal stattfand, hatten sich in vielen Städten auch und gerade an Rhein und Ruhr Künstler und Kulturschaffende zu eigenen Zirkeln und Initiativen wieder oder ganz neu zusammengefunden. Die Einstellung unter den Künstlern und Kulturförderern war wesentlich eher links als liberal, in jedem Fall freiheitsliebend und individualistisch. Eine direkte politische Infiltration und Einflussnahme wäre nach zwölfjähriger politischer Bevormundung auf wenig Verständnis gestoßen. Natürlich galt der abstrakte Expressionismus, den die westliche Welt dem östlich-sozialistischen Realismus entgegensetzte, lange Zeit gerade in den großen Kunstmuseen als Nonplusultra. Die Region an Rhein und Ruhr erlebte jedoch einen erfreulichen Stilpluralismus mit dem großen Stolz, die „Leuchtfeuer der Freiheit“52 aus eigener Kraft entzündet zu haben.

A nmerkungen 1 | Roh, Franz: „Entartete“ Kunst. Kunstbarbarei im Dritten Reich, Hannover 1962, S. 11. 2 | Tinguely, Jean: Für Statik, März 1959, zit. n.: Schavemaker, Margriet/ Til, Barbara/ Wismer, Beat: Jean Tinguely. Eine Einführung, in: Jean Tin-

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guely. Retrospektive: Super Meta Maxi, Katalog der Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf, Köln 2016, S. 9–12, hier S. 9. 3 | Dem Band von F. Roh, Kunstbarbarei im Dritten Reich, vorangestellt. 4 | Erstmals findet der Begriff „Magischer Realismus“ in einem Aufsatz von eben Franz Roh Verwendung; Roh, Franz: „Zur Interpretation Karl Haiders. Eine Bemerkung auch zum Nachexpressionismus“, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, 15 (1923), S. 598–602. 5 | F. Roh: Kunstbarbarei, S. 61. 6 | Früher auch Folkwang-Museum oder Folkwangmuseum, die Autorin hat sich in diesem Fall aus Gründen der Einheitlichkeit für den jetzt gebräuchlichen Namen „Museum Folkwang“ entschieden. 7 | Vgl. Laufer, Ulrike: Sammlerfleiß und Stiftungswille. 90 Jahre Folkwang-Museumsverein – 90 Jahre Museum Folkwang, Göttingen: Steidl 2012, S. 84ff. und S. 118ff. 8 | Vgl. ebd., S. 148. 9 | So der Katalog zu der 1939 in New York gezeigten Ausstellung, zit. n.: Glozer, Laszlo: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Katalog der Ausst., veranstaltet von den Museen der Stadt Köln, Köln 1981, S. 49. 10 | Vgl. Schubert, Dietrich: Wilhelm Lehmbruck. Catalogue raisonné der Skulpturen; 1898–1919, Worms: Werner 2001, S. 127. 11 | Vgl. Griebitzsch, Herbert: Kurt Neyers (1900–1969), Düsseldorf 1947. 12 | Vgl. http://www.duisburger-kuenstlerbund.de/DKB_60-JahreGeschichte_1923-83.pdf, 01.12.2017. 13 | „Die Zeit hat es mit sich gebracht, dass ich und auch alle anderen Künstler mehr verkaufen können, als sie mögen.“ Ewald Mataré 27.11.1943, in: Mataré, Hanna/Müller, Franz (Hg.), Tagebücher, Köln o. J., S. 175. 14 | Vgl. Der Duisburger Künstlerbund. Ein historischer Abriß anlässlich des 60jährigen Bestehens des DKB 1923-1983, www.duisburgerkuenstlerbund.de/DKB_60-Jahre-Geschichte_1923-83.pdf, 01.12.2017. 15 | Renée Sintenis zit. n.: Klapheck, Anna: Nachruf auf Alex Vömel, Düsseldorfer Feuilleton, 26.6.1985. 16 | Vgl. Wilmes, Daniela: Wettbewerb um die Moderne. Zur Geschichte des Kunsthandels in Köln nach 1945 (=Schriften zur modernen Kunsthistoriographie, Bd. 2), Berlin: de Gruyter 2012, S. 122ff.

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17 | Vgl. Hilger, Susanne: „Bürgerliche Eliten im ‚Dritten Reich’. Düsseldorfer Rotarier zwischen Kooperation und Konfrontation“, in: Geschichte im Westen 19 (2004), S. 177–196. 18 | Vgl. Bambi, Andrea/Drecoll, Axel: Alfred Flechtheim. Raubkunst und Restitution. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 110, Berlin/Boston: de Gruyter 2015, S. 125. 19 | Vgl. Ruhrländischer Künstlerbund Essen: 40 Jahre RKB. Ruhrländischer Künstlerbund Essen 1949-1989. Eine Dokumentation des Ruhrländischen Künstlerbundes aus Anlaß seines 40-jährigen Bestehens von Barbara Adamek, Essen: RKB 1989. 20 | Vgl. Wismer, Beat: Weshalb soll ein Bild immer unbeweglich sein? Weshalb darf es sich nicht auch verändern? Jean Tinguelys erstes Jahrzehnt. Von der Metakunst zur autodestruktiven Installation, in: Jean Tinguely, S. 35–41, hier S. 35. 21 | Vgl. D. Wilmes, Wettbewerb um die Moderne, S. 103. 22 | Vgl. ebd., S. 83. 23 | Vgl. Busley, IIse: November 1944 – Juli 1945. Im Tagebuch berichtet eine Mutter ihrem Sohn, www.brauweiler-kreis.de/wp-content/.../ GiW_1995_1_MENSING_TAGEBUCH.pdf, 01.12.2017, S. 106. 24 | Vgl. ALIU, Final Report, 26; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland (Nachlass). 25 | Vgl. U. Laufer: Sammlerfleiß, S. 77. 26 | F. Roh: Kunstbarbarei, S. 90. 27 | Vgl. E. Mataré 1958, in: Tagebücher, S. 278. 28 | Vgl. Reese, Beate (Hg.): Befreite Moderne – Kunst in Deutschland 1945–1949, Katalog der Ausstellung im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr und im Städtischen Museum Hofheim am Taunus, Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2015. 29 | Karl Otto Götz im November an einen Freund, zit. n.: Bratke, Elke: In aller Freiheit ans Werk! Malerei zwischen Konvention und Experiment, in: Honnef, Klaus/Schmidt, Hans (Hg.), Neubeginn und Kontinuität. Kunst und Kultur im Rheinland und Westfalen 1945–1952, Katalog der Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn, Kunstmuseum Düsseldorf und Museum Bochum, Köln: Rheinland Verlag 1985, S. 263–211, hier S. 263.

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30 | Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbol der Zeit. Salzburg: Otto Mueller 1948. 31 | Ludwig, Peter: Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines generationsmäßig bedingten Lebensgefühls. Dissertation, Mainz 1950. 32 | Burchartz, Max: Gleichnis der Harmonie. München: Prestel 1949. 33 | E. Mataré 20.12.1949, in: Tagebücher, S. 243. 34 | Z.B. mit einem Bericht über Proteste gegen eine Ausstellung mit Expressionisten in der Hamburger Kunsthalle: Vgl. Die Welt vom 20.04.1949. 35 | Vgl. Rhein-Ruhr-Zeitung, 1948, Nr. 122 mit einer Hymne auf die Ausstellung Vier Meister des Expressionismus in Essen und in der Rheinischen Post, Nr. 120 vom 04.12.1948 zur gleichen Ausstellung, bewertet als einen „guten ersten Diskussionsbeitrag zur Kunst der Gegenwart“, zit. n.: U. Laufer: Sammlerfleiß, S. 225. 36 | Horn, Wolfgang: Kulturpolitik in Düsseldorf, Situation und Neubeginn nach 1945, Opladen: VS Verag für Sozialwissenschaften 1981, S. 93 und „Ein roter Klecks“, in: Der Spiegel vom 7.5.1952. 37 | Klapheck, Anna: „Nachruf auf Hella Nebelung“, in: Rheinische Post vom 20.6.1985. 38 | U. Laufer: Sammlerfleiß, S. 222. 39 | So John Anthony Thwaites in der Deutschen Zeitung vom 28. 3. 1961. Zu dieser und anderen Aktionen vgl. Röder, Sabine/Martin, Sylvia (Hg.): Paul Wember und das hyperaktive Museum, Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst 2013 als Begleitband zur Ausstellung Hommage an Paul Wember in Krefeld 2013. 40 | Vgl. grundlegend dazu: Honnef/Schmidt, Aus den Trümmern. 41 | Vgl. Heymer, Kay: „Die Kunstsammlung der Stadt Düsseldorf 19451953“, in: Friedrich, Julia/Prinzing, Andreas (Hg.), „So fing man einfach an, ohne viele Worte.“ Ausstellungswesen und Sammlungspolitik in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin: de Gruyter 2013, S. 56–62 und Horn, Wolfgang: Kulturpolitik in Düsseldorf. Situation und Neubeginn nach 1945, Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften 1981, S. 91. 42 | Gert Adriani war auch als Mitarbeiter für den Aufbau des „Führermuseums“ vorgesehen. Als „red flag name“ taucht er auf unter: http:// www.lootedart.com/MVI3RM469661, 28.04.2018.

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43 | Vgl. Moeller, Magdalena M. (Hg.): Leopold Reidemeister. Ein deutscher Museumsmann 1900-1987, München 2017. 44 | Framke, Gisela: „Kunst als Leben – Leonie Reygers und das Museum am Ostwall“, in: Framke, Gisela (Hg.), Das neue Dortmund. Planen, Bauen, Wohnen in den Fünfziger Jahren. Katalog zur Ausstellung im MKK, Dortmund: Museum für Kunst und Kulturgeschichte 2002, S. 145–173, hier S. 152. 45 | Thomas Grochowiak zit. n.: Geiersbach, Friedrich Wilhelm: „Thomas Grochowiak“, in: http://www.ardenkuverlag.de/programm/pro gramm_pdf/HB%202005_Groschowiak%20131-140.pdf, 14.02.2018, S. 137. Vgl. dazu auch Drebusch, Dagmar: Das Märkische Museum unter Peter Emil Noelle, 1946 bis 1953 (=Beiträge zur Geschichte des Märkischen Museums der Stadt Witten. Band 1), Witten: Märkisches Museum 1986. Die jüngste, von Ralf Klein im Märkischen Jahrbuch für Geschichte 2012 angeregte Diskussion um die Nähe Noelles zum Antisemitismus verweist auf die Beamtenstellung und Abhängigkeit Noelles als Lehrer am örtlichen Gymnasium und unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise von exponierten Biografien aus dem Kunstbetrieb in der Mitte des 20. Jahrhunderts. 46 | D. Wilmes: Wettbewerb um die Moderne, S. 116. 47 | Vgl. Gelsing, Wolfgang: Otto Burrmeisters Volkstheater-Ideal als kulturpolitisches Leitprinzip für den Entstehungs- und Integrationsprozeß der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Dissertation, Bochum 1975. 48 | http://www.zeit.de/1966/44/otto-burrmeister, 14.02.2018. 49 | Vgl. http://www.brauweiler-kreis.de/wp-content/uploads/GiW/GiW 1998_1/GiW_1998_1_SCHNELLING-REINICKE_GRUENDUNG.pdf, 14.02.2018. 50 | Vgl. U. Laufer: Sammlerfleiß, S. 242. 51 | Vgl. zu letzterem: Dinkla, Sönke (Hg.): Eine große Idee. 50 Jahre Lehmbruck Museum, Köln 2014. 52 | Dulles, Eleanor: Berlin-Beauftragte des amerikanischen Außenministeriums bei der Eröffnung des Hauses der Kulturen in Berlin 1957, zit. n.: Siemons, Mark: „Wie man die großen Wörter klaut“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.11.2017, Nr. 45, S. 48.

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L iteratur Bambi, Andrea/Drecoll, Axel: Alfred Flechtheim. Raubkunst und Restitution. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 110, Berlin/Boston: de Gruyter 2015. Bratke, Elke: In aller Freiheit ans Werk! Malerei zwischen Konvention und Experiment, in: Honnef, Klaus/Schmidt, Hans (Hg.), Neubeginn und Kontinuität. Kunst und Kultur im Rheinland und Westfalen 1945–1952, Katalog der Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn, Kunstmuseum Düsseldorf und Museum Bochum, Köln: Rheinland Verlag 1985, S. 263–211. Burchartz, Max: Gleichnis der Harmonie. München: Prestel 1949. Dinkla, Sönke (Hg.): Eine große Idee. 50 Jahre Lehmbruck Museum, Köln 2014. Drebusch, Dagmar: Das Märkische Museum unter Peter Emil Noelle, 1946 bis 1953 (= Beiträge zur Geschichte des Märkischen Museums der Stadt Witten. Band 1), Witten: Märkisches Museum 1986. Framke, Gisela: „Kunst als Leben – Leonie Reygers und das Museum am Ostwall“, in: Framke, Gisela (Hg.), Das neue Dortmund. Planen, Bauen, Wohnen in den Fünfziger Jahren. Katalog zur Ausstellung im MKK, Dortmund: Museum für Kunst und Kulturgeschichte 2002. Gelsing, Wolfgang: Otto Burrmeisters Volkstheater-Ideal als kulturpolitisches Leitprinzip für den Entstehungs- und Integrationsprozeß der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Dissertation, Bochum 1975. Glozer, Laszlo: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Katalog der Ausst., veranstaltet von den Museen der Stadt Köln, Köln 1981. Griebitzsch, Herbert: Kurt Neyers (1900–1969), Düsseldorf 1947. Heymer, Kay: „Die Kunstsammlung der Stadt Düsseldorf 1945–1953“, in: Friedrich, Julia/Prinzing, Andreas (Hg.), „So fing man einfach an, ohne viele Worte.“ Ausstellungswesen und Sammlungspolitik in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin: de Gruyter 2013, S. 56–62.

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Hilger, Susanne: „Bürgerliche Eliten im ‚Dritten Reich’. Düsseldorfer Rotarier zwischen Kooperation und Konfrontation“, in: Geschichte im Westen 19 (2004), S. 177–196. Horn, Wolfgang: Kulturpolitik in Düsseldorf. Situation und Neubeginn nach 1945, Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften 1981. Klapheck, Anna: „Nachruf auf Alex Vömel“, in: Düsseldorfer Feuilleton, 26.6.1985. Dies.: „Nachruf auf Hella Nebelung“, in: Rheinische Post, 20.6.1985. Laufer, Ulrike: Sammlerfleiß und Stiftungswille. 90 Jahre FolkwangMuseumsverein – 90 Jahre Museum Folkwang, hg. v. FolkwangMuseumsverein e. V., Göttingen: Steidl 2012. Ludwig, Peter: Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines generationsmäßig bedingten Lebensgefühls. Dissertation, Mainz 1950. Mataré, Hanna/Müller, Franz (Hg.), Tagebücher, Köln o. J. Moeller, Magdalena M. (Hg.): Leopold Reidemeister. Ein deutscher Museumsmann 1900–1987, München 2017. Reese, Beate (Hg.): Befreite Moderne – Kunst in Deutschland 19451949, Katalog der Ausstellung im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr und im Städtischen Museum Hofheim am Taunus, Berlin/ München: Deutscher Kunstverlag 2015. Röder, Sabine/Martin, Sylvia (Hg.): Paul Wember und das hyperaktive Museum, Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst 2013. Roh, Franz: „Zur Interpretation Karl Haiders. Eine Bemerkung auch zum Nachexpressionismus“, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, 15 (1923), S. 598–602. Ders.: „Entartete“ Kunst. Kunstbarbarei im Dritten Reich, Hannover 1962. Ruhrländischer Künstlerbund Essen: 40 Jahre RKB. Ruhrländischer Künstlerbund Essen 1949–1989. Eine Dokumentation des Ruhrländischen Künstlerbundes aus Anlaß seines 40-jährigen Bestehens von Barbara Adamek, Essen: RKB 1989. Schubert, Dietrich: Wilhelm Lehmbruck. Catalogue raisonné der Skulpturen; 1898–1919, Worms: Werner 2001. Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbol der Zeit. Salzburg: Otto Mueller 1948.

Chaos, Kontinuität und Aufbruch

Jean Tinguely. Retrospektive: Super Meta Maxi, Katalog der Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf, Köln 2016. Wilmes, Daniela: Wettbewerb um die Moderne. Zur Geschichte des Kunsthandels in Köln nach 1945. (=Schriften zur modernen Kunsthistoriographie, Bd. 2), Berlin: de Gruyter 2012. Wismer, Beat: Weshalb soll ein Bild immer unbeweglich sein? Weshalb darf es sich nicht auch verändern? Jean Tinguelys erstes Jahrzehnt. Von der Metakunst zur autodestruktiven Installation, in: Jean Tinguely, S. 35– 41. Internet-Texte http://www.duisburger-kuenstlerbund.de/DKB_60-Jahre-Geschichte _1923-83.pdf www.duisburger-kuenstlerbund.de/DKB_60-Jahre-Geschichte_1923 -83.pdf www.brauweiler-kreis.de/wp-content/.../GiW_1995_1_MENSING_ TAGEBUCH.pdf http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21976794.html http://www.lootedart.com/MVI3RM469661 http://www.ardenkuverlag.de/programm/programm_pdf/HB%20 2005_Groschowiak%20131-140.pdf http://www.zeit.de/1966/44/otto-burrmeister http://www.brauweiler-kreis.de/wp-content/uploads/GiW/GiW 1998_1/GiW_1998_1_SCHNELLING-REINICKE_GRUENDUNG.pdf

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Ich bin Künstler, sagte der Künstler, ich beschäftige mich nicht mit Finanzen. – Selbstverständlich, selbstverständlich. Das ist nur natürlich. Der Künstler lebt in höheren Sphären und lässt sich vom schnöden Mammon nicht beeindrucken. Ich habe die Haltung von Künstlern immer sehr bewundert, obwohl sie mir selbst nicht gegeben ist.1

Abbildung 1: „der Utopist“.

Reklame in: Ernst Bloch: Freiheit und Ordnung 1969.

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1. D emokratie

und

M arkt

Den Zeitraum, um den es geht, kann man in etwa zwischen 1957 (Beginn des 3. Kabinetts Adenauer, Alleinregierung der CDU) und 1974 (Ende der Ära Brandt) ansetzen. Die damit verbundenen Entwicklungen in der Bonner Republik – der Wiederaufbau, der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung, die Spannungen zur DDR und die Einbindung in den kalten Krieg sowie die Wende von einer konservativen Politik hin zur Ära Brand – bilden dabei den Unterbau für die kulturelle Entwicklung, speziell für die der Bildenden Kunst. Ungefähr in der Mitte dieses Zeitabschnitts, im Jahr 1966, gründeten die Kölner Galeristen Hein Stünke und Rudolf Zwirner den Verein progressiver deutscher Kunsthändler, welcher ein Jahr später den ersten Kölner Kunstmarkt veranstaltete. Diese Kunst-Messe stieß mit ihrem Selbstverständnis (progressiv, exklusiv und als Markt, später als Messe, vorrangig kommerziell ausgerichtet) bald auf Kritik, vor allem von Seiten vieler Künstler und kleinerer Galerien, die sich ausgeschlossen sahen, obwohl auch sie zeitgenössische Kunst förderten. Es entstanden eine Gegenmesse, abwechselnd in Köln und Düsseldorf, und ein von Künstlern organisierter Neumarkt der Künstler, dem andernorts ähnliche Initiativen folgten. Die Auseinandersetzung gründete auf einem nicht zu vermittelndem Gegensatz, der spätestens seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft und des Merkantilismus zum Problem wurde: Es war der Gegensatz zwischen dem ästhetischen und geistigen Anspruch der Kunst und dem Kunstwerk als Ware. Bezogen auf die kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik im o.g. Zeitraum kann man diesen latenten Widerspruch speziell vor dem Hintergrund des Wirtschaftswunders und der aus ihm erwachsenden Revolte der Jugend, der sogenannten 68er Bewegung betrachten. Das waren Jahre, in denen sich die Antithese von Kunst und Ware in neuer Heftigkeit aber auch Klarheit stellte. Ob dies in der Folge zu einer Synthese im Sinne Hegels führte und wie was, wo und wann aufgehoben wurde, werde ich allerdings nicht zu beantworten versuchen. Vielmehr werde ich mich darauf beschränken zu schildern, welche Personen und Institutionen im Rheinland an diesem

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Prozess der Auseinandersetzung beteiligt waren und welche Erfahrungen, Handlungen und Ideen sich mit ihnen verbinden lassen. Da ich diese Zeit selbst sehr intensiv, nicht nur als teilnehmender Beobachter, sondern auch als Handelnder erlebt habe, werde ich die dabei gemachten eigenen Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse einbeziehen und durch Kursivschrift kennzeichnen. Es gibt zu diesem Bereich der Kulturgeschichte eine unglaubliche Fülle von Quellen und Objekten, von denen sich viele noch in privater Hand befinden. Eine entsprechend gründliche wissenschaftliche Aufarbeitung, die das Phänomen Kunstmarkt nicht nur kunsthistorisch und kunstkritisch, sondern auch gesellschaftskritisch hinterfragt und mit empirischer Forschung unterfüttert, ist in der Bundesrepublik erst spät und bisher nur in Ansätzen erfolgt. Zum Kunsthandel und seiner Geschichte findet sich reiches Material im Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels e. V. (seit 29.6.2017 umbenannt in Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung). Nur ein kleiner Teil dieser Quellen sind auch online zugänglich. Seit einigen Jahren entstehen, vom ZADIK gefördert, auch eine Reihe von Publikationen, vor allem zur Geschichte einzelner Galerien.

2. D ie G alerien Ich beschränke mich bei meiner Untersuchung auf die Städte Düsseldorf und Köln, welche damals wie heute um die Zuschreibung „Kunststadt“ konkurrieren und werde versuchen, das gespannte Verhältnis zwischen dem Drang nach ästhetischer Freiheit, Innovation (ein Schlagwort dieser Zeit) und den Forderungen des entstehenden Kunstmarkts zu beleuchten. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Welten, der Welt der Kunst und der Welt des Kapitals, setzte sehr viel früher ein; wenn man so will seit der Zeit des beginnenden Merkantilismus, als sich die Künstler aus den Abhängigkeiten handwerklicher Bindungen zu befreien begannen und sich ein Kunstmarkt als Mittler zwischen Künstlern, Auftraggebern und Käufern herausbildete. Arnold Hauser, der die ers-

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ten Ansätze für eine Vermarktung der Kunst schon in der Spätantike sieht, bindet die Entstehung eines Marktes als Mittler an die Person des Sammlers. Den ersten bekannten, auch international agierenden Kunsthändler, Giovanni Battista della Palla, verortet er in Florenz, Anfang des 16. Jahrhunderts (nach Wackernagel 1938).2 Martin Warnke, der in diesem Zusammenhang auf Vasaris Viten als Quelle verweist, schildert darüber hinaus auch die Spannungen und Auseinandersetzungen, die sich zwischen Künstlern und Händlern schon damals zeigten.3 Die Situation des Kunsthandels in den rheinischen Großstädten der 1950er Jahre mag sich von der Struktur her nicht wesentlich von den Anfängen unterschieden haben, wenn man berücksichtigt, dass an die Stelle feudaler Sammler und Auftraggeber inzwischen bürgerliche Kunden getreten waren, welche nicht nur Leidenschaft für die Kunst besaßen, sondern auch entsprechende Geldmittel, um sie zu erwerben. Die meisten Kunsthändler in Düsseldorf und Köln konzentrierten sich in der Nachkriegszeit in ihren Programmen allerdings auf die Werke der Vergangenheit, bestenfalls auf inzwischen klassisch gewordene moderne Kunst (Impressionismus, Expressionismus, Surrealismus und Neue Sachlichkeit). Die erste Galerie, die sofort nach Kriegsende begonnen hatte, die vorher verfemte „entartete Kunst“ und auch zeitgenössische Kunst zu präsentieren, war ausgerechnet die Galerie Der Spiegel in Köln, die schon im Dezember 1945 von Eva und Hein Stünke gegründet worden war. Sie lief in den ersten Jahren unter dem Namen seiner Frau, da Heinrich Stünke als ehemaliger Bannführer der HJ und stellvertretender Geschäftsführer des Kulturamtes der Reichsjugendführung zunächst Schwierigkeiten bei der Zulassung als Kunsthändler zu erwarten hatte. Diese dunkle Phase in seiner Biographie wurde erst nach seinem Tod von einer jüngeren Wissenschaftsgeneration erforscht und veröffentlicht.4 1949 war das Ehepaar Stünke dann vom linksrheinischen Köln ins Zentrum gezogen, die neuen Galerieräume befanden sich in unmittelbarer Nähe des WDR-Gebäudes und des acht Jahre später nach Plänen der Architekten Rudolf Schwarz und Josef Bernhard erbauten Wallraf-Richartz-Museums. Die Galerie zeigte nicht nur zeitgenössische rheinische Künstler (Hann Trier, Joseph Fassbender, Georg Meis-

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termann, E. W. Nay), sondern wurde auch ein Ort, wo sich die Elite westdeutscher Intellektueller, Kunstkritiker und Sammler traf (so zum Beispiel die Schriftsteller Heinrich Böll, Jürgen Becker und Albrecht Fabri; die Kunstkritiker Werner Haftmann, Will Grohmann, John Anthony Thwaites und Albert Schulze-Vellinghausen; die Sammler Josef Haubrich und Wolfgang Hahn).5 Schon zu Beginn der 1950er Jahre stellte die Galerie auch die Werke emigrierter und europäischer, vor allem französischer Künstler aus. Eine besondere Freundschaft verband die Stünkes mit Max Ernst, dessen Schriften als Editionen der Galerie erschienen.6 Die Galerien bemühten sich darüber hinaus mit Erfolg, den Kreis der Sammler durch die Herausgabe preiswerter Künstlergrafiken zu erweitern. Hein Stünke wurde 1959 als Kurator für die Druckgrafik der documenta II berufen, war in der Auswahl- und Hängekommission, für die Textredaktion des Grafikkatalogs verantwortlich und sorgte dafür, dass Originalgrafiken der Spiegel-Künstler H.A.P. Grieshaber, Hann Trier, Max Ernst und Victor Vasarely der Vorzugsausgabe beigelegt wurden. Spätestens hier beginnt eine Verflechtung der Institution Documenta mit den Galerien, wenn auch von ständiger Kritik begleitet. Die Galerien versuchten auf vielfältige Weise, vor allem aber durch Leihgaben, Einfluss auf die Auswahl der Künstler zu gewinnen, welche durch ihre Teilnahme an angeblich nichtkommerziellen großen Ausstellungs-Events (wie die Documenta in Kassel, die Skulpturenausstellung in Münster, oder schon lange vorher die Biennale in Venedig) beträchtlich an Prestige und Marktpreis ihrer Werke gewannen.7 In der Galerie Der Spiegel sammelte auch der junge Rudolf Zwirner erste Erfahrungen. Er eröffnete 1959 zunächst in Essen eine eigene Galerie, zog aber schon drei Jahre später nach Köln um, wo er im Laufe des Jahrzehnts als maßgeblicher Galerist zunehmend an Bedeutung gewann. Er gehörte neben Hein Stünke zu den Galeristen, die 1966 den Verein progressiver deutscher Kunsthändler gründen und ein Jahr später den Kunstmarkt Köln organisieren sollten. In Düsseldorf hatten sich 1957 zwei weitere Galerien gegründet, die sich ebenfalls der zeitgenössischen Kunst verschrieben und junge,

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damals noch unbekannte deutsche, aber darüber hinaus auch europäische Künstler zeigten: Jean-Pierre Wilhelm und Alfred Schmela. Jean-Pierre Wilhelm war von Beruf Schriftsteller und Übersetzer. In Düsseldorf als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, entschloss er sich noch vor Hitlers Machtübernahme zur Emigration nach Frankreich, wo er Kontakt zu Schriftstellern und Künstlern der Avantgarde aufnahm, unter anderem zu Jean Fautrier, Wols, Jean Dubuffet, Hans Hartung und Henri Michaux. Als die deutschen Truppen Frankreich besetzten, musste er untertauchen und überlebte fünf Internierungslager des Vichy-Regimes. Anfang der 1950er Jahre kehrte er in seine Heimatstadt Düsseldorf zurück, wo er zunächst als Übersetzer arbeitete. So übersetzte er zum Beispiel Paul Celan ins Französische und André Malraux ins Deutsche. Am 2. Mai 1957 eröffnete er zusammen mit Manfred de la Motte und unterstützt vom Maler Gerhard Hoehme die Galerie 22 in Düsseldorf-Pempelfort. In der ersten Ausstellung zeigte er Werke junger deutscher Informeller, die damals noch weitgehend unbekannt waren, u.a.: Karl Fred Dahmen, Winfred Gaul, Karl Otto Götz, Gerhard Hoehme, Bernard Schultze und Emil Schumacher. Er stellte den neben Wols wichtigsten Maler des Informel, Jean Fautrier, zum ersten Mal in Deutschland vor. John Cage gab 1958 ein Konzert mit präpariertem Klavier in seiner Galerie, weitere Konzerte von Nam June Paik, Karlheinz Stockhausen und Morton Feldman folgten. Vier Jahre später, am 1. Juni 1960, schloss Wilhelm seine Galerie 22 mit einer Ausstellung von Cy Twombly und Robert Rauschenberg.8 Der Kunstkritiker John Anthony Thwaites hat ihn zu den Gründen für die Schließung in einem Interview für die Deutsche Zeitung befragt.9 Damals war der Boden für Avantgardekunst in Westdeutschland noch nicht vorbereitet. Es fehlte die Bereitschaft, für nicht etablierte Kunst Geld auszugeben, es fehlte am „gout du risque“, der Freude am Wagnis, resümiert der Galerist und fährt fort: „Aber warum fragen Sie danach? Ich sage Ihnen doch nicht die Wahrheit. Niemand sagt die Wahrheit über seine finanziellen Angelegenheiten. Es ist genug, wenn ich sage, dass wir keinen Bankrott gemacht haben.“

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Zwar war seiner Einschätzung nach der Kontakt mit dem Publikum „sehr erfreulich, besonders mit den jüngeren Leuten“, doch das öffentlich Echo, vor allem in der Zeitungskritik, war offensichtlich geprägt von Unverständnis und Ablehnung, sowohl bei den Ausstellungen wie auch bei den Musikveranstaltungen. John Cage, so Wilhelm, haben damals alle Musikkritiker für einen Irren gehalten. Thwaites kommt in seinem Fazit 1960 zu einem differenzierten, durchaus anerkennenden Urteil: „Wenn die ‚Rheinmetropole‘ zum aktivsten Kunstzentrum eines dezentralisierten Deutschlands geworden ist, verdankt sie es zu einem gewissen Teil der Aktivität von Jean-Pierre Wilhelm und Manfred de la Motte“.10 Heute wird die Bedeutung Wilhelms als Pionier der Moderne und als Vermittler zwischen deutscher, französischer und amerikanischer Kultur hoch geschätzt. Ähnlich verhält es sich mit Alfred Schmela, dem zweiten großen Avantgarde-Galeristen Düsseldorfs. Vier Wochen nach der Eröffnung der Galerie 22, am 31. Mai 1957, eröffnete auch er seine vergleichsweise winzige Galerie mitten in der Altstadt, Hunsrückenstraße 16 –18. Schmela, der ursprünglich Bauingenieur und später Malerei studiert hatte, holte sich für seine erste Ausstellung Rat bei Norbert Kricke und präsentierte erstmalig in Deutschland Yves Klein und in der Folge auch andere Künstler des Neuen Realismus wie Jean Tinguely und Arman sowie die Künstler der ZERO-Gruppe: Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker. Auch Schmela hatte zu Beginn mit radikaler Ablehnung und Unverständnis der kunstinteressierten Öffentlichkeit zu kämpfen. Und wie die Stünkes in Köln mit Rudolf Zwirner hatte auch er einen ‚Ziehsohn‘, den Galeristen Konrad Fischer, der – nach seinem Studium der Freien Malerei bei Karl Otto Götz an der Düsseldorfer Akademie – in den ersten Jahren als Konrad Lueg zusammen mit Sigmar Polke, Gerhard Richter und K.P. Brehmer die Gruppe Kapitalistischer Realismus gegründet hatte; dann aber die Malerei aufgab und zu Schmela in die ‚Galeristen-Schule‘ ging, um sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre selbst zu einem bedeutenden Avantgarde-Galeristen Deutschlands zu entwickeln.

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Es ist interessant, die Lebenswege der drei Galeristen zu vergleichen; der einstige Nazifunktionär Heinrich Stünke, der Freundschaft zum Emigranten Max Ernst entwickelte; der Literat, Übersetzer und jüdische Emigrant Jean-Pierre Wilhelm, der von der Résistance vor den Nazis versteckt wurde; und der studierte Hochbauingenieur und Künstler Alfred Schmela, den es aus tiefster Provinz nach Berlin zog und der, als Soldat der Wehrmacht verwundet, anschließend bei André Lhote in Paris das Malen lernte. Das sind keine Einzelfälle für ungewöhnliche Lebenswege von Galeristen. So war der Kasseler Galerist Rolf Ricke, den es in den 1960er Jahren, wie viele andere auch, nach Köln zog, zunächst in der zeitgenössischen Musik engagiert. Heiner Friedrich, der seine Münchner Galerie mit fünfundzwanzig Jahren 1963 zusammen mit Franz Dahlem aufgemacht hatte, und der die Düsseldorfer Künstler Sigmar Polke, Gerhard Richter und Blinky Palermo zu Beginn ihrer Karriere mit einer monatlichen festen Summe finanziell unterstützte, war zunächst an Literatur interessiert. So vielfältig wie die Lebensläufe und Einzelschicksale auch waren: Nur wenige besaßen, wie angeblich viele Galeristen und Galeristinnen heute, „eine kleine Fabrik im Hintergrund.“11 Aber dies verband sie wohl alle: Das Engagement für die Kunst der Moderne, die Bereitschaft, sich für deren Durchsetzung in der jungen Bundesrepublik einzusetzen und dabei Risiken zu wagen. Natürlich muss das erste Ziel eines Händlers, auch eines Händlers mit Kunstwerken, der Erlös sein. Denn die Investitionen sind beträchtlich und ohne Verdienst kann keine Galerie überleben. Deshalb wählten auch damals noch immer die meisten Galerien den sicheren Weg: Sie bevorzugten Kunst, die schon anerkannt war. Die oben genannten gingen andere, riskantere Wege. Sie setzten auf junge, nicht etablierte Künstler und Kunstrichtungen, die dem bundesdeutschen Publikum bis dahin nahezu unbekannt oder unverständlich waren. Dies ist nur möglich, wenn der jeweilige Händler von der Qualität der Arbeiten, die er präsentiert, restlos überzeugt und deshalb bereit ist, auch über längere Durststrecken hinweg große finanzielle Risiken zu übernehmen. Und er muss Strategien entwickeln, wie er neue Käuferschichten für die Arbeiten seiner Künstler gewinnen kann. Das sind selbstverständlich auch Marktstrategien und natürlich war Gewinnmaximierung auch ein Ziel.12

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3. D ie R olle der M useen und Kunstvereine für die V ermittlung von zeitgenössischer Kunst von 1950 bis 1960 Die Situation für einen kulturellen Aufbruch war zu Beginn der Jahre zwischen 1957 und 1965 nicht schlecht, gerade weil es vorher einen Entwicklungsstau gegeben hatte. Die Politik Konrad Adenauers war in den ersten zehn Jahren nach Gründung der Bundesrepublik primär darauf ausgerichtet, zunächst die Wirtschaft in Schwung zu bringen, den Wohnungsbau zu fördern, die Kriegsschäden zu beseitigen, die durch die Nazizeit korrumpierte öffentliche Verwaltung zu reorganisieren und für Vollbeschäftigung zu sorgen. Dies gelang auch erstaunlich rasch und in einer Weise, dass man von Wirtschaftswunder sprach. Die notwendigen Forderungen und Reformen im Bereich der Bildung wurden erst einmal zurück gestellt. Mitte der 1960er Jahre spricht Georg Picht von der „Bildungskatastrophe“. Die entsprechenden Forderungen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation an Schulen und Hochschulen mündeten 1966 in die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Neuordnung des Studiums an den wissenschaftlichen Hochschulen an Bundespräsident Heinrich Lübke.13 Es sollte aber noch bis in die siebziger Jahre dauern, bis dem von Seiten der Politik auch Konsequenzen folgten. Bis Ende der fünfziger Jahre spielte die zeitgenössische Kunst in der Bundesrepublik eine untergeordnete Rolle. Die Boulevardpresse interessierte sich eigentlich nur für Skandale, das neue Medium Fernsehen war geprägt von mehr oder minder seichter Unterhaltung, populären Inhalten und – auch wenn man zunächst das amerikanische Vorbild nicht kopieren wollte – zunehmend von Konsumwerbung. Das ‚einfache Volk‘, nicht die Künstler und Intellektuellen waren das Zielpublikum. Ähnliches galt für den Tonfilm: Hier dominierten Heimatfilme, Historien- und Kostümfilme und amerikanische Hollywoodproduktionen. In etwa machte man dort weiter, wo der Unterhaltungsfilm der Ufa der dreißiger Jahre stehen geblieben war. Kurz gesagt, es existierte kein „ästhetisches Erziehungsprogramm für die Bevölkerung der Bundesrepublik“ – und das wäre nach den Umerziehungsprogrammen von Göbbels auch nicht wünschenswert gewesen. Natürlich gab es außer

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der Unterhaltung durchaus auch Anspruchsvolles, doch es prägte nicht die Kultur des Jahrzehnts. Immerhin stiftete 1957 das Land NRW einen Förderpreis für junge Künstler unter 30 Jahren, welche entweder im Land geboren, oder mit ihm künstlerisch verbunden waren.14 Dementsprechend rückwärts gewandt waren auch die großen repräsentativen Kunstausstellungen der rheinischen Städte. Noch waren die im Krieg zerstörten Museumsbauten nicht durch großzügige Neubauten ersetzt worden. Deshalb kamen unzerstörten Bauten wie der Villa Hügel in Essen entsprechende Funktionen zu, nachdem das prunkvolle ehemalige Wohnhaus der Familie Krupp ab 1953 der Öffentlichkeit für Ausstellungszwecke zur Verfügung gestellt worden war. Aber die einzige moderne Ausstellung, die dort in den fünfziger Jahren stattfand, war die große van-Gogh-Ausstellung von 1957. Ich hatte das Glück, sie mit unserem Kunsterzieher zu besuchen und war sehr beeindruckt, denn außer einem kleinen Gemälde im Wallraf-Richartz-Museum (Die Brücke von Arles) hatte ich damals noch kein Gemälde van Goghs im Original gesehen.15 Auch in Düsseldorf und Köln war der Ausstellungsraum knapp. In Köln fanden die drei Großausstellungen zu Pablo Picasso (von Dezember 1955 bis Februar 1956); zu Edvard Munch (von Januar bis Februar 1956) und „Kunst und Leben der Etrusker“ (Ende 1956) auf der Deutzer Seite statt; die Picasso-Ausstellung im damals noch existierenden Rheinischen Museum, die beiden anderen in der Kölner Messe. Natürlich besuchte ich alle drei Expositionen. In der Picasso-Ausstellung konnte ich „Guernica“ (1937) im Original bestaunen, außerdem erinnere ich mich an seinen berühmten Stierschädel von 1942, eine Assemblage aus dem Lenker und Sattel eines Fahrrads. In der Munch-Ausstellung beeindruckte mich das große Selbstportrait mit Zigarette von 1895. Die Etrusker-Ausstellung, die in den lang gestreckten etruskischen Figurinen damals durchaus schon eine Parallelität zu den Skulpturen von Alberto Giacometti gesehen wurde, regte mich an, zusammen mit meinem Vetter Otfried, (sein Vater war der Etruskologe Otto-Wilhelm von Vacano), ein Jahr später in den Sommerferien eine dreiwöchige Fußwanderung durch die Toskana zu unternehmen – auf den Spuren der alten Etrusker.

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Damals gab es an unserem humanistischen Gymnasium in Köln außer mir keinen einzigen Schüler, der sich für moderne Kunst interessierte. Im Bereich der Musik war es ähnlich, obwohl es ein reiches Musikleben gab. Die Geschichte endete bei Bismarck, die Philosophie bei Hegel. In der Literatur wurden wir erst in der Oberstufe mit zeitgenössischer Lyrik, Theater und Prosa konfrontiert. Als unsere Parallelklasse in Eigenregie 1958 Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert aufführte, gab es einen Riesenskandal von Seiten des Direktors. Nicht viel anders verhielt es sich mit den Kunstvereinen. Diese alten, bürgerlichen Gründungen zur Förderung von Kunst und Künstlern hatten es sich in ihren Satzungen zur Aufgabe gemacht, sowohl klassische als auch vor allem zeitgenössische Kunst einem breiten Publikum nahe zu bringen und dabei die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Kunstvereine im Rheinland hatten es nach 1945 schwer, diese Aufgabe zu erfüllen. Das lag nicht allein daran, dass die Gebäude im Krieg zerstört worden waren – in Köln konnten die Ausstellungen deshalb nur in der mittelalterlichen Hahnentorburg stattfinden. Sie war nur bedingt für die Präsentation von Kunstwerken geeignet. Vor allem durch die kulturellen Verwüstungen der Nazizeit hatte man Probleme auf allen Ebenen: Viele bedeutende Künstler waren aus kulturpolitischen, rassistischen und ästhetischen Gründen („entartete Kunst“) verfolgt, vertrieben oder gar ermordet worden. Ähnliches galt für Museumsleute, Kuratoren, Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Auf der anderen Seite stand man einem Publikum gegenüber, dessen Kunstverständnis von Ressentiments geprägt war und das sich für die Moderne nicht interessierte oder sie völlig ablehnte. So tauchen in den Gruppen-Ausstellungen meistens nur regionale, heute mehr oder minder unbekannte Künstler auf, Künstlerinnen nur ausnahmsweise. Es gab zwar keine ‚Sittenpolizei‘ mehr, aber bis in die siebziger Jahre Zensur und Prozesse gegen anstößige oder politisch radikale Kunst. Das galt allerdings nur bedingt für den Kölnischen Kunstverein, auf dessen Ausstellungsprogramm ich ausführlicher eingehen möchte.16 In den Einzelausstellungen dominierten Kölner Künstler: Franz W. Seiwert und Heinrich Hoerle, die führenden Köpfe der Gruppe

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progressiver Künstler (im Jahr 1952); Richard Seewald und Friedrich Ahlers-Hestermann, Professoren vor 1933 an den Kölner Werkstätten (1953, 1954); der Fotograf Chargesheimer (1956), die Kölner Maler Hubert Berke und Hann Trier (1958). Es fällt auf, dass Otto Freundlich und Jankel Adler, beide Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung, in dieser Liste fehlen. Von den wichtigen deutschen Künstlern aus der Zeit vor 1933 sind zu nennen: Xaver Fuhr und Emil Nolde (1950); Paul Klee, Joseph Scharl und Otto Dix (1951); Adolf Hoelzel (1953); Gerhard Marcks, Hans Hartung und Max Beckmann (1957). Es wurden auch einige ausländische Künstler der Moderne ausgestellt: George Braque (1950); Pablo Picasso (dreimal: 1953/1955/1956); André Masson (1954); Joan Miró (1957) und der französische Abstrakte Jean Paul Riopelle (1958). Einen Schwerpunkt in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre bilden Maler des zeitgenössischen Informel: K.O. Götz und K.R.H. Sonderborg (1957) sowie Georges Mathieu (1959), dessen tachistische „Schlachtenbilder“ vor Publikum damals ziemliches Aufsehen erregte. Verantwortlich für diese, im Vergleich zu den Aktivitäten der Museen durchaus vorzeigbare, Künstlerliste zeichneten der künstlerische Leiter Dr. Toni Feldenkirchen (1942–1972) und der Vorsitzende des KKV Josef Haubrich (1946 –1961), der sich durch seine Sammlertätigkeit schon in der Vergangenheit große Verdienste für die Stadt erworben hatte.

4. D ie R olle der Kunsthochschulen und der D üsseldorfer K unstakademie Die bedeutende Rolle der Kunstgewerbeschulen und Werkkunstschulen, die im Rheinland und Ruhrgebiet der zwanziger Jahre die Kultur geprägt hatten, konnte nach 1945 zunächst nicht fortgesetzt werden. Dafür gab es viele Gründe: Der Wiederaufbau der Gebäude brauchte Zeit, es fehlte an Lehrpersonal und vor allem an modernen Curricula. Während das Dessauer Bauhaus schon vor der Zeit des Nationalsozialismus den Weg fort vom Handwerk hin zum Industriedesign gegangen war, war dies zum Beispiel in Köln damals nicht gelungen. Die Natio-

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nalsozialisten hatten die Werkkunstschule sogar in „Handwerkerschule“ umbenannt. Auch nach 1945 kam dem Kunsthandwerk eine zentrale Funktion zu. Da der Kirchenbau in diesen Jahren eine kurze Zeit der Blüte erfuhr, waren die Bereiche Kirchenbau (Dominikus Böhm), Plastik (Ludwig Gies), Metalltreiben (Josef Jaekel), Goldschmiedekunst (Elisabeth Treskow) und Glasmalerei (Wilhelm Teuwen) hervorragend besetzt. Der Versuch von Direktor August Hoff und den folgenden Direktoren, die ehemalige Werkschule zu einer Kölner Kunstakademie umzuformen, konnte keine wirkliche Zukunft haben, denn diese Position war von der Düsseldorfer Akademie optimal besetzt. Die Umwandlung in eine moderne Kunsthochschule für Medien, 1990 von der damaligen Wissenschaftsministerin Anke Brunn gegen starke Widerstände in der Stadt durchgesetzt, war meiner Einschätzung nach folgerichtig. Auch Krefeld, wo in den fünfziger Jahren immerhin der Bauhauskünstler Georg Muche lehrte, hatte auf die Dauer durch den Rückgang der Textilindustrie keine Zukunft. Von den Initiativen des Kunstsammlers und Mäzens Karl Ernst Osthaus (1874–1921) waren nur seine Museumsgründungen in Hagen und Essen und die Folkwangschule in Essen-Werden übrig geblieben. Letztere zeitigte vor allem im Bereich moderner Tanzkunst unter dem Choreografen und Tänzer Kurt Joost und seiner Schülerin Pina Bausch eine Entwicklung von internationaler Bedeutung. Ich werde mich deshalb im Folgenden auf die Düsseldorfer Kunstakademie konzentrieren, die, nach einem durch die Nazizeit unterbrochenen Innovationsschub Ende der 1920er Jahre, nach Gründung der Bundesrepublik eine Entwicklung nahm, welche sie in den Jahren zwischen 1960 und 1980 zur führenden Kunstakademie in Westdeutschland werden ließ, zu der Studenten von Japan und Korea (heute auch China) bis Amerika strömten. Schon in den Jahren 1945 bis 1947 hatte man die von den Nationalsozialisten suspendierten Professoren Heinrich Kamps, Ewald Mataré und Otto Pankok wieder aufgenommen. Außerdem behielten die Künstler, die während der Nazizeit einen Ruf erhalten, sich aber nicht politisch exponiert hatten, ihre Lehrstühle: Der Radierer Otto Coester

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(1936–1967) sowie die Bildhauer Joseph Enseling (1938–1951) und Josef Mages (1938 –1961). Der bedeutendste unter ihnen war sicher Otto Coester, ein sensibler Künstler und großartiger Pädagoge. Ich hatte das Glück, ihn als Lehrer des Vorkurses im ersten Semester zu erleben, den er, im Sinne der Bauhaus-Vorkurse, ergänzt durch experimentelle Verfahren der Surrealisten und Formen des experimentellen Druckens, gestaltete. Im Laufe der fünfziger Jahre kamen dann auch Künstler aus dem Kreis der legendären Mutter Ey dazu, darunter Robert Pudlich (1955–1962), Theo Champion (1947–1951, Gründungsmitglied des Jungen Rheinland) und Bruno Goller (1953–1964).17 Als ich 1960 auf die Akademie kam und ein Studium für Kunsterziehung und freie Kunst begann, hatte sich die Situation grundlegend geändert. Die Professoren der Vorkriegszeit waren inzwischen fast alle emeritiert. Unter dem neuen Direktor, dem Architekten Kurt Schwippert, wurden jüngere Künstler berufen, die nicht unbedingt aus dem Rheinland kamen und sich in der avantgardistischen Kunstszene schon Anerkennung erworben hatten. Die wichtigsten waren: Joseph Faßbender, Georg Meistermann, Karl Otto Götz, Gerhard Hoehme, Rupprecht Geiger und die Bildhauer Joseph Beuys und Norbert Kricke. Auch die wissenschaftliche Lehre wurde erweitert. Nach der Emeritierung von Jakob Heinrich Schmidt im Jahr 1962, welcher vor allem klassische Kunstgeschichte gelehrt hatte, folgten Anna Klapheck und Eduard Trier; in der Philosophie Walther Warnach und (erstmals) in der Soziologie Gustav Stein, später Hans Peter Thurn.18 Schon in den fünfziger Jahren gab es einige Studenten an der Düsseldorfer Akademie, die als Künstler Weltruhm erlangen sollten, so Joseph Beuys, Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker. Letzterer kam aus der DDR und ihm sollten noch weitere folgen, darunter Gotthard Graubner, Sigmar Polke und Gerhard Richter. Als Kunststudenten aus den 1960er Jahren wären hervor zu heben: Konrad Fischer (Conny Lueg), Blinky Palermo, Bernhard Johannes Blume, Rissa, Franz Erhard Walther, Bernd Becher, Walter Dahn, Felix Droese, Katharina Fritsch, Heinz Edelmann (Zeichner des Animationsfilms Yellow Submarine), Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Reiner Ruthenbeck, Ulrike Rosenbach, Imi Knoebel, Jörg Boström, Johannes Geccelli und Konrad Klapheck.

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Angesichts dieser Erfolgsgeschichte stellt sich die Frage nach den Ursachen. Sicher konnte sie nicht erst in den 1960er Jahren entstehen, ihre Wurzeln gehen weit zurück. Eduard Trier spricht von einer „permanenten Reform“, welche diese Akademie durch ihre Geschichte begleitete.19 Von ihrer Gründung um das Jahr 1769 bis ins Jahr 1970 zeigt er auf, wie die Geschichte der Akademie begleitet wurde von Kritik, Forderungen, Reformvorschlägen und deren Umsetzung in neue Formen der praktischen wie theoretischen Kunstlehre; wie sie sich schließlich in den 1960er Jahren zu dem entwickelte, was eine moderne Kunsthochschule ausmacht. Dabei wird klar, dass nicht alle hochfliegenden Träume der Künstler Wirklichkeit wurden, ja, der Weg der Reform eher von vorsichtigen als von schnellen und radikalen Schritten geprägt war. Das Zusammenspiel vieler, sehr unterschiedlicher Kräfte wirkte dabei mit: 1. Die Staatliche Kulturpolitik: Barocke Fürsten, Preußische Verwaltung, Reformen zugeneigten Behörden in den zwanziger Jahren, Säuberung und Stillstand in der Zeit des Nationalsozialismus, Rückgriff auf Bewährtes in der Nachkriegszeit, in den sechziger Jahren dann Reformen der Curricula für Lehramtsstudenten und Qualitätsverbesserung im Lehrangebot für den Bereich Freie Kunst. 2. Direktoren, die nicht nur verwalteten, sondern auch selbst Reformideen entwickelten. So forderte Peter Cornelius (Direktor 1821– 1824): „Akademien sollten keine Anstalten sein, wo mittelmäßige Kräfte angelernt werden, etwas leidlich Fehlerfreies zu Stande zu bringen [...], sondern Orte, wo dem Begabten Gelegenheit gegeben ist, seine Flügel zu erproben.“20 Wilhelm Schadow (Direktor 1826–1859) führte die Meisterklassen ein und eröffnete den Schülern die Eigenwahl der Studienobjekte. Im Vormärz und den folgenden Jahren bis zum ersten Weltkrieg stagnierten die Reformansätze. Vorbereitet schon nach der Jahrhundertwende, folgte in der Weimarer Republik verstärkt der Ruf nach Reformen, von Künstlern, Architekten, Kunstwissenschaftlern und Pädagogen. Trier erläutert in diesem Zusammenhang die Schrift von Wilhelm von Bode (Aufgaben der Kunsterziehung nach dem Kriege, 1916), welcher, wie der Bauhausgründer Walter Gropius, nach den Ideen von William Morris, eine Verbindung von Kunst und Handwerk forderte; des Weiteren das

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Buch von Wilhelm Waetzold (Gedanken zur Kunstschulreform, 1921). Die Düsseldorfer Akademie lehnte unter ihrem Direktor Walter Kaesbach (1924–1933) allerdings allzu experimentelle Lehrkonzepte ab, wie die des Weimarer und vor allem Dessauer Bauhauses, und berief statt dessen hervorragende zeitgenössische Künstler: Paul Klee (1931–33), Heinrich Campendonk (1926 –1932), Jan Thorn-Prikker (1923–1926), Ewald Mataré (1932–33). Sie erweiterte außerdem das Lehrangebot um einige Fächer: Architektur mit Emil Fahrenkamp und Fritz Becker; Bühnenkunst mit der Berufung von Walther von Wecus, dem 1959 Theo Otto folgen sollte. Ein Lehrstuhl für angewandte Grafik wurde mit Ernst Aufseeser (1927–1933) besetzt, auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte wurde Richard Klapheck (1918–33) berufen; außerdem wurde eine Schriftklasse geschaffen (Anna Simons, 1927–33). Wie aus den Jahresdaten ersichtlich, wurden die meisten Künstler und auch Klapheck 1933 Opfer der nationalsozialistischen Säuberungsaktion. 3. Professoren: In den 1960er Jahren meldeten sich dann auch Künstlerprofessoren der Akademie zu Wort. Schon 1959 veröffentlichte Gustav Hassenpflug ein Buch mit dem Titel Abstrakte Maler lehren.21 Er dokumentiert darin die Ergebnisse einer für mehrere Jahre eingerichteten Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, auf die für je ein Semester ein auswärtiger Künstler eingeladen wurde. Das Projekt lief auch über das Erscheinen des Buches viele Jahre weiter.22 Zwei Professoren, die sich darin zu ihrer Lehre äußern, lehrten auch in Düsseldorf, nämlich Joseph Faßbender und Georg Meistermann. Karl Otto Götz war es dann, der sich nicht nur mehrfach zu Kunstlehre und Kunsterziehung schriftlich äußerte, sondern auch eigene Forschungen zur Wahrnehmungspsychologie und Informationstheorie betrieb. Im Rahmen einer Festansprache zur Immatrikulationsfeier, in der Aula der Akademie am 12. November 1963, plädiert er allerdings nicht dafür, dass nun die Künstler sich „in wissenschaftliche Gebiete begeben, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben“, sondern benennt und kritisiert entsprechende Defizite der (zeitgenössischen deutschen) Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie, also Fächer, die auch an der Düsseldorfer Kunstakademie vertreten waren.23 Er verweist auf die

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Entwicklung einer Kunstwissenschaft in den USA, in Frankreich, England, Italien und Japan, wo seit über fünfzehn Jahren entsprechende Modelle auf der Basis von Kommunikationstheorie und Informationstheorie entwickelt wurden. Ansätze, so Götz, die in Deutschland, „nach einem kleinen Menschenalter blühender Ansätze bei uns nahezu verstummten“. Dies war in der Tat richtig und nachdem elf Jahre später, nämlich auf dem denkwürdigen Kunsthistorikertag 1974 in Hamburg, entsprechende Forderungen von einer jungen Generation gestellt worden waren, kann man auch konkreter werden: Grund für dieses Verstummen war die Vertreibung der führenden jüdischen Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler in der Nachfolge von Aby Warburg (1866 –1929): die Wiener Ernst Kris (1900–1957), Otto Kurz (1908–1975) und Ernst Gombrich (1909–2001), die Hamburger Fritz Saxl (1890–1948) und Erwin Panofsky (1892–1968), den Berliner Rudolf Arnheim (1904–2007) und Walter Benjamin (1892–1940), welcher der Frankfurter Schule nahestand und sich nach gescheiterter Flucht in den Pyrenäen das Leben nahm. Sie alle wurden bis in die 1960er Jahre von weiten Kreisen Deutscher Kunsthistoriker totgeschwiegen oder als „soziologistisch“ (und damit unwissenschaftlich) abgelehnt. Ihre Schriften wurden bis auf wenige Ausnahmen erst ab Ende der 1960er Jahre auf Deutsch publiziert. Götz geht im Folgenden auf die Bedeutung der Wahrnehmungstheorie für die Entstehung und Rezeption von Bildwerken ein, er erläutert die Bedeutung der Kommunikationstheorie für das Verhältnis von Produktion, Vermittlung und Rezeption von Kunst und erwähnt den damals viel beachteten Versuch des Mathematikers Max Bense, eine Methode zur Textanalyse auf der Basis der Informationstheorie zu entwickeln. Benses entsprechende Schrift war gerade erst erschienen.24 Seine umfangreichen Publikationen zu einer mathematischen Ästhetik und Semiotik erschienen erst ab Ende des Jahrzehnts. Götz schließt mit einer Frage an die (deutsche) Kunstwissenschaft von heute: „Sind Informations- und Kommunikationstheorie – und in erweiterter Form die Kybernetik – in der Lage, eine wesentliche Vermittlerrolle einzunehmen zwischen Kunst und Wissenschaft?“ Dies, so seine Forderung, könne

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nur „in Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Kybernetikern und Kunstwissenschaftlern geschehen und sie müssten sich, sollten sie sinnvoll sein, davor hüten, Werturteile über Kunstwerke zu fällen“.25 Götz war auch einer der wenigen Künstlerprofessoren, die mit ihren Studenten über Fragen der Ökonomie und des Kunstmarkts diskutierten. Auch das war neu, denn in den Ateliers wurden derartige Probleme kaum angesprochen. Bis auf wenige Ausnahmen wurde über sie geschwiegen. Dass es nach dem Elfenbeinturm der Kunst einen knallharten Markt geben werde, in dem nur die wenigsten reüssieren würden, das war die dunkle, verborgene Seite in diesem Paradies. „Sichern Sie sich rechtzeitig ein Pöstchen bei der Post“, äußerte Köhler-Achenbach einmal im Rahmen seines Schriftkurses. Der Nachfahre einer berühmten Düsseldorfer Malerfamilie hatte dabei wohl nicht daran gedacht, dass er ausschließlich Lehramtsstudenten und -Studentinnen gegenüber saß. Aber die meisten von uns träumten damals wohl im Geheimen, dass sie später einmal ‚freie‘ Künstler werden würden. Über „Freiheit der Kunst“ sprach auch Gustav Stein (1903–1979), der erste Soziologieprofessor der Düsseldorfer Akademie. Er lehrte von 1961 bis 1970. Stein war von Beruf Rechtsanwalt, CDU-Mitglied des Bundestages und ab 1949 stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI); außerdem führendes Mitglied in dessen 1951 in Köln gegründeten Kulturkreis.26 Er war außerdem Kunstsammler und damit als Vermittler zu führenden Mäzenen und Galeristen zeitgenössischer Kunst in den Augen der Akademiemitglieder wohl für eine Soziologie der Kunst bestens ausgewiesen. Denn an entsprechenden wissenschaftlichen Publikationen ist auch heute selbst nach eingehender Recherche nichts zu finden. Stein fiel uns Studenten auch nicht als Theoretiker auf, sondern mehr als unterhaltsamer Erzähler seiner Erfahrungen aus Politik, Wirtschaft und Kunstbetrieb. Interessanter waren für uns seine Exkursionen zu reichen Mäzenen und Kunstsammlern, welche uns von ihren Sammlertätigkeiten und ihren Begegnungen mit Künstlern erzählten, darüber hinaus

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Einblick in ihre Sammlungen erlaubten. In besonderer Erinnerung bleibt mir der Besuch bei der Wuppertaler Industriellenfamilie des Seidenfabrikanten Willy Schniewind (1890 –1978) mit seiner kunstbegeisterten Frau Stephanie. Sie lebten damals in einer freistehenden Villa inmitten eines Parks die, so schien es mir damals, von oben bis unten mit Kunst angefüllt war – von den Expressionisten bis zu zeitgenössischen Künstlern. Zum Schluss saßen wir alle auf einem Knüpfteppich von Joseph Faßbender, meinem damaligen Professor, und diskutierten über Kunst und die Leidenschaft des Sammelns. (Es existiert übrigens ein Portrait Willy Schniewinds von Gerhard Richter, das er kurze Zeit später in seiner damaligen Verwischungstechnik malte und das sich heute in den USA befindet.)27 Später erfuhr ich von dem Künstlerehepaar Gyorgy und Thea Stefula, dass sie als ‚artists in residence‘ für einige Wochen in die Villa Schniewind eingeladen worden waren, um Portraits der Kinder zu malen. Die Familie hielt offensichtlich auch Kontakt zu ihren Künstlern und in der Auswahl von Kunstwerken war Stephanie Schniewind nicht auf bestimmte Stilrichtungen oder Epochen beschränkt. So wirkte die Villa damals auf mich wie eine Wunderkammer, denn die Hängung war kunterbunt und die Bilder und Grafiken füllten die Wände ohne ersichtliche Systematik über- und nebeneinander. Im Rahmen seiner Vorlesung stellte Gustav Stein ein eigenes Gesellschaftsmodell vor, an welchem er das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft verdeutlichte. Es versteht sich aus dem damalig herrschenden geistigen Klima, dass dies kein Klassenstaat im marxistischen Geiste sein konnte, geschweige denn eine klassenlose Gesellschaft. Die Diskussion zwischen den Politikwissenschaftlern Robert Alan Dahl und Charles Wright Mills in den fünfziger Jahren über Pluralismus und Machteliten in der US-amerikanischen Gesellschaft war wohl zu neu. Sie fand erst einige Jahre später in der Bundesrepublik Beachtung, als auch dort sich eine neue Linke zu bilden begann. Zu weit entrückt war die Staatsphilosophie Hegels mit ihrer Idee eines zwar hierarchisch aufgebauten, aber durch die tätige Arbeit (in der Dialektik von Reflexion und Handeln) geprägten Staates, welcher fähig sei, ein Bewusstsein zu erlangen, in dem sich Individualität und Gemeinsinn, Freiheit des

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Einzelnen und Ordnung des Staates in einer Synthese aufheben. Hegel spricht vom Staat als geistiges Kunstwerk und entwickelte dessen Aufbau im Vergleich zur griechischen Götterwelt und Literatur. Ein Gedankenflug ins Reich der Utopie, dem Elfenbeinturm der Akademie durchaus angemessen, doch Utopien waren vielleicht den jungen Künstlern nahe, nicht aber einem Pragmatiker der Ökonomie.28 Gustav Steins Staatsmodell war zwar wie eine Pyramide aufgebaut, aber Hegels „Absoluter Geist“ war schlicht durch das Kapital ersetzt worden. Das heißt, an der Spitze stand nicht der Bundespräsident oder der Bundeskanzler, sondern die Gruppe der Superreichen, nach der Höhe ihres Besitzes geordnet. Unter ihnen standen die Reichen und Einflussreichen, darunter die Menschen mit mittlerem und ganz unten die mit geringem oder gar keinem Einkommen. Leider habe ich keine Mitschrift angefertigt, so dass ich mich heute nur an die wesentlichen Kernaussagen erinnere. Zum Beispiel wunderte es mich, dass unsere Professoren in diesem Gebilde nur irgendwo in der Mitte auftauchten, wo sie sich selbst sicher nicht verortet hätten. Die Künstler, so Stein, seien als einzig freie Individuen nirgends fest eingebunden, sondern sie sollten wie die Bienen auf der Suche nach Honig – er benutzte ausgerechnet die Insekten eines Staatsvolks – im Laufe ihrer Karriere irgendwo ihren Platz finden: einige wenige Kunstfürsten ziemlich weit oben, die meisten von uns allerdings im unteren Bereich der armen Schlucker. Das klang, zumindest für mich, ziemlich zynisch, entsprach aber wohl damals wie heute der Situation der meisten Künstler. Als wenig später Professor Stein im Rahmen einer Exkursion zu Alfried Krupp von Bohlen und Halbach ausführte, wie wichtig Kunst sei und vor allem, wie sehr gerade junge Künstler gebraucht würden, protestierte ich dagegen: „Nein, wir werden nicht gebraucht, nicht von dieser Gesellschaft und vor allem, nicht alle Künstler, sondern nur einige Stars!“ Ich sollte dann darüber ein Referat halten, das ich mehr als Manifest auffasste und dessen Abschrift ich heute noch besitze. Es zeigt, dass wir jungen Kunststudenten (ich war damals 23 Jahre alt) uns sehr wohl Gedanken über das Verhältnis von Kunst, Kapital und Gesellschaft machten.

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Es zeigt auch, dass ich den desolaten Zustand unserer Zivilisation und Kultur illusionslos sah und aus dieser Sicht energisch Forderungen stellte. Das war ziemlich romantisch, vielleicht auch naiv. Es spiegelte das Bild vom Künstler als einsamem Kämpfer, der sich in einer ihm feindlichen Welt kraft seiner Werke durchsetzen muss. Doch die Beobachtungen und meine ungeduldige Empörung waren echt, ich teilte sie mit vielen meiner Generation. Und ein paar Jahre später sollten dem auch gemeinsame Aktionen folgen, an denen nicht nur Universitätsstudenten, sondern auch Kunststudenten und Künstler beteiligt waren. Man kann ein festes Datum nennen, an dem in vorher nie erlebter Radikalität mit Fluxus eine Kunstrichtung in die Akademie einbrach, die nicht mehr rein ästhetisch, sondern auch gesellschaftspolitisch orientiert war. Die Veranstaltung fand am 28. Juli 1966 in der Aula der Akademie statt. Sie begann zunächst als Konzert von zwei Fluxus-Kollegen – Charlotte Mooreman und Nam June Paik – in dessen Verlauf Joseph Beuys eingriff, indem er einen mit grauen Filz überzogenen Flügel mit aufgenähtem roten Kreuz in die Aula schob. Im Verlauf der folgende Aktion ließ er zwei Kinderspielzeuge – einen Krankenwagen und eine quakende Ente mit schlagenden Stummelflügeln – auf dem Boden fahren, beschrieb eine zweiteilige Schultafel mit dem rätselhaften Satz „In das Zimmer des Contergankindes eingedrungen hilft ihm die Musik der Vergangenheit??“, darunter noch einmal fünf Fragezeichen. Anschließend schrieb er auf den zweiten Teil der Tafel untereinander die Worte „DAS LEIDEN / DIE WÄRME / DER KLANG / DIE PLASTIZITÄT“ und zeichnete darüber ein halbiertes Kreuz mit der Zahl 508. Später erhielt die Performance dann den Titel Infiltration Homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind. Die Bezüge dieser Aktion gingen in eine doppelte Richtung: Einerseits in die Richtung der reinen Kunst und Ästhetik;29 andererseits in Richtung Pharmaindustrie, die im 1961 aufgedeckten Contergan-Skandal das Leiden der Kinder als „Kollateralschaden“ zwar mit Bedauern, doch im Sinne des Gewinns billigend in Kauf genommen hatte.30

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5. D er Kölner Kunstmarkt 1967 Mitte September 1967 wurde der erste Kölner Kunstmarkt vom 1966 gegründeten Verein progressiver deutscher Kunsthändler veranstaltet. Er fand an zwei Orten statt: 18 Galerien zeigten eine Auswahl ihres Programms im Großen Saal des Gürzenich. Jede Galerie stellte außerdem ein bis drei ihrer Künstler im Kölnischen Kunstverein umfangreicher aus. An den Kunstmarkt im Gürzenich habe ich nur noch eine vage Erinnerung. Im ausgeräumten großen Saal hatte man provisorisch mit Stellwänden und Tischen für jede Galerie einen Stand aufgebaut. Das ganze war eng und verschachtelt und glich mehr einem Bazar. Mit den großzügig geplanten und in Messehallen präsentierten späteren Kunstmärkten hatte das wenig gemeinsam. Im Treppenhaus gab es noch einen Bücherstand, mehrere Grafikstände und einen Imbissstand, um den leiblichen Bedürfnissen gerecht zu werden oder sich nach einem gelungenen Verkauf ein Gläschen Sekt zu genehmigen. Der Initiator, Galerist Hein Stünke, schrieb für den Katalog ein kurzes Vorwort, in dem er zusammenfasste, was der Verein beschlossen hatte und welche Regeln für die Präsentation vorgesehen waren. Auch ein kurzer organisatorischer Ausblick wurde gegeben. Die wichtigsten Passagen seien zitiert: Die im Verein progressiver deutscher Kunsthändler e. V. zusammengeschlossenen 18 Galerien veranstalten in diesem Jahr zum ersten Mal einen Kunstmarkt moderner Kunst. [...] Was dem interessierten Publikum dabei gezeigt und angeboten wird, ist [...] nicht von einer Jury, sondern einzig und allein von der jeweils verantwortlichen Galerie ausgewählt. Es ging den Galerien dabei weder darum, einen lückenlosen Überblick über alle, in der heutigen Malerei, Plastik und Graphik sich abzeichnenden Tendenzen zu geben, noch auch die eigene Galeriearbeit erschöpfend dar- und vorzustellen. Der Verein hofft trotzdem, den Besuchern von Kunstmarkt und Ausstellung einen gewissen Eindruck zu vermitteln davon, wie Malerei, Plastik, Graphik und Objekte der letzten Jahre sich in

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Deutschland und im Ausland entwickelt haben. Der Kunstmarkt soll auch weiterhin jedes Jahr in Köln stattfinden und der Verein wird, wenn ihm eines Tages mehr Raum zu Verfügung steht, den Kreis der bisherigen Aussteller erweitern. 31

Es folgt der Dank an die Stadt Köln, den Oberbürgermeister Burauen, den Kulturdezernenten Dr. Hackenberg, die Vorsitzenden des Kunstvereins Dr. Andreas Becker und Dr. Toni Feldenkirchen, sowie an die Künstler, die eine Druckgrafik für die Luxusausgabe des Katalogs gestiftet hatten. Das Konzept des Vereins litt von vornherein an einem inneren Widerspruch: Auf der einen Seite übte er sich in strenger Ausgrenzung, d.h. er nahm für sich in Anspruch, nur progressive Galerien zuzulassen und den Kreis der Galerien möglichst klein und exklusiv zu halten. Was den Anspruch des Progressiven angeht, so wurde das Angebot der Galerien ihm nur in beschränktem Umfang gerecht. Die meisten Teilnehmer versuchten, ein möglichst vielfältiges Angebot zu machen, wohl in der Hoffnung, damit größere Käuferschichten anzusprechen. So zeigte man nicht nur zeitgenössische Kunst, sondern präsentierte auch Künstler, die sich schon in den 1920er Jahren, manche sogar schon vor dem Ersten Weltkrieg einen Namen gemacht hatten, wie zum Beispiel Pablo Picasso und Max Ernst, die beide damals noch lebten, aber auch Kurt Schwitters, Wols und George Grosz. Hier muss berücksichtigt werden, dass die Kräfte des Marktes – welche sich nach Angebot und Nachfrage richten – auch im Bereich der Kunstvermarktung eine entscheidende Rolle spielen. Das Angebot richtet sich unter anderem danach, ob man einen Künstler unter Vertrag hat oder er bei einer anderen Galerie unter Vertrag ist, ob man Zugriff auf bestimmte Sammlungen oder Erbschaften hat, vielleicht selbst über früher erworbene Arbeiten verfügt.32 Es kann natürlich auch daran liegen, wie langsam ein Künstler arbeitet, ob also die Nachfrage größer ist als das Angebot. Es gibt auch den umgekehrten Fall: So erschien der 1968 verstorbene Lucio Fontana, der mit seinen „concetti spaziali“ und besonders mit seinen Schnittbildern („tagli“) zu den einflussreichsten Künstlern der Nachkriegszeit gehörte, auf dem Kölner Kunstmarkt überhaupt erst 1970, dann aber

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gleich bei sechs Galerien: Ursula Lichter, Frankfurt; Müller, Reckermann und Werner, Köln; Thelen, Essen; Thomas, München angeboten wurde – angeblich deshalb, weil sein Galerist die Arbeiten aus marktstrategischen Gründen zurückgehalten hatte. Auf der anderen Seite war die Einschränkung auf 18 Galerien, nach Hein Stünke bedingt durch Platzmangel, selbstverständlich nicht zu halten, denn es gab Mitte der sechziger Jahre schon mehr Galerien, die zeitgenössische Kunst vertraten. Auch gab es Kritik, weil man sich auf deutsche Galerien beschränkt hatte, obwohl die Beziehungen zu progressiven Galerien in Europa und den USA in den Jahren seit 1945 immer enger geworden waren.33 Abbildung 2: „Antes“. Kunstmark Köln 1970.

Fotografie © Michael Cornelius Zepter.

Dies änderte sich dann schon ein Jahr später, als in Köln einige ausländische Galerien zusätzlich eingeladen wurden. Düsseldorf ging selbstbewusst noch einen Schritt weiter. In der von Konrad Fischer und Hans Strelow organisierten Parallelausstellung Prospect 68 in der

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Kunsthalle wurden außer der Galerie Thelen (Essen) nur führende ausländische Galerien vorgestellt.34 In der Katalog-Zeitung, die auch als Eintrittskarte galt, inserierte dann auch demonstrativ Konrad Fischer die ersten zehn Ausstellungen seiner Ende 1967 gegründeten Galerie: Einzelausstellungen von internationalen Spitzenkünstlern aus den Bereichen Minimal Art, Land Art, Concept Art und Arte Povera, davon allein sieben europäische Erstausstellungen (Hanne Darboven, BRD; Carl Andre, Sol LeWitt, Fred Sandback, Richard Artschwager, Bruce Nauman, alle USA; Richard Long, GBR). Trotz aller Auseinandersetzungen, trotz Kritik und Protesten entwickelte sich der Kölner Kunstmarkt in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter. Die Zahl der Galerien hatte sich 1970 zwar auf 17 reduziert, dafür wurden jedoch acht weitere deutsche Galerien eingeladen, allerdings auf Kosten der Sonderausstellung im Kunstverein. Das Angebot war international und strikt auf wichtige zeitgenössische Künstler ausgerichtet, getreu der Devise von Rudolf Springer (Berlin): „Avantgarde ist nicht immer, was als letztes vom Künstler auf den Markt kommt. Das, was sich vom Neuen hält, ist wirklich Avantgarde“.35 Was die Nachfrage anging, so war der Kölner Kunstmarkt von Anfang an finanziell gesehen ein Erfolgsmodell und auch die Zahl der Besucher war enorm. Offensichtlich hatte die Arbeit der Galerien, unterstützt von kulturellen Entwicklungen nicht nur in der Bundesrepublik, den Boden für die Kunst der Gegenwart bereitet. Deshalb war es auch nur folgerichtig, dass sich weitere Kunstmessen bildeten, von denen die Art Basel die bedeutendste wurde und zeitweise der Kölner Messe den Rang der wichtigsten Messe streitig machte. Doch in der zweiten Hälfte der 1960er und bis in die 1970er Jahre hinein galten Köln und Düsseldorf als Zentrum der internationalen Moderne. Das lag allerdings nicht an der Kunstmesse allein, sondern daran, dass sich die beiden rheinischen Großstädte auch auf anderen Gebieten der Kunst profilierten. So gründeten Wilhelm und Birgit Hein 1968 in Köln das Untergrund-Filmprojekt XSREEN, welches in verschiedenen Kölner Kinos nach Mitternacht internationale Experimentalfilme meist zum ersten Mal zeigte, darunter The Chelsea Girls 1966 und Blue Movie 1967, (Re-

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gie Paul Morrissey und Andy Warhol), Filme von Land-Art Künstlern, filmische Experimentalfilme und politische Dokumentarfilme.36 Schon in den 1950er Jahren hatte der WDR in Köln ein Studio für elektronische Musik eingerichtet, das Köln zu einem der führenden Zentren der experimentelle Avantgardemusik werden ließ. In ihm arbeiteten unter anderem Herbert Eimert, Karlheinz Stockhausen, Gottfried Michael Koenig, Henri Pousseur und Nam June Paik. In den 1960er Jahren veranstaltete die Künstlerin Mary Bauermeister in ihrer Kölner Wohnung (Lintgasse 28) eine Reihe von Ausstellungen, Performances und Konzerten mit Künstlern der Avantgarde, darunter George Maciunas, Joseph Beuys, Wolf Vostell, Hans G. Helms, David Tudor, John Cage, Christo, George Brecht und Nam June Paik. Ihr Engagement brachte neue, aufregende Impulse für die Kölner Kunstszene. Es war dies eine Zeit, in der sich auch andernorts zeitgenössische Musiker politisch engagierten. Dazu schreibt mir Wolf Loeckle aus München: politisch waren sie alle in den achtundsechzigern und gelebt haben sie von antimilitarismus und antiamerikanismus, manche sympathisierten mit den sowjets..... wichtige überregional wirksame namen sind: +die donaueschinger musiktage +stockhausen und die elektronische musik (die fast von siemens studio für elektronische musik münchen aus gesiegt hätte...) +die musique concrète in paris (pierre schaeffer und consorten) +karl amadeus hartmann und die musica viva in münchen +isang yun, der koreanisch-deutsche komponist aus berlin +die darmstädter ferienkurse für neue musik, wo sie sich alle militant anfeuerten und auch bekriegten, die ideologen. und das wirkte weltweit: maurizio pollini (pianist) luigi nono (komponist) hans werner henze..... und ab hier würde die liste meilenlang... 37

Wie fremd einem Kölner Opernpublikum auch nach zehn Jahren diese Welt war, konnte ich selbst in einer denkwürdigen Aufführung im Rahmenprogramm des 6. Kölner Kunstmarkts 1972 erleben. Die berühmte New Yorker Tanzgruppe von Merce Cunningham war eingeladen worden, zusammen mit John Cage (elektronische Musik) in der Kölner Riphahn-Oper aufzutreten. Die Kostüme der Tänzer waren vom ame-

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rikanischen Pop-Künstler Jasper Johns entworfen, das Bühnenbild von Richard Serra. Das Kölner Publikum pfiff und johlte, bis Cage mit seinen Assistenten diese Geräusche aufnahm und verfremdet zurückspielte. Anders die Reaktion in Düsseldorf, wo ein Kunstpublikum nach Auskunft der Wochenzeitschrift DIE ZEIT andächtig gelauscht haben soll.38 Die sechziger Jahre waren weiterhin geprägt von einem lebendigen Theaterleben, vor allem in Düsseldorf unter Regisseur Karl Heinz Stroux: Ich erinnere mich noch lebhaft an seine Inszenierungen von Eugène Ionescos „Die Nashörner“ und „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Auch spektakuläre Jazzkonzerte konnte ich erleben, darunter das berühmte John Coltrane Quartet im Robert-Schumann-Saal (1960) und das Thelonious Monk Quartet mit dem Tenorsaxophonisten Charlie Rouse in der Tonhalle. 1966 inszenierte ich zusammen mit einem jungen, an der Musik Coltranes inspirierten Jazztrio im Studio DuMont in Köln „Improvisationen für Jazzcombo und Malerei“. Das Projekt entstand aus meinem Interesse an der Improvisation, am spontanen Entwickeln musikalischer wie bildnerischer Ideen aus dem Augenblick heraus. Es waren Dialoge für großflächiges Zeichnen mit den Stimmen von Altsaxophon/Flöte, Piano und Schlagzeug, wobei der Rhythmus das verbindende Element bildete. Die Pressekritik im Stadtanzeiger, ein „feature“, wie mir der junge Kunstkritiker hinterher erklärte, war geprägt von völligem Unverständnis. Ich war da wohl ein paar Jahre zu früh dran. Groß war auch mein Interesse am modernen Autorenfilm. Es gab in beiden Städten spezielle Filmtheater, die sich auf ausländische Filmkunst spezialisiert hatten. Wichtige Filmländer in diesem Sinn waren für mich Frankreich mit seinen Nouvelle Vague-Regisseuren Alain Resnais, François Truffaut, Louis Malle und Jean Luc Godard. Dann die großen italienischen Regisseure, allen voran Michelangelo Antonioni (von dem ich alle Filme aus den Jahren 1960–1970, von „L‘avventura“ bis „Zabriskie Point“, gesehen habe); des weiteren Frederico Fellini und Pier Paolo Pasolini. Ein Film, der mich besonders beeindruckte, weil er drei meiner Hauptinteressen miteinander verknüpfte, nämlich Film, moderne Kunst und Free Jazz, war „Shadows“ von John Cassavetes aus dem Jahr 1959.

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Charles Mingus, der legendäre Bassist, der schon mit Charlie Parker gespielt hatte, schrieb die Filmmusik. Eine wichtige Szene spielt im Modern Art Museum. In hartem Schwarz-Weiß erzählt der Film die Geschichte von drei Geschwistern aus einer Mischehe, mit unterschiedlicher Hautfarbe und entsprechend unterschiedlichen Träumen und Schicksalen. 1962 hatte sich eine Gruppe deutscher Jungfilmer zu Wort gemeldet mit dem Schlagwort: „Opas Kino ist tot!“ Anlässlich der 8. Westdeutsche Kurzfilmtage in Oberhausen unterschrieben 26 Regisseure, Schauspieler, Kameraleute am 28.2.1962 ein Manifest, in dem sie sich gegen die Filmindustrie der 1950er mit ihren sentimentalen, kitschigen und auf ein Massenpublikum hin orientierten reinen Unterhaltungsfilmen positionierten. In diesem Manifest heißt es unter anderem: „Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen.“ Und weiter: „Dieser neue Film braucht neue Freiheit. Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen“.39 Unterschrieben hatten neben 22 anderen Filmleuten: Alexander Kluge, Hans-Jürgen Pohland, Edgar Reitz und Peter Schamoni. Andere Autorenfilmer schlossen sich später an, unter ihnen Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Hans-Jürgen Syberberg, Werner Schroeter und Rainer Werner Fassbinder. Ihnen sollte es – mit Unterstützung staatlicher und kommunaler Förderungsprogramme und -Stiftungen im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre gelingen Anschluss an internationale Standards und Anerkennung auch außerhalb Deutschlands zu finden. Mit ihren Forderungen nach freier, nicht von rein kommerziellen Interessen gesteuerter Kunst standen die Filmer nicht allein. Auch andere Kunst- und Kulturschaffende artikulierten ihre Forderungen nach Förderung einer freien, kritischen und nicht kommerziell gegängelten Kunst und schlossen sich zu neuen Verbänden zusammen. So gründete sich zum Beispiel im Jahr 1969 der Verband deutscher Schriftsteller und auf der Gründungsversammlung im Kölner Gürzenich forderte Heinrich Böll in einer viel beachteten Rede „das Ende der Bescheidenheit“.

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Der ehemalige Wirtschaftsverband Bildender Künstler löste sich auf und gründete sich als BBK e.V. (Bundesverband Bildender Künstler) auf dem Frankfurter Künstlerkongress im Jahr 1971 mit gesellschaftpolitischen Zielen neu. An diesem Prozess war ich selbst intensiv beteiligt – als Vorstandsmitglied, Vorsitzender und Deligierter. So wie es mir als junger Kunsterzieher um die Erneuerung meines Faches ging, so engagierte ich mich einige Jahre in der Gründungsphase des BBK vor allem, um die soziale Lage der Künstler zu verbessern (Alterssicherung, Bildkunst), neue Möglichkeiten für Ausstellungen (thematische und juryfreie Gruppenausstellungen, Künstlermärkte) zu entwickeln und die Solidarität unter Künstlern zu steigern. Abbildung 3: Vostell, Rywelski, Beuys, Staeck fordern die Öffnung. 1970.

Fotografie © eiskellerberg.tv.

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Der Ulmer Verein, in dem sich gesellschaftspolitisch und kultursoziologisch orientierte junge Kunsthistoriker zusammen gefunden hatten, wurde 1968 auf dem Kunsthistorikertag in Ulm gegründet. Auf seiner Internet-Seite formuliert er die Ziele des Vereins: Der Verein verfolgt das Ziel, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Theorie und Praxis auch jenseits dessen, was als das Gegebene angenommen wird, nachhaltig zu fördern. Der Ulmer Verein ist ein überregionaler und gemeinnütziger Berufs- und Interessenverbund von Kunst- und KulturwissenschaftlerInnen. Er vertritt die Interessen der fachspezifischen Berufsgruppen in Universität und Forschung, in Museen, der Denkmalpflege und Kulturarbeit, im Journalismus und in der Bildungspolitik.40

6. D ie Ö ffnung

des

Kunstmarkts (1970/71)

„Wir betreten den Kunstmarkt“ lautete der Titel einer Aufsehen erregenden Aktion, die am 12. Oktober 1970 von Joseph Beuys, Wolf Vostell, Klaus Staeck und dem Galeristen Helmut Rywelski angeführt wurde. Am Eröffnungsabend des Kunstmarkts Köln – zu dem nur von den Galerien eingeladene Gäste Zutritt hatten – klopften sie lautstark gegen die Glastüren der Josef-Haubrich Kunsthalle, die Rudolf Zwirner kurz zuvor mit einem Balken verschlossen hatte, und begehrten Einlass. Die Aktion richtete sich gegen die Exklusivität der Kunstmesse und konnte diese am Ende auch brechen. Der Kölner Kulturdezernent Kurt Hackenberg öffnete selbst die Tür, und Joseph Beuys sagte: „Ein neues Zeitalter hat begonnen“.41 Betrachten wir das Foto noch etwas genauer: Wir sehen eine Gruppe von Männern, die vor einer Glastür stehen und gestikulieren; das heißt, nicht alle gestikulieren, nur die drei in der ersten Reihe. Links, mit Vollbart und runder Brille: Wolf Vostell, der in den Jahren zuvor durch allerlei spektakuläre Aktionen und Happenings aufgefallen war. Nach Decollagen im Kontext des Neuen Realismus hatte er sich, wie schon erwähnt, im Rahmen der Fluxus-Bewegung engagiert. In der zweiten Hälfte der 1960er griff er dann vermehrt soziale und politische Themen auf.

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Neben ihm, nach vorne gebeugt, sein Galerist Helmut Rywelski, vor dessen Galerie art intermedia zwei Jahre zuvor Vostells Skulptur Ruhender Verkehr ausgestellt worden war. art intermedia gehörte zu den kleinen, engagierten Galerien in Köln und obwohl Rywelski ausgesprochen progressiv und sein Ausstellungsprogramm künstlerisch anspruchsvoll war, hatte man ihn bisher von der Teilnahme am Kölner Kunstmarkt ausgeschlossen. Ein Jahr später wird er frustriert seine Galerie schließen – so wie es schon vor und auch nach ihm vielen kleinen Galerien ging, die mit einem interessanten Angebot den Weg für Neues bereiteten und aus dem sich dann größere, potentere Galerien das Beste aussuchten.42 Im Zentrum unübersehbar Joseph Beuys. Seit zehn Jahren Professor für Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, zählte er 1970 zu den bekanntesten, wenn auch umstrittensten Künstlern der Bundesrepublik. Wie Vostell hatte er sich an Fluxus beteiligt, dieser Bewegung sehr schnell durch spektakuläre Aktionen auch in der BRD zum Durchbruch geholfen und sie entscheidend geprägt. Im Rahmen der 68er-Bewegung und später in den Anfängen der Partei der Grünen hatte er sich auch politisch engagiert. Im folgenden Jahr wird er wegen Verstoßes gegen die Akademieordnung von Kultusminister Johannes Rau entlassen werden. Neben ihm Klaus Staeck. Rechtsanwalt, Künstler und Gründer einer Edition. Im Sommer hatte er mit einer Plakataktion zum Dürerfest für Aufsehen gesorgt („Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“). Sein künstlerischer Weg wird begleitet von zahlreichen Verboten, Zensurversuchen und Prozessen, die er aber alle gewinnt. Von April 2006 bis Mai 2015 wird er als Präsident der Akademie der Künste in Berlin auch über den Bereich der Kunst hinaus Bekanntheit und Ansehen gewinnen. Die vier klopfen, begleitet von einer größeren Menschenmenge, mit 5-Mark-Münzen an die Eingangstür der Kölner Kunsthalle. Sie fordern die „Öffnung des Kunstmarkts“. Die Aktion richtete sich gegen die Organisationsform des Kölner Kunstmarkts als Verein, der in erster Linie seinen damals zwei Dutzend Mitgliedern die Messeteilnahme ermöglichte. [...] Bemerkenswert an diesem Szenario war nicht nur das symbolische Geschehen in der ersten Reihe, sondern auch die dahinter protestierende Menschenmenge, die den gesamten Platz vor der Kunsthalle füllte.

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Beuys nutzte seine Prominenz – denn seinen Zugang zum Kunstmarkt hatte er schon erlangt – zugunsten einer größeren Gruppe von Interessenten, so wie er buchstäblich aus der hinter ihm stehenden Masse Legitimität als engagierter, marktkritischer Künstler bezog.43

Ein Künstler, der mehrfach die Ausgrenzungsstrategien der etablierten Galerien in Installationen und Aktionen thematisiert hat, war Dieter Reick. So zeigte er 1972 auf dem Göttinger Kunstmarkt das Objekt Kunstfalle: eine überdimensionale Mausefalle, in der er den Speck durch das Wort ‚Kunst‘ ersetzte und den gespannten Bügel mit dem Wort ‚Kunstmarkt‘ kennzeichnete. Im selben Jahr entstand die Installation Kunstmarktsperre; hier versah Reick eine Zugangstreppe der Kunstmesse Duisburg dicht mit Fußangeln, die es zu passieren galt, um zur Kunst zu gelangen. Ein Bild der ‚existenziellen Situation der meisten Künstler in Deutschland‘ lieferte Reick mit der Aktion Zur Situation der Künstler in der Gesellschaft (1976), in der er sich als Seiltänzer zeigte.44

Abbildung 4: Dieter Reick: o.T. („Kunstmarktfalle“) 1970.

Fotografie © Dieter Reick 1973.

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Abbildung 5: NDK 1970: Jürgen Klauke und Eusebius Wirdeier.

Fotografie © Michael Cornelius Zepter.

Die tatsächliche Öffnung sollte erst ein Jahr später Wirklichkeit werden. Doch gab es in Köln im Jahr 1970 schon eine Keimzelle, sozusagen ein Kuckucksei, das dem Kunstmarkt ins Nest gelegt worden war. Das war der Neumarkt der Künste, eine Initiative des Kölner Galeristen Ingo Kümmel und des Buchhändlers Michael Siebrasse parallel zum Kunstmarkt der ‚Progressiven‘. In ein großes Zelt auf diesem Platz, ganz in der Nähe der Kunsthalle, hatten sie Kojen für Kölner und auswärtige Künstler und 27 kleinere Galerien und Verlage eingerichtet, die zwar zeitgenössische Kunst vertraten, aber keine Chance hatten, zu den Progressiven eingeladen zu werden.45 Die Initiative sollte in der Folge Vorbild für ähnliche Unternehmungen in anderen Städten werden. Im gleichen Jahr war in Göttingen ebenfalls ein Kunstmarkt von dem Politiker Konrad Schilling und dem späteren Verleger Gerhard Steidl gegründet worden.46

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7. H öhepunkt

und

N iedergang

Werfen wir zum Schluss einen Blick auf die Ereignisse des Jahres 1971 um den 5. Kölner Kunstmarkt. Der war inzwischen auf 34 Spitzen-Galerien aus dem In- und Ausland angewachsen. Und er stand nicht alleine da, sondern es gab in diesem Jahr zum ersten Mal drei Kunstmärkte: Den Kunstmarkt der Progressiven für die internationalen Stars der Avantgarde (bzw. für die, die damals dafür gehalten wurden), die von Kümmel und Siebrasse gegründete Kunst und Informationsmesse (IKI), die sich im Gebäude der Volkshochschule eingenistet hatte und den Neumarkt der Künstler.47 „Vier Jahre lang war der Kölner Kunstmarkt ein fast idyllisches Handels-Ereignis. Jetzt ist er zu einem Supermarkt geworden“, schrieb die Wochenzeitschrift Der Spiegel in seinem Artikel vom 11. Oktober 1971.48 Die überbordende Fülle an zeitgenössischer Kunst, angefangen bei erlesenen Spitzenwerken aus Westeuropa und Amerika, vor allem auch aus den USA, über ein breites Angebot professioneller, aber noch nicht arrivierter Kunst bis hin zu den „Lurchen der Kunst“, wie sie der Kritiker Georg Jappe bezeichnet hatte49 und die er vor allem auf dem Neumarkt angesiedelt sah. Ich war an diesen drei Kunstmärkten in mehrfacher Weise beteiligt: Als Organisator, Besucher, Käufer und Künstler. Ich besuchte alle drei Märkte mehrfach, auch das Rahmenprogramm. Bei Klaus Staeck, der in diesem Jahr zum ersten Mal mit seiner Edition auf der IKI mit dabei war, erstand ich die Doppelgrafik von Joseph Beuys („Der Eurasier lässt schön grüßen“,einmal in Offset, einmal als Siebdruck mit Schwefelpulver bestäubt). Außerdem plante, organisierte und arbeitete ich im Team des Neumarkts der Künstler, der in diesem Jahr erstmals vom Kölner Wirtschaftsverband Bildender Künstler organisiert wurde. Es nahmen 15 Künstlergruppen teil, über zweihundert Einzelkünstler, außerdem der WDR und die Musikhochschule Köln mit einem Gemeinschaftstand, und die Filmmacher Cooperative Hamburg. Letztere zeigte Filme ihrer Mitglieder, unter anderem von Hellmuth Costard, Lutz Mommartz,

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Werner Schroeter, Werner Nekes, Klaus Wyborny und Rosa von Praunheim. Täglich gab es auf der Bühne vor dem Zelt vom Nachmittag bis in den Abend ein reichhaltiges Musik-, Theater- und Aktionsprogramm, darunter Pantomime mit Milan Sladek, Jazz mit Manfred Schoof und Ingfried Hoffmann, Popmusik, Theater der „Al-Jad“ Theatergruppe aus München, Jazz-Rock und Songs von Liedermachern. Da der Platz im Zelt nicht ausreichte, wurden auch Stellplätze außerhalb des Zeltes reserviert, um keine Gruppe abzuweisen und eine Jury zu vermeiden – damals eine nicht zur Disposition stehende Forderung der Künstlerschaft. Entsprechend bunt war das Bild auf diesem Markt, und von naiver Kunst, Autodidakten, bis hin Absolventen der Kunstakademien war fast alles vertreten. Die Zahl derer, die entweder damals schon oder später auch von Galerien oder in zukünftigen professionellen Kunstmärkten vertreten wurden, war entsprechend gering, aber es gab sie; so zum Beispiel der spätere Video-Künstler Klaus vom Bruch, Carlo Schellemann und Jörg Scherkamp von der linken Kunstzeitschrift „Tendenzen“; die Kölner Glasmaler Fritz Lauten und Will Thonett, die Schweizer Grafikerin Dolores Wyss, die Maler Günther Umberg und Elisabeth Vary, der Fluxus-Künstler Albrecht D. aus Stuttgart und die Bildhauerin Victoria Bell. Dennoch war die Kunstkritik mehr oder minder vernichtend. Ich gehörte damals der Künstlergruppe ROTOHR an, die von 1969 bis 1971 existierte, zusammen mit Georg Rosenthal und dem Musiker Ansgar Jerrentrup (Heinrich Dreidoppel und Christian Zepter waren schon 1970 ausgeschieden). Wir hatten in der Vergangenheit unter anderem an der Ausstellung „Gruppenarbeiten“ in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden teilgenommen („Kunst-gebucht“ 1971), hatten 1970 auf der Kölner Juryfreien die Installation „Lottowoche“ aufgebaut und ein nicht akzeptiertes Projekt zum Dürer-Jahr in Nürnberg eingereicht.50 Auf unserem Stand auf dem Neumarkt inszenierten wir die Aktion „Probevernichtung – Vernichtungsprobe“, bei der wir von Besuchern, die sich dazu bereit fanden, „Proben“ nahmen (Tascheninhalt, Haarsträhnen, Fingernägel), um sie dann feierlich unter Abspielen der Titelmelodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu verbrennen, die Asche in ein Briefkuvert mit Fenster stecken und als „Mail-Art“ zu verschicken. Allerdings

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nicht ohne vorher in einem ‚therapeutischen Gespräch‘ über Leben, Verschleiß durch Zivilisation und Tod der doch etwas gruseligen Aktion die Spitze zu nehmen. Nebenher machten wir noch eine kleine Aktion, bei der wir in die Koje des Mailänder Galeristen Arturo Schwarz eine Kiste mit nassen Cocacola-Flaschen trugen, um sie anschließend auf den dort als Edition angebotenen „Flaschentrockner“ von Marcel Duchamp zum Trocknen aufzustecken. Wir fanden dieses Marketing-Projekt damals ziemlich doof und wollten der als Kunst verkleideten Kopie wieder ihre ursprüngliche Funktion zurückgeben. Das Objekt gewann durch die im Licht glitzernden Glasflaschen übrigens sehr an ästhetischer Wirkung. Arturo Schwarz machte gute Miene zum bösen Spiel und fand die Aktion als solche gut, meinte auch, so weit ich mich erinnere, Duchamp hätte das sicher gefallen; die dahinter stehende Ideologie bezeichnete er aber als „petit bourgois“, wobei er aus seiner Sicht wohl recht hatte. Rein gesellschaftlich gesehen zählten wir ja sicher nicht zur Upperclass – aber Kleinbürger... na ja! 1972 war es mit dem Kunstmarkttrio in Köln schon wieder vorbei. Die IKI zog für zwei Jahre nach Düsseldorf in die dortigen Messehallen und etablierte sich als attraktive Konkurrenz zum Kölner Kunstmarkt. Der fand 1973 zum letzten Mal in der Kunsthalle statt und zog ein Jahr später in die Messe auf der anderen Rheinseite um. Er vereinigte sich 1975 mit der IKI zum Internationalen Kölner Kunstmarkt, welcher schließlich als Art Cologne bis auf den heutigen Tag besteht. Die letzte juryfreie Ausstellung des BBK in der Kölner Messe (vom 28. April bis 6. Mai 1973) mit dem Titel „Kölner Kunst Kaleidoskop ‘73“ fand mit neuer Konzeption statt. Ich hatte damals zusammen mit K. P. Schwarz den Vorsitz des Vereins für eine Wahlperiode und war mit der Organisation betraut. Die Idee für diese Ausstellung hatte ich zusammen mit einer Ausstellungsgruppe – einer Art Künstler-Rat – entwickelt. Sie sah vor, den juryfreien Teil als Informationsstraße zu planen, für den jeder Teilnehmer 14 Tage vorher eine Arbeit einreichen konnte. Sie wurde dann – nach ästhetischen und thematischen Aspekten – an fortlaufende

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Stellwände an den Außenwänden der Halle gehängt. In der Mitte gab es drei Blöcke mit jeweils sechs geräumigen Kojen. Den Entwurf für die Raumplanung lieferte ebenfalls ein Kollege, der Architekt Heinz Micheel. Für die Kojen wählten dann drei verschiedene Jurys (Künstler, Kunsterzieher und Kunsthistoriker) aus den eingereichten Arbeiten je sechs Künstler aus, die ihre Koje frei gestalten konnten. Die Ausstellung, an der fast 200 Künstler aus der Region Köln/Aachen/Bonn teilnahmen, bot einen umfassenden Überblick über das, was zu dieser Zeit künstlerisch tätig war, darunter viele Kollegen, die schon damals einen Namen hatten oder wenig später erlangen sollten. Einige wollten nicht juriert werden, sondern nur mit einer Arbeit dabei sein, zum Beispiel Bernard Schultze, Michael Buthe und Rune Mields. C. O. Paeffgen schickte ein übermaltes Selbstportrait und Dieter Boers reichte einen Text für den Katalog ein, in dem er begründete, warum er an „Massenveranstaltungen“ nicht mehr teilnehmen wolle. Die jurierten Kojen waren durchweg exzellent besetzt, Kunsterzieher und Künstler hatten bei der öffentlichen Jurierung keine Probleme, nur die Kunsthistoriker mussten sich zu einer internen Diskussion „zurückziehen“. Unter den für Einzelkojen ausgewählten Künstlern finden sich unter anderem Künstler wie Bernhard Johannes Blume, Wolfgang Niedecken, Heinz-Günther Prager, Günther Umberg, Bernd Koberling, Marlini Wickrama Sinha, und Dieter Reick.51 Eine Entdeckung war die über achtzig Jahre alte Bauhaus-Schülerin Karla Luz-Ruhland, welche eine fragile Wandskulptur aus Glasscherben, Draht und Metallstückchen aus Aachen mitbrachte. Beim Durchblättern fällt mir Norbert Prangenberg auf, ein inzwischen verstorbener Künstler, der heute von der Galerie Karsten Geve vertreten wird. Seine Tochter Anna studierte später bei mir Textilgestaltung und mein Patensohn Pio Ziltz bei ihm an der Münchener Kunstakademie Keramikkunst. Das sind so die seltsamen Konjunkturen des Zufalls in der Szene, die damals aber gar nicht so selten waren. 1973 war auch das Jahr, in dem der Verein der Progressiven offensichtlich das Bedürfnis hatte, Bilanz zu ziehen und die eigene Position zu überdenken. So wurde der Katalog des 7. Kölner Kunstmarkts als Zeitschrift aufgemacht und gab verschiedenen Autoren (Künstlern, Kriti-

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kern, Galeristen) die Gelegenheit, über die Vermarktung der Kunst zu reflektieren und die Existenzberechtigung derartiger Kunstmessen zu diskutieren.52 Auf drei Beiträge (von den insgesamt elf Artikeln) möchte ich kurz eingehen: Der Kölner Schriftsteller Jürgen Becker bringt das Dilemma der Kunst, die auf den Markt geht, in einem brillanten Essay auf den Punkt. Er schreibt unter anderem: „‚Erkenne die Lage‘, sagte Gottfried Benn. ‚Erkenne die Marktlage‘, sagte Peter Rühmkorf. So geht das hin und her, zwischen Existenz und Ökonomie.“ Und etwas später: Die wichtigen Leute, sagte ein Galerist [...] sind die vier, fünf Leute, von denen wir hier leben. [...] Ein anderer Galerist ging nachts als Kellner, weil er nicht leben konnte von den Produkten der Künstler, die sich mit Preisen und Stipendien durchschlugen oder mit dem Einkommen der arbeitenden Ehefrau.

Und weiter: „‚Kunst als Kunst ist noch nie bezahlt worden. Bezahlt worden sind ihre jeweiligen Verkleidungen‘, sagt Albrecht Fabri.“53 Walter Vitt nutzte die Gelegenheit, um vier teilnehmende Galeristen (Rochus Kowallek, Paul Maenz, Rudolf Springer und Rudolf Zwirner) mit der Frage zu konfrontieren: „Soll man den Kunstmarkt abschaffen?“54 Fasst man die Antworten der Händler zusammen, so könnte es heißen: „Nein, warum? Es läuft doch ganz gut! Und die wesentliche Arbeit läuft sowieso nicht auf den Massenveranstaltungen der Märkte, sondern in den Galerien“. Rudolf Zwirner vertritt dabei am entschiedensten den Marktcharakter derartiger Veranstaltungen: „[...] Es ist nicht tragisch, wenn einige Galerien die klassische Moderne in den Vordergrund stellen. Der Kölner Kunstmarkt bleibt ein Markt und auf dem Markt sollen Geschäfte gemacht werden.“ Und an anderer Stelle: Es stimmt nicht, dass 1967 ausschließlich junge Kunst durchgesetzt werden sollte, vielmehr sollten neue Käuferschichten dazugewonnen werden, um damals die sehr bedrohliche Wirtschaftskrise, die auch den Kunstmarkt voll erfasst hatte, abzuwenden. Es ging also in erster Linie um wirtschaftliche Fragen und in zweiter Linie um das Durchsetzen noch unbekannter Künstler.

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Der Frankfurter Galerist Rochus Kowallek bestätigt diese Position, meldet aber doch auch Kritik an: Hier geht es eher um den Warencharakter, weniger um den wahren Charakter von Kunst – was über Qualität noch nichts aussagt. [...] Der Kunstmessenboom steht in keinem Verhältnis zur Erschließung neuer Käuferschichten und damit zum Umsatz. [...] Wenn man diese wahrhaft euphorischen Veranstaltungen einmal unter dem Aspekt einer ausgefächerten Werbung für die Kunst unserer Zeit betrachtet, so partizipieren daran, recht solide, die veranstaltenden Messegesellschaften und vielleicht auch die großen, finanzkräftigen – meist ausländischen – Galerien, während die anderen mehr oder minder der Devise folgen: ‚Dabei sein ist alles!‘55

1974 fand noch einmal ein Neumarkt der Künstler statt, der letzte seiner Art in Köln. Parallel dazu veranstaltete der BBK e.V. Köln eine Ausstellung im Forum der VHS unter dem Titel Der röhrende Hirsch – Künstler und ein Symbol der Trivialkunst. Es erschien ein Katalog, in dem Künstler, Kunstkritiker, Museumsleute und Wissenschaftler das Thema unter ästhetischen, kulturgeschichtlichen, zoologischen und kunstsoziologischen Aspekten beleuchteten. Das Echo war erstaunlich und im Katalog finden sich Beiträge von Stars der Szene, unter anderem Bazon Brock, Itzehoe (Kein Wildbret sondern Seele), Klaus Jürgen Fischer, Baden-Baden (Der Röhrende Hirsch – gegen die Überschätzung der Trivialkunst), Alphons Silbermann, Köln (Ansichten über Trivialmalerei), Wolfgang Brückner, Würzburg (Symbol der Trivialkunst? Symbol einer Epoche! ), H. P. Alvermann, Düsseldorf (Zwischen Avantgarde und Kitsch), Rochus Kowallek, Frankfurt (Der Hirsch und seine Gemeinde. Ein Nachschlüssel ) und Wolfgang Becker, Aachen (Geweih – Gehörn, Geweihter – Gehörnter). Die einzelnen Beiträge sind auch heute noch lesenswert. Die Thematik hatte offensichtlich alle Autoren interessiert und inspiriert, gleich ob sie diese aus kunsthistorischem, kulturgeschichtlichem, künstlerischem oder politischem Blickwinkel betrachteten.56

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Warum wir ausgerechnet dieses Thema wählten? Nun, wir waren es einfach leid, immer wieder unter Schlagworte wie „Kunstlurche“, „Wurzelschnitzer“ oder „Ewig röhren die Hirsche“ eingeordnet zu werden, nur, weil wir juryfreie Ausstellungen machten und dabei auch Exoten, Naive und Dilettanten zuließen. Wir hatten gehofft, dass wir damit die Diskussion von den Klischees der Schlagzeilen auf eine weniger triviale Ebene heben könnten. Wobei der rheinisch närrische Witz nicht verloren gehen sollte. Das fand ein entsprechend gutes Echo: bei den Autoren ein inspiriert launiges, bei den teilnehmenden Ausstellern ein satirisch bis phantastisches, aber in der Regel humorvolles Echo. Mein Artikel über die Lurche der Kunst war wohl eher melancholisch. Ich notierte „homologe Strukturen“ bei allen drei Märkten: Die Konstellation der verschiedenen Personengruppen ist bei allen drei Institutionen in etwa gleich besetzt, die realen und vorgestellten Beziehungen zwischen Künstlern, Kritikern, Händlern und Publikum lassen sich als ähnliche, wenn nicht gar homologe Strukturen beschreiben. Man mag einwenden, zumindest die Händler seien doch vom Neumarkt verbannt, da dieser sich ja als ‚freier Produzentenmarkt‘ versteht, aber schon in jener deklamatorischen Geste versteckt sich eine Sanktionierung des Händlertums, welches hier mehr symbolisch und auf begrenzte Zeit zum Widersacher stilisiert wird.

Dennoch hoffte ich, dass dieser so fröhliche und beim Publikum sehr beliebte Markt reformierbar und damit zu retten war: Dieses Publikum hat sich in einer Umfrage 1972 [...] deutlich für den ‚Neumarkt der Künstler‘ und ebenso deutlich für einen offenen, unzensierten Markt ausgesprochen. Man sollte das als Tatsache akzeptieren und im übrigen den NdK konsequent weiterentwickeln: zum Diskussionsforum, zur Stätte der Information über die Produktion der Macherbasis und schließlich auch zum kommunalen Fest. 57

Doch 1973 war Geschichte, und der unzensierte Künstlermarkt nicht zu retten. In Zukunft würde es überhaupt keine juryfreien Kunstmärkte mehr geben. Wenn man heute die Art Cologne besucht und sich durch

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diesen Supermarkt durchkämpft, wird man nirgendwo mehr ein Preisschild sehen, nach dem sich der Kunde richten kann. Die Macht der Preisgestaltung liegt allein bei den Händlern. Was das künstlerische Angebot angeht, so ist es eine Mischung aus edlen, für die große Mehrheit der Besucher unbezahlbaren Werken der klassischen Moderne, zu der inzwischen auch die Rebellen der 1960er Jahre zählen, und marktgängiger Neukunst, die in der Regel ebenso flach und dekorativ ist wie unsere Epoche. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Welt der Kunst, so hat man den Eindruck, ist im Bermudadreieck global vernetzter Händlerstrategien, einem Internet, das nur mehr gegen kräftige Bezahlung informiert und einer Finanzpolitik, die jeden Künstler, Autor, kleinen Galeristen mit Brotberuf zu Dilettanten erklärt, die einem luxuriösen Hobby frönen und ihre Spesen gefälligst selbst zu zahlen haben. Zu der inzwischen legendären Konzept-Ausstellung in Schloss Morsbroich/Leverkusen im Jahr 1969 schickte der Amsterdamer Künstler Jan Dibbets eine Postkarte mit einer Fotomontage: Sie zeigt links den schrägen Blick auf eins der typischen Amsterdamer Bürgerhäuser mit kleinen, schmiedeeisernen Balkonen, von denen einer angekreuzt ist; daneben ein Foto des Künstlers in Rollkragenpullover und Wintermantel. Er kneift das rechte Auge zu, seine geballte Faust in Brusthöhe zeigt mit erhobenem Daumen nach oben. Auf der Rückseite teilt er in vier Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch, Niederländisch) mit: „Am 9. Mai (Montag) und 30. Mai (Freitag) 1969 um 3:00 Nachmittags (GMT), Jan Dibbets wird das Gebärde wie am anderen Seite machen auf der mit einem ‚X‘ bezeichneten Stelle in Amsterdam, Holland.“58 Er griff damit – erstmalig im Kontext der Kunst – eine volkstümliche Geste auf, die heute millionenfach als ‚Like‘ durch das globale Netz geistert und Zustimmung vorgaukelt, die keiner weiteren Erklärung bedarf. Als wir 1969 für vier Jahre die Künstlergruppe ROTOHR gründeten, feierten wir das Närrische im damaligen Kunstzirkus. Da waren wir der Gruppe LIDL vielleicht ein bisschen verwandt. Wir haben damals viel gelacht, wenn wir bis tief in die Nächte Ideen entwickelten – mit heißen roten Ohren! Dass das System gar nicht so närrisch war, das haben wir vielleicht geahnt, aber doch nicht wahrhaben wollen. Dann fielen die Schüsse in der Vinzenz-Statz-Straße in Köln 1977 und es war

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vorbei mit lustig. Der Traum von den Kunstmetropolen Düsseldorf und Köln, diesen ungleichen Geschwistern im Geiste, dieser Traum begann schnell zu welken. 1979 schreibt Georg Jappe in einem Essay, bezogen auf die Ereignisse ab 1969: Köln verliert Tritt. Aber nicht Köln allein. Von den Unruhen an der Düsseldorfer Akademie bis zum Patt im Bundestag werden die Grenzen des Wachstums spürbar, der Club of Rome geht den Öllieferanten voraus. So wie man im Erwachen einen Gedanken gerade noch hat und ihn zerfließen sieht – so war Köln einen Augenblick Metropole.59

Ebenfalls im Jahr 1969 forderte der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Werner Hoffmann, in der Spiegelschrift 1 eine Abkehr der Kunst von der reinen Ästhetik hin zu einem gesellschaftlichen Engagement der Künstler: Politisch verantwortliches Handeln verlangt nach großzügigen Vorentwürfen der Zukunft, nach Beteiligung an der Wirklichkeitsgestaltung. Genialität und Intuition reichen dafür nicht aus: Sie brauchen das Bündnis mit den Produktionsapparaten. Der Künstler dieses Typs wird in zunehmendem Maße die ästhetischen Reservate der Museen gegen die öffentlichen Bereiche vertauschen.60

Die Forderung Hoffmanns steht angesichts dramatischer Entwicklungen in Politik, Information und Ökologie verstärkt im Raum. Auf den letzten drei Documentas, welche sich verstärkt aus der Umklammerung des Kunstmarkts zu befreien suchten, konnte man beobachten, dass viele Künstler und Künstlerinnen schon entsprechende Konsequenzen gezogen haben – wenn auch weniger in der westlichen Welt als in den von Globalisierung und Klimawandel besonders betroffenen Ländern. Milo Rau – nach Auskunft der Wochenzeitschrift Die Zeit derzeit einflussreichster Regisseur des Kontinents – antwortet auf die Frage: „Wie denken Sie sich die Weltgemeinschaft in 30 Jahren?“ [...] „Entweder haben die Leute, die heute nicht mitreden können, bis dahin eine Lobby, oder sie haben keine. Entweder wir retten die Welt oder nicht.“61.

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A nmerkungen 1 | Salman Rushdie: Golden House, München: C. Bertelsmann 2017, S. 322. 2 | Wackernagel, Martin: Der Lebensraum des Künstlers in der Florentinischen Renaissance, Leipzig: E. A. Seemann 1938; Arnold Hauser: Soziologie der Kunst, München: C.A. Beck 1974, Teil 4, Kap. 7: Der Kunsthandel, S. 141f. 3 | Warnke, Martin: Hofkünstler – zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln: DuMont 1985, S. 106 –109. 4 | Zu Hein Stünkes Engagement im Rahmen nationalsozialistischer Kultur- und Jugendarbeit siehe: Wilmes, Daniela: Wettbewerb um die Moderne – Zur Geschichte des Kunsthandels in Köln nach 1945, Berlin: Akademie Verlag 2012, S. 107–112. 5 | Wolfgang Hahns bedeutende, in den 1960er Jahren entstandene Sammlung wurde 2017 im Museum Ludwig, Köln ausgestellt unter dem Titel Kunst ins Leben! Der Sammler Wolfgang Hahn und die 60er Jahre. Hahn war in den 1960er Jahren Chefrestaurator des Wallraf-Richartz-Museums. Seine Sammlung umfasst Spitzenwerke der damaligen Avantgarde: Nouveau Réalisme, Fluxus und Happening, Concept Art und Arte Povera. 6 | Vatsella, Katerina: Edition MAT (Multiplication d’Art Transformable): Die Entstehung einer Kunstform: Daniel Spoerri, Karl Gerstner und das Multiple, Bremen: Hauschild 1998. Walter Vitt fragt sich 2017: „Wussten Hartung und Ernst um Stünkes Vergangenheit? Kaum denkbar“. Vitt, Walter: Nachwort. In: Hess, Barbara/ Vitt, Walter (Hg.), Die Anfänge der documenta, Köln: Steinmeier 2017, S. 41. 7 | B. Hess, Die Anfänge der Documenta, S. 4–9. 8 | Hier und im Folgenden orientiere ich mich bei biografischen Angaben zu Personen der Zeitgeschichte und zu Kunstinstitutionen an entsprechenden Artikeln des Internetportals Wikipedia (September/ Oktober 2017).

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9 | Thwaites, John Anthony: „Abschied von der Galerie 22. Ein Interview mit Jean Pierre Wilhelm“, in: Der doppelte Maßstab, Frankfurt/Main: Seide 1967 (= Egoist Bibliothek Bd. 1). 10 | Ders.: Der doppelte Maßstab, Frankfurt/Main: Seide 1967 (= Egoist Bibliothek Bd. 1), S. 31f. 11 | Aus einem Gespräch, das ich in den 1990er Jahren mit dem Kölner Galeristen Winfried Reckermann führte. Dazu auch das Interview im Kölner Stadtanzeiger: „Viele Galeristen seiner Generation seien Seiteneinsteiger, erklärt Winfried Reckermann, und dies gelte auch für ihn und seine Frau Heidi. 1936 in Koblenz als Sohn eines Beamten geboren, der es sich nicht leisten konnte, die drei Kinder das Abitur machen zu lassen, absolvierte Reckermann eine Lehre als Automechaniker und Industriekaufmann. Schon damals wusste er: ‚Die Lehre war nur ein Nebenweg, der Hauptweg war die Kunst.‘“ (www.ksta.de/13100006, 26.9.2017). 12 | Müller, Hans-Jürgen (Stuttgarter Galerist): Die Kunst, Kunst zu verkaufen, in: Zeitschrift des Vereins progressiver deutscher Kunsthändler e. V. und Katalog zum 7. Kölner Kunstmarkt 1973, S. 27. 13 | Vgl. Bartz, Olaf: Wissenschaftsrat und Hochschulplanung – Leitbildwandel und Planungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1957 und 1975, Diss.: Köln 2006. 14 | WDR Mosaik vom 17.10.2017, 8:00– 9:00 Uhr: Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler feiert in diesem Jahr 60-jähriges Jubiläum. Bereits seit 1957 wird er jährlich vom Land NRW vergeben. Zu den bekanntesten Preisträgern gehören große Namen wie Pina Bausch, Andreas Gursky, Dieter Wellershoff oder Tom Tykwer. 15 | Eine ausführliche Rezension der Ausstellung findet sich in der Wochenzeitschrift Der Spiegel, Ausgabe 50 (1957). 16 | Gerlach, Peter (Hg.): Zahlen, Listen und Dokumente zu Personen, Ausstellungen, Künstlern, Jahresgaben des Kölnischen Kunstvereins. CD als Katalogbeigabe, Köln: Institut für Kunstgeschichte, RWTH Aachen/Kölnischer Kunstverein 1989. 17 | Bieber, Dietrich: Aus der Chronik der Kunstakademie – Personen und Ereignisse, in: Trier, Eduard (Hg.), Zweihundert Jahre Kunstakademie Düsseldorf. Düsseldorf: Schwann Verlag 1973, S. 215 –218. In Biebers

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Aufstellung der Professoren aus der Zeit zwischen 1959 und 1967 fehlen die Maler Bruno Goller, Robert Pudlich und Ferdinand Macketanz. 18 | Thurn, Hans Peter: Soziologie der Kunst. Stuttgart et al.: Kohlhammer 1973. Thurn geht in seinem Buch auch auf vorangegangene Untersuchungen zur Rolle bildender Künstler in der industriellen Gesellschaft ein und kommt zu dem Ergebnis, dass eine empirische Untersuchung zu den Konkurrenz-und Abhängigkeits-Verhältnissen im künstlerischen Käftefeld zwischen Künstlern, Händlern und Publikum noch aussteht. 19 | Ed. Trier, Die Düsseldorfer Kunstakademie, S. 203 –212. 20 | Ebd., S. 203. 21 | Hassenpflug, Gustav: Abstrakte Maler lehren – Georg Meistermann, Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Gerhard Fietz, Hans Thiemann, Conrad Westpfahl, Josef Faßbender, Rolf Cavael, Hann Trier – Ein Beitrag zur abstrakten Formen- und Farbenlehre als Grundlage der Malerei, München/Hamburg: Ellermann 1959. 22 | Am 9.10.2013 äußert sich der Bildhauer Franz Erhard Walther über dieses Projekt im Rahmen eines Artikels im Hamburger Abendblatt unter der Überschrift: „Ein Leben ohne Kunst? Sinnlos!“ wie folgend: „Über die Hochschule für bildende Künste Hamburg hatte ich Ende der 50er-Jahre gehört, dass dort gastweise ,Abstrakte Maler‘ lehren würden. Das hatte etwas Sensationelles. Als ich Ende 1970 von New York aus selbst gastweise an die Hochschule kam, fand ich noch immer die Einrichtung der Gastprofessur vor, allerdings mit einer gewissen Desorientierung. Gedacht war sie, um Positionen der Gegenwartskunst an die Hochschule zu holen. Doch die Kunstkonzeptionen nach der sogenannten Pop-Art, welche die Moderne anders, neu definierten und die aktuelle internationale Kunstdiskussion bestimmten, waren in der Hochschule durch Künstler nicht vertreten.“ 23 | Götz, Karl Otto: Bildende Kunst und Kommunikation, Düsseldorf: Staatliche Kunstakademie Düsseldorf 1965 (Eigendruck der Akademie). 24 | Bense, Max: Theorie der Texte. Eine Einführung in neuere Auffassungen und Methoden, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1962. 25 | K. O. Götz, Bildende Kunst, S. 26. 26 | Der Kulturkreis im BDI e. V. wurde 1951 in Köln in Anwesenheit des Bundespräsidenten Theodor Heuss unter Mitwirkung zahlreicher Per-

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sönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik wie Gustav Stein (Gründungsgeschäftsführer) und Dr. Hermann Reusch (Gründungsvorsitzender) ins Leben gerufen. Als ein Zusammenschluss von Unternehmen und Unternehmerpersönlichkeiten verfolgte der Kulturkreis in den Gründungsjahren die Ziele, die auch noch heute prägend sind: mäzenatische Förderung der zeitgenössischen Kunst, Engagement für bedeutende Werke der deutschen Kulturgeschichte und Teilhabe an der kulturpolitischen Diskussion (http://www.kulturkreis.eu/uber-uns/geschichte, 03.03.2017). 27 | Richter, Gerhard: Portrait Schniewind 1964, 114 cm x 160 cm Werkverzeichnis: 42–2, Öl auf Leinwand, San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA), Dauerleihgabe einer Privatsammlung The Doris and Donald Fisher Collection, San Francisco, USA. 28 | Eine recht gute Zusammenfassung zum politikwissenschaftlichen Pluralismusbegriff findet sich in Wikipedia unter „Pluralismus (Politik)“ https://de.wikipedia.org/wiki/Pluralismus_(Politik). Zu Hegels „Gesellschaftspyramide“: Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Phänomenologie des Geistes, Hamburg: Felix Meiner 19526, 7Bb. 29 | Die Ausweitung des Kunstbegriffs auf die physikalische Eigenschaft Wärme in Verbindung mit neuen, in diesem Kontext bisher unbekannten Klängen und Materialien, sowie mit der Verwendung von Readymades, hier Kinderspielzeugen. 30 | Eine ausführliche Schilderung und Interpretation der Kunstaktion (mit Beuys-Zitaten) findet sich unter Wikipedia (https://de.wikipedia. org/wiki/Infiltration_Homogen_, Oktober 2017). 31 | Verein progressiver deutscher Kunsthändler Köln. Kunstmarkt 67. Katalog Köln 1967. Layout Gisela Moeser. 24 Seiten, geheftet mit Schutzumschlag aus grauer Pappe, 32 x 45 cm, S. 1. 32 | Hier hatte zum Beispiel Rolf Ricke später Probleme, der einmal in den 1990er Jahren im Gespräch erwähnte, dass er mangels verfügbaren Kapitals keine amerikanische Pop Art von Künstlern wie Andy Warhol erwerben und zurücklegen konnte, obwohl er einer der ersten war, der sie in Deutschland gezeigt hatte.

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Die in diesem Absatz erwähnten Informationen zur Vermarktung von Künstlern erhielt ich in Gesprächen mit Rolf Ricke und Winfried Reckermann, ohne sie überprüfen zu können. Die Angaben zum Angebot Fontana überprüfte ich an den Kunstmarktkatalogen 1968 –1970. 33 | So sagte Rudolf Zwirner, mit dem ich Mitte der 1960er Jahre einen Termin zu einem Atelierbesuch ausmachte, sinngemäß: „Am Freitag kann ich nie, da fliege ich nach London und verdiene 100.000 Mark.“ Das war vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber es zeigt, wie international Galeristen in den 1960er Jahren vernetzt waren. 34 | Prospekt 2. 29.9.68 Düsseldorfer Kunsthalle. Katalog: Prospekt ΄68, Ausstellung Kunsthalle Düsseldorf, 20. – 29.9.1968. Katalog: prospekt ΄68 / Hg. Städtische Kunsthalle Düsseldorf. Organisation der Ausstellung Konrad Fischer, Heinz Strelow. Auswahlkomitee: Alan Bowness, London; Enno Develing, Den Haag; Karl Hultén, Stockholm; Kurt Meyer, Zürich; Dr. Peeters, Brügge; Martin Visser, Bergelijk, Dr. Paul Wember, Krefeld. Galerien: Thelen, Essen/Frankreich (Paris): Iris Clert, Mathias Fels, Yvon Lambert, Ileana Sonnabend/Italien: Apollinaire (Mailand) Sperone (Turin), Del Naviglio (Mailand/Venedig)/London: Axiom, Robert Fraser, Kasmin Ltd./ Zürich: Bischofsberger, Renée Ziegler/Amsterdam: Swart/Antwerpen: Wide White Space/New York: Dwan. 35 | Vitt, Walter: Soll man den Kunstmarkt abschaffen? Fünf Fragen an vier Kunsthändler, in: Kunstmarkt, Zeitschrift des Vereins progressiver deutscher Kunsthändler e. V., 2 (1973), S. 13. 36 | Hein, Birgit: „Underground-Film – Bildende Künstler machen Filme, Avantgarde-Filmer machen Kunst“, in: Magazin Kunst, 11, 41 (1971), S. 2135– 65. 37 | Loeckle, Wolf (geb. 14.3.1943 in Berlin, bis 2008 Rundfunkautor für E-Musik am Bayrischen Rundfunk, München) schickte mir den Text als E-Mail. 38 | Wendland, Jens: Merce Cunningham in Köln und Düsseldorf: Verstörung über künstliche Paradiese, in: DIE ZEIT, Nr. 42, 20.10.1972, Quelle: http://www.zeit.de/1972/42/verstoerung-ueber-kuenstliche-paradiese, 28.04.2018.

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39 | https://de.wikipedia.org/wiki/Oberhausener_Manifest, 16.10.2017. 40 | http://www.ulmer-verein.de/?page_id=14439, 16.10.2017. 41 | ZADIK= Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarkforschung e.V.; http://www.artcontent.de/zadik/default.aspx?s=350, 16.10.2017. 42 | Vgl.: Theewen, Gerhard (Hg.): Helmut Rywelski. Da mache ich jetzt eine Kiste drum, Köln: Salon Verlag & Edition, 2007. 43 | B. Hess, Die Anfänge der documenta, S. 33f. 44 | Magazin Kunst (Hg.): Katalog Neumarkt der Künste, 12.–18.10.70. Organisation Galerie Kümmel, Köln und Buchhandlung Siebrasse, Köln, Gestaltung Galerie Hof Dodau Kiel. 45 | https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Reick, 16.10.2017. 46 | Artikel im Göttinger Tageblatt zur Geschichte dieses Kunstmarkts vom 1.6.2012: http://www.goettinger-tageblatt.de/Goettingen/ Themen/Goettinger-Zeitreise/1970-erfunden-lange-ein-Spektakel. 47 | Wirtschaftsverband Bildender Künstler NRW, Köln-Aachen (Hg.): Katalog Neumarkt der Künstler. Köln: Grafische Werkstätten Henry Deckner, Köln 1971. Organisation:. Arbeitsteam: Just Fey, Will Thonett, Wido Buller, Wolf Ebener, Fritz Lauten, Inge Prokot (Layout), Maria Paffenholz, Mathias Sturm, Georg Rosenthal, Editha Varinska, Michael Zepter. 48 | „Kunstmarkt: Kein Lärm – Der Kölner Kunstmarkt hat sich gewandelt. Anstelle weniger ausgesuchter Galerien boten in der vergangenen Woche 100 Händler internationale Kunst unterschiedlicher Qualität an.“, in: Der Spiegel, Nr. 42/1971 vom 11. Oktober 1971. 49 | Jappe, Georg: FAZ, 8.10.1971. 50 | Wir wollten eine Straßenbahn in der Nacht durch Nürnberg fahren lassen, von der aus der Film Triumph des Willens, ein NS-Propagandafilm über den Reichsparteitag der NSDAP 1934 in Nürnberg von Leni Riefenstahl 1935, an die Häuserwände projiziert werden sollte. Eine Ablehnung, die auch prompt erfolgte, war erwartet und Teil des Projekts. 51 | Vgl. Ausstellungsverein im Verband Bildender Künstler KölnAachen-Bonn e.V. (Hg.): Kölner Kunst Kaleidoskop ‘73, mit Informationsstraße und exemplarischer Ausstellung. Katalog Köln 1973. 52 | Katalog zum 7. Kölner Kunstmarkt 1973, (wie Anmerkung 2). 53 | Becker, Jürgen: Notizen zwischen Kunst und Markt. Ebd. S. 8f.

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54 | Vitt, Walter: Soll man den Kunstmarkt abschaffen. Fünf Fragen an vier Galeristen. Ebd., S. 12. 55 | Ebd., S. 13. 56 | Prokot, Inge, (Hg.): „Der röhrende Hirsch – Künstler und ein Symbol der Trivialkunst. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Forum der VHS [Köln] vom 15.10.–22.10.1974. 57 | Zepter, Michael: Die Lurche der Kunst, ebd., S. 39. 58 | Dibbets, Jan/Siegellaub, Seth: Postkarte, New York 1969, in: Konzeption – Conception. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Schloss Morsbroich, Leverkusen. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1969, o.P. 59 | Jappe, Georg: Der Traum von der Metropole. Kölnischer Kunstverein: Köln 1979, S. 40. 60 | Hofmann, Werner: Kunst und Politik. Über die gesellschaftliche Konsequenz des schöpferischen Handelns, in: Spiegelschrift 1 (1969), S. 37. 61 | Peter Kümmel im Gespräch mit Milo Rau: „Wir Europäer leben im Adelsstand“. In: Die Zeit, Nr. 44/2017, S. 41.

L iteratur Ausstellungsverein im Verband Bildender Künstler Köln-AachenBonn e.V. (Hg.): Kölner Kunst Kaleidoskop ‘73, mit Informationsstraße und exemplarischer Ausstellung. Katalog, Köln 1973. Bartz, Olaf: Wissenschaftsrat und Hochschulplanung – Leitbildwandel und Planungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1957 und 1975, Diss.: Köln 2006. Becker, Jürgen: „Notizen zwischen Kunst und Markt“, in: Kunstmarkt 67. Verein progressiver deutscher Kunsthändler Köln. Katalog Köln 1967, S. 8f. Bense, Max: Theorie der Texte. Eine Einführung in neuere Auffassungen und Methoden, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1962. Bieber, Dietrich: „Aus der Chronik der Kunstakademie – Personen und Ereignisse“, in: Trier, Eduard (Hg.), Zweihundert Jahre Kunstakademie Düsseldorf. Düsseldorf: Schwann 1973, S. 215–218.

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Dibbets, Jan/Siegellaub, Seth: Postkarte, New York 1969, in: Konzeption – Conception. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Schloss Morsbroich, Leverkusen. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1969, o.P. Gerlach, Peter (Hg.): Zahlen, Listen und Dokumente zu Personen, Ausstellungen, Künstlern, Jahresgaben des Kölnischen Kunstvereins. CD als Katalogbeigabe, Köln: Institut für Kunstgeschichte, RWTH Aachen/Kölnischer Kunstverein 1989. Götz, Karl Otto: Bildende Kunst und Kommunikation, Düsseldorf: Staatliche Kunstakademie Düsseldorf 1965. Hassenpflug, Gustav: Abstrakte Maler lehren – Georg Meistermann, Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Gerhard Fietz, Hans Thiemann, Conrad Westpfahl, Josef Fassbender, Rolf Cavael, Hann Trier – Ein Beitrag zur abstrakten Formen- und Farbenlehre als Grundlage der Malerei, München/Hamburg: Ellermann 1959. Hauser, Arnold: Soziologie der Kunst, München: C.A. Beck 1974, S. 141f. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Phänomenologie des Geistes, Hamburg: Felix Meiner 1952, 7Bb. Hein, Birgit: „Underground-Film – Bildende Künstler machen Filme, Avantgarde-Filmer machen Kunst“, in: Magazin Kunst, 11, 41 (1971), S. 2135– 2165. Hess, Barbara/Vitt, Walter (Hg.): Die Anfänge der documenta, Köln: Steinmeier 2017, S. 41. Hofmann, Werner: „Kunst und Politik. Über die gesellschaftliche Konsequenz des schöpferischen Handelns“, in: Spiegelschrift 1 (1969) Köln: Verlag Galerie der Spiegel 1969, S. 37. Jappe, Georg: Der Traum von der Metropole, Köln: Kölnischer Kunstverein 1979, S. 40. Verein progressiver deutscher Kunsthändler Köln (Hg.): Kunstmarkt 67. Katalog Köln 1967. Kümmel, Peter: „Wir Europäer leben im Adelsstand“, in: Die Zeit, Nr. 44/2017, S. 41.

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Magazin Kunst (Hg.): Katalog Neumarkt der Künste, 12.–18.10.70. Organisation Galerie Kümmel, Köln und Buchhandlung Siebrasse, Köln, Gestaltung Galerie Hof Dodau Kiel. Müller, Hans-Jürgen: „Die Kunst, Kunst zu verkaufen“, in: Zeitschrift des Vereins progressiver deutscher Kunsthändler e. V. und Katalog zum 7. Kölner Kunstmarkt 1973, S. 27. Rushdie, Salman: Golden House, München: C. Bertelsmann 2017, S. 322. Städtische Kunsthalle Düsseldorf (Hg.): Katalog: Prospekt 58. (Zeitungs-) Katalog zur Vorschau auf die Kunst in den Galerien/20–29.9.68. Theewen, Gerhard (Hg.): Helmut Rywelski. Da mache ich jetzt eine Kiste drum, Köln: Salon Verlag & Edition 2007. Thurn, Hans Peter: Soziologie der Kunst. Stuttgart et al.: Kohlhammer 1973. Thwaites, John Anthony: „Abschied von der Galerie 22. Ein Interview mit Jean Pierre Wilhelm“, in: Der doppelte Maßstab, Frankfurt/ Main: Seide 1967 (=Egoist Bibliothekt Bd. 1). Ders.: Der doppelte Maßstab, Frankfurt/Main: Seide 1967 (= Egoist Bibliothek Bd. 1), S. 31f. Vatsella, Katerina: Edition MAT (Multiplication d’Art Transformable): Die Entstehung einer Kunstform: Daniel Spoerri, Karl Gerstner und das Multiple, Bremen: Hauschild 1998. Vitt, Walter: „Soll man den Kunstmarkt abschaffen? Fünf Fragen an vier Kunsthändler“, in: Kunstmarkt, Zeitschrift des Vereins progressiver deutscher Kunsthändler e. V., 2 (1973), S. 13. Ders.: „Nachwort“, in: Hess, Barbara/Vitt, Walter (Hg.), Die Anfänge der documenta, Köln: Steinmeier 2017, S. 41. Wackernagel, Martin: Der Lebensraum des Künstlers in der Florentinischen Renaissance, Leipzig: E. A. Seemann 1938. Walther, Franz Erhard: „Ein Leben ohne Kunst? Sinnlos!“, in: Hamburger Abendblatt vom 19.10.2013. Warnke, Martin: Hofkünstler – zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln: DuMont 1985, S. 106–109.

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Wendland, Jens: „Merce Cunningham in Köln und Düsseldorf: Verstörung über künstliche Paradiese“, in: http://www.zeit.de/1972/42/ verstoerung-ueber-kuenstliche-paradiese, 16.10.2017. Wilmes, Daniela: Wettbewerb um die Moderne – Zur Geschichte des Kunsthandels in Köln nach 1945, Berlin: Akademie Verlag 2012, S. 107–112. Wirtschaftsverband Bildender Künstler NRW, Köln-Aachen (Hg.): Katalog Neumarkt der Künstler. Köln: Grafische Werkstätten Henry Deckner 1971. Zepter, Michael: „Die Lurche der Kunst“, in: Prokot, Inge (Hg.): Der röhrende Hirsch – Künstler und ein Symbol der Trivialkunst. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Forum der VHS [Köln] vom 15.10.–22.10.1974, S. 39. Internet-Texte www.ksta.de/13100006. http://www.kulturkreis.eu/uber-uns/geschichte https://de.wikipedia.org/wiki/Infiltration_Homogen_ https://de.wikipedia.org/wiki/Pluralismus_(Politik) https://de.wikipedia.org/wiki/Infiltration_Homogen_ https://de.wikipedia.org/wiki/Oberhausener_Manifest http://www.ulmer-verein.de/?page_id=14439 https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Reick http://www.artcontent.de/zadik/default.aspx?s=350 http://www.goettinger-tageblatt.de/Goettingen/Themen/Goettin ger-Zeitreise/1970-erfunden-lange-ein-Spektakel Kunstverzeichnis Richter, Gerhard: Portrait Schniewind 1964, 114 cm x 160 cm Werkverzeichnis: 42–2, Öl auf Leinwand, San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA), Dauerleihgabe einer Privatsammlung The Doris and Donald Fisher Collection, San Francisco, USA.

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Radio-/Audio-Quellen WDR Mosaik: 16 junge Künstler erhalten NRW-Kulturförderpreis, Sendung vom 17.10.2017.

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Autorinnen und Autoren

Baier, Christof, Jun. Prof. Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften und Neueren und Neuesten Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Promotion 2007, bis 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Lehrstuhl für Geschichte der Architektur und des Städtebaus. Seit 2012 Juniorprofessor für Geschichte der europäischen Gartenkunst am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Forschungen zur Geschichte von Architektur, Städtebau und Festungsbau sowie zur Gartenkunst und Landschaftsarchitektur der Neuzeit und des 20. Jahrhunderts, zu Leben und Werk des Kunsthistorikers und Volkskundlers Wilhelm Fraenger (1890 –1964). Cepl-Kaufmann, Gertrude, Prof. Dr. phil., Studium der Germanistik, Geschichte, Volkskunde und Pädagogik in Bonn. Promotion ebd. (1972) und Habilitation (1997) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Apl. Prof. für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft u. Akademische Direktorin ebd.. Leiterin des An-Instituts „Moderne im Rheinland“. Forschungen zur Literaturgeschichte und Kultursoziologie, komparatistische Forschungen zur Literatur und Kultur der Moderne, bes. im westeuropäischen Dreiländereck. Regionale – internationale Archivund Ausstellungsprojekte. Dörr, Volker C., Univ.-Prof. Dr. phil., Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn. Promotion ebd. 1997. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Habilitation 2002, danach Oberassistent sowie Akademischer Oberrat auf Zeit in Bonn. 2010 Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, seit Wintersemester 2010 /11 Inhaber ei-

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Die Bonner Republik

nes Lehrstuhls für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Forschungen zur Literatur und Ästhetik der Weimarer Klassik, zur Nachkriegsliteratur, zur Deutsch-türkischen Gegenwartsliteratur sowie zu Fragestellungen der Inter-/Transkulturalität. Grande, Jasmin, Dr. phil., Studium der Germanistik und Anglistik in Düsseldorf und Cambridge. Promotion in Düsseldorf 2011 über die Rezeption des Phantastischen in der Wissenschaft, derzeit stellvertretende Leiterin des Instituts „Moderne im Rheinland“ an der Heinrich-HeineUniversität, Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität, Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts „Bonner Republik“. Arbeitsschwerpunkte: Das 20. Jahrhundert zwischen den Disziplinen, das Rheinland als Kulturregion der Moderne und Postmoderne, Wissenschaftstheorie und -geschichte. Körner, Hans, Prof. Dr. phil., geboren 1951 in Würzburg. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Klassischen Archäologie und Philosophie in Würzburg, Salzburg und München. Promotion 1977 und 1986 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1978 bis 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten in Mainz und München. 1987, 1989, 1990 und 1991 Gastdozent an der Sorbonne (Paris IV). 1992 –2017 Lehrstuhlinhaber am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 2006 Gastprofessor an der Ecole des hautes études en sciences sociales (EHESS), Paris. 2014 Visiting Scholar an der National Taiwan Normal University, Taipei. Forschungsschwerpunkte: Mittelalterliche Grabmalskunst, Spätmittelalterliche Druckgrafik, Malerei der Italienischen Renaissance, Französische Kunst und Kunstlitertatur (17.–20. Jh.), Die Kunstgeschichte des Tastsinns, Die Geschichte des Ornaments, Rahmengeschichte, Outsider Art, Sakralkunst des 20. Jhs. Laufer, Ulrike, Dr. phil., Studium der Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, München, Mannheim und Bochum. Promotion in Mannheim 2000. Seit 1982 als Kuratorin und Historikerin unter

Autorinnen und Autoren

anderem am Münchner Stadtmuseum oder am Deutschen Historischen Museum in Berlin beschäftigt. Forschungen im Bereich Kultur-, Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere zu bürgerschaftlichem Engagement, Mäzenatentum, Kunst und Museen im 19. und 20. Jahrhundert. Siehe auch: www.ulrikelaufer.de. Michels, Stefanie, Univ.-Prof. Dr. phil., Abschluss in African Studies von der School of African and Oriental Studies der University of London. Promotion in Köln mit den Fächern Afrikanistik, Mittlere und Neuere Geschichte und Ethnologie. 2007–2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Hannover. Ab 2009 Nachwuchsgruppenleiterin im Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ der Universität Frankfurt und Habilitation im Fach Neuere Geschichte ebd. 2011/12 Gastprofessorin für Globalgeschichte an der Universität Wien. 2012 Vertretung der Professur für Neuere Geschichte in Heidelberg, vor Berufung auf eine befristete Professur für„Europäische Expansion mit dem Schwerpunkt im 19. und 20. Jahrhundert“. Derzeit Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Forschungen zur deutschen Kolonialgeschichte in globalhistorischer Perspektive, Schwerpunkt auf den schwarzen deutschen Kolonialsoldaten, Fotografie und Erinnerungstopografien. Mölich, Georg, Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie an der Universität zu Köln, Staatsexamen. 1982–1986 wiss. Assistent am Historischen Seminar der Universität zu Köln. Seit 1987 wiss. Referent beim Landschaftsverband Rheinland. Historiker im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn. Forschungen und Publikationen zur Kultur- und Politikgeschichte, zur Rheinischen Landes- und Regionalgeschichte und zur Kölner Stadtgeschichte. Mitherausgeber der Zeitschriften „Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte“ und „Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte.

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Rosar, Ulrich, Univ.-Prof. Dr. rer. pol., Jahrgang 1968, Studium der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Psychologie 1991–1995 in Düsseldorf. Promotion 2001 in Bamberg und Habilitation 2009 in Köln. 2010 Berufung auf den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Besondere Arbeitsschwerpunkte sind die Vorurteils- und Diskriminierungsforschung sowie die Politische Soziologie. Von November 2014 bis Februar 2015 Prodekan und seit März 2015 Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität. Schleper, Thomas, Prof. Dr. phil., Studium der Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte. Fachbereichsleitung Zentrale Dienste und Strategische Steuerungsunterstützung im Dezernat Kultur und Landschaftliche Kulturpflege des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Projektleitung verschiedener Verbundausstellungen. Wissenschaftliche Publikationen mit den Schwerpunkten Industriekultur, Museologie, Denkmalpflege. Lehrbeauftragter an der Bergischen Universität Wuppertal. Wiener, Jürgen, Prof. Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, Archäologie, Geschichte und Volkskunde in Würzburg. Promotion ebd. 1989. Ab 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, seit 1991 Akademischer Rat. Habilitation 2002, danach Vertretungsprofessur am Institut für Kunstgeschichte der Universität zu Köln. Seit 2007 Professor für Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität. Seit 2009 Vorstandsmitglied des Arbeitskreises zur Erforschung der „Moderne im Rheinland“ e.V. mit Institut an der Heinrich-Heine-Universität. Forschungen zur italienischen und französischen Skulptur, Architektur und Bauornamentik des Hoch- und Spätmittelalters, zur Gartenskulptur der Frühen Neuzeit, zur historistischen und modernen Architektur im Rheinlands sowie zur Sakralkunst der Moderne. Zepter, Michael Cornelius, Künstler und freier Autor, Geboren am 1. Oktober 1938 in Köln. 1959–1964 Studium der Kunsterziehung und freien Kunst an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. 1966–1968/1974– 1976 Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Düsseldorf und Aachen (RWTH). 1968 Referendariat. 1964 –1972 als Kunsterzieher und

Autorinnen und Autoren

Sozialarbeiter in Köln. 1972–1985 Dozent (AOR) für Kunsterziehung an der PH Rheinland Aachen und der RWTH Aachen. 1985–2004 Dozent für Textilgestaltung an der PH Rheinland Köln/Universität zu Köln. Arbeitsschwerpunkte: Freie Malerei, Kunst des 20. Jahrhunderts, Künstlerfeste in der Moderne, Verkleidungskulturen. Wohnt und arbeitet in Köln.

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Namensregister

Adenauer, Konrad

38, 52, 86, 196f., 265, 267, 285, 289, 292, 332, 339 Adler, Jankel 34, 342 Adorno, Theodor Wiesengrund 43, 97ff., 101, 106, 112, 113, 120 Adriani, Gert 317 Ahlers-Hestermann, Friedrich 342 Albrecht D. (Dietrich) 365 Alewyn, Richard 118ff. Alighieri, Dante 230 Allinger, Gustav 135 Alvermann, Hans Peter 369 Andersch, Alfred 105ff., Andre, Carl 355 Antonioni, Michelangelo 357 Aquin, Thomas von 88 Arendt, Hannah 70, 71 Arman 337 Arnheim, Rudolf 347 Arp, Hans 41, 311 Artschwager, Richard 355 Aufseeser, Ernst 346 Augstein, Rudolf 128

Baargeld, Johannes Theodor 41 Bakunin, Michail Alexandrowitsch 34

Barrés, Maurice 37 Barth, Erwin 135 Barthes, Roland 60 Bartning, Otto 182, 212 Bartsch, Juliane siehe Roh, Juliane Baudissin, Claus Graf von 307 Bauermeister, Mary 356 Baumewerd, Dieter 190 Baumgarten, Walter 155 Baur, Hermann 212 Bausch, Pina 343, 374 Bazaine, Jean René 311 Bebel, August 284 Becher, Bernd 344 Becker, Andreas 353 Becker, Fritz 346 Becker, Jürgen 335, 368 Becker, Wolfgang 369 Beckmann, Max 342 Behrens, Peter 211 Bell, Victoria 365 Benjamin, Walter 40, 44f., 58, 63, 347 Benn, Gottfried 104, 109, 312, 368 Bense, Max 347 Bergengruen, Werner 42 Berke, Hubert 342 Bernard, Josef 190, 334 Bertram, Ernst 37

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Die Bonner Republik

Beuys, Josef 43, 344, 351, 356, 360f., 364 Bielefeld, Heinz 190 Bilé, Joseph 293 Bismarck, Otto von 341 Bloch, Ernst 40, 43, 331 Blom, Philipp 62, 71 Blume, Bernhard Johannes 344, 367 Böckler, Hans 320 Bode, Wilhelm von 345 Boers, Dieter 367 Böhm, Dominikus 188, 190, 343 Böhm, Franz 128 Böhm, Gottfried 190 Böll, Heinrich 41f., 335, 358 Bonifatius, Winfried 87 Bonnard, Pierre 311 Borchert, Wolfgang 341 Boström, Jörg 344 Brandt, Willy 43f., 332 Braque, George 342 Brecht, Bertolt 59, 320 Brecht, George 356 Brehmer, K.P. 337 Brock, Bazon 369 Bruch, Klaus vom 365 Brückner, Wolfgang 369 Brunn, Anke 343 Buber, Martin 40 Burauen, Theo 353 Burchartz, Max 313 Burmeister, Otto 320 Buschmann, Artur 315 Busley, Josef 311, 320

Buthe, Michael 367

Cage, John 336f., 356, 357 Calder, Alexander 306, 311, 318 Campendonk, Heinrich 306, 309f., 346 Camus, Albert 320 Cassavetes, John 357 Celan, Paul 121, 336 Ceram, C.W. d.i. Marek, Kurt W. Champion, Theo 344 Chargesheimer 342 Christo 356 Church, Thomas 158 Clairvaux, Bernhard von 87 Clausewitz, Carl von 29 Coester, Otto 343f. Cohen, Walter 309 Corbusier, Le d.i. Jeanneret-Gris, Charles-Édouard Corinth, Lovis 309 Cornelius, Peter 345 Costard, Hellmuth 364 Craig, Edward Gordon 51 Cunningham, Merve 356 Curtius, Ernst Robert 37 D ‘ham, Ernst

308f. Dahl, Robert Alan 349 Dahlem, Franz 338 Dahmen, Karl Fred 336 Dahn, Walter 344 Dalí i Domènech, Salvador Felibe Jacinto 41 Darboven, Hanne 355

Namensregister

Darchinger, Josef Heinrich 85 Dattenberg, Heinrich 315 Davies, Georg G. 159 de Staël, Nicolas 311 Dibbets, Jan 371 Dibobe, Martin 293 Diderot, Denis 180 Diederichs, Eugen 39 Dirks, Walter 182, 188 Dix, Otto 34, 306, 342 Doede, Werner 316 Dreidoppel, Heinrich 365 Droese, Felix 344 Dubuffet, Jean 336 Duchamp, Marcel 366 Dumont, Louise 34 Dürrenmatt, Friedrich 320 Dustmann, Hans 184

E ckbo, Garrett

158 Eckstein, Hans 165 Edelmann, Heinz 344 Eich, Günter 45, 109 Eiermann, Egon 185, 212 Eimert, Herbert 356 Einstein, Albert 36, 41 Eisner, Kurt 35f., Eliot, Charles 158 Éluard Dalí, Gala 41 Éluard, Paul 41 Encke, Fritz 134, 152, 154 Engelhardt, Walter Freiherr von 134 Engels, Friedrich 64 Enseling, Joseph 344

Ernst, Max 34, 41, 312, 335, 353 Erxleben, Guido 153-155, 170 Eulenberg, Herbert 34 Ey, Johanna 344

Fabri, Albert 335, 368 Fahrenkamp, Emil 346 Fassbender, Josef 334, 344, 346, 349 Fassbinder, Rainer Werner 358 Fautrier, Jean 336 Feininger, Lionel 40 Feldenkirchen, Toni 342, 353 Feldman, Morton 336 Fellini, Frederico 357 Fernandez, Pierre Armand siehe Arman Fischer, Klaus Jürgen 369 Fischer, Konrad 337, 344, 354f. Flechtheim, Alfred 41, 310 Fontana, Lucio 353, 377 Fontane, Theodor 107f. Förster, Otto Helmut 317 Freundlich, Otto 306, 342 Friedrich, Heiner 338 Frings, Josef Kardinal 85, 87 Frisch, Max 357 Fritsch, Katharina 344 Fuhr, Xaver 342 Gasebruch, Ernst

315 Gaul, Winfred 336 Geccelli, Johannes 344 Geiger, Ruprecht 344 Gerstenmaier, Eugen 274

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Geve, Karsten 367 Giacometto, Alberto 340 Gies, Ludwig 312, 343 Giesen, Joseph 134 Giordano, Ralph 271f., 284f., 288 Glockler, Konrad 134 Godard, Jean Luc 357 Göderitz, Johannes 164 Goebbels, Joseph 318f. Goethe, Johann Wolfgang von 36, 100, 116ff., 119, 120, 128, 320 Goldmann, Mary 34 Goller, Bruno 344, 375 Gombrich, Ernst 347 Gosebruch, Ernst 307 Götz, Karl Otto 313, 336f., 342, 344, 346f., 348 Graf, Rüdiger 68 Grass, Günter 43, 104, 120 Graubner, Gotthard 344 Griebitzsch, Herbert 308f. Grieshaber, HAP 335 Grochowiak, Thomas 309, 318f., 321 Grohmann, Willi 335 Gropius, Martin 65, 345 Gropius, Walter 181, 182, 184, 185, 187 Große-Perdekamp, Franz 319, 321 Grosz, George 353 Grund, Peter 139 Gründgens, Gustaf 34

Grütters, Monika 66 Guardini, Romano 40, 188, 202 Guggenheim, Peggy 311 Gundolf, Friedrich 118 Gurlitt, Hildebrand 318 Gursky, Andreas 374

H aber, Fritz

38 Habermas, Jürgen 69 Hackenberg, Kurt 353, 360 Haftmann, Werner 335 Hahn, Josef 335 Hahn, Wolfgang 373 Halprin, Lawrence 158 Händler, Gerhard 309 Hargesheimer, Karl-Friedrich d.i. Chargesheimer Harrison, Robert Pogue 70f. Hartlaub, Gustav 239 Hartmann, Karl Amadeus 356 Hartung, Hans 336, 342 Hartung, Hugo 102f. Hasler, Hans 136, 137 Hassel, Kai Uwe von 267, 271f., 277, 294, 297 Hassenpflug, Gustav 346 Haubrich, Josef 310, 312, 317, 335, 342 Hauser, Arnold 333 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 341, 349f. Hegemann, Werner 172 Heidegger, Martin 70 Hein, Birgit 355 Hein, Wilhelm 355

Namensregister

Heine, Heinrich 46 Heinemann, Gustav 43, 311 Helms, Hans G. 356 Henke, Ernst 321 Hentrich, Helmut 314 Henze, Hans Werner 356 Herwegen, Ildefons 40 Herzog, Werner 358 Hesse-Frielinghaus, Hertha 317 Heuser, Werner 315 Heuss, Theodor 320, 375 Heydt, Eduard von der 310 Hiller, Kurt 36 Himmler, Heinrich 135 Hitler, Adolf 119 Hoehme, Gerhard 336, 344 Hoelzel, Georg 342 Hoerle, Heinrich 41, 341 Hoff, August 308, 343 Hoffmann, Ingfried 365 Hoffmann, Kurt Rudolf d.i. Sonderborg, K.R.H. Hoffmann, Werner 372 Hofmann, Hubert 164 Holthusen, Hans Egon 42 Honneth, Axel 68, 70 Horkheimer, Max 43, 113 Howe, George 162 Hundhausen, Carl 321 Hundt, J.B. Hermann 315 Hupp, Hans 316 Hüter, Thea d.i. Stefula, Thea

Immendorff, Jörg 344 Immerwahr, Clara 38

Ionesco, Eugène 357 Itten, Johannes 65

Jaeckel, Josef

343 Jährling, Rolf 306 Janssen, Peter 315 Jappe, Georg 364, 372 Jarres, Karl 52 Jawaschew, Christo Wladimirow d.i. Christo Jawlensky, Alexej von 318 Jeanneret-Gris, Charles-Édouard 181, 188, 189, 207f. Jensen, Jens 155 Jerrentrup, Ansgar 365 Johns, Jasper 357 Joost, Kurt 343 Jünger, Ernst 106 Justis, Ludwig 309

Kaesbach, Walter

309f., 315, 346 Kafka, Franz 110, 112 Kahl, Eva d.i. Stünke, Eva Kahn, Albert 60 Kahn, Louis I. 163 Kahnweiler, Daniel-Henry 41, 318 Kaiser, Alfons 63 Kaiser, Georg 34, 40 Kampf, Ari Walter 315 Kamps, Heinrich 343 Kandinsky, Wassily 35, 311, 318 Kant, Immanuel 59 Kasack, Hermann 109f.

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Kelter, Willy 308 Kiefer, Anselm 344 Kiepenheuer, Gustav 110 Kiley, Dan 158 Klapheck, Anna 314, 344 Klapheck, Konrad 344 Klapheck, Richard 346 Klauke, Jürgen 363 Klee, Paul 44, 63, 310, 311, 342, 346 Klein, Yves 337 Kleinjohann, Günter 190 Klemperer, Victor 35 Klopstock, Friedrich Gottlieb 36 Kluge, Alexander 358 Knoebel, Imi 344 Kocks, Fred 317 Koenig, Gottfried Michael 356 Kogon, Eugen 120, 182 Köhler-Achenbach, Klaus 348 Köhn, Heinz 307, 316 Kolbe, Georg 225, 226, 228, 223, 233-239, 243 Kollwitz, Käthe 317 Koperling, Bernd 367 Koselleck, Reinhard 63 Kötschau, Karl Theodor 309 Kouyaté, Tiemoko Garan 293 Kowallek, Rochus 368ff. Krahn, Johannes 190, 211 Kreis, Wilhelm 211 Kreuder, Ernst 99 Kricke, Norbert 337, 344 Kris, Ernst 347 Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch 34, 35

Krupp von Bohlen und Halbach, Alfried 350 Kruse, Werner 317 Kurz, Otto 347

Landauer, Gustav

34, 50 Lange, Hermann 310 Lange, Willy 136, 141 Langenbeck, Curt 112, 115 Langgässer, Elisabeth 109, 112, Lauten, Fritz 365 Ledig, Heinrich Maria 104 Lehmbruck, Joseph 149, 186, 190, 203 Lehmbruck, Wilhelm 239 –243, 307f., 309 Lehr, Robert 52 Leitl, Alfons 184, 190 Lenin, Wladimir Iljitsch 35 Lenné, Peter Joseph 151 Lenz, Jakob Michael Reinhold 36 Lessing, Gotthold Ephraim 320 Lettow-Vorbeck, Paul von 269–272, 274, 275, 278f., 280, 284 Leuer, Stefan 190 Leusden, Hans 317 Levy, Rudolf 306 LeWitt, Sol 355 Lhote, André 338 Lichter, Ursula 353 Liebermann, Max 309 Liebknecht, Karl 35 Loeckle, Wolf 356

Namensregister

Loest, Erich 104 Long, Richard 355 Lübke, Heinrich 281, 339 Ludwig, Peter 313 Lueg, Konrad (Conny) d.i. Fischer, Konrad Lunatscharski, Anatoli Wassiljewitsch 35 Luxemburg, Rosa 35 Luz-Ruhland, Karla 367

Maciunas, George

356 Mack, Heinz 337, 344 Macketanz, Ferdinand 375 Maenz, Paul 368 Mages, Joseph 344 Magnus, Albertus 88 Majakowski, Wladimir 35 Malle, Louis 357 Malraux, André 336 Mambingo, Josef 268 Manet, Édouard 307, 312 Mann, Heinrich 36 Mann, Thomas 36, 37, 41, 115ff., 119 Mappes, Michael 157 Marcks, Gerhard 342 Marek, Kurt W. 103f. Martin, Karin d.i. Rissa Marx, Karl 64 Masson, André 342 Mataré, Ewald 309, 311, 313, 343, 346 Mathieu, Georges 342 Matisse, Henri 311

Mattern, Hermann 138, 151, 159, 160f., 165 May, Ernst 141, 315 Mecklenburg, Alfred Friedrich von 277 Medici, Herzog Giuliano de‘ 228 Medici, Herzog Lorenzo de‘ 228 Medina, Paul 25 Meistermann, Georg 197, 313, 335, 344, 346 Meyer, Hans 101 Michaut, Henri 336 Micheel, Heinz 367 Michelangelo 228, 239 Mields, Rune 367 Mies van der Rohe, Ludwig 181, 185, 189, 312, 315, 321 Mills, Charles Wright 349 Mingus, Charles 358 Miró, Jean 311, 342 Mischwitzky, Holger d.i. Praunheim, Rosa von Mitgutsch, Ali 33 Mitscherlich, Alexander 186 Mlela, Sallea 272 Mommartz, Lutz 364 Mondrian, Piet 311 Mooreman, Charlotte 351 Morris, William 345 Morrissey, Paul 356 Motte, Manfred de la 336f. Mühsam, Erich 36

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Müller, Tim B. 67 Munch, Edward 340 Münzenberger, Willi 293 Mussa, Alfons 272 Muthesius, Hermann 211

Natorp, Paul 41 Nauen, Heinrich 315 Nauman, Bruce 355 Nay, Ernst Wilhelm 315, 335, 338 Nebelung, Hella 314 Nekes, Werner 365 Neyers, Kurt 315 Neyers, Lisette 315 Niedecken, Wolfgang 367 Nierendorf, Karl 34, 41 Nietzsche, Friedrich 46 Nolde, Peter Emil 318, 342 Nono, Luigi 356 Nose, Richard 134 Nußbaum, Theodor 134, 152 Olbrich, Joseph Maria

183 Osthaus, Karl Ernst 309, 317, 320, 343 Otto, Theo 346

Padmore, George 293 Paeffgen, Claus Otto 367 Paik, Name June 306, 336, 351, 356 Palermo, Blinky 338, 344 Palla, Giovanni Battista della 334

Pankok, Otto 306, 317, 343 Panofsky, Erwin 347 Paquet, Alfons 41 Parker, Charlie 358 Pasolini, Pier Paolo 357 Patas, Meta 317 Peets, Elbert 172 Penker, Erika 142, 143, 144, 146, 147, 150 Penker, Georg 141-151 Perry, Clarence Arthur 162, 164 Perry, Lionel 311 Petersen, Oswald 315 Pfau, Bernhard 149 Picasso, Pablo 311, 313, 318, 340, 342, 353 Picht, Georg 339 Piene, Otto 337, 344 Pinder, Wilhelm 233 Plantan, Thomas 275, 279f., 296 Platon 36 Plessner, Helmuth 201 Poelzig, Hans 188 Pohland, Hans-Jürgen 358 Poliakoff, Serge 311 Polke, Sigmar 337f., 344 Pollini, Maurizio 356 Pousseur, Henri 356 Prager, Heinz-Günther 367 Prangenberg, Anna 367 Prangenberg, Norbert 367 Praunheim, Rosa von 365 Prikker, Johan Thorn 316, 346 Pudlich, Robert 315, 344, 375

Namensregister

Rainer, Roland 164 Rang, Florens Christian 40 Rathenau, Walther 38 Rau, Milo 372 Rauschenberg, Robert 337 Reckermann, Winfried 374, 376 Reichow, Hans Bernhard 164, 165 Reick, Dieter 362, 367 Reidemeister, Leopold 317 Reitz, Edgar 358 Renner, Karl 311 Resnais, Alain 357 Reusch, Hermann 376 Reuter, Ernst 36 Reygers, Leonie 318 Richter, Gerhard 337f., 349 Richter, Hans Werner 43, 106ff., 124, 344 Richter, Jean Paul 44 Ricke, Rolf 338, 376f. Riefenstahl, Leni 378 Rilke, Rainer Maria 89 Riopelle, Jean Paul 342 Rissa 344 Ritter, Henning 46 Rodin, Auguste 228, 229-231, 238, 239, 243 Roh, Franz 305f., 307, 312, 323 Roh, Juliane 305 Rohlfs, Christian 317 Rohrbach, Paul 30 Rosenbach, Ulrike 344 Rosenthal, Georg 365 Rosiny, Nicolaus 190

Rossow, Walter 135 Rouse, Charlie 357 Rowohlt, Ernst 104 Ruf, Sep 159 Rühmkorf, Peter 368 Rusche, Werner 319 Ruthenbeck, Reiner 344 Rywelski, Helmut 359, 360f.

Sacharow, Alexander

41 Sandback, Fred 355 Sartre, Jean-Paul 320 Saxl, Fritz 347 Schadow, Wilhelm 345 Schaeffer, Pierre 356 Schäfer, Wilhelm 41, 109, 190 Schaller, Fritz 190 Schamoni, Peter 358 Scharl, Joseph 342 Scheler, Max 201 Schellemann, Carlo 365 Scherer, Wilhelm 31 Scherkamp, Jörg 365 Schickele, René 34, 36 Schieder, Theodor 43 Schiller, Friedrich 67, 100, 320 Schilling, Hans 190 Schilling, Konrad 363 Schliemann, Heinrich 103 Schlöndorff, Volker 358 Schmela, Alfred 315, 336ff. Schmidt Malango, Peter 273 Schmidt, Jakob Heinrich 344 Schnee, Heinrich 269 Schneider-Esleben, Paul 190

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Die Bonner Republik

Schneider, Reinhold 42 Schniewind, Stephanie 349 Schniewind, Willy 349 Schönbohm, Kurt 155 Schoof, Manfred 365 Schroeter, Werner 358, 365 Schultze, Bernhard 336, 367 Schulze-Vellinghausen, Albert 88, 306, 321, 335 Schulze, Alfred Otto Wolfgang siehe Wols Schumacher, Emil 336 Schumacher, Fritz 152, 154 Schürmann, Joachim 190 Schwarz, Arturo 366 Schwarz, Rudolf 40, 154, 164, 179 –209, 312, 334 Schwarze, Peter siehe Palermo, Blinky Schweflinghaus, Kurt 186, 190 Schwippert, Hans 190, 212 Schwippert, Kurt 344 Schwitters, Kurt 40, 353 Scotus, Johanns Duns 88 Sedlmayer, Hans 313 Seewald, Richard 342 Seifert, Alwin 135f., 153f. Seiwert, Franz W. 341 Serra, Richard 357 Sewell Cautley, Marjorie 158 Siebrasse, Michael 363 Silbermann, Alphons 369 Simons, Anna 346 Sintenis, Renée 310 Slevogt, Max 309

Somon, Vinzenz 273 Sonderborg, K.R.H. 342 Speer, Albert 164, 169, 186, 197, 199 Spengler, Owald 115, 137 Springer, Rudolf 355, 368 Staeck, Klaus 359, 360f., 364 Stefaula, Gyorgy 349 Steffan, Emil 128, 184, 190, 203 Stefula, Thea 349 Steichen, Edward 60 Steidl, Gerhard 363 Stein, Gustav 344, 348ff., 376 Steinbach, Rudolf 184, 190, 211 Stirner, Max 34 Stockhausen, Karlheinz 336, 356, 357 Stomps, Victor Otto 125 Stonorov, Oskar 163 Strelow, Hans 354 Stroux, Karl Heinz 357 Stünke, Eva 314, 334, 335, 338, 352 Stünke, Hein 314, 332, 334, 335, 337f., 373 Suhrkamp, Peter 110 Syberberg, Hans-Jürgen 358

Taeuber, Sophie 311 Tambong, Takang Agbor Ngeng 274 Tamm, Friedrich 149, 169, 186 Tapp, Wilhelm 134, 140, 141, 169 Taut, Bruno 41

Namensregister

Teuwen, Wilhelm 343 Thomas, Raimund 354 Thonett, Will 365 Thurn, Hans Peter 344 Thwaites, John Anthony 306, 335f. Thyssen, Paul 134 Tinguely, Jean 337 Toller, Ernst 36, 39, 320 Tooze, Adam 67 Treskow, Elisabeth 343 Trier, Eduard 306, 344f. Trier, Hann 334, 335, 342, 345 Truffaut, Francois 357 Tschammer und Osten, Hans von 136 Tschudi, Hugo von 309 Tudor, David 356 Tunnard, Christopher 158 Twombly, Cy 336 Tykwer, Tom 374

Uecker, Günter

337, 344 Umberg, Günther 365, 367

Valcano, Otto-Wilhelm von 340 Vary, Elisabeth 365 Vasarely, Victor 335 Vasari, Giorgio 334 Vatongerloo, Georges 230f., 233 Velde, Henry van de 41, 183, 317 Verhaeren, Emile 41

Viegener, Eberhard 318 Vitt, Walter 368 Vömel, Alex 310, 314, 315 Vostell, Wolf 356, 359, 360f.

Waetzolf, Wilhelm 346 Wagner, Martin 189, 211 Wagner, Otto 183 Walther, Franz Erhard 344, 375 Warburg, Aby 347 Warhol, Andy 356, 376 Warnach, Walther 344 Weber, Max 39 Wecus, Walther von 141, 346 Wedekind, Frank 320 Weiß, Peter 35 Weitz, Helmut 315 Wellershoff, Dieter 60, 374 Wember, Paul 315 Wenders, Wim 358 Wessel, Wilhelm 318 Wickrama Sinha, Marlini 367 Wiechert, Ernst 120 Wiepking-Jürgensmann, Heinrich 135, 136ff., 151, 165 Wiese, Benno von 114f., 118 Wilder, Thornton 320 Wilhelm, Jean-Pierre 336ff. Wimmenauer, Karl 164, 190 Wirdeier, Eusebius 363 Wissmann, Herrmann von 296 Wolf, Ulrich 141f., 149, 151 Wölfflin, Heinrich 211 Wollheim, Gert 34

401

402

Die Bonner Republik

Wols 336, 353 Wyborny, Klaus 365 Wyss, Dolores 365

Yun, Isang

356

Zepter, Christian 365 Ziegler, Klaus 112f. Ziltz, Pio 367 Zschokke, Alexander 309 Zuckmayer, Carl 320 Zweig, Stefan 36 Zwirner, Rudolf 332, 335, 360, 368, 377

Ortsregister

Aachen

181, 184, 188, 367, 369 Amsterdam, Niederlande 371 Andernach 203f. Augsburg 87 Auschwitz 120

Bad Segeberg 272 Baden-Baden 365, 369 Basel, Schweiz 232, 239, 311 Bayreuth 320 Berlin 35, 65f., 101, 111, 118, 188f., 225f., 284, 290, 293, 321f., 338, 355 Bochum 321 Bonn 40, 58, 62, 85, 118, 159, 162, 164f., 188, 312, 367 Bremen 268 Buchenwald 119 Büderich 310 Buea, Kamerun 296 Burg Lauenstein 40 Burg Rothenfels 40, 188, 211 Cambridge, Großbritannien 155 Chicago, U.S.A. 155 Coartesville, U.S.A. 163

Dachau 305 Dar es Salaam, Tanzania 276, 281, 297 Darmstadt 184, 357 Dessau 65f., 76, 182, 184, 343, 346 Doorn, Niederlande 33 Dortmund 318 Dresden 41 Duisburg 59, 64, 240, 307, 308f., 321, 362 Düren 203 Düsseldorf 34, 116, 139ff., 150, 185f., 189, 197, 268, 306f., 309f., 313, 315ff., 332–338, 340, 343f., 346-348, 351, 354, 357, 361, 369, 372 Essen

87f., 203, 307f., 310f., 316, 319, 321, 335, 340, 343, 354f.

Florenz, Italien

228, 334 Frankfurt/Main 97, 188, 347, 354, 359, 369 Freudenstadt 197 Fulda 87

404

Die Bonner Republik

Göttingen

112, 363f.

Hagen 317, 321, 343 Hamburg 293, 319, 346 Hannover 40, 197, 315 Heidelberg 39, 118 Heppenheim 40 Herlingen 105 Itzehoe Jena

369

67

Kassel

197, 335, 338 Köln 38, 41, 46, 86ff., 118, 151ff., 188f., 194–197, 205, 267, 307, 310, 312, 314f., 317, 319, 321, 332–338, 340–343, 348, 352f., 354–357, 361, 363–369, 371f. Krefeld 310, 315f., 321, 343

Leipzig

35 Lens 64 Leverkusen 371 Linz, Österreich 203 London, Großbritannien 34, 377 Lübeck 218, 316 Lüttich 59

Mainz

110 Mannheim 305, 308 Maria Laach 40

Mönchengladbach 307, 309f., 315 Mülheim a. d. Ruhr 317 München 35, 102f., 115, 306, 308, 315, 338, 354, 356f., 365, 367 Münster 197, 335

Nchang, Kamerun 274 Neapel, Italien 88 New York, U.S.A. 60, 308, 357 Nürnberg 365, 378 O berhausen

60, 309, 358 Offenbach 188

P aris

42, 88, 228, 338

Radburn, U.S.A. 162 Recklinghausen 310, 319f. Remagen 45 Rendsburg 269 Rhode Island 42 Rom 88 Ronchamp, Frankreich 207 Salzburg

320 Straßburg 31 Stuttgart 43, 241

Ulm

360

Vallejo, U.S.A. 162 Venedig, Italien 335

Ortsregister

Weimar

40, 66ff., 69, 71, 119, 184, 271, 320, 346 Wien, Österreich 347 Witten 318 Witzenhausen 269 Woodville, U.S.A 162 Wuppertal 306, 310, 349 Würzburg 369

Z ürich, Schweiz

34

405

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

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