Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie: Familienstrategie über Generationen: Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie [1 ed.] 9783666403811, 9783525403815


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German Pages [320] Year 2017

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Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie: Familienstrategie über Generationen: Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie [1 ed.]
 9783666403811, 9783525403815

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Arist von Schlippe/Torsten Groth/Tom A. Rüsen

Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie Familienstrategie über Generationen: Auf dem Weg zu einer Theorie der Unternehmerfamilie

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 21 Abbildungen und 5 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40381-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: © Björn von Schlippe »Gleich und doch nicht gleich« © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Produced in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt Geleitwort von Frank Stangenberg-Haverkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I Einführung 1  Familienstrategie über Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.1 Familienstrategie gab es eigentlich schon immer . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2 Die Unternehmerfamilie als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . 23 1.3 Definitorisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.3.1 Familienunternehmen und Unternehmerfamilien . . . . . . . . 27 1.3.2 Family Business Governance und Family Governance . . . . . 29 1.3.3 Familienstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3.4 Familienverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.3.5 Familienmanagement und Family Compliance . . . . . . . . . . . 33 1.3.6 Gesellschafterkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.4 Langlebigkeit als Forschungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.4.1 Frühere Projekte des WIFU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.4.2 Familienstrategie über Generationen: Das FüG-Projekt . . . . 37 II Nicht gemanagt: Lösungen, die Probleme schaffen 2 Geisterbahn fahren: »Was passiert, wenn nichts passiert?« . . . . . . . . . . 46 2.1 Lösungen von gestern – Probleme von heute? . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.2 »Gleichbehandlung«: Gleichheit und Gerechtigkeit unter Geschwistern und deren Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.3 »Zerstörung der Konsensfiktion«: Offenlegung von Unterschieden und Gesichtsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.4 »Lernfalle«: Es hatte doch immer funktioniert . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.5 »Musterwechsel«: Übergang von der operativen Familie zur Gesellschafterfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.6 »Stammesdenken«: Wer Gleichheit sät, riskiert, Ungleichheit zu ernten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.7 »Sinnverlust«: Ein Börsengang und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.8 »Postpatriarchale Lähmung«: Keiner darf Macht haben . . . . . . . . . 63 2.9 »Gesellschafterkompetenz«: Wer erfüllt die Anforderungen an Gremienarbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.10 Eine der wichtigsten Fragen: Was passiert, wenn nichts passiert? 68

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Inhalt

III Wittener Theorie der Unternehmerfamilie 3  Die unmögliche Verbindung von Familie und Unternehmen . . . . . . . . 72 3.1 Familie und Unternehmen passen eigentlich nicht zusammen! . . 72 3.2 Drei »Kreise«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.1 Drei Kreise und vier Schnittmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.2.2 Ein rollentheoretisches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.2.3 Der systemtheoretische Blick: drei Erwartungskontexte gleichzeitig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.3 Paradoxie und Paradoxiefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.3.1 Logische und pragmatische Paradoxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3.2 Pragmatische Paradoxien in Familienunternehmen . . . . . . . 89 3.3.3 Paradoxiefreundlichkeit, Paradoxietoleranz und Paradoxiebewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4  Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie . . 94 4.1 Die Theorie der Unternehmerfamilie: eine Prozesssicht . . . . . . . . . 94 4.2 Unlösbar: Paradoxien und Oszillationen in der Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4.3 Die Unternehmerfamilie als »verdoppelte Familie« – eine Kippfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.4 Ein anderes Drei-Kreise-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.5 Die Kernparadoxie der Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.6 Familienstrategie als Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV Familienstrategische Kernfragen 5 Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 5.1 Die Paradoxie von Zugehörigkeit und Selektivität . . . . . . . . . . . . . . 112 5.2 Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5.2.1 Zugehörigkeit/Ausschluss als kritische Unterscheidung . . . 118 5.2.2 Fragen zur Zugehörigkeit an die Familie und an die Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.2.3 Antworten der Familie als Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . 122 5.3 Strukturen, die Zugehörigkeit sicherstellen: Kontakt, Information, Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.3.1 Familientreffen und Familientage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.3.2 Die Beziehung zu Teilen der Familie, die nicht (mehr) Unternehmerfamilie sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Inhalt

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5.3.3 Spezifische Gruppierungen im Rahmen der Family Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5.3.4 Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5.4 Zugang zu Positionen und Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.4.1 Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.4.2 Die Besetzung operativer Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.4.3 Zugang zu Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5.5 Die Handhabung von Stammesgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6  Legitimation: Entscheide, ohne zu entscheiden! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.1 Gerechtigkeit – ein Kernthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.2 Von »Outcome based« zu »Process based« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6.3 Vermeide den Eindruck von Willkür! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6.4 Paradoxiefreundliche Praktiken der Legitimierung . . . . . . . . . . . . . 174 6.4.1 Erzeugung von Selbstverständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6.4.2 Überführung von Entscheidungen in Gesprächsprozesse 178 6.4.3 Metakomplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.4.4 Externalisierung: Familie entscheidet nicht über Familie 182 6.5 Wahl nach Köpfen oder Anteilen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.6 Vier übergeordnete Legitimationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7  Mentale Modelle bewusst handhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7.1 Vier Arten, die Beziehung zwischen Unternehmen und Familie zu denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7.1.1 Die patriarchale Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7.1.2 Die Logik der operativ tätigen Unternehmerfamilie . . . . . . . 199 7.1.3 Die Logik der aktiven Eigentümerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7.1.4 Die Logik der Investorenfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7.1.5 Auf einen Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 7.2 Herausforderungen in postpatriarchalen Strukturen . . . . . . . . . . . 208 7.2.1 Der Schatten des Patriarchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 7.2.2 Inverse Machtkämpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 7.2.3 Die Rolle von Ehepartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 7.3 Entscheidungsprozesse: von der Orientierung an Personen zur Orientierung an Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 7.4 Wandel eines Mentalen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 8  Wozu das Ganze? Generationsübergreifender Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

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Inhalt

V Entwicklung einer Familienstrategie 9 Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 9.1 Auf dem Weg zu einer Familienstrategie: zwölf Themenfelder . . . 230 9.1.1 Themenfeld 1: Bekenntnis zum Familienunternehmertum .236 9.1.2 Themenfeld 2: Definition von Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 9.1.3 Themenfeld 3: Werte und Ziele für Unternehmen und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 9.1.4 Themenfeld 4: Rolle und Funktion der Mitglieder der Familie im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 9.1.5 Themenfeld 5: Rolle und Funktion der Mitglieder der Familie als Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 9.1.6 Themenfeld 6: Installation von Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 9.1.7 Themenfeld 7: Information, Kommunikation und Verhalten .263 9.1.8 Themenfeld 8: Krisenprävention und Konfliktmanagement .268 9.1.9 Themenfeld 9: Ausschüttungspolitik und Vermögensstrategie 272 9.1.10 Themenfeld 10: Vorhandenes Familienmanagement-System .275 9.1.11 Themenfeld 11: Der Aufbau von Gesellschafterkompetenz .278 9.1.12 Themenfeld 12: Regeln zur Einhaltung und Veränderung von Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 9.2 Vom Familiendokument zur gelebten Familienstrategie . . . . . . . . 286 9.3 Familienstrategische Entwicklungsaufgaben in Abhängigkeit vom Mentalen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 9.3.1 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell der patriarchalen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 9.3.2 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer operativ tätigen Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . 290 9.3.3 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer aktiven Eigentümerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 9.3.4 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer Investorenfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 9.4 Familienstrategie als Daueraufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

Geleitwort

Die Bedeutung von Familienunternehmen in westlichen, aber auch asiatischen Gesellschaften ist unumstritten. Sie gelten als das vielbeschworene Rückgrat der Wirtschaft – und das zu Recht. Denn die mit dem Unternehmen verbundene Familie steht für eine besondere Art des Wirtschaftens. Die Erzielung von Gewinn steht für sie nicht an erster Stelle, sie erwartet vielmehr die langfristige Sicherung des Unternehmens als Familienunternehmen und dass ihr mit dem Unternehmen verbundener »guter Name« sich auch in der Form zeigt, wie unternehmerisch agiert wird. Familienunternehmen achten darauf, dass die unternehmerischen Ziele mit den Familienwerten vereinbar sind. Das Management wird oft an den Willen der Familie gebunden, das Unternehmen soll zum Wohle der Gesellschaft tätig sein, was beispielsweise Waffen- oder Suchtmittelgeschäfte ausschließt. Zudem sieht die Familie sich in vielfacher Hinsicht in einer gesellschaftlichen Verantwortung, erkennbar etwa an der Übernahme sozialer Aufgaben, an der Verpflichtung gegenüber der Mitarbeiterschaft oder daran, dass die Region, in der das Unternehmen seinen Sitz hat, für die Familie oft wichtiger ist als schnelle Gewinne, die sich zum Beispiel aus einer Geschäftsfeldverlagerung ins Ausland ergeben können. Damit die Familie diese Aufgaben erfüllen kann, vor allem angesichts wachsender Komplexität des Unternehmens und steigender Zahl der Familienmitglieder, braucht es Strukturen, die den Einfluss, die Kontrolle und die Stimme der Familie im Unternehmen vernehmbar machen können. Solche Strukturen wurden in der Vergangenheit dann entwickelt, wenn die Situation es erforderte. Manchmal kamen derartige Entscheidungen spät oder zu spät und nicht immer bewährten sich die jeweils gefundenen Lösungen auch über Generationen hinweg. Heute befasst man sich systematischer mit den Fragen, die sich im Verlauf der gemeinsamen Entwicklung von Unternehmen und Familie stellen. Es hat sich etabliert, hier von Familienstrategie zu sprechen.

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Geleitwort

Familienstrategie geht alle an. Von dem Moment an, in dem ein Gründer darüber nachdenkt, wie er das Unternehmen in die nächste Generation weitergeben könnte, geht es um die Frage, wie die Familie langfristig ihren Einfluss auf und ihre Gestaltungskraft für das Unternehmen festigen kann. Doch vielfach sind die Familien bei der Bewältigung dieser Aufgaben auf sich selbst gestellt. Es gibt Hilfestellungen, etwa den Kodex für Familienunternehmen, der auf den Erfahrungen von Familienunternehmern, Wissenschaftlern und Beratern aufbaut, es gibt Ratgeber und entsprechende Beratungsangebote mehren sich. Doch nach wie vor sind theoretisch fundierte, qualitative und systematische Forschungen zu diesem Themenkomplex selten. Dabei braucht es gerade diese tiefen Einblicke in die Vielfalt der Problemlagen und der gefundenen konkreten familienstrategischen Maßnahmen. Denn nur wenn man die sensiblen Dynamiken im Zusammenspiel von Familie und Unternehmen richtig versteht, kann man ihnen mit angemessenen Regelungen auf eine Weise begegnen, die als Unterstützung und nicht als Gängelung und Begrenzung erlebt wird. Diese Dynamiken zeigen sich in jeder Unternehmerfamilie anders und einzigartig – es gibt keine allgemein gültigen Standardlösungen. Die in diesem Buch vorgestellten Forschungen beruhen auf den Erfahrungen vieler unterschiedlicher Unternehmerfamilien. Mit diesen Familien steht das WIFU, das Wittener Institut für Familienunternehmen, schon lange in engem Austausch. Das Unternehmen, aus dem ich stamme, die Firma Merck in Darmstadt, war an einigen dieser Projekte maßgeblich beteiligt. Wir haben die Zusammenarbeit als sehr gewinnbringend erlebt, die familienstrategischen Regelsysteme unserer Familie wurden im Rahmen der Projekte immer wieder reflektiert, auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt. Wenn nun die Ergebnisse von über 15 Jahren zielgerichteter und origineller Forschung des WIFU zu diesem Themenfeld vorgelegt werden, dann ist zu erwarten, dass hier die Praxis der Familienstrategie kompetent reflektiert und in ein theoretisch überzeugendes Rahmenkonzept gebracht wird. Als direkt Betroffener kann ich sagen, dass mir die hier veröffentlichten Überlegungen nicht nur ganz unmittelbar einleuchten, sondern dass sie für mich auch von großer Relevanz sind – und das, obwohl, oder gerade weil hier keine konkreten Vorschläge gemacht und auch keine Anleitungen aufgezeigt werden, »wie man’s machen muss«. Es wird eine empirisch fundierte, theoriegestützte Heuristik angeboten, die erlaubt, darüber nachzudenken, was man da eigentlich tut, wenn man familienstrategische Schritte geht – und die damit eine entscheidende Unterstützung bietet. Mitglieder aus Familienunternehmen jeder Größenordnung werden diesen Text mit Gewinn lesen. Und auch Leserinnen und Leser aus Wissenschaft und

Geleitwort

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Beratungspraxis finden hier weit mehr als nur ein Handwerkszeug, nämlich eine Anleitung, wie das Verhältnis von Familie und Unternehmen immer wieder neu zu denken ist. Hier werden keine allgemeinen richtigen Lösungen angeboten, sondern ein Denkmodell, das hilft, die für die jeweilige Familie passenden Wege zu entwickeln. Wer immer aus diesen Personenkreisen dieses Buch zur Hand nimmt, wird es mit Neugier und Engagement – und mit Gewinn – lesen! Prof. Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp, Vorsitzender des Vorstandes und des Familienrates der E. Merck KG

Vorwort

Dieses Buch ist ein Buch über Family Governance und Familienstrategie. Mit diesen Begriffen fassen wir die vielfältigen Anstrengungen von Familien zusammen, die im Besitz eines Unternehmens sind und die entschieden sind, dieses über lange Zeit, zum Teil über viele Generationen, erfolgreich in Familienhand zu halten. Welche besonderen Aufgaben und Anstrengungen kommen auf eine Familie zu, wenn sie über eines oder mehrere Mitglieder ein Unternehmen selbst führt oder langfristig als Eigentümerin entscheidende Partnerin für die externe Unternehmensführung ist? Wie gelingt es, ein Unternehmen strategisch erfolgreich am Markt zu positionieren, das Vermögen zu mehren und zugleich dafür zu sorgen, dass die Familie friedlich und glücklich zusammenlebt und nicht an den Aufgaben, oder auch an Neid, Missgunst und Streit zerbricht? In diesem Buch sind die Erfahrungen, die wir Autoren in unterschiedlichen Funktionen am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke gemacht haben, zusammengefasst. Die Frage danach, wie Langlebigkeit gelingt, hat das Institut seit seiner Gründung 1998 beschäftigt. Ein erstes großes Projekt des Instituts befasste sich genau damit: was sind die Erfolgsmuster, die es möglich machen, dass Familienunternehmen über mehrere Generationen in Familienbesitz bleiben, zum Nutzen sowohl des Unternehmens als auch der Familie (Simon, Wimmer u. Groth, 2005)? Langlebigkeit stand auch im Mittelpunkt eines zweiten größeren Projekts, das einen Überblick darüber geben sollte, wie die großen und langlebigen Unternehmen (hundert Jahre und älter) in Deutschland vom Unternehmen und von der Familienseite her aufgestellt sind (Plate, Groth, Ackermann u. von Schlippe, 2011). In dieser Tradition steht nun auch dieses Werk. Neben den Vorgängerprojekten fließen hier Erfahrungen aus vielen forschenden und praktischen Zusammenhängen ein. Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang noch ein Projekt, das in diesem Buch eine besondere Rolle spielen soll. Zwischen 2011 und 2014 haben wir mit

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Vorwort

Vertretern von zwölf großen und erfolgreichen Familienunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum in einem Forschungsprojekt Fragen zur Unternehmensführung und zum Familienmanagement diskutiert. Diese Treffen folgten der Logik der Aktionsforschung (genauer dazu in Kapitel 1.4), d. h. es ging nicht um die möglichst objektive Beobachtung eines invarianten Forschungsgegenstands, sondern um die Initiierung einer gemeinsamen Lernreise, in der Forscher und Beforschte sich gemeinsam mit den sozialen Praktiken zu einer Fragestellung auseinandersetzen. Ziel ist hier also, dass der sogenannte Gegenstand sich durch die Forschung gerade verändert und entwickelt, dass also Akademiker und Praktiker ihr Wissen gemeinsam vergrößern. Ein solcher Prozess impliziert eine Kultur gemeinsamer Auseinandersetzung und gemeinschaftlicher Suche nach Verstehen und Verständnis. In insgesamt neun anderthalbtägigen Workshops stellten die jeweils für die Familienstrategie bzw. das Familienmanagement verantwortlichen Personen einander sehr offen die konkreten Praktiken vor, wie in ihrem »Haus« das Verhältnis von Familie und Unternehmen gehandhabt wurde. Auch kritische Punkte, Konflikte und »aktuelle Baustellen« wurden nicht ausgespart. Anschließend wurde das Vorgestellte kritisch reflektiert: In der in Kapitel 1.4 genauer beschriebenen Methode des Einsatzes reflektierender Positionen werden Beobachter und Betroffene aufgefordert, sich separat in einen Kreis zu setzen und sich nach bestimmten Gesprächsregeln miteinander zu unterhalten, während der Rest der Gruppe zuhört. Auf diese Weise entsteht ein Reflexionsraum, der viel mehr Möglichkeiten zum freien Nachdenken und Assoziieren bietet, als wenn die jeweilige Darstellung in einer anschließenden Diskussion zerpflückt und durch unfreiwillige »Co-Referate« (»Sie sollten das so und so machen! Also bei uns hat sich das und das sehr bewährt …!«) verwässert werden würde. Erst nach dieser Reflexion wurde dann jeweils die Diskussion im Gesamtkreis eröffnet, die ebenfalls sehr fruchtbar und intensiv verlief. Alle Gespräche wurden aufgezeichnet und zusammen mit vorab geführten Einzelinterviews ausgewertet. Schrittweise entstand so eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens, die im Laufe des Projekts immer mehr wuchs. Aus der Bereitschaft, einander Einblick in sehr intime Themenstellungen der Familienstrategien zu gewähren, entwickelten sich neue Freundschaften. Arbeitsgruppen, die aus Vertreter/-innen ähnlich großer und komplexer Unternehmerfamilien bestanden, arbeiteten unabhängig vom Projekt an ihren jeweiligen Themenstellungen weiter (und tun dies bis heute). Vielfach wurde das familienstrategische Regelwerk noch einmal einer genauen Prüfung unterzogen bzw. in einigen Fällen wurde sein Aufbau überhaupt erst systematisch in Angriff genommen. Die Begriffe Family Governance, Familienstrategie und Familienmanagement sind nicht sehr trennscharf, die Feinheiten der Begriffsdifferenzierung werden im ersten Kapitel (1.3) diskutiert. Zu Beginn nur so viel: Family Gover-

Vorwort

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nance wird als Oberbegriff verstanden, der die beiden anderen beinhaltet: Familienstrategie umfasst alle bewussten Überlegungen und Reflexionen, wie die Verbindung von Familie und Unternehmen langfristig konstruktiv gesichert werden kann, während Familienmanagement die Umsetzung dieser Überlegungen im familiären Alltag beschreibt. Allen gemeinsam ist eine Kernaufgabe: die Wahrung der Entscheidungsfähigkeit für das Unternehmen sicherzustellen. Ebenfalls werden wir uns zu Beginn damit befassen, dass es Family Governance und die damit verbundenen Vorgänge eigentlich schon lange gab, ehe die Begriffe dafür zur Verfügung standen. Denn um Besitztümer zu bewahren und um Reibungsverluste, die ja bis hin zu Blutverlusten gingen, zu mildern, haben sich über Jahrhunderte Praktiken herausgebildet, die in ihren Grundformen heute im Erbrecht und damit in Nachfolgeregelungen ihren Niederschlag finden. Adelshäuser hatten Hausgesetze ausgebildet und festgelegt, wie im Nachfolgefall zu verfahren ist. Diese Überlegungen wurden in verschiedenen Formen gesellschaftliche Realität. In der Goldenen Bulle wurde das Verfahren der Kaiserwahl durch die Kurfürsten niedergeschrieben, die Lex Salica traf Aussagen zur rein männlichen Nachfolge, und die Höfe-Ordnungen sahen viele unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Formen der Weitergabe von Besitztümern vor. Interessant ist auch aus heutiger Sicht die Bandbreite gefundener Lösungen. In allen Praktiken spiegelt sich ein Widerspruch, der sich als eine wesentliche familienstrategische Paradoxie durch dieses Buch ziehen wird: Was sind Kriterien der Gerechtigkeit, Richtigkeit und Angemessenheit? Ist es richtig, gerecht, angemessen, legitim, wenn man zum Wohl der übergeordneten ökonomischen Einheit (Königreich, Land, Betrieb) alle anderen persönlichen Belange und Schicksale diesem Primat unterordnet? Oder ist es richtig, gerecht, angemessen, legitim, wenn man zum Wohle einzelner Personen oder kleinerer sozialer Einheiten (Familien, Clans) deren Rechte und Bedürfnisse über den Erhalt der ökonomischen Einheit stellt? Mittlerweile ist die Forschung über den Umgang mit widersprüchlichen Erwartungen weiter fortgeschritten. Paradoxiefreundlichkeit und Paradoxiemanagement sind die Begriffe, die sich als roter Faden durch dieses Buch ziehen werden, sozusagen als familienstrategische Grundbegriffe, mit denen auf die erwähnte paradoxale Ausgangslage von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien reagiert werden kann: Es geht darum, mehr oder weniger intelligente Formen des Umgangs mit Paradoxien zu entwickeln, die durchaus rationaler betriebswirtschaftlicher Logik widersprechen können. Im Sinne Ortmanns möchten wir dieses Buch auch als »Plädoyer wider die fixe Idee fix und fertiger Ein-für-alle-Mal-Lösungen, als Stärkung des Sinns fürs Unvollendete« verstanden wissen (Ortmann, 2011, S. 93).

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Vorwort

Wie ist dieses Buch zu lesen? Auch wenn wir es mit einem wissenschaftlichen Anspruch geschrieben haben, soll es mehr und etwas anderes sein als ein reiner Projektbericht. Es richtet sich sozusagen in mehrere Richtungen gleichzeitig. Zum einen (und besonders) wollen wir die Praktiker aus Familienunternehmen ansprechen, denen wir – hoffentlich – Anregungen und Möglichkeiten zum Verstehen und zum Gestalten der Situation im eigenen Familienunternehmen bieten. Ähnlich, stellen wir uns vor, können Berater, die Mitglieder aus Unternehmerfamilien bei diesen Aufgaben unterstützen wollen, von dem Buch profitieren. Und last, not least richtet sich unser Werk natürlich auch an die Scientific Community, der wir unsere Projekte und die daraus abgeleiteten theoretischen Überlegungen vorstellen wollen. Denn dieses Buch sehen wir als einen Markstein auf dem Weg zu dem Ziel, das das WIFU seit seiner Gründung verfolgt: eine umfassende Theorie der Unternehmerfamilie vorzulegen. Leserinnen und Leser finden daher in dem Buch eine Mischung aus Theorie, Forschungsergebnissen und Handlungsempfehlungen. Einige der Kapitel haben wir bewusst essayistisch verfasst (etwa Kapitel 2, das Szenarien fehlender oder fehlgelaufener Familienstrategien skizziert), andere bewusst theoretisch gehalten – wir haben uns durchgehend bemüht, auch komplexere Sachverhalte verständlich auszudrücken. Empirie kommt immer wieder in Form von Zitaten aus unseren Interviews in das Buch hinein – da es um die Inhalte geht und nicht um Mikroanalysen, haben wir diese sprachlich geglättet, sie sind aber immer authentisch.1 Wir hoffen, dass das, was wir uns vorgenommen haben, in den verschiedenen erwähnten Personenkreisen auf Interesse stößt und dass die Angesprochenen unsere Ausführungen mit Gewinn lesen werden. Wir sind uns bewusst, dass die hier zusammengetragenen Gedanken nicht ausschließlich unseren Köpfen entstammen, sondern dass sie das Ergebnis vieler Interaktionen darstellen, die wir mit Mitgliedern aus Unternehmerfamilien (aus den Projekten des WIFU wie auch aus Gesprächen mit Einzelnen und Unternehmerfamilien) erleben durften, und den Diskussionen, die wir mit den Mitgliedern des WIFU und anderen Kolleginnen und Kollegen führten. Widmen möchten wir dieses Buch jedoch den Vertreterinnen und Vertretern der zwölf Unternehmen, die sich mit uns im Rahmen des FÜG-Projekts auf eine Lernreise begeben haben, und ohne die dieses Buch nicht zustande gekommen wäre. Arist von Schlippe, Torsten Groth, Tom A. Rüsen 1

In einigen hervorgehobenen Aussagen haben wir dagegen Äußerungen frei zusammengefasst (besonders in Kapitel 2). An den entsprechenden Stellen wird noch einmal darauf hingewiesen.

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Einführung

In diesem Kapitel werden die Grundfragen, die wichtigsten Begriffe und Konzepte eingeführt, mit denen wir es in diesem Buch zu tun haben. Wir starten aus einer historischen Perspektive mit der Frage, welche unterschiedlichen Formen der Eigentumsweitergabe sich bereits seit Jahrhunderten entwickelt haben. Auf diese Weise versuchen wir ein zentrales Dilemma zu bearbeiten, das sich in allen Gesellschaften stellt, die sich um biologische Verwandtschaft und um Privateigentum herum entwickelt haben (und das trifft auf die meisten Gesellschaften zu): Sollte und wenn ja, wie sollte erworbenes Eigentum innerhalb der Familie weitergegeben und dabei zugleich geschützt werden? Die Gesellschaft hat für diese wichtige Fragestellung in früheren Zeiten zahlreiche, eher starre Regeln zur Verfügung gestellt, die uns heute mit Recht nicht mehr angemessen und ungerecht erscheinen, wie das Erstgeborenenrecht oder der Ausschluss weiblicher Nachkommen von der Erbfolge. In der modernen Gesellschaft gelten diese Regeln als überholt, doch mit ihrem Verschwinden wird die Aufgabe der Konfliktlösung wieder zurück in die Familie verlagert. Die Frage, wie erfolgreiche Unternehmerfamilien der Gegenwart diese Konflikte lösen und gelöst haben, rückt in Kapitel 1.4 »Langlebigkeit als Forschungsaufgabe« in den Blick: Wie gelingt es Familien, die zum Teil massiven Spannungen zu bearbeiten, die sich aus der Doppelaufgabe ergeben, möglichst gerechte Lösungen für ihre Mitglieder zu finden und ein Unternehmen erfolgreich zu führen?

1  Familienstrategie über Generationen

Eine Unternehmerfamilie ist eine besondere Art von Familie, zumindest in unserer Kultur und in heutiger Zeit, denn sie unterscheidet sich vom Typus der privatisierten Kleinfamilie, der für die gesellschaftliche Gegenwart so prägend ist. In der geschichtlichen Entwicklung haben sich Familien- und Haushaltsstrukturen vielfach gewandelt. Mit der Trennung von Familie und gewerblicher Produktion im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts ist die Arbeit aus der Familie »ausgewandert« (Tyrell, 1976). Im heutigen gesellschaftlichen Zusammenleben steht die Familie für Privatheit und wird als schützender Rückzugsraum gegenüber den Anforderungen der Gesellschaft angesehen. Familienleben und Arbeitswelt sind weitgehend getrennt, das Familienleben steht der unpersönlichen Arbeit als Gegenwelt gegenüber (Gestrich, Krause u. Mitterauer, 2003, S. 391; s. a. Mitterauer, 2009). Bei Unternehmerfamilien ist es jedoch anders, hier ist die Arbeit vielfach noch unmittelbar mit der Familie verbunden. Die Forschung zu Familienunternehmen, die vorwiegend betriebswirtschaftlich ausgerichtet ist, hat diese Problematik bislang nur wenig aufgegriffen. Die Unternehmerfamilie wurde als besonderer Typ Familie eher wenig erforscht, wie etwa eine Untersuchung von Zachary (2011) zeigt (siehe auch die Kritik von Dyer, 2003). Zugleich wird die Rolle der Familie für das Unternehmen jedoch immer wieder hervorgehoben. Die Familie wird als besondere Ressource für das Unternehmen verstanden, das durch sie einen besonderen Wettbewerbsvorteil hat, gleichzeitig wird auf das Potenzial der Familie hingewiesen, im kritischen Fall das Unternehmen durch interne Konflikte zu irritieren, ja zu zerstören. Dabei stehen materielle und immaterielle Werte gleichermaßen auf dem Spiel, denn: »Der größte Wertvernichter in Familienunternehmen ist der Streit« (Hennerkes, 2004, S. 58).

Familienstrategie über Generationen

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1.1  Familienstrategie gab es eigentlich schon immer Die Herausforderungen, die in diesem Buch vertieft behandelt werden, stellen sich nicht allein für Unternehmerfamilien, die über Generationen ein Unternehmen am Leben halten wollen. Zieht man den zeitlichen und thematischen Rahmen weit über heutige Formen des Unternehmertums hinaus, geht es um grundsätzliche Fragen des Erhalts und der Weitergabe von Land und Besitz innerhalb einer Familie bzw. einer Blutlinie. So betrachtet, ist das uns interessierende Thema Familienstrategie – auch wenn es den Begriff früher nicht gab – ein altbekanntes, einem mit dem sich Königs- und Adelshäuser, Clans und Stämme, später auch das Bürgertum und Landwirte beschäftigt haben (siehe auch Felden u. Hack, 2014, S. 5 ff.; Gestrich, Krause u. Mitterauer, 2003; Weber-Kellermann, 1981). Im Zeitverlauf wurden die gefundenen Lösungen immer wieder auf ihre Tragfähigkeit und Legitimation hin getestet. Daher wollen wir einleitend mit einem kurzen Blick auf früher gängige Formen dynastischer Sicherungsstrategien beginnen. Das Charakteristikum einer Dynastie ist das Bestreben zunächst eines Herrschergeschlechts, später, wie gesagt, auch anderer Klassen, Besitztümer in eigener (Bluts-)Linie weiterzugeben und auf diese Weise Macht, Einfluss und Vermögen über Generationen zu sichern. In vorindustrieller Zeit war dies Bestreben hauptsächlich an Ländereien und Titel geknüpft. Diesbezüglich finden wir eine enge Verbindung zwischen den Nachfolgestrategien europäischer Herrscherhäuser und familienstrategischen Regelungen in Familienunternehmen des 21. Jahrhunderts. Beispiele für unzureichende und misslingende Regelungen gibt es zahlreiche in der Geschichte. Unter ihren Folgen hatten viele tausende Menschen und große Landstriche zu leiden. Die Landkarte Europas zeigt noch bis heute die Grenzziehungen, die das Ergebnis von mit großem Leid und Blutzoll bezahlten Lösungen für Erbkonflikte waren. Am Beispiel Karl des Großen lässt sich das Sprichwort: »Der Erste erstellt’s, der Zweite erhält’s, beim Dritten zerfällt’s!«2 fast bilderbuchmäßig nachvollziehen. Denn sein Reich zerfiel vor weit über 1.000 Jahren in den heftig geführten Erbkriegen seiner Enkel (Riché, 1991, S. 201 ff.). Schon vorher hatte Karl, dem eine gelingende Nachfolge sehr wichtig war, mit der »Divisio Regnorum« des Jahres 806 ein Vermächtnis aufgesetzt – eventuell war dies das erste familienstrategische Dokument der Geschichte. Er, der mit insgesamt fünf Frauen verheiratet war, setzte seine drei Söhne als Erben und 2 Was übrigens unseres Erachtens für Familienunternehmen in der Form nicht zutrifft (vgl. auch Felden u. Hack, 2014).

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Nachfolger ein: Schon damals stellte sich offenbar die Frage, ob alles in einer Hand bleiben solle (was das Eigentum besonders schützt) oder gleichermaßen auf die männlichen – in der damaligen Logik waren so wenigstens 50 % des Problems gelöst – Nachkommen aufzuteilen sei (was eher der familiären Logik entspricht). Karl entschied sich für die familiäre Logik. Da zwei seiner Söhne schon zu Karls Lebzeiten starben, fiel die Kaiserwürde an den dritten, Ludwig den Frommen. Doch diesem gelang es bereits zu seiner Zeit nicht mehr, die vom Vater erdachte Nachfolge erfolgreich zu meistern. Karl hatte wohl selbst Bedenken, ihm die Macht ganz zu übergeben und setzte zeitweise seinen Enkel, den Sohn seines Erstgeborenen, als König über Teile des Landes ein. Das eigentliche Problem dürfte jedoch (wir wollen hier nicht zu tief einsteigen) gewesen sein, wie Ludwig der Fromme mit der Nachfolgeregelung verfuhr: Er hatte drei Söhne aus erster Ehe und einen aus der zweiten. Seine zweite Frau Judith, so wird erzählt, habe ihn sehr gedrängt, die Nachfolge, die ursprünglich die drei älteren Söhne Ludwigs begünstigte, zu Gunsten ihres Sohnes (später wurde er »Karl der Kahle« genannt) zu ändern. Daraufhin zogen die älteren Söhne gegen ihren Vater zu Felde. Der Kampf mündete in dessen Absetzung, doch bekriegten sich die Brüder kurz danach auch untereinander. Nach vielen Jahren voller Turbulenzen trafen sich im Jahr 843 die drei verbliebenen Enkel Karls (Lothar, Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche) und teilten im Vertrag von Verdun das Reich unter sich auf. Es war Frieden, doch die Einheit des karolingischen Reichs war endgültig auseinandergebrochen. Die Klage eines Dichters passt vielleicht auch auf das Ende so mancher großer Unternehmen der Gegenwart, die im Familienzwist zerfallen: »das geeinte Reich ist jetzt dreifach geteilt. Schon gilt dort keiner mehr als ein Kaiser, an die Stelle des Königs trat ein Zaunkönig, und Trümmer ersetzen das Gesamtreich« (Riché, 1991, S. 205). Schon in diesem kurzen historischen Ausflug zeigt sich eine Kernfrage, die sich durch das Buch ziehen wird. Wie bringt man zwei Vorhaben zusammen, die nur schwer zu vereinen sind: die Berücksichtigung der Interessen und Erwartungen jedes einzelnen Nachfahren und das Bestreben, den Besitz in seiner Gesamtheit zu erhalten? Das eine Vorhaben ist eher der familiären Rationalität und sozial orientierten Interessenlogik zuzuordnen, das andere folgt stärker einer ökonomischen Rationalität und Machtlogik. Beide sind auszubalancieren, wenn es darum geht, den Bestand der Familie und die Sicherung bzw. Mehrung des Besitzes im Blick zu behalten – offenbar gelingt dies jedoch nie ganz befriedigend. In der Geschichte finden sich ebenso (Familien-)Strategien, die eher den Erhalt des Ganzen im Blick haben, wie auch solche, die stärker auf die Gleichbehandlung aller Nachfahren fokussieren – was oftmals zu (Real-)Teilungen führte. In den meisten der beobachtbaren Praktiken spiegelt sich dieser Widerspruch:

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Was sind Kriterien der Gerechtigkeit, Richtigkeit und Angemessenheit in dem einen wie in dem anderen Feld und wie bringt man beides zusammen? Agiert man zum Wohl der übergeordneten ökonomischen Einheit (Königreich, Land, Hof) und ordnet alle anderen persönlichen Belange und Schicksale dem unter, oder agiert man zum Wohl einzelner sozialer Einheiten (Familien, Clan) bzw. der Einzelpersonen und stellt deren Rechte und Bedürfnisse über den Erhalt der ökonomischen Einheit? Historisch lassen sich »in Europa große Regionen gleichen Erbrechts unterscheiden, zum Teil konnten die Gewohnheiten allerdings auch sehr kleinräumig von Herrschaft zu Herrschaft wechseln« (Gestrich et al., 2003, S. 393). Es haben sich jedenfalls keine eindeutigen Lösungen herausgebildet, ein Indiz dafür, dass es hier nicht um richtige oder falsche Umgangsweisen mit dem Problem geht, sondern dass sich viele Formen als überlebensfähig erweisen, wenn auch oft um einen hohen Preis. Die zerstörerischen Konflikte jedenfalls, das heißt die Erbfolgekriege, durch die die Rechtmäßigkeit dynastischer Nachfolge sichergestellt und durch die Generationen- und Geschwisterkonflikte gewaltsam gelöst werden sollten, legen lebhaftes Zeugnis davon ab, dass sich die Fragen, mit denen sich bis heute Unternehmerfamilien beschäftigen, wohl niemals eindeutig und damit problemlos bzw. konfliktfrei beantworten lassen. Die Folgen all dieser Auseinandersetzungen wirken bis heute nach. Und so wie die Erbfolgekriege prägend für den heutigen Zuschnitt Europas waren, mussten auch bereits die frühen Unternehmerfamilien vielfältige Konflikte und »family wars« (Gordon u. Nicholson, 2008) durchstehen. Allein die Familie Fugger brachte es zwischen 1497 und 1805 auf mehr als dreihundert (!) Verfahren, in denen Familienmitglieder gegeneinander prozessierten – also ungefähr ein Rechtsstreit pro Jahr (Herre, 2005; Schneider, 2011, S. 120 f.). Mit dem aufkommenden Bürgertum wurde etwa ab dem 18. Jahrhundert die Vorherrschaft des Adels zurück­gedrängt. Das bedeutete eine massive Verbreiterung unternehmerischer Tätigkeit (Ziegler, 2000), man denke an die vielen Handwerksbetriebe unter einem Meister. War nun Besitz nicht mehr ein Privileg des Adels, so stellten sich die Probleme des Eigentumsübergangs und der Nachfolge jetzt gleichermaßen in den bürgerlichen Betrieben. Da es also offenbar keine einzig angemessenen und idealen Nachfolgelösungen bzw. Familienstrategien gibt, ist die Bandbreite gefundener Lösungen nicht verwunderlich. So findet sich zunächst unter anderem oft, aber nicht immer ein Ältestenrecht, bei dem eine Fixierung auf männliche Nachfahren besteht. Aber es gibt auch schon das Tüchtigstenrecht (Gestrich et al., 2003, S. 252), das die Frage nach Selektion und deren Kriterien mit sich bringt. Es finden sich Regelungen, nach denen Vorgänger ihre Nachfolger bestimmen (Designation), und Verfah-

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ren, in denen Wahlmänner ihren Vertreter küren. Alle diese Regelungen lösten letztlich Probleme, die im weitesten Sinne als familienstrategische gelten können. Im Mittelmeerraum sowie in Mittel- und Westeuropa lassen sich dabei insbesondere »zwei prinzipielle Systeme unterscheiden: das gleichberechtigte Erbe aller Kinder (Realteilungsrecht) und das unteilbare Einzelerbe, die im landwirtschaftlichen Bereich jeweils mit einer Teilung des Hofes oder einer ungeteilten Hoffolge (Anerbenrecht) verbunden sein konnten« (Gestrich et al., 2003, S. 3943): • Wenn auf Gleichbehandlung aller Nachfahren gesetzt wurde, zahlte man für den innerfamiliären Frieden (keiner fühlte sich zurückgesetzt) den Preis, dass die Ländereien immer kleiner wurden. Das führte zum Teil dazu, dass einzelne Räume in den kleinen Bauernhäusern mit Kreidestrichen geteilt werden mussten und die kleinsten Parzellen die Familien nicht mehr ernähren konnten: »Wo die Realteilung üblich war, führte der immer mehr zerstückelte Kleinbesitz notwendigerweise zu rückschrittlichen Formen der Agrarverfassung und damit vielfach zu Verschuldungen und einem Unvermögen, den Anschluss an die freie Wirtschaft mit ihrem freien Markt- und Geldsystem zu finden« (Weber-Kellermann, 1981, S. 151). • Wenn auf die Bevorzugung eines einzelnen Erben gesetzt wurde, sei dieser der Erstgeborene (Primogenitur, im bäuerlichen Bereich: Anerbenrecht) oder (seltener) der Letztgeborene (Ultimogenitur), stand die Sicherung der Einheit des Besitzes (meist Landstücke und Häuser) im Vordergrund. Doch zugleich zerfiel oft die Familie, wenn nicht durch Streit, so doch durch Fortzug oder gar Marginalisierung der mittellosen Geschwister: »Das brachte auch häufig Ungerechtigkeiten für die jüngeren Geschwister, besonders die Schwestern mit sich, die sich u. U. gezwungen sahen, Burschen aus dem ärmeren Handwerkerstand zu heiraten oder sogar für einige Jahre bei ihren eigenen Geschwistern zu dienen. Nicht selten resultierten von daher große soziale Unterschiede in ein und derselben Familie« (S. 151). • Eine besondere Form des Adelserbrechts bestand im Fideikommiss, wodurch der gesamte, oft sehr große Familienbesitz als unteilbar erklärt wurde. Es war eine Art Stiftungsmodell, durch das ein Besitztum der geltenden Erbregelung entzogen und als unveräußerlich erklärt wurde. Jeweils ein Familienmitglied, meist der Erstgeborene, wurde zum Nutznießer und Treuhänder des Besitzes zu seinen Lebzeiten. 1919 wurde diese Regelung als Garant überkommener adliger Sonderrechte für ungültig erklärt (Gestrich et al., 2003, S. 397). 3 Bei Gestrich et al. wird allerdings auch erwähnt, dass die realen lokalen und regionalen Verhältnisse weitaus komplizierter gehandhabt wurden und nicht unbedingt den großen Mustern folgten.

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Häufig wurde auch schon früher versucht, Mittelwege zu finden, um möglichst allen beteiligten Akteuren gerecht zu werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei im deutschsprachigen Raum die Hausordnungen. Sie können als Vorformen heutiger Familienstrategien betrachtet werden, da in und mit ihnen Fragen zur Thronfolge, allgemein zur Rechtsnachfolge und vor allem auch Fragen entweder zur Unveräußerlichkeit oder auch Teilung von Besitztümern geregelt wurden. Im Bürgertum gab es vor allem in den größeren europäischen Städten schon früh Tendenzen zur Gleichbehandlung aller Kinder. Gleichzeitig gab es in diesem Umfeld gerade bei privaten Großbetrieben und Banken das Bestreben, Erbteilungen ganz zu vermeiden, um die Firma als Ganzes zu erhalten (S. 397 f.). Die Sorge um eine zu große Zersplitterung hatte vor allem in der Landwirtschaft eine große Relevanz. Das Festhalten an Teilungsregelungen führte etwa im süddeutschen Raum zu einer Verarmung der Landbevölkerung und erhöhte den Zwang zum Wegzug bzw. – positiv betrachtet – dazu, dass der Druck, gewerblich tätig zu werden, stieg. Der sicher nur sehr unvollkommene Blick auf historische Regelungen hat gezeigt, dass die Suche danach, wie zwei zentrale Themen, die unsere Kultur seit Jahrtausenden prägen, nämlich Blutsverwandtschaft und Privatbesitz, miteinander verbunden werden können, beinahe unweigerlich in ein Spannungsfeld hineinführt, das alles andere als trivial ist und eine Daueraufgabe für die Gesellschaft als Ganzes wie für die Betroffenen selbst darstellt. Im nächsten Abschnitt wird es nun konkreter um heutige Familienunternehmen gehen und um die Frage, was das Eigentum an einem Unternehmen für die angeschlossene Unternehmerfamilie bedeutet.

1.2  Die Unternehmerfamilie als Forschungsgegenstand Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen ist in Literatur und Presse bereits vielfach hervorgehoben worden (einen Überblick bietet Wimmer, 2009). Knapp über 90 % der Unternehmen in Deutschland werden von einer Familie kontrolliert (ausführlich hierzu Stiftung Familienunternehmen, 2014). Man muss dazu sagen, dass die Zahlen zwischen 60 und 95 % schwanken, denn in verschiedenen Arbeiten werden jeweils unterschiedliche Definitionen herangezogen (Klein, 2004). Für viele Länder des westlichen Kulturkreises liegen ähnliche Zahlen vor (für die USA siehe z. B. Dyer, 2003; für die Schweiz z. B. Fueglistaller u. Zellweger, 2007). Bei einer geschätzten Anzahl von rund 2,8 Millionen Unternehmen in Deutschland (Stiftung Familienunternehmen, 2014) wird deutlich, dass Unternehmerfamilien mehr sind als vernachlässig-

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bare Sonderfälle von Familie. Wenn man sich dann noch bewusst macht, dass viele der Familien, die hinter einem Familienunternehmen stehen, als Großfamilie organisiert sind, wird deutlich, was für eine große Zahl von Menschen von den spezifischen Fragestellungen betroffen ist, die sich ergeben, wenn eine Familie in ein Unternehmen in ihrer unmittelbaren Umgebung eingebunden ist. Die Familie muss nicht nur ihr eigenes Zusammenwirken organisieren, sondern der familiäre Alltag ist in vielfacher Hinsicht eng mit den Vorgängen im Unternehmen gekoppelt. Die Vielfalt ist dabei groß. Sie reicht von Kleinstund Kleinunternehmen, in denen Familien- und Unternehmensalltag kaum zu unterscheiden sind, weil alle Familienmitglieder im Unternehmen arbeiten, bis hin zu Konzernen, in denen, wenn überhaupt, nur vereinzelt ausgesuchte Familienmitglieder operativ tätig sind oder die Familie vom operativen Geschäft sogar explizit ausgeschlossen ist. Sie nimmt im letzteren Fall nur noch aus der Mehrheitseigentümerposition heraus Einfluss, wie zum Beispiel bei dem Unternehmen Haniel. Außerdem unterscheiden sich Unternehmerfamilien allein von der Größe der Familie her enorm: Von der vierköpfigen Familie, die gemeinsam ein Restaurant betreibt, reicht das Spektrum von kleineren Gesellschaftergruppen, die an größeren Unternehmen beteiligt sind, bis hin zum manchmal weit über hundert Personen umfassenden Großfamilienkreis (Klett, 2009), der gemeinsam ein Milliardenunternehmen besitzt. Das »charakteristische Chancen- und Risikopotential« (Wimmer, Domayer, Oswald u. Vater, 2005, S. 7) von Unternehmerfamilien hat damit zu tun, dass diese Familien im Vergleich zu Nicht-Unternehmerfamilien (wir sprechen im Folgenden der Einfachheit halber jeweils von anderen Familien) mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind (zur Definition siehe das nächste Kapitel). Andere Familien sind sich selbst genug. Die Mitglieder einer Unternehmerfamilie sind dagegen gemeinschaftlich Eigentümer eines Unternehmens (in welcher genauen Form und Größenordnung auch immer), sie haben es damit immer mit drei sehr unterschiedlichen sozialen Systemen zu tun: der Familie, dem Unternehmen und dem Eigentümerkreis (das Drei-Kreise-­Modell wird in Kapitel 3.2 ausführlicher und kritisch behandelt). Daraus ergeben sich Anforderungen an die Kommunikation, die von vornherein paradox genannt werden können (vgl. Groth u. von Schlippe, 2012), denn die Familie muss, anders als sonst in Familien üblich, laufend Entscheidungen treffen und sich dazu zumindest ansatzweise organisieren. Damit kommt etwas Familienfremdes in die Familie, die sich ja eigentlich nicht explizit selbst organisiert, sondern um den persönlichen Austausch, die Beziehungen und Bindungen herum angelegt ist. Das System Familie als solches ist bestimmt von verwandtschaftlicher Bindung und emotionaler Nähe, während im System Unternehmen eher rationale Gesichtspunkte domi-

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nieren – auch wenn schon lange klar ist, dass das bei genauerem Hinsehen nicht immer der Fall ist (March u. Simon, 1958). Die Notwendigkeit, organisationsähnliche Strukturen zu bauen, Wahlverfahren und Abstimmungsprozeduren zu organisieren, wird vielfach als etwas erlebt, was den Familienfrieden stört: »So etwas brauchen wir doch nicht!«, »Das hat es doch früher nicht gegeben!« Die Frage, wie Unternehmerfamilien diese Herausforderungen beantworten, ist Ausgangspunkt dieses Buches. Es interessierte uns, die verschiedenen Formen und Regelsysteme kennenzulernen, über die diese Familien sich selbst organisieren und verwalten, welche positiven und negativen Erfahrungen sie mit den unterschiedlichen Lösungen für unlösbare Probleme gemacht haben und wie gangbar diese Lösungen im Zeitverlauf gewesen sind. Zeit ist wichtig, denn eines wird, wenn man sich mit Familien befasst, sehr schnell deutlich: Sie sind in anderen Zeitrhythmen unterwegs als etwa die schnelllebigen Organisationen in der Gegenwart. Familien bewegen sich auch in anderen Zeitrhythmen als ein Menschenleben. Prozesse in Familien umgreifen Generationen, und manchmal zeigt sich erst nach Jahrzehnten, ob eine gefundene Regelung für ein Problem geglückt oder missglückt ist. Das nachfolgende Fallbeispiel veranschaulicht dies. Ein Ende des 19. Jahrhunderts gegründetes Unternehmen war vom Vater auf seine drei Söhne zu gleichen Teilen vererbt worden, die Töchter waren – dem Zeitgeist entsprechend – ausbezahlt worden. Zugleich verfügte der Vater, dass die drei Teile vom Stimmrecht her zusammengefasst bleiben müssten und jeder der so entstandenen Stämme jeweils einen Geschäftsführer ins Unternehmen zu entsenden habe. Diese Regelung, die aus heutiger Sicht sehr klar eine sogenannte Familienlogik (»family first«) spiegelt, sorgte für eine relative Ruhe in der Familie. Sie ging einige Jahrzehnte lang sogar recht gut: Es fand sich in den Familien der drei Söhne ebenfalls jeweils ein Sohn, der die Geschäfte im Verbund mit seinen Vettern weiterführte. Erst im Übergang von der Enkel- auf die Urenkelgeneration des Gründers zeigten sich die Schwächen des Modells. Denn nun waren noch Vertreter der dritten, aber auch schon der vierten Generation zugleich im Unternehmen tätig, ihre Vorstellungen davon, wie das Unternehmen zu führen sei, gingen stark auseinander, externes Know-how wurde nicht eingekauft und die sehr divergierenden Geschäftsauffassungen nicht besprochen. Einer der Betroffenen berichtete im Interview: »Das wurde unter den Teppich gekehrt. Das wurde einfach negiert, nach dem Motto: ›Wo keine Probleme sein dürfen, gibt es auch keine‹«. In einer »Götterdämmerungssitzung« zwischen den Vettern und Onkeln wurde dann viel zu spät deutlich, dass das recht große Unternehmen sich bereits in einer dramatischen Gefährdungslage befand, die später in eine Insolvenz mündete (Rüsen u. von Schlippe, 2007, S. 368 f.). Hier zeigten sich erst im rückwärtigen

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Blick über mehrere Jahrzehnte die Schwachstellen eines Umgangs mit der Paradoxie der unterschiedlichen Gerechtigkeitslogiken von Familie und Unternehmen (die im Laufe dieses Buches noch behandelt werden), durch die die langfristige Entscheidungsfähigkeit nicht gewährleistet wurde: »Bei uns hatte keiner so richtig die Führungsrolle« (S. 373). Wie dem Fallbeispiel exemplarisch zu entnehmen ist, hat eine Unternehmerfamilie kontinuierlich einen Mehrfachauftrag zu bewältigen: Sie hat ihr Zusammenwirken als Familie bzw. Familienverbund zu organisieren und sie muss ein Unternehmen leiten, sei es persönlich durch einzelne operativ tätige Mitglieder, strategisch über das Treffen weitreichender Führungs- und Managemententscheidungen oder kontrollierend über Aufsichts- und Beiratsfunktionen. Dazu sind bei allen Entscheidungen auch noch gesellschaftsrechtliche Vorgaben und Verfahrensregeln zu beachten. Damit sind besondere Ansprüche an die Fähigkeit zum Wechselspiel von formeller und informeller Kommunikation gestellt (Waibel, 2016). Darüber hinaus erhalten nicht selten einzelne Familienmitglieder der Logik der Familie folgend besondere Beachtung, vor allem, wenn sie in Not geraten sind. Und schließlich finden auch Themen, die mit der zumeist engen Verknüpfung mit der Region zu tun haben, oder noch generellere gesellschaftliche Anliegen Eingang in die Entscheidungen. Jede dieser Aufgaben für sich genommen ist schon Herausforderung genug. Die Kunst der Family Governance – und ein Kern davon ist die Erarbeitung einer Familienstrategie und das darauf aufbauende Familienmanagement – besteht darin, über Generationen die anspruchsvollen Aufgaben zu bearbeiten, wie Familie und Unternehmen gemeinsam gute Partner füreinander sein können (Koeberle-Schmid u. Caspersz, 2013; Mustakallio, Autio u. Zahra, 2002; Suess, 2014). Im Kern lässt sich die Anforderung an das Familienmanagement hauptsächlich darauf zuspitzen, auf der einen Seite die Verbundenheit der Familie zu erhalten und auf der anderen Seite die unternehmerische Entscheidungsfähigkeit zu sichern (Wimmer, 2014). Dabei sind Kompetenzen und Strukturen gefragt, die helfen, dass beispielsweise Selektionsentscheidungen unter Familienmitgliedern so getroffen werden können, dass der Familienzusammenhalt gewahrt und man trotz wachsender Mitgliederzahl entscheidungsfähig bleibt. Alles in allem ist die Unternehmerfamilie damit als ein einzigartiger Typus Familie anzusehen. Langfristig erfolgreiche Unternehmerfamilien müssen ihre Selbstbeschreibung und damit auch ihr Selbstverständnis sowie die Entscheidungsstrukturen an dieser speziellen Anforderungslage ausrichten: »Wer meint, man sei eine ganz normale Familie mit dem ›kleinen‹ Unterschied, dass man gemeinschaftlich ein Unternehmen besitzt, verpasst die Chancen, wie sich

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eine Familie an diesem Umstand stärken kann […] und verkennt zugleich die Gefahren, die mit diesem Status verbunden sind« (von Schlippe, Groth u. Plate, 2011, S. 523).

1.3 Definitorisches In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den grundlegenden Begriffen unserer Untersuchung der Familienstrategien von Unternehmerfamilien über Generationen hinweg. Das heißt, wir erläutern zunächst einmal unser Verständnis der Begriffe, die diesem Buch zugrunde liegen, sowie den Wissensstand und Untersuchungszusammenhang, denen sich dieses Verständnis verdankt. 1.3.1  Familienunternehmen und Unternehmerfamilien Bis heute gibt es keine einheitliche Definition für Familienunternehmen, wie auch die Definition der Unternehmerfamilie nicht einheitlich ist (Litz, 1995). So wird von einigen Autoren neben dem Eigentum auch die Mitarbeit der Familie in der operativen Führung zwingend erwartet, damit von einem Familienunternehmen gesprochen werden könne. Andere sehen in einer Beteiligung von mindestens 51 % den entscheidenden Punkt. Schließlich wird auch die Möglichkeit vorgeschlagen, die Frage: »Familienunternehmen oder nicht?«, weniger als eine Entweder-oder-Frage zu behandeln, und die Familienhaftigkeit eher graduell zu bestimmen (ausführlich hierzu etwa Astrachan, Klein u. Smyrnios, 2002; Harms, 2014; Klein, 2004; Plate, 2010; Wimmer, Domayer, Oswald u. Vater, 2005; Zellweger, 2017). Die Unstimmigkeit hinsichtlich der Definition ist ein großes Problem für die Forschung (Harms, 2014), vor allem in Bezug auf die Vergleichbarkeit der Studien, da sich manchmal die Befunde je nach Definition sogar in ihr Gegenteil verkehren können (Hack, 2009). Dieses Dilemma können auch wir hier nicht lösen. In diesem Buch schließen wir uns der Definition von Wimmer et al. (2005) an, in der von dem bestimmenden Einfluss, den die Familie auf der Basis von Eigentümerschaft auf ein Unternehmen hat, ausgegangen wird (S. 6 f.). Dies ist eine bewusst weit gefasste Definition, die eine große Vielfalt von Möglichkeiten umspannt, wie die jeweilige Familie mit ihrem Unternehmen, unabhängig von dessen Größe, verknüpft ist: Die Stimme der Eigentümerfamilie kann über aktive operative Mitarbeit an den verschiedensten Stellen im Unternehmen genauso wie über die aktive Tätigkeit in einem Überwachungs- und Kontrollgremium vernehmbar gemacht werden.

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    Definitionen   Von einem Familienunternehmen sprechen wir, wenn es sich ganz oder teilweise im Eigentum einer oder mehrerer Familien- bzw. Familienverbände befindet. Diese bestimmt bzw. diese bestimmen aus einer unternehmerischen Verantwortung heraus die Entwicklung des Unternehmens maßgeblich, entweder aus einer Führungs- oder aus einer Aufsichtsfunktion bzw. aus beiden Funktionen heraus. Wenn sie nicht in der Führung vertreten ist, versteht sich die Familie als Partner des Unternehmens, vor allem in der unternehmerischen Strategieentwicklung. Rechtsform und Größe des Unternehmens spielen in dieser Definition keine Rolle, es erfolgt also keine Gleichsetzung von Familienunternehmen mit den KMU (Definition der Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen laut EU-Kommission). Das transgenerationale Moment ist für Familienunternehmen essenziell. Ein Unternehmen wird dann zum Familienunternehmen, wenn der Wille erkennbar ist, es in welcher Form auch immer (konzentrierte oder aufgeteilte Eigentümerschaft, Führung) in die nächste Generation zu übergeben. Start-ups oder eigentümergeführte Unternehmen sind in diesem Sinn allein noch keine Familienunternehmen (in Anlehnung an WIFU, 2016). Von einer Unternehmerfamilie sprechen wir, wenn eine abgrenzbare ­Grup­pe von Menschen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander steht (bezogen auf ein konkretes Ursprungspaar, meist die Gründer, durch die die Grenzen der Familie bestimmt werden) und wenn diese in ihrer Entwicklung durch ein im Eigentum einzelner, mehrerer oder aller Familienmitglieder befindliches Unternehmen geprägt wird. Diese Gruppe muss nicht in einer Hausgemeinschaft zusammenleben, sie definiert sich vielmehr über die Zugehörigkeit zu der Gruppe der Abkömmlinge des Ursprungspaares. Die Frage, wie das Eigentum innerhalb des Familienverbandes weitergegeben wird, ist ein Thema, das die Familie beschäftigt. Die Form der jeweils gefundenen Lösung (Stammesverband, sogenannte Kronprinzenregelung, Großfamilienorganisation) ist dabei nicht bedeutsam, wenn der Wille erkennbar ist, es in welcher Form auch immer (konzentrierte oder aufgeteilte Eigentümerschaft, Führung) in die nächste Generation zu übergeben (in Anlehnung an WIFU, 2016).



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Wir wählen in den folgenden Ausführungen bewusst den Begriff Unternehmerfamilie auch für Fragestellungen, die üblicherweise durch die Gesellschafter oder den Gesellschafterkreis eines Unternehmens zu entscheiden und beurteilen sind. Hierdurch soll verdeutlicht werden, dass die hier handelnden Personen keine reinen Gesellschafter bzw. Geschäftsführer, Investoren oder Eigentümer sind, sondern durch die familiale Verknüpfung untereinander andere und zusätzliche soziale Prozesse miteinander teilen und zum Teil aushalten müssen. Um es mit den Worten eines Mitgliedes eines Fallträgers aus der Praxis auszudrücken: »Als ich ihn damals als Gesellschafter der Firma XYZ geheiratet habe, war mir nicht klar, dass ich dadurch die ganze Unternehmerfamilie mitgeheiratet habe, irgendwie. Alle nahen und nicht ganz so nahen Verwandten spielen entweder eine besondere Rolle im Familienverband oder im Umfeld des Unternehmens. So kam es auch, dass wir beispielsweise auf der Hochzeitsfeier deutlich mehr Gäste hatten, als ursprünglich geplant.« 1.3.2  Family Business Governance und Family Governance Wie bei so vielen Begriffen ist es auch bei allen hier angesprochenen so, dass man »irgendwie« versteht, was gemeint ist, so lange man den Begriff nicht genau zu definieren braucht. So gibt es schon für Governance keine einheitliche Definition, auch wenn generell die Grundsätze verantwortungsvoller Unternehmensführung darunter verstanden werden. Der Begriff Governance wird allerdings in politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen und auch in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich genutzt, die Details müssen hier nicht interessieren (Benz u. Dose, 2010). Allgemein geht es um die Steuerung komplexer Systeme, in wirtschaftlichen Zusammenhängen geht es um die Führung einer Organisation: Corporate Governance oder Business Governance (Horváth, 2015). In den letzten Jahren ist der Begriff Family Business Governance bzw. Family Governance in die Diskussion getreten (Breyer, 2015; Carlock u. Ward, 2001; Hack u. Meyer, 2012; Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015; Horvàth, 2013; Kirchdörfer u. Breyer, 2014; Kirchdörfer u. Lorz, 2011; Koeberle-Schmid u. Caspersz, 2013; Koeberle-­ Schmid, Fahrion u. Witt, 2012a; Lueger u. Frank, 2015; Mustakallio, Autio u. Zahra, 2002; Suess, 2014). Gemeint ist die gleichwertige Aufmerksamkeit auf die Handhabung von Familien- und von Unternehmensfragestellungen (siehe ­ overnance hierzu das letzte Kapitel in diesem Buch)4. In der Family Business G 4

Der 2010 erarbeitete und 2015 revidierte »Family Business Governance-Kodex« (http://www. kodex-fuer-familienunternehmen.de, Zugriff am 08.08.2016) benennt die Themen, die im Rahmen einer solchen Führung der Familie geklärt sein sollten, ohne dass dafür bereits »richtige« Antworten vorgegeben werden.

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werden Family Governance und Business Governance einander gegenübergestellt. Family Governance zielt darauf ab, Regeln für die Familie und ihren Umgang mit dem Unternehmen zu schaffen. Als zentrale Gremien werden der Familienrat/Gesellschafterausschuss und das Family Office gesehen, als zentrale Instrumente gelten Konfliktmanagement, Familienaktivitäten, Gesellschafterkompetenzentwicklung und soziales Engagement (Koeberle-Schmid, F ­ ahrion u. Witt, 2012b, S. 37 ff.). Ausführlich werden wir uns mit den zugehörigen Aspekten im Verlaufe des Buches, vor allem jedoch im letzten Kapitel befassen. 1.3.3 Familienstrategie In dem soeben besprochenen Zusammenhang taucht seit einiger Zeit der Begriff Familienstrategie auf (Baus, 2009, 2013; Carlock u. Ward, 2001; Plate, Groth, Ackermann u. von Schlippe, 2011), May spricht in dem Zusammenhang auch von Inhaberstrategie (May, 2017). Im deutschsprachigen Raum wird er als wesentlicher Bestandteil von Family Business Governance bzw. Family Governance angesehen, interessanterweise wird er im englischsprachigen Raum nicht in gleicher Weise diskutiert. Analog zum unternehmerischen Strategiebegriff geht es darum, ein mittel- und langfristiges Zukunftsbild zu entwickeln. Hier reflektiert die Familie ihr Selbstverständnis als Familie und fragt sich, wie sie langfristig dem Unternehmen als Ressource erhalten bleiben kann und will. Im Wesentlichen gehört dazu, sich kontinuierlich bewusst zu sein, dass ein Familienunternehmen eine komplexe Konstruktion aus drei unterschiedlichen Sozialsystemen mit sehr unterschiedlichen kommunikativen Logiken darstellt (ausführlich behandeln wir diese Konstruktion in Kapitel 3.2). Sachverhalte sehen aus familiärer, unternehmerischer und eigentumsrechtlicher Sicht jeweils anders aus, die sich daraus ergebenden Paradoxien müssen ständig ausbalanciert werden. Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben einer Familienstrategie, auch und gerade in Zeiten, in denen scheinbar alles problemlos läuft, mögliche Gefahren von zukünftigen Ereignissen zu erkennen. Sowohl sachlich als auch sozial handelt es sich dabei um eine doppelte Bewegung: Zum einen braucht es den Blick von oben auf die Gesamtfamilie, zum Beispiel von den für diese Frage verantwortlichen Personen (oft der Familien-CEO, Chief Executive Officer, oder der familieninterne Vorsitzende des Beirates oder des Familienrates). Zum anderen braucht es den Blick auf die Einzelpersonen mit ihren gegebenenfalls besonderen Bedürfnissen. Dazu gehören das Vorhandensein von Kommunikationsgelegenheiten und deren Nutzung, so dass die Interessen der Basis, also der einzelnen Familienmitglieder, gesehen werden und Einfluss bekommen. Die Fragen sind in beiden Fällen gleich: »Was verbindet uns? Wo wollen wir hin? Wer soll dabei welche

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Rolle spielen?« (Baus, 2013, S. 21), hinzukommt die Frage: »Was passiert, wenn nichts passiert?« (vgl. das Kapitel II »Nicht gemanagt: Evolution der Verwahrlosung«). Das heißt: Worauf läuft es hinaus, wenn wir als Familie so wie bisher weitermachen, ohne mögliche Risiken abzuschätzen? Es geht um konkrete Antworten auf Richtungsentscheidungen über das Verhältnis von Familie und Unternehmen. Die Führung von Unternehmerfamilien muss in der Lage sein, zweigleisig zu denken und zu handeln, also neben die Führung und strategische Begleitung des Unternehmens eine angemessene Führung und strategische Begleitung der Familie zu stellen. Vernachlässigungen gerade auf Seiten der Familie sind oft zu beobachten und können über lange Zeit ohne erkennbare negative Folgen bleiben – Familienmitglieder sind oft geduldig und verzeihen viel, doch können Versäumnisse später durchaus kritische oder gar existenzbedrohende Folgen haben: • Eine über Jahre geschwundene Identifikation mit dem Unternehmen kann bei den Gesellschaftern zu Desinteresse führen. Der Zerfall in Einzelinvestoreninteressen zeigt sich in einer Investorenmentalität, das heißt einer ausschließlich an Gewinnmaximierung orientierten Haltung, die in der Regel nicht mehr umkehrbar ist (Simon, Wimmer u. Groth, 2005). • Eine tiefe persönliche Enttäuschung über mangelnde Wertschätzung der eigenen Loyalität und Einsatzbereitschaft für das Unternehmen kann zu nachhaltiger Verbitterung führen, zu dem Gefühl, verraten worden zu sein. Dies geht mit dem Wegfall des Familiensinns einher. Die Akteure können zu irrational erscheinenden Verhaltensweisen neigen, die als Versuche verstanden werden können, einen Ausgleich für den erlittenen Verrat herzustellen. Derartige Handlungen stehen nicht selten mit Existenzkrisen des Unternehmens im Zusammenhang (Rüsen, 2008). • Gefühle von Empörung über als ungerecht erlebte Behandlungen oder das Empfinden, im Vergleich zu anderen Personen zurückgesetzt worden zu sein, können sich in chronisch verhärteten Geschwisterkonflikten bzw. anderen Konflikten zeigen, die oft wegen ihrer langen Geschichte und den damit verbundenen Emotionen sehr schwer aufzulösen sind (Baus, 2008; Kellermanns u. von Schlippe, 2012; von Schlippe, 2014a). Bei von Schlippe (2014b, S. 124) wird von zwei zerstrittenen Brüdern berichtet, von denen einer auf die Vorhaltung, wenn er weiter so agiere, werde er zur Zerstörung des Unternehmens beitragen, lapidar antwortete: »Na und? Dann ist endlich Gerechtigkeit da!« – die Suche nach einem Ausgleich in einer abstrakten Größe »Gerechtigkeit« war ihm jedes Opfer wert (vgl. dazu das Kapitel 6). • In großen Familien kann es zu einem Überwiegen der Partikularinteressen kommen, wenn die kleinfamilialen Strukturen stärker bewertet werden als

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I Einführung

der Zusammenhalt des Ganzen. Wenn die wechselseitige Beobachtung der verschiedenen Teilfamilien oder Stämme eine Färbung von Neid und Eifersucht auf die jeweils andere angeblich bevorzugte oder raffgierige Teilgruppe annimmt, können sich diese Missstimmungen im Laufe der Jahrzehnte zu »Family Wars« auswachsen (Gordon u. Nicholson, 2008). Das folgende Schaubild zeigt die Entwicklungsthemen und -risiken eines Familienunternehmens auf (siehe Abbildung 1). Zerfall in Ein­ zelinvestor­ interessen

Rückfall in kleinfamiliale Strukturen Großfamilie

Eigentümer Blockierun­g von Ent­schei­dungen

Wegfall des Familiensinns Unternehmen

Verlust der Innovationskraft

Verlust der Unabhängigkeit

Abbildung 1: Entwicklungsrisiken der drei Systeme (aus: Simon et al., 2005, S. 20)

Für die Erarbeitung einer Familienstrategie kann die Vermeidung der in Abbildung 1 benannten sechs Risiken eine gute erste Begründung und Orientierung sein. 1.3.4  Familienverfassung Unter einer Familienverfassung verstehen wir ein juristisch nicht bindendes Schriftstück einer Unternehmerfamilie, in dem diese ihre zentralen Leitlinien des familialen und unternehmerischen Denkens zusammengefasst hat (Kirchdörfer u. Lorz, 2011; Kormann, 2011; Lange, 2009b). Die Leitlinien können dabei neben Werthaltungen auch konkrete Definitionen, Anforderungen, Erwartungshaltungen, Vorgehensweisen und Prozessbeschreibungen einer Unternehmerfamilie umfassen. In der Praxis werden entsprechende Dokumente auch als Familiencharta, -kodex, -statut, -leitbild etc. bezeichnet. Um ihre Bereitschaft zu dokumentieren, die Charta zu akzeptieren und sich an deren Inhalte zu halten, wird ein solches Dokument von den Mitgliedern einer Unternehmerfamilie oftmals gemeinsam unterzeichnet.

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1.3.5  Familienmanagement und Family Compliance Als Familienmanagement lässt sich die konkrete Umsetzung familienstrategischer Überlegungen in Form von Handlungen und Maßnahmen in der alltäglichen Praxis bezeichnen (von Schlippe, Groth u. Plate, 2011; Wiechers, 2005). Auch hier, das wird niemanden überraschen, sind die Konturen des Begriffs alles andere als scharf. So werden die Begriffe Familienstrategie und Familienmanagement oft austauschbar verwendet. Dabei ist die Differenzierung beider Begriffe von durchaus praktischer Bedeutung, denn mit ihr werden zwei sich ergänzende Aufgaben der Selbstführung einer Unternehmerfamilie formuliert: Neben der Formulierung einer Strategie geht es darum, die Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst in den notwendigen Veränderungsbedarfen und -schritten zu managen. Die Formulierung der Strategie ist nur die eine Hälfte und vielleicht sogar die einfachere. Der Teufel steckt, wie man sagt, im Detail –, und in der Arbeit mit Familien und Familienmitgliedern ist hiermit vor allem das Gespür für Kommunikationssituationen und Befindlichkeiten von Einzelpersonen gemeint. Die besten Ideen zur Nachfolge, zu Ausschüttungen, zu Besetzungen etc. werden zunichte gemacht, wenn im Prozess der Ideengenerierung, bei der Kommunikation der Diskussionsergebnisse oder auch bei der Umsetzung der Maßnahmen Managementfehler begangen werden. Ein Aspekt des Familienmanagements ist in dem Begriff »Family Compliance« beschrieben (Rüsen, 2016). Hierunter wird in Anlehnung an das betriebswirtschaftliche Begriffsverständnis die Bereitschaft zur Einhaltung eines freiwilligen Kodex verstanden, den sich die Unternehmerfamilie gegeben hat. Oftmals ist dieser in einer Familienverfassung oder einem Familienstatut schriftlich niedergelegt (zur Problematik der rechtlichen Bindewirkung einer solchen Verfassung siehe das Kapitel 9.2). 1.3.6  Gesellschafterkompetenz Der Begriff Gesellschafterkompetenz taucht in jüngerer Zeit vermehrt auf, möglicherweise steht er in direktem Zusammenhang mit dem Rückgang patriarchaler Formen des Selbstverständnisses von Führung (ausführlich behandeln wir diesen Zusammenhang in Kapitel 7.2): In dem Maße, in dem die Konzentration von Entscheidungsmacht in einer Person geringer wird und zugleich der Kreis der Gesellschafter sich vergrößert, wachsen auch die Anforderungen an die Kompetenzen der Gesellschafter, um dem Unternehmen als kundige Gesprächspartner zur Seite zu stehen (siehe z. B. Groth u. von Schlippe, 2011; Horvath, Kirchdörfer u. von Schlippe, 2015; Rüsen, von Schlippe u. Groth, 2014). Eine

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Studie unseres Instituts zu diesem Thema konnte zeigen, dass gezielte Maßnahmen zur Ausbildung von Kompetenzen und Fähigkeiten als Gesellschafter bislang eher selten in deutschen Unternehmerfamilien ergriffen wurden (Rüsen, Vöpel, Calabrò u. Müller, 2013). Gesellschafterkompetenz umfasst sämtliche Fähigkeiten und Fertigkeiten von aktuellen und potenziellen Gesellschaftern eines Familienunternehmens zur erfolgreichen Ausübung ihrer Eigentümerfunktion sowie ihrer Rechte und Pflichten innerhalb der Gesellschafterfamilie. Darüber hinaus geht es um die Befähigung, mit bisher unbekannten Situationen in Firma und Gesellschafterfamilie erfolgreich umgehen zu können. Die Gesellschafterkompetenzentwicklung beinhaltet sämtliche Maßnahmen, die Mitglieder einer Unternehmerfamilie ergreifen, um die Aus- und Weiterbildung von Kompetenzen zu forcieren sowie die Erlangung von Fähigkeiten und Erfahrungen zu unterstützen, die ihnen bei der Wahrnehmung einer Rolle als Gesellschafter des gemeinsamen Familienunternehmens dienlich sind. In unserem Verständnis eingeschlossen sind auch Familienmitglieder der Gesellschafterfamilie, die (noch) keine Anteile am Familienunternehmen halten bzw. zentrale Erziehungsaufgaben übernehmen (Rüsen, von Schlippe u. Groth, 2014, S. 102). Wie wichtig ein kompetenter Gesellschafterkreis ist, lässt sich schnell nachvollziehen. Je nach gewählter Governance-Struktur und der in diese integrierten Mitglieder der Gesellschafterfamilie ist die Familie des Familienunternehmens potenziell an allen zentralen Entscheidungen des Unternehmens beteiligt, und zwar: • aktiv bestimmend: Aus der Familie heraus werden unternehmerisch-strategische Vorgaben an die Geschäftsführung formuliert, • aktiv zustimmend: Die Familie ist in der Lage, den Entscheidungen der Geschäftsführung zu folgen, diese kritisch zu hinterfragen und stimmt über die Vorlagen ab. Beide Funktionen werden natürlich je nach Familie sehr unterschiedlich intensiv wahrgenommen. Wenn sie allerdings fehlen, dürfte die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens in Gefahr sein. Die kontinuierliche Sorge um Gesellschafterkompetenz stellt vermutlich eine zentrale Erfolgsgröße von Mehrgenerationen-Familienunternehmen dar. Je nach Größe und Komplexität des Unternehmens und der Familie ist es hilfreich, wenn eine entsprechende Anzahl von kompetenten Mitgliedern der Gesellschafterfamilie bereitsteht, um die Geschicke des Unternehmens mitzuprägen – etwa indem sie in strategischen Fragen mit der Unternehmensführung im Gespräch stehen. Damit ein solches Gespräch mehr ist als eine undifferenzierte Einmischung in

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operative Angelegenheiten, ist ein präzises Wissen von dem, was Strategie meint, erforderlich (Kormann, 2015b). Die Fragestellungen, die sich ergeben, sind recht unterschiedlich. In einem Familienunternehmen, in dem die Geschäftsführung von einem oder mehreren aktiven Gesellschaftern unterschiedlicher Generationen übernommen wurde, sind beispielsweise ganz andere Themen zu bearbeiten, als wenn die Geschäftsführung ausschließlich aus familienexternen Managern besteht. Während im ersten Fall ein zu hohes Kompetenzgefälle zwischen aktiven und nicht-aktiven Gesellschaftern zu möglichen Problemen führt, ist eine Übernahme von Verantwortung seitens der Familiengesellschafter im zweiten Fall bei unzureichender Kompetenz auf der Gesellschafterseite vermutlich dauerhaft nicht aufrechtzuerhalten. Sofern die Familie hier nicht in der Lage ist, aufsichts- und kontrollgremientaugliche Vertreter zu entwickeln, steht sie vor dem hohen Risiko, letztlich komplett fremdbestimmt zu werden und ihrer Rolle als verantwortungsvoller Eigentümer nicht entsprechen zu können.

1.4  Langlebigkeit als Forschungsaufgabe 1.4.1  Frühere Projekte des WIFU Angesichts der skizzierten Ausgangslage ist es nachvollziehbar, die Frage zu verfolgen, wie Familien die unmögliche Aufgabe bewältigen, familiäre, unternehmerische und Eigentümerfragen dauerhaft miteinander verbunden zu halten. Familie und Unternehmen durchlaufen einen Prozess der Ko-Evolution, der dazu führt, dass sie sich wechselseitig einfärben (Simon et al., 2005; Wimmer et al., 2005): Die Familie wird unternehmensähnlicher, das Unternehmen familienähnlicher. Die Frage, wie das Management dabei jeweils mit den im Verlauf dieser Ko-Evolution über viele Jahrzehnte hinweg unvermeidlichen Entwicklungskrisen umgegangen ist, ist essenziell: Was sind die Erfolgsgeheimnisse langfristig überlebender Unternehmen? Warum haben sie überlebt, obwohl doch eigentlich ihr Untergang erwartbar gewesen wäre? Wie kommt es zu der erstaunlichen Widerstandskraft – heute wird in dem Zusammenhang gern von organisationaler Resilienz gesprochen –, die gerade bei Familienunternehmen oft zu finden ist (ausführlich hierzu Wimmer, 2013a, 2013b)? Konflikte müssten die in Unternehmerfamilien zu erwartende Normalität sein. Natürlich gibt es tatsächlich in vielen Unternehmerfamilien Konflikte, aber es gibt ebenso viele Unternehmerfamilien, die die Komplexität und Widersprüche der Herausforderungen erstaunlich gut bewältigen. Die unseres Erachtens eigentlich wissenschaftlich interessante Frage lautet daher: Wie gelingt es Familien, sich nicht nur

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wirtschaftlich erfolgreich aufzustellen, sondern auch als Familie bzw. Familienverbund den Mitgliedern einen sinnerfüllten und befriedigenden Rahmen zu bieten, in dem diese ihr grundlegendes Bedürfnis nach Zugehörigkeit (the need to belong) erfüllt sehen (Baumeister u. Leary, 1995)? Insbesondere das lange Überleben über mehr als vier Generationen hinweg ist höchst unwahrscheinlich, auch für Nicht-Familienunternehmen. Ganz offenkundig hat das Erfolgsgeheimnis mit dem »Family Effect« (Dyer, 2003) zu tun. Er scheint es zu ermöglichen, dass die prekäre Verbindung von Familie und Unternehmen sich zu einer starken Allianz verfestigt und sich beide Systeme gleichermaßen stabilisieren. All diese Fragen beschäftigen das WIFU, das Wittener Institut für Familienunternehmen (www.wifu.de) an der Universität Witten/Herdecke seit seiner Gründung 1998: • Das Projekt: »Erfolgsmuster von Mehrgenerationen-Familienunternehmen« (Simon et al., 2005) suchte danach, wie es den beteiligten Unternehmen gelang, spezifische Paradoxien zu balancieren. Die Autoren zogen als Fazit, dass die untersuchten Familienunternehmen (alle mindestens in der vierten Generation) so etwas wie ein Gegenmodell zu der »schnelllebigen Logik des Shareholder-Value-Ansatzes« darstellen (Wimmer, 2002): Familienunternehmen gelingt es, die Kopplung von Familie und Unternehmen als Wettbewerbsvorteil auszubauen, indem sie es schaffen, »diejenigen Werte zu vermitteln, die über die finanziellen Gewinnerwartungen und -versprechen hinaus sinnstiftend für das Unternehmen wirken können« (S. 249). • Im Projekt »Große deutsche Familienunternehmen« wurden fünfzig der größten deutschen Familienunternehmen untersucht, die mindestens einhundert Jahre alt geworden waren. In ausführlichen Porträts wurden die Unternehmen, aber auch ihre familiären Hintergründe und die Art und Weise, wie sich die jeweilige Familie organisiert hatte, vorgestellt (Plate, Groth, Ackermann u. von Schlippe, 2011). • Ein eng mit diesen Fragen zusammenhängendes Projekt der Gruppe um Alberto Gimeno von der ESADE Business School in Barcelona, der als Gastprofessor am WIFU tätig ist, untersucht die Frage, mit welchem mentalen Modell (also welcher inneren Landkarte) eine Familie jeweils unterwegs ist. Das heißt, es wird ermittelt, auf Basis welcher Prämissen darüber, wie gute Führung aussieht, jeweils das Verhältnis von Familie und Unternehmen gestaltet wird. Hier zeigen sich enorme Unterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen und auch innerhalb der Familie ringen manchmal die Modelle darum, sich als zentrale Orientierung durchzusetzen (Gimeno, Baulenas u. Coma-Cros, 2010; Rüsen, von Schlippe u. Gimeno, 2012; Rüsen u. von Schlippe, 2012). Mit dem Konzept der Mentalen Modelle beschäftigt sich das Kapitel 7 umfassend.

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1.4.2  Familienstrategie über Generationen: Das FüG-Projekt Die Forschungsfrage

Das FüG-Projekt (Familienstrategien über Generationen), das in diesem Buch etwas ausführlicher behandelt wird, baut auf den erwähnten Projekten und ihren Ergebnissen auf (Groth u. von Schlippe, 2012; Jansen u. von Schlippe, 2017). Es verschiebt den Fokus der Forschung jedoch stärker auf konkrete Fragen des Managements einer Unternehmerfamilie. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die in sich unterschiedlichen und zum Großteil widersprüchlichen Erwartungen in den Kontexten »Familie«, »Unternehmen« und »Gesellschafterkreis« auf eine Art und Weise zusammengebracht werden, dass sowohl die Identität als (Groß-)Familie erhalten als auch zugleich die unternehmerische Entscheidungsfähigkeit sichergestellt bleibt. Es interessierte uns, mit welchen konkreten familienstrategischen Maßnahmen die beteiligten Familienunternehmen über die Jahrzehnte hinweg diese Aufgabe erfüllt haben und welche Rückschlüsse wir aus den gefundenen Lösungen über die Wahrnehmung der jeweiligen Probleme zum Zeitpunkt ihres Entstehens ziehen könnten.



  Forschungsfrage  

Unsere Forschungsfrage lautete dementsprechend: »Wie stellen Unternehmerfamilien über Generationen und angesichts zunehmender Komplexität in Familie, Gesellschafterkreis und Umwelt über familienstrategische Maßnahmen einen Sinnbezug sicher, der Sprachfähigkeit, Handlungsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit gewährleistet?«

 Design und Sampling

Im Design der Studie folgten wir der Logik der Aktionsforschung (Burns, 2007; Moser u. Ornauer, 1978). Das Projekt stand damit in der Tradition der vorhergehenden Projekte des WIFU: Forschungsfragen werden in enger und partnerschaftlicher Abstimmung mit betroffenen Familienunternehmen bearbeitet. Es ist ein Vorgehen, wie es sich nun schon seit mehr als 15 Jahren bewährt hat. Wir versuchen, mit Unternehmerfamilien forschend zu arbeiten, ohne uns auf formalistische Grundsätze vermeintlich neutraler wissenschaftlicher Außenperspektiven zu beziehen. Erst wenn über die Zeit hinweg Vertrauen entstanden ist, wenn sich alle Beteiligten – Forscher wie Familienvertreter – kennengelernt

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haben, entsteht ein »familiärer« Rahmen, in dem auch die sensiblen Familienthemen besprechbar werden, zu denen man über einen Fragebogen nie Zugang erhielte. Unser Ziel ist es, das »Academic-Practitioner Gap« zu überwinden und an »Relevance« zu gewinnen, ohne zugleich auf »Rigor« zu verzichten (siehe z. B. Birnik u. Bilsberry, 2008). Wir waren uns zugleich bewusst, dass sich unser Forschungsgegenstand über die Zeit hinweg verändern würde. Es ging und geht uns um das Entwickeln gemeinsamer Verstehenszusammenhänge, nicht um eine objektive, sozusagen fotografische Querschnittsaufnahme, die alle Unternehmen unter exakt gleichen Bedingungen abbildet. Das Projekt- und Forschungsdesign war vielmehr explorativ angelegt und sollte helfen, die Wittener Theorie zu Familienunternehmen und Unternehmerfamilien weiterzuentwickeln. Es sollte zudem vielfältige Lernprozesse ermöglichen, nicht nur auf Seiten der Forscher, sondern vor allem auch auf Seiten der Beforschten. Dafür wählten wir eine Kombination von leitfadengestützten, halb-narrativen Interviews und gemeinsamen Arbeitstreffen. Die Interviews wurden vor den Arbeitstreffen, auf denen das jeweilige Unternehmen vorgestellt wurde, mit jeweils zwei für die Familienstrategie verantwortlichen Stakeholdern über die historisch gewachsenen Strategien der Unternehmerfamilien geführt. Den Schwerpunkt bildeten die gemeinsamen Arbeitstreffen im großen Kreis, die jeweils anderthalb Tage umfassten. In diesen Treffen stellten die Unternehmensvertreter einander wechselseitig ihr jeweiliges Unternehmen und die spezifischen Familienstrategien ihrer Unternehmerfamilie vor und stellten sich der anschließenden Diskussion. Meist wurde dazu eine Präsentation von der für das Familienmanagement verantwortlichen Person gezeigt (z. B. vom Vorsitzenden des Familienrats), manchmal auch von zwei Referenten. So ergab sich ein besonderes Lernsetting für alle Beteiligten. Während der Austausch unter Peers für die Unternehmensvertreter im Vordergrund stand, bekamen die Forscher tiefe Einblicke in die Vielfalt der Praktiken des Managements und der Organisation einer Unternehmerfamilie. Die Erkenntnisse und Überlegungen wurden den Unternehmensvertretern zurückgespiegelt: a) In »Reflektierenden Teams« wurden die Präsentationen gemeinsam mit zwei bis drei Unternehmern bzw. Unternehmerinnen aus dem Kreis jeweils unmittelbar im Anschluss reflektiert. Diese Methode aus der systemischen Beratungspraxis (Hargens u. von Schlippe, 2002; Scheer, 2012) fokussiert die Diskussion auf eine kleine Reflexionsgruppe, die am Rande des Geschehens nach bestimmten Regeln spricht und dabei von den anderen beobachtet wird. So werden im Sinn rekonstruktiver Sozialforschung (Bohnsack, 2000) Konstruktionen zweiter Ordnung geschaffen, die es allen Beteilig-

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ten ermöglichen, die gefundenen Lösungen kritisch und zugleich ohne Druck zu reflektieren. Damit war das Projekt als gemeinsame Lernreise angelegt, das heißt, es gab nur Forschungssubjekte, keine -objekte. Die Forschung beschränkte sich im Sinn der Aktionsforschung nicht nur auf die teilnehmende Beobachtung. Als Beobachter zweiter Ordnung reflektierte vielmehr das Forscherteam die Unterscheidungen, mit denen die Unternehmer­familien operierten. Der Mehrwert dieses Vorgehens liegt darin, vermeintliche Selbstverständlichkeiten, die dem Verwender (also den Unternehmer­familien) nicht mehr auffallen, so ins Bewusstsein zu holen, dass sie als Produkte von Entscheidungen sichtbar werden, die auch anders getroffen werden könnten. Viele Familienstrategien, zum Beispiel Regeln zur Weitergabe von Unternehmensanteilen, zur Teilhabe von Familienmitgliedern an der Unternehmensentwicklung oder auch zu Prinzipien der Gewinnverwendung, sind ja oft eher historisch gewachsene Praktiken und weit weniger ein Ergebnis bewusster Wahlentscheidungen. Die beteiligten Unternehmen lieferten also nicht nur Forschungsmaterial, ihnen wurde durch den Reflexionsraum die Option eröffnet, ihre eigenen Praktiken zu reflektieren und zu hinterfragen. b) Am WIFU wurden die jeweils verschriftlichten Interviews und Gruppensitzungen mikroanalytisch ausgewertet und im Blick auf Theoriebildung und -weiterentwicklung diskutiert. Unsere Überlegungen sind im mittleren Teil dieses Buches zusammengefasst, die zwei Kapitel zur Wittener Theorie, bezogen auf die unmögliche Verbindung und die verdoppelte Familie von Unternehmerfamilien, stellen theoretisch, die nachfolgenden Kapitel zu den familienstrategischen Kernfragen empirisch den Ergebnisteil der Studie dar. Die Ergebnisse sind natürlich schrittweise entstanden und wurden im Verlauf des Projekts mehrfach den teilnehmenden Unternehmen vorgestellt. Zudem fließen verschiedentlich Erfahrungen aus anderen Projekten und Beratungen in die Auswertung mit ein. c) Für die Rückmeldung unserer Ergebnisschritte war eine Reihe von Sitzungen während der Treffen reserviert. Die Resultate der WIFU-Teamdiskussionen wurden jeweils in einer Teilsitzung präsentiert und mit allen Betroffenen besprochen. Diese Sitzungen waren jeweils auf unterschiedliche Themenkomplexe (»Paradoxien«, »heiße Eisen«, »Family Compliance« usw.) bezogen. Sie sollten zum einen den beteiligten Unternehmen sozusagen einen Spiegel vorhalten: »So haben wir Sie im Licht unserer Theorien wahrgenommen!« Zugleich sollte auf diese Weise die Möglichkeit gegeben werden, die Ergebnisse kritisch zu reflektieren und zu diskutieren: »Nein, in diesem Spiegel können wir uns nicht wiedererkennen!«

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Das Sampling, also die Zusammenstellung der zu untersuchenden Einheiten, ist in einer qualitativen Studie ein wesentlicher Schritt (Lamnek, 2005). Es lag uns daran, eine passende Anzahl von Unternehmen zu finden, die von der Größe des Unternehmens und der Familie einen Komplexitätsgrad aufwiesen, der ein systematisches Familienmanagement erfordert. Zugleich ging es uns darum, dass die Unternehmen bereits seit einer gewissen Zahl von Generationen, mindestens vier, bestanden. Wir waren daran interessiert, zu erfahren, auf welchen vergangenen Erfahrungen die gegenwärtigen Familienstrategien aufgebaut waren. Zudem war es uns ein Anliegen, dass verschiedene Mentale Modelle (ausführlich dazu das Kapitel 7) in der Stichprobe vertreten waren, also sowohl Unternehmen, die in patriarchaler Logik bzw. Vererbung auf jeweils einen Nachfolger geführt wurden, als auch solche, die der Logik der operativen tätigen Unternehmerfamilie folgten oder sich als aktive Eigentümer bzw. als »Investment-Family« verstanden. Dieser Fokus begrenzte die Zahl der in Frage kommenden Forschungspartner. Zur Gewinnung der Stichprobe sprachen wir eine Reihe von in Frage kommenden Unternehmen an. Es ging uns dabei auch darum, nicht nur Unternehmen zu gewinnen, mit denen das WIFU schon seit langer Zeit kooperativ verbunden war, sondern auch über diese hinaus zu gehen. Die teilnehmenden Unternehmen repräsentieren einen Kreis älterer, zum Teil sehr heterogener Familienunternehmen. Da die Grundbedingung für die Teilnahme an dem Projekt war, dass die Eigentümerfamilie mindestens in der vierten Generation sein sollte, bestand das Sample überwiegend aus Unternehmen, die im 19. Jahrhundert entstanden sind. Das jüngste Unternehmen hatte sein Gründungsjahr in den 1930er Jahren (hier gab es in der Familie aber bereits schon mehrere Vorgängerunternehmen), das älteste wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts gegründet. Folglich hatten wir im Teilnehmerkreis ebenso Vertreter der vierten Generation wie auch Konstellationen, bei denen bereits die 13. Generation beteiligt war bzw. in unternehmerischer Verantwortung stand. Hinsichtlich der Anzahl der Gesellschafter verfügten die Unternehmen über sehr unterschiedliche Größenordnungen. So umfasste der Gesellschafterkreis in einem Fall vier Mitglieder aus der Gesellschafterfamilie, es gab mehrere Teilnehmer mit Gesellschafterkreisen von 50 bis 100 sowie 150 bis 350 Mitgliedern. In einem Fall umfasste der Gesellschafterkreis knapp 700 Nachkommen des Unternehmensgründers. Auch hinsichtlich der erwähnten Mentalen Modelle (siehe das Kapitel 7) verfügte das Sample über alle vier Grundtypologien: Je ein Unternehmen repräsentierte die Modellformen »Patriarchale Logik« und »Investoren Familie«. »Operativtätige Familie« und »Aktive Eigentümerfamilie« waren mit je fünf teilnehmenden Unternehmen gleichverteilt vertreten.

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Hinsichtlich der Branchen, in denen die Unternehmen tätig waren, gab es ein breites Spektrum, welches das Bankenwesen und Logistikdienstleistungen umfasste, von der Erzeugung von Nahrungsmitteln, chemischen Produkten, Baustoffen und Komponenten für die Automobilzuliefererindustrie reichte und schließlich den Handel in verschiedenen Segmenten beinhaltete. Auch von der Größe der projektbeteiligten Unternehmen her betrachtet, war der Kreis sehr heterogen. So waren in dem Unternehmen mit der geringsten Mitarbeiteranzahl etwa 750 Personen, in dem mit den meisten Mitarbeitern etwa 40.000 Personen weltweit tätig. Hinsichtlich des Umsatzes wurden zwischen 300 Millionen und 16 Milliarden Euro erzielt. Natürlich ist es auch von Seiten der Unternehmen nicht einfach, sich auf ein Projekt einzulassen, das vom Spitzenpersonal her einen Einsatz von etwa zwölf Arbeitstagen (wenn auch verteilt auf über zwei Jahre) erforderte. Am Ende konnten wir zwölf Unternehmen5 gewinnen, die bereit waren, sich auf das Thema und das Projekt einzulassen. Davon waren sechs zum damaligen Zeitpunkt noch keine Förderer des WIFU. Das Design im Überblick

• zwölf große deutsche Familienunternehmen (ausgewertet wurden elf), • alle als Unternehmerfamilie mindestens in der vierten Generation, • trafen sich innerhalb von drei Jahren gemeinsam für insgesamt neun anderthalbtägige Sitzungen, • die Treffen fanden jeweils in einem der Unternehmen statt, • während der Treffen wurde die konkrete familienstrategische Praxis des jeweiligen Unternehmens vorgestellt. • Eine Reflektion der Sitzungen erfolgte durch »Reflektierende Team«-Gespräche jeweils nach der Präsentation der Familienstrategie eines Unternehmens, aber noch innerhalb der Sitzung mit den Unternehmern und Unternehmerinnen.

5 Es wurde mit den Unternehmen vereinbart, dass in unserer Ergebnisdarstellung die Unternehmen jeweils nicht identifizierbar sind, sofern es sich nicht um bereits veröffentlichtes Material handelt. Da uns in diesem Buch auch nicht die konkreten Unternehmen interessieren, sondern vor allem die Strukturen, über die Familie und Unternehmen sich generationenübergreifend zusammen entwickeln, verzichten wir an dieser Stelle auf eine genaue Beschreibung der Stichprobe. Die Größe des Unternehmens und die Spezifika der jeweiligen Familien würden trotz zugesagter Anonymisierung recht leicht eine Zuordnung zu den einzelnen Unternehmen ermöglichen. Aus dem gleichen Grund bleiben auch die Zitate, mit denen wir die beschriebenen Aspekte unterstreichen, ohne weitere Kennzeichnung.

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• In regelmäßigen Abständen gab es Sitzungen, in denen das Team Teilergebnisse präsentierte und zur Diskussion stellte. • Die Präsentationen der Unternehmen und die Reflexionen wurden aufgezeichnet; bei jedem Unternehmen wurden zusätzlich zwei Interviews mit den für Familienfragen zuständigen Personen geführt. • Das gesamte Tonmaterial wurde transkribiert und im Sinn rekonstruktiver Sozialforschung ausgewertet.6 »Unsere gewohnte Welt versteht sich keineswegs von selbst«

Es folgen ein paar forschungslogische Anmerkungen zu dem Projekt, die zugleich für Unternehmerfamilien interessant sein dürften, die daran Interesse haben, sich familienstrategisch zu reflektieren: Die Beobachtung 2. Ordnung, also die Beobachtung der Art und Weise, wie man selbst die Welt beobachtend erfährt, stellt gewohnte Selbstverständlichkeiten in Frage. Sie weist darauf hin, wie man auch anders hätte handeln können und welche Optionen eventuell bislang nicht gesehen worden sind. Damit soll die gewohnte Beschreibung der Welt in Frage gestellt werden. Der Schweizer Psychiater und Autor Luc Ciompi schreibt dazu: »In all unserem Denken, Fühlen und Handeln sind wir also gewissermaßen fortwährend von einem Gefüge von lauter ›Selbstverständlichkeiten‹ oder ›Vorurteilen‹ umgeben, das uns trägt und zugleich umhüllt wie eine Blase, deren wir gar nicht gewahr sind […]. Erst wenn die Ordnungen und Affekte, welche die Bezugsysteme charakterisieren, einmal durch Widersprüche massiv infrage gestellt werden und darauf labil hin und her zu schwanken beginnen, von einer möglichen ›Auffassungsweise der Wirklichkeiten‹ zu einer anderen, merken wir plötzlich, dass sich unsere gewohnte Welt keineswegs ›von selbst‹ versteht« (1988, S. 177). Unsere wissenschaftliche Beobachtung ist eingebettet in eine systemtheoretische Sicht auf Familienunternehmen und Unternehmerfamilien (Luhmann, 2000; von Schlippe u. Frank, 2013; Simon, 2012; Simon et al., 2005; Wimmer et al., 2005). Neuere Systemtheorien sehen das Handeln der Akteure (und die Akteure selbst) eingebettet in ein Netzwerk an Erwartungsstrukturen und Eigendynamiken, die in ihrem positiven wie negativen Zusammenwirken dem Einzelnen nicht oder nur in Ansätzen verfügbar sind. Denn es sind nicht die Menschen, die das System ausmachen, sondern die Art ihrer kommunikativen Verbindungen (mehr dazu in Kapitel 3). Sehr prägnant wird dies bei Karl Weick so ausgedrückt: »Wenn Sie nach einer Organisation suchen, werden Sie sie nicht 6 Neben den in diesem Buch vorgestellten Befunden wird das Projekt derzeit im Rahmen von drei Dissertationen ausgewertet, eine Reihe weiterer Doktorarbeiten ist in Vorbereitung.

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finden. Was Sie finden werden, ist, dass miteinander verbundene Ereignisse vorliegen, die durch Betonwände sickern […]. Ebenso wie die Haut eine irreführende Grenze für die Markierung des Punktes ist, wo eine Person aufhört und die Umwelt anfängt, sind es auch die Wände einer Organisation« (1995, S. 129) – es sind eben die kommunikativen Ereignisse, das, was zwischen den Personen ist, was eine Organisation ausmacht. Es sind gerade nicht die Betonwände, die Maschinen und Fuhrparks. Als besonderer generativer Mechanismus für die Evolution von Unternehmerfamilien werden von uns Paradoxien betrachtet. Diese Paradoxien resultieren aus einander widersprechenden Systemlogiken. Sie stellen besondere Anforderungen an das Management einer Unternehmerfamilie. Der Fokus auf die Bewältigung von Paradoxien dient als ein Erklärungsprinzip, das auf die besonderen Schwierigkeiten und Risiken der Entscheidungsfindung innerhalb der Unternehmerfamilie hinweist. Zugleich werden Paradoxien als Anlass und Grundlage für die Ausbildung kreativer, intelligenter Bewältigungsstrategien gesehen (ausführlich hierzu die späteren Kapitel in Abschnitt IV zu den familienstrategischen Kernfragen), eine Erklärung für die besondere Resilienz der Familienunternehmen (Wimmer, 2013a, 2013b).

II

  Nicht gemanagt: Lösungen, die Probleme schaffen

Der folgende Teil ist in einem anderen Stil geschrieben als die anderen Kapitel dieses Buches. Hier sollen kleine Fallvignetten erzählt werden, die exemplarisch verdeutlichen, was passieren kann, wenn nichts passiert, wenn also über lange Zeit familienstrategische Überlegungen vernachlässigt oder gar ignoriert werden. Die Geschichten zeigen konkret typische existenzielle Fragestellungen auf, die in Lernfallen führen können und auf die Notwendigkeit familienstrategischer Reflexionen verweisen.7 Ergänzt werden die Fallbeispiele durch die hypothetisch zugespitzte Frage: Was passiert, wenn nichts passiert? Skizziert wird, wie Entwicklungsdynamiken innerhalb der Unternehmerfamilien entstehen können, die ohne ein bewusstes familienstrategisches Gegensteuern die Problemlagen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit verschärfen. Die recht einfache, aus der systemischen Beratung stammende Frage sensibilisiert für familienstrategische Entwicklungsnotwendigkeiten – denn es passiert immer irgendetwas!

7 Die aufgeführten Fallbeispiele rekonstruieren Fragestellungen, die wir im Rahmen des Forschungsprojektes bzw. unserer Beratungstätigkeit kennengelernt haben. In keinem Fall wurden hier Konstellationen aus der Praxis direkt dargestellt. Die Handlungen sind stattdessen eine Mischung unterschiedlicher Fälle aus der Praxis und die Namen frei erfunden. Daher handelt es sich hier nicht um »Case-Studies« – ein Faktum, das wir durch eine eher essayistische Sprache unterstreichen. Anders als im Rest des Buches sind die Zitate, die wir hier verwenden, keine wörtlichen Interviewaussagen, sondern von uns zusammengestellte Aussagen, die so oder so ähnlich getroffen wurden.

2 Geisterbahn fahren: »Was passiert, wenn nichts passiert?«

2.1  Lösungen von gestern – Probleme von heute? Eine Reihe von Erfahrungen, die wir über die letzten Jahre hinweg im Kontakt mit Unternehmerfamilien machen konnten, zeigen Problemstellungen auf, die eng mit der Entwicklungsdynamik dieser Familien verknüpft sind. Nicht nur über Jahre, eher über mehrere Jahrzehnte und über Generationenfolgen hinweg steigt die Notwendigkeit, elementare familienstrategische Weichenstellungen vorzunehmen, vor allem, wenn diese aufgrund traditioneller Festlegungen in ihrer Relevanz nicht erkannt, immer wieder verschoben oder aber schlicht nicht als Problem bewertet wurden. Unternehmerfamilien haben nämlich immer wieder mit unerwünschten und unverhofft auftretenden Spätfolgen impliziter Strategien zu tun, die in früheren Zeiten als Lösungen familiärer Nachfolgeprobleme angesehen worden waren. Die Effekte zeigen sich in Form persönlicher Belastungen, als ungelöste bzw. unlösbare Konflikte oder auch in einem schleichenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, bedingt durch Entscheidungsprobleme in der Unternehmerfamilie. Aus einer mehrgenerationalen Außenperspektive heraus betrachtet fahren manche Unternehmerfamilien sozusagen Geisterbahn. Sie lassen sich auf das Wagnis Familienunternehmen ein, treffen Entscheidungen je nach Bedarf und legen sich mit diesen Regelungen für künftige Lösungen fest (»So haben wir es doch immer gemacht!«), ohne die Veränderungen in Firma und Familie zu reflektieren. Die Gefahr besteht, dass sie mit Überraschungen, die hinter jeder Biegung lauern können, nicht umgehen können. Das Agieren – vor allem in Nachfolgefragen – ist anfangs »adhocratisch« geprägt: Das heißt, sobald sich ein Problem stellt, wird entschieden. Werden Problemlagen jedoch nicht vorweggenommen und durchgespielt, lernt die Unternehmerfamilie nicht, in übergeordneten Strategien zu denken, sondern ist von Generation zu Generation

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bzw. von Nachfolge zu Nachfolge froh, die Fahrt hinter sich gebracht zu haben. Die Gefahr ist, dass Lernfallen entstehen (Groth u. Rüsen, 2014; March, 2016), die langfristig die Beweglichkeit beeinträchtigen, angemessen auf neue Herausforderungen zu reagieren. Acht Fälle wollen wir präsentieren, in denen es inhaltlich um folgende Schwerpunkte geht: • Fragen der Gleichbehandlung der Kinder und Enkel (Unternehmerfamilie Wachs), • das, was man »Konsensfiktion« nennt, also die Idee, sich einig zu sein, bis deutlich wird, dass diese Idee nicht zutrifft (Unternehmerfamilie Ruhrau), • eine Lernfalle: Sobald eine Unternehmerfamilie an einer Idee der Nachfolge als vermeintlichen Erfolgsfall festhält, auch wenn die Umstände sich radikal gewandelt haben, kann sich eine fatale Falle auftun (Unternehmerfamilie Fischer), • das Thema Musterwechsel und konkret die Frage, was es für eine Unternehmerfamilie bedeutet, wenn keine Familienmitglieder mehr in der Unternehmensführung operativ tätig sind (Unternehmerfamilie Kliemberg), • Stammesdenken, eine riskante Form der Organisation des Gesellschafterkreises (Unternehmerfamilie Wiberg), • Sinnverlust, ein Börsengang und seine Folgen (Unternehmerfamilie Hohenfels), • postpatriarchale Lähmungen, also die Schwierigkeit, funktionierende Entscheidungsstrukturen auszubilden, nachdem die Unternehmerfamilie Jahrzehnte von einem Alleinentscheider dominiert wurde (Unternehmerfamilie Silbernagel), • Gesellschafterkompetenz bzw. das Fehlen von Gremien- und Strategiefähigkeit (Unternehmerfamilie Schwanenthaler).

2.2 »Gleichbehandlung«: Gleichheit und Gerechtigkeit unter Geschwistern und deren Kindern Das Unternehmen Wachs & Co wird in der fünften Generation seit über 25 Jahren von sechs Geschwistern gemeinschaftlich geführt. Die einzelnen Gesellschaften der Unternehmensgruppe haben sich mit enormer Geschwindigkeit entwickelt und gelten in dem jeweiligen Marktumfeld unangefochten als Nummer Eins. Branchenkennern zufolge ist das Unternehmen wie kein Zweites in der Lage, unternehmerische Entscheidungen in hoher Geschwindigkeit zu treffen und die Umsetzung von zum Teil komplexen Geschäfts-

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transaktionen zeitnah und hocheffizient zu organisieren. Überall auf dem Erdball verstreut, so scheint es für Außenstehende, sind die Familienmitglieder hochmotiviert aktiv. Interessant ist die gefundene Form von Steuerung und Führung durch die Familie: Die wesentlichen Gremien des Unternehmens sind mit geschäfts- bzw. aufsichtführenden Familienmitgliedern besetzt. Im Außenverhältnis treten die Geschwister in geschlossener Formation als gleichberechtigte Partner auf, auch wenn vereinzelt Unterschiede bei der Größe der Verantwortungsbereiche, dem Arbeitseinsatz etc. festzustellen sind. »Bei den Geschwistern Wachs, da können Sie sicher sein, da kommt nie ein Blatt Papier dazwischen, so unterschiedlich die auch daher kommen mögen«, so das Zitat eines langjährigen Wegbegleiters. Bisher hatten die Geschwister die Unterschiede im Innenverhältnis voll akzeptiert und jeden Einzelnen gemäß seinen Fähigkeiten, Neigungen und Wünschen in die Führungs- und Kontrollstrukturen integriert: »Wir sind uns alle bewusst, dass in dem zentralen Geschäftsbereich unsere älteste Schwester das Sagen hat, auch wenn wir alle als Geschäftsführende Gesellschafter aufgeführt sind.« Unterschiedliche Auffassungen hat man immer ausdiskutiert, so lange, bis entweder alle Zweifel ausgeräumt werden konnten oder der Antrag bzw. die Idee zurückgezogen wurde. Die Geschwister Wachs verstehen sich als ein »High-Performance-Team« ohne Eitelkeiten. Es ist jedem klar, dass die Bedürfnisse der Firma über den individuellen Bedürfnissen angesiedelt sind. Keines der sechs Geschwister zweifelt an dieser Grundstruktur, jeder vertraut dem anderen blind bei dessen Aktivitäten. Konstruktiv kritische Diskussionen unter ihnen gab es immer nur in der Frage: »Was nützt der Entwicklung der Firma am meisten?« Nach der knapp dreißig Jahre andauernden Zusammenarbeit der Geschwister stellen diese plötzlich fest, dass ihre 14 Kinder, die sechste Generation, vereinzelt ja schon 18 Jahre und älter geworden sind. Recht unvermittelt steht das Thema im Raum, wie es denn wohl in der Folgegeneration weitergehen wird. Der Vater der sechs Geschwister, Senior Wachs, lebt noch. Er ist Vertreter der vierten Generation und hält nach wie vor 70 % der Anteile. Vor über vierzig Jahren hatte er sämtliche Familienmitglieder seiner Generation herausgekauft, um eigenständig agieren zu können. In seiner Vorstellung hatte er lange das Unternehmen seinen sechs Kindern zu gleichen Teilen vermachen wollen. Bisher hatte er jedem seiner Kinder, also den sechs Geschwistern Wachs, je 5 % am Unternehmen übertragen. Mit dem Größerwerden seiner 14 Enkel haben sich seine Vorstellungen gewandelt. Nun sieht er es eigentlich als die beste Lösung an, wenn auch alle Enkel nach seinem Ableben je 5 % erhalten würden; er hätte dann ja alle Kinder (Kinder wie Enkelkinder!) mit 5 % bedacht.

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Zum ersten Mal tut sich nun zwischen den Geschwistern eine große Kluft auf: Bisher hatte man sich immer als gleich verstanden und alle waren gut mit der Aufgabenteilung klar gekommen. Alle Geschwister erhalten ein gleich hohes Geschäftsführer-Gehalt, fahren eine vergleichbare PKW-Klasse und bekommen den gleichen Anteil an der Ausschüttung. Brüder und Schwestern mögen einander, sind sie doch als Kinder sehr nah beieinander aufgewachsen (der Altersunterschied zwischen der Ältesten und dem Jüngsten betrug gerade einmal neun Jahre). Doch die Anzahl der Kinder variiert unter den Geschwistern stark: Zwei Geschwister haben je ein Kind, eines hat zwei Kinder, zwei Geschwister haben jeweils drei und eines sogar vier Kinder. Die Idee des Seniors, allen Enkeln je 5 % zu übertragen, würde auf der Ebene der Enkel Gleichheit herbeiführen, doch auf der Ebene der Geschwister würde die Entscheidung erstmals einen Grad an Ungleichheit, den sie bislang nie erlebt haben, erzeugen. Der geschäftsführende Bruder würde nach dieser Regelung zusammen mit seinem einen Kind nur 10 % der Anteile des Unternehmens erhalten, während seine in einem anderen Unternehmensteil tätige Schwester zusammen mit ihren vier Kindern auf 25 % kommen würde. Die Diskussionen werden nun schärfer. Es wird dabei noch ein weiteres Thema deutlich: Zwar ist es den Geschwistern bisher gut gelungen, die in einer derartigen Konstellation erwartbaren Vergleichsprozesse zwischen den einzelnen Familienmitgliedern nicht entstehen zu lassen, doch fühlen sich die hinzugekommenen Ehepartner offenbar recht unterschiedlich über das Unternehmen informiert, so dass in den einzelnen Kernfamilien sehr verschiedene Gespräche über das Familienunternehmen stattfinden. So berichtet der zweitälteste Bruder folgende Aussage seiner Gattin: »Wie kann es sein, dass der Mann deiner Schwester zu den Kindern sagt: ›Schaut mal, da ist eine Fabrik von uns, da steht unser Name drauf‹, und du erklärst mir, deiner Ehefrau, ich hätte mit der Firma nichts zu tun und sollte mir auf meinem Nachnamen Wachs bloß nichts einbilden?« Was passiert, wenn nichts passiert?

Der Umgang mit Gleichheit, Gleichbehandlung und gelebter Unterschiedlichkeit sowie die damit verbundenen Gefühle von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit berühren elementare Fragen einer Unternehmerfamilie, wie später gezeigt werden wird (vgl. das Kapitel 6.1). Ihre Sprengkraft zeigt sich in der Familie Wachs. Die Übertragungsvorstellungen von Vater bzw. Großvater Wachs haben das Potenzial, die bisher harmonische und als Unternehmer-Team erfolgreiche Unternehmerfamilie in heftige und bedrohliche Turbulenzen zu bringen. Es ist erwartbar, dass die bisher gelebte Form des Umgangs mit dem Gleichheitsprinzip nicht fortbestehen wird. An die Stelle einer über Jahrzehnte praktizierten

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großzügigen Verrechnung unter den Geschwistern, die als Basis eines harmonischen Miteinanders angesehen werden kann, nehmen Situationen überhand, in denen im Miteinander alles auf die Goldwaage gelegt wird. Durch die Vererbungsidee des (Groß-)Vaters droht das zu zerbrechen, was die Geschwistergesellschaft ausgemacht hat. Ohne eine Vererbungs- und Führungsstrategie, vor allem ohne eine neue, differenziertere gemeinsame Haltung zum Gleichheitsthema ist schwer vorstellbar, wie die Geschwister zukünftig mit ihren jeweiligen Kindern gemeinsame Entscheidungen treffen können sollen. Alles was bisher aus gewachsener Beziehung heraus leicht, selbstverständlich und mit Augenmaß funktioniert hat, wird vermutlich zum Existenzproblem der Familie und des Unternehmens. Dies muss nicht plötzlich geschehen. Solange der Senior als anerkannte Autoritätsperson lebt, wird die Familie Wachs vermutlich noch einige Ungereimtheiten kompensieren können. Doch von außen gesehen sind durch die angedachte Erblösung und die aktuelle Form der Familienorganisation zahlreiche »Nitroglyzerin-Fläschchen« in der Familie verteilt. Wohlgemerkt: Nicht die Entscheidung des Großvaters ist hier das Problem, sondern die jahrzehntelang fehlende Diskussion verschiedener Möglichkeiten, Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen auszubalancieren. Erst dadurch wurde die Familie von der Entscheidung des Großvaters derart »kalt erwischt«. Vielfach gelingt es Geschwistern der ersten Generation nach dem Gründer noch, ein bestimmtes Modell an Unternehmertum zu leben. Vor allem in Fragen der Vererbung werden Gleichheitsideen gelebt, die aus nachvollziehbaren Gründen von Eltern präferiert werden und sich auf ein gelerntes familiales Muster des Miteinanders der Geschwister stützen können. In der Folgegeneration, typischerweise in der dritten Generation, steigt der Diskussions- und Regelungsbedarf. Wie voraussetzungsvoll die Formulierung einer Familienstrategie ist und dass es dazu mehr als formeller Reglungen bedarf, zeigen die Entwicklungen im folgenden Fall.

2.3 »Zerstörung der Konsensfiktion«: Offenlegung von Unterschieden und Gesichtsverlust »Früher war es doch irgendwie viel einfacher«, schreibt Rita Ruhrau nach einer für sie schrecklichen Gesellschafterversammlung in ihr Tagebuch. Früher, Mitte der 1970er Jahre, als ihr zwanzig Jahre jüngerer Bruder Heiner das Unternehmen zusammen mit einem Vetter übernommen hatte, war klar gewesen, wer im Familienkreis die Führung übernimmt: natürlich immer die aktiven Fami-

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lienmitglieder. So wurde es seit der Gründung praktiziert. Nie hatte daran ein Zweifel bestanden. Die aktiven Familienmitglieder wussten doch am besten, was für die Gesellschafter von Vorteil war! Heiner und sein Vetter Gustav waren trotz ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten in den letzten knapp drei Jahrzehnten ein tolles Gespann gewesen. Sie hatten sich in ihren Stärken ergänzt. Technische Brillanz und kaufmännisches Geschick – eine nahezu unschlagbare Kombination, von der die mittlerweile 45 Köpfe umfassende Gesellschafterschar profitiert hatte. Das Unternehmen hatte sich in Umsatz, Mitarbeiteranzahl und Gewinn mehr als verzehnfacht – die Größe der Familie indes auch. Daher war es allen richtig und wichtig erschienen, dass sich die immer größer werdende Anzahl von Ruhraus irgendwie organisiert und sich eine Art Leitbild gibt, die den Gesellschaftervertrag ergänzt. Eine Kommission aus Vertretern der 4., 5. und 6. Generation hatte sich ans Werk gemacht und einen Regelkatalog als »Leitbild der Familie Ruhrau« ausgearbeitet. So weit, so gut. Dann hatten plötzlich die Probleme angefangen: Eine erste, sehr emotionale Diskussion hatte es gegeben, als die Kommission einen Entwurf des Leitbildes vorgestellt hatte. In ihm wurde definiert, wer als Mitglied der Unternehmerfamilie Ruhrau anzusehen sei, wer also Gesellschafter werden kann und wer nicht. Bisher hatte man dies nie so genau genommen und war eher darauf bedacht gewesen, alle »irgendwie« mitzunehmen. Als nun vorgeschlagen wurde, dass ein »echter Ruhrau« nur ein Abkömmling leiblicher Abstammung sein könne und bei adoptierten Familienmitgliedern nur eine Adoption bis zum sechsten Lebensjahr akzeptabel sei, kam es zum Eklat: »Wenn Ihr diese Regel einführen wollt, dann verkaufe ich alle meine Anteile!«, hatte ihr Großneffe Hubertus geschrien und war mit hochrotem Kopf aus der Versammlung gelaufen. Da er einer der Gesellschafter war, die über einen recht großen Anteil verfügten, war dies mehr als nur eine vernachlässigbare, beleidigte Reaktion. Seine erste Ehe war kinderlos geblieben, nach dem frühen Tod seiner Frau hatte er neu geheiratet und in Mathilde eine liebevolle Gattin gefunden, die drei Kinder mit in die Ehe gebracht hatte. Hubertus war durch die späten »Vaterfreuden« mit seinen 53 Jahren voll aufgeblüht, hatte die drei, damals im Teenager-Alter, vom ersten Tag an voll in sein Herz geschlossen und wie eigene Kinder behandelt. Öffentlich sprach er von meinem Sohn und meinen Töchtern. Voller Stolz hatte er ihnen auch das Unternehmen Ruhrau & Cie in den letzten Jahren nähergebracht. Und nun sollte festgelegt werden, dass die drei nicht als Familie gelten dürften! Die Demütigung, die er auf der Sitzung erfahren hatte, in der das Leitbild vorgestellt worden war, saß tief. Er hatte seiner Großtante Rita, die seit mehr als dreißig Jahren in der Großfamilie als eine Art Mentorin fungierte, offen

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seine Verletzung eingestanden. Die Heftigkeit seiner Reaktion und die Bereitschaft, sämtliche Bande zu den restlichen Ruhraus und der Firma zu zerschneiden, hatte Rita Ruhrau sehr überrascht. Mit viel Einfühlungsvermögen und unter Einsatz aller ihrer Vermittlungskünste, die sie sich in den 83 Jahren ihres Lebens angeeignet hatte, erarbeitet sie eine für alle Parteien akzeptable Lösung. Sie hofft, dass dies die einzigen »Geburtsschmerzen« der Familienorganisation bei den Ruhraus bleiben würden. Leider ist dies nicht so. Kurze Zeit danach kommt es auf der Gesellschafterversammlung erneut zu einem Eklat. Die Familie Ruhrau hatte sich dem Leitbild entsprechend daran gesetzt, ein Familiengremium einzurichten. Dieses sollte sich als Vertretungsorgan aller Mitglieder der Gesellschafterfamilie parallel zu dem etablierten Beirat um die Belange der wachsenden Familie kümmern und als Bindeglied zwischen Firma, Beirat und Familie fungieren. Das vorher abgestimmte Verfahren ist, dass jeder sich zur Wahl stellen und mit den Stimmanteilen jedes Gesellschafters gewählt werden kann, ein Verfahren, das bei den Beiratswahlen nie praktiziert worden war. Bisher wurden die Beiratsposten immer informell im Vorfeld der Gesellschafterversammlung ausgekungelt. Insofern ist die Familie recht stolz, die bisherige Praktik durch ein professionelles Verfahren ersetzt zu haben. Soweit die Idee. Nun hat sich ausgerechnet Marco, der Sohn von Ritas Bruder Heiner, als Kandidat für das Familiengremium aufstellen lassen. Vor allem seit dem Tod seines Vaters, aber eigentlich immer schon, fühlt er sich berufen, dessen Führungsrolle zu übernehmen. Für Marco ist mit Einführung des Familienrats klar, dass er als Sohn des erfolgreichsten geschäftsführenden Gesellschafters seit Gründung der Firma natürlich in diesem Gremium vertreten sein müsse. Fatalerweise sieht dies außer ihm selbst niemand so. Mit Auszählung und Verkündung der Wahlergebnisse ist allen Ruhraus deutlich, dass nur er selbst für sich gestimmt hatte: eine Stimme. Für Marco bricht in diesem Augenblick eine Welt zusammen, er bringt nicht nur seinen Unmut über das Ergebnis zum Ausdruck, er ist auch bis ins Tiefste erschüttert. Sein Selbstbild als Mitglied der Großfamilie ist völlig zerstört: Keiner hatte für ihn gestimmt! Die Kommissionsmitglieder, die die Wahl organisiert hatten und mit denen Rita Ruhrau gesprochen hatte, sind über diesen Ausgang der Veranstaltung sehr erschrocken. Sie hatten doch formal alles richtig gemacht! Genau auf dieses Verfahren hatte man sich doch im Vorfeld geeinigt! Dennoch sind nun Marco, seine Geschwister und eine Tante völlig empört darüber, »dass dem Jungen so übel mitgespielt worden ist.« »Hoffentlich finden wir hier noch eine gute Lösung!«, schreibt Rita in das Familienbuch.

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Wenn nichts passiert, passiert eben nicht nichts, denn man kann sich ja nicht nicht verhalten. Doch sind die Handlungen dann vielfach aus dem Moment heraus motiviert und nicht von familienstrategischer Weitsicht getragen. Die ersten Versuche einer Unternehmerfamilie, sich selbst zu managen, können daher mit spezifischen Risiken verbunden sein. Der wohlgemeinte Schritt etwa, in ein bislang intuitiv gemanagtes Beziehungsgeflecht harte, vermeintlich professionelle Entscheidungsregeln und klare Grenzen einzuführen, wo zuvor ein eher weicher, familialer Umgang gepflegt wurde, macht Bruchlinien und Differenzen deutlich, die die Familie zuvor großzügig übersehen konnte: Eine weithin geteilte Konsensfiktion (Hahn, 1983) geht verloren. Dies kann die selbstverständlichen Erwartungen, mit denen einzelne Familienmitglieder – wie hier Hubertus als stolzer Stiefvater und Marco als Nachfolger – lange gelebt haben, abrupt und schmerzhaft zerstören. Die im Falle der Familie Ruhrau nun entstandenen Demütigungen und Verletzungen der einzelnen Familienmitglieder haben das Potenzial, auf Jahrzehnte hinaus die Entscheidungsfähigkeit des Gesellschafterkreises und gegebenenfalls damit auch der Geschäftsführung negativ zu beeinflussen. Wenn verlorengeht, was Familie als Familie ausmacht, kann es zu ständigem Störfeuer eines verletzten Mitglieds kommen oder auch zu innerem Rückzug auf eine Investorenmentalität – und schließlich kann aus beidem auch der äußere Rückzug folgen, der – wie in diesem Falle – in den angedrohten Verkauf eines größeren Anteilspakets mündet, ohne dass dafür klare Regeln bestanden. Familienstrategie, verstanden als Ausformulierung harter Regelungen zu offenen Fragen, kann zum Bruch mit der gelebten Praxis werden und einzelne Personen öffentlich beschädigen (vgl. das Kapitel 6). Zugleich kann es aber auch nicht sein, dass die gelebte Praxis zum Freifahrtschein für die Perpetuierung langfristig schädlicher Regelungen wird. Die Würdigung einzigartiger Praktiken, die aufgrund besonderer Umstände entstanden sind, die Formulierung von Regelungen, die zugleich verallgemeinerungsfähig sind und die Sensibilität dafür, wie Einzelinteressen balanciert und eingebunden werden können, sind Kernaufgaben der Familienstrategie. Natürlich bedarf es manchmal auch einer klaren Abkehr von Regelungen, die über Generationen als (familienstrategische) Erfolgsfaktoren betrachtet worden sind. Die nachfolgende Geschichte zeigt, wie eine Unternehmerfamilie fast an ihrem Erfolgsmuster zugrunde gegangen wäre.

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2.4 »Lernfalle«: Es hatte doch immer funktioniert8 Die Nachfolgestrategie in der Fischer KG, 1875 als stahlverarbeitendes Unternehmen in Süddeutschland gegründet, scheint klar geregelt. Über vier Generationen haben Familie und Unternehmen gelernt, wie man es macht: Immer muss eine starke Person das Sagen haben! Andreas Fischer (geb. 1850) hatte schon in jungen Jahren einen erfolgreichen Start hingelegt und das Unternehmen bis zur Jahrhundertwende auf zwanzig Mitarbeiter ausgebaut. Der einzige Sohn Friedrich, zufällig im Jahr der Gründung geboren, folgt dem Ruf des Vaters und steigt um 1900 ein. Seine beiden Schwestern kommen für die Nachfolge, wie damals selbstverständlich, nicht in Betracht und werden ausbezahlt. Ganz ähnlich spielt sich die zweite Nachfolge ab. Gründersohn Friedrich zeugt abermals, wie es der Zufall will, drei Kinder, einen Sohn (Alfred, geb. 1905) und zwei Töchter. Um 1930 steigt Alfred ein und führt gemeinsam mit seinem Vater das Unternehmen weiter. Fünfzig Personen sind beschäftigt. Die Töchter werden mit Immobilien abgefunden. Der Krieg ist wie bei vielen Unternehmen ein starker Einschnitt. Aber Alfred Fischer gelingt es, das Unternehmen um eine weitere Sparte zu ergänzen. Die Firma profitiert vom Nachkriegsboom, der Erfolg zeigt sich auch daran, dass das Unternehmen bis 1965 auf circa 500 Mitarbeiter wächst. Und dies ist nun auch der Zeitraum, in dem die dritte Nachfolge angegangen werden muss. Zum Glück hat Alfred zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Und ohne, dass es groß zu Diskussionen kommt, steigt der Sohn Helmut ein. Nach mehreren Jahren des gemeinsamen Wirkens übernimmt er in den 1970er Jahren die alleinige Führung und forciert die Internationalisierung. Es folgen Jahre des stetigen Wachstums im zweistelligen Prozentbereich. Vor allem die Öffnung Osteuropas wird für Expansionen genutzt. Weltweit werden Unternehmen gekauft, so dass aus dem mittelgroßen Betrieb innerhalb einer Generation ein weltweit agierender Konzern mit mehreren tausend Mitarbeitern wird. In all diesen Jahren leitet Helmut Fischer mit großem Geschick, also der typischen Kombination aus unternehmerischem Gespür, väterlicher Führung und patriarchaler Letztentscheidungsgewalt das Unternehmen. Nachdem sein siebtes Lebensjahrzehnt angebrochen ist, muss auch Helmut einsehen, dass er das Unternehmen in die Hände der nächsten Generationen übergeben muss. Als stolzer Vater von drei Töchtern im Alter von 39, 36 und 31 Jahren steht er vor keiner einfachen Aufgabe. In der Unternehmerfamilie Fischer wurde über vier Generationen das besondere Erfolgsprinzip vererbt 8 Die Fallstudie ist an anderer Stelle in ähnlicher Form erschienen (Groth u. Rüsen, 2014).

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und gelernt, nach dem ein männlicher Nachfahre das Unternehmen führt – und wer führt, der bekommt auch die Anteile! So hatte es der Gründer gemacht, so dessen Sohn, dessen Enkel und auch Helmut als Urenkel war so ausgewählt worden. Und die Zahlen sprechen schließlich für sich. Aber was heißt das nun für die Familie Fischer? Der Vater ist innerlich zerrissen. Folgt er dem Erfolgsmuster der Alleinentscheidung, ist er gezwungen, zwischen den drei Töchtern eine auszuwählen. Folgt er dem Erfolgsmuster der männlichen Nachfolge, steht diese Lösung nicht zur Verfügung. Zudem hat er Zweifel, dass das harte Geschäft erfolgreich von einer Frau zu leiten ist. Bliebe die Fremdgeschäftsführung. Aber mit den externen Geschäftsführern, die bisher in zweiter Reihe agiert hatten, hat man immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht, und richtig vorstellen kann es sich Helmut Fischer auch nicht, dass kein Familienmitglied die Gesamtübersicht und die Letztentscheidung im Unternehmen hat. Die Töchter, allesamt exzellent ausgebildet, auch im väterlichen Unternehmen tätig, jedoch ohne große Führungserfahrung, sind nicht minder verunsichert. Zum einen steht seit vielen Monaten die Frage im Raum, welche von ihnen der Vater auswählen würde, und zum anderen sollte die Auserwählte dann ohne entsprechende Kompetenzen einen Konzern leiten. Keine von den Dreien weiß in der Zeit der Unsicherheit, was sie mehr fürchtet: nicht vom Vater als Nachfolgerin gewählt zu werden oder gewählt zu werden, um dann das Erbe fortzusetzen – mit den Bildern von vier Männern als Vorgänger und der Verantwortung für viele tausende Mitarbeiter im Nacken. Nach weiteren Monaten des Zögerns und einigen schlaflosen Nächten wählt Helmut Fischer seine mittlere Tochter als Nachfolgerin mit der Begründung aus, dass die Älteste ja schon Kinder habe und die Jüngste noch zu jung für den Posten sei. Was passiert, wenn nichts passiert?

Im Falle der Fischer KG wird vom Vater eine Nachfolgelösung präferiert, die dem Erfolgsmuster entspricht, das über eine Reihe von Generationen effektiv war. Er entscheidet sich im patriarchalen Stil für die Fortsetzung der Einpersonenführung. Was in Zukunft passieren wird, ist schwer zu prognostizieren. Wird die Tochter dem Druck standhalten? Gelingt es ihr, gegebenenfalls auch mit Unterstützung von externen Geschäftsführern, den Konzern weiterhin erfolgreich zu positionieren? Werden die beiden Nichtgewählten ihrer Schwester den Posten und das Ansehen in der Öffentlichkeit neiden? Schon kurz nach der Wahl deuten sich erste Risse unter den Schwestern an. Unternehmerfamilien haben in ihren grundlegenden Nachfolgemustern oft nur wenig Lernchancen, sie sind in gewisser Weise lernbehindert. Alle 25 bis

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dreißig Jahre steht die Nachfolge an und nichts liegt näher, als es so zu machen, wie es von den Vorgängern praktiziert wurde und wie es doch immer funktioniert hat. Ein solches, traditionsorientiertes Vorgehen schafft Orientierung und beseitigt Unsicherheiten. Zugleich besteht die Gefahr, dass die aktuellen Familienkonstellationen nicht zur Tradition passen bzw. die Tradition nicht zur Situation passt. Wieso soll ein Nachfolgemuster, das bei der Übergabe in einem mittleren Größenbereich so gut funktioniert hat (allerdings ohne dass je getestet wurde, ob nicht auch andere Konstellationen erfolgreich gewesen wären), nun die einzig richtige Lösung in der Nachfolge eines Unternehmens mit über 5.000 Mitarbeitern sein? Eine Reflexion über die aktuelle Angemessenheit der bisher gefundenen Lösung wäre angezeigt. Hier könnten die drei Schwestern zusammen mit dem Vater in einen familienstrategischen Dialog eintreten, der Möglichkeiten und Chancen des alten wie aber auch denkbare neue Muster der Nachfolge herausarbeitet. Ohne diese Auseinandersetzung steht die Familie vor der Gefahr, an der Nachfolgeentscheidung zu Gunsten einer der drei Töchter zu zerbrechen. Denn die beiden nicht gewählten Töchter sehen dies als persönliche Niederlage. Wenn es nicht gelingt, die hier zu beobachtenden Lernfallen (Groth u. Rüsen, 2014; March, 2016) zu überwinden, können sie durchaus ein zerstörerisches Potenzial entwickeln. Zu den vielleicht schwierigsten familienstrategischen Anforderungen an eine Unternehmerfamilie gehört es, Muster der Nachfolge zu erkennen und dann die Traditionen entweder zu pflegen oder auch bewusst zu verändern. Die Erwartung an Kontinuität unter diskontinuierlichen Anforderungen und Bedingungen bringt das Dilemma einer Unternehmerfamilie auf den Punkt. Auch das Folgebeispiel weist auf eine Unternehmensentwicklung hin, die einen Musterwechsel in der Führung notwendig erscheinen lässt.

2.5 »Musterwechsel«: Übergang von der operativen Familie zur Gesellschafterfamilie »Wenn ich zurückschaue auf meinen Einstieg vor knapp 35 Jahren im Unternehmen, dann muss ich sagen, es war genial, aber es war, wenn ich das sagen darf, problematisch, weil es meiner Meinung nach weder in unserer Firma wiederholbar ist, und ich es auch niemals jemandem anderen empfehlen würde. In der Rückschau kann ich feststellen: ›Ja, es hat funktioniert, obwohl es gar nicht hätte funktionieren dürfen.‹ Wenn ich ganz ehrlich bin, dann kam da ein gehöriger Anteil an Glück dazu. Natürlich auch ein extremer Ehrgeiz unsererseits.

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Wir wollten allen da draußen beweisen, dass das, was eigentlich nicht klappen konnte, trotzdem funktioniert. Unsere Generation wird aber auch die letzte sein, die solch eine Karriere im Familienunternehmen durchlaufen kann. In Zukunft setzen wir vor allem auf die Expertise familienexterner Manager und Unternehmerpersönlichkeiten!« Mit diesen Worten will Konrad Kliemberg seine Rede zur Einweihung der neuen Fabrik eröffnen. Ihm ist bewusst, dass er hier ein gutes Stück Familieninterna preisgeben wird, bis dato ein Novum. Vor all den geladenen Gästen, den Mitarbeitern, Kunden, örtlichen Würdenträgern und schließlich den Vertretern der finanzierenden Banken ist dies auch für ihn, den sie in der letzten Ausgabe des Unternehmerblattes »den Herrscher aller Kisten« genannt haben, keine leichte Übung. Als gewiefte und erfolgreiche Unternehmer sind er und sein Zwillingsbruder Richard in der Branche gut bekannt und geschätzt. Was sich allerdings hinter den Kulissen, in der Unternehmerfamilie Kliemberg abspielt, ist ein gut gehütetes Geheimnis. In weniger als drei Jahren, dann werden die Brüder Kliemberg 65 Jahre alt, wollen beide zur gleichen Zeit aus dem Unternehmen austreten und den Weg für eine Verjüngungskur im Top-Management freimachen. Unter ihrer Ägide ist das Unternehmen Kliemberg GmbH & Co. KG zu einem ansehnlichen Unternehmen herangewachsen, hat vor zehn Jahren zum ersten Mal die Umsatzmilliarde erreicht und sich seitdem nochmals fast verdreifacht. Richard und Konrad haben sich fest vorgenommen, zum ersten Mal öffentlich ein Signal zur anstehenden Nachfolge zu geben. Ihnen ist klar, dass die Ankündigung nicht ausreichen wird. Natürlich haben sie in den letzten Jahren ihr Top-Management-Team beobachtet und nach geeigneten Kandidaten Ausschau gehalten. Die wesentlichen Funktionen können durch eigene Mitarbeiter besetzt werden, nur die Position des Finanzgeschäftsführers, die aktuell von Richard ausgeübt wird, sollte in naher Zukunft eine hinzukommende Führungskraft von außen übernehmen. Die beiden Brüder hatten bereits vor fünf Jahren ein Beiratsgremium eingerichtet, in das sie direkt nach ihrem Ausstieg aus der Geschäftsführung als einfache Mitglieder eintreten wollen. Soweit die Planung im Unternehmen. Was ihn und Richard überrascht hat, ist die Reaktion der Kinder auf dem Familientreffen am letzten Wochenende gewesen. Die beiden Brüder hatten beim gemütlichen Grillabend den fünf Kindern und ihren Ehegattinnen mitgeteilt, dass sie nun zeitnah die Nachfolge im Unternehmen angehen wollten. Richard hatte dabei das von den Brüdern seit Jahren abgestimmte Vorgehen zum Ausdruck gebracht: »Mein und Konrads Ziel ist es, euch zu den besten Gesellschaftern aller Zeiten zu erziehen. Das Ziel, euch zu den besten Unternehmern aller Zeiten zu erziehen, hatten wir niemals. Wir sind der festen Überzeugung,

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dass die künftige Generation der Familie Kliemberg die Steuerung und Führung des Managements aus der Gesellschafterrolle übernehmen sollte. Das Management, das wir in der Firma brauchen, kaufen wir uns auf dem Arbeitsmarkt ein. Dies machen Konrad und ich schon seit Jahren. Wir leben schon seit langem nach dem Prinzip: Wir stellen nur Mitglieder in der Geschäftsführung ein, die schlauer sind als wir. Denen bezahlen wir auch ein höheres Geschäftsführergehalt als uns selbst. Das war und ist das Geheimnis unseres Erfolges in den letzten zwanzig Jahren.« Alle Kinder hatten die Aussage zunächst so verstanden, als hätten ihre Väter keinerlei Vertrauen in ihre unternehmerischen Fähigkeiten und würden Trostpreise verteilen. Es hatte erhebliche Anstrengungen gekostet, mit der versammelten Familie dieses Thema konstruktiv zu besprechen. Im Verlauf der Diskussion wurde erstmals deutlich, dass keines der Kinder eine Vorstellung davon hat, was die Führung eines Milliarden-Unternehmens mit über 150 Tochter­ gesellschaften, die auf dem ganzen Erdball verstreut sind, an Anforderungen und Voraussetzungen für das Top-Management mit sich bringt. Die notwendigen Ausbildungsentscheidungen und unentbehrlichen Karriereentwicklungsschritte, die bei der Besetzung der Top-Positionen im Unternehmen vorauszusetzen sind, will keines der Kinder auf sich nehmen. Schließlich hatte man sich darauf verständigt, in den nächsten Jahren gemeinsam an der Fähigkeit zu arbeiten, ein guter Gesellschafter zu werden. Was das konkret bedeutet und wie genau sich die nächste Generation auf die Aufgabe als Gesellschafter vorbereiten sollte, ist den beiden Brüdern aktuell auch noch nicht klar. Sie kennen diese Rolle ja selbst noch nicht und werden den Arbeitsalltag eines Gesellschafters erst nach ihrem Rückzug aus dem operativen Geschäft kennenlernen. Was passiert, wenn nichts passiert?

Die Unternehmerfamilie Kliemberg steht vor der Herausforderung, ein neues Selbstverständnis in der Positionierung der Familie zum Unternehmen zu erfinden, ohne dass es dafür ein Rollenvorbild gibt. Bisher wurde Unternehmertum mit der aktiven Unternehmensführung durch Familienmitglieder gleichgesetzt. Der Nicht-Einstieg in die operative Führung zwingt die nächste Generation zu einer Denkumkehr. Sie muss sachlich, sozial und zeitlich neu denken. Statt um operative Führung geht es eher um Aufsicht, statt um hierarchische Führung einer Unternehmensgruppe um ein gemeinsames Entscheiden unter den Cousins und Cousinen der dritten Generation und an die Stelle kurzfristiger Entscheidungen tritt die Entwicklung langfristiger Strategien. Wenn diese Gesellschafterfunktion nicht ausgefüllt wird, steht das Unter-

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nehmen ohne Rückgrat dar, ohne ein aktives Begleiten des operativen Geschehens durch die Eigentümer. Die Enttäuschung der nächsten Generation verdeutlicht, wie sehr die bisherige Selbstbeschreibung an dem Rollenmodell der Senioren-Generation ausgerichtet ist. Die große Chance der Familie Kliemberg liegt darin, dass sich die Senioren-Generation über einen längeren Zeitverlauf sozusagen selbst abgeschafft hat. Gemeinsam mit den Kindern ist nun eine Neuentwicklung ihrer Rolle zu definieren, durch die sie sich bewusst und ohne operative Not auf die Gesellschafterfunktion fokussieren und vorbereiten können. Unterbleibt dies, besteht die Gefahr, dass sich die nächste Generation nach wie vor an dem Rollen­modell der Väter orientiert, den nicht gewährten (und ggf. auch nicht sinnvollen) Zugang zur Top-Führung als Enttäuschung und Zurücksetzung erlebt und die mindestens ebenso wichtige Gesellschafterrolle vernachlässigt. Ohne einen Wandel des Mentalen Modells (ausführlich in Kapitel 7 beschrieben) wird womöglich ein wichtiger Entwicklungsschritt in der Unternehmerfamilie unterbleiben.

2.6 »Stammesdenken«: Wer Gleichheit sät, riskiert, Ungleichheit zu ernten So hatte es sich Herr Wiberg als Vater vorgestellt: Seine drei Söhne Hagen, Wolfgang und Peter sowie Tochter Regine sollten gemeinschaftlich als Eigentümer die Nachfolge des von ihm gegründeten Unternehmens übernehmen und es weiterführen. Er war nie ein Freund großer Worte gewesen. »Wer arbeiten will, der kann und soll mitarbeiten!«, hatte er immer gesagt. Und da alle mitarbeiten wollten, sind auch alle Kinder im Unternehmen geblieben und an unterschiedlichen Stellen und Positionen im Unternehmen tätig. Dies ist über Jahre hinweg gut gegangen. Tochter Regine hat an Führungsaufgaben wenig Interesse und beschäftigt sich mit der Buchhaltung. Peter, der Jüngste, zugleich aber auch Gewitzteste unter den Geschwistern, ist offiziell Geschäftsführer geworden – so hatten es alle gemeinsam überlegt. Natürlich werden alle großen unternehmerischen Fragen gemeinsam entschieden. Auch wenn es untereinander nicht immer einfach gewesen ist, eine Pattsituation hatte es trotz der Konstellation von vier 25-%-Gesellschaftern nicht gegeben. Gemeinsam hatten sie beispielsweise gerade entschieden, den Unternehmensstandort zu wechseln, weil das alte Produktionsgelände an seine Grenzen gekommen ist. Ein Grundstück ist schon gefunden, Architekten sind eingeschaltet, erste Pläne liegen vor und die Kredite sind mit den Banken durchverhandelt.

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Über Nacht – so scheint es zumindest – kommt es zu einem massiven Streit über die operative Nachfolge. Peter möchte gerne seinen Sohn in diese Position bringen. Sein Bruder Hagen sieht aber seine Tochter auf diesem Posten. Beide Kinder haben schon in Positionen unterhalb der Geschäftsführung im Familienunternehmen gearbeitet, ihre Leistungen werden jedoch von den Brüdern jeweils höchst unterschiedlich bewertet. Während Peter die Wahl seiner Nichte für eine Katastrophe für die Firma hält, sieht sein Bruder keinen Grund dafür, dass anstatt seiner geschätzten Tochter nun sein Neffe, den er für einen großen Blender hält, diese Position ausfüllen soll: Er sei schließlich der Ältere, er habe damals Peters Ernennung zugestimmt, aber jetzt sei seine Tochter an der Reihe. Schnell spitzt sich der Streit zu. Die Geschwister können keine Entscheidung finden, denn die beiden anderen halten sich heraus. In großer Empörung entscheidet sich der ältere Bruder schließlich, den Banken mitzuteilen, dass er die Entscheidung für den Grundstückskauf nicht mittragen werde. Daraufhin ziehen die Geldgeber die Zusage für den Kredit zurück, und der Kaufvertrag für das neue Gelände muss rückgängig gemacht werden. Neben dem großen Reputationsschaden ergibt sich hieraus auch ein großer finanzieller Verlust für die Firma, und, schlimmer noch, die Beziehungen der Geschwister erreichen einen Tiefpunkt. Viele alte Rechnungen kommen auf den Tisch, Regine solidarisiert sich mit Peter und Wolfgang mit Hagen. Nicht nur die Standortverlegung ist nun überraschend gescheitert, alle weiteren anstehenden Unternehmens- und Gesellschafterentscheidungen werden nun ebenfalls zum Anlass genommen, den Konflikt voranzutreiben. Was passiert, wenn nichts passiert?

Die Unternehmerfamilie Wiberg steht vor einer existenziellen Bedrohung. Das süße Gift der Gleichheit zeigt Wirkung. Mit der Idee der Gleichbehandlung, die in der Familienrationalität nachvollziehbar naheliegend ist, wurde eine Beziehungsdefinition unter den vier Geschwistern vorgegeben, mit der sich die Unternehmerfamilie in eine massive Belastungssituation manövriert hat. Denn im unternehmerischen Kontext ist Gleichheit eine Fiktion, die langfristig nicht tragfähig ist. Wesentliche Entwicklungs- und Differenzierungsfragen wurden über Jahrzehnte hinweg nicht diskutiert. Ohne Bewusstheit für die Komplexität funktionierender Abstimmungsprozesse unter Geschwistern entstehen meist wie von selbst Lösungsideen, die der Logik der Familie folgen. Deshalb ist die Ausbildung von Stammesstrukturen naheliegend (siehe das Kapitel 5.5), in denen dann das Wohl des eigenen Zweiges der Familie die oberste Priorität hat. Selbstverständlich sieht man meist die eigene Tochter oder den eigenen Sohn als die beste aller möglichen Optionen – ein Konflikt ist schnell vorprogrammiert.

Geisterbahn fahren: »Was passiert, wenn nichts passiert?«

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2.7 »Sinnverlust«: Ein Börsengang und seine Folgen »Dieser Tag markiert das Ende von uns als Industriedynastie der zu Hohenfels«, schreibt Beatrix zu Hohenfels in ihr Tagebuch. Nachdem sie ihre Tränen getrocknet hat, nimmt sie sich vor, die Geschehnisse der letzten 24 Monate für sich noch einmal zu reflektieren, um zu verstehen, was ihr und ihrer Sippe eigentlich geschehen ist. Schnell merkt sie, dass der Komplettverkauf der Zu Hohenfels’schen Stahl- und Eisenbetriebe AG seinen Ursprung nicht in der Übernahmeschlacht durch einen chinesischen Investor, sondern schon vor dem Börsengang vor 35 Jahren hat. Damals, Anfang der 1980er Jahre, hatten die vier im Unternehmen tätigen Vettern aus der fünften Generation vorgeschlagen, einen Teil der Aktien an die Börse zu bringen, um hierdurch die Übernahmen anderer Unternehmen im In- und Ausland im Rahmen der verabschiedeten Wachstumsstrategie finanzieren zu können. Sie erinnert sich noch genau an die dieser Entscheidung vorangegangene Aktionärsversammlung der Familiensippe. Erstmals seit 15 Jahren erschienen alle Aktionäre zur Hauptversammlung. Sie war damals mit ihren 22 Jahren die mit Abstand jüngste Teilnehmerin, zugleich aber immerhin die Anteilseignerin mit dem größten Aktienpaket. Ihr verstorbener Vater hatte ihr 10,5 % der Anteile an dem Familienunternehmen hinterlassen. Die anderen 27 Aktionäre kamen ihr sehr fremd vor. Ein paar Onkel und Tanten kannte sie flüchtig von Familientreffen, insgesamt hatte sie jedoch den Eindruck, dass die Mitglieder der Eigentümerfamilie zu Hohenfels einzig und allein durch die Anteile am Unternehmen verbunden seien, obwohl sie sich in der hitzigen Debatte immer wieder auf die »gemeinsamen Werte unserer Vorfahren und Gründerväter« beriefen. Die vier im Unternehmen als Vorstände tätigen Vettern hatten in den Jahren vorher im Wesentlichen mit dem Aufsichtsrat, dem ihr Vater angehört hatte, kommuniziert. Die obligatorische Hauptversammlung war zu einer immer weniger frequentierten Veranstaltung verkommen, in deren Rahmen Vorstand und Aufsichtsratsmitglieder in langwierigen Monologen allgemeine Abhandlungen verlasen. Die Vorstände hatten immer dafür gesorgt, dass 50 % des Free-Cash-Flows als Dividendenzahlungen an die Aktionäre gingen. Somit hatte nie einer der wenigen anwesenden Aktionäre das Gespräch mit den Gremienvertretern auf der Hauptversammlung gesucht. Um die vorgeschlagenen 30 % der Aktienanteile an die Börse bringen zu können, hatten die vier Vettern im Vorstand damals sehr überzeugend argumentiert: »Schaut euch doch die Dividendenzahlungen in den letzten 15 Jahren an. Gibt es eine Geldanlage die ihr kennt, bei der es mehr Rückflüsse auf das eingesetzte Kapital gibt? Wenn wir jetzt 30 % an die Börse bringen, dann werden die Anteile spätestens in fünf Jahren den 1,5-fachen Wert von heute

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II  Nicht gemanagt: Lösungen, die Probleme schaffen

haben.« Die Vettern hatten sich aber erheblich verkalkuliert: Die Firmenanteile hatten durch den geschickten Einsatz der beim Börsengang generierten Geldmittel ihren Wert bereits nach zwei Jahren verdreifacht! Die Vorstände waren davon ausgegangen, dass die Familienmitglieder diesen Wertzuwachs honorierten und in Kombination mit den weiterhin hohen Dividendenzahlungen fest hinter dem Unternehmen stehen würden. Das Gegenteil war der Fall: Immer mehr Mitglieder aus der Familiensippe hatten sich entschieden, Teile von ihren Aktienpaketen zu verkaufen. Der ursprüngliche Wert hatte sich ja mehr als verdoppelt. Endlich wollte man einmal etwas Alternativvermögen aufbauen, um keinem »Klumpenrisiko im Vermögen« anheimzufallen. Binnen weniger Jahre war dadurch der Anteil der Familie zu Hohenfels auf gerade mal 30 % zusammengeschmolzen. Den plötzlichen Kursanstieg vor gut zweieinhalb Jahren um 20 % hatten die verbleibenden Familienaktionäre der weiterhin erfolgreichen Umsetzung der Unternehmensstrategie durch den mittlerweile völlig familienextern besetzten Vorstand zugeschrieben. Erst als plötzlich ein chinesischer Investor an die Familie mit einem Übernahmeangebot herantrat, wurde den Familienvertretern im Aufsichtsrat klar, dass ihr Unternehmen ein »Target« auf dem internationalen Kapitalmarkt geworden war. Beatrix zu Hohenfels hatte zusammen mit ihrem Cousin versucht, die noch verbliebenen Familienaktionäre zu einem Aktienpooling zu bewegen, um so mit den verbliebenen Aktienanteilen im Familienbesitz dem Investor entschieden entgegentreten zu können. Doch leider stellte sich heraus, dass sie lediglich 23,8 % der Anteile hinter sich bringen konnten. Die anderen Aktionäre waren bereit, auf den mit einer hohen Zusatzprämie ausgestatteten Vorschlag des Investorenkonsortiums einzugehen. Da Beatrix von Hohenfels und die wenigen verbliebenen Mitstreiter aus der Familie keine Chance mehr sahen, als Minderheitseigentümer den Kurs des Unternehmens weiterhin nachhaltig mitbestimmen zu können, hatten sie zähneknirschend ihr Familienunternehmen verkauft und in die Hände der chinesischen Investoren übergeben. Diese hatten das Unternehmen binnen kürzester Zeit von der Börse genommen, in einzelne Teile zerschlagen, einen Großteil der Arbeitsplätze am Gründungsstandort abgebaut und wesentliche Technologien nach China gebracht. Was passiert, wenn nichts passiert?

Dieser Fall zeigt auf dramatische Art und Weise, in welches Fahrwasser größer werdende Unternehmerfamilien geraten können, wenn sie sich ausschließlich auf die Eigentümerfunktion konzentrieren, ohne sich als kompetente Gesellschafter zu verstehen. Die letzten aktiven Familienmitglieder der zu Hohenfels hatten versucht, über eine üppige Wachstums- und Ausschüttungspolitik

Geisterbahn fahren: »Was passiert, wenn nichts passiert?«

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den Zusammenhalt der Familiensippe zu forcieren. Es wurde angenommen, dass zufriedene Aktionäre gleichzeitig verträgliche Familiengesellschafter sind, hierbei jedoch vergessen, dass eine Bindungsstrategie, die ausschließlich über ökonomische Faktoren funktioniert, genau die Denklogik auf den Plan ruft, die einem Zusammenhalt der Eigentümerfamilie entgegensteht: Sobald ein rein ökonomischer Sinnzusammenhang mit der Eigentümerrolle in der Familie assoziiert wird, geht das Familienhafte verloren. Es reicht eben nicht aus, nur auf die Dividendenzahlung und Wertsteigerung der Anteile zu schauen. Parallel ist an den »emotionalen Zusatzausschüttungen« zu arbeiten (vgl. Simon et al., 2005), die die Mitgliedschaft in einer traditionsreichen Unternehmer­ familie bieten kann. Wird die Anteilseignerschaft an einem Familienunternehmen nicht systematisch durch Aktivitäten der Unternehmerfamilie begleitet, die über eine Haupt- oder Gesellschafterversammlung hinausgehen, dann droht die Unternehmerfamilie sich mit der Zeit beinahe zwangsläufig in eine Investorengemeinschaft zu verwandeln, die sich einzig durch gemeinsame Vorfahren von einer anonymen Börsengesellschaft unterscheidet. Ist es einmal zur Erosion der emotionalen Verbundenheit mit dem Unternehmen und der Familie gekommen, wird die Bindung des Vermögens an das Familienunternehmen als »dysfunktionale Risikoallokation« gesehen und Wünsche nach einer Vermögensdiversifikation werden laut. Jede Unternehmerfamilie ist daher gut beraten, sich regelmäßig zu fragen, ob sie eine Unternehmer­familie mit Bindung an ihr Herkunftsfamilienunternehmen oder eine Investoren­ gemeinschaft sein möchte.

2.8  »Postpatriarchale Lähmung«: Keiner darf Macht haben »Lieber Richard, zunächst möchten wir, die Unterzeichnenden, Dir unsere Dankbarkeit für Deinen unermüdlichen Einsatz in unserem gemeinsamen Unternehmen in den letzten Jahren zum Ausdruck bringen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass Du das unternehmerische Erbe von unserem Vater, Onkel und Großonkel in den letzten Jahren zum Wohle von uns allen annehmen wolltest. Wir sind froh, dass Du Dich damals sofort bereit erklärt hast, die entstandene Lücke in der Geschäftsführung nach Heinrichs überraschendem Tode zu schließen. Das Unternehmen hat sich unter Deiner Führung in den letzten drei Jahren hervorragend entwickelt. Wir erkennen Deine Leistung voll an. Was wir aber leider nicht mehr akzeptieren können und wollen, ist die Art, wie Du Deine Entscheidungen in Bezug auf das Unternehmen triffst. Wir sind

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II  Nicht gemanagt: Lösungen, die Probleme schaffen

nicht mehr bereit, nachträglich unsere Zustimmung zu Geschäften zu geben, die Du bereits getätigt hast. Wir erwarten von Dir, dass Du uns als Mitgesellschafter informierst, mit uns grundlegende Überlegungen über die Sinnhaftigkeit der Maßnahme anstellst und unsere Zustimmung einholst. Wie unsere Eltern in der vierten Generation ihre Entscheidungen organisiert haben, ist für uns unwichtig. Wir, Deine Mitgesellschafter in der fünften Generation, denen immerhin 70 % des Unternehmens gehören (!), sind nicht mehr bereit, uns von Dir wie von einem Familienkönig regieren zu lassen. Vor diesem Hintergrund sagen wir Dir in aller Form, dass wir Deine für die nächste Woche geplante feierliche und mit uns wieder einmal nicht abgestimmte Unterzeichnung des Joint-Ventures mit Zhejiang Industries Ltd. nicht mittragen und Dir keine Zustimmung als Gesellschafter zu diesem Geschäft geben werden. Wir fordern Dich hiermit auf, uns, Deine Mitgesellschafter, über diese Aktivität sowie die Zukunftsstrategie des Unternehmens ausgiebig zu informieren. Hochachtungsvoll Deine …«

Richard Silbernagel hält den Brief in seinen vor Wut zitternden Händen. Seine zwei Schwestern, der jüngere Bruder und die sechs Cousinen und Großcousins hatten ihm diesen vor fünf Jahren per Boten zugestellt, an einem Freitagmittag kurz vor dem geplanten Joint-Venture mit den chinesischen Partnern. Seitdem ist es bergab mit der Firma Silbernagel & Cie. gegangen. »Keine einzige wesentliche Entscheidung mehr, seit über fünf Jahren«, ruft er aufgebracht dem Wirtschaftsprüfer zu. »Warum wundert es Sie dann, dass wir umsatz- und ergebnisseitig auf der Stelle treten? Lesen Sie als Prüfer denn nicht die Protokolle der Gesellschafterversammlung?« Ihm ist klar, dass er seiner Frustration freien Lauf lässt und dass der Wirtschaftsprüfer, der ihm im Rahmen des Abschlussgespräches kritische Fragen zur Geschäftsentwicklung in den letzten Jahren gestellt hat, nur seiner Pflicht nachgeht. Tatsächlich hatte das Schreiben den Ausgangspunkt einer dramatisch negativen Entwicklung markiert. Richard war mit 38 Jahren ins elterliche Unternehmen eingetreten, nachdem sein Vater 72-jährig überraschend verstorben war, und hatte dessen Aufgaben in der Geschäftsführung übernommen. In den ersten beiden Jahren hatte er, der Tradition folgend, seinen Großonkel, der einmal pro Monat mit seinem Vater zusammen Mittag gegessen hatte, über die Entwicklung im Unternehmen informiert. Nach dessen Tod hatte er seine Geschwister, Cousinen und Großcousins, die sich nie für irgendetwas, abgesehen von der Ausschüttungshöhe interessiert hatten, einmal jährlich auf der Gesellschafter­ versammlung über die allgemeinen Zukunftsperspektiven des Unternehmens

Geisterbahn fahren: »Was passiert, wenn nichts passiert?«

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unterrichtet. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten (keiner hatte ein Interesse für den Wirtschaftsbereich entwickelt) waren die Gespräche jedoch sehr oberflächlich geworden. Er hatte seine ganze Energie in die Übernahme der Nachfolgerolle seines Vaters gesteckt und nach bestem Wissen und Gewissen dessen Erbe angetreten. Das Unternehmen hatte prosperiert und sich ansehnlich weiterentwickelt, Gewinn und Ausschüttungshöhe waren deutlich gestiegen. Die notwendigen Zustimmungen hatte er sich wie sein Vater jeweils per Umlaufbeschluss oder auf der Gesellschafterversammlung besorgt. Und dann kam die Absage zur Zustimmung zum Joint-Venture mit Zhejiang Ltd. – und seitdem gar nichts mehr! Jedes Mal, wenn er eine Zustimmung durch die Mitgesellschafter benötigt hatte und mit seinen neun Mitgesellschaftern anstehende Entscheidungen besprechen wollte, konnten diese entweder der Diskussion inhaltlich nicht folgen oder waren sich nicht sicher, ob die Entscheidung die richtige für das Unternehmen sei. Nach mehreren Anläufen hatte er die Einrichtung eines Beiratsgremiums vorgeschlagen, das mit sachkundigen familienexternen Experten aus der Wirtschaft besetzt werden würde, um die Interessen der Gesellschafter zu vertreten. Auch hier kann man sich nicht entscheiden. So dümpelt alles vor sich hin, und Richard überlegt schon seit Monaten, ob er seine Position als Geschäftsführer nicht besser aufgeben und den Verkauf des Unternehmens vorschlagen sollte. Was passiert, wenn nichts passiert?

Das Fallbeispiel zeigt, welche Gefahren in patriarchalen oder post-patriarchalen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen lauern. Während in der Senior-Generation ein entsprechendes Entscheidungsverhalten des geschäftsführenden Gesellschafters akzeptiert wurde, liegt für den Nachfolger nicht automatisch eine vergleichbare Legitimation durch seine Mitgesellschafter vor. Eine vom operativen Nachfolger vorgenommene Fortsetzung patriarchaler Entscheidungsprozesse wird von den restlichen Gesellschaftern nicht hingenommen, plötzlich und ultimativ können, oft nach einer langen Zeit, in der sich still Ärger aufgebaut hat, die Rechte als Gesellschafter eingefordert werden. Für den Nachfolger ist eine solche plötzliche Kehrtwende in der Erwartung, bei Entscheidungen mitwirken zu wollen, nicht nachvollziehbar. Die nachfolgenden Diskussionen zeigen oftmals, dass den Gesellschaftern die Praxis, wie gemeinsam entschieden wird, fehlt. Daher drohen Entscheidungen nur durch Verhinderungsmacht bearbeitet zu werden. Sie werden dadurch, dass man sich nur darin einig, dass man sich nicht einig ist, blockiert. So kommt es zu einer Art von negativen Machtkämpfen: Man kämpft nicht darum, Macht zu haben, sondern darum, die Macht eines anderen zu verhindern bzw. dafür zu sorgen, dass

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keiner mehr Macht hat als der andere. Gerade operative Mitglieder der Familie werden argwöhnisch daraufhin beobachtet, ob sie sich in ihrem Entscheidungsverhalten patriarchalisch gerieren – und dementsprechend sanktioniert: »Glaub’ ja nicht, dass du der nächste Patriarch sein kannst!« Damit lähmt sich die Familie letztlich selbst und wesentliche Weichenstellungen für die Zukunft des Unternehmens drohen zu unterbleiben (siehe das Kapitel 7.2).

2.9 »Gesellschafterkompetenz«: Wer erfüllt die Anforderungen an Gremienarbeit? »Leider muss ich Dir, lieber Vetter, mitteilen, dass mich meine Tätigkeit als Hauptabteilungsleiter Rechnungswesen seit unserer Fusion mit dem amerikanischen Partner derartig in Anspruch nimmt, dass ich Deinem Wunsch, mich bei der Wahl zum Mitglied des Gesellschafterausschusses in diesem Herbst aufstellen zu lassen, nicht nachkommen kann. Die von Dir skizzierten zwölf bis 15 Manntage Arbeitsaufwand pro Jahr werde ich in der nächsten Zeit nicht erbringen können. Die dafür notwendige Reduktion meines Zeitbudgets bei meinem Arbeitgeber würde meiner Konzernkarriere sicherlich erheblich schaden oder sogar dazu führen, dass ich meine Position an einen Mitarbeiter des Fusionspartners verlieren würde. Ich hoffe, Du hast Verständnis, dass ich dieses persönliche Risiko für die Mitarbeit in einem Kontrollgremium unseres gemeinsamen Familienunternehmens nicht eingehen möchte, zumal die Vergangenheit auch gezeigt hat, dass eine Abwahl aus dem Gremium sehr schnell und oft nach nicht nachvollziehbaren Kriterien erfolgt. Ich wünsche Dir für Deine Suche das erdenklich Beste und …«.

»Nun auch noch von Hubertus eine Absage«, kopfschüttelnd sieht Friedrich Schwanthaler von dem Schreiben auf und blickt aus dem Fenster seines Büros in der Konzernzentrale. Wie soll es jetzt weitergehen? Es gibt fünf Vertreter der Gesellschafterfamilie, die zusammen mit ihm im Aufsichtsgremium ihres börsennotierten Familienunternehmens sitzen. Sie alle sind älter als sechzig Jahre. Deshalb soll nun eine Verjüngungskur der Familienvertreter in den Gremien stattfinden. Stattdessen erlebt Friedrich eine herbe Enttäuschung nach der anderen. Er hatte als Vorsitzender des Gesellschafterausschusses und Mitglied des Aufsichtsrates vor einem halben Jahr begonnen, ein Screen­ ing unter den Mitgliedern seiner großzahligen Gesellschafterfamilie durchzuführen. Erst hatte er sich die Profile der Gesellschafter in der Altersstufe vierzig bis 55 Lebensjahre angeschaut, war jeden Lebenslauf im familieneigenen Intranet durchgegangen, dann hatte er nach eingeheirateten Familienmit-

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gliedern Ausschau gehalten. Von 53 in Frage kommenden Personen erwiesen sich gerade einmal acht Mitglieder aus der Gesellschafterfamilie aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres Wohnsitzes grundsätzlich als fähig bzw. in der Lage, sich in eines der zwei Gremien, das heißt den Gesellschafterausschuss und/oder den Aufsichtsrat, wählen zu lassen. Seine Anfragen sind jedoch von geringem Erfolg gewesen. Es hat immer wieder die gleichen Rückmeldungen gegeben: keine Zeit oder keine Lust sowie die ausgeprägte Sorge, zum einen die eigene Karriere zu vernachlässigen und zum anderen bei der nächsten Gelegenheit von den 142 wahlberechtigten Familiengesellschaftern wieder abgewählt zu werden. Natürlich gibt es auch interessierte Gesellschafter, die sich eine Mitarbeit in den Gremien vorstellen können, sicherlich auch durch die doch recht ordentliche Vergütung dieser Aufgabe angelockt. Leider sieht Friedrich Schwanthaler bei diesen Mitgesellschaftern erhebliche Defizite in der notwendigen Kompetenz, als Mitglied entsprechender Gremien eines börsennotierten Familienunternehmens zu fungieren. Von den fünf Kandidaten, die sich eigeninitiativ gemeldet und ein Interesse an einer Mitarbeit bekundet haben, kommt allenfalls eine Kandidatin in Frage, und auch diese würde nur bei umfänglichen Schulungs- und Ausbildungsmaßnahmen das Potenzial haben, von den familienexternen Vorständen, den Vertretern der frei gehandelten Aktien und den Arbeitnehmervertretern als vollwertiges Mitglied des Kontrollgremiums anerkannt zu werden. Nicht nur er ist dadurch in ein Dilemma geraten, sondern die gesamte Familie. Diese steckt offensichtlich in einer Art Professionalisierungsfalle. Was passiert, wenn nichts passiert?

In Unternehmerfamilien entsteht ab einer bestimmten Größe (spätestens ab circa fünfzig Personen, oft jedoch auch schon vorher) ein Management- und Organisationsbedarf, der nicht mehr nebenbei von einzelnen Personen gedeckt werden kann. Zugleich geht es um die Handhabung einer Komplexität, die eine bestimmte Gesellschafterkompetenz voraussetzt. Diese basiert auf einem breit gefächerten Wissen um betriebswirtschaftliche, strukturelle, administrative und psychologische Fragen, die das Unternehmen und die Unternehmerfamilie betreffen. Diese Kompetenz fällt nicht »vom Himmel«, es braucht Zeit, sie zu erwerben und setzt die Bereitschaft voraus, eine der verschiedenen Aufgaben im Familienmanagement zu übernehmen. Beides erfordert einen kontinuierlichen Gesprächszusammenhang der Familie, innerhalb dessen sich die Rollen begabter, interessierter und kompetenter Gesellschafter ausdifferenzieren können.

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2.10 Eine der wichtigsten Fragen: Was passiert, wenn nichts passiert? In jeder der Fallvignetten wurde nicht zufällig die Frage gestellt: »Was passiert, wenn nichts passiert?« Natürlich passiert nicht wirklich nichts, wenn nichts passiert. Es geschieht immerfort etwas. Das Unternehmen verändert sich, wächst (hoffentlich) oder kommt in eine Krise (hoffentlich nicht) und die Konstellationen in der Unternehmerfamilie ändern sich: Senioren treten ab, Geschwister oder Cousins und Cousinen werden Geschäftsführer und Gesellschafter und zuweilen werden aus überschaubaren Gesellschaftertreffen am Küchentisch nach vier Generationen Versammlungen, für die ein großer Saal gemietet werden muss. In der Betrachtung von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien ist es ratsam, deren Co-Evolution im Zeitverlauf zu fokussieren. Beide, Unternehmen wie Familie, stellen füreinander Entwicklungsumwelten zur Verfügung, und so entsteht eine Dynamik, die schnell entgleisen kann, sofern sie nicht klug gehandhabt wird. Was eine kluge Handhabung ausmacht, werden wir im Verlauf des Buches als Paradoxiemanagement bezeichnen. Wir werden zudem hervorheben, dass sich Unternehmerfamilien in ihren Veränderungsprozessen und Veränderungsnotwendigkeiten selbst reflektieren können: Ein Patriarch tritt ab, die Unternehmensgröße passt nicht mehr zum Anspruch der Familienführung, die wachsende Familie kann das Unternehmen kaum noch mit den intuitiven Eigentümerstrategien der Vorgängergeneration lenken etc. Nicht wenige Familien finden sich in Lagen wieder, aus denen es keinen Ausweg gibt bzw. aus denen jeder Ausweg an irgendeiner Stelle die Familie so stark belasten kann, dass das Risiko besteht, dass die familiären Beziehungen zerstört werden. Wenn »nichts« passiert, heißt das, dass die Akteure vielfach mit familial geprägter Rationalität auf das Geschehen blicken, ohne sich ihrer eigenen blinden Flecke bewusst zu sein. Ihre Kommunikation bzw. ihre Interaktionsmuster folgen den Spielregeln, die in Familien gelten. Man denkt in Kategorien der bestmöglichen Bedingungen für einen selbst und die eigenen Kinder, der gleichmäßigen unverbrüchlichen Gerechtigkeit für die Familienmitglieder und der Selbstverständlichkeit von Zugehörigkeit und Bindung. Eine vielfach ad hoc und zufällig entstandene Praxis der Weitergabe von Anteilen, der Auswahl familiärer Führungskräfte, der Besetzung von Beiräten wird, weil sie bisher funktioniert hat, zum Erfolgsfaktor verklärt. Dass »nichts passiert«, bedeutet, dass alles weiter so wie bisher praktiziert wird. In diesem Sinne kann nichts, wie einige der Beispiele zeigen, auch meinen, dass mit guten Absichten verbundene Versuche

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der Planung und der Regelung in Sackgassen führen, da die alten Regeln nicht zur den aktuellen Problemlagen passen. Die Folge einer familienstrategischen Reflexion und Überarbeitung der vielen, über Jahrzehnte entstandenen impliziten Regelungen ist die Erkenntnis, dass Planung und Kontrolle, verbunden mit der Ausbildung expliziter Regeln, nicht automatisch dazu führen, dass sich die Dinge positiv entwickeln. Regeln allein sind vielfach nicht genug. Es braucht auch eine besondere Klugheit und Geschicklichkeit bezüglich des Managements von Komplexität. Denn Familienunternehmen wie Unternehmerfamilien sind alles andere als triviale soziale Gebilde. Mit der besonderen Form von Komplexität der Familienunternehmen und mit den notwendigen Führungs- und Managementaufgaben beschäftigen sich die folgenden Kapitel.

III

  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Wir kommen nun zum Kern dieses Buches. Während es in der Literatur zu Familienunternehmen meist um eine Theorie des Familienunternehmens geht, sehen wir in der Erarbeitung einer Theorie der Unternehmerfamilie die eigentliche wissenschaftliche Aufgabe und Herausforderung. Denn ein Unternehmen ist zwar auch betroffen, wenn es eine Familie in seiner engeren Umgebung hat, doch die Familie ist ungleich stärker beansprucht. Sie muss kontinuierlich dafür sorgen, die eigene Entscheidungsfähigkeit aufrecht zu erhalten und sich dazu auf eine Weise organisieren, wie dies »andere« Familien nicht tun. Die beiden folgenden Kapitel sind der theoretischen Ausarbeitung dieser Überlegungen gewidmet. Diese bauen auf den im ersten Kapitel erwähnten Vorarbeiten des WIFU auf.

3 Die unmögliche Verbindung von Familie und Unternehmen

Dieses Kapitel führt in zentrale theoretische Überlegungen ein, die im WIFU in den vergangenen Jahren erarbeitet wurden. Es wird zunächst ein klassisches Modell vorgestellt und kritisch diskutiert, das für viele Forschungen über Familienunternehmen eine Grundlage darstellt: das Drei-Kreise-Modell. Dieses Modell wird in diesem und im folgenden Kapitel 4 zur »verdoppelten Familie« von uns weiterentwickelt: Ein systemtheoretisches und kommunikationstheoretisches Verständnis sieht Familie, Unternehmen und Eigentum nicht als drei Kreise, sondern als Kontexte, die für jeweils eine besondere Kommunikationslogik stehen. Diese Überlegungen führen zu dem Begriff der Paradoxie, der unseres Erachtens für das Verständnis von Vorgängen in der Familie und zum Teil auch im Unternehmen sehr hilfreich ist. Abschließend führt dieses Kapitel auf das Konzept der Paradoxiefreundlichkeit hin, das für eine Form von Familienstrategie steht, die sich nicht an starren Regelungen orientiert, sondern an der Balance von unausweichlichen Widersprüchen.

3.1 Familie und Unternehmen passen eigentlich nicht zusammen! Die Überschrift ist bewusst als Provokation gedacht: Familie und Unternehmen passen eigentlich nicht zusammen! Es soll hier gezeigt werden, dass Familie und Unternehmen so unterschiedlich sind, dass ein erfolgreiches Zusammenwirken theoretisch wie praktisch unwahrscheinlich ist. Dies mag sich negativ anhören, ist vor dem Hintergrund der häufig in Unternehmerfamilien auftretenden Konflikte jedoch auch als gute Botschaft zu begreifen: Man braucht sich der Konflikte nicht zu schämen! Denn sie dürften die Regel sein, der zu erwartende Normalfall. Das eigentlich erstaunliche Phänomen, das besondere wissen-

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schaftliche Rätsel, ist dagegen, wie es kommt, dass es doch eine recht große Zahl von Familien schafft, mit dem Unternehmen an ihrer Seite gut zu leben. Doch auch sie haben mit den Spannungen umzugehen, die sich daraus ergeben, dass Familie, Unternehmen und Eigentümerkreis (dieses dritte System wird häufig mit hineingerechnet, mehr dazu weiter unten) unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Logiken folgen. »Was man auch macht, es ist irgendwie verkehrt!«, ist eine Klage, die im Kontext von Familienunternehmen gar nicht so selten zu hören ist. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Kapitel ein theoretisches Grundverständnis entwickelt, das helfen kann, diese Phänomene zu verstehen. Die Theorie liefert die erforderliche Außensicht, die für das Erleben von Personen, die tief in ihrem Unternehmerfamilienalltag verstrickt sind, einen brauchbaren Erklärungsrahmen bietet. Denn darum geht es: Wie gelingt es den Mitgliedern einer Unternehmerfamilie, individuell wie gemeinschaftlich von außen auf sich und die entstehenden Dynamiken zu schauen. Dies ist die Grundvoraussetzung dafür, familienstrategisch zu agieren und für den Versuch, Geisterbahnfahrten, wie sie im letzten Kapitel aufgezeigt wurden, im eigenen Interesse zu verhindern. Noch vor einigen Jahrzehnten war die Theorielage dünn. Bis in die 1980er Jahre hinein gab es, abgesehen von betriebswirtschaftlichen Studien, nur wenige Forschungsergebnisse und auch nur wenige theoretische Arbeiten zum Familienunternehmen und noch weniger zu Unternehmerfamilien. Das hat sich inzwischen deutlich verändert. Die Gründung der Zeitschrift »Family Business Review« 1988 war sicher ein markanter Wendepunkt, der deutlich machte, dass es sich lohnte, sich wissenschaftlich mit dieser Unternehmensform zu befassen (Hollander u. Elman, 1988). Durch eine Vielzahl an Theorien wird mittlerweile versucht, das komplexe Geschehen um Familienunternehmen konzeptuell zu fassen (für einen aktuellen Überblick siehe z. B. Melin, Nordqvist u. Sharma, 2014). In der Familienunternehmensforschung gibt es dabei einen gewissen Grundkonsens, dass »a system’s view«, also ein Systemblick (Zahra, Klein u. Astrachan, 2006), eine gute Ausgangsbasis ist, um die verschiedenen Analyseebenen angemessen zu rekonstruieren. Doch dieser Konsens geht noch lange nicht mit einer einheitlichen Theorie einher, so dass viele unterschiedliche Ansätze derzeit die Debatten bestimmen. Daher soll der Bezug, der diesem Buch zugrunde liegt, an dieser Stelle explizit genannt sein: Die folgenden Überlegungen fußen weitgehend auf theoretischen Überlegungen, wie sie ursprünglich von Niklas Luhmann entwickelt wurden (z. B. Luhmann, 1984, 2000). Die neuere soziologische Systemtheorie ist unseres Erachtens am besten geeignet, Erklärungsmodelle für die vielfältigen Situationen und Gefühle der Zerrissenheit von Familienmitgliedern zu liefern und die Komplexität der Unternehmerfamilien zu erfassen.

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Im Lichte dieser Theorie werden soziale Phänomene systemisch betrachtet. Soziale Systeme gelten als Kommunikationssysteme, die sich auf eine besondere Art und Weise entwickeln. Familie, Unternehmen, wie auch Eigentümerkreise (diese drei werden noch oft zur Sprache kommen) werden als Systeme angesehen. Mit dieser Sicht ändert sich sogleich der Beobachtungsfokus. Vereinfacht gesprochen geht es sozusagen um Spiele, die durch spezifische Regeln bestimmt sind. Soziale Systeme sind damit weniger über die Menschen definiert, sondern über die besondere Form der Kommunikation. Und wie man schnell erkennen kann, wird auf Familienfeiern, Unternehmensmeetings und Gesellschaftertreffen recht unterschiedlich kommuniziert, selbst wenn der Personenkreis gleich ist. Schaut man systemisch auf das, was anders ist, erkennt man eine andersartige Verknüpfung kommunikativer Ereignisse aufgrund unterschiedlicher Erwartungen. Dies mag sich zunächst abstrakt anhören, doch ist es von besonderer Bedeutung für die vertiefende Auseinandersetzung mit Entwicklungsfragen der Unternehmerfamilien: Was beobachtbar geschieht, hängt von den jeweils geltenden Erwartungen ab. Da jedoch nirgendwo in Stein gemeißelt steht, was gerade gilt, da alles Handeln in Unternehmerfamilien im Kontext spezifischer familialer oder unternehmerischer Erwartungen zu sehen ist, sind alle familienstrategischen Regelungen als Arbeit an verbindlichen Erwartungen zu sehen. Gehen wir noch einen Schritt weiter: Ein solcher, theorieinspirierter Blick hilft auch, sich von dem naiven Alltagsverständnis zu verabschieden, dass Systeme aus Menschen bestehen. Was wäre von folgender Antwort auf die Frage, was ein Schachspiel ist, zu halten: »Ein Schachspiel, das sind die Figuren und ein Brett«? Nicht viel, denn sie beschreibt das Spiel in keiner Weise. Es sind nicht die Figuren, die ein Spiel ausmachen. Ein Schachspiel kann man mit Muscheln, Steinen, geschnitzten Figuren, kleinen Miniplastikfigürchen am Tisch und auch mit großen Holzklötzen im Park spielen. Die Figuren sind notwendig, sind sozusagen ein notwendiger Kontext, ohne den das Spiel nur sehr schwer (etwa gedanklich) zu spielen ist, aber das Spiel besteht nicht aus den Figuren. Es besteht aus den Regeln, nach denen die Figuren sich bewegen. Das Spiel ist also eigentlich unsichtbar, ein komplexes Gebilde aus aufeinander bezogenen Dynamiken, die das Verhalten der einzelnen Figuren begrenzen (ohne es komplett vorherzusagen). Ähnlich ist es in sozialen Systemen ganz allgemein (und in Unternehmerfamilien und Familienunternehmen im Besonderen). Es sind nicht die spezifischen Menschen, die zufällig zusammenstehen, sondern ein soziales System entsteht in der Art und Weise, wie eine Kommunikation an die andere anschließt und sich Kommunikationsmuster beobachten lassen. Diese Muster haben etwas mit den spezifischen Erwartungen zu tun, die sich entwi-

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ckelt haben, den Spielregeln, die das Kommunikationssystem bestimmen. Und genau das macht Familie aus: Ohne Figuren (Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen etc.) ist das Spiel nicht spielbar, doch geht es nicht um eine Ansammlung von Menschen, sondern um die Art des Spiels und die jeweils zugrundeliegenden Spielregeln, die sich zwischen ihnen entwickelt haben. Diese hier nur sehr grob skizzierten Grundgedanken der Theorie sozialer Systeme wurden im deutschsprachigen Raum von einer Reihe Familienunternehmensforschern auf diese Unternehmensform angewendet (Groth u. von Schlippe, 2012; von Schlippe u. Frank, 2013; Simon et al., 2005; Simon, 2012; Wimmer et al., 2005 – für einen grundlegenden Überblick über die Bedeutung dieser Theorie im Organisationskontext siehe Wimmer, 2012). Ein solcher Zugang ist abstrakt und konkret zugleich: Er fokussiert auf allgemein geltende Unterschiede von Familien- und Organisationssystemen, ist sich aber auch bewusst, dass sich Regeln, Normen und Erwartungen nicht eins zu eins von einer Unternehmerfamilie auf die andere übertragen lassen.

3.2  Drei »Kreise«? Im Kontext der hier präferierten Systemsicht sind die bisher gängigen und auch in Unternehmerkreise hinein bekannt gewordenen Konzepte zum Verstehen von Familienunternehmen neu zu interpretieren. Ein Konzept ist in der Familienunternehmensforschung sehr prominent geworden, es ist das sogenannte »Drei-Kreise-Modell« (Gersick, Davis, McCollom Hampton u. Lansberg, 1997; Tagiuri u. Davis, 1996). Kaum ein Buch über Familienunternehmen kommt ohne dieses Modell aus, auch wenn es durchaus kritisch gesehen werden kann (siehe z. B. von Schlippe, 2013). Es beschreibt drei Bereiche, die im Kontext Familie von Familienunternehmen immer wieder als bedeutsam benannt werden: Familie, Unternehmen und Gesellschafterkreis (siehe Abbildung 2). Die Beliebtheit des Modells hat sicher Unter­Eigentum nehmen damit zu tun, dass es sich auch für den nicht wissenschaftlich ausgerichteten Betrachter sozusagen wie von selbst erklärt. Man weiß schnell, in welchem Feld, in welcher Abbildung 2: Drei-Kreise-Modell des Schnittmenge man zu Hause ist (als FamiFamilienunternehmens (nach Tagiuri u. Davis, 1996) lienmitglied mit Anteilen in der einen

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Schnittmenge, als operativ tätiges Familienmitglied noch ohne Anteile in der anderen und als operatives Familienmitglied, das Anteile besitzt, im Schnittpunkt der drei Kreise). Mindestens drei theoretische Lesarten des Modells lassen sich ausmachen und werden nachfolgend vorgestellt. 3.2.1  Drei Kreise und vier Schnittmengen In der ersten, alltagssprachlichen Auslegung kann das Modell dazu verwendet werden, die jeweiligen Personen eines Familienunternehmens in den jeweiligen Kreisen und Schnittmengen zu verorten. Jedes Individuum kann, wie gerade kurz skizziert, einem der Sektoren zugeordnet werden. Oftmals werden die Flächen deshalb mit Nummern versehen. Der Unternehmensgründer, Vater und Eigentümer steht so gesehen im Schnittpunkt der drei Systeme, seine Frau als Miteigentümerin, die nicht operativ tätig ist, im Schnittpunkt von Familie und Eigentum, während sich ein Kind, das im Unternehmen tätig ist, ohne Anteile zu halten, zwischen Familie und Unternehmen befindet. Bei aller Skepsis, ob diese Zuordnung wissenschaftlich angemessen ist, kann sie für Mitglieder einer Unternehmerfamilie zu einer ersten Bestimmung hilfreich sein: »Wer bin ich gerade?«, »Wer ist mein Gegenüber?« Beinahe zwangsläufig entsteht so jedoch ein Bild vom Familienunternehmen, gemäß dem die Personen in den Spielfeldern des Drei-Kreise-Modells wie im Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel (von Schlippe, 2013) hin- und hergeschoben werden: Wenn ein Kind etwa Anteile erwirbt, tritt es in ein anderes Kreissegment ein, ein Familienmitglied, das aus dem operativen Geschäft ausscheidet, verlässt eines der Segmente. Diese Sicht vernachlässigt jedoch die Qualität des Systems als Kommunikationssystem und unterstützt eine individualisierende Sicht auf die Persönlichkeitseigenschaften der Person, die sich jeweils in einem der Kreissegmente aufhält. 3.2.2  Ein rollentheoretisches Verständnis Mit der Zuordnung in Kreise und Überlappungsbereiche wird auch eine zweite Lesart eingeführt: Man könnte das Modell – und so wird es meist auch praktiziert – rollentheoretisch verstehen. Denn es verdeutlicht die verschiedenen, zum Teil simultanen Rollen und »overlapping memberships« (Tagiuri u. Davis, 1996, S. 201) der Familienmitglieder. Damit wird implizit ein neuer Systembegriff eingeführt, auch wenn oft zugleich davon gesprochen wird, dass die Individuen Bestandteil sozialer Systeme seien. Es treffen im Familienunternehmen nicht mehr Individuen aufeinander, sondern Rollenträger in ihren jeweiligen Rollen

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als Elternteil, Kind, Eigentümer oder auch Mitarbeiter. Die Erweiterung zum Rollenmodell eröffnet die Optionen, Einzelne als multiple Rollenträger zu sehen, die überdies auch noch die Aufgabe bewältigen müssen, dass sich bestimmte Rollenerwartungen gegenseitig ausschließen. Die Zerrissenheit, die viele Gesellschafter in Entscheidungssituationen erfahren, ist in Folge dieser Lesart als Folge von widerstreitenden Rollenerwartungen zu sehen: Als Familienmitglied liegt einer Person der Zusammenhalt der Familie am Herzen, als Eigentümer hat sie Interesse an einer möglichst hohen Rendite und als Geschäftsführer möchte sie das Unternehmen erfolgreich voranbringen (z. B. durch eine möglichst hohe Gewinnthesaurierung). Die Verknüpfung des Drei-Kreise-Modells mit der Rollentheorie bietet den Beteiligten die Option, bestimmte Verhaltensweisen nicht mehr dem Gegenüber individuell zuzurechnen, sondern sein Verhalten aus seiner Rolle und den mit der Rolle verknüpften Vorstellungen und Werten zu erklären. Diese Steigerung gegenüber der ersten Lesart eröffnet Gesellschaftern beispielsweise die Option, ein Verständnis von Konflikten zu erlangen, das mit der Vermischung von Rollen zu tun hat, die einzelne Mitgesellschafter und Familienmitglieder verkörpern. Nicht nur für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern auch für die umfangreichen praktischen Fragen der familienstrategischen Weiterentwicklung einer Unternehmerfamilie reicht ein rollentheoretischer Zugang jedoch unseres Erachtens nicht aus. 3.2.3 Der systemtheoretische Blick: drei Erwartungskontexte gleichzeitig Eine dritte Lesart des Modells stellt die systemtheoretische Sicht des Familienunternehmens dar, wie sie vor allem am WIFU praktiziert wird und entwickelt wurde (von Schlippe, 2011a; von Schlippe u. Frank, 2013; Simon, 2012; Simon et al., 2005; Wimmer et al., 2005). Dieser Zugang soll auch in diesem Buch als Basis unserer Überlegungen dienen. Hier werden die Familie, das Unternehmen und der Gesellschafterkreis, wie eingangs skizziert, jeweils als eigenständige soziale Systeme betrachtet, die nach ganz unterschiedlichen Strukturen (Regeln, Erwartungen, Prämissen) funktionieren. Die Kreise Familie, Unternehmen und Gesellschafter sind, so gesehen, Sinnkontexte, in denen sich die Beteiligten bewegen und die somit immer gleichzeitig als anwesend und Einfluss nehmend angesehen werden können. Vogd (2013) spricht in diesem Zusammenhang von »polykontexturalen Verhältnissen«. Damit ist gemeint, »dass unsere sozialen Welten nicht mehr als eine hierarchische (logisch) Ordnung begriffen werden können, sondern polyzentrisch […] organisiert sind.« Daher »geht es zunächst darum, die relevanten Kontexte, welche als autonome Zentren die

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Kommunikation prägen, zu identifizieren« (S. 41). In der sogenannten Institutionentheorie werden derartige Widersprüche in ähnlicher Weise behandelt: Es gilt, die Spannungen zwischen verschiedenen institutionellen Logiken permanent zu bearbeiten (hierzu etwa Friedland u. Alford, 1991; Greenwood, Raynard, Kodeih, Micelotta u. Lounsbury, 2011). In Familienunternehmen hat die Spannung der Logiken eine besondere Qualität, weil jedes System emotional stark besetzt ist. Immerfort bringen juristische und finanzstrategische (Eigentum) oder ökonomische Logiken auf der einen Seite (Unternehmen) sowie Fragen von emotionaler Nähe und Distanz auf der anderen Seite (Familie) die Betroffenen in die Lage, nicht genau zu wissen, als wer, das heißt welche Person (also in welcher Logik), sie gerade sprechen und handeln bzw. gerade angesprochen werden. Allerdings sind sie sich dieses Umstands meistens nicht bewusst. Es ist sozusagen die Kommunikation, die sich selbst organisieren und orientieren muss: »Woran erkennt eine Kommunikation überhaupt, dass sie in die Familie gehört und nicht in die Umwelt?« (Luhmann, 2005, S. 192). Das klassische Drei-Kreise-Modell sollte daher kommunikationstheoretisch als ein Modell der Kontexturen reformuliert werden: Jeder der drei Kreise markiert jeweils einen anderen Erwartungskontext, was sich praktisch darin zeigt, dass es um etwas anderes geht und etwas anderes erwartet wird. So stehen immer mehrere Logiken bzw. Rationalitäten der Kommunikation bereit. Jeder dieser Kontexte bietet jeweils eine andere Möglichkeit an, wie eine Kommunikation an die andere passend anschließen könnte. Alle Akteure sind ständig mit Polykontexturalität konfrontiert, nicht nur die, die sich in den jeweiligen Schnittstellen befinden, wie es das klassische Modell nahelegt. Man rückt eben nicht einfach ein Feld weiter, wenn man Anteile bekommen hat. Die Identität der Unternehmerfamilie emergiert aus dem Umgang mit dieser Polykontexturalität: Je nach Kontext, den der Empfänger der Botschaft gerade als relevant erachtet (natürlich handelt es sich dabei nicht um eine bewusste Wahl), ergeben sich vollkommen andere richtige bzw. passende Anschlüsse. Da gerade in Unternehmerfamilien alle Kontexte gleichzeitig gegeben sind, sind die vorherrschenden Logiken der Kommunikation nicht so leicht zu durchschauen. Wenn einer auf einen Schachzug mit einem Würfelwurf reagieren oder eine Spielkarte auf den Tisch legen würde, wüsste jeder sofort, dass hier etwas schiefläuft und eine Spielregel schräg an die andere anschließt. Leider lassen sich die polykontexturalen Verwirrungen, die sich durch kommunikative schräge Anschlüsse jeweils in den Unternehmerfamilien ergeben (vgl. von Schlippe, 2014a), nicht ganz so leicht erkennen. Diese theoretischen Überlegungen mögen ein wenig sperrig daherkommen, doch stellen sie für uns den Kern einer Theorie der Unternehmerfamilie dar: Die entscheidende Frage ist, wie die Beteiligten im Fall von Unternehmerfami-

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lien mit der gleichzeitigen Präsenz von Familien-, Unternehmens- und Eigentümererwartungen umgehen. Aspekte der Widerspruchsbearbeitung und des Paradoxiemanagements geraten in den Fokus der Betrachtungen, wie auch ganz praktische Fragen danach, wie es den Akteuren gelingt, einander widersprechende Erwartungen kontinuierlich auszubalancieren, Entscheidungen in diesem Spannungsfeld zu treffen und diese dann den Akteuren adäquat zu kommunizieren etc. Die Grundanforderung, auf unterschiedliche und zum Teil einander entgegengesetzte Erwartungen zu reagieren, ist auch in vielen anderen sozialen Lebenswirklichkeiten gegeben: In jeder Familie gelten andere Kommunikationsund Verhaltensregeln als in einem Betrieb oder auf einer Aktionärsversammlung. Doch sind diese im Alltag normalerweise durch sogenannte Kontextmarkierungen gut getrennt (ein Begriff von Bateson, 1981, S. 374): Wenn man die Haustür morgens hinter sich schließt, betritt man einen neuen Kontext (ein neues Spielfeld sozusagen), man weiß, dass die Spielregeln anders sind. Während man sich zu Hause in der Kommunikationslogik der Familie bewegt hat, gelten im Betrieb oder auf der Versammlung andere Spielregeln, das heißt, es wird erwartet, dass man sich nun anders verhält als zu Hause. Manche Kommunikationen werden hier sogar anders verstanden als dort. Eine kleine Geschichte aus dem Buch »Das kommt in den besten Familien vor« von Arist von Schlippe (2014b) verdeutlicht, was mit Kontextmarkierung gemeint ist und wie bestimmend die Logiken des jeweiligen kommunikativen Spiels wirken. Es geht um das Beispiel »Lateinlehrer und Pfadfinderführer«, von dem der Autor dieses Buches aus eigener Erfahrung berichtet (S. 38): »Besonders prägnant wurde mir dies während meiner Schulzeit deutlich, als ich einen ›Clash of contexts‹ erlebte. Verschiedene Systemreferenzen prallten aufeinander und führten zu einem Zusammenbruch der Selbstverständlichkeiten: Mein Lateinlehrer war zugleich mein oberster Pfadfinderführer. Als solcher hatten wir ein ›Du‹-Verhältnis, wie es sich unter Pfadfindern geziemte. In der Schule ›Siezten‹ wir uns dagegen. Die Kontexte waren klar getrennt […]. Daher kamen sich die ›Personen‹ im Alltag nicht in die Quere, im Zeltlager und in Pfadfinderkluft war er ›Karl-Heinz‹, in der Schule eben der Lehrer. Nun hatte ich aber auf einer Fahrt mein Fahrtenbuch vergessen und benötigte eine nachträgliche Unterschrift, wohlgemerkt, nicht vom Lehrer, sondern vom Pfadfinderführer. Ich erinnere mich noch, wie schwierig es für mich war, ihn darauf anzusprechen, sollte ich ›Du‹ sagen oder ›Sie‹? Es war ein mühsames Abtasten der Erwartungen: ich ging nach dem Lateinunterricht zu ihm und vermied die Ansprache, indem ich ein geschraubtes Passiv benutzte (›Hier müsste noch eine Unterschrift geleistet werden …‹). Er

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unterschrieb und erlöste mich, indem er klar den Kontext markierte: ›So, Schlippe, hier haben Sie Ihr Heft zurück!‹ Ich wusste wieder, als welche Person er sich für mich in dem Kontext sah und so war ich orientiert, welche Person ich meinerseits vor mir hatte.«

Das Bild der verschiedenen Spiele, die gespielt werden, lässt sich gut auf die Kontexte von Unternehmerfamilien hin konkretisieren: zu Hause wird »Mensch ärgere dich nicht« gespielt (wie sinnig!), im Betrieb Schach. Solange man die Kontexte gut auseinanderhalten kann, ist dies nicht problematisch, man weiß, wann welche Spielregeln gelten, und wir Menschen sind in der Lage, sehr viele Spiele zu spielen (vgl. den soeben erwähnten Begriff Polykontexturalität). Im Kontext von Familienunternehmen sind nun allerdings die Erwartungsstrukturen weniger voneinander getrennt, als man das sonst aus dem Alltag kennt. Die Erwartungen von Familie, Unternehmen und Eigentümerkreis sind ständig präsent, zumindest potenziell kann eine Auseinandersetzung blitzschnell von der einen in die andere Logik kippen, es kommt zu den erwähnten schrägen Anschlüssen: Der eine der Kommunikationsteilnehmer bewegt sich in dem einen, der andere im anderen Kontext. Anschaulich illustriert dies das Beispiel einer Unternehmensnachfolgerin, die berichtet, wie ihr Vater ihr in der Aufsichtsratssitzung mit den Worten: »Mach mal eben sauber!«, die Brille reicht: Unvermittelt bricht familiäre Kommunikation in die des Unternehmens ein. Nicht einmal der offizielle Rahmen der Aufsichtsratssitzung bietet hier eine Kontextmarkierung, die eine saubere Trennung der Kontexte – und damit der Spielregeln für Familien- bzw. Unternehmenskommunikation gewährleistet. Soweit zur Unterschiedlichkeit und Gleichzeitigkeit der Erwartungshorizonte. Doch worin unterscheiden sich diese nun konkret? – Will man die drei Horizonte idealtypisch zuspitzen, so geht es um das Entscheiden im Unternehmen, die Bindung in der Familie und das Recht im Gesellschafterkreis. Diesen drei Erwartungsebenen wenden wir uns daher in den nächsten drei Abschnitten zu. Erwartungsfokus in Unternehmen: Entscheidungen treffen

Neuere systemtheoretische Ansätze bringen das Spezifikum einer Organisation auf den Nenner, dass es in diesem Sozialsystem letztlich um das Entscheiden geht (ausführlich hierzu Luhmann, 2000; siehe auch Kühl, 2012). Jede Kommunikation durchläuft eine Art Filter, der relevante von irrelevanter Kommunikation trennt. Als relevant gilt eine Kommunikation im Unternehmen, wenn sie unmittelbar oder mittelbar auf eine Entscheidung hinausläuft, das heißt »aus einem sachlich und zeitlich codierten Entscheidungsbedarf« (Baecker, 2003,

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S. 127) heraus stattfindet: Investitions- und Finanzierungsentscheidungen müssen getroffen, Personalveränderungen vollzogen, Strategien beschlossen werden etc. Organisationen prüfen sozusagen jede Kommunikation auf ihre diesbezügliche Relevanz. Damit unterscheiden sie sich fundamental von der Art, wie Kommunikation in Familien aussieht. Zwar wünscht man sich auch in Organisationen einen »Guten Tag« und fragt nach Befindlichkeiten, aber man weiß, dass dies nicht zum Geschäft gehört und kommt recht schnell zum Eigentlichen. Die Einrichtung von Hierarchien, die Differenzierung in spezielle Abteilungen oder auch das Erstellen von Entscheidungsvorlagen dienen vornehmlich dem Zweck, dass Entscheidungen sachgerecht getroffen werden. Die Rationalität dieser Entscheidungen bemisst sich zumeist an der Leitunterscheidung: wirtschaftlich/nicht-wirtschaftlich bzw. überlebenssichernd/überlebensgefährdend. Die Fähigkeit, Entscheidungen herbeizuführen, begründet die Effizienz der Organisation und sichert ihr in ganz vielen gesellschaftlichen Bereichen große funktionale Vorteile gegenüber anderen, nicht organisierten Formen der Koordination von Verhalten. Die Organisation ist dabei im Wesentlichen an den Funktionen ausgerichtet. Wer jeweils diese Funktionen übernimmt, ist weniger wichtig, eine Organisation verlangt geradezu, dass die Personen im Prinzip austauschbar sein müssen. Noch ein Aspekt der Kommunikation in Organisationen ist an dieser Stelle zu erwähnen: Da es um das Treffen von Entscheidungen und damit um einen inhaltlichen Fokus der Auswahl von Alternativen geht, sind weite Bereiche der Kommunikation »gehemmt« – im Gegensatz zur »enthemmten« Kommunikation in der Familie. Es ist selbstverständlich, dass nicht alles thematisiert wird und nicht jeder mit jedem reden darf. Es gibt festgelegte formale Kommunikationswege und der Bezug auf private Themen, auf Gefühle, auf Beziehungen usw. gehört grundsätzlich nicht zur Unternehmenskommunikation. Auch wenn in einer Organisation persönliche Themen durchaus angesprochen werden, kann der Bezug darauf jederzeit abgelehnt (»Chef, haben Sie etwas gegen mich?« – »Das gehört jetzt nicht hierher, ich erwarte, dass Sie Ihre Arbeit machen!«) oder beendet werden (»Okay, wir haben darüber gesprochen, jetzt lassen Sie uns aber mal mit der Arbeit anfangen!«). Auch wenn es Organisationen gibt, die die Klaviatur familiärer Logik gut beherrschen (»Sind wir nicht alle eine große Familie?«), sieht es letztlich in einer Familie doch ganz anders aus (Wetzel u. Dievernich, 2014). Erwartungsfokus in Familien: Bindung sichern

Familien funktionieren grundlegend anders als Organisationen – sicher ist das der Kernsatz, der verdeutlichen soll, dass Familien und Unternehmen als

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soziale Systeme einfach nicht zusammenpassen (von Schlippe, 2014b, S. 23; Simon, 1999). Zwar wird auch in Familien entschieden, »allerdings ist Entscheidung nicht das Element, über das sich Familien reproduzieren. Man kann in Familien nicht alles über Entscheidung regeln, so wie man dies in Organisationen tun kann« (Wetzel u. Dievernich, 2014, S. 129). Familiäre Entscheidungen folgen aufgrund der »verschärften Personalisierungsverhältnisse« (S. 129) einer anderen Währung: Eine familiäre Entscheidung wird immer in Bezug auf ihre Bedeutung für die Beziehungen geprüft und im Zweifelsfall unterlassen. Dies gilt etwa, wenn ein Familienmitglied die Farbe des neuen Autos, den Standort des Hauses oder Ähnliches »einfach nicht erträgt«, auch wenn das Auto oder das Haus jeweils besonders kostengünstig wäre. Denn nicht finanzielle oder ökonomische Prinzipien dominieren die Kommunikation in Familien, sondern die Bedeutung der Kommunikation für das Miteinander. Will man die Frage, in welcher Kommunikationslogik Familien vorwiegend unterwegs sind, in einem Wort beantworten, so kann man die Bindung hervorheben (vgl. von Schlippe u. Klein, 2010; von Schlippe, 2011a, 2011b). Bindung ist ein »sozialisatorischer Grundprozess« (Ecarius, Köbel u. Wahl, 2011, S. 60 f.) und das bedeutet, dass in Familien die Beziehung der Mitglieder zueinander im Vordergrund steht. Familien sind im Wesentlichen um Beziehung und Bindung herum »gebaut«. Das meint nicht, dass die Qualität der Bindungsbeziehung gut ist. Natürlich gibt es schlechte familiäre Beziehungen. Doch auch in ihnen ist das Thema, welcher Art die Beziehung ist, das heißt die Frage, wie es um die Bindungsbeziehung steht, ständig präsent – auch ein beleidigtes Gesicht ist Bindungskommunikation und ein Konflikt kann als eine Form der Bindung betrachtet werden. Für eine Familie sind dabei (prinzipiell) alle Kommunikationen der beteiligten Personen relevant bzw. können für relevant erachtet werden. Dies ist Fluch und Segen zugleich. Man kann mit allen Themen Aufmerksamkeit bekommen und einfordern, zugleich können sich jedoch die Beteiligten nur schwer den Kommunikationszwängen entziehen (vgl. Luhmann, 2005). Selektionskriterien nach Sachgerechtigkeit, situativer Angemessenheit und thematischer Reihenfolge, wie sie sich Organisationen herausbilden, gibt es kaum. Eine Aussage wie: »Papi, ich bin so traurig, weil mein Kanarienvogel gestorben ist!«, wird eher selten beantwortet werden mit: »Das gehört nicht hierher, komm bitte einmal zur Sache!« Ein großer Teil familiärer Kommunikation ist gerade nicht sachorientiert. Es werden Inhalte kommuniziert, die von außen gesehen belanglos erscheinen mögen – »Guten Morgen, mein Schatz! Wie hast du geschlafen?«, »Erzähl’ mal, wie war’s denn in der Schule?« etc. Der Informationswert der Kommunikationen steht nicht im Vordergrund (man wird schnell vergessen

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haben, ob der Partner vor zwei Wochen gut oder schlecht geschlafen hat). Ihr Beziehungswert dagegen ist hoch. Sie stellen einen Austausch von Bezogenheit dar, man bestätigt sich wechselseitig die Existenz: »Es gibt dich!«, sowie Zugehörigkeit: »Wir gehören zusammen!«, und lässt den jeweils anderen am eigenen Leben und Erleben teilhaben (»Wie war dein Tag?«). Die Frage danach, ob man glücklich ist (oder im Moment gerade nicht), ist in einer Familie hoch bedeutsam, im Unternehmen hingegen nachrangig (sofern persönliches Unglück nicht die Arbeitsleistung beeinträchtigt). Die Familie als an Bindung orientiertes System nutzt Kommunikation mithin vorwiegend dazu, dass die Mitglieder einander wechselseitig ihre Verbundenheit bestätigen. Die Leitunterscheidung, unter der die Kommunikation in der Familie jeweils codiert wird (wenn überhaupt), könnte daher sein: liebt den anderen/liebt ihn nicht (oder schätzt, anerkennt, würdigt den anderen oder nicht; bestätigt sich als zugehörig/nicht-zugehörig). Was Bindungskommunikation ausmacht, soll hier anhand des kleinen Gedichts »nach hause kommen« von Ernst Jandl illustriert werden (2001, S. 95): »hört sich schon an die tür kommen öffnet von innen sich lacht sich entgegen schließt sich in die arme presst sich den mund auf den mund springt an sich hoch als kinder springt an sich hoch als hund nimmt die tasche sich aus der hand hilft sich aus dem mantel streichelt den kopf sich den kopf sich den kopf drängt sich um sich mit sich allen ins gute zimmer erzählt sich allen was draußen alles war hört sich allen zu wie zuhause alles war will jetzt lang nicht mehr von sich fort lobt sich diesen schönen abend«

Erwartungsfokus eines Gesellschafterkreises: rechtliche Verbindlichkeit herstellen

Die Kommunikation unter den Gesellschaftern eines Familienunternehmens besteht in einer spezifischen Form von Entscheidungskommunikationen, und zwar in einer, die sich eng an der Logik des (Gesellschafts-)Rechts orientiert: »Das Eigentum kann vor allem juristisch erfasst und abgrenzbar gemacht

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werden. Ihm liegt damit eine ganz andere Sprache als die […] Familienkommunikation zugrunde […]. Die stark juristische Prägung des Systems Eigentum macht es zudem zu einem eher langsam funktionierenden und nicht sehr dynamischen System« (Neuvians, 2011, S. 33). Bestimmend für die Kommunikation ist die Leitunterscheidung rechtmäßig/rechtswidrig, durch die die Form der Kommunikation wie auch der Einfluss des jeweiligen Gesellschafters in der Gesellschafterversammlung definiert und begrenzt wird. Um zu rechtlich verbindlichen Entscheidungen zu kommen, sind vielfältige Formen (mikro-)politischer Abstimmungen erwart- und beobachtbar. Gerade die feste rechtliche Rahmung der Kommunikation lässt viele Formen des informellen Vorababstimmens entstehen, wie man sie sonst hauptsächlich in der Politik beobachtet.9 Am Ende zählt jedoch das Protokoll der Sitzung. Und auch bei offenen Diskussionen, zum Beispiel im Rahmen eines Gesellschaftertreffens, wird darauf geachtet, ob die gegebenenfalls spontan entstandenen Ideen und Vorschläge durch den Vertrag gedeckt werden oder ihm widersprechen, ob Neuformulierungen notwendig werden etc. Im Gesellschaftsvertrag ist festgelegt, welche Formen der Entscheidungsfindung (Verfahren) angemessen und juristisch haltbar sind. Als Zweitcodierung, so könnte man vermuten, kommt das wirtschaftliche Wohlergehen des Unternehmens bzw. der Einzelgesellschafter hinzu. Das führt – wie später gezeigt werden soll – zu der Schwierigkeit, dass, gemäß der rechtlichen Vorgaben, Entscheidungen zwar zum Wohle des Unternehmens getroffen werden müssen, dass dieses gemeinsame Ziel aber auf dem Wege der Abstimmung über persönlich gehaltene Anteile der Gesellschafter erreicht und legitimiert werden muss. Die Problematik zeigt sich etwa in Gesellschafterversammlungen, wenn einerseits ökonomisch argumentiert wird (hohe Thesaurierungsquoten für unternehmerische Investitionen), andererseits die Anteilseigner versuchen, eigene Interessen (hohe Ausschüttungsquoten) durchzusetzen. Zudem besteht immer das Risiko, dass an Familienkommunikation mit Gesellschafterkommunikation angeschlossen wird: »Wenn …, dann wirst du enterbt!« bzw. »Falls …, dann bestehe ich auf meinen Pflichtteil!«

9 Daher wird auch diskutiert, ob nicht das Medium, in dem sich die Kommunikation im Eigentümersystem bewegt, die Macht ist. Denn es geht ja um die Frage, wer sich mit seiner Stimme, seinen Anteilen am ehesten durchsetzt: »eine Diskussion innerhalb einer Eigentümerversammlung über Unternehmensentscheidungen (kann) nicht Teil des Rechtssystems sein« (Schmitt, 2016, S. 32). Dieser Aspekt soll hier jedoch nicht vertieft werden.

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Welche Erwartungen gelten jeweils im Moment: Familie, Unternehmen oder Eigentum?

Die drei  – hier idealtypisch getrennt und bewusst pointiert dargestellten – Erwartungskontexte, die sich zuweilen in spezifische Logiken verdichten, sind immerfort gleichzeitig präsent, ohne dass die Betroffenen klare Kontextmarkierungen an der Hand haben, die ihnen helfen, zu entscheiden, welcher Kontext gerade im Vordergrund steht. Unter dieser Prämisse ist es als besondere Herausforderung wie auch Determinante der Unternehmerfamilie zu sehen, wie Organisation, Familie und Eigentümergemeinschaft unter einen Hut zu bekommen sind (siehe ausführlich hierzu das Kapitel 4). Die Dreifach-Bestimmung wirft zwangsläufig Fragen der Identität und einer für alle Mitglieder stimmigen Selbstbeschreibung auf. Zugleich dient sie uns als Erklärungsansatz, der vielfältige Probleme in Unternehmerfamilien nachvollziehbar macht. Verständlich wird, warum die Frage: »Wer sind wir eigentlich?«, so große Probleme bereitet. Viele Mitglieder von Unternehmerfamilien erleben sich: • als Familie, in der immer wieder über das Geschäft geredet wird, genuine Familienzeiten finden sich kaum bzw. immer zu wenig, • als Begleiter eines Unternehmens, ohne dass sie das Gefühl haben, hierauf professionell vorbereitet worden zu sein, • als Gesellschafterkreis, in dem die Entscheidungsfindung immerfort viel aufwändiger und emotional fordernder ist, als es alle wollen. Von außen betrachtet ist dies mit unserer Theorie gut erklärbar – ja fast sogar vorhersagbar. Die Mitglieder erleben die besondere Polykontexturalität des Familienunternehmens, die unvermeidbar mit der Existenz als Unternehmerfamilie verknüpft ist. Mehrfachkontexte sind als Entwicklungschance wie auch als eine fortwährende Herausforderung zu sehen. Zu klären ist, welche Logik in der Kommunikation jeweils als gerade bedeutsam erlebt wird. Es ist davon auszugehen, dass in vielen existenziellen und emotional hoch besetzten Fragen, Bindungs-, Entscheidungs- und Eigentums-Kommunikationen untrennbar zusammenfallen. Dass Paradoxien und Widersprüche (und damit die Notwendigkeit zum Paradoxie- und Widerspruchsmanagement) zu erwarten sind und auch auftreten werden, ergibt sich aus diesen Überlegungen zwangsläufig. So gesehen ist es mehr als ein Rollenkonflikt, in dem einzelne Personen stehen. Es ist vielmehr die Kommunikation im Alltag ständig von der Unsicherheit durchzogen, welcher Erwartungshorizont an das eigene Handeln bzw. das der anderen anzulegen ist. Da die kommunikativen Verflechtungen den Akteuren in der Regel nicht bewusst sind, können sich immer wieder Irritationen ergeben. Da die sicheren Kontextmarkierungen fehlen, welcher der drei Kommunikationslogiken jeweils

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Vorfahrt zu geben ist, entsteht eine besondere Anforderung: Eine Person kann sich vielen widersprüchlichen Verhaltenserwartungen zugleich gegenübersehen, als enge(r) Verwandte(r) in der Familie, als Vorgesetzte(r) im Unternehmen und als Mitgesellschafterin. Fühlen sich die beteiligten Personen schlecht informiert, gekränkt oder gar übergangen, geraten sie schnell in Aufregung und versuchen ihrerseits Einfluss zu nehmen. Der Umgang mit den widerstreitenden Erwartungen spitzt sich vor allem in wichtigen Entscheidungssituationen zu und bietet eine Angriffsfläche für mikropolitische Spiele (von Schlippe, Groth u. Plate, 2011). Mit Blick auf das Thema Familienstrategie ergibt sich aus diesem Absatz heraus die Frage, wie die Unternehmerfamilie in den beschriebenen unmöglichen Kontexten, sprich Kontexturen, immer wieder produktiv sein kann. Wie sorgt sie für eine Balance, wo bleiben Dinge bewusst unklar, wo muss sie künstlich für Klarheit sorgen?

3.3  Paradoxie und Paradoxiefähigkeit In der Aufzählung der Erwartungshorizonte und Kommunikationslogiken ist eine weitere Theoriefigur unter der Hand eingeführt worden, ohne die eine Unternehmerfamilie nicht angemessen erfasst werden kann. In der Kommunikation innerhalb der Unternehmerfamilie treten spezifische Paradoxien auf. Was ist damit gemeint? Seit dem Altertum, spätestens seit Epimenides von Kreta, der behauptete, dass alle Kreter lügen würden – und zwar immer (also auch er selbst in diesem Moment), befassen sich Menschen mit Paradoxien. Während das Denken der Antike, vor allem die griechische Philosophie, noch die Wirklichkeit selbst für die Paradoxien verantwortlich machte, sehen wir heute Paradoxien eher als erkenntnistheoretisches Problem. Ihr Reiz liegt in der Spannung zwischen der Realität und der Beschreibung von Realität. Das gewohnte (abendländische) Denken geht von den Fundamentalkategorien der Identität und der Differenz aus: Etwas ist oder es ist nicht – eine dritte Möglichkeit gibt es nicht (Hagenbüchle u. Geyer, 2002). Doch sind dies Kategorien des Denkens, sie haben damit zu tun, wie wir Wirklichkeit wahrnehmen und beschreiben, sie sind nicht die Wirklichkeit selbst. Besonders prägnant zeigt dies die surrealistische Malerei: Nur durch die Transformation eines dreidimensionalen Raums auf eine zweidimensionale Ebene (also von Realität auf Beschreibung) können die Bilder etwa eines M. C. Escher ihre verwirrende Wirkung entfalten. So fließt etwa ein Bach in sich selbst hinein oder Figuren gehen zugleich treppauf und treppab. Die offenkundig unmögliche Form, in der die Wirklichkeit dargestellt wird, erzeugt einen Zustand von Verwirrung bzw. Irritation.

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3.3.1  Logische und pragmatische Paradoxien In der Literatur wird in Bezug auf unser Denken, Wahrnehmen und Handeln zwischen logischen und pragmatischen Paradoxien unterschieden. Die logische (oder auch semantische) Paradoxie definiert sich durch die Gleichzeitigkeit einander ausschließender Beschreibungen: Die Treppe geht aufwärts oder abwärts, aber nicht beides. Paradoxien sind an die Gesetze gebunden, wie Menschen wahrnehmen und denken. Es gehört zur Verführung der Sprache, dass sie uns denken macht, die Welt sei so, wie wir sie beschreiben: »nur wer (zweiwertig) logisch denkt, kann verrückt werden« (Simon, 2002, S. 82). Paradoxien verweisen darauf, dass unsere Sprache Wirklichkeit nicht einfach abbildet, sondern sie mit erzeugt. Sie verdeutlichen zugleich, wie fragil dieser Erzeugungsprozess ist. Er weist Bruchkanten auf, weil nicht immer klar ist, ob die Sprache sich auf Sachverhalte oder auf sich selbst bezieht.10 Für das Verständnis der Vorgänge in Unternehmerfamilien ist unseres Erachtens eine besondere Klasse von Paradoxien bedeutsam und zwar die der sogenannten pragmatischen Paradoxien (z. B. Watzlawick, Beavin u. Jackson, 1969, S. 171 ff.). Diese entstehen, wenn eine paradoxe Handlungsaufforderung gegeben wird. Ihre Form: »Tu etwas und tu es nicht!«, scheint zunächst im Alltag nicht vorzukommen. Tatsächlich finden sich jedoch in der Alltagswelt zahlreiche Beispiele dafür. Sie konstituieren die berühmten Beziehungsfallen, den Widerspruch zwischen dem, was die Kommunikation verlangt, und der Tatsache, dass sie es verlangt. Die bekannteste Form ist die sogenannte Sei-spontanParadoxie, die, um befolgt zu werden, nicht befolgt werden kann/darf. Sie findet sich in vorwurfsvollen Forderungen spontanen Verhaltens, wie: »Sag mir doch einmal, dass du mich liebst«, oder: »Nie bringst du mir Blumen mit!« – der Strauß am nächsten Tag wird mit dem Vorwurf gekontert: »Was soll ich damit, die hast du ja jetzt nur mitgebracht, weil ich es gesagt habe!«(siehe Abbildung 3). In weniger massiver Form findet sie sich in der Aufforderung des Fotografen, sich ganz natürlich zu verhalten, der man nicht wirklich nachkommen kann. In dieser Form der Aufforderung werden eigentlich zwei Anliegen gleichzeitig übermittelt, die einander widersprechen: »Tu das, was ich dir sage!« und »Tu es freiwillig, von dir aus!« 10 In den letzten ca. 25 bis dreißig Jahren ist in der organisationstheoretischen Diskussion das Interesse für spezifische in Organisationen auftretende Paradoxien deutlich gewachsen. Organisationale Dilemmata werden beschrieben, Ambivalenzen, Dualitäten oder Paradoxien (Plate u. von Schlippe, 2010). Auch auf Familienunternehmen bezogen werden Paradoxien diskutiert (Groth u. von Schlippe, 2012; Schuman, Stutz u. Ward, 2010; Simon, 2008, 2012; Simon et al., 2005; Zellweger, 2014). Diese Diskussion kann hier nur angedeutet werden.

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Abbildung 3: Paradoxe Aufforderung (© Björn von Schlippe)

Eine zentrale Erfahrung, die im Kontext pragmatischer Paradoxie daher immer wieder berichtet wird, ist die, etwas falsch zu machen, was immer man auch tue. Man steckt in einem unlösbaren Dilemma – und dieses Empfinden der Hilflosigkeit bzw. des Hin- und Hergerissenseins trifft recht gut das, was uns von Mitgliedern aus Unternehmerfamilien berichtet wird. Einerseits sind die Anforderungen und Erwartungen der Familie (und der sie bestimmenden Kommunikationslogik) zu bedienen und andererseits die Anforderungen und Erwartungen des Unternehmens bzw. des Gesellschafterkreises (mit den jeweiligen Logiken). Bedarfe und Bedürfnisse oder zuweilen auch Entscheidungsstile auf beiden Seiten prallen aufeinander. Orientiert an Bateson (1981, S. 276 ff.) lassen sich die typischen Dilemma-Situationen in Unternehmerfamilien als »double bind«, (oder auch »Doppelbindung«, das heißt Bindung an zwei unvereinbare Erwartungen) beschreiben (Groth u. von Schlippe, 2012, S. 272 f.; siehe auch Litz, 2012). Folgt man ­Bateson, so führt der Zwang zur gleichzeitigen Befolgung zweier einander ausschließender Gebote in paradoxe Kommunikationssituationen. Hinzu kommt eine große Erschwernis, das Feld zu verlassen. Als Kurzformel lässt sich dies folgendermaßen darstellen:

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• Primäres Gebot: Es gilt A! • Sekundäres Gebot: Es gilt B (wobei B kontradiktorisch zu A steht)! • Tertiäres Gebot: Es ist verboten, sich der Situation zu entziehen! Mit dieser Formel lassen sich nun die drei dominanten Erwartungshorizonte und die Paradoxietheorie verknüpfen. Für (A) lassen sich Erwartungen der Familie einsetzen und für (B) Erwartungen des Unternehmens und/oder des Gesellschafterkreises. Die Erwartungen sind gleichzeitig präsent und schließen einander aus. Zu vermuten ist, dass eine Vielzahl von Problemen des Managements einer Unternehmerfamilie eng verknüpft mit dem Umstand ist, dass jeweils Double-bind-Situationen zu managen sind. Daher soll der Blick auf das Thema der pragmatischen Paradoxie im folgenden Abschnitt bezüglich Familienunternehmen noch etwas weiter geschärft werden. 3.3.2  Pragmatische Paradoxien in Familienunternehmen In Familienunternehmen lassen sich pragmatische Paradoxien kontinuierlich finden. Denn die gleichzeitige Präsenz von Familie, Unternehmen und Eigentum stellt unausgesprochen unterschiedliche, einander widersprechende Verhaltenserwartungen an die Betroffenen. Sowohl individuell als kollektiv können diese pragmatischen Paradoxien in schwierige Kommunikationssituationen führen. Individuell steht die Frage im Vordergrund, als wer man gerade angesprochen wird bzw. wer man gerade ist. Hier kann uns die soziologische Systemtheorie hilfreiche Dienste leisten, denn mit ihr lässt sich zeigen, dass nicht der Einzelne bestimmen kann, wer er ist, sondern der jeweilige Kommunikationskontext die Personen als Adressen erschafft (Luhmann, 1984). An die Person Vater als Kommunikationsadresse werden ganz andere Verhaltenserwartungen gerichtet als an die Person Geschäftsführer. Verkörpert werden die verschiedenen Personen aber jeweils von ein und demselben Menschen. Nun ist diesem jedoch nicht bewusst, in welcher Kommunikationslogik der Unternehmer­familie er sich gerade bewegt, denn die Kontextmarkierungen sind verschwommen. Die Akteure im Familienunternehmen erfahren die Gleichzeitigkeit der Erwartungen als Schwierigkeit, ohne die dahinterliegende Paradoxie zu erkennen. Hierdurch kommt es zu den beobachtbaren Überforderungen und damit einhergehenden Nicht-Entscheidungen, zu einem Hin- und Herpendeln, Revidieren, Aussitzen etc. Mit dem beschriebenen systemtheoretischen Blick lösen wir uns von einzelnen Menschen und ihren Charakteristiken. Eine personenbezogene Zurechnung etwa von Konfliktursachen (»Der Alte kann nicht loslassen!«) wird so

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vermieden. Gerade solche Zurechnungen können als Bestandteil der Chronifizierung von Konflikten angesehen werden (von Schlippe, 2014b). Wenn man Unternehmerfamilien als Kommunikationssysteme sieht, die durch ihre (zum Teil paradoxen) Spielregeln bestimmt sind, dann relativiert sich die Bedeutung des Verhaltens eines Einzelnen – es ist nur ein Zug, es ist nicht eine Figur, der man diesen Zug allein zurechnen kann (auch wenn natürlich jeder für sein Handeln verantwortlich ist). Folgt man diesem Theorieansatz, kann man sich vorstellen, dass die Einzelpersonen in als ausweglos angesehenen Kontexten sich den paradoxen Spielregeln unterwerfen und irgendwie handeln – im Wissen, dass die Beachtung der einen Logik in der anderen Logik als Fehler oder gar Verrat erscheint. Das schlichteste Beispiel mag die Entscheidung des Vaters sein, Sohn oder Tochter nicht in die Geschäftsführung zu berufen (Entscheidungslogik), was von diesem/dieser mit den Worten quittiert wird: »Du hast mich noch nie akzeptiert!«, oder schlimmer noch: »Ich habe schon immer gewusst, dass du meinen Bruder/meine Schwester lieber magst!« (Bindungslogik). Der sachlich begründbare Entscheidungskonflikt, wird emotional und personenbezogen verwertet, womit Klärungsversuche: »Überleg’ doch mal, welche Qualifikation er/sie für die Geschäftsführung mitbringt und welche Berufserfahrungen du vorweisen kannst!«, kein Gehör mehr finden. Folgendes kleines Fallbeispiel zeigt die Unmöglichkeit des Versuchs, die beiden Logiken voneinander zu trennen: Ein Unternehmer schickt seinem Sohn, etwa 19 Jahre alt, einen eingeschriebenen Brief, in dem er ihn ultimativ und unter Angabe eines Termins auffordert, sich von seiner Freundin zu trennen. Anderenfalls habe er damit zu rechnen, enterbt und von der Nachfolge im Unternehmen ausgeschlossen zu werden. Man kann sich denken, welche Problemkontexte der Vater zu lösen versucht: Er macht sich als Vater und Unternehmer zugleich Sorgen um seinen Sohn, dessen Umgang und das Unternehmen. Das Spannungsfeld, in dem sich Vater und Sohn bewegen, hat den Charakter einer Beziehungsfalle. Die Art und Weise, wie der Vater der Falle zu entgehen versucht, lässt ihn, seinen Sohn und das Familienunternehmen nur umso mehr hineingeraten. Statt das Problem in einer Bindungskommunikation zu thematisieren (»Ich mache mir Sorgen um dich, mein Sohn!«) und familiär zu entschärfen, meint er, es anhand einer unternehmerischen Entscheidungskommunikation aus dem Weg räumen zu können (»Sie haben sich meinen Anordnungen zu fügen!«). Die Paradoxie und der schräge Kommunikationsanschluss liegen hier auf der Hand – man kann sich denken, wie die Geschichte ausgeht: nicht gut.

Die unmögliche Verbindung von Familie und Unternehmen

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Als eine zentrale Paradoxie wird vielfach das Dilemma benannt, dass man nie ganz genau weiß, als wer man gerade selbst spricht bzw. als wer man vom anderen angesprochen wird. Die paradoxe, unerfüllbare Verhaltensaufforderung könnte man so formulieren: »Kommuniziere gleichzeitig als Familienmitglied, als Unternehmensmitglied und/oder als Gesellschafter!« Wie das soeben berichtete Beispiel zeigt, können die aus der Personengleichzeitigkeit resultierende Kommunikationsverwirrung und die Versuche, sie zu lösen, erheblichen Sprengstoff in sich bergen. Wenn beide Gesprächspartner wechselseitig nicht einordnen können, als wer das Gegenüber gerade spricht, ob als Bruder, Co-Geschäftsführer oder Gesellschafter, sind die Irritationen vorprogrammiert. In der hier aufgezeigten Logik können zwei geschäftsführende Gesellschafter, die auch noch Geschwister sind, also potenziell eine große Zahl ganz unterschiedlich gerahmter Gespräche führen (je nachdem, ob Bruder mit Co-Geschäftsführer, Gesellschafter mit Gesellschafter usw. spricht). In verworrenen Situationen empfiehlt es sich, den Rahmen zu markieren. Das könnte etwa so aussehen: »Als dein Geschäftsführer-Kollege kann ich dich nur bestärken, den Forderungen deiner Praktikantin (und Tochter) nach einem eigenen Firmenwagen gegenüber hart zu bleiben. Als Gesellschafter mache ich mir Sorgen, welches Bild die neue Gesellschafterin über sich hat und welche Rechte sie sich aus dieser Rolle ableitet. Als dein Bruder denke ich hingegen, es wäre gut, wenn du mit deiner Tochter mehr Zeit verbringen würdest und mit ihr, vielleicht an einem Vater-Tochter-Tag, über die Werte in unserer Familie reden würdest!«

Eine andere zentrale Paradoxie liegt in der Herausforderung, der Gerechtigkeitslogik der Familie und der des Unternehmens zugleich zu gehorchen: »Sei gleichzeitig gerecht in beiden Systemen!« An der Unmöglichkeit, diese Aufgabe im Sinne eines Entweder-oder zweiwertig zu lösen, arbeiten sich wohl die meisten Unternehmerfamilien ab (von Schlippe, 2011b; Groth u. von Schlippe, 2012). Gerade diese Anforderung, die eine Unternehmerfamilie zu leisten hat, ist für die weitere Argumentation in diesem Buch zentral. Wir sehen hier die zentrale Herausforderung im Treffen von Besetzungsentscheidungen (siehe das Kapitel 5), für das Herstellen von Legitimität (siehe das Kapitel 6) wie auch für die Erarbeitung und Ausformulierung einer Familienstrategie (siehe das Kapitel 9). Folglich besteht in unserem Verständnis die zentrale Aufgabe einer Unternehmerfamilie darin, produktive Formen der Paradoxiebearbeitung zu entwickeln.

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

3.3.3  P  aradoxiefreundlichkeit, Paradoxietoleranz und Paradoxiebewusstheit »I used to think that paradoxes were the visible signs of an imperfect world, a world which would, one day, be better understood and organized. There had to be one right way to bring up children, I thought. There should be no reason for people to starve while others gorge. […] We lacked only the knowledge and the will to resolve such paradoxes. […] Paradox I now see to be inevitable, endemic, and perpetual. The more turbulent the times, the more complex the world, the more paradoxes there are. […] Paradox has to be accepted, coped with, and made sense of, in life, in work, in the community, and among nations« (Handy, 1995, S. 12 ff.).

Die bisherigen Überlegungen lagen bereits dem ersten großen Projekt des WIFU zu den »Erfolgsmustern von Mehrgenerationen-Familienunternehmen« zugrunde, sehr prägnant in der folgenden Aussage zusammengefasst: »Wer das Programm Familienunternehmen akzeptiert, sieht sich mit dem paradoxen Konflikt konfrontiert, dass er sich nicht dauerhaft für die eine oder andere Seite des Konfliktes entscheiden kann. Eine der Schlussfolgerungen ist, dass die Unentscheidbarkeit, um wessen Interessen es jeweils geht, das Interesse der Familie oder das Interesse des Unternehmens, von den Verantwortlichen nicht nur ertragen, sondern bewusst akzeptiert und aufrechterhalten werden muss […]. Der intellektuell und emotional für viele Menschen schwierigere Schritt ist es, die Paradoxien, die durch die unterschiedlichen Rationalitäten von Familie und Unternehmen entstehen, zu akzeptieren und in ihnen die Wurzel des Erfolgs (!) von Familienunternehmen zu erkennen. Die Versuchung ist groß, die Widersprüche um einer ›sauberen‹ d. h. widerspruchsfreien, zweiwertigen Entwederoder-Logik […] willen zu beseitigen« (Simon, 2012, S. 39 ff., Hervorheb. im Orig., vgl. auch Baecker, 2003). Das Thema der Paradoxie bzw. der Paradoxiebearbeitung durch Familienstrategie soll als eine Art Wegweiser durch das Buch dienen. Die zentrale Überlegung ist, dass Paradoxien eine Unternehmerfamilie kontinuierlich herausfordern, Wege zu finden, die nicht der einen oder der anderen Seite der Paradoxie den Vorzug geben (so wie es der Vater in dem oben angeführten, eingeschriebenen Brief versuchte). Sie sucht nach Lösungen, die sich über Generationen hindurch als tragfähig erweisen und somit als überlebensfähig gelten können. In den nachfolgenden Kapiteln werden wir die Erfahrungen, die wir im Rahmen unserer Forschungsprojekte gemacht haben, noch ausführlich vorstellen. Es wird sich zeigen, dass Lösungen, die in langlebigen Familienunternehmen für viele familienstrategische Entscheidungen gefunden wurden, sich vielfach

Die unmögliche Verbindung von Familie und Unternehmen

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durch ein besonderes Maß an intuitiver Paradoxiefreundlichkeit auszeichnen. Diese Haltung des Managements wird auf der Familienseite durch ein gewisses Maß an Paradoxietoleranz beantwortet, womit die Fähigkeit gemeint ist, nicht bei jeder Unstimmigkeit »auf die Barrikaden zu gehen«, sondern manche Ungereimtheit als solche stehen zu lassen. Eine solche Fähigkeit braucht sicher auch ein gewisses Maß an Paradoxiebewusstheit, das heißt, das Wissen darum, dass Eindeutigkeit in bestimmten Situationen nicht möglich und darum wohl auch nicht erstrebenswert ist. Wie Familien, die zugleich Eingentümer eines Unternehmens sind, mit den dargestellten Paradoxien umgehen und wie sie sich dazu als Familie und Unternehmerfamilie sozusagen zweimal erfinden müssen, wird im nächsten Kapitel ausführlicher vorgestellt.

4 Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

Was macht eine Unternehmerfamilie, wenn sie kontinuierlich familiäre, unternehmerische oder gesellschafterbezogene Kontexte ausbalancieren muss? Unternehmerfamilien sind zwar keine Unternehmen, aber sie sind auch nicht nur und ausschließlich Familien. Sie sind als eigenständige Sozialsysteme zu sehen, die von wechselhaften Identitätsanforderungen geprägt sind. Wir haben hierfür das Bild der Kippfigur gewählt: Die Familie ist sozusagen immer Familie und Unternehmerfamilie zugleich. So wie in den bekannten optischen Täuschungen ein Bild plötzlich kippt und als ein anderes erscheint, so geht es auch mit der Familie. Plötzlich ist sie Unternehmerfamilie und als solche ein ganz anderer Kontext, als wenn sie nur Familie wäre (und umgekehrt). Dieser Gedanke soll auf den folgenden Seiten ausgeführt werden.

4.1  Die Theorie der Unternehmerfamilie: eine Prozesssicht Unternehmerfamilien und Familienunternehmen werden vielfach anhand von Strukturmerkmalen typisiert. Viele Arbeiten orientieren sich etwa am Lebenszyklus-Modell (Gersick, Davis, McCollom Hampton u. Lansberg, 1997). Dort werden drei typische Stufen der Entwicklung differenziert: 1. die »Controlling Owner Stage«, in der der Gründer, mithin also zumeist eine Person, das Unternehmen als Alleineigentümer führt, 2. die »Sibling Partnership Stage«, in der zumeist Geschwister das Unternehmen führen, 3. die »Cousins Consortium Stage«, in der entferntere Verwandte ab der dritten Generation das Unternehmen führen.

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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Auf den drei Entwicklungsstufen aufbauend wurde von Peter May (2009, 2012) und seinem Team ein Modell von drei Dimensionen der Inhaberstrategie entwickelt. In diesem Modell wird nach der Inhaber-Struktur (Allein-Inhaber, Geschwister, Vettern), der Governance-Struktur (inhabergeführt, familiengeführt, fremdgesteuert) und der Investment-Struktur (fokussiert, diversifiziert) differenziert. Eine solche Differenzierung ist hilfreich, um die jeweiligen zentralen Herausforderungen schnell zu erkennen. Es wird möglich, ein Familienunternehmen und mit ihm die Unternehmerfamilie einzuordnen und daraus jeweils relevante Kern­ fragestellungen abzuleiten: Was braucht ein junges Familienunternehmen, das von einem Alleinunternehmer geführt wird und in einer Nische positioniert ist? Wie anders lauten die Entwicklungsfragen bei einem breit diversifiziert aufgestellten Konzern, der von einer familienfremden Geschäftsführung geleitet wird, während eine große Unternehmerfamilie die strategische Ausrichtung im Blick behält? Wir möchten in diesem Kapitel die Strukturmodelle um eine Prozesssicht ergänzen, also danach fragen, wie Entscheidungsprozesse in den Unternehmer­ familien ablaufen, wie sie tagtäglich ihre großen wie kleinen familienstrategischen Führungs- und Personalentscheidungen treffen. Wie kommt es zu den Übergängen? Welche Entscheidungsmuster führen innerhalb von Unternehmerfamilien das Festhalten an einer Eigentümerkonstellation herbei? Welche führen zum Verändern einer solchen (Groth, 2015)? Den Fokus der Beobachtung auf Kommunikationsmuster und Entscheidungsstile zu legen, hat sich in der internationalen Organisationsforschung seit langem bewährt (vgl. Mintzberg, 2011; Weick, 1995).

4.2 Unlösbar: Paradoxien und Oszillationen in der Unternehmerfamilie Bislang haben wir Paradoxien als Form betrachtet, die sich aus der Gleichzeitigkeit unvereinbarer Erwartungen heraus ergibt. Im Folgenden soll es um die Konkretisierung unserer theoretischen Überlegungen gehen. Wir haben in unseren Workshops im Rahmen des FüG-Projekts und vielleicht sogar noch mehr in zahllosen kleineren und größeren Gesprächen mit den Persönlichkeiten, die für die Familienstrategie und das Familienmanagement der oft sehr großen Unternehmerfamilien zuständig waren, sehr viel darüber gelernt, was »Paradoxiemanagement« ganz konkret bedeutet. Immer wieder begegnen diese Personen in alltäglichen Fragestellungen Dilemmata. Das, was wir im weiteren Verlauf des Kapitels als Kippfigur vorstellen möchten, entspringt vor allem einer Erfahrung: Paradoxien lassen sich nicht lösen und dennoch wollen/müssen die mit Paradoxien hinterlegten Fragen konkret beantwortet werden.

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Der paradoxe Doppelauftrag, mit dem die Familie konfrontiert ist, lässt sich grundsätzlich auf die Formel reduzieren: »Sei Familie!« und »Sei Unternehmerfamilie!« und »Sei beides gleichzeitig!« Tabelle 1 fasst zusammen, welche konkreten Aufträge doppelt zu beantworten sind. Tabelle 1: Die beiden Seiten der Paradoxie der Unternehmerfamilie Sei Familie!

Sei Unternehmerfamilie!

Sorge für Bindung und Zusammenhalt!

Triff Entscheidungen für das Unternehmen!

Beachte und wertschätze jede einzelne Person …



… und wähle nur die jeweils kompetenteste/n Person/en für die Positionen bzw. Gremien aus!

Sorge dafür, dass jeder »sein Gesicht wahren« kann …



… und fälle Entscheidungen, selbst wenn diese Einzelnen wehtun werden.



… und halte sie möglichst weg, um das Unternehmen vor schädlichen Familien­ dynamiken zu schützen!



… und sorge durch Kompetenzmaßnahmen dafür, dass sie professionell auf mögliche Aufgaben vorbereitet sind!

Hilf mit, dass die Familie sie selbst ­ leiben kann … b



… und organisiere sie dafür! Führe also etwas Familienfremdes ein, damit sie Familie bleibt!

Erhalte die »Konsensfiktion« und sorge dafür, dass sich alle verstehen …



… und zerstöre den Konsens, wenn es für das Unternehmen wichtig ist.



… und werde auch den Unternehmen, den Eigentümern und Mitarbeitern gerecht.

Binde die Familie an das Unternehmen …

Sorge dafür, dass die Familienmitglieder sich frei und ungezwungen entwickeln können …

Fälle Entscheidungen, die von der ­Familie als gerecht erlebt werden …

Schnell wird deutlich, welch anspruchsvolle Managementaufgaben darin stecken, diese Widersprüche nicht durch unterkomplexe »Basta!«-Lösungen vorschnell und eventuell sogar potenziell destruktiv zu entparadoxieren. Derartigen Lösungen fehlt die »Aufmerksamkeit für unintendierte Konsequenzen« ihres Handelns (Ortmann, 2011, S. 93). Das Dilemma der Familie des Familienunternehmens liegt darin, ständig beides, ständig bivalent sein zu müssen: Sie soll als Familie einerseits einen Kontext von Bindung und Bezogenheit eröffnen, in dem sich die Familienmitglieder geborgen und zugehörig fühlen können (Kormann, 2011). Andererseits führt sie als Unternehmerfamilie einen Kontext mit sich, der ihr als Familie fremd ist, nämlich nach festgelegten Regelsystemen, nach Entscheidungsrichtlinien und Wahlordnungen zu entscheiden. Die Balance gelingt in den Bereichen, die eher eindeutig familiär sind (etwa Zusammenhalt sichern, die Bedürftigkeit Einzelner beachten), recht gut, in anderen Bereichen gerät

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Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

sie als Familie in Turbulenzen (Rechtmäßigkeit von Entscheidungen garantieren, unternehmerische Entscheidungen fällen, qualifizierte Personen selegieren usw.). Versuche, den Dilemmata klare Regelungen entgegenzustellen wie: »Das Unternehmen geht immer vor!« (»Business first«), lösen die Paradoxie nicht auf. Solche Formen der Entparadoxierung tragen vielmehr die Gefahr in sich, dass die ausgeschlossene Seite, die Familie, verloren geht, etwa indem die frustrierten Mitglieder ihr Interesse am Unternehmen verlieren (Wimmer, 2011). Die Idee, dann doch eher so etwas wie ein »Family Business first« zu realisieren, also Belange des Unternehmens und der Familie gleichermaßen ausbalanciert zu berücksichtigen (Mühlebach, 2004), wird der Bivalenz des Problems schon eher gerecht. In ähnlicher Weise kann das Spannungsfeld »Family first« versus »Business first« mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun (1989, S. 38 ff.) angeschaut werden. Dieses geht von der Überlegung aus, dass jeder Wert durch einen ebenfalls positiv besetzten Wert balanciert wird, der verhindert, dass der Wert in seine entwertende Übertreibung ausartet. Ein gern genutztes Beispiel ist hier der Wert Sparsamkeit, der, wenn er nicht durch eine gewisse Großzügigkeit ausbalanciert wird, sich zu Geiz entwickeln kann. Umgekehrt könnte die Großzügigkeit sich in Verschwendungssucht entwickeln, wenn sie nicht der Sparsamkeit als balancierendem Wert gegenübergestellt wird. Mit diesem Blick auf das Begriffspaar »Family first« und »Business first« wird schnell deutlich, dass es nicht darum gehen kann, nur einen der beiden Werte zu leben, denn der könnte in seine negative Entwertung abgleiten, wie Abbildung 4 zeigt. EBENE DER WERTE

Business first

Family first

Positive Balance DIALEKTISCHE SPANNUNG EBENE DER ENTWER­TENDEN ÜBERTREIBUNG • Familie fällt raus • verliert Engagement • Investorenmentalität

• Nepotismus • Selbstbedienung • Partikular-Interessen

Negative Ent-Balancierung

Abbildung 4: Das Werte- und Entwicklungsquadrat für »Family first« und »Business first«

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Die Suche nach einer guten Balance zwischen den Polen kann auf der einen Seite dazu beitragen, dass die Familie dem Unternehmen nicht langfristig verlorengeht, wie dies der Fall sein kann, wenn Gesellschafter so weit wie möglich von Unternehmensbelangen ferngehalten werden und wenig oder gar überhaupt keine Ausschüttungen auf ihre Anteile bekommen. Auf der anderen Seite hilft der balancierende Blick, dass die Partikularinteressen der Familie nicht auf das Unternehmen übergreifen. Statt auf die Paradoxie mit Eindeutigkeit zu antworten, ist die Aufgabe von Familienstrategie, nach intelligenten Formen der Entscheidungsfindung zu suchen, auch wenn diese manchmal betriebswirtschaftlicher Rationalität zuwiderlaufen. Es geht darum, immer wieder nach kreativen Lösungen zu suchen, die dem Sowohl-als-auch-Schema folgen. Das kann zu aufwändigen Praktiken der Entscheidungsfindung in Unternehmerfamilien führen. Die ständige Anwesenheit der Paradoxie führt dazu, dass die Familie sich sozusagen verdoppeln muss: Sie muss Lösungen und Lösungswege als Familie und Unternehmerfamilie zugleich finden (Groth, 2013a). Wer dies nicht im Blick behält, wird viele der langwierig und umständlich anmutenden Prozeduren, auf die wir später vertieft eingehen werden, in ihrer Funktionalität nicht erklären können und vorschnell auf Unprofessionalität schließen oder andere negative Bewertungen heranziehen.

4.3 Die Unternehmerfamilie als »verdoppelte Familie« – eine Kippfigur Familie hat, wie ausführlich im ersten Kapitel diskutiert, in der modernen Gesellschaft neben der Kindererziehung die Funktion, ihren Mitgliedern einen Rückzugsraum zu sichern, eine Gegenwelt individueller Anerkennung und emotionaler Verbundenheit zu bieten, während man sich außerhalb der Familie den Herausforderungen des Arbeitslebens stellen muss. Bei Unternehmerfamilien ist die Trennung von Arbeit und Familie nicht in dem Maße wie in anderen Familien vollziehbar. Sie müssen daher noch zusätzliche Aufgaben übernehmen. So kommt es zu einer Art Konkurrenz zwischen der Familie und der Unternehmerfamilie: Das, was von der Familie als Familie und was von der Familie als Unternehmerfamilie erwartet wird, unterscheidet sich sehr. Es ist, als ob die Anwesenheit des Unternehmens die Familie dazu zwingt, sich sozusagen zu verdoppeln, einmal private, emotional verbundene Familie und einmal Unternehmerfamilie zu sein, beide Male Familie und doch ganz unterschiedlich. Familie und Unternehmerfamilie sind gleich und doch nicht gleich – eine paradoxe Antwort auf die paradoxen Anforderungen des Familienunternehmens. Auf der Unterneh-

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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mensseite ist es übrigens deutlich einfacher: Hier stehen die Belange des Unternehmens klar im Vordergrund, die Familie wird vielleicht als lästig oder als unterstützend erlebt, doch sind die Paradoxien weniger prägnant, das Unternehmen ist zunächst einmal sich selbst genug. Die Familie dagegen oszilliert zwischen ihrer »Familienhaftigkeit« und ihrer »Unternehmerfamilienhaftigkeit« hin und her. Als passendes Bild für diesen Prozess Abbildung 5: Der Rubin’sche Becher (Rubin, 1921, S. 249) haben wir die Metapher der »Kippfigur« gewählt. Kipp­figuren sind Figuren, die unsere Wahrnehmung täuschen: Sie erscheinen uns mal als das eine, mal als das andere, obwohl sie immer beides zugleich sind. Denn unsere Wahrnehmung kann jeweils nur eine Seite zurzeit erkennen. Das berühmte Kippbild des Rubin’schen Bechers ist hierfür ein anschauliches Beispiel: Wir sehen mal das eine – einen Becher (weiß) –, mal das andere – zwei Gesichter, die einander anschauen (schwarz), aber nie beides (siehe Abbildung 5). So ist es auch mit Unternehmerfamilien. Sie sind keine Unternehmen, aber sie sind auch nicht nur und ausschließlich Familien. Sie sind Familien, in deren Umgebung sich dauerhaft ein Unternehmen befindet. Diese ständige Präsenz fordert von der Familie, noch etwas anderes zu sein als nur Familie, sie muss sich als Unternehmerfamilie organisieren. Zugleich ist die Unternehmerfamilie immer auch selbstverständlich eine ganz normale Familie (sofern es so etwas überhaupt gibt) mit allen Facetten des Familienlebens: mit Problemen und Nöten ebenso wie mit glücklichen Momenten. Doch blitzschnell kann die Kippfigur umschlagen: »Du bist so schweigsam heute morgen!« – »Hmm, sollen wir den Zukauf nun machen oder nicht?« – »Nimm doch erst noch ein Brötchen, wir reden dann später weiter darüber!« (siehe Abbildung 6). Besonders deutlich wird das kritische Verhältnis von Familie und Unternehmerfamilie im Hinblick auf die »Kommunikationsverknappung« (Wimmer et al., 2005, S. 229): Gemeint ist eine Verknappung des Redens über familiäre Belange. Die Unternehmerfamilie beansprucht das selbstverständliche Primat gegenüber familiären Themen, sehr schön illustriert an der Aussage: »Bringen Sie meinen Sohn endlich zur Vernunft. Das endlose Herumpalavern führt zu gar nichts. Die Sache ist doch ganz klar und einfach. Ich habe Wichtigeres zu tun, als hier ständig herumzusitzen!« Familiäre Themen stehlen der Unternehmerfamilie die Zeit: »In Unternehmerfamilien ist die Verknappung des direkten Miteinanderredens über familiale Belange noch zusätzlich dadurch verstärkt,

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Abbildung 6: Familie und organisierte Familie/Unternehmerfamilie zugleich (© Björn von Schlippe)

dass das Unternehmen bekanntermaßen auch im privaten Zusammensein der Familienmitglieder die dominante Rolle spielt. Da bleibt für das rein Private ohnehin ganz wenig Zeit« (S. 229).

4.4  Ein anderes Drei-Kreise-Modell Das klassische Drei-Kreise-Modell ist bereits vorgestellt und kritisch diskutiert worden. Es erscheint unter der Perspektive der verdoppelten Familie noch einmal anders: Nicht die Differenz zwischen Familie, Unternehmen und Eigentum ist die Herausforderung, sondern die Familie muss immer wieder zwischen ihrer Identität als Familie und der als Unternehmerfamilie oszillieren. Bezogen auf die drei Kreise kann man sich das wie in Abbildung 7 dargestellt vorstellen. Familie Familie

Unter­nehmen

Eigentum

Abbildung 7: Die Spannung zwischen Familie und Unternehmerfamilie

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Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

Damit erweist sich die Theorie des Familienunternehmens im Kern als eine Theorie der Unternehmerfamilie. Denn diese ist es, die mit einer besonderen Komplexität konfrontiert ist. Während die Familie als Familie sich selbst genug ist und sich um die originären Familienaufgaben kümmern kann, muss die Familie als Unternehmerfamilie ständig dafür sorgen, die Belange von Familie, Unternehmen und Eigentum zu balancieren. Sie hat hier, wie Tabelle 2 verdeutlicht, zahlreiche zusätzliche Aufgaben. Tabelle 2: Die Unterschiede zwischen Familie und Unternehmerfamilie Familie

Unternehmerfamilie

Zentrale Funktion

Geborgenheit für die Mitglieder gewährleisten; Erziehung der Kinder

Organisation der Familie mit dem Fokus aufs Überleben des Unternehmens

Herausforderung

Den Mitgliedern Rückzugsräume sichern; Familiarität gewährleisten

Sich als Familie organisieren, d. h. sich (­personenunabhängige) Regeln geben, evtl. Gremien, Wahlverfahren usw. klären und dabei möglichen Gesichtsverlust Einzelner vermeiden

Kommunikationsziel

Herstellen von Bindung unter den Mitgliedern

Treffen von Entscheidungen unter Beachtung der Bindungswirkung

Kommunikationsformen

Wenig formalisierte, mündliche Kommunikation

Formalisierte, vielfach schriftliche Kommunikation, zugleich informell vorbereitete Abstimmungen, um Gesichtsverlust zu vermeiden

›Währung‹

Liebe, Bindung, Anerkennung auf der Grundlage familiär gewachsener Beziehungen

Macht und Recht auf der Grund­ lage von Anteilsbesitz, Autoritäts­ zuschreibung, Seniorität usw.

Existenzsicherung

Natürliche Evolution im Drei-­ Generationen-Schema*, Größenbeschränkung erfolgt durch Vergessen: Man verliert sich aus den Augen

Künstliches Überschreiten des Drei-­ Generationen-Schemas mit kontinuierlichem Wachstum, ggf. künstliche Beschränkung des Wachstums durch Vererbungsregeln

Übergeordnetes Kriterium des Entscheidens

Wohlergehen der Familie und ihrer Mitglieder

Existenzsicherung des Unternehmens und der Gesellschafter unter Beachtung der Werte der Großfamilie

Kriterien von Personenentscheidungen

Selektion unter prinzipiell ­ leichen (ganzen) Personen g

(Ungleiche) Selektion nach Kompe­tenzen und Anteilsbesitz, dabei immer mögliche emotionale Beschädigung von Einzelpersonen vermeiden

Entscheidungsprinzip

Senioritäts- oder Konsensprinzip

Mehrheitsregeln, oft verknüpft mit Konsenswunsch und informellen Vorabsprachen

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

Familie

Unternehmerfamilie

Gerechtigkeit

Gleichheit und/oder Bedürftigkeit, Ausgleichgerechtigkeit

Anerkennung ungleicher Fähigkeiten und Leistungen; juristische Gleichbehandlung der Gesellschafter; Gewährleistung, dass jeder Gehör findet (Verfahrensgerechtigkeit)

Ausgleich

Dank, Anerkennung, Wertschätzung, ggf. Entschuldigung

Fairness, angemessene Ausschüttung bzw. Bezahlung (etwa für Gremienarbeit), Information, aber auch Dank, Anerkennung, Wertschätzung, ggf. Entschuldigung

* Normalerweise pflegen Familien Beziehungen über drei Generationen hinweg. Darüber hinaus verliert man sich meist schnell aus den Augen, wenn es nicht explizite Strukturen (etwa Familien­ tage, z. B. in Adelsfamilien) gibt, die dafür sorgen, dass das Familiengedächtnis immer wieder aufgefrischt wird.

Die Unterscheidung zwischen Familie und Unternehmerfamilie bringt es mit sich, dass die Familie des Familienunternehmens kontinuierlich zwischen verschiedenen Systemtypen hin- und herwechselt. Anders als das klassische DreiKreise-Modell der Familienunternehmen es nahelegt, ist die Familie des Familienunternehmens eben nicht einfach einer von drei Kreisen, vielmehr muss die Unternehmerfamilie ständig in jeder Aktivität, in jeder Entscheidung, bei jeder Veranstaltung reflektieren, was das Gesagte und Getane jeweils für die anderen Kreise bedeutet und muss entscheiden, welche der Fragen im Konfliktfall das Primat hat. Die Unternehmerfamilie ist daher dadurch geprägt, dass verschiedene Rationalitäten mit den in ihnen bestehenden Erwartungsstrukturen immer gleichzeitig wirksam sind. So gesehen ist eine Unternehmerfamilie immer jeweils zugleich: • eine Familie, die sich um die Mitglieder kümmern muss, • eine Organisation, die Entscheidungen treffen muss, • eine Eigentümergemeinschaft, die gemäß Gesellschaftsvertrag zu agieren hat, • ein übergeordnetes System, das die Belange dieser Fragen integrieren und balancieren muss. Die Anforderung an Familienstrategie und Familienmanagement lassen sich dahingehend zuspitzen, dass es auf der einen Seite darum geht, die Verbundenheit der Familie zu erhalten, und auf der anderen Seite darum, die unternehmerische Entscheidungsfähigkeit zu sichern. Wie Tabelle 1 bereits gezeigt hat, kommen deshalb auf die Unternehmerfamilie fortwährend Doppelaufgaben bzw. Balancierungsnotwendigkeiten zu.

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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Die im vorhergehenden Kapitel bereits formulierte Kritik an dem klassischen Verständnis des Drei-Kreise-Modells wird hier noch einmal deutlich: Die drei Systeme sind keine Orte, an oder in denen man sein kann oder nicht. Sie sind immer gleichzeitig präsent und eher als Felder zu begreifen, in11 denen Bedeutung erzeugt wird und sehr unterschiedliche Erwartungsstrukturen gelten. Sie stellen Möglichkeiten dar, unter denen Kommunikation geschieht und ganz unterschiedlich verstanden werden kann. Familie, Unternehmen und Eigentümergemeinschaft sind als Bedeutungsfelder (Kriz, 2006) untrennbar in dem Sinn, dass immer das eine mit dem anderen zusammen gedacht wird, das heißt, in dem einen immer auch das andere präsent ist. Welche Rationalität in der Kommunikation jeweils als wirksam erlebt wird, ist oft nicht eindeutig zu klären. Vermutlich fallen in vielen existenziellen und emotional hoch besetzten Fragen, mit denen die Unternehmerfamilie zu tun hat, Bindungs-, Entscheidungs- und Eigentumskommunikationen untrennbar zusammen. Zugleich müssen immer wieder weitreichende Entscheidungen getroffen werden – und stets kann das, was in der einen Kommunikationslogik als richtig erscheint, in der Perspektive der anderen als falsch erlebt werden, so dass in der Familie tiefgreifende Kränkungen und Verletzungen entstehen können. Daher ist die Unternehmerfamilie auf vielen Ebenen damit beschäftigt, Wege zu finden, wie sie in unternehmerischer Logik zu Entscheidungen kommen kann, ohne gleichzeitig die familiäre Logik zu verletzen. Die Aufrechterhaltung der Paradoxie, die von der Unternehmerfamilie verlangt wird, stellt genau die wichtige »appreciation for ambiguity« dar, die für Familienunternehmen als bedeutsam angesehen wird (Schuman, Stutz u. Ward, 2010). Die Kippfigur braucht beide Seiten der Paradoxie, so dass eine Antwort auf paradoxe Verhaltenserwartungen in gewisser Weise paradoxiefreundlich ausfallen muss.

4.5  Die Kernparadoxie der Unternehmerfamilie Abschließend sollen die Überlegungen der vorangegangenen beiden Kapitel noch einmal zusammengefasst werden. Jede wachsende Gesellschafterfamilie sieht sich einer zentralen Kernparadoxie gegenüber: »Sei Familie und organisierte Familie zugleich!« Die Notwendigkeit, jeweils nicht nur einfach Familie sein zu können, sondern ab einem bestimmten Komplexitätsgrad nur als organisierte Familie überleben zu können, stellt die große Herausforderung an jede Unternehmer11 Das Wort »in« unterstellt wieder eine räumliche Metapher. Auch wir kommen offenbar nicht ganz davon weg. Gemeint ist eher, dass hier Sinnkonstruktionen, eben Kontexturen präsent und wirksam sind. Sie »regieren« für die Mitglieder eines Kommunikationssystems die Art des Verstehens und des verstehenden Anschlusses einer Kommunikation an die nächste.

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

familie dar, mit der wir bislang zu tun hatten. Zugleich ist genau das die Kippfigur: Die Familie kennt sozusagen zwei Aggregatszustände. Anders als andere Familien muss eine Unternehmerfamilie sich immer wieder doppelt denken. Warum ist diese Differenz eigentlich so schwierig? Familie ist in einer modernen Gesellschaft nichts anderes als Familie. Sie will nirgendwo hin und hat wie die Ehe als Gemeinschaft zunächst nur sich selbst zum Ziel. Weitere gesellschaftliche Funktionen, wie sie Familien in früheren Gesellschaften erfüllten, werden einer Familie nicht mehr abverlangt (vgl. etwa Gestrich et al., 2003; Mitterauer, 2009). Das Verhalten ihrer Mitglieder ist Ausdruck ihrer Haltung zueinander und dient nicht dem Erreichen irgendwelcher Ziele. Daher ist es normalerweise nicht üblich, sich als Familie strategische Gedanken zu machen. Auch wenn Eltern darauf hoffen, dass die Pubertät endlich vorbei, der ersehnte Schulabschluss geschafft oder ein passender Partner bzw. eine passende Partnerin gefunden ist, werden derartige Etappenziele eher nicht als solche formuliert. Es sind Entwicklungsschritte, sogenannte normative Ereignisse, die erwartet werden und mit denen man daher umgehen muss (Schneewind, 2010). Sie sind nicht Gegenstand strategischer Planung. Über eine lange Zeit hinweg lebt eine Familie, in deren Umgebung ein Unternehmen entsteht, meist wohl erst einmal problemlos mit der Idee, dass Familie und Unternehmerfamilie eine Einheit seien, insbesondere in der Gründungsphase. Denn zum Familienunternehmen wird das Unternehmen erst, wenn die Idee der innerfamiliären Weitergabe der Führungsverantwortung aufkommt, wenn die größer werdende Familie sich mehr und mehr als Unternehmerfamilie zu verstehen beginnt und/oder das wachsende Unternehmen von der Familie Entscheidungen bzw. Besetzung von Positionen verlangt. Ab einem gewissen Komplexitätsgrad, spätestens, wenn man nicht mehr per Zuruf entscheiden kann, wird von der Familie etwas Neues verlangt: Als wachsende Unternehmerfamilie soll sie dauerhaft und generationenübergreifend Entscheidungsfähigkeit gewährleisten. Um solch ein dauerhafter Gesprächspartner für das Unternehmen zu sein, braucht es nicht nur Familie, sondern auch eine organisierte, professionelle Familie. Um kollektiv entscheiden zu können, braucht es einen Rahmen klarer Regeln. Damit aber kommt in die Familie etwas Familienfremdes hinein, das sie nicht so ohne weiteres integrieren kann: die Notwendigkeit, sich sozusagen zu verfassen, einem Regelsystem zu unterstellen, von den Empfindlichkeiten und Bedürfnissen der Mitglieder abzusehen – alles mit dem Ziel, entscheidungsfähig zu bleiben. Die größer werdende Familie braucht als organisierte Familie gegenüber dem Unternehmen eine klar vernehmbare Stimme – an Stelle so vieler Einzelstimmen wie Mitglieder. Eine organisierte Familie zu werden, ist also ab einem bestimmten Punkt (der schwer zu bestimmen ist) ein wesentlicher Beitrag der

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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Familie zur Langlebigkeit der Beziehung zwischen Familie und Unternehmen. Paradoxerweise muss dabei die Familie, gerade um Familie bleiben zu können, einen Teil ihrer Familienhaftigkeit aufgeben und Organisation werden. Denn wenn sie nicht dem jeweiligen Komplexitätsgrad von Familie und Unternehmen entsprechende Strukturen entwickelt, ist sie mit einem hohen strukturellen Risiko unterwegs (Rüsen, von Schlippe u. Gimeno, 2012): Die Verbindung zwischen Unternehmen und Familie kann scheitern, nicht selten auch um den Preis eines Zerbrechens der Familie. Organisation zu werden, bedeutet für die Familie einen gravierenden Prozessmusterwechsel im Vergleich zum bislang gewohnten Miteinander. Auch ohne explizites Familienmanagement oszilliert die Familie des Familienunternehmens zwischen den Polen Familie und Unternehmerfamilie hin und her, nur eben unbewusst und ungeplant. Viele Familienmitglieder sind skeptisch, wenn eine Familienstrategie ins Auge gefasst und begonnen wird, die Differenz von Familie und Unternehmerfamilie explizit zu thematisieren und durch Strukturen abzusichern. Im Rahmen unseres Projektes »Familienstrategie über Generationen« (siehe das Kapitel 1.4.2) hatten die meisten der Familien diese Aufgabe schon grundsätzlich gelöst und irgendeine Form von verbindlichem Regelwerk für sich geschaffen: Gremien waren entstanden, Wahlprozesse vorstrukturiert, Qualitätsanforderungen an familieninterne Führung bzw. an gremienfähige Gesellschafterkompetenzen formuliert. Doch waren zum einen die langfristigen Echos der Turbulenzen, die damit einhergegangen waren, oft durchaus noch spürbar, zum anderen berichteten ausnahmslos alle davon, dass der Weg in einen solchen Grad an Verfasstheit alles andere als ein Spaziergang gewesen sei. Zu Beginn eines solchen Prozesses ist die Aussage mindestens eines, meist mehrerer Familienmitglieder recht typisch: »Das brauchen wir doch nicht!« Bei der Erarbeitung einer expliziten Familienstrategie (also etwa im Bearbeiten des im 9. Kapitel vorgestellten Prozessmodells) gerät man mit den Familien immer wieder an derartige Punkte: »Müssen wir das denn soweit abklären?«, »Wollen wir wirklich all diese Fragen für unsere Kinder und Enkel so detailliert festlegen?«, »Was soll das denn!« oder drastischer: »Quatsch!«, »Geldverschwendung, macht lieber etwas Sinnvolles!« Da es sich um eine ambivalente, eben paradoxe Aufgabe handelt, liegt es nahe, dass der Weg zur Erarbeitung einer professionellen Family Governance konflikthaft abläuft (Frank, Kessler, Nosé u. Suchy, 2011). In sozialen Systemen, das wissen wir aus der systemischen Beratung, verlagern sich ambivalente Stimmen oft auf verschiedene Personen: die Progressiven versuchen, intensiv Strukturen zu entwickeln, die Konservativen bremsen und steuern gegen, die Faulen tun gar nichts und jede der Gruppen ist ärgerlich auf die anderen. So kommt es oft zu strukturell angelegten Konflik-

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ten in der Unternehmerfamilie (ausführlich hierzu Frank, Lueger, Nosé, Suchy, 2011). Diese sollten unseres Erachtens weniger auf persönlicher Ebene (»Blödmann!«, »Dumme Ziege!«) abgehandelt, sondern als unausweichliches Spannungsfeld verstanden werden, in dem die verschiedenen Kräfte wie »Gaspedal und Bremse« zusammenarbeiten (und das heißt vor allem: miteinander reden) könnten, um Prozesse in einer angemessenen Geschwindigkeit voranzutreiben, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Eine solche Haltung ermöglicht es eher, kritische Stimmen als wichtig für den Gesamtprozess anzusehen und einzubeziehen. Ganz besonders groß sind die Hürden für Unternehmen, die über lange Zeit in patriarchaler Logik geführt worden sind (siehe das Kapitel 7.2). Meist sind es Gründerfiguren oder sehr starke Unternehmer oder Unternehmerinnen späterer Generationen, die sich über Jahre hinweg in eine Position hinein entwickelt haben, in der sie für jede mögliche Entscheidung die Letztverantwortung übernehmen. Ein derart versierter Alleinentscheider sieht selten einen Sinn darin, das bewährte, schnelle Vorgehen durch Strukturen zu verkomplizieren und zu behindern: »Wozu soll ich mir einen Beirat ins Haus holen, der mir dann vorschreibt, was ich tun soll?«, »Nachfolgeregelungen? Was für ein Blödsinn: Wer aus der Familie ins Unternehmen will, der soll kommen und arbeiten. Alles Weitere werden wir dann sehen!«; »Was soll das? Wir haben doch bislang auch alles gut so hingekriegt!« Doch nicht nur für den Patriarchen, auch für einzelne Mitglieder und die Familie als Ganzes kann tatsächlich einiges an »Trauerarbeit« nötig werden. Die Familienmitglieder verabschieden sich von Selbstverständlichkeiten, die zum Familienleben dazugehören, von der Überzeugung, dass die Dinge sich schon irgendwie regeln werden. Das Fällen von Entscheidungen ist eben nicht die zentrale Aktivität von Familien (Wetzel u. Dievernich, 2014). Daher war es oft für alle bequem, die Unsicherheitsabsorption an die eine Person zu delegieren (über die man sich dann aufregen konnte …). Familie entscheidet in familiärer Logik immer unter Berücksichtigung der Bindungswirkung. Sich als Familie zu organisieren führt etwas Familienfremdes ein, Entscheidungsregeln, die dieses Grundprinzip verändern. Insbesondere wenn es um die Rolle von Mehrheitsentscheidungen geht, kann es schmerzlich sein, das gewohnte Konsensprinzip zu verlassen: »Wir brauchen keine Regeln, wir reden immer so lange, bis wir uns einig sind – und bislang hat es immer geklappt!«, ist ein nicht selten gehörter Satz. Natürlich ist Konsens erstrebenswert. Denn eine Abstimmung erzeugt »eine Minderheit und grenzt sie von der durchgesetzten Mehrheit ab« – was Kormann (2014b) über Konsensfindung in Führungsgremien schreibt, gilt ja auch für die Familie. Also braucht es, um im kritischen Fall entscheidungsfähig zu sein, die Einführung einer Regel für den

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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Fall, dass nicht alle einig sind. Zu entscheiden, dass eine Entscheidung auch dann getroffen wird, wenn von fünf Geschwistern eines explizit dagegen stimmt, kann schwerfallen – und ist doch unumgänglich, wenn eine professionelle Familie die eigene Entscheidungsfähigkeit im Dienste des Unternehmens sichern will. Die paradoxe Antwort auf die Frage, wie Unternehmerfamilien funktionieren, könnte so formuliert werden: »Wir geben Familienhaftigkeit auf und werden organisierte Familie, um Familie bleiben zu können!« Wenn man sich an diese Paradoxie erst einmal gewöhnt hat, können die Betroffenen die Differenz zwischen Familie und Unternehmerfamilie durchaus entspannt handhaben, dies illustriert das folgende Interviewzitat: Zitat: Wenn ich von Familie spreche Interviewer:  »Wenn Sie von Familie sprechen, wen meinen Sie eigentlich genau damit?« Interviewpartner:  »Also, wenn ich von Familie mit Ihnen spreche, dann meine ich die Gesellschafter mit ihren eigenen Familien inklusive Ehepartnern und Kindern.« Interviewer:  »Und wie ändert sich das, wenn Sie mit jemand anders über Familie sprechen?« Interviewpartner:  »Wenn ich eine Freundin in der Stadt treffe und die fragt mich: ›Wie geht es deiner Familie?‹, dann denke ich an meine Kernfamilie.« Interviewer:  »An die Kernfamilie, ach so.« Interviewpartner:  »An meine Kinder, meinen Mann, vielleicht noch meine Mutter, aber dann ist schon Ende. Also, das kommt immer darauf an, mit wem ich über Familie rede.«

Zuvor noch ein positiver Aspekt, der angesichts der Akzentuierung der problematischen Seite der Bivalenz nicht zu kurz kommen sollte. Die Herausforderung, Unternehmerfamilie zu sein, versorgt die Familie kontinuierlich mit einer Chance, die sich in anderen Familien in der Regel nicht bietet. Sie muss sich mit sich befassen und dafür sorgen, dass man einander nicht vergisst. In anderen Familien entwickelt sich über die Jahrzehnte hinweg eine schrittweise und zugleich ganz normale Entfremdung. Man kennt seine Cousins und Cousinen zweiten, dritten oder vierten Grades nur noch in Ausnahmefällen. Das, was Familie ausmacht, ist im Wesentlichen auf die Bereiche unmittelbaren gemeinsamen Lebensvollzuges begrenzt bzw. auf die Personen, mit denen man einmal eng zusammengelebt hat, also Eltern und Geschwister, und mit denen

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III  Wittener Theorie der Unternehmerfamilie

man auch als Erwachsener noch relativ enge Beziehungen pflegt. So stellt sich für die Unternehmerfamilie die besondere Aufgabe, sich als Großfamilie immer wieder zu erneuern und zu finden (Klett, 2009), eine Qualität, die durchaus als Bereicherung und Gewinn dargestellt wird, hierzu einige illustrative Zitate zum Thema »Unternehmerfamilie als Großfamilie« aus den Interviews unserer Studie: Zitat: Dann gäbe es die Familie nicht »Wir sind heute hier eine fortgeschrittene Generation. Und das geht doch steil nach oben. Und wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass eben die Anzahl der Familienmitglieder ständig steigt. Man muss die alle, möchte sie alle kennen. Man möchte sie alle einladen, aber deshalb haben wir unheimlich viel ins Leben gerufen, um das auch zu gewährleisten […]. Unsere Vorfahren sind noch fast alle auf derselben Straße groß geworden, haben zusammen Fußball gespielt. Da ist eine ganz andere Bindung entstanden. Man hat denselben Cousins vor das Schienbein getreten, aber mit den anderen eben abends auch mal am Lagerfeuer gesessen. So, da ist eine Familie noch da. Und wir müssen nun gewährleisten, obwohl wir nicht mehr alle in Deutschland leben, zum Teil gibt es welche, die sprechen kaum noch Deutsch […], dass man da auch dieses, den Familienverbund aufrechterhält.« Auf unsere Frage, was ohne Unternehmen mit der Familie wäre: »Dann gäbe es die Familie nicht. Also, ich meine, keine Unternehmerfamilie, die dann alle da noch glücklich am runden Tisch sitzen würden. Es sei denn, sie hätten sich vielleicht noch irgendwas anderes geschaffen, was sie zusammenhält.« »Ohne das Unternehmen würden einige wahrscheinlich miteinander nichts zu tun haben.«

Gleichzeitig umfassen die Aufgaben der Unternehmerfamilie das Management des Ausstiegs bzw. Teilausstiegs von Gesellschaftern. Oftmals herrscht in Unternehmerfamilien eine explizite Erwartungshaltung des Verbleibens in der Gemeinschaft vor. Der Wunsch, als Gesellschafter aus dem Unternehmen auszusteigen, um zum Beispiel einer eigenen Unternehmung nachzugehen, oder der Wunsch, einen Teil seiner Anteile zu veräußern, wird dabei oft als Bedrohung, Aufgabe der Treuhänderschaft bis hin zum Verrat an dem Erbe der Vorväter durch die verbleibenden Gesellschafter gewertet. Potenziell droht die Eskalation familiärer Konflikte. Die Kippfigur ist hier auf eine andere Art und Weise gefordert: Sie muss das (teilweise) Verlassen der Doppelrolle, also einen

Familie und Unternehmerfamilie zugleich: die verdoppelte Familie

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Ausstieg aus der Unternehmerfamiliengemeinschaft verarbeiten und zugleich die Aufgabe erfüllen, dass der Betreffende weiterhin als der Familie zugehörig erlebt wird (siehe hierzu das Kapitel 5.2.3).

4.6  Familienstrategie als Aufgabe Unsere bisherigen Ausführungen haben das Aufgabenprofil einer Familie, in deren Eigentum sich ein Unternehmen befindet, verdeutlicht. Wie gelingt die Ausbalancierung der Logiken von Familie und Unternehmerfamilie? Wodurch kann eine Unternehmerfamilie den Sprung zur professionalisierten Unternehmerfamilie schaffen? In unseren Forschungsprojekten zeigte sich immer wieder, dass Unternehmerfamilien dabei einen entsprechenden Prozess durchlaufen. Dieser findet entweder informell durch situative Gespräche am Rande von unternehmensbezogenen Anlässen statt, oder er wird formell durchgeführt, zum Teil unter externer Moderation. Die dadurch entstandenen Regelungen und Prinzipien werden dann oft in einer Familienverfassung zusammengefasst oder in juristisch verbindliche gesellschaftsvertragliche Regelungen gegossen. Die familienstrategischen Kernfragen sind vielfältig und komplex. Die Kapitel in Teil IV dieses Buches beschreiben die Themenstellungen und einige der möglichen, von den Familien gefundenen Antworten. Das letzte Kapitel, zugleich Teil V, stellt als Zusammenfassung das »Wittener Modell zur Familienstrategieentwicklung« vor. Es dient als eine Art Prüfkatalog grundsätzlicher familienstrategischer Überlegungen und der typischen Inhalte eines familienstrategischen Prozesses. Unsere Analysen entsprechender Prozesse haben gezeigt, dass die Erarbeitung einer Familienstrategie für die prozessbeteiligten Mitglieder der Unternehmerfamilie vor allem als ein Selbstreflexionsprozess erlebt wird. Ein solcher Prozess kann hin und wieder zu einer schmerzlichen Konfrontation führen, wenn deutlich wird, dass das Unternehmen von der Familie nur noch als ein Investment betrachtet wird, welches bei unzureichender Rendite verkauft und in eine andere Anlagenklasse eingetauscht werden sollte. Der Prozess, in dem sich die verdoppelte Familie mit sich selbst auseinandersetzt, ist intensiv. Oft werden mit hohem Engagement und emotionalem Einsatz die zentralen Themen behandelt. In diesen Auseinandersetzungen werden oft sehr einzigartige, individuelle Lösungen gefunden, die nur für die jeweilige Familie passen. In den kommenden Kapiteln werden weniger diese sehr speziellen Lösungen vorgestellt, sondern eher die familienstrategischen Kern­fragen behandelt und diskutiert. Diese werden von der verdoppelten Familie oft auch doppelt, also paradoxiefreundlich beantwortet.

IV

  Familienstrategische Kernfragen

In den nächsten vier Kapiteln geht es darum, ausgehend von den bisher entwickelten theoretischen Überlegungen auf die Praxis der Entscheidungsfindung in langlebigen und erfolgreichen Familienunternehmen zu schauen. Es soll nun also konkreter werden: Wir beschreiben auf der Mikroebene die vielen Formen der Gestaltung des Verhältnisses von Familie und Unternehmerfamilie, wie wir sie in den mit uns kooperierenden Unternehmen kennenlernen konnten. Deutlich wird, dass für viele Fragen von der Kippfigur jeweils eine andere Antwort gegeben wird – je nachdem, ob der Kontext Familie oder der Kontext Unternehmerfamilie angesprochen ist. Da, wie schon mehrfach erwähnt, die Kontexte selten klar trennbar sind, sind Verletzungen und Kränkungen beinahe unvermeidlich. Die verdoppelte Familie muss immer als Familie und als Unternehmerfamilie zugleich Antworten finden. Während sich die gestellten Fragen ähneln, ist die Bandbreite der Antworten so groß wie die Vielfalt der Familien. Daher formulieren wir hier nicht konkrete Antworten, sondern beschreiben primär Lösungsprinzipien und gelegentlich und nur exemplarisch einige der gefundenen Lösungen. Sie werden, wo es uns passend erscheint, mit Zitaten aus unseren Untersuchungen belegt.12 Und natürlich ist auch in den jeweiligen Familien die Spannweite groß, in der die Fragen diskutiert und Antworten gesucht werden. Diese Spannungsdynamik zu handhaben, gute und kluge Antworten zu finden, ist die eigentliche Aufgabe von Familienstrategie.

12 Die Zitate sind jeweils Originalzitate aus geführten Interviews, sie wurden nicht inhaltlich, sondern nur sprachlich bearbeitet, d. h. Wortwiederholungen, abgebrochene Sätze usw. wurden entfernt oder der Lesbarkeit halber geglättet, Hinweise, die eine Identifikation des Sprechers ermöglichen, wurden herausgestrichen.

5  Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen

Unsere Darstellung der Innensicht auf Entscheidungsprozesse möchten wir mit einer der vielleicht schwierigsten Aufgaben von Familienstrategie beginnen, nämlich mit den Besetzungsentscheidungen. Hier eine Balance zwischen der Forderung der Bindungslogik nach Gleichheit und Gleichbehandlung und der Forderung der Entscheidungslogik nach klaren Unterschieden zu finden, ist im gewissen Sinne die Königsdisziplin. Die Frage, wer jeweils zur Unternehmer­ familie und zum Gesellschafterkreis hinzugerechnet wird, ist in diesem Zusammenhang wichtig, aber ebenso, mit welchen Strukturen Zugehörigkeit sichergestellt wird, also wie Kontakt, Information und Stimme ermöglicht werden. Im Anschluss geht es darum, wie Zugänge zu Positionen und Gremien gehandhabt werden und wie mit den besonderen Grenzen umgegangen wird, die zwischen Familienstämmen entstehen können. Wir spielen dabei durchgehend mit dem im vorherigen Kapitel eingeführten Bild der Kippfigur: Es werden jeweils an die Familie Fragen gestellt, die dann von der Familie und der Unternehmer­familie unterschiedlich beantwortet werden.

5.1 Die Paradoxie von Zugehörigkeit und Selektivität Ein eigenes Kapitel über Zugehörigkeits- und Besetzungsentscheidungen? Wer nicht mit den Dynamiken in Unternehmerfamilien vertraut ist, der wird sich wundern, warum man hier nicht einfach, klar und sauber definieren kann, nach welchen beobachtbaren Kriterien entschieden und verfahren werden sollte. Vermeintliche Professionalisierungsansätze, die auf Einfachheit und Klarheit als Lösung setzen, verkennen vielfach, dass die Paradoxien der gleichzeitigen Inklusions- und Exklusionserwartung existenzielle Fragen und Krisen aufwerfen. Der vermutlich wichtigste Widerspruch hierbei ist:

Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen

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• dass die Familienmitglieder selbstverständlich dazugehören (Inklusion) und • dass die Familienmitglieder selbstverständlich je nach Eignung und Interesse nicht immer und überall dazugehören können (Selektivität). Zugehörigkeit und Selektivität schließen einander logisch aus. Wenn jemand dazugehört, gehört er dazu, und wenn jemand nicht dazugehört, gehört er nicht dazu. Um die Entscheidungsqualität und -kompetenz zu sichern, muss die Unternehmerfamilie daher ständig etwas tun, was in Familien sonst nicht geschieht, nämlich eigentlich Gleiche (Familienmitglieder, die den Anspruch empfinden, gleich zu sein) ungleich behandeln. Die Spannung zeigt sich unmittelbar. Es sitzen zwei ganze Personen aus Fleisch und Blut in der Gesellschafterversammlung, doch die eine hat 3 % Anteile, die andere 45 % – was heißt da gleich? Gleich nach Stimme ist etwas anderes als gleich nach Stimmen: Der eine erlebt sich nach der Stimme als Familienmitglied voll zur Familie gehörig, der andere erlebt sich in der Logik der Stimmen, also der Anteile und entsprechenden Stimmrechte, als zugehöriger als der andere. Schematische Lösungen (»Ist doch klar, so muss es sein!«) greifen hier nicht immer. Bei aller familiären Inklusionslogik: Zugänge zu Positionen und Gremien können nicht anders als selektiv geregelt werden, und das bedeutet nun einmal, dass nicht alle, sondern nur einige Familienmitglieder gewählt, bestimmt oder ernannt bzw. andere eben ausgeschlossen werden. Da, wo bestimmte Mitglieder gewählt werden, gibt es notwendigerweise auch Mitglieder, die nicht gewählt werden. Um die Einheit der Familie zu wahren, muss dafür gesorgt werden, dass daraus entstehende mögliche Konflikte die Einheit der Familie nicht beschädigen. Das birgt die Gefahr, schnelle Lösungen zu suchen, Familienmitglieder irgendwie zu integrieren, die von ihrer Kompetenz und Persönlichkeit her eigentlich nicht für eine Position in Frage kämen, oder kompetente, aber formal nach Gesellschaftervertrag nicht zugehörige Familienmitglieder vom Zugang auszuschließen (Wimmer, 2011). Wo die Familie ganz selbstverständlich den Anspruch an Zugehörigkeit stellt, muss die Unternehmerfamilie das Prinzip der Selektivität gewährleisten und nur die kompetentesten und optimal qualifizierten Personen zu operativen Funktionen und Gremien zulassen. Grenzen müssen so gezogen werden, dass das eine Mitglied einbezogen, das andere ausgegrenzt wird. Damit ist ein psychologisch hoch bedeutsames Thema berührt: Zugehörigkeit wird zutiefst existenziell erfahren. Die »Need to belong« gilt als eines der elementarsten menschlichen Bedürfnisse (Baumeister u. Leary, 1995). Es geht mit Bindung einher. Selektivität unterbricht hingegen Bindung: »Nein, du gehörst nicht dazu!« Ausgrenzungserfahrungen sind daher oft emotional hoch negativ besetzt, selbst wenn sie sach-

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IV  Familienstrategische Kernfragen

lich richtig und gerechtfertigt sind. So tritt gerade in Fragen, die die Zugehörigkeit betreffen, die Differenz der Logiken von Familie und Unternehmen hervor: • Ein Unternehmen löst Personalfragen typischerweise durch Inklusion sehr gezielt ausgewählter Personen und Exklusion aller anderen: Mitglied wird man per Vertrag. Wer kündigt oder gekündigt wird, weil Erwartungen nicht erfüllt wurden, gehört nicht mehr zum Unternehmen. Wer sein Gesicht verliert, scheidet ebenfalls aus: Wenn drei Manager der zweiten Führungsebene sich auf die eine frei werdende Top-Position bewerben, werden die beiden, die nicht gewählt wurden, meist das Unternehmen verlassen. Natürlich ist ein solcher Vorgang nicht frei von Enttäuschungen, aber allen Beteiligten ist die Spielregel bewusst, dass die Grenzziehung eindeutig sein muss. Da die Mitgliedschaft per Entscheidung eingegangen wird, kann sie auch wieder per Entscheidung (ggf. auch einseitig) zurückgenommen werden. In einer unternehmerischen Logik ist es zuweilen nicht nur kein Problem, sich von nicht (mehr) passenden Personen zu trennen, sondern ein Gebot unternehmerischer Vernunft. Doch die Unternehmerfamilie, die Entscheidungsfähigkeit für das Unternehmen sicherstellen will und sich im Rahmen der Entscheidungslogik selektiv verhält, nimmt damit besondere Probleme in Kauf. • In der Logik der Familie ist Mitgliedschaft – bis auf den Vorgang der Eheschließung (und -scheidung) oder bei Adoptionen – keine Entscheidung. Man gehört dazu, zumeist von Geburt an. Ein Austritt ist nicht vorgesehen, selbst Aussagen wie: »Du bist nicht mehr mein Sohn/meine Tochter«, führen nicht zum Ende einer Beziehung13. Hinzu kommt, dass Mitgliedschaft in Familien eine besondere Qualität hat. Man ist sozusagen Mitglied mit Haut und Haaren. Familien sind in der heutigen Gesellschaft die einzigen Sozialsysteme, in denen die ganze Person gemeint und nicht nur ein Teil inkludiert wird (wie etwa in einem Unternehmen, einem Sportverein etc.).14 13 Darüber, ob das so ist, könnte man diskutieren. Ein Ausschluss in Familienlogik ist unserer Einschätzung eine besonders paradoxe Form einer Grenzziehung mit gleichzeitigem Einschluss: Es ist naheliegend, dass der Ausgeschlossene gerade durch den Ausschluss ständig Thema sein wird (und sei es durch das Verdikt: »Ich verbiete, dass über ihn in diesem Hause gesprochen wird!« – und natürlich denkt jeder jeden Tag daran …). Glücklicherweise sind derartige Aktivitäten sehr selten. 14 Man spricht hier vom Unterschied zwischen Teil- und Vollinklusion (Luhmann, 2005; Noack, 2014), je nachdem, worauf sich Erwartungen richten. Organisationen inkludieren jeweils nur einen Teil des Mitarbeiters, d. h. ihre Erwartungen richten sich auf die Erfüllung von Dienstaufgaben, der Rest der Person spielt für das Unternehmen keine Rolle. Ob ein guter Buchhalter auch noch gern Kekse bäckt oder Klavier spielt, ist kein Kriterium seiner Einstellung. Dagegen vereinnahmen Familien ihre Mitglieder ganz, im Sinne einer zum Anspruch überhöhten Erwartung, dass prinzipiell die ganze Person thematisierbar ist.

Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen

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 a mit der Inklusion ganzer Personen auch die Grenzziehung der Familien D einhergeht, wird nachvollziehbar, warum Mitgliedschaftsfragen so relevant, so politisch und aufwändig werden: Wer einmal dazugehört, ist drin (Kieser­ ling, 1994). Formell kann man aus dem Gesellschafterkreis und damit aus einem Teil der Unternehmerfamilie aussteigen, zum Beispiel, indem man seine Anteile verkauft. Dies geschieht durchaus, ist allerdings oft ein recht kritisches Ereignis, denn die Familie bleibt davon nicht unberührt, stellen sich ihr doch folgende Fragen: »Tritt er/sie damit auch aus der Familie aus, und wenn ja, aus welchem Teil unserer Familie? Kann er/sie dennoch bei Familienfeiern dabei sein? Wie verfahren wir mit seinen/ihren Kindern, sind diese für alle Zeiten als Gesellschafter ausgeschlossen?« Die Familie als Unternehmerfamilie ist gefordert, sowohl die unternehmerischen wie auch die familialen Erwartungen zur Mitgliedschaft zu balancieren. Wenn Mitgliedschaften ausschließlich nach unternehmerischer Logik entschieden werden, können schwierige Konstellationen entstehen, die mit heftigen und nachhaltigen persönlichen Verletzungen einhergehen, vor allem wenn die Rechtmäßigkeit einer Selektionsentscheidung angezweifelt wird (mehr dazu im nächsten Kapitel zur Legitimation). Die Empörung der Betroffenen rührt dann oft daher, dass sie die familiale Mitgliedschaftslogik für selbstverständlich erachten und eine Verletzung der zu Ansprüchen gesteigerten Erwartungen, die sich aus der Mitgliedschaft in der Familie ergeben, als besonders ungerecht empfinden. Oft wird hier auch der Bruch eines psychologischen Kontraktes erlebt, der im Rahmen familialer Gleichheitserwartungen geschlossen wurde (siehe Exkurs). Diese Erfahrung geht mit sehr heftigen Gefühlen einher, man spricht hier auch von »emotional messiness«, also von emotionalem Durcheinander.

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IV  Familienstrategische Kernfragen

  Exkurs  

Psychologische Kontrakte und »emotional messiness« Ein psychologischer Kontrakt beschreibt die selbstverständliche Erwartung an eine implizite, vage gehaltene Vereinbarung zwischen zwei Parteien. Es handelt sich um eine Art eines meist nur angedeuteten oder unausgesprochenen Versprechens, das durch Handlungen, Signale und Symbole gegeben und durch eine über eine lange Zeit hinweg andauernde tägliche Praxis bestätigt wird (Coyle-Shapiro u. Parzefall, 2008; Robinson u. Rousseau, 1994; Rousseau, 1989). In der Familienunternehmensforschung wurde das Konzept aufgegriffen, um die emotionale Verwirrung (»emotional messiness«) und die Turbulenzen zu verstehen, die sich immer wieder in Unternehmerfamilien ergeben (Brundin u. Sharma, 2012). Vage Versprechen sind in Familien nicht selten: »Wer weiß, mein Kind, vielleicht wirst du das alles einmal erben!« So entstehen in familiärer Logik Erwartungen, die sich bei Unternehmer­familien auf Unternehmensbelange richten. Ein Familienmitglied kann auf der Basis dieser Erwartungen beginnen, sich in Richtung des Versprechens zu verhalten (ein Kind beginnt beispielsweise gegen seine Neigung ein Wirtschaftsstudium, weil es davon ausgeht, irgendwann einmal ins Unternehmen zu kommen). Das Versprechen wird umso mehr als bindend wahrgenommen, je mehr es mit Szenen hoher Affektivität verknüpft ist. Vielfach ist der Hintergrund für ein solches Versprechen eine tief empfundene Loyalität, von der angenommen wird, dass sie vom anderen genauso erlebt wird und vor allem, dass der eigene Einsatz vom anderen als Ausdruck eben dieser Loyalität wahrgenommen wird. Der amerikanische Familientherapeut Kenneth Kaye beschreibt in diesem Zusammenhang die »Successor’s trap«, die Nachfolgefalle, in die das Kind einer Unternehmensfamilie unversehens geraten kann: Aus selbstverständlicher Erwartung und aus eigener Verpflichtung heraus werden Studium und Karriereplanung auf das Familienunternehmen hin ausgerichtet, ohne dies explizit zu thematisieren; alternative Angebote werden ausgeschlagen, bis man im mittleren Lebensalter, manchmal erst bei Testamentseröffnung erlebt, dass die eigenen Erwartungen mit den Vorstellungen der Gegenseite nicht zusammenpassen (Kaye, 1996; von Schlippe u. Hülsbeck, 2016).



Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen

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Die Vermeidung kritischer Entscheidungen über begrenzte Zugehörigkeit ist langfristig keine tragfähige Option. Solche Fragen kommen unweigerlich irgendwann auf den Tisch. Unternehmerische Besetzungsfragen nach reiner Familienlogik (»Family first«) zu behandeln, bringt, das ist inzwischen breit bekannt, vielfach nicht nur keine Lösung, sondern gehört zu den Risikofaktoren, die Familienunternehmen schwächen können: Nepotismus, Vetternwirtschaft, gilt als eine der großen, immer wieder zu beobachtenden Nachteile dieser Unternehmensform. Das Risiko ist besonders groß, wenn die Unternehmerfamilie sich noch nicht als solche organisiert hat und unreflektiert der Logik der Familie folgt (siehe z. B. Basco u. Calabrò, 2016; Bertrand u. Schoar, 2006, S. 78; Collin u. Ahleberg, 2012; Vinton, 1998). Doch wie bereits mehrfach erwähnt, sollten Paradoxien nicht nur als Belastung und Beschränkung der Möglichkeiten gesehen werden, vielmehr sind sie auch eine Herausforderung für die Suche nach kreativen Lösungen. Luhmann vergleicht sie mit dem Schmerz: »Der Widerspruch scheint, ähnlich wie der Schmerz, eine Reaktion auf ihn selbst zu erzwingen oder doch sehr nahezulegen« (1984, S. 505). Jansen hebt die Alarmierungsfunktion der Paradoxie hervor, die Suche nach Lösungen und der damit verbundene Zeitaufwand ist für ihn alles andere als negativ: »Paradoxien sind unentscheidbar. Das ist ihr wichtigster Vorteil, denn dadurch verzögern sie und schaffen einen wertvollen Zeitverlust. Bevor entschieden werden kann, werden zunächst weitere Unterscheidungen, weitere Reflexionen, weitere Beratungen notwendig. Die Organisation wird sich dabei der eigenen Unterscheidungs- und Selektionspraxis bewusster« (Jansen, 2013, S. 230, Hervorhebung i. O.). Offenbar haben die langlebigen Kooperationspartner des FüG-Projekts die Herausforderungen konstruktiv und kreativ gelöst und erfolgreich familienstrategische Regelsysteme gefunden, die sich unmittelbar oder mittelbar um Fragen der Grenzziehung und damit um gefundene und bewährte Modelle der Handhabung von Zugehörigkeit und Ausschluss ranken. Grenzmanagement als Leistung der Unternehmerfamilie (Wiechers, 2005, S. 148 ff.) bedeutet dabei nicht in erster Linie, klare und eindeutige Grenzen zu setzen, sondern die diffizilen Aufgaben paradoxietolerant zu handhaben. Die Kunst der Paradoxiefreundlichkeit besteht darin, Entscheidungen zu treffen, die Personen ausschließen, ohne sie auszuschließen, also zugleich zu trennen und zu verbinden, auszuschließen und zu integrieren, um die Einheit zu bewahren. Wesentliche Fragen zum Begriffspaar Inklusion und Selektivität, die jeweils, wenn die Familie gefragt wird, anders beantwortet werden, als wenn die Unternehmerfamilie gefragt wird, sollen in den folgenden Abschnitten behandelt werden.

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5.2  Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie 5.2.1  Zugehörigkeit/Ausschluss als kritische Unterscheidung Die Zahl der Fragen, mit denen sich die Mitglieder der Unternehmerfamilie beschäftigen, wenn es um Zugehörigkeit geht, mag auf den ersten Blick erstaunen. Doch gerade bei diesem Thema ist die Doppelgesichtigkeit der Familie/ Unternehmerfamilie besonders brisant: Was früher in den Grenzen des Gesellschaftsvertrages eindeutig definiert war, lockert sich unter den Bedingungen moderner Lebensformen. Vielfalt bringt auch hier sowohl mehr Farbe in das soziale Leben als auch neues Konfliktpotenzial und Klärungsnotwendigkeiten. Zugehörigkeit, einer der wichtigsten und selbstverständlichsten Eckpunkte dessen, was Familie ausmacht, verlangt auf die Erwartungsanfrage der Mitglieder: »Gehöre ich dazu?«, die selbstverständliche Antwort: »Natürlich gehörst du dazu!« Man fällt aus einer Familie nicht heraus. Anzeigen wie: »Unser Sohn hat unsere Erwartungen nicht erfüllt, wir haben ihn entlassen und suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen neuen, der folgende Qualifikationen zu erfüllen hat: …«, sind noch nicht erschienen und würden Gefühle tiefen Befremdens auslösen. Meist sind Familien liberal in der Handhabung von unklaren verwandtschaftlichen Zugehörigkeiten, zumindest in unserer Gegenwartskultur: ein uneheliches Kind sowie über eine zweite oder dritte Ehe mit in die Familie eingebrachte Kinder gelten heute mehr oder weniger selbstverständlich als zugehörig. Ganz anders fällt dagegen die Antwort aus, wenn die Anfrage nach Zugehörigkeit an die Unternehmerfamilie gerichtet wird. Hier ist Zugehörigkeit mehrfach abgestuft geregelt bzw. zu regeln und zumindest zum Teil im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben. Ein Familienmitglied, das nach den Regeln der Unternehmerfamilie Anteile in seiner Funktion als Gesellschafter halten darf und auch hält, ist auf andere Weise zugehörig als eines, das keine Anteile hat oder gar nicht haben darf (etwa ein angeheiratetes Mitglied). Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Veranstaltungen und Strukturen, wo sich derartige Zugehörigkeitsfragen stellen. Denn Unternehmerfamilien haben es oft oder immerfort mit wachsender Komplexität in Form neuer Familienkonstellationen, mit neuen Mitgliedern, Erbfallregelungen, Steuerfragen etc. zu tun – alles Dinge, die Mitgliedschaftsregelungen betreffen. Ohne das Unternehmen würden sich die Mitglieder, wie bereits erwähnt, vielfach gar nicht mehr kennen. Durch das Unternehmen bleiben auch ferner verwandte Personen Familie, ohne dass hierfür eine passende Familienregelung selbstverständlich zur Verfügung steht. Normale Familien mindern ihren Regelungsbedarf über Zerfall

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und Vergessen. Im Drei-Generationen-Schema (Großeltern-Eltern-Kinder) wird Familie erlebbar (Simon et al., 2005). Alle weiteren Verwandtschaften werden am Rande behandelt oder verschwinden im Zeitverlauf aus dem Bewusstsein. So ist es auch innerhalb der Unternehmerfamilie nicht selbstverständlich, Zugehörigkeitserfahrungen zu vermitteln. Zugehörigkeiten müssen immer wieder neu aktiv hergestellt werden (Kormann, 2011). Wichtig ist hierbei, die Dualität der Zugehörigkeit in einen Verwandtschaftsverbund und in einen Eigentümerkreis zu erkennen und die Unterschiedlichkeit dieser Clubs zu thematisieren. 5.2.2 Fragen zur Zugehörigkeit an die Familie und an die Unternehmerfamilie Viele Fragen, die sich im Verlaufe des Lebensweges einer Unternehmerfamilie stellen und jeweils klare, liebevolle und manchmal auch paradoxiefreundliche Antworten fordern, stellen sich in anderen Familien nicht oder nicht in demselben Maße. Im Folgenden skizzieren wir zunächst die möglichen Fragen. In Abschnitt 5.3 geben wir dann einen Einblick in die Vielfalt der Antworten, mit denen wir im Rahmen unserer Projekte konfrontiert wurden. Es ist nicht unser Anliegen, enzyklopädisch alle möglichen Antworten zusammenzustellen. Vielmehr sollen exemplarisch Beispiele für mehr oder weniger paradoxiefreundliche Lösungswege skizziert werden. Die Antworten, die die Familien jeweils für sich finden müssen, sind oft so spezifisch, dass sie meist gar nicht übertragbar sind. In dem Sinn sind uns die Fragen letztlich wichtiger als die möglichen Antworten. Systematisch und mit dem Blick auf die konkrete Erarbeitung einer Familienstrategie werden all diese Themen dann wieder im 9. Kapitel zum Modell der Wittener Familienstrategieentwicklung aufgegriffen. Zunächst geht es nun um die Frage, wer zur Unternehmerfamilie hinzugerechnet wird und wer nicht und was dies konkret für die Einzelperson bedeutet (z. B. im Kontext des Gesellschafterkreises oder was die Möglichkeit einer Mitarbeit im Unternehmen anbetrifft etc.). Oft sind Mitgliedschaftsbedingungen formal im Gesellschaftervertrag festgeschrieben. Doch zunehmend stellen Unternehmerfamilien fest, dass die dort lange als eindeutig angesehenen Regelungen unter sich ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an ihre Grenzen stoßen. Traditionelle Festlegungen in Gesellschafterverträgen sind mit gelebten modernen Familienstrukturen oftmals nicht mehr in Einklang zu bringen. Auch wenn implizite Vorstellungen innerhalb der Familie als Erwartungen in den einzelnen Köpfen existieren, fehlt oftmals ein explizites Verständnis, wer nun unter welchen Bedingungen wo dazugehören darf und wer nicht. Da es schon für Familie keine allgemein verbindliche Definition gibt, kann man eine solche pauschale

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Konvention auch nicht für die Unternehmerfamilie erwarten (Wiechers, 2005, S. 205). Die vielfach gefundene Lösung, dass »alle ehelichen, leiblichen Nachkommen des Gründers« als anteilsberechtigte Nachkommen zur Unternehmerfamilie gezählt werden, klingt vordergründig einfach. Tatsächlich fanden sich auch bei den meisten der Familien in unserem Projekt derartige Formulierungen in den gesellschaftsvertraglichen Regelwerken. Eine entsprechende Orientierung an den »Blutlinien« der Abstammung wird jedoch gerade in größeren Gesellschafterkreisen weniger hart definiert. In Unternehmerfamilien, die der Logik einer Groß­ familie (Simon et al., 2005, S. 90 ff.) folgen, werden etwa Ehegatten vielfach leichter in die Gesellschafterstruktur integriert als in kleineren Gesellschafterkreisen. Doch die Tücken liegen in der Klärung der Details zwischen Gesellschafterrolle und Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie. Es ist genau zu definieren, wer wozu gehören darf und welche Rechte daraus abgeleitet werden können. Eine Gesellschaftergruppe kann durchaus mehr oder weniger flexibel in der Auslegung dieser Regelungen sein. Zudem kann nicht jede Facette vertraglich eng bestimmt werden. Damit stellen sich zahlreiche Fragen danach, wie genau sich der Mitgliederkreis der Gesellschafter definiert, wer welche Rolle im Unternehmen oder in Gremien der Familien einnehmen darf etc. Es bestehen zahlreiche Spannungen zwischen den Antworten, die jeweils die Familie, und denen, die die Unternehmerfamilie gibt: eine Herausforderung für die Kippfigur. Folgende typische Fragen werden in Unternehmerfamilien regelmäßig diskutiert: a) Der mögliche Erwerb des Gesellschafterstatus: Wer kann, wer darf überhaupt Gesellschafter werden? Wodurch unterscheidet sich der Status als Gesellschafter von dem Status als Mitglied der Unternehmerfamilie (zu der Unterscheidung von Gesellschafterkreis vs. Unternehmerfamilie siehe das Themenfeld 2 im Kapitel 9.1.2 zum Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung)? b) Der Eintritt in den Gesellschafterkreis und die Grundprinzipien der Regeneration des Gesellschafterkreises: Wie wird man Gesellschafter? Welches Grundprinzip gilt für die Frage, wie sich die Unternehmerfamilie selbst regeneriert? c) Die Aufnahme junger Gesellschafter: Wie werden junge Gesellschafter in die Unternehmerfamilie aufgenommen? Ab welchem Alter können Nachfahren Anteilseigner und zu Gesellschafterversammlungen zugelassen werden? d) Die Rolle von Ehepartnern: Wie ist die Rolle von Ehepartnern von Gesellschaftern? Dürfen sie Anteile erwerben und wenn ja, wie ist damit im Trennungs-, Sterbe- und Wieder-

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verheiratungsfall umzugehen? Können sie Ämter übernehmen und wenn ja, welche? Zu welchen Veranstaltungen der Unternehmerfamilie werden Ehepartner eingeladen? Sind sie willkommen, etwa bei Gesellschafterversammlungen, und wenn ja, mit oder ohne Rederecht? e) Der Umgang mit Adoption: Wie steht die Unternehmerfamilie zum Thema Adoption? Hier gibt es eine Reihe von Differenzierungen: •• Adoption von Kindern aus einer Patchworkfamilie, •• Adoption von anderen Kindern (z. B. aus dem Ausland o. Ä.), •• Adoption von älteren Kindern bzw. von Erwachsenen. f) Der Umgang mit modernen Lebensformen: Wie will die Unternehmerfamilie mit modernen Lebensformen, also etwa mit unverheirateten Paaren umgehen? Wie lange etwa sollten zwei Menschen zusammengelebt haben, ehe der Partner als Gast bei einer Veranstaltung der Gesellschafter teilnehmen kann? g) Der Status gleichgeschlechtlicher Beziehungen: Welchen Status sollen Partner aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen haben? Soll es einen Unterschied zu unverheiratet zusammenlebenden heterosexuellen Paaren geben? h) Der (Teil-)Ausstieg: Neben dem Einstieg in die Gesellschaft geht es auch um die Frage des Ausstiegs: Wie kann man die Mitgliedschaft in der Gesellschaft – und damit Zugehörigkeit – verlieren? Wie soll ein Verkauf der Anteile geregelt werden? Soll es möglich sein, Anteile teilweise bzw. schrittweise zu verkaufen? Gibt es ein Minimum, unter dem ein Anteilseigner nicht mehr dazugehört? Gleiches gilt auch für die Austrittsbedingungen aus der Unternehmerfamilie: Führt die Trennung oder Scheidung einer Ehe automatisch dazu, dass die Unternehmerfamilie verlassen werden muss? Wie ist dieses Thema zu sehen, wenn der getrennte Elternteil die Erziehungsaufgabe der Kinder und der zukünftigen Gesellschafter weiterhin innehat? i) Der mögliche Wiedereinstieg: Kann und wenn ja, unter welchen Bedingungen, ein ehemaliger Anteilseigner, also ein Mitglied der Familie, das wieder Mitglied der Unternehmerfamilie werden möchte (oder seine Kinder/Enkel), sich wieder erneut einkaufen oder zumindest seine Kinder? j) Der Einbezug familienexterner Personen als Gesellschafter: Soll es die Möglichkeit für verdiente familienexterne Geschäftsführer geben, Anteile am Unternehmen zu erwerben bzw. geschenkt zu bekommen? Sollen diese Anteile dann vererbbar sein oder nicht? Falls einem familienexternen

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Geschäftsführer Anteile (temporär oder dauerhaft) übertragen werden, in welcher Form ist dieser dann über die Mitgliedschaft im Gesellschafterkreis hinaus auch Mitglied der Unternehmerfamilie? k) Die Mitarbeit im Familienunternehmen: In welcher Form soll die Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie auch zu einer Mitarbeit im Unternehmen berechtigen? Oder soll dies kategorisch ausgeschlossen sein? Gilt dies für alle Familienmitglieder gleichermaßen oder wird zwischen Abkömmlingen und Ehegatten differenziert? Eine Gesellschaftergruppe und eine Unternehmerfamilie können durchaus mehr oder weniger flexibel in der Auslegung vieler Regelungen sein. Zudem muss nicht jede Facette vertraglich eng bestimmt werden. Dennoch stellen sich die Fragen, und jede Antwort gibt Anlass für Spannungen, wie im Folgenden in Bezug auf jede der soeben aufgeführten Fragestellungen ausführlich gezeigt wird. 5.2.3  Antworten der Familie als Unternehmerfamilie Zu a) Der mögliche Erwerb des Gesellschafterstatus

Jede Gesellschaft hat das Recht, darüber zu entscheiden, wer Mitglied werden kann und wer nicht. Dies regelt der Gesellschaftsvertrag, der beispielsweise vorsehen kann, dass nur die ehelich-leiblichen Abkömmlinge des Gründerpaares Anteilseigner werden können. Im Zuge der Liberalisierung von Lebensverhältnissen stehen diese Klauseln oft unter einem gewissen Änderungsdruck. Eine erste Entscheidung, die die Kippfigur fällen muss, ist daher oft: »Wer gehört zur Familie?« Neben den vielen weiter unten beschriebenen Varianten gibt es durchaus Familien, die sich entschieden auf eine konservative Definition von Familie beziehen, wie das folgende Beispiel eines Interviewauszuges zeigt: Zitat: Nur ehelich »Es gibt zwei Definitionen. Einmal: ›Wer ist Gesellschafter?‹, und dann: ›Wer ist Familie?‹ Gesellschafter sind alle leiblich-ehelichen Abkömmlinge des Firmengründers. Das ist so im Gesellschaftervertrag geregelt und ist auch noch mal in der letzten Diskussionsrunde unter den Gesellschaftern so bestätigt worden. Wir haben gefragt: ›Ist das »ehelich« heute noch zeitgemäß, ja oder nein?‹ Und man hat sich im Grunde doch dafür entschieden, die momentane Regelung im Gesellschaftervertrag beizubehalten. So, was ist dann die Definition von Familie? Dazu würden Ehepartner und Kinder mit dazu gehören. Das

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ist der Kreis, der sich um das Unternehmen und im Unternehmen und in den verschiedenen Gremien in unterschiedlicher Ausprägung wiederfindet. Das wäre eigentlich die Definition.«

Fragen, die sich um das Thema Zugehörigkeit drehen, werden von der Familie oft ganz anders beantwortet als von der Unternehmerfamilie. Eine wesentliche Beobachtung aus unserem Projekt ist, dass hier oft formal scharfe Kriterien formuliert werden, diese jedoch in der Handhabung bei weitem nicht so scharf gestellt werden. Es existiert also eine gewisse Paradoxietoleranz im Hinblick auf die Grenzziehungen. Die Lösung kritischer Fragen erfolgt selten durch eine harte Entparadoxierung, eher durch Kontaktaufnahme und Gespräche im Vorfeld: Zitat: Man muss mal wieder reden »Heute kann ich mit jedem Gesellschafter reden. Zu den älteren gehe ich zum Mittagessen vorbei, dann erzähle ich denen, was gerade los ist. Und die anderen trifft man außerhalb der Meetings entweder bei gemeinsamen Hobbys oder man macht halt mal so einen Termin aus, weil man sagt: Man muss mal wieder reden. Die kann man alle persönlich ansprechen. Wenn man irgendwo das Gefühl hat, da ist Unwohlsein. Da kann man dann sofort mit umgehen. So bei 200 kann man nicht mehr jedem Einzelnen nachlaufen.«

Das folgende Zitat zeigt die Fähigkeit, mit Grenzziehung auf eine besondere Weise umzugehen: Die Grenzen werden einerseits als hart und unumstößlich markiert: nur Blutsverwandte! Zugleich werden sie aber auch weich gehandhabt: auch Ehepartner (die ja nicht blutsverwandt sind) und adoptierte Kinder können Gesellschafter werden. Zitat: Nur Blutsverwandte! »Wir definieren Familie als Blutsverwandte erst mal als Oberbegriff. Bei uns ist das dann auch zwangsläufig so, dass, wenn Sie blutsverwandt sind, Sie auch Gesellschafter werden können. Jetzt gibt es, was auch richtig und notwendig ist, natürlich eine ganze Reihe von Sonderthemen, die Sie regeln müssen. Das ist zum Beispiel die Frage, wie gehen wir mit adoptierten Personen um. Das ist dann also eine Frage der Regelung. Wir haben eben geregelt, dass, wo Kinder adoptiert werden, diese wie Blutsverwandte angesehen werden. Aber unsere

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Oberregel ist: Familie ist Blutsverwandtschaft, und nur Blutsverwandtschaft kann Gesellschafter werden. Das gilt auch für Ehepartner. Also der Ehepartner, der ja nicht blutsverwandt ist, der Ehepartner ist Teil der Familie. Aber wir grenzen die Partner nicht aus, sondern sie sind Teil der Familie und können deswegen eben auch Gesellschafter werden.«

Wer dieses Zitat rein logisch betrachtet, wird sich wundern: • Es gilt: Zugang bekommt nur, wer blutsverwandt ist. • Adoptierte Personen, also nicht blutsverwandte Kinder, werden wie blutsverwandt angesehen. • Blutsverwandtschaft gilt auch für Ehepartner, die nicht blutsverwandt sind. Man merkt, die Familie oszilliert zwischen einer harten und einer weichen Regelung. Sie hält an der klaren Vorgabe der Blutsverwandtschaft fest und passt die Familienrealität recht flexibel an, so dass sie Einschluss und Ausschluss nach eigenen Maßgaben regeln kann. Zu b) Der Eintritt in den Gesellschafterkreis und die Grundprinzipien der Regeneration des Gesellschafterkreises

Gesellschafter eines bestehenden Familienunternehmens wird man zumeist durch eine Erbschaftsregelung. Hinter dieser steckt zumeist eine Entscheidung des vorhergehenden Besitzers, die Anteile zu verschenken, zu vererben, im Sinne vorgezogener Erbfolge (oder aus steuerlichen Gründen) in verschiedenen Stückelungen weiterzugeben oder aus Alterssicherungsgründen an die Erben zu verkaufen. Abgesehen von einer Erbschaftsregelung besteht die Möglichkeit, dass Anteile zum Verkauf stehen und von einem dazu berechtigten Käufer erworben werden. Die möglichen Formen der Weitergabe sind ausführlich bei Simon et al. (2005) beschrieben (vgl. das Kapitel 7). Sie unterscheiden sich jeweils in der Frage, wie das Machtzentrum (Kormann, 2011, S. 238 ff.) gestaltet wird: • In der Kleinfamilien-Organisation wird in der Nachfolge nur jeweils ein Nachfahre bedacht, der die Geschäftsführungsposition mitsamt der Mehrheit an den Gesellschafterstimmanteilen erhält. Es reproduziert sich eine patriarchale Logik (vgl. den Abschnitt gleichen Titels 7.1.1 in diesem Buch), das heißt die Macht der Anteile und Stimmen und damit der Entscheidungen liegt ganz oder zum deutlich größten Teil bei einer Person. Eine solche »dynastische Vererbung« ist »nur im Rahmen eines halbwegs fairen Interessenausgleichs gangbar, wenn nicht der Familienzusammenhalt geopfert werden soll« (Kormann, 2013, S. 157). Das heißt, die anderen Geschwister werden mit einem

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Pflichtteil oder anderem Vermögen abgefunden, sie müssen dazu allerdings eine entsprechende Verzichterklärung unterschreiben. Auf diese Weise wird der Gesellschafterkreis über die Generationen hinweg klein gehalten. Es wird der Unternehmenslogik zum Nachteil der Familienlogik den Vorzug gegeben. Doch frei von Nachteilen ist diese Lösung nicht. Zwar sind schnelle, reibungslose Entscheidungsprozesse garantiert, doch ist das Unternehmen zugleich von einer Person abhängig. Da zudem für die Abfindung der weichenden Erben selten genug Liquidität vorhanden ist, gehen die Regelungen oft zu Lasten des Unternehmens, das so mit jedem Generationenübergang potenziell geschwächt wird. Wie Kormann ausführt, wird daher der größere Teil der Unternehmen im Rahmen »egalitärer Vererbung« weitergegeben. • Die Stammesorganisation sieht einen Kreis von Geschwistern vor (meist der zweiten oder auch einer späteren Generation, wenn vorher in Kleinfamilienlogik vererbt wurde), die ähnlich große Anteile am Unternehmen besitzen und in der Nachfolge an dieser Teilung festhalten. Das Machtzentrum besteht hier in einem Kreis von Entscheidungsträgern, die sich einigen (müssen). Diese Form berücksichtigt zumindest in der Generation ihres Entstehens die Logik der Familie, alle Geschwister bekommen einen gleich großen Anteil (doch können schon hier erste Schieflagen entstehen, etwa wenn die Töchter einen geringeren Anteil bekommen als die Söhne). Oft sind die Stämme dann verpflichtet, sich innerhalb ihres Stammes als Unterfamilie zu organisieren, etwa über Stimmbindung. Die Kippfigur hat hier im Laufe der Zeit, also diachron zwei unterschiedliche Antwortformen für die Weitergabe gefunden: Familienlogik in der Phase des Entstehens, Unternehmenslogik in der Folgegeneration. Auch wenn die Risiken für Unternehmen und Großfamilie verschiedentlich hervorgehoben werden (z. B. Simon et al., 2005), findet sich diese Form der Organisation der Gesellschafterfamilie über die Generationen hinweg doch recht häufig. Kormann geht von etwa 60 % aller Familienunternehmen aus, die in dieser Form weitergegeben werden (2011, S. 254). Bei Stämmen stellt sich die Frage nach der Regelung von Zugehörigkeit, um die es in diesem Kapitel geht, noch einmal ganz anders: Es gilt, das Bewusstsein für den Gesamtzusammenhang der Großfamilie mit den Partikularinteressen der Unterfamilien (das sogenannte Stammesdenken) abzugleichen. Auf das Thema wird im Kapitel 5.5 noch einmal eingegangen. • Eine Großfamilien-Organisation schließlich entsteht, wenn langfristig die Anteile an alle Nachfahren egalitär weitervererbt werden. Hier kommt es zu einer großen Zahl von Anteilseignern, manchmal hunderten. Nicht mehr einzelne Geschwister oder wenige Cousins und Cousinen bestimmen den

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Weg des Unternehmens, sondern eine Großfamilie, bestehend aus entfernten Verwandten, die sich, gäbe es das Unternehmen nicht, meist gar nicht mehr kennen würden. Hier werden Machtpositionen breit verteilt, oft durch in demokratischen Strukturen gewählte Vertreter. Operative Positionen werden häufig in dieser Form auf dem Markt eingekauft, das heißt, vielfach sind externe Manager tätig, die von Familienvertretern kontrolliert werden. Die vordringliche Aufgabe ist hier, den Zerfall von Interessen und Anteilen zu verhindern. • Schließlich sind auch Mischformen möglich. Es kann Stammesunternehmen geben, die sich zu einer Großfamilie hin entwickelt haben. Die Stammesstruktur dient dann als Mittel der Komplexitätsreduktion, zugleich versteht sich die Familie als große Einheit. Bei den Unternehmerfamilien in unserem Projekt, die sich so organisiert hatten, war erkennbar, dass es durchaus gelingen kann, sich über Generationen hinweg in dieser Form stabil zu entwickeln. Allerdings erfordert die Erarbeitung entsprechender Strukturen einen hohen Grad an Sensibilität und Bewusstheit. Wenn das fehlt, kann es zu heftigen Stammeskonflikten kommen. Ein positives Beispiel ist ein Unternehmen, in dem die Stämme im ersten Erbgang asymmetrisch verteilt worden waren (die Nachfahren der Schwestern hielten einen geringeren Teil als die der Brüder). In der Family Governance war trotzdem entschieden worden, dass die Stämme in den Diskussionen und in Gremien gleichberechtigt vertreten sein sollten (die stärkeren Stämme verzichteten also auf das Ausspielen der Überlegenheit). Es werde aber auch immer so lange geredet, bis ein Konsens erzielt sei, hieß es. Nur für den Fall eines unlösbaren Konflikts entscheide die Gesellschafterversammlung als höchstes Organ. Mit der Regelung der Weitergabe der Anteile entscheidet eine Unternehmerfamilie also nicht nur über individuelle Fragen der Besitzweitergabe, sie entscheidet indirekt auch darüber, welche Entwicklungsdynamiken in der Unternehmerfamilie im Zeitverlauf entstehen. Zu c) Die Aufnahme junger Gesellschafter

In jeder Form der Organisation der Gesellschafterfamilie erfolgt irgendwann ein Eigentumsübergang (zu den rechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang sehr zu empfehlen: Funke u. Gerber, 2011, 2012; Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015, Kap. 4; zu den steuerlichen Fragen: Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015, Kap. 10; Klümpen-Neusel, 2016). Während in der Kleinfamilienorganisation der Übergang meist zwischen den beiden betroffenen Personen individuell ausgehandelt und gestaltet wird, ist dies im Falle der Weitergabe innerhalb eines Stammes

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oder in der Großfamilien-Organisation ein Thema, bei dem die Kippfigur wieder aktiv wird. Während in einem öffentlichen Unternehmen ein volljähriger Eigner durch Erwerb der Anteile automatisch an der Aktionärsversammlung teilnimmt, prüft die Familie oft viel länger, ob und wie ein Neuankömmling in die Kultur und die Wertegemeinschaft hineingeholt werden könnte. Die Frage, wie ein junger Gesellschafter bzw. zukünftiger, designierter Gesellschafter zum Gesellschafterkreis Zugang erhält, also ab wann er/sie über die Anteile verfügen kann, ab wann er/sie als Gast oder als stimmberechtigtes Mitglied an der Gesellschafterversammlung (oder auch an Gremien) teilnehmen kann, wird dabei sehr unterschiedlich beantwortet. Von »keine Beschränkung«, »das entscheidet jeder selbst« oder Ähnlichem bis zu »erst mit 21/25/27 Jahren« oder »erst ab einem Bachelor- oder äquivalenten Examen/einer Ausbildung« ist alles möglich. Vielfach wird ein fließender Übergang angestrebt, das heißt, es wird ein Gastrecht zu einem frühen Zeitpunkt (z. B. 16 oder 18 Jahre) eingeräumt und/oder dem jungen Gesellschafter wird ein älterer Mentor zur Seite gestellt, der implizites Wissen weitergibt. Viele Unternehmerfamilien haben darüber hinaus eine ganze Palette von Maßnahmen entwickelt, um die jugendlichen bzw. zukünftigen Gesellschafter an das Unternehmen heranzuführen. Wenn es um die Definition dessen geht, was als Jugend gilt, werden die Grenzen nicht selten weit gezogen. Bis vierzig Jahre alte Mitglieder können unter Umständen noch als Jugend bezeichnet werden und so Zugang zu bestimmten Programmen, Praktika und Weiterbildungen erhalten. Manchmal werden diese Veranstaltungen (etwa Urlaubsreisen ins unternehmenseigene Ferienhaus) auch für Mitglieder der Unternehmerfamilie geöffnet, die keine Gesellschafter werden können, so dass der Familienzusammenhalt insgesamt gestärkt wird. Zu d) Die Rolle von Ehepartnern

An Ehepartnern zeigt sich das Doppelgesicht der Kippfigur deutlich: Selbstverständlich gehört der/die Angeheiratete aus Familiensicht dazu und ist Teil der Familie. »Nein«, sagt hingegen die Unternehmerfamilie, »schau in den Gesellschaftervertrag!« Auch wenn in der ersten Generation vielleicht der Gründer und seine Ehegattin das Unternehmen gemeinsam besaßen oder gar führten (»copreneurial business«, siehe Felden u. Hack, 2014, S. 145), sind doch Ehepartner der Folgegenerationen keine leiblichen Abkömmlinge des Gründerpaares. Sie sind daher in der Regel aus der Mitgliedschaft der Gesellschaft ausgeschlossen und können keine Anteile erwerben – auch als Erben nicht. Dafür werden in der Regel ein Ehevertrag und Gütertrennung bei der Hochzeit erwartet. Oftmals wird auch in Familienunternehmen, die eine Mitarbeit von Fami-

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lienmitgliedern grundsätzlich befürworten und fördern, eine Mitarbeit durch Ehegatten kategorisch ausgeschlossen. Zu hoch wird das hierdurch entstehende potenzielle Konfliktpotenzial angesehen. Aus einem Unternehmen hörten wir in diesem Zusammenhang, dass in früheren Zeiten das Wort Schwiegersohn beinahe als Schimpfwort galt. Doch bei aller Klarheit der Regeln bleibt es für die Unternehmerfamilie kompliziert. Denn es wird schon erwartet, dass Ehepartner die Kinder als künftige Gesellschafter im Geist der Wertegemeinschaft des Familienunternehmens erziehen bzw. zu einer Mitarbeit im Unternehmen ermutigen. Doch wie soll das gehen, wenn er/sie dauerhaft weit weg vom Unternehmen gehalten wird? Daher kann es sein, dass Partnern zumindest die aktive Teilnahme am Leben der Unternehmerfamilie ermöglicht wird, etwa bei Gesellschafterversammlungen, und dass ihnen die Erfahrung von: »Wir müssen leider draußen bleiben«, erspart wird, die das folgende Beispiel beschreibt: Beispiel: Wir müssen leider draußen bleiben Eine Gesellschafterin hatte ihrem Sohn aus steuerlichen Gründen bereits einige Anteile vermacht. Ihr Mann konnte kein Anteilseigner werden, denn der Vertrag sah vor, dass dieses Privileg leiblichen Abkömmlingen vorbehalten bleiben müsse. Da in der Gesellschafterversamm­lung auch keine Gäste zugelassen waren, fuhr die Familie jeweils zwar gemeinsam zu den Familientreffen mit all ihren facettenreichen Programmpunkten. Doch wenn es zur Versammlung kam, durfte der Mann seine Frau und seinen Sohn nur bis zur Tür des Sitzungsraumes bringen, diesen selbst jedoch nicht betreten.

Ein anderes Unternehmen fährt seit langem gut damit, die Partner mit hinzuzunehmen. Das folgende Interviewzitat weist darauf hin, dass Ehepartner nicht zwangsläufig lästige Anhängsel sein müssen (unter Umständen werden sie durch den Ausschluss erst zu solchen), sondern dass ihre Expertise von hohem Wert sein kann: Beispiel: Schon immer Offenheit »Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, der Mann einer Gesellschafterin etwa ist ein versierter Anwalt. Er war für uns in schwierigen juristischen Situationen vielfach sehr nützlich!«

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Doch die Ehepartner von vornherein einzuladen, muss nicht automatisch die bessere Variante sein. Es kommt, das kann nicht häufig genug betont werden, immer auf die besonderen Bedingungen der jeweiligen Familie an. »One size fits all« kann hier nie gelten! Auch dazu ein Beispiel: Beispiel: Grenzenlose Offenheit In einer Familie wurde dem Drängen einiger Gesellschafter nachgegeben. Bei der nächsten Gesellschafterversammlung durften die Ehepartner und Ehepartnerinnen teilnehmen. Es zeigte sich, dass dies keine gute Idee war. Die Veranstaltung wurde durch Co-Referate und Belehrungen durch zwei der eingeheirateten Partner bestimmt, die die Versammlung und die Beschlussfähigkeit lähmten. Langfristig verschlechterte sich das Familienklima hier erheblich.

Noch ein weiterer Punkt wird in diesem Zusammenhang immer wieder thematisiert: Es kann geschehen, dass ein Gesellschafter verstirbt und der verbleibende Ehepartner die erbberechtigten Kinder bis zur Volljährigkeit erzieht. Manchmal wird zwar bestimmt, dass dann ein verwandter Gesellschafter treuhänderisch den Anteil für den Erben verwaltet, doch in einer Reihe von Familien wird genau dies den Ehepartnern gestattet, die damit auf Zeit am unternehmerischen Leben der Familie teilnehmen. Für diesen Fall ist es natürlich anzustreben, dass der Betreffende bereits Erfahrungen mit Gesellschafterangelegenheiten sammeln konnte. Schließlich gibt es auch eine Reihe von Unternehmerfamilien, die ganz explizit eine Übernahme von Anteilen durch Ehepartner ermöglichen, allerdings sind diese bei Scheidung, im Todesfall oder bei Wiederverheiratung zurückzugeben. Auch hierzu ein Interviewausschnitt: Zitat: Es kann mit einem Federstrich geändert werden Interviewpartner:  »Unser Unternehmen hat sehr viele Talente im Krieg verloren und dann war die Stunde der Schwiegersöhne. Da haben wir einige wirklich sehr erfolgreiche Mitunternehmer gehabt, die nie Anteile besessen haben.« Interviewer:  »Aus gesellschafts-, aus erb- und ehevertraglichen Regelwerken heraus keine Anteile?« Interviewpartner:  »Keine Anteile. Ich meine, es kann mit einem Federstrich geändert werden. Wenn die Gesellschafterin, die Ehefrau sagt, sie möchte ihrem Mann auch Anteile geben, dann kann sie das jederzeit tun. Das Recht hat sie. Und wenn die Ehe auseinandergeht, dann kann der Ehepartner diese

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Anteile zunächst behalten, aber an sich wird erwartet, dass er sie zurückgibt. Und wenn er sich je wiederverheiratet, muss er sie zurückgeben. Und er muss sie auch den gemeinsamen Kindern weitergeben. Also, er kann dann nicht ’ne zweite Frau suchen, mit der wieder Kinder haben und diesen Kindern dann plötzlich Anteile von unserem Unternehmen geben. Das ist völlig ausgeschlossen. Das ist sauber geregelt. Der wird dann im Grunde behandelt, als hätte er gekündigt.«

Zu e) Der Umgang mit Adoption

Abgesehen von dem Fall, dass eine Adoption als Lösung eines Notfalls (etwa Unfalltod beider Eltern) und dann meist ohnehin familienintern erfolgt, ist der Schritt, bei dem sich ein Paar zur Adoption eines Kindes entschließt, oft stark emotional besetzt, etwa wenn Kinderlosigkeit vorhergegangen ist oder wenn es um die Adoption des Kindes eines eingeheirateten Partners geht. In all diesen Fällen ist das Thema Zugehörigkeit besonders sensibel (vgl. z. B. Rech-Simon u. Simon, 2014). Die Entscheidung einer Unternehmerfamilie, ob und unter welchen Bedingungen ein adoptiertes Kind als Gesellschafter akzeptiert wird, ist daher hoch brisant. Diskutiert wird meist: • die grundsätzliche Frage, ob ein adoptiertes Kind als Gesellschafter zugelassen werden solle (meist wird diese am Ende bejaht); • die Frage, bis zu welchem Lebensalter des Kindes dies möglich sein solle; meist wird hier so argumentiert, dass es eine gewisse Zeitspanne, mindestens fünf bis zehn Jahre gegeben haben solle, in der das Kind die Kultur der neuen Familien kennengelernt hat; die Familie kommt dann oft zu dem Schluss, eine solche Zahl für die Jahre gemeinsamen Lebens und eine Altersobergrenze (zwischen zehn und 18 Jahren) festzulegen; • gelegentlich auch das Alter der adoptierenden Gesellschafter. Auch hier geht es darum, ob der/die Betreffende in der Lage ist, über einen genügend großen Zeitraum die besonderen Sozialisationsaufgaben für die Unternehmerfamilie wahrzunehmen. Falls eine solche Debatte geführt wird, landet die Familie meist dabei, dass die Eltern ein Alter von fünfzig, sechzig oder 65 Jahren nicht überschritten haben sollten. Eine besondere Variante, die bei den befragten Familien gar nicht so selten zu beobachten war, liegt darin, dass eine langjährige Stiefelternschaft nachträglich durch Adoption legitimiert werden soll. Wenn das Thema nicht vorab geklärt ist und die Unternehmerfamilie sich einer solchen Lösung am Ende entgegenstellt, ist der emotionale Schaden nicht zu unterschätzen. Das Fehlen von kla-

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ren und transparenten Regelungen kann in eine schwierige Situation führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Zitat: Das wollen wir nicht, das ist uns zu fremd »Also ein Thema, das aufgekommen ist, ist das Thema Adoption, weil eine Cousine von mir, die mittlerweile schon über siebzig ist und leider selbst auch ziemlich krank, vorgehabt hatte – sie ist schon lange in zweiter Ehe mit jemandem verheiratet, der Kinder hat –, diese zu adoptieren und ihnen auch etwas zu vererben. Da haben wir jetzt in dem Gremium festgestellt, das wollen wir nicht! Weil wir uns vorgestellt haben: Adoptieren tut man ja gerade junge Menschen, Kinder. Und diese Kinder wachsen dann in der Familie auf, bekommen also Werte vermittelt, bis sie in einem Alter sind wie auch die leiblichen Kinder, wo man sagt: ›Jetzt sind sie vernünftig genug. Jetzt werden wir ihnen einen kleinen Anteil schenken, später noch weitere Anteile‹, und so weiter. Und da ist dann der Standpunkt eingenommen worden, ich teil den auch, dass man sagt: ›Nein, also diese Kinder, die sind ja schon erwachsen. Die sind ja schon zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, haben schon selber Familie mittlerweile. Das wollen wir nicht, das ist uns zu fremd.‹ Die sind auch ein Großteil nicht bei der Cousine aufgewachsen. Obwohl, ja, doch, die sind schon 25 Jahre zusammen, da waren die ja noch Schüler und Studenten. Sie hat sie ja auch, denke ich mal, sehr in ihr Herz geschlossen, weil sie selber kinderlos war, dass sie damit eben Stiefkinder hat und es ist sehr gut möglich, dass sie die testamentarisch bedacht hat. Nun, ich weiß es nicht, das wird sich eines Tages herausstellen. Aber, das ist jetzt so entschieden worden. Hm, man muss ja die Hoffnung nicht aufgeben, dass die zu einem späteren Zeitpunkt dann vielleicht als Gesellschafter doch genehm sind.«

Hier zeigt der Interviewte eine recht ambivalente Haltung: Zum einen steht er hinter dem Beschluss des Familienrats (»ich teile das auch«), zum anderen hofft er, dass es doch für die beiden betroffenen Kinder eine Lösung geben könne (»zu einem späteren Zeitpunkt«) – eine Perspektive, wie diese Lösung dann erreicht werden könnte, gibt es nicht. Eine ganz ähnliche Ausgangssituation findet sich im nächsten Zitat. Sie macht deutlich, wie das Anliegen, die als eigen empfundenen nichtleiblichen Kinder/Enkelkinder zu beteiligen, die Kippfigur Familie/ Unternehmerfamilie herausfordert. Interessanterweise nutzt diese Familie den Anlass dazu, sich in einen Prozess der Selbstreflexion zu begeben, anstatt hier hart zu reagieren. Ebenso interessant ist, dass es die junge Generation ist, die dies in die Hand nimmt.

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Zitat: Gleichstellung? Das »musste überprüft werden, als es im allgemeinen Gesellschaftsrecht eine Gleichstellung auch von adoptierten zu natürlichen Abkömmlingen gegeben hat. Das haben wir bei uns im Gesellschaftsvertrag noch nicht vollzogen, haben aber eigentlich einen Konsens, dass auch adoptierte Kinder gleichgestellt werden können, sofern sie als kleine Kinder adoptiert werden. Da hört aber auch schon der Konsens auf, weil wir die ersten Adoptionsfälle haben oder Adoptionsversuche […]. Ein Gesellschafter hat aus seiner Ehe Stiefenkelkinder, die er gerne als Erben einsetzen würde. Und das ist ein Adoptionsfall, von dem man eigentlich grundsätzlich theoretisch gesagt hat, müsste man akzeptieren, aber die Besonderheit der Situation, Alter, führte dazu, dass die Meinungen auseinandergehen. Und das war übrigens der Anstoß auch, dass die Familie zu diesem, aber auch ähnlichen Themen einen Arbeitskreis gebildet hat, in dem jüngere Gesellschaftervertreter gemeinsam überlegen: ›Wie wollen wir das eigentlich in Zukunft definieren?‹ Sie haben dann auch eine ganze Menge anderer Themen gefunden.«

Gelegentlich werden auch aus konkretem Anlass gesellschaftsvertragliche Regelungen geändert. Im folgenden Zitat hatte ein Gesellschafter mit seiner Frau ein ausländisches Kind in seiner Familie aufgenommen, ohne dass es aus rechtlichen Gründen zu einer Adoption kommen konnte. Die Familie entschied, den folgenden vertraglichen Passus aufzunehmen, um diesem Kind den Gesellschafterstatus zu ermöglichen: Eine Beispielklausel aus einem Gesellschaftervertrag: »Als Familienmitglieder können anerkannt werden: Personen, die spätestens im Alter von drei Jahren von einem Familienmitglied nach § x.x (Abkömmlinge der Enkel des Firmengründers) bis zur Volljährigkeit als Kind in dessen Familie aufgenommen waren, ungeachtet ihrer Abstammung.«

In sogenannten Patchworkfamilien ergeben sich noch viele andere mögliche Konstellationen. In den meisten Fällen, mit denen wir zu tun hatten, wurden nicht adoptierte Kinder, die ein neuer Lebenspartner eines Gesellschafters aus einer früheren Ehe mitgebracht hatte, zwar zu Familientreffen willkommen geheißen (Familienlogik), jedoch hatte die Unternehmerfamilie eine klare Position: Diese Abkömmlinge gehören nicht zum Kreis potenzieller Gesell-

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schafter (Unternehmerfamilienlogik). Da dies in der Regel auch nicht erwartet wird, wurde in keinem Fall berichtet, dass dies als Problem empfunden worden wäre. Zu f) Der Umgang mit modernen Lebensformen

Der Gesellschaftervertrag setzt vielfach recht enge Grenzen. Zugleich entscheiden sich zunehmend mehr Familienmitglieder dazu, in alternativen Lebensformen zu leben, meist in der Form, dass sie als unverheiratetes Paar zusammenleben. Spätestens wenn aus einer solchen Verbindung Kinder erwachsen, können sich merkwürdige Paradoxien ergeben, wie etwa die, von der im folgenden Beispiel die Rede ist: Zitat: Da sind wir auch nicht schwarz-weiß Interviewpartner:  »Eingangskarte war irgendwie der Trauschein. Ist das noch aktuell? Kann man das so aufrechterhalten? Da muss man sicherlich mal sehr drüber nachdenken. Ja.« Interviewer:  »Und die Scheidungsurkunde ist dann auch …« Interviewpartner:  »… ihr Austritt. Genau! Ob die dann zwanzig Jahre getrennt leben, aber noch verheiratet sind: So einer bekommt eine Einladung, und die, die zwanzig Jahre ohne Trauschein glücklich zusammen, mit Kind, der bekäme keine Einladung. Und deshalb muss man auch das mal auf den Prüfstand stellen.« Für eine Reihe von Unternehmerfamilien ist das ein Thema, das immer wieder »auf niedriger Flamme kocht«, wie der Interviewpartner im folgenden Gesprächsauszug deutlich macht: »Ja, also, wenn ich von Gesellschaftern spreche, dann ist es klar im Vertrag definiert als blutsverwandt mit den beiden Gründungsvätern. Und wenn ich von Familie spreche, dann sind natürlich die Ehepartner mit dabei, und natürlich auch die Kinder dieser, dieses Ehepaars. In unserem Vertrag wird noch sehr stark abgehoben auf die Ehe als Konstitutiv für ein Nicht-Gesellschafter-Familienmitglied, aber das ist eine Diskussion, die seit Jahren eigentlich schon auf niedriger Flamme kocht: Was machen wir mit Lebenspartnern? Das Eherecht hat sich weiterentwickelt, wir sind dem Eherecht nicht gefolgt. Also zum Beispiel ein Lebenspartner ist bei uns im Augenblick noch nicht zugelassen. Mir schwebt da eine Lösung vor, dass man sagt, es gibt zwei Kriterien, einmal das legalisierte Partnerschafts­verhältnis, ob weiblich oder männlich, also leg deinen Schein vor (klopft auf den Tisch), den will ich sehen, oder, noch einen Schritt weitergehend,

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dass man sagt, man lässt auch einen Partner zu, wenn dieses Paar gemeinsame Kinder hat. Denn es ist nicht billig, dann zu erwarten, dass ein, sagen wir mal eine Mutter, die nicht als Partnerin zugelassen ist, ihre Kinder im Sinne der Familie erzieht. Die wird immer irgendwo einen Stachel haben, irgendwo einen Vorwurf, sich vielleicht unterschwellig schlecht behandelt vorkommen. Und da, glaube ich, müssen wir ’ne Lösung finden, aber vielleicht ist die Familie noch nicht weit genug, also es ist noch nicht ein wirkliches Thema geworden.« Manchmal hilft ein sensibles Spiel zwischen paradoxiefreundlichen Wegen und Basta-Lösungen, um aus dem Dilemma herauszukommen: »Weil wir natürlich zunehmend auch Gesellschafter haben, die sehr langjährige Partnerschaften haben mit Kindern, die sich natürlich furchtbar darüber ärgern, dass dann die Partnerin, der Partner nicht mitdürfen, obwohl die doch schon seit zwanzig Jahren zusammen sind, und da sind wir auch nicht schwarz-weiß. Da haben wir so mauschelnde Übergänge, wo man sich überlegen muss: Macht man doch mal. Basta […]. Wie geht man damit um? Weil es wirklich schwierig ist. Wir hatten zum Beispiel, als diese Freitagnachmittags­ veranstaltungen anfingen, gesagt: ›Na ja, Betriebsführung können die doch ruhig mitkommen. Ist doch nett. Da können auch die Kinder mitkommen, 16 bis 18, dann sehen die was von der Firma, wunderbar!‹ Jetzt haben wir ausgerechnet Freitagnachmittag auch die Bilanzfragen. Und das sind wirklich die heißen Informationen, da wird an und für sich Interessanteres besprochen als auf der Versammlung, die viel formaler ist. Da geht es nämlich genau dann um die Themen Ausschüttungspolitik und so weiter – und huppdiwupp sitzt da plötzlich so einer, und ich denke: ›Hm, na, ist ja interessant, dass du hier bist!‹« […] Interviewer:  »Den dann nach draußen zu bitten, das wäre ein Affront, nicht?« Interviewpartner:  »Das wäre ein absoluter Affront. Wir haben auch Partner, die sind wirklich seit zwanzig Jahren, das wissen wir – und leben wie Ehepartner. Das wäre völlig idiotisch, die nach draußen zu bitten. Aber, wenn ich dann den neuen Lover, wo ich mir sage: ›Na ja, mal sehen, wie lange sie den hat!‹, vor die Tür bitte, kann ich das natürlich nicht machen, wenn ich im gleichen Moment die andere, die auch nicht verheiratet ist, da sitzen lasse. Also, die Frage, macht man irgendwann eine ›Basta-Lösung‹ und sagt: ›Es müssen klare Verhältnisse her, wir werden der Sache nicht mehr Herr!‹, und verletzt damit natürlich diese langjährigen Familienmitglieder, die halt keinen Trauschein haben, oder wie macht man das? Also, auch da gibt es so Dinge – bei der Gesellschafterversammlung sind wir ganz strikt,

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da sind wir ›Basta‹. Das fängt schon damit an, dass halt am Eingang die ganzen Stimmzettel und so weiter ausgegeben werden, da ist eine echte Eingangskontrolle. Bei den Freitagnachmittags-Veranstaltungen gibt es so eine Eingangskontrolle nicht. Das fängt da im Pavillon an mit Kaffee. Da müssten Sie dann auch so eine Eingangskontrolle machen.«

Ein Thema, das hier anklingt, wird vielfach diskutiert: die Frage, ab wann eine Lebensgemeinschaft eigentlich als verbindlich anzusehen ist. Auch liberale Familien wollen nicht mit ständig wechselnden Gesichtern konfrontiert sein, sondern erwarten schon eine gewisse Stabilität, die sich entweder in gemeinsamen Kindern zeigt, in einer bestimmten Zahl von gemeinsam gelebten Jahren (meist wird eine Grenze bei fünf Jahren gesetzt), in einer amtlichen Eintragung als Lebenspartnerschaft oder in einer definitiven Erklärung des Gesellschafters, der/die sich damit zum Partner bekennt. Falls die Unternehmerfamilie die unverheiratete Lebensform als äquivalent zur Ehe akzeptiert, werden die Partner wie Ehepartner behandelt. Das heißt, wenn die Regel den Zugang zu Gesellschafterversammlungen und/oder Gremien erlaubt, so werden auch die Lebenspartner ohne Trauschein zugelassen. Zu g) Der Status gleichgeschlechtlicher Beziehungen

Schwieriger wird es, wenn sich Fragen stellen, die sich in früheren Zeiten nicht gestellt hätten, die aber die Gegenwart mit ihrer Toleranz gegenüber der Diversität von Lebensformen mit sich bringt: Wie steht die Familie zu eingetragenen und nicht eingetragenen homosexuellen Lebenspartnerschaften? Lösungen bewegen sich hier zwischen zwei Polen: einem klaren Ja in dem Sinn, dass, wenn es sich um eine offen gelebte, zeitüberdauernde Partnerschaft handelt, diese ähnlich angesehen wird wie eine heterosexuelle Paarbeziehung – oder einem klaren Nein, weil diese Ausrichtung dem Wertesystem der Familie zu sehr widerspricht. Viele gerade der jüngeren Gesellschafter haben kein Problem mit homosexuellen Lebenspartnerschaften – und wünschen, dass diese Haltung in die Familienverfassung eingeschrieben wird. Es ist verständlich, dass hier intensive Debatten in der Familie geführt werden. Gleichgeschlechtliche Partnerschaftsformen können sich auch im Hinblick auf Erwachsenenadoption als kritisches Thema zeigen. Eine solche wird meist sehr klar abgelehnt. Auch im folgenden Beispiel, sagte die Familie nein, allerdings wurde hier entschieden, dass es die grundsätzliche Möglichkeit gibt, in späteren, anders gelagerten Ausnahmefällen eine Familienratsentscheidung einzuholen:

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Zitat: Der ältere Mann adoptiert einen jüngeren Mann »Und ein anderes Thema, […] das hören Sie auch häufig von anderen Familiengesellschaften, sind die Adoptionsfälle. Denn das kommt doch mittlerweile sehr, sehr häufig vor: Bei uns sind also Adoptionen unter 18 Jahren zulässig, die können auch Gesellschafter werden. Aber über 18 Jahren muss die Gesellschafterversammlung darüber abstimmen, ob so ein Adoptionssohn oder eine -tochter dann Gesellschafter werden darf. Denn das kommt doch zu häufig vor, dass dann eheähnliche Verhältnisse in so ein Adoptionsverhältnis gekleidet werden! Und das muss sich dann nicht unbedingt auch im Gesellschafterkreis niederschlagen. Nicht, also der fünfzigjährige Mann, der dann einen 25-jährigen Mann adoptiert, zum Beispiel. Das muss nicht unbedingt dann in der Gesellschafterversammlung sitzen! Also, da sind wir ein bisschen konservativ.«

An Fragen der Verhinderung von Adoptionen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften wird ersichtlich, wie schnell eine gesellschaftlich akzeptierte Lebensform Regelungsbedarfe nach sich zieht, die existenzielle Krisen auslösen können. Hier wie auch in einigen anderen Fällen hat es sich bewährt, dass die Familie über die Zustimmungspflicht der Gesellschafter eine Regelung getroffen hat, die es ermöglicht, in Einzelfällen flexibel zu bleiben, auch wenn generell eine klare, ablehnende Haltung kommuniziert ist. Zu h) Der (Teil-)Ausstieg

Das Thema Zugehörigkeit stellt sich ebenfalls sehr explizit, wenn ein Mitglied der Unternehmerfamilie sein Ausscheiden (ganz oder Teilverkauf der Anteile) ankündigt (Hennerkes u. Kirchdörfer, 2008; Kirchdörfer u. Lorz, 2009, 2012; Kormann, 2013; Redlefsen, 2004; Zellweger, 2017). Das Thema rüttelt sozusagen an den Grundfesten des Selbstverständnisses der Unternehmerfamilie und damit an ihrer Stabilität: Wer sich als Treuhänder sieht, der das, was er ererbt hat, möglichst stabil und gesund der nächsten Generation übergeben will, erlebt sich nicht nur als reiner Investor. Er empfindet einen Ausstiegswunsch möglicherweise als mehr oder weniger großen Bruch eines unausgesprochenen psychologischen Kontrakts (siehe weiter oben in diesem Kapitel) bis hin zum Gefühl von Verrat. Entsprechend wird ein Ausstieg ungern gesehen und oft deutlich erschwert. Abgesehen davon belastet jeder Ausstieg den Eigentümerkreis. Denn er kann zu Verschiebungen der Mehrheitsverhältnisse führen – bei Familien mit sehr großen Gesellschafterkreisen entspannt sich diese Belastung allerdings wieder etwas, weil die gegebenenfalls Aussteigenden oft nur noch über recht geringe Anteile verfügen.

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Das Selbstverständnis der Treuhänderschaft ist die eine Seite. Die andere Seite, mit der die Kippfamilie hier konfrontiert ist, ist das Bedürfnis der Anteilseigner nach Ausgleich. Sie sind vielleicht auf dem Papier sehr reich, erhalten aber oft im Vergleich zu den Anteilswerten nur geringe Ausschüttungen (»Rich on paper, poor on cash.«). Die Vermögensstrategien der Familienunternehmen sind sehr unterschiedlich und trennen die Eigentümer mehr oder weniger, manchmal sogar gänzlich von dem ihnen formal zustehenden Vermögen (Zellweger, 2017). Im Sinne der Unternehmenslogik wird eine größtmögliche Gewinnthesaurierung angestrebt. Doch geht es auch hier darum, eine Balance zu finden, wenn es nicht zu einer bedenklichen Erosion kommen soll. Diese kann sich etwa im Bedürfnis nach frei verfügbaren Mitteln zeigen, also etwa einem Teilverkauf. Ein solcher Schritt muss nicht zwangsläufig mit der Vorstellung eines völligen Ausstiegs oder gar dem Einstieg in eine Investorenmentalität verbunden sein, sollte aber Anlass sein, eine besondere Aufmerksamkeit auf das Thema Ausgleich/emotionale Balance zu richten. Von einem Projektteilnehmer wurde uns eine für diese Auseinandersetzungen typische Geschichte erzählt. Es ging um die Übernahme der Verantwortung von der vorhergehenden Generation. Aus diesem Anlass kam es zu einer erregten Diskussion zwischen einem Cousin und seiner Cousine. Sie hatte sich überlegt, einen kleinen Prozentsatz der von ihr übernommenen Anteile zu veräußern, um ein ihr persönlich wichtiges Projekt realisieren zu können. Für den Cousin war dies ein Bruch mit der Rolle als Treuhänder. Er meinte, man sei entweder ganz oder gar nicht in der Treuhandschaft, es könne nicht angehen, dass man mit 95 % der übernommenen Anteile Treuhänder sei und sich mit 5 % sich wie ein Investor verhalte. Das Problem der Auseinandersetzung lag darin, dass beide Kontrahenten implizit von sehr unterschiedlichen Wertvorstellungen ausgingen. Der Vertreter der Treuhänderschaft sprach seiner Cousine die Rechtmäßigkeit ihres Wunsches ab. Schließlich habe sie nichts dafür getan, dass sie die Anteile erhalten habe und es sei ihre Schuldigkeit, diese zu bewahren. Sie stimmte dem im Grunde durchaus zu, argumentierte aber von einem anderen Wert aus. Ihrer Meinung nach solle die Eigentümerschaft auf einer freien Entscheidung beruhen und kein Gefängnis sein. Gerade weil sie am Unternehmen engagiert sei, wolle sie nicht alles verkaufen, wohl aber ihre finanzielle Beweglichkeit ein wenig erhöhen – und das könne doch letztlich auch nur im Sinne des Urgroßvaters sein. Beide brauchten einige Zeit, bis sie die Position des jeweils anderen zumindest nachvollziehen und akzeptieren konnten. Auch wenn ein Ausstieg nur selten vorkommt, ist es doch erstaunlich, dass in vielen Familienverfassungen die Option des Verkaufs überhaupt nicht geregelt ist (Redlefsen, 2004). Dies kann als ein Zeichen gesehen werden, dass diese Mög-

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IV  Familienstrategische Kernfragen

lichkeit im Mentalen Modell der Familie (vgl. das Kapitel 7) nicht vorgesehen ist. Wenn ein Ausstieg dennoch geregelt ist, wird er oft durch Klauseln, die das Unternehmen vor einem zu großen Verlust bewahren, für die ausstiegswilligen Mitglieder rigoros gestaltet. Ein Verkauf wird beispielsweise zeitlich gestreckt (fünf bis zehn Jahre) und auf den Unternehmenswert (wie dieser zu errechnen ist, ist ein weiterer schwieriger Punkt) wird oft ein Abschlag von 30 bis 40 % erhoben. Falls familienintern verkauft werden darf, gibt es meist die Verpflichtung, die Anteile der gesamten Familie zu einem extern fixierten Preis (mit Abschlag) anzubieten, um zu vermeiden, dass reiche Anteilseigner die finanziell weniger starken überbieten und so Einzelne ihre Anteile systematisch massiv vergrößern können. Auch die Frage, ob im Unternehmen für solche Rückkäufe Gewinnrücklagen angelegt werden sollen, ist oft sehr umstritten. Hier eine Beispielklausel für eine recht rigorose Ausstiegsregelung aus einer Familienverfassung: Eine Beispielklausel für eine recht rigorose Ausstiegsregelung aus einer Familienverfassung: »Die Beteiligung am Unternehmen kann jederzeit gekündigt werden, sofern die Rücklagen des Unternehmens dies erlauben. Sofern max. 10 % der Anteile gekündigt werden, beläuft sich die Abfindung auf den Verkehrswert minus eines Abschlags von 20 %. Werden innerhalb von drei Jahren insgesamt mehr als 10 % gekündigt, wird der übersteigende Teil mit einem Abschlag von 50 % abgefunden. Wenn mehrere Gesellschafter gleichzeitig kündigen und die Summe der gekündigten Anteile insgesamt höher liegt als 10 %, können die ausscheidenden Gesellschafter nur anteilig an der Begünstigung (20 % statt 50 % Abschlag) teilnehmen.«

Oft wird hier unterschieden, welche Motivlage einem Ausscheiden zugrunde liegt. Ein Verkauf, um »eingesperrtes« Vermögen (Kormann, 2013, S. 188) zu befreien und freies Geld zur Verfügung zu haben, wird meist, wie im obigen Beispiel, negativ gesehen, weil es gegen elementare Werte verstoße. Er führt daher oft zum nicht umkehrbaren Verlust der Mitgliedschaft aus der Gesellschafterfamilie (vgl. aber auch den folgenden Absatz). Anders ist es bei Not­lagen. Sie stoßen eher auf Verständnis, wie der folgende Verfassungsausschnitt zeigt: Auszug aus einer anderen Verfassung: »Durch den Komplettverkauf von Anteilen aus freien Stücken erlischt die Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie automatisch. Liegt dem Verkauf jedoch ein Notfall zugrunde, kann der Familienrat anderweitig entscheiden.«

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Vielfach geht es auch um Teilverkäufe von Anteilen, die persönliche Projekte ermöglichen sollen. Auch dafür gibt es in zahlreichen Unternehmerfamilien Regelungen: Zitat: Ein eher seltener Fall Interviewpartner:  »Also ich würde schätzen, dass in den letzten 160 Jahren vielleicht zehn oder elf Kommanditisten als Gesellschafter ausgeschieden sind. Aber es kommt immer wieder vor, dass Kommanditisten kleinere Anteile verkaufen. Das kann für Existenzgründer vorkommen, es kann für große Investitionsvorhaben oder solche Sachen vorkommen. Und da gibt es eine klare Regelung, dass er oder sie sie zunächst dem engsten Familienkreis anbietet, also Erbschaftssteuerklasse Eins. Und wenn die nicht können oder nicht wollen, dann bietet dieser verkaufswillige Gesellschafter seinen Anteil über mich allen Gesellschaftern an. Wir haben also eine Art Marktmodell. Aber der Witz an der Sache ist, dass dann nicht ein Wettlauf um diese freien Anteile anfällt, nach dem Motto, dass die Reichen die höchsten Preise zahlen können, sondern der Preis ist definiert im Gesellschaftervertrag. Alle Gesellschafter zusammen kaufen zu Lasten eines gemeinsamen Gewinnvortragskontos der Holding. Bei der Holding gibt es Kommanditkapital, und dann hat sie Gewinnreserven, und die Gewinn­ reserven, das ist ein Konto. Aber von der Aufschlüsselung her hat es genau die gleiche Quote wie die Anteile. Wenn also zu Lasten dieses Kontos gekauft wird, dann kriegt der ausscheidungswillige Gesellschafter seinen Kaufpreis über fünf Jahre ausgezahlt, und der Anteil selbst fällt dann allen restlichen Gesellschaftern zu.« Interviewer:  »Wie ein Aktienrückkaufprogramm sozusagen?« Interviewpartner:  »So ungefähr. Nur, dass es bei uns nicht irgendwo in dem Portfolio des Unternehmens landet wie meistens bei einer AG, die dann im Grunde eigene Aktien hält, als Währung für Akquisitionen oder für irgendwelche Maßnahmen, sondern bei uns wird es dann in einer logischen Sekunde gleich allen Gesellschaftern quotal wieder zugeschrieben.« Interviewer:  »Verstanden. Aber zunächst mal haben die engsten Verwandten, also Erbschaftsteuerklasse Eins, das sind Eltern und Kinder Erstzugriffsrecht?« Interviewpartner:  »Die haben ersten Zugriff. Aber da die Anteile doch relativ wertvoll sind, ist das nicht gesagt, dass die kaufen können.« Interviewer:  »Aber der Preis steht immer fest?« Interviewpartner:  »Der Preis, also der Prozess der Preisfindung ist im Gesellschaftervertrag definiert und wird dann eben für den verkaufswilligen Gesellschafter ausgerechnet, und zwar jeweils zu dem Jahresbeginn. Auf der Basis

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des Jahresabschlusses 2010 werden die Preise kalkuliert für das Geschäftsjahr 2011 und so weiter. Dadurch ist es immer sehr aktuell.« Interviewer:  »Aber wie gesagt, das ist eher ein seltener Fall?« Interviewpartner:  »Eher ein seltener Fall!«

Das im Interviewausschnitt vorgestellte Modell eines internen Aktienmarkts folgt im Prinzip der Logik der Kippfigur. Es gibt eine klare Regelung, dass Anverwandte Zugriffsrechte auf frei werdende Anteile haben, hier wird im gewissen Sinne die Familienlogik bedient. Sofern nahe Verwandte nicht kaufen können oder wollen, wird eine Lösung gefunden, dass die Unternehmerfamilie als Ganze aus Gewinnrücklagen des Unternehmens kauft. Zu i) Der mögliche Wiedereinstieg

Wie soll mit Familienmitgliedern umgegangen werden, die aus der Unternehmerfamilie zum Beispiel durch Verkauf herausgefallen sind, aber selbst bzw. deren Kinder ein Interesse haben, dieser wieder anzugehören? Eine ganze Reihe von Familien aus unserem Sample bietet keine Rückkehroption. Andere ermöglichen jedoch, dass Mitglieder der Familie (und nur diese) sich wieder in die Unternehmerfamilie zurückeinkaufen können. Hier ein Beispiel dafür: Zitat: Neuzugänge »Die das nicht unterschrieben haben, werden dann folgerichtig auch zu den Gesellschafterversammlungen nicht eingeladen. Aber wir haben jedes Jahr zwei Feiern, wo wir sagen, das ist Familienfeier, da werden natürlich alle eingeladen. Unsere Familiennews werden an alle geschickt, egal ob unterschrieben oder nicht, weil wir sagen, wir gehören ja irgendwie zusammen. Und das führt dann vielleicht auch dazu, dass man wieder Neuzugänge hat, die vielleicht, wo die Eltern vor 15 Jahren das nicht unterschrieben haben, aber die Kinder sagen: ›Gut, eigentlich finde ich das eine gute Sache. Ich möchte wieder mit dabei sein!‹«

Zu j) Der Einbezug familienexterner Personen als Gesellschafter

Eine besondere Variante der Handhabung von Zugehörigkeit kommt in dieser Form ausschließlich in Familienunternehmen vor. Es ist die Tendenz, langjährige, verdiente Mitarbeiter, meist in Top-Führungspositionen zur Familie hinzuzuzählen. Das geschieht entweder, indem sie PHG (persönlich haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft) werden, über die Vergabe von

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Anteilen, oder auch symbolisch, in den Gesellschafterkreis hineingenommen werden (Prügl u. von Schlippe, 2013). Zitat: Ritterschlag »Das war in der Tat so, dass wir als Familie vor vielen Jahren gesagt haben, wir nehmen Geschäftsführer als persönlich haftende Gesellschafter auf. Wir haben das als Ritterschlag empfunden, weil wir gesagt haben, wir erweitern unseren Familienkreis um andere Gesellschafter, und so empfanden die das damals wahrscheinlich auch.«

Hier stellt sich die Frage, ob diese Anteile auch in vollem Maße von dem Betreffenden an die eigenen Erben vererbbar sein sollten, statt ihm/ihr die Gesellschafterrechte für die Zeit seiner Tätigkeit bzw. bis zu seinem Ableben einzuräumen. Die Resonanz aus dem Kreis der Teilnehmer des FüG-Projekts deutet eher in Richtung auf eine zeitliche Befristung der Übertragung von Gesellschafteranteilen an Familienexterne hin. Denn anderenfalls steigt mit den Ansprüchen hieraus resultierender Erben die Komplexität des Gesellschafterkreises deutlich an. Zu k) Die Mitarbeit im Familienunternehmen

Das Thema der Mitarbeit von Familienmitgliedern im Familienunternehmen ist eng mit der inneren Werthaltung und dem Mentalen Modell (siehe das Kapitel 7) verbunden. Hierbei muss die Unternehmerfamilie für sich klären, ob und unter welchen Bedingungen eine operative Mitarbeit im Unternehmen überhaupt möglich sein soll (siehe hierzu die Ausführungen im Abschnitt 5.4.2), wer unter welchen Bedingungen in Überwachungsgremien eintreten darf (siehe den Abschnitt 5.4.3) und welche Unterscheidungen zwischen abstammenden und durch Liebesbeziehungen hinzukommende Familienmitgliedern vorgenommen werden sollen. Auch hier findet die Kippfigur nicht selten interessante und – gemessen an klassischer Corporate Governance – ungewöhnliche Regelungen, wie das folgende Beispielzitat zeigen soll: Zitat: Ein weicher Weg »Ein Stressfaktor ist sicherlich immer wieder die Frage ›Mitarbeit von Familienmitgliedern im Unternehmen‹. Da gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen. Sie haben das ja jetzt in diesem Projekt immer wieder gehört, wie verschieden da die Erfahrungen sind und auch wie verschieden das gehandhabt wird. Wir

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haben da so ein bisschen einen weichen Weg, der alles erlaubt. Und zwar gibt es dafür Richtlinien. Die sind auch vernünftig, so vernünftig, wie man sie, glaube ich, machen kann.«

Das Zitat zeigt wieder sehr genau, wie die Grenzlinie sowohl markiert (»dafür gibt es Richtlinien«) als auch so gehandhabt wird, dass größtmögliche Spielräume bestehen (»alles erlaubt«). Oftmals werden Lebenspartner oder Ehegatten spät, vielleicht auch oft zu spät, in ihrer Rolle, Funktion und Bedeutung für das Funktionieren in der Unternehmerfamilie in den Blick genommen. Erst wenn Entscheidungen zu Gunsten oder zu Lasten eines solchen Familienmitgliedes getroffen werden, zeigt sich die Relevanz einer Antwortfähigkeit der Unternehmerfamilie auf die hiermit zusammenhängenden Fragestellungen. Ausführlich wird dieser Punkt in Kapitel 5.4 behandelt.

5.3 Strukturen, die Zugehörigkeit sicherstellen: Kontakt, Information, Stimme Die im vorherigen Kapitel behandelten Fragen regeln das Verhältnis einzelner Familienmitglieder zur Familie und zu den verschiedenen Sphären der Unternehmerfamilie. Familienstrategie muss sich zudem mit einer ganz anderen Ebene befassen. Um diese geht es im folgenden Abschnitt. Die Selbstverständlichkeit von Zugehörigkeit, die für eine Kernfamilie nie in Frage steht, kann bei einem wachsenden Gesellschafterkreis ohne bewusste Regelungen bald schrittweise verlorengehen. Die Frage an Familie und Unternehmerfamilie ist hier, wie bei wachsender Komplexität das Bewusstsein von Zugehörigkeit zum künstlichen Konstrukt der Unternehmerfamilie erhalten werden kann (Kormann, 2011). Immer wieder wird betont, dass die Identifikation jedes Familienmitglieds mit dem Unternehmen, zumindest desjenigen Mitglieds, das Anteilseigner ist oder einmal sein wird, eine der wichtigsten Ressourcen für das Unternehmen ist. Das bedeutet aber, dass jeder das Bewusstsein braucht, dass er/sie für das Unternehmen eine Bedeutung hat, dass also seine/ihre eigene Stimme gehört wird und zählt (was nicht damit gleichzusetzen ist, dass er/sie sich auch durchsetzt). Die Kippfigur sieht jedoch sofort auch die andere Seite: Das Unternehmen darf nicht durch ständige Querschüsse aus der Familie irritiert werden. Schnell wird deutlich: Hier zeigt sich wieder ein familienstrategisch bedeutsames Feld. Um das Bewusstsein von Zugehörigkeit und die Identifikation jedes Einzelnen mit dem Unternehmen zu erhalten, braucht es drei Aspekte: Kontakt, Information, Stimme:

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• Wer die anderen Miteigentümer kennt, mit ihnen in Kontakt steht, erlebt Zugehörigkeit zu einer signifikanten Gruppe (siehe z. B. Björnberg u. Nicholson, 2012). • Wer im sicheren Gefühl lebt, über die wichtigsten Informationen zu verfügen und nicht abgeschnitten zu sein, der entwickelt mit größerer Wahrscheinlichkeit das Vertrauen, dass nicht heimlich gegen ihn gespielt wird. • Das Bewusstsein, dass die eigene Stimme gehört wird, ist ein wichtiger Aspekt sozialer Identität: Zugehörigkeit wird durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit gestützt. Doch die drei oben aufgezählten Qualitäten brauchen ein sensibles Management. Denn sie haben auch ihre Schattenseiten: Ein Dauerkontakt ist weder sinnvoll noch realistisch. Die totale Information für jeden Anteilseigner oder gar jedes Familienmitglied kann sogar gefährlich sein. Ein Gesellschafter, der weder operativ noch in Gremien aktiv ist, muss nicht, ja sollte nicht Details aller Geschäftsprozesse und strategischer Planung kennen, wohl aber über den Verlauf des Unternehmens grob informiert sein. Und wenn die eigene Stimme erheben zu können, hieße, dass jede Äußerung eines beliebigen Familienmitglieds sofort ins Unternehmen hineinklingt, dann würden die Abläufe heftig irritiert werden. Die Vollinklusion der Person, wie eine Familienlogik sie fordert (vgl. das vorherige Kapitel), muss in der Unternehmerfamilie durch ein kluges Management der Teilinklusion des Gesellschafters im Rahmen seiner Anteile und seiner Positionen ausbalanciert werden. Das heißt, es braucht Strukturen: regelmäßige Ereignisse, auf denen die Familienmitglieder einander begegnen können, Regelungen für abgestufte Informationsweitergabe an verschiedene Personenkreise und Gremien, die die Stimmen der Einzelmitglieder aufgreifen und in gebündelter, strukturierter Form im Unternehmen zu Gehör bringen können. Mit welchen Maßnahmen und Instrumenten das Thema Zugehörigkeit von Unternehmerfamilien lebendig gehalten wird, soll in den folgenden Unterabschnitten diskutiert werden. Eine damit zusammenhängende Frage, nämlich, wer zu Positionen und Gremien usw. zugelassen wird, bekommt im Anschluss ein eigenes Unterkapitel. 5.3.1  Familientreffen und Familientage Alle von uns untersuchten Familien führen regelmäßige Familientreffen durch. Die Gestaltung dieser Treffen selbst sieht durchaus unterschiedlich aus. Meistens gibt es mindestens im jährlichen Abstand ein Familientreffen (manchmal aber auch bis zu drei pro Jahr). Ein solcher Familientag, zu dem meist alle Mit-

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glieder der Unternehmerfamilie eingeladen werden, dauert selten weniger als anderthalb Tage. Der Umfang variiert auch, weil Familien mit einem engeren Einzugskreis leichter kleinere und dafür häufigere Treffen abhalten als Familien, deren Mitglieder auf verschiedenen Kontinenten leben. Meist werden auf den Treffen selbst die folgenden Tagesordnungspunkte ungefähr gleich verteilt: • ein gemeinsames Willkommenstreffen mit Möglichkeit für Austausch und Gespräche, oft verbunden mit einem besonders schönen Abendessen der Familie, • eine Sitzung, in der die Geschäftsführung über das Geschäftsjahr und Trends im Unternehmen und dessen wirtschaftlichem Umfeld informiert; mal ist hier die ganze Familie anwesend, mal nur die Gesellschafter; vielfach werden zu diesem Punkt auch schon künftige Gesellschafter ab 16 oder 18 Jahren eingeladen, • eine reguläre Gesellschafterversammlung, • ein Programmpunkt zur Vertiefung der Firmenkenntnis; dies kann den Besuch eines Fertigungsbetriebes umfassen, die Diskussion neuer Produkte/ Geschäftsideen und bis zu einem gezielten Firmenkunde-Unterricht gehen, in dessen Rahmen Führungskräfte des Unternehmens Verfahren, Prozesse oder betriebswirtschaftliche Grundlagen vermitteln, • eine kulturelle oder andere angenehme Aktivität der ganzen Familie. Für die Organisation ist oft ein Gremium oder eine Person besonders verantwortlich. Das kann der Vorsitzende eines Familiengremiums sein, aber auch ein Mitglied, das für formale Aktivitäten wie Gremienarbeit weniger Eignung oder Interesse hat, sich dafür aber mit Freude für die Familie einsetzt. Sehr unterschiedlich wird, je nach der Tradition, die sich entwickelt hat, die Übernahme der Kosten für solche Treffen gehandhabt. Wir haben Familien kennengelernt, die ihren Mitgliedern First-Class-Tickets für die Reise erstatten, und solche, die erwarten, dass die Mitglieder die Anreise aus eigener Tasche bezahlen. Diskutiert werden kann in diesem Zusammenhang, welches Signal die Unternehmerfamilie ihren Mitgliedern mit der Regelung der entstehenden Kosten eines Familientreffens eigentlich gibt. Die Art des Umgangs mit diesem Punkt bleibt oft nicht folgenlos. Antworten auf die Fragen: »Soll jeder die Maßnahmen zur Erhöhung des Gemeinschaftssinns eigenständig tragen oder ein gemeinsames Budget aus versteuerten Gewinnen eingerichtet werden, aus dem die Aktivitäten gebündelt finanziert werden?«, wirken sich auf die emotionale Beziehung der Familienmitglieder zur Unternehmerfamilie aus. Erlebt das Mitglied sich als erwünscht und willkommen oder als lästiges Anhängsel, das auch mal kommen darf? Auch das gehört zum Management von Zugehörigkeit – und jede Familie findet für sich darauf eine spezifische Antwort.

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5.3.2 Die Beziehung zu Teilen der Familie, die nicht (mehr) Unternehmerfamilie sind Die Frage des Umgangs mit der erweiterten Familie, also mit ehemaligen Gesellschaftern oder Familiengruppierungen, die nicht direkt dem Unternehmen verbunden sind, ist für die meisten Unternehmerfamilien, mit denen wir gesprochen haben, kein Thema. Es geht hier so wie in anderen Familien auch: Man verliert sich im Laufe der Zeit aus den Augen. Doch ist diese besondere Facette von Zugehörigkeit doch zumindest für einige Familien bedeutsam. Hier ein kurzes Beispiel dazu: Zitat: Der weite Familienverbund »Also der Familienverbund definiert sich im weiteren Sinne. Auch ehemalige Anteilsinhaber gehören trotzdem zum Familienverbund. Das ist mehr das gelebte Verständnis. Bei uns gibt es halt welche, die wohnen irgendwo in der Ferne und dann ist das nicht mehr so eng. Aber vom Grundsatz her sind das schon auch irgendwie immer wieder Abkömmlinge, die geprägt sind durch die Wertvorstellungen von den Vorfahren. Das ist nicht immer deckungsgleich mit dem Anteilseigner. Also das mit den Gegebenheiten. Also die Familie ist heute relativ klein. Aber da gibt es eben Mitglieder, die sind trotzdem Familie, auch wenn sie nicht Gesellschafter sind und auch wenn sie nicht ihre Zukunft in unserem Unternehmen haben werden. Das ist eben trotzdem die Familie oder wenn man an die Erika15 denkt, die Mutter vom Dieter, die ja sehr früh verwitwet war und eben trotzdem völlig teilnimmt, in allem drin ist. Da ist schon ein Gemeinschaftsverständnis.«

Eine besonders differenziert ausgearbeitete Form von Zugehörigkeit hat eine alte Unternehmerfamilie entwickelt, um die Identität der Familie als Ganzes zu stärken und zugleich die Identifizierung der Gesellschafter mit dem Unternehmen zu gewährleisten: Zitat: Zugehörigkeit über Generationen »Derzeit ist die fünfte Generation in der Führung tätig, doch die Familie selbst lässt sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Strukturen der Family 15 Die Namen von den Familienmitgliedern und den Unternehmen wurden verändert, das heißt anonymisiert.

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Governance sehen so aus: Die Familie ist in einem Familienverband, einer Familienstiftung und dem Gesellschafterkreis des Familienunternehmens organisiert. Die Familienmitglieder haben zu den einzelnen Organisationsformen unterschiedlichen Zugang. Dem Familienverband können alle Nachfahren (und Ehepartner) des Stammvaters beitreten, während die Familienstiftung nur den Nachfahren des später geborenen Unternehmensgründers offensteht (und zwar unabhängig davon, ob sie Anteile halten). Der Verband gilt allgemein der Förderung des Familienzusammenhaltes, dagegen wurde die Stiftung explizit mit dem mildtätigen Ziel gegründet, Mitglieder der Unternehmerfamilie in Not zu unterstützen. Schließlich gibt es noch den engeren Kreis der Familienaktionäre. Interessanterweise wurden sowohl Verband als auch Stiftung von dem Unternehmensgründer ins Leben gerufen. So sind die drei Formen der Familienorganisation eng auf die Gründerfigur bezogen, nicht verwunderlich, dass viele der Funktionen auch im Verband aus der Unternehmerfamilie heraus besetzt werden.«

Das Zitat zeigt auf besonders prägnante Weise, wie es gelingen kann, die Zugehörigkeiten der Familie und der Unternehmerfamilie differenziert zu balancieren: Es werden verschiedene Strukturen gebildet, die jeweils unterschiedliche Logiken bedienen. Der Gesellschafterkreis umfasst nur die Unternehmerfamilie, die Stiftung schließt dann die erweiterte, mit dem Unternehmen verbundene Familie ein – so dass auch Mitglieder, die ihre Anteile veräußert haben, in den Genuss einer besonderen Form von Zugehörigkeit kommen. Der Familienverband ist schließlich der weite Schirm, der es der großen Gesamtfamilie erlaubt, Verbundenheit als Familie zu praktizieren. 5.3.3  Spezifische Gruppierungen im Rahmen der Family Governance Aus der Familie heraus können sich geplant oder auch spontan Gruppierungen entwickeln, die spezifische Fragestellungen bearbeiten und deren Arbeit zu sehr individuellen Lösungen führt. Das folgende Zitat verdeutlicht das: Zitat: Wir kümmern uns um unsere Leute »Es hieß (Unternehmensname)-Future Family, ich weiß es nicht mehr genau. Diese Gruppe, sieben Leute, die haben wirklich ab dem Workshop (ein Kick-off-Workshop der Familie) über drei Jahre ein Konzeptpapier erstellt, wo wir gesehen haben, was hat bisher funktioniert und was könnte in der Zukunft noch besser funktionieren. Und das haben wir dann vorgetragen vor der gesamten Familie, haben auch die

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Mission erklärt und eine Vision der Familie und haben am Schluss vorgeschlagen, man könnte doch noch weitere Gremien installieren. Das war dann neben dem Familienrat, war es eine Gruppe, die heißt Family Sticker (so etwa klang der hier geänderte, sehr persönliche Name der Gruppe). Das ist also sozusagen: Wie halten wir die Familie zusammen? Darum kümmerte sich dieses Gremium und kümmert sich heute noch um die Familienfeste. Denn man muss nicht nur den Ernst spüren, sondern für den Zusammenhalt muss man auch mal feiern!«

Eine andere Struktur, die recht häufig eingerichtet wird, sieht einen Kreis vor, in dem sich vor allem die jungen, aktuellen oder künftigen Gesellschafter mit dem Unternehmen vertraut machen können. Die Gründung eines solchen Informationskreises verfolgt ein klares Ziel. Es handelt sich um die sachliche Information der Gesellschafter, die jedoch letztlich vor allem Vertrauen schaffen soll und einer emotionalen Anbindung und Integration in die Familie dient. Die Gesellschafter werden explizit sachlich und implizit emotional adressiert. Hier ein Beispiel: Zitat: Der Gesellschafterinformationskreis »Also, der Gesellschafterinformationskreis, wie gesagt, wurde damals ja hauptsächlich für die ganz jungen Gesellschafter [eingerichtet], weil man einfach gemerkt hat, es gibt immer mehr junge Gesellschafter, die keine Eltern haben, keinen älteren Bruder haben, keinen Onkel haben, der ihnen sagt: ›Komm, jetzt bist du 18, jetzt setzen wir uns mal an den Tisch und ich sage dir mal, was unser Unternehmen ist.‹ Und der dann sagt: ›So, es gibt also die Bereiche xx und yy und dies und das, und so funktioniert das Unternehmen, so sieht unser GmbH-Vertrag aus und die Konten hast du so und so, und das und das musst du tun und das und das darfst du nicht tun.‹ Die gibt es ja immer weniger, so dass einfach klar wurde, man muss sehen, dass man die jungen Gesellschafter da auch irgendwie heranführt, weil es tatsächlich Gesellschafter gab, die plötzlich mit 18 hierhergekommen sind, die erstens keinen kannten, außer die eigene, engste Familie, die sich dadurch natürlich total unwohl gefühlt haben, Riesenmeute, alle gucken einen an: ›Wer bist denn du?‹«

Bei großen Unternehmerfamilien stellt sich zuweilen die Frage, wie dieser Informationskreis zusammengesetzt sein kann. Das folgende Fallbeispiel veranschaulicht dies:

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Gedacht ist der Infokreis, der schon einige Zeit besteht, für die jungen Gesellschafter, die das Unternehmen näher kennenlernen möchten. Eine Periode dieses Zirkels läuft über zwei Jahre mit zwei jährlichen Wochenendtreffen, jeweils an einem der Standorte. Das Angebot gilt jeweils für eine Gruppe von 16 Teilnehmern, die sich nach diesen vier Treffen meist auch sehr gut kennen. Wie ist es dem Unternehmen, das einen Gesellschafterkreis von weit über hundert jungen Gesellschaftern aufweist, nun aber gelungen, diesen Kreis auf eine Weise zu besetzen, dass keiner sich ausgeschlossen fühlt? Die Lösung, die die Unternehmerfamilie gefunden hat, ist sehr interessant: Man kann sich in diesen Zirkel hinein bewerben. Die eine Hälfte der Bewerber wird durch Los ausgewählt, die andere Hälfte vom Gesellschafterausschuss bestimmt. Da jedoch die Teilnehmer nicht erfahren, ob sie bestimmt oder gelost wurden, verbinden sich mit dieser Regelung die Logiken der Familie (jeder hat prinzipiell das gleiche Zugangsrecht) und des Unternehmens (es wird selektiert) auf besonders paradoxiefreundliche Weise.

Da der Sinn von derartigen Infokreisen, wie wir gesehen haben, darin besteht, die junge Generation mehr in die Unternehmerfamilie mit hineinzuholen, ist sie in gewisser Weise auch eine Arbeit an dem Thema Grenzen, nur eben im Sinne einer Ausweitung dieser Grenzen. 5.3.4  Gremien Ab einer bestimmten Größe von Familie und/oder Unternehmen richten die meisten Familienunternehmen irgendeine Form von Gremium ein. Es ist dabei zwischen den Funktionen Aufsicht/Kontrolle/Beratung und der Sorge um Familienthemen zu unterscheiden. Auch wenn sie sich von den Aufgaben her unterscheiden, können die Gremien personell durchaus verknüpft sein, wenn etwa ein Gesellschafter- oder Familienrat von zehn bis 15 Personen eine gewisse Zahl von Delegierten in bestimmte Governance-Organe des Unternehmens entsendet (Personalausschuss, Aufsichtsrat usw.). Regelmäßig gibt es in allen Unternehmen, mit denen wir zu tun hatten, mindestens ein Aufsichtsgremium mit definierten Aufgaben. Da in der Regel in Familienunternehmen, sofern sie nicht börsennotiert sind, Aufsichtsgremien nicht verpflichtend sind, steht es im Belieben der Familie, welche Aufgaben dem Gremium übertragen werden sollen. Weil die Ausgestaltung von Aufsichtsgremien nicht expliziter Teil der Family Governance ist, wird diese Struktur hier nicht vertiefend behandelt (ausführlich zu Gremien siehe das Kapitel 9.1, Themenfeld 6; in der Literatur siehe z. B. Felden u. Hack, 2014, Teil IV; Hennerkes

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u. Kirchdörfer, 2015; Koeberle-Schmid, Fahrion, u. Witt, 2012; Kormann, 2014; Lange, 2009; Zellweger, 2017). Exemplarisch soll hier das Beispiel der in Baumhauer, Böninger, Prügl und von Schlippe (2011, S. 117 ff., alle Zahlen beruhen auf dem Stand von 2011) ausführlich vorgestellten Governance der Familie Merck wiedergegeben werden: Ein Beispiel aus der Literatur: Die Familie Merck Die Unternehmensgruppe Merck KGaA – international tätig in den Bereichen Pharma und Chemie – ist mehrheitlich im Besitz von 130 Gesellschaftern, die Familie zählte 2011 insgesamt 226 Mitglieder. Die Mitglieder der neunten Generation lebten alle noch in Darmstadt, dem Sitz des Unternehmens. 2011 waren die Mitglieder der zehnten bis zwölften Generation über Deutschland und Europa verstreut: Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des Familienmanagements, die Bindung der Familienmitglieder und Gesellschafter an das Unternehmen von Generation zu Generation zu erhalten und den Familienzusammenhalt zu stärken. Sie sollen sich zu einem traditions- und erfolgreichen Familienunternehmen zugehörig fühlen, als Treuhänder verstehen und der Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation verpflichtet fühlen. Damit die Familie sich kennt und regelmäßig treffen kann, werden verschiedene Gelegenheiten geschaffen, insbesondere auch für die jungen Mitglieder der Familie. Ziel ist, einem Verlust an Identifikation und einem dann gegebenenfalls folgenden Ausstieg von Gesellschaftern vorzubeugen. Die Familie teilt ein gemeinsames Werteverständnis untereinander und sorgt für dessen Umsetzung im Unternehmen. Die Werte der Familie und die Werte des Unternehmens sind entweder identisch oder kompatibel; so wird gewährleistet, dass sich die Gesellschafter mit den Zielen des Unternehmens identifizieren können. Das gemeinsame Eigentum am Unternehmen und die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Tradition werden als identitätsstiftendes Element erlebt, das einen persönlichen Mehrwert darstellt. Die Familie soll jedoch nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen pflegen, sondern auch ihr Unternehmen kennen und die Grundelemente der Vertragsbeziehungen verstehen. Die Gesellschafter sollen in der Lage sein, ihre Rechte und Pflichten angemessen auszuüben. Sie werden dazu befähigt, ihre Verantwortung als Miteigentümer des Familienunternehmens zu übernehmen. Die Gremien der Familie Merck folgen einem mehrstufigen Aufbau: Die 130 Gesellschafter wählen in der Gesellschafterversammlung 13 Vertreter in den Familienrat. Aus den Mitgliedern des Familienrats werden Vertreter in den Gesellschafterrat und in den Aufsichtsrat entsandt. Kandidaten für den Fami-

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lienrat müssen mindestens 50 % aller Stimmen erreichen (nach Kapitalanteilen). Die Gesellschafter haben sich auf dieses Vorgehen geeinigt, um sicher zu gehen, dass sich die Vertreter auf die Zustimmung einer breiten Mehrheit der Gesellschafter berufen können; sie sollen nicht als Vertreter ihrer nächsten Verwandten oder einzelner Interessengruppen agieren. Die Familie übt ihren Einfluss auf das Unternehmen vor allem über Gesellschafterversammlung, Familienrat und Gesellschafterrat aus. Eine Mitarbeit von Familienmitgliedern im Unternehmen auf der Ebene des obersten Managements ist grundsätzlich möglich, 2011 war jedoch kein Familienmitglied operativ tätig. Eine Tätigkeit von Familienmitgliedern auf anderen Ebenen im Unternehmen ist nicht erwünscht. Neben den genannten Gremien werden folgende weitere Instrumente des Familienmanagements eingesetzt: • laufende Information der Gesellschafter, • Familienintranet, • Familienzeitung, • Informationsveranstaltungen und Reisen, • Familienfeste, • Skifreizeit, • Fortbildungsveranstaltungen für die junge Generation, • Praktika für junge Gesellschafter während der Schul- und Studienzeit und vor dem Berufseintritt, • Familien- und Firmenarchiv. Die Ziele der oben genannten Instrumente sind vor allem die Stärkung des Zusammenhalts der Familie und die Befähigung der Gesellschafter, ihrer Rolle und Verantwortung gerecht zu werden. Grundsätzlich wird die Familie als Einheit gesehen: Familienmitglieder werden weitestgehend gleich wie die Gesellschafter behandelt. Ehepartner können an der Gesellschafterversammlung teilnehmen, alle Familienmitglieder werden zu Familienfesten eingeladen. Einen Schwerpunkt des Familienmanagements bei Merck bildet die Fortbildung der Gesellschafter, die seit über 15 Jahren praktiziert wird. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Veranstaltungen für die jungen Gesellschafter. Die 15- bis 29-Jährigen werden jährlich nach Darmstadt oder an einen ausländischen Standort eingeladen. Inhaltliche Schwerpunkte dieser Treffen sind die Geschäftsfelder des Unternehmens, Zentralfunktionen, Gesellschaftsverträge, Bilanzen und allgemein gesellschaftlich relevante Themen. Fester Bestandteil sind zudem gemeinsame Aktivitäten zur Förderung der Zusammengehörigkeit unter den jungen Gesellschaftern und Familienmitgliedern.

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Besetzungsentscheidungen: Zugehörigkeit und das Ziehen von Grenzen

Die Abbildung 8 veranschaulicht das exemplarisch dargestellte Gefüge der Gremien des Fallbeispiels. Abbildung 9 bietet zudem einen Überblick über die Aufgaben und Funktionen der Organe des vorgestellten Familienunternehmens Merck. 130

Gesellschafterversammlung (GV)

13

Familienrat (FR)

Familie

Familie 4

5+4

1

Gesellschafterrat (GR)

Externe

Aufsichtsrat (AR)

4

8 Aktionäre (8 Arbeitnehmervertreter)

1

Vorstand  E. Merck KG (VEM)

Familie +

2

Geschäftsleitung Merck KGaA (GL)

Familienfremde

4

Abbildung 8: Gremien der Familie Merck – ein Fallbeispiel (Baumhauer, Böninger, Prügl u. von Schlippe, 2011, S. 118)

ORGANE ÜBERSICHT Gesellschafterversammlung • alle Gesellschafter (auch phG der GL) • wählt Familienrat und legt Vergütung der Familienratsmitglieder fest • entscheidet über Grundlagengeschäfte, z. B. Kapitalmaßnahmen (EM), Auf­lösung (EM), Vertrags­ änderungen (EM), Änderungen der Beteiligung an KGaA

Familienrat • bis zu 13 Familienmitglieder • nimmt Interessen der Familiengemeinschaft wahr und legt deren unternehmerischen Willen in Angelegenheiten grds. Bedeutung fest • beschließt über Abhaltung der Gesellschafterversammlung und Tagesordnung • wählt GR und legt Vergütung des GRund familienangehörigen Vorstandsmitglieder fest • Zustimmung zur Geschäftsordnung des GR • Zustimmung zu Strukturmaßnahmen bei KGaA (z. B. Kapitalmaßnahmen)

Gesellschafterrat • 5 Familienmitglieder und 4 Familienfremde • beschließt über Aufnahme von Komplemen­tären (außer Vorsitzender FR, Vorsitzender GR, Vor­ standsvorsitzender und stellvertr. Vorstands­vorsitzender) • Berufung/Abberufung der GL der KGaA und Rege­lung von deren Vergütung u. a. Angelegenheiten • erlässt Geschäftsordnung der GL von EM/KGaA • erteilt Zustimmung zu wesentlichen operativen Geschäften von EM und KGaA • stellt Jahresabschluss fest • gibt sich Ausschüsse Personalausschuss Finanzausschuss F & E-Ausschuss

Abbildung 9: Überblick über die Organe und ihre Funktionen des Fallbeispiels der Familie Merck (Baumhauer et al., 2011, S. 118)

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IV  Familienstrategische Kernfragen

Ähnlich wie in der Unternehmerfamilie Merck werden von vielen Unternehmerfamilien ein oder sogar mehrere Gremien eingerichtet, in denen explizit die Stimmen der Familienmitglieder eingebracht werden können und die Belange der Familie vertreten sind. Diese Gremien fassen die vielen Einzelstimmen der Familie gegenüber dem Unternehmen zu einer gemeinsamen Stimme zusammen. Neben expliziten Familiengremien (also etwa Familienrat, Familienaktionärsrat oder Gesellschafterausschuss) sind verschiedentlich auch halbformelle Strukturen zu finden, die eine größere Durchlässigkeit für die Mitglieder aufweisen. Beispiele hierfür sind Gesellschafterinformationskreise oder Gesprächskreise, die auf verschiedenen Ebenen für Information, Kontakt und Austausch zwischen Gesellschaftern und Management sorgen. Der Vorsitzende eines solchen Familienrates ist meist auch die Person, die das Management der Familie und die Kompetenzentwicklung der Gesellschafter im Blick hat. Die doppelte Struktur Aufsichts- und Familiengremium spiegelt die verdoppelte Familie. Die Logiken der Familie und die des Unternehmens sind auf zwei Institutionen verteilt, was manches vereinfacht. Ein Familienrat ermöglicht es auch, Familienmitgliedern, die weder in operative Funktionen noch in Gremien gelangen können, eine Aufgabe zuzuteilen und sie an die Gesellschafterfamilie zu binden. Die folgende Struktur für die Sicherung der Zugehörigkeit entstammt dem Beispiel einer großen Unternehmerfamilie. Sie zeigt, wie ausdifferenziert die Gremienstrukturen auf Familienseite aussehen können: • Die Großfamilie wird mehrmals jährlich zu Familientreffen eingeladen. Es trifft sich jeweils eine hohe Anzahl an Teilnehmern (Abkömmlinge, Ehepartner und zukünftige Gesellschafter ab 18 Jahre). In den Familientreffen werden Beschlüsse vorbereitet und Wahlvorschläge zur Besetzung von Gremien erarbeitet. • An der Gesellschafterversammlung nehmen alle stimmberechtigten Gesellschafter teil. Sie wählen die Vertreter der Eigentümer für das Aufsichtsgremium (dort hat die Familie einige Sitze). • Über das Aufsichtsgremium wirken die Eigentümer an der Geschäftsführung indirekt mit. Hier geht es um die Formulierung von Unternehmensleitlinien, von Zielen und langfristigen Perspektiven. Das Aufsichtsgremium hat im Grunde einen Zustimmungsvorbehalt bei strategischen Entscheidungen von grundlegender Bedeutung. • In der Geschäftsführung selbst ist kein Familienmitglied tätig. • Neben diesen Strukturen gibt es folgende weitere Instrumente, die durch ein »Familienteam« koordiniert werden:

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a) Einen Gesellschafterinformationskreis und einen Diskussionskreis für Gesellschafter und Ehepartner. Der Gesellschafterinformationskreis umfasst mehrere Mitglieder verschiedener Generationen und informiert jeweils vertieft über ein breites Spektrum unternehmensrelevanter Themen. Er vermittelt eine Firma zum Anfassen, etwa durch gemeinsame Besuche von Firmen und Produktionsstätten. Der Diskussionskreis ist kleiner und bereitet gezielter Themen vor, die familien- und unternehmensrelevant sind. Zudem versteht er sich als informeller Brainpool und Sparringspartner des eigentlichen Familienrates. b) Ein Organisationskomitee für allgemeine Aktivitäten, die den familiären Zusammenhalt stärken (Familientreffen, Informationsveranstaltungen, spezifische Meetings der jüngeren Generationen etc.). • Der eigentliche Familienrat ist die Gruppierung, die in diesem weiteren Beispielunternehmen die zentrale Vermittlerfunktion innehat, die einzelnen Gremien miteinander als Klammer verknüpft und die Familienstrategie erarbeitet.

5.4  Zugang zu Positionen und Gremien 5.4.1  Die Problemstellung Die Frage, wie vor allem operative Positionen besetzt werden sollten, ist für Familienunternehmen in der Nachfolge oft schicksalhaft. An ihnen können sich heftige Konflikte zwischen den Generationen (zwischen Übergeber und Übernehmer) und innerhalb der Generationen (zwischen Geschwistern) entzünden. Diese Konflikte tragen das Potenzial in sich, das Unternehmen zu zerstören. Darüber wurde viel geschrieben und es ist hier nicht der Ort, die diesbezügliche Literatur erschöpfend zu referieren (siehe z. B. May u. Bartels, 2016; OttenPappas, 2014; Pfannenschwarz, 2006; Rüsen, 2011a; von Schlippe, 2012; Sharma, Chrisman u. Chua, 2003; Sharma u. Irving, 2005; Zellweger, 2017). Nicht ganz so brisant, aber durchaus kritisch für den Familienkreis ist die Frage, wer zu welchem Gremium Zugang bekommt (siehe hier z. B. Collin u. Ahleberg, 2012). In beiden Fällen, der Besetzung operativer Positionen wie Gremien, antwortet jeweils die Familie anders als die Unternehmerfamilie. In der Familienlogik sollte eigentlich für jedes Kind eine Position möglich sein, zumindest grundsätzlich. So sagte uns der Vertreter eines (inzwischen untergegangenen) Traditionsunternehmens einmal: »Dafür ist doch das Unternehmen da, wofür haben wir es denn sonst: Jeder in der Familie soll etwas davon haben, und wenn dann

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IV  Familienstrategische Kernfragen

die eine Nichte keinen Job findet, na, dann schafft man eben für sie etwas im Unternehmen. Es soll doch der Familie dienen!« Die Unternehmenslogik stellt dagegen klare Bedingungen, Zugehörigkeit ist hier eben nicht selbstverständlich. Es werden Anforderungen an die Qualifikation eines potenziellen Nachfolgers gestellt, definierte Gesellschafterkompetenzen von künftigen Gremienmitgliedern erwartet und Zugänge begrenzt. Anders als bei operativen Positionen ist es bei Gremien möglich, die Paradoxie etwas abzumildern: Hochqualifizierte Gesellschafter können zu Aufsichtsfunktionen in Gremien herangezogen werden, während fachlich weniger qualifizierte, aber persönlich engagierte Familienmitglieder in Gremien aktiv werden, die sich eher an die Familie richten, und spezifische Aufgaben übernehmen können, die sich auf diese beziehen (etwa Familientage zu organisieren o. Ä.). Bei jeder Besetzung von Positionen im Familienunternehmen, bei der Familienmitglieder involviert sind, ist höchste Aufmerksamkeit angeraten, denn die Familie und mittelbar auch das Unternehmen sind hier hoch verwundbar (Müller-Tiberini, 2016). Am größten ist die Verwundbarkeit in Unternehmen, die sich in der ersten oder zweiten Generation nach der Gründung befinden: Undifferenzierte Entscheidungsprämissen (»So haben wir das immer gemacht!«) und oft unzureichende professionelle Regelungen bringen es mit sich, dass gerade hier oft unklare, psychologische Kontrakte geschlossen wurden (vgl. Kapitel 4). Diese werden dann im Nachhinein von beiden Seiten meist sehr unterschiedlich erinnert. Ein erlebter Bruch kann drastische Folgen haben. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Junior, der sich innerlich und beruflich auf die – ihm in Familienlogik angedeutete – Nachfolge vorbereitet hat, nun doch die erwartete Chance nicht bekommt. Noch schlimmer steht er da, wenn er nach einer Phase der Tätigkeit im heimischen Unternehmen dieses wieder verlassen muss, ohne dass vorher klar messbare Indikationen für Verbleib oder Ausscheiden festgelegt worden waren (Kaye, 1996). Die wenigen Fälle, die wir hier kennen, führten alle zu nicht mehr heilbaren Kränkungen und letztlich zum Zerbrechen des Familienzusammenhalts (Grossmann u. von Schlippe, 2015). 5.4.2  Die Besetzung operativer Positionen Die Unternehmen des Projekts hatten alle mindestens die vierte Generation erreicht und stellten von der Unternehmensgröße ein Volumen dar, das ein hochprofessionelles Management verlangt. So ist nicht verwunderlich, dass fast überall bereits klare Prozeduren der Entscheidungsfindung entwickelt und präzise Qualifikationsanforderungen formuliert worden waren, wie Manage-

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mentpositionen zu besetzen seien. Die Bandbreite der konkreten Regelungen ist dabei breit, je nach dem realisierten Mentalen Modell (siehe das Kapitel 7). Es lassen sich jedoch zwei Pole ausmachen. Der eine Pol wird durch meist größere Unternehmen markiert, die sich professionell als aktive Eigentümerfamilie verstehen. Sie haben entschieden, dass angesichts der Komplexität der Führungsaufgaben, die in einem Unternehmen vorliegen, das mehrere hundert Millionen bzw. einige Milliarden Euro umsetzt, die Wahrscheinlichkeit, ein qualifiziertes Familienmitglied in die Führung zu bekommen, sehr gering ist. Daher ist entweder die Mitarbeit von Mitgliedern der Familie in der Führung (und damit dann auch im Unternehmen) explizit ausgeschlossen. Oder ein solcher Fall wird theoretisch durchaus befürwortet, so dass höchst qualifizierten Familienmitgliedern der Weg zumindest potenziell nicht verbaut ist. Für diesen eher seltenen Fall ist jedoch festgelegt, dass ein Familienmitglied keinerlei Bevorzugung gegenüber anderen Bewerbern genießt, also ein professionelles Assessment zu durchlaufen hat und im Falle einer unzureichenden Leistung das Unternehmen wieder verlassen muss. Den anderen Pol bilden Unternehmen, die sich entschieden haben, im Sinne der Re-Inszenierung der Kleinfamilie (siehe oben; vgl. auch Simon et al., 2005, S. 48 ff.) dauerhaft eine patriarchale Logik zu praktizieren: Einer aus der Familie oder eine Person je Familienstamm wird langfristig als Nachfolger aufgebaut. Interessanterweise wird diese Struktur familienstrategisch mit Narrativen umspielt, die es den weichenden Erben leichter macht, dem vorgesehenen Nachfolger den Platz zu überlassen: der, der ins Unternehmen geht, ist eigentlich der Bedauernswerte, während die weichenden Erben ein Geschenk bekommen, das sie sich durch nichts verdient haben: Zitat: Freies Geld kriegen! »Bei uns macht immer der die Arbeit, der es am besten kann […]. Also wir haben einfach nur den Grundsatz bisher gelebt, der, der in die Firma geht und eben auch arbeiten muss, der soll die Anteile von den anderen abkaufen, die nicht in die Firma gehen, deswegen nicht arbeiten müssen. Diese kriegen also freies Geld, mit dem sie machen können, was sie wollen! Dann muss die Bewertung auch entsprechend niedrig sein. Denn sonst kann sich, der ist ja doppelt belastet, der, der in die Firma geht dann. Und wir haben es bisher hingekriegt, denen zu sagen: ›Das ist ein Geschenk! Kümmert euch nicht in erster Linie um die Höhe, sondern dass ihr überhaupt was kriegt.‹«

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Dazwischen bewegen sich die Familien, die durchaus eine Mitarbeit von Familienmitgliedern im Unternehmen wünschen, aber klare Anforderungen formuliert haben, unter welchen Bedingungen diese zu erfolgen hat. Die Formulierung: »Bei gleicher Qualifikation wird das Familienmitglied bevorzugt«, wird jedenfalls durchgängig eher kritisch gesehen, der Begriff wird als zu schwammig abgelehnt. Wenn ein Familienmitglied antreten sollte, dann muss es ein klares Assessment ohne Bevorzugung durchlaufen. Außerdem wird eine Mitarbeit von Familienmitgliedern nur auf einer der beiden höchsten Führungsebenen gewünscht (es sei denn, es gibt einen klaren internen Entwicklungsplan mit definierten »up-or-out«-Optionen). Oft wird die Letztentscheidung über die Besetzung einer operativen Position an ein externes Gremium (meist den Beirat) delegiert – nach dem Prinzip: »Familie soll nicht über Familie entscheiden!« (auch eine Variante von Paradoxiefreundlichkeit). Die Handhabung der Grenze ist hier nicht einfach: Legt man die Latte zu hoch, verschreckt man unter Umständen potenzielle Leistungsträger aus dem Familienkreis, legt man sie zu niedrig, steht schnell der Vorwurf der Vetternwirtschaft im Raum. Eine Form des Umgangs mit diesen paradoxalen Anforderungen besteht in ihrer Reflexion, das heißt darin, sie immer wieder im Gespräch mitzuführen. Wie das gehen kann, zeigt das folgende Zitat: Zitat: Man kann das so schwierig machen »Man kann das so schwierig machen, dass ich am Ende kein Familienmitglied mehr finde, das sagt: ›Wisst ihr was …‹. Ich kenne Fälle, wo sie dann plötzlich in anderen Vorständen saßen, weil die eigene Familie es nicht gebacken hat, irgendwann zu sagen: ›Weißt du was, ich glaube du bist ziemlich gut und jetzt engagier dich mal lieber bei uns als irgendwo anders!‹ So aus lauter: ›Es könnte ja scheitern und schwierig werden und …!‹, wurden so viele Hürden aufgebaut, dass man sagt: ›Moment mal, […] bei euch sind das noch drei Hürden mehr, sorry! Dann bleibe ich, wo ich bin!‹ Also, dass man schon eine andere Balance finden sollte. Ich sage nicht, dass das immer funktioniert. Das Modell, wenn man Familienmitglieder im Unternehmen hat, hat eigene Risiken, irgendwo auch klar adressiert. Ich denke, dass wir die auch kennen. Und dass nur, wenn man immer wieder bewusst drüber redet, ob man denn da reinfallen könnte in diese möglichen Fallen, dann kann man sie verhindern. Es gibt keine Garantie, es gibt keinen Vertrag, der sagt, es wird alles gut gehen.«

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Zugleich greifen auch beim Besetzen operativer Positionen harte Kriterien und weiche, paradoxietolerante Formen der Selektionsentscheidungen ineinander. Der folgende Gesprächsausschnitt soll das verdeutlichen. In einem Paargespräch geht es um die Frage, ob und wie der Unternehmer sich um potenzielle Nachfolger kümmern solle und wolle: Zitat: Na gut, den Didi habe ich gefragt Interviewer:  »Haben Sie denn dazu schon jemanden im Auge?« Unternehmer:  »Ich werd’n Teufel tun, mich da einzumischen und jemanden zu fragen.« Ehefrau des Unternehmers:  »Ach komm! Sei ehrlich!« Unternehmer:  »Na gut, den Didi hab’ ich schon mal gefragt.«

Und schließlich gibt es auch Unternehmen, die eine operative Tätigkeit von Familienmitgliedern im Unternehmen ganz verbieten. Hierzu ebenfalls ein Zitat: Zitat: Konfliktpotenzial vermeiden »Der eigentliche Grund dahinter ist, dass wir gesagt haben, wir wollen jedes Konfliktpotenzial, was sich aus der Vermischung Familie/operative Aufgabe ergeben könnte, eliminieren. Wir wollen auf jeden Fall ausschließen, dass Entscheidungen getroffen werden, die nicht nach Qualifikation, sondern nach Verwandtschaftsstatus gehen. Sie können sich sicherlich eine Reihe von Konflikten vorstellen, die sich eben daraus ergeben, dass Familie und Unternehmensführung identisch sind. Und wir haben eben über die Qualifikation der Gesellschafter gesprochen: Ja, wir haben einen hochqualifizierten Gesellschafter, den tun Sie in diesen Job. Der erreicht das berühmte Peter’s-Principle, der kommt irgendwann mal an einer Stelle, wo … und Sie sagen, Ihrem Bruder, Ihrem Onkel: ›Nein!‹ Wir sagen, da ist ein potenzieller Konflikt, der einfach da eingebaut ist. Um diesen von vornherein zu vermeiden, machen wir das so. Das hat natürlich auch Nachteile, das muss man auch mal sagen. Überlegen Sie mal, wie schön, wenn Sie ein Familienmitglied haben, der sogar Namensträger ist, der auch auf der operativen Seite Identifikation darstellt. Also, dieser Gedanke hat zwei Seiten. Wir bewerten das Eliminieren von einem Konflikt höher als manche anderen Dinge.«

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Die Familie, auf die sich das Zitat bezieht, hat entschieden, ganz auf die eine Seite zu gehen und sich damit einigen Ärger zu ersparen. Da es sich um eine bereits lange Zeit bestehende Regelung handelt, ist die Kränkung minimiert. Keiner rechnet mehr offen oder verdeckt damit, irgendwann einmal Geschäftsführer oder Vorstand zu werden. Doch ist man sich hier zum einen auch der Nachteile deutlich bewusst (etwa keinen Namensträger als CEO, geschäftsführendes Vorstandsmitglied, zu haben und auf mögliche Potenziale aus dem Familienkreis zu verzichten). Zum anderen konfrontiert die Frage der Besetzung von Gremien die Familie am Ende doch noch mit dem Dilemma von Wahl und Ausschluss. 5.4.3  Zugang zu Gremien Bei der Frage, unter welchen Bedingungen Gesellschafter in Gremien gehen sollen, rückt die dafür erforderliche Gesellschafterkompetenz zunehmend in den Vordergrund (Astrachan u. Pieper, 2011; EQUA-Stiftung, 2011; Groth u. von Schlippe, 2011; Horváth, Kirchdörfer u. von Schlippe, 2015; Rüsen, von Schlippe u. Groth, 2014; siehe auch Kapitel 9). Neben entsprechender Motivation (bzw. besser noch Begeisterung) wird inzwischen fast durchgängig auch ein bestimmtes Qualifikationsprofil bzw. eine gewisse Bandbreite an Erfahrungen von den Mitgliedern der Unternehmerfamilie verlangt, die in ein Gremium entsandt werden (wollen). Natürlich gibt es hier Abstufungen. Wenn es zum Beispiel um die Besetzung eines reinen Familiengremiums geht, dessen vordringliches Ziel es ist, den Familienzusammenhalt zu sichern, wird eher die Einsatzbereitschaft für Familienthemen im Vordergrund stehen. Eine Teilnahme am Gesellschafterrat oder gar Aufsichtsrat setzt einen höheren Grad an Professionalisierung voraus, geht es doch um die Wahrung der Stimme der Familie im Unternehmen. Vielfach bedeutet dies auch eine aktive Teilhabe an der Entwicklung der Unternehmensstrategie und eine Mitentscheidung bei größeren Investitionen und Aktivitäten. Die Frage, wer in welches Gremium gehen kann/darf/soll, wird vielfach ähnlich weich behandelt wie die Frage nach der Zugehörigkeit: Es ergibt sich. Zugleich wird zunehmend deutlich, dass mit wachsender Professionalisierung der Gesellschafterfamilie auch eine klarere und transparentere Zugangsregelung nötig wird. Die zwei nachfolgenden Zitate bezeugen das: Zitat: Keine Regeln dafür »Beiratsbesetzung müssen wir sicherlich diskutieren, weil wir es nicht aufgeschrieben haben. Das ist informell so, dass wir sagen, qualifiziere dich vorab und dann kannst du auch. Aber da gibt es keine Regeln für. Und das kann durchaus

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auch mal sein, wenn einer meint, ich bin jetzt reif … und wird aber nicht gewählt. Dann haben wir nämlich wieder eine Beschädigung. Vielleicht müssen wir auch lernen, damit umzugehen. Dass eine Wahl eine Wahl ist. Das war früher nicht so. Früher war es eine Akklamation und fertig.«

Zitat: Ein definitives Gespür für die Fähigkeiten einer Person »Der Kreis unter sich sagt: ›Wer ist der Nachfolger?‹ Das wird mit dem Beirat abgesprochen. Das ist üblicherweise kein Thema, was wir jetzt diskutieren und dann demokratisch abstimmen, sondern das ist ein Thema wo man sagt: ›Also da gibt es zentral eine Person, die also hier der Nachfolger ist, der auch sicherlich nach unserem Verständnis, also nach dem Verständnis des Kreises, mehr von der Familie getragen wird.‹ Der wird dann eben vorgeschlagen. Dann wird im Gremium diskutiert und dann entscheiden die Gesellschafter. Und es ist unser Anspruch, dass wir ein ausreichendes Gespür für Akzeptanz und Nichtakzeptanz in der Familie haben gegenüber einer Person und in der Zusammenarbeit sicherlich ein definitives Gespür für die Fähigkeiten der Person. So, wenn wir die Fähigkeiten auf der einen Seite, Akzeptanz der Familie auf der anderen Seite, dann haben wir mit einem hohen Maß an Sicherheit den richtigen Kandidaten, wo wir sagen: ›Der ist es!‹«

Gremien werden oft, wie schon erwähnt, so gestaltet, dass ein Gremium für die Pflege der Bindungslogik, eins für die Pflege der Entscheidungsfunktionen gebildet wird. Während im Beirat entsprechende Gesellschafterkompetenzen erwartet und gefordert werden (Groth u. von Schlippe, 2011; Koeberle-Schmid, 2015; Rüsen et al., 2014), bietet der Familienrat ein Feld, in dem auch engagierte Familienmitglieder die Möglichkeit bekommen, sinnvoll tätig zu werden: »Bindung durch Kommunikation« (Kormann, 2011). Manchmal bietet der Familienrat auch eine Art Training für die Übernahme erweiterter Funktionen. Es folgt ein Zitat zu den Altersgrenzen in Gesellschafterausschuss und zu der Funktion des Familienrats: Zitat: Klare Altersgrenzen »Es gibt für das Aufsichtsgremium klare Altersgrenzen. Da haben wir den Familienrat etwas weiter aufgemacht. Also mit 27 könnte ich frühestens rein in unser Aufsichtsgremium. Ich glaube, mit 23 kann ich in den Familienrat. Mit

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siebzig ist spätestens Schluss im Aufsichtsgremium. Wenn ich es richtig im Kopf habe, mit 75 im Familienrat. So ein bisschen war die Idee, dass ich damit auch mal vorzeitig antesten kann, wenn Leute sich da engagieren, sie dann vielleicht auch in das Aufsichtsgremium zu nehmen. Und andersherum, damit das hinten auch noch mal so ein bisschen ausgleiten kann. Dann ist es auch nicht ganz so formell hinsichtlich der Stimmrechte. Im Prinzip sagen wir: ›Wer da gerne hinkommen will und sich engagieren will, dafür sind wir offen!‹ Und auch wenn es eine formale Abstimmung gibt, so hat die de facto nie stattgefunden. Man probiert, die Dinge halt im höchstmöglichen Konsens zu lösen und das mehr als ein Forum zu nutzen, wo die Familie diese Dinge vernünftig ausdiskutieren und dann zu einer vernünftigen Lösung kommen kann. Da gibt es nur eins, winzige Schnittstellen, wo wir sagen: ›Da müssen wir wieder klare Entscheidungsgremien haben, die auch die Verantwortung tragen und das dann machen können.‹ Bei einer Entscheidung über eine Stiftung, da geht es mehr darum, das offen zu machen und zu sagen: ›Kommt und engagiert euch!‹, anstatt über zu große formelle Hürden die Leute irgendwie noch rauszupushen. Deswegen ist der Familienrat, ich würde mal sagen, ein bisschen informeller, ein bisschen einladender.«

Zitat: Die familiären Dinge »Es gibt noch ein zweites Gremium, den Familienrat. Der beschäftigt sich mit allen nicht-unternehmensrelevanten, familiären Dingen.«

Das Thema der gleichzeitigen Zugehörigkeit zur operativen Führung und Besetzung von Gremien wird unterschiedlich gehandhabt. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in operativer Führung und Aufsichtsgremium verbietet sich in der Regel von selbst: Zitat: Geht gar nicht! »Ja, das, wenn man hier operativ tätig ist, kann man nicht im Gesellschafterausschuss sein. Der Gesellschafterausschuss ist ja letztlich auch ein Aufsichtsorgan. Also insofern. Also man kann zumindest nicht Partner sein und gleichzeitig im Gesellschafterausschuss, weil der Gesellschafterausschuss doch maßgeblich die Bestellung und Abberufung eines Partners betrifft.«

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Allerdings sind verdiente ehemalige familieninterne Geschäftsführer mit ihrer Erfahrung und ihren Kompetenzen später durchaus gern gesehene Mitglieder in verschiedenen Beiräten. Anders ist dies mit den anderen Familiengremien. Warum sollte ein operativ tätiges Mitglied nicht auch im Familienrat sein können? In der Regel wird dies jedoch ausgeschlossen.

5.5  Die Handhabung von Stammesgrenzen Ein weiterer Aspekt von Selektivität ergibt sich bei einer besonderen Variante der Binnendifferenzierung innerhalb einer Großfamilie. Eine Tradition der Weitergabe der Anteile kann so begonnen haben, dass der Gründer festgeschrieben hat, dass seine Kinder gleiche Anteile erhalten, dass diese aber nicht weiter aufgesplittet werden dürfen bzw. gebündelt werden müssen. Die Situation der zweiten Generation solle dementsprechend strukturell fixiert werden. Es werden also gemäß der Kinder des Gründers Stämme gebildet und jeder Stamm soll dann mit einer Stimme sprechen. In einigen Fällen erhalten die Stämme dann auch spezifische Rechte wie zum Beispiel das Recht zur Entsendung je eines Vertreters in ein Kontrollgremium etc. Dieser Versuch, die eigenen Kinder gerecht nach familiärer Logik zu behandeln, erzeugt eine besondere Form familiärer Organisation: ein Stammesunternehmen, eine Organisationsform, deren Vulnerabilität eine besonders sorgfältige Governance erfordert (Ammer, 2017; Kormann, 2012; Rüsen, 2011a; Simon et al., 2005). Die Frage, wie Stammesgrenzen gehandhabt werden, kann hier sehr bedeutsam sein. Denn die Gefahr ist groß, dass die »vertikale Loyalität« (in Anlehnung an Stierlin, 2005) zum Gründer, durch die die Großfamilie zusammengehalten wird, durch eine »horizontale Loyalität« abgelöst wird: Die eigene Kleinfamilie wird im Vergleich zu den anderen immer bedeutsamer, diese werden zunehmend misstrauisch beobachtet. Das erzeugt eine Dynamik, die sich in einen Stammeskonflikt auswachsen kann, wenn sie nicht klug gehandhabt wird: Zitat: Bollwerk »Wir müssen uns in einem Stamm organisieren, um gegen die anderen ein Bollwerk zu bilden. […] nur der Stamm ist die Struktur, die meine Interessen in der Gesamtheit ausreichend vertritt« (Ammer, 2017, S. 213).

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IV  Familienstrategische Kernfragen

Insbesondere kann dies gefährlich sein, wenn etwa die ursprüngliche Aufteilung der Anteile nicht ganz dem Gerechtigkeitsempfinden der Gegenwart entspricht – etwa weil ein damals aktiveres Mitglied etwas mehr bekam (»Ihr wurdet ja immer schon bevorzugt!«) oder männliche gegenüber weiblichen Abkömmlingen bevorzugt wurden (»Das war schon damals himmelschreiend ungerecht!«). Es kann dann zu einer Art Silo-Denken kommen, so dass offenkundig ungeeignete, dafür aber den entsprechenden Stamm vertretende Personen in Gremien oder gar operative Positionen entsandt werden, nur damit der jeweilige Stamm sein Entsenderecht befriedigt. Die folgenden zwei Zitate veranschaulichen das Stammesdenken und seine Folgen. Zitat: Man hatte »seinen Mann« in der Führung »Da gibt es natürlich Interessen. Sie müssen sehen, wir haben dieses Stammesprinzip, und es hat in den letzten beiden Generationen aus jedem Stamm einen Vertreter im Unternehmen gegeben. Das ist jetzt aufgebrochen. Dieses Stammesprinzip hat natürlich dazu geführt, dass man seinen Mann dann in der Führung des Unternehmens hatte, der natürlich seiner Familie auch immer erklärt hat, wie wichtig er ist und dass er derjenige ist, der ihre Interessen wahrnimmt. Und, wenn er nicht da wäre, dann würde sowieso alles schieflaufen. Dieses Prinzip der Besetzung haben wir nicht mehr, aber wir haben natürlich gewisse Folgewirkungen aus dem alten System, weil immer noch so ein bisschen das ›Jeder-war-vertreten-Prinzip‹ gilt. Das hat dazu geführt, dass man vielleicht ein Stück Misstrauen gegen den anderen aufgebaut hat, weil dadurch diejenigen, die die Familien vertreten haben, ihre Rolle in der Familie gestärkt haben. Und da wir das Prinzip nicht mehr haben, fehlt dieses stabilisierende Element«.

Zitat: In Klammern gesagt »Aber – in Klammern gesagt – wir versuchen auch oft, die Dinge dann schon so aufzuteilen, dass aus jedem Stamm einer kommt, weil dann auch der Informationsfluss immer gewährleistet ist, dass in den Stammesbesprechungen auch einer sitzt, der dabei war und das mitgestalten kann.« Auf die Frage wie sich dieses positive Miteinander unter den Stämmen entwickelt hat: »Das war vererbt. – Das ist so!«

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Auch wenn die Vulnerabilität solcher Konstruktion immer wieder hervorgehoben wird, gibt es doch zahlreiche Beispiele für über Generationen hinweg gut funktionierende Stammesstrukturen. Nur erfordert eine solche Konstruktion in der Governance, wie bereits gesagt, eine besondere Bewusstheit und Sensibilität. In den meisten Unternehmen unserer Studie, die so organisiert waren, wurden Vor- und Nachteile im Familienkreis jeweils offen diskutiert, und es bestand eine hohe Bewusstheit für die möglichen Risiken. Die Verletzlichkeit des Stammesprinzips liegt insbesondere in dem Anspruch, operative Positionen und/oder Gremien streng nach Proporz zu besetzen – was besonders, wenn sich die Stämme »nicht grün« sind, zu schwierigen Machtkämpfen führen kann. Ein Vorteil dagegen liegt darin, die Komplexität eines großen Familienkreises einzugrenzen, indem vor dem Treffen der Großfamilie kritische Fragen im vertrauteren Kreis der Stammesbesprechung abgeklärt werden. Solange kein Grundsatzkonflikt das Verhältnis der Stämme vergiftet, kann ein Familienunternehmen von den Vorteilen dieser Struktur durchaus profitieren: Ein möglicher Dissens wird dann auf Gruppenebene ausgetragen, der Stamm vertritt anschließend seine Position als geschlossene Einheit nach außen hin (Jendritzky, 2007). Zwar kann auch dann ein Patt zwischen den Stämmen entstehen, aber ein Gesichtsverlust Einzelner wird minimiert. Dennoch überwiegt beim Abwägen von Pro und Contra meist die Kritik an dieser Struktur. Zu groß ist die Gefahr, dass sozialpsychologisch gut nachvollziehbare Mechanismen von Intergruppenkonflikten langfristig zu potenziell zerstörerischen Rivalitäten zwischen Gruppen führen (ausführlich hierzu Ammer, 2017). Zudem ist die Gefahr groß, dass alte, manchmal über Generationen hinweg latent wirksame Geschwister- bzw. Familienkonflikte in der Stammesorganisation virulent werden können: »Sehr oft führen die Mitglieder der dritten Generation eine vererbte Rivalität miteinander fort und tragen sie mit Cousins und Cousinen aus, die sich noch nicht einmal richtig kennen, weil sie nicht im gleichen Haus oder Ort groß geworden sind« (Ward, 2004, S. 129 f., Übersetzung durch die Autoren). Die Fähigkeit einer Unternehmerfamilie, Besetzungsentscheidungen zu treffen und Gremienzugänge zu regeln, die sowohl dem Unternehmen gerecht werden als auch die besondere Situation von Familienmitgliedern berücksichtigen, ist in mehrfacher Hinsicht wesentlich. Je stärker in einer Unternehmerfamilie das Bewusstsein für die zwei Seiten der Familie ausgeprägt ist, desto eher wird sie eine Sensibilität für die Handhabung der Paradoxie von Einschluss und Ausschluss entwickeln. Diese Sensibilität ist eine, die unmittelbar für die beiden wichtigsten Funktionen der Unternehmerfamilie bedeutsam ist: den Aufbau tragfähiger Entscheidungsstrukturen und die Wahrung des Familienfriedens. Im Idealfall sollten die kompetentesten Personen in den relevanten Aufsichts-

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und Beratungsgremien sitzen. Sie sollten gestützt werden und sich auf Gesellschafter und Familienmitglieder verlassen können, die sowohl mit dem Unternehmen identifiziert sind und auch ihren Vertretern in den Gremien vertrauen. Sowohl die Identifikation wie auch das Vertrauen sind existenziell ausschlaggebend wie auch leicht zerstörbar. Eine unglücklich verlaufene Besetzungsentscheidung kann dazu führen, dass Einzelpersonen und die sich mit ihnen solidarisierenden Anverwandten dauerhaft verletzt sind, der Familie innerlich den Rücken kehren oder schlimmer noch, auf Möglichkeiten warten, Rache auszuüben. Aufgrund der hohen Bedeutung wird dieses Thema im Folgekapitel unter dem Titel »Legitimation« vertieft.

6  Legitimation: Entscheide, ohne zu entscheiden!

Der Inhalt dieses Kapitels behandelt die Frage, wie in Unternehmerfamilien eine empfundene Rechtmäßigkeit von Entscheidungen erreicht werden kann. Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Logiken ist es keine leichte Aufgabe, für Legitimation zu sorgen. Gerade weil so vieles paradoxiefreundlich entschieden wird, ist es wichtig, Entscheidungen so zu legitimieren, dass sie nicht als Willkür erlebt werden, sondern als rechtmäßig. Einer der Wege, dies zu erreichen, hat diesem Kapitel die Überschrift gegeben: Entscheidungen können so markiert werden, dass sie gar nicht als solche erscheinen, sondern als Selbstverständlichkeit: »Es« wird entschieden, ohne dass die Entscheidung als solche erkennbar ist. Im Verlauf des Kapitels werden weitere Strategien vorgestellt, die wir in unseren Forschungen als intelligente Formen der Legitimation kennenlernen konnten. Abschließend wird ein Vorschlag gemacht, wie Unternehmernehmerfamilien nach ihren Legitimationsmustern unterschieden werden können.

6.1  Gerechtigkeit – ein Kernthema Ob eine Entscheidung als legitim empfunden wird, hängt eng mit dem Empfinden von Gerechtigkeit zusammen: Eine als ungerecht erlebte Entscheidung kann entsprechende Konfliktdynamiken nach sich ziehen. Gerechtigkeit scheint eng mit dem Wunsch verknüpft zu sein, dass die Welt geordnet ist, also sinnvoll und voraussehbar, und dass man selbst über Möglichkeiten verfügt, in dieser geordneten Welt zu handeln (Antonovsky, 1997; Montada, 2003). Ein solches Bewusstsein ist für Menschen offenbar wichtig, um Selbstwirksamkeit zu erleben, also aus eigener Kraft auf sein Schicksal und seine Umwelt Einfluss nehmen zu können (Bandura, 1977). Eine Verletzung des Gerechtigkeitsempfindens wird daher universell bzw. kulturübergreifend als bedrohlich erlebt (Montada,

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2014). Die Standards darüber, was jeweils als gerecht erlebt wird, sind jedoch von Familie zu Familie, ja von Person zu Person sehr unterschiedlich. Genau das ist das Kerndilemma der Gerechtigkeit: Auf ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden reagieren alle Menschen gleichermaßen mit heftiger Empörung. Was aber jeweils als gerecht empfunden wird, ist sehr unterschiedlich. Die Gerechtigkeitslogiken variieren stark. Was der eine als zutiefst ungerecht beschreibt, ist für den anderen völlig in Ordnung. In dieser Spannung liegt die Wurzel vieler Konflikte. Verletzte Gerechtigkeitserwartungen sind wesentliche Konflikttreiber (Montada, 2003, 2014; Stierlin, 2005). Der Grad der Empörung kann als Gradmesser für die Tiefe der erlebten Verletzung der Gerechtigkeitsprämissen angesehen werden. Die Verletzung treibt den Betroffenen dazu, nach Ausgleich zu suchen, unter Umständen um jeden Preis. Der Anspruch, dass die Welt gerecht sein solle, ja müsse, ist für Menschen ein enormer Motivator. In Familien kommt ein wichtiger Punkt hinzu, auf den vor allem die Familientherapie aufmerksam gemacht hat: Die Familienmitglieder führen oft sehr genau Buch über Vermächtnis und Verdienst und zwar nach einer sehr eigenen Logik. »Bestimmte Währungen gelten nur innerfamiliär und lassen sich nur schwer, wenn überhaupt konvertieren« (Stierlin, 1997, S. 149). Allerdings schützen auch die innerfamiliären Standards, was als gerecht und was als ungerecht erlebt wird, nicht vor Konflikten. Denn die Beteiligten schätzen ihren eigenen Beitrag in der Regel anders (meist höher) ein als jeweils den des anderen. Die einen betonen andere Aspekte (»Ich habe Mutter lange gepflegt«) als die anderen (»Du hast jahrelang von Mutters Rente mit gelebt«). Die Familienmitglieder führen jeweils für sich ihr eigenes »Gerechtigkeitskonto« (Stierlin, 2005). Daher werden die »Kontoauszüge« oft erst in kritischen Übergängen präsentiert – klassisch ist hier die Erbsituation (Müller-Tiberini, 2008). In diesen Situationen können Familien in Verrechnungsnotstände kommen (Stierlin, 2005), die in Konflikte münden. Für Unternehmerfamilien stellt sich damit eine komplexe familienstrategische Aufgabe. Es geht darum, Konflikte bereits im frühen Stadium zu entschärfen. Das bedeutet, alle Momente, in denen tatsächlich jemand benachteiligt, zurückgesetzt, ausgeschlossen usw. wird, so zu gestalten, dass die Beteiligten das Verfahren als fair und gerecht erleben (Sharma, 2004; van der Heyden, Blondel u. Carlock, 2005). Ganz wird das selten möglich sein, denn die erwähnten, in jeder Familie zu findenden, eigenwilligen Verrechnungen der eigenen und der fremden Verdienste (»Nach allem, was ich getan und geleistet habe, bekomme ich jetzt nur … Und er, er bekommt … Was hat er denn bislang für die Familie getan? Absolut nichts!«) gibt es auch in Unternehmerfamilien. So finden sich immer unterschiedliche Antworten auf die Frage, was jeweils gerecht ist (von

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Schlippe, 2014, S. 140 ff.). Auch hier begegnen wir der Spannung von Familienund Unternehmenslogik wieder: Was für die Unternehmerfamilie notwendig, unvermeidlich und gerecht ist, kann auf der anderen Seite, also bei der Familie, emotionale Stürme auslösen. Familien ohne Unternehmen haben es vielleicht leichter, die Lage zu entschärfen, wenn es um schwierige Entscheidungen geht. So können potenziell problematische Entscheidungen problemloser verschoben und vermieden werden. Es mag einfacher sein, Konsensfiktionen aufrechtzuerhalten. Doch der Erbfall ist auch hier selten ohne Auseinandersetzungen zu bewältigen (»Ach, ihr Geschwister versteht euch gut? Wartet, bis ihr geerbt habt!«). Für die Unternehmerfamilie ist der Moment des Erbens oft nicht nur mit dem Eigentumsübergang verbunden, sondern bedeutet eine wesentliche Weichenstellung für die Zukunft einzelner Familienmitglieder im Unternehmen oder in bestimmten Gremien. Seine Handhabung stellt also eine besonders sensibel zu handhabende Aufgabe dar (Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015 Kap. 4; Müller-­ Tiberini, 2008). Dies gilt insbesondere für alle Entscheidungen, die einem Familienmitglied Zugang zu bestimmten Ressourcen, Positionen, Gremien ermöglichen und dabei automatisch ein anderes Familienmitglied von diesem Zugang ausschließen (wie ausführlich weiter oben im Kapitel 5.4 beschrieben). Nicht der fremde Chef, der Arbeitgeber, die Bank oder der Arbeitsmarkt sind für das Schicksal verantwortlich. Vielmehr sind es konkrete, beobachtbare Entscheidungen von nahen Verwandten, die das Leben der Einzelnen betreffen und diesen Verwandten somit auch angelastet werden können: • »Warum darf meine Tochter, jetzt da sie arbeitslos ist, nicht in einem der Unternehmen der Familie arbeiten?« • »Ihr habt mich als Geschäftsführer abgewählt, das werde ich euch nie verzeihen!« • »Ihr könnt doch nicht den Standort schließen, in dem mein Sohn tätig ist!« • »Mein Haus muss finanziert werden, wie könnt ihr jetzt die Ausschüttungen kürzen!« • »Es war eigentlich selbstverständlich, dass ich in den Beirat komme, nun bin ich abgewählt worden! Das ist unmöglich!« Fragen und Vorwürfe dieser Art sind immer wieder im Raum und machen deutlich, unter welchen Druck die Unternehmerfamilie geraten kann, je nach Gewicht der Entscheidungslage. Die Gegenüberstellung Familie – Unternehmerfamilie macht deutlich, wie anspruchsvoll das Anliegen ist, Entscheidungen zum Wohle des eigenen Unternehmens so zu gestalten, dass diese auch dann noch als gerecht oder zumindest fair empfunden werden, wenn das eigene Leben davon negativ betroffen ist. Dass dies nicht immer gelingt und dann als

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persönliches Desaster erlebt werden kann, zeigt das folgende Beispiel einer Gremienwahl, in der ein Familienmitglied, das fest mit einer Wahl gerechnet hatte, doch nicht gewählt wurde: Zitat: Beschädigtes Familienmitglied »Trotzdem, das ist nicht verarbeitet, und ja, der Erik ist beschädigt aus dem Ganzen rausgegangen. Und, ja, gut, die Verdächtigungen, wer ihn jetzt nicht gewählt hat, die hören nicht auf. Ich weiß, dass sie nicht stimmen, aber gegen so was kann man nix machen. Ja, das ist […] das kriegen Sie mit Formalien nicht hin. Durch Gespräche kriegt man es vielleicht hin.«

Sicher lassen sich in nicht wenigen Unternehmerfamilien Mitglieder finden, die ihr ganzes Leben hindurch das Gefühl mit sich tragen, bei Entscheidungen (vor allem in Erbangelegenheiten) unfair behandelt worden zu sein. Da derartige Gefühle jedoch selten offen bekannt, sondern eher schamvoll verschwiegen und meist erst in längeren Beratungsgesprächen offenbart werden, lässt sich das nur vermuten.

6.2  Von »Outcome based« zu »Process based« »Es lässt sich annehmen, dass ein rechnendes Bestimmen und Abwägen schon immer auch im menschlichen Gedächtnis zur Wirkung kam. Wir könnten von einem berechnenden wie auch verrechnenden Gedächtnis sprechen. Es lässt uns innerlich Buch über das führen, was wir anderen Menschen und insbesondere nahen Angehörigen gegeben, was wir noch zu bekommen haben und was uns unserer Meinung nach zusteht. Solch innere Buchführung wird dann zu einem, vielleicht dem zentralen Element unserer Lebensbewertung und Lebensgeschichte. Sie prägt wiederum unsere Einstellung zu diesen anderen Menschen und stellt sich je nach Kontenstand oder nun vielleicht richtiger: Kontenbewertung anders dar« (Stierlin, 1997, S. 140).

Der Hinweis auf die Gerechtigkeitsempfindungen zeigt bereits, dass wir es hier nicht mit objektiven Kriterien zu tun haben, sondern mit Ungerechtigkeiten im Erleben der Beteiligten, also mit »emotionalen Kontenführungen« (Boszormenyi-­Nagy u. Spark, 1981; Stierlin, 1997, 2005) oder auch allgemein mit verletzten Prinzipien der Anerkennung. Das zentrale Stichwort hierzu ist Legitimation bzw. Legitimität. Die im gleichen Maße schwierige wie notwendige

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Aufgabe einer Unternehmerfamilie ist es, Praktiken, die für Legitimation sorgen, auf eine Weise auszubilden, die sowohl das Unternehmen entscheidungsfähig hält als auch das Gerechtigkeitsempfinden der Beteiligten nicht dauerhaft stört. So ist beispielsweise eine Entscheidung, die eine Person benachteiligt, für diese viel leichter zu ertragen und zu akzeptieren, wenn sie das Bewusstsein hat, dass ihre Meinung bzw. ihre Stimme in diesem Prozess deutlich hörbar gewesen ist und ernst genommen wurde. Entsprechend vorzugehen, bedeutet aber, die Aufmerksamkeit stärker auf den Prozess zu legen, wie man zu einer Entscheidung kommt, als auf die Entscheidung selbst. Ein »fair process« (angemessenes Verfahren) reduziert nachweislich das Risiko, dass kritische Entscheidungen durch nachträgliche Beziehungskämpfe beeinträchtigt werden. Inhaltlich geht es darum, von einem »Outcome«-basierten« Gerechtigkeitsverständnis auf ein »Process«-basiertes« umzustellen (für Familienunternehmen siehe hierzu van der Heyden, Blondel u. Carlock, 2005): Der Weg, wie man zu einer Entscheidung kommt, kann wichtiger sein als die Frage, wie dann schlussendlich entschieden wurde. Legitimation wird hier durch die Initiierung längerer Prozesse gewährleistet. Das mag aufwändig erscheinen. Doch die langfristige Nachhaltigkeit von Personalentscheidungen, die auf der Basis einer Vielzahl von Gesprächen getroffen wurden, dürfte den Aufwand rechtfertigen. Denn durch eine derartige Praxis werden die »Lücken der Begründbarkeit« geschlossen (Ortmann, 2011, S. 63). Aus der Gerechtigkeitsforschung und auch in der Konfliktforschung ist bekannt, dass gerade bei Entscheidungen, in denen eine absolute Gleichbehandlung nicht möglich ist, prozedurale Gerechtigkeit den Konflikt entschärft. Transparente und legitimierte Verfahren können helfen, Gefühle von Kränkung durch Willkürentscheidungen oder Gesichtsverlust abzumildern (siehe z. B. von Schlippe, 2014b, S. 65 ff.): Eine Prozedur, die als fair erlebt wird, wird leichter akzeptiert, auch wenn das Ergebnis nicht den eigenen Erwartungen entspricht (Bierhoff, 1992). Ein »fair process effect«, also eine nachhaltige Lösung auf Basis der Überzeugung, dass ein Entscheidungsverfahren subjektiv fair war, wurde in der Gerechtigkeitspsychologie vielfach bestätigt (Montada, 2003; Müller u. Falk, 2014; van der Heyden et al., 2005). Das Kapitel soll im weiteren Verlauf zeigen, dass es langfristig erfolgreichen Unternehmerfamilien vielfach gelungen ist, Prozesse so zu gestalten, dass prozedurale Gerechtigkeit erlebt wird. Die Legitimation eines Entscheidungsprozesses liegt dann in der Art des Zustandekommens einer Entscheidung. Es geht dabei darum, dass die, die zurückstecken müssen, das Bewusstsein haben, dass ihre Stimme gehört und ernst genommen wurde, so dass sie in dem Prozess nicht ihre Selbstachtung verloren haben. Damit lässt sich die Nachhaltigkeit von Entscheidungen deutlich verbessern.

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Viele Ratgeber für Unternehmerfamilien sehen den entscheidenden Professionalisierungsschub vornehmlich in der Steigerung des Organisationsgrades der Familie (etwa durch Gremien, Einführung von Wahlregeln, Kompetenzprofilen für Besetzungsentscheidungen etc.). Das ist natürlich nicht falsch, doch langfristig erfolgreiche Unternehmerfamilien erkennen dies zwar, wissen jedoch, dass eine »Legitimation durch Verfahren« (Luhmann, 1969) breiter zu fassen ist. Das allein auf die schnelle Entscheidung ausgerichtete Abarbeiten von Regelsystemen kann den familiären Zusammenhalt sogar durchaus gefährden! Unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass langfristig erfolgreiche Unternehmen Verfahren jeweils zusätzlich mit etwas ausstatten, das wir familienstrategische Intelligenz nennen möchten (im Sinne von March, 2016). Diese besondere Intelligenz langfristig agierender Familienunternehmen/Unternehmerfamilien liegt, wie bereits erwähnt, in der ausgewogenen Balancierung organisationaler und familialer Prinzipien. Die Kernfrage lautet: Wie sorgen wir dafür, dass jeder Einzelne gehört wird, dass jede Familie, gegebenenfalls jeder Stamm, und die Familie als Ganze eine vernehmbare Stimme im Unternehmen behält? Wie wird nicht nur die formale Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Gesellschafterkreis sichergestellt, sondern dem Gerechtigkeitsempfinden der Familienmitglieder Rechnung getragen? Und natürlich: Wie halten wir uns bei allem notwendigen Sprechen und Verhandeln entscheidungsfähig? Ein derartiges Vorgehen sorgt dafür, dass die Gefahr entschärft wird, Entscheidung und Bindung als Gegenpole aufzubauen. Wer auf Rechtmäßigkeit besteht, zerstört Bindung, und wer die Bindung um keinen Preis aufs Spiel setzen will, gefährdet die Entscheidungsfähigkeit. So beliebt der Slogan »Business first« (als Gegengewicht zu einer potenziell als bedrohlich erlebten »Family first«-Logik) auch ist, und so sehr er immer wiederholt wird: In Härte und mit letzter Konsequenz durchgeführt, dürfte er die Nachhaltigkeit der Ressource Familie, also die »Familiness« gefährden (Frank, Lueger, Nosé u. Suchy, 2010; Plate, 2012; Wimmer, 2014). Die Sorge um das Gerechtigkeitsempfinden der Mitglieder ist mit der wichtigste Überlebensfaktor für das labile Konstrukt Unternehmerfamilie. Denn wenn Mitglieder sich ungerecht behandelt fühlen, drohen – zuweilen recht schnell oder aber auch zeitverzögert, nach Monaten, Jahren oder auch Generationen – Risse in der Familie. Neid und Misstrauen nehmen zu, die Bindung Einzelner zur Unternehmerfamilie nimmt ab, und insgesamt wird ein Nährboden für Konflikte geschaffen. Vielfach werden diese Konflikte eher im Hintergrund ausgetragen, in den Kleinfamilien wird über »die anderen« gelästert. Einzelne ärgern sich, trauen sich aber nicht, ihren Ärger auszudrücken etc. – ein Zustand, der auch als kalter Konflikt bezeichnet wird (Glasl, 2014a). Solche schwelenden kalten Familienkonflikte können unversehens zu heißen Konflikten werden (2014b),

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etwa in der hitzigen Diskussion unternehmerischer Entscheidungen (und ggf. in deren Verhinderung) im Rahmen der Gesellschafterversammlung. Familienkonflikte werden dann ungehemmt auf wichtige Unternehmensfragen übertragen. Die in den weiteren Abschnitten dieses Kapitels dokumentierten Entscheidungsprozesse mögen aufwändig erscheinen und womöglich auf den ersten Blick seltsam unprofessionell. Sinnvoll erscheinen sie, wenn man die Paradoxie von Bindung und Entscheidung im Blick behält: Wie gelingt es, grundlegende Entscheidungen auf eine Weise zu treffen, dass zwar am Ende der »Outcome« stimmt, der Weg aber »Process based« beschritten wurde?

6.3  Vermeide den Eindruck von Willkür! Gerade bei Selektionsentscheidungen können, wie gesagt, viele Verletzungen passieren (vgl. das vorangegangene Kapitel 5 zu den Besetzungsentscheidungen). Unglücklich verlaufende Entscheidungen über ermöglichten oder versperrten Zugang zu operativen Positionen (Nachfolge), Gremien oder Ressourcen können manchmal über Generationen als ungelöste Konflikte weitergegeben werden, zum Beispiel über Geschichten, die eine besondere Form des Familiengedächtnisses darstellen (vgl. das Kapitel 4.4). Bei vielen der erfolgreich über lange Zeit hin existierenden Familienunternehmen finden wir einen besonderen Umgang mit solchen kritischen Fragen. Erforderliche Abstimmungsprozesse werden mit einer hohen Sensibilität für Situationen und Personen vorgenommen. Sie werden auch von der Familie besonders beobachtet. Bei den Analysen der Interviews der Gesprächspartner in dem FüG-Projekt ließ sich ein interessantes Phänomen immer wieder beobachten: Die Prozeduren, die zu einer Entscheidung führten, wurden ausführlich und sehr positiv geschildert, die in ihnen liegende legitimierende Kraft ist gut erkennbar. Oft ziehen sich die Schilderungen über mehrere Seiten in den Transkripten hin. Die Entscheidung selbst wird dagegen oft nur sehr knapp erwähnt, und zwar auffallend oft in einer besonderen grammatikalischen Form, nämlich im Passiv bzw. in einer Form, in der das Subjekt der Entscheidung getilgt ist: »Es hat sich ergeben, dass …«; »Dann kam es dazu, dass …«; »Es wurde entschieden, dass …!«; »Ich wurde nominiert!« Nachdem uns diese Art der Wortwahl aufgefallen war, haben wir systematisch die Interviews auf Aussagen zu Entscheidungen hin untersucht und versucht, diese Formulierungen als eine Besonderheit der Art zu verstehen, wie mit Entscheidungsfindung (speziell in Personalfragen) in Familienunternehmen umgegangen wird. Entscheidungen werden, zumindest in den Augen der Familie, offenbar verkleinert wahrgenom-

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men, sozusagen als Selbstverständlichkeiten angesehen. Vor allem wird durch die Formulierung das handelnde Subjekt aus dem Prozess herausgenommen. Nicht der Onkel hat entschieden (was Reaktionen nahelegen könnte wie: »Wie gemein, dabei hatte er vorher noch mit mir darüber gesprochen und dann das!«), sondern es wurde entschieden. Die Zurechnung der Entscheidung auf eine konkrete Person wird oft elegant umgangen, ein Vorgang, der auch verschiedentlich an anderer Stelle erwähnt wird, zum Beispiel: »Die Entscheidung fiel typischerweise ganz zwangsläufig, ganz automatisch, ganz selbstverständlich, sie wurde in vielen Fällen als von Anfang an klar gekennzeichnet« (Breuer, 2009).16 Man kann diese Art des Umgangs so verstehen, dass der Paradoxie des Entscheidens, unter der die Unternehmerfamilie kontinuierlich steht, auf eine Weise begegnet wird, die in sich wiederum paradox ist: »Diese Entscheidung ist keine Entscheidung«. Für die Paradoxie, sowohl Inklusion/Zugehörigkeit als auch Selektivität/Abgrenzung gleichzeitig praktizieren zu müssen, haben Familienunternehmen, die über viele Generationen Bestand haben, offenbar paradoxiefreundliche Wege des Umgangs (vielleicht eine bessere Formulierung als Lösung) gefunden. Diese Wege umfassen die Fähigkeit, zwei Seiten sich scheinbar ausschließender Polaritäten miteinander zu verbinden, eine Qualität, die anderenorts auch oszillodox genannt wird (vgl. Littmann u. Jansen, 2000). Hier klingt noch eine Zeit nach, in der Entscheidungen nach einem Prinzip gehandhabt wurden, das heute nicht mehr als akzeptabel gilt: nach dem Prinzip der Personenkenntnis. So wurden Entscheidungen in engsten Kreisen besprochen und dann so umgesetzt, dass sie gar nicht als Entscheidungen auffielen. Die Posten in der Familie wurden wie selbstverständlich vererbt. Hier ein Zitat aus unseren Interviews, das die Anwendung dieses Prinzips belegt: Zitat: Vererbt »Das ist eine extrem enge Geschichte im Prinzip zwischen diesen beiden. Als dann der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums, über siebzig war, hat man sich natürlich schon Gedanken gemacht: ›Wer wird es denn?‹ Und ich selbst war damals schon Mitglied im Ausschuss, aber das war kein demokratischer Prozess, sondern irgendwann war es dann klar: Johannes wird es. Also, (lacht) ja, das war für mich nicht transparent, […] wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist.«

16 Breuer schreibt in diesem Zusammenhang (es geht um Hofübergaben): »Wir treffen auf eine für unsere individualistische Denkweise kontraintuitive Anschauung: Das Handlungssubjekt ist nicht der Bauer in seiner Rolle als Vorgänger oder Nachfolger; handelnder Akteur […] ist vielmehr der Hof« (2008, S. 128).

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Das Zitat zeigt deutlich, dass für den Interviewpartner sogar die Frage, wie jemand zum Vorsitzenden eines Ausschusses bestimmt wird, in dem er selbst als stimmberechtigtes Mitglied sitzt, unklar blieb – und dass er dieses Faktum offenbar fraglos hingenommen hat. Interessanterweise werden derartige Traditionen (siehe Exkurs weiter unten) in den langfristig agierenden Familienunternehmen weiterhin gewahrt, auch wenn es heute meist notwendig ist, einen größeren Legitimationsaufwand zu betreiben. Die Tradition, Entscheidungen nicht als Willkür auf Einzelpersonen zurückzurechnen, bleibt. Manchmal hat man den Eindruck, als würden alle das Spiel »Eine Entscheidung ist keine Entscheidung« mitspielen, um den Familienfrieden zu wahren und den Betroffenen die Gesichtswahrung zu ermöglichen. Aus welchem Beweggrund auch immer: Entscheidungen werden meist so beschrieben, dass sie für alle Beteiligten als legitim und legitimiert erscheinen. In dem »überwiegenden Teil der Unternehmensfamilien federn wenige Personen den Entscheidungsbedarf insofern ab, als er in die Familie hinein keine weiteren Kreise zieht […], die wenigsten Familien verfügen heute überhaupt über eine ausreichend spezialisierte Semantik, um das Für und Wider betrieblicher Entscheidungen auf diejenigen zu beziehen, die sie selbst treffen müssen« (Klett, 2009, S. 107 ff.).  

  Exkurs  

Historische Formen der Legitimation Die Herstellung von legitimierenden Zusammenhängen hat eine lange Tradition, die mindestens bis ins Mittelalter zurückgeht.17 Die Legitimation dynastischer Herrschaft in Geschichte und Gegenwart erfolgte, insbesondere angesichts von dynastischen Bedrohungssituationen, durch sakrale Kunstwerke. So gibt es eine Reihe italienischer Wandgrabmäler (die seit den 1260er Jahren in Zentralitalien errichtet wurden). Um hierfür ein Beispiel zu bringen, wählen wir das Grabmal der Königin Maria von Ungarn. Anstatt sich auf ihre Person zu beziehen, bildet es die Reihe der männlichen Nachfahren ab: »Unter insgesamt elf maßwerkverzierten Spitzbögen thronen vor mattschimmerndem blauem Mosaikgrund die Söhne Marias. Ein primär genealogisches Programm zeigt auf den sieben Feldern der Vorderfront die historisch relevanten unter ihnen. Den Ehrenplatz hat Bischof Ludwig von Toulouse inne. Der acht Jahre 17 Hinweise darauf verdanken wir der Tübinger Historikerin Prof. Dr. Ellen Widder die ihr Projekt über »Dynastische Brüche im Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert)« am WIFU vorgestellt hat.

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zuvor (1317) kanonisierte Heilige der Familie empfängt den Betrachter des Grabes mit einem Segensgruß. Zu seiner Rechten folgt mit erhobenem Zepter der regierende König von Sizilien, Robert von Anjou, welcher, obgleich nur der Drittgeborene, den Thron Karls II. übernommen hatte. […] Weiter außen thronen die jüngeren und damit für die Thronfolge unwichtigen Söhne. Den Heiligen flankieren also die beiden Thronerben von Ungarn und Sizilien, und nach außen hin nimmt die Bedeutung der Personen über die lebenden Fürsten hin zu den bereits verstorbenen fortschreitend ab. Die weltliche Rangordnung wird somit hinter die göttliche zurückgestellt. Die Verstorbene selbst hat als Mutter des Heiligen einen besonders ehrenvollen Platz in dieser Ordnung, und durch ihn bekommt auch ihre Hoffnung auf Erlösung ein größeres Gewicht« (Michalsky, 1998, S. 192). Man kann hier sehen, mit welchem Aufwand eine Legitimierung der Führungspositionen (speziell des Drittgeborenen, also dessen, der nicht automatisch durch das Erstgeborenenrecht legitimiert wurde!) durch den Heiligen und damit durch die Kirche vorgenommen wird.



6.4  Paradoxiefreundliche Praktiken der Legitimierung Legitimation scheint, wie gesagt, das Schlüsselwort zu sein, wenn es darum geht, eine der wichtigsten familienstrategischen Aufgaben zu erfüllen. Es schien im Projekt das zentrale Bemühen der mit Familienstrategie befassten Personen zu sein, die Zurechnung negativer Ereignisse (Verlust einer Wahlentscheidung, Nicht-Akzeptanz in einer Personalfrage) auf einzelne Personen und den damit verbundenen Gesichtsverlust zu vermeiden. Gerade Personalentscheidungen sind sehr eng an Gefühle von Stolz und dessen negative Seite, das Gefühl von Scham gekoppelt. Wer sein Gesicht verliert, verlässt in der Regel das Unternehmen (vgl. Kapitel 5.1). Ein öffentliches Unternehmen würde einen solchen Verlust verkraften und auch für die Verlierer würde bei aller Enttäuschung die Erfahrung bald verarbeitet sein. Im Familienunternehmen sieht es anders aus. Denn die Familie kann man nicht einfach verlassen. Wie nun schon mehrfach betont, ist die Spannung zwischen der Logik des Unternehmens, die Selektivität, also auch Exklusion verlangt, und der Familie, deren Logik auf Bindung und damit Inklusion beruht, nicht auflösbar. Wer als Familienmitglied gezwungen wird, aus einer Position in der Unternehmensführung oder in einem Gremium auszuscheiden, geht nie ganz. Er/sie bleibt entweder Mitgesellschafter oder auch nur als Mitglied in der

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Familie und wird entsprechend agieren, um den Gesichtsverlust wieder auszugleichen – etwa durch geringe Kooperationsbereitschaft oder durch destruktivere Formen des Ausgleichs. Eine erlebte Kränkung in nahen Beziehungen drängt danach, emotional ausgeglichen zu werden (Stierlin, 2005). Ein einmal verlorenes Gesicht bedeutet daher so etwas wie einen familienstrategischen Super-GAU: Es entsteht ein dauerhafter Spannungszustand, der die Familie lange, manchmal sogar über Generationen hinweg nicht zur Ruhe kommen lässt. Denn die Kränkungen können in Geschichten über erlebte Ungerechtigkeit und Verrat weitergegeben und entsprechend zum Beispiel innerhalb einer Teilfamilie/eines Stammes weitererzählt werden und das Familiengedächtnis entscheidend prägen (von Schlippe u. Groth, 2009; Zwack, 2011; Zwack et al., 2017). Es geht mithin um die Frage, wie die Verletzung familiärer Logik durch selektive Entscheidungen am besten gemindert werden kann. Ein Ergebnis unserer Forschungen besteht darin, dass wir eine Reihe paradoxiefreundlicher Formen der Exklusionsvermeidung identifizieren konnten, die für Entscheidungen – ob sie nun noch offen oder bereits im kleinen Kreise vorentschieden sind –, die notwendige Legitimationsbasis schaffen. Im Wesentlichen geht es darum, dass der, der nicht ausgewählt wurde, sein Gesicht wahren kann, denn es war ja klar, dass es nur der eine/die eine werden konnte. 6.4.1  Erzeugung von Selbstverständlichkeit Wie bereits im vorangehenden Abschnitt erwähnt, treten Personalentscheidungen vielfach nicht als Entscheidungen in Erscheinung bzw. werden nicht als solche beschrieben. Die Herstellung von Selbstverständlichkeit oder auch Alternativlosigkeit (»Es war dann klar, dass es nur Johannes werden konnte«) scheint eine nachhaltige Form zu sein, wie in Familienunternehmen Personalentscheidungen geschaffen werden: Sie ergeben sich einfach so. Manchmal ist sogar klar, dass da von irgendjemandem das irgendwie gedreht wurde, doch die Aktivität wird von der Familie akzeptiert. Es scheint so, als würden in diesen Fällen Familie und Familienmanagement halbbewusst zusammenspielen, wie die folgenden, von uns zusammengestellten Zitate aus unseren Interviews zeigen: Zitate: Alles im Konsens (verschiedene Unternehmen) »Ja, und dann hat Martin, ich glaube, auf einer Hauptversammlung irgendwann gesagt, wann er zurücktritt, und ein Jahr später hat er gesagt, wer sein Nachfolger wird. So war das eben nach außen hin dann in Häppchen mitgeteilt.«

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»Ja, aber bis dahin konnte man deutlich, ich meine, das war nicht wirklich inkognito hier im Unternehmen. Die haben natürlich auch eins und eins zusammengezählt, also das konnte man sich ausrechnen, aber nichtsdestotrotz war es jetzt nicht nach außen. Hier haben alle so getan, als wüssten sie es nicht, sage ich jetzt mal spaßeshalber, man wurde nicht darauf angesprochen.« »Wir versuchen sowieso, alles im Konsens hinzukriegen.« »Also das war in meinem Fall gar nicht so spektakulär, weil ich schon aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen und ja, Kompetenzen ’ne gewisse Vorbereitung oder positive (lachend) Vorbelastung mitbrachte. Und das war, glaub ich, ’n ziemlich einfacher Abstimmungsprozess. Ich kann mir vorstellen, dass mein Vorgänger einfach mal rumtelefoniert hat und gefragt hat: ›Wer, glaubt ihr, könnte mir nachfolgen?‹, und dann hat sich vielleicht die Mehrheit für mich ausgesprochen – und dann war es so.« »Es war im Hintergrund glaub ich schon eher ’n informeller Prozess, auch natürlich unter Einbindung der Unternehmensleitung.« »Es gibt so ›erlebte Ansprechpartner‹ in den beiden Familien. Zum Beispiel mein Cousin, das ist derjenige, den ich anspreche, wenn ich besondere Themen habe, von denen ich glaube oder wo Christoph und ich mich, uns entschieden haben, das müssten wir denen mal erzählen, damit die wissen, was da kommt. Das machen wir dann. Dann informiere ich den Cousin und der informiert dann den restlichen Gesellschafteranteil in der Familie Arthur. Und das macht Felix Mayer sicherlich genauso mit Simon und sicherlich auch mit den Geschwistern. Das geht dann abends am Telefon. Das ist nix Offizielles. Das läuft am Telefon. Das war bisher immer sehr wenig, was da vermittelt wurde.«

In den Berichten über diese Selbstverständlichkeit schwingt zwar eine gewisse Leichtigkeit mit, doch sollte man diese Form des Umgangs mit Paradoxie nicht idealisieren. Denn zum einen kann nicht ausgeschlossen werden, dass manche der Betroffenen aus solchen unklaren Konstellationen psychologische Kontrakte herauslesen, deren Nichteintreten später zu Enttäuschung führen kann (vgl. das Kapitel 5.1). Zum anderen wächst bei den Beteiligten durch diese Art von patriarchaler Entscheidungsfindung natürlich kein Bewusstsein für das Funktionieren der Organisation und für die eigene Teilhabe an Entscheidungsprozessen. So kommt es zu einer Lernfalle (Groth u. Rüsen, 2014; March, 2016)! Denn es entwickelt sich

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auf diese Weise keine Kultur der Auseinandersetzung und Konfliktlösung in der Familie (siehe auch Waibel, 2016). Das folgende Zitat zeigt dies deutlich: Zitat: Nie irgendwelche Diskussionen »Ehrlich gesagt, eigentlich ist da wenig Abstimmungsbedarf, um nicht zu sagen, keiner. Also das Verrückte ist ja, deswegen ist so ein bisschen dieses Unternehmen immer außen vor. Es hat eigentlich nie also irgendwelche Diskussionen gegeben mit meinen Geschwistern und eigentlich auch nicht mit meinen Vettern, also Vettern und Cousinen. Es gibt sicherlich immer mal wieder Diskussionen mit meinem Onkel, also dem Mann meiner Tante, der Bankdirektor war und sich immer sehr im Detail mit Themen auseinandergesetzt hat. Aber das waren eigentlich immer Diskussionen um die, ich sage mal, hundertprozentige Richtigkeit, formale Richtigkeit, juristische Richtigkeit, solche Themen waren das eigentlich eher. Aber um Unternehmensfragen habe ich nicht eine echte Diskussion, und ich bin jetzt zwanzig Jahre lang hier, nicht eine echte Diskussion mit meiner Familie gehabt!! Nach dem Motto, Ulf, du machst das schon. Und das ist okay. Und das hängt sicherlich damit zusammen, dass mein Vater mich ja quasi, klar der familienfremdbesetzte Aufsichtsrat hat gewählt, aber eigentlich haben die Väter beschlossen, die beiden müssen da rein.«

Eine besondere Form zeigt sich in Familien, die sich auch dann noch in Fragen der Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie stark auf familiale Logiken beziehen, wenn das Unternehmen schon eine gewisse Größe erreicht hat. Es handelt sich um eine Sonderform, die sonst eher in einer zweiten Generation zu finden ist: das selbstverständliche Hineinwachsen in operative Positionen – dieses stellt allerdings eine Form dar, die Seltenheitswert aufweist. Zitat: Das ist ein Automatismus gewesen »Ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit gewesen, die fast gar nicht diskutiert wurde. Ich glaube wirklich, dass das ganz selbstverständlich war, dass jetzt die Firma wächst, dass man sich gegenseitig braucht. Das sind bei uns auch alles Prozesse gewesen. […] Wir sind immer in einem sehr, sehr engen Kontakt miteinander gewesen, und sind es heute noch. So dass man nicht sagen kann: Das war der Tag, an dem sich das entschieden hat. Sondern man hat jeden Tag Umgang miteinander gepflegt. Man hat sich fast jedes Wochenende getroffen. Und durch diese Nähe zueinander ist das ein Automatismus gewesen. Ich glaube nicht, dass

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da irgendwann die Frage kam: ›Tu das jetzt!‹, sondern ich glaube, dass deutlich war, dass beide das Vermögen haben, dass beide das Potenzial haben, dies zu tun. Und dass dann gesagt worden ist: ›Kannst du dir vorstellen, die Niederlassung in X zu übernehmen?‹ – ›Jawohl, kann ich!‹ – ›Kannst du dir vorstellen, die Niederlassung in Y zu übernehmen?‹ – ›Jawohl, kann ich!‹ Und dann ging das los.«

6.4.2  Überführung von Entscheidungen in Gesprächsprozesse Bei dieser Form der paradoxiefreundlichen Entscheidungsfindung wird zwar die Entscheidung als solche klar markiert, sie wird vorher aber durch einen längeren Prozess gemeinsamen Sprechens legitimiert. Entscheidungen werden also in Gespräche überführt, die ausdauernd und vor allem frühzeitig auf verschiedenen Ebenen geführt werden. Dadurch, dass jeder das Bewusstsein hat, informiert zu sein und seine Meinung zu Gehör gebracht zu haben, steigt die Akzeptanz der Entscheidung. Die mit diesem Vorgehen verbundene Verzögerung kann sich somit letztlich durch eine verbesserte Nachhaltigkeit der Entscheidung auszahlen. Wichtige Entscheidungen werden also mit einer Art unverbindlichem Präkonsens vorbereitet (ähnlich hierzu Ammer, 2017, S. 229). Hier einige Zitate zu dieser Form der Entscheidungsfindung: Zitate: Superfrüh und Spätkonsens (verschiedene Unternehmen) »Ich glaube, dass einer unserer Erfolgsfaktoren ist, dass wir superfrüh anfangen zu reden und das auch einfordern, im Sinne von: ›Komm mir nicht mit einem fertigen Konzept!‹« »Man könnte fast sagen, man weiß gar nicht so richtig, wer auf welcher Seite steht. Sondern der Versuch war, Themen schon so frühzeitig auf den Tisch zu legen, bevor sie auch innerhalb der Unternehmensleitung, bevor sie da schon fertig entschieden sind […]. Man kann ja sagen: Ich habe es fertig entschieden, hier ist es, wollt ihr das? Dann kann man auch sagen: ›Ja oder nein‹. Oder man kann viel früher sagen: ›Nehmt uns da mit auf die Reise eurer Entscheidungen, also den wirklichen strategischen Weichenstellungen. Das werden wir jeweils am Ende gemeinsam entscheiden müssen, dass wir auch Teil der Lösungsfindung waren.‹« »Also wir haben oftmals eine gute Erfahrung damit gemacht, sehr frühzeitig an die Dinge ranzugehen. Und wenn man schon am Horizont weiß, da ist ein Datum oder ein Punkt, wo man sich für irgendwas entscheiden muss, haben wir

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sehr früh angefangen zu diskutieren. Das haben wir beim letzten XY-Vertrag so gemacht, mehrere Jahre vorher war der fertig, bevor er hätte fertig sein müssen. Und so, würde ich sagen, haben wir auch bei der Frage, wer wird eigentlich die Nachfolge von Stephanie antreten, innerhalb der Familie ganz früh angefangen, darüber zu diskutieren.« »Er [das Familienoberhaupt] hat mit 80 %, vielleicht 85 % aller Familienmitglieder gesprochen. Das ist eine Herkulesaufgabe.«

Gelegentlich wurde uns berichtet, dass Entscheidungen, bei denen es um die Auswahl einer spezifischen hochrangigen Position aus dem Familienkreis ging, für die verschiedene Personen bereitstanden, nicht nur sehr langfristig über Gespräche vorbereitet wurden, sondern durch ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen und Aktivitäten. Diese umfassten die Gruppe möglichst aller Mitglieder, die potenziell in Frage gekommen wären. Die dann getroffene Entscheidung erscheint so als das Ergebnis eines besonders sorgfältig, zum Teil jahrelang vorbereiteten Konsenses. Der folgende Interviewauszug zeigt, als wie sorgfältig und gesichtswahrend diese Prozedur erlebt wurde, in der der Interviewpartner am Ende derjenige war, der nicht gewählt wurde. Zitat: Ein Aquarium an Nachfolgern »und dann haben wir einen Diskussionskreis gegründet, der wurde eigentlich auf Vorschlag eines Onkels gegründet, der sich einen anderen Onkel von mir noch zur Hilfe genommen hat, der dann dreimal im Jahr Tagungen organisiert hat für diesen Kreis. ›Ein Diskussionskreis‹, haben wir immer gesagt, ›das ist wie ein Aquarium an potenziellen Nachfolgern für unsere GmbH‹. Wir fanden aber den Prozess extrem wichtig, weil er sozusagen uns auch als Team zusammengeschweißt hat. Also, wir haben manchmal Präsentationen gehabt über unterschiedliche Dinge oder Debattierklubs, wo wir Debatten gegeneinander geführt haben, aber wir haben auch mal zusammen Outdoor-Aktivitäten gemacht und Teambuilding-Übungen. Abgesehen davon, wer jetzt da Nachfolger würde oder nicht, war es schon wichtig. Das war eine Reihe von Mitgliedern, die so zwischen dreißig und vierzig Jahren waren, die wirklich zusammengeschweißt wurden. Und diesen Diskussionskreis haben eben ein Onkel und ein anderer Onkel, der diesen Gesprächskreis geführt und moderiert hat, genau beobachtet und konnten mal die Mitglieder ein bisschen besser kennenlernen. Wir konnten uns untereinander auch besser kennenlernen. Manchmal hat man nur noch im Gedächtnis, wie

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einer einem die Schaufel aus dem Sandkasten geklaut hat, aber hat gar nicht mehr verfolgt, wie er sich weiterentwickelt hat die nächsten zwanzig Jahre. Also das war eine wirklich interessante Erfahrung, und in diesem Zusammenhang hat es sich am Schluss rauskristallisiert, dass es zwei potenzielle Nachfolger gibt!« An anderer Stelle wird in diesem Interview gesagt, dass dieser gesamte Prozess mehrere Jahre vor der eigentlichen Entscheidung begonnen wurde.

Das Zitat ist insofern interessant, als die Gründung des Gesprächskreises mit einer spezifischen Beschreibung, einer Geschichte umschrieben wird, die diesem Kreis und seinen Mitgliedern eine besondere Bedeutung zuweist: Jeder ist hier wichtig! Der, der am Schluss vorn steht, kann gar nicht ohne den Rückhalt der anderen bestehen! Ein Interviewauszug mit einer anderen Person aus demselben Unternehmen beschreibt diesen Gesprächskreis wie folgt: Zitat: Nicht jeder kann die Nummer eins werden »Annette hat mal gesagt ›Es wird nachher irgendwie einer von euch werden, aber egal, wer das wird, der ist ja nie alleine, der wird das gar nicht alleine schaffen, der braucht immer einen Ring drum herum, Leute, mit denen er die Sachen, seine Ideen besprechen kann, wo er Vertrauen hat, wo er einen Stein im Brett hat!‹ […] dann gibt es immer noch einen erweiterten Kreis, mit dem man ja im ständigen, in der Diskussion ist: ›Wie siehst du das, wie siehst du das?‹ Der eine, dessen Herz schlägt mehr für Familie, der andere ist eben vielleicht mehr in Wirtschaftsthemen unterwegs, aber so war das eine aus diesen Gründen zusammengesetzte Gruppe, wo nicht jeder per se nachher Nummer eins werden konnte, aber so war es auch nicht angelegt. Es war wichtig, dass man diese Multiplikatoren auch in die Familie hinein mit dabei hat. Dann haben wir uns drei Jahre, glaube ich, in dieser Konstellation regelmäßig getroffen, auch mal eine Reise zusammen gemacht […]. Und das war wirklich ein Prozess, der uns alle sehr zusammengeschweißt hat und sehr nahegebracht hat. Da ist dann ein großes Vertrauen innerhalb der Gruppe gewachsen, so dass man nachher wirklich gesagt hat: ›Es kann der werden, es kann der werden, und da war Einigkeit, wir unterstützen das, wer auch immer es wird!‹ […] Ich bin es jetzt nachher geworden und das war sehr wichtig, dass man nach dem Prozess in einer arbeitsfähigen Situation sich befindet, dass da keiner verletzt rausgeht, dass alle sagen: ›Ja, der Prozess war in Ordnung, das Ergebnis ist auch in Ordnung!‹«

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Genau diese letzten Worte scheinen uns entscheidend: »Der Prozess war in Ordnung, das Ergebnis ist auch in Ordnung!« Die Kippfigur funktioniert hier ausgezeichnet: Jeder der Betroffenen erlebt sich als wichtig und gesehen (Familienlogik) und zugleich kann die Unternehmerfamilie als solche trotzdem zu einer Entscheidung kommen. 6.4.3  Metakomplementarität Eine besonders interessante Variante begegnete uns in einer anderen Familie. Hier ging es darum, dass zwei Kandidaten von der Familie gleichermaßen als geeignet für den Vorsitz des Familienrates des Unternehmens angesehen wurden. Einer der beiden wurde zwar bevorzugt, doch wollte aus der Familie heraus niemand die Entscheidung treffen und vertreten. Stattdessen wurde der Bevorzugte angesprochen, er solle das mit seinem potenziellen Mitkandidaten regeln. Zitat: Wer wird es dann? »und dann war die Frage: Wer wird es denn? Und wir waren zu siebt in dieser Generation, davon schieden, weil sie kein Interesse hatten oder gar nicht hier waren, fünf aus. Dann waren noch zwei. Und mein Vetter […] kannte das Unternehmen gut, wollte es auch gerne werden, aber es gab ein Problem. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den anderen Vorstandsmitgliedern, die war nicht … nicht so toll, sag ich mal. Und die Vorstandsmitglieder hatten etwas Sorge, ob das gut geht. Dann kam der CEO zu mir und sagte: ›Hör mal, du musst das machen!‹ – ›Nee, ich mach das nicht, das macht der Peter!‹ ›Nein‹, sagt er, ›du musst mit ihm sprechen, dass du es machst und nicht er!‹ Ja, so war er, der CEO. Das war natürlich etwas schwierig, aber ich kann Ihnen sagen, wir sind dreimal drei bis vier Stunden durch den Wald spazieren gegangen, wir kannten uns ja sehr gut, wir schätzten uns auch beide. Und … ich dachte immer, ich werde ihm nicht sagen, dass er es nicht macht. Entweder er sagt, du machst es, oder er macht es, dann mach ich es nicht. Und nach dem dritten Spaziergang sagte er: ›Ich hab alles kapiert!‹ Und jetzt kommt es: ›Du machst es! Und ich werde 100 % hinter dir stehen!‹ Das war entscheidend. Ich hab es dann gemacht und er hat immer hinter mir gestanden, auch wenn es mal richtig rappelte. Also das war wirklich, wirklich, wirklich toll.«

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Das, was hier, sicher unterstützt durch die vertrauensvolle Beziehung der beiden potenziellen Kandidaten, möglich wurde, wird als Metakomplementarität bezeichnet, ein von Jay Haley geprägter Begriff (Watzlawick et al., 1969): Der Unterlegene spricht dem Überlegenen aktiv die Überlegenheit zu. Er ist sozusagen der unterlegene Überlegene. Dadurch wird es ihm möglich, sein Gesicht zu wahren und in einer ehrenwerten Position zu bleiben – und das, es soll immer wieder betont werden, ist für Familienmitglieder in Beziehung zu ihrer Familie bedeutsamer als Macht und Geld. 6.4.4  Externalisierung: Familie entscheidet nicht über Familie Eine vor allem in großen Unternehmen praktizierte Variante ist die Verlagerung der Entscheidung nach außen: Alle potenziellen Kandidaten werden mit einem objektiven Verfahren prinzipiell gleichbehandelt (meist durchlaufen sie ein Assessment-Center, danach entscheidet der Beirat). Ein Prinzip hat sich hier bewährt: Familie entscheidet nicht (oder zumindest nicht allein) über Familie. Dieses Prinzip gewährleistet die notwendige Legitimität für die mit Personalentscheidungen verbundenen Aktionen von Eingrenzung und Aus- bzw. Abgrenzung. Innerfamiliär kann nicht mehr auf eine oder einen zugerechnet werden, die oder der aus welchen unterstellten Motiven auch immer (»noch nie leiden mögen«, »Lieblingskind«, »eigenen Stamm bevorzugt« usw.) willkürlich entscheidet. Vielmehr gibt es ein klar nachvollziehbares Verfahren, so objektiv wie möglich. Interessanterweise ist das Verfahren nicht gekoppelt an Regeln wie: »bei gleicher Qualifikation wird das Familienmitglied bevorzugt«. Eine solche Formulierung taucht manchmal in Familienverfassungen auf. Doch eine solche Qualifikation ist letztlich nicht objektivierbar. Bei den meisten Unternehmen unseres Projekts gilt für das Thema familieninterner Besetzung operativer Positionen, dass es keinerlei Familienbonus gibt und die Entscheidung ohne Ansehen der Familie fällt. Denn es soll das bestmögliche Management das Unternehmen führen.

6.5  Wahl nach Köpfen oder Anteilen? Eine wesentliche Frage für die Wahrung des Gesichts ist verbunden mit dem Gewicht der eigenen Stimme in der Gesellschafterversammlung. Hier kann man immer wieder auf ein spezielles Dilemma stoßen, das oben bereits erwähnt wurde: In der Gesellschafterversammlung sitzen zunächst einmal Familienmitglieder als solche. Da sitzt eine Person, sie hat einen Namen, ist körperlich

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anwesend und beansprucht Gehör, um ihre Gedanken auszusprechen. Zugleich sitzt sie im Gesellschafterkreis als Anteilseigner – und die Größe der Anteile differiert zumindest bei einem langfristig über Generationen hinweg gewachsenen Gesellschafterkreis oft erheblich. Und hier kann das Dilemma beginnen, mit dem die Kippfigur umgehen muss: • »Warum soll ich, der ich 15 % der Anteile besitze, meiner Kusine, die nur 3 % besitzt, das gleiche Rederecht oder gar das gleiche Recht auf Entscheidung zubilligen?« • »Warum soll ich nicht das Recht haben, das Geschick des Unternehmens mit zu bestimmen, auch wenn ich nur einen kleinen Anteil habe? Ich bin ich und es wird doch immer gesagt, dass die Familie als Ganzes wichtig für das Unternehmen ist!« Wahlprozeduren für Gremien können nun nach verschiedenen Prinzipien erfolgen: • Es kann nach Köpfen gewählt werden, wie es meist geschieht, wenn etwa ein vom Erbe her zu gleichen Anteilen aufgeteilter Geschwisterkreis entscheidet. Gewisse Differenzen werden dabei manchmal noch toleriert. • Es wird nach Anteilen gewählt, was bei explizit gesellschaftsrechtlichen Fragen unvermeidbar ist. • Kompliziert werden kann dies noch durch mögliche Stammesbildungen innerhalb der Familie: Innerhalb der Stämme wird dann eventuell nach Köpfen entschieden, um die Position des Stammes festzulegen. Zwischen den Stämmen entscheidet dann die Anteilshöhe. Welche Prozedur auch gewählt wird, sobald die Anteile unterschiedlich auf die Köpfe verteilt sind, wird sich ein Gefühl von: »Das ist nicht ganz fair«, breit machen – es handelt sich eben um zwei verschiedene Gerechtigkeitslogiken. Diese Dilemmata können sehr unterschiedlich bearbeitet werden. Formal korrekt wäre es, klar und eindeutig nach Anteilen wählen zu lassen, doch formal »is not the family way«. Darauf zu beharren, kann Mitglieder mit vergleichsweise kleinen Anteilen demotivieren und sie resignieren lassen. Diesbezüglich konnten wir verschiedene Wege beobachten: • Eine Reihe von Unternehmen hat zwei Gremien gebildet und für beide unterschiedliche Wahlverfahren festgelegt: Der Beirat kooperiert eng mit der Unternehmensführung, der Familienrat kümmert sich um die Belange der Familie. Das Besondere: In den Beirat werden Mitglieder nach Anteilen gewählt, in den Familienrat nach Köpfen. • Ein anderes Unternehmen macht zur Voraussetzung, dass ein Kandidat für ein Gremium im Vorhinein mehr als 50 % der Familienmitglieder (unabhängig von Stammeszugehörigkeiten oder Anteilen) auf sich vereinigt. Damit

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ist sichergestellt, dass die Wahl auf einem breiten Konsens der Familie als Familie beruht. Der Vertreter versteht sich dann nicht als Vertreter bestimmter Gruppierungen oder bestimmter Anteilseigner. Zumindest theoretisch könnte allerdings so eine zahlenmäßig große Gruppe kleiner Anteilseigner eine kleine Gruppe großer Anteilseigner dominieren. • In einem Unternehmen wurde folgende Prozedur gewählt: Vor einer Wahl zu einem Gremium werden Vorschläge gemacht (man kann sich auch selbst vorschlagen). Diese gehen an ein externes Mitglied des Beirates. Nachdem dieses die Vorschlagsliste vollständig vorliegen hat, führt es eine informelle Probeabstimmung im Familienkreis durch. Es befragt also alle Familienmitglieder, ob sie gegebenenfalls für den Vorschlag stimmen würden. Das Ergebnis prüft er hinsichtlich des Rückhalts eines Kandidaten nach Köpfen und nach Anteilen. Nur wenn ein Kandidat hinsichtlich beider Kriterien mehrheitsfähig ist, darf er kandidieren. Die Wahl selbst erfolgt dann nach Köpfen, aber es ist gesichert, dass der Betreffende nicht gegen eine Mehrheit der Anteilseigner antritt. In Unternehmerfamilien, die nach Stämmen organisiert sind (oder auch wenn sie gerade dabei sind, das Prinzip aufzubrechen), kann bei einer allgemeinen Wahl eine Sorge um einen möglichen Minderheitenschutz aufkommen. Die Befürchtung ist dann, von einer Gruppierung in der größer werdenden Familie überrollt zu werden. War beispielsweise lange die Regel, dass jeder Stamm einen Vertreter in ein Gremium entsendet, kann es nun die Sorge eines kleinen Stammes sein, kein Gehör mehr zu finden, wenn die Wahl ganz offen ist. Ein Argument könnte sein, dass es auch in einer Aktiengesellschaft die Regel gibt, dass ab 12,5 % gebündelter Anteile ein Vertreter in den Beirat entsandt wird. Doch dieses Prinzip würde letztlich bedeuten, das Stammesprinzip doch wieder festzulegen. Wie können also die Stimmen von Personen oder Gruppen, die sich überrollt fühlen, hörbar gemacht werden? Ein interessantes Beispiel einer paradoxiefreundlichen Lösung fand eine Familie: Ein Familienrat hat fünf Sitze, es wird aber ein sechster freier Stuhl eingerichtet, auf den jeder Gesellschafter das Recht hat, für einen ihm/ihr persönlich wichtigen Tagesordnungspunkt als Gast an der Ratssitzung teilzunehmen oder einen eigenen Tagesordnungspunkt einzubringen.

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6.6  Vier übergeordnete Legitimationsmuster Das Thema Legitimation geht nach unseren Beobachtungen über die notwendige Regelung von Verfahren, die als gerecht erfahren werden, hinaus. Erhöhen wir die Abstraktionsebene, so lässt sich anhand der Frage, wer letztlich legitimiert ist, Entscheidungen zu treffen, eine interessante Differenzierung vornehmen. Wir finden vier Legitimationsmuster, in denen Unternehmerfamilie vom Typ her zu unterscheiden sind.18 Für eine solche Spezifizierung von Legitimationsmustern greifen wir auf ein Schema zurück, das von Nagel und Wimmer (2014) ursprünglich für die Strategieentwicklung in Unternehmen entworfen und genutzt wurde. Die Autoren unterscheiden vier Spielarten der Strategieentwicklung (S. 27), je nachdem, ob die Strategie intuitiv (meist durch eine charismatische Einzelperson), expertenorientiert (also etwa durch eine externe Beratungsfirma), evolutionär (also zwar unternehmensintern, aber eher zufällig, von unten) oder systemisch (als integrierte Kernaufgabe des Managementteams) verstanden wird. Sie orientieren sich dabei jeweils an der Frage, ob die Strategieentwicklung einerseits implizit oder explizit verläuft und anderseits entweder außerhalb oder innerhalb einer Organisation verortet ist. So ergibt sich bei Nagel und Wimmer eine Kreuztabelle für die Strategieentwicklung. Diese Tabelle soll hier analog auf Unternehmerfamilien angewendet werden (siehe Tabelle 3). Tabelle 3: Orte und Formen der Familienstrategieentwicklung (angelehnt an Nagel u. Wimmer, 2014, S. 27) Ort der FamilienstrategieEntwicklung

Formen der Entscheidungsfindung implizit

explizit

Außerhalb der Unternehmerfamilie, als »Vorgabe« für die Gesellschafter

???

???

Innerhalb der Unternehmerfamilie, als Leistung der Gesellschafter

???

???

Die Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Entscheidungsfindung ist von besonderer Bedeutung. Implizite Entscheidungsprozesse sind typisch Familie. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht als bewusste Entscheidungen deklariert sind, in denen man aus Alternativen auswählt. Stattdessen 18 Dieser Abschnitt basiert auf Überlegungen von Groth (2015).

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wird so gehandelt, wie man handelt: Allen ist von Vornherein klar, dass der älteste männliche Nachfahre zum Nachfolger erkoren wird, dass nichttätige Gesellschafter sich in Unternehmensfragen zurückzuhalten haben oder wie die Gesellschafterversammlung und wie ein Familientreffen abläuft. Implizite Entscheidungsprozesse prägen im Großen wie im Kleinen die Familienstrategie. Gerade in langjährig eingespielten, immer gleichen Personenkreisen, wie man sie typischerweise in Familien vorfindet, kommt es zur Ausbildung solcher impliziter Kommunikations- und Entscheidungsformen. Die besonderen Stärken solcher Muster sind auch die Stärken, die Familienunternehmen allgemein zugeschrieben werden: Man ist sich schnell einig, es gibt kaum Diskussionsbedarf, Entscheidungen werden schnell getroffen, Konflikte treten nicht auf bzw. nicht offen zutage. Der Nachteil der impliziten Muster liegt darin, dass es kaum möglich ist, sie zu ändern. Prozesse, die nicht als bewusste Entscheidungen deklariert sind, lassen sich schwerlich anders entscheiden. Ganz anders ist es um explizite Entscheidungsfindungsprozesse bestellt. Bei ihnen werden Alternativen benannt, diskutiert und auch bewusst gewählt bzw. abgewählt. Implizite Formen der Entscheidungsfindung sind vom Prinzip her schneller, reibungsloser, eleganter. Sie bedürfen, so lange sie als passend erlebt werden, kaum besonderer Legitimation. Explizite Formen dagegen sind aufwändig in ihrer Herleitung, denn sie führen mögliche andere, ebenfalls wählbare Alternativen mit. Hierin liegt auch ihre Lernfähigkeit. Denn die Entscheidungslage wird beobachtet und reflektiert. Die von uns untersuchten Unternehmerfamilien haben sich allesamt auf den Weg gemacht, sich stärker auf explizite Formen der Familienstrategieentwicklung zu beziehen. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Differenz außerhalb/innerhalb der Unternehmerfamilie. Diese Unterteilung mag überraschen, hängt jedoch eng mit unseren Theoriegrundlagen zusammen. In Teil III »Wittener Theorie der Unternehmerfamilie« haben wir soziale Systeme als Kommunikationssysteme beschrieben. Die Psychen der Einzelpersonen sind so gesehen Umwelt des Kommunikationssystems (eine der wichtigen Grundannahmen der Theorie sozialer Systeme, siehe Luhmann, 1984, 2000b). Die Unterscheidung Kommunikation/ Psyche erlaubt es, die Frage zu stellen, ob eine Entscheidung zum Gegenstand der Kommunikation innerhalb der Unternehmerfamilie oder außerhalb der Familie wird, indem sie zum Beispiel in der Psyche einer Person oder in einem externen Gremium getroffen wird. Die Fragezeichen aus Tabelle 3 lassen sich unter diesen theoretischen Vorannahmen und Vorüberlegungen wie in Tabelle 4 ausgeführt ausfüllen.

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Tabelle 4: Vier Formen der Entscheidungsfindung Ort der FamilienstrategieEntwicklung

Formen der Entscheidungsfindung implizit

explizit

Außerhalb der Unternehmerfamilie, als Vorgabe für die Gesellschafter

Intuitiv/patriarchal: Eher an ­(Einzel-)Personen orientierte Entscheidungs­prozesse

Experten-orientiert: Eher an (externem) Experten­wissen orientierte Entscheidungsprozesse

Innerhalb der Unternehmerfamilie, als Leistung der Gesellschafter

Situativ/evolutionär: Eher an ­bewährter Praxis orientierte Entscheidungs­prozesse

Familienstrategisch: Eher an (intelligenten) Verfahren orientierte Entscheidungsprozesse

Es lassen sich mit Hilfe der Kreuztabelle idealtypisch vier Typen von Unternehmerfamilien hinsichtlich der Art ihrer Familienstrategie unterscheiden: Wir nennen diese wie folgt: 1. Intuitiv/patriarchal: Eine Person trifft eher intuitiv Entscheidungen für Familie und Unternehmen. 2. Expertenorientiert: Ein (externes) Gremium trifft explizit die relevanten Entscheidungen. 3. Situativ/evolutionär: Die Unternehmerfamilie trifft eher nach impliziten Vorgaben die Entscheidungen. 4. Familienstrategisch: Die Unternehmerfamilie trifft Entscheidungen anhand expliziter Prozesse und Prämissen. Hierzu einige ausführlichere Überlegungen: 1. Der intuitiv-patriarchale Typ In diesem Muster werden die relevanten familienstrategischen Entscheidungen zumeist von einer Person getroffen. Dies muss keineswegs bedeuten, dass man es mit einem Alleinunternehmer oder nur wenigen Gesellschaftern zu tun hat. Intuitiv-patriarchale Entscheidungsmuster lassen sich auch in größeren Unternehmerfamilien beobachten. Charakteristisch ist, dass eine Person die Entscheidungen für alle weiteren trifft. Bauchentscheidungen bestimmen diesen Typus der Strategieentwicklung (Gigerenzer, 2008). Mögliche Konflikte trägt diese eine Person innerlich mit sich selbst aus (vgl. 7.1.1 »Die patriarchale Logik«). Was wie ein gesellschaftlich überkommenes Führungskonzept daherkommt, hat sich in vielen Unternehmerfamilien als brauchbare und recht stabile Lösung erwiesen, wenn man nur die Frage nach der Fähigkeit zum Paradoxiemanagement und zur Unsicherheitsabsorption stellt. Die Verschiebung von Entscheidungsprozessen in die Psyche einer Einzelperson kann durch-

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aus als eine der Besonderheiten gesehen werden, die Familienunternehmen so erfolgreich sein lassen. Eine Person kann die Widersprüche weit besser in eine Entscheidung überführen als ein großer Kreis an Gesellschaftern, in dem die Argumente zu hitzigen Diskussionen führen. Sie kann die weitreichenden Entscheidungen und deren Folgen oft gut überblicken und besitzt vielfach das Fingerspitzengefühl, in schwierigen Entscheidungskonflikten zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Über eine generalisierte Autoritätszuschreibung wird in diesem Typ die Legitimation von Entscheidungen hergestellt. So lange die Gesellschafter der (einen) Person vertrauen, müssen die Entscheidungen nicht extra legitimiert werden. Zugleich gibt es keinen Vorteil ohne mögliche Nachteile. Die bereits mehrfach erwähnte Lernfalle der eher passiven Restfamilie, die keine Erfahrung mit gemeinsam geteilter Entscheidungsverantwortung gesammelt hat, kann sich in Übergängen als Problem erweisen. In der Passivierung und auch im Entlernen des kollektiven Entscheidens liegt das große Risiko dieses Typs. Im Projekt sprach ein Interviewpartner, Repräsentant einer großen Unternehmerfamilie, von einer verlorenen Generation an Gesellschaftern, die unter dem Jahrzehnte hoch erfolgreich und autokratisch regierenden Patriarchen keine Gelegenheit bekommen habe, relevante Erfahrungen als Gesellschafter in Gremien oder im operativen Geschäft zu sammeln – im Gegenteil, zahlreiche vielversprechende Leistungsträger aus dem Familienkreis hätten unwiederbringlich dem Unternehmen den Rücken gekehrt. 2. Die Experten-orientierte Unternehmerfamilie Hier hat sich ein Muster ausgebildet, in dem relevante Entscheidungen von einem externen Gremium getroffen werden. Oftmals, aber keineswegs zwingend, findet sich ein solches Muster in der zeitlichen Folge nach einem Patriarchen. Manchmal ist es auch dieser, der einen Auftrag an eine Beratung erteilt: »Schreiben Sie mir mal eine Familienverfassung, ich lasse diese dann von der Familie unterschreiben und dann haben wir das Thema abgehakt!« Ist eine Familie über Jahrzehnte von einer Einzelperson geprägt worden, sind zumeist weder Entscheidungsstrukturen noch entsprechende Gesellschafterkompetenzen ausgebildet worden, so dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Diskussionen in der Familie nicht zu einer Entscheidung verdichtet werden können. Man dreht sich im Kreis, ist genervt von dem Gerede oder es kommt zum Ausbruch von Konflikten, die früher vom Patriarchen gedeckelt wurden. Naheliegend ist es deshalb, dass das Muster einer außenstehenden Entscheidungsinstanz beibehalten bleibt und man sich in Ermangelung familieninterner Ressourcen einem Berater(-gremium) unterwirft. Wesentliche familienstrate-

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gische Kompetenzen werden in diesem Muster typischerweise an einen Beirat delegiert. In jedem Fall ist die Folge, dass die Familie in der passiven Rolle verharrt. Zumeist wird es zunehmend schwieriger, die Gesellschafter für eine solche Form der Eigentümerschaft zu begeistern, so dass sich außer bei einem sehr guten Geschäftsverlauf mit hinreichend hohen, regelmäßigen Ausschüttungen die Sinnfrage stellt. Unternehmen dieses Typs fehlten nicht zufällig im Sample: Denn wer aus der Familie hätte hier die Notwendigkeit gesehen, Zeit für eine Forschungsprojekt zu investieren? Bei allen Nachteilen hat auch dieses Entscheidungsmuster seine Berechtigung. Es sichert die Entscheidungsfähigkeit und damit das Überleben des Unternehmens in Zeiten, in denen die Familie ihre Eigentümerfunktion – aus welchen Gründen auch immer – aktiv nicht oder nur bedingt ausfüllen kann. Erfolgsgarant in diesem Typ ist zum einen die Zusammensetzung des Expertengremiums, zum anderen die Integrität und Fähigkeit seiner Mitglieder, die Beiratsentscheidungen mit den Präferenzen der Familie zu koppeln. Langfristig sollte die Familie auf jeden Fall dafür Sorge tragen, auch weiterhin die unternehmerischen Belange begleiten zu können. Es braucht mehr als nur ein Minimum an Gesellschafterkompetenz, um die Entscheidungen des Beirats bewerten zu können und so auch in sachlicher Hinsicht ein Vertrauen in die Arbeit des Expertengremiums aufzubauen. 3. Die situativ-evolutionäre Unternehmerfamilie  ieser Typ ist stark von Traditionen geprägt. Der große Unterschied zu den D beiden vorgenannten Familientypen besteht darin, dass die Familie selbst der Ort der Entscheidungsfindung ist. Sie nimmt ihre Eigentümerfunktion wahr und trifft Entscheidungen, wie es der Name schon nahelegt: situationsbezogen unter Rückgriff auf bisher bewährte Prinzipien. Diese Fokussierung auf Vergangenheit führt zur Dominanz impliziter Entscheidungsformen. Letztlich wird hier durch die Verknüpfung aktueller Entscheidungen mit früheren, bewährten Entscheidungen Legitimation hergestellt. Familien dieses Typs blicken auf eine Historie früherer Entscheidungsprozesse zurück und haben daraus gelernt. Sie haben feste Prinzipien entwickelt, wie zu verfahren ist, und sind dadurch in der Lage, schnell zu entscheiden. Da der Deutungsrahmen abgesteckt ist, müssen jeweils nur noch situative Anpassungen vorgenommen werden. Viele Entscheidungen in der Gesellschafterversammlung sind im Prinzip schon im Vorhinein entschieden, da den meisten klar ist, wie zu entscheiden ist. Kritische Diskussionen kommen nicht auf. Dieser Typus kann seine Stärken in Zeiten kontinuierlicher Entwicklung ausspielen. Aus der historischen Bewältigung vieler wichtiger Richtungsent-

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scheidungen hat die Familie ein Selbstbewusstsein entwickelt, das ihr auch in der Gegenwart eine große, vor allem normative Stütze bei allen Entscheidungsanlässen ist. Zugleich bietet die Familie den Einzelgesellschaftern eine starke Identifikationschance. Die Kehrseite dieses Selbstbewusstseins ist, dass sich auch hier eine Lernfalle auftut: Wenn es notwendig wird, aufgrund zukünftiger Umwälzungen größere Veränderungen vorzunehmen, kann sich eine einmal erworbene, gelernte Stärke in ihr Gegenteil verkehren. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn Nachfolgemuster verändert werden müssen oder das Unternehmen nicht mehr mit seinen angestammten Produkten in einem bekannten Markt agieren kann. Hier besteht die Gefahr, dass im Gesellschafterkreis eine Mehrheit mit Verweis auf frühere Erfolge Veränderungsimpulse blockiert. Gerade weil die Familie nicht gelernt hat, das Bewährte kritisch zu hinterfragen, ist die Gefahr groß, dass sie durch frühere Erfolge bedroht ist (Risikofaktor Erfolg). 4. Das familienstrategische Muster Verknüpft mit dieser Bezeichnung ist ein Entscheidungsmuster, nach dem weitreichende Entscheidungen vor dem Hintergrund einer explizit-formulierten Familienstrategie getroffen werden. Unternehmerfamilien dieses Typs haben zumeist einen Prozess der bewussten Auseinandersetzung mit ihren bisherigen Prinzipien und Erfolgen, aber auch mit den zukünftig sich ergebenden Anpassungsbedarfen hinter sich. Viele Unternehmen, die wir erforscht haben, sind diesem Typ dominant zuzuordnen. Die Familien haben nicht nur Inhalte und Leitlinien definiert, sondern sind in ihrem Entscheiden auch durch Verfahren geprägt, die in der Lage sind, die vielen widersprüchlichen Erwartungen zu balancieren. Insofern dieser Typ sehr geprägt ist durch eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung, entwickelt sich im Idealfall eine Fähigkeit zur Beobachtung zweiter Ordnung: Die Familie entscheidet nicht nur die anliegenden Fragen, sie ist auch in der Lage, sich selbst beim Entscheiden zu beobachten, so dass sie permanent lernfähig bleibt:19 »Wer sich beobachtet, verändert sich« (ein ­Bonmot, das Alain, 1994, zugeschrieben wird). In der Aufreihung der vier Typen nimmt die familienstrategische Ausprägung sicherlich eine Sonderstellung ein. Sie wird vielfach auch als zukünftiges Erfolgsmodell gehandelt (mehr dazu im letzten Kapitel).

19 Nicht zufällig ist im Wittener Ansatz die Arbeit mit reflektierenden Teams bzw. reflektierenden Positionen essenzieller Bestandteil der Entwicklung einer Familienstrategie.

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Legitimation: Entscheide, ohne zu entscheiden!

Im familienstrategischen Prozess geht es auch darum, typische Lernfallen zu überwinden (siehe Tabelle 5): Tabelle 5: Typische Lernfallen Intuitiv/patriarchal:

Experten-orientiert:

Vergreisungsfalle

Verdummungsfalle

Situationsbezogen/evolutionär:

Familienstrategisch:

Kompetenzfalle

Ermüdungsfalle

• Einer Familie, die sich zu lange auf eine Einzelperson verlässt, droht die Vergreisungsfalle. Sie fährt lange Jahre gut damit, sich auf einen Alleinentscheider zu verlassen, der jedoch auch im hohen Alter von niemandem ersetzt werden kann. • Einer Familie, die sich auf ein externes Expertengremium verlässt, droht die Verdummungsfalle. Da das Gremium alle entscheidenden Fragen beantwortet, muss niemand in der Familie Gesellschafterkompetenzen aufbauen oder dafür sorgen, dass der größer werdende Gesellschafterkreis angebunden und entscheidungsfähig bleibt. • Einer Familie, die sich auf Traditionen verlässt, droht die Kompetenzfalle (vgl. March, 2016). Sie ist hauptsächlich gut und kompetent darin, Entscheidungen so zu treffen, wie es die Vorgänger praktiziert haben. Radikale Wechsel jedoch führen zu starken Irritationen bis hin zu Entscheidungsunfähigkeiten, da es keine Vorlage gibt. • Während in den vorherigen drei familienstrategischen Typen die Sorge für die Spannung zwischen Familien- und Unternehmenslogik an andere Instanzen delegiert werden kann (an einen Patriarchen, an ein externes Gremium oder in die Vergangenheit), muss die familienstrategisch agierende Familie ein großes zeitliches Investment erbringen und ihre eigene permanente Neuerfindung aushalten – mit dem Risiko einer Ermüdungsfalle. Bei allen Vorzügen der familienstrategischen Reflexion wäre es somit ein Trugschluss, von einer eindimensional positiven Bewertung auszugehen. Der Erfolg des familienstrategischen Typs hängt stark von der Einsicht in die Notwendigkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung ab, bis hin zur gemeinsamen und individuellen Fähigkeit zur Konfliktbewältigung.

7  Mentale Modelle bewusst handhaben

Dieses Kapitel fügt unseren Überlegungen eine Perspektive hinzu, die ursprünglich von einer spanischen Forschergruppe entwickelt wurde. In deren Ansatz werden unterschiedliche in den Familien vorherrschende Grundverständnisse von Unternehmertum und Unternehmensführung beschrieben. Die Frage, wie die Unternehmerfamilie sich selbst und ihr Verhältnis zum Unternehmen versteht, wird als Mentales Modell bezeichnet. Solche Modelle haben weitreichende Auswirkungen auf die Führung des Unternehmens und die Organisation der Unternehmerfamilie. Vier mentale Modelle werden hier vorgestellt, wobei unsere besondere Aufmerksamkeit der postpatriarchalen Phase gilt. Zudem steht der Wechsel des Selbstverständnisses als Unternehmerfamilie über den Zeitverlauf im Fokus. Hier geht es zumeist um den Wechsel von einem personenorientierten zu einem verfahrensorientierten Prinzip der Entscheidungsfindung. Insgesamt kann man sagen, der Übergang von einem Mentalen Modell in ein anderes ist für die Unternehmerfamilie als Kippfigur jeweils eine besondere familienstrategische Herausforderung.

7.1 Vier Arten, die Beziehung zwischen Unternehmen und Familie zu denken In ihren Forschungen stieß die Gruppe um den spanischen Familienunternehmensforscher Alberto Gimeno in Barcelona immer wieder auf ein interessantes Phänomen: Familienunternehmen, die von der Größe, der Branche, dem Alter her ganz ähnlich waren, und Unternehmerfamilien, die ebenfalls von der Zahl der Mitglieder, der Generation, in der das Unternehmen in Familienhand war, ähnlich waren, wiesen fundamentale Unterschiede auf. Die entwickelte Steuerungs- oder Führungsstruktur oder die etablierte Governance des Unter-

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nehmens und die Form der Entscheidungsfindung waren in vergleich­baren Unternehmen und in vieler Hinsicht ähnlichen Familien sehr unterschiedlich (Gimeno, Baulenas u. Coma-Cros, 2010; Rüsen, von Schlippe u. Gimeno, 2012; Rüsen u. von Schlippe, 2012). In einigen Unternehmen war die Organisation mehr oder weniger ausschließlich auf eine oder einige wenige Personen zugeschnitten. Die Gesellschafter vertrauten dem geschäftsführenden Familienmitglied oft völlig, die Strategie wurde von dieser Person bestimmt, oft intuitiv (Nagel u. Wimmer, 2014). Es gab selten Kontroll- bzw. Beratungsgremien, Formen einer ausbalancierten Machtverteilung waren nicht vorhanden. In anderen Fällen gab es Familienunternehmen, die völlig anders aufgestellt waren, wohlgemerkt, von den allgemeinen Merkmalen unterschieden sich die Unternehmen und Familien nicht groß voneinander. So kontrollierte etwa eine Gruppe von Geschwistern das Unternehmen oder es war ein externes Management eingekauft worden, mehr oder weniger aufwändige Kontrollprozesse waren installiert, oft waren Beiratsstrukturen eingerichtet, mit einer mehr oder weniger großen Bandbreite von delegierten Kompetenzen und Befugnissen. Wie lassen sich die großen Unterschiede, wie Unternehmensführung und die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen gedacht werden, erklären? Wo genau wird die unternehmerische Aufgabe der Gesellschafterfamilie verortet, welche Erwartungen hat die Familie des Familienunternehmens an sich selbst und in Bezug auf das Unternehmen? In welcher Form stellen die etablierten Strukturen eine sichtbare Ausprägungsform der impliziten Familienstrategie der Unternehmerfamilie dar? Gimeno, Baulenas und Coma-Cros (2010) kamen auf die Idee, dass das jeweilige Mentale Modell, auf das sich die Gesellschafterfamilie (meist unbewusst) geeinigt hat, mit diesen Unterschieden zu tun hat. Vier grundverschiedene Modelle sind zu unterscheiden: • Die patriarchale Logik, nach der eine Person an der Spitze von Unternehmen und Familie zu stehen hat, • die Logik der operativ tätigen Familie, nach der das Unternehmen unbedingt von Familienmitgliedern zu führen ist, • die Logik der aktiven Eigentümerfamilie, nach der eine Familie sich auf die Eigentümerfunktion zu fokussieren hat, • die Logik der Investorenfamilie, nach der es hauptsächlich um das professionelle Management geht. Auf die Besonderheiten dieser vier Logiken wird unten noch ausführlich eingegangen, zuvor noch eine paar Bemerkungen zur Wirkungsweise von Mentalen Modellen: Ein Mentales Modell kann als ein grundlegendes Bild gesehen werden, das eine Person von der Wirklichkeit hat. Es handelt sich um ein System

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von Überzeugungen darüber, wie die Welt beschaffen ist und welchen Platz die Person selbst darin hat (etwa Seel, 1991). Das ist etwas missverständlich, denn eine Einzelperson hat nicht ein fertiges Bild im Kopf. Es charakterisiert eher eine Gruppe von Personen: Man kann sagen, es befindet sich eher zwischen den Menschen. Gerade in Familienverbünden, die über einen langen Zeitraum sehr eng miteinander zu tun haben, entsteht ein (natürlich mehr oder weniger konsistentes und vielfältig differenziertes) gemeinsames Mentales Modell. Darum spricht man in Erweiterung eines individuellen Konzepts auch von »shared mental models« (Denzau u. North, 1994). Im Kontext von Familienunternehmen geht es dabei um das kommunizierte, erlebte und vorgelebte Selbstverständnis als Gesellschafterfamilie. Das Mentale Modell vereinfacht die komplexen, familienstrategischen Sachverhalte, mit denen sich eine Familie beschäftigen muss. Es dient für die Mitglieder als zentraler »Sinnattraktor« (Kriz, 2006), also als wesentliche Denklogik, mit der die unternehmerische Wirklichkeit betrachtet wird. Konkret handelt es sich um unhinterfragt-vereinfachende, wertgeladene Richtigkeitsvorstellungen der Gesellschafterfamilie. Diese beziehen sich unter anderem auf: • die eine gute (oder richtige) Art der Unternehmensführung und -kontrolle, • die Rolle der Familie und ihrer Mitglieder im Unternehmen, • einen sinnvollen Einsatz des Familienvermögens, • das angemessene Verhalten gegenüber den Mitgliedern aus der Gesellschafterfamilie, • die Frage, wie man Nachfolger richtig erzieht. Einmal in ein Mentales Modell verdichtet, handelt es sich bei diesen Vorgaben jedoch nicht einfach um Entscheidungshilfen (vgl. Erdmann, 2010). Vielmehr werden die Vorgaben als Bestandteil der eigenen Identität behandelt, was erklärt, warum die Modelle energisch verteidigt und nur selten aktiv in Frage gestellt werden: Es kann und darf nur so und nicht anders sein! Das Mentale Modell legt fest, wie die Führung des Unternehmens zu sein hat. Äußere Anstöße, die zeigen, dass es so nicht mehr geht wie bisher, erschüttern die Akteure daher oft sehr tief, etwa im Rahmen von Generationenübergängen. Wenn ein patriarchales Mentales Modell in Frage steht, weil kein entsprechend agierender Nachfolger bereitsteht, geht das oft mit Gefühlen von Verzweiflung und Ratlosigkeit einher: Es muss doch den einen an der Spitze geben, sonst kann der Laden nicht laufen! Vielleicht ist das mit ein Grund für das vielfach beklagte Nicht-Loslassen des Patriarchen: In seinem Mentalen Modell gibt es nur diese eine Form (und meist wird diese Überzeugung, wie gesagt, auch von der Umgebung geteilt). Bis sich neue Strukturen entwickelt haben, erleben die Akteure starke Verunsicherung. Das Mentale Modell ist eben nicht nur ein

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Programm in einem Kopf, sondern es befindet sich sozusagen zwischen den Menschen, ist in der Kommunikation verankert. Es verändert sich langsam, in unzähligen Gesprächen, Diskussionen, bis eine neue Struktur gefunden wird. Das Familienunternehmen folgt in seinen Führungsstrukturen dem Mentalen Modell der Gesellschafterfamilie. Das heißt, die Strukturen werden um das jeweilige Modell herumgebaut. Wenn die Idee dominiert, dass gute Unternehmensführung nur dann gegeben ist, wenn einer das Sagen hat, entsteht eine ganz andere Organisation, als wenn sich die Vorstellung durchgesetzt hat, dass die besten Leistungen von einer Gemeinschaft, einem Team erbracht werden. Auch die später skizzierten typischen Verhaltensweisen von Akteuren aus Unternehmerfamilien im Prozess einer Familienstrategieentwicklung bzw. die am Ende gefundene Ausprägungsform einer »Family Governance« lassen sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Mentalen Modelle verstehen. In der Generationenfolge kommt es zu typischen Veränderungsnotwendigkeiten der Mentalen Modelle, obgleich die vier Modelle in ihrer Abfolge keine Entwicklungsdynamik vorgeben. Es ist an dieser Stelle auch wichtig zu betonen, dass keines der im Folgenden beschriebenen Modelle besser oder schlechter ist. Jedes hat seine Stärken und seine spezifischen Risiken, die man kennen sollte. Welches Mentale Modell in einer Unternehmerfamilie entsteht und über einen Zeitraum dominiert, ist davon abhängig, in welcher Form die handelnden Akteure ihre Vorstellungen gleichartig gestalten und aufeinander abstimmen. Die Diskussion über Governance-Strukturen ist notwendigerweise konflikthaft. Selten gibt es ein eindeutiges Richtig oder Falsch. Chronische Konflikte in Unternehmerfamilien könnten von unterschiedlichen, unterschwellig wirkenden Mentalen Modellen herrühren. Der Sachkonflikt spiegelt sich also in den Mentalen Modellen und umgekehrt. Unterschiedliche Mentale Modelle befeuern Konflikte in Einzelfragen. Mentale Modelle sind, dies zum Abschluss unserer Vorüberlegungen, kompakte Vorstellungen von einer richtigen Auslegung der Familienstrategie. Sie führen im Hintergrund Regie und dienen neben Ideen zur verdoppelten Familie und zum notwendigen Paradoxiemanagement als ein weiteres Konstrukt, mit dem man das Geschehen in Unternehmerfamilien erklären und in diesem Fall auch klassifizieren kann. Wie schon angekündigt, sollen im Folgenden vier typische Mentale Modelle von großen Unternehmerfamilien vorgestellt werden.20 20 Die folgenden Ausführungen basieren auf den Arbeiten von Alberto Gimeno et al. Bei Gimeno et al. (2010) werden für geringer-komplexe Unternehmensformen noch zwei weitere Formen beschrieben, der Kapitän und das Familien-Team. Auf diese Formen, die sich meist auf sehr kleine Unternehmen (in der Regel Handwerks- und Gastronomiebetriebe) beziehen, wird in den folgenden Ausführungen nicht weiter eingegangen.

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IV  Familienstrategische Kernfragen

7.1.1 Die patriarchale Logik

Abbildung 10: Die patriarchale Logik (© Björn von Schlippe)

»Wenn ich will, dass das Wasser den Berg hinauffließt, dann fließt es den Berg hinauf!« »Einen Beirat installieren? Sie sind wohl verrückt. Zwischen mir als Geschäftsführer und Gott ist nur der Himmel und das soll auch so bleiben!«21

Das Mentale Modell, das auf eine Person ausgelegt ist (siehe Abbildung 10), aber meist von der ganzen Familie geteilt wird, lässt sich am besten wie folgt beschreiben: Einer muss es machen, der Patriarch ist der Anführer von Firma und Familie, Firma und Familie bestehen aus einem Kopf mit vielen helfenden Armen. Ein derartiges Denkmodell lässt sich typischerweise in Gründerunternehmen finden. Unabhängig von der Größe des Unternehmens ist die gesamte Organisationsstruktur auf die Person des Gründers, den Patriarchen, ausgerichtet.22 Viele der bekannten deutschen, auf dem Weltmarkt führenden Unternehmen wurden und werden bis heute von solchen Unternehmerpersönlichkeiten getragen und dabei von Prämissen geleitet, die in dieses Mentale Modell einzuordnen sind. Dabei sind oft Organisations- und Entscheidungsstrukturen entstanden, die durch eine starke Zentrierung auf diese eine Figur hin geprägt sind: Entscheidungen werden personenorientiert gefällt, die mit der Entscheidung verbundene Unsicherheit wird an die Person des Patriarchen abgegeben. Die 21 Diese, wie auch die Aussagen unter den späteren Karikaturen sind von uns verbürgt, entstammen allerdings nicht alle dem FüG-Projekt. 22 Interessanterweise sind die im Folgenden beschriebenen Strukturmuster auch bei starken, allein führenden weiblichen Unternehmerpersönlichkeiten anzutreffen. Die matriarchale Logik unterscheidet sich zumindest, was das Führungsverständnis anbetrifft, nicht von der patriarchalen.

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Unsicherheitsabsorption (ein klassischer Begriff, siehe March u. Simon, 1958, S. 165 f.; siehe auch Luhmann, 2000, S. 167 f.) erfolgt also nicht verfahrensorientiert, zum Beispiel durch Kommunikation (wie etwa in Leitungsteams, dazu mehr im Abschnitt 7.3), sondern zum einen innerpsychisch: in der Psyche des Patriarchen. Er ist es, der, nachdem er drei Nächte schlecht schlafen konnte, vor die Belegschaft tritt und seine Entscheidung verkündet. Zum anderen findet sie über die Person des Patriarchen statt. Denn alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (und natürlich auch die Familienmitglieder), selbst wenn sie nicht einverstanden sein sollten, hinterfragen das Prinzip der Unsicherheitsabsorption nicht: »Ich halte es für Wahnsinn, aber wenn er meint …! Er muss es ja wissen …!« Dieses Zusammenspiel von psychischer Entscheidungsfindung und personaler Zuschreibung bedeutet einen entscheidenden Vorteil an Geschwindigkeit und Klarheit der Verantwortungsübernahme (siehe z. B. Audretsch, Hülsbeck u. Lehmann, 2013). Der Patriarch verfügt zudem in der Regel über ein unnachahmliches, übergreifendes und detailliertes Know-how über den Markt, über die firmeninternen Strukturen, die Kunden- und Lieferantenbeziehungen und die oft komplizierten finanziellen Verflechtungen, die er aufgebaut hat. Er ist jedoch nicht per se die starke Persönlichkeit, die dem Unternehmen ihren unbeugsamen Willen aufzwingt, sondern es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel zwischen Verantwortungszuschreibung und Verantwortungsübernahme. Die Belegschaft wie auch die weiteren Familienmitglieder überlassen erleichtert die Entscheidungsunsicherheit immer wieder der Person an der Spitze. Je mehr er (meist ist es ja ein »er«, auch wenn sich das deutlich ändert) die Rolle ein- und annimmt, die ihm von anderen zugeschrieben wird, desto mehr wachsen auch sein Wissen, seine Expertise, seine Netzwerkkontakte, bis er/sie schließlich tatsächlich unentbehrlich wird (Groth u. von Schlippe, 2008). Statt vom Patriarchen sollte daher besser von einem patriarchalen System oder einer patriarchalen Logik gesprochen werden, die von einer größeren Zahl von Personen in Familie und Unternehmen geteilt werden: Der Patriarch ist durchaus (auch) das Produkt seiner Umgebung: Zitat: Ich wurde zum Patriarchen gemacht »Natürlich habe ich zu Beginn den Kurs vorgegeben und für Ordnung und Sicherheit gesorgt. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass meine Mitarbeiter, meine Geschwister und Cousins immer nur auf mich geschaut haben und gefragt haben, was sagt der denn dazu? Ich wurde von meinem Umfeld zum Patriarchen gemacht.«

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IV  Familienstrategische Kernfragen

Die größte Herausforderung für dieses Modell besteht daher auch in Übergängen: Nicht nur er/sie muss loslassen, sondern auch seine Umgebung (siehe dazu ausführlich den Abschnitt 7.2). Ganz besonders kritisch ist diesbezüglich die Bewältigung der Nachfolgefrage (Mussolino u. Calabrò, 2014). Ein Patriarch ist, innerhalb der Logik dieses Mentalen Modells, einfach nicht ersetzbar – und nicht nur er ist davon fest überzeugt. Meist trifft dies auch auf sein Umfeld, seine Familie, seine Mitarbeiter zu. Trotz des großen Wunsches, dass der unternehmerische Geist, der »hunger for excellence and innovation«, in die nächste Generation übergeben werde (Cohen u. Sharma, 2016, S. XXI), hat ein Nachkomme es oft schwer, reibungslos die Patriarchen-Position zu übernehmen. Falls mehrere Kinder vorhanden sind, stehen sie nicht selten in heftigem Wettbewerb, dem Vater bzw. Onkel zu folgen. Setzt sich ein Nachkomme durch, hängt dessen Erfolg sehr davon ab, ob er von den unterlegenen Geschwistern bzw. Cousins als neues Oberhaupt der Familie akzeptiert wird bzw. über welche gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten (z. B. Anteilshöhe oder Stimmrechte) er verfügt. Gibt es einen potenziellen Nachfolger, fällt der Vergleich mit dem Patriarchen vielfach zu Ungunsten des Nachfolgers aus. Der Patriarch misst den zwanzig bis dreißig Jahre Jüngeren meist an der Messlatte der eigenen Erfahrung. Ist der Nachkomme von einer ähnlichen Persönlichkeitsstruktur wie der Senior-Patriarch, kommt es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu herben Machtkämpfen zwischen Junior und Senior. Sofern der Nachfolger von der Persönlichkeit eher anders und nachgiebiger ist, ist bei ihm oftmals Resignation beobachtbar (Hülsbeck, Klinken u. Jansen, 2016). Hier finden sich dann Konstellationen, in denen der 85-jährige Senior den sechzigjährigen Junior wie ein 16-jähriges Kind behandelt. Das sich andeutende Führungsvakuum in der Zukunft ist in solchen Fällen nur durch strukturelle Änderungen in der Führungsmannschaft, meist durch zusätzliche familienexterne Manager bzw. ein starkes Aufsichtsund Kontrollgremium kompensierbar (Groth, Rüsen u. von Schlippe, 2013a). Manchmal gelingt es dem Nachfolger, etwas außerhalb des direkten Bereiches des Seniors zu erschaffen (z. B. eine Auslandsgesellschaft aufzubauen oder sich über eine längere Phase hinweg außerhalb des Unternehmens zu bewähren). Wenn der Nachfolger sich über Jahre hinweg bewiesen hat und von den relevanten Familienmitgliedern wie von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen als neues Familienoberhaupt akzeptiert wird, kann es zu einer erfolgreichen Wiederholung des patriarchalen Mentalen Modells kommen. Man spricht dann auch von einer Kronprinzenregelung: Die gesamte operative Verantwortung, oft auch der größte Teil der Anteile (oder gar alle), geht auf diese eine Person über (Simon et al., 2005, S. 48 f.). Auch wenn es in vielen Familienunternehmen das Wunschmodell ist, muss man doch sehen, dass zur Realisierung dieses Nachfolgevor-

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gangs sehr viele Prozesse glücklich ineinander greifen müssen. Zudem schwächt die Auszahlung weichender Erben das Unternehmen oft erheblich (Kormann, 2011). Es kann gefährlich sein, zu lange an der Vorstellung zu hängen, dass die Nachfolge eines Erbens die einzige Möglichkeit des Übergangs ist. Es wäre ein interessantes Forschungsthema, zu überprüfen, in wie vielen Fällen missglückter Nachfolgen, die in der Insolvenz des Unternehmens enden, der verzweifelte Wunsch, es müsse doch klappen, den Junior in gleicher Weise wie den Senior zu installieren, eine Rolle gespielt hat. Zumindest gibt es Daten, die in diese Richtung weisen: So berichten Bertrand und Schoar (2006) von drei Studien, in denen die innerfamiliäre Weitergabe (ohne Berücksichtigung des Kompetenzniveaus des Juniors) zu einem 18-%-igen Performanzeinbruch (Return on Assets) führte (S. 81). Sie zitieren zudem eine Studie aus Dänemark, nach der das Geschlecht des Nachfolgers eine interessante Rolle spielte: Meist sind die Söhne die Wunschnachfolger. Wenn sie gewählt wurden, gab es einen höheren Rückgang in der Performanz des Unternehmens, als wenn die Töchter nachfolgten. Sie schlossen daraus, dass offenbar die Töchter eher nach Qualifikation ausgewählt wurden, während die Söhne den Traum des Kronprinzenmodells verwirklichen sollten. Wenn ein nahtloser Übergang auf einen neuen Patriarchen/eine neue Patriarchin nicht möglich ist, ist die Unternehmerfamilie besonders gefordert. Wie kann der Übergang von Entscheidungsmacht, Rederecht etc. auf mehrere Familienmitglieder gelingen? Die Aufgabe besteht in der Aktivierung der Familie als professionelle Unternehmerfamilie. Es ist also ein Doppelschritt zu gehen: die Übertragung des Ein-Personenprinzips auf ein Mehrpersonen-Prinzip und die Entwicklung einer professionellen Unternehmerfamilie. 7.1.2  Die Logik der operativ tätigen Unternehmerfamilie »Es war von Geburt an so bestimmt, dass mein Cousin und ich die Firma in der siebten Generation leiten sollten. Ich hatte nie eine Chance gehabt, mir meinen CoGeschäftsführer auszusuchen. Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte meinen Cousin genommen, es gibt auf dem ganzen Erdball keinen besseren Partner.«

Neben patriarchal geprägten Familien und Unternehmen, in denen sich fast alles auf eine Person konzentriert, lassen sich auch Führungsstrukturen beobachten, in denen die Familie teamförmig agiert. Das Mentale Modell ist hier das einer operativ tätigen Unternehmerfamilie. Mehrere, manchmal sogar alle Mitglieder der Unternehmerfamilie sind im Unternehmen leitend tätig. Das dominierende und gelebte Selbstverständnis lässt sich wie folgt zusammenfassen: »Wir, die Familie, betreiben und führen das Unternehmen gemein-

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Abbildung 11: Die operativ tätige Unternehmerfamilie (© Björn von Schlippe)

sam. Als professionelles Team sind wir unschlagbar. Wir stellen an uns, an jedes Familienmitglied, das im Unternehmen arbeitet, die höchsten Ansprüche. Die Belange der Firma haben Vorrang vor privaten Interessen. Es ist für uns zentral, dass mindestens ein, idealerweise mehrere Mitglieder der Familie im Unternehmen und innerhalb der Geschäftsführung vertreten sind. Ohne Vertreter der Familie an der Spitze des Unternehmens sind wir kein Familienunternehmen mehr!« Die Unternehmerfamilien dieses Typs verfolgen also so etwas wie einen »shared dream« (Cohen u. Sharma, 2016, S. 75). Die Mitarbeit eines bzw. mehrerer Familienmitglieder im Top-Management des Unternehmens ist für sie von großer Bedeutung. Viele der Familienunternehmen, die diesem Mentalen Modell folgen, befinden sich in der Hand der zweiten oder einer weiteren Generation und agieren hoch erfolgreich am Markt. Hier arbeiten Geschwister oder Cousins zum Wohle von Firma und Familie zusammen. Man fühlt sich dem größeren Ganzen der Familie (dem Unternehmenserfolg) verpflichtet und stellt seine privaten Bedürfnisse (z. B. bezüglich alternativer Berufswünsche) zurück. Das gemeinsame Ziel eint die handelnden Akteure und dient bei kritischen Situationen als Reflexionsfläche für Entscheidungen. Als zentraler Erfolgsfaktor wird der Zusammenhalt der Familie gesehen, dem jedes Hindernis, jeder denkbare Konfliktanlass untergeordnet wird. Wer hier erfolgreich ist, hat einige Paradoxien zu bearbeiten. Zuvorderst geht es darum, mit den sichtbaren Ungleichheiten der Familienmitglieder umzugehen. Unterschiedlichkeit hinsichtlich Letztentscheidung, öffentlichem Ansehen und strategischer Kompetenz muss legitimiert und ausgehalten werden. Das Problem der Verschiedenheit zu lösen, ohne dass es einen Dauerstreit innerhalb der Familie gibt und sich

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die Familie in postpatriarchalen Machtkämpfen verliert (siehe das Kapitel 7.2), stellt die wesentliche Aufgabe dieses Mentalen Modells dar. So kann die erkennbar höhere Position des mit Renommee ausgestatteten Vertreters der Familie in der Position des CEO bzw. Vorsitzenden der Geschäftsführung im Vergleich zu den anderen aktiven Familienmitgliedern als sinnvoll angesehen und von allen akzeptiert werden. Doch die Familiendynamik ist eine völlig andere als im ersten Modell. Kein Gedanke daran, dass er/sie der neue Patriarch wäre. Er (bleiben wir im Folgenden einmal beim männlichen Stereotyp) wurde ja von der Gesellschafterfamilie als kompetentestes Mitglied auserkoren und erfährt so eine Legitimation als der Primus. Ohne die Zustimmung der anderen Familienmitglieder kann er die Vormachtsposition nicht ausfüllen. Unternehmer­familien gehen mit einer solchen Konstruktion sehr unterschiedlich um. Familienmitglieder, die sich gegen eine aktive Mitwirkung im Unternehmen entschieden haben, verstehen sich gern als aktive Sparringspartner des inner­ familiären CEO, manchmal auch durchaus in höherem Maße, als dieser es selbst wünscht. Da er jedoch nicht der Patriarch ist, kann er sich gegen die Stimmen der Geschwister, die ihn, wenn sie einig sind, von den Anteilen her oft auch majorisieren können, nicht mit einem patriarchalen: »Basta!«, zur Wehr setzen. Andere finden eine Möglichkeit, sich im erweiterten Umfeld zum Wohle von Firma und Familie zu engagieren (z. B. in einer gemeinsamen gemeinnützigen Aktivität), oder sie treten aus dem engen Verbund der Familie aus und gehen eigene Wege. Nicht selten lassen sich in Familienunternehmen mit dem Mentalen Modell der operativ tätigen Unternehmerfamilie Gesellschafterstrukturen antreffen, die sich entlang von gesellschaftsrechtlich gebildeten Stammesorganisationen etabliert haben (siehe hierzu ausführlich Ammer, 2017; Simon et al., 2005, S. 62 ff.). Hier kann die Delegation eines oder mehrerer Mitglieder eines Stammes in die operative Geschäftsführung sogar per Gesellschaftervertrag als Stammesrecht festgeschrieben sein. In diesen oder anderen Fällen von mehreren parallel tätigen Familienmitgliedern lässt sich oft beobachten, dass die Familienmitglieder nach außen hin als geschäftsführende Gesellschafter zwar formal gleichgestellt sind, sich die Verantwortung innerhalb des Unternehmens jedoch sehr unterschiedlich gestaltet. Schafft es eine Generation, in ihrem Zusammenwirken vorhandene Unterschiedlichkeiten sinnvoll auszubalancieren oder für alle akzeptabel zu leben, können Familien, die sich in diesem Mentalen Modell bewegen, über Generationen hoch erfolgreich tätig sein. Die Achillesferse und damit zentrale familienstrategische Herausforderung in diesem Mentalen Modell liegt darin, dass die einmal gefundene Machtbalance bzw. die etablierte Legitimationsstruktur selten so dauerhaft stabil ist wie beim Patriarchen. Im Familiengeschäftsführerteam kann es immer wieder

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Anlässe geben, wo einzelne Personen hinterfragt werden. Sollte es nur einen familieninternen Geschäftsführer geben, so hat dieser meist nur einen befristeten Vertrag und muss von den Mitgesellschaftern wiedergewählt werden. Die unbedingte Prämisse im Mentalen Modell der operativ tätigen Familie, dass Familienmitglieder das Unternehmen leiten, bringt das Risiko mit sich, das Familiendynamiken mehr oder weniger ungefiltert auf die Top-Führung durchschlagen. Dann und natürlich ohnehin im Generationenübergang muss innerhalb der Unternehmerfamilie ein neues Gleichgewicht ausgehandelt werden. Dabei kann die Spannung für die Kippfigur enorm herausfordernd sein, etwa wenn aus der Familienlogik Forderungen kommen wie: »Nun warst du, lieber Bruder, zwölf Jahre an der Spitze. Ich finde, nun ist es an der Zeit, dass auch jemand aus meiner Familie in die Führung geht, meine Tochter zum Beispiel!« Da Veränderungen in der Firmen- oder Familienorganisation insgesamt auf die im Unternehmen tätigen Familienmitglieder hin abgestimmt oder auf die hineinwachsenden Vertreter der nächsten Generation hin ausgerichtet werden, ist die Balance von Familien- und Unternehmenslogik eine dauerhafte Aufgabe für die Unternehmerfamilie. Schnelle Anpassungsprozesse auf der Top-Management-Ebene sind eher die Ausnahme, vielfach lässt sich ein vorsichtiges Herantasten bei der Integration der nächsten – oft schon vielköpfigen – Generation beobachten. Die gemeinsam auf einen »shared dream« ausgerichtete Unternehmerfamilie ist aufgefordert, sich immer wieder neu diesem Ziel zu verpflichten und dabei die kommende Generation schrittweise mitzunehmen. Dementsprechend kommt der aktiven Arbeit am Zusammenhalt der Unternehmerfamilie eine besondere Rolle zu. Im Hinblick auf die in Kapitel 4.5 beschriebene Ausbalancierung der paradoxen Anforderungen an die verdoppelte Familie geht es für Familien im Modell der operativ-tätigen Familie darum, generationenübergreifende Schritte zur Professionalisierung als Unternehmerfamilie zu gehen. 7.1.3  Die Logik der aktiven Eigentümerfamilie »Meine Vettern und ich leiten das Unternehmen über unsere Tätigkeit im Aufsichtsgremium. Unsere Familie hat schon seit über dreißig Jahren die Positionen im Vorstand mit familienexternen Spezialisten besetzt. Wir halten das Unternehmen als übergreifende Instanz zusammen.«

Ein völlig anderes Bild über das Zusammenwirken von Unternehmen und Unternehmerfamilie liegt bei dem Mentalen Modell der aktiven Eigentümerfamilie vor. Die hier zugrunde liegende Haltung der Mitglieder lässt sich am

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Abbildung 12: Die aktive Eigentümerfamilie (© Björn von Schlippe)

besten wie folgt skizzieren: »Wir als Eigentümerfamilie holen uns die professionellste Führung ins Unternehmen, die es auf dem Markt gibt. Wir verstehen uns als Verantwortliche für die Steuerung, aber nicht für die Führung des Unternehmens. Wir übernehmen unternehmerische Verantwortung für unsere Eigentümerfunktion.« Unternehmerfamilien in diesem Denkmodell unterscheiden sich im Hinblick auf das Eigentum grundlegend von den beiden vorher dargestellten Formen. Sie tragen dafür Sorge, dass die Familie ihre Vorstellungen und Rechte in Bezug auf das Unternehmen mittels ihrer Gesellschafterrolle durchsetzt. Eine Erwartung an eine operative Mitarbeit im Unternehmen bzw. Ansprüche auf Leitung und Führung der Geschäfte ist hier nicht ausgeprägt. In der Praxis lässt sich feststellen, dass die Mitglieder dieses Gesellschafterfamilientypus in der Regel in Aufsichts- und Kontrollgremien vertreten sind und hier ihre unternehmerische Aufgabe verorten. Im Unterschied zu den vorher dargestellten Mentalen Modellen verlangt es das unternehmerische Selbstverständnis, dass die Führung des oft großen und sehr komplexen Unternehmens einem familienexternen Top-Management-Team überlassen wird. Aus der Perspektive der Unternehmerfamilie soll das am besten dafür geeignete Management mit der Geschäftsführung beauftragt werden. Familieninterne Wünsche nach einer Mitarbeit im Unternehmen werden diesem Prinzip untergeordnet. Wenn ein Familienmitglied den gesetzten hohen Standards an ein Mitglied im Management gerecht werden sollte und sich außerhalb des Unternehmens auf einer vergleichbaren Position bewährt hat, kann es prinzipiell in die Führung eintreten (es gibt aber auch Fälle, wo dies explizit ausgeschlossen ist). Die Identität der Familie ist jedoch nicht an die operative Mitarbeit im Unter-

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nehmen gekoppelt. Vielmehr besteht eine langfristige emotionale Bindung der Eigentümer an das Kerngeschäft. Typischerweise wird die eigene Identität als Gesellschafter mit dem Unternehmen, seinen Standorten, seinen Produkten und seiner Historie eng verknüpft. Gerade bei großen, gegebenenfalls börsennotierten Familienunternehmen lässt sich dieses Mentale Modell sehr häufig beobachten. Ein Familiengesellschafter eines großen börsennotierten Familienunternehmens berichtete in Bezug auf sein Verständnis als Familienunternehmer Folgendes: Zitat: We are owners! Not investors! »Als wir eine Akquisition im Ausland vorgenommen hatten und den Analysten die Motivation dahinter beschrieben, wurde ich von einem Fondsvertreter gefragt: ›What is the strategy you and the shareholders of your family are aiming at? How will you handle this investment in the future? Under which circumstances will you divest and find better solutions?‹ Ich sagte daraufhin zu ihm: ›We are owners! Not investors! If we buy something we want to integrate it into our family business and keep it. It is now part of our business group. Our intention is to grow and develop it!‹«

Zudem sehen sich diese Familien oft einer im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Modellen diametral entgegengesetzten Aufgabenstellung gegenüber. Während in der patriarchalen Logik bzw. der operativ-tätigen Familie darauf zu achten ist, dass neben der Familie und ihrer Logik explizit Professionalität etabliert wird, droht in dem Modell der aktiven Eigentümerfamilie eher die verbindende Familiarität verlorenzugehen: Man ist schneller versucht, sich als Eigentümer eines Unternehmens und damit eher als Investor zu fühlen. Hier ist das strukturelle Risiko zu handhaben, eine Unternehmerfamilie, die sich über verantwortungsvolle und kompetente Gesellschafter organisiert und aufrechterhält, dazu zu bewegen, sich weiterhin als Familien-Gesellschafter in Abgrenzung zu einer Investorengemeinschaft (siehe nächster Abschnitt) zu erleben.23

23 Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen für die Industrie (sog. B2B-Unternehmen) erbringen, haben es dabei oft schwerer, eine emotionale Bindung des immer größer werdenden Gesellschafterkreises an das Unternehmen zu erhalten. Unternehmen, die Endkonsumentennahe Produkte (z. B. Lebensmittel, Life-style-Produkte etc.) herstellen, können diese Aufgabe leichter erfüllen, vor allem dann, wenn der Name des Unternehmens und der Familie zusammenfallen.

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Viele der von uns in dem Forschungsprojekt beobachteten Anstrengungen der Unternehmerfamilien dieses Mentalen Modells zielen darauf ab, die Familienperspektive (wieder) in den Gesellschafterkreis zu integrieren. So werden viele Versuche unternommen, der Familie neben der professionell ausgerichteten Unternehmerfamilie einen angemessenen Stellenwert zu geben. Gemeinsame Familientage und -festivitäten dienen explizit auch dazu, wieder einmal ganz Familie neben den sonst dominierenden geschäftlichen Aspekten sein zu können. 7.1.4  Die Logik der Investorenfamilie

Abbildung 13: Die Investorenfamilie (© Björn von Schlippe)

»Unsere unternehmerische Aufgabe besteht in dem Management der Risiko-Allokation unseres Vermögens. Meine Großeltern und Eltern haben ein großes Unternehmen aufgebaut. Wir sind nach dem Verkauf in die Nachfolge eingetreten und führen das nun in anderen unternehmerischen Aktivitäten befindliche Vermögen fort.«

Das Mentale Modell der Investorenfamilie lässt sich vor allem bei Unternehmerfamilien beobachten, die das ursprüngliche (Herkunfts-)Unternehmen verkauft oder an die Börse gebracht haben, als Familiengemeinschaft ihr Vermögen aber gemeinsam halten, mehren und verwalten möchten (zu den besonderen Herausforderungen für Unternehmerfamilien nach dem Verkauf des Familienunternehmens siehe insbesondere Rüsen, 2011b). Die hier vorherrschende Grundlogik innerhalb der Familie lässt sich am besten wie folgt zusammenfassen: »Wir als Familie managen und maximieren unser Vermögen gemeinsam. Wir investieren unser Vermögen als Familienverbund zusammen, wir bleiben

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IV  Familienstrategische Kernfragen

frei in der Anlageform. Erhalt und Entwicklung des Familienvermögens und die Optimierung der Rendite ist Ziel unserer gemeinsamen Unternehmung als Familiengemeinschaft. Die unternehmerische Aufgabe besteht darin, das vorhandene Vermögen zu erhalten und über unterschiedliche Risikoklassen zu teilen.« Dieses Denkmodell unterscheidet sich nochmals deutlich von den vorher skizzierten: Hier gibt es keine oder zumindest keine festen traditionellen Verbindungen zu einem (Herkunfts-)Unternehmen mehr. Es ist nur das gemeinsame Vermögen, das die Familie zusammenhält. Bringt das ursprüngliche Kerngeschäft nicht die erwarteten Entwicklungschancen und Renditen bzw. ist es strategisch im Eigentum der Familie nicht mehr optimal aufgehoben, wird es verkauft. Der Erlös wird dann gegebenenfalls diversifiziert reinvestiert. Auch ist die Besetzung von öffentlich sichtbaren Positionen im Unternehmen oder in Aufsichts- und Kontrollgremien für Mitglieder von Unternehmerfamilien in diesem Mentalen Modell unwichtig. Hierfür werden nicht notwendigerweise Mitglieder aus der Familie, sondern eher familienexterne Manager, professionelle Aufsichtsräte, Vermögensverwalter oder Interim-Manager eingesetzt, die das Vertrauen der Familie genießen. Lediglich das übergreifende Zusammenhalten der individuellen Vermögensteile bzw. des Familienverbundes ist von Bedeutung. Stärker noch als Vertreter einer aktiven Eigentümerfamilie sind Mitglieder in diesem Mentalen Modell gefordert, eine Ausbalancierung der in Kapitel 4.5 beschriebenen Paradoxien vorzunehmen. Oftmals ist durch den mangelnden emotionalen Bezug der Eigentümergemeinschaft zu den gemeinsamen Unternehmungen die familiäre Bindung beeinträchtigt. In Unternehmerfamilien dieses Typus sind unseres Erachtens die typischen Zerfalltendenzen von Familien, die über kein gemeinsames Unternehmen verfügen, am stärksten ausgeprägt. Hier ist die Aufgabe, einen neuen Mittelpunkt zu finden, um den sich die Familie zentriert, wenn sie dauerhaft eine Gemeinschaft bleiben will. Ein Weg kann in einem besonderen sozialen Engagement liegen, wenn die Familie einen großen Teil des gemeinsamen Vermögens etwa in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht hat, diese verwaltet und gemeinsam über die geförderten Projekte entscheidet. 7.1.5  Auf einen Blick Die Differenzierung der vier Typen von Unternehmerfamilien anhand des jeweilig dominierenden Mentalen Modells stellt eine wichtige Grundbedingung für die Etablierung familienstrategischer Überlegungen dar (vgl. das Kapitel 7.3).

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Mentale Modelle bewusst handhaben Patriarchale Logik

Logik der aktiven Eigentümerfamilie

→ Von einer zentralen Führungsfigur zusammengehaltene Unternehmen und Gesellschafterfamilien

→ Die Familie steuert das Unternehmen aus der Eigentümer-Rolle heraus

Logik der operativ tätigen Familie

Logik der Investorenfamilie

→ Mehrere Familienmitglieder leiten gemeinsam ein Unternehmen

→ Familie investiert ihr Vermögen zusammen

Abbildung 14: Die Mentalen Modelle im Überblick (Cartoons: © Björn von Schlippe)

Wenn sich ein Mentales Modell ausgebildet hat, eine Familie also stark ausgeprägte Vorstellungen über die Prämissen der Unternehmens- und Familienführung hat (die oft auch von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Unternehmen mitgetragen werden), ist leicht nachvollziehbar, dass Vorschläge zur Etablierung oder Änderung der Family Governance jeweils daran gemessen werden. Sie werden, wenn sie zum Mentalen Modell passen, dankbar aufgegriffen und dann zeitnah und effizient umgesetzt oder führen im gegenteiligen Fall zu Ablehnungsreaktionen bzw. Konflikten innerhalb der Familie. An dieser Polarisierung zeigt sich das Doppelgesicht des jeweiligen Modells: • Es gibt Orientierung: Der Einzelne weiß, wie er sich zu verhalten hat, und Familienmitglieder und Mitarbeiter wissen bei grundlegenden Fragestellungen, nach welchen Prämissen der Führung entschieden wird. • Zugleich droht Erstarrung, wenn Prinzipien, die sich in einem bestimmten, vielleicht sogar sehr langen Zeitraum bewährt haben, zu Leitlinien des

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IV  Familienstrategische Kernfragen

Handelns in einer Zeit werden, in der sich gegebenenfalls die Rahmen­ bedingungen für das Unternehmen (Unternehmensgröße, Marktposition etc.) oder für die Unternehmerfamilie (Gesellschafteranzahl, Führungspotenzial etc.) gewandelt haben. Vor diesem Hintergrund sind Mitglieder von Unternehmerfamilien (wie auch begleitende Rechts-, Steuer- und Familienberater) gut beraten, sich über das jeweils vorherrschende Mentale Modell der Unternehmerfamilie, mit der sie zu tun haben, ein Bild zu machen. Zahlreiche Konflikt- und Krisendynamiken, die aus einem mangelnden Verständnis für die Denk- und Werthaltung innerhalb der jeweiligen Unternehmerfamilie resultieren, könnten sich so unseres Erachtens verhindern oder zumindest verstehen und eindämmen lassen. Die Prämissen sind oft für eine Unternehmerfamilie so selbstverständlich, dass sie gar nicht als gewachsene, gewählte und daher auch veränderbare Selbstverständnisse sichtbar werden. Sich der Mentalen Modelle bewusst zu werden, kann es der Familie ermöglichen, sich in den vier Typen wiederzuerkennen. So können Diskussionen angeregt werden, die bislang nur implizit geführt wurden. Auf diese Weise wird deutlich, dass eine abweichende Meinung nicht dumm, krank oder böse ist, sondern dass ihr eine grundlegend andere Art zugrunde liegt, die Beziehung von Familie und Unternehmen zu denken. Im Forschungsprojekt haben wir mit den beteiligten Unternehmen solche Diskussionen erprobt. Neben der aktuellen Einordnung in eines der Modelle, wurde lebhaft diskutiert, welche Ideen darüber bestehen, ob und wie es zukünftig zu einer Veränderung des Modells kommen kann bzw. wird. Die Fragen setzen einen Prozess zur Reflexion des vorhandenen Mentalen Modells in Gang. Die Mitglieder können gegebenenfalls selbst überprüfen, wie die bislang dominierende Werthaltung zu den Zukunftsstrategien der Familie passt und zur Lösung der langfristig angedachten Ausrichtung der Familie eingesetzt werden kann. Im Rahmen eines familienstrategischen Entwicklungsprozesses kann sich die Familie dann langsam einem neuen Mentalen Modell der Unternehmerfamilie annähern.

7.2  Herausforderungen in postpatriarchalen Strukturen Aus den bisherigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass eine überlebenskritische Situation für das Familienunternehmen eintreten kann, wenn etablierte Strukturen nicht mehr haltbar sind und die Notwendigkeit auftaucht, ein neues Mentales Modell zu finden. In einer solchen Phase der Neuorientie-

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rung werden unzählige Gespräche, hitzige Diskussionen usw. auf allen Ebenen geführt. Veränderung bedeutet immer, dass das Gewohnte losgelassen wird und das Neue noch nicht klar konturiert ist – Verunsicherung ist hier zu erwarten. Ein Übergang ist aus den Erfahrungen unseres Projekts besonders prägnant: der Weg vom Mentalen Modell des Patriarchen in ein neues (meist das der operativen Familie oder der aktiven Eigentümerfamilie). Über Jahre, oft Jahrzehnte gewachsene Entscheidungsprämissen, auf die man sich eingerichtet hat, und die gewohnten Mechanismen der Unsicherheitsabsorption werden in Frage gestellt. Der Wandel von einem Entscheidungsprinzip zu einem anderen lässt erfahrungsgemäß niemanden kalt. Wenn man diesen Wandel unter der Perspektive der weiter oben eingeführten Kippfigur anschaut, wird deutlich, dass dieser Wandel auch deshalb besonders dramatisch ist, weil er auf eine Familie trifft, die sich bislang mit den Paradoxien des Familienunternehmens nicht intensiv auseinandersetzen musste. Dadurch, dass die Entscheidungen jeweils im Patriarchen vollzogen, also psychisch absorbiert wurden, blieb die Familie von der paradoxen Spannung weitgehend verschont. Das bedeutet nicht, dass sie unter den vom Patriarchen gefundenen Lösungen nicht zu leiden hatte. Doch kam sie nie in die Lage, sich mit den Entscheidungen selbst auseinanderzusetzen und eigene kreative Lösungen auszuhandeln. Die bereits mehrfach angesprochene Lernfalle schnappt somit zu. Im Übergang ist die Geschwistergruppe dann recht unvermittelt mit der Notwendigkeit konfrontiert, Kippfigur zu werden, Paradoxien zu balancieren und zwischen Familien- und Unternehmenslogik zu jonglieren. Daher weisen postpatriarchale Systeme eine Reihe von Besonderheiten auf, die im Folgenden skizziert werden sollen. Dabei orientieren wir uns weitgehend an den Ausführungen von Arist von Schlippe (2014, S. 98 ff.). In post­ patriarchalen Systemen finden sich verschiedene Entscheidungslogiken oft besonders unklar vermischt. Die Akteure suchen nach passenden Umgangsformen und oszillieren zwischen den Logiken. Tatsächlich können wir sagen, dass in allen Unternehmen, mit denen wir im FüG-Projekt befasst waren, und in vielen Unternehmen, mit denen wir außerhalb des Projekts zu tun hatten, noch postpatriarchale Dynamiken beobachtbar waren, manchmal als schwächer werdende Nachwehen, manchmal als »Tsunami«, der sich in heftigen Konflikten in den Folgegenerationen zeigte. Die Idee des Patriarchen prägte die Gründerzeiten nach dem zweiten Weltkrieg und die Jahrzehnte danach. Dies spiegelte sich in den Führungstheorien der damaligen Zeit, denen das Bild der »Great man theory« zugrunde lag. Es war die Persönlichkeit, die zählte, und es ging darum, die Eigenschaften des optimalen Führers herauszufinden (für einen Überblick siehe etwa Neuberger, 2002). Erst in den letzten Jahrzehnten veränderten sich die gesellschaftlichen

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Leitbilder zunehmend hin zu einer stärker partizipatorischen Entscheidungskultur, die auf einer gemeinsam getragenen Verantwortung beruht, deren Verfahren auf Kommunikation basieren. Für diesen Wandel wurde der Begriff »Postheroisches Management« (Baecker, 1994) gefunden: Die Idee der einen Figur an der Spitze als gesellschaftlich prägendes Ideal verblasst. »Unternehmensführung so zu sehen, bedeutet in gewisser Weise einen Paradigmenwechsel: Führung ist nicht die ›Sache‹ der Person, sondern eine Funktion, für die die Organisation sich Akteure ›sucht‹« (von Schlippe, 2014, S. 101). Bei vielen der Unternehmen, mit denen wir zu tun haben, sind es also nicht nur persönliche Wandlungsprozesse, sondern es spiegeln sich in ihren Auseinandersetzungen auch gesellschaftliche Dynamiken wieder. 7.2.1  Der Schatten des Patriarchen Wie in Abschnitt 7.1.1 ausgeführt, lässt sich die Figur des Patriarchen nicht unabhängig von seinem Umfeld verstehen. Da ist nicht zuerst die große Persönlichkeit, die dem Unternehmen seinen Stempel aufdrückt, sondern diese Persönlichkeit entsteht erst in dem komplexen Spiel, das sich um die Übernahme von Entscheidungsverantwortung im Unternehmen abspielt. Mit dem Bezug auf Führungskräfte allgemein finden sich diese Überlegungen bei Ortmann wieder: »Beförderungen erzeugen Unterschiede zwischen Menschen. Das Amt macht den Mann« (2011, S. 79). Das Zusammenspiel von Verantwortungszuschreibung und Verantwortungsübernahme kann über Jahrzehnte hin gut funktionieren. Doch gegen die Biologie kann kein Spiel bestehen. Der Lebenszyklus der Figur an der Spitze bringt es mit sich, dass die Dynamik sich spätestens mit ihrem Tod ändert. Wenn er (oder auch sie) an einen Punkt kommt, an dem er von seiner Lebenskraft her den ihm zugeschriebenen Aufgaben weniger gewachsen ist, sich aber von dem ihm zugeschriebenen Bild der Allmacht und Unfehlbarkeit nicht verabschieden mag, geraten die Menschen in seiner Umgebung in schwieriges Fahrwasser: Der Respekt vor dem Lebenswerk oder die Furcht vor der starken Person erschweren konfrontatives Handeln. Man schaut lieber, so lange es geht, weg und das Umfeld macht den Prozess der Leugnung mehr oder weniger offen mit. Doch wächst zugleich die Unzufriedenheit. Wenn dann eine Entscheidung zu lange auf sich warten lässt oder gar strategische Fehlentscheidungen passieren, kann es geschehen, dass die Unternehmerfamilie nur zwei Möglichkeiten sieht: den Niedergang des Patriarchen zu ertragen oder den Patriarchen, der sie über Jahre erfolgreich geführt hat, aus dem Amt zu drängen. Bei der ersten Möglichkeit bleibt zumindest partiell die Zukunft des Unternehmens auf der Strecke, da sich etwa qualifizierte potenzielle Nachfolger resigniert zurückziehen oder vom

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Alten sogar aktiv abgeschreckt werden. Zu einer regelrechten Revolution, also dem Schritt, eine Führungsfigur, die das Schwinden der eigenen Leistungsfähigkeit nicht zur Kenntnis nimmt, abzusetzen, wenn sie das Vertrauen der Familie bzw. der Mitarbeiter verloren hat, kommt es nur selten. Doch auch dafür gibt es eine Reihe von Beispielen (vgl. Dreyer u. von Schlippe, 2008). Das folgende Fallbeispiel zeigt vielmehr die Reaktion eines Nachfolgers, der schließlich resigniert: Fallbeispiel: Unsterblichkeit In einer Familie arbeitete der Sohn schon seit einer Reihe von Jahren als zweiter Geschäftsführer im elterlichen Unternehmen mit. Der Vater, der Gründer, hatte das Unternehmen sehr erfolgreich aus dem Nichts aufgebaut. Der Sohn liebte und bewunderte ihn, hatte zugleich aber auch große Schwierigkeiten, seinen Platz im Entscheidungsprozess zu finden. Immer wieder stieß der Vater auch kleinere Entscheidungen, die er getroffen hatte, um und nahm diese zum Anlass, ihm zu sagen, dass er ihm ja ganz offenbar nach wie vor noch nicht so weit vertrauen könne, dass er ihm voll die operative Führung überlassen könne. Zugleich hatte der Vater ein verzwicktes und schwer zu durchschauendes Finanzimperium aufgebaut, in dem verschiedene Werte (Immobilien u. a.) jeweils für die anderen hafteten. Mehrere Anläufe des Sohnes, der Vater möge ihm doch bitte einmal erklären, wie die Dinge zusammenhingen, blockte er ab: »Das ist für dich zu kompliziert zu verstehen!« Die Frage des Beraters, was denn passiere, wenn er am Folgetag tot umfalle, quittierte er mit den Worten: »Ich sterb’ schon nicht!« Sein Tod war in seinem Mentalen Modell nicht vorgesehen. Mit großer Mühe gelang es, ihm die Zusage für ein Wochenende abzuringen, an dem er zusammen mit dem Finanzberater der ganzen Familie die Verflechtungen erklären wollte. Kurz vor diesem Wochenende, auf das die Familie etwa ein halbes Jahr gewartet hatte, sagte er das Treffen ersatzlos ab. Es war nicht nur dieses Ereignis, sondern noch einige andere, die schlussendlich den Sohn veranlassten, seinen Dienst in der Firma zu quittieren und sich, dann allerdings sehr zum Bedauern des Vaters, eine Position außerhalb des eigenen Unternehmens zu suchen (von Schlippe, 2014, S. 109).

Die Frage nach dem passenden Zeitpunkt des Rückzugs des »Alten« wird immer wieder als besonders kritischer Punkt benannt. Oft kommt es hier zu Konflikten und zu verletzenden Kämpfen. Entweder zieht sich ein Nachfolger gekränkt und verbrannt wieder zurück oder der Patriarch erlebt verbittert, wie mit ihm persönlich auch sein Lebenswerk abgewertet wird. Man spricht hier auch vom Schatten des

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Gründers (Davis u. Harveston, 1999). Nachfolgekonflikte sind meist umso stärker, je mehr »der Alte« nach dem Übergang die – und sei es indirekte und implizite – Kontrolle über das Geschäft behalten will. Die destruktive Eskalation ist jedoch kein Automatismus. Deshalb sei hier explizit darauf hingewiesen, dass es durchaus nicht wenige positive Beispiele von einem harmonischen Miteinander der Generationen bis ins hohe Alter des Seniors gibt. Zudem sei immer wieder betont, dass man nicht in die Falle der personenbezogenen Zuschreibung tappen sollte. Nachfolge ist ein komplexes Beziehungsgeschehen, welches immer vor dem jeweilig etablierten Mentalen Modell reflektiert werden muss. Es liegt nicht immer nur alles an dem »Alten, der nicht loslassen kann« (De Massis, Chua u. Chrisman, 2008). Ein anderer kritischer Fall in diesem Mentalen Modell ist der, dass der Patriarch verschwindet, also sich in den Ruhestand begibt oder stirbt, ohne dass entweder ein Nachfolger gefunden wurde, der das patriarchale Muster weiterträgt, oder eine tragfähige Struktur entwickelt wurde, die das Muster ablöst. Denn es ist ja nicht nur »der Alte«, der nicht abgeben kann, sondern das Umfeld passt genau dazu und hängt an dem Bild, dass das Unternehmen nur und ausschließlich von dem einen an der Spitze geführt werden könne: Wo ist nun die starke Figur, die folgt? Paradoxerweise gelingen die Übergänge dann am besten, wenn der Patriarch weise genug ist, sich im Rahmen eines familienstrategischen Prozesses selbst abzuschaffen. 7.2.2 Inverse Machtkämpfe Im Übergang vom patriarchalen auf ein anderes Modell ist die Familie, wie schon gesagt, besonders verwundbar. Die Lernfalle hatte bislang verhindert, dass sich der Geschwisterkreis aktiv damit beschäftigt hat, Strukturen für sich oder auch für spätere Generationen zu entwickeln. Oft scheiterten vorsichtige Versuche der Nach-Gründer-Generation auch an der entwertenden Attitüde des Patriarchen: »Blödsinn, unnötig, brauchen wir nicht!« Nun steht diese Gruppe vor der Situation, erstmals familienstrategisch denken zu müssen: Wie sollen künftig Entscheidungen gefällt werden? Wie sollen Verfahren aussehen, in denen wir uns gemeinsam mit der Zukunft des Unternehmens und der Familie so befassen, dass es tragfähige Lösungen gibt? Kurz: Familie und Unternehmerfamilie müssen sich spätestens jetzt zur Kippfigur entwickeln. Diese Entwicklung soll aber nun durch eine Gruppierung vollzogen werden, die nicht gelernt hat, zu entscheiden, und sich mit Entscheidungen daher schwer tut. Sachliche, unternehmerische Entscheidungen zu fällen, ist, wir wiederholen uns bewusst, nicht die Stärke familiärer Logik (vgl. hierzu etwa Wetzel u. ­Dievernich, 2014). Angesichts des Patriarchen war es nicht nötig, eine geschwis-

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terliche Entscheidungs-, Streit- und Konfliktlösungskultur auszubilden. Es wurde ja eh am Schluss von ihm entschieden: »einer gleichberechtigten Geschwistergesellschaft merkt man […] häufig an, dass ein Einzelkämpfer sie zu lauter Einzelkämpfern, nicht aber zu Mannschaftsspielern geformt hat« (Baus, 2009, S. 14). An dieser Stelle kann es zu den Bedingungen einer schwachen Demokratie kommen. Hier können sich Kommunikationsmuster ergeben, die die Entscheidungsfähigkeit lähmen. Die patriarchale Struktur ohne Patriarchen ist nur noch eine leere Hülle, da die entscheidende (und entschiedene) Person fehlt. Unter den Geschwistern kann dann eine merkwürdige Kultur der Verhinderungsmacht entstehen, eine Art verdrehter Machtkampf: Es wurden keine Strukturen partizipativer Entscheidungsfindung ausgebildet, so beschränkt sich die Auseinandersetzung oft auf das Nein-Sagen. Vielfach sind die Betreffenden selbst gar nicht so sehr darauf erpicht, Einfluss zu haben, weil sie sich gar nicht zutrauen, die jeweilige Position einzunehmen. Doch die Geschwister beobachten einander sehr genau und achten darauf, dass kein Einzelner Macht bekommt, so dass er sich von den anderen abheben könnte. Begründet wird dies meist durch die Furcht, ein neuer Patriarch könne entstehen. Das in solchen Kämpfen behinderte Familienmitglied fühlt sich jedoch meist gar nicht als solcher. Er/sie leidet einfach nur unter den ständigen Beschränkungen seiner Handlungsfähigkeit. Denn wer immer aus dem Kreis heraus einen Schritt in Richtung einer Entscheidung macht, wird durch Bedenken der anderen gebremst. Insbesondere gilt das bei der operativen Familie für den entsandten familiären Geschäftsführer. Seine/ihre aktiven Schritte als Entscheider werden von den anderen mehr oder (meist) weniger freundlich behindert, zumindest ausgiebig diskutiert, damit gar nicht die Idee aufkommt, er/sie könne hier allein entscheiden! Denn es darf keinen Unterschied in der Geschwistergruppe geben. Wer in die Rolle des »Primus inter Pares« gesetzt wurde, darf die Position eines Sprechers, doch nicht die eines Führers einnehmen. So finden wir nicht selten einen Kreis mehr oder weniger entscheidungsunfähiger Geschwister, die sich in endlosen Debatten verlieren, nicht auf den Punkt kommen, auch wenn sie sich persönlich oft durchaus gern haben (was sich zeigt, wenn das Unternehmen einmal »aus dem Raum geschickt« wird). Dies Gernhaben begrenzt die Konflikteskalation, heißt aber nicht, dass die Beteiligten einander nicht sehr genau in Bezug auf das Thema Macht beobachten: Keiner darf in eine Position der Herrschaftsgewalt kommen! Über die Zeit hin kann sich dabei einiger Groll ansammeln, so dass die Geschwister vielfach recht böse aufeinander sind: »Wenn es nach mir ginge, würde es hier alles ganz anders aussehen, aber ich werde ja nicht gehört …«; »Die anderen machen so viel Durcheinander, man hält es nicht aus!« So gibt es vielfach eine Art von chronischem, unter-

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schwelligem Dauerkonflikt, eine Unzufriedenheit miteinander, eine kritische Grundstimmung. Zugleich sind die Familienmitglieder in der ersten Generation noch in Treue an den Patriarchen gebunden – Entscheidungen werden so nach den Vorstellungen gefällt, die er gehabt hätte. Aber untereinander gibt es Gerangel. Ähnliche Strukturen lassen sich auch bei Familienstämmen beobachten. Ist das hier beschriebene Muster transgenerational über Geschichten weitergegeben worden, ist »Benachteiligung und Bekämpfung des anderen Stammes längst nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern ein Ziel für sich: ›Hauptsache, die gewinnen nicht!‹« (Ammer, 2017, S. 152). Oftmals leiden Familienunternehmen, deren Unternehmerfamilie bereits der Form einer operativ tätigen Familie folgt, ohne dass das Mentale Modell explizit entwickelt ist, also ohne dass für funktionsfähige und entsprechend legitimierte Entscheidungsverfahren gesorgt wurde, unter dieser Form der Entscheidungsschwäche. Emotional kämpfen die Beteiligten dann nicht mehr darum, zu gewinnen, sondern darum, nicht zu verlieren – um welchen Preis auch immer. Diese Art von Kämpfen kann heftiger sein als die Kämpfe, bei denen es ums Gewinnen geht. Eine derartige Konstellation kann sich auf lange Sicht in eine Kultur »kalter Konflikte« und zunehmender Lähmung entwickeln (Glasl, 2014a). In der Familienstrategieentwicklung bedarf es hier mitunter mehrerer Diskussionsschleifen oder der Übersetzungsarbeit, bis Vorschläge, Ansätze und Ideen einzelner Familienmitglieder als Grundlage für die weitere Verfeinerung durch alle Familienmitglieder zugelassen werden. Im Projekt hatten wir mehrere Unternehmen, die von derartigen Prozessen berichteten. Doch ist es wichtig, nicht nur auf die negative und Risikoseite zu schauen. Es gab es auch vielfach die Situation, dass der Patriarch sich auf kluge Weise gegen Ende seiner Ära selbst abgeschafft und so den Übergang in ein neues Mentales Modell aktiv selbst vorangetrieben hatte. Im folgenden Beispiel hatte der Vater, ein sehr erfolgreicher Unternehmer, der mit seinem Vater erhebliche Probleme beim Übergang hatte, sich geschworen, die Übergabe an seine vier Kinder anders zu gestalten: Zitat: Der Patriarch schafft sich selbst ab »Das hat das Verhältnis zwischen meinem Vater und meinem Großvater fast bis zum Ende getrübt. Ich habe mit meinem Großvater und meinem Vater unter einem Dach gewohnt. Und man hat immer gemerkt, dass da irgendwas zwischen denen stand, was bis zum Schluss nicht wieder gelöst werden konnte. Mein Vater hat diesen Konflikt so entscheidend empfunden, dass er sich sehr strenge Regeln gegeben hat, was die Mitarbeit und die Zusammenarbeit mit seinen Kindern,

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mit der nächsten Generation anbelangte. Er hat gesagt: ›Sobald Externe meine Kinder für ausreichend geeignet finden, im gleichen Gremium tätig zu sein, auf der gleichen Ebene tätig zu sein, auf der ich tätig bin, dann scheide ich aus und mische mich nicht mehr ein!‹ Das bedeutete für meinen Vater immerhin, dass er sich als Unternehmer mit 58 Jahren aus der operativen Verantwortung verabschiedete und meinen beiden Brüdern die Gelegenheit gab, im Vorstand tätig zu werden. Das zeigte sich weiter, als er mit siebzig bereit war, aus dem Aufsichtsrat komplett auszuscheiden, so dass ich dort den Vorsitz übernehmen konnte. Er hält sich da dran! Er versucht natürlich, wie das Väter tun, Rat zu geben und auch das Unternehmen zu begleiten, aber er mischt sich nicht in Entscheidungen ein, die meine Brüder getroffen haben. Er nimmt nicht an Vorstandssitzungen teil. Auch als er noch Aufsichtsrat war und meine Brüder Vorstände, ist er nie in eine Sitzung reingegangen. Er hat sich häufig unter fast körperlichen Schmerzen dazu bereit erklärt, vor der Tür zu warten und sich hinterher das Ergebnis der Sitzung vorstellen zu lassen. Er war nicht immer einverstanden, aber er hat es durchgehalten.«

7.2.3  Die Rolle von Ehepartnern Bereits in der zweiten Generation nach dem Patriarchen ist auch die Rolle von Ehepartnern beiderlei Geschlechts bedeutsam. Diese beobachten die Prozesse um Entscheidungen herum besonders aufmerksam (sie bekommen ja oft genug mit, wie ihr Ehepartner an den zermürbenden Auseinandersetzungen mit seinen Geschwistern/Cousins leidet). Da sie der Loyalität zur Unternehmensfamilie weniger verpflichtet sind, achten sie viel stärker darauf, was die Entscheidungen für die jeweilige Kernfamilie bedeuten. In der ersten postpatriarchalen Generation sind sie oft noch dem Gründer, den sie persönlich kennen/kannten und schätzen, emotional verbunden. Doch diese Verbundenheit nimmt in Folgegenerationen deutlich ab: Die vertikale Loyalität, also die Verbundenheit zur vorhergehenden Generation, wird immer stärker durch eine horizontale Loyalität ersetzt (Stierlin, 1997, 2005), also durch den Blick auf die jeweils eigene Familie und deren Vorteile. Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Festinger, Torrey u. Willermann, 1954) hat schon sehr früh beschrieben, wie in solchen Auseinandersetzungen, vor allem unter Peers, also unter Gleichrangigen (wie es erwachsene Geschwister grundsätzlich sind) manchmal auf die kleinsten Kleinigkeiten eifersüchtig geachtet wird. Diese Dynamiken können Unternehmen besonders belasten, in denen die Gesellschaftergruppen sich in Stämmen organisieren: Die im Stamm gebündelten Partikularinteressen können so stark überwiegen, dass das Interesse am Gesamten aus dem Blick gerät.

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7.3 Entscheidungsprozesse: von der Orientierung an Personen zur Orientierung an Verfahren In Bezug auf das Unternehmen und die Entscheidungsstrukturen im Gesellschafterkreis wurde bereits angesprochen, dass Turbulenzen beim Wechsel von den Mentalen Modellen erwartbar sind. Die hier notwendigen strukturellen Anpassungen des Übergangs vom patriarchalen Modell zu einem anderen lassen sich auf die einfache Formel bringen: Vom Entscheidungsprinzip Person zum Entscheidungsprinzip Verfahren – also von einer vertikalen, auf einen oder mehrere Letztentscheider hin ausgerichteten Entscheidungslogik hin zu einer horizontalen, von vielen Akteuren partizipativ getragenen Entscheidungskultur (Luhmann, 1969). Wenn die Unsicherheit unternehmerischer Entscheidungen nicht mehr in einer Person oder den geschäftsführenden Familienmitgliedern absorbiert wird, wird für jeden Gesellschafter, der gefordert ist, Verantwortung mit zu tragen, unmittelbar spürbar, dass er/sie nun einen Teil der unternehmerischen Funktion Unsicherheitsabsorption übernehmen muss. Es geht dabei um die durchaus schwierige Aufgabe, ein Erfolgsmuster zu verändern, ohne es zu zerstören. Denn natürlich sind es viele der Qualitäten der Personenorientierung wert, beibehalten zu werden. In der Regel wird es nicht als erstrebenswert angesehen, die Kultur einer Publikumsgesellschaft zu entwickeln. Wie können also im Rahmen eines familienstrategischen Prozesses Entwicklungsschritte forciert werden, ohne die besondere Kultur des jeweiligen Familienunternehmens, seine Flexibilität und Entscheidungsgeschwindigkeit über Bord zu werfen? Für die Mitglieder der Unternehmerfamilie, die ihr Mentales Modell verändern will, gilt es, im Rahmen der Anpassung personenunabhängige Prozesse und Strukturen hervorzubringen, die eine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit sicherstellen. Eine endlose Debatte, in der jedes Familienmitglied zu jedem Punkt seine Meinung sagt, ist kein erstrebenswertes Ziel. In der Familie geht es dabei um das Bewusstsein, dass nicht mehr ein Familienmitglied für alle die Entscheidung fällt, dass sich damit aber die Aufgabe stellt, über Strukturen und Gremien entscheidungsfähig zu bleiben. Dies kann dadurch bewerkstelligt werden, dass die Familie sich um Verfahren herum organisiert, auf deren Funktionsfähigkeit und Verfahrensgerechtigkeit alle Gesellschafter gleichermaßen vertrauen. Sie geben also einen Teil ihrer Stimme an die entsprechenden Gremien ab. Nur so können sich alle Mitglieder gleichermaßen den daraus resultierenden Entscheidungen (z. B. Wahlergebnissen) und den entsprechenden Konsequenzen als Einzelpersonen unterordnen. Statt auf das Urteil der mit Respekt ausgestatteten »Ober-Onkels« zu warten, ist nun ein von

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allen als fair angesehenes Verfahren zu finden. Im Kern bedeutet der Übergang zur Verfahrensorientierung also, Entscheidungsstrukturen einzuführen, die sowohl demokratisch (Familienlogik) als auch entscheidungsstark (Unternehmenslogik) sind. Insbesondere folgende Aufgabenstellungen werden bei der Transformation von einer Personenorientierung zu einer Verfahrensorientierung in Angriff genommen: • Die Herausbildung von stärker organisationsförmigen und weniger familienähnlichen Strukturen bei der Entscheidungsfindung. • Der Aufbau aktiver und bewusst partizipativer Entscheidungsstrukturen. • Die Wahrung der positiven Seiten der Personenorientierung, etwa indem die Letztentscheidung in einer Hand bleibt, der Betroffene aber aufgefordert ist, sich stärker zu legitimieren und Entscheidungen zu begründen. Dabei hilft es durchaus, dass die Familie im Hintergrund des Unternehmens als Sparringspartner zur Verfügung steht. Die Grenzlinie zwischen aktiver Partizipation und seichtem Gerede (»nur um auch etwas zu sagen zu haben«) kann dabei allerdings hauchdünn sein – eine besondere Anforderung an die Gesellschafterkompetenzentwicklung verantwortungsbewusster Eigentümer. • Die Mobilisierung dezentraler Intelligenz im Betrieb – das heißt auch, dass zweite und dritte Führungsebenen stärker in Entscheidungen mit eingebunden werden (das kann oft besonders schwer sein in Unternehmen, in denen der Mann an der Spitze über Jahre hin auch entschieden hat, welche Bleistifte und welche Papiersorte einzukaufen sind). • Strategieentwicklung ist als eine gemeinsam zu leistende Aufgabe der Unternehmensleitung im Gespräch mit der Familie zu verstehen – eine Aufgabe, die nicht an andere Instanzen delegierbar ist (Dietl u. Nagel, 2014; Nagel, 2008; Nagel u. Wimmer, 2014). All das geht mit gesteigertem Kommunikationsaufwand, mit einem größeren Abstimmungsbedarf und einer höheren Formalisierung des wechselseitigen Abstimmungsgeschehens einher. Die Familie kann dabei in eine Ermüdungsfalle (siehe das Kapitel 6.6) geraten. Ehe man die konstruktive Seite des Wandels spürt, wird es zunächst mühselig. Die möglicherweise verbesserte Nachhaltigkeit gemeinsam getroffener Entscheidungen wird mit mehr Aufwand erkauft. Der Transformationsprozess verdeutlicht einmal mehr, dass die Überlebensfähigkeit des Familienunternehmens auf Dauer vor allem von einer Investition in die Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit innerhalb der Unternehmerfamilie abhängig ist.

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7.4  Wandel eines Mentalen Modells Welches Mentale Modell auch immer die Strukturen bestimmt, sofern es von allen Familienmitgliedern akzeptiert und in seinen Auswirkungen für den Einzelnen mitgetragen wird, ermöglicht es effektive und erfolgreiche Kommunikations- und Entscheidungsprozesse. Für den Außenbetrachter vermeintlich unmögliche Konstellationen können in einzelnen Unternehmerfamilien hervorragend funktionieren. Keines der Modelle ist dabei das ideale oder gar richtige. Daher ist der Begriff Patriarch eigentlich auch ungünstig, weil er eher negativ besetzt ist; da die Formulierung der personenorientierte Form der Entscheidungsfindung jedoch zu umständlich ist, haben wir ihn beibehalten. Jedes Modell ist für sich genommen bedenkenswert und, sofern die spezifischen Risiken gesehen und gegebenenfalls mit entsprechenden Entscheidungsstrukturen und Regelwerken entschärft werden, funktions- und überlebensfähig. Die zentralen Problematiken entstehen in unserer Beobachtung vor allem in Zeiten des Übergangs, also wenn durch den Eintritt einer nächsten Generation das bestehende Mentale Modell auf den Prüfstand gestellt wird. Oft werden die Denk- und Werthaltungen der aktiven bzw. der Vorgängergeneration von hinzukommenden Familienmitgliedern nicht völlig geteilt bzw. sogar abgelehnt. In diesen Situationen oder durch externe Effekte verursacht, kann es zu einer Erosion des bisherigen Mentalen Modells kommen. Gibt es beispielsweise in einer Unternehmerfamilie, die bisher in der Logik der operativ tätigen Familie zu Hause war, in der nächsten Generation keine Vertreter, die sich eine operative Aufgabe vorstellen können bzw. die hierzu notwendigen Fähigkeiten mitbringen, kommt es zwangsläufig zu Diskussionen, ob und in welcher Form man sich in einem Modell der aktiven Eigentümerfamilie noch als Familienunternehmer fühlen kann und darf. Das folgende Zitat aus unseren Interviews verdeutlicht die Problematik: Zitat: Dann hört das Familienunternehmen auf »Wir sind seit sieben Generationen als Familie im Unternehmen an der Spitze vertreten gewesen. Jetzt wollen die Kinder höchstens noch in den Beirat eintreten. Für mich und meinen Cousin hört nach uns das Familienunternehmen auf zu existieren. Wenn keiner von uns mehr die Geschäfte führt, sollten wir doch besser verkaufen.«

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Es ist leicht vorstellbar, dass die Diskussion der familienstrategischen Ausrichtung in der Familie, auf die sich das Zitat bezieht, sehr tiefgreifende Überlegungen zum bisherigen und einem gegebenenfalls zukünftig modifizierten Selbstverständnis notwendig macht. Dieses Kapitel soll für eine Situation sensibilisieren, in der sich vermutlich jedes Familienunternehmen in der einen oder anderen Form einmal wiederfindet. Es ist ein Wandel des Selbstverständnisses als Unternehmerfamilie. Mentale Modelle sind eben nicht nur einfache kognitive Programmierungen, sondern beziehen sich auf ein ganzes Sozialsystem. Sie sind nicht im Kopf eines Einzelnen, sondern, wie gesagt, eher zwischen den Menschen zu verorten. Unsere Erfahrungen im Rahmen des Projekts legen nahe, davon auszugehen, dass es nicht selten Jahre, manchmal vielleicht sogar Jahrzehnte brauchen kann, bis sich im Gefolge der Infragestellung eines gewohnten Mentalen Modells und der entsprechend in vielen Auseinandersetzungen veränderten Entscheidungsstrukturen langsam ein neues Mentales Modell durchsetzt und allgemein akzeptiert wird. Kommt es zu einem Modellwechsel, in dessen Rahmen die Unternehmerfamilie den operativen Führungsanspruch komplett aufgibt und sich auf die Eigentümerfunktion beschränkt, muss eine Vertrauensstruktur zwischen den Eigentümern und dem nun familienexternen Management etabliert werden. Das nun agierende Management ist aus Sicht der Unternehmerfamilie ja nicht nur das operative Steuerungsgremium des Unternehmens, sondern gleichzeitig die Verwaltung des größten Teils des Privatvermögens sowie des Erbes der Vorväter. Die folgende Aussage verdeutlicht, dass, trotz der rationalen Erkenntnis und der darauf basierenden Veränderung der Führungsstruktur in der Gefühlswelt der Familiengesellschafter eine Form von Wehmut über den Verlust des »echten Unternehmertums« verbleiben kann: Zitat: Immer noch Trauer »Seit 25 Jahren ist kein Mitglied aus der Familie mehr im Unternehmen tätig. Wir, die Vertreter der sechsten Generation, die wir noch erlebt haben, dass drei Cousins als persönlich haftende Gesellschafter aktiv waren, trauern dem irgendwie noch nach. Auch wenn wir mit unserem familienexternen Vorstand voll zufrieden sind, haben wir gefühlt unser Unternehmertum verloren.«

Kommt es hingegen zu einem Modellwechsel in das Wahrnehmungs- und Denkmuster einer Investorenfamilie, sind es weniger strukturelle Entwicklungsaufgaben in Bezug auf die Eigentümerrolle als vielmehr Fragen der Identitätsstiftung,

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IV  Familienstrategische Kernfragen

die eine Rolle spielen. Wurde bisher durch die unternehmerische Verantwortung (»Eigentum verpflichtet«) ein Großteil der inneren Sinnstiftung für die Gesellschafterfamilie quasi mitgeliefert, sind nach einem (Teil-)Verkauf des Familienunternehmens plötzlich Fragen der Sinnhaftigkeit eines Verbleibs in der größeren Familiengemeinschaft und der konkreten Investition des nun frei verfügbaren Vermögens zu beantworten. Hier stellen sich also Fragen der Etablierung einer übergreifenden Identität und Bindungswirkung zum Erhalt der Entscheidungsfähigkeit als Gemeinschaft. Durchläuft eine Unternehmerfamilie einen Wechsel des Mentalen Modells, so kommt sie nicht darum herum, sich auf einen Prozessmusterwechsel einzulassen, der die Kultur des Umgangs miteinander und den Modus der Entscheidungsfindung verändert. Unseren Beobachtungen nach ist in dieser Situation die Bewältigung des Übergangs von erheblicher Bedeutung. Wie oft erleben wir die typische Entscheidungsunfähigkeit von Gesellschafterfamilien in einer postpatriarchalen Phase! Gerade in Situationen, in denen das bisherige Mentale Modell nicht mehr trägt, gibt es oftmals eine große Hilflosigkeit, neue funktionsfähige Entscheidungsmuster zu etablieren. Der Wandel der Mentalen Modelle ist daher alles andere als ein Spaziergang. Er erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Bereitschaft und Fähigkeit, sich in Frage zu stellen und in Frage stellen zu lassen (was manchmal mit einer externen Unterstützung leichter gelingt). Die zentrale Aufgabe für die Familie liegt darin, dass sich alle Mitglieder aktiv zu einem von allen Mitgliedern getragenen Denk- und Wertekonzept bekennen. Dies erfordert ein neues, gemeinsam entwickeltes Ziel, ohne das es schwer wird, dass alle Beteiligten sich einer neuen Struktur unterordnen. Gleichzeitig ist die Ausbildung eines Mindestmaßes an Kompetenzen notwendig, an dem Zielbildungsprozess teilzunehmen. Das Management solcher Modellübergänge gestaltet sich unserer Erfahrung nach hoch konfliktanfällig. Denn oftmals sind sich die handelnden Personen gar nicht bewusst, von welchem Denk- und Werterahmen sie sich gerade verabschieden bzw. auf welches neue Modell sie zusteuern. Oftmals wird versucht, das bekannte Modell der Vorgängergeneration zu übernehmen, bis festgestellt wird, dass die Systembedingungen (z. B. Größe der Familie oder des Unternehmens) ganz andere sind und ein »weiter wie bisher« gar nicht mehr möglich machen. Gelingt es einer Unternehmerfamilie, in Antizipation eines Modellwechsels oder währenddessen einen familienstrategischen Prozess flankierend zu starten, reduzieren sich die erwartbaren Konflikte erheblich. Allein die Schaffung einer Bewusstheit über die Herausforderungen und Risiken des eigenen Modells führt erfahrungsgemäß zu einer Veränderung der familieninternen Dynamik.

8  Wozu das Ganze? Generationsübergreifender Sinn

Dieses Kapitel ist sehr kurz. Doch es berührt ein existenzielles Thema für Unternehmerfamilien, nämlich die Frage, worum es der Familie mit dem Unternehmen jenseits von der Ermöglichung von Wohlstand geht. Ohne einen verbindenden Sinnrahmen würde die Familie langfristig als Ressource dem Unternehmen verlorengehen. Was ist das große Ganze? – Auch wenn sich die Frage philosophisch anhören mag, so trifft sie einen wichtigen Kern dessen, was Langlebigkeit ausmacht. Wenn es einer Unternehmerfamilie gelingt, einen Sinnrahmen zu schaffen, der über das hinausgeht, was eine Familie normalerweise ausmacht, steigt die Chance, dass die Familie sich langfristig für das Unternehmen engagiert (Frische, 2013). Dann ist das Unternehmen nämlich mehr als ein Ort, an dem man sein Geld verdient. Viele der von uns untersuchten Unternehmen zeigen, dass es so etwas wie einer wechselseitigen Sinn-Infizierung bedarf, um das so widersprüchliche Konstrukt Familienunternehmen, diese eigentlich unmögliche Verbindung zu erhalten. Die ökonomischen Vorzüge einer familialen Sinngebung sind für Unternehmen hinreichend erforscht (z. B. Habbershon u. Williams, 1994; Habbershon, Williams u. MacMillan, 2003; Hoffman, Hoelscher u. Sorenson, 2006). Familien sind sogar bereit, zur Wahrung des »socio-emotional-wealth« ihres Unternehmens Einbußen in Kauf zu nehmen, was aus ökonomischer Sicht nicht unkritisch gesehen wird (Berrone, Cruz u. Gomez-Mejia, 2012; Gómez-Mejia, Haynes, Núñez Nickel, Jacobson u. Moyano Fuentes, 2007). In der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die andere Unternehmensformen so nicht treffen würden, könnte aber auch gerade die besondere Intelligenz von Familienunternehmen liegen. Insofern ist das langfristige Überleben der Unternehmen immer auch als ein Ergebnis der nichtökonomischen oder besser nicht-nur-ökonomischen Haltung einer Familie zu sehen. Wie kann sie

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IV  Familienstrategische Kernfragen

sich als ein großes Ganzes erleben, das den Rahmen der jeweiligen Kleinfamilie überschreitet? Wie wird die Familie durch das Familienmanagement so geführt, dass mehr erlebt wird als nur Disziplinierung? Das folgende Zitat versucht zu erklären, wie das geht: Zitat: Familie ist nicht instrumentalisierbar »Als Allererstes durch Vertrauen – wirklich instrumentalisieren können Sie das, glaube ich, nicht. Es geht nur dadurch, dass Sie erstens der Familie immer wieder das Gefühl geben: ›Es ist schön, dass es uns als große Familie gibt‹, und dass die Familienmitglieder immer wieder sich klar machen: ›Uns gibt es nur als große Familie, weil es das Unternehmen gibt!‹ Und dann schon über so was wie zwischenmenschliche Kontakte, also, sich kennen, die Hürde senken, dass, wenn einem was nicht passt, man zum Telefonhörer greift und irgendeinen kennt, den man dann anruft.«

Die im Zitat angesprochene Haltung ist recht typisch für viele Unternehmer­ familien. Sie nutzen das Unternehmen dazu, als große Familie ein soziales Netzwerk von einander nahestehenden Personen zu erfahren: Man kennt sich – und das allein hat seinen Wert in sich (hier besonders hervorzuheben: Klett, 2009). Die Erfahrung der Familie, sich in einem solchen Sinn als großes Ganzes zu erleben, bietet eine Art Klammer: Die Familie beschäftigt sich »ausgesprochen intensiv mit sich selbst« (S. 98), was dazu führt, dass die Mitglieder sich oft über recht weit entfernte Verwandtschaft hinweg kennen und aufeinander bezogen sind. Dazu werden im Rahmen der Familienstrategie (ausführlich hierzu das nächste Kapitel) zahlreiche unterschiedliche Maßnahmen vorgenommen, am häufigsten sind es Familientage, die der Information der Gesellschafterfamilie, dem gemeinsamen Genuss einer kulturellen Veranstaltung und einer »Spaßaktivität« gewidmet sind (bei den letzten beiden ist meist die erweiterte Unternehmerfamilie mit einbezogen). Die Intensität des gemeinsamen Austausches wird positiv erlebt (Groth, 2013b). Doch bedarf es dazu des Bewusstseins, dass das Unternehmen zu mehr als nur zur Erzeugung von Wohlstand dient. Fast in allen Familienverfassungen, die uns bekannt sind, wird ein Bezug auf übergreifende Ziele hergestellt, die als wichtig für das Unternehmen und die Familie benannt werden. Hier einige Zitate aus solchen Dokumenten zur Verdeutlichung:

Wozu das Ganze? Generationsübergreifender Sinn

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Zitate aus diversen Familienverfassungen • »Wir streben auf allen Ebenen nach Erfolg. Unser Produkt/unsere Dienstleistung soll den Kunden nicht nur zufriedenstellen, sondern auch begeistern!« • »Wir wollen mit dem Unternehmen unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und uns dabei auch der ökologischen Verantwortung stellen, die gerade in unserer Branche eine besondere Herausforderung darstellt.« • »Wir wollen zum Erhalt stabiler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen beitragen und engagieren uns daher in gesellschaftlich relevanten Bereichen wie Umweltschutz, Kultur und Bildungsförderung.« • »Grundlage unseres Handelns als europäisches Unternehmen ist […] unsere soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, Aktionären und der Gesellschaft.« • »Unsere Werte dienen auch als Richtschnur für die Geschäftsführung. Nicht der kurzfristige finanzielle Erfolg, sondern die langfristige Wertschöpfung und Bewahrung der Unternehmenskultur leitet ihr Handeln.«

Begeisterung, gesellschaftliche Verantwortung, Umweltschutz, Bildung, Kultur, Langfristigkeit – in diesen Zielen spiegelt sich eine Werteorientierung, die Familienunternehmen ja auch generell im positiven Sinn zugeschrieben wird. Viele Unternehmerfamilien sind explizit stolz auf ihre Werte. Sie werden vielfach in der Familienverfassung festgeschrieben (hierzu ausführlich das nächste Kapitel) und leisten ihren Beitrag zur Entparadoxierung. Sie können helfen, Entscheidungen zu legitimieren und die Unterstellung von Willkür zu reduzieren. Wenn sich etwa die Familie entschieden hat, dass das gemeinsame Unternehmen als starkes Unternehmen mit einer soliden finanziellen Basis auf Langfristigkeit angelegt sein soll, folgt daraus eine hohe Thesaurierungsquote. Die Begrenzung von Ausschüttungen spiegelt dann den Familienwillen und nicht die Willkür des Familienmitglieds in der Unternehmensführung. Wenn die Werte spezifisch genug sind (auch ein Waffenfabrikant könnte den Wert, für den Weltfrieden zu sein, für sich reklamieren), dann folgt daraus auch eine Bindung des Managements, bestimmte Praktiken zu verfolgen oder zu unterlassen. Hierzu zwei Zitate: Zitat: Der Shareholder-Kompass »Es gibt das, was wir als Arbeitstitel mit ›Shareholder-Kompass‹ bezeichnet haben, also die Vorgabe aus unserer Familie. Also das sind die fünf, sieben, zehn Punkte,

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IV  Familienstrategische Kernfragen

die uns als Familie wichtig sind, die unser Werteverständnis darstellen, die wir als Rahmen den Unternehmen geben und sagen: Innerhalb dieses Rahmens müsst ihr euch bewegen. Es ist also so aus der Familie heraus die Formulierung des Wertesystems, was uns die Kraft gibt. Der verantwortungsvolle Umgang mit Mitarbeitern ist für uns ein wichtiges Thema. Also bitte liebe Führung, in allem was ihr tut, in allem, wie ihr mit den Mitarbeitern umgeht, in euren Vertragsverhandlungen, in eurer Vertragsgestaltung, berücksichtigt das bitte. So ein Wert von der Familie an das Unternehmen, daraus werden die Unternehmensleitlinien abgeleitet, also für was steht das Unternehmen, was ist in der Umsetzung dem Unternehmen wichtig, was ist da der Wertekodex. Und das wieder runtergebrochen auf die einzelnen Unternehmensbereiche. Also: Wie passt das oder wie trifft sich das mit der ureigentlichen Wertevorstellung des eigenen Unternehmensbereiches?«

Zitat: Wir würden Geld auf dem Tisch liegen lassen »So, zur Frage: An wen verkaufen Sie es? Wir würden immer einen Verkauf an jemanden, der vergleichbare Werte hat, vorziehen. Und wir würden auch Geld auf dem Tisch liegen lassen, wenn wir die Wahl hätten zwischen jemandem, von dem wir wissen, das ist ein knallharter, eiskalter, ich weiß nicht was, gegenüber jemandem, von dem wir das Gefühl haben, hier wird unternehmerisch langfristig gehandelt.«

Auch Familienstiftungen, die sozialen Zwecken dienen, stellen für die Familie ein Sinn- und Identifikationsangebot dar. Mit diesen Stiftungen wird zumeist eine Kopplung von Familie und Gesellschaft hergestellt. »Zu beobachten ist, dass hinter den Aktivitäten mehr steckt als ›nur‹ ein nach außen gerichtetes philantropisches Engagement. Unternehmerfamilien beziehen […] über die besondere Beachtung der Gesellschaft Sinnressourcen in Form von Werten für ihre gemeinschaftliche unternehmerische Tätigkeit. Gesellschaftliche Werte rahmen die notwendig konflikthafte Auseinandersetzung über die konkreten Fragen der Unternehmensund Investmentstrategien und wirken entparadoxierend« (Groth u. von Schlippe, 2012, S. 12). Zu wissen, dass das unternehmerische Engagement auch einem gesellschaftlichen Zweck dient, erleichtert die Entscheidungsfindung in der Unternehmerfamilie. Stiftungen werden in fast allen großen Unternehmerfamilien als Bindungsangebot an die Familie genutzt. Manchmal wird eine soziale Stiftung mit einer Unternehmensträgerstiftung verbunden. Auch hier gibt es keinen Automatismus, der eine Stiftung die Familie zusammenhält, wie das folgende Zitat zeigt.

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Zitat: Man muss sie wieder einbinden »Fand ich sehr schön, Ihren Punkt vorhin, den Einzelnen eben auch als Einzelnen zu schätzen, nicht nur als jemand, der bei unserer Firma beteiligt ist, sondern ihn als ganze Persönlichkeit wahrzunehmen. Wir haben Stiftungen bei uns. Teilweise sind sie aus Unternehmensmitteln finanziert. Es gibt eine Reihe von Stiftungen von Familienmitgliedern, auch Kunstsammlungen und andere Sammlungen existieren. Das finde ich wunderbar. Man muss sie nur auch wieder einbinden. Jetzt sind es noch alles Familienmitglieder, die in den Stiftungen vertretend sitzen. Wenn die vielleicht mal verstorben sind, hat man vielleicht mal einen Dritten plötzlich am Tisch sitzen, mit dem man sich auch unterhält, weil in den Stiftungen zumeist auch gebundene GmbH-Anteile als Stiftungskapital enthalten sind. Wir haben uns dann überlegt, wir brauchen eine Neuorganisation, innerhalb der Familie.«

Stiftungen werden zudem zunehmend genutzt, um, nicht zuletzt angesichts restriktiver Erbschaftssteuerregelungen oder fehlender familieninterner Nachfolger, eine langfristige Sicherung und Erhaltung von Vermögen zu betreiben (Hepperle, 2011). Das Vermögen ist nicht selten angesichts anfallender Erbschaftssteuer, angemeldeter Pflichtteilsansprüche und erbrechtlicher Auseinandersetzungen bedroht. Eine Stiftung kann in dem Zusammenhang eine mögliche Lösung sein (siehe z. B. Felden u. Wirtz, 2014; Stolte, 2015). Das Thema kann hier nicht ausführlich behandelt werden. Einen knappen Überblick über die verschiedenen Formen von Stiftungen geben Felden und Wirtz (S. 135): »Generell lassen sich folgende Grundtypen beschreiben: • Unternehmensträgerstiftung: Eine Unternehmensträgerstiftung ist operativ tätig und führt das Unternehmen unmittelbar. Diese Variante wird in Deutschland kaum noch gewählt, da diese Form durch die Stiftungssatzung und die strenge Kontrolle sehr statisch ist und nicht die notwendige Flexibilität für unternehmerisches Handeln bietet. • Beteiligungsstiftung: Bei dieser Variante hält die Stiftung eine Beteiligung an dem Unternehmen, was sowohl bei Kapital- als auch bei Personengesellschaften möglich ist. Mit circa 90 % ist dies in Deutschland die gängigste Form der Stiftung. Hier sind die vermögensorientierten Ziele mit dem Stiftungsgedanken zu realisieren, die Rechtsform behindert jedoch nicht die Unternehmensführung. • Familienstiftung: Als Familienstiftung wird eine Stiftung bezeichnet, deren Zweck darin besteht, ausschließlich den Familienmitgliedern Zuwendungen

226

IV  Familienstrategische Kernfragen

zukommen zu lassen. Oft werden zunächst nur Teile des Vermögens eingebracht und nach Ableben des Stifters sein restliches Vermögen. Die Familie erhält die Erträge; der Name wird hier durch den Stiftungszweck definiert. • Gemeinnützige Stiftung: Familienstiftungen sind mit Vermögen und Erträgen allgemein steuerpflichtig. Dagegen sind Stiftungen, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, steuerbegünstigt. Die rechtlichen Voraussetzungen für diese Steuerbegünstigung regeln die §§ 51–68 der Abgabenordnung (AO). Damit eine Stiftung als gemeinnützig anerkannt werden kann, muss der Stiftungszweck derartige Zwecke verfolgen. • Doppelstiftung: Hier werden die steuerlichen Vorteile der gemeinnützigen Stiftung mit der Familienstiftung kombiniert. In der Familienstiftung werden dann die unternehmensnahen Entscheidungen getroffen. Die Verteilung und Gestaltung von Kapital und Stimmrecht ist […] innerhalb der Familie sehr sorgfältig zu gestalten.« Es gehört zu den unverzichtbaren Aspekten eines Familienunternehmens, dass nur ein gemeinsam geteilter Sinn langfristig tragfähig genug ist, um Familie und Unternehmen in guter Weise aneinander zu binden. Zugleich sollte auch dieser Aspekt nicht idealisiert werden. Die Kernaufgabe besteht immer darin, ein solides, finanzkräftiges und gesundes Unternehmen zu erhalten. Um es mit den Worten eines unserer Projektteilnehmer zu sagen: »Wenn die Kasse nicht stimmt, kannst du dir das ganze ›Sozialgedöns‹ auch von der Backe putzen!«

V

  Entwicklung einer Familienstrategie

Mit dem letzten Kapitel hat sich der Kreis unserer Überlegungen zu den Besonderheiten von Unternehmerfamilien geschlossen: Wir wollten zeigen, dass Unternehmerfamilien in der Sorge um ihren Fortbestand vor Herausforderungen stehen, die keineswegs neu sind und die historisch unter anderem auch von Königs- und Adelshäusern oder auch Landwirtschaften bewältigt werden mussten. Im Zeitverlauf, zumeist ab der zweiten, dritten Generation, ergeben sich Anpassungsbedarfe, die familienstrategisch zu reflektieren sind. Wird dies unterlassen, so sind die Unternehmerfamilien und mit ihnen das Unternehmen existenziell gefährdet. Unternehmerfamilien sind mit komplexen Paradoxien konfrontiert, die dazu führen, dass sie sich als verdoppelte Familie begreifen. Sie stehen vor der Aufgabe, als Familie die Mitglieder zu binden und sich zugleich um eine kollektive Entscheidungsfähigkeit zu kümmern, was zu aufwändigen Prozeduren führt. Zudem ist vor allem mit Blick auf Eigentumsentscheidungen für Rechtmäßigkeit und Legitimation zu sorgen. Die Mentalen Modelle, mit denen eine Familie unterwegs ist, bestimmen, wie das Verhältnis von Familie und Unternehmen »gebaut« wird, und schließlich braucht es einen übergreifenden Sinn, der über den rein wirtschaftlichen Erfolg hinausweist, um die Familie langfristig an gerade dieses Unternehmen zu binden. Doch natürlich müssen die Unternehmerfamilien auch immerfort das Überleben des Unternehmens im Blick haben. Frühere eigene Studien (Simon et al., 2005; Plate et al., 2011) konnten zeigen, dass es die Unternehmerfamilie ist, die für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens den Unterschied macht: Das nichtökonomische Denken der Familie steht indirekt im Dienst des ökonomischen Erfolgs. Wimmer (2007) beschreibt vier besondere Funktionen, um zu erklären, warum Familienunternehmen langfristig besser performen als Unternehmen, die dem Shareholder-Value-Denken ausgesetzt sind:

228

V  Entwicklung einer Familienstrategie

• Eine Unternehmerfamilie legt einen längeren, (mehrgenerationalen) Zeithorizont des unternehmerischen Denkens an. • Sie gibt der Weiterexistenz des Unternehmens den Vorrang, was sich zumeist an einer hohen Thesaurierungsquote zeigt. Die Familie stellt ihre (Kapital-) Interessen hinter die zu finanzierenden Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens. • Sie sorgt in der Außendarstellung für eine glaubhafte, vertrauensbasierte Markenzuschreibung. • Mit Blick auf die Entscheidungsstrukturen im Unternehmen gelingt es einer Unternehmerfamilie im Idealfall besser, Führungskräfte mit Autorität aufzuladen. Dies geschieht, indem sie entweder selbst die Führungspositionen mit Mitgliedern besetzt oder aber in vertrauter, langjähriger Zusammenarbeit mit einer externen Führung dafür sorgt, dass diese das Unternehmen langfristig entwickeln. Unternehmerfamilien verstehen, heißt ein Verständnis für die Wirkung widersprüchlicher Erwartungen auf Einzelpersonen, Familiengremien und die Familie als Ganzes mitsamt den Entscheidungsprozeduren zu entwickeln. Wir haben hierfür den Begriff der Paradoxiefreundlichkeit verwendet. Es gilt, sinnhafte Erklärungen für Phänomene zu finden, über die Außenstehende zuweilen mit dem Kopf schütteln, auf Irrationalitäten schließen und als Lösung vermeintlich klare professionelle Regelungen empfehlen (die aber in ihrer Eindeutigkeit zumeist den Familiendynamiken nicht gerecht werden).

9 Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

Man kann die Entscheidungsfindung »nur in sehr einfachen Gesellschaften […] einfach dem Lauf der Dinge überlassen, dem Entstehen von Tatsachen, der Selbstfestlegung des Gesellschaftssystems durch die eigene Geschichte. Wenn das nicht mehr ausreicht oder wenn auf diese Weise zu viele Konflikte ausgetragen werden müssen, wird ein Bedarf für kollektiv bindendes Entscheiden erkennbar« (Luhmann, 2000a, S. 87).

Dieses letzte Kapitel des Buchs bündelt nun unsere theoretischen Überlegungen und unsere empirischen Befunde und stellt ein praktisches Konzept vor, wie ein Kommunikations-, Reflexions- und Strategieprozess gestaltet werden kann, in dem eine Familie beginnt, sich mit sich und ihrem Verhältnis zum Unternehmen auseinanderzusetzen. Das Kapitel bietet einen Leitfaden, der verdichtet in zwölf Themenfeldern einen idealtypischen Prozess der Formulierung einer Familienstrategie vorschlägt. Arbeit an der Familienstrategie ist für uns verbunden mit dem Umschlagen von Hoffnung auf Vertrauen. Wer familienstrategische Entscheidungen immerfort weiter so trifft, wie es sich bisher bewährt hat, muss hoffen, dass die Familienverhältnisse und Umfeldanforderungen auch weiterhin zu den bekannten Lösungen passen. Wer einen Familienstrategieprozess startet, der wird einigen Kommunikationsaufwand in der Familie auf sich nehmen und auch dann nicht befreit von Auseinandersetzungen und Konflikten sein, wenn eine Familienstrategie endlich steht. Unternehmerfamilien umfassen meist einen größeren Personenkreis als die klassische Kernfamilie. Große und auch weiter wachsende Unternehmerfamilien können, das sollten die bisherigen Kapitel des Buches zeigen, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit ihres Familienunternehmens leisten. Die Bedingung hierfür ist jedoch, dass sie sich explizit mit der Entwicklung einer Familienstrategie beschäftigen, die sowohl inhaltlich wie auch pro-

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

zessoral das Verhältnis der Familie zum Unternehmen (und umgekehrt!) klärt, anstatt die entstehenden Dynamiken dem Lauf der Dinge zu überlassen. Spätestens wenn absehbar ist, dass die Familie so groß wird, dass Alltagsfragen nicht mehr »face to face« besprochen und bearbeitet werden können, ist zu empfehlen, sich einem solchen familienstrategischen Prozess zu stellen. Die oftmals bereits gelebten Praktiken, implizit kommunizierten Werthaltungen und vorhandenen Verhaltenserwartungen werden in einem solchen Rahmen erörtert, verhandelt und gegebenenfalls für alle Familienmitglieder niedergeschrieben. Vielfach geschieht dies in Form einer Familienverfassung oder eines Familienkodex.24 Das nun folgende Prozessmodell zur Entwicklung einer Familienstrategie durch die Unternehmerfamilie fasst die Erkenntnisse aus früheren Forschungsprojekten des WIFU und die Ergebnisse aus dem aktuellen Forschungsprojekt »Familienstrategien über Generationen« zusammen. Ferner haben wir die in unseren Beratungsprojekten (u. a. zur Nachfolgebegleitung, Konfliktmoderation, Gesellschafterqualifizierung und Begleitung der Bearbeitung familienstrategischer Fragestellungen) aufkommenden Fragen und typischen Problemstellungen der letzten 15 Jahre in dieses Konzept einfließen lassen. Es soll als eine Art Leitfaden für die strukturierte Bearbeitung der Kernfragen zur Überlebenssicherung dienen. Gleichzeitig werden die typischen Herausforderungen beschrieben, mit denen sich Unternehmerfamilien konfrontiert sehen, sobald sie einen entsprechenden Reflexionsprozess durchführen. Vermutlich werden die entsprechenden Prozesse in vielen Fällen nicht durch die Familie eigenständig durchgeführt werden. Sie werden eher davon profitieren, wenn sie durch mehr oder weniger intensive externe Unterstützung und Moderation begleitet werden. Dementsprechend bietet sich der hier skizzierte Ansatz auch für Begleiter und Berater von Unternehmerfamilien als Orientierungs- und Strukturierungsrahmen an.

9.1 Auf dem Weg zu einer Familienstrategie: zwölf Themenfelder Will man das »unmögliche Konstrukt« Unternehmerfamilie langfristig am Leben halten, ist es sinnvoll, dass sich die Mitglieder bewusst mit Fragen der Zukunftsgestaltung des Familienunternehmens, des Gesellschafterkreises und der Familie auseinandersetzen. Hilfreich kann es sein, die familienstrategischen Über24 In der Praxis werden die verschriftlichten Gedanken, Haltungen und Regelwerke oftmals auch als Leitlinien der Familie, Familiencharta etc. bezeichnet.

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

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legungen und die Ergebnisse, auf die sich die Familie geeinigt hat, schriftlich festzuhalten. Sowohl individuell wie auch kollektiv geht es im Kern um Fragen der Positionierung der Familie dem Unternehmen gegenüber. Hiermit verbunden sind ein Vielzahl von Identitäts-, Definitions- und Verständnisfragen. Nicht wenige Familienverantwortliche haben anfangs den Eindruck, sie stechen in ein Hornissennest, wenn sie beginnen, im größeren Familienkreis Fragen zum Verständnis von Unternehmertum, zum Umgang mit Traditionen, zur Definition von Familie, zur Höhe der Ausschüttungen oder auch zur Besetzung von Gremien zu diskutieren. Meist gehen Familien jedoch gestärkt aus einem solchen Prozess hervor. Man lernt sich besser kennen, und zwar mit allen Gemeinsamkeiten und auch Unterschieden, entwickelt ein gemeinsames Verständnis von Unternehmensführung, nimmt Konflikte und deren Bewältigung vorweg und entwickelt das, was den vielen Unternehmerfamilien, die wir in Kapitel II porträtiert haben, fehlte: die Fähigkeit, gemeinsam die Frage zu beantworten: »Was passiert, wenn nichts passiert?« Oftmals werden entsprechende Auseinandersetzungen auch als persönliche Reifungs- und Entwicklungsprozesse erlebt. Wir gehen ohnehin davon aus, dass in jeder Unternehmerfamilie eine Familienstrategie praktiziert wird, explizit oder implizit. Sie beginnt, sobald zum Beispiel eine Gründerperson darüber nachdenkt, wie und unter welchen Umständen eine innerfamiliäre Nachfolge möglich sein könnte, wie mit dem Erbe umzugehen ist usw. Familienstrategien dieser Art werden oft schon über Jahre und Jahrzehnte implizit gelebt. Sie existieren in Ansätzen in jeder Unternehmerfamilie, zumeist in praktizierten Handlungsmaximen oder auch impliziten Erwartungshaltungen. Oft gehen die Mitglieder der Familie davon aus, dass die Art des Umgangs mit diesen Fragen ganz selbstverständlich sei. Erst in der Konfrontation mit anderen Möglichkeiten wird den Beteiligten klar, dass sie eine Familiengemeinschaft bilden, in der sich geteilte Werte, Beurteilungen und Handlungsmaximen in Bezug auf das gemeinsame Unternehmen ganz spezifisch ausgebildet haben (Fletcher, Melin u. Gimeno, 2012). Jede mehrgenerationale Unternehmerfamilie verfügt implizit über grundlegende Ideen, zum Beispiel zur Nachfolge als Gesellschafter, zur Mitarbeit im Unternehmen und zum Umgang mit dem Vermögen.25 Die strategischen Leitlinien liegen typischerweise in praktisch gelebter oder auch mündlich vermittelter Form, etwa über Geschichten, vor (Zwack, Kraiczy, von Schlippe u. Hack, 2017). Aus der Strategieforschung (vgl. z. B. Mintzberg u. Waters, 1985) kennt 25 Was nicht heißt, dass sich alle darüber einig sind oder die Idee haben, dass die anderen von ähnlichen Bildern ausgehen wie sie (das zeigt sich schnell, wenn es um die konkrete Erarbeitung kritischer Punkte geht).

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

man den Begriff emergente Strategien. Gemeint sind hiermit Strategien, die im Laufe der Zeit entstehen, ohne das Ergebnis eines bewussten Planungsprozesses zu sein. Gerade in den ersten Generationen können Familienstrategien als Ergebnis solcher emergenter Prozesse angesehen werden. Nur in Ausnahmefällen sind Familienstrategien etwa in Form einer Verfassung schriftlich fixiert. Die Strategien werden im Zeitverlauf kaum kritisch diskutiert und auf veränderte Gegebenheiten in der Familie reflektiert. Auch fehlen gezielte Maßnahmen, wie Inhalte einer Strategie an den wachsenden Gesellschafterkreis bzw. die Folgegenerationen weiterzugeben seien. Darum zielen viele der hier skizzierten Maßnahmen und Prozesse darauf ab, das implizite Wissen der Unternehmerfamilie zu explizieren. In den letzten Jahren haben Unternehmerfamilien verstärkt über eine Verschriftlichung von Werthaltungen und Regelungen zu einem verantwortlichen (Selbst-)Management des Unternehmens und der Unternehmerfamilie nachgedacht.26 Ein entsprechendes Schriftstück, eine Familienverfassung, beschreibt meist die zentralen Leitlinien des familialen Denkens einer Unternehmerfamilie als Orientierungsrahmen. Fast immer handelt es sich dabei um ein zwar moralisch bindendes Dokument, das jedoch nicht im juristischen Sinne verpflichtend ist. Es bezieht gerade aus der moralischen Bindung seine Stärke und dokumentiert den Willen der Familie. In der Bindungslogik der Familie drücken sich darin die Erwartungen der Gesellschafterfamilie an die unterzeichnenden Mitglieder aus. Emotionale und moralische Bindung, das klingt eher nach einem schwachen Instrument. Doch der hier dokumentierte Wille der Familie kann gerade durch seine rechtliche Unverbindlichkeit stärker wirken, als wenn ein Verstoß juristische Folgen hätte.27

26 Sicher auch ein Ergebnis des Familienunternehmenskodex, der bereits im ersten Kapitel erwähnt wurde. 27 In welcher Form hierdurch juristische Bindewirkungen entstehen können, wird aktuell von der Rechtswissenschaft erforscht. Wir erwarten diese Ergebnisse mit Spannung, denn es könnte Implikationen für die Abfassung von Familiendokumenten und deren Einbindung in vorhandene Vertragswerke haben. Grundsätzlich halten wir eine Verknüpfung juristischer Dokumente mit den emotionalen Willensbekundungen als Mitglied einer Unternehmerfamilie für wenig hilfreich. Es ist immer zu berücksichtigen, dass eine in der Logik der Familie formulierte Familienverfassung, die gerade auf den Zusammenhalt als Familie zu Gunsten eines größeren Ganzen (des Familienunternehmens) abzielt, Spielball juristischer Beurteilungen und Verwendungen werden kann. Daher ist bei der Erstellung einer Familienverfassung oder eines Familienkodex große Vorsicht geboten, diese z. B. durch Verweise im Gesellschaftervertrag auf das Familienstatut zu Bestandteilen des Vertrages zu machen. Siehe hierzu auch die Ausführungen unter dem Abschnitt 9.2.

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

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Das im Folgenden dargestellte Wittener Prozessmodell zur Entwicklung einer Familienstrategie basiert auf unseren Analysen zu etablierten Familienmanagement-Systemen, ausgewerteten Familienverfassungen und -kodizes sowie auf unseren Erfahrungen mit Mehrgenerationen-Gesellschafterfamilien. Es umfasst zwölf Themenfelder, die aufeinander aufbauen können (siehe Abbildung 15, S. 235). Jeder einzelne Baustein behandelt dabei eine zentrale Fragestellung, deren Klärung und Beantwortung durch die Unternehmerfamilie aus unserer Sicht essenziell ist. Wir sehen in der Praxis, dass jedes Themenfeld für sich genommen Unternehmerfamilien bei Einigkeit entscheidungsstark und widerstandsfähig agieren lässt und sich bei Uneinigkeit genau an diesen Fragestellungen oftmals nachhaltig Konflikte entzünden. Auch wenn eine chronologische Abfolge in der Bearbeitung der Themenfelder nicht zwingend notwendig ist, empfiehlt es sich unserer Erfahrung nach, zunächst grundlegende Fragen zu bearbeiten, um dann bestimmte Detailfragen zu behandeln und schließlich das Miteinander zu organisieren. So ist es erst sinnvoll, einen Blick auf Gemeinsamkeiten und Verständnisse wie zum Beispiel einen Wertekanon zu werfen, und im Anschluss erst zu regeln, in welcher Form sich die Familie im Unternehmen bzw. in der Öffentlichkeit als Eigentümergemeinschaft präsentieren möchte usw. Der Ausgang eines Familienstrategieprozesses ist offen zu gestalten und somit auch für die Familie nicht frei von Überraschungen. Wir haben erlebt, dass sich innerhalb von Unternehmerfamilien im Laufe eines Bearbeitungsprozesses bestimmte vermeintlich fest gefügte Vorstellungen (z. B. über die Regeln der Mitarbeit, das Einbringen in die strategische Entwicklung des Unternehmens etc.) radikal verändert haben und die Familie sich sozusagen neu erfunden hat. Wir haben erfahren, dass unterschwellige Konflikte hervortraten, die zunächst zu bearbeiten waren, und dass (bisher) latent vorhandene Erwartungshaltungen gemeinsam gefestigt wurden, so dass man aus diesen ein klares Selbstverständnis mitsamt nachvollziehbaren Anforderungen an die einzelnen Gesellschafter formulieren konnte. Werden solche Prozesse durch familienexterne Moderatoren beratend begleitet, kommt diesen Personen eine hohe Verantwortung zu. Sie haben den Prozess zu führen und eine Familie mit Grundfragen zu konfrontieren, die sie sich womöglich bisher nicht gestellt hat. Zugleich braucht die Unternehmerfamilie Freiraum und Gestaltungsfreiheit, um ihre eigenen Vorstellungen, Meinungen und Strukturen zu entwickeln. Externe Moderatoren agieren also als eine Art Anwalt der Kippfigur. Es obliegt ihnen dementsprechend, beide Seiten zu betrachten und gefundene Lösungen aus der jeweils anderen Perspektive wahrzunehmen. Wenn, wie wir es mehrfach beobachten konnten, die Vorstellung des Beraters darüber, wie eine vernünftige Verfassung zu formulieren ist und wie die

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

richtige Gremienstruktur auszusehen hat, der Unternehmerfamilie übergestülpt wird, dürfte die Nachhaltigkeit der gefundenen Lösung fraglich sein. Auch wenn externe Spezialisten sicherlich über breite Erfahrung verfügen, so sind die Binnenlogiken von Familiensystemen doch vielfach kaum untereinander vergleichbar. Es kommt dazu, dass der Wert eines familienstrategischen Prozesses besonders im gemeinsamen, zuweilen auch mühsamen Prozess der Formulierungssuche und Entscheidungsfindung liegt. Denn dieser macht einen Großteil der Bindungswirkung einer Familienverfassung aus. Vielleicht ist er sogar wichtiger als das Ergebnis selbst. Es ist unseres Erachtens deshalb wichtig, dass Beraterinnen und Berater die Spannung aushalten, die sich aus zwei Verführungen zusammensetzt: • Zum einen könnten sie als Spezialisten dazu neigen, den Familien die Entscheidungsunsicherheit zu nehmen, indem sie die Inhalte definieren. Dies ist vor allem in dem Muster der postpatriarchalen Familien zu erwarten. Beratung übernimmt die Rolle und Funktion, die vormals eine dominante Einzelperson innehatte. • Zum anderen könnten sie mit Expertenmeinungen den innerfamiliären Auseinandersetzungsprozess vorschnell abkürzen. Einwände, kritische Stimmen, ein Nein von Familienmitgliedern zu einem scheinbar völlig unpassenden Zeitpunkt stören scheinbar. Wer dann mit Expertise interveniert und diese Stimmen zum Schweigen bringt, kann sich des Beifalls des ungeduldigen Rests der Familie sicher sein. Im Sinne der prozeduralen Gerechtigkeit besteht jedoch die Gefahr, dass das abgewürgte Familienmitglied sich zunehmend weniger an dem Prozess beteiligt und diesen nur halbherzig mitträgt oder sich innerlich aus der Unternehmerfamilie verabschiedet. Jeder Einwand ist, so mühsam mit ihm umzugehen ist, auch eine Erkenntnischance für die Familie, weil er zeigt, dass ein Thema noch nicht ausreichend durchdacht wurde. Wird der Entwicklungsprozess einer Familienstrategie dazu genutzt, vermeintlich professionelle Strukturvorschläge gegen das Selbstbild der Unternehmer­ familie zu positionieren, kann ein Familienstrategieprozess auch kontraproduktive Wirkung haben. Dies zeigt sich zumeist daran, dass Familienmitglieder, die, auch wenn sie über Monate an der Entwicklung einer Familienstrategie beteiligt waren, plötzlich am Tag der Unterzeichnung des Dokumentes ihre Unterschrift mit dem Hinweis verweigern, sich hier nicht mehr wiederzufinden. In diesen Prozessen sind offenbar Strukturen, Werthaltungen und Regeln formuliert worden, die von den prozessbeteiligten Familienmitgliedern zwar auf der Sachebene akzeptiert wurden, innerlich jedoch nicht wirklich mitgetragen wurden. Es kann

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Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

an dieser Stelle nicht oft genug betont werden, dass ein familienstrategischer Entwicklungsprozess eine durchaus heftige Intervention für das soziale Gefüge einer Unternehmerfamilie bedeuten kann. Dementsprechend kommt dem familienexternen Begleiter nicht nur die Rolle eines Fachberaters zu, der die richtige Lösung einführt, sondern auch und vor allem die eines Familiencoaches und Prozessberaters, der die Unternehmerfamilie bei der Bewältigung der Kernfragen zur Überlebenssicherung als Unternehmerfamilie begleitet. Unserer Beobachtung nach passen die Prämissen systemischer Beratung am ehesten zum professionellen Selbstverständnis eines Prozessbegleiters. Denn es gilt im Prozess immerfort, die unterschiedlichen Systemrationalitäten miteinander zu verknüpfen. Vor dem Hintergrund eines solchen Transformationsverständnisses sind die im Folgenden ausführlich beschriebenen Inhalte der einzelnen Themenfelder einer Familienstrategie (siehe Abbildung 15) zu betrachten: als Anstöße zur Professionalisierung einer Familie in ihrer Funktion als Unternehmerfamilie. Regeln zur Einhaltung und Veränderung der Regeln Aufbau von Gesellschafterkompetenz

Bekenntnis zum Familienunternehmen





⑪ Vorhandenes Familienmanagement-System

Ausschüttungspolitik/Vermögensstrategie

Definition von Familie



⑩ ③

Prozess und Inhalte einer Familienstrategie



Werte und Ziele für Unternehmen und Familie

④ ⑧

Konfliktbewältigung/ Krisenprävention

⑤ ⑦

Information, Kommunikation und Verhalten



Rolle und Funktion von Mitgliedern der Familie im Unternehmen

Rolle und Funktion von Familienmitgliedern als Gesellschafter

Installation von Gremien

Abbildung 15: Prozessmodell zur Entwicklung einer Familienstrategie

Die Themenfelder 1 bis 3 beinhalten allgemeine Grundfragen des Selbstverständnisses als Unternehmerfamilie. Die Themenfelder 4 bis 6 und 9 klären zentrale Fragestellungen des Verhältnisses von Unternehmen zur Familie, in den Feldern 7, 8, 11 und 12 werden Umgang und Verhalten miteinander behandelt.

236

V  Entwicklung einer Familienstrategie

9.1.1  Themenfeld 1: Bekenntnis zum Familienunternehmertum Im ersten Themenkomplex wird die grundsätzliche Haltung der Familie zum Unternehmen und zum Unternehmertum diskutiert. Zu Beginn eines familienstrategischen Prozesses ist es wichtig, die vorherrschenden Denkmuster und allgemeinen Vorstellungen über die Zukunft des Unternehmens zu erfassen und die Beziehung der Unternehmerfamilie und der einzelnen Mitglieder zum Unternehmen zu besprechen. In diesem ersten Schritt geht es jeweils darum, herauszuarbeiten, was das Unternehmen für die Familie und was die Familie für das Unternehmen bedeutet. Zu Beginn formuliert die Familie die derzeit gelebte Praxis und die aktuell vorhandenen (zum Teil generischen) Vorstellungen zur zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens und die dabei eingenommene grundlegende Rolle und Funktion der Unternehmerfamilie. Dieser Schritt ist für den Prozess sehr bedeutsam, da hier geklärt wird, wie die Gesellschafterfamilie zum Familienunternehmen steht und wie die am Prozess beteiligten Generationen bzw. einzelnen Subgruppen der Familie grundsätzlich ihr Verhältnis zum Unternehmen beschreiben. Sinnvoll kann es auch sein, sich die Geschichte des Unternehmens und das historisch gewachsene Verhältnis von Familie und Unternehmen in Erinnerung zu rufen. Hier können ältere Gesellschafter interviewt werden, ihre Erzählungen können die historischen Dokumente ergänzen, so dass die Wurzeln des Unternehmertums für die gegenwärtige Familie verstehbar werden. Bereits in dieser Phase des Prozesses können unvereinbare Ideen und Vorstellungen innerhalb der Familie (z. B. zwischen den Generationen, zwischen Stämmen etc.) ans Licht kommen. Wird bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass es gegensätzliche Positionen oder unüberbrückbare Vorstellungen einzelner Familienmitglieder oder -gruppierungen gibt, kann es sinnvoll sein, den Prozess bereits an dieser Stelle zunächst zu unterbrechen und erkennbare Differenzen oder Konfliktthemen (die immer hinter den unterschiedlichen Positionen anzutreffen sind) zu klären. Da Unternehmerfamilien viele Konflikte nicht offen austragen, ist es sogar erwartbar und in diesem Sinne normal, wenn zu diesem frühen Zeitpunkt alte, ungelöste Konfliktthemen der Familie auf den Tisch kommen. In diesen Fällen ist es aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt, diese zunächst aufzuarbeiten. Auch wenn das Schema einen bestimmten Ablauf nahelegt und zu Beginn allgemein die Beziehung Unternehmen – Familie thematisiert wird, so werden oft schon im ersten Schritt en passant viele konkrete Vorstellungen und Lösungsideen zu weiteren Gesellschafterfragen in die Diskussion eingebracht. Beispiele hierfür sind Vorstellungen über die Organisation des Gesellschafter-

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

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kreises, Ideen zur Beibehaltung oder Abschaffung eines Stammesdenkens oder Mentalen Modells, zum Umgang mit Fremdgeschäftsführung, Aussagen zur Wachstumserwartung und der angestrebten Finanzierungsform usw. All dies ist festzuhalten und für den weiteren Prozess zu nutzen. Im Kern werden im Themenfeld 1 all jene Fragen thematisiert, die die Bedingungen herausarbeiten, unter denen das Familienunternehmen weitergeführt und entwickelt werden soll (oder eben nicht). In gewisser Weise spiegelt sich also in der ersten Runde bereits vieles vom Gesamtprozess, das dann im weiteren Verlauf vertiefend behandelt werden wird. In der Bearbeitung dieses ersten Themenblocks stellt sich auch die Frage, welche Bindungswirkung die Ergebnisse haben sollen: Gibt es die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich an einen gemeinsam zu etablierenden Regelkanon zu halten und sich den Inhalten der erarbeiteten Verfassung zu unterwerfen? Bereits an dieser Stelle lohnt ein erstes Nachdenken, wie mit einfachen und wiederholten Regelbrüchen durch einzelne Familienmitglieder umgegangen werden sollte. Eine frühe Auseinandersetzung mit der Wirkungsweise der im Familiendokument festgehaltenen Inhalte hilft zu verstehen, wie ernsthaft sich die Prozessteilnehmer den Inhalten stellen wollen. So dokumentiert die Unternehmerfamilie für sich selbst, in welcher Form sie das Regelwerk und die in ihm aufgestellten Vereinbarungen anwenden und welche Form von »Family Compliance« sie für sich gelten lassen will. Die Bearbeitung des ersten Themenfeldes stellt somit eine Art Parforceritt durch alle zentralen, überlebenskritischen Themen dar, die durch die Familienverfassung behandelt und nachhaltig geregelt werden sollen. Ist dieser erste Schritt getan, sind die Spannungsfelder und Entscheidungsnotwendigkeiten herausgearbeitet, und es kann in der Regel mit der Detailarbeit begonnen werden. Konkrete Fragestellungen in Themenfeld 1: • Was verbinden wir mit dem Unternehmen? • Welche Haltung und welches Selbstverständnis haben wir als Unternehmerfamilie? • Gibt es Leitsprüche und Leitideen, denen wir uns verpflichtet fühlen? • Kennen wir das Mentale Modell unserer Unternehmerfamilie? • Wie schätzen wir die gegenwärtige Praxis der familienstrategischen Steuerung ein? • Wo sehen wir zukünftig Änderungsbedarfe?

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

9.1.2  Themenfeld 2: Definition von Familie Nach dem grundlegenden Einstieg geht es im nächsten Schritt um die Definition der Familie und alle möglichen denkbaren Differenzierungen von Familie. Im zweiten Schritt sind zum Beispiel die Grenzen zwischen Kernfamilien und Großfamilie sowie die Bedingungen zur Mitgliedschaft in der Unternehmer­ familie genauso notwendig zu definieren wie die Bedingungen, die zur Mitgliedschaft im Gesellschafterkreis berechtigen. Abbildung 16 zeigt die verschiedenen Ausdifferenzierungen, über die die Familie an diesem Punkt sprechen sollte, um zu einem gemeinsam getragenen Bild über die verschiedenen möglichen Grenzlinien zu kommen. Gesellschafterfamilie: Enkel/Kinder (pot. Gesellschafter)

Aktuelle Gesellschafter/ 2. Generation Adoptiv­kinder

Aktuelle Gesellschafter und potenzielle Gesellschafter: leibliche, eheliche Abkömmlinge sowie Adoptivkinder Unternehmerfamilie:

Ehe- und Lebenspartner, die Verfassung unterschrieben haben Eingebrachte Kinder

Ehe- und Ehemalige Lebenspartner, die VerGesellschafter, fassung nicht unterschrieben deren Kinder und haben Ehepartner, eingebrachte Kinder von Ehe-/Lebenspartnern von Gesellschaftern

Ehemalige Ehe- und Lebenspartner, die Eltern von Kindern sind

Gesellschafterfamilie + Eheund Lebenspartner, sofern diese die Verfassung unterschrieben haben Großfamilie: Unternehmerfamilie, ehemalige Gesellschafter sowie deren Nachkommen bzw. Ehepartner; Ehe-/Lebenspartner, die die Familienverfassung nicht unterschrieben haben; eingebrachte Kinder von Ehe-/Lebenspartnern von Gesellschaftern Erweiterte Familie: Großfamilie + ehemalige Eheund Lebenspartner, die Eltern von Kindern sind

Abbildung 16: Struktur und Abgrenzung innerhalb von Unternehmerfamilien (Rüsen, 2014)

Fragestellungen in diesem Zusammenhang: • Was heißt für uns Familie? Woran denken wir, wenn wir von Familie sprechen? • Wer genau zählt zur Unternehmerfamilie, wer zum Gesellschafterkreis? • Wen rechnen wir zum erweiterten Familienkreis dazu bzw. wer sollte dazugerechnet werden?

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

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Bereits hier können sich die Vorstellungen von Familie bei den Einzelnen deutlich unterscheiden: Im klassischen Gesellschaftervertrag herrscht oft ein Denken in Blutslinien vor, es orientiert sich zudem an traditionellen Lebensformen: nur eheliche und leibliche Abkömmlinge können Gesellschafter werden. Zu beiden Aspekten haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen sehr gewandelt. Wie sehr ist traditionelles, wie sehr eher moderneres Denken in der Unternehmerfamilie vertreten? Es ist schnell ersichtlich, dass in all diesen Definitionsfragen schmerzliche Differenzen zwischen den Generationen, aber auch innerhalb dieser deutlich werden können. Die verdoppelte Familie gibt ja immerfort unterschiedliche Antworten. Fragen in diesem Themenfeld, mit denen sich eine wachsende Familie beschäftigen sollte, betreffen neben den oben genannten klassischen Fragestellungen auch Zugehörigkeitsfragen, die über eine Blutslinienregelung hinausgehen. Diese werden in den nachfolgenden Abschnitten genauer in den Blick genommen. Umgang mit Adoption

Adoptivkinder werden in Unternehmerfamilien der Gegenwart selten kategorisch ausgeschlossen. Auseinandersetzungen gibt es weniger um die generelle Zulassung von Adoptionen als vielmehr um die Frage, unter welchen Bedingungen diese zugelassen werden sollen. Vielen Familien ist es besonders wichtig, dass das potenzielle Adoptivkind die Kultur der Wertegemeinschaft Familie so lange kennenlernt, dass es diese teilen kann. Das kann sich in der Erwartung ausdrücken, dass ein Kind etwa einen Zeitraum von zehn Jahren in der Familie verbracht hat, ehe die Adoption dazu berechtigt, Gesellschafter zu werden. Erwachsenenadoption wird recht durchgehend abgelehnt. Während einige der Familien das Höchstalter für Adoption auf 18 Jahre festlegen, sind hier andere restriktiver und setzen es auf 14, 15 oder 16 Jahre (was zusammen mit der Zehn-Jahresregelung im Allgemeinen bedeutet, dass das zu adoptierende Kind spätestens mit fünf Jahren in die Familie hineinkommt). Auch das Alter des/der Adoptierenden kann Gegenstand der Diskussion sein. Wenn dies beschlossen wird, dann wird die Grenze zwischen dem fünfzigsten und 65. Lebensjahr der Eltern gezogen. Zentrale Fragen: • Können adoptierte Kinder Gesellschafterstatus erlangen? • Wenn ja, ab wann und unter welchen Bedingungen? • Bis zu welchem Alter soll ein Gesellschafter adoptieren dürfen?

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Umgang mit Ehe- und Lebenspartnern

Die Rolle von Ehe- und Lebenspartnern wird zumeist intensiv diskutiert. Eheund Lebenspartner personifizieren die Differenz zwischen der eigenen Kernfamilie und der Groß- bzw. Gesellschafterfamilie. War diesen Familienmitgliedern in der Vergangenheit oftmals eine Nebenrolle zugedacht, setzt sich immer stärker die Einsicht durch, dass Partner auch institutionell stärker eingebunden werden können. Es mehren sich die Fälle, in denen Ehepartnern Anteile oder sogar Positionen in Familien- oder Kontrollgremien eingeräumt werden. Offenbar wird immer deutlicher, dass die Funktionsfähigkeit einer Unternehmerfamilie nicht ausschließlich durch die ursprünglichen Gesellschafter und deren Abkömmlinge in Blutslinie sichergestellt werden kann, sondern dass zum Beispiel Ehepartnern eine zentrale Rolle bei der Erziehung und wertemäßigen Prägung der Folgegeneration zukommt. Eine Ausgrenzung dieser Personengruppe bei gleichzeitiger Erwartung, die Kinder im Sinne der Unternehmerfamilie positiv zu prägen, wird von vielen Unternehmerfamilien als nicht nachhaltig und funktionsfähig empfunden. Zentrale Fragestellungen: • Dürfen Ehe-/Lebenspartner als Gäste an einer Gesellschafterversammlung teilnehmen? • Dürfen sie Gesellschafter werden und in Überwachungs- oder Familiengremien gewählt werden? • Dürfen sie im Unternehmen tätig werden? • Was ist bei einer Scheidung zu bedenken? • Wie soll bei einer Verwitwung mit der Verwaltung von Anteilen minderjähriger Nachkommen verfahren werden? Eine besondere Herausforderung für eine einheitliche Regelung stellen moderne Lebensformen dar. So sehr diese gesellschaftlich auch befürwortet werden, ergeben sich für die Familie weitere Zusatzfragen: • Ab wann ist eine Partnerschaft anzuerkennen und einer gesetzlichen Ehe gleichzustellen? • Wie werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften gesehen? • Wie geht man mit (Patchwork-)Kindern um, die in eine Ehe miteingebracht werden, sind diese den Kindern in direkter Blutslinie gleichzustellen? Hier sind keine Kategorien von richtig oder falsch anzulegen, viele Unternehmerfamilien handhaben diese Fragen sehr liberal, manche entscheiden sich, angeheiratete oder andere Partner von den Zugängen zu Anteilen oder Gremien auszuschließen. Hier muss (das soll im Folgenden nicht immer wieder

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

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neu betont werden) jede Familie ihren eigenen Weg finden. Wir würden jedoch einer Unternehmerfamilie empfehlen, zumindest zu prüfen, welchen Preis sie bezahlt, wenn sie (Ehe-)Partner von allen Gesellschafteraktivitäten ausschließt. Umgang mit Aussteigern

Zudem ist zu überlegen, wie mit Familienmitgliedern umgegangen werden soll, wenn diese sich für einen Anteilsverkauf entscheiden.28 Bleiben sie noch Mitglieder der Unternehmerfamilie oder erlischt die Mitgliedschaft komplett durch den Austritt aus der Gesellschaft? Aufgrund der engen Kopplung von Unternehmerfamilie und Familie löst ein Anteilsverkauf große Irritationen im familiären Miteinander aus, die besser im Vorhinein geklärt werden sollten. Zentrale Fragestellungen: • Wie behandelt die Unternehmerfamilie Mitglieder, die sich für den Ausstieg aus dem Unternehmen entscheiden? • In welchem Familiensystem sind Verkäufer mitsamt Nachkommen noch zugehörig? • An welchen Veranstaltungen dürfen diese nach dem Verkauf teilnehmen? • Wie verfährt man mit den (minderjährigen) Kindern der Aussteiger? Sind sie zukünftig mit ausgeschlossen? Unserer Erfahrung nach gibt es hierzu kein eindeutiges Bild, aber interessant ist, dass einige Familien die Regel gefunden haben, dass die Kinder von Gesellschaftern, die ausgestiegen waren, das Recht haben, sich wieder einzukaufen. Formen der generationenübergreifenden Strukturierung der Unternehmerfamilie

Definitions- und Zugehörigkeitsfragen sind die eine wichtige Seite familienstrategischer Reflexionen. In die Überlegungen sind jedoch auch die Prämissen des Denkens mitsamt den mehrgenerationalen Folgen einzubeziehen. Mit Blick auf die Prämissen lohnt hier ein gemeinsamer Blick der Familie auf dominante oder auch widerstreitende Mentale Modelle. Bei der Diskussion zu familieninternen Vorstellungen über die Zukunftsentwicklung geht es darum, ob sich die Familie auf die Übergabe der Entscheidungsmacht bzw. Verantwortung an eine zentrale Person verständigen will, sich anhand von Stammesstrukturen definiert oder als Einheit einer Großfamilie sieht, die sich auf einen gemeinsamen Vorfahren beruft. 28 Unter welchen Bedingungen der Verkauf generell möglich sein kann, wird im Themenfeld 5 geklärt.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Zentrale Fragestellungen: • Welche Mentalen Modelle sind bei uns wirksam? • In welcher Form nehmen wir aktuell unsere Unternehmerfamilie wahr (eher in Stämmen, als Gemeinschaft)? • In welcher Form sind die derzeit praktizierten Formen der Familienführung zukunftsfähig bzw. wodurch würden wir erkennen, dass diese an ihre Grenzen stoßen? • Wie kann ein zukunftsfähiges Familienverständnis aussehen? Mit den hier im Themenfeld 2 gefundenen Antworten werden erfahrungsgemäß viele Folgefragen vorstrukturiert, die erst in den späteren Abschnitten des Zirkels detailliert behandelt werden (wie etwa Anteilsübertragungen, Aufbau und Struktur von Kontrollgremien, Wahlordnungen, Berufungsentscheidungen etc.). Die Fragen folgen dem neu reflektierten Selbstverständnis der Familie und sind diesem im Verlauf des Prozesses anzupassen. Da Familienstrategieprozesse oftmals eingeleitet werden, wenn stärkere Umbrüche anstehen (z. B. hohes Alter der bisherigen Familienführung oder die nächste Generation soll Gesellschafterstatus erlangen), wird oftmals allen Beteiligten deutlich, dass das bisherige familiäre Selbstverständnis nicht mehr passt und die auf diesem aufbauenden Struktur- und Organisationsmuster nicht mehr aufrechterhalten werden können. Mit neuen Formen der Familiendefinition verknüpfen sich unter diesen Bedingungen radikale Formen der Neustrukturierung und auch Neuerfindung einer Unternehmerfamilie. 9.1.3  Themenfeld 3: Werte und Ziele für Unternehmen und Familie Im dritten Themenfeld werden die Wertevorstellungen definiert, die für die Familie von Bedeutung sind und als Basis für konkrete Erwartungen und Vorgaben der Familie für das Unternehmen zu begreifen sind. Oft wünscht sich die Familie, dass ihr Werteverständnis auch (oder zumindest in weiten Teilen) im Unternehmen gelten solle. Auf Grundlage der diskutierten und gegebenenfalls auch formulierten Wertevorstellungen können konkrete Zielvorstellungen für die Familie formuliert werden: Was heißt der Wert Bescheidenheit konkret für das Verhalten in der Öffentlichkeit etc.? Gleichzeitig werden Erwartungen an das Unternehmen bzw. im Falle eines rein familienexternen Managements an dessen Führungskräfte definiert. Die hier formulierten Inhalte können dann konkrete Zielwerte (z. B. Eigenkapitalquote und -verzinsung, Wachstumsgrößen, Verschuldungsgrad etc.) umfassen oder aber klare Vorgaben zum Führungsverhalten, zum Umgang mit Kunden, zu Lieferanten und sonstigen Stakeholdern

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beinhalten. Als Ableitung der Werte werden in diesem Rahmen oftmals auch soziale oder gemeinnützige Engagements festgelegt, die für die Familie insgesamt eine Bedeutung haben. Das in diesem Teil definierte Wertefundament der Unternehmerfamilie ist zentral für den weiteren Prozess. Hier formuliert die Unternehmerfamilie Leitplanken für operative und strategische Ziele des Unternehmens und der Familie. An den formulierten Werten und Zielsetzungen haben sich Entscheidungen und Verhaltensweisen von Führungskräften und Familienmitgliedern gleichermaßen auszurichten.29 Die Ausformulierung von Werten ist die eine Seite. Ohne einen Abgleich, was die Familienmitglieder unter dem konkreten Leben des Wertes nun verstehen, besteht jedoch eine große Gefahr der Wirkungslosigkeit. Nehmen wir zum Beispiel eine Formulierung, die in vielen Verfassungen zu finden ist: »Die Bedürfnisse des Unternehmens haben Vorrang vor den Bedürfnissen der Gesellschafterfamilie, die Bedürfnisse der Gemeinschaft der Gesellschafterfamilie haben Vorrang vor individuellen Bedürfnissen …«

Diese Wertvorstellung kann als nett (und irrelevant) ausgelegt werden. Sie kann aber für das einzelne Familienmitglied bedeuten, dass die Familie keine Diskussionen über Sonderrechte beispielsweise bei Beanspruchung einer Führungsposition im Unternehmen oder dem Wunsch nach einer Sonderausschüttung wegen Umbau des Ferienhauses zulässt, wenn dies nicht im Interesse des Unternehmens ist. Man merkt, die Konkretisierung der Werte auf ihre Konsequenzen für das Verhalten bzw. das Management des Unternehmens ist von besonderer Bedeutung. In der Praxis begegnen uns immer wieder Familienverfassungen, die aus einer Aneinanderreihung geradezu heroischer, selbstloser Werteformulierungen bestehen, ohne dass die aus dieser Haltung resultierenden Konsequenzen erfasst sind. Hier haben sich die Unternehmerfamilien bzw. die diese unterstützenden Berater womöglich zu sehr auf den schönen Schein des Konsens verlassen. Unverbindlich formulierte Werte in Verfassungen erweisen sich unserer Erfahrung nach eher als kontraproduktiv: Jedes Familienmitglied kann die allgemein formulierten Werte so auslegen, dass ein individueller Wunsch damit gerechtfertigt wird. Konflikte über die Auslegung sind damit vorprogrammiert. 29 Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, nach Abschluss des Prozesses zu prüfen, in welcher Form Aspekte der im familienstrategischen Prozess definierten Grundhaltungen in die vorhandenen juristischen Vertragswerke integriert werden können. Siehe hierzu ausführlich das Themenfeld 12.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Im schlimmsten aller denkbaren Szenarien werden Auszüge aus Schriftstücken als Argumentationshilfe beigefügt. In einem Unternehmen galt als Wert: »Wir fühlen uns dem Unternehmen gegenüber verpflichtet. […] Wir steuern und führen unser Unternehmen nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne unserer Vorväter«. Dieser Absatz wurde nun von Mitgliedern der Unternehmerfamilie dahingehend interpretiert, dass sich Teile der Familie im Sinne der Familiencharta berufen sahen, operativ in das Unternehmen einzutreten. Die fehlende notwendige Voraussetzung zur Befähigung als Mitglieder der Geschäftsführung wurde dem familienexternen Beirat gegenüber mit dem unbedingten Wunsch begründet, sicherzustellen, dass das Unternehmen im Sinne der Vorväter geführt wurde. Die Familienmitglieder sahen sich durch die selbst erstellte Charta dazu legitimiert und aufgefordert, als Wertewächter im obersten Führungsgremium des Unternehmens tätig zu werden. Von daher ist es wichtig, nach der Diskussion und Selektion familienrelevanter Werte in einem zweiten Schritt auszuformulieren, was genau die Familie unter diesen versteht und welche Konsequenzen daraus folgen. Hilfreich ist es, Werte mit beobachtbaren Konsequenzen und Handlungen zu verknüpfen. Konkret bieten sich hier Fragen an, wie: »Woran würden Außenstehende merken, dass wir den Wert X leben bzw. nicht leben?« Es folgt zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Wertediskussion, das aus Rüsen (2014) stammt, der Wertekanon einer Unternehmerfamilie: 1. Persönliche Gestaltungsfreiheit: Wir gestehen jedem Familienmitglied zu, sein Leben individuell zu gestalten. Bestandteil dieser Gestaltungsfreiheit ist die Achtung der selbstgesetzten Regeln und Werte und der Schutz des Unternehmens. 2. Transparenz: Offener Umgang mit Informationen und Entscheidungen in Bezug auf das Unternehmen sowie zentraler Informationen in Bezug auf die Familie. 3. Fairness: Wir suchen ausgewogene Lösungen; wir behandeln einander auf Augenhöhe mit Respekt und Wertschätzung. 4. Zuverlässigkeit: Wir halten uns an Absprachen. 5. Sachlichkeit: Wir streben eine objektive Betrachtungsweise von Sachverhalten an; wir gehen mit Konflikten professionell um (ggf. ziehen wir sachverständige Dritte hinzu). 6. Vertrauen: Wir unterstellen einander in der Familie grundsätzlich eine gute Absicht. 7. Hilfsbereitschaft & Solidarität: Wir sind füreinander da, egal in welcher Situation.

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8. Integrität: Wir stehen 100%ig zu unseren Werten, Aussagen und Handlungen; im Außenverhältnis sprechen wir mit einer Stimme; im Innenverhältnis schätzen wir eine kritische Diskussion. 9. Langfristigkeit: Alle unsere Handlungen sind nicht kurzfristig ausgerichtet, sondern folgen einem generationenübergreifenden Ziel (»Enkelfähigkeit«). 10. Toleranz: Wir respektieren Unterschiedlichkeit von Meinungen, Eigenschaften, Sichtweisen; damit meinen wir explizit nicht: Regelbruch, Infragestellung der Werte. 11. Bodenständigkeit: Wir bleiben eine bodenständige Familie; wir behalten die Bodenhaftung: »Reichtum ist eigentlich ohne Wert, es ist Ausdruck von etwas Erreichtem, das selbst auf Werten beruht«. 12. Redlichkeit: Was du nicht willst, was man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu. Typische Fragestellungen im Themenfeld 3 sind: • Welchen Werten fühlt sich die Familie verpflichtet? • Was ist uns wichtig? Was hält uns als Familie zusammen? • Welche Vorgaben möchten wir uns als Familie und welche dem Unternehmen geben? • Woran erkennen wir, dass die Werte gelebt werden bzw. dass sich jemand nicht daran hält? • Welche konkreten Zielvorgaben lassen sich aus den Werten ableiten? 9.1.4 Themenfeld 4: Rolle und Funktion der Mitglieder der Familie im Unternehmen Die in diesem Themenfeld behandelten Fragestellungen gehören zu den Punkten, an denen es im Familienstrategieprozess mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Auseinandersetzungen kommt. Nicht zufällig nehmen Besetzungsfragen einen Großteil dieses Buches ein. In diesem Themenfeld geht es speziell um die Festlegungen, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen die Mitglieder der Gesellschafterfamilie in eine operative Tätigkeit in das Unternehmen eintreten können bzw. sollen. Mehrheitlich nannten die im Forschungsprojekt versammelten Unternehmerfamilien die Handhabung der Mitarbeit von Familienmitgliedern als diejenige Frage, an der sich die größten Konflikte entzünden. Je früher über diese Themen gesprochen wird, desto besser: Sofern zu einem Zeitpunkt über die Mitarbeit und die Kompetenzanforderungen diskutiert wird, in dem einzelnen Familienmitglieder schon fest mit einer Position rechnen, wird es schwierig, notwendige Grenzziehungen ohne persönliche Verletzungen vorzunehmen.

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Grundlegende Fragestellungen in diesem Themenfeld: • Wie stehen wir generell als Unternehmerfamilie zur Mitarbeit von Familienmitgliedern? • Ist es für unser Selbstverständnis (und unser Geschäftsumfeld) relevant, dass Familienmitglieder im Unternehmen tätig sind? (Hier empfiehlt sich ein Seitenblick auf das Mentale Modell der Unternehmerfamilie und die bisher vorherrschenden Haltungen die bereits in Themenfeld 1 erarbeitet wurden.) Für den Fall einer gewünschten Mitarbeit im Unternehmen ist festzulegen, in welcher Funktion bzw. ab welcher Hierarchieebene eine Tätigkeit vorgesehen ist. Für die meisten Unternehmerfamilien gilt, dass eine Mitarbeit, wenn überhaupt, nur auf der höchsten oder einer der höchsten Führungsebene(n) möglich ist. Begründet wird dies damit, dass der Betreffende ansonsten zu sehr mikropolitischen Aktivitäten im Unternehmen ausgesetzt sein könnte (etwa wenn versucht wird, über das Familienmitglied indirekt Einfluss auszuüben). Doch gibt es auch (durchaus erfolgreiche) Beispiele dafür, dass Angehörige des Gesellschafterkreises auf mittleren Führungsebenen oder gar auf SacharbeiterEbene mitarbeiten können. Votiert die Familie für Mitarbeit, so sind grundlegende Schritte für den Einstieg von Vertretern der Nachkommen zu definieren. Hierzu gehören sowohl das Festlegen bestimmter Kompetenzanforderungen und erwarteter Entwicklungsschritte im Unternehmen als auch gegebenenfalls ein parallel laufendes Coaching- bzw. Mentoren-Programm. In diesem Rahmen können Senior- und Juniorgeneration offene Punkte, unglückliche Situationen und konkrete Schritte zur Übergabe und Übernahme von Verantwortung gegebenenfalls mit externer Unterstützung reflektieren und vereinbaren (Groth u. Rüsen, 2016; Groth, Rüsen u. von Schlippe, 2013b, S. 10 f.). Hierbei sollten notwendige Schritte des Familienmitgliedes mit entsprechender Flexibilität vorab definiert werden, so dass ein Verharren des Vertreters der Nachfolgegeneration auf einer Parkposition ausgeschlossen ist.30 Es ist in diesem Rahmen auch festzulegen, wer über die Beförderung, Feststellung der Leistung, Gehaltsanpassungen und, bei unzureichenden Leistungen, über den Austritt des Familienmitgliedes befindet. Nicht selten erleben wir, dass zwar der Eintritt der Nachfolgegeneration kleinschrittig geplant wird, ein (beschädigungsfreier?) Austritt aufgrund Minder- oder Fehlleistungen jedoch nicht geregelt wurde. Sind die Eintrittsbedingungen und Kompetenzanforderungen einmal festgelegt (typischerweise liegen entsprechende Anforderungsprofile für jede in Frage 30 In der Forschung wird dies als »successor’s trap« beschrieben (Kaye, 1996).

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kommende Position in Form einer Stellenbeschreibung vor), definieren die Gesellschafter einen möglichst objektiven Prozess, der die Kompetenzen eines Bewerbers aus der Familie und seine Passung für die Stelle beurteilt. Hier stellt sich die Frage, wie nachhaltig Beurteilungsprozesse gestaltet werden können, wenn die Kompetenzbewertung ausschließlich durch eines oder mehrere Familienmitglieder vorgenommen wird. Eine denkbare Alternative, bei der beispielsweise ein familienextern besetzter Personalausschuss die Einschätzung zur Tauglichkeit für eine Führungsaufgabe vornimmt, wird oft mit dem Argument verworfen, dass Familienfremde unmöglich über zentrale Zukunftsfragen der operativen Führung des Familienunternehmens entscheiden können. Eine definitive Antwort auf die Paradoxie und die in ihr gegangenen Lösungsschritte kann nicht gegeben werden. Die diesbezüglichen Auseinandersetzungen kann man keiner Familie ersparen – nur einer Dämonisierung der einen wie der anderen Lösung kann man entgegenarbeiten: Es gibt genügend Beispiele, dass weder die Welt noch das Unternehmen untergegangen ist, nachdem ein externes Gremium über die Nachfolge entschied.31 Zentrale Fragestellungen: • Auf welcher Ebene und mit welchen Karriereoptionen lassen wir Mitarbeit zu bzw. befördern diese aktiv? • Welche Kompetenzanforderungen legen wir für den Einstieg fest? • Wer entscheidet über Eignung und über die Weiterentwicklung (auch und vor allem im Vergleich mit externen Kandidaten)? • Wie wollen wir damit umgehen, wenn ein Mitglied im Unternehmen nicht reüssieren konnte, und wie integrieren wir es wieder in die Unternehmerfamilie? Uns vorliegende Familienkodizes zeigen, dass sich Unternehmerfamilien vielfach durch das Formulieren von Kernprinzipen wie zum Beispiel: »Die Familie entscheidet nie oder zumindest nie allein über die Leistung von Familienmitgliedern« oder »Familienmitglieder dürfen nie in einem Vorgesetztenverhältnis zueinander tätig werden«, einen Handlungs- und Strukturrahmen setzen, der klassischerweise Konflikte minimieren hilft. So kann die bereits erwähnte Paradoxie der Gleichzeitigkeit der Prinzipien von Inklusion und Exklusion zumindest abgemildert werden. Insbesondere kann eine möglicherweise erforderliche Exklusionsentscheidung leichter durch ein externes Gremium getroffen werden. Die damit zwangsläufig verbundenen Gefühle des Grolls werden dann weniger familienintern attribuiert. Der Preis, der damit verbunden ist, liegt in der Abgabe von einem Stück Verfügungsmacht – denn die Letztentscheidung über 31 Für das Gegenteil gibt es schon eher Beispiele.

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eine Exklusion geht natürlich mit der Letztentscheidung für eine Inklusion einher. Die Erfahrungen mit langlebigen Familienunternehmen legen jedoch eher nahe, die alleinige Entscheidung über die Qualifikation zur Mitarbeit, der hierarchischen Über- und Unterordnung bzw. zur Leistungsbeurteilung etc. durch ein anderes Familienmitglied auszuschließen. In fast jeder Unternehmerfamilie tauchen entsprechende Verletzungsgeschichten als zentraler Auslöser oder Beschleuniger von Familienkonflikten auf. Zentral scheint auch die Auseinandersetzung der Familie mit dem Verhalten eines Gesellschafters als Mitarbeiter im Unternehmen zu sein, insbesondere auf unteren Hierarchieebenen. Oft genug treten in der Praxis Fälle auf, in denen es zu Rollenverwechslungen kommt und Familienmitglieder ihrer operativen Aufgabe mit Verweis auf die Eigentümerfunktion zu mehr Durchsetzung verhelfen wollen. Entsteht einmal der Eindruck, dass ein Familienmitglied, egal auf welcher Hierarchieebene es tätig ist, immer das letzte Wort hat, ist der Weggang motivierter Mitarbeiter und Führungskräfte und eine nachhaltige Störung des innerbetrieblichen Gleichgewichtes erwartbar. Zur Verdeutlichung geben wir hier einen Auszug aus einer Familienverfassung wieder, der die bisherigen Ausführungen verdeutlicht (Rüsen, 2014): Unsere grundsätzliche Haltung zur Mitarbeit von Familienmitgliedern: • Wir befürworten eine Mitarbeit von Familienmitgliedern im Unternehmen, sofern diese auf den beiden ersten Ebenen (GF & Bereichsleitung) erfolgt. • Grundsätzlich erfolgt eine Gleichbehandlung von Familienmitgliedern und familienexternen Führungskräften. Dies gilt für den Prozess der Auswahl, die Beurteilung der Arbeitsergebnisse, die Vergütung und den Umgang mit Fehlleistungen. • Unterhalb der 2. Ebene soll kein Familienmitglied im Unternehmen tätig sein. • Grundsätzlich sollen keine Situationen entstehen, in der Mitglieder aus der Familie über andere Familienmitglieder bestimmen/entscheiden können; dies gilt für etwaige Führungskonstellationen im Unternehmen sowie Beurteilungssituationen des Beirates über Führungskräfte. Hierzu wurde das Konstrukt des Personalausschusses geschaffen. Dieser wird in entsprechenden Situationen hinzugezogen und erhält besondere Rechte seitens der Gesellschafter. • Die Vergütung unterscheidet sich für die Familienmitglieder nicht. • Familienmitglieder sollen in keinem Beratungs- und Dienstleistungsverhältnis zu dem Unternehmen stehen. • Schülerpraktika und Studentenpraktika bzw. Ferienjobs sind gewünscht und werden als sinnvolle Maßnahme zur Entwicklung von Gesellschafterkom-

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petenz gesehen, die bei der Schaffung von Kenntnis und Verständnis für die Firma in der Nachfolgegeneration helfen soll. In diesem Rahmen soll ein Praktikum bis zu 6 Monaten im Block möglich sein. Zusammenfassend ist die Frage der Mitarbeit von Familienmitgliedern für die Unternehmerfamilie an mehreren zentralen Punkten kritisch: • im Hinblick auf das generelle Verständnis, ob Familienmitglieder überhaupt leitend tätig sein sollen, • im Hinblick auf die Frage, ob Mitlieder der Familie im Unternehmen auch in untergeordneten Funktionen tätig sein dürfen, • im Hinblick auf die Bewertung der Fähigkeiten und Eignungen eines Familienmitgliedes für operative Aufgaben, • im Hinblick auf die Entscheidung von Verwandten über Lebens- und Berufsbiographien bzw. über Positionen, die mit Anerkennung und Reputation verbunden sind. Es empfiehlt sich, bereits zu Beginn der Arbeit an diesem Themenkomplex über ein Vorgehen nachzudenken, das aufkommende Konflikte und gegebenenfalls grundlegende Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Mitarbeit frühzeitig ansprech- und bearbeitbar macht. Sofern eine Mitarbeit einzelner Familienmitglieder im Unternehmen geplant oder bereits umgesetzt ist, sind familienextern besetzte Aufsichts- und Kontrollgremien mit entsprechenden starken Rechten ebenso hilfreich wie eindeutig formulierte Prozessverläufe bei Konflikten, die eine Vermischung der Rollen als Familienmitglied, Eigentümer und Mitarbeiter des Unternehmens vermuten lassen. Entscheidet sich die Gesellschafterfamilie gegen eine aktive Mitarbeit im Unternehmen bzw. gibt es in der Nachfolgegeneration kein Interesse daran, so entledigt sie sich einiger Konfliktfelder. Dafür sind Überlegungen anzustellen, wie die Familie für ein angemessenes Maß an Mitgestaltung bei zentralen Entscheidungen sorgt: Sind ausreichend kompetente Familienmitglieder verfügbar, die über eine Mitarbeit im Aufsichts- und Kontrollgremium Grundentscheidungen mitgestalten können? Welche Maßnahmen müssen gegebenenfalls. getroffen werden, um perspektivisch ein Kontrollgremium mit kompetenten Vertretern der Familie besetzen zu können? Die in Themenfeld 11 zu definierenden Inhalte eines Programmes zum Aufbau von Gesellschafterkompetenz nehmen auf die hier definierten Bedingungen Bezug.

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9.1.5 Themenfeld 5: Rolle und Funktion der Mitglieder der Familie als Gesellschafter Im fünften Themenfeld setzt sich die Unternehmerfamilie mit sich selbst in ihrer Funktion als Eigentümerin eines Unternehmens auseinander. Es geht hierbei um die Überprüfung bisher gelebter Eigentümerführung vor dem Hintergrund juristischer Konsequenzen in gesellschaftsvertraglichen Regelungen. So werden Fragen der Organisation von Entscheidungsprozessen, Vorgaben zur Übergabe und zur Abgabe von Anteilen und ihre spezifischen familiensystembedingten Ausnahmen und Besonderheiten definiert. Genau genommen werden hier die zentralen Fragestellungen der Kippfigur (siehe Kapitel 4 und 5) systematisch ausgearbeitet. Während die ersten zwei Themenfelder im Wesentlichen grundlegende Haltungsfragen umfassten und im dritten Themenfeld das Unternehmen im Fokus stand, ist die Unternehmerfamilie an diesem Punkt des familienstrategischen Entwicklungsprozesses gefordert, die Kippfigur zu adjustieren. Während unter dem Gesichtspunkt Familiendefinition festgelegt wurde, wer überhaupt berechtigt ist, Gesellschafterfunktionen auszufüllen, dienen die im Folgenden beschriebenen Fragestellungen der Ausgestaltung und Reflexion der zumeist gesellschaftsrechtlich festgelegten Eigentümerfunktionen. Nun wird deutlich, was die Kippfigur leisten muss: Entscheidung und Bindung zugleich. Informelles und Unausgesprochenes wird fixiert, definiert und festgehalten. Oftmals werden erhebliche Unterschiede des Denkens, Handelns und Fühlens der Gesellschafter und der vorhandenen vertraglichen Regelwerke deutlich: Wer das Familiäre sieht, wird auf weiche, informelle Regelungen aus sein, wer die Unternehmerfamilie vor Augen hat, wird stärker auf klare Regelungen drängen. Gelingt die gemeinsame Beantwortung der Fragestellungen und die Formulierung gegebenenfalls notwendiger Umgangsmöglichkeiten mit Ausnahmeregelungen, wird ein zentrales Fundament der Funktionsfähigkeit des Gesellschafterkreises erschaffen. Festlegung von Grundmustern der Entscheidungsfindung

Wie wollen wir als Familie entscheiden? In der Beantwortung dieser Frage empfiehlt es sich, zunächst über die gelebten Formen und Muster des Entscheidens zu reflektieren. Wir erleben nicht selten, dass es einen ausgeprägten Stolz in einer Familie gibt, seit Jahrzehnten immer im Konsens entschieden zu haben. Konsens ist natürlich nicht negativ zu bewerten. Tatsächlich gelingt es einigen Familien, Entscheidungen so intensiv zu diskutieren, dass alle Gesellschafter diese mittragen, oder eine Entscheidung zu vertagen, wenn nicht alle Familiengesellschafter von der Sinnhaftigkeit überzeugt sind. Zuweilen bleibt die individuelle Anteils-

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höhe nachgeordnet, jeder kritischen Stimme wird Gehör geschenkt. Hierdurch entsteht einerseits eine große Stärke, entscheidet sich doch die Gemeinschaft der Gesellschafter oder der Unternehmerfamilie als Kollektiv für oder gegen etwas. Doch abgesehen davon, dass die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung leidet, ist das verpflichtende Konsensmuster keine Lösung von Dauer. Es besteht die Gefahr, dass eine vermutlich irgendwann eintretende Verletzung der Harmoniebestrebungen als dramatisch erlebt wird. Aufgrund der zur selbstverständlichen Gewohnheit gewordenen Konsens-­Erfahrungen wird eine Stimmenthaltung oder gar eine Gegenstimme als schwere Störung im Familienzusammenhalt angesehen. Die hohe Emotionalität zeigt dabei nur, dass bisher noch kein Weg gefunden wurde, mit kontroversen Meinungen innerhalb der Gesellschaftergemeinschaft konstruktiv umzugehen. Ein Abweichen von der herrschenden Meinung muss kein Gesichtsverlust sein, und auch bei Dissens kann eine Familie weiter entscheidungsfähig sein, vielleicht sogar noch besser. Denn es geht weniger darum, dass man sich immer gut versteht, als vielmehr darum, als professionell agierende Familie auch kontrovers diskutieren und dennoch (mehrheitlich) entscheiden zu können (hier zeigt sich die in Kapitel 4.2 beschriebene Differenz von Bindungs- und Entscheidungskommunikation). Ein gezieltes Thematisieren des Entscheidungsmusters im Rahmen des familienstrategischen Entwicklungsprozesses bietet eine Chance, Konsensvorstellungen als Illusion zu betrachten und den Umgang mit Unterschiedlichkeit zu erlernen. Wichtig scheint es, diesbezüglich festzulegen, in welcher Form mit Differenzen umgegangen wird. Zentrale Fragestellungen: • Welches Entscheidungsprinzip soll in Bezug auf Fragestellungen der Unternehmerfamilie gelten, welches in Bezug auf den Gesellschafterkreis? • Was sind akzeptierte Quoren für welche Fragestellungen? • Wie gehen wir mit Minderheitsvoten um? • Wann ist Konsensorientierung zu Gunsten von Entscheidungsfähigkeit aufzugeben? • Welche Entscheidungen werden nach außen einstimmig vertreten, selbst wenn es familienintern Gegenstimmen und harte Diskussionen gab? Regelung der Anteilsbezugsrechte und Integration neuer Gesellschafter

Neben der Klärung, wer letztlich dazu berechtigt ist, durch Erbe oder Schenkung Anteile zu bekommen, geht es auch darum, zu überlegen, welcher Zeitpunkt für die Übernahme von Anteilen als sinnvoll angesehen wird. Ist es sinnvoll, dass jeder Gesellschafter singulär festlegt, wann er seinen Kindern Anteile übertragen möchte? Der eine überträgt zu einem frühen Zeitpunkt, der andere

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spät bzw. wenn er stirbt, und lässt seine Kinder somit erst mit Ende fünfzig in die Gesellschafterverantwortung kommen. Hier bietet es sich an, dass die Unternehmerfamilie zumindest im Groben eine einheitliche Regelung vorgibt, so dass sich alle Alterskohorten auch als Gesellschafter begegnen (auf der Gesellschafterversammlung, bei Gesellschaftertreffen etc.). Einige Familien definieren auch konkrete Vorbedingungen zur Übertragung von Anteilen auf die nächste Generation, wie etwa das Unterzeichnen der Familienverfassung, das Absolvieren von Praktika, das Abschließen einer Berufsausbildung oder eines Studiums etc. Eine weitere Fragestellung umfasst die Integration neuer Jung-Gesellschafter. Wie können diese lernen, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden? Wir beobachten in der Praxis mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze einer Hinführung, die neben gezielten Schulungen (siehe hierzu Themenfeld 11) auch die Teilnahme an Gremiensitzungen im stimmrechtslosen Gaststatus umfassen. Bei größeren Unternehmerfamilien hat es sich bewährt, dass eine neue Kohorte von Gesellschaftern aus unterschiedlichen Kernfamilien gemeinschaftlich in die verantwortungsvolle Rolle eines Gesellschafters geführt wird. Hier können beispielsweise Cousinen und Cousins gemeinsam Seminare und Schulungen durchlaufen und hierdurch als Team zusammenwachsen, welches für die nächsten dreißig Jahre Verantwortung für das Unternehmen übernimmt. Zentrale Fragestellungen: • Wem dürfen Anteile verschenkt oder vererbt werden? • Sind leibliche Abkömmlinge einzig empfangsberechtigt? • Macht es einen Unterschied, ob die Abkömmlinge nicht nur leiblich sondern auch ehelich sein müssen (was passiert im Falle nicht-ehelicher Abkömmlinge)? • In welcher Form sollen Adoptivkinder oder gar Ehe- und Lebenspartner Anteilseigner werden können? • In welcher Form dürfen Anteile mit Nießbrauchsrechten für Ehe- und Lebenspartner belastet werden? • Welches Alter eines Nachkommen wird als sinnvoll für den Eintritt in die Gesellschafterrolle angesehen? • Soll es Vorbedingungen für die Übertragungen von Anteilen an die nächste Generation geben? • In welcher Form sollen Nachwuchsgesellschafter bei dem Hineinwachsen in die Gesellschafterrolle unterstützt werden (z. B. gezielte Schulungen, Gastteilnahme in Gremien etc.)?

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Umgang mit Scheidungen

Tradierte Vererbungs- und Übertragungsmuster (z. B. entlang von Blut- oder Stammeslinien) lösen sich zunehmend auf. Da moderne Familienformen auch Einzug in Gesellschafterstrukturen halten, ist das Thema Erbe allgemein (Müller-Tiberini, 2008) und damit auch die Regelung der Weitergabe von Gesellschafteranteilen betroffen. Diesen Entwicklungen in der Familie wird in Gesellschafterverträgen bislang nur sehr selten Rechnung getragen. Zwar werden entsprechende Eheverträge (und damit vorab Verzichtserklärungen auf Zugewinngemeinschaften) oftmals in den Gesellschafterverträgen gefordert, eine praktische Überwachung, ob diese tatsächlich geschlossen wurden und kompatibel mit den jeweiligen Testamenten bzw. anderen Vertragswerken sind, findet in den meisten Fällen jedoch nicht statt. Auch gibt es mit den Vertretern der Nachfolgegeneration selten ein strukturiertes Gespräch über die Sinnhaftigkeit solcher höchst unromantischen und juristisch fundierten Regelungen. Die systematische Auseinandersetzung hiermit im Rahmen eines familienstrategischen Prozesses ist daher für Unternehmerfamilien eine Möglichkeit, die damit verbundenen Gesprächsinhalte aus der Tabu-Zone herauszuholen und auf selbstverständliche Weise in die Kommunikation zu bringen. Einmal in die Familienverfassung aufgenommen, können entsprechende Erwartungen potenziell hinzukommenden externen Familienmitgliedern vor der Eheschließung vorgestellt und mit diesen durchgesprochen werden. Zentrale Fragestellungen: • In welcher Form wird der Abschluss eines Ehevertrages zur Regelung des Pflichtteilsverzichtes und einer modifizierten Zugewinngemeinschaft vorgeschrieben? • Was passiert mit Gesellschaftern, die diesen nicht unterzeichnen wollen? • Wer kümmert sich um ein Aufklärungsgespräch mit jungen Gesellschaftern und deren Lebenspartnern? Umgang mit Internationalisierungsfragen der Unternehmerfamilie

Die Globalisierung der Gesellschaft wirft eine Vielzahl von Fragen für Unternehmerfamilien auf, die im Rahmen der Gesellschafterrolle ernste Konsequenzen nach sich ziehen können. So beobachten wir immer häufiger, dass Teile einer Familie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern und internationale Beziehungen und Eheschließungen stattfinden. Diese individuellen Lebensentscheidungen einzelner Familienmitglieder können Auswirkungen auf die Gesellschaftergemeinschaft insgesamt haben, die im Rahmen der familienstrategischen Diskussion geklärt werden sollten. So kann etwa das schlichte Übersehen eines ersten Wohnsitzes in der Schweiz, der nach dem Studium nicht wieder umgemeldet wurde, zu erheblichen steuer-

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lichen Belastungen führen, von der Wahl des Lebensmittelpunkts in den USA ganz zu schweigen (siehe hierzu ausführlich Gräfe u. Jeschke, 2016; Kirchdörfer u. Lorz, 2013, 2016; Layer u. Claß, 2014). Bei dem Zustandekommen internationaler Ehen sind gegebenenfalls alternative Versorgungsausgleichsregelungen und Eheverträge abzuschließen. Oftmals wird auch übersehen, dass im Ausland lebende Gesellschafter Nachkommen haben, die meist der deutschen Sprache nicht mehr oder nicht vollständig mächtig sind. Hier gilt es zu klären, wie diese im Rahmen des Gesellschafterreportings behandelt werden sollen und wie ein zwei- oder mehrsprachiger Gesellschaftertag gestaltet werden kann. Multikulturalität zu ignorieren bzw. auf den deutschen Wurzeln zu beharren, führt in entsprechenden Familien selten zu einer Vertiefung der Bindung. Zentrale Fragestellungen: • Gibt es eine zentrale Instanz, die sich um steuerliche Konsequenzen des Wegzugs ins Ausland kümmert? • Gibt es eine zentrale Instanz, die die erb- und eherechtlichen Implikationen bei dem Schließen einer internationalen Ehe evaluiert und entsprechend gültige Vertragswerke aufsetzt? • Wie werden Gesellschafter informiert und integriert, die der deutschen Sprache nicht oder nicht vollständig mächtig sind? Regelungen zur Veräußerung und Fungibilität der Anteile

Eine weitere fundamentale Fragestellung beschäftigt sich mit dem Verkauf von Anteilen in Folge eines Ausstiegs aus dem Gesellschafterkreis. Vertragliche Regeln der Vergangenheit spiegeln häufig die familieninterne Haltung gegenüber diesem Thema wider: Der Ausstieg galt als Verrat am gemeinsamen Familienerbe und sollte durch hohe Abschläge und lange Auszahlungsperioden erschwert werden. Eine Vielzahl juristischer Auseinandersetzungen und höchstrichterlicher Entscheidungen haben jedoch gezeigt, dass entsprechende Vertragsklauseln nicht oder teilweise nicht gültig sind (Hennerkes u. Kirchdörfer, 2008; Kirchdörfer u. Lorz, 2009). Vor diesem Hintergrund sollten Haltung und Umgang mit dem Austrittswunsch definiert sein, Berechnungsmodelle des Preises von Anteilen festgelegt werden sowie die Modalitäten der Übernahme durch die verbleibenden Gesellschafter geregelt werden. Das hier behandelte Thema fordert die Kippfigur enorm. Es wird nicht nur über die Bestimmung der Berechnung des Wertes des transgenerationalen Erbes (Suess-Reyes, 2016) verhandelt, sondern es wird eine Haltung definiert, wie die Fungibilität der Gesellschaftsanteile familienintern gewertet wird. In Abbildung 17 sind die Parameter, die eine Diskussion hierüber erheblich beeinflussen können, in einer Matrix dargestellt. Hier wird das oftmals mit Freiheit

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bezeichnete Argument als Parameter der Verfügbarkeit der Anteile auf der einen Seite dem Wunsch nach Gemeinsamkeit und Bindung auf der anderen gegenübergestellt. Es ergeben sich unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten von einer völligen Fungibilität durch einen Börsengang bis zur Aufgabe der Fungibilität durch Einbringung der Anteile in eine Stiftung. Die in Themenfeld 9 behandelte allgemeine Grundhaltung zum unternehmerischen Vermögen hat hier einen maßgeblichen Einfluss. Matrix zur Fungibilität von Anteilen ++ Völlige Fungibilität an der Börse Familieninterner Markt

Freiheit ––

Freiwilliges Commitment, Anteile zu halten

Bindungsvertrag für 10 Jahre rollierend

»Zwangs«Stiftung ––

»gewollte« Stiftung Gemeinsamkeit

++

Abbildung 17: Matrix zur Fungibilität von Anteilen

Zentrale Fragestellungen: • Unter welchen Bedingungen (Preis, Auszahlungsmodalität) soll eine Veräußerung von Anteilen möglich sein? • Sollen Gesellschafter nur gesamthaft oder zeitlich gestreckt in Teilen veräußern können? • Dürfen einzelne Gesellschafter und wenn ja, unter welchen Bedingungen, Anteile übernehmen, oder kauft die Familie gesamthaft, um sodann quotal die Anteile an alle gleich zu verteilen (Blutlinien-Logik vs. pro Kopf/pro Rata)? Regelungen zum Umgang mit familienexternen Gesellschaftern

Ein weiterer Aspekt, der in diesem Themenfeld bearbeitet wird, ist die Haltung der Familie gegenüber familienexternen Gesellschaftern. Dabei gilt es herauszuarbeiten, ob und unter welchen Bedingungen die Öffnung des Gesellschafterkreises für Dritte (z. B. verdiente Geschäftsführer, Investoren, den Kapitalmarkt etc.) grundsätzlich vorstellbar ist. In der Praxis ist die Aufnahme von

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familienexternen Anteilseignern oftmals entweder nur temporär vorstellbar, um zum Beispiel das familienexterne Management für die Zeit der Mitarbeit unternehmerisch zu motivieren, oder wird als eine Notmaßnahme deklariert, wenn zum Beispiel notwendige Kapitalmittel fehlen. Eine dauerhafte Abgabe von Gesellschafteranteilen ist, wenn überhaupt, nur zur Beseitigung einer Existenzbedrohung vorstellbar. Oftmals werden aus Sorge um eine Verwässerung der familiären Anteile auch die Wachstums­bedürfnisse des Unternehmens nicht vollumfänglich bedient (Wimmer u. Groth, 2008). Zentrale Fragestellungen: • Soll der Gesellschafterkreis für Familienexterne (Top-Manager, Mitarbeiter, Investoren etc.) offen sein? • Falls ja, sollen diese auch Stimmrechte erhalten? • Sollen Anteile von Familienexternen nur temporär oder dauerhaft (vererbbar) gehalten werden können? • Wie finden wir eine Form, in der wir trotz externer Gesellschafter als Unternehmerfamilie die Entscheidungshoheit behalten? Die Ausführungen zu den Inhalten dieses Themenfeldes verdeutlichen die Richtungsweisung der hier vorzunehmenden Adjustierungen der Kippfigur. In der Praxis der Bearbeitung dieser Inhalte lässt sich oftmals feststellen, dass die bisher im Gesellschaftervertrag fixierten Vorgaben ihren Ursprung oft in der Denklogik der Eltern oder Großeltern hatten und die aktuelle Lebenswirklichkeit der Gesellschafterfamilien nicht mehr angemessen widerspiegeln. Die Arbeit an der Familienstrategie führt daher fast immer zu der Notwendigkeit einer nachgelagerten Anpassung der gesellschaftsvertraglichen Regelwerke. 9.1.6  Themenfeld 6: Installation von Gremien Inhalt dieses Themenfelds ist die Auseinandersetzung mit Fragen zu übergeordneten Überwachungs-, Koordinations- und Beratungsgremien des Unternehmens und der Familie, also der Struktur von Family und Business Governance. Auf Seiten des Unternehmens geht es darum, zu überprüfen, welche Beratungs-, Aufsichts- und Überwachungsgremien zur Begleitung und Kontrolle der Geschäftsführung als hilfreich, sinnvoll und notwendig erachtet werden.32 32 Zu diesem Themenkomplex wurde bereits viel publiziert, er wird von uns nur in Bezug auf die familiendynamischen Fragestellungen betrachtet. Aus der umfänglichen Literatur empfehlen wir die Auseinandersetzung mit den ausführlichen Abhandlungen, die auf die Spezifika von Gesellschafterfamilien Bezug nehmen (Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015, S. 362 ff.; Kormann, 2008, 2014a).

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Oft gibt es durch die Rechtsformwahl keine entsprechende Verpflichtung für die Eigentümer, so dass in vielen Fällen entsprechende Institutionen bisher noch nicht etabliert wurden.33 Funktion und Zusammensetzung von Beratungs- und Kontrollgremien des Unternehmens

Es gibt vielfältige gute Gründe, einen Beirat einzusetzen. Zum Beispiel im Kontext von Nachfolgesituationen, in denen die Seniorgeneration die Verantwortung für das operative Geschäft abgeben, gleichzeitig jedoch noch als strategischer Wegweiser und Sparringspartner an Bord bleiben möchte, hat sich die Installation eines Beiratsgremiums als hilfreich erwiesen. Über ein entsprechendes beratendes bzw. überwachendes Gremium kann der Übergang in der Verantwortung bzw. die Einbeziehung und das Loslassen-Lernen durch die Seniorgeneration stufenweise herbeigeführt werden. Ähnliches gilt für die Situation, wenn mit dem Ausstieg der Seniorgeneration das letzte Familienmitglied das Unternehmen in operativer Verantwortung verlässt oder wenn durch personelle Veränderungen ein Teil der Familie nun nicht mehr im Management vertreten ist. Hier wird zum Beispiel durch die Einrichtung eines Beiratsgremiums mit entsprechender Kompetenzausstattung sichergestellt, dass der nicht mehr aktiv im Unternehmen repräsentierte Familienteil über das Überwachungsgremium noch an den grundlegenden Entscheidungsprozessen beteiligt ist. Im Rahmen des familienstrategischen Prozesses geht es zunächst darum, zu überlegen, welche Funktionen ein Beirat ausüben soll. Ein Beirat, der über reine Repräsentationsfunktionen hinausgeht, wird immer kompensatorische Funktionen ausüben, das heißt, er wird Funktionen übernehmen, die weder das Unternehmen noch die Familie aus sich heraus zu leisten vermögen. Insofern reflektiert die Unternehmerfamilie mit der Beiratsfrage auch immer sich selbst mitsamt den Korrekturbedarfen. Folglich gibt es oftmals bei Unternehmen, in denen die Familie operativ tätig ist, eine eher abwehrende Haltung gegenüber einem (ggf. sogar familienextern besetzten) Kontrollgremium: Man will sich ungerne hereinreden lassen und übersieht den Nutzen externer Kompetenzen. Gibt es ein Einverständnis für eine entsprechende Beratungs- und Überwachungsstruktur, sind grundsätzliche Fragen zur Besetzung zu klären.

33 Die Einrichtung entsprechender Gremien ist lediglich bei einer Aktiengesellschaft oder einer großen GmbH vom Gesetzgeber vorgeschrieben.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Zentrale Fragestellungen: • Welche Gründe sprechen für, welche gegen die Einrichtung eines Beratungs-/ Kontrollgremiums? • Soll das Gremium durch familienexterne Personen oder Familienmitglieder dominiert werden? • Wer sucht und wählt die externen Personen aus, und welche Kriterien werden für die Suche angelegt? • Durch welche Vorschlags- und Wahlverfahren soll die gegebenenfalls heikle Auswahl unter Familienmitgliedern stattfinden? • In welcher Form sollen Gesellschaftergruppen (z. B. Stämme) ein Delegationsrecht erhalten? • Inwieweit reagieren bzw. antworten wir mit der Beiratszusammensetzung auf Änderungen in der Geschäftsführung? Sollte bei einer Geschäftsführung, die ausschließlich aus Familienmitgliedern besteht, nicht besser ein rein aus familienexternen Mitgliedern bestehendes Gremium installiert werden? • In welcher Form soll eine Gastrolle in einem solchen Gremium jungen Gesellschaftern die Möglichkeit geben, in die Verantwortung als Gesellschafter oder potenzieller Geschäftsführer bzw. Beiratsmitglied hineinzuwachsen? Bei der erstmaligen Einrichtung eines solchen Gremiums stellen wir immer wieder große Unsicherheiten innerhalb der Gesellschafterfamilie fest. So gibt es Unklarheiten über eine angemessene Höhe der Vergütung für die Mitglieder des Gremiums, Sorgen über einen adäquaten Informationsaufwand für die Geschäftsführung durch Beiratsberichte etc. Das größte Problem ist unserer Beobachtung nach aber die Gewinnung der zu dem Unternehmen und den Familiengesellschafter passenden richtigen Persönlichkeiten. Weil für diese Aufgabe gerade nicht der Freundeskreis die richtige Quelle für das Recruiting ist, stellt sich für die Familiengesellschafter die Frage, wie und wo Persönlichkeiten kennengelernt werden können, denen ein entsprechendes Vertrauen entgegengebracht werden kann. Neben fachlicher Expertise, die von erfahrenen Führungskräften aus Konzernen oder zum Beispiel familienexternen Managern anderer Familienunternehmen eingebracht werden können, gibt es oft den ausgeprägten Wunsch, einen anderen Familienunternehmer als Mitglied in dem Gremium zu installieren. Diese Persönlichkeit zu finden, die auch mit anderen Mitgliedern des Gremiums konstruktiv zusammenarbeiten kann, stellt sich unserer Erfahrung nach als zentrale Herausforderung bei der Einrichtung eines solchen Gremiums heraus. Daher ist eine frühzeitige Vernetzung der Gesellschafter in entsprechende Unternehmerkreise eine hilfreiche Möglichkeit, wenn nicht auf die Arbeit von spezialisierten Headhuntern zurückgegriffen werden soll.

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Funktion und Zusammensetzung von Familiengremien

Zusätzlich zu einem klassischen Beirat, der seinen Fokus hauptsächlich auf das Unternehmen legt, ist es ab einer Familiengröße von mehr als circa 15 Personen sinnvoll, eine vergleichbare Institution mit einem Familienfokus zu schaffen, deren Aufgabe es ist, die Familie in ihrem Zusammenhalt zu organisieren. Diese wichtige Funktion wird bzw. wurde in vielen Unternehmerfamilien informell nebenbei ausgefüllt. Eine (zumeist weibliche) Person lud zu Familientreffen ein, kümmerte sich um die Sorgen und Befürchtungen einzelner Gesellschafter, vermittelte zwischen Konfliktparteien, fuhr mit den Nichten und Neffen in den Urlaub etc. Während in Kernfamilien oder kleineren Familien die Festlegung einer Person als Teilzeit-Familienverantwortlicher noch ausreicht, nehmen mit Größenzunahme einer Unternehmerfamilie auch die Anforderungen an das Management der Familie schnell zu, so dass die Aufgabenfülle nicht mehr nebenbei von einer Person erledigt werden kann. Soll die Unternehmerfamilie in ihrer Sprach- und Entscheidungsfähigkeit durch sich selbst gemanagt werden, ist ein Gremium zu installieren, das die Vielzahl an Aufgaben und Aktivitäten zu erledigen und organisieren hat.34 Im Rahmen des familienstrategischen Prozesses ist es deshalb wesentlich, zu überlegen, welche Aufgaben an legitimierte Mitglieder aus der Familie übergeben werden und was diese hier angemessen leisten können. Wir beobachten nicht selten, dass bei der Entwicklung einer professionellen Family Governance bzw. einer nachhaltig installierten familienstrategischen Arbeit mit erheblichem zeitlichen Aufwand für einzelne Familienverantwortliche (manchmal auch Kümmerer genannt) zu rechnen ist. Oftmals kommt es nach der Unterzeichnung der Familienverfassung zum bösen Erwachen, sobald festgestellt wird, dass die hier formulierten Ansprüche der Gesellschafterfamilie an sich selbst, an den Umgang miteinander etc. nicht allein durch die Formulierung der Verfassung in ein sich automatisch vollziehendes Regelverhalten münden. Vielmehr wird deutlich, dass es einer oder mehrerer Familienmitglieder bedarf, die sich mit dem Leben und der Einhaltung der hier vereinbarten Inhalte befassen, bei Problemen vermitteln oder definierte Familientreffen inhaltlich wie organisatorisch vorbereiten müssen.

34 Eine aktuelle Untersuchung von uns hat ergeben, dass etwa 17 % der befragten Unternehmen über eine entsprechende Familieninstitution verfügen. An der Befragung nahmen insgesamt 263 Mitglieder aus Gesellschafterfamilien teil (Rüsen, Vöpel, Calabrò u. Müller, 2013).

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Dem Familiengremium wird oftmals eine Vielzahl von Aufgaben zugewiesen, die ohne weiteres fünf bis zehn Manntage pro Person und Jahr ausfüllen.35 Typische Inhalte des Aufgabenspektrums sind: • Herstellen der kommunikativen Bindung zwischen den unternehmensnahen Gremien (Beirat, Gesellschafterausschuss etc.) und der weiteren Gesellschafterfamilie, • Vermittlung von Konflikten innerhalb der Gesellschafterfamilie, • Weiterentwicklung der Familienverfassung, • Organisation von Familienzusammenkünften im Umfeld des Unternehmens, die den Zusammenhalt und die Kenntnis der Unternehmensentwicklung fördern sollen, • Begleitung heranwachsender Vertreter der nächsten Generation und hier insbesondere die Funktion als Organisator und Ansprechpartner für Konzeption, Organisation und Kontrolle laufender Maßnahmen zur Entwicklung einer Gesellschafterkompetenz, • die Integration hinzukommender Ehe- und Lebenspartner als neue Familienmitglieder. Aufgrund dieser Aufgabenfülle und Bedeutung ist bei größeren Gesellschafterfamilien meist ein Gremium sinnvoll, das aus mehreren Personen besteht (dieses wird häufig als Familienrat bezeichnet). Der in der Praxis oftmals beobachtbaren typischen Verantwortungsfalle sollte die professionalisierte Gesellschafterfamilie hierbei nicht erliegen. Denn häufig fühlen sich die aktiv im Unternehmen tätigen Familienmitglieder qua ihrer Rolle nicht nur für die Führung des Unternehmens, sondern auch für die Familie verantwortlich und erklären sich schnell zur Übernahme der Aufgaben bereit. Aufgrund des meist eh schon sehr begrenzten Zeitbudgets dieses Personenkreises werden die angeführten Aufgaben dann entweder unzureichend ausgeführt oder an das Sekretariat ausgelagert. Zudem kommt es hierdurch zu einer weiteren Aufgaben- und Verantwortungskonzentration, die patriarchal ausgerichtete Gesellschafterfamiliensysteme in späteren Generationen störanfällig machen. Aus unserer Sicht sollte daher bei größeren Gesellschafterfamilien ein zusätzliches Gremium, das die Vielfalt der Familie repräsentiert, das (Selbst-)Management der Familie übernehmen. Es sollte aus Vertretern der Senioren- und Junioren-Gesellschaftergeneration 35 Werden dem Familiengremium zusätzlich gesellschafterähnliche Rechte zugewiesen, erhöht sich der Zeitaufwand noch. Bei den folgenden Ausführungen wird jedoch von einem Familiengremium ausgegangen, welches keine Gesellschafterrechte ausübt und sich vornehmlich um den Zusammenhalt der und den Informationsfluss in der Familie bzw. die Entwicklung einer Gesellschafterkompetenz dieser bemüht.

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bestehen, auch nichttätige Gesellschafter sollten repräsentiert sein, wie auch neu hinzugekommene Familienmitglieder (Ehe- und Lebenspartner), sofern diesen eine Relevanz in der Unternehmerfamilie beigemessen wird. Die für diese Aufgaben nötigen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten werden in der Praxis kontrovers diskutiert, lassen sich jedoch auf eine einfache Formel reduzieren: Sie brauchen Vertrauen seitens der restlichen Mitglieder der Gesellschafterfamilie. Denn fühlt sich die Gesellschafterfamilie durch das eigene Gremium nicht angemessen repräsentiert bzw. herrscht gegenüber den handelnden Personen nicht ein Mindestmaß an Vertrauen, Respekt und Sympathie, besteht die Gefahr, dass ein solches Gremium wirkungslos agiert. Zentrale Fragestellungen: • Welche Aufgaben könnte ein Familiengremium/Familienverantwortlicher übernehmen? • Wie viel Zeitaufwand soll hierfür eingesetzt werden? • Wie soll eine Wahl in das Familiengremium erfolgen? • Wie soll das Engagement im Rahmen eines Familiengremiums/als Familienverantwortlicher honoriert werden?



  Exkurs  

Installation und Arbeitsweise eines Familiengremiums Vor diesem Hintergrund kommt der Wahl der Repräsentanten der Gesellschafterfamilie eine hohe Bedeutung zu. So kann die allgemeine Bereitschaft innerhalb der Familie, sich für eine Wahl aufstellen zu lassen, bereits als eine Art Barometer der Ernsthaftigkeit im Annehmen der Inhalte der Familienverfassung angesehen werden. Wir beobachten häufig eine spürbare Ermüdung innerhalb von Gesellschafterfamilien, sich nach mehreren, mitunter mühseligen Arbeitstreffen im Rahmen des Strategieentwicklungsprozesses nun, nach der feierlichen Unterzeichnung der Verfassung, auch weiterhin noch für die Geschicke der Gesellschafterfamilie mit entsprechendem Zeitaufwand einzusetzen. Deshalb ist früh die Frage zu klären, welche Form von Anerkennung und Wertschätzung den sich hier engagierenden Familienmitgliedern (in Abgrenzung oder Anlehnung an Entlohnungsmodelle zu Familienmitgliedern in Aufsichts- und Kontrollgremien des Unternehmens) entgegengebracht werden soll. Ist die Arbeit für die Funktionsfähigkeit der Gesellschafterfamilie weniger oder gleichwertig zum Beispiel zu der Arbeit eines Familienmitgliedes im Beirat? Ist es angemessen, dass auf der einen Seite ein herzliches Dankeschön ausgesprochen und

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

im anderen Fall eine Beiratsvergütung gezahlt wird? Diese Fragen sind im Rahmen der Konzeption eines solchen Gremiums innerfamiliär zu klären. Wie aber soll verfahren werden, wenn es mehr Kandidaten als Positionen in einem Familiengremium gibt? In solchen Fällen ist die hohe Bereitschaft in der Familie, sich für eben diese zu engagieren, zunächst eine wertvolle Kraftquelle. Kommt es jedoch durch unkluge Wahlverfahren zu einer Abwahl oder Nicht-Wahl kandidierender Familienmitglieder, kann dies zu beträchtlichen Verletzungen und einem nachhaltigen Gesichtsverlust dieser Personen führen (vgl. das Kapitel 5.1). Es fahren diejenigen Familien ein geringes Risiko, die ein zweistufiges Wahlverfahren favorisieren. Hier kommt ein Familienmitglied nur auf die Wahlliste, wenn es im Vorfeld dokumentieren kann, dass es zum Beispiel mindestens 20 bis 30 % der wahlberechtigten Familienmitglieder als Unterstützer hinter sich weiß. In einem zweiten Schritt wird dann eine freie und geheime Wahl mit Hilfe einer vertrauenswürdigen Person als externem Wahlleiter durchgeführt. Kandidaten können nur dann zu einem Repräsentanten der Familie auf Zeit gewählt werden, wenn sie eine hohe Anzahl der wahlberechtigten Stimmen (mindestens 50 %) auf sich vereinen. Bei der Art der Wahl ist festzustellen, ob es sich bei dem Familiengremium um eines handelt, das sich ausschließlich um die Belange der Familie kümmert, also keine gesellschafterähnlichen Funktionen ausübt. Hier empfiehlt sich ein anteilsunabhängiges Wahlverfahren (z. B. eine Stimme pro Kopf). Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass es um die Wahl vertrauenswürdiger Personen geht und nicht darum, dass die größten Anteilseigner ihre Vertreter entsenden. Werden dem Gremium zusätzliche Rechte der Gesellschafter übereignet, sind bei der Wahl unterschiedliche Höhen der Gesellschafteranteile entsprechend zu berücksichtigen. Oftmals werden die Verantwortlichen für die Familie für zwei bis drei Jahre gewählt, mit der Möglichkeit auf Wiederwahl. Um die Kontinuität in diesem Gremium sicherzustellen, beobachten wir in der Praxis auch Verfahren, die eine asymmetrische Amtszeit der einzelnen Familienräte umfassen. So wird zum Beispiel sichergestellt, dass jüngere Mitglieder, die sich gegebenenfalls noch im Studium oder zu Beginn einer Arbeitskarriere befinden und einen längeren Zeitraum nicht abschätzen können, sich aber dennoch zum Beispiel für zwölf bis 18 Monate in die Gremienarbeit einbringen möchten, kürzere Amtszeiten wählen. Eine Neuwahl führt hier zu einer Situation, die es den neuen Gremienmitgliedern ermöglicht, die bereits begonnene Arbeit mit den erfahrenen Mitgliedern fortzusetzen.

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Durch die aktive Auseinandersetzung mit der Organisation der Gesellschafterfamilie wird zumeist erst die Bedeutung der vielen kleinen Aufgaben sichtbar und die Anerkennung und Wertschätzung der hierfür bisher implizit Verantwortlichen deutlich. Unserer Einschätzung nach ist die Bearbeitung dieses Themenkomplexes und die spätere Etablierung einer entsprechenden Person oder Personengruppe, die durch die Gesellschafterfamilie für diese Verantwortung legitimiert ist und »Kümmer«-Aufgaben ausüben kann, ein maßgeblicher Professionalisierungsschritt innerhalb der Unternehmerfamilie. Abbildung 18 verdeutlicht einen gewählten Zusammenhang von Familien- und Firmengremium einer Gesellschafterfamilie.

                     GESELLSCHAFTERVERSAMMLUNG

Trifft sich dreimal p. a.: Ende Febr. (formale GV) und Sept. und Jan. (informelles Treffen zur Gesellschafter­information)

Belange der Gesellschafter      Aufsichtsgremium

Kommunikation des Familienwillens

     Familiengremium

Überwachungsfunktion der GF; trifft sich 1 × pro Quartal

Information der Mitglieder des Fam.-Gremiums über BR-Entscheidunge nund aktuelle Themen

»Kummer«-Funktion für Belange der Familie, Organisation des Zusammenhaltes & Entwicklung von Gesellschaftskompetenz; trifft sich 1 × pro Quartal; monatliche Telefonkonferenz

Geschäftsführung

Belange der Firma

Im Umfeld der Gesellschaftertreffen finden die Familientreffen (Familientage etc.) statt

Belange der Familie

Abbildung 18: Beispiel einer Gremienstruktur von Unternehmen und Familie (Rüsen, 2014)

9.1.7  Themenfeld 7: Information, Kommunikation und Verhalten Bei der Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Themenblocks geht es um die Identifikation und Festlegung von Regelungen, wie sich die Mitglieder der Unternehmerfamilie einander gegenüber und im Verhältnis zur Umwelt verhalten wollen. Dies umfasst die Form, den Detaillierungsgrad und die Häufigkeit der Information sowohl über Entwicklungen im Unternehmen (in welcher Form soll die Gesellschafter hinaus die Familie über das Unternehmen infor-

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

miert werden?) als auch innerhalb der Familie gegenüber der Unternehmerfamilie (welche Ereignisse in den einzelnen Kernfamilien sollen innerhalb der Unternehmerfamilie kommuniziert werden?). Ferner geht es darum, Prinzipien der Kommunikation zu etablieren (in welcher Art wollen wir miteinander sprechen, schreiben etc.?). Schließlich werden Absprachen und Vereinbarungen getroffen, in welcher Form sich die Unternehmerfamilie als solche in der Öffentlichkeit positionieren und präsentieren möchte. Information und Austausch über das Unternehmen

Die Organisation der Information geht über die im Gesellschaftervertrag geregelte Informationspflicht hinaus. Hier steht vor allem der Gedanke im Vordergrund, die Mitglieder der Gesellschafterfamilie an wesentlichen Entwicklungen des Unternehmens teilhaben zu lassen und hierdurch ein vorhandenes Interesse am Unternehmen zu erhalten oder neu zu entzünden. Dementsprechend gehen hier oftmals in der Praxis gefundene Lösungen weit über die Erstellung von Monats-, Quartals- bzw. Halbjahresberichten hinaus. Sie umfassen die Teilhabe an Produktvorstellungen, Messen, Kundenbesuchen, Firmenfesten etc. oder Telefonkonferenzen, in denen aktive Familiengesellschafter interessierten nichtaktiv Tätigen Entwicklungen und Zusammenhänge im Unternehmen erläutern. Darüber hinaus werden häufig informelle Treffen organisiert, in denen Gesellschafter Verständnisfragen (z. B. als »Doofe-Fragen-Runde«) zu Entwicklungen oder Details im Unternehmen stellen und sich hierdurch deutlich umfänglicher über Zusammenhänge informieren können. Gerade bei wachsenden Familien, in denen zugleich immer weniger Familienmitglieder aktiv im Unternehmen tätig sind, ist eine über die Gesellschafterversammlung hinausgehende Informationsveranstaltung für die nicht-aktiv tätigen Familienteile oftmals von zentraler Bedeutung. Sie führt zu einem Abbau von Strukturdifferenzen zwischen den aktiven und nicht-aktiven Gesellschaftern und wirkt einem Interessensverlust an dem Unternehmen aktiv entgegen. Zentrale Fragestellungen: • In welcher Form soll eine Information der Gesellschafter über die Entwicklungen im Unternehmen stattfinden? • Wie abgestuft werden Informationen an die weiteren Mitglieder aus der Unternehmerfamilie weitergegeben? • Welche Möglichkeiten soll es außerhalb der Gesellschafterversammlung geben, sich zu informieren und gegebenenfalls Verständnisfragen zu stellen?

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Information und Austausch über die Familie

Bei größeren Familien dienen Familienzeitungen oder eigene familieninterne Online-Portale dazu, sich über neue Entwicklungen innerhalb der einzelnen Familienzweige auf dem Laufenden zu halten. Gerade bei weltweit verstreuten Familien führen diese Informationsmöglichkeiten dazu, dass man einander aufgrund räumlicher Distanz nicht aus dem Auge verliert und in Kontakt bleibt. Wir beobachten in der Praxis, dass gerade diese Aktivitäten von jüngeren Familiengesellschaftern mit hoher Bereitschaft aufgegriffen werden, da bei diesen eine größere Bereitschaft zu bestehen scheint, sich wechselseitig über neue Kommunikationsformen auf dem Laufenden zu halten. Die Nutzung der sozialen Medien erscheint uns – sofern Sicherheitsstandards berücksichtigt und bestimmte Kommunikationsregeln befolgt werden – als eine der einfachsten Maßnahmen, um einem Verfall des Zusammenhaltes entgegenzuwirken. Zentrale Fragestellungen: • In welcher Form soll die Information über die Familie und ihre Mitglieder systematisiert werden? • Welche Formen geschlossener und geschützter sozialer Medien will die Familie zum Austausch von Informationen nutzen? Regeln der Kommunikation

Unternehmerfamilien fällt es schwer, eine spezifische Kommunikationsform neben der erlernten Familienkommunikation zu finden. In der Praxis zeigt sich, dass zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern und vereinzelt bei sich nahestehenden Cousinen und Cousins auch im Kontext des Unternehmens bzw. in Gesellschafterfragen die gleichen Formen verwendet werden wie im bekannten Kontext der Kernfamilie. In Unternehmerfamilien herrschen oftmals die Bedingungen einer akzeptierten Enthemmung der Kommunikation vor (siehe das Kapitel 3). Was im Familienkontext akzeptiert und getragen wird, entpuppt sich im Kontext der Unternehmerfamilie jedoch als entscheidungserschwerend. Dementsprechend bietet es sich an, für Aussprachen der Gesellschafter spezifische Kommunikationsregeln zu formulieren, die eine Entscheidungskommunikation möglich machen. Man kann Moderatoren bestimmen, Goldene Regeln formulieren etc. In diesem Rahmen ist die Verwendung moderner Kommunikationsmedien mit besonderer Aufmerksamkeit zu bedenken (Kellermanns u. von Schlippe, 2012). Denn E-Mails, SMS oder Einträge in familieninterne Chat-Foren, die im Zustand höchster Erregung, Verletztheit oder Ärger geschrieben und an einen großen Verteilerkreis gesendet werden, führen oft zu einer Eskalation von Konflikten.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Folgendes Beispiel aus einer Familienverfassung zum Regelkanon der Kommunikation innerhalb der Unternehmerfamilie soll für die beschriebenen Inhalte beispielhaft aufgeführt werden: 1. Jeder hat das Recht, seine Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen zu äußern! 2. Im Falle von kritischen Themen: Wir konzentrieren uns auf die Problembeschreibungen und auf Lösungsvorschläge! 3. Dabei verzichten wir auf Schuldzuweisungen! 4. Jeder hat das Recht und die Pflicht, kritische Themen anzusprechen! 5. Jeder hat das Recht, die Diskussion zu einem »heiklen Punkt« zu beenden, aber auch die Pflicht, konstruktive Lösungsvorschläge zu begleiten! Diejenige Person, die einen »Notausknopf« drückt, ist in der Verantwortung, das Thema dann eigenverantwortlich bei einer nächsten Gelegenheit zu thematisieren. 6. Jeder Teilnehmer lässt den anderen ausreden und unterbricht andere Redner nicht, denn jeder Gesprächsbeitrag ist wertvoll. Es wird fair miteinander umgegangen, es werden keine »Killerphrasen« verwendet! Wir halten uns an die Grundlagen der »Gewaltfreien Kommunikation« nach M. Rosenberg. 7. Wir behalten die in diesem Kreis besprochenen Themen für uns; allerdings sprechen wir individuell über unsere Erfahrungen und Gefühle mit unseren Ehepartnern. Wann und wie wir andere relevante Personen (Beirat, GF etc.) informieren, legen wir gemeinsam fest! 8. E-Mails mit konfliktbehafteten Inhalten schicken wir erst ab, nachdem wir eine Nacht darüber geschlafen haben. Wir halten den Empfängerkreis klein und setzen niemanden in cc oder bcc. 9. Wir schalten unsere Mobiltelefone während der Gesprächskreise/Familienmeetings aus. 10. Jedes Familienmitglied, insbesondere die Familienräte dürfen an die Einhaltung der vereinbarten Spielregeln erinnern! In der jüngeren Vergangenheit lassen sich Unternehmerfamilien vermehrt in den Grundformen der Gewaltfreien Kommunikation nach M. Rosenberg (2001) schulen. Hierbei ist das Leitmotiv, sich als Unternehmerfamilie in der Kommunikation miteinander zu professionalisieren und nicht an den familientypischen und oftmals emotionsgeladenen Diskussionsformen zu scheitern. Auch die Kenntnis der Kippfigur Familie-Unternehmerfamilie wirkt deeskalierend. Wenn die Unternehmerfamilie sich ihrer Paradoxien bewusst ist, erhält sie einen Erklärungsrahmen, der es ihr möglich macht, die schwierigen Fragestellungen strukturell zu verstehen und nicht am Charakter einzelner Personen festzumachen.

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Zentrale Fragestellungen: • Welchen Einfluss hat unser Kommunikationsstil auf unser Entscheidungsverhalten? • Mit welchen Regeln der Kommunikation wollen wir unser Miteinander verbessern? • Wodurch soll ein Einhalten der Kommunikationsregeln gewährleistet sein (Stichwort: Moderation)? • In welcher Form ist die Familie bereit, an ihrer Kommunikation zu arbeiten? • Wann gelten die Regeln und wann bewusst nicht? So hilfreich all diese Formen der Professionalisierung einer Unternehmerfamilie auch sein mögen, die Reglementierung im Umgang miteinander wird unweigerlich auch als Verlust von Familiarität erlebt. Dass Familie organisierte Familie werden muss, um Familie bleiben zu können, hat seinen Preis. Daher sehen wir eine der zentralen Aufgaben im Rahmen des familienstrategischen Prozesses auch darin, dass die Unternehmerfamilie diese Veränderung als solche beobachtet und in ihrer Wirkung reflektiert. Denn das einfache Einführen und Installieren von Kommunikationsregeln, die nun plötzlich das über Jahrzehnte praktizierte Miteinander regeln sollen, werden oftmals zunächst als unpassendes Implantat im Familiensystem empfunden. Auftreten in der Öffentlichkeit

Unternehmerfamilien stehen fast automatisch im Fokus der Öffentlichkeit. Die Festlegung von Regeln zum Auftreten in der Öffentlichkeit ist eine wichtige Maßnahme, um unangenehmen Erfahrungen mit Aktivistengruppen bzw. an Sensationen orientierten Pressevertretern vorzubeugen oder auch Neiddebatten zu unterbinden. So dienen hier definierte Abmachungen gerade in kritischen Situationen des Unternehmens (in denen beispielsweise Mitarbeiter entlassen oder Produktschäden beseitigt werden müssen) einer vorausschauenden Strategie zur Steuerung der Kommunikation. Diese Abmachungen umfassen zum Beispiel Vereinbarungen, dass sämtliche Anfragen an Gesellschafter, die das Unternehmen betreffen, kategorisch und kommentarlos an die Geschäftsleitung weiterzuleiten sind. Die regelmäßig in der jüngeren Vergangenheit aus bestimmten Medien bekannt gewordenen Veröffentlichungen von Intima aus Unternehmerfamilien sind oftmals durch unbedarfte Äußerungen oder im Affekt eines Familienkonfliktes gegebene Antworten auf Presseanfragen entstanden. Der hier erzeugte Reputationsschaden wird von der Unternehmerfamilie als extreme Belastung erlebt und sorgt überdies innerhalb der Familie zu einer zermürbenden Suche nach dem Übeltäter.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Weitere Regelungen in diesem Rahmen betreffen den Auftritt von Familienmitgliedern im Unternehmen, bei Praktika oder Firmenveranstaltungen. Hier wird festgelegt, in welcher Form Du- oder Sie-Formen in der Ansprache opportun sind und welche freundschaftlichen Verbindungen im Umfeld des Unternehmens als angemessen angesehen werden. Eine in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung gewinnende Fragestellung, die insbesondere die Vertreter der jüngeren Familienmitglieder betrifft, ist das Auftreten und Verhalten in sozialen Medien. Oftmals sind wir erstaunt, welche Unkenntnis bzw. welch unabgestimmtes Verhalten einzelne Mitglieder aus Unternehmerfamilien in diesem Zusammenhang an den Tag legen. So wird oftmals vergessen, welch einen hohen Verbreitungsgrad zum Beispiel gepostete Aussagen oder auf Plattformen gestellte Fotos über den persönlichen Freundeskreis hinaus haben können. Per Mausklick können hier schnell Beziehungen geknüpft werden, die zu einer nicht mehr überschaubaren Verbreitung von zum Teil intimen Informationen aus der Unternehmerfamilie führen. Neben mitunter peinlichen öffentlichen Positionierungen von Familienmitgliedern besteht hier ein hohes Risiko, Opfer von gezielten Ausspähungen oder gar kriminellen Machenschaften zu werden. Die Erarbeitung entsprechender Regelungen in Kombination mit einer gezielten Aufklärung über die Risiken einer unreflektierten Nutzung des Internets stellt deshalb einen wesentlichen Bestandteil der hier stattfindenden familienstrategischen Überlegungen dar. Zentrale Fragestellungen: • Wie soll die Kommunikation der Familie über das Unternehmen in der Öffentlichkeit organisiert und geregelt werden? • Wie möchte sich die Familie in der Öffentlichkeit darstellen und positionieren? • Wie soll das Verhalten von Familienmitgliedern in Bezug auf soziale Medien geregelt sein? Soll dies jeder individuell steuern oder gibt es einen Verhaltens­ kodex? 9.1.8  Themenfeld 8: Krisenprävention und Konfliktmanagement Nicht zufällig behandeln viele Sprichworte in der Welt der Familienunternehmen die Themen Konflikte und Krisen. Und nicht zufällig geht es im Themenfeld Krisenprävention und Konfliktmanagement hoch her. Hier stellt sich die Frage: Was passiert, wenn es passiert? – Es werden mögliche Konflikte vorweggenommen und auch alte Konflikte, die noch negativ nachwirken, aufgearbeitet. Regeln zur Konfliktprävention

Hauptsächlich stehen hier Überlegungen im Zentrum, in welcher Form die Unternehmerfamilie Konflikte behandeln möchte bzw. in welchen Abstufungen

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diese durch die Familienmitglieder selbst oder gegebenenfalls mit Unterstützung Dritter angegangen und behandelt werden sollen. Konkret geht es unserer Erfahrung nach darum, dass zum Beispiel Verhaltensregeln definiert werden, wie ein Familienmitglied mit einer Situation umgeht, durch die es sich verletzt oder verärgert fühlt. Wie in Themenfeld 7 bereits angedeutet, werden dabei für alle Familienmitglieder als moralisch verbindlich geltende Verhaltensweisen definiert, die einer Eskalation von Konfliktsituationen vorbeugen und ein Einschwingen auf enthemmte Familienkommunikation unterbinden sollen. So dient zum Beispiel die prominent gewordene 48-Stunden-Regel, innerhalb der Konflikte bei einer Vertrauensperson gemeldet werden müssen, einerseits dazu, das Problem aufzugreifen, andererseits hilft sie, nicht direkt an den Konfliktbeteiligten heranzutreten und gegebenenfalls eine Dynamisierung der Situation herbeizuführen. Der (je nach Schwere des Vorfalls) eingeschaltete familieninterne oder externe Konfliktbegleiter hat dann die Aufgabe, einen Bearbeitungsprozess für die Thematik zu initiieren. Weitere Inhalte umfassen unter anderem die Delegation von Sonderrechten im Konfliktfall an familienexterne Dritte. Hierbei handelt es sich um konkrete Entscheidungsrechte im Top-Management oder um Einzelrechte der Gesellschafter. Dabei ist die Überlegung maßgeblich, dass die Entscheidungsfähigkeit im Unternehmen bzw. im Gesellschafterkreis trotz eines familieninternen Konfliktes erhalten bleiben soll. Die Gesellschafter verpflichten sich, zum Wohle des Unternehmens ihre Stimmrechte temporär an Dritte zu übertragen, statt als Konfliktbeteiligte gegebenenfalls die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu verhindern. Entsprechende, im Rahmen des familienstrategischen Prozesses angestellte Überlegungen sollten nach dessen Abschluss zur Entfaltung einer rechtlichen Bindewirkung in die entsprechenden Vertragswerke integriert werden. Zentrale Fragestellungen: • Welcher Umgang mit Konflikten der Familie hat sich in der Vergangenheit bewährt? • Welche Regeln könnten daraus abgeleitet werden? • Welche Konfliktklauseln beinhaltet der aktuelle Gesellschaftervertrag? Krisenprävention

Darüber hinaus werden in diesem Themenkomplex Überlegungen angestellt, in welcher Form der krankheits- oder todesfallbedingte Ausfall von Familienmitgliedern Veränderungen nach sich zieht bzw. ob hier die notwendigen juristischen Vorkehrungen getroffen wurden. Erstaunlicherweise gibt es in der Praxis nach wie vor immer wieder völlig ungeregelte typische Situationen, in die jede Unternehmerfamilie hineingeraten kann. So gibt es häufig keine genaue Not-

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fallplanung für die Vertretung des Unternehmers (May u. Ebel, 2016). Insbesondere in Familienunternehmen, die über kein Aufsichts- oder Kontrollgremium verfügen, oder in solchen, die auf die Person des Patriarchen ausgerichtet sind, fehlt häufig eine funktionsfähige Alternative zur notfallbedingten Übernahme der Geschäfte. In solchen Strukturen erleben wir die Diskussionen im Rahmen von familienstrategischen Prozessen fast immer als hochgradig emotional. Denn die Person des Patriarchen, die bisher sämtliche Unsicherheit absorbiert hat, muss sich hier mit der eigenen Verwundbarkeit auseinandersetzen und sich selbst in diesem Zusammenhang als Risiko für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens betrachten. Dieser Perspektivenwechsel verlangt ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit. Tatsächlich sind die Unsterblichkeits- und Unverwundbarkeitsphantasien in patriarchalen Strukturen eine der Gefahren von Familienunternehmen. Für die Unternehmerfamilie bieten die familienstrategischen Überlegungen in diesem Zusammenhang eine große Chance, sich das Szenario des Ausfalls des Patriarchen genau vor Augen zu führen und an dem Aufbau entsprechender »Back-up-Lösungen« zu arbeiten. Oft wird bei der Bearbeitung dieses Themenfelds deutlich, dass auf der privaten Seite keine oder nur unzureichende Patientenverfügungen bzw. Vollmachten von Verantwortungsträgern aus der Familie vorhanden sind. Gerade der komatöse Zustand (also die Situation zwischen Leben und Tod) oder krankhafte Bewusstseinsstörungen (zum Beispiel Alzheimer, Demenz etc.) werden oftmals überhaupt nicht bedacht und geregelt. Wenn vorhanden, entspricht der Status Quo von Testamenten häufig nicht der geplanten und kommunizierten Nachfolgelösung oder es gibt juristisch problematische Lücken zwischen dem Testament und dem Gesellschaftervertrag. Insofern sind auch hier Quervergleiche zwischen den Familienregelungen und individuellen Regelungen wichtig. Die Skizze der hier relevanten Fragestellungen verdeutlicht aus unserer Sicht, dass neben juristisch eindeutigen Regelungen in Bezug auf Vollmachten im Unternehmen bzw. den Übergang der Gesellschafteranteile auch Verfügungen zum Umgang mit dem privaten Vermögen zu treffen sind (Wer hat eine Bankenvollmacht, wer kennt die Vermögensanlagen, die PIN/TAN Nummern?). Auch bedarf es eindeutiger Regelungen zur finanziellen Absicherung von Eheund Lebenspartnern sowie sämtlicher (auch außerehelicher!) Nachkommen. Es sind für minderjährige Nachkommen Regelungen erforderlich, die klären, wer bis zu welchem Alter die treuhänderische Verwaltung der Gesellschafterrechte ausübt etc. Wie hier nur angedeutet, kommt es bei der Auseinandersetzung mit allen diesen Fragenstellungen schnell zu nicht unproblematischen Diskussionen zwischen den Kindern, manchmal werden erst hierdurch die Nachfolgewünsche der Seniorgeneration deutlich.

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Zentrale Fragestellungen: In welcher Form hat die Familie ein »Probesterben« durchlaufen? Ist der Todesfall in all seinen Konsequenzen geregelt? Wie ist der Zustand zwischen Leben und Tod (z. B. Koma) geregelt? Sind sämtliche Informationen in Bezug auf das Vermögen sowie das Unternehmen für vertrauenswürde Personen bekannt und zugänglich?

Gelingt es im Rahmen des Prozesses, klare Formen des Generationenübergangs zu skizzieren, empfiehlt es sich, die Ergebnisse der Überlegungen zeitnah mit einem Rechtsbeistand zu sortieren und entsprechend rechtsverbindliche Vertragswerke aufzusetzen bzw. Vollmachten für den Notfall zu erteilen. Man kann sagen, dass sich die Unternehmerfamilie im Rahmen dieses Themenblockes der familienstrategischen Überlegungen einer Art Family-StressTest unterzieht. Was für das Familienunternehmen als überlebensnotwendig anzusehen ist, wird zugleich für Einzelpersonen als belastend und unangenehm empfunden. Bezüglich der hier notwendigen unmittelbaren Regelungsbedürfnisse besteht unserer Erfahrung nach eine große Gefahr für die Familie, in die Verschleppungsfalle zu geraten. Sie erkennen zwar die unmittelbare Handlungsnotwendigkeit bezüglich der hier identifizierten Fragen an. Oft werden die notwendigen Schritte und juristisch bindenden Regelungen jedoch hinausgezögert oder nicht abschließend behandelt – was durchaus erklärbar ist: Wer beschäftigt sich schon gerne mit der eigenen Endlichkeit? Für den prozessbegleitenden Berater besteht daher die Aufgabe, den Fortschritt der Umsetzung der hier notwendigen Maßnahmen regelmäßig zu erfragen und systematisch nachzufassen. Typischerweise münden die Überlegungen, die im Rahmen der Krisenprävention bzw. des familieninternen Risikomanagements angestellt werden, im Füllen eines Notfallkoffers. In diesem sind dann sämtliche juristisch notwendigen Dokumente (unter anderem Gesellschaftsverträge, Beiratsordnungen, Erbverträge, Eheverträge, Testamente etc.), Namen und Daten der zu kontaktierenden Personen bzw. wichtigen Vertrauenspersonen sowie eine Übersicht aller Vermögensgegenstände, Versicherungspolicen, Passwörter, Zugangscodes, Orte von Schlüsseln und vieles mehr aufgeführt. Meist empfiehlt es sich, eine Kopie der Inhalte des Notfallkoffers in einem Bankschließfach oder bei einem Notar zu deponieren. Ein weiteres hier zu behandelndes Thema ist die Regelung gemeinsamer Reisen von Verantwortung tragenden Familienmitgliedern. Zwar gibt es im Kontext des Unternehmens zumeist Richtlinien, die es beispielsweise Geschäftsführern untersagen, gemeinsam eine Flugreise anzutreten oder Ähnliches. Im Kontext

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der Unternehmerfamilie werden diese jedoch häufig vergessen. So kann die gemeinsame Autofahrt im Rahmen eines Familienausfluges dazu führen, dass in einem Fahrzeug die beiden geschäftsführenden Gesellschafter sowie der Beiratsvorsitzende und Hauptgesellschafter zusammen fahren. Während die Reise der gleichen Personengruppe zum Beispiel zu einer Tochtergesellschaft im Ausland streng getrennt durchgeführt wird, findet im Familienkontext eine entsprechende Risikoüberlegung meist nicht statt. Die hier skizzierten Beispiele mögen die Notwendigkeit eines systematischen eigenen Risikomanagements der Unternehmerfamilie zur Krisenprävention verdeutlichen. Gerade vor dem Hintergrund der sich immer wieder nach politischer Großwetterlage verändernden Regelungen zur Erbschaftssteuer werden notwendige Kapitalbedarfsplanungen bei Eintritt des Erbfalls zusätzlich an Bedeutung gewinnen. 9.1.9  Themenfeld 9: Ausschüttungspolitik und Vermögensstrategie »Ein finanziell abgesicherter Gesellschafter ist ein entspannter Gesellschafter!«

Das Zitat aus den Interviews des FüG-Projekts veranschaulicht, worum es in diesem Themenkomplex geht. Es findet eine Auseinandersetzung der Unternehmerfamilie zu dem Aufbau und der (denkbaren) Diversifikation der vorhandenen gemeinsamen Vermögensbestandteile statt. In diesem Rahmen ist die Ausschüttungspolitik des Unternehmens zu behandeln. Ähnlich wie in Themenfeld 5 ist eine Unternehmerfamilie im Rahmen des familienstrategischen Prozesses gefordert, die Kippfigur in Bezug auf die Sicht auf Ausschüttung und Vermögen zu adjustieren. Die in Themenblock 5 in Bezug auf die Fungibilität von Anteilen dargestellten Legitimationsmuster werden hier in Bezug auf den Zugang von und den Umgang mit frei verfügbarem und gebundenem Vermögen definiert. Haltung zu dem im Unternehmen gebundenen Vermögen

Zunächst ist es notwendig, eine Grundhaltung in der Familie zu dem im Unternehmen gebundenen und durch Gewinne erwirtschafteten Vermögen sowie dem insgesamt vorhandenen Familienvermögen zu finden. Beim Thema Vermögen erleben wir eine große Verunsicherung bis hin zur Tabuisierung der Werte, die die Vorgängergenerationen geschaffen haben. Insbesondere in Unternehmerfamilien, in denen der erwirtschaftete Gewinn des Unternehmens im Wesentlichen reinvestiert, also zur Finanzierung von Wachstum und Innovation eingesetzt wurde, gibt es bei der Senior-Generation die ausgeprägte Sorge,

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die Nachkommen durch die Übertragung von zu viel frei verfügbarem Vermögen zu verderben und mögliche vorhandene unternehmerische Ambitionen zunichte zu machen. Auf der Seite der Nachkommen existiert oftmals eine Unsicherheit, wie mit dem übertragenen, zum Teil beträchtlichen Vermögen, das von den Vorfahren erwirtschaftet wurde, umgegangen werden darf. Nicht selten können wir in der Praxis auch eine gewisse Scham feststellen, dieses Erbe bzw. die Schenkung anzunehmen, verbunden mit dem Gefühl, ohne eigenes Zutun durch eine Erbschaft oder Schenkung plötzlich große Vermögensteile überantwortet bekommen zu haben. Allen Beteiligten fällt es aufgrund dieser Dynamiken schwer, eine Vermögensstrategie zu erarbeiten. Die Hauptaufgabe bei der familienstrategischen Diskussion über Vermögen besteht in einer Konkretisierung der vorher definierten Werthaltungen bzw. der bisher gelebten Erziehungsbotschaften innerhalb der Unternehmerfamilie. Dabei kann sehr schnell deutlich werden, dass innerhalb einer Kernfamilie oder zwischen den unterschiedlichen Familienzweigen unterschiedliche Wertmaßstäbe gelten, durch welchen Einsatz des vorhandenen Vermögens das einzelne Familienmitglied oder aber der Familienverbund insgesamt seine Haltung zum Ausdruck bringen möchte. Die hier zum Teil entstehenden Diskussionen sind nicht unkritisch, da sie in hohem Maße in die Sphäre der Einzelperson eingreifen können. Zentrale Fragestellungen: • Was heißt Besitz? Gehört das Vermögen mir/uns, oder sind wir »nur« diejenigen, die die Vermögenswerte weitertragen? • Wie soll mit gemeinsamen Vermögensteilen (Häuser, Aktiendepots, Beteiligungen an anderen Unternehmen etc.), die nicht im Unternehmen gebunden sind, umgegangen werden? • Welcher Umgang mit dem individuell vorhandenen Privatvermögen und dem darauf basierenden individuellen Lebenswandel wird der Einzelperson zugestanden? Umfang und Umgang mit Ausschüttungen

Ausschüttungsfragen sind heikel. Sie betreffen die Finanzbedarfe der Gesellschafter und stehen im grundsätzlichen Widerspruch zu den Finanzbedarfen des Unternehmens. In Abhängigkeit von Umfang, Struktur und Form des vorhandenen Vermögens kann es sinnvoll sein, sich zu überlegen, welcher individuelle Finanzbedarf bzw. welche Altersvorsorge eines jeden Familienmitgliedes über Ausschüttungen befriedigt werden soll. Auch gilt es zu klären, ob eine regelmäßige Ausschüttungserwartung als eine Art Grundgehalt für Familiengesellschafter akzeptabel ist. Sofern dies für die Mitglieder der Gesellschafterfamilie eine zen-

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

trale Bedingung für eine dauerhafte Mitgliedschaft im Gesellschafterkreis darstellt, sind Überlegungen anzustellen, in welcher Form entsprechende Zahlungen getätigt werden können – etwa in Situationen, in denen das Unternehmen einen erhöhten Kapitalbedarf hat oder wenn Verluste geschrieben werden. Gerade in Krisenzeiten des Unternehmens ist es fatal, wenn einzelne Gesellschafter ihre Kapitalkonten räumen müssen, um ihren Lebenswandel bestreiten zu können. Nicht nur bei den restlichen Gesellschaftern, sondern insbesondere bei den Fremdkapitalgebern stoßen solche Verhaltensweisen sehr negativ auf und können zu einer destruktiven Dynamisierung des Krisenprozesses führen (siehe hierzu ausführlich Rüsen, 2008, S. 150 ff.). Die in der Praxis gefundenen Lösungen umfassen oftmals den Aufbau eines Notfall-Topfes außerhalb des Unternehmens, der dazu dient, die vereinbarten Mindestausschüttungen für drei bis fünf Jahre kompensieren zu können. Eine andere Möglichkeit besteht in der Einrichtung einer festen Ausschüttungsquote (diese kann an das Geschäftsergebnis gebunden sein). Zentrale Fragestellungen: • Wie stehen wir als Familie zum Grundwiderspruch Ausschüttung versus Finanzierung der Unternehmensentwicklung? • Wodurch wird die Höhe der Ausschüttungen bestimmt und wer legt dieses fest? • In welcher Form werden Ausschüttungen dem Unternehmen als Darlehen wieder zur Verfügung gestellt? • Gibt es Erwartungen, wie mit den Ausschüttungen umgegangen werden soll? Das Management des nicht im Unternehmen gebundenen Vermögens

Beim Umgang mit freien Vermögen ist grundsätzlich zu diskutieren, ob die Familie es jedem Einzelgesellschafter überlässt, sein Vermögensmanagement zu betreiben, oder aber, ob auch diese Vermögensbestandteile gemeinschaftlich veranlagt werden. Kommt es zur Einrichtung einer gemeinsamen Vermögensverwaltung für alle Familienmitglieder, zum Beispiel durch ein Family Office, kann hierdurch nicht nur eine zusätzliche Bindung innerhalb der Familie entstehen. Die Mitglieder der Unternehmerfamilie erkennen auch den Vorteil eines professionellen Schutzes des Einzelnen vor unprofessionellen und den Vermögensinhaber schädigenden Strukturen. Eine weitere Überlegung, die es in diesem Zusammenhang anzustellen gilt, ist die Vermögensdiversifikation. Häufig sind in Unternehmerfamilien in frühen Generationen weite Teile – wenn nicht sogar das gesamte Privatvermögen der Familie – im Unternehmen gebunden worden. Auch wenn diese Haltung in der Praxis oftmals dazu geführt hat, dass die Binnenfinanzierungskraft des Unternehmens erheblich gestärkt wurde, so gibt es für Krisensituationen im Unternehmen oder zur Nachfolgeplanung bzw. Bereinigungen im Gesellschafterkreis kaum alternative Finanzmittel, die zur

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Rettung des Unternehmens oder für Ausgleichszahlungen an weichende Familienmitglieder herangezogen werden könnten. Typische Fragen zum Vermögensmanagement: • In welcher Form wird die Verwaltung des nicht im Unternehmen gebundenen Vermögens individuell oder gemeinsam vorgenommen? • Unter welchen Bedingungen kann eine professionelle Struktur des Vermögensmanagements (zum Beispiel durch ein Family Office) sinnvoll sein? • Was ist unsere Vermögensstrategie (Sicherheit, Diversifikation)? Unserer Einschätzung nach wird in kaum einem Themenkomplex die Besonderheit familienstrategischer Überlegungen und selbstauferlegter Handlungsmaximen in mehrgenerationalen Unternehmerfamilien so deutlich wie bei dem Umgang mit dem (kollektiven) Familienvermögen. Hier ist die gemeinsame Adjustierung der Kippfigur im Rahmen des Familienstrategieprozesses einer besonderen Spannung ausgesetzt, greifen die mitunter gefundenen Regeln und Haltungen doch stark in die persönliche Sphäre des einzelnen Familienmitgliedes ein. 9.1.10  Themenfeld 10: Vorhandenes Familienmanagement-System Dieses Themenfeld wird im Rahmen des Prozesses dazu genutzt, die Arbeit an der familieninternen Kommunikation, der Bindung und an dem Zusammenhalt auf Basis der bisher im Prozess entwickelten Ansätze und Ideen zu konkretisieren, zu Institutionen zusammenzufassen und in ein Managementsystem der Familie zu überführen. Für uns bedeutet dies, dass die Unternehmerfamilie nun gefordert ist, die bisher definierten Regeln und Vorgehensweisen in definierte, bereits mit fixierten Terminen untermauerte Daten umzuwandeln (und mit der bisher gelebten Praxis abzugleichen). Zu diesem Zeitpunkt wird spätestens deutlich, welche individuellen Freiräume die Mitglieder der Unternehmerfamilie in ihren Kalendern zu schaffen haben bzw. wie viel Detailarbeit hinter einzelnen Ideen stehen kann. Typische Fragen: • Wie hat sich die Familie bisher gemanagt, und wie muss sie mit Sicht auf Inhalte der Familienstrategie zukünftig gemanagt werden? • Welche Familien-Institutionen haben sich bewährt und werden beibehalten, welche müssen wie verändert werden? • Wie viele Treffen zusätzlich zur Gesellschafterversammlung soll es geben? Beispielhaft für institutionelle Regelungen werden im Folgenden die Organisation eines Familientages sowie die Einrichtung eines Familienkalenders skizziert.

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Der Familientag

Ein Familientag (siehe Groth, 2013b) hat zuvorderst die Funktion, die Unternehmerfamilie emotional am Leben zu halten. Personen, die sich eigentlich nicht mehr regelmäßig sehen würden, bekommen Gelegenheit, sich vertieft mit sich, ihren Lebensläufen und -einstellungen, Stärken und Schwächen kennenzulernen. Nur wenn man sich kennt, besteht die Chance, dass man einander vertraut. Und selbst wenn man keine großen Sympathien füreinander entwickelt, so stellt sich zumindest Erwartungssicherheit ein. Man weiß, womit man zu rechnen hat. Auf diese Weise ist die Basis gelegt, dass Unternehmerfamilien funktionieren. Das jährliche Wiedersehen auf Gesellschafterversammlungen reicht für einen solchen Prozess wechselseitiger Erwartungssteuerung nicht aus. Die im Kontext des Unternehmens vorhandenen Regelwerke, aber auch eine gegebenenfalls ausformulierte Familienverfassung funktionieren nur, wenn sie durch informelles Beisammensein emotional unterfüttert sind. Neben dem Aufbau einer eigenen Geschichte, die idealerweise angereichert ist durch gemeinsame Erlebnisse an Familientagen (Ausflüge, Vorträge, Betriebsbesichtigungen), geht es auch darum, gemeinsam die Geschichte und Werte der Unternehmerfamilie zu erleben und fortzusetzen. Es hat sich auch bewährt, an Familientagen besondere Einblicke in die Geschichte der Familie und des Unternehmens zu gewähren (zum Beispiel ein Kaminabend mit einem der ältesten Gesellschafter). Neben dem Fokus auf Bindung, Erwartungsklärung und Vertrauensbildung unter den Familienmitgliedern wird ein zweiter Fokus auf das Unternehmen gelegt. Familientage sind in unserer Beobachtung wesentlich, damit eine Verbundenheit mit dem Unternehmen erhalten bleibt. Sie können und sollten genutzt werden, um den Familienmitgliedern die Produktionsstätten, Technologien, Produkte und strategischen Herausforderungen erlebbar zu machen und zugleich auch Mitarbeiter und Führungskräfte kennenzulernen. Das in Abbildung 19 aufgeführte Praxisbeispiel einer Unternehmerfamilie zeigt, dass der Ablaufplan eine Kombination von Beiratssitzung, Gesellschafterversammlung und anschließendem Familientag umfasst. Kritisch ist hierbei jedoch anzumerken, dass die gesamte terminliche Planung auf den Kopf gestellt werden kann, wenn es in der Beiratssitzung oder in der Gesellschafterversammlung zu Uneinigkeiten oder kritischen Auseinandersetzungen kommt. Hier wären die entsprechenden Familienmitglieder gefordert, den kritischen Diskurs bzw. die Dissonanzen im Kontext der Gesellschafterlogik zu belassen und sich am Familientag als Einheit zu fühlen und zu verhalten. Unseres Erachtens scheint eine Entzerrung dieser Termine sinnvoller zu sein. Ein wiederkehrendes Thema in der Planung von Familientagen ist die Frage nach dem Teilnehmerkreis. Hier werden die im Themenfeld 2 durchgeführ-

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Spezialthema zur Gesellschafter­ kompetenz­ entwicklung

Essen Beirat mit Gesellschaftern

Essen mit leitenden Mitarbeitern

morgens

Werksbesichtigungen

mittags

abends

So.

Party- und Spaßprogramm der Familie

Sa.

Gesellschafter­versammlung

Do.

Party- und Spaßprogramm der Familie

Fr.

Beiratssitzung

Das Rad neu erfinden! Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung

Abbildung 19: Ablaufplanung von Beiratssitzung, Gesellschafterversammlung und Familientag (Rüsen, 2014)

ten Abgrenzungen innerhalb der Familie konkret. Wer darf zusätzlich zu den Gesellschaftern am Familientag teilnehmen, wer wird ausgeschlossen? Familientage bieten dabei die Gelegenheit, die Grenzen großzügiger zu ziehen, als dies in Bezug auf für die Gesellschafter relevante Treffen möglich ist. Familientage sind Kommunikationsforen, in denen auch die (Ehe-)Partner und Kinder an den Kontext des Familienunternehmens angebunden und herangeführt werden können. Auf diese Weise werden gerade die Personenkreise aus dem Kontext der Familie mit den Gesellschaftern verknüpft. Wie bereits ausgeführt kann die Haltung der Ehepartner und Kinder bezüglich des Unternehmens einen großen Einfluss auf die Entscheidungen der Eigentümer nehmen. Familienkalender

Neben dem Familientag ist eine weitere wesentliche Institution die Einführung eines Kalenders der Unternehmerfamilie. Hier werden sämtliche in der Familie definierten Aktivitäten, an denen eine Teilnahme gewünscht wird, langfristig im Vorhinein fixiert und allen Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Wir erleben es immer wieder, dass Unternehmerfamilien darüber stolpern, wie im Kontext der Unternehmerfamilie mit Terminfindungen und -vereinbarungen umgegangen wird. Konkret bedeutet dies, dass Schulungstermine versäumt, Bewerbungsfristen für Praktika bzw. für die Teilnahme an einer Firmenmesse übersehen

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Fokus: Familien­ zusammenhalt

Jan.

Gemeinsame Ski-Woche mit Großfamilie und Freunden

Feb. Mrz.

Fokus: Bindung von Unternehmen und Familie

Apr.

1. Quartalstreffen der ­Gesellschafter

»Sommer-Wochenende« im Landhaus; »Lagerfeuer-Runde« der nächsten ­Generation Mai

Jun.

Jul.

Familien-Tag: Off-site-Treffen zur Information der Unternehmerfamilie Weihnachtsüber Entwicklungen treffen bei den in der Firma Großeltern

Aug. Sep. Okt. Nov.

Dez.

3. Quartals4. Quartals2. Quartalstreffen der treffen der treffen der ­Gesellschafter ­Gesellschafter ­Gesellschafter

Firmen-Wochenende: Top-Führungskräfte + Partner treffen die Unternehmer

Abbildung 20: Beispiel für den Jahreskalender einer Unternehmerfamilie (Rüsen, 2014)

oder bei der Urlaubsplanung abgesprochene Familientage übersehen werden. Durch die Einrichtung eines Kalenders erhält jedes Familienmitglied neben den Gesellschafterinformationsveranstaltungen einen Überblick über die Aktivitäten der Unternehmerfamilie. So kann bei der immer größer werdenden Gesellschafterfamilie verhindert werden, dass bei kurzfristiger Terminkoordination einzelne Familienteile zu Gunsten der Mehrheit ausgeschlossen werden. Der Familienkalender einer Unternehmerfamilie, den die Abbildung 20 zeigt, mag hierfür beispielhaft dienen. 9.1.11  Themenfeld 11: Der Aufbau von Gesellschafterkompetenz Damit alle zuvor genannten Regelungen und Institutionen dauerhaft funktionieren können, bedarf es kompetenter Gesellschafter. In diesem Themenfeld erarbeitet sich daher eine Unternehmerfamilie ihr individuelles Aus- und Weiterbildungsprogramm, mit dem sie sich ihre spezifische Gesellschafterkompetenz aufbauen und erhalten möchte. Unserer Einschätzung nach ist die Umsetzung der hier definierten Inhalte eines der zentralen Aufgabenfelder für ein etabliertes Familienmanagementsystem nach Abschluss des familienstrategischen Entwicklungsprozesses, sofern es potenziell eine gewisse Zahl nicht im Unternehmen tätiger, aber interessierter Familiengesellschafter gibt. Zwar wird in der Praxis die Bedeutung der Kompetenz eines Gesellschafters immer wieder hervorgehoben, diese Erkenntnis führt in Unternehmerfamilien jedoch noch nicht dazu, dass gezielte Programme zur Entwicklung einer entsprechen-

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den Gesellschafterkompetenz zum Einsatz kommen. Oftmals wird es Gesellschaftern überlassen, sich individuell weiterzubilden. Der Aufbau eines gezielten Programms zur Aus-und Weiterbildung kompetenter Gesellschafter ist in seinem Umfang stark mit der Einsatz- und Leistungsbereitschaft, dem bisherigen Erziehungsansatz und der bereits vorhandenen Vorbildung der zukünftigen Verantwortungsträger verbunden. Damit wird diese Aufgabe zu einem fundamentalen Bestandteil der Erziehungsaufgaben innerhalb einer jeden Kernfamilie. Es ist sofort ersichtlich, dass es sich hierbei um hoch sensible Themen handelt, die innerhalb der Unternehmerfamilie als Ganzes und in Bezug auf die jeweilige Kernfamilie im Rahmen des familienstrategischen Entwicklungsprozesses auszuhandeln sind. Unsere Beobachtungen in der Praxis zeigen, dass sich Unternehmerfamilien trotz bereits etablierter Familienmanagementsysteme oftmals schwertun, entsprechende Programme aufzusetzen. Wir vermuten zwei zentrale Aspekte, die hier einer Professionalisierung der Unternehmerfamilie entgegenstehen. Beide basieren aber auf der gleichen Grundlogik: Unternehmerfamilien handeln in Bezug auf ihre (Selbst-)Organisation bzw. den gezielten Aufbau der eigenen Kompetenz typischerweise in der Logik der Familie. In dieser ist es nicht vorgesehen, ein Aus- und Weiterbildungsprogramm als Familie durchzuführen. Man lernt, was man braucht, durch Abschauen, durch Anleiten der Kinder, über Geschichten und einfach durch Mitmachen. Dieses familiale (Lern-)Muster wird meist unreflektiert auf die Gesellschafterrolle übertragen. Der Vorschlag, sich als (Gesellschafter-)Familie zu organisieren oder gemeinsam fit für die Rolle als kompetenter Gesellschafter zu machen, fühlt sich fremd und wie ein störendes Implantat an. Dementsprechend werden kompetenzfördernde Maßnahmen eher sporadisch und gelegenheitsbezogen durchgeführt. Sie folgen keinem Plan bzw. Ausbildungskonzept. Gar nicht so selten erleben wir beispielsweise, dass nicht im Unternehmen aktive Familiengesellschafter es zwar als völlig normal betrachten, für ihre eigene berufliche Karriere Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen, den Vorschlag, sich als Gesellschafter(-familie) weiterzubilden, dagegen unpassend finden und ablehnen – auch wenn die Ausschüttungen durchaus einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens ausmachen. Idealtypischer Inhalt eines GKE-Programmes

Wie kann nun ein idealtypisches Ausbildungsprogramm für Mitglieder aus einer Unternehmerfamilie aussehen? Wie bereits erwähnt, sind einzelne Bestandteile der hier zu berücksichtigenden Inhalte als elementare Erziehungsaufgabe zu begreifen (Astrachan u. Pieper, 2011), die auf die Gesellschafterrolle hin spezi-

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

fiziert werden sollte. Die in den folgenden fünf Punkten aufgeführten Inhalte können als eine Art Anforderungskatalog an einen Gesellschafter aufgefasst werden (Rüsen et al., 2014). Die dargelegten Inhalte beschreiben dabei generisch die Praktiken in Unternehmerfamilien und unsere Re-Interpretation in Bezug auf den gezielten Aufbau einer Gesellschafterkompetenz. Punkt 1: Kennenlernen des Unternehmens von innen

Das Kennenlernen des Familienunternehmens erfolgt in vielen Erzählungen vielfach schon in frühester Kindheit (»Vater hat uns mit dem Go-Kart auf dem Firmenhof fahren lassen«, »Wir wurden regelmäßig mit auf Geschäftsreisen genommen und haben so die Tochtergesellschaften kennengelernt«). In Unternehmerfamilien, in denen es aktive Familienmitglieder gibt, ist dies eher die Normalität als in solchen, deren Lebensmittelpunkt weit weg vom Stammhaus des Unternehmens liegt. Gerade in frühester Jugend bzw. in der Kindheit entstehen starke emotionale Beziehungen zu vertrauten Personen, aber auch zu Orten oder gar Arbeitsumfeldern (»Unser Onkel hat zusammen mit den jüngeren Mitarbeitern für uns als Kinder Schnitzeljagden durch die Firma organisiert. Von diesem Erlebnis zehren wir in unserer Generation noch 35 Jahre später«). Regelmäßige Besuche des Unternehmens, von Fertigungsstandorten und einzelnen Abteilungen etc. führen zum Aufbau einer emotionalen Nähe zum Unternehmen und können durch Ferienjobs in der Schulzeit und Praktika in der Studienzeit ergänzt werden. Aus unserer Sicht zeichnet sich ein derartiges Engagement auch dadurch aus, dass die Gesellschafter sowohl die innerbetrieblichen Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und zentrale Mitarbeiter spielend kennenlernen können und so später als Gesellschafter ein gutes Gespür für das Unternehmen bzw. innerbetriebliche Strukturen bekommen. Die teilweise einfachen Arbeiten, zum Beispiel in der Montage oder Versandabteilung, sind nach eigenen Angaben auch sehr hilfreich, um sich in die Arbeitsbedingungen bzw. Lebenswelt der Mitarbeiter auf den unteren Hierarchieebenen einfühlen und -denken zu können. Gerade in Unternehmerfamilien, in denen Gesellschafter keinen einzigen emotionalen Bezugspunkt mehr zum Unternehmen haben, stellen sich oftmals reine Investorenerwartungen und Vorstellungen zur Rolle als Gesellschafter ein, die vielfach mit den Vorstellungen aus der Vorgängergeneration nicht kompatibel sind. Zudem ist es für Mitarbeiter und Geschäftsführung eines Familienunternehmens oftmals schwer verständlich und der Unternehmenskultur abträglich, wenn eine Gesellschaftergeneration heranwächst, die keine Ahnung vom Unternehmen bzw. dem unternehmerischen Umfeld hat. Hier kommt es mitunter auch zu Brüchen in den Vertrauensverhältnissen von Mitarbeitern und Gesellschafterfamilie, die über lange Zeiträume gewachsen sind.

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Um diesem Trend bewusst etwas entgegenzusetzen und frühzeitig ein Interesse für das eigene Unternehmen zu wecken, ermuntern viele Unternehmerfamilien ihren Nachwuchs, Schülerjobs oder Studentenpraktika im eigenen Unternehmen zu absolvieren. In einem uns bekannten Fall wird eine insgesamt mindestens sechs Monate umfassende Betätigung als Praktikant von den Vertretern der nächsten Generation sogar gefordert! Punkt 2: Fähigkeiten zur Beurteilung und Führung von Führungskräften erlangen

Ergänzend zu den Maßnahmen zum Kennenlernen des Inneren des Unternehmens beobachten wir vielfach Maßnahmen, in denen Mitglieder aus der Gesellschafterfamilie den Mitgliedern der Führungsmannschaft außerhalb des betrieblichen Alltages begegnen können. Ob bei dem privat veranstalteten Prokuristen-Weihnachtsessen, ob bei dem allsommerlich auf dem Familiensitz abgehaltenen Grillfest für die Führungskräfte – es werden Gelegenheiten geschaffen, die Top-Führungsmannschaft, meist auch deren Ehepartner, persönlich kennenzulernen. Auf diesen Veranstaltungen wird manchmal gezielt Wert darauf gelegt, dass die jüngeren Familienmitglieder die Führungskräfte bedienen. Hierdurch soll zum einem den Leistungsträgern eine besondere Wertschätzung für den Einsatz im Unternehmen zum Ausdruck gebracht werden, zum anderen sollen die jüngeren Vertreter der Gesellschafterfamilie einen ersten, eher informellen Kontakt zu dieser zentralen Personengruppe bekommen. Damit sich die Leistung einer Führungskraft und die Zusammenarbeit mit dieser (zum Beispiel aus einem Aufsichts- und Kontrollgremium) fruchtbar gestaltet, ist es ratsam, über eigene aktive wie passive Führungserfahrungen außerhalb des Familienunternehmens zu verfügen. Diese können in jeder Berufsform oder jedem gemeinnützigem Engagement erlernt werden. Hierzu das Zitat eines Familiengesellschafters: »Nur wer einmal richtig geführt worden ist, weiß, wie es sich auf der anderen Seite anfühlt. Unsere familienexternen Geschäftsführer, die über mehrere hundert Millionen Euro Umsatz und das Schicksal tausender von Mitarbeiter entscheiden, nehmen zu Recht niemanden aus der Familie ernst, wenn dieser Gesellschafter zu erkennen gibt, dass er oder sie es leider nie geschafft hat, in einer Organisation, sei es Unternehmen oder NGO, mitzuarbeiten«.

In der dem Zitat zugehörigen Gesellschafterfamilie wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass jeder Gesellschafter sowohl auf unterer Ebene (»Erfahrung, geführt

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

zu werden«) als auch auf oberer Ebene (»Erfahrung zu führen«) tätig gewesen ist, bevor er oder sie in ein Aufsichts- oder Kontrollgremium einziehen darf. Punkt 3: Verständnis für die Unternehmensstrategie und das Zusammenwirken einzelner Elemente des Unternehmens

Unabhängig von dem eigenen beruflichen Betätigungsfeld ist jeder Gesellschafter durch entsprechende Schulungen und intensive Auseinandersetzungen mit dem eigenen Unternehmen in die Lage zu bringen, die zentralen Entscheidungen oder Entscheidungsvorschläge der Geschäftsführung einordnen, beurteilen und bewerten zu können. Aus der Perspektive eines Familienvertreters, heißt das: »Wir als Familie stehen auf dem Standpunkt, dass unsere familienexternen Top-Manager ein Recht darauf haben, mit kompetenten Familiengesellschaftern zu sprechen. Wir achten bei der Auswahl von diesen immer darauf, dass sie ›schlauer‹ sind als wir. Wir erwarten von unseren Mitarbeitern Höchstleistungen auf allen Ebenen. Dies können wir aber nur glaubhaft einfordern, wenn wir uns ebenso positionieren. Sonst laufen die uns davon.«

Diese Aussage fasst den Anspruch einer Unternehmerfamilie zusammen, die sich im Mentalen Modell der aktiven Eigentümerfamilie befindet: Die nicht mehr im Unternehmen aktiven Vertreter der Gesellschafter konzentrieren sich auf die Rolle eines Sparringspartners für die familienexterne Geschäftsleitung. Die spezielle Strategiefähigkeit der Gesellschafter in dieser, aber auch in anderen Unternehmerfamilien besteht darin, auf Augenhöhe die Strategien der Unternehmensleitung zu hinterfragen und mit der Familienstrategie in Einklang zu bringen. Eine solche komplementäre strategische Kompetenz wird in dem beispielhaft erwähnten Unternehmen durch eine Vielzahl von speziellen Schulungen in Kombination mit Einzelcoaching durch erfahrende Unternehmerpersönlichkeiten erarbeitet. Die Inhalte entsprechender Schulungsprogramme lesen sich dann wie eine Art familieninternes MBA-Programm. Ein aus unserer Sicht sinnvoller Ansatz zur Festlegung der Inhalte einer Kompetenzentwicklung ist die Orientierung an den übergreifenden Unternehmenszielen sowie den klassischen Kernfragen einer Unternehmensstrategie (Kormann, 2015a). Was sind die spezifischen Markt- und Wettbewerbs­ dynamiken des Unternehmens? Wer sind die A-Kunden und -Lieferanten? Wer sind die Schlüsselmitarbeiter? Wo und gegebenenfalls bei wem sind die Kernkompetenzen des Unternehmens gebündelt? Wo genau ist das Unternehmen dem Wettbewerb überlegen und wo nicht? Was ist für den Erfolg des Unter-

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nehmens überlebenswichtig? Wo gibt es technologische Entwicklungen, die uns bedrohen könnten? Diese speziellen Inhalte sind den Gesellschaftern primär zu vermitteln und nicht (wie leider häufig in der Praxis feststellbar) nur das Grundlagenwissen der Betriebswirtschaftslehre. Wir erleben es immer wieder, dass erste Schulungen unter dem Titel »Wie lese ich eine Bilanz?« stattfinden. Solch (zunächst!) am wenigsten spannenden und vor allem für fachfremde Familienmitglieder langweiligsten aller betriebswirtschaftlichen Themen wecken nicht unbedingt Interesse und Verständnis für das Unternehmen. Erwartungsgemäß werden Familienmitglieder, die keine kaufmännische Ausbildung oder ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert haben, durch solche Inhalte eingeschüchtert und schlimmstenfalls abgeschreckt. Aus unserer Sicht ist es daher ratsam, erst wenn die grundlegenden strategischen Rahmenbedingungen des Unternehmens erfasst worden sind, gezielt und anhand des eigenen Unternehmens mit der Vermittlung der betriebswirtschaftlichen Grundlagen zu beginnen. In diesem Rahmen sind dann die Grundkenntnisse von Unternehmensführung, Organisation, Gesellschafts- und Steuerrecht, Bilanzierung, Finanzierung, Vermögensmanagement und der Aufbau des Geschäftsberichtes zu behandeln. Punkt 4: Verständnis für die Rolle eines Familiengesellschafters/Systemkompetenz entwickeln »Uns ist bewusst, dass wir als Mitglieder einer aktiven Gesellschafterfamilie eine besondere Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern, der Region und unseren Vorfahren tragen.«

Dieser Satz, der als zentraler Leitsatz in der Präambel einer Familienverfassung steht, fasst den Hauptfokus aller Maßnahmen in diesem Bereich der Gesellschafterkompetenzentwicklung kurz und prägnant zusammen. Eigentümerschaft an einem Familienunternehmen ist eben mehr als nur eine Beteiligung an einem Wirtschaftsunternehmen. In welcher Form es hier einen Unterschied zu anderen Unternehmensformen und anderen Familienunternehmen zu machen gilt, ist durch die Mitglieder der Gesellschafterfamilie zu erarbeiten. So sind die Wechseldynamiken zwischen Firmen- und Familienlogik als solche zu erkennen. Sofern nicht schon im Rahmen des familienstrategischen Entwicklungsprozesses geschehen, kann hier das jeweilige Mentale Modell der Unternehmerfamilie in gemeinsamer Arbeit definiert und auch kritisch reflektiert werden. Die daraus resultierenden Konsequenzen und Erwartungen lassen sich regelmäßig überprüfen und zum Beispiel im Rahmen eines Familientages strukturiert dis-

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kutieren. Fragen wie: »Wo kommt die Familie her?« oder »Welche historischen Kenntnisse gibt es über die Vorfahren?«, gehören ebenso zu diesem Kompetenzbaustein wie die Kenntnisse über die klassischen und typischen Konfliktdynamiken in Unternehmerfamilien, die potenziell multiplen Rollen im Sinne des weiter oben beschriebenen Drei-Kreise-Modells und die damit verbundenen typischen paradoxen Entscheidungslogiken, mit denen die Unternehmerfamilie umgehen lernen muss. Punkt 5: Aufbau persönlicher Kommunikationskompetenz

Eine zentrale Entwicklungsaufgabe für Mitglieder von Gesellschafterfamilien besteht in der Professionalisierung des eigenen Verhaltens gegenüber nahen oder entfernteren Verwandten. Wie in Themenfeld 7 bereits ausgeführt, erleben wir es in der Praxis immer wieder, dass familiale Kommunikation in Besprechungen des Familienrates oder zum Beispiel die Gesellschafterversammlung Einzug hält. Dieser Umstand wird dann kritisch, wenn unterschiedliche Vorstellungen oder Erwartungen der Gesprächsteilnehmer aufeinandertreffen. Hier geht es wesentlich darum, dass die Familienmitglieder eine entsprechende Abstraktions- bzw. Reflexionsfähigkeit entwickeln, um sich über unterschiedliche Erwartungen konfliktfrei austauschen zu können und Bindungs- und Entscheidungskommunikation als solche identifizieren und handhaben zu können. Eine individuelle systematische Schulung in Grundlagen der Kommunikation, gegebenenfalls auch in dem Ansatz der gewaltfreien Kommunikation nach M. Rosenberg (2001), ist aus unserer Sicht eine hilfreiche Form der Vorbereitung der Unternehmerfamilie auf den professionellen Kommunikationsbedarf. Des Weiteren kann die Schaffung von kommunikativen Räumen, in deren Rahmen die Familienmitglieder offen über ihre Situation und ihre Gefühle sprechen können, einen hilfreichen Bestandteil bei der Etablierung einer Sprachfähigkeit darstellen. So werden in einer uns bekannten Unternehmerfamilie durch Mitglieder des Familiengremiums strukturierte Interviews mit den einzelnen Familienmitgliedern geführt, so dass Fragen, Hoffnungen, Ängste und Motivationen, die mit der Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie verbunden sind, diskutiert und behandelt werden können. Hierdurch wird ein Verständnis für die individuellen Sichtweisen einzelner Familienmitglieder geschaffen, welches dann in die Großfamilie integriert wird. Während des familienstrategischen Entwicklungsprozesses kann an dieser Stelle die grundsätzliche Klärung denkbarer und akzeptierter Inhalte eines GKEProgramms vorgenommen werden. Darauf aufbauend sollte definiert werden, welches zeitliche und inhaltliche Budget von den und für die Mitglieder der

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Unternehmerfamilie zur Verfügung gestellt wird und welche Personengruppe an diesem teilhaben darf. Nach Abschluss des Prozesses beginnt in Bezug auf dieses Thema die eigentliche Arbeit. Oft liegt es dann an der Fähigkeit des Familienverantwortlichen bzw. der Mitglieder des Familiengremiums, ob ein regelmäßiges und angenommenes Programm für die Weiterbildung entsteht oder nicht. 9.1.12 Themenfeld 12: Regeln zur Einhaltung und Veränderung von Regeln In dem letzten Themenfeld werden zwei zentrale Fragen geklärt: Zum einen geht es darum, in welcher Form die Ergebnisse des Familienstrategieprozesses regelmäßig überarbeitet werden sollen (Zyklen der Überprüfung, Formen der Anpassung etc.). Zum anderen ist für die Unternehmerfamilie herauszuarbeiten, welche Konsequenzen eine Missachtung der selbstaufgestellten Regeln nach sich zieht. Wir erleben es immer wieder, dass sich Unternehmerfamilien wenig Gedanken darüber machen, was passiert, wenn ein Familienmitglied die Verfassung zwar mit unterzeichnet, sich dann aber nicht an die Inhalte gebunden fühlt und zum Beispiel ein Auftreten in der Öffentlichkeit pflegt, welches mit den Werthaltungen der Verfassung bzw. der Familie nicht kompatibel ist. Oft sind die entsprechenden Familiensysteme dann damit überfordert, ein Mitglied zu sanktionieren, ohne dafür eine valide Grundlage zu haben. Die Besonderheit von etablierten Familiensystemen, die ihre schriftliche Niederlegung in Verfassungen, Kodizes oder Leitlinien finden, ist ja gerade die, dass es sich nicht um ein juristisch justiziables Dokument handeln soll. Wie kann hier aber auf ein krasses Fehlverhalten reagiert werden, das sich auch nach mehrfachen Gesprächen nicht verändert? In der Praxis sind es zwei Umgangsformen, die in diesen Fällen Wirkung zeigen (Rüsen, 2016). Zunächst ist es an den Vertretern der Unternehmerfamilie, mit dem regelbrechenden Familienmitglied aktiv ein Konfliktgespräch zu den Vorkommnissen einzufordern und dieses zu organisieren. Da in einem größeren Familienkreis kaum ein Familienmitglied Zeit und Lust hat, sich mit dem Fehlverhalten eines Einzelnen herumzuärgern, bleibt dieses oftmals unangesprochen, ungeahndet und damit latent geduldet. Ein gezieltes Gespräch, in dem der Regelbruch konkret angesprochen wird, die Hintergründe herausgearbeitet, Möglichkeiten, diesen in Zukunft zu verhindern, diskutiert und gegebenenfalls Maßnahmen zur Wiedergutmachung vereinbart werden, kann die Situation bereits deutlich entspannen. Die Basis dieses Vorgehens ist jedoch, dass das Intervenieren bereits im Rahmen des familienstrategischen Prozesses

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von allen als statthaft angesehen wurde. Wenn das problembearbeitende Familienmitglied mit dieser Legitimation ausgestattet ist und über die notwendigen kommunikativen Kompetenzen verfügt, sind meist keine weiteren Konsequenzen notwendig. Gelingt ein entsprechendes Konfliktgespräch (auch mit externer Hilfe) nicht oder gibt es nach einer vermeintlichen Klärung weitere Regelverstöße, bleibt der Unternehmerfamilie hier oft nur noch die Möglichkeit, das regelbrechende Familienmitglied von den spezifischen Aktivitäten der Unternehmerfamilie auszuschließen. Handelt es sich bei der Person dann gleichzeitig um einen Gesellschafter, muss jedoch peinlich genau darauf geachtet werden, dass dessen Rechte als Gesellschafter von dem familialen Ausschluss aus der Unternehmerfamilie nicht mit betroffen werden. Das heißt: Er oder sie wird vollumfänglich über alle Punkte informiert. In unserer Beobachtung führt der Ausschluss aus den gemeinsamen Aktivitäten als Familie häufig zu einer Rückbesinnung der entsprechenden Person. Daher sollte ein Ausschluss immer mit einem gleichzeitigen Angebot über eine Rückkehr verbunden werden. Liegt der Person nichts an der Teilhabe an der Gemeinschaft der Unternehmerfamilie, ist hier oftmals das Beziehungsverhältnis bereits erheblich zerrüttet. In diesem Fall sind Überlegungen anzustellen, in welcher Form eine konstruktive Zusammenarbeit im Gesellschafterkreis noch möglich sein kann oder ob ein Ausstieg aus diesem gewünscht wird. Zentrale Fragestellungen: • In welcher Form sollen die Inhalte der Familienverfassung geändert werden können? • Gibt es einen Zyklus, in dem die Familienverfassung kritisch durch die Unternehmerfamilie reflektiert und auf Passung überprüft werden soll? • Wie geht die Familie mit einfachen wie mit kontinuierlichen Brüchen der Inhalte und Regeln der Familienverfassung um?

9.2  Vom Familiendokument zur gelebten Familienstrategie Sobald die Familienverfassung ausformuliert ist, geht es darum, Anpassungen in bestehenden Vertragswerken (zum Beispiel Gesellschafterverträge, Erbregelungen, Eheverträge etc.) vorzunehmen. Hierdurch finden die familienstrategischen Überlegungen indirekt in bereits bestehende Vertragswerke Eingang. Auch ist in diesem Rahmen darauf zu achten, dass keine unbeabsichtigten Wechselwirkungen zwischen dem Familiendokument und vorhandenen Vertragswerken entstehen. Wie einleitend bereits angedeutet, beschäftigen sich aktuell

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verschiedene juristische Forschungsarbeiten und Publikationen mit der Frage der Rechtsnatur und eventuellen rechtlichen Folgen von Familienverfassungen bzw. -kodices (Uffmann, 2015). Auch wenn diese noch nicht vollständig abgeschlossen sind, so liegt doch im Thema der im Rahmen von familienstrategischen Entwicklungsprozessen entstandenen Familiendokumente eine gewisse Brisanz, zumindest dann, wenn Gesellschaftervertrag und Familienverfassung explizit miteinander verbunden werden (z. B. durch einen Verweis auf die Verfassung in der Präambel des Gesellschaftervertrages). In diesem Fall könnte die Verfassung in kritischen Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern gegebenenfalls als Vertragsbestandteil angesehen werden. Gleiches gilt auch, wenn eindeutige Beziehungsverhältnisse von Gesellschaftern statt in dem Gesellschaftervertrag in einer Verfassung geregelt werden. Grundsätzlich sollte allerdings ohnehin davon ausgegangen werden, dass in einem strittigen Fall ein Richter eine vorhandene Familienverfassung zur Kommentierung und Auslegung existierender Vertragswerke heranziehen wird. Folglich ist also immer zu bedenken, wie die abgefassten Inhalte einer Verfassung von einem Familienexternen verstanden werden und bei einem Schiedsoder Richterspruch verwendet werden können. Vor diesem Hintergrund ist es daher sinnvoll, das Ergebnis des familienstrategischen Entwicklungsprozesses durch einen juristischen Berater kritisch prüfen zu lassen. Neben der juristischen Prüfung und mitunter notwendigen Anpassung der bestehenden Vertragswerke geht es darum, die im Rahmen des Familienstrategieprozesses definierten Gremien (z. B. Familienrat, Familienmanager etc.) zu installieren, sowie die hier festgelegten Maßnahmen zur Förderung und Pflege des Zusammenhaltes sowie zum Aufbau von Gesellschafterkompetenz auf den Weg zu bringen. Oftmals beobachten wir, dass diese notwendigen Schritte, die dem erarbeiteten Familienmanagementsystem überhaupt erst Leben einhauchen, unterbleiben oder verschoben werden. Nach einem mitunter aufreibenden Entwicklungsprozess und nach der feierlichen Verabschiedung des Familiendokuments verbleibt die Familie dann in einer Art Ermüdungsfalle und benötigt Zeit, bevor es mit den nächsten Umsetzungsschritten weitergeht. Zu empfehlen ist, dass die im Familiendokument angelegten Institutionen schnell durch konkrete Personen besetzt werden. Gleichzeitig ist es hilfreich, sich mit anderen befreundeten Unternehmerfamilien über die Umsetzung auszutauschen und von gegebenenfalls vorhandenen Erfahrungen zu profitieren. Erst durch die Umsetzung der im Rahmen des Familienstrategieprozesses definierten Maßnahmen entsteht das spezifische Familienmanagementsystem einer Gesellschafterfamilie (siehe Abbildung 21). Fortan werden hierdurch sämt-

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V  Entwicklung einer Familienstrategie

Reflexion der Familienstrategie

Definition des (Selbst-) Management-Systems Regeln zur Einhaltung und Veränderung der Regeln Aufbau von Gesellschafterkompetenz

Bekenntnis zum Familienunternehmen





⑪ Vorhandenes Familienmanagement-System

Ausschüttungspolitik/Vermögensstrategie

Definition von Familie



⑩ ③

Prozess und Inhalte einer Familienstrategie



Werte und Ziele für Unternehmen und Familie

④ ⑧

Konfliktbewältigung/ Krisenprävention

⑤ ⑦

Information, Kommunikation und Verhalten



Rolle und Funktion von Mitgliedern der Familie im Unternehmen

Rolle und Funktion von Familienmitgliedern als Gesellschafter

Installation von Gremien

Ausformulierung des »Familienwillens«

Verträge ändern bzw. ausarbeiten

• Erstellung eines • Durchführung schriftlichen ggf. notwendiger Vertrags­ Dokumentes modifikationen (Verfassung, Kodex, Statut, • Abfassen & Charta etc.) schließen • Prüfung durch zusätzlicher Juristen, welche Verträge möglichen juristischen Bindewirkungen entstehen könnten

Definierte Gremien & Aufgaben »beleben«

• Einrichtung definierter Gremien • Aufnahme der Gremienarbeit • Durchführung definierter »FamilienAktivitäten«

Abbildung 21: Von der Familienstrategie zum Familienmanagement-System

liche Maßnahmen zur Ausbildung einer kollektiven Willensbildung durchgeführt und auch später die Verfassungsinhalte überprüft und angepasst. In diesem Selbststeuerungssystem werden nun sämtliche Fragestellungen einer Unternehmerfamilie behandelt und auch die bekannten widersprüchlichen Logiken einer Familie und eines Unternehmens ausbalanciert.

9.3 Familienstrategische Entwicklungsaufgaben in Abhängigkeit vom Mentalen Modell Abschließend wenden wir uns noch einmal den Mentalen Modellen zu. In einem familienstrategischen Prozess, also in den zwölf benannten Themenfeldern, geht es durchgehend indirekt um die Entwicklung und Veränderung eines Mentalen Modells. So gut wie alle Überlegungen und Diskussionen werden jeweils im Kontext eines Modells reflektiert und bewertet. Darum hierzu ein paar abschließende Überlegungen.

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9.3.1 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell der patriarchalen Logik In einem Familienunternehmen, welches durch eine patriarchale Logik geprägt ist, gestaltet sich die Etablierung einer Familienstrategie mitunter sehr schwierig. Doch in Fällen, in denen das zentrale Familienmitglied (der Patriarch) selbst diese Entwicklung eingeleitet und somit Firma, Gesellschafterkreis und Familie einen Neuanfang verordnet hat, kann ein entsprechender Prozess auch erheblich von diesem Mentalen Modell profitieren. Steht das zentrale Familienmitglied hinter dem Prozess, wird es der nächsten bzw. übernächsten Generation möglich, neue und andere Regeln bzw. Formen im Umgang mit Entscheidungen zu entwickeln. Erfolgversprechend ist es, wenn er/sie sich an die Spitze des Prozesses stellt und die Vorgabe, als alleinentscheidendes Oberhaupt abgeschafft zu werden, selbst formuliert hat. Dann können neue Strukturmuster schnell und effizient etabliert und umgesetzt werden. Bedenken innerhalb der Organisation bzw. der Familie können kraft der sozialen Autorität dieser Person leicht aus dem Weg geräumt werden. Wird ein familienstrategischer Prozess in diesem Mentalen Modell jedoch durch Nachkommen oder externe Dritte (z. B. Beiratsmitglieder) eingeleitet, oder befürchtet das zentrale Familienmitglied einen Machtverlust durch die hier eingeleiteten Veränderungen, laufen die hier entwickelten Konzepte und Maßnahmen Gefahr, von dem Patriarchen als Angriff auf seine unternehmerische Leistungsfähigkeit bzw. seine Autorität innerhalb der Familie bzw. des Gesellschafterkreises gewertet zu werden. Oftmals wird dann die formulierte Zukunftsvision der Familie oder das angedachte Nachfolgekonzept nicht akzeptiert und es kommt zu heftigen Abwehrreaktionen. Aus der Sicht des Patriarchen bzw. seiner engsten Vertrauten in der Unternehmerfamilie wird er attackiert, in seiner familiären Autorität untergraben bzw. seine unternehmerische Lebensleistung entwertet. Neue Verhaltens- und Entscheidungsregelungen werden als unnötige und einschränkende Hürden gewertet. Der Patriarch vertritt demgemäß die Auffassung, dass die zentralen Vorteile des Familienunternehmertums (Schnelligkeit und Flexibilität von Entscheidungen) unnötig verkompliziert werden. Oftmals wird übersehen, dass sich der Patriarch »ausschließlich mit der Person im Spiegel abstimmen musste«, wie es ein Familiengesellschafter ironisch beschreibt: »Wir, seine fünf Kinder, sind alle gleichberechtigte Anteilseigner und müssen miteinander im Verein zu einem Ergebnis kommen. Den hierdurch entstandenen größeren Abstimmungsbedarf und die von uns dazu entwickelten Regelwerke, insbesondere wie wir Uneinigkeit handhaben, hat Vater immer als Beweis für unsere schlechteren

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Unternehmereigenschaften im Vergleich zu sich selbst gewertet. Den Unterschied der Situationen hat er nie anerkannt.«

In Unternehmerfamilien dieses Mentalen Modells besteht die Hauptaufgabe darin, für die Notwendigkeit des gemeinschaftlichen familienstrategischen Arbeitens zu sorgen und Kräfte in der Nachfolgegeneration zu mobilisieren, die letztlich auch bereit und in der Lage sind, professionelle Entscheidungsstrukturen zu etablieren und diese eigenverantwortlich auszufüllen. Hinzu kommt eine oftmals ausgeprägte Abwehrhaltung gegenüber professionalisierten Aufsichts- und Kontrollstrukturen für das Unternehmen. Für den Patriarchen stellen diese eine unnötige Einschränkung seiner Entscheidungsmacht dar. Befindet sich das Unternehmen in den Händen späterer Generationen, sind die weiteren Gesellschafter meist vom Unternehmen entfernt, weil sie sich auf das die Patriarchenfunktion ausübende Familienmitglied und dessen unternehmerisches Geschick verlassen haben. Sie haben erkannt, dass dieses keine Kritik oder Ratschläge von anderen Mitgliedern der Gesellschafterfamilie akzeptiert und sich daher von einer unternehmerischen Rolle als Gesellschafter verabschiedet. Eine Reaktivierung der Einsatz- und Leistungsbereitschaft für Firmen- oder Familiengremien ist hier langwierig und erfordert viel Geduld bei den initiierenden Familienmitgliedern. Sie ist aber eine Grundbedingung dafür, dass das Muster der Alleinentscheidung verlassen werden kann. Die Aufgabe einer nachhaltigen Familienstrategie umfasst hier nicht nur eine Neuausrichtung der Aufsichts- und Kontrollgremien des Unternehmens, sondern erstreckt sich auch auf die Professionalisierung der eigenverantwortlichen Entscheidungsstrukturen im Gesellschafterkreis und innerhalb der Familie. Letztlich betritt die Familie hier Neuland. In allen Governance- und Familiengremien ist eine Entscheidungsfindung außerhalb patriarchaler Kommunikationsstrukturen zu erlernen. Die Abkehr von einer patriarchalen Logik verändert den Kern der bisherigen Kommunikations- und Entscheidungsstruktur radikal. Da zugleich wenig Erfahrungen im Umgang mit Gremien und MehrpersonenEntscheidungen vorhanden sind, hat ein hier tätig werdendes FamilienstrategieTeam nicht nur besonders einfühlsam, sondern auch in enger Kommunikation mit sämtlichen Mitgliedern der Gesellschafterfamilie vorzugehen. 9.3.2 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer operativ tätigen Unternehmerfamilie Im Modell der operativ tätigen Familie sind viele Regelwerke und Verhaltenskodices einer Familienstrategie auf das Thema Gleichheit/Ungleichheiten unter

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den tätigen und zwischen den tätigen und nichttätigen Familienmitgliedern fokussiert. Wie kann das Unternehmen fortbestehen und wie finden die beteiligten Familienmitglieder ein angemessenes Gefühl von Anerkennung und Wertschätzung für den individuellen Beitrag zum Erreichen des gemeinsamen Ziels? Für die Arbeit an der Familienstrategie bedeutet dies, ganz anders als in einer patriarchalen Logik, ständig für ein Ausbalancieren zwischen potenziellen oder bereits sichtbaren Unterschieden unter Familienmitgliedern zu sorgen, im Alltag der Unternehmensführung ebenso wie zwischen Unternehmensvertretern und Gesellschaftern und beides vor dem Hintergrund der bekannten Gleichbehandlungserwartung innerhalb der Familie. Zentrale Bestandteile einer Familienverfassung müssen hier vor allem klare Regelungen zu den Voraussetzungen einer Mitarbeit im Unternehmen, zum Umgang mit Über- und Unterordnungsverhältnissen von Familienmitgliedern zueinander oder mit einer familienexternen Geschäftsführung sowie zur Ausschüttungshöhe sein. Fehlt Letzteres, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die nicht-aktiven Gesellschafter gegen eine investitionsintensive Unternehmensstrategie stellen, höchstwahrscheinlich mit dem Argument, auch etwas von den Früchten des Unternehmens abbekommen zu wollen. Aktiv tätige Familiengesellschafter übersehen häufig, dass sie durch ihre Geschäftsführungsgehälter ökonomisch bereits sehr gut ausgestattet sind. Daher fällt ihnen der Verzicht auf höhere Ausschüttungen leichter und sie sehen Gewinne lieber im Unternehmen reinvestiert als andere Familienmitglieder. Zudem ist im Rahmen der Familienstrategie bei diesem Typus zu klären, welchen Wunsch nach Repräsentanz die nicht aktiven Familienteile in Entscheidungsgremien des Unternehmens hegen. Oftmals herrscht das Denken vor, dass diejenigen Familienmitglieder, die im Unternehmen tätig sind, auch das Sagen haben sollen. Je größer jedoch der Kreis der nicht aktiven Gesellschafter und (oftmals damit auch verknüpft) je weiter entfernt der Verwandtschaftsgrad im Gesellschafterkreis, desto ausgeprägter wird hier das Verlangen zumindest nach einer Kontrolle der Geschäftsführung sein. Für den familieninternen Geschäftsführer mag es kränkend sein, wenn die Familienmitglieder dieses Verlangen äußern. Die Einführung von effektiven Kontroll- und Überwachungsmechanismen sollte nicht als Akt des Misstrauens gegenüber den aktiv tätigen Familienmitgliedern missverstanden werden. Sie ist oftmals ein Schwerpunkt der familienstrategischen Arbeit im Mentalen Modell der operativ tätigen Unternehmerfamilie. Gleichzeitig muss innerhalb der Gesellschafterfamilie im familienstrategischen Prozess die Option des Verkaufes von Gesellschafteranteilen thematisiert und geregelt werden. Gerade von den aktiv tätigen Familienmitgliedern werden solche Überlegungen und Wünsche von nicht aktiven Gesellschaftern entweder

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als Verrat am gemeinsamen Ziel gewertet oder aber erfreut genutzt, um unter der Hand den Einfluss als Gesellschafter immer stärker zu erhöhen. Beide Entwicklungen belasten das sensible Zusammenspiel der tätigen und nichttätigen Familienmitglieder. Auf Unternehmensseite sind Entscheidungsprinzipien zu organisieren, die sowohl eine Partizipation aller geschäftsführenden Familienmitglieder ermöglichen als auch gleichzeitig eine Entscheidungsfähigkeit sicherstellen. In der Praxis haben sich Primus-inter-Pares-Regeln bewährt. Hierbei angewendete Rotationsprinzipien sind ein Indikator für die Ausbalancierungsbemühungen der handelnden Akteure, sollten jedoch die Leitungskompetenz nicht außer Acht lassen. Das größte Risiko im Modell der operativ tätigen Familie stellt der Fokus auf das soziale Miteinander der beteiligten Mitglieder dar. Schmerzlich zeigt sich dies, wenn jegliche ökonomisch sinnvolle Veränderungen innerhalb des Unternehmens, wie zum Beispiel die Neuzuordnung und Umstrukturierung von Geschäftsbereichen oder Organisationsstrukturen, den hierfür verantwortlichen, aktiv tätigen Familienmitgliedern persönlich zugerechnet wird. Kommt es zum Beispiel durch eine Reorganisation im Unternehmen zu einer Verkleinerung des Aufgabenbereiches eines Familienmitgliedes, das gegebenenfalls auch noch als Stammesvertreter fungiert, kann dies auf Familienseite als ein Macht- und Ansehensverlust für den entsprechenden Familienzweig gewertet werden. Schlimmer noch: Es können in Krisensituationen beispielsweise durch die Ergebnisse eines externen Gutachtens Leistungs- und Kompetenzunterschiede einzelner Familienmitglieder für alle Beteiligten klar und deutlich werden, die über Jahre und Jahrzehnte innerhalb der Unternehmerfamilie zwar latent bekannt waren, aber akzeptiert und angenommen wurden. In solchen Fällen wird eine Ungleichheit von Leistung und Erfolg, Vergütung, Misserfolg und Verantwortung offenbar und den Mitgliedern der Gesellschafterfamilien vor Augen geführt. Für die betroffenen Familiengesellschafter bedeutet dies jedoch einen Gesichtsverlust vor den anderen Mitgesellschaftern bzw. der gesamten Familie. Nicht selten flammen in solchen Situationen nicht nur Generationen-, sondern auch Gesellschafterkonflikte entlang von Stammeslinien bzw. Kleinfamiliengrenzen auf. Die im Mentalen Modell der operativ tätigen Unternehmerfamilie etablierten Gesellschafter- und/oder Führungsstrukturen sind meist im Rahmen von Nachfolgeentscheidungen entstanden, in denen die Elterngeneration eine Gleichbehandlung der Kinder auf diesen Ebenen angeordnet hat. Für die Arbeit an einer Familienstrategie bedeutet dies, dass sehr viel Diskussion in die Regelung, Behandlung und Lösung von Konflikten zu investieren ist. Das heißt, es sind klare Prozesse zu definieren, wie damit umzugehen ist, wenn sich die handeln-

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den Akteure plötzlich nicht mehr einig sind. Entsprechende Regeln können dann unter anderem die Übergabe von Entscheidungskompetenz an fremde dritte Gremien (z. B. die familienexternen Mitglieder des Beirates, Mediatoren oder ein Schiedsgericht) umfassen. Spätestens bei Auswahlentscheidungen zur Tauglichkeit von Vertretern der nächsten Generation aus unterschiedlichen Gesellschaftergruppen für die Führung des Unternehmens werden Strukturen benötigt, die Entscheidungen nach Kompetenzniveau und nicht nach Herkunft zulassen. Zentral ist hierbei, dass die Familie für nicht ausgewählte Familienmitglieder eine Form des gesichtswahrenden Umgangs von vornherein mitbedenkt. Ein hier ansetzendes Familienmanagement steht wie erwähnt vor der großen Herausforderung, zwischen der Gleichheit als Familienmitglied und der Ungleichheit als Mitarbeiter/Führungskraft im Unternehmen differenzieren zu müssen. Die notwendige Einführung von Verfahren zur systematischen Ausbildung und Kompetenzbeurteilung wird jedoch nicht als Lösung, sondern als ein Verlust an Familiarität erlebt. Die Logik der Entscheidung, die sich bisher stark an Einzelpersonen und den vorhandenen familiären Strukturen orientiert hat, wird oftmals im Rahmen familienstrategischer Prozesse als hart und rein sachorientiert wahrgenommen. Die Gefahr besteht in dieser Situation darin, dass der familienstrategische Prozess, wenn es um Entscheidungsheuristiken über Personen aus dem Familienkreis geht, als inakzeptables Implantat innerhalb der Familiengemeinschaft bewertet wird. Zwar sind die Familienmitglieder von der Notwendigkeit und Richtigkeit entsprechender Regelungen und Richtlinien als Gesellschafter überzeugt, im subjektiven Erleben ihrer familiären Gefühlswelt werden diese jedoch grundlegend abgelehnt. Wir beobachten in der Praxis, dass operativ tätige Unternehmerfamilien zwar eine wunderbare Family Governance auf dem Papier erstellen, deren Inhalte und Regelungen jedoch unterlaufen. Es kann sinnvoll sein, kritische und nicht von allen getragene Inhalte bei der erstmaligen Entwicklung einer Familienstrategie in eine offene Punkte-Liste zu überführen und diese später, nach Einführung des Regelwerkes, erneut zu bearbeiten. Da im Modell der operativ tätigen Familie ein Miteinander zumeist weniger Familienmitglieder an herausgehobenen Positionen besteht, sind Räume und Foren zu schaffen, in denen das Zusammenspiel von den Beteiligten reflektiert werden kann. Bewährt hat sich beispielsweise ein jährlicher »Waschtag«, an dem die Familie mit einer freundlich-konstruktiven Perspektive auf ihre eigene Unzulänglichkeit bzw. auf die noch unzureichende Einhaltung ihres geschaffenen Regelwerkes schaut. In den ersten Jahren nach Einführung einer Familienstrategie hilft ein solcher Tag, den Fremdkörper, den die Regeln der Familienverfassung bilden, in der Logik der Unternehmerfamilie annehmen zu können.

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9.3.3 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer aktiven Eigentümerfamilie Im Übergang von der operativ tätigen zur aktiven Eigentümerfamilie verschiebt sich der Fokus der Aufmerksamkeit hin zu Gesellschafterfragen. Die Kernaufgaben im Rahmen eines familienstrategischen Prozesses liegen einerseits in der Schaffung einer Bindung unter den weitverzweigten Verwandten, so dass sich diese auch weiterhin als eine Familie verstehen. Anderseits geht es darum, dass die Gemeinschaft ihre emotionale Verbindung zum Unternehmen erhält und die gehaltenen Anteile als ein transgenerationales Erbe ansieht, das in Treuhänderschaft verwaltet und in diesem Sinne an die Folgegeneration weitergegeben wird. Gelingt beides nicht, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Anteilseigner in ihrem Selbstverständnis im Zeitverlauf mehr und mehr zu einer reinen Investorengemeinschaft entwickeln, die zufällig die gleichen Vorfahren hatte. Für Gesellschafterfamilien in diesem Mentalen Modell ergibt sich somit die kontinuierliche Aufgabe, das Unternehmen und die Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie als einen Sinn- und Identitätslieferanten wahrzunehmen. Wird hierfür keine Sorge getragen, besteht die Gefahr, dass das Unternehmen Zug um Zug seine Gesellschafterfamilie verliert. Gerade bei börsennotierten Familienunternehmen mit frei handelbaren Anteilen lässt sich diese schleichende Veränderung des Organisationstypus des Öfteren beobachten. Für die Mitglieder der Gesellschafterfamilie besteht in diesem Mentalen Modell eine weitere Aufgabe darin, sicherzustellen, dass der Wille der Gesellschafterfamilie angemessen durch das meist familienexterne Management respektiert und in die unternehmensstrategischen Überlegungen integriert wird. Hier gilt es, darauf zu achten, dass die Prinzipen und Werte der Gesellschafterfamilie nach wie vor in dem Unternehmen gelebt werden, auch wenn die Familie nicht selbst in der operativen Führung durch eine Person vertreten ist. Entsprechende, meist wertebasierte Vorstellungen der Gesellschafterfamilie beziehen sich oftmals auf einen fairen und sozialverträglichen Umgang mit den Mitarbeitern sowie eine Standorttreue zum Stammhaus. Sie können sich aber – je nach Gesinnung der Gesellschafterfamilie – auch auf bestimmte Geschäftspraktiken (keine Geschäfte mit diktatorischen Staaten) oder Arten von Geschäften (keine Geschäfte, die militärisch genutzt werden könnten, die ökologisch nicht in einer Balance stehen etc.) beziehen und die strategische Ausrichtung eines Unternehmens leiten. Für den familienstrategischen Prozess bedeutet dies, dass sich die Mitglieder der Gesellschafterfamilie auf einen Wertekanon für die Familie und Werthaltungen in Bezug auf das Unternehmen einigen. Gerade bei Gesellschafterkreisen, die zwanzig bis dreißig Personen übersteigen und in

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denen die Unternehmerfamilie gegebenenfalls auf unterschiedlichen Kontinenten lebt, können sich sonst sehr unterschiedliche Vorstellungen und Werteideen herausbilden. Wenn diese unstrukturiert an das familienexterne Management herangetragen werden und dieses durch Inkompatibilität und Widersprüchlichkeit irritieren, kann dieses schlimmstenfalls in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine zentrale Aufgabe für den Gesellschafterkreis besteht somit darin, für Strukturen zu sorgen, die für eine abgestimmte Familienpräsenz im bzw. gegenüber dem Unternehmen sorgen. So kann zum Beispiel eine mittels Wahl legitimierte Gruppe von Repräsentanten der Familie als Mitglieder des Kontrollgremiums und/oder eines Gesellschafter- bzw. Familienrates sicherstellen, dass der Wille der Familie durch die Führungskräfte auch umgesetzt wird. Bei vielen größeren und auch börsennotierten Familienunternehmen lassen sich in der Governance-Struktur Gremien identifizieren, die diese Aufgabe übernehmen. Wichtig ist, dass die Interaktion mit dem familienexternen Management frühzeitig, das heißt möglichst zu Beginn der Einstellung kommuniziert und abgestimmt wird. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass familienexterne Top-Manager unglaubliche Erfolge im Unternehmen erzielen, in ihrer Interaktion mit der Gesellschafterfamilie aber die Verbindung verlieren und dann das Unternehmen verlassen müssen. Innerhalb der Gesellschafterfamilie besteht die Aufgabe im familienstrategischen Prozess darin, die Frage regelmäßig und systematisch zu bearbeiten, wie das Selbstgefühl als unternehmerische Familie, die nicht mehr operativ tätig ist, erhalten bleiben kann. Hier geht es auch um die Frage, wie ein Unternehmergeist erhalten oder immer wieder aufs Neue entzündet werden kann. Es ist eine Gesellschafterkompetenz auf einem Niveau zu entwickeln, die den Anforderungen der Unternehmensgröße und -komplexität entspricht. Dies bedeutet, dass mindestens einige wenige Vertreter aus der Familie in die Lage versetzt werden müssen, mit den Vorständen bzw. anderen Vertretern der Aufsichtsgremien auf Augenhöhe über die strategische Ausrichtung des Unternehmens zu diskutieren und zu entscheiden. Für die große Anzahl der anderen Gesellschafter geht es um die Entwicklung eines Mindestmaßes an Strategiefähigkeit, die sie in die Lage versetzt, den Jahresabschlussbesprechungen oder Vorträgen von Beirat, Aufsichtsrat oder Geschäftsführung inhaltlich folgen und zukunftsweisende Entscheidungen inhaltlich mittragen zu können. Es gilt zudem zu klären, welche Aufgaben/Aktivitäten von interessierten und engagierten Familienmitgliedern geleistet werden können, die keine Gremienarbeit ausüben. Für jede größere Unternehmerfamilie ergibt sich in diesem Mentalen Modell die zentrale Aufgabenstellung, Familiengremien, zum Beispiel einen Familienrat, zu etablieren. Dieser fungiert dann als kommunikatives Bindeglied innerhalb

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der Familie, organisiert deren Zusammenhalt oder setzt spezielle Arbeitsgruppen ein, die besondere Fragestellungen für die Familie (zum Beispiel Gründung eines gemeinsamen Family Offices etc.) behandeln. Letztlich sind Unternehmerfamilien im Mentalen Modell der aktiven Eigentümerfamilie dauerhaft mit der Aufgabe beschäftigt, eine Sinnstiftung innerhalb der Unternehmerfamilie herbeizuführen, die ein Verbleiben in dieser als lohnenswert erscheinen lässt. 9.3.4 Typische Fragestellungen im Mentalen Modell einer Investorenfamilie Im Modell der Investorenfamilie liegt der Fokus auf dem Vermögensmanagement. Die familienstrategische Entwicklungsaufgabe besteht zumeist darin, das vorhandene Kompetenz- und Fähigkeitenprofil, das auf die Führung eines Unternehmens ausgerichtet war, auf die nicht minder komplexe Aufgabe der Steuerung und Ausbalancierung des Vermögens hin zu transformieren. Nicht wenige erfolgreiche Unternehmerfamilien vernichten große Teile ihres Verkaufserlöses in den ersten Jahren nach dem Verkauf, da sie in ihrer neuen Rolle als Investoren ihre bisherigen Fähigkeiten als Eigentümer, Beiräte oder als Mitglieder eines Top-Management-Teams kaum zielführend für ein professionelles Vermögensmanagement einsetzen können. Als gemeinsames Bindeglied existiert hier nunmehr kein einzelnes Unternehmen bzw. Unternehmensgruppe mehr, sondern oft ein Konglomerat von Beteiligungen, Anlageportfolien und unterschiedlichen Investments. Ein Großteil der gewachsenen Werte, der erlernten unternehmerischen Prämissen und der bewährten Entscheidungsprozesse sind auf die neue Aufgabe nicht anzuwenden. Ist eine, den unterschiedlichen Risikoneigungen entsprechende, Vermögensverteilung erreicht, hat eine spezifische Familienstrategie dafür zu sorgen, einen Nutzen innerhalb der Familie zu schaffen, der das Zusammenbleiben als hochvermögende Person, also den Zusammenhalt als Familiengemeinschaft, nicht nur emotional, sondern auch ökonomisch sinnvoll erscheinen lässt. Die entsprechende familienstrategische Arbeit besteht hier also gleichzeitig in der Wahrung oder Erzeugung eines gemeinsamen Sinnzusammenhanges, der nicht ausschließlich in der Gewinnung von Skalenerträgen begründet ist. In der Praxis lassen sich insbesondere bei Gesellschafterfamilien mit diesem Mentalen Modell eine Vielzahl gemeinsamer Aktivitäten der Unternehmerfamilie außerhalb des Kerngeschäfts beobachten: Hierzu zählen unter anderem gemeinsame gemeinnützige bzw. wohltätige Engagements, die Einrichtung und Pflege gemeinsamer Institutionen wie etwa einer Familienstiftung (die z. B. in Not geratene Familienmitglieder finanziell versorgt oder die Ausbildung der Folgegenerationen

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finanziert und strukturiert) oder die Einrichtung eines Family Offices, das sich beispielsweise um rechtliche, steuerliche oder sonstige administrative Aufgaben für die Familienmitglieder insgesamt kümmert. Diese zusätzlichen Aktivitäten sind im Wesentlichen Maßnahmen, um einem Zerfall der Familiengemeinschaft in Einzelinvestorengruppen gegenzusteuern. Die Kernherausforderung liegt somit in diesem Mentalen Modell im Widerspruch zwischen der ständigen Suche nach neuen unternehmerischen Herausforderungen und Zielen, die Wachstum und Renditeoptimierung des vorhandenen Vermögens ermöglichen, und dem Erhalt einer historisch gewachsen Familieneinheit, ohne dass ein Unternehmen, Mitarbeiter, Produkte oder auch regionale Bezugspunkte dauerhaft zur Identitätsstiftung zur Verfügung stehen. Bei allen Wechselchancen lohnenswerter Investments geht es darum, einen unternehmerischen, schöpferisch-kreativen Geist in der Familie aufrechtzuerhalten. Häufig beobachten wir in Unternehmerfamilien dieses Typus Versuche der Senior-Generation, die Junior-Generation zur Gründung eigener Unternehmen zu motivieren bzw. Start-up-Ideen mit entsprechendem Gründerkapital aus dem Familienverbund zu ermöglichen. In einem prägnanten Fall war es Usus, dass alle Vertreter der Folgegenerationen mit Volljährigkeit einen kompletten Pflichtteils- und Erbverzicht unterzeichneten. Ihnen wurde in Aussicht gestellt, Anteile an dem beträchtlichen in einer Familienholding gemanagten Vermögen übertragen zu bekommen, sofern sie erfolgreich mindestens ein Start-up gegründet und über fünf Jahre eine überlebensfähige Unternehmung entwickelt bzw. diese erfolgreich verkauft hatten. Das hierfür notwendige Kapital wurde ihnen aus einem übergreifenden »Familien-Venture-Money-Topf« zur Verfügung gestellt. Ein Vermögen aktiv zu managen, welches durch Fleiß und Geschick von Vorgänger-Generationen erwirtschaftet wurde, stellt in entsprechenden Unternehmerfamilien eine zentrale Herausforderung dar, deren Bedeutung von Vertretern dieses Typus immer wieder hervorgehoben wird. Beobachten lässt sich ein ambivalentes Verhältnis zu den vorhandenen (meist großen) Vermögenswerten, welches von Ablehnung und Scham über Erstarrung in einer Angst um Verluste bis hin zur Verantwortung, dieses zu erhalten und an die nächste Generation weiterzugeben, reicht. Gerade in Familienkonstellationen, in denen die Gründer- oder Aufbaugeneration schnell ein hohes unternehmerisches Vermögen geschaffen (und durch den Verkauf des Unternehmens bzw. einzelner Teile realisiert hat), lässt sich eine große Sorge beobachten, die nachkommende Familie mit zu viel frei verfügbarem Vermögen zu »vergiften«, wie ein Unternehmer einmal sagte, und ihnen dadurch jegliche Ambition für einen aktiv gestalteten Lebenswandel zu nehmen.

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Der Gesichtspunkt der Ablösung und der Nachfolge in Bezug auf operative Aufgaben spielt in dieser Konstellation eine nachgelagerte Rolle. Vielmehr hat eine Familienstrategie Strukturen zu etablieren, die Entscheidungen als Investorenteam schnell und flexibel möglich machen und dabei einzelnen Familienmitgliedern die Möglichkeit bieten, nicht immer und überall mitinvestieren zu müssen. Allzu oft verstricken sich Unternehmerfamilien bei dem Versuch, das freie Vermögen zu reinvestieren, in endlose Diskussionen über Chancen und Risiken von einzelnen Investitionsmöglichkeiten, die letztlich nicht im Konsens befürwortet werden können. Folglich sind Poolverträge auf Zeit ebenso wie eine zeitlich limitierte Beauftragung einzelner Familienmitglieder, das Vermögensmanagement der Gesamtfamilie zu beaufsichtigen und zu überwachen, typische Ergebnisse familienstrategischer Prozesse in diesem Familientypus. Die Attraktivität der Zugehörigkeit zu dem Kreis der Investorenfamilie ist hier weniger an einzelne Personen gebunden als vielmehr an die ökonomischen und emotionalen Vorteile, die aus einem Pooling des Vermögens, den zusätzlichen Dienstleistungen und emotionalen Dividenden als Mitglied eines Familienclans resultieren. Dennoch kann es, wie bei allen Modellen, von Vorteil sein, wenn respektierte Einzelpersonen zusätzlich zu allen Regelungen und Entscheidungsstrukturen dafür Verantwortung übernehmen, »dass der Laden zusammengehalten wird«.

9.4  Familienstrategie als Daueraufgabe Die Ausführungen dieses Kapitels verdeutlichen, dass eine reine Auflistung von allgemeinen Werten und Institutionen oder auch die Niederschrift einer Verfassung durch einen externen Berater nicht hinreichend sind, um das komplexe Zusammenspiel einer Familie und eines Unternehmens nachhaltig zu unterstützen. Die zuweilen in der Praxis beobachtbaren einfachen Verfassungen, die meist in ein bis zwei Tages-Workshops entstehen, werden dem Bewusstseinsbildungs- und Regelungsbedarf von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien nicht gerecht. Gerade wenn familienstrategische Regelwerke strapaziert werden (z. B. bei der Frage nach der Zugehörigkeit zur Familie, den Kriterien zur Befähigung für den Einstieg ins Unternehmen, bei Uneinigkeit etc.), versagen solche »netten«, extern vorformulierten Regelwerke. Die vermeintliche Vorsorge durch entsprechend undurchdachte Schriftstücke stürzt die Unternehmerfamilie mitunter ins Chaos. Als Konfliktpräventionsinstrumente sind derartige Regelwerke unserer Erfahrung nach wenig brauchbar.

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Erst durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Kernfragen einer sich wandelnden Unternehmerfamilie im Zuge der Entwicklung einer Familienstrategie sowie mit einem darauf aufbauenden (Selbst-)Management-System erhält die Unternehmerfamilie die Möglichkeit, sich mit typischen Entscheidungssituationen aus der Zukunft zu konfrontieren. Zu berücksichtigen ist auch, dass eine Unternehmerfamilie im Rahmen eines solchen Prozesses erkennen kann, dass sie über keine gemeinschaftliche Vorstellung (mehr) verfügt. In diesen Fällen ist zu überlegen, ob und unter welchen Bedingungen einzelne Mitglieder des Familienverbundes durch den Verkauf ihrer Anteile aussteigen und sich hierdurch der Gesellschafterkreis auf die Familienteile konzentriert, die über eine gemeinsame strategische Vision als Unternehmerfamilie verfügen. Ist der Anteil der verbleibenden Familienmitglieder jedoch zu gering bzw. übersteigen die notwendigen Kaufpreiszahlungen die finanziellen Möglichkeiten, bleibt oft nur der Komplettverkauf des Unternehmens. Hier besteht die familienstrategische Aufgabe darin, ein neues Selbstverständnis zu erarbeiten bzw. einen neuen Identitätskern zu entwickeln. Wir erleben es immer wieder, dass Unternehmerfamilien nach dem Verkauf ihres Mehrgenerationen-Familienunternehmens in eine tiefe Sinn- und Identitätskrise geraten (Rüsen, 2011). Der Übergang zur Investorenfamilie wird überschattet von dem Gefühl, als Unternehmerfamilie versagt zu haben. Eine Alternative zum Verkauf ist die Einbringung des Familienunternehmens in eine Familienstiftung (Hennerkes u. Kirchdörfer, 2015, S. 268 ff.; Hepperle, 2011). Dieses Ergebnis eines familienstrategischen Prozesses wird oftmals schon von der Gründergeneration in Erwägung gezogen. Meist geschieht dies, wenn der Gründer im Prozessverlauf den Eindruck gewinnt, dass das Hauptinteresse seiner Nachkommen weniger in der unternehmerischen Aufgabe als vielmehr in den über Ausschüttungen aus dem Unternehmen resultierenden finanziellen Möglichkeiten besteht oder schlichtweg keinerlei Eignung zur Übernahme einer verantwortlichen Position wenigstens im Aufsichtsgremium vorhanden ist. In einigen uns bekannten Fällen hat sich die Unternehmerfamilie im Rahmen des familienstrategischen Prozesses kollektiv dazu entschlossen, das Unternehmen in eine Familienstiftung einzubringen. Hier haben die Familiengesellschafter für sich erkannt, dass dem Unternehmen auf längere Sicht eine Gefahr durch die erbschaftsbedingte immer weitergehende Aufsplitterung der Anteile droht. Mittels der Übertragung sämtlicher Anteile auf ein unsterbliches Familienmitglied, das als juristische Person die Anteile bündelt und über Gremien (besetzt mit Familienmitgliedern) das Unternehmen steuert, wird erhofft, dauerhaft dem Unternehmen als verlässlicher Partner zur Verfügung stehen zu können. Aber auch bei dieser Lösung muss sich die Familie Gedanken machen,

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wie sie das Unternehmertum erhält und wie die Nachfolge in den Stiftungsgremien erfolgen soll. Die Ausführungen dieses Kapitels sollten verdeutlichen, welche Bedeutung ein familienstrategischer Entwicklungsprozess für die Zukunft des Familienunternehmens bzw. die Unternehmerfamilie haben kann. Eine Unternehmerfamilie prüft sich auf Herz und Nieren und bereitet sich zudem auf zukünftige Herausforderungen vor. Eine externe Begleitung ist bei der benannten Aufgabenfülle und der Konfliktträchtigkeit ratsam. Der externen Person des Moderators wird dabei neben der Kompetenz in Überlebensfragen von Familienunternehmen ein hohes Maß an Integrität wie Einfühlungsvermögen in Bezug auf familiendynamische Prozesse abverlangt. Die Familie des Familienunternehmens muss sich zu Beginn des Prozesses bewusst sein, dass sie ein gehöriges Maß an Zeit für den Prozess und das dadurch implementierte Familienmanagement-System zu investieren hat. Doch was ist die Alternative? Es kann in der Regel nicht so weitergehen wie bisher. Das strukturelle Risiko wächst kontinuierlich: Die Familie verändert sich, das Unternehmen verändert sich, die Umweltanforderungen wandeln sich. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Lösungen, die sich ja oft aus konkreten Anlässen heraus entwickelt haben, weiter passen. Es lohnt sich, den zusätzlichen Kommunikationsaufwand, den eine Familienstrategie bedeutet, auf sich zu nehmen. Denn auf dem Weg der Auseinandersetzung und der Bearbeitung von kritischen Themen geht es nur in zweiter Linie um die Ausformulierung konsensfähiger Inhalte. In erster Linie geht es darum, dass die Familie lernt. Und vor allem lernt sie, wie sie lernt – ein Vorgang, den Bateson »Lernen zweiter Ordnung« nennt (1981). Sie weiß zum Beispiel, wie sie Selbstbilder anpasst, Nachfolgemuster und Gremienstrukturen verändert, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zusammenbringt etc. Sie kann darauf vertrauen, dass diese Kompetenz bei Ereignissen und Herausforderungen zum Tragen kommt, von denen man bisher nur ahnen kann, dass sie auf die Familie zukommen werden. – Familienstrategie zu betreiben, heißt für uns nichts anderes als die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass das eintritt, was so gut wie alle Familienunternehmen anstreben: Enkelfähigkeit.

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildung 1: E  ntwicklungsrisiken der drei Systeme (aus: Simon et al., 2005, S. 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  32 Abbildung 2: D  rei-Kreise-Modell des Familienunternehmens (nach Tagiuri u. Davis, 1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  75 Abbildung 3: Paradoxe Aufforderung (© Björn von Schlippe) . . . . . . . . . . . . . . 88 Abbildung 4: D  as Werte- und Entwicklungsquadrat für »Family first« und »Business first« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abbildung 5: Der Rubin’sche Becher (Rubin, 1921, S. 249) . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abbildung 6: F  amilie und organisierte Familie/Unternehmerfamilie zugleich (© Björn von Schlippe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  100 Abbildung 7: Die Spannung zwischen Familie und Unternehmerfamilie . . . . .  100 Abbildung 8: Gremien der Familie Merck – ein Fallbeispiel (Baumhauer, Böninger, Prügl u. von Schlippe, 2011, S. 118) . . . . 151 Abbildung 9: Überblick über die Organe und ihre Funktionen des Fallbeispiels der Familie Merck (Baumhauer, Böninger, Prügl u. von Schlippe, 2011, S. 118) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Abbildung 10: Die patriarchale Logik (© Björn von Schlippe) . . . . . . . . . . . . . . 196 Abbildung 11: Die operativ tätige Unternehmerfamilie (© Björn von Schlippe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  200 Abbildung 12: Die aktive Eigentümerfamilie (© Björn von Schlippe) . . . . . . . .  203 Abbildung 13: Die Investorenfamilie (© Björn von Schlippe) . . . . . . . . . . . . . . 205 Abbildung 14: Die Mentalen Modelle im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Abbildung 15: Prozessmodell zur Entwicklung einer Familienstrategie . . . . . . 235 Abbildung 16: Struktur und Abgrenzung innerhalb von Unternehmerfamilien (Rüsen, 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abbildung 17: Matrix zur Fungibilität von Anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildung 18: B  eispiel einer Gremienstruktur von Unternehmen und Familie (Rüsen, 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abbildung 19: Ablaufplanung von Beiratssitzung, Gesellschafterversammlung und Familientag (Rüsen, 2014) . 277 Abbildung 20: B  eispiel für den Jahreskalender einer Unternehmerfamilie (Rüsen, 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Abbildung 21: Von der Familienstrategie zum Familienmanagement-System 288

Tabelle 1: Die beiden Seiten der Paradoxie der Unternehmerfamilie . . . . . . . . Tabelle 2: Die Unterschiede zwischen Familie und Unternehmerfamilie . . . . . Tabelle 3: O  rte und Formen der Familienstrategieentwicklung (angelehnt an Nagel u. Wimmer, 2014, S. 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 4: Vier Formen der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 5: Typische Lernfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister

Adoption  51, 121, 130–132, 239 Aktienmarkt, interner  140 Aktionärsversammlung  61, 79, 127 Aktionsforschung  14, 37, 39 aktive Eigentümerfamilie  40, 155, 193, 202–204, 206 f., 209, 218, 282, 294, 296 Altersobergrenze  130 Ältestenrecht  21 Ambivalenz, ambivalent (s. a. Bivalenz, bivalent)  87, 105, 131, 297 Aufsicht, Aufsichtsfunktion, Aufsichts­ gremium  26, 28, 35, 58, 66, 148, 152, 154, 159 f., 163, 172, 202, 263, 295, 299 Ausschüttung  33, 49, 62, 64 f., 84, 98, 102, 134, 137, 167, 189, 223, 231, 272–274, 279, 291, 299 Ausstieg (s. a. Wiedereinstieg)  57, 109, 121, 136–138, 149, 241, 254, 257, 286 Bankenvollmacht  270 Bedeutungsfelder  103 Beirat  52, 106, 156, 159, 167, 182–184, 189, 196, 218, 244, 257, 259–261, 266, 277, 295 Beiratsbesetzung  158 Beobachtung zweiter Ordnung  190 Bescheidenheit  242 Besetzungsentscheidung  91, 112, 163 f., 170 f. Beteiligungsstiftung  225 Beziehungen, gleichgeschlechtliche  121, 135 f., 240 Beziehungsfalle  87, 90 Bindung, Bindungskommunikation, ­Bindungslogik  24, 63, 68, 80–83, 85, 88, 90, 96, 101, 103, 108, 112 f., 149, 159, 170 f., 174, 204, 206, 223, 232, 250 f., 254 f., 260, 274–276, 284, 294 Bivalenz, bivalent (s. a. ambivalent)  96 f., 107 Börsengang  47, 61 f., 255

Corporate Governance  29, 141 CSR (s. Verantwortung, soziale; Verantwortung, gesellschaftliche) Doppelstiftung  226 Double-bind  89 Drei-Generationen-Schema  76 f., 101, 119 Drei-Kreise-Modell  24, 72, 75, 78, 100, 102 f., 284 Ehen, internationale  254 Ehepartner  49, 107, 120–124, 127–129, 133–135, 146, 150, 152 f., 215, 238, 240, 266, 277, 281 Eigentümergemeinschaft  85, 102 f., 206, 233 Entparadoxierung, entparadoxieren  96 f., 123, 223 f. Entscheidungsfähigkeit  15, 26, 37, 53, 71, 102, 104, 107, 114, 170, 189, 213, 216 f., 220, 227, 251, 259, 269, 292 Entscheidungskommunikation, Entscheidungslogik  83, 90, 112, 114, 209, 216, 251, 265, 284 Entscheidungsprämissen  154, 209 Entscheidungsprinzipien, personenorientierte, verfahrensorientierte  101, 209, 216, 251, 292 Entwicklungsrisiken  32 Erbe, Erbfall (s. a. Vererbung)  22, 55, 63, 65, 108, 118, 167, 183, 231, 251, 253, 272 f., 294 Erbkonflikt  19 Erbrecht  15, 21 Erbschaftssteuer  225, 272 Erbverzicht  297 Ermüdungsfalle  191, 217, 287 Erstgeborenenrecht  17, 174 Externalisierung  182

315

Sachregister

Fairness, fair, unfair  102, 166–169, 183, 217, 244, 266 Fair process  169 Familienbonus  182 Familiencharta (s. Familienverfassung)  32, 230, 244 Familiengedächtnis  102, 171, 175 Familienintranet  150 Familienlogik  25, 114, 117, 125, 132, 140, 143, 153 f., 181, 202, 217, 283 Familienmanagement  14 f., 26, 33, 38, 40, 67, 95, 102, 105, 149 f., 175, 222, 233, 235, 275, 288, 293, 300 Familienrat  30, 138, 147–153, 159–161, 181, 183 f., 260, 284, 287, 295 Familientag, Familientreffen  57, 61, 102, 128, 132, 143, 152–154, 186, 205, 222, 259, 263, 275–278 Familienverantwortlicher, Familien­ verband  28 f., 146, 259, 261 Familienverfassung  32 f., 109, 135, 137 f., 182, 188, 222 f., 230, 232–234, 237 f., 243, 248, 252 f., 259–261, 266, 276, 283, 286 f., 291, 293 Familienzeitung  150 Familie, organisierte  100, 103 f., 107 Familie, verdoppelte  39, 72, 94, 98, 100, 109, 111, 152, 195, 202, 227, 239 Familiness  170 Family Business Review  73 Family Compliance  33, 39, 237 Family Effect  36 Family Governance, Family Business ­Governance  13–15, 26, 29 f., 105, 126, 145 f., 148, 195, 207, 259, 293 Family Office  30, 274 f. Family Wars  32 Fideikommiss  22 FüG-Projekt  37, 171, 196, 209, 318 Führung, externe  228 Führungskraft  57, 281, 293 Fungibilität  254 f., 272 Generationenübergang  125, 202, 271 Gerechtigkeit, Gerechtigkeitsempfinden, -logik, -konto  15, 21, 26, 31, 47, 49, 68, 91, 102, 162, 165 f., 169 f., 183, 234 Geschäftsführung  34 f., 53, 57 f., 60, 63 f., 90, 95, 144, 152, 200 f., 203, 223, 244, 256, 258, 263, 280, 282, 291, 295

Gesellschafterausschuss  30, 67, 148, 152, 159 f., 260 Gesellschafterinformationskreis  147, 153 Gesellschafterkompetenz  30, 33 f., 47, 66 f., 105, 154, 158 f., 188 f., 191, 217, 235, 248 f., 260, 277–280, 283, 287, 295 Gesellschafterrolle  58 f., 120, 203, 252 f., 279 Gesellschafterversammlung  50, 52, 63–65, 84, 113, 120 f., 126–129, 134–136, 140, 144, 149–152, 171, 182, 186, 189, 240, 252, 264, 275–277, 284 Gesellschaftervertrag  51, 113, 119, 122, 127, 133, 139, 201, 232, 239, 256, 264, 269 f., 287 Gesichtsverlust, Gesicht  50, 82, 96, 101, 114, 163, 169, 174 f., 182, 251, 262, 292 Governance  13–15, 26, 29 f., 34, 95, 105, 126, 141, 146, 148 f., 161, 163, 192, 195, 207, 256, 259, 290, 293, 295 Gremien  30, 47 f., 66 f., 96, 101, 105, 112 f., 120, 123, 126 f., 135, 143, 147–154, 158–160, 162–164, 167, 170 f., 183, 188, 216, 231, 235, 240, 252, 256 f., 260, 287 f., 290, 293, 295, 299 Gremienstruktur  152, 234, 263, 300 Grenze, Grenzmanagement  43, 117, 135, 156, 239 Großfamilie, Großfamilienorganisation  24, 28, 32, 51 f., 101, 108, 120, 125 f., 152, 161, 163, 238, 241, 278, 284 Hausgesetze  15 Identität  37, 78, 85 f., 100, 143, 145, 194, 203 f., 220 Inhaberstrategie  30, 95 Inklusion (s. a. Zugehörigkeit)  113–115, 117, 172, 174, 247 f. Institutionentheorie  78 Investorenmentalität  31, 53, 97, 137 Kippfigur  94 f., 98 f., 103 f., 108, 111 f., 120, 122, 125, 127, 131, 140–142, 181, 183, 192, 202, 209, 212, 233, 250, 254, 256, 266, 272, 275 Kleinfamilienorganisation  126 KMU  28 Kodex für Familienunternehmen  10, 29, 232 Koma  270 f.

316 Kommunikation  24, 26, 33, 68, 74, 78, 80–87, 101, 103, 159, 186, 195, 197, 210, 235, 253, 263–268, 275, 284, 290 Kommunikation, gewaltfreie  266, 284 Kommunikationsadresse  89 Kommunikationsenthemmung  265 Kommunikationsregeln  265, 267 Konflikt  17 f., 21, 31, 35, 46, 60, 72, 77, 82, 90, 92, 108, 113, 153, 157, 166, 169–171, 186–188, 195, 207–209, 211, 214, 220, 229, 231, 233, 236, 243–245, 247, 249, 260, 265, 268 f., 292 Konfliktpotenzial  118, 128, 157 Konsens  73, 96, 106, 126, 132, 160, 175 f., 184, 243, 250 f., 298 Konsensfiktion  47, 50, 53, 96, 167 Kontenführung  168 Kontextmarkierung  79 f., 85, 89 Kontoauszüge  166 Kontrakt, psychologischer  115 f., 136, 154, 176 Krisen  112, 136, 268 Krisenprävention  235, 268 f., 271 f. Kronprinzenmodell  199 Langlebigkeit  13, 17, 35, 105, 221 Lebensformen, moderne  118, 121, 133, 240 Legitimation, Legitimität, Legitimierung  19, 65, 91, 115, 164 f., 168–170, 173 f., 182, 185 f., 188 f., 201, 227, 286 Lernfalle  45, 47, 54, 56, 176, 188, 190 f., 209, 212 Loyalität, vertikale und horizontale  161, 215 Machtbalance, Machtlogik, Machtkämpfe, inverse Machtkämpfe  19 f., 63, 65 f., 84, 101, 124, 134, 163, 182, 198, 201, 212 f., 252, 292 Mehrgenerationen-Familienunternehmen  34, 36, 92, 299 Messiness, emotional  115 f. Metakomplementarität  181 f. Mitarbeit im Unternehmen  119, 122, 128, 141, 203, 231, 246, 249, 291 Modelle, mentale  36, 40, 192 f., 195, 203, 207 f., 216, 219 f., 227, 241 f., 288 Musterwechsel  47, 56 Nachfolge  15, 19–21, 33, 47, 54–57, 59 f., 90, 124 f., 153 f., 171, 179, 199, 205, 212, 231, 247, 298, 300

Sachregister

Nachfolgeregelung  15, 20, 106 Nepotismus (s. a. Vetternwirtschaft)  97, 117 Notfall  130, 138, 270 f., 274 operativ tätige Unternehmerfamilie  200, 293 Oszillation  95 oszillodox  172 Paradoxie  15, 26, 72, 85–92, 96–98, 103, 107, 112, 117, 154, 163, 171 f., 176, 247 Paradoxiebewusstheit  92 f. Paradoxiefreundlichkeit  15, 72, 92 f., 117, 156, 228 Paradoxiemanagement  15, 68, 95, 187, 195 Patchworkfamilien  132 Patriarch, patriarchale Logik  40, 66, 68, 106, 124, 155, 187–201, 207, 209–215, 218, 270, 289 f. Personalentscheidungen  95, 169, 174 f., 182 Persönlichkeit  113, 197 f., 209 f., 225, 258 Pflichtteilsverzicht  253 Polykontexturalität, polykontextural  77 f., 80, 85 postheroisches Management  210 postpatriarchale Systeme  209 Praktikum, Praktika  127, 150, 249, 252, 268, 277, 280 Primogenitur  22 Prozessmusterwechsel  105, 220 Rechtskommunikation  83 Reflektierende Positionen  14, 190 Reflektierendes Team  38, 41, 190 Regel, 48-Stunden-  269 Regelbruch  245, 285 Regelkanon  237, 266 Resilienz, organisationale  35 Ressource  18, 30, 142, 167, 170 f., 188, 221 Risikofaktor  117, 190 Risiko, strukturelles  105 Rollenerwartung  77 Rollenkonflikt  85 Rollentheorie  77 Sampling  37, 40 Scham  174, 273, 297 Schenkung  251, 273 Selbstverständlichkeit  39, 42, 68, 79, 106, 142, 165, 172, 175–177 Selbstwirksamkeit  143, 165

Sachregister

Selektion, Selektionsentscheidung  21, 26, 101, 115, 157, 171, 244 Shareholder-Value-Ansatz  36 Sinnattraktor  194 Sinn, Sinngebung, Sinnverlust  28, 38 f., 42, 47, 61, 103, 106, 119, 135, 148, 221–224, 226 f., 294, 299 Socio-emotional-wealth  221 Spielregeln  68, 75, 79 f., 90, 266 Stamm, Stammesdenken, Stammesgrenze, Stammesorganisation  47, 59, 125 f., 161–163, 170, 175, 182–184, 201, 214 f. Steuerfragen  118 Stiftung  23, 146, 158, 160, 206, 224–226, 255 Stimmrecht  25, 113, 160, 198, 226, 256, 269 Stolz  51, 174, 250 Strategieentwicklung  28, 185, 187, 217 Successor’s trap  116, 246 Systemkompetenz  283 Systemlogik  43 Systemtheorie, systemtheoretisch  42, 72 f., 77, 80, 89 Testament  253, 270 Thesaurierung, Thesaurierungsquote  84, 223, 228 Top-Management-Ebene  202 Traditionsunternehmen  153 Treuhänder, Treuhänderschaft  22, 108, 136 f., 149, 294 Überwachung  253 Unsicherheit  55 f., 85, 196, 216, 258, 270, 273 Unsicherheitsabsorption  106, 187, 197, 209, 216 Unternehmensführung, verantwortliche  29, 104 Unternehmenslogik  125, 137, 154, 167, 191, 202, 209, 217 Unternehmensträgerstiftung  224 f. Unternehmertum  50, 58, 192, 219, 231, 236, 300

317 Verantwortung, gesellschaftliche  9, 223, 283 Verantwortung, soziale  223 Verantwortung, unternehmerische  28, 40, 203, 210, 220, 252 Verantwortungsfalle  260 Verantwortungszuschreibung  127, 210 Verdienst  166 Vererbung (s. a. Erbe, Erbfall)  40, 50, 124 f. Verfahrensgerechtigkeit  102, 216 Vergleichsprozesse, soziale  215 Verhinderungsmacht  65, 213 Vermächtnis  19, 166 Vermögen  13, 19, 62, 125, 137 f., 178, 205–207, 225 f., 231, 255, 270–274, 297 f. Verrechnungsnotstände  166 Verzichterklärung  125 Vetternwirtschaft (s. a. Nepotismus)  117, 156 Wahl, Wahlverfahren  25, 52, 55, 60, 66, 78, 101, 158 f., 168, 182–184, 199, 224, 254, 258, 261 f., 295 Währungen  166 Waschtag  293 Werte- und Entwicklungsquadrat  97 Werte, Werteorientierung, Wertefundament  18, 36, 61, 91, 97, 101, 131, 138, 149, 211, 223 f., 231, 235, 242–245, 272, 276, 294, 296 Wettbewerbsfähigkeit  46 Wettbewerbsvorteil  18, 36 Wiedereinstieg (s. a. Ausstieg)  121, 140 WIFU  10, 13, 16, 28, 35–37, 39–41, 71 f., 77, 92, 173, 230, 318 Willkür  165, 171, 173, 223 Zersplitterung  23 Zugehörigkeit (s. a. Inklusion)  28, 36, 68, 83, 112–114, 117–119, 121, 123, 125, 130, 136, 140, 142–146, 149, 152, 154, 158, 160, 172, 177, 298 Zurechnung, personenbezogene  89 Zusammenhalt  32, 63, 77, 96, 147, 153, 170, 200, 202, 232, 259 f., 275, 296

Danksagung

Dieses Buch fasst wesentliche Ergebnisse unseres Forschungsprojektes zu den Familienstrategien über Generationen (FüG) zusammen, die Weiterentwicklung bereits publizierter Ergebnisse früherer Forschungen des WIFU sowie die intensive Reflexion und Auseinandersetzung mit Erkenntnissen, Vorkommnissen und Dynamiken in Unternehmerfamilien, die wir in unterschiedlichen Fragestellungen als Berater begleiten durften. Dem Charakter unseres Buches entsprechend, gibt es eine Vielzahl von Personen, denen wir an dieser Stelle herzlich für ihre Anregungen, Rückmeldungen und eingebrachten Fragestellungen danken möchten. Allen voran möchten wir uns bei Sebastian Benkhofer bedanken. Nicht zuletzt seiner Initiative ist es zu verdanken, dass wir aus den unterschiedlichen Überlegungen und Erfahrungen zum Thema Familienstrategie heraus, das FüG-Projekt gestartet haben. Er hat uns über weite Teile des Projektes, bei dessen Anbahnung, Koordination und Durchführung begleitet und die Durchführung der Treffen mit den Praxispartnern organisiert. Ein weiterer Dank gilt unseren ehemaligen Mitarbeitern am WIFU: Till Jansen, Christina Erdmann und Kirsten Georg, die uns bei unterschiedlichen Phasen des Projektes tatkräftig unterstützt haben. Den im Rahmen des Projektes forschenden Doktoranden und Doktorandinnen Leonie Fittko, Julia-Carolin Schmid und Jakob Ammer möchten wir für ihre Bereitschaft danken, das Projekt durch die Bearbeitung spezifischer Themen zu erweitern, auf deren Ergebnisse wir uns bereits heute schon freuen. Schließlich möchten wir uns bei unseren Professorenkollegen am WIFU, namentlich Andrea Calabró, Marcel Hülsbeck, Rudolf Wimmer sowie Andreas Hack und Alberto Gimeno als Gastprofessoren an unserem Institut herzlich für den regelmäßigen fachlichen Input und die im Rahmen von Projektreflexionen gegebenen Anregungen für unsere Arbeit danken.

Danksagung

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Auch möchten wir uns bei allen Unternehmerfamilien bedanken, denen wir in den letzten Jahren in unterschiedlichen Fragestellungen begleitend zur Seite stehen konnten. Die hier generierten Erfahrungen haben uns zu weitergehenden Fragestellungen familienstrategischer Implikationen in Unternehmerfamilien geführt. Oft haben wir die spezifischen Problemstellungen einzelner Familien dazu genutzt, um übergreifende Problemmuster zu identifizieren oder entwickelte Theorieansätze in internen Reflexionsrunden daran zu schärfen. Unser größter Dank gilt jedoch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des FüG-Projektes. Zu Beginn unserer Überlegungen war es Herr Jon Baumhauer von der Familie Merck, der uns sehr ermutigte, die Idee eines Forschungsprojektes zu realisieren, in dem wir gemeinsam mit Vertretern von älteren Familienunternehmen Kernfragen familienstrategischer Überlegungen untersuchen könnten. Es war damals für uns nicht klar, ob und in welcher Form die Zusammenarbeit mit den Praxisvertretern gelingen könne, in welcher Form es zu einem reflexionsfähigen Forschungssetting kommen könne und – dies war die größte Sorge – ob die Projektteilnehmer wirklich bereit sein würden, ihre Herausforderungen, Probleme und Fragestellungen vor anderen Familienunternehmern und Forschern offenzulegen. Wir waren überrascht von dem großen Vertrauen, das uns vom ersten Moment an entgegengebracht wurde. Dies führte dazu, dass in den Sitzungen schnell sehr grundlegende Fragestellungen behandelt werden konnten und die Teilnehmer ein respektvolles und freundschaftliches Verhältnis untereinander entwickelten. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die Mitglieder verschiedener Familie nach Abschluss des praktischen Erhebungsteils des Projekts nach wie vor im engen regelmäßigen Austausch geblieben sind. Daher möchten wir uns bei den Projektteilnehmern nicht nur für die Teilnahme an dem Projekt bedanken, sondern auch für die Offenheit, die Experimentierfreudigkeit, die im Projektverlauf durch unsere Reflexionssettings herausgefordert wurde und insbesondere für die Begeisterung, mit der die Familienvertreter im Laufe unserer Treffen zu Co-Forschern geworden sind. Viele Rückfragen, Anregungen und Diskussionen haben auch unser Denken und Weiterentwickeln der ursprünglichen Fragestellung befruchtet. Folgenden Personen möchten wir stellvertretend für alle der am Projekt teilnehmenden Familienunternehmen nochmals herzlichst für die Teilnahme danken: Frau Dr. Simone Bagel-Trah (Henkel AG & Co. KGaA, Düsseldorf), Herrn Jon Baumhauer (E. Merck KG, Darmstadt), Herrn Christian Boehringer (C. H. Boehringer Sohn AG & Co. KG, Ingelheim am Rhein), Herrn Christoph Böninger (Franz Haniel & Cie. GmbH, Duisburg),

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Danksagung

Herrn Boris Canessa (Henkel AG & Co. KGaA, Düsseldorf), Herrn Jacques de Saussure (Pictet & Cie. Group SCA, Genf), Herrn Karl E. Dörken (Dörken AG, Herdecke), Herrn Dr. Wolfram Freudenberg (Freudenberg SE, Weinheim), Frau Dr. Maria Freudenberg-Beetz (Freudenberg SE, Weinheim), Herrn Franz Haniel (Franz Haniel & Cie. GmbH, Duisburg), Frau Ute Herminghaus (Dörken AG, Herdecke), Herrn Emmerich Müller (B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG, Frankfurt a. M.), Herrn Matthäus Niewodniczanski (Bitburger Holding GmbH, Bitburg), Herrn Dr. August Oetker (Dr. August Oetker KG, Bielefeld), Herrn Ivan Pictet (Pictet & Cie. Group SCA, Genf), Herrn Marc Pictet (Pictet & Cie. Group SCA, Genf), Herrn Dr. Martin Rethmann (Rethmann SE & Co. KG, Selm), Frau Rosely Schweizer (Dr. August Oetker KG, Bielefeld), Herrn Dr. Axel Th. Simon (Bitburger Holding GmbH, Bitburg), Herrn Prof. Dr. Frank Stangenberg-Haverkamp (E. Merck KG, Darmstadt), Herrn Hubertus von Baumbach (C. H. Boehringer Sohn AG & Co. KG, Ingelheim am Rhein), Herrn Dr. Leonhard von Metzler (B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG, Frankfurt a. M.), Herrn Konstantin von Unger (Henkel AG & Co. KGaA, Düsseldorf), Herrn Dr. C. L. Theodor Wuppermann (Wuppermann AG, Leverkusen), Herrn Martin Wuppermann (Wuppermann AG, Leverkusen).