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German Pages 381 [382] Year 1977
Schriften zum Internationalen Recht Band 7
Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte
Von
Christoph Schreuer
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTOPH SCHREUER
Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte
Schriften zum Internationalen Recht
Band 7
Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte
Von
Christoph Schreuer
D UN C K ER & H U MB LOT / BER LI N
Die vorliege�de Arbeit wurde im Juni 1976 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg als Habilitationsschrift angenommen
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schreuer, Christoph Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte. - 1. Aufl. - Berlin: Duncker und Humblot, 1977. (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 7) ISBN 3-428-03888-6
Alle Rechte vorbehalten @ 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03888 6
Für Herbert
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ....................................... ............... 15 A. Methodologische Vorbemerkung .............................. 15 B. Staatliche Gerichte in der Funktion internationaler Entscheidungsorgane ................................................ 24 1. Allgemein ................................................. 24 2. Staatenverantwortlichkeit für gerichtliche Entscheidungen .. 27 3. Fortbildung des Völkerrechts durch staatliche Gerichte .... 29 C. Akte internationaler Institutionen ............................ 32 1. Zum Begriff internationaler Institutionen ................ 32 2. Die Rechtsquellentypologie des Art.38 des IGH-Statuts und Akte internationaler Organe .............................. 34 D. Probleme des Zusammenwirkens nationaler und internationaler Organe .................................................. 40 E. Rechtspolitische Erwägungen
................................ 43
U. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt ........ 48 A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes .... 49 1. Arten der Durchsetzung
49
2. Arten der Überprüfung
51
3. Die „Nichtentscheidung" als Sachentscheidung .............. 56 B. Der internationale Akt zur Beantwortung einer Vorfrage .... 60 1. Völkerrechtliche Vorfragen
60
2. Tatsachenfeststellung
62
3. Vorfragenentscheidung und Effektivität des internationalen Organaktes ........................... . .................. 64 C. Die Heranziehung der internationalen Entscheidung zur Lösung analoger Rechtsfragen ...................................... 65
m.
Die Rechtswirkung des internationalen Organaktes auf internationaler Ebene ............................ . ................... 70 A. Die Autorität internationaler Organakte ... · ................... 71 1. Konkrete Sachentscheidungen
............................ 75
8
Inhaltsverzeichnis a) Durchsetzung oder Überprüfung . .. .. .. ... .. ... . . .. ... aa) Gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen bb) Entscheidungen politischer Organe . . . . . . . .. . . . . . . . b) Die Sachentscheidung zur Beurteilung einer Vorfrage .. c) Die internationale Entscheidung als „Präzedenzfall" ... . aa) Ablehnung der Präzedenzwirkung internationaler Entscheidungen . .... ..... . . . . . .. .. .... . ... ... . .. .. . bb) Die Autorität der internationalen Entscheidungspraxis ... .... . . . . . .. . . . . . .. . .. .. . . . .... ... . .. . . . . . cc) Sonderregelungen . .... . . .... ... .. .. ... .... ... .. .. dd) Auswirkungen der Entscheidungspraxis der EMRK Organe auf staatliche Gerichte . .. . . . .... .. . ........ . ee) Internationale Vorabentscheidungen als „Präzedenzfälle" .. ... . . . ... .. . . .. . . ... .. . . . .. .. .... . .... .. . . ..
75 75 78 82 87 88 93 104 105 111
2. Autoritative Interpretationen durch internationale Organe . . 115 3. Reglements internationaler Organe . .. . ........ .. ..... ... . . 121 4. Generell-abstrakte Empfehlungen . . . ... . .. .. . ... ..... . . . . a) Sind Empfehlungen rechtlich unbeachtlich? b) Empfehlungen in der Rechtsquellentypologie des Art. 38 des IGH-Statuts . . . . .. ... . . . . .. .. .. . . ... ... . ... .... ... aa) Empfehlungen als Vertragsrecht bb) Empfehlungen als Gewohnheitsrecht cc) Empfehlungen als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze . .. . ... . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . .. . ... . . . . dd) Empfehlungen als Hilfsmittel zur Feststellung des Völkerrechts ... ... . . . . . .. ... . . .. . . .. . .. . . ... . . . . . . c) Die Autorität von Empfehlungen . . . .. . . .... ... ..... . .. d) Die Rechtsfolgen von Empfehlungen .. . . ..... . .. .... ... .
128 129
5. Formlose Akte
149
134 134 136 139 140 143 147
B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte .... . . .... . . . . 153 C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten .... .. .. .. 160 1. Konkrete Sachentscheidungen .. . . . .. ..... . .......... . . . . . a) Durchsetzung oder überprüfung .. .. . ... ............ . . aa) Gerichtliche oder schiedsgerichtliche Entscheidungen bb) Entscheidungen politischer Organe b) Die Beurteilung einer Vorfrage .... .... .............. .. c) Präzedenzfälle . ............... ... . .............. ..... . 2. Internes Organisationsrecht
161 161 161 165 166 167
. .. .... . ... . . . ... . ... . ...... .. 170
3. Generell-abstrakte Empfehlungen . .. . . .. .. ... . . ....... ... 171 IV. Der internationale Organakt und das staatliclle Recllt . . . . . ... . . 173 A. Die Theorien zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht 173
Inhaltsverzeichnis
9
B. Der staatliche Anwendungsbefehl ............................ 177 1. Allgemein ............... . ................................ 177 2. Anwendungsbefehle und Durchführungsmaßnahmen für in ternationale Organakte .................................. 183 3. Durchführungsmaßnahmen und unmittelbare Anwendbarkeit 191 C. Anwendungsbefehle und Durchführungsmaßnahmen für inter nationale Organakte in der Praxis .......................... 193 1. Konkrete Sachentscheidungen ....... . ... . ..... ........... a) Durchsetzung oder Überprüfung ........................ aa) Gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen bb) Entscheidungen politischer Organe ................ b) Die Sachentscheidung zur Beurteilung einer Vorfrage .. c) Die Sachentscheidung als Präzedenzfall ................
194 194 194 203 208 210
2. Autoritative Interpretationen durch internationale Organe 214 3. Reglements
216
4. Internes Organisationsrecht
220
5. Generell-abstrakte Empfehlungen
222
6. Formlose Akte ..............................·.............. 225 7. Zusammenfassung ........................................ 226 D. Die Publikation
230
1. Allgemein ................................................ 230 2. Staatliche Vorschriften über die Publikation internationaler Organakte ................................................ 231 3. Die Praxis der Gerichte .................................. 233 E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte .. 234 1. Allgemein ................................................ 234 2. Die Konkurrenz von Rechtsnormen des Forumstaats mit Entscheidungen internationaler Organe .................... 238 a) Die Vermeidung von Konflikten ........................ b) Die Lösung von Konflikten ............................ aa) Zugunsten des staatlichen Rechts .................. bb) Zugunsten der internationalen Entscheidung ........ cc) Zusammenfassung ................................
239 242 242 244 246
3. Die Konkurrenz früherer Gerichtsentscheidungen des Forumstaats mit Entscheidungen internationaler Organe ........ 250 a) Staatliche Präzedenzfälle .............................. 250 b) Rechtskräftige Urteile ................................ 252 4. Internationale Organentscheidungen und kollisionsrechtliche Fragen .................................................. 254
Inhaltsverzeichnis
10
a) Die Jurisdiktion des Forumstaats urtd seiner Gerichte b) Das anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . aa) Choice of law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . .. bb) Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ..
255 257 257 259
V. Die Bedeutung der Parteien für den Ausgang des Verfahrens .. 261 A. Der Forumstaat
261
1. Vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Forumstaat aus internationalen Entscheidungen . . . . . .. . . .. . . .. .. .. . . . ... . 263 2. Die Erfüllung politischer internationaler Entscheidungen durch den Forumstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .... .... . 265 3. Verantwortlichkeit des Forumstaates für Akte internationaler Organe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 266 B. Ein ausländischer Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. ....... .. 269 1. Vermögensrechtliche Ansprüche gegen einen ausländischen Staat aus internationalen Entscheidungen . . . . .... .. ..... . 269 2. Die Erfüllung politischer internationaler Entscheidungen durch einen ausländischen Staat . . . . . .. .. . . . . . .. ....... ... 277 C. Eine internationale Institution
278
1. Die internationale Institution als Kläger . . . . . . .. .. ..... ... 278 2. Die internationale Institution als Beklagte . . .. . . ... .. .... . 279 D. Einzelne und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . 286 1. Internationale vermögensrechtliche Entscheidungen .... .. .. 287 2. Sonstige internationale Entscheidungen ............ ........ 295 VI. Die Bedeutung der Interessenlage für den Ausgang des Verfahrens 300 A. Der Streitgegenstand .. . .. . .. . . .. ...... . .. .. ... . . .. .. .. ... .. . 301 1. Vermögensansprüche 2. Menschenrechte
302
. . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . 303
3. Staatliche Jurisdiktionsansprüche
305
4. Internationale Gemeinschaftsmaßnahmen
306
B. Nationalismus versus Internationalismus
308
1. Das Interesse des Forumstaates . . . . . . . ... .... .... . . ... ... .. 308 2. Internationale Interessen
313
VD. Die konkurrierende Zuständigkeit staatlicher Gerichte und internationaler Organe . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. ... 315 A. Allgemein
315
Inhaltsverzeichnis
11
B. Die Bedeutung einer möglichen internationalen Entscheidung .. 318 1. Die Identität eines vor dem internationalen Organ verfolgten Anspruchs . . . . .. . . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . ... . . . . . .. .. . .. .. 318 2. Die Bedeutung einer möglichen internationalenEntscheidung zu einer Vorfrage .. . . . . . . : .. . . . . . . . ... . . . . . . . ... . ..... .... 321 3. Die Bedeutung einer möglichen internationalen Entscheidung als „Präzedenzfall" .. ........ ...... ...... ...... ....... . .. 325 C. Die Wahrscheinlichkeit einer internationalen Entscheidung .... 325 D. Der Zugang zum internationalen Forum ......... ....... ... . .. 328 1. Der Zugang zur Verfolgung desselben Anspruchs .......... 328 2. Der Zugang zur Klärung einer Vorfrage VIII, zusammenfassende Schlußbemerkung Literaturverzeichnis
332 339
.... . .. . .. . . .. . . . . .. .. .. .. . .. ... .................. 345
Verzeichnis der .staatlichen Gerichtsentscheidungen
371
Sachverzeichnis
379
Ahkürzun gsverzeichnis A. C. AD AFDI AJCompL AJIL AllE.R. Anm. Annuaire AöR ASIL Proceedings AVR AWB BGBI. BGE BGH BGHZ BILC Blg NR BVerfGE BVerwGE BYIL CalLR CambLJ CanYIL Ch. Clunet CMLRep. CMLRev. D. C. D. L. R. DVerw. BI.
E.
EMRK ETS EuGH Slg. EuGRZ f.
F. 2d Fed.Reg. Fontes
Appeal Cases Annual Digest of Public International Law Cases Annuaire Fran!;ais de Droit International American Journal of Comparative Law American Journal of International Law All England Law Reports Anmerkung Annuaire de !'Institut de droit international Archiv des öffentlichen Rechts Proceedings of the American Society of Internatio nal Law Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerich tes Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivil sachen British International Law Cases Beilagen zu den stenographischen Protokollen des österr. Nationalrats Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts British Year Book of International Law California Law Review Cambridge Law Journal Canadian Yearbook of International Law Chancery Division Journal du Droit International Common Market Law Reports Common Market Law Review District of Columbia Dominion Law Reports Deutsches Verwaltungsblatt Erkenntnis Europäische Menschenrechtskonvention European Treaty Series Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Seite(n) Federal Reporter, Second Series Federal Register Fontes Iuris Gentium
Abkürzungsverzeichnis F.Supp. GP HarvILJ H.L.C. Hrsg. ICJ Reports ICLQ IGH IJIL ILC ILM ILR Int.Org. IRO Israel YBHR Jahrb.IR JapAIL JBl JW JZ K.B. Kiss LNTS LQR Martens, N.R.G. m.w.H. NILR NJW NTIR NYIL N.Y.S. OGH ÖJT ÖJZ ÖZöR PCIJ Q.B. RabelsZ RBDI RC RCDIP RDI RDILC Rec. Revista Esp. DI Rev.Trim.Dr. Eur. RGBl. RGDIP
13
Federal Supplement Gesetzgebungsperiode Harvard International Law Journal House of Lords Reports (Clark) Herausgeber International Court of Justice, Reports of Judg ments, Advisory Opinions and Orders International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Indian Journal of International Law International Law Commission International Legal Materials International Law Reports International Organization International Refugee Organization Israel Yearbook on Human Rights Jahrbuch für internationales Recht Japanese Annual of International Law Juristische Blätter Juristische Wochenschrift Juristenzeitung King's Bench Division Repertoire de la pratique francaise en matiere de droit international public League of Nations Treaty Series Law Quarterly Review Nouveau Recueil General des Traites mit weiteren Hinweisen Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht Netherlands Yearbook of International Law New York Supplement Oberster Gerichtshof (Österreich) österreichischer Juristentag österreichische Juristen-Zeitung österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Permanent Court of International Justice Queen's Bench Division Rabels Zeitschrift für ausländisches und internatio nales Privatrecht Revue Belge de Droit International Recueil des Cours. Academie de Droit international Revue Critique de Droit International Prive Revue de Droit International de Sciences Diplomati ques et Politiques Revue de Droit International et de Legislation Com pare Recueil des decisions du Conseil d'Etat Revista Espafiola de Derecho Internacional Revue Trimestrielle de Droit Europeen Reichsgesetzblatt Revue Generale de Droit International Public
14 RGSt RGZ RIAA Rivista DI RIW SchwJIR Sirey Slg. StIG Supp. sz T.A. M. UNCIO UNJYB UNTS
u.s.
VaJIL VerfGH Whiteman VRÜ WLR YaleLJ YBEur.Conv.HR YILC ZaöRV ZSR
Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reports of International Arbitral Awards Rivista di Diritto Internazionale Recht der internationalen Wirtschaft Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Recueil general des Lois et des Arrets Sammlung Ständiger Internationaler Gerichtshof Supplement Sammlung Zivilsachen Tribunaux Arbitraux Mixtes United Nations Conference on International Organ ization United Nations Juridical Yearbook United Nations Treaty Series United States Reports Virginia Journal of International Law Verfassungsgerichtshof Digest of International Law Verfassung und Recht in Übersee Weekly Law Reports Yale Law Journal Yearbook of the Et1ropean Convention on Human Rights Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift·für schweizerisches Recht
I. Einleitung A. Methodologische Vorbemerkung Obwohl sich ein wachsendes Interesse an grundsätzlichen theoreti schen Fragen feststellen läßt, hat sich bis heute im Völkerrecht keine universell anerkannte wissenschaftliche Methode durchsetzen können. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte gibt sogar Anlaß zur Feststel lung, daß sich die methodischen Gegensätze eher verstärkt als verrin gert haben. Deshalb ist es angebracht, kurz zu erklären, welchen me thodischen Vorstellungen in dieser Arbeit gefolgt wird und weshalb gerade sie für diesen Untersuchungsgegenstand maßgeblich gehalten werden. Nicht beabsichtigt ist, damit eine systematische Auseinander setzung mit allen Grundsatzfragen der Völkerrechtswissenschaft zu verbinden. Hier soll bloß auf einige Aspekte eingegangen werden, wel che für diese Arbeit wesentlich erscheinen. Die Anmerkungen beschrän ken sich auf einige wichtige Beispiele. In der europäischen Literatur lassen sich schon seit geraumer Zeit zwei Hauptströmungen beobachten. Etwas vereinfacht dargestellt liegt ihr Gegensatz in folgendem: Die kontinentale Literatur zeigt eine gewisse Tendenz, von Prinzi pien auszugehen, von denen angenommen wird, daß sie dem Völker recht immanent oder vorgegeben seien und von welchen meist auf dem Wege deduktiver Logik auf besondere Normen geschlossen wird. Unter diesen Grundprinzipien nimmt vor allem das des Konsenses der be troffenen Staaten einen wichtigen Platz ein. Die solcherart gewonnenen Normen werden in ein möglichst lückenloses System von Regeln ge bracht, welches auf alle auftretenden Rechtsfragen eine zutreffende Antwort bieten soll. Die Normen innerhalb des Systems stehen in einem Verhältnis, das oft mit Begriffen aus der Mechanik wie brechen, vor gehen, aufheben, verdrängen beschrieben wird. Zwar hat sich, nicht zu letzt durch den Einfluß der englischsprachigen Literatur, auch in Kon tinentaleuropa die Berücksichtigung der Praxis, insbesondere der Ent scheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte, in einem ge wissen Maße durchgesetzt. Dennoch entsteht oft der Eindruck, daß die Anführung dieser Praxis nicht so sehr der Empirie dient, als vielmehr der Illustration und Untermauerung dogmatischer Überlegungen. Demgegenüber ist die vom common law beeinflußte Literatur angel sächsischer Herkunft seit jeher bedeutend mehr von Gesichtspunkten
16
Einleitung
der Induktion und der genauen Beobachtung der einschlägigen Praxis gekennzeichnet. Insbesondere gerichtliche und schiedsgerichtliche Ent scheidungen, sowohl internationaler als auch staatlicher Organe, spie len in der juristischen Argumentation eine wichtige Rolle. Die Behand lung eines Rechtsgebietes ist bedeutend weniger von systematischen und dogmatischen Gesichtspunkten beherrscht, als von der möglichst vollständigen Darstellung der einschlägigen Fälle. Das Bestreben liegt nicht so sehr in der Erarbeitung eines lückenlosen Normensystems als im Auffinden der passenden Entscheidungen, welche Aufschluß über die Normen geben, die in gleichen oder vergleichbaren Situationen an gewendet worden sind. Trotz der unterschiedlichen Arbeitsmethoden ist diesen Strömungen eine normativistische Grundhaltung gemeinsam. Das gesamte erkenn bare Entscheidungsverhalten wird in allgemeine Normen rückprojiziert. Nur diese Normen stellen das Recht im objektiven Sinne dar 1 • Die Ent scheidung im Einzelfall ist bloß eine Konkretisierung, welche sich rechtslogisch aus der Norm ergibt. Im Gegensatz zu diesen traditionellen Ansatzpunkten völkerrecht licher wissenschaftlicher Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten, vor allem von der Yale Law School ausgehend, eine neue Bewegung ge bildet, welche ideengeschichtlich auf die sogenannten amerikanischen Realisten zurückgeht2 • Die Realisten hatten sich gegen das normative Denken gewandt und das Recht als einen Entscheidungsprozeß gese hen, welcher als dynamischer Vorgang zu begreifen ist. Sie interessier ten sich vor allem für die verschiedenen Faktoren, welche das Ent scheidungsverhalten der „decision-makers" beeinflußten. Für sie stand nicht das „Sollen" im Vordergrund, sondern eine bestimmte Form des ,,Seins", nämlich der tatsächliche Ablauf effektiver Entscheidungen. Aus den vergangenen Entscheidungen und allem was sie offenbar be einflußt hatte, versuchten sie Schlüsse auf künftige Entscheidungen zu ziehen. Das vor allem von Lasswell und McDougal entwickelte Denkmodell3 , bisweilen als New Haven-approach bezeichnet, stellt gleichzeitig eine 1 Vgl. etwa Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 8 f. (1948). Eine neuere Übersicht mit einschlägigen Literaturhinweisen siehe etwa bei Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken (1967). 3 Es ist nicht möglich, den überaus differenzierten Gedanken dieser Schule im Rahmen dieser kurzen Bemerkungen auch nur annähernd gerecht zu werden. Zur Einführung siehe etwa McDougal, Lasswell and Reisman, Theo ries About International Law: Prologue to a Configurative Jurisprudence, 8 VaJIL 188 (1968); Moore, Prolegomenon to the Jurisprudence of Myres McDougal and Harold Lasswell, 54 Virginia Law Review 662 (1968); sowie Suzuki, The New Haven School of International Law: An Invitation to a 2
A. Methodologische Vorbemerkung
17
Weiterentwicklung und Überwindung des Realismus dar4 • Es über nimmt die Idee des Entscheidungsprozesses. Das Recht ist sowohl das Ergebnis früherer Entscheidungen als auch die Grundlage für spätere Entscheidungen. Zugleich bricht diese Schule aber mit dem Hang der Realisten zum dezisionistischen Behaviourismus. Das Moment der Le galität wird wieder stärker beachtet. Während die Normativisten das Schwergewicht auf abstrakte Regeln legen, konzentrieren sich die Realisten auf faktische Vorgänge. Das McDougal-Lasswell-Modell be greift das Recht als ein Zusammenspiel von Vorschriften und Vorgän gen. Ein Entscheidungsprozeß ist nur dann Recht, wenn er autoritativ und effektiv ist. Autoritativ sind Entscheidungen dann, wenn sie mit den Erwartungen der betreffenden Rechtsgemeinschaft übereinstim men. Diese Erwartungen sind darauf gerichtet, wer als Entscheidungs organ befugt ist, nach welchen Modalitäten bei der Entscheidungsfin dung vorzugehen ist und welche inhaltliche Ausgestaltung Entscheidun gen haben sollen. Die Betrachtungsweise dieser Schule ist nicht wertfrei sondern „po licy-oriented". Das Ziel des Wissenschaftlers, aber auch des Entschei dungsorgans, ist nicht nur objektive Erkenntnis sondern auch die Ver wirklichung rechtspolitischer Ordnungsvorstellungen. Auf der Basis dieser Grundlagen hat diese Schule eine detaillierte Methodologie entwickelt, welche möglichst vielen Aspekten des Ent scheidungsprozesses gerecht werden soll. Entscheidungen werden nicht isoliert, sondern in ihrem sozialen Kontext gesehen. Dabei werden in großem Umfang auch Erkenntnisse aus anderen sozialwissenschaftli chen Disziplinen berücksichtigt. Im Vordergrund steht nicht das Be streben nach analytisch theoretischer Erkenntnis sondern nach prak tischer Problemlösung. Als Arbeitshilfe dienen oft sogenannte „check lists" an Hand derer die verschiedensten Aspekte des rechtlich relevan ten Sozialprozesses systematisch Punkt für Punkt untersucht werden können. Eine solche differenzierte Betrachtungsweise eignet sich vor allem für die Bearbeitung komplizierterer Rechtsfragen mit mehreren Va riablen. Sie führt weg von einer vereinfachenden Fragestellung nach Existenz oder Fehlen einer ganz bestimmten Norm und vom Hang zu monokausalen Erklärungen rechtlich relevanten Verhaltens. Diese Me thode erscheint gerade für den heutigen Stand des Völkerrechts mit seiner horizontalen Organisationsstruktur, welche mehr durch Rezi prozität als Subordination gekennzeichnet ist, erfolgversprechend. Policy-Oriented Jurisprudence, 1 Yale Studies in World Public Order 1 (1974). 4 McDougal, The Law School of the Future: From Legal Realism to Policy Science in the World Community, 56 YaleLJ 1345 (1947). 2 Schreuer
18
Einleitung
Die vorliegende Arbeit folgt dem von Lasswell und McDougal ent wickelten Schema nicht in allen Einzelheiten, ist aber von ihren Ge danken beeinflußt. Der Grund hierfür liegt einerseits in der Überzeu gung von dem hohen intellektuellen Wert ihrer methodologischen Vor stellungen, andererseits auch in der besonderen Problematik der vor liegenden Arbeit. Der Gegenstand der Untersuchung ist weitgehend juristisches Neuland. Ein Versuch, ihn mit einer derivationell norma tiven Methode zu bearbeiten erschiene wenig erfolgversprechend. Die Rechtsordnung wird daher hier nicht als ein statisches System von Regeln gesehen, sondern als ein dynamischer Vorgang, in welchem die Teilnehmer in Wechselbeziehungen von Ansprüchen und Entschei dungen stehen. Dabei sind die Begriffe Entscheidung oder Entschei dungsorgan nicht in einem engen Sinne, etwa nur der Rechtsprechung durch Gerichte und Schiedsgerichte, zu verstehen. Entscheidungsorgan ist jedes Organ mit Autorität, welches aufgrund von Ansprüchen eine Wahl trifft, deren Ergebnis Aussicht auf Effektivität hat. Dies trifft neben gerichtlichen Organen auch auf politische Organe und Organe mit Legislativaufgaben zu. Der relativ niedrige Organisationsgrad des Völkerrechts bringt es mit sich, daß Staatsorgane funktionell auch als völkerrechtliche Ent scheidungsorgane handeln. Diese Organe, welche in einer Situation An spruchswerber sind, treten nicht selten in einer anderen Situation, etwa beim Vertragsabschluß, als Entscheidungsorgane auf. Zum Beispiel handeln in internationalen Organisationen Staatenvertreter häufig einerseits als Parteien, nehmen aber dann bei der Abstimmung auch an der Entscheidung teil. Entscheidungen in diesem Sinne umfassen daher neben Urteilen und Schiedssprüchen auch einzelne Akte der Staaten praxis, Verträge und Beschlüsse internationaler Organisationen. Eine Betrachtungsweise, welche das Recht als einen Entscheidungs prozeß versteht, muß, will sie sich nicht auf Deskription beschränken, nach der Autorität der tatsächlich getroffenen und durchgesetzten Ent scheidungen fragen. Effektivität ohne Autorität wäre Tyrannis, Auto rität ohne Effektivität eine Farce5 • Ein Entscheidungsorgan, welches „rechtmäßig" entscheiden will, hat also unter den ihm offenstehenden Alternativen jene zu wählen oder eine von jenen zu wählen, welche in Übereinstimmung mit früheren autoritativen Entscheidungen steht (stehen). Diese Wahl kann relativ unproblematisch sein, wenn eine bestimmte frühere Entscheidung kei5 Zur neueren Literatur zu dieser Frage siehe insbes. McDougal, Lasswell and Reisman, Theories About International Law, S. 197, 201 f. ; Sehachter, Towards a Theory of International Obligation, 8 VaJIL 300 (1968) ; McRae, Legal Obligations and International Organizations, 11 CanYIL 87 (1973).
A. Methodologische Vorbemerkung
19
nen Zweifel an ihrer Autorität und ihrem dispositiven Gehalt zuläßt, wie z. B. eine Vertragsbestimmung, deren Auslegung im besonderen Falle keine Schwierigkeiten bereitet, oder eine Reihe von Sachent scheidungen, die eine einheitliche Praxis repräsentieren und klar für eine bestimmte der möglichen Alternativen sprechen. Die Wahlmög lichkeiten des Entscheidungsorgans sind dann in einem hohen Maße eingeschränkt. Es fühlt sich an eine bestimmte Lösung „gebunden". In solchen Fällen liegt es nahe, eine „Regel" als analytische Abstrak tion aus dem Entscheidungsprozeß zu formulieren. Wenngleich solche Formulierungen oder Formeln, soferne sie lediglich als eine derartige Abstraktion gesehen werden, legitim und nützlich sein können, bergen sie gewisse Gefahren. Einerseits können sie eine Versteinerung des Rechts hervorrufen oder fördern. Ein späteres Entscheidungsorgan er liegt leicht der Versuchung, sich auf die einmal gewonnene Formel zu stützen ohne den Vorgang kritischer Überprüfung zu wiederholen. An die Stelle einer Berücksichtigung der gesamten zum Zeitpunkt der Ent scheidung vorhandenen und für alle besonderen Umstände der Ent scheidung relevanten autoritativen Elemente tritt dann leicht eine im mer engere formelhafte Deduktion. Andererseits trifft das Modell einer Regel, die in Form eines unbedingten Imperativs oder eines klaren Konditionalsatzes formulierbar ist, gerade in einer genossenschaftli chen, auf Koordination beruhenden, Rechtsordnung wie dem Völker recht nur auf eine beschränkte Zahl von Idealfällen zu. In manchen Situationen mag die Gesamtheit der Autorität, also des relevanten Entscheidungsmaterials, das für eine bestimmte Entscheidung spricht, zwar überwältigend sein, aber wegen der Heterogenität seines Ur sprungs eine Synthese zu einer einheitlichen „Regel" kaum zulassen. In anderen Situationen wiederum ist das Gewicht der Autorität keines wegs so eindeutig, daß die vereinfachende Abstraktion von der Anwen dung der passenden Regel zutrifft. Die verfügbare Autorität kann wi dersprüchlich oder doch nicht frei von Zweideutigkeiten sein, so daß die Wahlmöglichkeiten des Entscheidungsorgans nicht oder nicht völlig beseitigt sind. In solchen Fällen erscheint es nicht sinnvoll, mit einer einfachen Dychotomie von bindenden Normen und rechtsfreiem Raum zu operieren. Eine nicht regelorientierte sondern problemorientierte Vorgangsweise, welche, statt von einer durch analytische Abstraktion gewonnenen Regel auf den Einzelfall zu deduzieren, das gesamte auto ritative Material für eine praktische Problemstellung zu überprüfen versucht, ergibt eine umfassendere Grundlage für die Entscheidung. Ein solcher relativer Begriff der Autorität gegenüber dem absoluten Begriff der Bindung, führt keineswegs zu einer „Aufweichung" des Rechts. Er ermöglicht lediglich eine weitere, differenziertere und re alistischere Betrachtungsweise der verfügbaren und tatsächlichen Ent2•
20
Einleitung
scheidungsgrundlagen. Hand in Hand damit wird aber auch eine im Völkerrecht längst fällige Differenzierung der Rechtsfolgen gehen müs sen. Eine Lehre, die nur in den Kriterien der Legalität und Illegalität operiert, kann komplexeren Problemen des internationalen Schuld und Haftungsrechts nicht gerecht werden. So kann ein Handeln in Übereinstimmung mit einer bestimmten autoritativen Entscheidung, obwohl nicht zwingend geboten, als Beweis dafür dienen, daß es jeden falls nicht illegal war. Andererseits muß ein Zuwiderhandeln gegen eine bestimmte Autorität nicht unmittelbare Unrechtsfolgen nach sich ziehen, kann den Handelnden aber in einen Bereich führen, in dem er die Folgen seines Vorgehens zu verantworten hat oder an sich legitime Ansprüche nicht mehr durchsetzen kann. Das gesamte verfeinerte Ar senal der Rechtsfolgen von der Gefährdungshaftung bis zur absoluten Nichtigkeit ist im Völkerrecht nur sehr ansatzweise vorhanden6 • Bei der Erarbeitung eines ähnlich differenzierten Instrumentariums wird auch ein besseres Verständnis der Autorität und ihrer Folgen im Völ kerrecht eine wesentliche Rolle spielen und von Fragestellungen weg führen, welche sich auf die Feststellung beschränken, ob ein Handeln in Übereinstimmung mit einer bestimmten behaupteten Regel ist. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Teilbereich des viel umfassenderen internationalen Entscheidungsprozesses. Das Augen merk wird nicht nach dem materiellen Inhalt der Entscheidungen ein geschränkt, sondern auf die Beziehung zweier Organtypen konzentriert. Die Untersuchung des Einflusses internationaler Organtätigkeit auf das Entscheidungsverhalten staatlicher Gerichte soll folgende fünf Auf gaben erfüllen: 1 . Die Klärung der rechtspolitischen Ausgangsposition : Ein Versuch, sich auf eine vollkommen wertfreie objektive Darstellung einer Rechts frage zu beschränken, wäre nicht nur unaufrichtig sondern auch steril. Jeder Betrachter ist von Wertvorstellungen geprägt, welche bewußt oder unbewußt, ausgesprochen oder unausgesprochen, in seine Aussa gen einfließen. Irrationalitäten und Vorurteile sind nicht durch die Unterdrückung subjektiver Präferenzen zu bekämpfen sondern nur durch eine kritische und offene Auseinandersetzung mit rechtspoliti schen Fragen. Selbst jene Autoren, welche rechtspolitische Erwägungen als nicht zu den Aufgaben des Juristen gehörig ablehnen, gehen in Wahrheit von einer ganz bestimmten rechtspolitischen Prämisse aus. Nämlich der, daß es die Funktion des Rechts sei, den status quo mög lichst beizubehalten. Ein Zurückziehen auf formelhafte Deduktionen ' Siehe dazu insbesondere Jennings, Nullity and Effectiveness in Inter national Law, in Cambridge Essays in Honour of Lord McNair, S. 64 (1965); E. Lauterpacht, The Legal Effect of Illegal Acts of International Organisa tions, loc. cit., S. 88.·
A. Methodologische Vorbemerkung
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fördert nicht die Objektivität, sondern verschleiert lediglich die vom Autor mit ihrer Hilfe angestrebten Ziele. Das positive Recht gibt keineswegs immer eine eindeutige und klare Lösung7 • Die wichtigsten Rechtsfragen ergeben sich in unklaren Si tuationen, in denen mehrere Meinungen vertretbar sind. In einer Hierarchie von Entscheidungsorganen, wie staatlichen Gerichten, kom men gerade solche Grenzfragen oft vor die höchsten Gerichte. Vor dem Eintreten in eine Auseinandersetzung mit dem verfügbaren Material gilt es daher, zunächst den Standpunkt des Betrachters zu be schreiben und seine grundsätzlichen Wertvorstellungen zum behan delten Thema offenzulegen. 2. Die Beschreibung der bisherigen Praxis: Eine gründliche Unter suchung der Probleme, die aus der Befassung staatlicher Gerichte mit Akten internationaler Organisationen entstehen, ist nur mit Hilfe einer eingehenden Betrachtung des bisherigen Entscheidungsverhaltens der Gerichte möglich. Dieser empirische Ausgangspunkt zeigt bald, daß die Vielfalt ver schiedener Rechtsfragen, die bei einer gründlichen Untersuchung der bisherigen Praxis zutage treten, bedeutend größer ist als dies spekula tive Überlegungen hätten vermuten lassen. Andererseits bringt eine Darstellung der heterogenen Praxis staat licher Gerichte auf breiter vergleichender Basis mannigfache Schwie rigkeiten. Die erste dieser Schwierigkeiten liegt im Auffinden des Ma terials. Trotz der Durchsicht zahlreicher und umfangreicher Fallsamm lungen, kann nicht einmal auf eine annähernde Vollständigkeit gehofft werden. Auch die Streuung der Entscheidungen ergibt eine völlig un einheitliche und zufällige Schwerpunktbildung. Während zu einigen Fragen eine große Anzahl von Gerichtsentscheidungen zur Verfügung steht, existieren zu anderen, nicht minder · wichtigen Problemen, bis weilen nur einige wenige. Dennoch besteht die berechtigte Hoffnung, daß der Umfang des verwerteten Fallmaterials insgesamt ein repräsen tatives Bild der gerichtlichen Entscheidungstätigkeit vermittelt. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Darstellung der Praxis. Einige Argumente sprächen für eine länderweise Darstellung, so insbesondere 7 Vgl. dazu Kelsen, The Law of the United Nations, S. XIV u. XVI : The view, . . . , that the verbal expression of a legal norm has only one, ,true' meaning which can be discovered by correct interpretation is a fiction, adopted to maintain the illusion of legal security, to make the law-seeking public believe that there is only one possible answer to the question of law in a concrete case. Unfortunately, the contrary is true . . . A scientific inter pretation has to avoid giving countenance to the fiction that there is always but a single ,correct' interpretation of the norms to be applied to concrete cases.
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Einleitung
die Tatsache, daß neben dem Einfluß des internationalen Organakts auf die staatliche Gerichtsentscheidung, also dem eigentlichen Untersu chungsobjekt, meist auch noch andere Gesichtspunkte für die Entschei dungsfindung eine Rolle spielen, die ihre Ursachen vor allem im staat lichen Recht haben. Dennoch wird eine systematische Darstellung einer Aufeinanderfolge von Länderberichten vorgezogen. Auch bei den einzelnen Fallberichten besteht die Wahl zwischen um fassenden Gesamtdarstellungen oder kürzeren Hinweisen auf die ein schlägige Praxis im Zuge einer systematischen Darstellung. Ein be trächtlicher Teil der Fälle betrifft eine ganze Reihe verschiedener Fra gen. Auch in diesem Zusammenhang wurde das Vorgehen nach Pro blemkreisen einer Aufeinanderfolge einzelner Fallanalysen vorgezo gen. Dies bedeutet zwar, daß die einzelnen Fälle nicht an einem Orte und dadurch übersichtlicher dargestellt werden. Die Alternative bräch te jedoch die Gefahr einer anekdotenhaften Darstellung nach Art eines Digest mit sich, in welcher der Leser nur schwer einen Überblick über die behandelten Rechtsfragen behielte. Für eine gründliche Informa tion über einzelne der angeführten Fälle wird es daher nötig sein das Entscheidungsregister sowie allenfalls die zitierten Fundstellen zu kon sultieren. 3. Die Analyse der Faktoren welche zur Praxis beigetragen haben: Gerichtliche Entscheidungen bieten gegenüber anderen Bereichen des internationalen Entscheidungsprozesses den wesentlichen Vorteil, daß ihnen regelmäßig eine Begründung des Entscheidungsorgans beigefügt ist8 • Eine Untersuchung der Motive einer Gerichtsentscheidung wird sicherlich zunächst die vom Gericht selbst gegebene Begründung be achten müssen. Eine vergleichende Übersicht zeigt allerdings sehr bald die völlig unterschiedlichen Begründungsstile der Gerichte verschiede ner Staaten. Schon dieser Umstand verweist auf den begrenzten Wert einer bloßen Auslegung der vom Gericht angegebenen Gründe. Darüber hinaus zeigen staatliche Gerichte - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße - die Tendenz, in der Begründung gewisse Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen, andere aber nur am Rande oder gar nicht zu erwähnen. Häufig wird nur eine formaljuristische Begründung für akzeptabel gehalten, welche keineswegs Auskunft über das gesamte Spektrum der Motive gibt, welche ein Gericht zu einer bestimmten Ent scheidung bewogen haben. Es entspricht meist der Rollenerwartung des Richters, Urteile von Erörterungen freizuhalten, welche als nicht „ju ristisch" im strengen Sinne empfunden werden, auch wenn allen Be teiligten klar ist, daß die Begründung keineswegs eine erschöpfende 8 Vgl. dazu die Beiträge in Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, Hrsg. Sprung u. König (1974).
A. Methodologische Vorbemerkung
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Auskunft über die Beweggründe des Gerichtes gibt. Die Tendenz der Gerichte, einer Entscheidung möglichst enge formale Gesichtspunkte zu unterlegen wird oft um so stärker, je dominanter „politische" Aspekte im besonderen Fall sind. Dazu kommt eine Neigung vieler Richter, in der Begründung nicht sämtliche wichtigen Argumente für oder gegen eine bestimmte Entscheidung abzuwägen, sondern lediglich alle jene Gesichtspunkte zu kumulieren, welche für die getroffene Sachentschei dung sprechen. Eine sinnvolle Analyse der Faktoren, welche zur Gerichtspraxis bei getragen haben, muß daher auch jenseits der vom Gericht angeführten Gründe nach möglichen Motiven für eine Entscheidung fragen. Dazu ist es nötig, möglichst viele objektiv feststellbare Umstände eines Falles zu berücksichtigen. Die Identität der Streitparteien, das Streitobjekt, allfällige nationale Interessen des Forumstaates, sowie rechtspolitische Grundsatzfragen, welche über den Fall hinaus wirken könnten, zählen zu den wichtigsten dieser Umstände. Die Beachtung all dieser entscheidungskausalen Gesichtspunkte be deutet keineswegs eine Vermengung juristischer und sonstiger sozial wissenschaftlicher Methoden. Sie ist vielmehr die für den Juristen un entbehrliche Ergänzung seines traditionellen Instrumentariums. Die technischen Formeln, welche von Juristen für einen bestimmten Zweck benützt werden, sind nicht selten austauschbar und vermitteln ein trü gerisches Bild einer sicheren und „richtigen" Lösung. In den Worten McDougals und Lasswells: Scholarship which would be creative, must look behind technical formulas and authoritative procedures to the conditions that importantly determine which formulas and procedures are in fact employed9 • 4. Aussagen über mögliche Weiterentwicklungen : Eine nur auf re trospektive Untersuchung gerichtete Betrachtung ergäbe kein vollstän diges und sinnvolles Bild des Entscheidungsprozesses zu einer Rechts frage. Wann immer möglich muß auch versucht werden, aus der bishe rigen Praxis und den Faktoren, welche ausschlaggebend für sie waren, Schlüsse auf das künftige Entscheidungsverhalten der Gerichte zu zie hen. Derartige Voraussagen müssen keineswegs auf Regeln normati ven Charakters beschränkt sein, welche sich als Gewohnheitsrecht aus der Praxis interpolieren lassen und aus welchen dann künftiges Ver halten vorausberechnet wird. Oft ist es bloß möglich, Entscheidungs trends festzustellen, von welchen vermutet werden kann, daß sie sich in weiterer Folge fortsetzen werden. Nicht immer ist schon eine klare Aussage über die lex lata zu einer bestimmten Rechtsfrage möglich. 9 The Identification and Appraisal of Diverse Systems of Public Order, 53 AJIL 1, 14 (1959).
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Einleitung
Dennoch ist die Voraussehbarkeit des Entscheidungsverhaltens der Ge richte auch zu Fragen, welche noch keine eindeutige positive Regelung erfahren haben, ein wichtiges Ziel. 5. Das Aufzeigen rechtspolitischer Alternativen: Wie bereits ausge führt, ist es nicht Absicht dieser Arbeit lediglich zu beschreiben, ohne den Versuch einer Wertung zu machen. Gerade im Völkerrecht ist die Wichtigkeit der Literatur für die Rechtsentwicklung kaum zu über schätzen. Selbst die Autoren, welche sich scheinbar auf die Feststellung positiven Rechts beschränken, haben einen ganz wesentlichen Einfluß auf seine Weiterbildung gehabt. Zu den Aufgaben eines Autors gehört der bewußte Versuch, die Rechtswirklichkeit, wie sie in den Entschei dungen zutage tritt, nicht nur darzustellen, sondern auch mitzuformen. Dies sollte jedoch unter offener Diskussion der Gründe, warum eine Lösung einer anderen vorgezogen wird, geschehen und nicht unter dem Deckmantel der Behauptung einer positiven Norm, welche in Wahrheit lediglich für erwünscht gehalten wird. B. Staatliche Gerichte in der Funktion internationaler Entscheidungsorgane 1. Allgemein
Der Typus des Gerichts als eines unparteiischen und relativ unab hängigen Entscheidungsorganes für Rechtsstreitigkeiten ist heute eine in so gut wie allen Rechtskreisen bekannte Erscheinung 10 • Wohl bestehen in Organisation, Aufgabenstellung und Ausgestaltung beträchtliche nationale und regionale Unterschiede und eine klare Zuordnung gewis ser Grenzerscheinungen ist nicht immer ohne Schwierigkeiten möglich. In seinen wesentlichen Zügen aber ist die gerichtliche Form der Kon fliktbereinigung, als einer autoritativen, auf objektiven Grundlagen be ruhenden und zumeist begründeten Entscheidung, aus unserer heuti gen Gesellschaft nicht wegzudenken1 1 • Das Phänomen der Entscheidung von völkerrechtlichen Fragen durch staatliche Gerichte, welche primär für die Entscheidung sogenannter interner Streitfragen errichtet sind, hat bisher recht wenig grundsätz liche Beachtung gefunden1 2 • Dies mag seine Gründe zum Teil darin 10 Eine vergleichende Übersicht findet sich insbesondere in, Gerichtsschutz gegen die Exekutive Bd. 3 Rechtsvergleichung Völkerrecht, herausgegeben vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völker recht (1971). 11 Vgl. auch Mosler, Nationale Gerichte als Garanten völkerrechtlicher Verpflichtungen, in Recht als Instrument van behoud an verandering, S. 381. (1972) ; Fahr, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Internationalisierung der Menschenrechte, in Rene Cassin, Amicorum Discipulorumque Liber Bd. 1, S. 213, 219 f. (1969).
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haben, daß bis vor nicht allzu langer Zeit staatliche Gerichte nur recht selten mit Streitfällen befaßt worden sind, welche wesentliche völker rechtliche Aspekte aufweisen. Immer engere internationale Verflech tungen, sowie eine deutliche Tendenz der Völkerrechtsgemeinschaft, sich mit immer neuen, bisher dem einzelnen Staat überlassenen Gebie ten zu beschäftigen, haben jedoch mittlerweile das Auftreten völker rechtlicher Aspekte in zahlreichen Rechtsstreitigkeiten alltäglich ge macht. Zu einem anderen Teile ist die Vernachlässigung dieser Frage wohl auch auf vorgefaßte dogmatische Vorstellungen von der Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht zurückzuführen. Die Anwendung völker rechtlicher Normen durch Staatsorgane, die nicht spezifisch für die Pflege internationaler Beziehungen eingerichtet sind, wurde zumeist nur als eine Nebenfrage des Methodenstreits um Monismus oder Dualis mus betrachtet. Nur dem Problem der „Geltung" der völkerrechtlichen Vorschriften im sogenannten internen Bereich des Staates wurde Auf merksamkeit geschenkt. War diese grundsätzliche Frage einmal beant wortet, so wurde das tatsächliche Organverhalten wenig beachtet. Das Festhalten an traditionellen Vorstellungen vom Völkerrecht als einem Recht, welches lediglich die Beziehungen der in ihren höchsten Organen personifizierten Staaten regelt, birgt die Gefahr, wichtige verfahrensrechtliche Probleme zu vernachlässigen oder gar zu über sehen. Dabei scheint vor allem die Fiktion der organisatorischen Ein heit des Staates gegenüber dem Völkerrecht überholungsbedürftig. Es wäre an der Zeit die Rolle verschiedener Staatsorgane im internationa len Entscheidungsprozeß einer genauen und differenzierten Überprü fung zu unterziehen. Gerade in Anbetracht der strukturellen Besonder heiten des Völkerrechts kommt Verfahrensfragen, also dem Vorhan densein geeigneter Entscheidungsorgane und deren tatsächlichem Ver halten, eine enorme Bedeutung zu. Die Fiktion des gleichmäßig, ver läßlich und immer objektiv richtig handelnden Entscheidungsapparates, welche innerhalb eines geordneten staatlichen Rechtslebens eine ge wisse Berechtigung haben mag, läßt sich in dem relativ losen horizon talen System des Völkerrechts nicht aufrechterhalten. Die Frage nach dem materiellen Völkerrecht wird häufig von dem Problem seiner Durchsetzung durch ein geeignetes Organ überschattet und beeinflußt13 • 12 Zu den wichtigsten jüngeren Arbeiten zählen Falk, The Role of Domestic Courts in the International Legal Order (1964) ; Wengler, Reflexions sur l'application du droit international public par les tribunaux internes, 72 RGDIP 921 (1968) ; Lillich, The Proper Role of Domestic Courts in the International Legal Order, 11 VaJIL 9 (1970/71) ; Reuter et al. (Hrsg.), L'application du droit international par le juge fran1;ais (1972). 13 Matscher, Die Bedeutung von Verfahrensregelungen für die zwischen staatlichen Beziehungen, Salzburger Universitätsreden, Heft 57 (1975).
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Einleitung
Die bedeutende Erweiterung des materiellen internationalen Rechts bereichs ist zumeist nicht von einer gleichartigen Erweiterung entspre chender internationaler Durchsetzungsverfahren begleitet gewesen. Einzelne und Wirtschaftsunternehmen sehen sich zwar einer wachsen den Anzahl von Bestimmungen völkerrechtlichen Ursprungs gegen über, aber nur in den seltensten Fällen ist es ihnen möglich, auch de ren Durchsetzung und Überprüfung durch internationale Organe zu erwirken. Die internationale Arena bleibt eine „geschlossene" und ist in vielen Bereichen nur einer kleinen Anzahl staatlicher Organe zu gänglich. Die Ausführung und Durchsetzung der von dort herrühren den Verpflichtungen bleibt meist Organen der einzelnen Staaten vor behalten. Diese Armut der internationalen Gemeinschaft an Anwendungs- oder Vollzugsorganen hat zur Folge, daß ein wesentlicher Teil des interna tionalen Entscheidungsprozesses sich vor staatlichen Organen ein schließlich der Gerichte abspielt 14 • Das Forum des staatlichen Gerichtes steht sowohl international handlungsfähigen Personen zur Verfügung als auch denen, welche zwar von der internationalen Vorschrift betrof fen sind, aber keinen Zutritt zu internationalen Fora haben 15 • Die ein schlägigen Sammlungen staatlicher Gerichtsentscheidungen zu völker rechtlichen Fragen 16 zeigen deutlich, daß fast jede wichtige Rechtsfrage des internationalen Verkehrs in irgendeiner Form vor nationalen Ge richten auftreten kann 1 7 • Dies hat zu einer eigentümlichen Doppelstellung des staatlichen Ge richts geführt, welches einerseits Organ des auf internationaler Ebene 1 4 In den Vorarbeiten zum Völkerbund tauchte sogar einmal ein Vorschlag zur Übertragung weitgehender völkerrechtlicher Entscheidungsbefugnisse an staatliche Gerichte auf. Ein früher Entwurf enthielt einen Artikel 12 welcher lautete : ,,The highest national court of each Contracting Power shall have jurisdiction to hear and finally determine any international dispute which may be submitted for its decision." Zitiert nach Seymour, Inti mate Papers of Colonel House Bd. 4, S. 31/32 (1928). 1 5 Schermers, International Institutional Law Bd. II, S. 606 (1972). 16 Von diesen Sammlungen sind die International Law Reports (Hrsg. : E. Lauterpacht), früher Annual Digest, sicherlich die wichtigsten. Eine Reihe nationaler Sammlungen entweder als gesonderte Veröffentlichung, als Teil eines umfassenden ,Digest' oder als Fortsetzung in Zeitschriften ergänzen diese Quelle. Siehe insbes. Mosler, Repertorien der nationalen Praxis in Völkerrechtsfragen - Eine Quelle zur Erschließung des allgemeinen Völker rechts? Festschrift für Guggenheim, S. 460 (1968) ; siehe auch die bereits etwas überholte Aufstellung in Ways and Means of Making the Evidence of Customary International Law more Readily Available, Memorandum submitted by the Secretary General, S. 58 f. (1949). 17 H. Lauterpacht, Decisions of Municipal Courts as a Source of Interna tional Law, 10 BYIL 65, 67 f. (1929) ; Hyde, The Supreme Court of the United States as an Expositor of International Law, 18 BYIL 1 (1937) ; McDougal, The Impact of International Law upon National Law : A Policy-oriented Perspective, 4 South Dakota LRev. 25, 74 (1959).
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seine nationalen Interessen verfolgenden Staates ist, sich aber anderer seits in der Funktion eines internationalen Entscheidungsorgans fin det 18 . George Scelle hat diesen von ihm als „dedoublement fonctionnel" bezeichneten Vorgang beschrieben 19 , in welchem Organe ihre funktio nelle Kompetenz, die ihnen von der sie errichtenden Rechtsordnung eingeräumt wurde, dazu gebrauchen um eine andere Rechtsordnung, welche derartiger Organe ermangelt, durchzusetzen20 . 2. Staatenverantwortlichkeit für gerichtliche Entscheidungen
Besonders deutlich wird die Doppelstellung staatlicher Gerichte als staatliche und zugleich internationale Entscheidungsorgane im Bereiche der Staatenverantwortlichkeit für Handlungen gerichtlicher Organe. Urteile staatlicher Gerichte zu völkerrechtlichen Fragen sind zunächst autoritativ und regelmäßig effektiv. Der Rechtsuchende ist gezwungen, sämtliche Möglichkeiten staatlichen Gerichtsschutzes auszuschöpfen. Ist dies geschehen und existiert eine endgültige Entscheidung, so be steht zwar regelmäßig nicht die Möglichkeit einer internationalen Überprüfung im Sinne einer Berufung an ein internationales Organ. Auch die völkerrechtlich fehlerhafte Entscheidung bleibt formell be stehen. Dennoch lassen Literatur21 und internationale Entscheidungs18 Vgl. McDougal and Feliciano, Law and Minimum World Public Order, S. 40 (1961) ; McDougal in 58 ASIL Proceedings 48 f. (1964). 19 Le phenomene de dedoublement fonctionnel, Rechtsfragen der Inter nationalen Organisation : Festschrift für Hans Wehberg, S. 324 (1956) ; ibid., Precis de droit des gens Bd. I, S. 42 f., 54 f. insbes. 56 (1932) ; ibid., Droit inter national public, S. 530 f. (1944) ; ibid., Manuel de droit international public, S. 21 f. (1948) ; Wiebringhaus, Das Gesetz der funktionellen Verdoppelung (1955). 20 Ä hnliche Gedanken bezüglich der Funktion staatlicher Gerichte finden sich bereits bei Kaufmann, Die Rechtskraft des Internationalen Rechts und das Verhältniß der Staatsgesetzgebungen und der Staatsorgane zu demsel ben, S. 103 f. (1899) ; vgl. auch Tammes, Decisions of International Organs as a Source of International Law, 94 RC 265, 344 f. (1958, II) ; van Panhuys, Rela tions and Interactions between International and National Scenes of Law, 112 RC 7, 8 f. (1964, II) ; Friedmann, National Courts and the International Legal Order: Projections on the Implications of the Sabbatino Case, 34 George Washington LRev. 443 f. (1968) ; Falk, The Interplay of Westphalia and Charter Conceptions of International Legal Order, in Falk and Black (Hrsg.), The Future of the International Legal Order Bd. I, S. 32, 69 (1969) ; Lillich, The Proper Role, S. 12; Reisman, Nullity and Revision, S. 802 (1971). 21 Siehe insbesondere Kaufmann, Die Rechtskraft, S. 108 f., Eagleton, Denial of Justice in International Law, 22 AJIL 538 (1928) ; Garner, Interna tional Responsibility of States for Judgments of Courts and Verdicts of Juries amounting to Denial of Justice, 10 BYIL 181 (1929) ; Simons, Verhält nis der nationalen Gerichtsbarkeit zu der internationalen Schiedsgerichts barkeit und Gerichtsbarkeit, 9 Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 35, 49 f. (1929) ; Fitzmaurice, The Meaning of the Term ,Denial of Justice', 13 BYIL 93 (1932) ; Ch. de Visscher, Le deni de justice en droit international, 52 RC 366 (1935, II) ; Eustathiades, La responsabilite inter-
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Einleitung
praxis22 kaum Zweifel darüber zu, daß in ernsten Fällen einer Miß achtung völkerrechtlicher Ansprüche durch staatliche Gerichte der Forumstaat zur Verantwortung gezogen werden kann. Trotz der zu nächst ausschließlichen Zuständigkeit staatlicher Entscheidungsorgane, insbesondere der Gerichte, besteht nach dem Abschluß ihrer Tätigkeit die Möglichkeit, daß Fehlentscheidungen Anlaß zu Unrechtsfolgen ge ben. Die Staatenverantwortlichkeit kann einerseits in traditionellen diplomatischen Verfahren von Staat zu Staat23 , oder bisweilen in der Form einer Überprüfung durch Gemeinschaftsorgane24 geltend gemacht nationale de l'Etat pour des actes des organes judiciaires et le probleme du deni de justice en droit international (1936) ; Mosler, L'application du droit international public par les tribunaux nationaux, 91 RC 619, 628 f. (1957, I); McDougal, The Impact, S. 85 ; Jenks, The Prospects of International Adjudi cation, S. 737 (1964) ; Heise, Internationale Rechtspflege und nationale Staats gewalt, S. 36 f. (1964) ; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. III, S. 10 f. (1964) ; Rolin, Le contröle international des juridictions nationales, 3 RBDI 1 (1967) , 4 RBDI 160 (1968) ; Jimenez de Arechaga, International Responsibi lity, in S0rensen (Hrsg.), Manual, S. 550 f.; Urbanek, Das völkerrechtsver letzende nationale Urteil 9 ÖZöR 213 (1958/59) ; ibid., Die Unrechtsfolgen bei einem völkerrechtsverletzenden nationalen Urteil; seine Behandlung durch internationale Gerichte, 11 ÖZöR 70 (1961) ; Vitänyi, International Respon sibility of States for their Administration of Justice, 22 NILR 131 (1975). 22 Siehe insbesondere das Urteil des StIG im Lotus-Fall Ser. A, No. 10, sowie die abweichende Meinungsäußerung des Richters Tanaka im Barcelona Traction Fall, ICJ Reports 1970, S. 1 14, 144 f.; vgl. jedoch den Schiedsspruch des Hamburgischen Senats im Falle Yuille, Shortridge & Cie vom 21. 10. 1861 in Lapradelle-Politis, Recueil des arbitrages internationaux Bd. 2, S. 112 (1 957). Siehe auch den Martini-Schiedsspruch vom 3. 5. 1930 in 2 RIAA 975, 995 f.; die Italienisch-Französische Schlichtungskommission in ihrem Spruch in der Sache Gouvernement italien c. gouvernement francais vom 7. 12. 1955 in 13 RIAA 422, 438 ; den Ständigen Schiedshof im Leuchttürme-Fall vom 24. 7. 1956, 23 ILR auf S. 351 f. (1956) ; vgl. auch die Entscheidung No. 316 der Italienisch-Französischen Vergleichskommission im Falle Ottoz, 18. Nov. 1967, 8 Recueil des Decisions de la Commission de Conciliation Franco-Italienne 147. In diesem Falle hatte die französische Regierung Schadenersatz ansprüche gestellt, da sich italienische Gerichte geweigert hatten eine frü here Entscheidung der Vergleichskommission (13 RIAA 232) durchzusetzen. Die Kommission erklärte sich für die Entscheidung über diesen Anspruch unzuständig, behielt den Geschädigten j edoch ausdrücklich das Recht vor, ihre Forderungen in innerstaatlichen Verfahren zu verfolgen. Die Europäi sche Menschenrechtskommission erklärte in der Rechtssache 603/59, 30 ILR 306, eine Beschwerde wegen der Nichterfüllung eines Schiedsspruches eines gemischten Schiedsgerichts für unzulässig solange der innerstaatliche Instan zenzug nicht durch Klagserhebung vor den staatlichen Gerichten erschöpft sei. 23 Siehe beispielsweise die diplomatischen Konsequenzen der schottischen Entscheidung Mortensen v. Peters und der in ihrer Folge erlassenen Urteile bei Briggs, The Law of Nations, S. 52, 55 f. (1952) ; sowie die drastischen Maß nahmen der U. S. Economic Co-operation Administration als Reaktion auf das belgische Urteil im Falle der Soc. commerciale de Belgique, 41 RCDIP 124 (1952).
24 Die Kompetenz zur Überprüfung kann durch eine Sondervereinbarung oder durch eine allgemeine Unterwerfung unter ein internationales Entschei dungsorgan begründet sein. Insbesondere bei den Organen der Europäischen Menschenrechtskonvention richtet sich ein großer Anteil der angemeldeten
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werden. Das staatliche Gericht, welches also zunächst autoritatives Ent scheidungsorgan war, wird in diesem Stadium zum Organ einer Partei im internationalen Entscheidungsprozeß. 3. Fortbildung des Völkerrechts durch staatliche Gerichte
Mit der Erkenntnis, daß ein wichtiger Teil des völkerrechtlichen Entscheidungsprozesses sich in der Arena staatlicher Rechtsprechungs organe abspielt, erhebt sich auch die Frage nach dem Einfluß der staatlichen Rechtsprechung auf die Fortentwicklung des Völkerrechts25 • Die reiche und durch systematische Sammlungen immer besser zu gängliche staatliche Spruchpraxis bildet heute eine Fundgrube an Ma terial für fast jeden Bereich des Völkerrechts. Andererseits sind selbst die Herausgeber dieser Sammlungen meist vorsichtig mit Aussagen über die rechtliche Relevanz dessen, was sie sammeln. Auch der Inter nationale Gerichtshof hat bisher bei der Berufung auf einschlägige staatliche Gerichtsentscheidungen Zurückhaltung gezeigt26 • Von manchen theoretischen Ansatzpunkten aus gesehen, mußte die Möglichkeit einer derartigen Rechtsfortbildung rundweg negiert wer den: Vom Standpunkte einer dualistischen und voluntaristischen Be trachtungsweise konnte das staatliche Gericht mit dem lediglich zwi schen Staaten geltenden und nur durch die Zustimmung der höchsten Exekutivorgane geschaffenen Völkerrecht nicht unmittelbar in Berüh rung kommen27 • Die Idee einer klaren und konsequenten Trennung und zugelassenen Beschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen. Die Zu ständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Artikel 169 des EWG Vertrags über Verletzungen des Vertrags durch Mitgliedstaaten zu befinden, erstreckt sich auch auf Entscheidungen staatlicher Gerichte : Hay, Supremacy of Community Law in National Courts, 16 AJCompL 524, 550 (1968) m. w. H.; Meier, Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatliches Ge meinrecht, Europarecht 332 (1970) m. w. H.; Dubouis, Le juge administratif fran!;ais et les regles du droit international, 17 AFDI 9, 56 (1971) m. w. H. Allgemein zur Staatenhaftung auch für „unabhängige" Organe siehe EuGH Slg. XVI, 243 u. 966. Diese Fälle bezogen sich jedoch nicht auf Gerichte. 25 Siehe dazu insbes. H. Lauterpacht, Decisions of Municipal Courts, S. 65; Renner, Der Rechtsquellenwert innerstaatlicher Gerichtsurteile im Völker gewohnheitsrecht (1957). Vgl. auch die Ausführungen des Obersten Gerichts hofs der Philippinen in Gibbs et al. v. Rodriguez et al., 21. Dez. 1950, in 18 ILR 661, 665 (1951). 28 Parry, The Sources and Evidences of International Law, S. 94 (1965); siehe jedoch das Urteil des StIG im Lotus-Fall, Ser. A, No. 10, S. 28 f.; Whiteman, Digest Bd. 1, S. 95; Duisberg, Das Völkergewohnheitsrecht nach der Rechtsprechung der internationalen Gerichte, S. 123 f. (1963). 27 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 254 f., 438 f. (1899); Anzilotti, 11 diritto internazionale nei giudizi interni (1905); Oppenheim, The Science of International Law : Its Task and Method, 2 AJIL 313, 336 f. (1908); Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts, S. 16 (1932); ibid., Les regles generales du droit de la Paix, 47 RC 257, 313 (1934, 1).
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zwischen rechtserzeugenden und rechtsanwendenden Organen28 wieder um, räumte Gerichtsentscheidungen bestenfalls einen gewissen Er kenntniswert ein, ließ aber einen Einfluß auf die Rechtsentwicklung theoretisch nicht zu29 • Mit dem Schwinden dieser Vorstellungen in ihren radikalen Formen, setzte sich immer mehr die Einsicht durch, daß sehr wohl eine Wechsel wirkung zwischen völkerrechtlichen Vorschriften und der Tätigkeit staatlicher Organe der Rechtsprechung besteht30 • Dies präsentierte al lerdings sogleich die Frage, welcher der traditionellen Rechtsquellen typen des Völkerrechts diese neuartige Entstehungsart zuzuordnen sei. Es war naheliegend, sie der Staatenpraxis im Rahmen der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht zuzurechnen31 • Bisweilen wurde eine Al2s Vgl. dazu unten S. 68 f. 29 Vgl. dazu Heffter, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, S. 24 f. (1888) ; Etwas unklar : Nys, Le droit international, S. 168 f. (1912) ; De Louter, Le droit international public positif, S. 56 (1920) ; Fauchille, Traite de droit international public, S. 53 (1922) ; v. Waldkirch, Das Völkerrecht in seinen Grundzügen, S. 40 f. (1926) ; Sibert, Traite de droit international public Bd. I, S. 37 f. (1951) ; Berber, Die Rechtsquellen des internationalen Wassernut zungsrechts, S. 123 (1955) ; ibid., Lehrbuch des Völkerrechts Bd. I, S. 45 f. (1950). 30 Pradier-Fodere, Traite de droit international public, S. 90 (1885) ; Heil born, Grundbegriffe und Geschichte des Völkerrechts, S. 71 (1912) ; Fenwick, International Law, S. 91 f. (1965) ; Bustamante y Sirven, Droit international public Bd. I, S. 73 f. (1934) ; Finch, The Sources of Modem International Law, S. 80 f. (1937) ; Briggs, The Law of Nations, S. 49 (1952) ; van Panhuys, Rela tions and interactions, S. 12 f. ; Friedmann, The Changing Structure of Inter national Law, S. 146 f. (1964) ; ibid., National Courts, S. 443 f. ; Parry, The Sources, S. 91 f. ; Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 216 f. (1972) ; Etwas unklar : Schwarzenberger, The Inductive Approach to International Law, S. 25 f., 36 (1965). 31 Kaufmann, Die Rechtskraft, S. 28 ; Ullmann, Völkerrecht, S. 44 (1908) ; van Praag, Juridiction et Droit international public, S. 24 (1915) ; Kosters, Les fondements du droit des gens, S. 238, 241 (1925) ; H. Lauterpacht, Decisions of Municipal Courts, S. 81 f. ; Spiropoulos, Traite theorique et pratique du droit international public, S. 29 (1933) ; Brierly, Regles generales du droit de la paix, 58 RC 1, 71 (1936, IV) ; Basdevant, Regles generales du droit de la paix, 58 RC 471, 510 (1936, IV) ; H. Lauterpacht, Regles generales du droit de la paix, 62 RC 95, 160 f., 171 f. (1937, IV) ; S0rensen, Les sources du droit inter national, S. 92 f. (1946) ; Mann, Völkerrecht im Prozeß, 5 Süddeutsche Juristen Zeitung, S. 545 f. (1950) ; L'Huillier, Elements de droit international public, S. 219 (1950) ; Kroneck, Die völkerrechtliche Immunität bundesstaatlicher Gliedstaaten vor ausländischen Gerichten, S. 54 f. (1958) ; Alexandrowicz, In ternational law in the municipal sphere according to Australian decisions, 13 ICLQ 78, 95 (1964) ; Agrawala, Law of Nations as interpreted and applied by Indian Courts and Legislature, 2 IJIL 431 f. (1962) ; ibid., International Law - Indian Courts and Legislature, S. 8 f. (1965) ; Cavare, Le droit international public positif Bd. I, S. 218 (1967) ; Kimminich, Das Völkerrecht in der Recht sprechung des Bundesverfassungsgerichts, 93 AöR 485 f. (1968) ; Rousseau, Droit international public, S. 83 (1971) ; Bolewski, Zur Bindung deutscher Gerichte an Äußerungen und Maßnahmen ihrer Regierung auf völkerrecht licher Ebene, S. 225 f. (1971). Etwa unklar : Mosler, Internationale Organisa-
B. Staatliche Gerichte als internationale Entscheidungsorgane
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ternative auch darin erblickt, die staatliche Spruchpraxis als obj ekti ven und von außenpolitischen Interessen nur wenig getrübten Aus druck der opinio iuris des Forumstaates zu sehen32 • Eine Betrachtungsweise, die sich mehr an der im Entscheidungspro zeß zutage tretenden Rechtswirklichkeit orientiert als an formellen Rechtsquellenkategorien, muß zum Ergebnis führen, daß die staatliche Gerichtspraxis ein wichtiger Faktor der Formung und Entwicklung des Völkerrechts ist33 • Versteht man Rechtserzeugung als Resultat eines Kommunikationsprozesses, so sind alle Auswirkungen auf das künftige Handeln der Rechtsgenossen und der Entscheidungsorgane erheblich. Ein wichtiger und effektiver Teilbereich des völkerrechtlichen Ent scheidungsprozesses, wie der vor staatlichen Gerichten, übt Wirkungen auf die Rechtserwartungen vieler oder aller Akteure im internationalen Verkehr aus. Er beeinflußt die Formulierung von Ansprüchen und die Entscheidungen darüber. Eine übereinstimmende Spruchpraxis staat licher Gerichte kann daher nicht ohne Auswirkungen auf die künftige Ausgestaltung völkerrechtlicher Bestimmungen bleiben. Im konkreten Falle wird bei der Beurteilung der rechtsfortbildenden Wirkung einzelner Entscheidungen oder einer bestimmten Gruppe von Entscheidungen allerdings nicht ohne gewisse Unterscheidungen vorzu gehen sein. So ist insbesondere zu überprüfen, inwieweit das in Frage stehende Rechtsgebiet überwiegend in den Entscheidungsbereich der Gerichte oder anderer Rechtsanwendungsorgane fällt. Auf Gebieten, wie dem der Staatenimmunität, kann beispielsweise getrost behauptet werden, daß die Initiative zur Rechtsfortbildung überwiegend bei den Gerichten gelegen ist34 • Auch wird die Spruchpraxis von Höchstgerich ten sicherlich einen bedeutend größeren Einfluß ausüben, als die Ent scheidungen von Gerichten unterer Instanzen. Eine über einen länge ren Zeitraum einheitliche Spruchpraxis von Gerichten verschiedener tion und Staatsverfassung, in Festschrift für Hans Wehberg, S. 273, 279 f. (1956) und ibid., Repertorien, S. 460, 467, 486 f. Vgl. hiezu auch Art. 24 des Statuts der International Law Commission sowie den Bericht der ILC an die Generalversammlung, YILC 364, 370 (1950, II). 32 Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 13 (1889) ; Ways and Means of Making the Evidence of Customary International Law more Readily Avail able, Memorandum des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, S. 3 (1949) ; H. Lauterpacht, The Development of International Law by the International Court, S. 20 (1958). 33 McDougal in 58 ASIL Proceedings, 49 (1964) ; McDougal & Reisman, ,,The Changing Structure of International Law" Unchanging Theory for Inquiry, 65 Columbia LRev. 810, 821 (1965) ; Falk, The Role of Domestic Courts, S. 3 f. ; Lillich, The Proper Role, S. 9. 34 Vgl. dazu etwa die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 1963, BVerfGE 16, 27, 34 f., in der sich das Gericht weitgehend auf eine gründliche Untersuchung der in- und ausländischen Gerichtspraxis stützt.
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Einleitung
Staaten verdient ohne Zweifel mehr Beachtung als nur vereinzelte Entscheidungen.
C. Akte internationaler Institutionen 1. Zum Begriff internationaler Institutionen
In der losen Struktur der internationalen Gemeinschaft früherer Jahrhunderte mit ihren nur spärlichen Berührungspunkten über Staats grenzen hinweg, reichten bilaterale Formen der Kommunikation zwi schen den höchsten Regierungsorganen meist aus. Der vor allem mit der Industrialisierung eingetretene verstärkte Austausch von Wirt schaftsgütern, Informationen, Personen und Krankheiten machte wirk samere Methoden der Zusammenarbeit als die traditionelle Form diplomatischen Verkehrs erforderlich. Diese enge Zusammenarbeit äu ßerte sich einerseits in der Schaffung internationaler Streitbeile gungsorgane zunächst ad ho.c, später auch auf Dauer. Daneben wurden eine Reihe permanenter Institutionen geschaffen, welche bestimmte ge meinsame Probleme der beteiligten Staaten bewältigen helfen sollten35 • Der Aufgabenbereich dieser Institutionen umfaßt heute zahlreiche Gebiete, welche das klassische Völkerrecht der autonomen Regelung durch die einzelnen Staaten überlassen hatte und es besteht kaum ein Zweifel darüber, daß die derzeitige Tendenz in die Richtung einer im mer weiteren Zuweisung von Tätigkeitsgebieten an Organe der Staa tengemeinschaft geht38 • Parallel zu dieser wachsenden Kooperation zwischen Staaten auf hoheitlichem Gebiet, ergaben sich aber auch engere Kontakte im nichtstaatlichen, privaten Sektor. Einzelpersonen, Wirtschaftsunterneh men und Interessengruppen organisierten sich über Staatsgrenzen hin weg, um gemeinsame Aufgaben mit der Hilfe vorübergehender oder ständiger Organisationsformen zu bewältigen. Die enge Verflechtung staatlicher und nichtstaatlicher Teilnehmer am internationalen Wirt schaftsverkehr hat allerdings zu Grenzerscheinungen geführt, die eine dogmatische Trennung des internationalen Entscheidungsprozesses in einen zwischenstaatlichen und einen privaten Teil völlig unrealistisch machen würden37 • Insbesondere im Bereich der internationalen Streit beilegung wurden Organe errichtet, vor denen staatliche und nicht35 Eine historische Übersicht findet sich insbes. bei Mangone, A Short History of International Organization (1954). 38 Die umfassendste neuere Abhandlung ist wohl Schermers, International Institutional Law, 3 Bde. (1972 - 1974). 3 7 Böckstiegl, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunter nehmen (1971) ; Fischer, Die internationale Konzession (1974).
C. Akte internationaler Institutionen
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staatliche Akteure einander in etwa gleichberechtigt gegenüberstehen38 • Darüber hinaus sind durch zwischenstaatliche übereinkommen inter nationale gerichtliche und schiedsgerichtliche Institutionen geschaffen worden, welche auch anderen Parteien als Staaten offenstehen39 • Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Aktivi täten zwischenstaatlicher Institutionen im engeren Sinne. Auch die In stitutionen mit „gemischter" Beteiligung werden miteinbezogen. Ledig lich internationale Institutionen, welche ausschließlich auf privater Initiative beruhen, also keine staatliche Mitwirkung aufweisen, wer den nicht berücksichtigt40 . Zu den internationalen Institutionen im hier gebrauchten Sinne ge hören selbstverständlich auch die sogenannten supranationalen Insti tutionen41 . Das Verhältnis zwischen den Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaften und den staatlichen Rechtsanwendungs- und Vollzugs organen, insbesondere den Gerichten, bildet bereits den Gegenstand eines umfangreichen und ständig wachsenden Schrifttums42 . Eine de38 Siehe insbes. Domke (Hrsg.), International Trade Arbitration (1958) ; ibid., The Law and Practice of Commercial Arbitration (1968) ; die Beiträge in International Arbitration Liber Amicorum for Martin Domke (1967) ; Cara biber, Les juridictions internationales de droit prive (1947) ; ibid., L'Arbitrage international de droit prive (1960). Vgl. auch Pinto, Juge interne francais devant les regles du droit international public, Revista Juridica de Buenos Aires 44, 84 (1962) ; Domince, La nature juridique des actes des organisations et des juridictions internationales et leurs effets en droit interne, in Recueil de travaux suisses presentes au VIIIe Congres international de droit com pare, S. 249, 260 (1970) ; Spofford, Third Party Judgment and International Economic Transactions, 1 13 RC 117 (1964, III) ; Domke, Arbitration, in Natio nalism and the Multinational Enterprise, S. 233 (1973). 39 Etwa die durch die Pariser Vororteverträge geschaffenen Gemischten Schiedsgerichte, die Europäische Menschenrechtskommission, sowie der Ge richtshof der Europäischen Gemeinschaften. 40 Ein Beispiel für einen interessanten Grenzfall ist der Kehler Hafen vertrags-Fall vor dem deutschen BundesveTfassungsgericht, 30. Juni 1953, BVerfGE 2, 347. Die durch einen Vertrag zwischen dem Land Baden und dem Port Autonome de Strasbourg eingerichteten Organe werden dort als nicht zwischenstaatliche Einrichtungen im Sinne des Art. 24 GG qualifiziert. 4 1 Dabei wird die Diskussion um die Wesensverschiedenheit des Europa rechts vom Völkerrecht nicht berührt. Vgl. dazu etwa : Erler, Das Grundgesetz und die öffentliche Gewalt internationaler Staatengemeinschaften, 18 Ver öffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 7, 15 f. (1960) ; Schlochauer, Das Verhältnis des Rechts der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft zu den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, 1 1 AVR 1 , 2 (1963) ; Hoffmann, Das Verhältnis des Rechts der Europäischen Ge meinschaften zum Recht der Mitgliedstaaten, Die öffentliche Verwaltung 433 f. (1967) ; Pescatore, Die unmittelbare Anwendung der europäischen Ver träge durch die staatlichen Gerichte, 5 Europarecht 56, 57 (1970) ; Ipsen, Euro päisches Gemeinschaftsrecht, S. 185 f., 193 f. (1972) ; Dagtoglou, The European Communities and Constitutional Law, 32 CambLJ 256 (1973) ; Kovar, L'appli cabilite directe du droit communautaire, 100 Clunet 279, 281 (1973). 42 Vgl. dazu die Bibliographie bei Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, s. 255 f. 3 Schreuer
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Einleitung
taillierte Praxis und Literatur hat im europäischen Gemeinschaftsrecht zu Verfeinerungen geführt, die dem allgemeinen völkerrechtlichen Organisationsrecht fehlen. Daher wäre es nicht sinnvoll, dieser bereits vorhandenen Literatur innerhalb des hier gesteckten Rahmens eine systematische und umfassende Untersuchung hinzufügen zu wollen. Die Materialfülle im Gebiet des Europäischen Gemeinschaftsrechts würde eine übermäßig starke Schwerpunktverlagerung in diesen Bereich mit sich bringen. Die Verschiedenheit der Problemstellung würde in weiten Bereichen eine getrennte Behandlung erfordern. Dennoch sind die aus der intensiven Praxis mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht gewonnenen Erfahrungen in vielen Punkten zu wichtig, um einfach übergangen zu werden. Soferne die dort aufgetretenen Probleme für das hier verfolgte Forschungsinteresse an internationalen Institutionen traditionellen Typs interessant erscheinen, wird daher auf sie Bezug genommen. Anspruch auf erschöpfende Behandlung der Beziehungen des Rechts der drei Europäischen Gemeinschaften zu den staatlichen Gerichten erhebt die vorliegende Arbeit jedoch nicht. Eine weitere Einschränkung betrifft schließlich das Vertragsrecht internationaler Organisationen43 • Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf einseitige Akte internationaler Institutionen, wenngleich ver tragliche Beziehungen internationaler Organisationen bisweilen am Rande eine gewisse Rolle spielen. Eine umfassende Einbeziehung der Behandlung völkerrechtlicher Verträge, an denen internationale Insti tutionen beteiligt sind, ist nicht beabsichtigt. Die andersartige Problem stellung bei der Anwendung internationalen Vertragsrechts würde zu einer zu stark heterogenen Thematik führen. 2, Die Rechtsquellentypologie des Art. 38 des IGH-Statuts und Akte internationaler Organe
Eine der grundsätzlichen Schwierigkeiten traditioneller juristischer Auseinandersetzung mit Beschlüssen internationaler Organe ist das Problem ihrer Eingliederung in die herkömmlichen Rechtsquellenkate gorien des Völkerrechts. Dabei erhebt sich natürlich die Frage, ob der artige Versuche einer Einteilung oder Abgrenzung von Rechtsquellen nicht ein Spiel mit theoretischen Begriffen ohne viel praktischen Wert ist. Allerdings kann eine noch so theoretische und abstrakte begriffliche Unterscheidung eine eminente praktische Bedeutung erlangen, wenn Entscheidungsorgane sich ihrer bedienen und ihre Verfügungen nach ihr einrichten. Solange Gerichte sich genötigt sehen, in der traditionel len Begriffswelt der völkerrechtlichen Quellen zu operieren, wird man sich nicht mit einem Hinweis auf den hypothetischen Charakter dieser 43 Siehe insbesondere Zemanek, Das Vertragsrecht der internationalen Or ganisationen (1957).
C. Akte internationaler Institutionen
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Frage begnügen können. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Verständnis der Gerichte vom Verhältnis von Völkerrecht und Landes recht spielt die Zuordnung einer Bestimmung des Völkerrechts zu einem bestimmten Rechtsquellentypus eine wichtige Rolle. Verfas sungsbestimmungen knüpfen meist daran an, welchem Rechtsquellen typus eine Bestimmung zugeordnet werden kann. Das Schicksal einer Entscheidung eines internationalen Organs in einem staatlichen Ge richtsverfahren hängt daher nicht zuletzt davon ab, ob das Gericht sie als „Vertragsverpflichtung" oder als „Bestandteil des Völkergewohn heitsrechts" betrachtet, oder ob es sich außerstande sieht, den interna tionalen Organakt einer der von ihm anerkannten Rechtsquellentypen zuzuordnen. Die Unsicherheit staatlicher Gerichte gegenüber Akten internatio naler Institutionen, als einer neuen und ungewohnten Art internationa ler Rechtsbefehle, erklärt das immer wieder sichtbare Bestreben, sie einem der bereits etablierten Rechtsquellentypen unterzuordnen. Diese Angleichung dient der Lösung verschiedenster Probleme, die sich im Zusammenhang mit internationalen Organakten ergeben, also etwa der bereits erwähnten Frage der Inkorporation in das staatliche Recht44 oder der Frage der Autorität empfehlender Resolutionen45 • Da internationale Organakte meist auf einer vertraglichen Ermäch tigung basieren, lag es besonders nahe, sie als erweiterte Form des internationalen Vertragsrechts aufzufassen46 • Typisch dafür sind Ver suche staatlicher Gerichte, Resolutionen des Weltsicherheitsrats47 , Ent scheidungen internationaler Ausgleichskommissionen48, die von der In ternationalen Luftfahrtkommission beschlossenen Anhänge zum Pari ser Luftfahrtsabkommen49 , den Liberalisierungskodex der OEEC50 und Dazu unten IV. B. 2. Dazu unten III. A. 4. b). 46 Siehe dazu insbes. Skubiszewski, A new Source of the Law of Nations : Resolutions of International Organisations, in Guggenheim Festschrift, S. 508, 517 f. (1968) ; ibid., Enactment of Law by International Organizations, 41 BYIL 198, 220 f., 242 f. (1965 - 66) ; ibid., Legal Nature and Domestic Effect of Acts of International Organizations, in Rapports polonais presente au VIIIe Congres international de droit compare, S. 195 (1970) ; ibid., Resolutions of International Organizations and Municipal Law, 2 The Polish Yearbook of International Law 80, 83 f. (1968/69) ; Dubouis, Le juge administratif, S. 23 ; Tammes, Decisions of International Organs, S. 269 ; Bianchi, Security Council Resolutions in United States Courts, 50 Indiana LJ 83, 85 (1974/75). 4 7 Diggs v. Shultz, 31. Okt. 1972, 470 F. 2d 461. 48 Compagnie des Wagons-Reservoirs v. Ministry of Industry and Com merce and Italian Railways, Tribunal Civil de la Seine, 7. Okt. 1950, 18 ILR 394 (1951). 49 Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau v. Lang u. Legler, Schweizer Bundesgericht 27. Jan. 1950, BGE 76 IV 43, 17 ILR 306 (1950) ; vgl. dazu Dominice, La nature juridique, S. 257. 44
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3•
Einleitung
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EWG-Verordnungen51 als „Vertragsverpflichtungen" zu charakterisie ren. Die Schwierigkeiten, welche das Festhalten am starren Schema des Art. 38 mit sich bringt, haben in der Literatur Anlaß zu berechtigtem Zweifel gegeben, ob die dort angeführte Liste heute tatsächlich noch als eine erschöpfende Aufzählung der internationalen Rechtsquellen ange sehen werden kann52 • Während dieser Katalog zu Beginn des Jahrhun derts noch als leidlich zutreffende Beschreibung der wichtigsten For men der Entstehung völkerrechtlicher Normen gelten konnte, wird er heute, mehr als fünfzig Jahre später, den Gegebenheiten des interna tionalen Verkehrs mit seiner Vielzahl von Formen organisierter Zu sammenarbeit kaum mehr gerecht. Selbst als Aufzählung der vom In ternationalen Gerichtshof heranzuziehenden Quellen müssen Zweifel an seiner Vollständigkeit bestehen. Der Internationale Gerichtshof hat sich, insbesondere in seiner Gutachtertätigkeit, in einem Umfang und in einer Weise auf Beschlüsse internationaler Organe gestützt53 , die einen Versuch, diese Erscheinung mittels des Art. 38 zu erklären, wenig überzeugend erscheinen lassen. Die Erklärung der Generalversamm lung der Vereinten Nationen in Resolution 3232 (XXIX) vom 22. No vember 1974 : . . . the development of international law may be reflected inter alia, by declarations and resolutions of the General Assembly which may to that extent be taken into consideration by the International Court of Justice, . . .
ist daher eher eine Feststellung als eine Aufforderung. Eine allgemeine Beobachtung des internationalen Entscheidungspro zesses zeigt, auch unabhängig von der besonderen Frage internationa ler Organakte, daß der Versuch einer scharfen Abgrenzung nach 50
Hurwits v. State of the Netherlands, Dist. Ct. The Hague, 12. Juni 1958,
6 NTIR 195 (1959).
51 Administration des Contributions Indirectes et Comite Interprofessionel des Vins Doux Naturels v. Ramel, Cour de cass. (Fr.), 22. Okt. 1970, 10 CMLRep. 315 (1971). 5 2 Ross, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 81 f. (1951) ; Jaenicke, Völkerrechts quellen, in Wörterbuch des Völkerrechts Bd. III, S. 767, 772 (1962) ; Parry, The Sources, S. 21 f., 109 f. ; Falk, On the Quasi-Legislative Competence of the General Assembly, 60 AJIL 782 (1966) ; Friedmann, General Course in Public International Law, 127 RC 39, 142 f. (1969, II) ; Falk, The Status of Law in International Society, S. 141 f. (1970) ; Castafieda, Legal Effects of United Nations Resolutions, S. 2 f. (1969) ; Ermacora, Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen (insbesondere im Rahmen der UN), 10 Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 51, 73 f. (1971) ; vgl. auch die Bemerkungen von Münch und Zemanek loc. cit., S. 200, 203 ; Inter nationales Symposium des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffent liches Recht und Völkerrecht, S. 446 (1972) ; Simma, Völkerrecht und Frie densforschung, 57 Die Friedenswarte 65, 75 (1974) ; Verzijl, International Law in Historical Perspective Bd. I, S. 74 (1968). 63 Siehe Kapitel III. A. 4. a) Anm. 276.
C. Akte internationaler Institutionen
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Rechtsquellentypen den Tatsachen oft nicht gerecht wird. Oft ist es unmöglich, eine konkrete Entscheidung, aber auch eine generell formu lierbare Norm, ausschließlich auf eine bestimmte Form der Rechtsent stehung zurückzuführen. Der Kommunikationsprozeß, welcher zu Rechtserwartungen und zu rechtskonformem Verhalten führt, spielt sich gleichzeitig in mehreren Formen ab, welche in einer Wechselwir kung zueinander stehen und oft nicht klar unterscheidbar sind54 • Sogar ein verhältnismäßig leicht charakterisierbar scheinender Rechtssatz wie eine Vertragsbestimmung steht von seiner Entstehung bis zu seiner Anwendung in ständiger Wechselwirkung mit anderen Typen des Völ kerrechts55 und kann ein Anwendungsorgan durch den gesamten Irrgar ten der Völkerrechtsquellen führen. Bei der konkreten Anwendung selbst, verschmelzen alle diese verschiedenen Quellen zu einer Ent scheidung. Dabei ist es auch durchaus möglich, daß von mehreren, auf die ver schiedenste Art und Weise zustandegekommenen Entscheidungsgrund lagen, jede für sich allein nicht autoritativ genug wäre um als Regel bezeichnet zu werden oder als eine ausreichende Basis für eine Ent scheidung zu dienen. In ihrem Zusammenwirken sind sie jedoch aus schlaggebend. Zum Beispiel hat die alte Regel, wonach Vorbehalte zu einem multilateralen Vertrag nur zulässig sind, wenn sie von allen anderen Vertragspartnern akzeptiert werden, heute ihre Gültigkeit so gut wie völlig verloren56. An dieser Entwicklung war ein Rechtsgut achten des Internationalen Gerichtshofs57, eine Resolution der General versammlung der Vereinten Nationen58 mit Instruktionen an den Ge neralsekretär in seiner Eigenschaft als Depositar internationaler Ver träge und mit Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, die Arbeiten in der International Law Commission59 und schließlich die zur Zeit der Niederschrift dieser Arbeit noch nicht in Kraft getretene Vertrags rechtskonvention60 maßgeblich beteiligt. Ein Entscheidungsorgan, wel ches die neue „flexible" Regelung über Vorbehalte ausschließlich auf eine der etablierten Kategorien des Art. 38 zurückführen wollte, dürfte 54 Vgl. Ross, Lehrbuch, S. 90; Falk, The Status, S. 142 f. ; Friedmann, The Changing Structure, S. 139 f. 55 Zum Zusammenspiel von Verträgen und Gewohnheitsrecht siehe insbes. Rozakis, Treaties and Third States : a Study in the Reinforcement of the Consensual Standards in International Law, 35 ZaöRV 1, 25 f. (1975). 5 8 Vgl. auch Jennings, Recent Developments in the International Law Commission : Its Relation to the Sources of International Law, 13 ICLQ 385, 391 (1964). 57 Reservation to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, ICJ Reports, S. 15 (1951). 58
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598 (IV) vom 12. Jan. 1952. Siehe die Hinweise bei Rosenne, The Law of Treaties, S. 182 f. (1970). Art. 19 - 23.
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Einleitung
auf einige Schwierigkeiten stoßen, eine plausible Begründung zu fin den. Anstatt einfach zu überprüfen, ob einzelne Regeln nachgewiesen wer den können, die einem bestimmten Rechtsquellentypus zuzuordnen sind, erscheint es sinnvoller, aus einer konkreten Entscheidungssitua tion das gesamte Spektrum internationaler Autorität zu untersuchen, welches für den besonderen Fall relevant ist. In dem wenig formalisier ten Kommunikationsprozeß des Völkerrechts können sich Rechtserwar tungen auf verschiedenartigste Weise bilden. Die traditionellen For men einer ausdrücklichen Willenseinigung durch Vertrag, sowie der Schaffung von Verhaltensmustern durch impliziertes Verhalten, also durch Praxis, sind zwei sehr wichtige und typische Methoden, um das Verhalten der Rechtsgenossen vorhersehbar zu machen. Seit der immer enger werdenden Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft mit der Hilfe internationaler Organe hat dieser Kommunikationsprozeß aber eine wesentliche Erweiterung erfahren. Es wäre abwegig, die in die ser Form erarbeiteten Ergebnisse deswegen a priori abzulehnen, weil sie nicht in ein traditionelles Rechtsquellenschema passen. Genauso verfehlt wäre es allerdings im Einzelfalle, derartige Gemeinschaftsakte losgelöst von den herkömmlichen Rechtsquellen sehen zu wollen. Ebenso wie die materiellen Bestimmungen des Völkerrechts, unter liegt auch die „Rechtsquellenverfassung" der internationalen Gemein schaft einem Wandel. Der Art. 38 darf daher nicht als versteinerte Verfassungsnorm des Völkerrechts gesehen werden, welche ein für allemal bestimmt, in welchen Formen Recht gesetzt und verändert werden kann, von dem also letztlich die Autorität der einzelnen Nor men herrührt. Er ist vielmehr als deskriptiver Katalog zu sehen, wel cher historisch leidlich zutreffend ist61 • Mit der Erweiterung der Kom munikationsmöglichkeiten, welche rechtserhebliche Erwartungen zwi schen den Rechtsgenossen schaffen, ist es angebracht, die einzelnen Punkte des Katalogs entweder flexibler und weiter zu verstehen oder neue Punkte hinzuzufügen. Einige Autoren haben den letzteren Weg gewählt und die Aufnahme einer neuen Kategorie „Akte internationaler Organisationen" in den internationalen Rechtsquellenkatalog verlangt62 • Für derartige Vor81 Dazu vgl. Parry, The Sources, S. 109 f. ; Tammes, Decisions of Inter national Organs, S. 270 f. 82 Dahm, Völkerrecht Bd. I, S. 19, 25 (1958) ; Hexner, Die Rechtsnatur der interpretativen Entscheidungen des Internationalen Währungsfonds, 20 ZaöRV 73, 81 (1 959) ; Kelsen, Principles of International Law, S. 506 f. (1967) ; Economides, Nature juridique des actes des organisations internationales et leurs effets en droit interne, 23 Revue Hellenique de Droit International 225, 228 (1970) ; Tammes, Decisions of International Organs, S. 269 f. ; Sku biszewski. A new '.Source, S. 520 ; ibid., Enactment, S. 245 m. w. H.
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schläge sprechen die Bedeutung internationaler Organe für die Rechts fortbildung sowie die Eigentümlkhkeiten des sozialen Prozesses, der die Willensbildung bei dieser Form internationaler Kommunikation bestimmt und sich in seiner Eigengesetzlichkeit ganz wesentlich von der absoluten und ausdrücklichen Selbstverpflichtung beim Abschluß von Verträgen oder von der, von vielen aleatorischen tagespolitischen Mo menten mitbestimmten, Entwicklung der Staatenpraxis unterscheidet. Gegen die Schaffung einer derartigen autonomen Kategorie spricht die Vielfältigkeit und Heterogenität dieser Akte, welche allgemeine Aus sagen über ihre Rechtserheblichkeit kaum zulassen und eine Bezeich nung als einheitliche Rechtsquelle wie Vertrag oder Gewohnheitsrecht problematisch erscheinen lassen63 • Als Alternative bietet sich eine flexible Erweiterung und Anpassung der traditionellen Rechtsquellenlehre an64 • Diese dürfte allerdings nicht in strengen Rechtsquellenkategorien operieren, sondern müßte viel mehr von der Erkenntnis ausgehen, daß die Rechtsfortbildung das Produkt eines Entscheidungsprozesses ist, der sich in den verschieden sten Formen vollziehen kann. Dabei ist es durchaus möglich, gewisse Formen typisierend zu charakterisieren und zu beschreiben, soferne eine solche Systematik ausreichend elastisch und anpassungsfähig bleibt, um auch neue Phänomene erfassen zu können. Eine Einteilung der Rechtsquellen wird erst dann problematisch, wenn sie erstarrt und exklusiv verstanden wird und neue Methoden der Schaffung von Rechtserwartungen mit den Maßstäben einer früheren Epoche interna tionaler Beziehung zu messen versucht. Weder die Lösung der neuen Rechtsquellenkategorie noch die einer Erweiterung und Anpassung der traditionellen Rechtsquellen an die derzeitigen Gegebenheiten kann als „richtig" oder „falsch" bezeichnet werden. Als wissenschaftliche Modelle sind beide Möglichkeiten akzep tabel und auf ihre Eignung zur Bewältigung bestimmter Probleme zu überprüfen. Eine undogmatische Betrachtungsweise dieser Frage wird zu der Erkenntnis kommen, daß es hier nicht um eine abstrakte We sensfrage des Völkerrechts geht, sondern daß sowohl das eine als auch das andere Denkmodell für verschiedene Aufgaben einer wissen schaftlichen Untersuchung, einer advokatorischen Anspruchsverfolgung oder einer Entscheidung sinnvoll sein kann. Letztlich scheint es wenig realistisch, ein Rechtssystem wie das Völkerrecht in einzelne Abschnitte einzuteilen, von welchen jeder 88 Vgl. auch Castaiieda, Legal Effects, S. 5 f.; Golsong, Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen (insbesondere im Rahmen der UN), 10 Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 1, 16 (1971). 84 Falk, The Status, S. 141 f.; Simma, Völkerrecht und Friedensforschung, S. 75 f. ; Hambro, Some Notes on the D�velopment of the Sources of Inter national Law, 17 Scandinavian Studies in Law 77, 83 f. (1973).
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Einleitung
einem bestimmten Rechtsquellentypus zuzurechnen ist. Mit Recht ist daher vorgebracht worden, daß die Rechtsquellen niemals erschöpfend aufgezählt65 und schon gar nicht durch einen Rechtssatz festgelegt wer den können66 • D. Probleme des Zusammenwirkens nationaler und internationaler Organe Die Teilbereiche des internationalen Entscheidungsprozesses, welche sich einerseits vor staatlichen Gerichten, andererseits vor internationa len Organen vollziehen, sind bezüglich primärer Aufgabenstellung, Tätigkeitsbereich, anwendbaren Rechts und anderer ihr Handeln be stimmender Kräfte weitgehend verschieden. Dennoch ergeben sich wichtige Berührungspunkte. Die Fragestellung der meisten Unter suchungen über das Zusammenwirken von staatlichen Gerichten und internationalen Entscheidungsträgern67 , insbesondere Gerichten und Schiedsgerichten, zeigt eine starke Beeinflussung durch die im staat lichen Recht vorgezeichneten Verfahren der Berufung oder Kassation68 • Das internationale Organ wird als eine Art höheren Gerichts verstan den, dem die Aufgabe zukommt, staatliche Gerichtsentscheidungen zu überprüfen. Die Aufmerksamkeit wird zuerst der Ausschöpfung des staatlichen Instanzenzugs zugewandt und dann den meist beschränkten Möglichkeiten einer Überprüfung der staatlichen Entscheidung durch ein internationales Organ. Zuletzt folgt die Erkenntnis, daß eine Auf hebung der staatlichen Entscheidung durch das internationale Organ in der Regel nicht erfolgen kann69 • Beziehungen zwischen staatlichen und internationalen Entscheidungs trägern sind aber durchaus wechselseitig. Den traditionellerweise mehr beachteten Konsequenzen der Tätigkeit staatlicher Organe für inter86 Fitzmaurice, Some Problems Regarding the Formal Sources of Inter national Law, in Symbolae Verzijl, S. 153, 161 (1958). 88 Ross, Lehrbuch, S. 81; vgl. auch Thirlway, International Customary Law and Codification, S. 36 f. (1972). 87 Eine frühe Arbeit ist Root, The Relations between International Tri bunals of Arbitration and the Jurisdiction of National Courts, 3 AJIL 529 (1909). 88 Simons, Verhältnis der nationalen Gerichtsbarkeit; Hallier, Völkerrecht liche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur inner staatlichen Gerichtsbarkeit (1962) ; Heise, Internationale Rechtspflege. 89 Simons, Verhältnis der nationalen Gerichtsbarkeit, S. 41; Hallier, Völ kerrechtliche Schiedsinstanzen, S. 99; Heise, Internationale Rechtspflege, S. 127 f., 145; vgl. auch Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts im inner staatlichen Recht, 6 Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 114 f. (1964) ; Vogler, Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Bedeutung für das deutsche Straf- und Verfahrensrecht, 82 Zeitschrift für die gesamte Straf rechtswissenschaft 743, 779 (1970).
D. Zusammenwirken nationaler und internationaler Organe
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nationale Entscheidungen, steht ein weitgehend unerforschtes Gebiet der Auswirkung internationaler Organakte auf die Entscheidungstä tigkeit staatlicher Rechtsanwendungsorgane gegenüber. Der ständig wachsende Aufgabenbereich internationaler Organe und das damit verbundene Vordringen ihrer Tätigkeit in unzählige Rechts bereiche hat es mit sich gebracht, daß staatliche Gerichte immer häufi ger in die Lage kommen internationale Organakte heranzuziehen. Dies gilt nicht nur für traditionell völkerrechtliche Bereiche, in denen eine Entscheidungstätigkeit internationaler Gerichte und Organisationen vermutet werden kann, sondern auch für zahlreiche andere Gebiete wie Grundrechtsschutz, Zivilluftfahrt, Wirtschaftsrecht und Gesund heitswesen. Die starke Erweiterung des Tätigkeitsbereichs internationaler Or gane war allerdings ein wenig einseitig. Zwar wurden ihnen immer neue Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse, meist aber nicht auch die Möglichkeiten für die effektive Durchsetzung ihrer Entscheidungen verliehen. Sie bleiben zur Durchführung der von ihnen beschlossenen Maßnahmen fast immer auf die Hilfe von Staatsorganen angewiesen. In gewissen Situationen spielen dabei auch die Gerichte eine entschei dende Rolle. Ihr Entscheidungsverhalten ist zwar oft auch vom Ein greifen anderer staatlicher Organe abhängig, doch macht ihre weitrei chende Tätigkeit bei der abschließenden und effektiven Entscheidung von Streitfällen sie geradezu zu einem Gradmesser für die Wirksam keit internationaler Organakte. Bei der Lösung der Rechtsfragen, die in diesem Zusammenhang auf treten, ist es wichtig, voreilige Analogien zu den staatlichen Rechts vorschriften, welche das Verhältnis verschiedener Staatsorgane zuein ander regeln, zu vermeiden. Die Prinzipien für das Zusammenwirken von Organen innerhalb einer Rechtsordnung, auch wenn sie von Staat zu Staat in relativer Gleichartigkeit auftreten und daher als allgemeine Rechtsgrundsätze bezeichnet werden mögen, können keineswegs kur zerhand auf das Zusammenwirken von Organen verschiedener Rechts ordnungen übertragen werden. Die Ablehnung radikal-dualistischer Vorstellungen darf nicht in eine monistische Verfahrenseuphorie um schlagen, nach welcher internationale Institutionen als Superstaats organe gesehen werden. Begriffe wie „Berufung", ,,res judicata", ,,Rechtskraft", ,,Inkrafttreten von Bestimmungen", ,,bindende Präze denzfälle" und dgl., so nützlich sie als Kurzbezeichnung für überaus vielschichtige aber weitgehend geklärte juristische Vorgänge in einer staatlichen Rechtsordnung sind, würden für die vorliegende Problem stellung nur Verwirrung stiften. Selbst etwas näherliegende Parallelen aus dem Kollisionsrecht sind nur bedingt und mit großer Vorsicht zu gebrauchen. Das Zusammen-
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Einleitung
spiel mehrerer staatlicher Rechtsordnungen mit vergleichbarer Organ struktur läßt sich nur schwer mit dem Verhältnis staatlicher Recht sprechungsorgane zu internationalen Gemeinschaftsorganen verglei chen. Aufgaben, Kompetenzen sowie Vorgangsweise einer internationa len Institution unterscheiden sich zumeist grundlegend von denen eines ausländischen Staates. Angesichts der Schwierigkeiten einer neuartigen Problematik darf eine gewisse Unsicherheit der Gerichte bei der Bewältigung derarti ger Fragen nicht verwundern. Häufig wird versucht, durch ambiva lente Sprache oder durch die Flucht in eine per analogiam herangezo gene vertrautere juristische Begriffswelt an diesen Schwierigkeiten vorbeizukommen. Es ist daher jeweils notwendig, neben dem verbalen Verhalten der Gerichte auch die rechtlich relevanten Fakten eines Falles, die dem Gericht offenstehenden Alternativen, sowie das tat sächliche Entscheidungsergebnis mit seinen Auswirkungen zu betrach ten. Dabei bietet das weitgehende Fehlen positivrechtlicher Bestim mungen über die Behandlung der Akte internationaler Institutionen in fast allen staatlichen Rechtsordnungen für eine vergleichende Unter suchung gewisse Vorteile. Die Wahrscheinlichkeit von durch staatliche Einzelregelungen bedingten Besonderheiten ist verhältnismäßig gering und beeinflußt das tatsächliche und verbale Verhalten der Gerichte weniger, als beispielsweise im völkerrechtlichen Vertrags- oder Ge wohnheitsrecht. Der Versuch, die übrigen gemeinsamen entscheidungs kausalen Elemente aufzuspüren, wird dadurch um einiges erleichtert. Die Systematik der vorliegenden Arbeit ist stark von den methodi schen Überlegungen geprägt, welche ihr zugrunde liegen. Zunächst werden in einem kurzen Abschnitt die wichtigsten grundsätzlichen rechtspolitischen Erwägungen dargestellt. Sodann ist es nötig zu unter suchen, zu welchem Zweck und auf welche Art Parteien vor staatlichen Gerichten versuchen, sich auf internationale Organakte zu stützen. Wie die späteren Abschnitte zeigen werden, hängt das Verhalten staatlicher Gerichte gegenüber internationalen Organakten ganz entscheidend da von ab, welches Ziel die Parteien mit ihrer Berufung auf die interna tionale Entscheidung verfolgen. Die Autorität oder Rechtserheblichkeit des internationalen Organ akts bildet den nächsten Fragenkomplex. Die für staatliche Gerichte dabei auftretenden Probleme können in einer verminderten Autorität oder fehlenden „Bindungswirkung" bestimmter internationaler Be schlüsse liegen, in Zweifeln an der Legalität internationaler Organ akte, oder schließlich im Fehlen eines unmittelbaren Anknüpfungs punktes zwischen der internationalen Entscheidung und dem Forum staat.
E. Rechtspolitische Erwägungen
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Besondere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Bindung des Ge richts an das Recht des Forumstaates. Die wichtigsten der dabei auf tretenden Fragen sind das Erfordernis eines ausdrücklichen staatli chen Anwendungsbefehls für den internationalen Organakt, seine rechtsgültige Publikation, sowie seine Konkurrenz mit materiellem staatlichem Recht. Die Parteien eines Verfahrens vor staatlichen Gerichten sind ein bekanntes völkerrechtliches Problem, das keineswegs auf das hier be handelte Thema beschränkt ist. Die prozessual privilegierte Stellung des Forumstaates, eines ausländischen Staates oder einer internationa len Organisation haben jedoch auch für die Behandlung internationa ler Organakte ganz besondere Folgen. Die Prozeßbeteiligung von Ein zelnen und Unternehmen wirft die Frage auf, inwieweit diese Perso nen sich auf internationale Entscheidungen berufen können oder unter welchen Umständen ihnen solche Entscheidungen entgegengehalten werden können. Es müssen aber auch entscheidungsbestimmende Momente behandelt werden, von denen man behaupten könnte, daß sie jenseits einer juri stischen Untersuchung in einem legalistischen Sinn liegen. Die einem Rechtsstreit zugrunde liegende Interessenlage spiegelt sich nicht selten schon im Streitgegenstand des Verfahrens. Dabei ist bei Fällen mit in ternationalen Elementen auch die Frage besonders wichtig, inwieweit sich das Gericht mit den Interessen des Forumstaates identifiziert und seine Entscheidung davon bestimmen läßt. Eine stärkere Berücksich tigung internationaler Gemeinschaftsinteressen wäre eine mögliche Alternative. Schließlich läßt sich beobachten, daß die Tätigkeit internationaler Organe schon vor der eigentlichen Beschlußfassung einen Einfluß auf staatliche Gerichte ausüben kann. Die bloße Möglichkeit einer bevor stehenden internationalen Entscheidung kann staatliche Gerichte dazu bewegen, den künftigen Organakt, meist durch eine abwartende Hal tung, zu berücksichtigen. In einem abschließenden Kapitel wird der Versuch einer Zusammen fassung im Lichte der rechtspolitischen Grundsätze gemacht. E. Rechtspolitische Erwägungen Es entspricht der Methode, welche für diese Arbeit gewählt wurde70 , juristische Überlegungen nicht frei von rechtspolitischen Wertungen anzustellen. Wissenschaftliche Arbeit darf sich nach der hier vertrete nen Ansicht nicht darauf beschränken, die denkmöglichen oder tat sächlich gewählten Lösungen zu beschreiben. Sie muß auch ausdrücklich 70 Vgl. oben I. A.
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Einleitung
für Lösungen eintreten, welche vorzuziehen sind und die Gründe für diese Präferenz angeben. Abgesehen von diesem grundsätzlichen An satzpunkt scheint gerade für das hier behandelte Thema die Einbe ziehung rechtspolitischer Erwägungen besonders wichtig. Die vorlie gende Untersuchung bewegt sich in einem Bereich, in dem relativ we nig positives Recht existiert. Geschriebene Normen fehlen weitgehend, die Praxis ist oft uneinheitlich und hat sich meist noch nicht zu Ge wohnheitsrecht verdichtet. Die Dispositionsfreiheit der Entscheidungs organe ist daher groß. Die in diesem Stadium der Rechtsentwicklung gefaßten Grundsatzentscheidungen sind für die weitere Entwicklung von ganz wesentlicher Bedeutung. Es gilt also, neben einer Beschrei bung des bisherigen Entscheidungsverhaltens und einer allfälligen Prognose für künftige Entscheidungen, auch noch den Versuch zu un ternehmen, einen Einfluß in Richtung auf die für besser gehaltenen Lösungen auszuüben. Allerdings bereitet die Formulierung eines rechtspolitischen Grund konzepts für das vorliegende Thema besondere Schwierigkeiten. Die vorwiegend verfahrensrechtlichen Probleme erscheinen bei oberfläch licher Betrachtung zunächst wertneutral und stehen oft nicht in einem vordergründigen Zusammenhang mit Fragen austeilender Gerechtig keit, welche eine Bewertung zuließen. Dabei ist aber stets zu beachten, daß prozessuale Regelungen im besonderen Anwendungsfall oft weit reichende materielle Konsequenzen haben. Für den Rechtsuchenden können gravierende verfahrensrechtliche Schwierigkeiten bei der Ver folgung gerechtfertigter Ansprüche unter Umständen zum völligen Rechtsverlust führen. Dem Individuum ist mit feierlichen Versicherun gen seiner Rechte durch internationale Organe nicht gedient, wenn keine geeigneten Verfahren zu ihrer Durchsetzung existieren. Bei der Überlegung, welche Interessen als schutzwürdig zu bezeich nen sind, müssen sowohl Gemeinschaftsinteressen als auch Individual interessen bedacht werden. In der Arbeit internationaler Organe stehen oft Gemeinschaftsinteressen im Vordergrund, wenngleich es in be stimmten Streitbeilegungsverfahren vorwiegend um Individualinter essen geht. In Verfahren vor staatlichen Gerichten ist das Begehren meist auf Durchsetzung von Individualinteressen gerichtet, dennoch können auch öffentliche Interessen eine Rolle spielen. Im Bereich der Gemeinschaftsinteressen erscheint die Forderung nach möglichster Effektivität der Entscheidungstätigkeit internationaler Or gane als rechtspolitischer Ausgangspunkt akzeptabel. Beim heutigen Stand internationaler Integration ist in den meisten Bereichen eine bessere Lösung grenzüberschreitender Sachprobleme mit Hilfe organi sierter Kooperation zu erwarten. Dennoch ist dieses Postulat nach einer möglichst wirkungsvollen Unterstützung internationaler Organtätigkeit
E. Rechtspolitische Erwägungen
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durch staatliche Gerichte mit gewissen Qualifikationen zu verstehen. Zunächst sind Aufgabenbereich und Zielsetzung des betreffenden inter nationalen Organs zu beachten. Die Tätigkeit einer internationalen Or ganisation, welche sich um die internationale Friedenssicherung be müht, wird höher zu bewerten sein als die einer Organisation, welche sich vor allem um die Preisbildung bestimmter Rohstoffe kümmert. In den meisten Fällen handelt es sich bei der Tätigkeit internationaler Or ganisationen allerdings um Sachprobleme, deren Wichtigkeit für die Gesamtheit der internationalen Gemeinschaft außer Zweifel steht, also etwa Menschenrechte, Sicherung der Zivilluftfahrt, Währungsfragen, andere wirtschaftliche Probleme usw. Neben der Aufgabenstellung des internationalen Organs ist auch der Inhalt einer besonderen internationalen Entscheidung zu beachten. Nicht jeder Entschluß eines internationalen Organs dient dem Organi sationszweck in gleichem Maße. Die bisweilen merkbare Tendenz einer Staatengruppe, welche über eine Stimmenmehrheit verfügt, ein inter nationales Entscheidungsorgan in den Dienst politischer Partikulär interessen zu stellen, könnte eine uneingeschränkte Forderung nach maximaler Effektivität internationaler Entscheidungen fragwürdig er scheinen lassen. Das grundsätzlich berechtigte Verlangen nach einer möglichst wirk samen Unterstützung der Tätigkeit internationaler Organe kann im Einzelfall auch durch eine Kollision mit anderen schutzwürdigen Inter essen in Frage gestellt sein. Im Bereiche der Tätigkeit internationaler Organe fehlen meist die im staatlichen Recht entwickelten Kontrollen hoheitlicher Tätigkeit und Garantien für den Individualrechtsschutz. Der Grund für diesen Mangel liegt, wenigstens teilweise, darin, daß heute die erwünschte Entwicklungstendenz meist in einer Erweiterung und nicht in einer Beschränkung der organisierten internationalen Zu sammenarbeit gesehen wird. Im Zuge einer intensiveren und komple xeren internationalen Entscheidungstätigkeit wird daher ein wirksame rer individueller Rechtsschutz gegenüber der Tätigkeit internationaler Organe notwendig werden. Neben diesen Überlegungen über materielle Aspekte gemeinschaft lichen Interesses an internationalen Organakten, sind auch gewisse formale, also vom Inhalt einer bestimmten Entscheidung unabhängige, Gesichtspunkte zu beachten. Die effektive Tätigkeit internationaler Organe, welche für den Bereich mehrerer oder vieler Staaten handeln, fördert die Einheitlichkeit und Voraussehbarkeit des Entscheidungs verhaltens auch staatlicher Organe im Tätigkeitsbereich des interna tionalen Organs. Auch aus der Perspektive der Rechtssicherheit spre chen also gewichtige Argumente für eine effektive Tätigkeit interna tionaler Organe.
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Einleitung
Dem gemeinschaftlichen Interesse an der Tätigkeit internationaler Organe und an ihrer Wirkung auf das Entscheidungsverhalten staat licher Gerichte stehen gewisse Individualinteressen gegenüber. Auch bei ihnen kann - je nach der Lage des Falles - das materielle oder das prozessuale Element überwiegen. Solche schutzwürdigen Indivi dualinteressen können dem gemeinschaftlichen Interesse an der Effek tivität internationaler Entscheidungen entsprechen, können ihm zuwi derlaufen oder von ihm unabhängig sein. Vor allem im Bereiche der Menschenrechte71 oder Grundrechte er geben sich bisweilen wichtige Berührungspunkte. Da die Förderung des Menschenrechtsschutzes selbst einen wichtigen Bereich internationaler Organtätigkeit darstellt, entspricht die rechtspolitische Forderung nach einem möglichst wirksamen Individualrechtsschutz oft gerade dem In halt der in Frage stehenden internationalen Organentscheidung. In anderen Fällen kann das Verlangen nach möglichst weitgehender Ach tung von Menschenrechten der Tendenz des internationalen Organ aktes aber auch zuwiderlaufen. Das Interesse an der möglichst effi zienten Lösung gemeinschaftlicher wirtschaftlicher Probleme etwa, kann auf Kosten von Individualrechten erkauft werden. Da, wie be reits erwähnt, ein institutionalisierter Individualrechtsschutz im Tätig keitsbereich internationaler Organisationen nur in Ausnahmefällen be steht, kann einem staatlichen Gericht als Ausführungsorgan unter Um ständen eine wichtige Funktion bei der Wahrung individueller Rechte zukommen. Die Forderung nach einer Haltung staatlicher Gerichte, welche die Wirksamkeit von Beschlüssen internationaler Organe mög lichst fördert, ist also unter dem Vorbehalt eines wirksamen Men schenrechtsschutzes zu verstehen. Im Bereich des Vermögensschutzes ergeben sich aus der Tätigkeit internationaler Organe bisweilen wichtige schutzwürdige Individual interessen. Internationale Wirtschaftstransaktionen sind oft auf die Entscheidungstätigkeit internationaler Streitbeilegungsorgane ange wiesen. Für den internationalen Investitionsschutz können internatio nale Organe sowohl als Entscheidungsorgane in einem besonderen Streitfall als auch bei der Formulierung allgemeiner Regeln eine wich tige Rolle spielen. Die Respektierung solcher internationaler Entschei dungen in Vermögenssachen ist ein wichtiger Faktor zur Risikominde rung im internationalen Wirtschaftsverkehr. Durch eine Förderung der Stabilität im internationalen Handel werden aber nicht nur die ge schäftlichen Interessen der unmittelbar beteiligten Unternehmen ge71 Der in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff der Menschenrechte ist nicht auf den Inhalt bestimmter internationaler Dokumente beschränkt, son dern umfaßt sämtliche Aspekte des Individualrechtsschutzes, gegenüber ho heitlicher Tätigkeit.
E. Rechtspolitische Erwägungen
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wahrt, sondern wird auch das wirtschaftliche Wohl breiterer Personen kreise gefördert. Schließlich sind auch im Bereiche der Individualinteressen gewisse grundsätzliche prozessuale Interessen zu berücksichtigen. Trotz der im mer größer werdenden Bedeutung nichtstaatlicher Akteure im inter nationalen Verkehr, ist Einzelnen und Unternehmen auch heute noch der Zutritt zu einer großen Zahl internationaler Fora verwehrt. Dieser Umstand wird verstärkt durch eine Tendenz staatlicher Gerichte, in Streitfällen mit internationalen Bezugspunkten die Parteienlegitima tion eng auszulegen oder aus anderen formalen Gründen eine Entschei dung in der Hauptsache zu verweigern. Die dadurch auftretende Rechts schutzlücke kann den Beteiligten, unabhängig von der materiellrecht lichen Situation, erhebliche Nachteile bringen. Es erscheint daher rechts politisch wichtig, ein staatliches Gerichtsverfahren nicht bloß deshalb von vornherein abzuschneiden, weil ein formaler internationaler An knüpfungspunkt, wie ein Akt eines internationalen Organs, existiert. Der Ausschluß des Rechtsuchenden von einem Verfahren ohne Über prüfung der Meriten seines Falles aus rein formalen Gründen muß in der Mehrzahl der Fälle zu willkürlichen Ergebnissen führen. Soferne die Anrufung eines staatlichen Gerichts nicht offenbar mißbräuchlich erfolgt, also etwa zur Vermeidung des an sich zuständigen Entschei dungsorgans, ist ein geordnetes Verfahren vorzuziehen, in welchem überprüft wird, ob die behaupteten und auf den internationalen Or ganakt gegründeten Rechte tatsächlich bestehen. Unter dem Gesichtspunkt einer Wertmaximierung für alle Rechtsge nossen läßt sich also zusammenfassend für unseren Problemkreis fol gende Liste rechtspolitischer Forderungen aufstellen: 1. Grundsätzlich ist bei der Behandlung von Akten internationaler Or gane ein Entscheidungsverhalten vorzuziehen, welches zu ihrer Effektivität beiträgt. Dabei sind sowohl der materielle Inhalt des internationalen Organaktes als auch Gesichtspunkte der allgemei nen Rechtssicherheit zu berücksichtigen. 2. Bei der Entscheidungsfindung ist stets die Beachtung der in den einschlägigen internationalen und nationalen Dokumenten formu lierten Menschenrechte im Auge zu behalten. Im Konfliktsfalle ist dem Gesichtspunkte der Menschenrechte der Vorzug zu geben. 3. Von zuständigen internationalen Organen ordnungsgemäß getrof fene abschließende Dispositionen in Vermögenssachen sind zu re spektieren und nach Möglichkeit in effektive Kontrolle über die in Frage stehenden Vermögenswerte umzusetzen. 4. Im Zweifel ist dem Rechtsuchenden nicht der Zutritt zum staatlichen Gerichtsverfahren aus formalen Gründen zu verweigern.
II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt Bevor auf die verschiedenen Rechtsfragen eingegangen werden kann, die sich aus der Art der Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte ergeben, muß untersucht werden, auf welche Weise die Ansprüche der Parteien in staatlichen Gerichtsverfahren mit inter nationalen Organakten in Beziehung gebracht werden. Die Berufung einer Partei auf einen internationalen Akt und die Beschäftigung des Gerichts damit können völlig unterschiedlichen Zwecken dienen. Es wäre daher wenig zielführend, wollte man sich gleich der Frage einer allfälligen „bindenden Wirkung" des internationalen Aktes auf das staatliche Gericht zuwenden, ohne sich zuvor Gedanken gemacht zu ha ben, welches konkrete Begehren, in Bezug auf diesen Akt, an das Ge richt gestellt wird. Eine Betrachtung der Praxis zeigt, daß die tatsäch liche Behandlung eines Aktes, dem bestimmte rechtliche Wirkungen zugeschrieben werden, oft genug davon abhängt, zu welchem Zwecke er im Verfahren vorgebracht wurde. In diesem Abschnitt sollen daher zunächst die wesentlichsten Arten der Berufung auf internationale Organakte, sowie die für das Gericht möglichen Lösungen aufgezeigt werden. Die Bedeutung einer auf eine bestimmte juristische Argumentation aufgebauten Entscheidung wird oft klarer erkennbar, wenn man sich zunächst die dem Entscheidungs organ zur Verfügung stehenden Alternativen und die tatsächlichen Konsequenzen einer gewählten Lösung vor Augen hält. Die Überprü fung der Entscheidungsgründe auf ihre juristische Stichhaltigkeit wird aus einer solchen funktionellen Perspektive nicht selten eine neue Dimension erhalten. Drei typische Arten der Berufung auf internationale Organakte tre ten im Fallmaterial zutage : 1 . Das Ziel einer Partei kann darin liegen, eine für sie günstige inter nationale Entscheidung mit Hilfe des staatlichen Gerichts durchzuset zen, oder aber eine ihr nachteilig scheinende Entscheidung zu be kämpfen. Gerade bei den hier auftretenden Fragen ist es wichtig, die funktionelle Bedeutung der vom staatlichen Gericht getroffenen Ent scheidung zu ergründen und sich nicht mit der Betrachtung der forma len Lösung juristischer Probleme zu begnügen. Oft genug kann eine mit einer engen Begründung gegebene Entscheidung weitreichende Folgen
A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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für Durchführung oder Vereitelung des internationalen Organaktes haben. Im besonderen Maße gilt dies auch für Gerichte, die sich wei gern, die ihnen vorgelegten Fragen überhaupt ;zu entscheiden. 2. In anderen Fällen ist der Gegenstand der internationalen Entschei� dung nicht mit dem des staatlichen Verfahrens identisch. Der staatliche Richter muß sich j edoch mit international bedeutsamen Fakten be schäftigen, über die das internationale Entscheidungsorgan bereits be funden hat. Der internationale Organakt kann dann eine Antwort auf eine Vorfrage, wie etwa den Status eines Territoriums, bieten. 3. Eine Berufung auf eine internationale Entscheidung als „Präze denzfall" dient nicht der Anwendung der Sachentscheidung auf den Streitfall vor dem staatlichen Gericht, sondern der analogen Anwen dung der Entscheidungsgrundlage. A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
1. Arten der Durchsetzung Der allgemeine und problemlose Zugang zu staatlichen Gerichten, sowie das meist berechtigte Vertrauen in die effektive Durchführung ihrer Entscheidungen, läßt sie in vielen Fällen als geeignete Organe für die Rechtsverfolgung erscheinen. Dies selbst dann, wenn tatsächliche oder vermeintliche Rechtsansprüche nicht dem örtlichen Zivilrecht ent springen, sondern internationalen Ursprungs sind. Das gilt auch für Entscheidungen internationaler Organe, aus denen eine Streitpartei Rechte beanspruchen zu können glaubt. Die Modalitäten einer solchen Durchsetzung können relativ problem los sein, wenn der internationale Akt, ähnlich einem staatlichen Ge richtsurteil, eine konkrete Zahlungsverpflichtung einer Partei an die andere ausspricht. In einem solchen Fall wird das staatliche Gericht aufgefordert, die internationale, meist in gerichtlicher oder schieds gerichtlicher Form zustandegekommene, Entscheidung mit seiner Zwangsgewalt durchzusetzen, also gewissermaßen als Exekutionsge richt zu fungieren. Tatsächlich haben staatliche Gerichte diese Funktion auch in einer Reihe von Fällen übernommen. Schuldner aus interna tionalen Konzessionsverträgen oder ähnlichen Rechtsverhältnissen mit Staatsbeteiligung, deren Verbindlichkeiten durch internationale Schiedsgerichte festgestellt worden waren, sind wiederholt durch staat liche Gerichte zur Erfüllung dieser Schiedssprüche gezwungen worden1 • 1 Siehe z. B. Myrtoon Steamship Co. cf Agent judiciaire du Tresor, Cour d'appel de Paris, 10. Apr. 1957, 85 Clunet 1003 (1958), 24 ILR 205 (1957) ; Galakis cf Tresor public, Cour de cassation (Fr.), 2. Mai 1966 in Bestätigung einer Entscheidung der Cour d'appel de Paris vom 21. Feb. 1961, 90 Clunet
4 Schreuer
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
Die internationale Entscheidung, deren Durchsetzung oder Verwirk lichung gefordert wird, kann auch andere Rechte als solche auf Geld leistung berühren. Entscheidungen . politischer Organe können die Grundlage von Individualansprüchen sein, deren Durchsetzung durch staatliche Gerichte möglich ist2 • Typisch dafür sind Versuche, die Exe kutive des Forumstaates zu einem Verhalten zu zwingen, welches Sanktionsbeschlüssen des Sicherheitsrats entspricht3 • Die Mithilfe staatlicher Gerichte bei der Durchsetzung der Be schlüsse internationaler Institutionen kann aber auch indirekt erfol gen. Oft liegt es gar nicht in der Jurisdiktion des Gerichts, die inter nationale Entscheidung unmittelbar und in ihrem vollen Inhalte an zuwenden oder durchzusetzen. Im Zusammenhang mit Versuchen in ternationaler Organe, wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen, sind Vorschläge aufgetaucht, sich der Mithilfe staatlicher Gerichte zu ihrer Durchsetzung in einer anderen Weise zu bedienen. So ist angeregt wor den, den Beschlüssen der Vereinten Nationen sowohl bezüglich Nami bias als auch Rhodesiens durch die Beschlagnahme aus diesen Gebieten exportierter Wirtschaftsgüter Nachdruck zu verleihen4 • In beiden Fäl len sollten die zur Ausübung der Hoheitsgewalt legitimierten Völker rechtssubjekte - die Vereinten Nationen im Falle Namibias und das Vereinigte Königreich im Falle Rhodesiens - Eigentumsrechte an den Ausfuhrgütern geltend machen. Bei der Geltendmachung dieser Eigen tumsansprüche vor staatlichen Gerichten sollten die einschlägigen Be schlüsse der UN-Organe als Rechtsgrundlage dienen und durch die Wirkung auf die Exportwirtschaft des „rebellierenden" Staates, bzw. Territoriums, Effektivität erhalten. Eine indirekte Form der Durchsetzung kann auch in der Nichtaner kennung von Rechtsgeschäften5 oder ausländischen Rechtsvorschriften6 bestehen, welche Beschlüssen internationaler Organe widersprechen. 156 (1963), 93 Clunet 648 (1966), 41 ILR 452 ; N. V. Cabolent v. National Iranian Oil Co., Berufungsgericht Den Haag, 28. Nov. 1968, 9 ILM 152 (1970) ; Ministre de l'Economie et des Finances c/ Sieur Canino, Conseil d'Etat (Fr.), 29. Nov.
1974, 102 Clunet 294 (1975). 2 Musulman c/ Banque Nationale de Grece, Präsident des Zivilgerichts von Saloniki, 1937, 65 Clunet 908 (1938). In diesem Falle ging es um die staatliche Anerkennung der Staatsbürgerschaft des Anspruchswerbers, welche von einer internationalen Kommission festgestellt worden war. 3 Vgl. dazu die Fälle unten V. A. 2. 4 E. Lauterpacht, Implementation of Decisions of International Organiza tions through National Courts, in Schwebe! (Hrsg.), The Effectiveness of International Decisions 57 (1971) ; Sagay, The Right of the United Nations to bring Actions in Municipal Courts in Order to Claim Title to Namibian (South West African) Products Exported Abroad, 66 AJIL 600 (1972). Siehe auch das Decree des United Nations Council for Namibia for the Protection of the Natural Resources of Namibia ; dazu unten S. 258.
A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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Der Übergang von der Durchsetzung zu Vorfragenprüfung kann flie ßend sein in Fällen, in denen die internationale Entscheidung nicht eine konkrete Maßnahme darstellt, sondern in die Form abstrakter Regeln gefaßt ist. In einem weiteren Sinne sind alle jene staatlichen Gerichtsurteile als Durchsetzung internationaler Organakte zu verste hen, die in Entsprechung oder Anwendung generell abstrakter Ver haltensregeln gefällt werden, welche von internationalen Organen herrühren. Jede Berücksichtigung solcher internationaler Verhaltens standards, mögen sie als verbindlich oder unverbindlich angesehen werden, dient letztlich dazu, dem internationalen Organakt Effektivi tät zu verleihen, ihn also durchzusetzen. Tatsächlich haben staatliche Gerichte in einer Vielzahl von Fällen etwa die allgemeinen Bestimmungen von Resolutionen der General versammlung der Vereinten Nationen7 , der vom Generalsekretär erlas senen staff-rules8, von Reglements der Internationalen Zivilluftfahrts organisation9 , und der Weltgesundheitsorganisation10 , des vom Rate der OEEC beschlossenen Liberalisierungskodex1 1 , von EFTA-Ratsbeschlüs sen1 2 , von Interpretationsbeschlüssen des Internationalen Währungs fonds 1 3, von Entscheidungen der zuständigen Organe der Europäischen Gemeinschaften14 und anderer Beschlüsse internationaler Institutionen, im Einzelfall durchgesetzt. In all diesen Fällen waren staatliche Ge richte ein notwendiges Instrument, um den Entscheidungen der inter nationalen Organe letztlich effektive Geltung zu verschaffen. 2. Arten der Uberprüfung
Das Begehren einer Partei, welches die Entscheidung unmittelbar betrifft, muß nicht auf die Durchsetzung des internationalen Organ aktes gerichtet sein, sondern kann auch auf das Gegenteil, nämlich seine Bekämpfung, abzielen. Bei der Betrachtung einer derartigen 5 Vgl. die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 1972, BGHZ 59, 83 sowie die Anmerkungen von Bleckmann in 34 ZaöRV 112 (1974). 6 Dazu unten IV.E.4.b) bb). 7 Dazu unten III.A.4. 8 Keeney v. U. S., Court of Appeals Dist. of Columbia, 26. Aug. 1954, 218 F.2d 843, 20 ILR 382 (1953). 9 Dazu unten III.A.3. 10 D ame Maury et Pivert cf Ministere public, Cour d'appel de Paris, 18. Nov. 1967, 95 Clunet 728 (1968). 11 Hurwits v. State of the Netherlands, Bezirksgericht Den Haag, 12. Juni 1958, 6 NTIR 195 (1959). tt österr. VerfGH, 6. Juni 1969, Slg. 5935. 13 Dazu unten III.A.2. 1 4 Dazu unten S. 201. 4•
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
Überprüfung einer internationalen Entscheidung durch ein staatliches Rechtsanwendungsorgan, ist es besonders wichtig, nicht mit formalen Kategorien des staatlichen Prozeßrechts zu arbeiten. Von einer Aufhe bung, Kassation, Nichtigerklärung oder Abänderung im herkömmlichen Sinne kann hier meist nicht die Rede sein 15 • Staatliche Gerichte setzen sich nur verhältnismäßig selten mit der Frage der Gültigkeit interna tionaler Urteile und Schiedssprüche und der Rechtmäßigkeit von Ent scheidungen politischer internationaler Organe auseinander 16 • Eine funktionelle Betrachtungsweise der dem staatlichen Gericht offenstehenden Möglichkeiten, mit internationalen Organakten zu ver fahren, läßt die Frage nach der Zuständigkeit eines staatlichen Gerich tes, solche Akte zu überprüfen und allenfalls „aufzuheben", sowie die Zulässigkeit derartigen Vorgehens, allerdings in einem veränderten Licht erscheinen. Die Feststellung des Ständigen Internationalen Ge richtshofs im Chorzow Factory Fall 1 7 , Urteile staatlicher Gerichte könn ten ein Urteil eines internationalen Gerichts nicht aufheben1 8, kann kaum einem Zweifel unterliegen 1 9 • Aus der Perspektive der Möglich keiten, die Folgen einer internationalen Entscheidung zu vereiteln, die dem staatlichen Gericht zur Verfügung stehen, kommt einer derarti gen Fragestellung aber nur beschränkte Bedeutung zu. Die Möglichkeiten einer Bekämpfung und Überprüfung sind bedeu tend weiter als eine formalistische Betrachtung der Jurisdiktion staat licher Gerichte vermuten ließe. Einern staatlichen Gericht steht eine ganze Reihe von Wegen offen, welche im Ergebnis einer materiellen Revision der internationalen Entscheidung gleichkommen. Eine noch recht deutlich erkennbare Form indirekter Anfechtung be steht darin, entweder einen an der Errichtung des internationalen Or gans beteiligten Staat20 oder die Mitglieder des Organs, von welchem 15 Siehe jedoch vereinzelte Fälle in denen sich staatliche Gerichte gegen über internationalen Schiedssprüchen wie Berufungs- oder Kassations gerichte gebärdeten : Republic of Colombia v. Cauca Co., 190 U. S. 524 (1903) ; National Iranian Oil Co. v. Sapphire International Petroleums Ltd., Bezirks gericht Teheran, 1. Dez. 1963, 9 ILM 1 1 18 (1970). 16 Dazu unten III. A. 1. a) und III. B. 17 PCIJ Ser. A, No. 17. 1 8 Auf S. 33. 19 Das Fehlen eines derartigen unmittelbaren Rechts, über die Gültigkeit der internationalen Entscheidung zu verfügen, ist nicht notwendigerweise die Folge einer Höherrangigkeit oder besonderen Beständigkeit auf Grund des internationalen Ursprungs der Entscheidung. Die zumeist fehlende sach liche Zuständigkeit für die formelle Überprüfung und allfällige Vernichtung eines nicht der örtlichen Rechtsordnung entstammenden Aktes, ist ein all gemeines kollisionsrechtliches Phänomen, welches nicht nur bei der Behand lung von internationalen, sondern auch von ausländischen Entscheidungen auftritt.
A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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die Entscheidung herrührt, persönlich für etwaige nachteilige Folgen verantwortlich zu machen. Ein derartiger Versuch wird allerdings meist schon an der Frage der entsprechenden Immunitäten scheitern. In Aus nahmefällen kann er jedoch zum Erfolg führen. Im Falle X. v. Y. and the Greek State 21 vor dem Athener Berufungsgericht fühlte sich der Kläger durch eine Entscheidung der Griechisch-Bulgarischen Gemisch ten Auswanderungskommission belastet. Seine Schadenersatzklage richtete sich sowohl gegen ein Mitglied der Kommission, als auch gegen den griechischen Staat. Die Klage gegen den griechischen Staat wurde zwar abgewiesen, gegenüber dem Mitglied der Kommission wurde ihr aber stattgegeben. Das Gericht meinte, die Entscheidungen der Kom mission seien zwar endgültig und daher unüberprüfbar, eine Schadens ersatzklage wegen ihrer materiellen Unrichtigkeit aber deshalb nicht ausgeschlossen. Da der Vertrag, welcher die Kommission errichtet hatte, keine Immunitäten für die Mitglieder vorgesehen hatte, wurde eine Immunitätseinrede abgewiesen. Einen ähnlichen Versuch, eine Entscheidung der Europäischen Men schenrechtskommission zu bekämpfen, zeigt der englische Fall Zoernsch v. Waldock and Another22 • Hier fand der Court of Appeal allerdings wenig Schwierigkeit, eine Schadensersatzklage abzuweisen, die ge gen den Vorsitzenden und den Sekretär wegen „negligence and corrup tion" erhoben worden war. Die den Mitgliedern der Kommission und den Bediensteten des Europarats eingeräumte Immunität machte die Klage unmöglich. Im Falle des Erstbeklagten wurde festgestellt, diese Immunität gelte auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Kommission. Eine andere Möglichkeit, eine internationale Entscheidung zu be kämpfen, kann darin bestehen, ihre Ausführung nach dem staatlichen Recht des Forumstaats für unmöglich erklären zu lassen. Zwar bleibt in diesem Falle der internationale Organakt formell unangetastet, je doch kann seine Wirksamkeit völlig vereitelt werden. Typischer Fall ist die Behauptung, die Durchführung sei wegen Verfassungswidrigkeit unmöglich23 • 20 Vgl. Comptoir Agricole du Pays Bas Normand, Tribunal administratif Caen, 4. Feb. 1969, 16 AFDI 919 (1970), Conseil d'Etat, 5. Nov. 1971, 17 AFDI 25 (1971). In diesem Falle versuchte der Antragsteller vergeblich eine EWG Verordnung durch eine Klage gegen die französische Regierung zu be kämpfen. 2 1 1934, 7 AD 387 (1933 - 34). 22 Court of Appeal, 24. März 1964, (1964] 2 All E. R. 256, [1964] 1 WLR 675, 8 BILC 837, 41 ILR 438, 40 BYIL 372 (1964), 93 Clunet 905 (1966). 23 Maghanb hai IS'hwarbhai Patel and Others v. Union of India, 9 IJIL 234 (1969) ; Lake Ontario Land Development and Beach Protection Association Inc. v. Federal Power Commission, Court of Appeals, Dist. of Columbia, 29. Jan. 1954, 48 AJIL 498 (1954) ; dazu auch unten IV. E. 2. a).
II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
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Die Befassung des staatlichen Gerichts muß aber keineswegs in erster Linie der Bekämpfung des internationalen Organakts dienen. In der Mehrzahl der Fälle ergibt sich die Überprüfung sozusagen als Begleit erscheinung in einem Verfahren zur Durchsetzung, oft auf das Betrei ben der Partei, gegen welche die internationale Entscheidung ins Tref fen geführt wurde. Jede Ausführung oder Durchsetzung einer eigenen oder fremden Entscheidung beinhaltet ein Element der Überprüfung24 • Ein Organ, welches zur Durchsetzung aufgefordert wird, muß zunächst feststellen, ob die Entscheidung überhaupt durchsetzbar ist und ob ge wisse formelle Voraussetzungen vorliegen. So muß insbesondere ge prüft werden, ob es sich um eine gültige Entscheidung handelt und ob die Partei, welche die Durchsetzung begehrt, gegenüber der anderen Partei berechtigt ist. Es ist ferner zu prüfen, ob dem Begehren auf Vollstreckung hinsichtlich Vollstreckungsart, Zeit und Organe zu ent sprechen ist. Bedeutend schwieriger ist allerdings oft die Frage, ob der sachliche Inhalt der Entscheidung ihre Durchsetzung rechtfertigt. Das Resultat dieser Überprüfung kann in der Durchsetzung, einer Verwei gerung der Durchsetzung oder einer Durchsetzung in veränderter Form bestehen. Staatliche Verfahrensordnungen haben detaillierte Verfahren für die Entscheidungsüberprüfung entwickelt. Organe und Gründe für die Überprüfung sind meist genauestens vorgeschrieben. überdies besteht eine starke Tendenz, getrennte Verfahren für die meritorische Über prüfung einerseits und für die Überprüfung der Vollstreckungsvoraus setzungen andererseits vorzusehen. Im Völkerrecht besteht in den mei sten Fällen nicht nur ein Mangel an Möglichkeiten meritorischer Über prüfung internationaler Entscheidungen, sondern auch an effektiven und geordneten Verfahren für ihre Durchsetzung. Dies führt dazu, daß sich staatliche Gerichte bei der Ausführung internationaler Organakte unter Umständen aufgefordert sehen, alle diese Funktionen der Über prüfung wahrzunehmen. Die Praxis zeigt, daß die Gründe für die Verweigerung der Durch führung einer internationalen Entscheidung überaus vielfältig sein können. Neben den im staatlichen Verfahrensrecht bekannten Hinder nissen für die Durchsetzung von Entscheidungen, wie etwa die fehlende örtliche oder sachliche Zuständigkeit des Gerichts, birgt die internatio nale Natur des durchzusetzenden Aktes eine Fülle weiterer Gefahren für dessen effektive Anwendung durch staatliche Gerichte: Zweifel an der bindenden Wirkung des internationalen Aktes können das Gericht dazu bewegen, ihn zu verwerfen25 • Das Fehlen einer formellen Über24
2s
Reisman, Nullity and Revision, S. 163. Dazu unten III.
A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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nahme in die Rechtsordnung des Forumstaates kann zu einer Weige rung führen, die internationale Entscheidung zu beachten26 • Eine Kol lision mit dem Recht des Forumstaates kann zu Ungunsten des inter nationalen Organaktes entschieden werden2 7 • Das Fehlen eines inter nationalen Anknüpfungspunktes, welcher die Zuständigkeit des staat lichen Gerichtes begründen würde, kann zur Verweigerung der Durch setzung führen28 • Immunitäten des Beklagten, sei es der Forumstaat29, ein ausländischer Staat30 oder eine internationale Institution31 bzw. deren Beamten, können ein Durchsetzungsverfahren unmöglich ma chen. Die Verneinung subjektiver Rechte aus einer internationalen Entscheidung, an deren Zustandekommen der Kläger nicht beteiligt war, kann zur Abweisung der Klage führen32 • Die mangelnde inhalt liche Bestimmtheit des internationalen Organaktes kann das Gericht dazu bewegen, seine Anwendung zu verweigern33 • In all diesen Fällen kann von einer Überprüfung oder meritori schen Revision im formellen Sinne nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die verschiedenen Gründe für die Abweisung des Begehrens auf Durch setzung scheinen es dem Gericht gar nicht zu erlauben, sich mit der Entscheidung des internationalen Organs selbst, mit ihrer Gültigkeit, Richtigkeit oder Billigkeit auseinanderzusetzen. Dennoch zeigt eine an der realen Wirkung einer derartigen Durchsetzungsverweigerung orientierte Betrachtungsweise, daß ihr Effekt im Falle des Fehlens er folgversprechender anderer Durchsetzungsmöglichkeiten einem Aufhe bungsbeschluß oder einer Nichtigerklärung sehr nahekommen kann. Daran ändert auch die formelle juristische Unversehrtheit der ihrer Effektivität beraubten Entscheidung nur wenig. Der durch die Ineffek tivität des internationalen Aktes bedingte Gesichtsverlust des Ur sprungsorgans kann überdies, unter Umständen, nachteilige Wirkungen gen über den konkreten Fall hinaus hervorrufen. Eine Untersuchung dieser Formen indirekter Revision wird durch die Tatsache erschwert, daß die Begründung, welche ein Gericht in einem gegebenen Falle einer Entscheidung unterlegt, nicht immer sei nen tatsächlichen Motiven entsprechen muß. So kann eine auf verfah rensrechtlichen Gründen aufgebaute Weigerung, eine internationale Entscheidung durchzusetzen, ihren wahren Grund in der negativen Dazu unten IV. C. Dazu unten IV. E. 2. b). 28 Dazu unten III.C. 29 Dazu unten V.A. 30 Dazu unten V.B. 3 1 Dazu unten V.C. s2 Dazu unten V. D. 33 Dazu unten IV.B.3. 28
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
Beurteilung ihres meritorischen Gehalts haben. Gerade im Fall von internationalen Organakten ist das Ausweichen in formale Gründe für die Verweigerung der Durchsetzung oft die einzige Möglichkeit, eine mißbilligte Entscheidung zu bekämpfen oder Konsequenzen aus ihr zu verhindern. Andererseits kann das Bestreben, die internationale Entscheidung in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens zu eliminieren, auch einer Unsicherheit und Abneigung gegenüber ihrem internationalen Charakter entspringen. Die Festlegung zulässiger und wünschenswerter Grenzen für eine überprüfende Funktion staatlicher Gerichte bei der Durchsetzung in ternationaler Organakte ist nicht leicht. Es ist unmöglich, die Nachprü fung gewisser elementarer Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf Gültigkeit des Aktes, Parteienlegitimation und dergleichen auszu schließen. Eine weitgespannte, wenn auch indirekte Überprüfung der in dem internationalen Organakt entschiedenen Sachfragen erscheint dagegen bedenklich. Ein derartiges Vorgehen würde ein unerträg liches Maß von Unsicherheit in dem der internationalen Institution zu gewiesenen Aufgabenbereich hervorrufen. Eine internationale Ent scheidung rechtsprechender oder „politischer" Natur, welche der Nach prüfung durch ein Organ eines möglicherweise betroffenen oder inter essierten Staates unterläge, verlöre wesentlich an Wert. Die Tren nungslinie zwischen der notwendigen Feststellung der Voraussetzungen für die Durchsetzung und einer verschleierten meritorischen Revision ist allerdings oft schwer zu ziehen. Deshalb ist es bei der Beurteilung eines konkreten Falles nicht nur nötig, die Stichhaltigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden juristischen Begründung zu überprüfen, sondern an Hand der Interessenlage die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidungen und eine allenfalls nicht offengelegte Motivation zu untersuchen. Dieser Gesichtspunkt ist auch bei den in späteren Ab schnitten folgenden Betrachtungen über die einzelnen Anlässe für die Nichtbeachtung internationaler Organakte stets im Auge zu behalten. Die gewollte oder ungewollte Wirkung derartiger Hindernisse für die Durchsetzung auf das tatsächliche Schicksal der internationalen Ent scheidung fordert eine rigorose Überprüfung ihrer Stichhaltigkeit. 3. Die „Nichtentscheidung" als Sachentscheidung
Die oben angestellten Betrachtungen enthielten bereits Hinweise auf die Tatsache, daß die für eine Entscheidung gegebene Begründung ihren tatsächlichen Konsequenzen nicht immer gerecht wird. Ein besonders typisches Beispiel für diese Erscheinung ist die sogenannte Nichtent scheidung, also eine Erklärung des Entscheidungsorgans, aus irgend einem Grunde keine Verfügung in der Sache selbst treffen zu können
A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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oder zu wollen34 • Tatsächlich stellen derartige Nichtentscheidungen selbstverständlich eine Art der meritorischen Entscheidung dar. Sobald ein Forum formell angerufen ist, kommt es zu einer Verfügung, auch wenn sie in die Form einer Zurückweisung des Begehrens a limine ge kleidet ist. Das Begehren ist damit vor diesem Entscheidungsorgan ge scheitert. Eine Zurückversetzung des Rechtsstreits in den status quo ante ist nicht mehr möglich. Reisman beschreibt dieses Phänomen fol gendermaßen: From the standpoint of scholarly appraisal and evaluation of authoritative decision, it is crucial to assimilate nondecisions to the general category of positive decisions and to examine the real social and political consequences which they precipitate. Nondecisions cannot be dismissed as cases in which courts simply refused to exercise their mandate and which, hence, are not part of the legal order . . . In the final analysis, nondecision is simply a variant form of judgment redaction, a form which generates some problems, but which, in appropriate circumstances, is legitimate35 • Derartige „Entscheidungen, welche sich weigern zu entscheiden", sind keineswegs auf den internationalen Bereich beschränkt. Sie treten al lerdings gerade bei der Befassung staatlicher Gerichte mit internatio nalen Fragen besonders häufig auf. Die Scheu der Gerichte, in Fragen mit außenpolitischen Dimensionen einzutreten, hat zu einer Reihe von Formeln und Doktrinen, wie etwa die der „political questions" geführt, auf die sich die Gerichte bei der Verweigerung einer Sachentscheidung berufen3 6 • Nicht selten dienen den Gerichten auch formale Begründun gen aus dem örtlichen staatlichen Recht, um eine Entscheidung in der Hauptsache zu vermeiden. Für den Bereich internationaler Organakte genügt bisweilen der Hinweis auf ihren internationalen Ursprung um die Weigerung des Gerichts sich weiter mit der Sache zu befassen zu rechtfertigen. Cha rakteristisch für diese Entscheidungstechnik ist eine Gruppe von Ur teilen amerikanischer Gerichte nach dem Zweiten Weltkrieg: Beru fungen gegen Urteile amerikanischer Militärgerichte in den besetzten Feindstaaten wurden zurückgewiesen, da diese Gerichte im Namen der Alliierten errichtet worden waren und solcherart als internationale Gerichte zu betrachten seien3 7 • In ähnlicher Weise weigerte sich das Bundesv�rfassungsgericht, Entscheidungen des Obersten RückerstatZu dieser Frage siehe insbes. Reisman, Nullity and Revision, S. 625 f. Reisman, Nullity and Revision, S. 634. as Dazu unten VI. B. 1. 3 7 Flick v. Johnson, Court of Appeals, D. C., 11. Mai 1949, 174 F. 2d 983, 44 AJIL 187 (1950), 73 - 76 Clunet 145 (1946 - 49) ; Hirota v. MacArthur, Supreme Court, 20. Dez. 1948, 338 U. S. 197, 15 AD 485 (1948). Siehe auch die Liste von Fällen in 15 AD 490 (1948). Siehe jedoch Eisentrager et al. v. Forrestal, Court of Appeals, D. C., 15. Apr. 1949, 174 F. 2d 961, 44 AJIL 185 (1950) aufgehoben vom Supreme Court am 5. Juni 1950, 339 U. S. 763, 44 AJIL 773 (1950). 34
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
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tungsgerichts zu überprüfen, da dieses durch völkerrechtlichen Ver trag errichtet worden war38 • In zahlreichen Fällen weigerten sich staat liche Gerichte, Verfügungen internationaler Institutionen gegenüber ihren Angestellten zu überprüfen39, selbst dann, wenn das Begehren nicht gegen die Institution selbst gerichtet war40 • In anderen Fällen wurde die Verweigerung der Sachentscheidung nicht mit einem Ausschluß der staatlichen Gerichtsbarkeit an sich, son dern mit der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts begründet: Eine Sonderzuständigkeit des Obersten Gerichtshofs von Uruguay für Streitigkeiten, an denen Diplomaten beteiligt sind, wurde eng ausge legt und so die Klage eines internationalen Beamten zurückgewiesen41 • Der französische Conseil d'Etat weigerte sich nicht nur, eine Kontroll funktion über Entscheidungen der Internationalen Donaukommission auszuüben42 , sondern auch über Akte der Organe des von Frankreich und Großbritannien gemeinsam ausgeübten Kondominiums über die neuen Hebriden43 sowie eines Organs der französischen Mandatsver waltung44 , da diese nicht „actes d'une autorite administrative fran�aise" seien. In einem Verfahren, welches Bautätigkeit im Namen der OECD betraf, wurde die Unzuständigkeit der ordentlichen französischen Ge richte damit begründet, daß es sich um „travaux publics" im Sinne des französischen Rechts handle45 • Der belgische Conseil d'Etat weigerte sich, Entscheidungen des Delegierten des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge zu überprüfen, welche dieser in Ausübung einer ihm vom belgischen Außenminister übertragenen Befugnis gefällt hatte. Der Delegierte war, so wurde festgestellt, kein „Verwaltungsorgan" im Sinne des Gesetzes über den Conseil d'Etat4 6 • Amerikanische Gerichte wiederum pflegen sich oft auf die „doctrine of political questions" 6. Nov. 1956, BVerfGE 6, 15, 12 JZ 55 (1957), 52 AJIL 354 (1 958). z. B. : Dame Klarsfeld cf Office franco-allemand pour la jeunesse, Cour de Paris, 18. Juni 1968, 15 AFDI 865 (1969). 40 z. B. Sieur Weiss, Conseil d ' Etat (Fr.), 20. Feb. 1953, 81 Clunet 745 (1954). 4 1 J. C. Meira Coelho c. Asociacion latinoamericana de libre comercio, 29. Dez. 1965, 94 Clunet 972 (1967). 42 Cosmetto, 19. Jan. 1927, Rec. 54, zit. n. Ruzie, Le juge francais, S. 104. 43 Syndicat independant des fonctionnaires du condominium des Nouvelles Hebrides, 2. Dez. 1 970, 75 RGDIP 560 (1971). 44 Baladi, 8. Jan. 1959, Rec. 17. 4 5 Ste Dumont et Besson et Ste Dumez cf Association de la Muette et autres, Cour de cassation, 22. Juli 1968, 15 AFDI 864 (1969). Vgl. auch Procu reur General of the Court of Cassation v. Syndicate of Co-Owners of the Alfred Dehodencq Property Company, Cour de cassation, 6. Juli 1954, 21 ILR 279 (1954) . Zum Begriff der ,trauvaux publics' siehe insbes. Fischer, Die inter nationale Konzession, S. 17 f. m. w. H. (1974). 4 6 Kare-Merat et Kabozo c. Etat belge, min. de la Justice de delegue du Haut Commissariat pour les refugies, 25. Sept. 1970, 8 RBDI 675, 687 (1972). 38
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A. Durchsetzung oder Überprüfung des internationalen Aktes
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zurückzuziehen, sobald es um die Auswirkungen internationaler Ent scheidungen geht47 • Wenn auch die Details juristischer Argumentation von den Gegeben heiten der örtlichen Rechtsordnung bestimmt sind, so ist doch die Ent scheidungstechnik in allen diesen Beispielen grundsätzlich die gleiche. Sobald ein internationaler Organakt im Verfahren eine entscheidende Rolle spielt, wird die Klage zurückgewiesen und der Anspruch sclieitert. Sofern die Klage auf die meritorische Überprüfung des internationa len Aktes zum Zwecke seiner Bekämpfung gerichtet ist, führt ein der artiges Vorgehen, aus der Perspektive der rechtspolitischen Forderung nach möglichster Effektivität internationaler Entscheidungen, meist zu begrüßenwerten Ergebnissen. Als einer bewußten prozeßökonomi schen Technik der Aufrechterhaltung des internationalen Aktes kann einer solchen Form der Entscheidung höchstens der Vorwurf der man gelnden Klarheit gemacht werden. Allerdings muß bedacht werden, daß sich mit der Änderung des Be gehrens auch die Auswirkung der „Nichtentscheidung" sofort ändert. Sofern die Berufung auf die internationale Entscheidung nicht ihrer Bekämpfung, sondern ihrer Durchsetzung dienen soll, ist die praktische Wirkung dieses Entscheidungsverhaltens genau umgekehrt. Das Er gebnis der „Nichtentscheidung" hängt also auch von der Art des Klage begehrens ab. Die Klage, wie immer sie auch lauten mag, ist in jedem Falle zum Scheitern verurteilt. Das kann anhand zweier französischer Fallbeispiele gezeigt werden: Beide betrafen Entscheidungen gemischter Schiedsgerichte, welche durch die Pariser Vororteverträge errichtet worden waren. Im einen war der Antragsteller von dem internationalen Organ verurteilt wor den. Er versuchte seine Zahlungsverpflichtung vor den ordentlichen französischen Gerichten und vor dem Conseil d'Etat zu bekämpfen48 • Im anderen Falle versuchte der Kläger, einen ihm in der internationa len Entsclieidung zugesprochenen Anspruch zu verfolgen49 • In beiden Fällen wurde das Begehren unter Hinweis auf den internationalen Charakter der Sachentscheidung zurückgewiesen. Der Revisionsan spruch scheiterte ebenso, wie der Anspruch auf Durchsetzung. 47 The Brig „General Armstrong", Court of Claims, 17. März 1856 u. 1. Feb. 1858, Moore, International Arbitration Digest Bd. II, S. 1 102 ; Z & F Assets Reatization Corporation et at. v. HuU et ai., Supreme Court, 6. Jan. 1941, 311 U. S. 470 ; Diggs v. Dent, Dist. Ct. D. C., 13. Mai 1975, 14 ILM 797 (1975). 48 Ste Bouvraie-Anjou c/ Office des biens et interets prives, Cour d'appel d'Angers, 17. Mai 1938, 66 Clunet 640 (1939) ; Conseil d'Etat, 26. Okt. 1938, Rec. 795, Kiss Bd. 5, No. 75. 49 Re Reifünger, Conseil d'Etat, 10. März 1933, Sirey 1933, III, 93, 7 AD 489 (1933 - 34).
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
Eine generelle und undifferenzierte Anwendung der Entscheidungs verweigerung in Fällen, in welchen Akte internationaler Institutionen eine Rolle spielen, führt also zu aleatorischen und meist nicht von sach lichen Überlegungen beherrschten Ergebnissen. Das Schicksal der inter nationalen Entscheidung hängt dann von der Art des darauf gestützten Anspruchs ab. Die Folge einer konsequenten Anwendung dieser rein passiven Entscheidungspolitik wäre daher nicht nur eine Ausschaltung der Aktivitäten staatlicher Gerichte soweit sie die Wirksamkeit inter nationaler Organe bedrohen, sondern auch soweit sie ihrer Durchset zung und Verwirklichung dienen. B. Der internationale Akt zur Beantwortung einer Vorfrage Die Wirkungen einer Entscheidung erschöpfen sich nicht immer in den Dispositionen zwischen den Streitparteien, sondern können weitere Konsequenzen für die Zukunft haben. In späteren Fällen kann über Bestehen oder rechtliche Beurteilung derselben Fakten zu entscheiden sein, obwohl in diesen Fällen die Begehren anderer Streitparteien auf andere Ziele gerichtet sind. Das Entscheidungsorgan, welches inziden ter Fakten zu beurteilen hat, über welche schon von einem anderen Entscheidungsorgan befunden worden ist, kann sich bei der Beant wortung der Vorfrage nach der früheren Entscheidung richten. Die Erstentscheidung determiniert dann weitere Entscheidungen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit ihr stehen, auch wenn Klage begehren und Parteien verschieden sind. Für die Auswirkungen internationaler Organtätigkeit auf Verfah ren vor staatlichen Gerichten kommen zwei Arten der Vorfragenent scheidung in Frage. Einmal dann, wenn das internationale Organ über die völkerrechtliche Beurteilung einer bestimmten Situation oder Sach frage entschieden hat, welche auch im staatlichen Gerichtsverfahren bedeutsam ist. Zum anderen, wenn das internationale Organ über ge wisse Fakten Auskunft gibt, welche auch vor einem staatlichen Gericht eine Rolle spielen können. 1. Völkerrechtliche Vorfragen
Typische und häufigste Form der internationalen Vorfragenentschei dung sind internationale Entscheidungen über Territorialfragen. Ter ritorialentscheidungen internationaler Organe können für eine ganze Reihe von Fragen bedeutsam werden, welche vor staatlichen Gerichten auftreten. Dazu gehört etwa die örtliche Zuständigkeit staatlicher Or gane einschließlich des entscheidenden Gerichts selbst50 , die Staatsbür gerschaft von Bewohnern eines Gebiets51 , das anwendbare Recht für
B. Der internationale Akt zur Beantwortung einer Vorfrage
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Streitigkeiten welche einen Anknüpfungspunkt zu diesem Gebiet ha ben52 und andere Rechtsfragen53 • In all diesen Fällen muß sich das staat liche Gericht mit der internationalen Territorialentscheidung und sei ner rechtlichen Autorität auseinandersetzen. Ein gutes Beispiel bietet ein Fall vor dem Obersten Gerichtshof Nor wegens54. In einem Verfahren zur Bestrafung eines britischen Fischers, der vor der norwegischen Küste betreten worden war, erhob sich die Frage nach der Legalität der von Norwegen beanspruchten Fischerei zone. Der Oberste Gerichtshof verwarf die Berufung des Angeklagten und stützte sich dabei auch auf das kurz zuvor ergangene Urteil des Internationalen Gerichtshofs, welches die Rechtmäßigkeit der norwe gischen Fischereigrenze bestätigt hatte. Ähnlich ist die Lage, wenn sich die internationale Entscheidung nicht mit der Zugehörigkeit eines Territoriums, sondern nur mit einzelnen staatlichen Jurisdiktionsansprüchen befaßt hat. Marokkanische Ge richtsentscheidungen, in der Folge des Urteils des Internationalen Ge richtshofs über die Rechte amerikanischer Staatsangehöriger in Ma rokko 55, veranschaulichen diese Situation. Das Urteil des IGH hatte unter anderem festgestellt, daß die amerikanische Konsulargerichtsbar keit in Marokko im wesentlichen nur für Streitigkeiten zwischen ame rikanischen Staatsangehörigen zuständig sei und die Kompetenz der 50 Y. v. Public Prosecutor, Bezirksgericht Breda, 11. Feb. u. 20. März 1957, 7 NTIR 282 (1960) ; Attorney-General of Israel v. El- Turani, Bezirksgericht Haifa, 21. Aug. 1951, bestätigt vom Obersten Gerichtshof Israels am 31. Dez. 1952, 18 ILR 164 (1951) ; dazu auch unten IV. E. 4. a). 51 In re Krüger, Netherlands Council for the Restoration of Legal Rights (Judicial Division), 13. Sept. 1951, 18 ILR 258 (1951). 52 Willis v. First Real Estate and Investment Co. et al., U. S. Ct. of App., 5th Cir., 24. Jan. 1934, 68 F. 2d 671, 11 AD 94 (1919 - 42), dazu auch unten IV. E. 4. b) ; siehe auch die Entscheidung der französischen Cour de cassation in De Bodinat v. Administration de l'Enregistrement, 3. Juli 1939, 11 AD 52 (1919 - 42). In diesem Falle wurde für die Beurteilung der Frage ob franzö sische Steuergesetzgebung in Kamerun anwendbar sei die ,Resolution' des Völkerbundrats herangezogen, welche das französische Mandat über dieses Territorium begründet und umschrieben hatte. Allerdings wäre diese ,Reso lution' wohl besser als Vereinbarung mit dem französischen Staat zu werten gewesen. 53 U. S. v. Vargas, 29. Jan. 1974, U. S. Dist. Ct. D. Puerto Rico, 370 F. Supp. 908. In diesem Fall mußte das Gericht in einem Strafverfahren gegen einen Puerto Ricaner wegen Verletzung der Wehrpflicht feststellen, ob Puerto Rico „besetztes Territorium" sei. Es stützte sich dabei auf mehrere Resolutio nen der UN Generalversammlung. 54 Rex v. Cooper, 24. Okt. 1953, 20 ILR 166 (1953), 82 Clunet 451 (1955) ; vgl. auch Rex v. Martin vor dem norwegischen Obersten Gerichtshof, 12. Feb. 1953, 20 ILR 167 (1953). In diesem Falle zog der Verurteilte seine Berufung zurück soweit sie sich auf die Völkerrechtswidrigkeit der norwegischen Fischereigrenze berief, sobald der IGH sein Urteil in dieser Frage zugunsten Norwegens gefällt hatte. 55 ICJ Reports 1952, S. 176.
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
ordentlichen Gerichte daher auch nur in diesem Ausmaß eingeschränkt sei. Marokkanische Gerichte stützten sich bei Entscheidungen über die Vorfrage ihrer Zuständigkeit auf dieses Urteil des IGH und wiesen Un zuständigkeitseinreden jenseits der vom IGH gezogenen Grenzen für die Jurisdiktion der Konsulargerichte zurück56 • Diese Fälle zeigen auch das Ineinandergreifen von Durchsetzung und Vorfragenentscheidung recht deutlich. Während aus der Perspek tive des staatlichen Gerichts die internationale Entscheidung nur die Antwort auf die Vorfrage der Zuständigkeit bot, war die Wahrnehmung dieser Zuständigkeit gleichzeitig eine faktische Durchsetzungsmaß nahme für die internationale Entscheidung. Fragen staatlicher Jurisdiktion über ein bestimmtes Territorium sind jedoch keineswegs die einzigen völkerrechtlichen Vorfragen, auf wel che staatliche Gerichte Antworten in der Entscheidungstätigkeit inter nationaler Organe finden können. Andere Beispiele, welche sich aus der Praxis ergeben, betreffen etwa die Legalität von Enteignungs maßnahmen57 , den Anspruch eines staatlichen Unternehmens auf Im munität von der ausländischen Gerichtsbarkeit58 , die Beurteilung einer nichtanerkannten revolutionären Regierung59 oder die Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts für die Aburteilung eines völkerrechtswidrig festgenommenen Angeklagten60 • 2. Tatsacllenfeststellung Akte internationaler Organe können auch bei der Beantwortung von Vorfragen eine Rolle spielen, die in der Klärung rein faktischer Um stände bestehen. Besonders wichtig ist dabei die Zuhilfenahme der Ergebnisse einer Untersuchungstätigkeit, die durch internationale Or gane ausgeübt wird. In gewisser Weise erfolgt dies auch dann, wenn 56
Ministere public cf Mohamed Ben DjilaHi Ben Abdelkader, ,,Teignor",
Tribunal criminel de Casablanca, 6. Nov. 1952, 80 Clunet 666 (1953) ; Admi nistration des Habous cf Deal, Cour d'appel de Rabat, 12. Nov. 1952, 19 ILR 342 (1952), 42 RCDIP 154 (1953); vgl. auch das Urteil der französischen Cour de cassation in Re Bendayan, 4. März 1954, 49 AJIL 267 (1955). 57 Anglo-Iranian Oil Co. v. S. U. P. 0. R., Zivilgericht Rom, 13. Sept. 1954, 22 ILR 23 (1955) ; Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisha, Bezirksgericht Tokyo, 27. Mai 1953, 20 ILR 305, 309 (1953), 1 JapAIL 55 (1957). 58 In re Investigation of World Arrangements with Relation to . . . Petro leum, U. S. Dist. Ct. D. C., 15. Dez. 1952, 19 ILR 197, 200 (1952). Das Gericht stützte sich hier allerdings in offenkundiger Unkenntnis der Tatsachen auf das Parteienvorbringen vor dem Internationalen Gerichtshof und nicht auf das Urteil des IGH, in welchem eben dieses Vorbringen entschieden zurück gewiesen worden war: ICJ Reports 1952, S. 111 f. 59 U. S. S. R. v. Luxembourg and Saar Company, 2. März 19'35, 32 RCDIP 489 (1937), 8 AD 114 (1935 - 37). 60 Eichmann, Bezirksgericht Jerusalem, 12. Dez. 1961, 36 ILR 5, 57 f.
B. Der internationale Akt zur Beantwortung einer Vorfrage
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das staatliche Gericht die Entscheidung eines internationalen Organs zu völkerrechtlichen Vorfragen übernimmt, da dieser Entscheidung stets eine Tatsachenermittlung zugrunde liegt. Andererseits kann auch die Tatsachenfeststellung allein in einem späteren staatlichen Gerichts verfahren übernommen ,werden. Die Fallpraxis zu dieser Frage ist zur Zeit noch dürftig. Immerhin liefert die Entscheidung eines US-Militärgerichts nach dem Zweiten Weltkrieg ein Beispiel61 • Die Angeklagten wurden in diesem Fall von Verbrechen gegen den Frieden freigesprochen, da sich das Gericht an eine Feststellung des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg gebunden fühlte. Dieser hatte ermittelt, daß die verbrecherische Ver schwörung, einen aggressiven Krieg zu führen, von Hitler formuliert und von ihm nur einigen seiner führenden Männer in vier Geheim konferenzen mitgeteilt worden sei, an welchen die Angeklagten nicht teilgenommen hatten. Aber auch ohne eine konkrete Entscheidungstätigkeit eines interna tionalen Organs kann eine bloße Tatsachenfeststellung erfolgen. Die im internationalen Verkehr oft schwierige Ermittlung der rein faktischen Umstände einer bestimmten Situation, macht bisweilen die Einschal tung reiner „fact-finding"-Organe notwendig. Der Wert der so getrof fenen Feststellungen kann, unter dem Vorbehalt der Objektivität und Gründlichkeit der Untersuchung62 , auch für die Tatsachenfeststellung durch staatliche Gerichte bedeutsam sein. Schließlich kann der Akt eines internationalen Organs auch selbst als relevante Tatsache behandelt werden, an welche das staatliche Recht bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Ein typisches Beispiel dafür ist eine britische Entscheidung63 , in der die allgemein bekannte Befassung des Internationalen Gerichtshofs mit der Enteignung der Erdölfirmen im Iran als Beweismittel für die mangelnde Gutgläubigkeit des Käu fers von enteignetem Erdöl gewertet wurde. 61 In re Krupp and Others, 30. Juni 1948, 15 AD 620 (1948). Vgl. auch In re Dame Pecheral, Cour de Paris, 17. Juli 1948, 15 AD 289 (1948). In diesem Fall
wurde die Beglaubigung von Personaldaten durch die IRO als autoritativ erklärt. 62 Zu diesem Problem siehe den kritischen Kommentar zur Tätigkeit des U. N. Kornmittees zur Untersuchung israelischer Praktiken in den besetzten Gebieten in 15 HarvILJ 470 (1974). 63 Anglo-Iranian Oil Co. v. Jaffrate (The Rose Mary), Supreme Court of Aden, 9. Jan. 1953, [1953] 1 WLR 246, 20 ILR 316 (1953). Vgl. auch ein Er kenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 10. Okt. 1969, Slg. 6052 auf S. 690 f., in dem ein Regionalplan der Internationalen Zivilluft fahrtorganisation als Beweis für das vom österreichischen Luftfahrtgesetz in § 71 Abs. 1 geforderte öffentliche Interesse für die Erweiterung des Salz burger Flughafens gewertet wird. Siehe auch Ste Dumont et Besson et Ste Dumez c/ Association de la Muette et autres, Cour de cassation (Fr.),
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
Besondere Probleme sind in diesem Zusammenhang aufgetreten, wenn staatliche Gerichte vor die Frage gestellt wurden, ob internatio nale Zwangsmaßnahmen oder friedenserhaltende Einsätze internatio naler Organisationen als „Krieg" im Sinne verschiedener staatlicher Be stimmungen zu qualifizieren seien. Die Vorfrage nach dem Bestehen eines Kriegszustandes im Falle bewaffneter UN-Einsätze spielte im Zusammenhang mit dem Haftungsausschluß bei Lebensversicherungen von Angehörigen von UN-Truppen eine Rolle64 , bei der Bemessung der Schutzfrist von Patenten65 , für die Beurteilung „aufrührerischer Aktivi täten" von Journalisten66 , sowie für die Verfolgung von Wehrdienst verweigerern aus Gewissensgründen67 • 3. Vorfragenentscheidung und Effektivität des internationalen Organaktes
Vom Standpunkt der Effektivität einer internationalen Entscheidung ist die Frage, ob sie von staatlichen Gerichten zur Beurteilung von Vorfragen herangezogen wird, meist nur von zweitrangiger Bedeu tung. Anders als bei Verfahren, in welchen es um Durchsetzung oder Vereitelung geht, wird das juristische wie tatsächliche Schicksal der internationalen Entscheidung bei der Benützung zur Vorfragenbeurtei lung meist nicht unmittelbar berührt. Dennoch ist der Einfluß, den ein internationaler Organakt auch in Nebengebieten seines Anwendungs bereichs hat, nicht zu unterschätzen. Langfristig hat auch eine Viel zahl staatlicher Gerichtsurteile, welche etwa eine internationale Dispo sition über ein Territorium berücksichtigen, einen Einfluß auf die Wirk samkeit der internationalen Entscheidung. 22. Juli 1968, 15 AFDI 864 (1969). In diesem Falle ging es um die Frage ob Bautätigkeit einer internationalen Organisation „travaux publics" seien mit der Folge, daß die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen ist. Das Kassationsgericht bejahte die Frage. 6 4 Beley v. Pennsylvania Mutual Life Insurance Co., Pennsylvania Supr. et., 14. Feb. 1953, 373 Pa. 231 (1953), 2 IeLQ 316 (1953) ; Harding v. Pennsyl vania Mutual Life Insurance Co., Pennsylvania Supr. et., 14. Feb. 1953, 373 Pa. 270 (1953), 2 IeLQ 316 (1953) ; Weissman v. Metropolitan Life Insrurance Co., U. S. Dist. et. S. Dist. ealif., 20. Mai 1953, 112 F. Supp. 420, 2 IeLQ 650 (1953) ; Western Reserve Life Insurance Co. v. Meadows, Supr. et. Texas, 7. Okt. 1953, 3 IeLQ 168 (1954). 65 In re Al-Fin Corporation's Patent, ehancery Div., 2. Apr. 1969, [1969] 2 WLR 1405, 64 AJIL 709 (1970). 68 Burns v. The King, New South Wales Quarter Sessions Appeal et., 6. Apr. 1951, 20 ILR 596 (1953). 87 X. v. Minister of Defence, administrative decision of the erown, 26. Juni 1968, 2 NYIL 246 (1971). Diese Entscheidung wurde nicht von einem Gericht im eigentlichen Sinne gefällt, gehört aber sachlich in diesen Zusam menhang.
C. Präzedenzwirkung internationaler Entscheidungen
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überdies kann jede Äußerung auch nur indirekter Auswirkungen der internationalen Entscheidung als Anzeichen für ihre Effektivität ge wertet werden und damit ihre weitere Bedeutung beeinflussen. Im ge genwärtigen, vielfach noch prekären Entwicklungsstadium organisier ter internationaler Autorität, kann das Bewußtsein einer Einflußnahme internationaler Institutionen an sich schon bedeutsam sein. Eine Nicht beachtung der Tätigkeit internationaler Organe bei der Beurteilung von Fragen, mit denen auch sie sich beschäftigt haben, wird dazu ange tan sein, eine pessimistische Betrachtungsweise dieser Tätigkeit zu för dern. C. Die Heranziehung der internationalen Entscheidung zur Lösung analoger Rechtsfragen
Eine weitere Art der Berufung auf den internationalen Organakt be steht schließlich darin, zu versuchen ihn als „Präzedenzfall" für eine ähnliche Rechtsfrage heranzuziehen. Bei dieser Art der Berufung auf die internationale Entscheidung sind, ebenso wie bei der Heranziehung zur Vorfragenbeurteilung, Parteien und Begehren im staatlichen Verfahren meist verschieden von der internationalen Entscheidung. überdies fehlt aber auch noch die Identität konkreter Sachfragen im staatlichen und im internationalen Verfahren. Die Gemeinsamkeit be steht lediglich in der Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit abstrakter Rechtsfragen. Die Anlehnung an frühere Entscheidungstätigkeit in ähnlich gela gerten Fällen ist ein weit verbreitetes Phänomen in fast jedem geord neten Entscheidungsprozeß und keineswegs auf den Bereich dieser Un tersuchung beschränkt. Allerdings sind die Möglichkeiten für eine be wußt einheitliche und kontinuierliche Entscheidungstätigkeit unter schiedlich. Gerichte zeigen eine besondere Vorliebe dafür, sich auf frü here gerichtliche Entscheidungen zu stützen. Dies liegt nicht nur an der relativ großen Bedeutung, die ihrer Tätigkeit beigemessen wird und an dem hohen Grad der Publizität dieser Tätigkeit, sondern vor allem auch an der relativ leichteren Überschaubarkeit der Motive. Die ge ordnete Darlegung der Entscheidungsgründe, welche als ein allgemei nes Erfordernis gerichtlicher Tätigkeit betrachtet wird68 , sowie die meist leichte Zugänglichkeit früherer Entscheidungen, sind wichtige Voraus setzungen für ihre Heranziehung zur Entscheidung in ähnlich gelager ten Fällen. Auch unter den internationalen Organakten, bieten sich vor allem gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen als Leitlinien für 68 Siehe dazu insbes. die Beiträge in Die Entscheidungsbegründung in euro päischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, Sprung u. König (Hrsg.), (1974).
5 Schreuer
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II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
die Entscheidungstätigkeit staatlicher Gerichte im internationalen Be reich an. Das soll nun keineswegs heißen, daß die Tätigkeit anderer als rechtsprechender internationaler Organe nicht auch eine Präzedenzwir kung für den Bereich staatlicher Rechtsanwendungsorgane entfalten könnte89 • Die leichtere Überschaubarkeit und Zugänglichkeit des Fall materials, sowie eine vermeintliche oder tatsächliche leichtere Tren nung zwischen rechtlichen und anderen Beweggründen, haben Par teien und Gerichte jedoch fast immer dazu bewogen, sich bei der Suche nach Vorentscheidungen an der Praxis der Organe der internationalen Gerichtsbarkeit oder Schiedsgerichtsbarkeit zu orientieren. In diesem Zusammenhang sind Überlegungen, ob bei der Beurteilung internationaler „Präzedenzfälle" mehr dem kontinental-europäischen oder dem anglo-amerikanischen Modell zu folgen ist, eher spekulativ und von untergeordneter praktischer Bedeutung. Zwar stehen die bei den Systeme bei der Behandlung früherer Gerichtsentscheidungen im theoretischen Ansatz in krassem Gegensatz. Nach herkömmlicher Lehre ist im angelsächsischen Recht das Verhalten des Richters durch binden de Präzedenzfälle bestimmt. Der Richter in den kontinentaleuro päischen Rechtsordnungen ist dagegen lediglich an den Buchstaben des Gesetzes und nicht an frühere Entscheidungen gebunden. Eine Be trachtung des tatsächlichen Entscheidungsverhaltens zeigt aber starke Ähnlichkeiten zwischen den Gerichten beider Rechtssysteme. Ein Stu dium einzelner Rechtsfragen des Common-Law zeigt bald den beträcht lichen Spielraum, der den Richtern im Rahmen der Präzedenzfälle bleibt und die Anpassungsfähigkeit, mit welcher sie ihn auszunützen wissen. Die Techniken des ,distinguishing', ,overruling' und der flexib len Auslegung der ratio decidendi haben es den Gerichten fast immer ermöglicht, ein angemessenes Mittelmaß zwischen Kontinuität und Flexibilität zu finden70 • Insbesondere die Gerichte der Vereinigten Staaten, allen voran der Supreme Court, haben sich nicht gescheut, ihre Rechtsprechung den veränderten sozialen Umständen anzupassen. Auch in England gibt es aber Anzeichen dafür, daß die Politik des un bedingten Festhaltens an Vorentscheidungen, wie sie sich im letzten Jahrhundert gezeigt hatte7 1 , eine Abschwächung erfahren hat72 • 89 Vgl. Sehachter, The Quasi-Judicial Röle of the Security Council and the General Assembly, 58 AJIL 960, 964 (1964). 70 Eine eingehende Analyse dieser ,precedent techniques' findet sich insbes. bei Llewellyn, The Common Law Tradition, Deciding Appeals, S. 77 f. (1960). Vgl. auch Allen, Law in the Making, S. 275 f. (1958). 71 In Beamish v. Beamish (1861), 9 H. L. C. 274 und in London Street Tramways v. London County Council [1898] A. C. 375 legte sich das House of Lords auf eine Politik des strikten Festhaltens an eigenen Vorentscheidungen fest. Vgl. auch Allen, Law in the Making, S. 228. 72 In einem ,Practice Statement' aus dem Jahre 1966 erklärte das House of Lords, es würde unter bestimmten Umständen „depart from a previous
C. Präzedenzwirkung internationaler Entscheidungen
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Andererseits zeigt auch ein Blick auf die kontinentaleuropäische Rechtspflege eine stark ausgeprägte Tendenz der Anlehnung an eige ne bzw. höchstgerichtliche Spruchpraxis73 • Die theoretisch unverbind liche Natur dieser Praxis ist oft alles, was sie von ihrem Gegenstück im Common-Law unterscheidet. Der dogmatische Gegensatz verliert so bei praktischer Betrachtung viel an Bedeutung. Das Festhalten an den theoretischen Ausgangspunk ten beider Doktrinen beruht wohl hauptsächlich auf der Vorstellung, die objektiv ,richtige' Lösung einer Rechtsfrage könne mittels logischer Deduktion bei der einen aus früheren Entscheidungen, bei der anderen aus dem Gesetzestext abgeleitet werden. Tatsächlich bedient sich der Richter jedoch in beiden Rechtssystemen der Erfahrung früherer, ähn licher Entscheidungsvorgänge um zu einer möglichst sachgerechten und überzeugenden Erledigung des Streitfalles zu gelangen74 • Durch die Überprüfung früherer, ähnlicher Fälle und eine kritische Untersuchung der Frage, ob die dort gewählte Lösung auch im vorliegenden Falle sachgerecht ist, eröffnet sich ihm die Möglichkeit sowohl dem Verlangen nach Stabilität der Rechtsprechung, als auch dem nach sozialer Anpas sung Rechnung zu tragen75 • Dieser Bewertungs- und Anpassungsvor gang hat in verschiedenen Rechtsordnungen zwar unterschiedlichen juristischen Ausdruck gefunden, ist aber der Funktion nach sehr ähn lich. Es ist daher müßig, nach einem formellen Kriterium zu suchen, mit dessen Hilfe entschieden werden kann, ob eine bestimmte Vor entscheidung bindend ist oder keinerlei rechtliche Wirkung hat. Das Kriterium des ,anwendbaren Präzedenzfalles' ist meist nicht so sehr der Ausgangspunkt des Beurteilungsvorganges, sondern vielmehr eine Beschreibung seines Ergebnisses. Diese kurze Gegenüberstellung zeigt bereits, daß es unpassend wäre, vereinfachte Vorstellungen aus dem staatlichen Recht auf die Präzedecision when it appears right to do so". Siehe Cross, Precedent in English Law, S. 107 (1968); eine neue Entscheidung des Court of Appeal in Miliangos v. George Frank (Textiles) Ltd., 10. Feb. 1975, The Times 11. Feb. 1975, zeigt eine verblüffende Kombination richterlicher Rechtsschöpfung und der An wendung von stare decisis: Das Gericht betrachtete eine von ihm selbst kurz zuvor neu formulierte Regel, welche im Widerspruch zur bisherigen Rechts lage, einschließlich der Rechtsprechung des House of Lords stand, als für sich selbst bindend. 73 Vgl. etwa Larenz, Über die Bindungswirkung von Präjudizien, in Fest schrift für Hans Schima 247 (1969); Fasching, Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Bindung des Obersten Gerichtshofs an seine Grundsatz entscheidungen, ebendort S. 133. 74 Vgl. Allen, Law in the Making, S. 179; Lipstein, The Doctrine of Prece dent in Continental Law, 28 J. of Comparative Legislation and International Law, 34 (1946). 75 Allen, Law in the Making, S. 286; vgl. auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 184 f., 192 f. (1970). 5•
II. Die Art der Berufung auf den internationalen Organakt
68
denzwirkung internationaler Entscheidungen übertragen zu wollen. Weder die Vorstellung einer absoluten Bindungswirkung internationa ler Urteile oder Schiedssprüche noch eine Behauptung ihrer völligen rechtlichen Irrelevanz, die aus der Ablehnung dieser Vorstellung re sultiert, würde ihrer wahren Bedeutung gerecht. Gerade im Völkerrecht mit seinem relativen Mangel an organisier ten Verfahren der Rechtserzeugung und der Rechtsanwendung kommt der gerichtlichen Entscheidungstätigkeit ein erhöhter Erkenntniswert für spätere Entscheidungen zu. In den Worten von Sir Hersch Lauter pacht : It is to be expected that in a society of States in which the opportunities for authoritative and impartial statements of the law are rare, there should be a tendency to regard judicial determination as evidence or, what is in fact the same, as a source of international law76 • Die Bedeutung, die den internationalen rechtsprechenden Organen im völkerrechtlichen Entscheidungsprozeß zukommt, macht ihre Praxis zu einem wichtigen Element der Rechtsfindung auch für staatliche Ge richte. Bei einer Analyse dieser Bedeutung ist es müßig zu versuchen eine scharfe begriffliche Trennung zwischen der internationalen Spruchpraxis als ,Rechtsentstehungsquelle' und als ,Rechtserkenntnis quelle' zu ziehen. Die Feststellung Sir Hersch Lauterpachts ,, . . . the distinction between the evidence and the source of many a rule of law is more speculative and less rigid than is commonly supposed" 77 gilt ganz besonders für diesen Bereich. Die Unhaltbarkeit der einstmals gängigen Vorstellung von Gerichten als reinen ,Rechtsanwendungsor ganen' ohne eine Funktion für die Rechtsfortbildung78 ist heute auch im Gebiete des staatlichen Rechts weitgehend anerkannt. Im angelsäch sischen Bereich ist die Vorstellung von einem ,Auffinden' des Rechts durch die Gerichte schon in einem relativ früheren Zeitpunkt ver drängt worden7 9 • Aber auch in kontinentaleuropäischen Ländern, ins78
The Development of International Law by the International Court,
s. 14 (1958).
77 Op. cit., S. 21.
7 8 Blackstone, Commentaries on the Laws of England Bd. I, S. 69 - 7 1 (1765) ; Sir Matthew Hale, History o f the Common Law o f England, S . 89 (1820) ; Kent, Commentaries on American Law Bd. I, S. 471 - 479 (1884) ; Willis v. Baddeley [1892] 2 Q. B. 324, 326. 79 Holmes, The Common Law, S. 35 (1881) ; Austin, Jurisprudence, S. 620 f. (1885) ; Sir Henry Sumner Maine, Ancient Law, S. 37 f. (1930) ; Cardozo, The Nature of the Judicial Process, S. 98 f. (1974) ; Frank, Law and the Modern Mind, S. 32 f. (1949) ; Patterson, Introduction to Jurisprudence, S. 230 (1951) ; Lord Denning, From Precedent to Precedent (1959) ; Clark & Trubek, The Creative Role of the Judge, 7 1 YaleLJ 255 (1961 - 62) ; Sir Kenneth Diplock, Courts as Legislators (1965) ; Friedmann, Legal Theory, S. 438 f. (1967) ; Allen, Law in the Making, S. 347 ; Jaffe, English and American Judges as Law makers (1969).
C. Präzedenzwirkung internationaler Entscheidungen
69
besondere auch im deutschen Schrifttum, hat sich mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß jeder Rechtsanwendung ein Element der Rechtsfortbildung innewohnt80 • Diese Anerkennung des Richterrechts als eines Motors der Rechtsentwicklung hat, trotz seiner einschränken den Beurteilung im Artikel 38 des Statuts des Internationalen Ge richtshofs, auch in der völkerrechtlichen Literatur bereits einen gewis sen Niederschlag gefunden81 • Der US-Supreme Court hat dieses zu sammentreffen anwendender, klärender und schöpferischer richter licher Tätigkeit einmal folgendermaßen umschrieben: International law, or the law that governs between states, has at times, like the common law within states, a twilight existence during which it is hardly distinguishable from morality or justice, till at length the imprima tur of a court attests its jural quality82• 80 Ross, Theorie der Rechtsquellen, S. 332 f. (1929) ; Duguit, La fonction juri dictionelle, 39 Revue de droit publique et de la science politique 165 (1922) ; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1964) ; Germann, Präjudizien als Rechtsquelle (1960) ; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243 f. (1967) ; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neu zeit, S. 514 f. (1967) ; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechts findung, S. 174 f. (1970) ; ibid., In welchem Ausmaß bilden Rechtsprechung und Lehre Rechtsquellen?, 75 Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 67 (1975) ; Ballon, Einige Probleme der richterlichen Rechtsfortbildung. 94 JBl 598 (1972) ; Larenz, Richterliche Rechtsfortbildung als methodisches Problem, 18 NJW 1 (1965) ; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 37 f. (1969) ; v. d. Heydte, Richterfunktion und ,Richtergesetz', in Festschrift Walter Jellinek, S. 493, 496 f. (1955) ; Ermacora, Verfassungsrecht durch Richterspruch (1961) ; Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts (1971) ; Kramer, in Verh. des 5. ÖJT 1973, Band II/1, Diskussionsbeiträge, S. 64. Eher traditionell und nach formellen Kriterien siehe jedoch : Schäffer, In welchem Ausmaß stellen Judikatur und Doktrin in der österreichischen Rechtsordnung Rechtsquellen dar?, österreichische Landesreferate zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran 1974, S. 9 (1974). 81 Scelle, Droit international public, S. 15, 405 f. (1944) ; S0rensen, Les sources, S. 153 f. ; Ross, Lehrbuch, S. 85 (1951 ) ; Jenks, The Impact of Inter national Organisations on Public and Private International Law, 37 Trans actions of the Grotius Society 23, 29 f., 37 f. (1951) ; Sir Gerald Fitzmaurice, Some Problems Regarding the Formal Sources of International Law, S. 168 ; ibid., Judicial Innovation - Its Uses and its Perils - As exemplified in some of the Work of the International Court of Justice during Lord McNair's Period of Office, in Cambridge Essays in Honour of Lord McNair, S. 24 (1965) ; Friedmann, The Changing Structure, S. 143 f. (1964) ; van Panhuys, Relations and Interactions, S. 11 f. ; Parry, The Sources, S. 91 f. ; Internatio nales Symposium des Max-Planck-Instituts f. ausl. öff. R. u. Völkerrecht 1972, S. 439 ; Seidl-Hohenveldern, Britain's Entry into the Common Market, 25 Current Legal Problems 18, 35 (1972) ; Bernhardt, Homogenität, Konti nuität und Dissonanzen in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichts hofs, 33 ZaöRV 1, 4 (1973) ; Matscher, Die Begründung der Entscheidungen internationaler Gerichte, in Die Entscheidungsbegründung, Sprung u. König (Hrsg.), S. 429 (1974) m. w. H. Für die gegenteilige Ansicht siehe Bisschop, Sources of International Law, 26 Transactions of the Grotius Society 235, 240 (1940) ; Tunkin, Das Völkerrecht der Gegenwart, S. 1 1 2 f. (1963) ; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 94 (1967). 82 New Jersey v. Delaware (1933), 291 U. S. 383 ; vgl. auch das Sondervotum des Richters Alvarez in ICJ Reports 1951, S. 50.
III. Die Rechtswirkung des internationalen Organaktes auf internationaler Ebene Eine zentrale Frage für das staatliche Entscheidungsorgan, vor wel chem sich eine Partei auf einen Akt eines internationalen Organs be ruft, ist die internationale Rechtserheblichkeit oder Autorität1 dieses Aktes. Internationale Institutionen erhalten bestimmte Befugnisse oder Kompetenzen in gewissen Bereichen von internationalem Interesse zu gewiesen. Das Ausmaß dieser Befugnisse hängt primär von dem sie begründenden Konstitutivakt, meist einem Vertrag, aber auch von einer Reihe weiterer Faktoren, insbesondere der nachfolgenden Praxis, ab. Die Einräumung einer Sachbefugnis an ein Organ, welches solcherart Autorität besitzt, bedeutet aber nicht, daß es zwingende oder absolute Autorität haben muß, allfällige Adressaten also aller Wahlmöglichkei ten beraubt. Anders als in den meisten Bereichen der Tätigkeit natio naler Organe, ist die rechtliche Bedeutung vieler Akte internationaler Institutionen beschränkt. Die ihnen von den Gründerstaaten zugewie senen Befugnisse stellen einen Kompromiß zwischen dem Bedürfnis nach effizienter Zusammenarbeit und dem Bestreben nach möglichst weitgehender Wahrung nationaler Handlungsfreiheit dar. Auch hier können allerdings Fälle sogenannter „Bindung" auftreten, das heißt für eine bestimmte Gruppe von Situationen und Entscheidungsorganen kann der Akt des internationalen Organs mit einem so hohen Grad an Autorität versehen sein, daß für das Entscheidungsorgan wie für einen Beobachter kein Zweifel über die angemessene Lösung besteht. Aller dings haben die bei Kompromißlösungen in der Vertragsformulierung auftretenden Zweideutigkeiten auch im Bereiche internationaler In stitutionen zu zahlreichen Interpretationsschwierigkeiten geführt, die eine eindeutige Klärung der Autorität bestimmter internationaler Or ganakte nicht zulassen. Ein staatliches Entscheidungsorgan kann sich daher nicht darauf beschränken zu untersuchen, ob das internationale Organ, dessen Akt herangezogen werden soll, befugt ist bindende Regeln zu formulieren oder Verfügungen zu treffen, um diesen Akten dann im Falle eines negativen Befunds keinerlei Beachtung zu sclienken. Entscheidungen internationaler Organe können für die Lösung konkreter Sachfragen 1
Vgl. dazu oben S. 19 f.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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von durchaus unterschiedlicher rechtlicher Bedeutung sein. Wegen des begrenzten zeitlichen und sachlichen Tätigkeitsbereichs internationaler Organe stellen ihre Akte überdies oft nur einen Teilaspekt der Ent scheidungsgrundlage, also nur ein Element in der Summe des für die Entscheidung relevanten autoritativen Materials dar. Neben der Frage nach der rechtlichen Relevanz einer bestimmten Entscheidung eines internationalen Organs, kann sich aber auch noch die Frage nach der Fehlerhaftigkeit des Organakts stellen. Es können Zweifel darüber existieren, ob das internationale Organ zu einem be stimmten Akt berechtigt war, also ob es seine Befugnisse überschritten hat, sie mißbräuchlich angewendet hat, oder ihm Formfehler unterlau fen sind. Erst nach der Klärung allfälliger derartiger Einwände und Bedenken kann sich das Gericht ein Bild über die Autorität einer be stimmten internationalen Entscheidung für den ihm vorliegenden Fall machen. Schließlich können auch noch Zweifel an der Rechtswirksamkeit vom Standpunkt des örtlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten inter nationalen Organentscheidung auftreten. Sind internationale Organ akte auch von Gerichten zu beachten, deren Forumstaat nicht Adressat der internationalen Entscheidung bzw. nicht Mitglied der internationa len Organisation ist, von welcher ein Beschluß stammt? Aus der Perspektive der Entscheidungstechnik, also des Aufbaus der Begründung für eine bestimmte meritorische Entscheidung, stellt die Überprüfung der internationalen Autorität des Organaktes eine von mehreren Möglichkeiten dar, das auf diesen Organakt gestützte Be gehren zu verweigern. Die Äußerungen eines internationalen Organs, welchem keine oder nur geringfügige Befugnisse in der relevanten Rechtsfrage eingeräumt worden sind, oder dessen Beschlüsse fehlerhaft sind, können vom staatlichen Gericht bei der Fällung der Entscheidung unbeachtet gelassen werden. Weitere Argumente wie fehlende Über nahme in die vom Gericht anzuwendende Rechtsordnung, ein mangeln der Anknüpfungspunkt zu den Parteien oder die Immunität der be klagten Partei, können dann entfallen. A. Die Autorität internationaler Organakte
Internationale Institutionen kommen den ihnen gestellten Aufgaben in der verschiedensten Art und Weise nach. Diese Vielfalt der Akte internationaler Organe macht ihre systematische Erfassung überaus schwierig. Es darf daher nicht verwundern, daß sich in der einschlägi gen Literatur fast ebensoviele Einteilungsversuche finden, wie Auto ren2.
72
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Eine Gliederung, die sich dem im staatlichen öffentlichen Recht aus gebildeten Juristen förmlich aufdrängt, ist die nach der Dreigewalten teilung, wie sie den modernen Verfassungen zugrunde liegt. Es muß hier dahingestellt bleiben, inwieweit eine Kategorisierung allen staat lichen Handelns als gesetzgebende, rechtsprechende oder vollziehende Tätigkeit den Gegebenheiten des modernen Staates tatsächlich gerecht wird. Eine Übertragung dieser Vorstellungswelt obrigkeitlichen Ver haltens auf internationale Institutionen wäre jedoch sicherlich höchst irreführend3 • Dabei kann nicht bestritten werden, daß eine oberfläch liche Betrachtung gewisse Ähnlichkeiten im Verhalten von bestimmten Organen internationaler Institutionen mit dem der wichtigsten Staats organe zeigt. Die Tätigkeit internationaler Gerichte und Schiedsgerichte ähnelt, insbesondere in Verfahren und Form des Endbeschlusses, stark der staatlicher Gerichte. Diese Tätigkeit stellt jedoch keineswegs ein allge mein zugängliches umfassendes Rechtsschutz- und Rechtsdurchsetzungs system dar. Das Tätigwerden internationaler Gerichte und Schieds gerichte ist meist an eine Fülle von Voraussetzungen, insbesondere die Zustimmung sämtlicher Parteien, gebunden. Eine Kontroll- und Über wachungsfunktion gegenüber anderen internationalen Organen üben sie nur in Ausnahmefällen aus. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen und ähnliche Or gane ahmen zwar das Vorgehen staatlicher Legislativorgane in vieler Hinsicht in verblüffender Weise nach4 • Von einer „internationalen Ge setzgebung" ähnlich einer staatlichen Legislative kann dabei aber kaum die Rede sein. Selbst in jenen Bereichen, in denen Spezial- und Re gionalorganisationen Normsetzungsbefugnisse übertragen wurde, sind diese Legislativkompetenzen rudimentär und zersplittert und mit der umfassenden legislativen Machtfülle eines staatlichen Parlaments kaum vergleichbar5 • Das Schwergewicht internationaler Rechtsfort bildung liegt nach wie vor in einem, zumeist unorganisierten, von Re2 Vergleiche beispielsweise die verschiedenen Unterscheidungen bei Sloan, Implementation and Enforcement of Decisions of International Organiza tions, 62 ASIL Proceedings 1, 3 (1968) ; Miele, Les organisations internatio nales et le domaine constitutionel des Etats, 131 RC 319, 335 f. (1970, III) ; Economides, Nature juridique, S. 225, 229 ; Dominice, La nature juridique, s. 249 f. 3 Parry, The Sources, S. 100 ; van Panhuys, Relations and Interactions, S. 1 1 ; Hexner, Die Rechtsnatur, S. 80 ; Huber, Die internationale Quasilegis lative, 27 SchwJIR 9, 22 f. (1971) ; Thieme, Das Grundgesetz und die öffent liche Gewalt internationaler Staatengemeinschaften, 18 Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 50, 59 f. (1960) m. w. H. 4 Vgl. Bleicher, The Legal Significance of Re-Citation of General Assembly Resolutions, 63 AJIL 444, 453 (1969). 5 Siehe auch : Merle, Le pouvoir reglementaire des institutions internatio nales, 4 AFDI 341 f. (1958).
A. Die Autorität internationaler Organakte
73
ziprozitäten gekennzeichneten Kommunikationsprozeß, in welchem das Wirken internationaler Institutionen nur einen, allerdings an Bedeu tung ständig zunehmenden Teilbereich darstellt. Die in Sekretariaten internationaler Organisationen geleistete Arbeit ähnelt zwar der staatlicher Verwaltungsapparate. Von einer interna tionalen öffentlichen Verwaltung im Sinne eines Subordinationsver hältnisses kann jedoch nur in den seltensten Fällen gesprochen wer den. Selbst dort, wo staatlicher Hoheitstätigkeit vergleichbare Funktio nen auf internationale Organe übertragen worden sind, entspricht da her ihre tatsächliche Tätigkeit und deren Bedeutung zumeist nicht der von vergleichbaren Staatsorganen6 • Dennoch erfordert die Überschaubarkeit bei der Darstellung des Materials eine gewisse Unterteilung. Die in der Folge gebrauchte Sy stematik soll keineswegs die Vorwegnahme einer juristischen Bewer tung darstellen, sondern lediglich anhand möglichst neutraler und des kriptiver Faktoren die Übersicht bei der empirischen Betrachtung des bisherigen Entscheidungsverhaltens staatlicher Gerichte und seine Be urteilung erleichtern. Einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder einen inhärenten Erkenntniswert erhebt diese Systematik nicht. Bei der Untersuchung der Frage, wie staatliche Gerichte die Autorität internationaler Organakte im Einzelnen bewertet haben, soll das Au genmerk zunächst auf konkrete internationale Sachentscheidungen gerichtet werden, also auf solche Beschlüsse internationaler Organe, die auf einen bestimmten Anwendungsfall abzielen und oft auch nur einen beschränkten Adressatenkreis haben. Gerichtliche und schieds gerichtliche Entscheidungen spielen dabei in der Fallpraxis quantita tiv eine besonders bedeutsame Rolle. Die Befugnis mancher interna tionaler Organe, bestimmte Verträge autoritativ zu interpretieren, bildet den Gegenstand eines weiteren Abschnittes. Die Untersuchung in Bezug auf die Formulierung generell-abstrakter Verhaltensstandards durch internationale Institutionen soll, unbeschadet einer Beurteilung ihrer Autorität, anhand einer Unterteilung erfolgen : Zunächst werden Akte jener Institutionen betrachtet, welchen in ihren Gründungsver trägen Aufgaben übertragen wurden, die Normsetzungsbefugnissen im herkömmlichen Sinn ähneln (Reglements). Dann soll die Bedeutung untersucht werden, die staatliche Gerichte jenen Akten beimessen, wel che zwar inhaltlich auf eine generell-abstrakte Reglementierung des Verhaltens ihrer Adressaten gerichtet sind, die aber nach den Grün dungsverträgen nur mit beschränkter Autorität ausgestattet sind (Emp8 Siehe auch Mosler, Internationale Organisation und Staatsverfassung, in Rechtsfragen der Internationalen Organisation, Festschrift für Hans Wehberg, S. 273, 274 f. (1956).
74
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
fehlungen). Schließlich muß auch die Auswirkung formloser Mitteilun gen und tatsächlicher Akte internationaler Organe auf die Entschei dungstätigkeit staatlicher Organe betrachtet werden. Die im vorangegangenen Kapitel behandelte Frage nach der Art der Berufung auf den internationalen Akt, ist bei der Beurteilung der in ternationalen Autorität des Aktes von wesentlicher Bedeutung. Eine Entscheidung hat nie Autorität an sich, sondern lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten bestimmter Personen. Mit Recht ist daher auf die Zweifelhaftigkeit einer einfachen Unterscheidung zwischen dis positiven und rechtserzeugenden Entscheidungen verwiesen worden7• Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Satzung des Rechts, Beru fung auf das Recht und Anwendung des Rechts ist zwar möglich und oft nützlich, meist weisen jedoch die einzelnen realen Phasen des Ent scheidungsprozesses Elemente aller dieser Funktionen auf, so daß es nicht sinnvoll erscheint, einzelne Organtypen oder typische Rechts handlungen ausschließlich mit einzelnen dieser Funktionen zu assozi ieren. Jede sachlich und persönlich noch so begrenzte Entscheidung kann Rechtserwartungen schaffen und somit die Rechtsentwicklung beeinflussen. Es ist daher stets zu untersuchen, zu welchem Zwecke eine Berufung auf ihre Autorität erfolgt. Zur Erfassung der Autorität bestimmter, vor einem staatlichen Gericht vorgebrachter Organakte in Bezug auf eine bestimmte Situation, ist zu fragen, welches Verhal ten vom Entscheidungsorgan gefordert wird und in welchem Zusam menhang es mit dem internationalen Akt stehen soll. Dabei sind den Arten der Berufung auf den internationalen Akt allerdings zum Teil schon durch dessen Form Grenzen gesetzt. Während beispielsweise ein Anspruch auf Durchsetzung oder Anwendung sowohl auf Sachentschei dungen, Interpretationserklärungen wie generell abstrakte Verhal tensstandards gestützt werden kann, ist eine Berufung auf einen inter nationalen Akt als „Präzedenzfall" regelmäßig nur bei Sachentschei dungen erfolgversprechend. Die oben vorgezeichnete Systematik bei der Erfassung verschiedener Typen von Akten internationaler Organe, bestimmt daher teilweise auch die Art und Weise, in welcher die Par teien sich auf diese Akte stützen und in · welcher sich die Gerichte bei der Entscheidungsfindung oder Begründung ihrer bedienen.
7 Higgins, United Nations and Lawmaking : The Political Organs, 64 ASIL Proceedings 37, 44 (1970) ; Huber, Die internationale Quasilegislative, S. 23 f.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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1. Konkrete Sadlentsdleidungen a) Durchsetzung oder Überprüfung
aa) Gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen Gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen genießen in Bezug auf die Parteien des Verfahrens, also die unmittelbaren Adres saten, ein hohes Maß an Autorität. Ganz allgemein ist mit rechtspre chenden Verfahren ein hoher Grad der Erwartung auf Erfüllung der Endentscheidung durch die Parteien verbunden. Mit anderen Worten, die „Bindungswirkung" steht regelmäßig außer Zweifel. Dokumente zur Errichtung derartiger Organe sprechen den abschließenden Charak ter ihrer Verfügungen häufig auch ausdrücklich aus8 • Es kann daher nicht weiter verwundern, daß staatliche Gerichte die endgültige Natur von Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte, so ferne keine verfahrensrechtlichen Bedenken vorlagen9 , kaum jemals in Zweifel zogen. Eine verblüffende Ausnahme bildet ein älteres Urteil des US-Su preme Court 10 , in welchem das Gericht ein Recht auf meritorische Über prüfung eines internationalen Schiedsspruchs zwischen einem auslän dischen Staat und einem Angehörigen des Forumstaates in Anspruch nahm. In einer Auseinandersetzung zwischen Kolumbien und einer amerikanischen Gesellschaft hatte die Intervention der US-Regierung zur Errichtung einer internationalen Kommission zur Beilegung des Streites geführt. Als das Verfahren einen für die Gesellschaft günsti gen Verlauf nahm, zog Kolumbien zuerst sein Mitglied aus der inter nationalen Kommission ab und focht den Schiedsspruch hernach in den US-Gerichten wegen Nichtigkeit an. Der Supreme Court verwarf zwar die Nichtigkeitsklage, überprüfte jedoch den materiellen Entschei dungsinhalt. Dabei hielt er nur einige Teile des Schiedsspruchs für ge rechtfertigt, die übrigen verwarf er. Das Urteil enthält keinen Hin weis darauf, daß das Gericht diese Inanspruchnahme einer unmittel baren Zuständigkeit zur Überprüfung des internationalen Schieds spruches für problematisch gehalten hätte. 8 Art. 94 UN Charta ; Art. 59, 60 Statut des IGH ; Art. 52, 53 EMRK ; Art. 171, 176 EWG. Siehe jedoch die Fälle in denen staatlichen Gerichten ausdrücklich eine überprüfungsbefugnis eingeräumt wurde bei Reisman, Nullity and Revision, S. 161. 9 Vgl. auch die Fälle vor dem U. S. Supreme Court, unten V. D. 1. Anm. 120 - 122, in welchen es das Gericht, trotz des schweren Verdachtes von Irre gularitäten im internationalen Schiedsverfahren, vorzog die Klage unter Berufung auf die Prärogative der Exekutive abzuweisen. 10 Republic of Colombia v. Cauca Co., 18. Mai 1930, 190 U. S. 524. Vgl. auch National Iranian Oil Co. v. !Sapphire Intl. Petroleums Ltd., unten III. B. Anm. 397. In diesem Falle erfolgte die Überprüfung jedoch über wiegend aufgrund angeblicher Verfahrensmängel.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
In der weitaus überwiegenden Mehrheit aller Fälle hegten staatliche Gerichte jedoch keine Zweifel an der Autorität und Endgültigkeit in ternationaler gerichtlicher oder schiedsgerichtlicher Entscheidungen. Dies entweder unter Berufung auf eine ausdrückliche Bestimmung, die die Endgültigkeit einer derartigen Entscheidung verfügte 1 1 oder einfach mit dem Hinweis auf den Ursprung der Entscheidung von einem inter nationalen gerichtlichen Organ 12 • Selbst wenn die Verfügung des staat lichen Gerichts das Ergebnis der internationalen Entscheidung ver eitelte, ließ man ihre Autorität formell unangetastet und begründete die Abweisung des Anspruchs auf Durchsetzung mit anderen Argu menten. In der überwiegenden Zahl aller Fälle schien den Gerichten die Autorität der Entscheidung internationaler Rechtsprechungsorgane so klar, daß sie sich mit dieser Frage überhaupt nicht auseinandersetzten13 • Unter internationalen Akten der Rechtsprechung nehmen die Rechts gutachten eine besondere Stellung ein1 4 • Gutachtenverfahren kennen
keine Parteien im formellen Sinne und das Produkt enthält keine kon krete Disposition, sondern eine abstrakt formulierte Rechtsansicht. Es kann daher bezweifelt werden, ob es sich bei Rechtsgutachten über haupt um Sachentscheidungen handelt, die einer Durchsetzung im en gen Sinne fähig sind. Andererseits steht im Hintergrund eines Ersu chens um ein Rechtsgutachten regelmäßig ein konkreter Anlaßfall, meist in Form eines Streits zwischen zwei oder mehreren Parteien, auf den das Gericht bei der Erstellung des Gutachtens Bedacht nimmt15 • Eine funktionelle Betrachtung rechtfertigt also die Behandlung in diesem Zusammenhang.
Bisher ist kein Fall bekannt, in dem das Rechtsgutachten eines inter nationalen Gerichts eine prominente und unmittelbare Rolle bei der Durchsetzung eines Anspruchs durch ein staatliches Gericht gespielt hätte 1 6 • Allerdings darf daraus nicht der voreilige Schluß gezogen wer11 Musulman cf Banque Nationale de Grece, Zivilgericht v. Saloniki, 1937, 65 Clunet 908 (1938). 12 Vgl. die oben II. A. 3. Anm. 37 - 40 angeführten Fälle, in denen die Wei gerung die Entscheidungen zu überprüfen einfach mit ihrem internationalen Charakter begründet wurde. Siehe auch Maghanbhai Ishwarb hai Patel and Others v. Union of India, Supreme Court, 1969, 9 IJIL 234, 258 f. (1969). 13 Vgl. etwa die oben II. A. 1. angeführten Fälle der Durchsetzung von Schiedssprüchen. 1 4 Allgemein siehe insbes. Rosenne, The Law and Practice of the Inter national Court, S. 651 f. (1965) ; Pratap, The Advisory Jurisdiction of the International Court (1972) ; Robertson, Advisory Opinions of the Court of Human Rights, in Rene Cassin Amicorum Discipulorumque Liber Bd. I (1969), s. 225. 15 Zu dieser Frage siehe vor allem das Gutachten des IGH über die Westsahara, ICJ Reports, 1975 auf S. 22 f., mit Hinweisen auf die bisherige Praxis von IGH und StIG.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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den, daß diese Form der Entscheidung auch in Zukunft keine Rolle für den staatlichen Richter spielen wird. Ein wichtiger Gesichtspunkt wäre dabei sicher die Tatsache, daß ein Rechtsgutachten keine abschließende Verfügung über eine Streitfrage bildet, also keine „bindende" Ent scheidung darstellt 17 • Seine Funktion kann darin bestehen, das ersu chende Organ in seinen Handlungen zu leiten 18 oder seinen Entschei dungen durch Bestätigung ein verstärktes Maß an Autorität zu ver leihen. Das Rechtsgutachten selbst ist von beschränkter Autorität, wo bei vor allem seine Annahme durch das ersuchende Organ entscheidend ist. Im Zusammenhang mit einem anderen Organakt kann ihm jedoch eine wesentliche Bedeutung zukommen. Ein internationaler Organakt, welcher ein bestimmtes Entscheidungsverhalten vorzeichnet, über des sen materielle wie formelle Autorität aber Zweifel bestehen, kann durch ein Rechtsgutachten ein solches Maß zusätzlicher Autorität er halten, daß ein Entscheidungsorgan in einem späteren Falle keine Zweifel mehr an seiner rechtlichen Bedeutung hat. Ein typisches Beispiel wäre die Aufforderung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen. In der Folge können dann Zweifel auftreten, ob diese Aufforderung ein bindender Beschluß im Sinne des Artikel 25 ist, ob er im zulässigen Rahmen der Befugnisse des Sicherheitsrats gefällt wurde und ob er mit der erforderlichen Anzahl zustimmender Staaten zustande gekommen ist. Diese Fragen können durch ein Rechtsgutachten soweit geklärt werden, daß die Zweifel eines Entscheidungsorgans an der Rechtmäßig keit und Rechtswirkung des ursprünglichen Beschlusses beseitigt wer den. Es erscheint dann müßig darüber zu streiten, welcher der beiden Akte die entscheidende Wirkung hat. Das Zusammenwirken des ur sprünglichen Organaktes und des ihn bestätigenden Rechtsgutachtens kann von derart überzeugender Autorität sein, daß es entscheidungsbe stimmend ist. Dies ist in etwa die Situation nach dem Namibia-Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1971 19, welches die Entscheidung 18 Siehe allerdings den Hinweis In re Krüger, Netherlands Council for the Restoration of Legal Rights (Judical Division), 13. Sept. 1951, 18 ILR 258 (1951), auf ein Rechtsgutachten des StIG zur Klärung der Vorfrage der Staatsbürgerschaft des Anspruchswerbers. 17 Vgl. auch Nantwi, The Enforcement of International Judicial Decisions and Arbitral Awards in Public International Law, S. 71 f. (1967). Vgl. jedoch auch die Äußerung des StIG: ,,the view that advisory opinions are not bin ding is more theoretical than real" PCIJ Ser. E, No. 4, S. 76. Siehe auch die ähnliche Situation bei der Gutachterfunktion des britischen Privy Council, sowie die Bemerkungen dazu in 16 BYIL 199 (1935). 18 Vgl. das Westsahara-Gutachten, ICJ Reports, 1975, S. 27, 36 f. 19 ICJ Reports 1971, S. 15. Siehe dazu auch die Berufung auf dieses Gut achten in Diggs v. Dent, U. S. Dist. Ct.D. C., 13. Mai 1975, 14 ILM 797 (1975).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
der Generalversammlung der Vereinten Nationen, das Mandat über Südwestafrika zu beenden und die Beschlüsse des Sicherheitsrats zu dieser Frage, insbesondere auch betreffend die aus dieser Beendigung erwachsenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, bestätigt. Von einer Veränderung der Rechtsnatur der umstrittenen Beschlüsse der Gene ralversammlung und des Sicherheitsrats durch das Gutachten kann nicht die Rede sein, ihre Autorität wurde jedoch trotz der eindrucksvol len Minderheitsvoten bedeutend erhöht. Auch andere Situationen wären denkbar, in denen ein Rechtsgutach ten des IGH einen Anspruch stützen könnte, der auf einem anderen internationalen Organakt beruht. So etwa die Bestätigung eines Urteils eines Verwaltungsgerichts einer internationalen Organisation oder einer Zahlungsaufforderung an ein Mitglied durch das zuständige Or gan einer internationalen Organisation. Die Durchsetzung derartiger Ansprüche mit Hilfe staatlicher Gerichte, ist jedoch noch nicht erprobt und muß zweifelhaft erscheinen. bb) Entscheidungen politischer Organe Sachentscheidungen politischer Organe internationaler Organisatio nen sind von größter Mannigfaltigkeit und reichen von Verfahrens fragen und unbedeutenden organisatorischen Problemen bis zu weit reichenden finanziellen, politischen und territorialen Entscheidungen. Dabei gibt die Form, in der sich ein Organ seiner Aufgaben üblicher weise entledigt, noch keinen schlüssigen Hinweis auf die materielle Bedeutung oder rechtliche Qualifikation eines Beschlusses. Die Tat sache, daß etwa die Generalversammlung der Vereinten Nationen ihre Entscheidungen in der Form von Resolutionen von normalerweise empfehlendem Charakter fällt, bedeutet nicht, daß derartige Beschlüsse in bestimmten Situationen nicht auch konkrete dispositive Wirkungen haben können20 • Die Fallpraxis staatlicher Gerichte zeigt nur wenige Fälle, in denen von einer Durchführung oder Überprüfung21 derartiger Entscheidungen 20 ,, . • • it would not be correct to assume that, because the General Assembly is in principle vested with recommendatory powers, it is debarred from adopting, in specific cases within the framework of its competence, resolutions which make determinations or have operative design". ICJ Reports, 1971, S. 50. Vgl. jedoch die gegenteilige Ansicht im Sondervotum von Fitzmaurice loc. cit., S. 280 f. Die Zuständigkeit der Generalversammlung über gewisse organisatorische Fragen wie Mitgliedschaft, Beiträge, Errich tung von Organen und dergl. zu entscheiden steht außer Zweifel. 21 Siehe jedoch Landesversicherungsanstalt Schlesien v. Rybnickie Gwa rectwo Weglowe and Others, Oberster Gerichtshof von Polen, 5. Apr. 1929, 5 AD 345 (1929 - 30). In diesem Falle hatte der Völkerbundrat von einer ver traglich eingeräumten Befugnis eine endgültige Entscheidung zu treffen,
A. Die Autorität internationaler Organakte
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die Rede sein kann. Der Hauptgrund dafür liegt sicherlich darin, daß die Durchsetzung konkreter Sachentscheidungen politischer interna tionaler Organe regelmäßig nicht im Dispositionsbereich staatlicher Gerichte liegt und ein Versuch, ihnen auf diesem Wege Effektivität zu verschaffen, zumeist aussichtslos scheinen mußte. Die Frage der recht lichen Wirkung derartiger Beschlüsse konnte sich staatlichen Gerich ten daher nur in wenigen Ausnahmefällen stellen. Die Vorschläge, sich der Hilfe staatlicher Gerichte zur Durchsetzung gewisser Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats zu bedienen22 , haben zwar bisher wenig praktisches Echo gefunden, rechtfertigen aber im merhin einen kurzen Blick auf die in diesem Zusammenhang auftre tenden Probleme der Rechtswirkungen solcher Beschlüsse. Die bereits vom Völkerbund gegen Italien gerichteten Entscheidungen scheinen von Gerichten mehr als ein Faktum aufgefaßt worden zu sein, dessen Autorität sie mit Desinteresse gegenüberstanden23 • In den bisherigen Fällen, in denen es vor staatlichen Gerichten um die Durchsetzung von Sicherheitsratsresolutionen ging, äußerten die Gerichte keine Zweifel an der Autorität der internationalen Entschei dung, verweigerten die Durchsetzung aber aus anderen Gründen. In Diggs v. Shultz24 wurde die Durchsetzung zwar wegen eines entgegen stehenden Act of Congress verweigert, doch betont das Berufungsge richt des District of Columbia ausdrücklich diese Maßnahme sei in ,,blatant disregard of our treaty undertakings" und mache die Ver einigten Staaten zu einem „certain treaty violator"25 • Auch in Diggs v. Dent26 bestätigte das Gericht ausdrücklich den ge mäß Art. 25 der UN Charta bindenden Charakter der Sanktionsbe schlüsse über Namibia, wies das Begehren auf ihre Durchsetzung aber unter Hinweis auf die non-self executing Natur der Charta und auf die political questions doctrine ab. In ähnlicher Weise anerkannte der High Court of Australia27 die Sanktionsbeschlüsse gegen Rhodesien als gemäß Art. 25 bindend, verGebrauch gemacht. Das Gericht verweigerte die Durchführung dieser Ent scheidung mangels ihrer ausdrücklichen Übernahme in das polnische Recht. 22 Vgl. oben II. A. 1. 23 Bertacco v. Bancei and Schoitus, Tribunal de Commerce de Saint Etienne, 17. Jan. 1936, 8 AD 422 (1935 - 37) ; Soc. Anglo Italiana Carboni c. Soc. Kuhlmann, ital. Corte di cassazione, 10. Juni 1938, 66 Clunet 185 (1939). 24 U. S. Court of Appeals D. C., 31. Okt. 1972, 470 F. 2d 461, cert. den. 411 u.s. 931 (1973). 25 Auf S. 466. 28 U. S. Dist. Ct. D. C., 13. Mai 1975, 14 ILM 797 (1975). 2 7 Bradley v. The Commonwealth of Australia and the Postmaster- General, 10. Sept. 1973, Australian Law Reports Bd. I, S. 241 (1973), 101 Clunet 865 (1974).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
hinderte ihre Durchführung aber wegen des Fehlens ihrer Transforma tion in das staatliche Recht. Trotz dieser bisher widerspruchslosen Hinnahme der internationalen Autorität von Beschlüssen des Sicherheitsrats kommt der Frage ihrer rechtlichen Wirkung, auch in Bezug auf staatliche Gerichte, eine ge wisse Bedeutung zu. Die Debatte im Zusammenhang mit dem Rechts gutachten des Internationalen Gerichtshofs über Namibia zeigt bereits das Spektrum möglicher Einwände und Probleme, denen ein Gericht gegenüberstehen könnte28 • Angesichts der weitreichenden Unklarheiten bei der Lösung dieser Frage29 wird die Aufgabe eines Gerichts in einer solchen Situation nicht leicht sein. Weitgehende Einigkeit besteht in der Literatur lediglich darüber, daß Beschlüsse des Sicherheitsrats nach Artikel 25 der Satzung der Vereinten Nationen zwingenden Charakter haben können, nicht aber, für welche der Beschlüsse dies zutrifft. We der die travaux preparatoires30 noch die nachfolgende Praxis3 1 geben eine befriedigende Antwort auf diese Frage. Die Ansicht, daß die Wir kung des Artikel 25 auf Maßnahmen nach Kapitel VII beschränkt seien, wird heute im wesentlichen abgelehnt32 • Eine der Hauptschwierigkeiten bei der rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Beschlusses des Si cherheitsrats, besteht allerdings gerade darin, daß die Resolutionen häufig keine Auskunft darüber geben, unter welcher Satzungsbe stimmung der Sicherheitsrat im besonderen Falle vorgehen wollte. Die vom Internationalen Gerichtshof in seinem Rechtsgutachten über Na mibia vorgezeichnete Lösung33 , die auch von Higgins befürwortet wird34 , sieht keine Verknüpfung der Rechtswirkung von Beschlüssen mit konkreten Bestimmungen der Satzung vor. Der äußere Rahmen seiner Befugnisse wird in Artikel 24 und in den Grundsätzen und Zie28 Siehe insbes. Higgins, The Advisory Opinion on Namibia : Which UN Resolutions are Binding under Art. 25 of the Charter? 21 ICLQ 270 (1972). Zu den Einwänden Südafrikas gegen die Autorität der Sicherheitsratsbeschlüsse siehe insbes. die vom südafrikanischen Außenministerium veröffentlichte Studie : South West Africa Advisory Opinion 1971, S. 90 f. (1972). 29 Neben Higgins op. cit. und Kelsen, The Law of the United Nations, S. 95 f., 293 f., 444 f., siehe insbes. auch folgende neuere Arbeiten sowie die dort zitierte umfangreiche Literatur : Manin, L'organisation des Nations Unies et le maintien de la paix, S. 13 f. (1971) ; Kewenig, Die Problematik der Bindungswirkung von Entscheidungen des Sicherheitsrats, in Festschrift für Ulrich Scheuner, S. 259 (1973) ; Castafieda, Legal Effects, S. 70 f. ; Bianchi, Security Council Resolutions in United States Courts, 50 Indiana Law Jour nal 83, 89 f. (1974/75). 30 Dazu Higgins, The Advisory Opinion, S. 278 f. ; Kewenig, Die Proble matik, S. 275 f. 31 Dazu Higgins, The Advisory Opinion, S. 279 f. ; Kewenig, Die Problema tik, S. 265 f. ; Manin, Nations Unies, S. 50 f. 32 Higgins, The Advisory Opinion, S. 277 ; Kewenig, Die Problematik, S. 274; Manin, Nations Unies, S. 48 f. 33 ICJ Reports, 1971, S. 51 f.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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len der Charta gesehen35 • Zur Beurteilung der Frage, ob einem be stimmten Beschluß die Wirkung des Artikel 25 zukommt, ist ein kon textueller Maßstab anzulegen: Der Wortlaut der Resolution, die ihr vorangegangenen Debatten, allfällige Satzungsbestimmungen, auf wel che sie sich beruft und ganz allgemein sämtliche Umstände, die bei der Feststellung der Rechtswirkungen helfen können, sind in Erwägung zu ziehen36 • Demgegenüber hat ein anderer Autor37 die Ansicht vertreten, Arti kel 24 und 25 der Satzung der Vereinten Nationen seien lediglich Ge neralklauseln, welche zu ihrer Konkretisierung einer speziellen Be stimmung der Satzung bedürfen38 • Eine bindende Entscheidung erfor dere daher nicht nur eine diesbezügliche Absicht des Sicherheitsrats, sondern auch eine konkrete Rechtsgrundlage in der Charta39 • Diese Ansicht ist weder praktisch noch theoretisch überzeugend. Die besonde ren Bestimmungen der Kapitel VI, VII, VIII und XII enthalten zumeist keine klare Aussage darüber, welche Rechtsnatur Beschlüsse haben, welche vom Sicherheitsrat in ihrer Anwendung gefaßt werden. Der Verweis auf den Wortlaut dieser Bestimmungen verlagert das Problem nur, trägt aber nicht zu seiner Lösung bei. Eine Untersuchung dieser Sonderbestimmungen an Hand der bisherigen Praxis des Sicherheits rats ist auch kaum aussichtsreich, da, wie bereits erwähnt, die spezi fische Rechtsgrundlage eines Beschlusses häufig weder ausdrücklich angeführt wird, noch auf andere Weise zweifelsfrei ermittelt werden kann. überdies ist schwer einzusehen, warum innerhalb des Rahmens der dem Sicherheitsrat gesteckten Befugnisse, in welchem er also for melle Autorität besitzt, das Ausmaß der materiellen Autorität, also die Wirkung des Artikel 25, davon abhängen soll, ob der Sicherheitsrat aufgrund spezifischer Ermächtigungen gehandelt hat oder sich lediglich im generellen Bereich des Artikel 24 sowie seiner implied powers be wegt40 . Die vom Internationalen Gerichtshof und von Higgins vertretene These bietet zwar keine einfache Lösung, muß aber dennoch als reali stischer vorgezogen werden. Die hier anhand der Beschlüsse des Sicherheitsrats skizzierten Schwierigkeiten bei der rechtlichen Qualifikation von Sachentscheidun gen internationaler politischer Organe können zwar nicht beseitigt, The Advisory Opinion. Im gleichen Sinne Castaiieda, Legal Effects, S. 71 f., welcher seine Schlußfolgerungen auf eine Untersuchung der Praxis des Sicherheitsrats stützt. 86 ICJ Reports, 1971, S. 53. 87 Kewenig, Die Problematik. 88 s. 274. 89 s. 283. 40 Dazu auch Manin, Nations Unies, S. 50 f. 34
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6 Schreuer
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aber immerhin in ihre rechte Perspektive gerückt werden, wenn die Frage nicht als einfache Alternative zwischen Bindung und völliger ju ristischer Irrelevanz gesehen wird. Auch eine empfehlende Entschei dung des Sicherheitsrats kann ein wesentlicher Bestandteil der Ent scheidungsgrundlage für ein staatliches Gericht werden. Das Gericht kann sie durchsetzen oder anwenden, soferne dieser Durchführung nicht andere wesentliche autoritative Gesichtspunkte entgegenstehen. b) Die Sachentscheidung zur Beurteilung einer Vorfrage Die Frage nach der Autorität des Beschlusses eines internationalen Organs stellt sich in ähnlicher Weise in Fällen, in denen er zur Lösung einer Frage herangezogen wird, die zwar nicht den eigentlichen Gegen stand des Verfahrens darstellt, für die Entscheidung über den verfolg ten Anspruch jedoch von ausschlaggebender Bedeutung ist. Soferne die Entscheidung über die Hauptsache von einem Umstand abhängt, über den ein internationales Organ in concreto befunden hat, erhebt sich die Frage, inwieweit diese internationale Entscheidung für das staatliche Gericht autoritativ ist und dadurch den Ausgang des Verfahrens mit bestimmt. Eines der Hauptprobleme bei der Beurteilung völkerrechtlicher Vor fragen mit Hilfe internationaler Organakte besteht zunächst darin, die Relevanz der internationalen Entscheidung für die konkrete Streit frage festzustellen. Die Möglichkeiten, eine Berufung auf den inter nationalen Organakt zu verwerfen, sind hier also bereits um das wich tige Argument erweitert, die fragliche internationale Entscheidung sei im besonderen Falle bedeutungslos, da die aus ihr resultierenden Kon sequenzen den Streitfall nicht mitumfaßten. Diese besondere Art der Begründung ist oft einleuchtender und auch leichter als ein „Frontal angriff" auf die allgemeine Rechtswirkung der internationalen Ent scheidung. Dennoch ergibt die Durchsicht des verfügbaren Fallmate rials wichtige Hinweise auf die Autorität, welche staatliche Gerichte Beschlüssen internationaler Organe in solchen Situationen beimessen. Bei der Beurteilung der hier dargestellten Praxis muß allerdings ein wichtiger Abstrich bezüglich ihres Erkenntniswerts gemacht werden. Ein beträchtlicher Teil des Materials betrifft Fälle, in denen Territo rialprobleme oder andere wesentliche Interessen des Forumstaates von Bedeutung waren. Die Schwierigkeiten bei der unbefangenen Beurtei lung derartiger Situationen durch staatliche Gerichte sind Gegenstand eines eigenen Abschnitts dieser Arbeit41 • 41
Unten VI. B. 1.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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Die Verbindlichkeit internationaler Akte der Rechtsprechung wurde auch bei der Heranziehung zur Klärung von Vorfragen regelmäßig nicht in Zweifel gezogen. In Fällen, in denen das Gericht die Berufung auf das internationale Urteil oder Rechtsgutachten akzeptierte, wurde ihre Autorität als selbstverständlich vorausgesetzt42 • Hielt das Gericht eine andere Lösung für richtig, so wurde die internationale Entschei dung als unbeachtlich für den vorliegenden Fall bezeichnet, ohne daß sie selbst einer Überprüfung unterzogen worden wäre43 • Gemessen an der geringen Zahl der Fälle, in denen versucht wurde Entscheidungen politischer internationaler Organe mit Hilfe staatlicher Gerichte durchzusetzen, ist die Häufigkeit einer Heranziehung solcher Organakte zum Zwecke der Klärung von Vorfragen groß. Auch in die sem Bereich gaben die Richter zu erkennen, daß sie die Autorität ge wisser Beschlüsse als ausschlaggebend für bestimmte Vorfragen be trachteten. Insbesondere wurden auch bestimmte Sachentscheidungen von Organen, welchen normalerweise nur die Befugnis zusteht Emp fehlungen zu formulieren, als entscheidend akzeptiert44 • So hatte das Handelsgericht Luxemburg45 im Jahre 1935 über die Prozeßstandschaft des Klägers, der sowjetischen Handelsdelegation, zu einem Zeitpunkt zu befinden, in dem die Sowjetunion von Luxem burg nicht anerkannt war. Das Gericht stützte sich dabei auf die ge meinsame Mitgliedschaft der beiden Staaten im Völkerbund und be tonte, der Aufnahmebeschluß sei für alle Mitglieder bindend. Aus die ser Form der indirekten Anerkennung folge, daß der sowjetischen Handelsdelegation das aktive Klagerecht zukomme. Wenngleich man dem Gericht bezüglich der Schlußfolgerungen aus der Aufnahme nicht unbedingt folgen muß, ist der Beurteilung der Autorität des Beschlus ses der Völkerbundversammlung in diesem Falle sicherlich zuzustim men. In ähnlicher Weise akzeptierten Gerichte bedingungslos Beschlüsse der Generalversammlung der Vereinten Nationen über Territorial fragen, zu denen die Generalversammlung aufgrund des Kapitels XII der Satzung oder besonderer Verträge4 6 ermächtigt war. Der franzö42 Rex v. Cooper oben II. B. 1. Anm. 54, Anglo-Iranian Oil Co. v. S. U. P. 0. R. oben II. B. 1. Anm. 57, In re Krüger oben II. B. 1. Anm. 51. 4 3 Willis v. First Real Estate and Investment Co. et al., U. S. Ct. of Appeals,
5th Cir., 24. Jan. 1934, 68 F. 2d 671, vgl. auch unten IV. E. 4. b) aa). 44 Vgl. dazu auch das Erkenntnis des österr. VerfGH vom 10. Okt. 1969, Slg. 6052, S. 690/1, in welchem sich der Gerichtshof u. a. auf den Regionalplan der ICAO, eine Empfehlung, stützt. Vgl. dazu Buergenthal, Law-Making in the International Civil Aviation Organization, S. 117 (1969). 46 U.S. S. R. v. Luxembourg and Saar Company, 2. März 1935, 8 AD 1 14 (1935 - 37), 32 RCDIP 489 (1937).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
sische Conseil d'Etat stützte die Beendigung seiner Zuständigkeit für Kamerun ohne Bedenken auf die Resolution der Generalversammlung, welche die französische Treuhandverwaltung über dieses Gebiet für be endet erklärt hatte47 • Auch das italienische Kassationsgericht beugte sich den Beschlüssen der Generalversammlung über die früheren italienischen Kolonien48 ohne deren Autorität in Frage zu stellen. Die Zuständigkeit zur Über prüfung von Gerichtsurteilen aus Äthiopien-Eritrea wurde ebenso abge lehnt49 wie die Zuständigkeit für ein libysches Unternehmen50 , seitdem diese beiden Territorien durch Resolutionen der Generalversamm lung51 für unabhängig erklärt worden waren. Im letzteren Falle betont das Gericht noch ausdrücklich, daß diese Rechtswirkung durch „den in Akten von internationalem Charakter ausgedrückten Willen" und un abhängig von einem die Resolution ausführenden bilateralen Vertrag eingetreten sei. Der Oberste Gerichtshof von Zypern52 hatte in einem verfassungs rechtlichen Fall über die Existenz Zyperns als unabhängiger Staat zu befinden. Einer der Richter stützte sich bei der Bejahung dieser Frage auf Sicherheitsratsresolutionen über die Rechtsstellung Zyperns. Die staatliche Gerichtspraxis zu Territorialentscheidungen interna tionaler Organe zeigt aber Anzeichen einer realistischen Einstellung gegenüber ihrer Effektivität. Resolutionen, welche nicht auch durch eine Kontrolle über das fragliche Territorium gestützt waren, wurde keine entscheidende Autorität beigemessen. Eine Entscheidung zum 48 Dazu insbes. Castai'ieda, Legal Effects, S. 139 f. ; Arangio-Ruiz, The Normative Role of the General Assembly of the United Nations and the Declaration of Principles of Friendly Relations, 137 RC 419, 451 (1972, III). 4 1 Mbounya, 3. Nov. 1961, Rec. 612, 8 AFDI 943 (1962) ; Union des Popula tions du Cameroun, 24. Jan. 1962, 9 AFDI 1010 (1963) ; vgl. auch die Entschei dung der Cour de cassation vom 3. Juli 1939 in De Bodinat v. Administration de l'Enregistrement, 11 AD 52 (1919 - 42), in welcher sich das Gericht auf die Resolution der Völkerbundversammlung über die Errichtung des Mandats über Kamerun stützt. 48 Nach Abs. 3 des Annex XI zum Friedensvertrag mit Italien vom 10. Feb. 1947 war der Generalversammlung die Befugnis zur Verfügung über den Territorialbesitz Italiens in Afrika übertragen worden. 42 AJIL Supp. 121 (1948). 49 Passi c. Sonzogno, 5. März 1953, 37 Rivista DI 579 (1954). 5° Cassa di risiparmio della Libia c. Dainotto, 18. Aug. 1959, 44 Rivista DI 295 (1961) ; vgl. auch das Urteil des Berufungsgerichts von Rom in Ministero degli esteri, Ministero del tesoro e Amministrazione fiduciaria italiana in Somalia c. 'S. A. I. C. E. S., 23. Juni 1965, 50 Rivista DI 694 (1967). 51 GA Res. 289 (IV) vom 21. Nov. 1949, 387 (V) vom 17. Nov. 1950 und 388 (V) vom 15. Dez. 1950. 52 Attorney- General of the Republic v. Mustafa Ibrahim and Others, 10. Nov. 1964, 48 ILR 6 (1975).
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Teilungsplan der Vereinten Nationen für Palästina53 macht das deut lich54 . Der italienische Consiglio di Stato55 fand in diesem Fall, daß is raelisches Recht auf ein im israelisch beherrschten Teil Jerusalems ge legenes Objekt anzuwenden sei, obwohl eine „convenzione" über den Status von Jerusalem56 existiere und die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet seien, diese zu respektieren. Ebenso wurde in einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Spanien5 7 um die Ausweisung eines Spaniers aus den spanischen En klaven von Ceuta und Melilla zwar auf die Antikolonialisierungskam pagne der Vereinten Nationen verwiesen, ihr jedoch keine entschei dende Bedeutung beigemessen. Südafrikanische und rhodesische Entscheidungen vermieden die Frage der Autorität von Beschlüssen der Generalversammlung und des Sicherheitsrats dadurch, daß sie sie entweder einfach nicht erwähn ten58 oder ihren Sinn in das Gegenteil verkehrten59 • Lediglich das Urteil eines israelischen Militärgerichts in Ramallah60 , in 1967 von Israel besetztem Gebiet, setzt sich kritisch mit einem Be schluß des Sicherheitsrats auseinander. Auf die Einrede der Unzu ständigkeit, unter anderem wegen der Aufforderung des Sicherheits rates an Israel, sich zurückzuziehen81 , verweist das Gericht zunächst auf das Fehlen der Inkorporation durch die Knesset und meint dann : GA Res. 181 (II) vom 29. Nov. 1947. Vgl. auch die Entscheidung Attorney- General of Israel v. El-Turani, Bezirksgericht Haifa, 21. Aug. 1951 (bestätigt vom Obersten Gerichtshof am 31. Dez. 1952), 18 ILR 164 (1951), in welcher das Gericht den Teilungsplan zur Untermauerung seiner Jurisdiktion über einen strittigen Grenzstreifen heranzog. 55 Gutachten auf Ersuchen des Außenministeriums, 9. Dez. 1958, 43 Rivista DI 321 (1960). 58 Gemeint war hier offenbar der Teilungsplan, welcher eine Internationa lisierung vorsah. Vgl. auch den englischen Fall Schtraks v. Government of Israel and Others, House of Lords, 6. Sept. 1962, [1964] A. C. 556, in welchem die Anwendung eines Auslieferungsvertrages mit Israel, ohne Bezugnahme auf den Teilungsplan, auch auf den von Israel effektiv beherrschten Teil Jerusalems ausgedehnt wurde. 57 D. Tomcis G. M. I Ministerio de la Gobernaci6n, 5. Mai 1965, 20 Revista Esp. DI 478 (1967). 58 S. v. Tuhadeleni and Others, Südafrika, Appelate Division, 22. Nov. 1968, 18 ICLQ 789 (1969). In einer Frage, welche Süd-West Afrika und die dort bestehenden Mandatsverpflichtungen betraf, scheint das Gericht von der in der Resolution der Generalversammlung vom 27. Okt. 1966 2145 (XXI) aus gesprochenen Beendigung des Mandats überhaupt nicht Notiz genommen zu haben. 59 Madzimbamuto unten VI. B. 1. Anm. 36. 53
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80 Military Prosecutor v. Halil Muhamad Mahmud Halil Bakhis and Others, 10. Juni 1968, 47 ILR 484. 61
Res. 242 vom 22. Nov. 1967.
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It is well known that the Declaration of Human Rights and the Security Council Resolution have therefore declaratory value only and that they assist the General Assembly, the Security Council and the other organs of the United Nations in their work, but that is all. In dieser extremen Formulierung liegt sicherlich eine Fehleinschätzung der Autorität der Resolution vor. Die Einschränkung ihres Adressaten kreises auf die Organe eben der Organisation, von welcher sie herrührt ohne eine Rechtswirkung auch für die Mitgliedsstaaten anzuerkennen, wird ihrer Rechtswirkung nicht gerecht. Besonders kritisch und interessant wird die Frage nach der Autorität internationaler Organentscheidungen in Fällen, in denen entgegenge setzte Argumente und Ansprüche auf verschiedene Beschlüsse interna tionaler Organisationen, die unter Umständen widersprechend sind, ge stützt werden. Die Behandlung der internationalen Entscheidungen kann dann Rückschlüsse auf die relative Autorität zulassen, die ihnen beigemessen wurde. Im Eichmann-Fall vor den israelischen Gerichten62 bestritt die Ver teidigung die Zuständigkeit des Gerichts und stützte sich dabei auch auf eine Resolution des Sicherheitsrats63, welche die Entführung des Ange klagten verurteilt hatte. Weder das Bezirksgericht von Jerusalem64 noch der Oberste Gerichtshof65 versuchten die Autorität der Resolution zu bezweifeln und sich auf die Behauptung einer bloß empfehlenden Wir kung zurückzuziehen. Vielmehr wurde vom Text der Resolution aus gehend argumentiert, daß sie die Zuständigkeit israelischer Gerichte zur Verurteilung des Angeklagten nicht beeinträchtige66 • Darüber hin aus stützte sich das Bezirksgericht jedoch auf frühere Resolutionen der Generalversammlung, um die Legalität des Arrests zu belegen : Moreover, the United Nations Assembly has in recurrent Resolutions (Resolutions of February 12 - 13, 1946, and October 31, 1947) enjoined all States, whether or not Member States of the United Nations, to arrest war criminals and the perpetrators of crimes against humanity wherever they may hide and to surrender them, even without resort to extradition, with a view to expeditious prosecution87• Der Oberste Gerichtshof verwies überdies noch auf weitere Resolu tionen der Generalversammlung, in welchen sie die Prinzipien von Nürnberg akzeptiert und Völkermord als internationales Verbrechen klassifiziert hatte68 • 36 ILR 5. 36 ILR 58. 84 12. Dez. 1961, 36 ILR :18. 85 29. Mai 1962, 36 ILR 277. 88 36 ILR 59 f. 87 36 ILR 74. 88 36 ILR 296. 82
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Ein Fall vor dem US-Bezirksgericht von Puerto Rico69 ist besonders instruktiv für die Frage konkurrierender internationaler Organent scheidungen. Im Zuge einer Strafverfolgung unter dem Selective Ser vice Act brachte die Verteidigung vor, nach der Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen70, sei eine Einberufung zum Militär dienst aus einem besetzten Territorium unzulässig. Das Gericht wies die Klassifizierung Puerto Ricos als besetztes Territorium zurück. Es führte aus, daß die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1953 in einer Resolution festgestellt habe, daß Puerto Rico einen autonomen Status besitze und daß sie anerkannt habe, daß das Volk von Puerto Rico sein Recht auf Selbstbestimmung in effektiver Weise ausgeübt hätte71 • Demgegenüber hatte das UN Sonderkommittee für Kolonialis mus in neuerer Zeit eine Reihe von Beschlüssen gefaßt, aus denen ent nommen werden konnte, daß es die Frage des Rechts auf Selbstbestim mung in Bezug auf Puerto Rico für zumindest zweifelhaft hielt. Ange sichts dieser, einander widersprechender Erklärungen, meinte das Ge richt: To this date the special committee on colonialism has not made any formal declaration and the General Assembly Resolution of 1953 is in all force and effect and is the last pronouncement of the highest body of the United Nations in relation to the political status of Puerto Rico72• Daneben stützte sich das Gericht auch noch auf Artikel 21/3 der Allge meinen Erklärung der Menschenrechte und schloß daraus, die Verein ten Nationen könnten Puerto Rico nicht Unabhängigkeit auferlegen ohne dabei das Prinzip der Selbstbestimmung zu verletzen73 • Die Entscheidung enthält also Ansätze einer gewissen Klassifizie rung verschiedener internationaler Organakte nach ihrer Autorität, wobei von dem Gedanken ausgegangen wird, daß UN-Organe durch Beschlüsse eines anderen, höheren UN-Organs oder bestimmte frühere allgemeine Beschlüsse in ihrer Dispositionsfreiheit eingeschränkt sind. c) Die internationale Entscheidung als „Präzedenzfall"
Die Autorität internationaler Entscheidungen zur Beantwortung ana loger Rechtsfragen, welche vor staatlichen Gerichten anhängig sind, unterscheidet sich ganz wesentlich von der Rechtswirkung solcher Ent scheidungen zur Durchsetzung oder zur Vorfragenbeantwortung. Das internationale Organ, es handelt sich dabei regelmäßig um ein Gericht 89 70 71
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U. S. v. Vargas, 29. Jan. 1974, 370 F. Supp. 908. 75 UNTS 287. 370 F. Supp. 918. Ibid. 370 F. Supp. 919.
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oder Schiedsgericht, besitzt in der Regel keine positivrechtliche Er mächtigung zur Formulierung von Rechtsansichten für künftige Ent scheidungen. Dennoch läßt sich der Einfluß der internationalen Spruch praxis auf den völkerrechtlichen Entscheidungsprozeß nicht leugnen. Die Entscheidungen internationaler Rechtsprechungsorgane sind zwar für den besonderen Streitfall regelmäßig verbindlich, ihre Autorität für künftige Streitfälle vor anderen Entscheidungsorganen und zwi schen anderen Parteien entzieht sich jedoch einer einfachen Klassifi zierung. Diese Autorität hängt von einer Vielzahl verschiedener Fak toren ab, welche sich in abstracto nicht präzise erfassen lassen, sondern nur in einer besonderen Entscheidungssituation abgewogen werden können. aa) Ablehnung der Präzedenz wirkung internationaler Entscheidungen Die Schwierigkeiten bei der Erfassung und Begründung der Rechts erheblichkeit internationaler Entscheidungen für spätere Entscheidun gen, in denen ähnliche Rechtsfragen auftreten, haben manchmal zu einer Tendenz geführt, den Erkenntniswert völkerrechtlicher Präju dizien vollkommen zu negieren. Diese Ablehnung wird bisweilen mit der Unmöglichkeit der Drittwirkung einer Entscheidung auf Perso nen, welche nicht Parteien des Verfahrens gewesen sind, begründet74 • In dieser Aussage zeigt sich wohl nichts anderes als eine Verwechslung zwischen den in ihren Funktionen ganz verschiedenen Prozeßgrund sätzen des bindenden Präzedenzfalles und der res judicata. Die im Urteilsspruch ausgesprochene Verfügung übt eine unmittelbare recht liche Wirkung nur zwischen den Parteien aus. Die Auswirkung der in der Begründung ausgedrückten Rechtsansicht auf zukünftige Fälle ist aber eine völlig andere Frage. Der Ständige Internationale Gerichtshof hat übrigens in seiner frühe ren Interpretation des Artikels 59 seines Statuts75 selbst zur Unterbe wertung seiner eigenen Spruchpraxis in Bezug auf künftige Fälle bei getragen76 . Allerdings hat sich der Gerichtshof später wenig an diese 74 Nippold, Die zweite Haager Friedenskonferenz, 1. Teil: Das Prozeßrecht, S. 204 (1908) ; Wehberg, Kommentar zu dem Haager ,Abkommen betreffend die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten vom 18. Okt. 1907', AöR 1. Sonderheft 153 (191 1) ; Janssen-Pevtschin, Velu, Vanwelkenhuyzen, La Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertes fonda mentales et le fonctionnement des juridictions Belges, 15 Chronique de Politique Etrangere 199, 240 (1962) ; Papacostas, Nature juridique des actes des juridictions internationales et leurs effets en droit interne, 23 Revue Hellenique de Droit International 308, 313 (1970). 75 „Die Entscheidung des Gerichtshofs ist nur für die Parteien verbindlich, und zwar nur für den Fall, über den entschieden worden ist." 78 Vgl. PCIJ Ser. A, No. 7 auf S. 19, PCIJ Ser. A, No. 13 auf S. 21.
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dicta gehalten und regelmäßig auf seine früheren Entscheidungen ver wiesen77 . Im Falle des Tempels von Preah Vihear78 spezifizierte der Ge richtshof seine Haltung zu dieser Frage ein wenig. Nachdem er fest gestellt hatte, eine seiner früheren Entscheidungen sei „by reason of Article 59 of the Statute, only binding, qua decision, as between parties to that case", fuhr er unmittelbar darauf fort, seine frühere Entschei dung zu untersuchen „ as a statement of what the Court regarded as the correct legal position " 79 • Ein Grund für die einschränkende Haltung gegenüber Präzedenzfäl len mag in der etwas unglücklichen und zweideutigen Formulierung des Artikels 59 liegen. Sie wurde im Schiedsspruch zum Leuchttürme Fall denn auch einer scharfen Kritik unterzogen : On pourrait soutenir ensuite - autre argument juridique - que le texte de l'article 59 du Statut de la Cour internationale de Justice et de la disposi tion qui l'a precede est mal redige et qu'on doit necessairement l'inter preter dans un sens plus liberal que ses termes ne semblent le justifier. Il y a beaucoup a dire en faveur de cette these, d'autant plus que ce texte n'a pas ete emprunte au projet du Comite de juristes qui a elabore le Sta tut de 1920, mais a ete deforme par l'amendement mal venu d'un corps politique. S'il etait vrai qu'un arret de la Cour n'est revetu de l'autorite de la chose jugee que dans le seul cas qui a ete decide, cela signifierait que, si le „cas" concerne l'interpretation d'une clause de traite, l'interpretation donnee pourrait etre remise en discussion dans des „cas" futurs ayant trait a la meme clause de traite. Un tel resultat ne serait pas seulement ab surde, mais mettrait l'article 59 en contradiction inconciliable avec la phrase finale de l'article 63 du meme Statut declarant que, lorsqu'un Etat tiers intervient a un proces dans lequel il s'agit de l'interpretation d'une convention multilaterale a laquelle il est partie ensemble avec les Etats litigants, l'interpretation contenue dans la sentence est egalement obliga toire a son egard. La res judicata s'etend, par consequent, hors des limites strictes du cas decide80• Die an sich berechtigte Ablehnung einer kritiklosen Übernahme des im common law bekannten Prinzips des stare decisis führt ebenfalls leicht zu einer Tendenz den Wert der internationalen Spruchpraxis zu gering zu bewerten81 • Eine Kompromißlösung wurde manchmal darin gesehen, einschlägige internationale Vorentscheidungen in den Bereich Bernhardt, Homogenität, S. 19 f. ; Rosenne, The Law and Practice, S. 620. ICJ Reports 1961. 7 9 Auf S. 27. Vgl. hiezu auch die Äußerung des Richters Guggenheim zum Nottebohm-Fall in ICJ Reports, 1955, S. 61, sowie den IGH selbst in ICJ Reports, 1963, S. 37. 80 12 RIAA auf S. 194. 81 z. B. : Berger, Bindung an Präjudizien im Völkerrecht?, 6 ÖZöR 303 (1955) ; Scheuner, Comparison of the jurisprudence of national courts with that of the organs of the Convention as regards other rights, in Human Rights in National and International Law (Robertson, Hrsg.), S. 214, 234 (1968) ; Golsong, loc. cit. S. 270. 77
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der autorite scientifique zu verweisen82 und ihre Berücksichtigung zu einer Sache der Vernunft und Praktikabilität zu erklären83 • In der Praxis staatlicher Gerichte findet sich nur selten eine ausdrück liche Ablehnung des Erkenntniswerts der internationalen Spruchpraxis aus grundsätzlichen Erwägungen. Ein Beispiel für eine solche grund sätzliche Ablehnung internationaler Entscheidungspraxis durch ein staatliches Gericht bietet das Urteil des Berufungsgerichts von Genua im Falle Pavia c. Amministrazione Finanze 84 • Das Gericht hatte Ar tikel 78 des Friedensvertrags mit Italien aus dem Jahre 1947 85 zu inter pretieren, welcher Staatsangehörige der Vereinten Nationen von Ab gaben befreite, die zur Deckung der Kriegskosten dienen sollten. Nach dieser Regelung gehören auch solche Personen zu den Staatsangehöri gen der Vereinten Nationen, die während des Krieges als Feindstaats angehörige behandelt worden waren. Das Gericht entschied, daß Per sonen „hebräischer Rasse" mit italienischer Staatsangehörigkeit nicht durch diese Bestimmung geschützt seien. Die anderslautende Spruch praxis der unter Artikel 83 des Vertrages errichteten Schlichtungskom mission beeindruckte das Gericht nicht : . . . die Hinweise auf diese Entscheidungen, welche sich in der Lehre finden, zeigen, daß sie Streitigkeiten in einzelnen Fällen zwischen Privatpersonen zum Gegenstand haben und daß . . . die vertragschließenden Staaten diesen Kommissionen nicht die Aufgabe übertragen haben, den Sinn des Artikel 78 Paragraph 9 des Vertrags in Bezug auf sämtliche mögliche Fälle festzu stellen, auf welche sich diese Norm bezieht. Es handelt sich also um Ent scheidungen mit einer Wirkung, welche auf den besonderen entschiedenen Fall beschränkt ist und nicht um Entscheidungen, welche eine Feststel lung der Interpretation der Vertragsbestimmung enthalten, die für alle Fälle gilt, die von dieser Norm in abstracto erfaßt sind : Wäre eine derar tige Feststellung tatsächlich von den vertragschließenden Parteien ange fordert worden und von der Kommission mit den Entscheidungen gegeben worden, so hätte sie zur Obernahme in die interne italienische Rechtsord nung durch einen legislativen Akt wirksam gemacht werden müssen : Das ist nicht geschehen eben deshalb, weil diese Entscheidungen nur diese ein zelnen Streitigkeiten entscheiden sollten und nur eine Wirkung für sie • haben sollten88• Eine derart radikale Ablehnung des Erkenntniswerts einschlägiger internationaler Vorentscheidungen wäre wohl nicht nötig gewesen, um 82 Limburg, L'Autorite de chose jugee des decisions des juridictions inter nationales, 30 RC 523, 549 (1929, V) ; Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstan zen, S. 94 f. 83 Basdevant, Le Röle du juge national dans l'interpretation des traites diplomatiques, 38 RCDIP 413, 428 (1949) ; Fawcett, The British Commonwealth in International Law, S. 55, 73 (1963) ; Dominice La nature juridique, S. 261 f. 8 4 5. Jan. 1965, 49 Rivista DI 395 (1966). 85 49 UNTS 126, 162. 88 Auf S. 399. Übersetzung vom Autor.
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die Abweichung von der in der internationalen Spruchpraxis vorge zeichneten Lösung zu rechtfertigen. Die Weigerung, einer internationa len Entscheidung zu folgen, mag in einzelnen Fällen angemessen und berechtigt sein. Eine derartige Vorgangsweise im besonderen Falle aber mit der generellen Irrelevanz einschlägiger internationaler Prä judizien begründen zu wollen, erscheint unangemessen und irrefüh rend. In anderen Fällen ist es denn auch augenfällig, daß die Ablehnung einer internationalen Entscheidung in einem analogen Fall nicht so sehr auf grundsätzlichen dogmatischen Bedenken beruht, als vielmehr auf dem Bestreben, eine abweichende Lösung zu rechtfertigen. In Mackay Radio and Telegraph Co. v. Lal-la Fatma and others 81 weigerte sich das Berufungsgericht in Tanger, einem Urteil des Internationalen Gerichts hofs, welches fast die gleiche Frage für Marokko entschieden hatte, zu folgen. Es meinte unter anderem : [T]he Judgment of the International Court of Justice of 1952 is not applicable to the Tangier Zone because, first, it does not create precedent, the Judgment itself declaring that its applicability is limited to the French Zone of Morocco ; secondly, because, even if this were not so, such decision might at best provide inspiration and guidance, although not because its judgments have any binding force in municipal courts88 ; Dennoch verweist das Gericht etwas später auf die parallele Situation in Marokko und stützt sich dabei auf die Minderheitsvoten der über stimmten Richter des Internationalen Gerichtshofs zu eben dem Urteil, dessen Relevanz es zuvor bestritten hatte89 • In ähnlicher Weise wies der Oberste Gerichtshof der Tschechoslowakei in einer Enteignungsfrage einen Hinweis auf die Spruchpraxis des Ständigen Internationalen Gerichtshofs zurück90 • Er erklärte zunächst, daß derartige Urteile nichts über den entschiedenen Fall hinaus aus sagten, zitierte wenig später aber selbst ein Urteil des Ständigen Inter nationalen Gerichtshofs und zog Schlußfolgerungen aus ihm91 • In anderen Fällen wiederum fanden Gerichte internationale Ent scheidungen, die ihnen vorgetragen wurden, entweder ,unanwendbar' 92 oder verzichteten darauf, überhaupt auf sie Bezug zu nehmen93 • 87 88 89
31. Aug. 1954, 21 ILR 136 (1954).
s. 137. s. 140.
9° Czechoslovak Agrarian Reform (Swiss Subjects) Case, 8. Apr. 1927, 4 AD 147 (1927 - 28). 91 s. 149 f. 92 österr. OGH, 16. Feb. 1926, SZ VIII/55 auf S. 155 ; High Court of Kenya, Kenya v. C. 0. Mushiyi und Kenya v. D. M. Ombisi, 3. Nov. 1969, 9 ILM 556, 558 (1970).
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Die Entscheidungspraxis internationaler Rechtsprechungsorgane übt einen ganz wesentlichen Einfluß auf die Kontinuität, Einheitlichkeit und Voraussehbarkeit des völkerrechtlichen Entscheidungsprozesses aus und stellt somit einen wichtigen Faktor für die Rechtssicherheit dar. Eine dogmatische Ablehnung dieser internationalen Praxis als Ent scheidungshilfe für staatliche Gerichte müßte notwendigerweise nega tive Auswirkungen auf die Abstimmung der Tätigkeit staatlicher Ge richte mit der Rechtsentwicklung vor internationalen Organen haben. In letzter Konsequenz könnte eine beharrliche Nichtbeachtung der in ternationalen Entscheidungspraxis, zu völkerrechtswidrigen Entschei dungen führen und die Gefahr einer Verantwortlichkeit des Forum staates mit sich bringen. In einer ungleich größeren Anzahl von Fällen stützen sich die Ge richte denn auch auf die internationale Entscheidungspraxis. Dies sollte aber nicht zu einer quantitativen Analyse verleiten. Die oben aufgezeigten Fälle, in denen Gerichte ausdrücklich auf internationale Praxis verweisen, sich dann jedoch weigern, ihr zu folgen, stellen si cherlich Ausnahmen dar. Es muß befürchtet werden, daß in den mei sten Fällen, in denen ein Gericht sich entschließt, seinen eigenen Weg zu gehen, die widersprechende internationale Praxis mit Stillschweigen übergangen wird. Andererseits kann ein Gericht, selbst wenn es die internationale Praxis berücksichtigt, es unterlassen ausdrücklich darauf zu verwei sen94 . Theoretische Zweifel über den Status dieser ,Rechtsquelle' in dem vom Gericht anzuwendenden Rechtssystem können es dazu verleiten, die internationale Entscheidungspraxis nicht zu erwähnen. Der nach trägliche Versuch, eine allfällige Verbindung zwischen den beiden Ent scheidungen zu ergründen, ist dann meist aussichtslos. In einem englischen Fall, Attorney-General v. Nissan85, fiel die An lehnung an eine bekannte Passage aus einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs96 immerhin so deutlich aus, daß auch ohne 93 Als Beispiele für Fälle, in denen internationale Entscheidungen vorge tragen wurden, in der Entscheidungsbegründung jedoch kein Echo gefunden haben siehe : Hoani Te Heuheu Tukino v. Aotea District Maori Land Board, Privy Council, 3. Apr. 1941, [1941] A. C. 308 ; Attorney General v. Nissan, House of Lords, 11. Feb. 1969, [1970] A. C. 179 ; J. A. M. v. PubHc Prosecutor, Oberster Gerichtshof der Niederlande, 21. Jan. 1969, 1 NYIL, S. 222 (1970). 9 4 Vgl. französische Fälle, in welchen die Gerichte zwar der vom EuGH gegebenen Interpretation folgen, nicht aber auf die Entscheidungen des EuGH verweisen bei Kiss, Nature juridique des actes des organisations et des juridictions internationales et leurs effets en droit interne, Etudes de droit contemporain, 8. Congres international de droit compare, Pescara 1970, Con tributions francaises, S. 259, 267. 95 House of Lords, [1970] A. C. 179, Lord Pearce auf S. 223 : ,,The United Nations is not a super-state nor even a sovereign state . . . ".
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einen Hinweis im Urteil wenig Zweifel daran bestehen kann, woher der Richter seine Erkenntnis bezogen hat. Der häufigste Grund für das Fehlen eines Hinweises auf einschlägige internationale Organpraxis dürfte allerdings weder in einer ablehnen den Haltung gegenüber der sachlichen Lösung, noch in theoretischen Bedenken gegen die Zulässigkeit derartiger Quellen, sondern in der mangelnden Kenntnis der staatlichen Gerichte liegen. Trotz wachsen der Bemühungen, diese Materialien zugänglich zu machen, sind sie den meisten Gerichten und Anwälten fremd. In vielen Ländern, in denen das Fallmaterial nicht in der Amtssprache verfügbar ist, sind Sprach schwierigkeiten eine weitere Hürde für seine Benützung. bb) Die Autorität der internationalen Entscheidungspraxis Weder die Annahme einer bindenden Wirkung einschlägiger inter nationaler Entscheidungen zu ähnlichen Rechtsfragen, noch die ihrer völligen Bedeutungslosigkeit wird also ihrer Bedeutung für staatliche Gerichte gerecht. Die Ablehnung dieser beiden Extremlösungen bietet aber noch keine befriedigende Antwort auf die Frage inwieweit im be sonderen Falle tatsächlich auf derartige internationale Praxis Be dacht zu nehmen ist. Bei der Untersuchung dieser Frage ist es nicht möglich, nach einem einfachen und sicheren Anhaltspunkt zu suchen, welcher darüber Auskunft gibt, ob die betreffende Entscheidung im besonderen Falle ,anwendbar' ist oder nicht. Die Bedeutung einzelner internationaler Entscheidungen kann durchaus unterschiedlich sein und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Erst nach einer Überprüfung dieser Faktoren ist es möglich, die relative Autorität einer bestimmten internationalen Vorentscheidung für den vorliegenden Fall zu beurtei len. Es ist dann zu entscheiden, ob die dort vorgezeichnete Lösung in gleicher oder ähnlicher Form zu übernehmen ist, ob sie als nicht sach gerecht abzulehnen ist, oder wegen der Verschiedenheit der Sachver halte keinen Wert für die Entscheidungsfindung hat. Im folgenden sol len daher einige der wichtigsten dieser Faktoren für das Maß der Auto rität der internationalen Entscheidung vor dem staatlichen Gericht betrachtet werden. 1 . Die Ähnlichkeit der Sachverhalte der beiden Fälle als wesentliches Element der Bedeutung der früheren Entscheidung für die spätere, ist selbstverständlich keine Besonderheit internationaler Entscheidungen. Im common-law System bedient sich der Richter der Technik des ,distinguishing', wenn er zum Schluß kommt, daß die wesentlichen Um stände seines Falles so verschieden von einer früheren Entscheidung 98
ICJ Reports, 1949, S. 179.
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sind, daß letztere nicht zur Lösung seiner Frage beitragen kann. Al lerdings wäre es verfehlt, diesen Vorgang des ,distinguishing' als einen einfachen mechanischen Prozeß zu sehen, welcher in simpler Weise festlegt, ob die frühere Entscheidung bindend oder irrelevant ist. Der Entscheidung darüber, ob ,gefolgt' oder ,unterschieden' werden soll, geht vielmehr oft ein überaus subtiler Bewertungsprozeß vor aus, in dessen Verlauf der Richter beurteilen muß, ob die Ähnlichkeit der Fakten, aber auch die Klugheit der früheren Entscheidung, die Übernahme der dort gewählten Lösung rechtfertigt97 • Obwohl dieser Vorgang bei der Beurteilung internationaler Ent� scheidungen für spätere Fälle durchaus ähnlich ist, ergeben sich bei der Heranziehung des internationalen Fallmaterials doch ganz spezifische Probleme. Die relative Seltenheit internationaler Rechtsprechungs akte sowie eine verhältnismäßig schwierige Zugänglichkeit und Über schaubarkeit der Entscheidungspraxis nicht rechtsprechender interna tionaler Organe, verursachen oft viel größere Schwierigkeiten ein schlägige internationale Entscheidungen für eine bestimmte Frage auf zufinden, als dies bei der Suche nach · Präzedenzfällen in einer staat lichen Rechtsordnung der Fall ist. Dies führt bisweilen zu einer Ten denz in sehr generalisierender Weise und mit Hilfe oft recht weitrei chender Analogien nach Anhaltspunkten im weitmaschigen Netz inter nationaler Vorentscheidungen zu suchen. Ein besonders krasses Beispiel für eine derartige Vorgangsweise bie tet ein Urteil des Tribunale di Roma98 • In diesem Fall war in einer Klage gegen den jugoslawischen Staat über eine Frage der Staatenim munität zu entscheiden. Das Gericht bediente sich dabei des Grundsat zes der b ona fides, welchen es nicht nur der Völkerbundsatzung und der Charta der Vereinten Nationen, sondern auch einer Entscheidung des Ständigen Schiedshofs aus dem Jahre 1904 entnahm99 • Dies obwohl die internationale Entscheidung100 nicht den geringsten Zusammenhang mit Fragen der Immunität ausländischer Staaten vor staatlichen Ge richten hatte. Die Neigung, sich bei der Berufung auf internationale Fallpraxis weithergeholter Schlüsse zu bedienen, wird allerdings bisweilen durch generalisierende Feststellungen und dicta des internationalen Ent97 Vgl. Allen, Law in the Making, S. 282 f. ; Horak, Zur rechtstheoretischen Problematik der juristischen Begründung von Entscheidungen, in Die Ent scheidungsbegründung (Sprung u. König, Hrsg.), S. 1, 18 (1974). 9 8 Castiglioni v. Federal People's Republic of Yugoslavia, 28. Jan. 1952, 19 ILR 203 (1952). 99 Auf S. 209. 100 Schiedsspruch vom 22. Feb. 1904, Scott, The Hague Court Reports, S. 56 (1916).
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scheidungsorgans gefördert. Im Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations 101 , war der Internationale Gerichtshof ersucht worden, die konkrete Frage zu beantworten, inwieweit die Vereinten Nationen imstande seien, Rechtsansprüche für Schäden zu verfolgen, welche ihre Bediensteten erlitten ha:tten. Bei der Beantwortung dieser Frage fand es der Gerichtshof angebracht, einige sehr allgemeine Feststellungen über die Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen zu machen102 • In der Folge bemächtigten sich staatliche Gerichte dieser Feststellun gen urid zogen weitreichende Schlußfolgerungen aus ihnen. Der Ver such eines amerikanischen Gerichts, aus dieser Passage im Gutachten des Internationalen Gerichtshofs eine Klagslegitimation der Vereinten Nationen aus einem Seefrachtvertrag vor den Gerichten der USA ab zuleiten, mag dabei noch eine gewisse Überzeugungskraft haben1 ° 3 • Weniger einleuchtend ist allerdings die Heranziehung dieses Teils des Rechtsgutachtens durch ein anderes amerikanisches Gericht in einem Strafverfahren gegen einen UN-Bediensteten wegen Spionage104 • Das Gericht verneinte eine diplomatische Immunität des Angeklagten, indem es zwischen Bediensteten der Vereinten Nationen und Diploma ten unterschied. Zur Unterstützung dieser Unterscheidung zitierte es aus dem Rechtsgutachten um die von den Mitgliedstaaten abgrenzbare Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen zu belegen105 • In dem bereits erwähnten englischen Fall Attorney-General v. Nis verwies eine Partei auf dieses Rechtsgutachten des Internationa len Gerichtshofs zur Stützung ihrer Behauptung, daß lediglich die Ver einten Nationen und nicht die Mitglieder, welche Truppenkontingente zur Verfügung stellen, für die Handlungen der UN Truppen verant wortlich seien107 • Das Argument wurde akzeptiert, wenngleich der In ternationale Gerichtshof nicht ausdrücklich zitiert wurde. san 106
Die beiden letzten Fälle zeigen recht deutlich, in welcher Weise durch eine großzügige Kombination induktiver und deduktiver Argu mentationen internationale Entscheidungen für Fragen herangezogen werden, die von ihnen gar nicht beantwortet wurden. Zur Bejahung 101 ICJ Reports, 1949, S. 174. 102 Insbes. auf S. 179. 103 Balfour, Guthrie & Co. Ltd. v. U. S., Dist. Ct. Northern Dist. of Calif., 5. Mai 1950, 90 F. Supp. 831, 45 AJIL 198 (1951), 17 ILR 323 (1950). 104 U. S. v. Melekh, Dist. Ct. D. C., 28. Nov. 1960, 190 F. Supp. 67, 55 AJIL 734 (1961). 105 190 F. Supp. 81. 10• [1968] 1 Q. B. 286. 107 Auf S. 334. Das Rechtsgutachten des IGH wurde nicht mehr herangezo gen als der Fall schließlich das House of Lords erreichte, [1970] A. C. 179.
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spezifischer Rechtsverfolgungsansprüche waren vom IGH verallge meinernde Bemerkungen über die Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen gemacht worden. Staatliche Gerichte versuchten daraus ganz bestimmte Verpflichtungen der Organisation oder ihrer Angestellten abzuleiten. Das soll selbstverständlich nicht heißen, daß die betreffen den Stellen im Gutachten des Internationalen Gerichtshofs nicht eine weitreichende Bedeutung in der Theorie und Praxis zur Rechtspersön lichkeit internationaler Organisationen erlangt haben. Aus der generel len Feststellung einer Rechtspersönlichkeit aber auf konkrete Rechte und Pflichten schließen zu wollen, erscheint gerade bei internationalen Organisationen überaus fragwürdig. Ganz allgemein ist es bei der Heranziehung früherer Entscheidungen wichtig, zwischen der zur Sachentscheidung führenden Argumentation und einem begleitenden verbalen Verhalten zu unterscheiden. Zwar sind auch generalisierende Feststellungen oder obiter dicta sicherlich nicht ganz ohne Erkenntniswert. Ein Entscheidungsorgan in einem späteren Falle hat sie aber doch mit bedeutend mehr Vorsicht und Zurückhaltung zu behandeln. Nur durch den Versuch, die relevanten Rechtsfragen, welche der Sachverhalt des früheren Falles aufgeworfen hat, zu identifizieren, die möglichen Alternativen für ihre Lösung ab zuwägen und die Motive und rechtspolitischen Überlegungen der ge troffenen Entscheidung zu ergründen, ist es möglich, sich der Autorität des früheren Falles und der aus ihm gewonnenen Erfahrung zu be dienen. Die Suche nach Anhaltspunkten in der Form von Präzedenz fällen sollte ein Gericht nicht dazu verleiten, neue Rechtsfragen mit Hilfe gekünstelter Derivationen beantworten zu wollen. Die soziale Ordnungsfunktion des Rechts ermöglicht nur in einem beschränkten Ausmaße ein sinnvolles Arbeiten mit rein logischen Operationen wie Syllogismen oder Analogien. Neue Probleme erfordern neue Lösungen und die rechtspolitischen Überlegungen, welche einen auf den ersten Blick ähnlichen Fall beherrschen, können sich bei näherer Betrachtung als für den vorliegenden Fall völlig inadäquat herausstellen. In einer solchen Situation ist es bedeutend zielführender, sich zu einer unabhän gigen und neuartigen Entscheidung durchzuringen, als fragwürdige Schlußfolgerungen aus früheren Fällen abzuleiten. Andererseits gibt es auch Gebiete, in denen eine konkrete und de taillierte internationale Spruchpraxis existiert. In solchen Fällen ist eine sinnvolle Entscheidungstätigkeit ohne ihre Berücksichtigung nur schwer möglich. So haben beispielsweise die umfangreichen Urteile des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg den derzeitigen Stand des internationalen Kriegsrechts in vielen Teilbereichen ganz entschei dend mitgeprägt. Dementsprechend haben sich staatliche Gerichte in
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kriegsrechtlichen Fragen seither in zahlreichen Fällen auf die Urteile von Nürnberg gestützt108 • Besonders interessant und augenscheinlich wird die Frage der Auto rität internationaler Entscheidungen, wenn das internationale Organ eine völkerrechtliche Vertragsbestimmung interpretiert hat, die in der Folge von einem staatlichen Gericht anzuwenden ist. Soferne andere Umstände nicht eine Unterscheidung rechtfertigen, ist es dabei bedeu tungslos, ob es sich um eine Bestimmung desselben Vertrages oder eine gleiche oder sehr ähnliche eines anderen handelt. Das Berufungsgericht von Den Haag 109 stieß in einem Falle, in welchem es eine Bestimmung der Konvention über Privilegien und Immunitäten der Vereinten Na tionen auszulegen hatte, auf ein Urteil des Gerichtshofs der Euro päischen Gemeinschaften, welcher eine gleichgelagerte Frage in Bezug auf das Protokoll über die Vorrechte und lmmunitäten der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl interpretiert hatte. Das Gericht ver warf den Einwand des Kommissärs der Steuerbehörde, das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft sei unerheblich, da es einen anderen Vertrag betreffe: Naturally, one must grant the Commissioner that the answer to the pre sent problem is not necessarily the same in relation to the European Communities as in relation to the United Nations and also that the Court of Justice of the European Communities has not given a decision, nor in deed could it have done so, on the interpretation of the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations. Nevertheless, the great similarity of the relevant provisions of that Con vention and those of the Protocols of the European Communities is re markable . . .110 • In view of the similarity between Article V, section 18 of the Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations and the provisions of the European Communities on the same subject, everything, in the 108 Siehe z. B. : In re Garbe, OLG Kiel, 26. März 1947, 15 AD 419, 420 (1948) ; In re Hauck, Voigt and Others, (französ.) Cour de cassation, 3. Juni 1950, 17 ILR 388 (1950) ; In re Graff and Others, (französ.) Cour de cassation, 3. Aug. 1950, 78 Clunet 578 (1951), 17 ILR 385 (1950) ; In re FröhUch, (niederl.) Special
Court of Cassation, 17. Okt. 1949, 16 ILR 393 (1949) ; folgende Urteile von U. S. Militärgerichten : In re Milch, 17. Apr. 1947, 14 AD 299 (1947) ; In re List and Others, 19. Feb. 1948, 15 AD 632, 634 (1948) ; In re Ohlendorf and Others, 10. Apr. 1948, 15 AD 656, 666 (1948) ; sowie In re Von Leeb and Others, 28. Okt. 1948, 15 AD 376 (1948) ; Bernstein v. van Heyghen Freres, Cir. Ct. App. 2nd Circ., 10. Juli 1947, 163 F. 2d, 246, cert. den. 332 U. S. 772, 14 AD 11 (1947) ; U. S. v. Valentine, Dist. Ct. Puerto Rico, 20. Aug. 1968, 288 F. Supp. 957, 986 f., 63 AJIL 345 (1969). Im Eichmann-Fall stützte sich sowohl das Bezirksgericht von Jerusalem, 12. Dez. 1961, als auch der Oberste Gerichtshof von Israel, 29. Mai 1962, wiederholt und ausführlich auf die Urteile des Internationalen Militärgerichts : 36 ILR 18, 39 f., 295, 311, 317 f. 108 Van V. v. Commissioner of Internal Revenue, 9. Dez. 1969, 2 NYIL 266 (1971). 110 Auf S. 228. 7 Schreuer
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Court's view points to the first-mentioned provision being interpreted in the same way as the Court of Justice of the European Communities inter preted the last-mentioned provision of the aforementioned case 111 • Die Frage übereinstimmender Interpretationen eines Vertrags durch internationale und staatliche Rechtsanwendungsorgane erhält beson dere Bedeutung wenn dieser Vertrag ständig und häufig von eigens hiezu errichteten internationalen Organen und von staatlichen Gerich ten ausgelegt wird112 • Insbesondere in Situationen, in denen interna tionale Organe die Möglichkeit einer nachprüfenden Kontrolle der Vertragsanwendung durch staatliche Gerichte haben, oder eine Ein flußnahme des internationalen Organs auf noch laufende Gerichtsver fahren möglich ist, wird die einheitliche Interpretation zu einer zen ralen Frage. Die Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention 113 , und dem europäischen Ge meinschaftsrecht 114 gemacht worden sind, sind wichtig genug, um in besonderen Abschnitten überprüft zu werden. 2. Auch der völkerrechtliche oder staatsrechtliche Charakter der ent schiedenen Rechtsfrage ist ein wichtiges Element für die Beurteilung der Autorität einer internationalen Entscheidung. Es wäre ganz ver fehlt anzunehmen, daß jede von einem internationalen Organ entschie dene Rechtsfrage notwendigerweise dem Völkerrecht zuzurechnen ist. Insbesondere internationale Gerichte und Schiedsgerichte haben immer wieder auch staatliche Rechtsnormen anzuwenden115 • Der Grund für die Befassung des internationalen Organs mit dem Streitfall ist bisweilen ein prozessuales internationales Element, das bei der Frage des an wendbaren Rechts keine, oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. In komplizierteren internationalen Verfahren treten neben völkerrecht lichen Aspekten fast immer auch Fragen staatlichen Rechts auf. In solchen Fällen ist es angebracht, die staatsrechtliche Seite der in ternationalen Entscheidung mit mehr Zurückhaltung zu behandeln als ihre völkerrechtliche. Eine einheitliche und effektive Praxis der Rechts anwendungsorgane des betreffenden Staates wird das jeweils geltende staatliche Recht regelmäßig getreuer wiedergeben als Entscheidungen Auf S. 230. Vgl. dazu auch Den Breejen v. Lloyd Schleppschiffahrt A. G. vor dem Bezirksgericht von Rotterdam, 2. Jan. 1957, 4 NTIR 311 (1957). Das Gericht stützt sich bei der Interpretation der Konvention von Mannheim 1868 auf ,,die ständige Spruchpraxis der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt". 113 Siehe unten III. A . 1. c) dd). 114 Siehe unten III. A. 1. c) ee). 115 Jenks, The Prospects, S. 547 f., 728 ; Stoll, L'application et l'interpreta tion du droit interne par les juridictions internationales (1962) ; van Panhuys, Relations and interactions, S. 19 f. ; Batiffol, Droit international prive Bd. 1, s. 29 f. (1970). 111
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internationaler Organe 116 • Diese Ansicht wird durch eine Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs gestützt. Als er im Serbian Loans Case 111 eine Goldklausel auszulegen hatte, die in einem unter französischem Recht abgeschlossenen Vertrag enthalten war, meinte er: For the Court itself to undertake its own construction of municipal law, leaving on one side existing judicial decisions, with the ensuing danger of contradicting the construction which has been placed on such law by the highest national tribunal which, in its results, seems to the Court reason able, would not be in conformity with the task for which the Court has been established and would not be compatible with the principles govern ing the selection of its members . . . lt is French legislation, as applied in France, which really constitutes French law . . . 118• Als die solcherart vom Ständigen Internationalen Gerichtshof ge wählte Lösung in einem späteren Fall vor englischen Gerichten110 vor getragen wurde, um auf die Goldklausel einer Sicherstellung übertra gen zu werden, auf die englisches Recht anwendbar war, wurde sie denn auch überaus zurückhaltend aufgenommen. Wenngleich keines der Urteile die staatsrechtliche Natur der vom Ständigen Internationalen Gerichtshof entschiedenen Frage ausdrücklich als Grund dafür an führte, ihr keine entscheidende Bedeutung beizumessen, so hat dieser Faktor doch sicherlich eine wichtige Rolle gespielt. Es muß angenom men werden, daß die Gerichte die Bedeutung der internationalen Ent scheidung kaum so gering bewertet hätten, hätte es sich um völker rechtliche Fragen gehandelt 120 • Das soll nun keineswegs bedeuten, daß staatliche Gerichte Entschei dungen völkerrechtlicher Organe zu staatsrechtlichen Fragen stets 118 Jenks, The Prospects, S. 590 f., 729 ; zur Praxis der Verwaltungsgerichte internationaler Organisationen zu dieser Frage siehe Seyerstedt, Settlement of Internal Disputes of Intergovernmental Organizations by Internal and External Courts, 24 ZaöRV 1, 90 f. (1964). Ein ähnliches Problem kann sich in stark föderalistischen Staatsverfassungen ergeben, soferne zur Anwendung von Gliedstaatenrecht Gerichte des Bundes und der Gliedstaaten ermächtigt sind. Im Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten ist diese Frage praktisch geworden. In einer richtungweisenden Entscheidung, welche eine lange Periode der Unsicherheit zu dieser Frage beendete, entschied sich der U. S. Supreme Court für die hier angedeutete Lösung. Er stellte fest, daß Bundes gerichte, in Fällen in denen sie Gliedstaatenrecht anzuwenden hatten, dieses in der Weise auszulegen hätten, wie es von der Gesetzesgebung und der Ge richtspraxis der betreffenden Staaten vorgezeichnet sei : Erie Railroad Co. v. Tompkins, 304 U. S. 64. 117 PCIJ Ser. A, Nos. 20/21. 11 8 Auf S. 46. In gleichem Sinne auch Brazilian Loans Case, PCIJ Ser. A, Nos. 20/21, S. 93, 124. 119 In re Societe Intercommunale Belge d'Electricite, [1933] 1 Ch. 684, 689 ; Feist v. Societe Intercommunale Belge d'Electricite, House of Lords, [1934] A. C. 161, 173; Rex v. International Trustee for the Protection of Bondholders Aktiengesellschaft, Court of Appeal [1937] A. C. 500. 120 Jenks, The Prospects, S. 730 f.
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wertlos finden müssen. Solche Entscheidungen können oft wertvolle Analysen darstellen und unter Umständen Einblicke gewähren, die örtliche Gerichte normalerweise nicht vermitteln. Dies zeigt eine englische Entscheidung121 , in der ein Gesetz zu inter pretieren war, welches den Friedensvertrag mit Ungarn inkorporiert hatte. Dabei unterschied das Gericht zwischen einer Gesellschaft als Rechtspersönlichkeit und ihren Aktionären und fand es nützlicll, einen internationalen Sclliedsspruch122 , welcher diese Frage rechtsvergleichend betrachtet hatte, zu zitieren: lt is worth noting, when a document of an international character is being indirectly construed, that these principles are not peculiar to English law. The point was considered by an international tribunal, the Permanent Court of International Justice123, in Standard Oit Company's Claim, where it declares that „the decisions of principle of the highest courts of most countries continue to hold that neither the shareholders nor their creditors have any right to the corporate assets other than to receive, during the existence of the company, a share of the profits, the distribution of which has been decided by a majority of the shareholders, and, after its winding up, a proportional share of the assets" 124 • Auch internationale Entscheidungen zu staatsrechtlichen Fragen kön nen also einen gewissen Wert besitzen. Ihr relatives Gewicht ist je doch ungleich größer, soferne sie über ein völkerrechtliches Problem entscheiden. 3. Auch der Einfluß der internationalen Entscheidung auf den inter nationalen Entscheidungsprozeß hat Auswirkungen auf ihre Autorität im besonderen Falle. Es wäre daher unzureichend, wollte sich der staat liclle Richter auf eine Untersuchung des Textes der internationalen Entscheidung beschränken. Zur Feststellung ihrer Bedeutung für die Klärung und Weiterentwicklung des Völkerrechts ist es nötig, die in ternationale Entscheidung nicht isoliert, sondern als Teil eines umfas senden Kommunikationsprozesses zu sehen. Dieser Kommunikations prozeß spielt sich in einer Vielzahl von Formen, einseitig oder mehrsei tig, spontan oder organisiert, formell oder informell ab. Die dabei auf tretenden rechtserheblichen Akte, welche alle zur Formung des Völ kerrechts beitragen und daher mitbeachtet werden müssen, umfassen frühere und spätere Entscheidungen internationaler wie nationaler Gerichte, Äußerungen und Praxis anderer Staatsorgane, Handlungen Bank voor Handel en Scheepvaart v. Slatford, [1953] 1 Q. B. 248. Arbitration between the Reparation Commission and the Government of the United States of America under the Agreement of June 7, 1920, 5. Aug. 121
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1926, 8 BYIL 156, 162. 123 Bei dem Hinweis auf den Ständigen Internationalen Gerichtshof han delt es sich offenkundig um einen Irrtum. 124 Auf S. 271.
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internationaler Institutionen und schließlich auch Transaktionen von Wirtschaftsunternehmen, das Schrifttum und dergleichen125 • Jeder die ser Akte hinterläßt, ebenso wie die internationale Vorentscheidung, seine Spuren, schafft bestimmte Rechtserwartungen und kann künftige Entscheidungen und sonstige rechtserhebliche Akte beeinflussen. Zur Feststellung der Bedeutung eines „Präzedenzfalles" im inter nationalen Entscheidungsprozeß, spielt die Frage, ob die ursprüngliche Entscheidung zwischen den Parteien bindend war, keine wesentliche Rolle. Es wäre nicht sinnvoll, die Frage der Präzedenzwirkung in einen zwingenden Zusammenhang mit der Rechtswirkung der Ent scheidung in der Sache selbst zu bringen und erstere als Derivat der letzteren zu betrachten126 • Die Autorität einer Entscheidung für die Klärung und Weiterentwicklung des Rechts und somit für künftige Fälle, hat eine völlig andere Basis als ihre dispositive Wirkung als Sachentscheidung. Ein Rechtsgutachten kann, obwohl nicht bindend, von weitreichender Bedeutung für die Rechtserwartungen der Völ kerrechtsgemeinschaft sein und somit einen eminenten Einfluß auf den weiteren Entscheidungsablauf zur dort entschiedenen Frage haben. Es wäre daher verfehlt, Rechtsgutachten oder sonstigen Empfehlungen a priori einen geringeren Erkenntniswert für die Zukunft beizumes sen. Tatsächlich haben sich staatliche Gerichte auch wiederholt auf Rechtsgutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs und In ternationalen Gerichtshofs berufen127 und es ist kein Fall bekannt, in m Als Beispiele für Urteile staatlicher Gerichte, welche sich auf Akte internationaler Rechtsprechung im Rahmen einer umfassenden Untersuchung relevanter internationaler Anhaltspunkte stützen siehe z. B. : Anglo-Iranian Oil Co. v. Jaffrate, Supreme Court of Aden, [1953] 1 WLR 246, wo sich das Gericht neben zwei internationalen Schiedssprüchen (S. 256 f.) auf inlän dische Vorentscheidungen (S. 254 f.), ausländische Gerichtsurteile (S. 255 f.), Feststellungen der Exekutive (S. 257 f.) und das Schrifttum (S. 259) stützt. In ähnlicher Weise berücksichtigte der österreichische OGH (4. Feb. 1960, SZ XXXIII/15) bei der Auslegung des Staatsvertrags neben einem Rechts gutachten des StIG, ausländische Gerichtsentscheidungen, seine eigenen früheren Entscheidungen, Parlamentsdebatten, staatliches Recht und das Schrifttum. Ebenso Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisrha, High Court of Tokyo, 1953, 20 ILR 312, 313 f. (1953). m Jenks, The Prospects, S. 753. Siehe jedoch Sloan, The Binding Force of a ,recommendation' of the General Assembly of the UN, 25 BYIL 1, 19 (1948) ; Friedmann, The Changing Structure, S. 144 vertritt die Ansicht, daß die kreative Funktion des IGH im Gutachtenverfahren bedeutend größer als im Streitverfahren ist. Siehe auch die Autoren in Anm. 148, welche die Ansicht vertreten ein Urteil des Gerichtshofs der EMRK sei auch für spätere Fälle verbindlich, nicht jedoch ein Bericht der Kommission. 127 Neben den oben bereits angeführten Beispielen (Anm. 103 - 107 und Anm. 125) siehe das Bezirksgericht von Jerusalem im Eichmann-Fall, 21. Dez. 1961, 36 ILR 5, 33 ; Bartolomei c. C. I. M. E., Tribunale Napoli, 16. Sept. 1966, 51 Rivista DI 143 (1968) ; State of Saurashtra v. Jamadar Mohamad Abdulla and Others, Supreme Court of India, 3. Okt. 1961, 3 IJIL 199, 205 (1963).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
welchem die Autorität einer internationalen Vorentscheidung in Zwei fel gezogen worden wäre, weil sie als Sachentscheidung einen empfeh lenden Charakter gehabt hatte. Andererseits ist der Grad an Effektivität, den die untersuchte Ent scheidung zu erringen vermochte, sicherlich ein wesentlicher Aspekt bei der Beurteilung ihrer Autorität für spätere Fälle. Eine Entscheidung, mag sie nun als Urteil, Rechtsgutachten oder Empfehlung ausgesprochen worden sein, welche von einem beträchtlichen Teil ihrer Adressaten mißachtet wurde oder vom ersuchenden Organ zurückgewiesen wurde, wird künftiges Verhalten nur unwesentlich bestimmen. Auch wenn die Mißachtung der Entscheidung möglicherweise rechtswidrig war, wird ein Entscheidungsorgan in einem späteren Falle vermutlich zu dem Schluß kommen müssen, daß sie auf Grund ihrer mangelnden Effektivität keine nennenswerten Rechtserwartungen geschaffen hat. Hinweise auf den Grad der Effektivität einer Entscheidung als Prä zedenzfall, finden sich auch jenseits des Personenkreises der ursprüng lichen Adressaten. Ihr Einfluß auf die bereits erkennbare spätere Pra xis rechtsprechender oder sonstiger Art gibt oft darüber Auskunft, ob sie ein wesentlicher Beitrag zur Rechtsentwicklung war oder nur eine unbedeutende Einzelerscheinung 128 • Auf diese Weise kann die Bedeu tung einer bestimmten einschlägigen Vorentscheidung durch die Be trachtung anderer rechtserheblicher Elemente verstärkt, abgeschwächt oder völlig aufgehoben werden. In Rechtsgebieten, in denen keine anderen rechtserheblichen An haltspunkte vorhanden sind, kann eine an sich unbedeutend schei nende Praxis entscheidungsbestimmend werden. Das illustriert ein Fall vor dem Court of Claims der Vereinigten Staaten1 29 • Das Gericht sprach eine Entschädigung für die widerrechtliche Beschlagnahme eines neu tralen Schiffes zu, hatte gleichzeitig aber · auch eine Entscheidung über einen Anspruch auf Zinsen zu fällen. Es meinte : There does not appear to be any uniform rule, of universal application, governing either the rate of interest or the period for which it is allowable . . . In the absence of a universal rule upon the subject, we hold that the rate adopted by the [U.S. - German] Mixed Claims Commission, and by that commission made applicable to a great number of claims, varying widely in their nature, that is five per centum per annum, . . . , should be allowed, and, also in accordance with the rule adopted by that commission, that the interest should begin to run from the date of the injury, . . . 130• Vgl. Jenks, The Prospects, S. 671. Royal Holland Lloyd v. U. S., 7. Dez. 1931, 73 Ct. Cls. 722, 6 AD 442 (1931 - 32). 130 s. 749. 128 129
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Neben den materiellrechtlichen Aspekten der internationalen Vor entscheidung hängt ihre Autorität aber auch vom Ansehen des Ent scheidungsorgans und der Qualität seiner Tätigkeit ab. Es ist offen sichtlich, daß eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs mehr Einfluß ausübt als der Spruch einer beliebigen Gemischten Kommission oder eines Schiedsgerichts131 . Das Ansehen, das ein internationales Entscheidungsorgan wegen der Qualität seiner früheren Entscheidun gen, wegen seiner Zusammensetzung, wegen des Ausmaßes seiner Zu ständigkeit, oder seiner Zugehörigkeit zu einer wichtigen internatio nalen Organisation genießt, ist ausschlaggebend dafür, welches Ge wicht seiner Tätigkeit, auch für spätere Fälle, zukommt. Fast noch wichtiger für die Autorität einzelner Entscheidungen ist seine allge meine Fähigkeit, Streitfälle zu erledigen und eine Ausführung seiner Entscheidungen zu erreichen. Ein Organ, wie der Gerichtshof der Euro päischen Gemeinschaften, dem ein effektives Durchsetzungsinstrumen tarium zur Verfügung steht, ist bedeutend einflußreicher als ein Organ, welches nicht imstande ist, seine Entscheidungen durchzusetzen. Ein Teil dieser allgemeinen Effektivität des Entscheidungsorgans äußert sich aber nicht nur im Vollzug der Sachentscheidungen, sondern auch im Ausmaß, in dem das Organ imstande ist, seine Jurisdiktion zu be haupten. Auch das Ausmaß der Permanenz und Kontinuität in der Besetzung eines inernationalen Entscheidungsorgans beeinflußt seine Autorität. Ein Organ, welches imstande ist, eine konstante Rechtsprechung zu entwickeln, und so zuverlässige Vermutungen über sein künftiges Ent scheidungsverhalten ermöglicht, übt bedeutend mehr Einfluß aus, als ein ad hoc Organ. Letztlich hängt ein wesentlicher Teil der Überzeugungskraft einer internationalen Organentscheidung einfach von ihrer Qualität ab. Eine Entscheidung, die schlecht begründet und aufgebaut ist, hat wenig Ein fluß auf ein späteres Entscheidungsorgan, selbst dann, wenn die in ihr ausgesprochene Verfügung ,richtig' oder vernünftig ist. Die geordnete Darlegung sämtlicher entscheidungskausaler juristischer Momente und rechtspolitischer Erwägungen ist daher von großer Wichtigkeit für ihren Einfluß auf spätere Entscheidungen. In Kollegialorganen bestim men auch die Mehrheitsverhältnisse und allfällige abweichende Mei nungsäußerungen das Ausmaß der Überzeugungskraft einer Entschei dung132. 131 Ross, Lehrbuch, S. 85. 132 Das heißt allerdings nicht, daß Entscheidungen mit knappen Mehrheiten oder Minderheitsvoten nicht herangezogen werden. Siehe z. B. die Hinweise auf den Lotus-Fall durch das Bezirksgericht von Jerusalem im Eichmann Fall, 36 ILR 57 (1968) sowie auf die abweichende Meinung des Richters Moore zum gleichen Fall durch den Supreme Court of Israel auf S. 292.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes cc) Sonderregelungen
Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Wirkung internationaler Entscheidungen auf künftige Streitfälle haben wiederholt zu Vorschlä gen geführt, diese Frage einer konkreten Regelung zu unterwerfen. Zum erstenmal scheinen derartige Ideen im Rahmen des Institut de Droit International bei seiner Sitzung von 1897 im Zusammenhang mit
der Debatte über die Errichtung internationaler Schiedsgerichte für die Interpretation multilateraler Konventionen vorgetragen worden zu sein133 • Allerdings wurden Vorschläge, Schiedssprüche auch für künftige Streitigkeiten und für Vertragsparteien, die nicht am Verfahren teil genommen hatten, für bindend zu erklären, mehrheitlich abgelehnt134 • Die Frage tauchte wieder bei den Haager Friedenskonferenzen in den Debatten über eine Konvention zur friedlichen Beilegung internationa ler Streitigkeiten auf und wurde von der Ersten Kommission der Kon ferenz von 1907 eingehend diskutiert. Es wurden mehrere Vorschläge gemacht, Schiedssprüche auch für nachfolgende Streitigkeiten anwend bar zu machen135 und ihre Bindungswirkung für künftige Fälle vor staatlichen Gerichten anzuerkennen1 36 • Angesichts der schweren Kritik, die gegen diese Vorschläge gerichtet wurde, gingen sie jedoch unter137 • Die Lösung, die schließlich in Artikel 84 der Konvention angenommen wurde lehnte sich stark an den Artikel 56 der Konvention von 1899 an. Sie sah lediglich ein Interventionsrecht in Verfahren, die sich mit der Auslegung multilateraler Verträge befaßten, vor. Die Entscheidung sollte dann auch für die intervenierende Partei bindend sein138 • Das Verlangen nach einer einheitlichen Interpretation von Konven tionen zur Vereinheitlichung des Privatrechts, führte bei mehreren Anlässen zu einer Wiederbelebung dieser Vorschläge139 • Auf den Haa16 Annuaire 106 (1897). Auf S. 115. Ein Entwurf, welcher die Ansicht der Minderheit darstellte und sich spezifisch auch auf staatliche Gerichte bezog, wurde 1902 vorge legt, aber nicht weiter verfolgt. 19 Annuaire 333 (1902). 135 The Proceedings of the Hague Peace Conference 1907 Bd. I, (J. B. Scott, Hrsg.), S. 436 f., 449 f. (1921). 138 Auf S. 450 f. 137 Siehe insbes. S. 451 f. Vgl. jedoch eine ähnliche Lösung welche in Art. 2 des Französisch-Dänischen Schiedsvertrags vom 9. Aug. 1911 aufgenommen wurde: ,,Les parties contractantes s'engagent a prendre ou, eventuellement, a proposer au pouvoir legislatif, les mesures necessaires pour que l'inter pretation donnee par la sentence arbitrale dans les cas susvises s'impose par la suite a leurs tribunaux." Martens, N. R. G., 3d Ser., Vol. 5, S. 683. 138 2 AJIL Supp. 75 (1908). Diese Lösung wurde später in Art. 63 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofs übernommen. 139 Vgl. auch Giles, Uniform Commercial Law 21 f. (1970) ; Riese, Einheitliche Gerichtsbarkeit für vereinheitlichtes Recht?, 26 RabelsZ 604 (1961). 13s
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ger Konferenzen für Internationales Privatrecht von 1928 machte der niederländische Delegierte einen Vorschlag 140, der später durch franzö sische und norwegische Entwürfe ergänzt wurde141 • Nach diesem sollte eine Klausel in Konventionen zur Privatrechtsvereinheitlichung einge fügt werden, welche die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofs begründet hätte, über Divergenzen in ihrer Interpreta tion zu entscheiden. Diese Entsclleidung wäre dann von den Mitglieds staaten durch gesetzgeberische oder ähnliche Maßnahmen zu überneh men gewesen. Die späteren Diskussionen der Konferenz zeigten aller dings eine starke Abneigung gegen die Vorstellung, daß eine interna tionale Entscheidung staatliche Gerichte in späteren Fällen zu privat rechtlichen Fragen binden sollte142 • Als die' gleiche Frage jedoch im folgenden Jahre im Institut de Droit International aufgeworfen wurde143, wurde eine Resolution angenom men, nach welcher ein deklaratives Urteil des Ständigen Internationa len Gerichtshofs in Angelegenheit einer Privatrechtskonvention Wir kung für alle Konventionsstaaten haben sollte, welche sodann ver pflichtet wären, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Interpretation für ihre Organe bindend zu machen144 • Ein ähnlicher Vorschlag wurde vom Institut 1956 akzeptiert145 , dies mal im Zuge seiner Beratungen über eine Mustervertragsklausel zur Übertragung obligatorischer Gerichtsbarkeit an den Internationalen Gerichtshof148 • Praktische Fortschritte in der Form konkreter Vertrags bestimmungen wurden jedoch nicht erzielt147 • dd) Auswirkungen der Entscheidungspraxis der EMRK-Organe auf staatliche Gerichte Die ständige Auslegung und Anwendung eines multilateralen Ver trags wie der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die hierfür vorgesehenen internationalen Organe, sowie durch die Gerichte der Mitgliedsstaaten sollte geradezu ein Modellbeispiel für eine Unter1 4° Conference de la Haye en Droit International Prive, Actes des la Sixieme Session, S. 208 (1928). 141 Auf S. 233, 234. 142 S. 198 f., 222 f. ; vgl. auch Bartin, Principes de Droit international prive, S. 109 (1930) ; Julliot de la Morandiere, La sixieme conference de la Haye de Droit international prive, 55 Clunet 281, 294 (1928). 1 43 35 Annuaire 184 f. (1929, II). m s. 306. 145 46 Annuaire 367 (1956). 1 48 S. 178 f. Vgl. auch Jenks, The Prospects, S. 674. 147 Nadelmann, Uniform Interpretation of ,Uniform' Law : A Postscript, Unidroit Year-Book 63, 68 (1963).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
suchung des Einflusses internationaler Entscheidungstätigkeit auf staat liche Rechtsprechung darstellen. Die überwachende und überprüfende Tätigkeit der internationalen Konventionsorgane läßt eine vereinheit lichende Wirkung der Spruchpraxis naheliegend und wünschenswert erscheinen. Das Schrifttum ist sich über die Relevanz der Praxis der Straßburger Organe für die spätere Rechtsprechung staatlicher Gerichte weitge hend einig, wenngleich die theoretische Begründung nicht völlig ein heitlich ist. Behauptungen einer ,Bindungswirkung' der internationa len Praxis für künftige Fälle 148 sowie ihrer Irrelevanz mangels einer solchen Bindungswirkung149 sind dabei in der Minderheit. Meist wird der Grad der Präzedenzwirkung zwischen diesen beiden Extremposi tionen eingestuft150 • Der Einfluß der internationalen Konventionsorgane wird häufig als selbstverständlich angenommen151 • Dies, obwohl derzeit noch keine de taillierte empirische Untersuchung vorliegt, welche diesen Einfluß nachgewiesen hätte. Eine solche Untersuchung hätte, auch jenseits aus drücklicher Verweise auf die internationale Spruchpraxis, an Hand der einzelnen materiellrechtlichen Bestimmungen der Konvention durch chronologisch geordnete Vergleiche festzustellen, in welchen Fällen einschlägige internationale Vorentscheidungen verfügbar gewesen wä ren und ob Anzeichen dafür bestehen, daß die staatliche Gerichtsent scheidung von ihnen beeinflußt war, insbesondere ob ein Abrücken von einer früheren staatlichen Praxis zu bemerken ist. 148 S0rensen, Principes de droit international public, 101 RC 119 (1960, III) ; Golsong in seinem Kommentar zu Scheuner, (infra Anm. 150), S. 270 unter scheidet zwischen Entscheidungen der Kommission, welche nicht bindend seien und Urteilen des Gerichtshofs, welche von staatlichen Gerichten beach tet werden müßten. Ebenso : Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 405 (1965). Vgl. dazu die Bemerkungen oben auf S. 101. 1 49 Janssen-Pevtschin et. al., La Convention, S. 236 f. 150 Buergenthal, The Effect of the European Convention on Human Rights on the Internal Law of Member States, ICLQ Suppl. No. 11, S. 95, 100 f. (1965) ; Pinto, Consequences of the application of the Convention in municipal and international law, in Human Rights in National and International Law, (Robertson, Hrsg.), S. 281 (1968) ; Scheuner, Comparison of the jurisprudence of national courts with that of organs of the Convention as regards other rights, im selben Sammelband auf S. 204, 232 f. ; ibid., An investigation of the influence of the European Convention on Human Rights and Fundamental Freedoms on national legislation and practice, in International Protection of Human Rights, (Eide / Schou, Hrsg.), S. 204 (1968) ; Schindler, Die inner staatlichen Wirkungen der Entscheidungen der europäischen Menschen rechtsorgane, in Festschrift Guldener, S. 289 (1973) ; Vogler, Spruchpraxis,
s. 752.
151 Buergenthal, The Domestic Status of the European Convention on Human Rights, 13 Buffalo LRev. 391 (1964) ; Ermacora, Die Bedeutung von Entscheidungen der Menschenrechtskommission für die österreichische
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Ein in diesem Zusammenhang überaus interessanter Vergleich zwi schen dem Verhalten englischer und kontinentaleuropäischer Gerichte scheint derzeit nicht möglich. Die britische Verfassungspraxis, einen völkerrechtlichen Vertrag erst nach besonderen gesetzgeberischen Maß nahmen innerstaatlich für anwendbar zu betrachten152, hat in Erman gelung derartiger Maßnahmen bei der Menschenrechtskonvention, die Entwicklung der englischen Gerichtspraxis zur Konvention stark be hindert153. Das Fallmaterial, welches einen empirischen Vergleich zwi schen der Behandlung der internationalen Praxis durch die Gerichte der beiden Rechtssysteme ermöglichen würde, fehlt also weitgehend154 • Es ist daher schwer vorauszusagen, ob ein englisches Gericht eine inter nationale Entscheidung tatsächlich zugunsten eines staatlichen Präze denzfalles mißachten würde155. Eine von Jenks im Zusammenhang mit der Spruchpraxis des Internationalen Gerichtshofs vorgeschlagene Lö sung erscheint jedenfalls bedeutend sinnvoller. Nach ihr wäre die inter nationale Fallpraxis wie ausländisches Recht zu behandeln, was bedeu tet, daß es dem englischen Gericht freisteht, von früheren inländischen Entscheidungen abzuweichen1 66. Das Ergebnis einer Suche nach ausdrücklichen Verweisen auf die Praxis der internationalen Konventionsorgane in den Entscheidungen staatlicher Gerichte, stützt die These von der selbstverständlichen Ein flußnahme der internationalen auf die staatlichen Entscheidungsogane nur teilweise. Wenn auch frühere Feststellungen, daß Verweise auf die internationale Praxis völlig fehlten157, heute nicht mehr zutreffen, so sind derartige Hinweise auf Kommissionsberichte oder Urteile des Gerichtshofs in innerstaatlichen Entscheidungen doch selten158. Selbst Rechtsordnung, 84 JBl 621 (1962) ; Khol, Internationale Gesetzgebung und staatliche Rechtsanwendung, in Internationale Festschrift für Alfred Ver dross, S. 185, 193 (1971) ; Scheuner, An investigation, S. 204 f. ; Schindler, Die innerstaatlichen Wirkungen, S. 289. 152 Vgl. Schreuer, The Interpretation of Treaties by Domestic Courts, 45 BYIL 256 (1971). 153 Beddard, The Status of the European Convention on Human Rights in Domestic Law, 1 6 ICLQ 206 (1967) ; Lord Shawct'oss, United Kingdom Prac tice on the European · Conventiort on Human Rights, 1 RBDI 297 (1965). 164 Die neuere englische Spruchpraxis enthält allerdings Hinweise, daß die EMRK zumindest bei der Interpretation staatlichen Rechts herangezogen wird: Jacobs, The European Conventiön on Human Rights in the English Courts, 2 EuGRZ 569 (1975). 155 So Buergenthal, The Effect of the European Convention, S. 104. 156 The Prospects, S. 751. Zu dieser Frage siehe auch unten IV. E. 3. a). 157 Morrison, The Developing European Law of Human Rights, S. 194 (1967) ; Scheuner, Comparison of the Jurisprudence, S. 234. 158 Neben den in den folgenden Anmerkungen angeführten Fällen siehe : BGH, 14. Juli 1971, 24 NJW 986 (1971) ; Norwegischer Oberster Gerichtshof in Norwegian Association of Dentists v. Norway, 28. März 1966, 96 Clunet 419 (1969) ; Vier Urteile des Obersten Gerichtshofs von Zypern vom 5. Apr. 1968,
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dort, wo Entscheidungen der Straßburger Organe erwähnt werden, ist der Hinweis oft nicht unmittelbar auf die amtliche Veröffentlichung sondern auf Sekundärliteratur, meist in der Amtssprache des jeweili gen Gerichts159• überdies sind die Hinweise oft eher vage oder in der Form einer mehr beiläufigen Hinzufügung zu den Entscheidungsgrün den160 und lassen die hier wesentliche Frage, ob und in welchem Aus maße das Gericht bei der Entscheidungsfindung tatsächlich durch die internationale Praxis beeinflußt wurde, offen. Nur selten hinterlassen die staatlichen Entscheidungen den Eindruck, daß die internationale Vorentscheidung mit der gleichen Sorgfalt herangezogen wurde wie dies bei inländischer Gerichtspraxis oder der 1Fachliteratur üblich ist161 . Die Praxis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs zur Europä ischen Menschenrechtskonvention bietet besonders interessante Ein blicke. Der Verfassungsgerichtshof hatte lange Zeit der Straßburger Praxis zur Konvention verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit ge schenkt. Nur selten erfolgte eine gründlichere Auseinandersetzung mit der internationalen Spruchpraxis. Diese Nichtbeachtung der interna tionalen Entscheidungspraxis zur Menschenrechtskonvention scheint zu keinen größeren Schwierigkeiten und allzu offenkundigen Diskrepan zen geführt zu haben. Zwei Entscheidungen zeigen aber immerhin, wie leicht eine oberflächliche Behandlung der internationalen Praxis zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen führen kann. In einem Erkenntnis aus dem Jahre 196 5 162 meinte der Verfassungsgerichtshof: Es wird auch in der Literatur unter Hinweis auf die Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission Nr. 1047/61 (JBI. 1962 S. 621) 183 anerkannt, daß der Vorbehalt jedenfalls alle materiellrechtlichen Vor schriften über den Freiheitsentzug, die im Zeitpunkt der Erhebung des 8. Juni 1971, 10. März 1971 und 10. Aug. 1971 in 1 1 YBEur.Conv.HR 1084 (1968) und Collection of Decisions of National Courts referring to the Con vention, zu Art. 6 S. 129, 130, 131. Siehe auch die Hinweise in den Bemer kungen des Generaladvokaten zu zwei Urteilen des Niederländischen Ober sten Gerichtshofs : C.A. S. K. v. Pubtic Prosecutor, 16. Jan. 1968, 1 NYIL 216 (1970) und H. B. v. Public Prosecutor, 10. Juni 1969, 2 NYIL 240 (1971). 1 69 Osterr. OGH, 29. Jan. 1963, 18 OJZ 327 (1963) ; OGH, 10. Dez. 1968, 24 OJZ 304 (1969) ; OGH, 20. Feb. 1970, 25 OJZ 523 (1970) ; Osterr. VerfGH, 3. Juli 1965, Slg. 5021 ; BGH, 20. Juli 1964, 17 NJW 2119 (1964) ; BGH, 10. Jan. 1966, 19 NJW 726, 728 (1966) siehe jedoch die Hinweise auf S. 729. 1 80 z.B. : Bezirksgericht Rotterdam, In re petition L. J. A. B., 10. Dez. 1965, 15 NTIR 435 (1968) ; OLG Karlsruhe, 20.Jan. 1972, 25 NJW 1907 (1972). m In Kouvas c. Etat b elge, 7. Aug. 1969, begründete der belgische Conseil d'Etat seine Entscheidung unzweideutig mit dem Urteil des Menschenrechts gerichtshofs im Belgischen Sprachenfall von 1968 : 7 RBDI 740 (1971). 182 3. Juli 1965, Slg. 5021. 1 83 Der Hinweis bezieht sich auf Ermacora, Die Bedeutung von Entschei dungen.
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Vorbehaltes (3. Sept. 1958) galten und nach den Verwaltungsverfahrensge setzen auch vorgesehen waren, deckt. Eine Überprüfung der zitierten Fundstelle, sowie der Originalentschei dung164, ergibt allerdings, daß der Verfassungsgerichtshof den von Er macora gebrauchten, etwas zweideutigen Ausdruck „jedenfalls" miß verstanden hat. Während der Verfassungsgerichtshof den Ausdruck of fensichtlich im Sinne von „mindestens" aufgefaßt hat, zeigt ein Blick auf den Originalbericht, daß die Kommission die Formulierung „in any case" gebraucht, was hier wohl besser mit „ohnedies" zu übersetzen gewesen wäre. Die Vermutung liegt nahe, daß der Verfassungsgerichts hof hier zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, hätte er sich der Mühe unterzogen, den Kommissionsbericht nicht über eine deutsch sprachige Sekundärquelle zu zitieren. In einem anderen Falle1 65 hatte der Verfassungsgerichtshof die, si cherlich schwierige, Aufgabe zu bewältigen, den Begriff der „civil rights and obligations" des Artikel 6 zu interpretieren. Er fand es dabei angebracht, einen etablierten Begriff der österreichischen Rechtsord nung heranzuziehen und dem in der Konvention enthaltenen Ausdruck einfach die Bedeutung von „Zivilrechtswesen" im Sinne des Artikel 10, Absatz 1, lit. 6 des B.-VG. beizumessen 1 66 . Dabei ignorierte er eine ständige Spruchpraxis der Kommission, welche wiederholtermaßen erklärt hatte, der Begriff der „civil rights and obligations" cannot be construed as a mere reference to the domestic law of the High Contracting Party concerned, but on the contrary, relates to an autono mous concept which must be interpreted independently of the rights exist ing in the law of the High Contracting Parties, even though the general principles of the domestic law of the High Contracting Parties must ne cessarily be taken into consideration in any such interpretation187 ; In den letzten Jahren ist in der Einstellung des Verfassungsgerichts hofs zur Praxis der Straßburger Organe allerdings ein merkbarer Wandel eingetreten. Sorgfältige Hinweise auf die internationalen Ent scheidungen werden häufiger168 . Vor allem das Ringeisen Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs wird gerne herangezogen und bisweilen sogar im Originaltext zitiert169 . Bemerkungen über das Fehlen einschlä15. Dez. 1961, 4 YBEur. Conv. HR 356 (1961). 4. März 1968, Slg. 5666. HB Allgemein zur Tendenz staatlicher Gerichte Vertragsbestimmungen im Lichte staatlichen Rechts zu interpretieren siehe Schreuer, The Interpreta tion of Treaties, S. 264. 1 97 2. Okt. 1964, Application No. 1931/63, 7 YBEur. Conv. HR 212, 222 (1964) ; 8. März 1962, Application No. 808/60, 5 YBEur. Conv. HR 108, 122 (1962) ; 1. 0kt. 1965, Application No. 2145/64, 8 YBEur. Conv. HR 282, 312 (1965). 188 z. B. : E. v. 29. Sept. 1970, Slg. 6239 ; E. v. 13. Okt. 1970, Slg. 6275 ; E. v. 1. Dez. 1973, Slg. 7210. 184
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giger internationaler Entscheidungen170 lassen auf eine zielbewußte und systematische Überprüfung der Praxis der Straßburger Organe schließen. Zweifel daran, ob die von der Kommission und dem Gerichts hof gewählten Lösungen auch für den Verfassungsgerichtshof maßgeb lich sind, scheinen nicht zu bestehen171 • Der österreichische Oberste Gerichtshof geht in einem Beschluß aus dem Jahre 1975 172 sogar noch einen Schritt weiter. Nach einem Hinweis auf zwei Urteile des Gerichtshofs der EMRK, verweist er, offenbar zu stimmend, auf die in der Literatur geäußerte Ansicht, die internatio nale Praxis binde staatliche Organe in späteren Fällen. Trotz dieser neueren Hinweise auf eine stärkere Beachtung der Praxis von Kommission und Gerichtshof sind noch keineswegs alle Hindernisse beseitigt. Ein Teil der Schwierigkeiten mag in einer gewis sen theoretischen Unsicherheit über die Einordnung der internationalen Spruchpraxis in das für das staatliche Gericht geltende Rechtsquellen system begründet sein. Ein konsequentes Festhalten an der Vorstel lung, Verträge würden einfach zu staatlichem Recht sobald sie inkor poriert sind, muß zu ihrer Behandlung wie staatliche Gesetze führen. Dies kann unter Umständen auch zu einer, allerdings schwer nachweis baren, Praxis führen, die internationalen Entscheidungen zwar vor sichtshalber zu konsultieren, ausdrückliche Hinweise in der Begrün dung jedoch bewußt zu unterdrücken. Der wichtigste Grund für das häufige Fehlen von Verweisungen auf die Tätigkeit der internationalen Organe dürfte allerdings auch hier in der mangelnden Kenntnis des Materials bei den Gerichten und in der Anwaltschaft liegen1 73 • Erst wenn die Entscheidungssammlungen der Konventionsorgane bei der Anwendung der Menschenrechtskonvention mit der gleichen Selbstverständlichkeit herangezogen werden, wie die Sammlungen inländischer oberstgerichtlicher Entscheidungen, besteht berechtigte Hoffnung auf eine vereinheitlichende Wirkung der inter nationalen Entscheidungspraxis, die sich in der täglichen Anwendung eines ,europäischen Standards' auch durch staatliche Gerichte wider spiegelt. Das regelmäßige Konsultieren der internationalen aber auch auslän dischen Spruchpraxis zur Konvention hätte darüber hinaus noch einen 189 E. v. 24. Feb. 1973, Slg. 6995; E. V. 13. März 1973, Slg. 7014; E. V. 29. Juni 1973, Slg. 7099 ; E. v. 1. Dez. 1973, Slg. 7208 ; E. v. 7. Dez. 1973, Slg. 7230 ; E. v. 5. März 1975, B 230/74. Vgl. auch E. v. 19. März 1974, Slg. 7284. 17 0 z. B.: E. v. 11. Okt. 1974, Slg. 7400. 171 Vgl. etwa E. v. 5. März 1975, B 230/74. 172 18. Juni 1975, 2 EuGRZ 492 (1975). 173 Ebenso Khol, Internationale Gesetzgebung, S. 186, 194 ; Scheuner, An Investigation, S. 205.
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weiteren Effekt. Ein großer Teil der Schwierigkeiten, die sich aus der oft allgemein gehaltenen und ungewohnten Sprache der Konvention ergeben und welche Gerichte wiederholt dazu verleitet haben, sie für nicht unmittelbar anwendbar zu erklären174 , könnte auf diese Weise entfallen175 • Die reichhaltige Praxis zu den einzelnen Bestimmungen der Konvention sollte die Erkenntnisschwierigkeiten, welche sich aus den abstrakten Formulierungen ergeben, oft überwinden helfen. ee) Internationale Vorabentscheidungen als „Präzedenzfälle" Die überaus enge Verknüpfung zwischen der Tätigkeit staatlicher Gerichte und internationaler Entscheidungsorgane durch das Mittel der Vorabentscheidung hat auch auf die Beachtung früherer internationa ler Entscheidungen durch die Gerichte die stärksten Auswirkungen ge zeigt. In manchen Verträgen, welche Vorabentscheidungsverfahren ein richteten, wurde sogar eine ausdrückliche Bindung an schon früher er gangene Vorabentscheidungen ausgesprochen, oder doch zumindest auf die Verpflichtung zur neuerlichen Vorlage verzichtet. Durch das Deutsch-Polnische Abkommen von 1922 176 über Oberschle sien wurde ein Schiedsgericht errichtet, welches zuständig war, Vorab entscheidungen für die Auslegung des Abkommens durch staatliche Gerichte zu geben1 77 • Die staatlichen Gerichte waren in darauffolgenden Fällen an solche Entscheidungen gebunden, soferne diese veröffentlicht waren. Ein Abweichen war nur möglich, falls das Gericht eine neue abweichende Vorabentscheidung erwirken konnte178 • Das Gemischte Gericht, welches durch den Französisch-Deutschen Vertrag von 1956 über die Rückgabe des Saargebiets an Deutschland errichtet worden war179, hatte die Aufgabe, die einheitliche Anwen dung j ener französischen Gesetze sicherzustellen, welche während der Übergangszeit im Saargebiet in Kraft blieben1 80 • Seine Entscheidungen waren für alle zukünftigen Fälle vor den Gerichten des Saargebiets bindend. Das Statut des Benelux-Gerichtshofs, welcher die einheitliche An wendung des den drei Staaten gemeinsamen Rechts fördern soll, ent hält eine dem Artikel 177 EWG-Vertrag ähnliche Bestimmung über die z. B.: OGH, 16. Juni 1971, 27 ÖJZ 66 (1972). Siehe dazu insbes. Schantl u. Welan, Betrachtungen über die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zur Menschenrechtskonvention, 25 ÖJZ 620, 624 174
175
(1970). 176
177 178 179 1 80
RGBI. 1922 II, S. 238. Art. 588.
Art. 592. BGBl. 1956 II, S. 1589. Art. 42. Das Gericht stellte seine Tätigkeit 1959 eiri.
112
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Zuständigkeit für Vorabentscheidungen, unterscheidet sich von jener jedoch durch die ausdrückliche Normierung des Wegfallens der Vorla geverpflichtung für bereits entschiedene Rechtsfragen181 • Die Bestimmungen in den Gründungsverträgen für die Europäischen Gemeinschaften über das Verfahren vor dem Gerichtshof der Gemein schaften, enthalten keine Bestimmungen über eine Präzedenzwirkung von Vorabentscheidungen182 • Dennoch gibt es keinen Rechtsbereich, in welchem der Einfluß einer internationalen Rechtsprechung auf staat liche Gerichte so deutlich ist wie im europäischen Gemeinschaftsrecht. Die Zitierung von Entscheidungen des EuGH durch die staatlichen Ge richte ist zu einer alltäglichen und selbstverständlichen Erscheinung geworden. Der Einfluß der Spruchpraxis des EuGH auf die Interpre tation des Gemeinschaftsrechts durch staatliche Gerichte ist in sämt lichen Rechtsbereichen spürbar und vor allem zu den Fragen des „Pri mats" und der „unmittelbaren Anwendung" des Gemeinschaftsrechts dominierend183 • Der EuGH hat diese starke Präzedenzwirkung seiner Tätigkeit aner kannt. Er steht auf dem Standpunkt, daß selbst ein Gericht letzter Instanz, welches an sich zur Vorlage verpflichtet wäre, von der erneu ten Vorlage einer Rechtsfrage absehen kann, welche vom EuGH schon in einem früheren Fall beantwortet worden ist184 • Dies bedeutet jedoch nicht, daß ein Gericht daran gehindert ist, eine solche Frage erneut vor zulegen185. Eine Verletzung der Vorlagepflicht liegt j edenfalls nicht vor, wenn sich ein Höchstgericht an eine Auslegung hält, die der EuGH in einer früheren Vorabentscheidung ausgesprochen hat186 • 181 Art. 6 des Vertrags vom 31. März 1965, 13 European Yearbook, S. 262 (1965). Die Vorteile einer derartigen Lösung illustriert die Praxis des durch den Deutsch-österreichischen Vermögensvertrag errichteten Schiedsgerichts, welches ebenfalls zur Fällung von Vorabentscheidungen zuständig ist : Art. 108 f. des Vertrages vom 15. Juni 1957. öBGBl. 119/1958. Dort führte eine etwas engherzige Auslegung des Vertrages, welche die Relevanz einer Vor abentscheidung nur auf den konkreten Fall beschränkt sehen wollte, zu einer häufigen fast wörtlichen Wiederholung bereits früher gefällter Entscheidun gen : Seidl-Hohenveldern, The Austrian-German Arbitral Tribunal, S. 52 f., 96 (1972). 182 Art. 177 EWG, Art. 41 EGKS, Art. 150 EAG. 1 ea Vgl. auch Bebr, Law of the European Communities and Municipal Law, 34 Modem LRev. 481, 494 f. (1971) ; Holloway, Are you Satisfied with Article 177?, in Symposium Europa, S. 229, 240 f. (1971) ; Miele, Les Organisa tions internationales, S. 335 f. ; Pescatore, Die unmittelbare Anwendung, S. 66, 79; Waelbroek, The Application of EEC Law by National Courts, 19 Stanford LRev. 1248, 1255 f. (1967). 184 Da Costa en Schaake N. V. et ai. v. Niederländische Finanzverwaltung 27. März 1963, Slg. IX, 63, 80 f. 185 Loc. cit., S. 81.
188 R otterdam u. Puttershoek v. Minister für Landwirtschaft und Fischerei in Den Haag, Slg. X, 1, 26.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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Die Höchstgerichte der Mitgliedstaaten haben sich dieser Erleichte rung des Verfahrens wiederholt ausdrücklich bedient. Erneute Vorla gen wurden mit dem Hinweis unterlassen, die anhängige Rechtsfrage sei vom EuGH bereits beantwortet, diese frühere Antwort kläre die Rechtsfrage oder „binde" das Höchstgericht 187 • Dennoch wurde auch vom Recht einer erneuten Vorlage Gebrauch gemacht188 • Die Alternative für ein Höchstgericht ist nach dieser Praxis also klar. Es hat sich entweder an die „Präzedenzfälle" des EuGH zu halten, oder kann versuchen, durch eine neuerliche Vorlage der Rechtsfrage eine Veränderung der Rechtsansicht des EuGH zu erwirken189 • Nicht ganz so klar ist die Situation für Untergerichte. Für sie besteht keine Verpflichtung, sondern nur ein Recht auf Vorlage. Ist daraus zu schließen, daß es ihnen auch freisteht von der bisher geäußerten Rechts ansicht des EuGH ohne Vorlage abzuweichen? In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle setzen sich die Gerichte mit dieser Frage nicht aus einander. Dennoch gibt es eine begrenzte Zahl von Fällen, in welchen Gerichte, gegen deren Entscheidungen Rechtsmittel möglich sind, zu dieser Frage Stellung nahmen. In einigen Fällen geben diese Gerichte unmißverständlich zu verstehen, daß sie sich durch frühere Vorabent scheidungen gebunden fühlen1 90 • Die Spruchpraxis wird als Teil des Gemeinschaftsrechts gesehen, es kommt ihr daher auch der gleiche Rang wie den Verträgen zu191 • In anderen Fällen wiesen Gerichte jedoch die in früheren Vorabent scheidungen des EuGH ausgedrückte Rechtsansicht ausdrücklich zu rück und wählten eine andere Auslegung des Gemeinschaftsrechts192 • 187 Bundesfinanzhof, 15. Jan. 1969, 8 CMLRep. 221 (1969) ; Bundesgerichts hof, 27. Feb. 1969, 8 CMLRep. 123 (1969) ; Bundesverfassungsgericht, 9. Juni 1971, BVerfGE 31, 145 ; State v. Cornet, Cour de cassation (Fr.), 29. Juni 1966, 6 CMLRep. 351 (1967) ; Garoche v. Soc. Striker Boats, Cour de cassation (Fr.), 8. Mai 1973, 13 CMLRep. 469 (1974) ; Ministero delle Finanze v. lsola bella e Figlio, Corte di cassazione, 7. Juni 1972, 97 11 Foro Italiano 1963 (1972) ; Schiavello v. Nesci, Corte di cassazione, 6. Okt. 1972, 16 CMLRep. 198 (1975). 188 Bundesfinanzhof, 18. Juli 1967, 6 CMLRep. 326 (1967). 189 Vgl. auch Waelbroek, Nature juridique, S. 518 f. 1 90 Vgl. etwa D. cf Etat belge, Berufungsgericht Brüssel, 9. März 1961, zit. n. Bebr, Judicial Control of the European Communities, S. 198 (1962) ; Grun dig Nederland N. V. v. Ammerlaan, Gerechtshof te's-Gravenhage, 20. Feb. 1963, 3 CMLRep. 373 (1964) ; Gerrit Hofma v. Grundig, Gerechtshof Leeu warden, 30. Sept. 1964, 6 CMLRep. 1 (1967). Vgl. dazu auch eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Okt. 1969, Amtsblatt C 139/19 (1969) : „Das Europäische Parlament, . . . betont, . . . daß die vom Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung gefällten Urteile den Charakter von Präze denzfällen erga omnes haben." 191 Saarknappschaft v. Freund & Martin, Cour d ' Appel de Colmar, 15. Nov. 1967, 8 CMLRep. 82 (1969). 1 92 Finanzgericht Baden-Württemberg, 21. März 1967, AWB 205 (1967) ; S. A. F. A. v. Amministrazione delle Finanze, Berufungsgericht Mailand, 12. Mai 1972, 12 CMLRep. 152 (1973).
8 Schreuer
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Ein Höchstgericht wies sogar eine Berufung ab, welche gegen ein Urteil gerichtet war, das der in einem früheren Fall ausgedrückten Rechts ansicht des EuGH widersprach 193. Eine formelle Bindung an „Präzedenzentscheidungen" des EuGH durch Untergerichte ließe sich wohl schwer belegen 194. Dennoch gibt es starke Argumente dafür, daß auch Untergerichte, ebenso wie Höchst gerichte, entweder folgen oder vorlegen. Materiell spricht meist alles für ein hohes Maß an Autorität von Entscheidungen des EuGH auch für spätere Fälle195 : Die Sachfragen sind durch die häufigen und detail lierten Entscheidungen des EuGH meist ausreichend präzisiert. Ein Zwang zu weithergeholten Analogien aus der Praxis des EuGH besteht daher regelmäßig nicht. Die Kompetenz des EuGH als autoritatives Organ zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht außer Zweifel. Sein effektiver Einfluß auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch andere Gemeinschaftsorgane und staatliche Organe ist offenkun dig. Neben diesem Gesichtspunkt der materiellen Autorität der Spruch- praxis des EuGH sprechen aber auch Gesichtspunkte der Verfahrens ökonomie für die Respektierung früherer Vorabentscheidungen durch die Untergerichte: Es erscheint wenig sinnvoll einem Untergericht die Befugnis einzuräumen von einer Rechtsansicht abzuweichen, an die das Höchstgericht gebunden ist. Unter der Voraussetzung des pflicht gemäßen gemeinschaftsrechtskonformen Verhaltens der Höchstgerichte muß die Berufung an das Höchstgericht fast notgedrungen zu einer Auf hebung der Entscheidung des Untergerichts führen, welche von der Praxis des EuGH abweicht. Die Antwort auf die Frage des Verhaltens von Untergerichten ge genüber „Präzedenzfällen" des EuGH hat ein niederländisches Be zirksgericht 196 in treffenden Worten zusammengefaßt: A sound administration of justice demands that a judge of a national court of a member-State - notwithstanding the existence of a right of appeal from his judgment - should either respect an earlier decision of the Court of Justice of the European Communities or alternatively that the judge himself should refer the case to the Court of Justice for a prelimin ary ruling concerning the interpretation of the E. E. C. Treaty, even though he is not compelled to do so under Article 177 (2) of the Treaty197. 1 93 S. A. en liquidation „Carriere Dufour" et autres cf S. A. en liquidation „Association generale des fabricants belges de ciment Portland artificiel" et autres, belgische Cour de cassation, 8. Juni 1967, 6 CMLRep. 250, 300 (1967).
194 Vgl. auch Bebr, Judicial Control, S. 198 f. 1 9s Vgl, oben III. A. 1. c) bb). 198 Kantonsgericht Amsterdam, F. I. V. A. v. Mertens, 28. Juni 1962, 2 CMLRep. 141 (1963). 197 Auf S. 144.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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2. Autoritative Interpretationen durch internationale Organe
Ein beträchtlicher Teil der Entscheidungstätigkeit staatlicher Ge richte zu völkerrechtlichen Fragen spielt sich im Bereiche der Interpre tation und Anwendung völkerrechtlicher Verträge ab. Die Entscheidun gen internationaler Organe zur Auslegung dieser Verträge können da bei eine wesentliche Entscheidungshilfe bieten. Auf die Frage einer „Präzedenzwirkung" von Entscheidungen internationaler Organe der Rechtsprechung, auch in Angelegenheiten der Vertragsinterpretation, wurde bereits oben eingegangen198. Nicht minder wichtig, aber in der staatlichen Judikatur bisher kaum beachtet, ist die Praxis sogenannter politischer Organe bei der Anwendung völkerrechtlicher Verträge. Ins besondere die Interpretation der Satzungen internationaler Organisa tionen durch ihre eigenen Organe spielt eine eminente Rolle bei der Klärung und Weiterentwicklung des internationalen Vertragsrechts. Dies gilt nicht nur für die organisatorischen Bestimmungen der Grün dungsverträge solcher Organisationen, sondern auch für jene materiel len Bestimmungen, welche allgemeine Standards international relevan ten Verhaltens formulieren199. Diese routinemäßige Interpretation von Satzungen internationaler Organisationen hat so gut wie keinen Nieder schlag in der Entscheidungspraxis staatlicher Gerichte bei der Anwen dung der betreffenden Vertragsbestimmungen gefunden. In einigen internationalen Organisationen ist bestimmten Organen neben ihrer sonstigen Entscheidungsbefugnis eine spezifische Kom petenz zur autoritativen Interpretation des Gründungsvertrags oder sonstiger, in den Tätigkeitsbereich der Organisation fallender Verträge, übertragen worden. Neben der Befugnis gerichtlicher Organe, Rechts gutachten zu erstellen200 oder auf Antrag eines Gerichts Vorabentschei dungen201 zu fällen, existiert eine derartige Sonderkompetenz bisweilen auch zugunsten politischer Organe202. Sie spielt insbesondere bei den Finanzorganisationen unter den Spezialorganisationen der Vereinten 1 98
s. 97 f.
Vgl. Asamoah, The Legal Significance of the Declarations of the General Assembly of the United Nations, S. 30 f. (1966) ; Sehachter, The Quasi-Judicial Role, S. 964. 2 0° Dazu oben S. 76 f. 201 Dazu oben III. A. 1. c) ee). 202 Vgl. auch die Funktion des ,Nomenclature Committee', welches nach Art. IV c der Convention on the Nomenclature for the Classification of Goods in Customs Tariffs vom 15. Dez. 1950, 347 UNTS 129, die Aufgabe hat „to prepare explanatory notes as a guide to the interpretation and application of the Nomeclature". Dazu siehe die Entscheidung eines schweizerischen Spezialverwaltungsgerichts, der Zollrekurskommission, vom 22. März 1961, welches die Rechtsverbindlichkeit dieser „explanatory notes" anerkannte, sich aber dennoch die Überprüfung ihrer formellen wie materiellen Über einstimmung mit dem Abkommen vorbehält. Zitiert bei Dominice, La nature 199
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Nationen eine Rolle. Artikel XVIII des Abkommens über den Interna tionalen Währungsfonds, Artikel IX des Weltbankabkommens, Artikel VIII des Abkommens über die Internationale Finanzkorporation und Artikel X des Abkommens über die Internationale Entwicklungsagen tur sehen vor, daß die Exekutivdirektoren Interpretationserklärungen über den betreffenden Vertrag abgeben können203 • Artikel XVIII (a) des Internationalen Währungsfonds-Abkommens lautet : Any question of interpretation of the provisions of this Agreement arising between any member and the Fund or between any members of the Fund shall be submitted to the Executive Directors for their decision. Gegen eine derartige Interpretationserklärung ist eine Berufung an den Gouverneursrat zulässig, dessen Entscheidung endgültig ist204 • Eine Interpretationserklärung ist sowohl anläßlich eines konkreten Streitfalles als Sachentscheidung möglich, als auch in generell-abstrak ter Form um das künftige Verhalten der Organisation wie ihrer Mit glieder festzulegen205 • In der Praxis hat sich die generell-abstrakte Form der Interpretationserklärung als die bedeutend häufigere erwie sen. Das Ergebnis solcher formeller Interpretationen wird in der Lite ratur überwiegend als endgültig und bindend betrachtet206 • Neben diejuridique, S. 256, 259. Siehe auch die beiden Beschlüsse des Spanischen Tribunal Economico-Administrativo Central vom 24. Sept. 1963 und 14. Jan. 1964, 18 Revista Esp. DI 225 (1965), 19 Revista Esp. DI 79 (1966), in welchen den vom ,Valuation Committee', errichtet nach Art. V der Convention on the Valuation of Goods for Customs Purposes vom 15. Dez. 1950, 171 UNTS 306, erarbeiteten Beschlüssen „valor juridico" zugesprochen wird. Das ,Valua tion Committee' erfüllt nach Art. VI dieser Konvention ähnliche Aufgaben wie das oben genannte ,Nomenclature Committee'. 203 Vgl. auch die ähnlichen Befugnisse des Rats unter den internationalen Rohstoffabkommen. z. B . : Art. 40 des Internationalen Zuckerabkommens vom 1. Dez. 1958, 385 UNTS 138, 190 ; Art. XVII des Internationalen Zinn abkommens vom 1. Sept. 1960, 403 UNTS 3, 60 ; Art. 50 des Internationalen Weizenabkommens vom 19. Apr. 1962, 444 UNTS 3, 50 ; sowie Art. XVII der Satzung der OAU. 204 Art. XVIII (b). Allgemein zum Art. XVIII vgl. insbes. Treves, Les decisions d'interpretation des Statuts du Fonds monetaire international, 79 RGDIP 5 (1975). 205 Gold, The Interpretation by the International Monetary Fund of its Articles of Agreement, 3 ICLQ 256, 259 (1954) ; Hexner, Die Rechtsnatur, S. 76 f. ; Hexner, Interpretation by Public International Organizations of their Basic Instruments, 53 AJIL 341, 353 (1959). 208 Aufricht, The Fund Agreement : Living Law and Emerging Practice, S. 16 (1969) ; Gold, The Interpretation, S. 273 ; ibid., Certain Aspects of the Law and Practice of the International Monetary Fund, in The Effectiveness of International Decisions (Schwebe!, Hrsg.), S. 71, 87 f. (1971) ; ibid., The Bretton Woods Agreement of July 22, 1944 in the Courts, Part IV, 38 RabelsZ 683, 687 (1974) ; ibid., Interpretation by the Fund, International Monetary Fund Pamphlet Series No. 11, S. 31 f. ; ibid., Voting and Decisions in the International Monetary Fund, S. 104 f. (1972). Siehe jedoch Mann, The ,Interpretation' of the Constitutions of International Financial Organizations, 43 BYIL, 1, 12 f. (1968 - 69) ; etwas widersprüchlich : Williams, Extraterritorial
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ser auf Grund der speziellen Befugnis ausgeübten Interpretation gibt es selbstverständlich eine Vielzahl von Fällen, in welchen die Organe der Finanzorganisationen die Verträge im Rahmen ihrer Tätigkeit formlos auslegen und anwenden207 • Es wäre nun gekünstelt und unbefriedigend, wollte man der Frage der Rechtswirkungen solcher Interpretationen mit einem Hinweis auf ihren „deklarativen" Charakter ausweichen und sich auf die Behaup tung zurückziehen, die Verpflichtungen ihrer Adressaten ergäben sich ausschließlich bereits aus dem Vertrag selbst208 • Wie jede Rechtsanwen dung, hat auch die Interpretationserklärung ein gewisses Maß an rechtsfortbildender Wirkung209 • Die Formulierung eines Vertragstexts ist zweifellos ein überaus wesentlicher, ja zentraler Punkt im juristisch relevanten Entscheidungsprozeß zu einer bestimmten Frage, bildet je doch keineswegs seinen Abschluß. Es gilt vielmehr zu überprüfen, wel che Autorität diesen formellen Interpretationserklärungen bei der wei teren Anwendung des Vertrages beigemessen wurde. Je nach der Art der formellen Interpretationserklärung und der Art der Berufung darauf, wäre auch hier die Durchsetzung einer Sachent scheidung oder Anwendung einer generell-abstrakten Erklärung, eine Berücksichtigung bei der Klärung einer Vorfrage, sowie die analoge Anwendung einer Sachentscheidung als „Präzedenzfall" denkbar. In der Entscheidungspraxis staatlicher Gerichte hat bisher allerdings nur eine Interpretationsentscheidung des Währungsfonds und der Welt bank anläßlich eines konkreten Streitfalls, sowie eine generelle Inter pretation durch den Währungsfonds eine Rolle gespielt. Der einzige bekannte Fall210, in welchem eine anläßlich eines kon kreten Streitfalles abgegebene Interpretationserklärung durchgesetzt wurde, betraf ein Verfahren zwischen der Weltbank und dem Wäh rungsfonds einerseits und einer Reihe von Telegraphenfirmen anderer seits, über die Höhe von Telegraphengebühren, welche von den Organi sationen zu bezahlen waren. Die beiden Organisationen stützten sich Enforcement of Exchange Control Regulations Under the International Monetary Fund Agreement, 15 VaJIL 319, 329 f. (1975). 207 Aufricht, The International Monetary Fund, Legal Bases, Structure Functions, S. 14 (1964) ; Gold, The Interpretation, S. 264 ; Hexner, Die Rechts natur, S. 75 f. 208 Hexner, Die Rechtsnatur, S. 80 f. 209 Hexner, Interpretation, S. 370. 210 International Bank for Reconstruction and Development & International Monetary Fund v. All America Cables and Radio Inc. et. al., Federal Com munications Commission, 23. März 1953, 22 ILR 705 (1955). Vgl. dazu insbes. Hexner, Interpretation, S. 354; Nurick, Certain Aspects of the Law and Practice of the International Bank for Reconstruction and Development, in The Effectiveness of International Decisions (Schwebe!, Hrsg.), S. 100, 124 (1971) ; Gold, in IMF Pamphlet Ser. No. 1 1, S. 32 f.
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dabei auf die Bestimmungen ihrer Satzungen, welche für die Durchfüh rung ihres Nachrichtenverkehrs eine internationale Meistbegünsti gungsklausel enthielten. Sie bekräftigten ihren Standpunkt mit einer offiziellen Auslegungserklärung. Das Sonderverwaltungsgericht, wel ches den Streitfall zu entscheiden hatte, hegte keinerlei Zweifel an der Autorität dieser Interpretationserklärung in eigener Sache : We believe that the question as to the application of the term ,treatment' in the Bank and Fund Articles to rates has been conclusively determined by the Bank and Fund Executive Directors' interpretation . . . Under the terms of the Bank and Fund Articles of Agreement, this interpretation, in effect, is final. This procedure for issuing interpretations binding member governments does indeed appear novel; but it also appears to point the way toward speedy, uniform and final interpretations211 • Die für die Praxis staatlicher Gerichte weitaus bedeutsamste Inter pretationserklärung ist j edoch sicher die der Exekutivdirektoren des Währungsfonds vom 10. 6. 1949 über die Auslegung des Artikel VIII/2 (b) 212 der Satzung des Währungsfonds. Artikel VIII/2 (b), erster Satz lautet: Exchange contracts which involve the currency of any member and which are contrary to the exchange control regulations of that member maintained or imposed consistently with this agreement, shall be unenforceable in the territories of any member. In ihrer Auslegung gaben die Exekutivdirektoren nicht nur eine de taillierte Erläuterung dieser Bestimmung, sondern gingen auch spezi fisch auf ihre Bedeutung für das Verhalten staatlicher Gerichte ein. Gewisse typische Prozeßeinreden gegen die Anwendung des Artikel VIII/2 (b) werden in der Interpretationserklärung ausdrücklich zurück gewiesen213 . Die relative Häufigkeit von Fällen, in welchen die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikel VIII/2 (b) zutreffen, gibt ein einiger maßen abgerundetes Bild über die Behandlung der Interpretationser klärung durch staatliche Gerichte214 • 211 22 ILR 707 (1955). 212 Dazu siehe insbes. Gold, The Fund agreement in the courts (1962) ; Meyer, Recognition of Exchange Controls after the International Monetary Fund Agreement, 62 YaleLJ 867 (1953) ; Nussbaum, Exchange Control and the International Monetary Fund, 59 YaleLJ 421 (1950). 218 Die Interpretationserklärung ist wiedergegeben bei Gold, The Fund Agreement in the Courts, S. 12, sowie bei Gold, Certain Aspects, S. 89. Für eine Kritik an der Interpretationserklärung siehe Seidl-Hohenveldern, Pro bleme der Anerkennung ausländischer Devisenbewirtschaftungsmaßnahmen, 8 ÖZöR 82, 90 (1957). 214 Eine detaillierte Behandlung findet sich insbes. bei Gold, The Fund Agreement in the Courts, sowie in einer Reihe gleichnamiger Aufsätze in International Monetary Fund Staff Papers.
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In einer ganzen Reihe von Entscheidungen stützen sich die Gerichte ausdrücklich auf die offizielle Interpretation des Währungsfonds und folgen den von ihr ausgesprochenen Richtlinien21 5 • Eine Auseinander setzung mit der Frage ihrer Autorität findet regelmäßig nicht statt. Ihr endgültiger Charakter scheint meist als selbstverständlich vorausge setzt zu werden216 • Ähnlich wie in der Judikatur zur internationalen Praxis bei der An wendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ermöglicht die Übersichtlichkeit der Judikatur zu Artikel VIII/2 (b) allerdings eine Erfassung nicht nur jener Fälle, in denen sich auch tatsächlich Hin weise auf die internationale Entscheidung finden. Ein vollständiges Bild kann nur dann gewonnen werden, wenn auch jene Gerichtsent scheidungen berücksichtigt werden, welche die internationale Entschei dung stillschweigend übergehen. Eine Durchsicht der Judikatur zeigt, daß diese Entscheidungen bei weitem überwiegen. Allerdings darf diese Feststellung nicht ohne weiteres zur Annahme verleiten, ihre Nichtbeachtung sei notwendigerweise darauf zurückzuführen, daß die Gerichte die Interpretationserklärung des Währungsfonds für rechtlich unbeachtlich gehalten hätten. In einer Reihe von Fällen wurde Artikel VIII/2 (b) von den Gerichten auch ohne Hinweis auf die offizielle Interpretation in einer Weise an gewandt, die dem Inhalte der Interpretationserklärung zu entsprechen scheint21 7 • Es ist müßig zu spekulieren, ob die stillschweigende, erklä215 Societe Filature et Tissage X. Jourdain cf Epoux Heynen-Bintner, Tribunal d'Arrondissement de Luxembourg, 1. Feb. 1956, 83 Clunet 957 (1956), 22 ILR 727 (1955) ; Moojen v. Von Reichert, Cour d'Appel Paris, 20. Juni 1961, 51 RCDIP 67 (1962), 89 Clunet 718 (1962), 8 AFDI 974 (1962), vgl. dazu insbes. Gold & Lachmann in 89 Clunet 666 (1962). Southwestern Shipping Corp. v. The National City Bank of New York, New York Supreme Court, 17. März 1958, 23 ILR 581 (1956) ; Banco do Brasil S. A. v. A. C. Israel Commo dity Co. Inc., Court of Appeals of New York, 4. Apr. 1963, 32 ILR 371 ; Theye y Ajuria v. Pan American Life Insurance Co., Court of Appeal of Louisiana 4th Circ., 14. Juni 1963, 58 AJIL 1 90 (1964), 4 VaJIL 1 1 7 (1964) ; BGH, 27. Apr. 1970, JZ 728 (1970) ; vgl. auch die Entscheidung des US Department of Justice In the Matter of Brecher-Wolff, 13. Dez. 1955, 22 ILR 718 (1955). 218 Vgl. auch Kahler v. Midtand Bank Ltd., Court of Appeal (Engl.), 19. Apr. 1948, [1948) 1 All E. R. 811, 819. m White v. Roberts, Hong Kong Supreme Court, 3. Nov. 1949, 16 AD 27 (1949) ; Perutz v. Bohemian Dis count Bank in Liquidation, Court of Appeals of New York, 9. Jan. 1953, 80 Clunet 797 (1953), 22 ILR 7 1 5 ; Confederation Life Association v. Ugalde, Supreme Court of Florida, 24. Feb. 1964, 38 ILR 138 ; Clearing DoHars Case, Landgericht Hamburg, 28. Dez. 1954, 22 ILR 730 (1955) ; Lessinger v. Mirau, Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, 1. Apr. 1954, 5 Jahrb. IR 1 1 3 (1955), 22 ILR 725 (1955) ; BGH, 9. Apr. 1 962, AWB 146 (1962), 90 Clunet 1 124 (1963) ; BGH, 21. Mai 1964, AWB 228 (1964) ; BGH, 11. März 1970, JZ 727 (1970), NJW 1002 (1970) ; BGH, 17. Feb. 1971, NJW 983 (1971) ; Frantzmann v. Ponijen, Dist. Ct. Maastricht (Niederl.), 25. Juni 1959, 30 ILR 423 ; Banque nationale de Paris „Intercontinentale" cf Ets Elkaim et sieurs Elkaim, Cour de cass. (Fr.), 7. Mai 1974, 102 Clunet 66 (1975).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
rungskonforrne Anwendung für oder gegen die Autorität der Interpre tationserklärung spricht2 18 • In anderen Fällen ist die Nichtanwendung des Artikel VIII/2 (b) so begründet, daß die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß die Entscheidungen auch bei Heranziehung der Interpre tationserklärung nicht anders ausgefallen wären2 19 • Eine Gruppe von Fällen erweckt allerdings den Eindruck, daß die Gerichte nur dadurch zu ihrem Ergebnis kommen konnten, Artikel VIII/2 (b) nicht anzuwen den, daß sie die offizielle Interpretation mißachteten oder übersahen220 • Dabei gehen die Entscheidungen manchmal nicht einmal auf den Wort laut des Artikel VIII/2 (b) ein, sondern weisen die Anwendung des Abkommens über den Internationalen Währungsfonds in allgemeinen Worten zurück221 • Ein guter Teil dieser Entscheidungen mag einfach auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß die Interpretationserklärung von den Par teien nicht vorgebracht wurde und den Gerichten nicht bekannt war. In jenen Fällen, in welchen sich Untergerichte ausdrücklich an der offiziellen Auslegung orientierten, kann das übergehen der internatio nalen Entscheidung durch die Berufungsgerichte222 jedoch nicht mit Unwissenheit erklärt werden. Eine kritische Gesamtwertung der Fälle im Anwendungsbereich der Auslegungserklärung des Internationalen Währungsfonds vom 10. 6. 1949 ergibt also ein etwas anderes Bild als die Betrachtung nur jener Entscheidungen, in denen die Gerichte sich ausdrücklich mit der Ausle gungserklärung befaßten. Zwar ist keine Äußerung eines Gerichts be218 Vgl. Mann, The ,Interpretation', S. 14. 2 10 Sharif v. Azad, Court of Appeal (Engl.), 4. Okt. 1966, [1967] 1 Q. B. 605, 41 ILR 230 ; vgl. dazu Mann, Bretton Woods Agreement in English Courts, 16 ICLQ 539 (1967) ; Wilson Smithett and Cope Ltd. v. Terruzzi, Queen's Bench Division, 4. Feb. 1 975, The Times, 5. Feb. 1 975, S. 1 6 ; Constant v. Lanata, Cour de cassation (Fr.), 18. Juni 1969, 59 RCDIP 464 (1970) ; Stephen v. Zivnostenska Bank a National Corporation, New York Supreme Court, 25. März 1955, 22 ILR 719 (1955) ; Statni Banka et Banque d'Etat tchechosla vique cf Englander, Cour d'appel d'Aix-en-Provence, 14. Feb. 1966, 93 Clunet 846 (1966) ; Republic of Indonesia et al. v. Brummer et al., Court of Appeals of Amsterdam, 9. Apr. 1959, 30 ILR 25. 220 Emek v. Bossers & Mouthaan, Commercial Tribunal of Courtrai (Belg.), 9. Mai 1953, 22 ILR 722 (1955) ; OGH, 2. Juli 1958, JBl 73 (1959), 86 Clunet 868 (1959) ; Pan American Life Ins. Co, v. Raij, Florida District Court of Appeal, 1963, 58 AJIL 517 (1964). 22 1 In re Sik's Estate, US Surrogate's Court New York County, 8. März 1954, 22 ILR 721 (1955) ; Indonesian Corporation P. T. Escomptobank v. N. V. Assurantie Maatschappij de Nederlanden van 1845, Netherl. Sup. Court, 17. Apr. 1964, 40 ILR 7, 13 NTIR 58 (1966). 222 Southwestern Shipping Corp. v. The National City Bank of New York, New York Court of Appeals, 8. Juli 1959, 28 ILR 539, cert. den. 361 U. S. 895 ; Theye y Ajuria v. Pan American Life Insurance Co., Supr. Ct. of Louisiana, 24. Feb. 1964, 38 ILR 456. Die Entscheidungen der Untergerichte siehe in Anm. 215.
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kannt, in welcher die Autorität der Erklärung bezweifelt worden wäre. Die beträchtliche Anzahl von Entscheidungen, in denen Gerichte über sie hinweggegangen sind, insbesondere auch in Fällen, in denen das Ergebnis der Entscheidung mit dem Inhalt der Auslegungserklärung in Widerspruch zu stehen scheint, spricht jedoch eher gegen ihre Ef fektivität. Dabei ist bemerkenswert, daß die stillschweigende Nicht beachtung die einzige evidente Begründungsstrategie bei der Verwei gerung ihrer Anwendung ist. Es ist kein Fall bekannt, in dem ein Ge richt die Ablehnung mit ihrer mangelnden Autorität oder ,Bindungs wirkung', dem Fehlen einer Transformation, der mangelnden unmit telbaren Anwendbarkeit, oder der Beachtung entgegenstehender staat licher Vorschriften begründet hat. 3. Reglements internationaler Organe
Die ausdrückliche Zustimmung zu geschriebenen internationalen Rechtsvorschriften durch die betroffenen Staaten, ist auch heute noch meist eine grundsätzliche Bedingung für ihr Zustandekommen. Die wichtigste und häufigste Form der ausdrücklichen Formulierung von Maßstäben international relevanten Verhaltens bleibt der völkerrecht liche Vertrag. Von einer „Legislative" im herkömmlichen Sinne des Wortes auf internationaler Ebene zu sprechen, scheint daher nur in beschränktem Maße sinnvoll223 • Dennoch haben sich im Rahmen internationaler Institutionen gewis se Formen der Beschlußfassung entwickelt, die in ihren Rechtswirkun gen Verträgen ähnlich sind224 oder gleichkommen, aber entweder ein Abrücken vom absoluten Konsensprinzip darstellen oder sich anderer Formen als der des traditionellen diplomatischen Verkehrs bedienen225 • Das Anwachsen der Völkerrechtsgemeinschaft hat das Zustandekom men von ausdrücklichen Zustimmungserklärungen zu einer notwendi gen Veränderung eines multilateralen Rechtsverhältnisses durch sämt223 Vgl. Huber, Die internationale Quasilegislative, S. 9 f. ; Merle, Le pouvoir reglementaire, S. 342 f. ; Skubiszewski, Enactment of Law by Inter national Organisations, 41 BYIL 198 (1965 - 66) ; Yemin, Legislative Powers in the United Nations and Specialized Agencies, S. 2 f. (1969). 224 Vgl. Detter, Law Making by International Organizations, S. 215 (1965) ; Huber, Die internationale Quasilegislative, S. 19 f. ; Skubiszewski, Enactment, S. 220 f. ; ibid., Forms of Participation of International Organizations in the Lawmaking Process, 18 Int. Org. 790 (1964) ; Schulz, Entwicklungsformen internationaler Gesetzgebung (1960) ; Alexandrowicz, The Law-Making Func tions of the Specialised Agencies of the United Nations (1973). 22 5 Dazu allgemein insbes. Detter, Law Making ; Skubiszewski, Enactment; ibid., Resolutions of International Organizations and Municipal Law, 2 The Polish Yearbook of International Law 80 (1968/69) ; ibid., Legal Nature, S. 194; Merle, Le Pouvoir reglementaire.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
liehe an einem Vertrag oder einer internationalen Organisation betei ligten Staaten außerordentlich erschwert. Dies hat in bestimmten Fäl len zur Einführung des Mehrstimmigkeitsprinzips bei der Abänderung des Vertrags selbst oder der Schaffung von „sekundärem" Organisa tionsrecht geführt. Selbst dort, wo im internationalen Organ an dem Erfordernis der Einstimmigkeit festgehalten wurde, unterliegt ein wi derstrebender oder unschlüssiger Partner bei der Abgabe der Stimme einem stärkeren politischen Druck als bei einer Ratifikationserklärung. Eine Verfahrensvorschrift, wonach Stimmenthaltung das Zustande kommen einstimmiger Beschlüsse nicht verhindert, kann auch hier eine gewisse Einschränkung des Konsensprinzips bedeuten. Allerdings ist ein derartiges Abrücken vom Konsensprinzip häufig mit „escape clauses" verbunden, die es einem widerstrebenden Staat erlauben, sich dem veränderten Rechtsverhältnis zu entziehen. Parallel zu dieser Entwicklung hat das Bedürfnis nach einer be schleunigten und vereinfachten Form der Willensbildung in gewissen Fällen eine Veränderung der Form der Beschlußfassung über das In krafttreten genereller Vorschriften mit sich gebracht. Insbesondere im Bereich technischer und spezialisierter Regelungen waren Staaten be reit, auf das Erfordernis der formellen Zustimmung zu völkerrechtli chen Verträgen zu verzichten und internationalen Organen bestimmte Normsetzungskompetenzen zu übertragen. Die Vorteile einer effizien ten und sachkundigen Behandlung in einem von Experten unterstütz ten internationalen Organ wogen den Nachteil eines teilweisen Ver zichts auf unmittelbare Einflußnahme und die absolute Kontrolle j e des einzelnen Staates über die von ihm eingegangenen Verpflichtungen auf. Der Wegfall der vorherigen Genehmigung, durch die nach dem Verfassungsrecht der beteiligten Staaten zuständigen Organe, stellt eine bedeutende Erleichterung und Beschleunigung für das Zustande kommen der internationalen Vorschriften dar. Diese beiden Phänomene des Mehrheitsbeschlusses und der Beschluß fassung im Rahmen internationaler Organe treten oft kombiniert auf und haben zu einer Reihe von Verfahren geführt, in denen internatio nale Reglements geschaffen werden. Sieht man von der sehr wesentlichen Ausnahme der Verordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ab, ist diese Form der Recht setzung durch internationale Organe allerdings regelmäßig im Hin blick auf generelle staatliche Durchführungsmaßnahmen, meist in Form von Gesetzen oder Verordnungen, konzipiert226 • Diese Techniken der Anpassung staatlichen Rechts an die von internationalen Organen ge faßten Beschlüsse verhindern zumeist eine unmittelbare Berufung auf 22 8
Vgl. dazu insbes., Miele, Les Organisations internationales, S. 339 f.
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die internationale Entscheidung. Die materielle Anwendung der inter nationalen Reglements durch das staatliche Gericht erfolgt häufig un bewußt und nur auf dem Umweg über staatliche Rechtsbefehle. In den relativ wenigen Fällen, in denen sich die Gerichte dennoch auf den Beschluß eines internationalen Organs selbst beziehen, wird er fast stets dem völkerrechtlichen Vertragsrecht zugeordnet und der Art seines Zustandekommens wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Be zeichnung der internationalen Entscheidung als „Annex zum Vertrag" oder als „Änderung des Vertrags" fördert diese Tendenz. Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Frage der internationalen Autorität dieser Art von Akten inter nationaler Organisationen in der staatlichen Gerichtspraxis so gut wie keine Rolle spielt. Das Vorhandensein eines ausdrücklichen staatlichen Anwendungsbefehls in der Form einer Verweisung auf den Organakt oder eines inhaltlich entsprechenden Gesetzes ließ den internationa len Verpflichtungscharakter des Organakts aus der Perspektive des Gericllts als unbeachtlich erscheinen. In den Fällen, in welchen der Or ganakt zu Recht oder zu Unrecht als Bestandteil eines Vertrags ange wandt wurde, sahen die Gerichte ebenfalls keine besonderen Probleme hinsichtlich seiner rechtlichen Wirkung. Zu den ältesten Formen dieser Rechtsetzung im Rahmen internatio naler Organe gehört die im Regime für internationale Flüsse auf inter nationale Kommissionen übertragene Befugnis, gewisse Vorschriften festzulegen227 . Die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt besitzt nach der Mannheimer revidierten Rheinschiffahrtsakte228 gewisse Ver ordnungsbefugnisse im Zusammenwirken mit den Mitgliedstaaten229 . Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat erst in letzter Zeit die Strafbestimmungen des Artikel 32 auf die von der Zentralkommission erarbeiteten „Polizeiverordnungen" angewandt230 . Die Europäische Do naukommission231 hatte noch weitreichendere Rechtsetzungsbefugnisse bezüglich der Schiffahrt auf der Donau232 . 227 Vgl. insbes. Hoyt, The Unanimity Rule in the Revision of Treaties : A Re-examination, S. 117 f. (1959). 228 Martens, N. R. G. Bd. 20, S. 355 ; die Neufassung des deutschen Wort lauts wurde im BGB!. 1969 II, S. 597 kundgemacht. 229 Vgl. Skubiszewski, Enactment, S. 205 ; ibid., A new Source, S. 511. 230 K . F. 0. v. Public Prosecutor, 15. Juni 1971, 3 NYIL 296 (1972) ; Verenigde Tankrederij N. V. v. Willem Geervliet, 25. Feb. 1972, 4 NYIL 413 (1973). 231 Siehe insbes. die Konventionen vom 2. Nov. 1865, 4 Recueil des traites et conventions conclus par l'Autriche 304 (1877), und vom 23. Juli 1921, 26 LNTS 175. 232 Vgl. dazu die Entscheidung des französischen Conseil d'Etat im Cos metto-Fall vom 19. Jan. 1927, Rec. 54, zitiert nach Ruzie, Le juge fran!;ais, S. 104, in welchem eine Entscheidung der internationalen Donaukommission als ,acte de gouvernement' eingestuft wird, welcher einer gerichtlichen Über prüfung nicht unterliegt.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
In den früheren Verwaltungsunionen und späteren Spezialorganisa tionen der Vereinten Nationen haben rechtsetzende Beschlüsse eine besondere Bedeutung erlangt233 • Besonders die Vorläuferin der späte ren ICAO, die durch Vertrag vom 13. 10. 1919 gegründete CINA234 , hatte bereits weitreichende Kompetenzen. Sie konnte die technischen Annexe des Vertrags durch Mehrheitsbeschlüsse abändern235 • Das schweizerische Bundesgericht236 mußte sich im Jahre 1950 mit einem solchen abgeän derten Annex auseinandersetzen. Es befand die durch die CINA ge schaffene Vorschrift zwar, als Bestandteil des internationalen Vertrags rechts, für grundsätzlich anwendbar, verwarf die darauf gestützte Be rufung im besonderen Falle jedoch, da die Mitgliedschaft der Schweiz kurz zuvor erloschen war. Im Rahmen der Spezialorganisationen der Vereinten Nationen ist die Rechtsetzung durch Beschlüsse eines internationalen Organs unter der Bezeichnung des „contracting out" bekannt geworden237 • Der Grund gedanke besteht in einer Umkehrung des traditionellen Zustimmungs verfahrens zu Verträgen: Der mehrheitlich gefaßte Beschluß des inter nationalen Organs wird als für alle Mitglieder geltend betrachtet, aus genommen für jene, die ihre Abweichung ausdrücklich bekannt geben. Das Bedürfnis nach einer schnellen und sachgerechten Anpassung der internationalen Vorschriften über den Zivilflugverkehr war ausschlag gebend für die Übernahme dieser Methode in die ICAO. Der aus 27 Mitgliedern bestehende Rat kann mehrheitlich „international stan dards" und „recommended practices" beschließen und abändern, wel che dem Abkommen als Annexe beigefügt werden können238 • Diese 233 Siehe auch die Anwendung eines Beschlusses der „ständigen Kommis sion" nach Artikel 8 der Brüsseler Zuckerkonvention vom 5. März 1902, Martens, N. R. G., 2. Ser., Bd. 31, S. 272, durch das Deutsche Reichsgericht, 16. Juni 1905, RGZ 61, 117. Die modernen Rohstoffabkommen sehen weit reichende Entscheidungsbefugnisse für den j eweiligen Rat vor. Siehe z. B. Internationales Zuckerabkommen vom 1. Dez. 1958, 385 UNTS 137; Interna tionales Zinnabkommen vom 1. Sept. 1960, 403 UNTS 5; Internationales Weizenabkommen vom 19. Apr. 1962, 444 UNTS 4. Siehe auch Detter, Law Making, S. 214. 234 11 LNTS 173. 236 Art. 34 (c). Vgl. Detter, Law Making, S. 247; Erler, Rechtsfragen der ICAO, S. 109 (1967). 238 Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau v. Lang u. Legler, 27. Jan. 1950, BGE 76 IV 43, 17 ILR 306 (1950). 237 Siehe dazu insbes. Detter, Law Making, S. 228 f.; Yemin, Legislative Powers; Saba, L'activite quasi-legislative des Institutions specialisees des Nations Unies, 111 RC 603 (1964, I); Alexandrowicz, The Law-Making Functions, S. 40 f. 238 Detter, Law Making, S. 248; Codding, Contribution of the World Health Organization and the International Civil Aviation Organization to the De velopment of International Law, 59 ASIL Proceedings 147 (1965); Riese, Luftrecht, S. 118 f. (1949); Erler, ICAO, S. 114 f.; Manin, L'organisation de
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Annexe treten in Kraft, soferne sie nicht von einer Mehrheit der Mit glieder abgelehnt werden. Darüberhinaus steht es jedem Mitglied frei von einem „international standard", dessen Beachtung es für untunlich (,impracticable') hält, abzuweichen. Nur hinsichtlich der Bestimmungen betreffend den Flug über der Hohen See besteht eine uneingeschränkte Verpflichtungswirkung239. Bezüglich der sonstigen Annexe besteht lediglich die unbedingte Verpflichtung zur Notifika tion der Abweichung, sonst aber nur die Pflicht, den Vorschriften nach Möglichkeit nachzukommen. Diese Bestimmungen des ICAO-Vertrages, welche den Mitgliedstaa ten einen relativ großen Spielraum lassen, haben in der Literatur mehrfach zu Betrachtungen über die „differenzierte" oder „abge schwächte" Rechtspflicht geführt, welche aus den ICAO-Beschlüssen erwächst240. Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die tatsächliche Praxis im Rahmen der Organisation, daß ein großer Teil der Mitgliedstaaten seiner Verpflichtung zur Notifikation von Abweichungen nicht nachge kommen ist24 1, so daß ein Stillschweigen nicht mehr Grundlage einer berechtigten Erwartung auf Befolgung darstellen kann. Unter dem Blickwinkel der Reziprozität kann diesem Gesichtspunkt bei der An wendung der Bestimmungen eines Annexes eine wesentliche Bedeu tung zukommen242. Diese interessanten Fragen nach der Autorität der Annexe zum ICAO-Abkommen sind von staatlichen Gerichten aus den oben ange führten Gründen nicht behandelt worden. Eine Berufung auf sie wur de, wo ein ausdrücklicher staatlicher Anwendungsbefehl fehlte, meist verworfen24 3. In den wenigen Fällen, in welchen sich Gerichte dennoch auf sie stützten, wurden sie einfach als Bestandteil des Vertrags be handelt244, so daß der Verdacht naheliegt, daß die Anhänge mit dem l'aviation civile internationale, S. 59 f. (1970) ; Chauveau, Droit aerien, S. 349 (1951) ; Buergenthal, Law-Making in the International Civil Aviation Orga nization (1969) ; Yemin, Legislative Powers, S. 1 1 4 f. ; FitzGerald, The Inter national Civil Aviation Organization, in Schwebe! (Hrsg.), The Effectiveness of International Decisions, S. 156 (1971) ; siehe auch Alexandrowicz, The Convention on Facilitation of International Maritime Traffic and Inter national Technical Regulations : A Comparative Study, 15 ICLQ 621 (1966). 239 Art. 12. 240 Riese, Luftrecht, S. 125 f. ; Erler, ICAO, S. 132 f. m. w. H. ; Buergenthal, Law-Making, S. 81 f. ; Bernard, Die Transformation der Normen der ICAO in die österreichische Rechtsordnung, 17 Zeitschr. f. Verkehrsrecht, 353 (1972). 241 Erler, ICAO, S. 141 ; Manin, L'OACI, S. 125 ; Buergenthal, Law-Making, 98 f. 242 Vgl. dazu die Notiz in 19 AFDI 979 (1973). 243 Belgium v. Marquise de Croix de Maillie de la Tour Landry et al., Cour de cassation (Belg.), 3. Okt. 1957, 24 ILR 9 (1957). 244 Public Prosecutor and Customs Administration v. Schreiber and Air France, Court of Appeal of Dakar, 15. Mai 1957, 24 ILR 54 (1957), bestätigt
s.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Grundabkommen verwechselt wurden und ihre andere Rechtsnatur nicht erkannt wurde. Ähnlich liegen die Dinge bei der rechtsetzenden Tätigkeit der Welt gesundheitsorganisation245 . Die Vollversammlung beschließt mehrheit lich Vorschriften (regulations), welche für die Mitglieder in Kraft tre ten, soferne diese sie nicht ablehnen oder Vorbehalte machen. Auch hier wird von einem Erfordernis staatlicher Durchführungsmaßnahmen vor der Anwendung der internationalen Vorschriften ausgegangen. Dies verhindert eine Auseinandersetzung der Gerichte mit der Rechts wirkung der internationalen Beschlüsse248 . Bei der Rechtsetzung durch regionale Organisationen, also solche mit einer beschränkten und meist überschaubaren Mitgliederzahl, steht nicht so sehr die Schwierigkeit beim Zustandebringen von Zustim mungserklärungen durch sämtliche Mitglieder im Vordergrund, als das Bedürfnis nach einem beschleunigten Verfahren der Annahme. In der OECD kann der Rat, ein Plenarorgan, zumeist einstimmige Entschei dungen oder Empfehlungen beschließen247 . Eine Stimmenthaltung ver hindert das Zustandekommen derartiger Beschlüsse nicht. Für die An wendung durch staatliche Gerichte gilt allerdings hier ähnliches wie für die Normsetzung durch die Spezialorganisationen der Vereinten Natio nen: Das Erfordernis staatlicher Durchführungsmaßnahmen läßt die Frage nach der Autorität der internationalen Entscheidung nicht auf treten248 . von der französischen Cour de cassation, 8. Nov. 1963, zitiert nach Ruzie, Le juge frani;ais, S. 107 ; Oberlandesgericht Frankfurt/Main, 25. Feb. 1965, 16 Zeitschrift f. Luftrecht u. Weltraumrechtsfragen 185, 188 (1967) ; Re Males, Cour de cassation (Fr.), 29. Juni 1972, 101 Clunet 142 (1974), 19 AFDI 979 (1973). Siehe auch den Verweis, ebendort, auf Cour de cass. 27. Juni 1973, wo die Annexe, auf Grund der Mitteilung des Außenministers zum Males Fall, vom Abkommen unterschieden werden. 245 Vgl. Detter, Law-Making, S. 234 f. ; Codding, Contributions ; Vignes, Le reglement sanitaire international. Aspects juridiques, 1 1 AFDI 649 (1965) ; Yemin, Legislative Powers, S. 181 f. ; vgl. auch Art. 8 (d) der WMO. 246 Dame Maury et Pivert cf Ministere public, Cour d'appel de Paris, 18. Nov. 1967, 95 Clunet 728 (1968), 14 AFDI 866 (1968). 247 Vgl. Hahn, Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), 12 Jahrb. d. öff. Rechts 1, 24 f. (1963) ; ibid., Die Organi sation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Entste hung und Rechtsordnung, 22 ZaöRV 49, 90 (1962) ; Huber, Die internationale Quasilegislative, S. 19; Freymond, Les „decisions" de !'Organisation Euro peenne de Cooperation Economique (0. E. C. E.), 1 1 SchwJIR 65 (1954). 248 Hurwits v. State of the Netherlands, Dist. Ct. of The Hague, 12. Juni 1958, 6 NTIR 195 (1959). In einer Entscheidung vom 12. Juli 1974, 1 EuGRZ 14 (1974), meinte das schweizerische Bundesgericht die Frage ob der von einer Partei vorgebrachte Ratsbeschluß der OECD völkerrechtlich verbindlich und landesrechtlich gültig sei, könne unbeantwortet bleiben, da die Bestimmung mangels hinreichender rechtlicher Bestimmtheit nicht unmittelbar anwend bar sei.
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In der Europäischen Freihandelsassoziation ist der Rat, ebenfalls ein Plenarorgan, befugt, einstimmige verbindliche Beschlüsse zu fassen249 • Auch hier ist eine Stimmenthaltung möglich. Wenngleich die Durchfüh rung auch dieser Beschlüsse den Mitgliedstaaten überlassen ist, können sie doch eine unmittelbare Bedeutung für Gerichte erlangen: Ein gro ßer Teil der auch von Gerichten anzuwendenden Bestimmungen des Vertrages enthält Ermächtigungen an den Rat, Abänderungen des Tex tes vorzunehmen. Von diesen Ermächtigungen hat der Rat ausgiebig Gebrauch gemacht. Der Vertrag ist jeweils nur in der vom Rat verän derten Version anzuwenden. Diesem Umstande hat beispielsweise der österreichische Verfassungsgerichtshof250 Rechnung getragen, als er Ar tikel 7 des EFTA-Vertrags anzuwenden hatte. Er wandte diese Bestim mung nicht nur in der vom Rat abgeänderten Version an, sondern be diente sich dabei auch noch eines · weiteren EFTA-Ratsbeschlusses, welcher Bestimmungen darüber enthält, wie die geänderte Konven tionsbestimmung auszulegen ist. Die Frage der Vertragsänderung durch internationale Organe ist selbstverständlich ein viel allgemeineres Phänomen. In vielen interna tionalen Organisationen besteht die Möglichkeit von Satzungsänderun gen ohne die Zustimmung aller Mitglieder. Eine von einem Organ der Organisation mehrheitlich beschlossene Verfassungsänderung kann dort unter Umständen neue Vorschriften auch für jene Mitglieder in Kraft setzen, welche ihr weder im Organ zugestimmt haben, noch sie ratifi ziert haben261 • Soferne diese Verfassungsänderung materielles Recht be trifft, dessen Anwendung auch durch staatliche Rechtsanwendungsor gane in Frage kommt, kann sich ein Gericht in der Lage finden, ,,Ver tragsrecht" anzuwenden, welches von einem internationalen Organ im Zusammenwirken mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschlossen wor den ist, dem der Forumstaat jedoch nicht zugestimmt hat252 • Die Rechts wirkung dieser Beschlüsse als Vertragsrecht kann dann nur auf dem Umweg über die seinerzeit vertraglich akzeptierten Bestimmungen über die Satzungsänderung begründet werden. Die Übersicht über die spärliche staatliche Judikatur zur Setzung ge nereller Normen durch internationale Organe zeigt, daß die Frage nach 249 Siehe insbes. Mori, Rechtsetzung und Vollzug in der Europäischen Freihandelsassoziation, S. 91 f. (1965) ; Lambrinidis, The Structure, Function and Law of a Free Trade Area, S. 31 f. (1965). 250 Slg. 5935, 6. Juni 1969. 251 Art. 108 UN ; Art. 36 ILO ; Art. 73 WHO; Art. XIII UNESCO ; Art. 30 UPU; Art. XVIII IAEA ; Art. XVII FUND ; Art. VIII BANK. Siehe Zacklin, The Amendment of the Constitutive Instruments of the United Nations and Specialized Agencies (1968) ; Yemin, Legislative Powers, S. 27 f. ; Art. 41 Europarat; Art. XXXIII OAU. Hoyt, The Unanimity Rule, S. 52 f. 252 Vgl. auch Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 132.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
der internationalen Autorität dieser Art von internationalen Beschlüs sen, obwohl keineswegs immer eindeutig, in der Praxis staatlicher Ge richte keine Rolle gespielt hat. Die Abweisung von Ansprüchen, welche auf solche Beschlüsse gestützt sind, erfolgt fast immer unter Hinweis auf das Fehlen staatlicher Durchführungsbestimmungen oder man gelnde unmittelbare Anwendbarkeit. In den Fällen, in denen solchen Ansprüchen stattgegeben wird, werden die Beschlüsse, nicht immer ganz richtig, einfach als internationales Vertragsrecht betrachtet. 4. Generell-abstrakte Empfehlungen
Die Formulierung allgemeiner Standards international relevanten Verhaltens durch das Mittel der Empfehlung ist in den heutigen inter nationalen Organisationen ein weit verbreitetes Phänomen. Charak teristisch für diese Art der Beschlußfassung ist ein Vorgehen des Or gans, welches äußerlich stark an die Tätigkeit eines Legislativorgans erinnert, ohne daß damit die typischen Folgen legislativer Funktionen verbunden sind. Der aus den widerstrebenden Interessen an Koopera tion und Handlungsfreiheit resultierende Kompromiß äußert sich hier nicht in „escape clauses", also der Möglichkeit für einzelne Teilnehmer, eine bestimmte Regelung abzulehnen, sondern in der Beschränkung der Autorität dieser Regelung, welche eine möglichst große Beteiligung bei der Annahme der Empfehlung und der Verwirklichung ihrer Ziele sichern soll. Der sachlich überaus weite Rahmen für die Abgabe von Empfehlun gen durch internationale Organe läßt es verständlich erscheinen, daß in zahlreichen Fällen vor staatlichen Gerichten versucht wurde, sich auf ihren Inhalt zu stützen. Allerdings fällt auf, daß bestimmte Resolutio nen bedeutend häufiger herangezogen werden als andere. Insbeson dere die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. 12. 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erfreut sich vor staatlichen Gerichten großer Beliebtheit253 • Dafür mö gen mehrere Gründe maßgebend sein. Einmal sind die von ihr behan delten Fragen häufig Gegenstand von Entscheidungen der Gerichte. Gelegenheiten, sich mit ihr auseinanderzusetzen ergeben sich demnach relativ oft. Zum anderen hat kaum ein anderes internationales Do kument ein so großes Maß an Bekanntheit erlangt. Auch Personen mit geringen Kenntnissen des Völkerrechts sind sich seiner Existenz be wußt und haben es oft für angebracht gehalten, sich trotz des Beste2 53 Siehe dazu Schreuer, The Impact of International Institutions on the Protection of Human Rights in Domestic Courts, 4 Israel Yearbook on Human Rights 60, 76 f. (1974) ; vgl. auch Skubiszewski, Recommendations of the United Nations and Municipal Courts 46 BYIL 353 (1972 - 73).
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hens von verfassungsrechtlichen oder völkervertragsrechtlichen Men schenrechtsgarantien gerade auf dieses Dokument zu berufen. Mit dieser oft zusätzlichen oder subsidiären Berufung auf die Men schenrechtsdeklaration und andere Empfehlungen internationaler Or gane steht auch die Tatsache im Zusammenhang, daß diese Art inter natioraler Beschlüsse nur selten das Hauptmotiv der gerichtlichen Entscheidungsbegründung darstellt. In vielen Fällen, in welchen das Gericht nur beiläufig auf eine derartige Resolution verweist, müssen Zweifel darüber bestehen, in welchem Maße die internationale Emp fehlung entscheidungsbestimmend war254 • Dennoch kann auch ein sol cher kurzer Hinweis als gewisses · Indiz für die Autorität, die ihr bei gemessen wird, gewertet werden. In einigen Fällen setzen sich die Ge richte denn auch mit den rechtlichen Wirkungen empfehlender Resolu tionen ausdrücklich auseinander. Die Frage nach der juristischen Bedeutung internationaler Empfeh lungen ist eines der am häufigsten behandelten aber auch umstritten sten Themen der völkerrechtlichen Literatur der letzten Jahrzehnte. Die Standpunkte zu dieser Frage variieren nicht nur erheblich je nach dem rechtlichen Vorverständnis des Betrachters, sondern auch nach der Sympathie gegenüber dem Inhalt der jeweils zur Diskussion stehenden Empfehlung oder gegenüber den politischen Neigungen der ein Organ beherrschenden Mehrheit255 • Die Schwierigkeit und Vielschichtigkeit des Problems hat überdies viele Autoren zu uneinheitlichen oder doch differenzierten Lösungen kommen lassen, die eine systematische Erfas sung erschweren258 • a) Sind Empfehlungen rechtlich unbeachtlich? Zunächst gilt es vor einer allzu vordergründigen Wortinterpretation auf der Hut zu sein. Es wäre vorschnell, den Terminus „Empfehlung", ,,recommendation", ,,recommandation" notwendigerweise mit „unver bindlich" oder gar „rechtlich unerheblich" zu assoziieren267 • Es gibt eine Reihe von Beispielen, in denen dieser Ausdruck in einem Sinn geSkubiszewski, Legal Nature, S. 207. Castles, Legal Status of U. N. Resolutions, 3 Adelaide LRev. 68 (1967) ; Golsong, Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen (insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen), 10 Berichte der Deut schen Ges. f. Völkerrecht 1, 8 f. (1971) ; Skubiszewski, Resolutions, S. 94 f. ; Uibopuu, Die sowjetische Doktrin der friedlichen Koexistenz als Völker rechtsproblem, S. 146 (1971) ; Verzijl, International Law in Historical Per spective Bd. I., S. 76 (1968). 2 56 Vgl. die Beispiele bei Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 435 f. 257 Vgl. auch Malintoppi, Le Racommandazioni Internazionali, S. 115 f. (1958) ; Dahm, Die völkerrechtliche Verbindlichkeit von Empfehlungen inter nationaler Organisationen, 12 Die öffentliche Verwaltung 361 (1959). 1 5' 2 66
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braucht wird, in welchem eindeutig entweder eine Pflicht des Adres saten zur Befolgung gemeint ist258, eine Verpflichtung zur Setzung be stimmter Handlungen besteht259, die Nichtbefolgung nachteilige Folgen für den Adressaten nach sich ziehen kann260, oder die Empfehlung eine Ermächtigung zum Handeln lediglich innerhalb ihres materiellen Rah mens darstellt261 • Dies zeigt, daß von einem selbstverständlichen Wort sinn des Terminus Empfehlung nicht ausgegangen werden kann. Dennoch herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß eine Empfeh lung normalerweise, soweit also keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, andere Rechtswirkungen als ein völkerrechtlicher Vertrag oder ein auf besonderen Bestimmungen beruhendes Reglement hat. Sie enthält keine „bindenden Regeln" 2 62 • Diese naheliegende und den noch oft mit bemerkenswertem Aufwand erarbeitete Erkenntnis stellt für eine Gruppe von Autoren die Schlüsselfrage ihrer Untersuchung dar263 • Eine juristische Relevanz jenseits des Begriffes einer verbind lichen Regel wird entweder nicht ins Auge gefaßt, oder entschieden ab gelehnt. In der Praxis staatlicher Gerichte gibt es eine vergleichsweise kleine aber keineswegs unbedeutende Gruppe von Fällen, in welcher aus dem Mangel einer Bindungswirkung der Schluß gezogen wurde, internatio nale Empfehlungen seien für die Entscheidung unbeachtlich. Dabei beschränkten sich die Gerichte etwa auf die Bemerkung, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sei nicht positives Recht264 oder verwei2 68 Art. 14 (3) EGKS : ,,Die Empfehlungen sind hinsichtlich der von ihnen bestimmten Ziele verbindlich . . . " Art. II des Abkommens zwischen den Vereinten Nationen und der UNESCO, 1 UNTS 240 : ,, . . . such recommenda tions shall be accepted . . . ". 259 Siehe insbes. die Pflichten zur Vorlage an die staatliche Legislative und zur Berichterstattung nach Art. 19 ILO, Art. IV, 4 u. VIII UNESCO, Art. XI, 1 FAO und Art. 15 (b) Europarat. 280 Art. 31 (3), (4) EFTA ; Art. 33 ILO. 261 Vgl. insbes. die Fälle nach der UN Charta in denen die Generalver sammlung „auf Empfehlung des Sicherheitsrats" handelt. Zur Rechtsnatur solcher Empfehlungen nach Art. 4 (2) der Charta siehe insbes. den zweiten Admissions Case, ICJ Reports, S. 4 (1950). 262 Diese These wird auch von der travaux preparatoires zur UN Charta gestützt. Siehe insbes. UNCIO Bd. III, S. 536/7, Bd. IX, S. 70, 316, Bd. XIII, S. 709/10. Vgl. auch Sloan, The Binding Force, S. 6 f. ; Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 504. 263 Guradze, Zur Rechtsnatur normativer Entschließungen der Vollver sammlung der Vereinten Nationen, 19 Zeitschrift f. Luftrecht u. Weltraum rechtsfragen 49 (1970) ; ibid., Are Human Rights Resolutions of the United Nations General Assembly Law-Making?, 4 Human Rights Journal 453 (1971) ; Kelsen, The Law of the United Nations, S. 195 f. ; Kiss, Nature juridique, S. 260 ; Kunz, The United Nations Declaration of Human Rights, 43 AJIL 316 (1949) ; Seidl-Hohenveldern, Die Allgemeine Deklaration der Menschen rechte als Rechtsquelle, 74 JBI 558 (1952) ; Smith, The Binding Force of League Resolutions, 16 BYIL 157 (1935). Vgl. auch die kurze Bemerkung in der dissenting opinion von Jessup, ICJ Reports, S. 325, 432 (1966).
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gerten ein Rechtsmittel, welches auf sie gestützt werden sollte285 . In an deren Fällen wiesen sie eine Bekämpfung rückwirkender Strafbestim mungen, welche auf Art. 1 1/2 der Erklärung gestützt werden sollte zu rück:288 oder weigerten sich, völkervertragsrechtliche Bestimmungen im Sinne solcher Resolutionen auszulegen267 . Der Oberste Gerichtshof von Irland formulierte diese Position besonders deutlich in einem Aus lieferungsfall268, in welchem sich der Beschuldigte auf das Asylrecht nach Art. 14 der Menschenrechtsdeklaration berufen hatte : This Declaration does not, . . . purport to be a statement of the existing law of nations. Far from it. The Declaration itself states that it proclaims ,a common standard of achievement . . .'. The Declaration therefore, though of great importance and significance in many ways, is not a guide to dis cover the existing principles of international law269• Allerdings ist immerhin bemerkenswert, daß die Gerichte in einigen Fällen, in welchen sie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eine bindende Wirkung ausdrücklich absprachen, dennoch bemüht wa ren, die Übereinstimmung ihrer Entscheidung mit Bestimmungen der Menschenrechtserklärung nachzuweisen270 . Egon Schwelb hat zu einer solchen italienischen Entscheidung, welche Art. 15 der Allgemeinen Erklärung zwar nicht als Rechtsnorm aber als „direttiva di massimo di alto valore morale" heranzieht2 71 , bemerkt: The theoretical difference between a rule of law and a rule of morality becomes of little practical importance when the court accepts the latter as a guide for its decision272, 264 Kammergericht Berlin, 14. Sept. 1961, 14 NJW 2209 (1961) ; BGH, 10. Jan. 1966, 19 NJW 726 (1966) ; Bayerisches Verfassungsgericht, 3. Juli 1961, 14 NJW 1619 (1961) ; österr. OGH, 18. Juni 1975, 2 EuGRZ 492 (1975). 266 D e Meyer c. Etat b elge, Conseil d'Etat (Belg.), 9. Feb. 1966, 4 RBDI 569 (1968) ; In re Rauter, Netherlands Special Court of Cassation, 1949, 16 AD 546 (1949). 286 In re Beck, Netherlands Special Court of Cassation, 11. Apr. 1949, 16 AD 279 (1949) ; In re Best and Others, Oberster Gerichtshof von Dänemark, 17. März 1950, 17 ILR 434 (1950). 287 Karadzole et al. v. Artukovic, US Court of Appeals, 9th Circ., 24. Juni 1957, 247 F. 2d 198, 24 ILR 510 (1957) ; X. v. Minister of Defence, ,Administra tive Decision', 14. Nov. 1968, 1 NYIL 219 (1970). 288 The State (Duggan) v. Tapley, 12. Dez. 1950, 7 BILC 1074, 18 ILR 336 (1951). 2ee 18 ILR 342 (1951). 2 7 0 Bundesverwaltungsgericht, 22. Feb. 1956, BVerwGE 3, 171, DVerw. BL 378 (1956), Fontes A, II, 4, No. 256 ; Bundesverwaltungsgericht, 29. Juni 1957, Fontes A, II, 4, No. 297 ; Military Prosecutor v. Halil Muhamad Mahmud Halil Bakhis and Others, Israel Military Court in Ramallah, 10. Juni 1968, 47 ILR 484. Siehe dazu die ähnliche Ansicht von Pinto in 88 Clunet 407 (1961) ; Miriam Streit v. Nissim, the Chief Rabbi of Israel, Israel Supreme Court, 10. Juli 1964, 18 Piskei Din 598, 612 (1964). m Re Tovt, Court of Taranto, Giurisprudenza Italiana II, 573, 581 (1954), UN Yearbook of Human Rights 169, 171 (1954).
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Die enorme praktische Bedeutung, welche . Empfehlungen internatio naler Organe in unzähligen Bereichen von internationalem Interesse erlangt haben, gibt Anlaß zu der Vermutung, daß der Versuch sie als eine rechtlich irrelevante oder außerrechtliche Erscheinung abzutun, auf einer zu engen Rechtsvorstellung beruht, welcher für diese Art von Entscheidung keine geeigneten Kategorien zur Verfügung stehen. Tat sächlich ist diese Form der Beschlußfassung nur schwer in ein Rechts quellensystem einzuordnen, welches von Vorstellungen aus dem staat lichen Recht beherrscht ist. Ein Messen mit Maßstäben staatlicher Ge setzgebung muß zu einem negativen . Ergebnis führen. Die grundlegend verschiedene Struktur der modernen staatlichen und der internationa len Gemeinschaft läßt derartige Anleihen in der Begriffswelt des staatlichen Rechts allerdings zweifelhaft erscheinen273 • In einem über wiegend horizontal organisierten, von Reziprozitäten beherrschten ge nossenschaftlichen System, wie dem heutigen Völkerrecht, spielt die autoritative Formulierung generell verbindlicher Normen durch zen trale Organe keine beherrschende Rolle. Das Schwergewicht des Ent scheidungsprozesses liegt nicht so sehr in der Weitergabe unbedingter Befehle durch hiezu ermächtigte . Organe an die Rechtsunterworfenen, als in der gemeinsamen Erarbeitung von Verhaltensstandards durch die Rechtsgenossen selbst. Aus dieser Perspektive erscheint die im or ganisierten Rahmen einer internationalen Institution erarbeitete Emp fehlung bei der derzeitigen Struktur der internationalen Gemeinschaft als ein besonders geeignetes Instrument zur Beeinflussung internatio nal relevanten Verhaltens. Diese Hypothese einer auch rechtlichen Bedeutung von Empfeh lungen wird von mehreren Beobachtungen .gestützt. Die Organe, wel che Empfehlungen formulieren, tun dies zumeist auf Grund einer aus drücklichen Ermächtigung in ihrem konstitutiven Instrument. Diese ausdrückliche Einräumung formeller Autorität legt die Vermutung nahe, daß die auf ihr beruhenden Akte nicht bar jeglicher juristischer Bedeutung sind274 • Die Beschlüsse einer Institution zu deren verfas sungsmäßigen Aufgaben die Formulierung von Empfehlungen gehört, werden schwerlich ebenso z.u beurteilen sein, wie „Empfehlungen" einer beliebigen unzuständigen Personengruppe. Überdies zeigt die internationale Praxis eine ständige Berufung auf diese Art von Beschlüssen internationaler Organe276 • Staaten, internam In 53 ASIL Proceedings 227 (1959). 273 Vgl. auch Castai'ieda, Legal Effects, S. 9, 176; Lande, The Changing Effectiveness of General Assembly Resolutions, ASIL Proceedings 162 (1964). 274 Malintoppi, Le Racommandazioni, S. 92 f. 275 Zur praktischen Bedeutung, welche die Allgemeine Erklärung der Men schenrechte erlangt hat, siehe insbes. McDougal & Bebr, Human Rights in the
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tionale Entscheidungsorgane276 und die Ursprungsorgane der Empfeh lungen277 selbst, stützen sich immer wieder auf sie und ziehen sie als Maßstab für die Beurteilung von Sachverhalten heran. Dazu kommt eine deutlich erkennbare Scheu, Empfehlungen, wie den Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, offen zuwiderzu handeln278 . Wann immer möglich versuchen Staaten, denen solche Emp fehlungen entgegengehalten werden, sich nicht auf ihre rechtliche Irre levanz an sich, sondern, nach Maßgabe des besonderen Falles, auf ihre sachliche Unanwendbarkeit oder Rechtswidrigkeit zu berufen. Ein Ver gleich mit anderen Formen der Regelung internationaler Beziehungen, insbesondere dem Vertrag, erweckt überdies den Eindruck, daß der Grad der Effektivität mancher Empfehlungen für ein Dokument ohne rechtliche Verpflichtungskraft auffallend hoch ist und hinter der Wirk samkeit mancher vertraglicher oder gewohnheitsrechtlicher Regelun gen keineswegs zurücksteht279 . All diese Indizien lassen den Schluß zu, daß Empfehlungen inter nationaler Organe, auch ohne eine formelle Bindung im Sinne eines staatlichen Gesetzes, ein überaus bedeutsamer Faktor im völkerrecht lichen Entscheidungsprozeß sind286 . Auch die neuere Literatur2 81 zu dieser Frage bestätigt überwiegend den Eindruck, daß die Feststellung des nichtbindenden Ch,1rakters von Empfehlungen internationaler Institutionen ein Gemeinplatz ist, wel cher am Kern der Sache vorbeigeht. Allerdings haben die Autoren durchaus verschiedene Erklärungen für die rechtliche Bedeutung dieser United Nations, 58 AJIL 603, 615 f. ; Schwelb, The Influence of the Universal Declaration of Human Rights on International and National Law, 53 ASIL Proceedings 217 (1959) ; Skubiszewski, Legal Nature, S. 204 ; Sohn, Die allge meine Erklärung der Menschenrechte, 8 Journal d. Internationalen Juristen Kommission 21 (1967). 278 Siehe insbes. die zahlreichen Verweise des IGH auf Resolutionen von UN-Organen. Dazu vgl. Engel, ,,Living" International Constitutions and the World Court (The Subsequent Practice of International Organs under their Constituent Instruments), 16 ICLQ 865 (1967) ; zur Heranziehung der Allgem. Erklärung der Menschenrechte siehe Sehweib, The Influence, S. 228 ; ibid., Neue Etappen der Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, 13 AVR 17 (1966) ; Schreuer, The Impact, S. 78 ; Tammes, Decisions pf International Organs, S. 268 f. 277 Vgl. die Praxis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Generalversammlung aber auch Sicherheitsrat bei Sehweib, Die Menschen rechtsbestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 21 Vereinte Nationen 180; 182 f. (1973). 27s B indschedler, La . delimitation des competences des Nations Unies, 108 RC 307, 348 (1963, I) ; Virally, La valeur juridique, S. 87. 279 Sehweib, Neue Etappen, S. 42. 280 Vgl. auch Friedmann, The Changing Structure, S. 138 ; ibid., im Vorwort zu Asamoah, The Legal Significance ; Virally, Droit international et decolo nisation devant les Nations Unies, 9 AFDI 508 (1963). 281 Vgl. dazu die Hinweise auf den folgenden Seiten.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
internationalen Organakte gewählt. Nicht selten werden auch mehrere Lösungsmöglichkeiten wahlweise oder für verschiedene Arten von Re solutionen angeboten282 • Die radikale Alternative der Behauptung einer echten Legislativ kompetenz oder doch einer Befugnis, welche funktionell einer Gesetz gebung sehr nahe kommt2 83, wird eher selten vertreten. In dem Teil der staatlichen Fallpraxis, welcher eine positive Einstellung zur Bedeutung internationaler Empfehlungen zeigt, läßt sich diese Meinung nicht nach weisen. b) Empfehlungen in der Rechtsquellentypologie des Art. 38 des IGH-Statuts
Bei der Beurteilung der rechtlichen Natur von Empfehlungen, zeigt sich vor allem in der Literatur eine starke Tendenz sie in die herkömm lichen Rechtsquellenkategorien des Völkerrechts einzuordnen. Den Gegnern einer rechtlichen Wirkung solcher Beschlüsse dient ihr Feh len in der Aufzählung des Art. 38 als zusätzliches Argument284 • Die Befürworter einer rechtlichen Wirkung von Empfehlungen bedienen sich des Schemas des Art. 38 in umgekehrtem Sinne. Jede nur erdenk liche Möglichkeit, sie in die Kategorien des Art. 38 einzugliedern, wird herangezogen. aa) Empfehlungen als Vertragsrecht Eine Auffassung versteht Empfehlungen internationaler Organe als eine moderne Ergänzung des Vertragsrechts2 85 • Die übereinstimmende Stimmabgabe der beteiligten Staaten wird, insbesondere bei einstim migen Resolutionen, bisweilen als eine neue vereinfachte Form des Vertragsabschlusses angesehen2 86 • Nicht ohne Grund verlangen die mei sten Autoren allerdings, daß diese Annahme nur gelten darf, soferne zusätzliche unmißverständliche Anzeichen dafür vorliegen, daß die be282 Siehe beispielsweise die großzügige Auswahl bei Skubiszewski, Legal Nature, S. 202 f. 283 Vgl. die abweichende Meinung von Alvarez in Reservations to the Genocide Conv., ICJ Reports, S. 52 (1951) ; sowie im Anglo-Norwegian Fisheries Case, ICJ Reports, S. 152 (1951) ; Lande, The Changing Effective ness, S. 165 ; Elias, Modern Sources of International Law, in Transnational Law in a Changing Society, Essays in Honor of P. C. Jessup (1972), S. 34, 51. 284 Verdross, Kann die Generalversammlung, S. 692 ; Guradze, Zur Rechts natur, S. 54: ibid., Are Human Rights Resolutions, S. 456 f. 285 Siehe insbes. Castai'ieda, Legal Effects, S. 150 f. 288 Siehe insbes. die Hinweise auf sowjetische Autoren bei Uibopuu, Die Sovjetische Doktrin, S. 122 f. ; bei Skubiszewski, Resolutions, S. 95 und bei Tunkin, Das Völkerrecht, S. 103; ibid., Theory of International Law, S. 163 (1974).
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teiligten Staaten im besonderen Falle Verpflichtungen nach der Art eines Vertrages eingehen wollten287 • Tatsächlich gibt es Beispiele, die diese Auffassung stützen288, doch sind sie auf einzelne Fälle beschränkt und geben keine befriedigende Erklärung für die Rechtsnatur inter nationaler Empfehlungen im allgemeinen. Die wenigen Fälle, in denen staatliche Gerichte Resolutionen internationaler Organisationen mit Verträgen gleichsetzen289, dürften eher auf Gedankenlosigkeit als auf tiefschürfenden Überlegungen über ihren Rechtscharakter zurückzu führen sein. Eine andere Ansicht über die Rolle von Resolutionen internationaler Organisationen im Vertragsrecht sieht sie als autoritative Interpreta tionen, oder doch Interpretationshilfen, zu bestehenden völkerrecht lichen Verträgen, insbesondere der UN-Charta290 • So wurde etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wiederholt als eine Spezifi zierung der in der Charta übernommenen Pflichten zur Respektierung der Menschenrechte aufgefaßt291 • Staatliche Gerichte haben sich bei der Vertragsinterpretation, wenn auch nicht im Zusammenhang mit der UN-Satzung, tatsächlich mehrfach auf die Allgemeine Erklärung der 287 Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 486 f. ; Asamoah, The Legal Sig nificance, S. 63 f. ; Bindschedler, La delimitation, S. 349 ; Castaiieda, Legal Effects, S. 154; Johnson, The Effect of Resolutions of the General Assembly of the United Nations, 32 BYIL 97, 121 (1955 - 56) ; Sloan, The Binding Force, S. 22 ; Virally, La valeur juridique, S. 85. 288 z. B. die Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, einstimmig angenommen am 13. Dez. 1963, UN GA Res. 1962 (XVIII). Dazu siehe insbes. Castaiieda, Legal Effects, S. 1 62 f. ; McWhinney, International Law and World Revolu tion, S. 80 (1967). 289 Siehe zwei Fälle vor dem High Court of Mauritius in denen die Allge meine Erklärung der Menschenrechte und die Europäische Menschenrechts konvention durchwegs als gleichartige Rechtsquellen behandelt werden : Director of Public Prosecutions v. Labavarde and Another, 9. März 1965, 44 ILR 104 ; Roussety v. The Attorney General, 30. März 1967, 44 ILR 108. Vgl. auch die Entscheidung des italienischen Consiglio di Stato vom 9. Dez. 1 958, oben III. A. 1 . b) Anm. 55. 290 Asamoah, The Legal Significance, S. 6, 35 f., 42 f. ; Bleicher, Re-Citation, S. 448 f. ; Castles, Legal Status, S. 82; Miele, Les organisations internationa les, S. 366 f. ; Sehachter, The Relation of Law, Politics and Action in the United Nations, 109 RC 169, 186 (1963, III) ; Tunkin, Das Völkerrecht, S. 107. Siehe auch die Hinweise bei Uibopuu, Die sovjetische Doktrin, S. 1 25 f. ; Tun kin, Theory of International Law, S. 171. 291 Bleicher, Re-Citation, S. 461 f. ; Piotrovski, Les resolutions de l'Assemblee generale des Nations Unies et la portee du droit conventionnel, 33 Revue de Droit International 1 1 1 , 229 (1955) ; Robinson, The Universal Declaration of Human Rights, S. 36 f., 43 f. (1958) ; Sibert, Traite de droit international public Bd. I, S. 454 f. (1951). Siehe auch den Hinweis bei Sohn, Protection of Human Rights through International Legislation, in Rene Cassin Amicorum Discipulorumque Liber Bd. I, S. 325, 328 (1969) ; vgl. auch Schwelb, Die Men schenrechtsbestimmungen, S. 180.
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Menschenrechte gestützt. Die Europäische Menschenrechtskonvention292 und andere auf der Allgemeinen Erklärung aufbauende Konventio nen293, sowie ein Auslieferungsvertrag294 wurden unter Berücksichti gung der in ihr enthaltenen Bestimmungen ausgelegt. Der Wert von empfehlenden Resolutionen internationaler Organi sationen für die Vertragsinterpretation ist sicherlich einleuchtend. Al lerdings bietet auch diese Methode keine befriedigende generelle Er klärung für die Bedeutung von Empfehlungen295 . Nicht alle Empfeh lungen lassen sich inhaltlich auf Vertragsverpflichtungen zurückfüh ren. Selbst dort, wo die detaillierte Ausführung von Verpflichtungen aus dem Gründungsvertrag eine plausible Erklärung ihres Inhalts darstellt; ist schwer einzusehen, warum diese Resolutionen, in Erman gelung einer besonderen Ermächtigung zur autoritativen Vertragsinter pretation, eine höhere Autorität besitzen sollen als andere Empfeh lungen, deren Erstellung ebenfalls in den Aufgabenbereich der inter nationalen Organisation fallen. bb) Empfehlungen als Gewohnheitsrecht Die verbreitetste These zum rechtlichen Verständnis von Empfehlun gen, der auch ein verhältnismäßig hohes Maß an Überzeugungskraft zukommt, sieht sie im Rahmen des völkerrechtlichen Gewohnheits rechts. Die Stimmabgabe durch die Staatenvertreter wird als eine Form der Praxis296 oder als ein Ausdruck der opinio iuris291 gewertet. Die traditionellerweise ungeordnete und über große Zeiträume verteilte 292 A. J. K. . v. Public Prosecutor, Dist. et. Maastricht, 27. Jan. 1959, 8 NTIR 73 (1961), bestätigt vom Obersten Gerichtshof Zoc. cit.; Bundesverfassungs gericht, 4. Mai 1971, 24 NJW 1509 (1971). 293 Bundesgerichtshof, 21. Jan. 1953, 6 NJW 392 (1953), 20 ILR 370 (1953) ; Mejia v. Regierungsrat des Kantons Bern, Schweizer Bundesgericht, 9. Mai 1963, 32 ILR 192. 294 Hackstetter v. State of Israel, Sup. et. of Israel, 1972, 2 Israel YBHR 344 (1972). 295 Siehe auch eastafieda, Legal Effects, S. 193 f. 298 Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 471 t; Asamoah, The Legal Signi ficance, S. 52 ; Bailey, Making International Law in the United Nations, 61 ASIL Proceedings 233, 235 f. · (1967) ; Higgins, The Development of Interna tional Law through the Political Organ-s of the United Nations, S. 2 f. (1963) ; Stavropoulos, The United Nations and the Development of International Law, UN Monthly ehronicle 78, 80 (1970, 6). Siehe auch die dissenting opinion von Tanaka zum Süd-West Afrika Urteil, ICJ Reports, S. 250, 291 (1966). 297 Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 478; Asamoah, The Legal Signi ficance, S. 55 f. ; Bleicher, Re-eitation, S. 450 ; Internationales Symposium des Max-Planck-Instituts f. ausl. öff. R. u. Völkerrecht, S. 445 (1972) ; Thirlway, International eustomary Law and eodification, S. 66 f. (1972). Vgl. auch das Bundesverfassungsgericht, 4. Mai 1971, 24 NJW 1509 (1971), wo die Allge meine Erklärung der Menschenrechte als Ausdruck einer internationalen Rechtsüberzeugung bezeichnet wird.
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Staatenpraxis wird solcherart koordiniert und bewußt in bestimmte Bahnen gelenkt. Das Ergebnis ist, unter Umständen, · ein augenblick liches Gewohnheitsrecht aus der Retorte - ,,instant custom" 288 • Aller dings wird meist eingeräumt, daß auch das nachfolgende Verhalten der beteiligten Staaten im tatsächlichen internationalen Verkehr eine we sentliche Bedeutung hat. Nicht selten halten die im Treibhausklima288 der Generalversammlung der Vereinten Nationen emporgeschossenen Aspirationen später dem rauhen Wind internationaler Alltagsprobleme nicht stand. Aus diesem Grunde wird die Resolution oft nur als ein Schritt in der Gewohnheitsrechtsbildung oder als Ausgangspunkt die ser Entwicklung betrachtet300 • Eine zu starke Betonung der nachfolgenden Staatenpraxis · zu einer Empfehlung kann allerdings ihre Bedeutung fast völlig entwerten. Es dient dann nicht mehr die Empfehlung als Standard für die Beurtei lung des Verhaltens der Staaten sondern nur mehr das Verhalten als Maßstab für die Beurteilung der Empfehlung. Das gilt insbesondere für Bereiche, wie den Schutz der Menschenrechte, die überwiegend · nicht Gegenstand des herkömmlichen internationalen Verkehrs sind und so mit meist nicht dem Regulativ der zwischenstaatlichen Reziprozitäten unterliegen. Eine starke Betonung des tatsächlichen von der Empfeh lung abweichenden Verhaltens, müßte die Empfehlung als Faktor bei der Gewohnheitsrechtsbildung weitgehend ihres Wertes berauben301 • Ein Verweis auf wiederholte Verletzungen der Menschenrechte in verschiedenen Teilen der Welt ist schwerlich als Beweis dafür zu wer ten, daß es Staaten freisteht, Resolutionen internationaler Organe zu Menschenrechtsfragen zu mißachten. Eine Quantifizierung der Staaten298 Vgl. die abweichende Meinung Tanakas im Sild-West Africa Urteil ICJ Reports, S. 291 f. (1966) ; Cheng, United Nations Resolutions on Outer Space: ,Instant' International Customary Law? . 5 IJIL . 23 (1965) ; vgl. dazu auch Thirlway, Customary Law, S. 72 f. sowie D'Amato, On Consensus, 8 CanYIL 104, 110 (1970). 299 Engel, ,,Living" International Constitutions, S. 910. 300 Asamoah, The Legal Significance, S. 7 ; Di Qual, Les effets des resolu tions des Nations Unies, S. 249 f.; Engel, Procedures. for tl'le . de facto Revi sion of the Charter, 59 ASIL Proceedings 108, 116 (1965) ; Golsong, Das Pro blem, S. 32 f.; Hambrö, Some Notes on the Developrrient of the Sources of International Law, 17 Scandinavian Studies in . Law 77 f. (1973) ; Schlüter, The Domestic Status of the Human Rights Clauses . of the United Nations Charter, 61 CalLR 110, 145 f. (1973) ; Tunkin, Völkerrecht, S. 110; ibid:, Theory öf International Law, S. 172 f.; Verdross, Kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Völkerrecht weiterbilden?, 26 ZaöRV 690, 693 f. (1966) ; Thirlway, Customary Law, S. 73 ; Lachs, Le röle des organisa tions internationales dans la formation du droit international, in Melanges offerts a Henri Rolin, S. 157, 166 (1964) ; Hambro, The Sixth Committee in the Law Creating Function of the General Assembly, 21 Revista Esp. DI 387, 389 (1968). 381 Vgl. auch Higgins, United Nations and Lawmaking, S. 42.
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Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
praxis für oder gegen die materiellen Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist kaum möglich und erscheint wenig sinnvoll. Die Judikatur staatlicher Gerichte läßt nur selten den zuverlässigen Schluß zu, daß Empfehlungen einer internationalen Organisation als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angewandt wurden. Ein bel gisches Militärgericht zog die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zur Ausfüllung der Martens'schen Klausel heran, indem es meinte: In searching for principles of international law arising out of the usages established by civilized nations, the laws of humanity, and the require ment of the public conscience, the Military Court is today guided by the Universal Declaration of Human Rights, adopted without opposition by the General Assembly of the United Nations on 10 December 1948302 • Eine Reihe italienischer Entscheidungen, in welchen Bestimmungen der Menschenrechtserklärung als „norme del diritto internazionale ge neralmente riconosciute" gemäß Art. 10 der Verfassung anerkannt wer den303, können allenfalls als Hinweis dafür gelten, daß derartige Emp fehlungen dem Völkergewohnheitsrecht zugerechnet wurden. Auch in diesen Fällen gibt es allerdings wenig Anhaltspunkte dafür, daß die Gerichte von grundsätzlichen rechtsquellentheoretischen Erwägungen bewegt gewesen sind. Der Versuch Empfehlungen internationaler Organe als Elemente bei der Schaffung von Gewohnheitsrecht, insbesondere als Bestandteil der Staatenpraxis zu deuten, hat - wie gesagt - eine gewisse Überzeu gungskraft. Dennoch hinterläßt er einige Zweifel und Unklarheiten304 . Die Betrachtung des internationalen Organs lediglich als eines Ortes für die Abgabe der Äußerungen und Stimmabgaben individueller Staaten, läßt die dem Organ selbst meist ausdrücklich eingeräumte Autorität zur Verabschiedung von Empfehlungen unwesentlich erscheinen305 . Das Or gan wird so zu nicht mehr als einer ständigen Staatenkonferenz, seine Resolutionen sind nicht mehr als die Gesamtheit der Äußerungen der 3 02
Auditeur MiHtaire v. Krumkamp, Military Court of Brabant, 8. Feb.
ILR 388, 390 (1950). Soc. elettrica della Venezia Giulia c. Presidenza del Consiglio dei ministeri del tesoro e degli affari esteri, Tribunale di Roma, 2. Juli 1958 11 Foro Italiano 1959, I, 1156; Corte d'appello di Milano, 27. Nov. 1964, 11 Foro Italiano 1965, II, 122, 126 ; Ministry of Home Affairs v. Kemali, 1. Feb. 1962, Corte di cassazione, 40 ILR 191, 195 ; Re Matile, Corte Constituzionale, 23. Nov. 1967, 51 Rivista DI 384 (1968). Siehe auch die Entscheidung des Supreme Court of the Philippines in Borovski v. Commissioner of Immigra tion and Director of Prioons, 28. Sept. 1951, UN Yearbook on Human Rights 1950, 17 303
287 (1951).
304 Vgl. auch Jaenicke in 10 Berichte der Deutschen Gesellschaft f. Völker recht 229 (1969) ; Golsong, Das Problem, S. 23. 305 Vgl. dazu Economides, Nature juridique, S. 226 f.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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in ihr vertretenen Staaten. Die Beschlüsse eines Organs, welchem in seinem konstitutiven Instrument bestimmte Kompetenzen zugewiesen wurden, sind doch wohl mehr, als bloß die Summe der Stimmen der darin vertretenen Personen. Diese Frage tritt ganz besonders dann in den Vordergrund, wenn die im Organ handelnden Delegierten nicht Regierungsvertreter im her kömmlichen Sinne sind . . Dies ist etwa bei einem Teil der Mitglieder der Internationalen Arbeitskonferenz und bei den Mitgliedern der Bera tenden Versammlung des Europarats der Fall. Das Stimmverhalten dieser Delegierten ist vom Willen der Regierungen der Mitgliedstaaten weitgehend unabhängig und läßt sich schwerlich als Staatenpraxis im herkömmlichen Sinn qualifizieren. Auch die Erfassung der Empfehlung im Rahmen des internationalen Gewohnheitsrechts nicht als Staatenpraxis sondern als Praxis der Or ganisation selbst, kann nicht ganz befriedigen. Tatsächlich entwickelt jede Organisation durch ihre täglichen Entscheidungen zu den jeweils auftretenden Problemen und Fragen eine Praxis308 • Die Gleichsetzung formeller, generell-abstrakter Empfehlungen oder feierlicher Deklara tionen über das künftige Verhalten der Mitglieder der Staatengemein schaft mit dieser alltäglichen Entscheidungspraxis ist nicht überzeugend. cc) Empfehlungen als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze Die Betrachtung von Empfehlungen als Ausdruck der „von den zivi lisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" ist ein weiterer Deutungsversuch für ihre Rechtsnatur307 • In staatlichen Ge richtsentscheidungen findet sie ihren Ausdruck in Formulierungen, welche Bestimmungen der Menschenrechtserklärung als „the heritage of all enlightened peoples" 308, als „indicative of the spirit of our times" 309 , als „ewiges Naturrecht" 3 1 0 oder als zu den „jeder Rechtsnorm 308 Siehe dazu insbes. Higgins, The Development; ibid., in 59 ASIL Proceed ings, 116 (1965) ; vgl. auch Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 505 f. ; Golsong, Das Problem, S. 18 f. ; Jenks, The Impact, S. 38. 307 Asamoah, The Legal Significance, S. 61 f. ; Cassin, La Declaration uni verselle et la mise en reuvre des droits de l'homme, 79 RC 237, 294 (1951, III) ; Golsong, Das Problem, S. 34; Hambro, Some Notes, S. 92 ; Tchirkovitch, La declaration universelle des droits de l'homme et sa portee internationale, 53 RGDIP 359, 389 f. (1949) ; Verdross, Kann die Generalversammlung, S. 694 ; Zemanek, The United Nations and the Law of Outer Space, 19 Yearbook of World Affairs 199, 208 f. (1965). 308
American European Beth-El Mission v. Minister of Social Welfare,
Israel Supreme Court, 12. Nov. 1967, 47 ILR 205, 208. 300 Wilson v. Hacker, New York Supreme Court, 1950, 101 N. Y. S. 2d 461, zit. nach Schwelb in 53 ASIL Proceedings 226 (1959). 310 OLG Stuttgart, 5. Nov. 1962, 10 Zeitschrift für das gesamte Familien recht 39, 41 (1963).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
vorgegebenen . . . Rechten der Einzelperson" 311 gehörig bezeichnen. Die Überzeugungskraft einer Heranziehung des schillernden und oft un klaren Begriffs der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Erklärung der Rechtsnatur internationaler Empfehlungen wird vor allem von der je weiligen Auffassung über . diese Völkerrechtsquelle abhängen. dd) Empfehlungen als Hilfsmittel zur Feststellung des Völkerrechts Eine weitere verbreitete Auffassung betrachtet empfehlende Reso lutionen, oder doch einen Teil von ihnen, als deklarative Äußerungen über bereits bestehendes Völkerrecht, also als eine Rechtserkenntnis quelle312 . Die von einer großen Anzahl .von Staatenvertretern überein stimmend niedergelegten Regeln können solcherart als gemeinsam aus gedrückte Auffassung über Bestand und Inhalt völkerrechtlicher Nor men angesehen werden. So meinte etwa der Oberste Gerichtshof von Israel im Eichmann-Fall, die Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, welche die Grundsätze von Nürnberg und den Ver tragsentwurf zum Völkermordabkommen angenommen hatten, seien Beweis dafür, daß diese Normen seit urdenklichen Zeiten Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts gewesen sind313 . Tatsächlich kann es keinem Zweifel unterliegen, daß ein Teil der empfehlenden Resolutionen etwa der Generalversammlung der Ver einten Nationen deklarativen Charakter hat und sich auf schon beste hendes Recht stützt. Allerdings ist nicht sicher, ob mit dieser Erkenntnis viel zur Feststellung ihres rechtlichen Wertes gewonnen ist. Zunächst ist schon der Versuch einer scharfen Trennung zwischen Feststellung des Rechts und Schaffung von Recht problematisch314 • Jede autoritative Rechtsanwendung oder Rechtsfeststellung, sei sie individuell-konkret oder generell-abstrakt, enthält wenigstens in gewissem Maß Elemente der Rechtsfortbildung. Selbst wenn eine saubere Trennung von Recht setzung. und Rechtsanwendung theoretisch möglich wäre, verbliebe in jedem besonderen Falle das Problem der Feststellung, ob die Empfeh311
Bundesverwaltungsgericht, 16. Jan. 1 964, 83 DVerw.Bl. 983 (1968). Asamoah, The Legal Significance, S. 47 f. ; Castafieda, Legal Effects, S. 165 f. ; Detter, Law Making, S, 213; Di Qual, Les Effets, S. 243 f. ; Golsong, Das Problem, S. 28 f. ; Gross, The United Nations and the Role of Law, 19 Int. Org. 537, 557 (1965) ; Johnson, The Effect, S. 116 ; Skubiszewski, The General Assembly of the United Nations and its Power to Influence National Action, 58 ASIL Proceedings 153, 156 f. (1964) ; Sloan, The Binding Force, S. 24 ; S0rensen, Principes, S. 98 f. ; Tunkin:, Theory of International Law, S. 175 f. ; vgl. dazu auch D'Amato, On Consensus, S. 106. 313 36 ILR 296 f. ; vgl. auch Re Lieb ehenschel and Others vor dem Obersten Gerichtshof von Polen, 1947, zit. bei Skubiszewski, Recommendations, S. 360. 314 Vgl. auch Castafieda, Legal Effects, S. 39. 312
A. Die Autorität internationaler Organakte
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lung auf dem Boden der lex lata verblieben ist oder neue Standards internationalen Verhaltens formuliert hat. Die Notwendigkeit einer derartigen Untersuchung neutralisiert jedoch den Wert der internatio nalen Empfehlung als Rechtserkenntnisquelle. Bisweilen enthalten Resolutionen ausdrückliche Hinweise darauf, daß ihr materieller Inhalt auf bereits bestehenden Rechtsvorschriften beruht. Sie erklären also selbst, deklarativer Natur zu sein. Die Folge wäre, daß ihre Bestimmungen als positives Recht anwendbar sind316 • Es fragt sich allerdings, ob derartige Erklärungen positivrechtlicher Selbstbeschränkung immer zuverlässig sind. Nur ein Teil der Resolu tionen, welche über Rechte und Pflichten der lVIitglieder Auskunft ge ben wollen, sind von Expertengremien wie der International Law Commission vorbereitet. In den anderen Fällen kann es bisweilen im merhin Zweifel an der ausreichenden Sachkenntnis der Redaktoren solcher autoritativer „restatements" geben, insbesondere dann, wenn sie spontanen Ursprungs sind. Feststellungen über . das bestehende Recht haben die Autorität , die der fachlichen Qualifikation ihrer Autoren entspricht. Aus dieser Perspektive müßte einer wissenschaft lichen Untersuchung bedeutend mehr Gewicht zukommen, als mancher deklarativen Resolution eines politischen Organs. Darüber hinaus be steht die Gefahr, daß bei der Erstellung einer angeblich nur feststel lenden Resolution politische Wunschvorstellungen eine bedeutsame Rolle spielen316 • Wenn deklarative Resolutionen tatsächlich als autorita tiver Ausdruck bestehenden Völkerrechts akzeptiert werden, besteht die Versuchung, Desiderata mit dem Mittel der Deklaration zu etablie ren. Eine zu einer offenen Rechtsfrage stark engagierte Majorität wäre imstande, ihre Position entscheidend zu verbessern, indem sie ihre poli tischen Absichten in einer Resolution als bestehendes Völkerrecht de klariert. Alle Versuche einer Einordnung empfehlender Resolutionen in das völkerrechtliche Rechtsquellensystem weisen, wenn auch in unter schiedlichem Maße, eine gewisse Plausibilität auf. Sie sollen erklären, warum solche nicht bindenden Beschlüsse letztlich doch eine juristische Relevanz erhalten können. Die verschiedenen Theorien weisen anhand genereller Modelle oder mit Hilfe einer Typisierung verschiedener Re solutionen nach, daß sie Elemente beim Zustandekommen von Rechts normen sein können. So sehr solche Erklärungen auch theoretisch be friedigen mögen, bieten sie doch dem mit einer Resolution dieser Art befaßten Entscheidungsorgan wenig Hilfe. Eine Betrachtungsweise, welche das Recht nur als eine statische Summe von Normen versteht, 315 318
Vgl. Bleicher, Re-Citation, S. 447. Higgins, United. Nations and Lawmaking_, S. 39 f. ·
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
kann solchen Beschlüssen zwar analytisch einen gewissen Platz als Teilelement der Norm zuweisen, gibt aber keine Auskunft darüber, in welcher Weise die Empfehlung Entscheidungen beeinflußt oder beein flussen soll. Der Teil des Entscheidungsprozesses, welcher vor dem Ent stehen einer klar identifizierbaren Rechtsnorm liegt und allenfalls zu ihr führt, wird auf diese. Weise nicht erklärt. Die Empfehlung wird zwar als Baustein der Rechtsordnung bezeichnet, der Vorgang aber, welcher zur Errichtung des Gebäudes führt, wird nicht beschrieben. Ein Entscheidungsorgan, wie ein staatliches Gericht, kann aus der Erkenntnis allein, daß eine Empfehlung eines internationalen Organs, auf welche sich eine Partei beruft, möglicherweise und unter bestimm ten Umständen eine Rolle bei der Schaffung einer Rechtsnorm spielt, wenig Nutzen für die Entscheidungsfindung im konkreten Fall ziehen. Die Untersuchung der hiefür verlangten Voraussetzungen stellt es vor derart schwierige Probleme, daß der Wert der Resolution als Entschei dungsfaktor weitgehend neutralisiert wird. Das Erfordernis einer ge nauen Feststellung ob der Inhalt der Resolution tatsächlich schon in Form einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung beachtet wird oder wirklich mit bereits zum Zeitpunkt der Annahme existentem Völkerrecht übereinstimmt, nimmt der Resolution selbst fast jeden Wert bei der Entscheidungsfindung. In der Praxis sind staatliche Gerichte auch keineswegs nach derart strengen Maßstäben vorgegangen, wenn sie Bestimmungen von Emp fehlungen oder Deklarationen heranzogen. Der weitaus größte Teil der einschlägigen Fallpraxis enthält überhaupt keine Auseinandersetzung mit der Frage des Werts eines solchen internationalen Aktes als Rechts quelle. Die Gerichte gaben lediglich zu erkennen, daß sie sich in ihrer Entscheidung von den Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte317 oder anderer Resolutionen318 leiten ließen oder doch immerhin beeinflußt waren. 317 Bundesverfassungsgericht : 17. Jan. 1957, BVerfGE 6, 55 (1957) ; 30. Juni 1964, BVerfGE 18, 1 12, 1 1 8 ; 15. Dez. 1965, 19 NJW 243 (1966) ; 3. Okt. 1969, 23 NJW 235 (1970) ; Bundesgerichtshof, 12. Juli 1955, 8 NJW 1365 (1955) ; weitere Entscheidungen deutscher Gerichte zur Menschenrechtsdeklaration siehe in 28 ZaöRV 131 (1968). In re Flesche, Netherlands Special Court of Cassation, 27. Juni 1949, 16 AD 266, 269 (1949) ; Pub lic Prosecutor v. F. A. v. A. Supreme Court of the Netherlands, 1951, UN Yearbook of Human Rights 251 (1951) ; I. C. v. Minister of Justice, 4. März 1970, Administrative decision of the Crown, 2 NYIL 238 (1971) ; Civil Court of Courtrai (Belgien) : Re Pietras, 16. Nov. 1951, UN Yearbook of Human Rights 14 (1951) ; In re Jacqueline Marie Bukowicz, 10. Okt. 1952, loc. cit. 21 (1953) ; Beschl. v. 10. Juni 1954, loc. cit. 21 (1954) ; Vanderginste v . Vanderginste, 18. Nov. 1955, loc. cit. 23 (1956) ; Vanderginste v. Sulman, 26. Apr. 1956, loc. cit.; In re Hauck, Voigt and Others, Cour de cass. (Fr.), 3. Juni 1950, 17 ILR 388 (1950) ; Ste Roy Export and Charlie Chaplin cf Societe Les Films Roger Richeb e, Cour d'Appel de Paris, 29. Apr. 1959, 87 Clunet 128 (1960) ; Fuji v. California, Dist.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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c) Die Autorität von Empfehlungen
Eine nicht nur an Regeln sondern auch an Entscheidungsabläufen und allen sie beeinflussenden Faktoren orientierte Betrachtung, kann Empfehlungen internationaler Organisationen eine wesentliche Bedeu tung für die Tätigkeit der Entscheidungsorgane zuweisen. Wie Falk319 in überzeugender Weise dargelegt hat, ist eine funktionelle Rechts wirkung nicht notwendigerweise mit dem Begriff der formellen Bin dung verbunden. Gerade in einem organisatorisch wie normativ nicht auf Subordination aufgebauten Rechtssystem, wie dem der genossen schaftlich organisierten internationalen Gemeinschaft, kann die Inten sität der Erwartung auf Befolgung, welche mit bestimmten Verhaltens standards verbunden ist, durchaus unterschiedlich sein. Weder das Er fordernis einer Zustimmung j edes einzelnen Rechtsgenossen zu jeder neuen Vorschrift, noch das Postulat einer autoritäten Normensetzung durch ein Zentralorgan wird den Bedürfnissen und Gegebenheiten des heutigen internationalen Verkehrs immer gerecht. Das Bestehen eines organisierten Verfahrens zur Festlegung von Verhaltensstandards mit begrenzter rechtlicher Autorität, entspricht dagegen oft den Realitäten des heutigen Völkerrechts320 • Die Empfehlung eines internationalen Organs als neue Form der Kommunikation der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft ist eine geeignete Methode, auch ohne das oft nicht aussichtsreiche Mittel einer sofortigen Bindung, Rechtserwartungen zu schaffen321 • Ein VerCt. of Appeal California, 24. Apr. 1950, 44 AJIL 590 (1950) ; US Supreme Court :
American Federation of Labor v. American Sash and Door Company, 3. Jan. 1 949, 335 U. S. 538, 549 ; Kennedy v. Mendoza-Martinez, 18. Feb. 1963, 372 U. S. 144, 161 ; R. v. Romano, Court of Criminal Appeal (Engl.), 15. Juli 1963, 8 BILC 790 ; Re Noble and Wolfe, Ontario Court of Appeal, 9. Juni 1949, [1949] 4 D. L. R. 375, 399 ; Choithram Verhomal Jethwani v. A. G. Kazi and Others, Indien, 1966, 6 IJIL 247, 251 (1966) ; Satwant Singh Sawhney v. Assistant Passport Officer, New Delhi, Supreme Court of India, 1967, 7 IJIL
542, 550 (1967) ; Verfassungsgericht d. Türkei, 19. Juni 1968, Council of Europe, Collection of Decisions of National Courts referring to the European Con vention on Human Rights, Art. 1, First Prot. S. 8. 318 z. B. : Excess Profits of Nationalized Copper Companies, Chile Special Copper Tribunal, 1 1 . Aug. 1972, 1 1 ILM 1013, 1046, 1059 (1972) ; Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisha, Dist. Court of Tokyo, 27. Mai 1953, High Court of Tokyo, 1953, 20 ILR 305, 309, 313 (1953). 319 On the Quasi-Legislative Competence of the General Assembly, 60 AJIL 782 (1966) ; ibid., The Interplay ; ibid., The Status of Law in International Society, S. 126 f. (1960). 320 Vgl. auch Ermacora, Das Problem der Rechtsetzung; Parry, The Sources, S. 21 f. ; Schwelb, Neue Etappen ; Sohn, Protection of Human Rights, S. 331 ; Tammes, Decisions of International Organs, S. 335, 343. 321 Vgl. Bleicher, Re-Citation, S. 477 ; Rauschning in 10 Berichte der Deut schen Ges. f. Völkerrecht 225 (1969) ; Higgins, United Nations and Lawmaking, S. 42 ; Fitzmaurice, The Future of Public International Law and of the Inter national Legal System in the Circumstances of Today, in Institut de Droit International, Livre du Centenaire 1873 - 1973, S. 196, 269 ; Tammes, Decisions
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
halten, welches solchen Rechtserwartungen entspricht, muß nicht von einem Gefühl der Verpflichtung im Sinne einer rechtlichen Bindung begleitet sein, sondern kann auch vom Interesse an einer Stabilisierung der Verhältnisse um den Gegenstand der Empfehlung oder der allge meinen Beziehungen zu den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft ge tragen sein322 • Dem einzelnen Adressaten verbleibt ein großes Maß an Flexibilität in der Wahl seines Verhaltens323 • Ein Zuwiderhandeln stellt nicht eine automatische Rechtsverletzung dar. Eine beharrliche Mißach tung der von der organisierten Völkerrechtsgemeinschaft in der Form von Empfehlungen erstellten Maßstäbe kann einen Staat allerdings letztlich der Gefahr legitimer Gegenmaßnahmen aussetzen324 • Wie Lau terpacht ausgeführt hat [itl may find that it has overstepped the imperceptible line between pro-: priety and ·megality, between discretion and arbitrariness, between the exercise of the legal right to disregard the recommendation and the abuse of that right, and that it has exposed itself to consequences legitimately following as a legal sanction316• Für die Beurteilung einer bestimmten Resolution ist es allerdings an gebracht, sowohl hinsichtlich ihrer Autorität als auch der aus ihr re sultierenden Rechtsfolgen zu differenzieren. Nicht jede formell ange nommene Empfehlung hat die gleiche Bedeutung328 • Ihr Wert als Ent scheidungsgrundlage hängt von einer Reihe von Faktoren327 ab, welche alle einen Einfluß auf den Grad ihrer Autorität haben. Zu diesen Faktoren gehören zunächst die aus Vorarbeiten und Text erkennbaren Motivationen und die · mit ihnen verbundenen Erwartun gen der internationalen Gemeinschaft328 • Die Art der Formulierung, ins besondere der Präambel, und die begleitenden Erklärungen lassen oft die Absichten erkennen, die der Empfehlung zugrunde liegen32'. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Intentionen der einzelnen Mitglieder, of International Organs, S. 343. Allgemein dazu auch Simma, Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen und die Fortentwicklung des Völkerrechts, in Die Vereinten Nationen im Wandel, Kewenig (Hrsg.), (1975),
s. 79, 92 f.
Vgl. Higgins in 59 ASIL Proceedings 123 f. (1965). Vgl. Virally, La valeur juridique, S. 86; 324 Vgl. Castaiieda, Legal Effects, S. 12 f. ; Dahm, Die völkerrechtliche Ver bindlichkeit, S. 362 ; Malintoppi, Le Racommandazioni, S. 319 f. 825 Sondervotum zum South West Africa - Voting Procedure Gutachten, ICJ Reports, S. 120 (1955). 820 Virally, La valeur juridique, S. 67. an Siehe dazu insbes. auch Falk, On the Quasi-Legislative Competence, S. 786 f. ; Lande, The Changing Effectiveness, S. 165 f. ; Sehachter, The Evol ving International Law of Development, 15 Colunibia Journal of Transnatio nal Law 1, 3 (1976). 328 Asamoah, The Legal Significance, S. 68 ; Bleicher, Re-Citation, S. 453. 828 Vgl. Sohn in 64 ASIL Proceedings 61 (1970). 321
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A. Die Autorität internationaler Organakte
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als auf einen allenfalls erkennbaren breiten Konsens an. Die Motiva tionen der einzelnen Delegationen, welche unter Umständen von tages politischen Erwägungen und nicht vom Geiste der Resolution gelenkt sein können330, sind von untergeordneter Bedeutung. Im internationalen Verkehr, insbesondere auch bei der Entstehung von Völkergewohn heitsrecht, entspricht ein Verhalten, welches bestimmte rechtliche Kon sequenzen hat, keineswegs immer der Absicht, eben diese Konsequen zen herbeizuführen331 • Auch die Häufigkeit einer Zitierung und Heranziehung einer Emp fehlung in späteren Beschlüssen des internationalen Organs kann Auf schluß über die Bedeutung geben, die ihr von der Organisation selbst über den Augenblick der Beschlußfassung hinaus beigemessen wird332 • Der Grad des Konsenses zu einer Empfehlung ist nicht nur durch einfache Stimmenzählung festzustellen, obwohl eine einstimmige oder fast einstimmige Abstimmung einer Resolution ein bedeutsames zu sätzliches Gewicht verleiht333 • Das Verhalten der politisch wichtigsten Staaten, der „Großmächte", ist ebenso besonders zu beachten334 wie die Frage, ob die Abstimmung einen breiten Konsens quer durch verschie dene Interessenlager oder „Blocks" gezeigt hat. Dabei ist dem Gegen stand der Empfehlung besonderes Augenmerk zu schenken335 • Eine Re solution über wichtige technologische Fragen, wie Weltraum oder Atomversuche, die von nur einem aus der Gruppe der unmittelbar interessierten Staaten, welche über die erforderliche Technologie ver fügen, abgelehnt wird, verliert wesentlich an Gewicht. Eine Resolution, welche sich mit Angelegenheiten befaßt, die starke Interessengegensätze zwischen verschiedenen Gruppen zeigen, wie z. B. gewisse wirtschaftliche Fragen, hat nur dann Aussicht auf Beachtung, wenn sie den Interessen beider oder aller Gruppen gerecht wird und nicht von einer rein numerischen Majorität erzwungen wurde. Die von 330 Arangio-Ruiz, The Normative Role, S. 457; Asamoah, The Legal Signi ficance, S. 53 f. ; Bailey, Making International Law, S. 237 ; Rauschning, in 10 Berichte der Deutschen Ges. f. Völkerrecht, S. 225 (1969) ; Schaumann, loc. cit., S. 230 ; Fitzmaurice, The Future of Public International Law, S. 271. 331 Vgl. Falk, On the Quasi-Legislative Competence, S. 790 ; Kaplan & Katzenbach, The Political Foundations of International Law, S. 9 f. (1961). 332 Dazu insbes. Bleicher, Re-Citation, S. 453 f. mit detaillierten statisti schen Angaben; vgl. auch Schwelb, Neue Etappen, S. 16 f. ; ibid., An Instance of Enforcing the Universal Declaration of Human Rights - Action by the Security Council, 22 ICLQ 161 (1973) ; Sohn, Protection of Human Rights, S. 329 ; vgl. auch die dissenting opinion von Tanaka zum Süd-West Afrika Urteil, ICJ Reports, S. 250, 292 (1966). 338 Sohn in 64 ASIL Proceedings 61 (1970) ; ibid., Die allgemeine Erklärung, 31. 334 Anderer Ansicht : D'Amato, On Consensus, S. 117, der wohl von einem zu engen rein militärischen Großmachtbegriff ausgeht. 336 Asamoah, The Legal Significance, S. 69 f.
s.
10 Schreuer
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
einer Mehrheit mit gleichen oder ähnlichen Interessen gegen den ent schiedenen Willen der Minderheit erzwungene „Empfehlung" kann unter Umständen lediglich eine, sicherlich nicht wertlose, Formulie rung politischer Ansprüche durch diese Staatengruppe darstellen. Mit der Verteilung des Abstimmungsverhaltens unter den teilneh menden Delegationen hängt auch oft der Grad an Realismus zusam men, den eine Resolution zeigt336 • Extreme oder intransigente Sprache in Resolutionen ist oft nicht ein Zeichen von Entschlossenheit sondern von Ohnmacht. Ein hohes Maß an Unbestimmtheit und Abstraktion in der Formulierung kann andererseits lediglich Ausdruck eines Dissenses, eines „agreement to disagree", zwischen den für die Resolution stim menden Staaten sein. Auch die Aussichten auf Durchsetzung durch weitere Aktionen der internationalen Organisation sind wichtig. Institutionalisierte Ver fahren der Untersuchung, Berichterstattung und Überwachung deuten auf eine Entschlossenheit hin, die in der Empfehlung ausgesprochenen Ziele mit Nachdruck zu verfolgen . . Letztlich hängt die Tragweite einer Empfehlung langfristig vom faktischen aber auch verbalen Verhalten der Adressaten ab337 • Soferne dem Entscheidungsorgan bereits nachfolgende Praxis zur Verfügung steht, ist auch diese für die Beurteilung der Autorität der Empfehlung zu beachten. Dabei können fallweise Verletzungen, insbesondere dann, wenn sie nicht von der grundsätzlichen Ablehnung der in der Empfeh lung ausgedrückten Grundsätze begleitet sind, ihre Bedeutung nicht zunichte machen. Es steht außer Zweifel, daß die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seit 1948 in einer Reihe von Fällen verletzt worden sind. Diese Verletzungen, soferne sie be kannt wurden, sind von der Weltöffentlichkeit stets als Unrecht emp funden worden und haben in verschiedener Weise und Stärke Reak tionen ausgelöst338 • Von den verantwortlichen Staaten wurden solche Verletzungen meist nicht als rechtmäßig bezeichnet, sondern entweder bestritten, oder mit besonderen Umständen zu rechtfertigen gesucht. Nicht immer ist die Ergründung aller dieser oft komplizierten und schwer feststellbaren Faktoren und deren Zusammenwirken für die Bedeutung einer Resolution durch ein Entscheidungsorgan wie ein Asamoah, The Legal Significance, S. 74. Vgl. Memorandum by the Office of Legal Affairs, U. N. Doc. E/CN. 4/L. 610 (1962), wo ausgeführt wird eine ,declaration' schaffe „a strong expecta tion that Members of the international Community will abide by it. Conse quently, in so far as the expectation is gradually justified by State practice, a declaration may by custom become recognized as laying down rules binding upon States". 338 Dazu Buergenthal, The United Nations and the Development of Rules Relating to Human Rights, 59 ASIL Proceedings 132 (1965). 338
3 37
A. Die Autorität internationaler Organakte
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staatliches Gericht möglich. Die Gründlichkeit einer Untersuchung al ler Momente für die Autorität einer Empfehlung ist unter anderem auch durch ihre Wichtigkeit für die Entscheidungsfindung und Erwägungen der Verfahrensökonomie bestimmt. Auch eine Resolution, deren Bedeu tung im internationalen Bereich dem Gericht nicht ganz klar ist, kann einen gewissen Anhaltspunkt für die Entscheidung, die meist überwie gend auf anderen Gesichtspunkten beruht, darstellen. d) Die Rechtsfolgen von Empfehlungen
Wegen der begrenzten und differenzierten Autorität von Empfeh lungen, müssen auch ihre Rechtsfolgen anders beurteilt werden als die von bindenden Regeln. Durch ihren nicht bindenden Charakter erhe ben sie zwar nicht einen unbedingten Anspruch auf eine Entscheidung im Sinne ihrer Bestimmungen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß es dem Entscheidungsorgan freisteht, sie willkürlich zu übergehen. Die Organe von Staaten, an welche eine empfehlende Resolution gerichtet ist, müssen sie jedenfalls zunächst gutgläubig in Erwägung ziehen339 • Nur in den seltensten Fällen ist eine Empfehlung die alleinige An spruchsgrundlage in einem gerichtlichen Verfahren. Gerichte ziehen derartige Beschlüsse internationaler Organisationen normalerweise nicht als die einzige Basis für eine bestimmte Sachentscheidung heran. Die Empfehlung kann jedoch als Grundlage für die Vermutung der Le galität eines Verhaltens dienen, welches in Übereinstimmung mit ih rem Inhalt steht. Ein Staat, welcher entsprechend den Bestimmungen einer Empfehlung der Generalversammlung der Vereinten Nationen handelt, genießt im Zweifel die Vermutung der Rechtmäßigkeit seines Handelns340 • Dies war wohl der Sinn, den die j apanischen Gerichte der Resolution über die Ausbeutung von Naturschätzen gaben, als sie sich zur Feststellung der Legalität der iranischen Erdölenteignungsmaßnah men auf sie stützten341 • Umgekehrt kann ein Handeln entgegen den Bestimmungen von Emp fehlungen eine Verschiebung der Beweislast zu Lasten des Zuwider339 Vgl. Lauterpacht in seinem Sondervotum zum South West Africa - Vo ting Procedure Gutachten, ICJ Reports, S. 118 f. (1955). Ebenso Klaestad, Zoc. cit., S. 88 ; Asamoah, The Legal Significance, S. 59, 227 ; Bindschedler, La deli mitation, S. 346 ; Dugard, The Legal Effect of United Nations Resolutions on Apartheid, 83 The South African Law Journal 44, 50 f. (1966) ; S0rensen,
Principes, S. 98. 340 Vallat, The Competence of the United Nations General Assembly, 97 RC 203, 231 (1959, II) ; vgl. auch Schermers, International Institutional Law, S. 497 zum ,legitimizing effect' von Empfehlungen, sowie die dort angeführ ten Hinweise. 341 Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisha, Bezirks gericht Tokyo, 27. Mai 1 953, Berufungsgericht Tokyo, 1 953, 20 ILR 305, 309, 313 (1953). 10•
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
handelnden nach sich ziehen342 . Ein Staat oder individueller Kriegs verbrecher, der sich schwerer Verfehlungen gegen die Allgemeine Er klärung der Menschenrechte schuldig gemacht hat, mag sich in der Lage finden, die Rechtmäßigkeit seines Handelns beweisen zu müssen. Allgemein ist bei einer nicht völlig geklärten Rechtslage jene Ent scheidung vorzuziehen, welche mit den von der Staatengemeinschaft in Form einer Empfehlung ausgedrückten Grundsätzen übereinstimmt343 . Insbesondere bei der Auslegung anderer Rechtsvorschriften, können empfehlende Resolutionen eine wichtige Interpretationshilfe darstellen. Dies gilt nicht nur für die Auslegung völkerrechtlichen . Vertrags rechts344 sondern auch für staatliche Rechtsvorschriften. Tatsächlich ist die Heranziehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Auslegung staatlichen Rechts die häufigste Form ihrer Anwendung345 • Auf Gebieten, in denen sich keine ganz einheitliche internationale Praxis feststellen läßt, oder in denen eine vorhandene Praxis noch nicht ausreichend gefestigt ist um als Völkergewohnheitsrecht angese hen zu werden, kann eine internationale Empfehlung eine wertvolle Entscheidungshilfe sein. Andererseits muß eine Entscheidung zweifel haft erscheinen, die auf eine Empfehlung gegründet ist, obwohl un zweifelhafte Verpflichtungen, etwa aus einem Vertrag, entgegenste hen34 6 . Im Falle Manderlier v. UN & Belgium341 stellte das Gericht zwar fest, daß die Vereinten Nationen einer Bestimmung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte offenbar zuwidergehandelt hatten. Den noch sah es sich angesichts der den Vereinten Nationen vertraglich eingeräumten lmmunitäten nicht imstande, diese Bestimmung durch zusetzen. Eine weitere interessante und vielversprechende Anwendungsmög lichkeit für Empfehlungen internationaler Organe besteht in ihrer Her anziehung als eine Art internationaler ordre public zur Nichtanerken nung ausländischer Gesetze, Urteile oder Rechtsgeschäfte. Diese in der Literatur348 bisweilen vorgebrachte Anregung hat auch in der Gerichts praxis schon einen gewissen Niederschlag gefunden349 . 342 Fitzmaurice, Hersch, Lauterpacht - the Scholar as Judge. Part II, 38 BYIL 1, 8 f. (1962). 343 Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951 - 1954, 34 BYIL 3, 5 (1958). 344 Vgl. oben III. A. 4. b) aa). 345 Vgl. unten IV. E. 2. a). 346 Fitzmaurice, The Law and Procedure, S. 5 ; Vgl. auch Dugard, The Legal Effect, S. 56 f. 347 Tribunal civil Brüssel, 11. Mai 1966, 45 ILR 446. 348 Cassin, La Declaration, S. 295 ; Lerebours-Pigeonniere, La Declaration universelle des Droits de l'Homme et le droit international prive francais, in Melanges Ripert, S. 255, 262 f. (1950).
A. Die Autorität internationaler Organakte
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Der Überblick über das Entscheidungsverhalten staatlicher Gerichte zu Empfehlungen internationaler Organisationen mit generell-abstrak tem Charakter ergibt, daß diese Art internationaler Beschlüsse in einer großen Zahl von Fällen herangezogen und in den Urteilsbegrün dungen angeführt wurde. In der verhältnismäßig kleineren Gruppe von Fällen, in denen ihre Anwendung verweigert wurde, stellt der Hin weis auf ihren nicht bindenden Charakter eine von mehreren Entschei dungsstrategien dar. Andere Begründungen für ihre Nichtbeachtung waren mangelnde Übernahme in das staatliche Recht35 0 oder entgegen stehende Bestimmungen des örtlichen Rechts351 • In einigen Fällen wurde die Berufung auf derartige Empfehlungen ohne Angabe von Gründen übergangen352 • Es muß angenommen werden, daß dieser Gruppe noch eine beträchtliche Dunkelziffer von Fällen hinzuzurech nen ist, in denen einschlägige Empfehlungen, bewußt oder unbewußt, mit Stillschweigen übergangen wurden, ohne daß die Fallberichte dar über Auskunft geben. 5. Formlose Akte
Nur ein Teil der Tätigkeit internationaler Organe spielt sich in der solennen Form von Urteilen, Resolutionen, Deklarationen oder anderen formellen Beschlüsen ab. Ein Großteil der Entscheidungen und Hand lungen solcher Organe ist formlos. Die Eigenart solcher Beschlüsse, Mitteilungen oder Handlungen bringt es mit sich, daß Staatsorgane, insbesondere Gerichte, nur verhältnismäßig selten mit ihnen in Be rührung kommen. Ihre mangelnde Bekanntheit ist oft ein weiteres Hindernis für ihre Beachtung. Dennoch gibt es einige Situationen, in welchen Gerichte in die Lage kommen, sich mit derartigen Akten aus einandersetzen zu müssen. Bei der rechtlichen Beurteilung solcher Entscheidungen und Hand lungen ist zunächst zu unterscheiden, ob das Vorgehen des internationa3 49
Ausführlicher dazu unten IV. E. 4. b) bb). 350 Elections de Nolay, Conseil d'Etat (Fr.), 18. Apr. 1951, 17 AFDI 24 (1971) ; Re Car, Conseil d'Etat (Fr.), 1 1 . Mai 1960, 88 Clunet 404 (1961), 39 ILR 460 ; österr. VerfGH : 5. Okt. 1950, Slg. 2030 ; 6. Okt. 1970, Slg. 6260 ; The Queen v. Liyanage, Ceylon, 1964, 65 New Law Reports 73, 82 (1964). Allgemein zu dieser Frage siehe unten IV. C. 5. 351 Biswambhar Singh v. State of Orissa, High Court of Orissa, 27. Apr. i957, 24 ILR 425, 427 (1957). 352 SheUey v. Kraemer, US Supreme Court, 3. Mai 1948, 334 U. S. 1 ; In re O'Laighleis, Supreme Court of Ireland, 3. Dez. 1957, 8 BILC 853, 864 ; vgl. dazu The State v. Furlong, High Court of Ireland, 24. Jan. 1966, 9 BILC 369, 372. Siehe auch X. v. Public Prosecutor, Court of Justice of the Netherlands Antilles, 6. Feb. 1968, 18 NTIR 81 (1971) wo das Gericht meinte, es werde einen Antrag lediglich an Hand der EMRK und nicht der Allgemeinen Er klärung überprüfen, da nur erstere das Recht zu einer Individualbeschwerde einräume ; österr. VerfGH, 11. Okt. 1974, Slg. 7400.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
len Organs im besonderen Falle dem Zweck und der Zielsetzung der Organisation unmittelbar dient353 oder ob es lediglich um Handlungen geht, welche durch Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr dem Organisationszweck nur mittelbar dienen. In letztere Kategorie gehören insbesondere privatrechtliche Handlungen einschließlich der Angestell tenverträge, aber auch eine deliktische Haftung etwa aus dem Straßen verkehr. Nur bei der erstgenannten Gruppe von Handlungen tritt die Frage nach ihrer internationalen Autorität und die damit zusammen hängenden Fragen nach Durchsetzung, Überprüfung, Anwendung und dergleichen auf. Bei zivilen Rechtsverhältnissen steht meist die verfah rensrechtliche Frage nach der Immunität oder Prozeßstandschaft im Vordergrund354 • Auch die hier interessierenden formlosen Akte und Entsclieidungen internationaler Organe können zu einem bestimmten Anlaßfall oder in Hinblick auf eine abstrakte Rechtsfrage gesetzt werden. Auch sie kön nen Gegenstand einer Anwendung oder Durchsetzung einerseits oder einer Überprüfung andererseits sein, als Anhaltspunkt für die Lösung einer allgemeinen Rechtsfrage dienen, für die Beurteilung einer Vor frage erheblich sein oder schließlich als Präzedenzfall Beachtung finden. Allerdings läßt die spärliche Fallpraxis staatlicher Gerichte kaum ir gendwelche allgemeinen Schlußfolgerungen zu. Die Verschiedenartig keit solcher formloser oder tatsächlicher Organakte läßt auch allge meine theoretische Betrachtungen nicht sinnvoll erscheinen. Es wird daher genügen müssen, einige der wichtigsten Arten von Fällen bei spielhaft anzuführen. Fälle konkreter formloser Mitteilungen durch internationale Organe zu Rechtsstreitigkeiten, welclie vor staatlichen Gerichten anhängig sind , bietet die Praxis des Internationalen Währungsfonds. Der bereits oben355 besprochenen Interpretationserklärung zu Art. VIII/2 (b), hatten die Exekutivdirektoren hinzugefügt : The Fund will b e pleased t o lend its assistance i n connection with any problems which may arise in relation to the foregoing interpretation or any other aspect of Article VIII, Section 2 (b). In addition, the Fund is prepared to advise whether particular exchange control regulations are maintained or imposed consistently with the Fund Agreement. Bisher ist erst ein Fall356 bekannt geworden, in welchem ein Gericht von diesem Angebot Gebrauch gemacht hat und eine konkrete Anfrage 353 Vgl. dazu das Gutachten des IGH über Certain Expenses of the United Nations, ICJ Reports, S. 151 (1962). m Siehe unten V. C. 355 s. 118. 351 Ersuchen des Präsidenten der Ersten Zivilkammer des Oberlandes gerichts Karlsruhe vom 30. Juni 1965. Siehe Gold, Interpretation by the Fund, S. 46.
A. Die Autorität internationaler Organakte
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zu einem anhängigen Streitfall an den Währungsfonds gerichtet hat. In einem anderen Fall357 konnte ein Gericht eine an den amerikanischen Secretary of the Treasury gerichtete Mitteilung über die Beurteilung bestimmter ausländischer Devisenbestimmungen heranziehen. In bei den Fällen folgten die Gerichte der Beurteilung des Währungsfonds. Andere Fälle formloser Mitteilungen ergeben sich in Einwande rungs-358 und Immunitätsfragen359 im Zusammenhang mit Personen, welche mit einer internationalen Organisation in Beziehung stehen. Auch in diesen Situationen zeigen die Gerichte eine Tendenz, den Wünschen der Organisation nachzukommen und die Frage der Ertei lung von Visa oder der Gewährung von Immunitäten entsprechend den Mitteilungen der Organisation zu entscheiden. In Verfahren, in welchen die Autorität formloser internationaler Entscheidungen oder die Rechtmäßigkeit tatsächlicher Handlungen in Frage gestellt oder überprüft werden sollte, zeigten sich die Gerichte ebenfalls wenig geneigt, sich in Widerspruch zum internationalen Or gan zu stellen. In einer Klage vor den amerikanischen Bundesgerichten gegen die Inter-American Development Bank360 wollte der Kläger eine Verfügung erwirken, die die Vergabe eines Darlehens an seinen Kon kurrenten verboten hätte. Das Erstgericht361 verwarf die Klage aus ver fahrensrechtlichen Gründen, da die Bank Immunität genieße und da ein verfolgbarer Klagsanspruch fehle. Das Berufungsgericht362 lehnte zwar diese Begründung ab, hielt aber am Ergebnis fest. Es befand in der Sache selbst, daß die Bank in ihrer Dispositionsfreiheit bei der Vergabe von Darlehen aus keinem der vom Kläger behaupteten Grün den beschränkt sei. Auch ein vor belgischen Gerichten unternommener Versuch, eine deliktische Haftung der Vereinten Nationen wegen illegaler Akte von UN-Truppen geltend zu machen, scheiterte. Die Immunität der Organi sation machte die Verfolgung des Anspruchs unmöglich363 • 357 Southwestern Shipping Corp. v. The National City Bank of New York, New York Supreme Court, 17. März 1958, 173 N. Y. S. 2d 509, 23 ILR 581, 583 (1956) ; bestätigt von der Appellate Division am 21. Okt. 1958, 178 N. Y. S. 2d 1019, 28 ILR 539 ; aufgehoben vom Court of Appeals, 8. Juli 1959, 190 N. Y. S. 2d 352, 28 ILR 539 ; cert. den., 361 U. S. 895. 358 Vgl. Menon v. Esperdy, U. S. Court of Appeals 2d Cir., 30. Juni 1969, 413 F. 2d 644, 650, 64 AJIL 419 (1970). 359 Pappas v. Francisci, New York Supreme Court, 6. Feb. 1953, 119 N. Y. S. 2d 69, 47 AJIL 505 (1953) ; X. v. Y., Hague Court of Appeal, 20. Nov. 1969, 1 NYIL 210 (1970). 380 Lutcher S. A. Celulose e Papel Candoi v. Inter-American Development Bank, 42 ILR 138. 361 Dist. et. D. c., 28. März 1966, 253 F. Supp. 568, 60 AJIL 586 (1966). 382 Court of Appeals D. C., 13. Juli 1967, 382 F. 2d 445, 62 AJIL 199 (1968).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
In ähnlicher Weise weigerten sich französische364 und belgische365 Gerichte, die Gültigkeit von Bestätigungen durch die internationale Flüchtlingsorganisation und den Delegierten des UN-Hochkommissärs für die Flüchtlinge in Frage zu stellen. Bei der Beantwortung allgemeiner Fragen des Völkerrechts sind die Arbeiten von Expertengremien internationaler Organisationen366, wie der International Law Commission, oft eine wichtige Hilfe. Obwohl diese Dokumente keinerlei formelle Autorität besitzen und meist nur Vorarbeiten für eine Konvention oder einen formellen Beschluß eines anderen Organs sind, ist ihnen auch von staatlichen Gerichten Beach tung geschenkt worden. So wurden bereits Arbeiten im Rahmen des Völkerbundes zur Frage der Piraterie367, sowie der Staatenimmunität368 herangezogen. Seit die International Law Commission ihre Tätigkeit aufgenommen hat, haben sich die Gerichte wiederholt auch auf die Arbeiten dieses Organs zur Staatenimmunität369, zum Diplomaten recht370, zum Seerecht371 und zum Vertragsrecht372 berufen. Auch bei der Klärung einer für das staatliche Gerichtsverfahren wesentlichen Vorfrage kann sich die Notwendigkeit einer Beurteilung formloser bzw. tatsächlicher Handlungen ergeben. Auf die Probleme, die insbesondere bei der Klassifizierung von Einsätzen von UN-Trup pen als „Krieg" auftreten, wurde bereits verwiesen373. 363 Manderlier v. UN & Belgium, Tribunal civil Brüssel, 11. Mai 1966, 45 ILR 446. Vgl. auch den englischen Fall Attorney- General v. Nissan, House of Lords, 11. Feb. 1969, [1970] A. C. 179, 44 ILR 359. In dieser Entscheidung wurde der von englischen UN-Truppen verursachte Schaden nicht den Ver einten Nationen, sondern der englischen Krone zugerechnet. 384 In re Dame Pecheral, Cour de Paris, 17. Juli 1948, 15 AD 289 (1948). 365 Kare-Merat et Kabozo c. Etat b elge, min. de la Justice et delegue du Haut Commissariat pour les refugies, Conseil d'Etat, 25. Sept. 1970, 8 RBDI 675 u. 687 (1972). 368 Vgl. auch den detaillierten Hinweis auf die Arbeit des Unterausschusses des Rechtsausschusses der ICAO in Herman v. TWA, New York Supreme Court, 22. März 1972, 22 Zeitschr. f. Luftrecht u. Weltraumrechtsfragen 43 (1973). 367 In re Piracy Jure Gentium, Privy Council, 26. Juli 1934, [1934] A. C. 586, 3 BILC 836, 842 f. 388 Dralle Fall, österr. OGH, 10. Mai 1950, SZ XXIII/143 ; Bundesverfas sungsgericht, 30. Apr. 1963, BVerfGE 16, 27, 45 ILR 57, 76. 369 Loc. cit. 370 Bundesverfassungsgericht, 30. Okt. 1962, 11 AVR 112 (1963/64), 38 ILR 162, 166. 371 Re Martinez and Others, Italienischer Kassationshof, 25. Nov. 1959, 45 Rivista DI 256 (1962), 28 ILR 170, 172. 372 Attorney- General of Israel v. Kamiar, Israel Supreme Court, 9. Juni 1968, 44 ILR 197, 248, 261 f., 267 f., 277 f., 285 f. ; N. V. Holland-Amerika Lijn (H. A. L.) v. Wm. H. Müller & Co. N. V., Hague Court of Appeal, 28. Feb. 1969, 1 NYIL 224 (1970).
B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte
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Selbstverständlich ist auch eine analoge Anwendung der reichen informellen Praxis internationaler politischer Organe374 als „Präze denzfälle" zur Beantwortung internationaler Rechtsfragen denkbar. Allerdings zeigt die Gerichtspraxis derzeit noch keine Beispiele für eine derartige Heranziehung internationaler Akte. B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte Neben dem im vorangegangenen Abschnitt375 behandelten Problem der rechtlichen Bedeutung eines internationalen Organaktes nach dem Ausmaße der dem Ursprungsorgan eingeräumten Autorität kann auch die Frage des regulären Zustandekommens des Organaktes ausschlag gebend für dessen internationale juristische Bedeutung sein. Die Be hauptung der Fehlerhaftigkeit, also eines Mangels beim Zustandekom men einer Entscheidung, ist die direkteste und radikalste Form ihrer Bekämpfung. Anders als bei der Frage nach dem Ausmaße der Autori tät eines regulär zustande gekommenen Organaktes, dient die Fest stellung der Fehlerhaftigkeit regelmäßig der Begründung seiner völli gen Unbeachtlichkeit376 • Internationale Organe, seien es Gerichte, Schiedsgerichte oder Or gane internationaler Organisationen, üben ihre Befugnisse auf Grund und im Rahmen der ihnen meist ausdrücklich eingeräumten Kompeten zen und unter Beobachtung der für ihr Vorgehen vorgesehenen Ver fahrensbestimmungen aus. Die Nichtbeachtung dieser Grenzen ihrer Tätigkeit kann zu Mängeln führen, welche den Organakt dem Vorwurf eines exces de pouvoir oder eines Formfehlers aussetzen. Insbesondere in der Geschichte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit377 hat der Streit um die behauptete Fehlerhaftigkeit von Schiedssprüchen eine Bedeutung erlangt, ohne einer allgemeinen befriedigenden Lösung zu geführt worden zu sein. Als Rechtsfolgen sind absolute Nichtigkeit, Vernichtbarkeit durch ein hiezu berufenes Organ sowie eine die juri stische Bedeutung nicht beeinträchtigende Irregularität denkbar. Eine nachprüfende Kontrolle der Rechtmäßigkeit internationaler Or gantätigkeit durch eigens hiezu vorgesehene Verfahren ist heute nur 3 73
s. 64.
Vgl. Sehachter, The Development of International Law through the Legal Opinions of the UN Secretariat, 25 BYIL 91 (1948). 3 76 III. A. 3 78 Vgl. auch Virally, La valeur juridique, S. 87. 3 77 Siehe insbes. Schätze!, Rechtskraft und Anfechtung von Entscheidungen internationaler Gerichte (1928) ; Reisman, Nullity and Revision ; Matscher, Die Begründung, S. 440; Guggenheim, La validite et la nullite des actes juridiques internationaux, 74 RC 195, 216 (1949, I). 37'
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
ausnahmsweise und selbst dort meist nur rudimentär vorhanden. Le diglich die Europäischen Gemeinschaften besitzen ein System der Über prüfung von Gemeinschaftsakten, welches entwickelten staatlichen Rechtsordnungen vergleichbar ist. Im Bereiche des Angestelltenrechts der Vereinten Nationen und ihrer Spezialorganisationen bieten die Verwaltungsgerichte ein Kontrollsystem mit sachlich beschränktem Zu ständigkeitsbereich. Die Möglichkeit der Einholung von Rechtsgutachten378 des Interna tionalen Gerichtshofs ist zwar eine wichtige Form der Überprüfung der Legalität internationaler Organakte, ihre Bedeutung wird aber durch zwei Merkmale wesentlich eingeschränkt. Einmal ist das Ersu chen um das Rechtsgutachten an eine politische Entscheidung gebun den, welche oft voh eben dem Organ zu fällen ist, dessen Akte wegen möglicher Rechtswidrigkeit überprüft werden sollen. Zum anderen ha ben solche überprüfende Rechtsgutachten keineswegs aufhebende Wir kung, sondern dienen lediglich der Beratung des ersuchenden Organs, dessen Dispositionsfreiheit formell nicht eingeschränkt wird. Zwei sol che Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs im Certain Ex penses319 und im IMCO-Fall380 haben nicht nur die konkreten Fragen nach der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Organakte beantwortet, sondern auch wesentlich zum Thema der illegalen Akte internationaler Organe beigetragen. Allerdings haben diese Gutachten und ihre nach folgende Behandlung durch die ersuchenden Organe fast mehr Fragen aufgeworfen als sie gelöst haben381 • Internationale Organe sind also in der Mehrzahl aller Fälle „Grenz organe", d. h. ihre Entscheidungen unterliegen keiner weiteren formel len Überprüfung. Nur sie selbst entscheiden über die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens. Dieser Mangel eines institutionellen Überprüfungs mechanismus bedeutet jedoch keineswegs, daß Fragen des rechtmäßigen Zustandekommens oder der Fehlerhaftigkeit solcher Akte der Unter suchung durch andere Organe notwendigerweise entzogen sind. Staat• liehe Gerichte, welche mit internationalen Organakten rechtsprechen der oder politischer Natur konfrontiert sind, können sehr wohl vor die Frage gestellt werden, ob ein für ihre Entscheidung wesentlicher Be schluß eines internationalen Organs richtig zustandegekommen ist, ob er „gültig" ist oder unter einem Mangel leidet, der seine Nichtbeach378 Siehe insbes. Pratap, The Advisory Jurisdiction of the International Court (1972). 3 7u ICJ Reports, S. 151 (1962). 380 ICJ Reports, S. 150 (1960). 381 Allgemein siehe insbes. E. Lauterpacht, The Legal Effect of Illegal Acts ; Asamoah, The Legal Significance, S. 36 f. ; Conforti, La funzione dell' accordo nel sistema delle Nazioni Unite, S. 17 f. (1968).
B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte
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tung rechtfertigt. Auch hier kann das Verfahren in erster Linie auf die Bekämpfung oder Durchsetzung des internationalen Organaktes ge richtet sein oder seine Bedeutung nur in der Klärung einer für die Ent scheidung wesentlichen Vorfrage liegen. Dabei ist regelmäßig von einer konstitutiven Überprüfung im Sinne einer Kassation der internationa len Entscheidung durch das staatliche Gericht keine Rede, obwohl es auch für solche Versuche Beispiele gibt382 • Dennoch kann der Spielraum, über den das Gericht in seinem Dispositionsbereich verfügt, einen we sentlichen Einfluß auf die Effektivität der fehlerhaft gefundenen inter nationalen Entscheidung haben. Einern staatlichen Gericht, vor welchem die Rechtmäßigkeit eines in ternationalen Organaktes angefochten wird, stehen mehrere Alterna tiven offen. Zunächst kann es die Überprüfung der internationalen Entscheidung rundweg verweigern. Diese Weigerung, in die Frage der Rechtmäßigkeit der internationalen Entscheidung einzutreten, kann sich vor allem auf die grundsätzliche Ansicht stützen, der Organakt unter liege wegen seines internationalen Ursprungs nicht der Prüfung durch staatliche Entscheidungsorgane, jedenfalls nicht durch Gerichte. Dieser Standpunkt ähnelt der „act of State" Doktrin und entspricht wohl auch ähnlichen rechtspolitischen Erwägungen383 • Allerdings kann die „act of State" Doktrin schwerlich als allgemein akzeptierter Grundsatz des Völkerrechts betrachtet werden384 • Ihre Übertragung per analogiam auf internationale Organakte erscheint schon aus diesem Grunde wenig ratsam. Dennoch läßt sich diese Entscheidungstechnik in einigen Fällen er kennen, in welchen die Nichtigkeit internationaler Akte der Rechtspre chung behauptet worden war3 85 • Amerikanische Gerichte zeigen dabei eine Tendenz, sich bei Streitfällen um eine behauptete Nichtigkeit in ternationaler Schiedssprüche nicht so sehr auf eine grundsätzliche Un überprüfbarkeit dieser Entscheidungen als auf die „doctrine of political questions" zu berufen. Sowohl Versuche einer Anfechtung internatio naler Schiedssprüche wegen behaupteter Nichtigkeit388 , als auch umge382 Siehe den Sapphire-Fall unten Anm. 397. 383 Vgl. auch Schermers, International Institutional Law Bd. II, S. 542. 364 Siehe insbes. Folz, Die Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen (1975). 385 Vgl. auch die Beispiele oben S. 57. 368 The Brig „General Armstrong", Court of Claims, 17. März 1856 u. 1. Feb. 1958, Moore, International Arbitration Digest Bd. II, S. 1102, 1108 ; Z & F Assets Reatization Corporation et ai. v. HuU et. at., Supreme Court, 6. Jan. 1941, 311 U. S. 470, 10 AD 424 (1941 - 42). Siehe jedoch auch Lake Ontario Land Development and Beach Protection Association Inc. v. Federal Power Commission, Court of Appeals D. C., 29. Jan. 1954, 48 AJIL 498 (1954),
wo die Befugnis eine Entscheidung einer internationalen Grenzkommission zu überprüfen obiter bezweifelt wird.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
kehrt Fälle einer versuchten Durchsetzung solcher Schiedssprüche, wel che unter dem Verdacht der Nichtigkeit standen387 , wurden einfach mit dem Hinweis auf die alleinige Entscheidungsbefugnis der Exekutive er ledigt. Im Ergebnis ähnlich ist die Antwort des Deutschen Reichsgerichts388 auf das Vorbringen einer Partei zu einer angeblichen Zuständigkeits überschreitung des Deutsch-Japanischen Gemischten Schiedsgerichts. Das Reichsgericht meinte, aus den Bestimmungen des Vertrags von Versailles und des Reichsgesetzes über die Gemischten Schiedsgerichte, welche die Endgültigkeit und die unmittelbare Anwendbarkeit ihrer Entscheidungen festlegen, ergebe sich, daß eine Nachprüfung durch deutsche Gerichte unzulässig sei. Diese Begründung vermag nicht recht zu überzeugen. Die Tatsache, daß kein Rechtsmittel zur Überprüfung der materiellen Richtigkeit der internationalen Entscheidung existiert, kann kaum als Grund dafür dienen, daß eine allfällige Nichtigkeit nicht wahrgenommen werden kann. Die Frage ist lediglich, ob das Gericht das geeignete Organ für eine derartige Wahrnehmung ist und unter welchen Umständen eine behauptete Nichtigkeit von ihm zu beachten ist. Diese spärliche staatliche Entscheidungspraxis läßt keineswegs einen deutlichen Trend in Richtung auf die Entwicklung einer „ act of inter national institutions"-Doktrin analog der „act of State"-Doktrin erken nen. Vielmehr existiert eine größere Anzahl von Fällen, in denen die Gerichte sich sehr wohl mit der Frage der Fehlerhaftigkeit internatio naler Organakte auseinandergesetzt haben. In einer Gruppe solcher Entscheidungen wurde das Zustandekommen der internationalen Beschlüsse zwar überprüft, aber als regulär er kannt und der Akt bestätigt. Beispiele dafür bieten Entscheidungen, in welchen autoritative Interpretationserklärungen durch den Interna tionalen Währungsfonds389 und andere internationale Organe390 darauf untersucht wurden, ob sie ultra vires wären. In anderen Fällen wurden die Ausstellung einer Prozeßvollmacht durch den Generalsekretär der 387 Frelinghuysen v. Key, Supreme Court, 7. Jan. 1884, 110 U. S. 63 ; Boynton v. Blain, Supreme Court, 23. März 1891, 139 U. S. 306 ; La Abra Silver Mining
Co. v. U. S., Supreme Court, 11. Dez. 1899, 175 U. S. 423. 388 24. Mai 1928, RGZ 121, 180.
389 International Bank for Reconstruction and Development & International Monetary Fund v. All America Cables and Radio Inc. et al., Federal Com
munications Commission, 23. März 1953, 22 ILR 705, 709 (1955). 390 Vgl. die Entscheidung der Schweizer Zollrekurskommission vom 22. März 1961, bei Dominice, La nature, S. 259, zu den „explanatory notes" des „Nomenclature Committee" nach Art. IV c der Convention on the Nomenclature for the Classification of Goods in Customs Tariffs vom 15. Dez. 1950, 347 UNTS 129.
B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte
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Vereinten Nationen391 und der Abschluß eines Frachtvertrags für den Transport von Trockenmilch durch den UNICEF392 als zu den legitimen Befugnissen dieser Organe gehörig befunden. In einem Verfahren vor australischen Gerichten393 , in welchem der Herausgeber einer kommu nistischen Zeitung wegen „aufrührerischer" Artikel über den Korea Konflikt angeklagt worden war, brachte der Angeklagte vor, die ge samte UN-Aktion in Korea sei illegal, da die Sowjetunion bei der Ab stimmung im Sicherheitsrat nicht repräsentiert gewesen sei. Der Rich ter zeigte sich von diesem Einwand zwar beeindruckt, hielt die Verur teilung nach einer Konsultation mit dem Außenministerium jedoch auf recht. Auch in einer amerikanischen Entscheidung394, in welcher das Gericht die Staff Rule 7 der Vereinten Nationen anwandte, stellte es fest, diese Vorschrift sei durch die Bestimmungen der UN-Charta ge deckt. In diesen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der internationalen Entscheidung also zwar überprüft, letztlich jedoch bestätigt wurde, ist die Frage nach der Befugnis des staatlichen Gerichts, eine solche Über prüfung vorzunehmen, sowie nach ihrer rechtspolitischen Erwünscht heit, eher akademisch. Zwar könnte schon der bloße Eintritt in die Frage der Nichtigkeit des internationalen Organaktes als bedenklich bezeichnet werden. Ebenso ist es aber möglich, diese Art der Entschei dung lediglich als eine Methode der Begründung zu sehen bei der die Behauptung der Fehlerhaftigkeit des internationalen Organaktes nicht a limine zurückgewiesen wird, sondern durch den Hinweis auf die formelle Richtigkeit widerlegt wird. Erst in den Fällen, in welchen internationale Entscheidungen von staatlichen Gerichten tatsächlich für fehlerhaft befunden und verwor fen wurden, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Überprüfung in ihrer vollen Konsequenz. Gemessen an der gesamten Zahl der verfügbaren Entscheidungen staatlicher Gerichte, in denen eine Auseinandersetzung mit internationalen Organakten erfolgte, ist die Anzahl der Fälle, in denen diese radikale Form der Ablehnung ge wählt wurde, gering. Daß den Gerichten eine ganze Reihe bedeutend weniger spektakulärer Argumente für die Nichtbeachtung internatio naler Organakte zur Verfügung steht, wurde bereits dargestellt395 • 381 UN v. Canada Asiatic Lines Ltd., Superior Court of Montreal, 2. Dez. 1952, 26 ILR 622 (1958 - II). 392 Balfour, Guthrie & Co. Ltd. v. U. S., U. S. Dist. Ct. N. D. Calif., 5. Mai 1950, 90 F. Supp. 831, 17 ILR 323 (1950). 893 Burns v. The King, New South Wales Quarter Session Appeal Court, 6. Apr. 1951, 20 ILR 596 (1953). 394 Keeney v. U. S., Ct. App. D. C., 26. Aug. 1954, 20 ILR 382. 395 Oben II. A. 2.
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Bei der Durchsicht j ener staatlicher Gerichtsentscheidungen, in de nen Beschlüsse internationaler Organe als illegal verworfen wurden, fällt auf, daß alle diese internationalen Beschlüsse wichtige wirtschaft liche, territoriale oder militärische Interessen des Forumstaates betra fen. Der Verdacht liegt nahe, daß staatspolitische Erwägungen ein wich tiges Motiv bei der Wahl dieser radikalen Form der Ablehnung des internationalen Organaktes waren396 • Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Entscheidung eines iranischen Gerichtes in der Sache National Iranian Oil Co. v. Sapphire International Petroleums Ltd. 397 • In diesem Falle war ein Schiedsverfahren zwischen der staatlichen Öl agentur und einer ausländischen Gesellschaft durchgeführt worden, welches auf einem Vertrag basierte, der die kaiserliche Zustimmung erhalten hatte und vom Parlament ratifiziert worden war. Als ein für den Iran ungünstiger Schiedsspruch ergangen war, gebärdete sich das Bezirksgericht von Teheran ganz in der Art eines Kassationsgerichts398 • Es überprüfte den internationalen Schiedsspruch auf Verfahrensmän gel sowie Fehler in der materiellrechtlichen Beurteilung. Die Entschei dung wurde als inakzeptabel, ultra vires und unrichtig befunden und daher für nichtig erklärt und „aufgehoben". Diese in extremer Sprache verfaßte aber schlecht begründete Entscheidung läßt wenig Zweifel daran, daß das Gericht hauptsächlich bestrebt war, das Staatsunterneh men von einer lästigen internationalen Verpflichtung zu befreien. Als Beitrag zu einer Lehre von der Überprüfbarkeit internationaler Ent scheidungen durch staatliche Gerichte hat sie deshalb nur sehr be schränkten Wert. Andere Fälle sind zwar nicht so spektakulär, lassen aber auch Zwei fel an der Urteilsfähigkeit der Gerichte im besonderen Falle zu. So etwa, wenn das Deutsche Reichsgericht Verfügungen eines Völkerbund organs, welche das Saargebiet nicht als Bestandteil des Deutschen Rei ches betrachteten, als rechtswidrig ablehnt300, wenn ein Berufungsge richt der Vereinigten Staaten die Ansicht vertritt, eine Resolution des American Committee on Dependent Territories der OAS über den Sta tus von Puerto Rico „seems to have gone beyond the competence of the American Commitee . . . " 480 , oder wenn ein rhodesischer Richter die Allgemein zu dieser Frage siehe unten VI. B. 1. Bezirksgericht Teheran, 1. Dez. 1963, 9 ILM 1118 (1970). 398 Vgl. hier auch die oben III. A. l. a) aa) Anm. 10 angeführte Entscheidung Republic of Colombia v. Cauca Co., in welcher ein internationaler Schieds spruch vom US Supreme Court, ohne den Vorwurf eines Verfahrensmangels, in Art einer Berufung überprüft wurde. s00 21. Jan. 1930, RGSt 63, 395. 400 Ruiz Alicea v. U. S., Ct. App. 1st Circ., 10. März 1950, 180 F. 2d 870, 17 ILR 42, 46 (1950). Vgl. auch U. S. v. Vargas oben III. A. 1. b) Anm. 69, wo die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des UN Special Committee on Colonialism in Bezug auf Puerto Rico bezweifelt wird. 398 397
B. Die Fehlerhaftigkeit internationaler Organakte
159
Befassung der Vereinten Nationen durch Großbritannien mit der Rho desienfrage als „of doubtful validity in international law and under the Charter" 40 1 bezeichnet. Ein ägyptisches Prisengericht zog in einem Verfahren402 gegen ein Schiff, welches israelische Waren geladen hatte, sogar die Befugnis der Generalversammlung zur Erstellung des Tei lungsplans für Palästina in Zweifel: The General Assembly of the United Nations adopted a Resolution parti tioning Palestine in spite of the fact that the Charter of the United Nations does not establish in any of its Articles the competence of the United Nations to partition States and to distribute their territories among several sovereignties403 • In keinem dieser Beispiele lagen überzeugende Anzeichen dafür vor, daß der internationale Organakt tatsächlich mit Fehlern behaftet ge wesen war, die seine Nichtigkeit begründet hätten. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß die Behauptung der Illegalität durch die Gerichte einem besonders stark ausgeprägten Bestreben entsprungen ist, Konse quenzen der internationalen Entscheidung abzuwehren404 • Es wäre al lerdings voreilig, aus solchen vermutlich falschen und politisch moti vierten Feststellungen, internationale Entscheidungen seien ultra vires, die Schlußfolgerung ziehen zu wollen, eine derartige Überprüfungsbe fugnis müsse staatlichen Gerichten überhaupt abgesprochen werden. Wie bereits erwähnt, steht staatlichen Gerichten eine derart große Viel zahl von Entscheidungstechniken zur Vereitelung der Konsequenzen in ternationaler Organakte zur Verfügung, daß mit einem Verbot dieser eindeutigsten und offensten Art ihrer Bekämpfung kaum etwas gewon nen wäre. Solange keine institutionellen Überprüfungsmechanismen für Entscheidungen internationaler Organe existieren, muß einem An wendungs- oder Durchsetzungsorgan auch die Befugnis eingeräumt werden, die formelle Richtigkeit solcher Entscheidungen zu beurteilen406 • Das Postulat einer unbedingten Annahme eines internationalen Organ aktes, auch wenn der Verdacht besteht, daß er wegen einer Kompe tenzüberschreitung oder eines schweren Verfahrensfehlers nichtig · ist, erscheint nicht akzeptabel. Diese Befugnis zur Überprüfung kann ins besondere dort Bedeutung erlangen, wo eine Tendenz in internationa4 01
Madzimbamuto v. Lardner-Burke, Baron v. Ayre, Bezuidenhout, Dupont
& Lardner-Burke, Appellate Division of the High Court, 29. Jan. 1968, 39 ILR 61 per MacDonald J. A. auf S. 338. 4 02 The Inge Toft, 10. Sept. 1960, 16 Revue Egyptienne de Droit International 118 (1960), 31 ILR 509 (1966). 4 03 Auf S. 517. 404 Vgl. dazu auch unten VI. B. l. 4 05 Zur Befugnis staatlicher Gerichte die Rechtmäßigkeit von Akten der Europäischen Gemeinschaften zu überprüfen vgl. etwa Green, Political Inte gration by Jurisprudence, S. 196 f. ; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich S, 349 f. ; ibid., Fundamental Rights and the Law of the European Communities, 8 CMLRev. 446, 460 (1971).
160
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
len Institutionen bemerkbar ist, durch verantwortungslosen Einsatz von Mehrheiten, einer numerisch unterlegenen Minderheit politische Desiderata aufzuzwingen, welche dem Organisationszweck nicht ent sprechen und welche weder von ihrem Gründungsvertrag, noch von einer durch die Gesamtheit der Mitglieder getragenen Verfassungsent wicklung gedeckt sind. Andererseits kann eine juristisch wohlfundierte Zurückweisung einer internationalen Entscheidung nur nach einer genauen Prüfung der Um stände erfolgen. Bis zum Nachweis schwerwiegender und stichhältiger Indizien für eine Nichtigkeit muß die Vermutung der Gültigkeit auf recht erhalten werden406 • Ein leichtfertiges Verwerfen des internationa len Organaktes, ohne eine überzeugende Begründung, setzt das Gericht dem Verdacht aus, daß die wahre Motivation für die Entscheidung nicht bei den angeblichen Mängeln des internationalen Organaktes liegt.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten Schon in der Einleitung wurde auf die doppelte Funktion staatlicher Gerichte bei der Entscheidung von Fällen mit völkerrechtlicher Be deutung hingewiesen407 • Als Organe des Forumstaates, also eines Teil nehmers am internationalen Verkehr, erfüllen staatliche Gerichte durch völkerrechtskonforme Entscheidungen Aufgaben ihres Staates. Ihre Urteile ergehen in Erfüllung internationaler Pflichten des Forumstaa tes oder dienen unter Umständen der Durchsetzung seiner Rechte und Ansprüche. Gleichzeitig spielen staatliche Gerichte aber auch aus der Perspektive der internationalen Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Die an eigenen Organen arme internationale Arena ist zur Durchsetzung völkerrechtlicher Vorschriften weitgehend auf staatliche Organe ange wiesen. Das staatliche Entscheidungsorgan handelt bei der Anwendung und Durchsetzung völkerrechtlicher Rechtsbefehle daher funktionell auch als Organ der Völkerrechtsgemeinschaft. Diese Überlegungen treffen auch auf die Beachtung der Entscheidun gen internationaler Organe durch staatliche Gerichte zu. In einem Groß teil solcher Fälle fallen die beiden Funktionen der Gerichte zusammen. Die internationale Entscheidung richtet sich an den Forumstaat und schafft für ihn Rechte und Pflichten. Das Gericht entspricht in seiner Entscheidung diesen Rechten und Pflichten des Forumstaats und ver hilft gleichzeitig der internationalen Entscheidung durch ihre Anwen dung zur Effektivität. 408 407
S chermers, International Institutional Law Bd. II, S. 543. Oben S. 26 f.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
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Dennoch gibt es Situationen, in welchen die Funktionen des Staats organs und des internationalen Entscheidungsorgans auseinanderfal len. In einer Reihe von Fällen haben Parteien versucht, sich auf einen internationalen Organakt zu stützen, welcher keine oder doch nur eine sehr entfernte Beziehung zum Forumstaat hatte. In Fällen, in denen der Forumstaat selbst nicht unmittelbar Adressat der internationalen Entscheidung ist, erhebt sich für das staatliche Gericht die Frage, ob es den internationalen Organakt trotzdem zu beachten hat. Auch diese Frage tritt in verschiedenen Situationen auf. Das staat liche Gericht kann zur Hilfe bei der Durchsetzung konkreter Sachent scheidungen aufgerufen werden, · welche den Forumstaat weder unmit telbar berechtigen noch verpflichten. · Die internationale Entscheidung kann, obwohl der Forumstaat nicht Adressat ist, eine Antwort auf eine völkerrechtliche Vorfrage bieten. Das Ergebnis eines internationalen gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahrens, an welchem sich der Forumstaat nicht beteiligt hatte, kann ein „Präzedenzfall" für eine an hängige internationale Rechtsfrage sein. Das sogenannte „interne Recht" einer internationalen Organisation, welches ja regelmäßig nicht das Verhalten des Forumstaats oder anderer Mitglieder zu regeln un ternimmt, kann unter Umständen vor einem staatlichen Gericht eine Rolle spielen. Schließlich können auch allgemeine Empfehlungen inter nationaler Organisationen vor den Gerichten von Nichtmitgliedstaaten vorgebracht werden. 1. Konkrete Sachentscheidungen
a) Durchsetzung oder Überprüfung aa) Gerichtliche oder schiedsgerichtliche Entscheidungen Als unbestritten kann vorausgesetzt werden, daß internationale Ent scheidungen, insbesondere gerichtlicher oder schiedsgerichtlicher Natur, welche auf eine Leistung gerichtet sind, nur die unmittelbaren Adres saten, also die Parteien des Verfahrens, verpflichten. Für den interna tionalen Gerichtshof erscheint Artikel 59 des Statuts408 in dieser Hin sicht unmißverständlich. Andererseits stellt die Berufung auf solche internationale Entscheidungen oft gerade vor den Gerichten unbetei ligter Staaten eine vielversprechende Möglichkeit ihrer Durchsetzung dar. Bedeutet der Mangel an „bindender Wirkung" solcher Urteile und Schiedssprüche für Drittstaaten, daß die Gerichte dieser Staaten von ihnen keine Notiz zu nehmen haben und sich weigern sollten, bei ihrer 408 „ The decision of the Court has no binding force except between the parties and in respect of that particular case."
11 Schreuer
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Durchsetzung mitzuwirken409 ? Die Fallpraxis gibt zwar keine klare Antwort, verdient aber dennoch Beachtung. In einem israelischen Fall410 stützte sich der Kläger auf ein Urteil des Deutsch-Rumänischen Gemischten Schiedsgerichts aus dem Jahre 1926, in welchem ihm ein Anspruch gegen Deutschland zugesprochen worden war. Er berief sich auf die Bestimmungen eines israelischen Gesetzes, welches die Zahlung deutscher Schulden aus einem Sonderfonds vorsah, soferne sie durch das „Urteil eines zuständigen Gerichtes" festgestellt waren. Der Oberste Gerichtshof Israels verwarf den Anspruch aus der internationalen Entscheidung, indem er den Begriff „zuständiges Ge richt" einschränkend nur auf inländische Gerichte bezog. Die ordent lichen israelischen Gerichte hatten daher über die Forderung erneut in merito zu entscheiden. Anders war die Reaktion eines amerikanischen Bundesgerichts in einem ähnlichen Fall411 , in dem eine deutsche Firma samt ihrer Mar kenzeichen in Frankreich gemäß den Bestimmungen des Vertrags von Versailles liquidiert und an den Kläger verkauft worden war. Die Ver suche der früheren Eigentümer, die Markenzeichen vor französischen Gerichten und vor .dem Französisch-Deutschen Gemischten Schiedsge richt zu beanspruchen, waren abgewiesen worden. Dennoch gründeten sie die beklagte Firma in New York und benützten die Markenzeichen. Das Gericht gab der Klage auf Unterlassung statt und meinte ,, . . . the judgments of the Mixed Franco-German Tribunal are res judicata against defendant corporation . . . " 412 • Im Ergebnis ähnlich sind auch zwei neuere niederländische Fälle413 • In beiden ging es um die Durchsetzung von Schiedssprüchen, welche ausländische Firmen gegen ausländische Staaten bzw. Staatsunterneh men erwirkt hatten. In beiden standen Argumente der Staatenimmuni tät im Vordergrund, wurden jedoch letztlich verworfen414 • In beiden wurde aber auch die Frage geprüft ob ein besonderer Anknüpfungs punkt zum Forumstaat für das Eingreifen niederländischer Gerichte 4 09 In diesem Sinne etwa Simons, Verhältnis der nationalen Gerichtsbar keit, S. 44. 4 10 Steinb erg et al. v. Custodian of German Property, Supreme Court, 7. März 1957, 24 ILR 771 (1957). 411 Societe Vinicole de Champagne v. Mumm Champagne & Co. Inc., Dist. Ct. Southern Dist. N. Y., 13. Dez. 1935, 13 F. Supp. 575, 8 AD 487 (1935 - 37). m 13 F. Supp. 595. 4 13 N. V. Cabolent v. National Iranian Oil Co., Court of Appeal Den Haag, 28. Nov. 1968, 9 ILM 152 (1970) ; Societe Europeenne d'Etudes et d'Entreprises v. Yugoslavia, Supreme Court, 26. Okt. 1973, 5 NYIL 290 (1974), 14 ILM 71 (1975). 4 1 4 Vgl. unten V. B. 1.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
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erforderlich sei. Im einen wie im anderen Fall wurde letztlich das Er fordernis einer besonderen „Binnenbeziehung" abgelehnt415 , ohne daß dabei auf die Frage der Rechtswirkung des Schiedsspruchs in Dritt staaten besonders eingegangen wurde. Diese Gerichtspraxis erlaubt keine eindeutigen Schlußfolgerungen auf eine Verpflichtung staatlicher Gerichte zur Durchsetzung interna tionaler Entscheidungen, zu denen der Forumstaat keine Beziehungen hat. Rechtspolitisch gesehen spricht jedoch einiges für eine Durchsetzung auch durch staatliche Gerichte von Drittstaaten. Rechtsordnungen kennen im wesentlichen zwei Formen der Rechts durchsetzung: Selbsthilfe durch den Berechtigten oder Durchsetzung durch Gemeinschaftsorgane zugunsten des Berechtigten. Die Mittel zur Durchsetzung von Vermögensansprüchen bestehen entweder in indi rektem Zwang, also in persönlichen Nachteilen, die den Schuldner zur Leistung bewegen sollen, oder in direktem Zwang, also der unmittel baren Übertragung der Vermögenswerte vom Schuldner auf den Be rechtigten durch eine Behörde. Mit der fortschreitenden Entwicklung eines Rechtssystems zeigen Selbsthilfe und indirekter Zwang eine Ten denz zurückgedrängt zu werden. Direkter Zwang durch Gemeinschafts organe wird vorherrschend. Gerichte werden als bessere Hüter des Rechts empfunden als Gewaltanwendung durch den Betroffenen. Die Beschlagnahme des Schuldobjekts gilt als zielführender als Schuld haft4 ts. Das Völkerrecht ist bis heute weitgehend von Selbsthilfe und indi rektem Zwang, also Repressalien, beherrscht. Das Verbot der meisten Formen gewaltsamer Selbsthilfe417 , die wachsenden Möglichkeiten für eine gerichtliche oder schiedsgerichtliche Beilegung internationaler Vermögensstreitigkeiten und der immer häufigere Besitz von Vermö genswerten in dritten Staaten sollten jedoch Anlaß sein, die Möglich keiten der Durchsetzung internationaler Verbindlichkeiten neu zu überdenken. Trotz der meist vorhandenen Bereitschaft, internationale Urteile und Schiedssprüche zu erfüllen, bleibt das Fehlen effektiver Durch setzungsverfahren für die meisten internationalen Entscheidungsor gane einer der schwächsten Punkte ihrer Tätigkeit. Nur das Eingreifen von Organen mit einer unmittelbaren Kontrolle über Vermögenswerte des Schuldners wird diesem Mangel abhelfen können. 9 ILM 157 (1970) ; 5 NYIL 293 f. (1974). Vgl. Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 121. 4 17 Neben den allgemeinen Verboten der Gewaltanwendung, die im 20. Jhdt. entwickelt wurden, siehe insbes. das II. Haager Abkommen betreffend die Beschränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden vom 18. Okt. 1907, 2 AJIL Supp. 81 (1908). 4 15
4 18
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Es spricht daher einiges für die Einschaltung von Organen dritter Staaten, insbesondere deren Gerichte, bei der Durchsetzung interna tionaler Vermögensentscheidungen418 • Zwar können diese Gerichte keine bindende Wirkung der internationalen Entscheidung aus der Beteiligung des Forumstaats am internationalen Verfahren ableiten. Die Rolle des Gerichts ist aber hier auch nicht die eines Organs einer verpflichteten Partei, sondern die eines Gemeinschaftsorgans, welches der internationalen Entscheidung zu Effektivität verhilft. Die Wirkung einer endgültigen Entscheidung für ein Durchsetzungsorgan ist eine völlig andere als für eine betroffene Partei und kann keineswegs über den Begriff der Teilnahme am Verfahren verstanden werden. Das staatliche Gericht, welches eine internationale Entscheidung zwischen zwei Parteien durchsetzt, die keine unmittelbare Beziehung zum Fo rumstaat haben, handelt daher nicht namens einer verpflichteten oder berechtigten Partei, sondern als internationales Gemeinschaftsorgan. Im rechtlichen Rahmen des Internationalen Gerichtshofs sind nicht Artikel 94 der UN-Charta und Artikel 59 des Statuts die zutreffenden Bestimmungen für diese Frage, denn sie beschäftigten sich lediglich mit den Pflichten der Parteien, dem Urteil gemäß zu handeln. Die auf dritte Staaten anwendbare Bestimmung ist die allgemeine Pflicht al ler Mitglieder4 19 der Vereinten Nationen, gemäß Artikel 2 (5), die Orga nisation, also auch den Internationalen Gerichtshof, bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Die Pflicht, bei der Verwirklichung internationaler Verpflichtungen, welche durch autoritative internationale Entscheidun gen festgestellt sind, mitzuwirken und ihre Nichterfüllung zu verhin dern, sollte also als Aufgabe aller Staaten und ihrer Gerichte betrachtet werden420 • Für die technische Verwirklichung dieser rechtspolitischen Vorstel lung sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Eine wäre die Behandlung internationaler Urteile und Schiedssprüche analog den Bedingungen über die Anerkennung und Durchsetzung ausländischer Urteile und 4 18 Allgemein zur Frage der Mithilfe von Drittstaaten bei der Durchset zung von Ansprüchen aus internationalen Urteilen siehe Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 142 ; sowie das Plädoyer von Sir Gerald Fitzmaurice im Monetary Gold Fall, welcher argumentierte, daß die Nichterfüllung von Entscheidungen internationaler Rechtsprechungsorgane alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft beträfe: Case of Monetary Gold removed from Rome, ICJ Pleadings, S. 126 (1954). Siehe auch Akehurst, Reprisals by Third States, 44 BYIL 1 (1970) ; Jenks, The Prospects, S. 703 f. 4 19 Bezüglich der Stellung von Nichtmitgliedern der Vereinten Nationen, welche sich an der Arbeit des Internationalen Gerichtshofs beteiligen, siehe Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 123 f. 420 Im gleichen Sinn Reisman, Nullity and Revision, S. 815 f. ; vgl. auch Sehachter, The Enforcement, S. 12. Zur Durchsetzung der Urteile von Ver waltungsgerichten internationaler Organisationen siehe Seyersted, Settle ment of internal disputes, S. 33 f., 54, 93.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
165
Schiedssprüche. Der Erfolg dieser Methode wird allerdings nicht zuletzt von der Anerkennungsfreundlichkeit der betreffenden staatlichen Rechtsordnung abhängen421 . Sie ist daher nicht unproblematisch. Eine andere Möglichkeit bestünde in gesetzlichen Regelungen über die Durchsetzung bestimmter internationaler gerichtlicher oder schieds gerichtlicher Entscheidungen. Allerdings erscheint sie hier kaum reali stisch. Ein besonderes Interesse des Forumstaates an der Durchsetzung internationaler Urteile und Schiedssprüche zwischen Dritten, welches einen Grund für eine derartige Gesetzgebung bieten könnte, ist wohl meist nicht vorhanden. Schließlich bleibt auch die Lösung einer multilateralen Vertrags verpflichtung, welche die Durchsetzung einer internationalen Entschei dung eines rechtsprechenden Organs durch die Gerichte sämtlicher Vertragsparteien vorsieht, selbst wenn diese am besonderen Verfahren nicht teilgenommen haben. Die Weltbankkonvention vom 18. März 1965 zur Regelung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und An gehörigen anderer Staaten422, folgt diesem Gedanken. Neben der Pflicht der Parteien, Schiedssprüche des dort vorgesehenen Schiedsgerichts zu erfüllen, enthält sie eine Pflicht aller Vertragspartner bzw. deren Ge richte, einen solchen Schiedsspruch in ihrem Territorium durchzuset zen42a. bb) Entscheidungen politischer Organe Sachentscheidungen politischer internationaler Organe werden von staatlichen Gerichten nur selten zum Zwecke ihrer Durchsetzung oder Überprüfung herangezogen424 . Die Beachtung solcher Entscheidungen durch die Gerichte hängt überdies weitgehend von der Erlassung staat licher Durchführungsmaßnahmen ab4 25 . Eine Befassung der Gerichte von Drittstaaten426 mit solchen Fällen ist nicht wahrscheinlich und dürfte auch kaum Aussicht auf Erfolg haben427 . Eine Beachtung derar tiger internationaler Entscheidungen durch die Gerichte kann allen falls erwartet werden, wenn sich ein Nichtmitgliedstaat freiwillig beAusführlicher zu dieser Frage unten IV. C. 1. a) aa). 422 Ausführlicher dazu unten S. 201. 423 Art. 54. 424 Vgl. oben III. A. 1. a) bb). 425 Dazu unten IV. C. 1. a) bb). 420 Beachte jedoch, daß etwa der Sicherheitsrat Entscheidungen und An ordnungen auch an Nichtmitgliedstaaten gerichtet hat. Hinweise bei Seyer sted, Is the International Personality of Intergovernmental Organizations valid vis a vis Non-Members?, 4 IJIL 233, 237 (1964). 42 7 Siehe jedoch die Vorschläge von Jenks, The Prospect, S. 706 f., sich bei der Eintreibung von Schulden an internationale Organisationen der Mithilfe staatlicher Gerichte auch dritter Staaten zu bedienen. 42 1
166
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
stimmten Entscheidungen der Organisation unterworfen hat oder seine Beteiligung an bestimmten Maßnahmen erklärt hat428 • Die ausdrück liche Erklärung des Forumstaates auf internationaler Ebene, sowie die entsprechenden gesetzlichen Durchführungsbestimmungen dürften die grundsätzlichen Probleme für das staatliche Gericht jedoch lösen. b)
Die Beurteilung einer Vorfrage
Auch bei der Behandlung von Vorfragen werden Gerichte bisweilen auf internationale Entscheidungen verwiesen, die keine unmittelbare Beziehung zum Forumstaat haben. Dabei kommen vor allem interna tionale Organakte deklaratorischen Charakters in Betracht. Solche de klaratorischen Entscheidungen, mögen sie formell auch nur ganz be stimmte Adressaten haben, genießen doch eine gewisse Autorität erga omnes und sind auch für zunächst Unbeteiligte beachtlich42 9 • Offenkundigstes Beispiel ist eine internationale Entscheidung, welche über den Status eines Territoriums befindet436. Eine zwischen den Streit parteien abschließende Territorialentscheidung stellt die Zugehörigkeit des umstrittenen Land- oder Seegebietes mit objektiver Wirkung fest. Es wäre für einen Drittstaat und dessen Gerichte müßig, etwa die von Norwegen beanspruchte Fischereigrenze mit der Begründung in Zwei fel zu ziehen, das vom Internationalen Gerichtshof 1951 gefällte Urteil sei res inter alias acta. Ähnliches muß auch für die autoritative Feststellung des Status eines Territoriums durch andere Verfahren gelten. In seinem Rechtsgutach ten über Namibia ist der Internationale Gerichtshof spezifisch auf die Rechtsstellung von Drittstaaten, hier also Nichtmitgliedern der Verein ten Nationen, eingegangen: In the view of the Court, the termination of the Mandate and the declara tion of the illegality of South Africa's presence in Namibia are opposable to all States in the sense of barring erga omnes the legality of a situation Which is maintained in violation of international law . . . The Mandate having been terminated by decision of the international organization in which the supervisory authority over its administration was vested, and South Africa's continued presence in Namibia having been declared illegal, it is for non-member States to act in accordance with those decisions431 • 428 Vgl. dazu v. Schenck, Das Problem der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Sanktionen der Vereinten Nationen, besonders im Falle Rhodesiens, 29 ZaöRV 257 (1969) ; R. Bindschedler, Das Problem der Beteili gung der Schweiz an Sanktionen der Vereinigten Nationen, besonders im Falle Rhodesiens, 28 ZaöRV 1 (1968). 429 Vgl. Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 126, 628 f. ; Jenks, The Prospects, S. 712. 43 0 Vgl. Jenks, The Prospects, S. 674 f. 4a 1 ICJ Reports, S. 16, 56 (1971).
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
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Eine von einem sachlich zuständigen internationalen Organ getrof fene autoritative Entscheidung über den Status eines Territoriums ist daher für die Gerichte aller Staaten bei der Beurteilung von Vorfra gen, die dieses Territorium betreffen, zu beachten. Derartige territoriale Vorfragen können etwa im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit einer Person aus diesem Gebiet432, mit der kollisionsrechtlichen Frage des anwendbaren Rechts auf einen Sachverhalt, der einen örtlichen Anknüpfungspunkt zu diesem Territorium hat433, oder der Legalität einer Herrschaftsausübung über dieses Territorium auftreten. Neben Territorialfragen können internationale Entscheidungen aber auch noch in anderen Bereichen eine gewisse objektive Wirkung entfal ten. Die autoritative Feststellung der Legalität oder Illegalität einer Enteignungsmaßnahme kann das Verhalten von Gerichten in Dritt staaten zu Ansprüchen, welche von diesen Maßnahmen herrühren, we sentlich beeinflussen434 • Die Entscheidung eines internationalen Organs über Eigentumsansprüche kann auch für Gerichte unbeteiligter Staaten beachtlich sein. Die Aufnahme in eine internationale Organisation kann eine autoritative Antwort auf die Frage nach der Staatsqualität des Aufnahmewerbers gegenüber anderen Mitgliedern aber auch gegen über Drittstaaten darstellen435 •
c) Präzedenzfälle Die Autorität einer internationalen Entscheidung als „Präzedenz fall" ist weitgehend unabhängig von der Wirkung der Sachentschei dung zwischen den Parteien. Der Sinn ihrer Beachtung liegt in der Beantwortung der Rechtsfrage in abstracto. Eine besondere Anknüp fung bei den Parteien des ursprünglichen Verfahrens erscheint daher nicht sinnvoll. Dennoch gibt es Äußerungen, welche die Beachtlichkeit von internationalen „Präzedenzfällen" von einer besonderen formellen Beziehung zum Forumstaat abhängig machen wollen, von welcher sich dann eine Bindungswirkung ableiten ließe. Die einfachste Methode besteht darin, die Präzedenzwirkung auf jene Staaten zu beschränken, welche am internationalen Verfahren teilge nommen haben. Solcherart wurde argumentiert, daß die internationale Entscheidung zwischen den Parteien des internationalen Verfahrens 432 Vgl. etwa: In re Krüger, Netherlands Council for the Restoration of Legal Rights (Judicial Division), 13. Sept. 1951, 18 ILR 258 (1958). 433 Vgl. etwa : Gutachten des ital. Consiglio di Stato auf Ersuchen des Außenministeriums, 9. Dez. 1958, 43 Rivista DI 321 (1960). 43 4 Vgl. etwa: Anglo-Iranian Oil Co. v. S. U.P.0.R., Court of Rome, 13. Sept. 1954, 22 ILR 23, 41 (1955) ; Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisha, District Court of Tokyo, 1953, 20 ILR 305, 308 (1953). 435 Vgl. etwa : U.S. S.R. v. Luxemburg and Saar Company, Handelsgericht Luxemburg, 2. März 1935, 8 ILR 114 (1935 - 37).
168
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
nicht nur über den besonderen Streit befinde, sondern auch die ab strakte Rechtsfrage mit Wirkung für die Zukunft beantworte436 • Diese Theorie, welche eine Unterwerfung der Parteien unter die in ternationale Entscheidung auch für künftige Fälle konstruieren will, ist unbefriedigend. Einerseits ist die Annahme einer Unterwerfung pro futuro gekünstelt. Andererseits würde diese Theorie jegliche rechtliche Wirkung für staatliche Gerichte ausschließen, die zwar der gleichen Rechtsfrage gegenüberstehen, deren Forumstaat sich aber nicht am in ternationalen Verfahren beteiligt hat. Eine etwas breitere Basis für die Wirkung internationaler Entschei dungen auf künftige Fälle vor staatlichen Gerichten wurde in der Un terwerfung des Forumstaates unter die Gerichtsbarkeit des internatio nalen Organs bezüglich der behandelten Rechtsfrage erblickt. Selbst ohne eine Teilnahme am Verfahren wurde solcherart die abstrakte Zuständigkeit des internationalen Entscheidungsorgans für den Streit gegenstand und gegenüber dem Forumstaat als ein ausreichender An knüpfungspunkt angesehen, um die in der internationalen Entschei dung geäußerte Rechtsansicht für das staatliche Gericht verbindlich zu machen437 • Nach dieser Ansicht würde eine internationale Entscheidung zu einem multilateralen Vertrag, die gemäß einer Vertragsklausel ge fällt wurde, welche eine obligatorische Gerichtsbarkeit für Streitigkei ten aus dessen Auslegung vorsieht, die Gerichte aller Mitgliedstaaten des Vertrags binden. Enthält der Vertrag keine solche allgemeine Streitschlichtungsklausel, so wäre ein Urteil oder Schiedsspruch zwi schen zwei Parteien ohne Wirkung für die anderen Vertragspartner4 38 • Der Mangel dieser Theorie liegt darin, daß sie die Anwendung ma teriellen Rechts von den Zufälligkeiten der Kompetenz des internatio nalen Organs zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig macht. Dies mag noch eine gewisse Überzeugungskraft haben, wenn die Kompe tenzklausel für das internationale Organ mit dem anzuwendenden Ver trag fest verbunden ist. Die Übertragung dieser These etwa auf die Spruchpraxis des Internationalen Gerichtshofs, deren Relevanz dann vom Stand der jeweiligen Unterwerfungserklärung des Forumstaats abhängig wäre, ist jedoch wenig einleuchtend. 438 Huber, Die Fortbildung des Völkerrechts, S. 562 ; Lammasch, Die Rechts kraft internationaler Schiedssprüche, S. 97 f. ; ibid., Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfange, S. 187 ; Pinto, Le juge interne fran(;ais, S. 88. 437 Batiffol, Droit international prive Bd I, S. 47 f. ; Waelbroek, Nature juridique, S. 515 ; etwas vorsichtiger bezüglich der Europäischen Menschen rechtskonvention : Buergenthal, The Effect of the European Convention, S. 103 ; siehe auch Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 81 f., wo die Ablehnung dieser Theorie in Bezug auf den Internationalen Gerichtshof auf Art. 94 (1) der UN Charta gestützt wird. 438 Jenks. The Prospects, S. 735 f.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
169
Eine noch großzügigere Auffassung über die Bedeutung internationa ler Präzedenzentscheidungen für staatliche Gerichte hält einen Ver trag, an welchem der Forumstaat beteiligt ist, in der Form für verbind lich, in der er von einem beliebigen internationalen rechtsprechenden Organ interpretiert wurde439 • Diese Bindung scheint sich aus der ver bindlichen Kraft des Vertrags abzuleiten, dessen Annahme auch künf tige Interpretationsentscheidungen internationaler Organe mitein schließt. Abgesehen davon, daß eine derart weite Konstruktion der Unterwer fung unter einen Vertrag eine etwas gekünstelte Form derivationeller Logik darstellt, ist schwer einzusehen, warum sich diese Wirkung in ternationaler Präzedenzfälle lediglich auf Verträge, nicht aber auf an dere Formen des Völkerrechts beziehen soll. Der Grund für diese privi legierte Stellung der internationalen Spruchpraxis zum Vertragsrecht scheint der offenkundig voluntaristische Charakter der interpretierten Rechtsvorschrift zu sein. Tatsächlich zeigen alle hier dargestellten Theorien ein Bestreben, die Bedeutung internationaler Präzedenzfälle mit der Hilfe eines mehr oder minder fiktiven voluntaristischen Elements zu beweisen. Die Ein sicht in die Nützlichkeit und Notwendigkeit einer Beachtung der inter nationalen Spruchpraxis sollte mit Hilfe einer konstruierten Zustim mung des Forumstaats zur internationalen Entscheidung rationalisiert werden. Das Ergebnis dieser Konstruktion wäre eine „ bindende Wir kung" . Läßt sich die fiktive Zustimmung des Forumstaates nicht ablei ten, so wäre die internationale Entscheidung unbeachtlich. Alle diese Konstruktionen gehen von der Vorstellung aus, interna tionale Präzedenzfälle verkörperten „Regeln", welche für bestimmte Staaten und deren Organe bindend seien. Wie bereits oben im Detail ausgeführt440 , läßt sich jedoch die Bedeutung der internationalen Spruchpraxis viel besser mit Hilfe des relativen Begriffes der Autori tät erfassen. Eine voluntaristische Anknüpfung zwischen dem Forum staat und dem internationalen „Präzedenzfall" erscheint nicht nötig. Das Verhältnis zum internationalen Entscheidungsorgan mag allenfalls ein Element bei der Feststellung der Autorität darstellen. Die in einer internationalen gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Entscheidung ausgedrückte Rechtsansicht kann als eine Aussage über bestehendes Recht für jedes Entscheidungsorgan in einem späteren Fall mit einer ähnlichen Sachlage von Interesse sein. Jede autoritative Entscheidung schafft durch ihre klärende und rechtsfortbildende Funk489 Vorsichtig bereits Zorn, Das völkerrechtliche Werk, S. 364; S0rensen, Principes, S. 119 ; Jenks, The Prospects, S. 745. 440 III. A. 1. c) bb).
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III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
tion Rechtserwartungen auch für die Zukunft. Diese Rechtserwartungen können ihre Auswirkungen in allen Bereichen des internationalen Ent scheidungsprozesses haben und sind nicht von einem formellen Nahe verhältnis zur ursprünglichen Entscheidung abhängig. 2. Internes Organisationsrecht
Eine besondere Stellung nehmen jene Beschlüsse internationaler Or ganisationen ein, welche die Regelung des internen Organisationsbe reichs zum Ziele haben441 • Dieses von der Organisation selbst geschaf fene interne Recht442 unterscheidet sich nicht nur im Objekt der Rege lung, sondern auch in seinem Adressatenkreis ganz wesentlich von dem, was man allgemein unter „Völkerrecht" versteht443 • Zwar ist es auch für die Vertreter der Mitgliedstaaten von Bedeutung und regelt, im Falle von Verfahrensvorschriften, deren Verhalten im Rahmen der Orga nisation. überwiegend beschäftigt es sich aber mit Angelegenheiten wie dem Arbeitsrecht der Angestellten und anderen, meist organisato rischen Fragen. Nach seinem sachlichen wie persönlichen Anwendungs bereich richtet sich dieses Recht daher zunächst meist nicht an die Mit gliedstaaten, sondern an die Organe und Angestellten der Organisation selbst. Dies hat vielleicht etwas voreilig zu der Vermutung geführt, der artige Normen spielten in der Tätigkeit staatlicher Entscheidungsor gane keine Rolle444 • Bei der Entscheidung von Fällen, in welchen die ,,fremde Rechtsordnung" der internationalen Organisation aus kolli sionsrechtlichen Gründen sachlich anwendbar war, haben aber, insbe sondere Bestimmungen des Angestelltenrechts, bisweilen eine ähnliche Rolle vor staatlichen Gerichten gespielt wie ausländisches Recht445 • 44 1 Allgemein zur Kompetenz internationaler Organisationen solche Vor schriften zu erlassen siehe Detter, Law Making by International Organiza tions, S. 42 f.; Asamoah, The Legal Significance, S. 13; Castafieda, Legal Effect of United Nations Resolutions, S. 30 f.; Ermacora, Das Problem der Rechtsetzung, S. 85 f.; Johnson, The Effect of Resolutions, S. 101; Sloan, The Binding Force, S. 4 f.; S0rensen, Principes, S. 92 f.; Virally, La valeur juridique, S. 70 f. 442 Siehe insbes. Focsaneanu, Le droit interne des Nations Unies, 3 AFDI 315 (1957); Cahier, Le droit interne des organisations internationales, 67 RGDIP 563 (1963); Durante, L'ordinamento interno delle Nazioni Unite (1964); Balladore Pallieri, Le droit interne des organisations internationales, 127 RC 1 (1969, II). 4 43 Dazu vgl. Akehurst, The Law governing Employment, S. 249 f.; Miehs ler, Qualifikation und Anwendungsbereich des internen Rechts internatio naler Organisationen, 12 Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völker recht (1973); Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 42 f. 444 Skubiszewski, Legal Nature, S. 195; ibid., Resolutions, S. 83; Dominice, La nature j uridique, S. 250; siehe jedoch Economides, Nature j uridique, S. 227 Anm. 7. 445 Vgl. auch Seyersted, Settlement of internal disputes, S. 84 f.; ibid., Jurisdiction over Organs, S. 506; Jenks, The Proper Law, S. 18 f.
C. Die Rechtswirkung für die Gerichte von Drittstaaten
171
So ist in mehreren Fällen die in den „Staff Regulations" der Organi sation vorgesehene Form der Streitbeilegung zwischen Organisation und Angestellten von staatlichen Gerichten als ausschlaggebend akzep tiert worden446 • Ein amerikanisches Gericht447 berücksichtigte sogar ma terielle Bestimmungen der „Staff Rules" und „Staff Regulations" der Vereinten Nationen, auf welche sich die Beschuldigte in einem Straf verfahren als Rechtfertigungsgrund gestützt hatte. 3. Generell-abstrakte Empfehlungen
Beschlüsse internationaler Organe, welche sich an einen breiten Adressatenkreis, regelmäßig die Gesamtheit der Mitglieder, richten, werden nur selten in den Gerichten von Drittstaaten vorgebracht. Für Beschlüsse von Organisationen mit fast universeller Mitgliedschaft, wie den Vereinten Nationen, kommt eine solche Situation nur in ganz we nigen Staaten in Frage. Aber auch für Regionalorganisationen dürfte diese Möglichkeit meist mehr theoretisch sein. Immerhin gibt es eine Gruppe staatlicher Gerichtsentscheidungen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die zu einer Zeit ge fällt wurden, als der Forumstaat nicht Mitglied der Vereinten Nationen war. Unter diesen findet sich lediglich in der Judikatur des österrei chischen Verfassungsgerichtshofs das Argument, die Menschenrechts erklärung sei für die Gerichte von Nichtmitgliedstaaten unbeachtlich. In einem Erkenntnis aus 1950448 verwarf er eine Berufung auf die All gemeine Erklärung da dieser Beschluß der UN derzeit noch keinen Bestandteil der österreichi schen Rechtsordnung bildet, zumal die Republik Österreich in den Verein ten Nationen noch nicht als Mitglied aufgenommen wurde. Die Überzeugungskraft dieser Begründung ist wohl nicht frei von Zwei feln. Schlechterdings unverständlich ist allerdings ein Erkenntnis aus dem Jahre 1970 449, in welchem der Verfassungsgerichtshof nicht nur die Ansicht wiederholt, die Menschenrechtsdeklaration sei nicht Bestand teil der österreichischen Rechtsordnung, sondern, 1 5 Jahre nach dem Beitritt Österreichs zu den Vereinten Nationen, zur Begründung auf das Erkenntnis von 1950 verweist. 448 Viecelli v. IRO., Tribunale Trieste, 20. Juli 1951, 49 AJIL 102 (1955) ; Maida v. Administration for International Assistance, Corte di cassazione,
27. Mai 1955, 23 ILR 510 (1956) ; 39 Rivista DI 546 (1956). 4 47 Keeney v. U. S., Court of Appeals, D. C., 26. Aug. 1954, 218 F. 2d 843, 20 ILR 382 (1953). 448 5. Okt. 1950, Slg. 2030, ÖJZ 94 (1951), 46 AJIL 161 (1952), 78 Clunet 622 (1951). 449 6. Okt. 1970, Slg. 6260. Vgl. auch den österr. Verwaltungsgerichtshof, 16. Dez. 1966, Slg. 7045 A.
172
III. Die internationale Rechtswirkung des Organaktes
Im Gegensatz zu dieser Haltung steht eine bis in das Jahr 1953 zu rückreichende Judikatur der Gerichte der Deutschen Bundesrepublik. In einer ganzen Reihe von Fällen wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor allem zur Interpretation des deutschen Grund rechtskatalogs · herangezogen, ohne daß in dem Fehlen einer Mitglied schaft der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen ir gendeine Schwierigkeit gesehen wurde450 • Eine Erklärung dieser Praxis mit dem Hinweis, der Inhalt der Allgemeinen Erklärung sei als Völker gewohnheitsrecht angewendet worden, ist nicht überzeugend. In einigen Entscheidungen wurde eigens betont, die Menschenrechtserklärung ge höre nicht zu den „Allgemeinen Regeln des Völkerrechts" im Sinne des Artikel 25 GG451 • Auch in einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts452 findet sich ein knapper Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die in der deutschen und vereinzelt in der schweizerischen Spruch praxis ausgedrückte Auffassung ist sicherlich vorzuziehen. Die Allge meine Erklärung der Menschenrechte, mag sie auch nur von einer be schränkten Staatengruppe und überdies nur als Empfehlung beschlos sen worden sein, verkörpert heute die Rechtsüberzeugung der gesamten Staatengemeinschaft. Eine formelle Bindungswirkung besitzt sie we der für Mitglieder noch für Nichtmitglieder. Als „standard of achieve ment" sollte sie jedoch für alle Staaten und alle ihre Organe größte Autorität besitzen und entsprechend beachtet werden. Allerdings wäre es unangebracht, von der Allgemeinen Erklärung Analogien auf alle internationalen Beschlüsse allgemeinen Charakters zu ziehen. Nur selten kann ein Beschluß einer internationalen Organi sation wie hier legitimerweise als Ausdruck der Rechtserwartungen der gesamten internationalen Gemeinschaft aufgefaßt werden453 • 4 50 Bundesgerichtshof, 21. Jan. 1953, 6 NJW 392 (1953), 20 ILR 370 (1953) ; Bundesgerichtshof, 12. Juli 1955, 8 NJW 1365 (1955), 22 ILR 520, 524 (1955) ; Bundesverwaltungsgericht, 22. Feb. 1956, BVerwGE 3, 171, DVerw. BI. 378 (1956) ; Bundesverfassungsgericht, 17. Jan. 1957, BVerfGE 6, 55 ; Bundesver waltungsgericht, 29. Juni 1957, BVerwGE 5, 153 ; Kammergericht Berlin, 14. Sept. 1961, 14 NJW 2209, 2211 (1961) ; Oberlandesgericht Stuttgart, 5. Nov. 1962, 10 Zeitschr. für das gesamte Familienrecht 39, 41 (1963) ; Bundesverwal tungsgericht, 16. Jan. 1964, 83 DVerw. BI. 983, 984 f. (1968) ; Bundesverfas sungsgericht, 30. Juni 1964, BVerfGE 18, 112, 118; Bundesverfassungsgericht, 15. Dez. 1965, 19 NJW 243 (1966) ; Bundesgerichtshof, 10. Jan. 1966, 19 NJW 726 (1966) ; Bundesverfassungsgericht, 3. Okt. 1969, 23 NJW 235 (1970) ; Bun desverfassungsgericht, 4. Mai 1971, BVerfGE 31, 58 ; Bundesverfassungs gericht, 7. Juli 1971, BVerfGE 31, 229. Hinweise auf weitere Entscheidungen deutscher Gerichte zur Menschenrechtsdeklaration finden sich in 28 ZaöRV 131 (1968). 4 5 1 Dazu vgl. unten IV. C. 5. Anm. 253. 452 Mejia v. RegierungSJTat des Kantons Bern, 9. Mai 1963, 32 ILR 192. 53 Vgl. auch Virally, La valeur juridique, S. 91 f. '
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht A. Die Theorien zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht hat mehrere Gene rationen von Völkerrechtlern wie Staatsrechtlern beschäftigt und zählt zu den umstrittensten Gegenständen der gesamten Disziplin. In keiner anderen Frage zum Völkerrecht ist ein Theorienstreit so beharrlich ausgetragen worden und so kontrovers geblieben. Aus den Schlachtru fen Monismus und Dualismus (bzw. Pluralismus) wurden unzählige literarische Produkte geboren, ihre Darstellung ist fast zu einem obli gaten Ritual jeder Einführung in das Völkerrecht geworden. Eine de taillierte Wiederholung und erneute Würdigung der Argumente er scheint in diesem Zusammenhang weder nützlich noch nötig. Zu einem eindeutigen Sieg für die eine oder die andere Konstruktion konnte es allein deshalb nicht kommen, weil die Argumentationen oft völlig unterschiedliche Ausgangspunkte hatten und ganz verschiedene Zielrichtungen verfolgten1 • Für die einen, insbesondere die Monisten, bestand das Anliegen oft in einem rein theoretischen normlogischen Zu sammenhang2 oder in der Erarbeitung eines einheitlichen rechtlichen Weltbildes3 • Andere, insbesondere die Dualisten, argumentierten aus der Perspektive einer rationalen Erfassung tatsächlich beobachteter Phänomene4 • Wieder anderen ging es bei ihrer Theorie primär um die Verwirklichung rechtspolitischer Ordnungsvorstellungen5 • Angesichts der verschiedenen Methodik darf es nicht verwundern, daß die Ausein andersetzung sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen bewegte und die Argumente nach Auffassung der jeweiligen Widersacher völlig ins Leere gingen. Immerhin hat der Gegensatz zwischen den beiden Schulen im Laufe der Zeit erheblich an Schärfe verloren8 • Der Dualismus in seiner neue1 Vgl. dazu insbes. Wagner, Monismus und Dualismus : Eine methoden kritische Betrachtung zum Theorienstreit, 89 AöR 212 (1964). 2 Siehe etwa Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, 19 ZaöRV 234 (1958). a Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung (1923). 4 Siehe etwa Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899). 5 Siehe etwa Scelle, Precis, S. 345. 8 Vgl. Mosler, L'application, S. 632.
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
ren gemilderten Form7 leugnet nicht mehr, daß sehr wohl Bezugspunkte zwischen den beiden Rechtskreisen bestehen und daß das Völkerrecht nicht ausschließlich Staaten als Adressaten hat. Die Notwendigkeit einer Harmonisierung von Völkerrecht und Landesrecht wird also eingestan den. Über die Qualität solcher Harmonisierungsmaßnahmen mögen allerdings unterschiedliche Auffassungen bestehen. Der gemäßigte Mo nismus in seiner neueren Spielart wiederum hat das von seinen radika len Vorläufern8 erhobene Postulat eines konsequenten Derogationszu sammenhangs innerhalb der gesamten einheitlichen Rechtsordnung aufgegeben und beschränkt seine These auf die Konstruktion eines De legationszusammenhanges oft mehr theoretischer als empirischer oder historischer Natur9 • Soferne die Völkerrechtsordnung als die delegie rende, also den „Primat" besitzende, Rechtsordnung gesehen wird, voll zieht sich die Beseitigung von Widersprüchen materiellrechtlicher Art auch nach monistischer These nicht mehr durch die Nichtigkeit des völkerrechtswidrigen Staatsaktes, sondern entweder durch seine for melle Aufhebung oder auf dem Umwege über die völkerrechtliche Haftung. Auch .hier ist das Ergebnis die Notwendigkeit von Harmo nisierungsmaßnahmen um neben der formellen Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch eine materiell inhaltliche Einheitlichkeit zu si chern. Diese Milderung der Gegensätze hat dem Theorienstreit viel von seiner praktischen Bedeutung geraubt. Die Konsequenzen für das tat sächliche Organverhalten sind oft identisch, wenn auch die theoreti schen Begründungen divergieren. Die Bestimmungen fast aller moder nen Verfassungen und die Praxis staatlicher Organe zum Völkerrecht lassen sich ebenso nach der einen wie nach der anderen der gemäßigten Theorien interpretieren10 • Oft mag die Wahl für die eine oder die an dere Konstruktion primär vom philosophischen Ausgangspunkt 11 oder der praktischen Perspektive des Betrachters 12 abhängen, insbesondere davon, ob ein Völkerrechtler oder Staatsrechtler die Frage betrachtet. Es darf daher nicht weiter verwundern, daß ein wachsender Anteil moderner Autoren ernste Zweifel darüber äußert, ob der Streit um Monismus oder Dualismus überhaupt eine sinnvolle und zielführende Auseinandersetzung darstellt 13 • Siehe z. B. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht (1967). Vgl. etwa Kaufmann, Die Rechtskraft. 9 Vgl. etwa Verdross, Die normative Verknüpfung von Völkerrecht und staatlichem Recht, in Festschrift für Adolf J. Merkl, S. 425 (1970). 10 Vgl. Wagner, Monismus und Dualismus, S. 237. 11 Vgl. etwa Wengler, Reflexions. 1 2 Vgl. Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, S. 84 f. (1971). 13 Siehe bereits Borchard, The Relation between International Law and Municipal Law, 27 Virginia LRev. 137 (1940) ; Parry, The Sources, S. 13; 7
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A. Die Theorien zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht
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Wenngleich die beiden Theorien in ihrer neueren, gemäßigten Form operational weitgehend neutral sind, also zu keinen unterschiedlichen Lösungen konkreter Sachprobleme führen müssen 14, dürfen ihre psy chologischen Auswirkungen doch nicht unterschätzt werden. Nach wie vor wird Monismus bei Primat des Völkerrechts mit „völkerrechts freundlich" und „internationalistisch", Dualismus mit „souveränitäts betont" und „staatsorientiert" assoziiert. Die beiden Theorien mögen zwar rechtslogisch nicht verschiedene Sachentscheidungen erfordern. Ein Entscheidungsorgan, dessen Denken stark von einer der beiden Vorstellungen geprägt ist, kann aber bei der Lösung einer konkreten Frage dennoch von ihr beeinflußt sein. Trotz des weitgehend entscheidungsindifferenten Charakters des Theorienstreits in seiner neueren Form, hat er doch bei der Diskussion um praktische Probleme der Harmonisierung von Völkerrecht und Lan desrecht eine Rolle gespielt. Dazu zählt insbesondere die Frage nach Erfordernis und Natur eines staatsrechtlichen Anwendungsbefehls für Bestimmungen völkerrechtlichen Ursprungs. Daneben wird er bei der Frage des Zusammentreffens materieller Bestimmungen des Völker rechts und des Landesrechts, meist etwas vereinfachend als Frage des ,,Primats" bezeichnet, herangezogen. Schließlich wurden die grundsätz lichen Thesen um das Verhältnis der beiden Rechtskreise auch in die Diskussion um die Stellung von Individuen oder Gesellschaften zum Völkerrecht getragen. Auf alle diese Probleme wird, soweit sie für die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte rele vant sind, in den folgenden Abschnitten im Detail einzugehen sein. Die Schwächen und Grenzen der monistischen wie der dualistischen Konstruktion liegen in einer gemeinsamen Prämisse : Der Fiktion der homogenen, ausschließlich aus klar definierten Normen zusammenge setzten, Rechtsordnung. Nur diese abstrahierte Vorstellung konnte zu den vereinfachenden allumfassenden Theorien führen. Für sie standen begriffliche Klarheit und Einheitlichkeit, nicht aber Realitätsbezogen heit und die Lösung praktischer Probleme im Vordergrund. Die Eigen schaften der Einfachheit und leichten Faßbarkeit bieten sicherlich Vor teile, insbesondere didaktischer Natur. Wo diese Einfachheit jedoch auf Kosten der Wirklichkeitsnähe und praktischen Nützlichkeit erkauft wird, beginnt sie problematisch zu werden. Fitzmaurice, The General Principles of International Law, 92 RC 1, 71 f. (1957, II) ; McDougal, The Impact of International Law upon National Law. Siehe auch die Liste bei Wildhaber, Treaty-Making Power and Constitution, S. 4 Anm. 2 (1971). 1 4 Wagner, Monismus und Dualismus, S. 237 ; vgl. auch die diesbezüglichen Feststellungen zum Verhältnis der verschiedenen monistischen Auffassungen bei Kelsen, Die Einheit, S. 244.
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Eine Rechtsauffassung, welche sich in der Vorstellung eines statischen Regelsystems erschöpft, kann kaum · von Fragestellungen wegführen, welche beim Zusammentreffen mehrerer Rechtskreise stets nur in Hierarchien oder mechanistischen Kategorien wie „brechen", ,,ver drängen" oder „überlagern" operieren. Diese generalisierenden Vorstel lungen bieten nur eine ungenaue und unbefriedigende Beschreibung und Erklärung der in konkreten Entscheidungen zutage tretenden tat sächlichen Vorgänge. Eine detaillierte Beurteilung der Faktoren welche diese tatsächlichen Vorgänge bestimmen, ermöglichen sie nicht. Die Alternative einer Rechtsauffassung nicht nur als Normensystem sondern als autoritativer Entscheidungsprozeß, könnte viele dieser Nachteile beseitigen. Sie würde die Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht weder als ein, noch als zwei getrennte Normensysteme verstehen, sondern als eine Vielzahl von Entscheidungen, welche von hiezu autorisierten Akteuren gesetzt werden und wiederum das Ent scheidungsverhalten anderer Organe mitbestimmen16 • Diese Entschei dungsabläufe spielen sich zwar in meist unterscheidbaren Bereichen eines nationalen oder des über einen Staat hinausreichenden also inter nationalen Sozialprozesses ab, haben jedoch zahlreiche Berührungs punkte und stehen in einer ständigen Wechselbeziehung. Die Art dieser Wechselbeziehungen gilt es im einzelnen zu untersuchen, um Trends im Entscheidungsverhalten festzustellen, Aussagen über wahrschein liche künftige Entscheidungen zu ermöglichen und um, wo angebracht, zweckdienliche Lösungen vorzuschlagen. Die dabei auftretenden Pro bleme, etwa bei der Beachtung völkerrechtlicher Bestimmungen durch staatliche Entscheidungsorgane, sind überaus vielfältig und hängen unter anderem von der Art des internationalen autoritativen Entschei dungsmaterials, der Art des angerufenen staatlichen Organs sowie der Art der zu fällenden Entscheidung ab. All die damit verbundenen un terschiedlichen Fragen lassen sich nicht mit Hilfe schablonenhafter Aus sagen über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht, verbun den mit logischer Derivation, beantworten. Die Verschiedenartigkeit der Beziehungen völkerrechtlicher und landesrechtlicher Entscheidun gen kann nur durch eine differenzierte und problemorientierte Vor gangsweise erfaßt werden. Einzelne Lösungen sind nicht so sehr anhand ihrer theoretischen Systemkonformität als anhand ihrer praktischen Brauchbarkeit zur Lösung konkreter Sachprobleme zu beurteilen. Die folgenden Ausführungen über die Behandlung internationaler Organ akte durch staatliche Gerichte werden daher keiner der beiden bekann ten Theorien folgen. Sie sollen vielmehr auf der Grundlage der tat sächlichen Entscheidungspraxis den Versuch einiger rechtspolitischer 15
Vgl. McDougal, The Impact, S. 37.
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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Empfehlungen bieten, welche an Erwägungen ihrer Nützlichkeit zur Lösung konkreter Probleme orientiert sind. B. Der staatliche Anwendungsbefehl 1. Allgemein Im Bereich staatlicher Rechtsordnungen existieren eine Reihe spezi fischer Vorkehrungen, um die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflich tungen zu gewährleisten. Derartige Vorkehrungen variieren in ihrem Grade an Abstraktheit und reichen von allgemeinen Bestimmungen in der Verfassung bis zu konkreten administrativen Maßnahmen. Ein Großteil dieser Vorkehrungen besteht aus allgemeinen Rechtsbefehlen an Anwendungsorgane, welche darauf abzielen, deren Entscheidungen im Einzelfall in Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Bestimmungen zu bringen. Die Ausgestaltung dieser in den einzelnen staatlichen Rechtsordnungen enthaltenen Vorkehrungen ist in der Literatur wie derholt im Detail beschrieben worden16 • Über Natur und rechtliche Wirkung dieser Rechtsbefehle des staat lichen Rechts herrschen unterschiedliche Auffassungen. Eine vom duali stischen Denken stark beeinflußte Ansicht erblickt darin eine Umwand lung völkerrechtlicher Normen in staatliches Recht. Die Bestimmung verlöre solcherart ihre völkerrechtliche Natur und sei als Bestandteil des Landesrechts anzuwenden. Diese auf der Vorstellung eines Recht setzungsmonopols für bestimmte Staatsorgane beruhende Konstruktion kann sich insbesondere auf die den staatlichen Legislativorganen oft eingeräumte Mitwirkung beim Zustandekommen internationaler Ver träge stützen. Die vom Legislativorgan gegebene Zustimmung zum Vertragsinhalt wird gleichzeitig als konstitutiver Akt staatlicher Recht setzung verstanden. Der Vertragstext wird überdies im staatlichen Publikationsorgan, ähnlich wie ein Gesetz, verlautbart. Diese Auffas sung erscheint insbesondere dann einleuchtend wenn der legislative Genehmigungsakt unabhängig von der Ü bernahme der völkerrecht lichen Vertragsverpflichtung erfolgt oder das staatliche Legislativor gan über den internationalen Vertragstext hinausgehende detaillierte Bestimmungen erläßt. Bedeutend weniger überzeugend wirkt diese ,,Transformationstheorie" auf dem Gebiete des nichtvertraglichen Völ kerrechts, in welchem voluntaristische Elemente beim Zustandekom men von Verpflichtungen eine geringere Rolle spielen und daher auch 10 Siehe etwa die Bibliographie bei Wagner, Monismus und Dualismus, S. 239, Anm. 98; sowie McDougal, The Impact, S. 75; Mosler, L'application, S. 636 f. ; Seidl-Hohenveldern, Transformation or Adoption of International Law into Municipal Law, 12 ICLQ 88 (1963) ; van Panhuys, Relations and Interactions, S. 37 f. ; Lillich, The Proper Role, S. 13 f.
12 Schreuer
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
für das Eingreifen staatlicher Legislativorgane bedeutend weniger Raum bleibt. Dennoch wurden Generalklauseln, welche die Anwendung des nichtvertraglichen Völkerrechts durch Staatsorgane .gewährleisten sollten, auch als eine Form konstitutiver staatlicher Normsetzung im Sinne einer Umwandlung oder Transformation des Völkerrechts in entsprechende landesrechtliche Normen konstruiert17. Diese vor allem in England, Deutschland und Italien vertretene Transformationstheorie führt, konsequent angewendet, zu unbefriedi genden Ergebnissen. Insbesondere bei der Auslegung völkerrechtlicher Verpflichtungen1 8 sowie der Abänderung oder Beendigung 1 9 von Be stimmungen internationalen Ursprungs können sich aus der Konstruk tion einer Rezeption völkerrechtlicher Normen in das Landesrecht un tragbare Konsequenzen ergeben20. Eine andere Auffassung, welche diesen Schwierigkeiten Rechnung trägt, versteht die staatlichen Rechtsbefehle zur Gewährleistung der getreulichen Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch staat liche Organe nicht im Sinne von Rezeptions- oder Geltungsnormen, sondern lediglich als Anwendungsbefehle für das Völkerrecht als sol ches. Die internationalen Bestimmungen ändern hier ihren Charakter nicht und werden im Zusammenhang des Völkerrechts ausgelegt und angewandt. Diese oft als „Adoptionstheorie" 21 bezeichnete Lösung zeigt Anzeichen, auch in Deutschland in der Form der sogenannten „Voll zugstheorie" 22 Fuß zu fassen. Nach ihr wird die staatsrechtliche Maß nahme nur als ein Befehl zum Vollzug der völkerrechtlichen Bestim mung verstanden, ohne deren Geltungsgrund zu verändern. Diese Auf fassung einer Anwendung des Völkerrechts als Völkerrecht, jedoch kraft staatlicher Norm ist geeignet zu einem von kollisionsrechtlichen Vorstellungen geprägten Verständnis vom Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht zu führen. Die Anwendung bleibt zwar durch den staatlichen Rechtsbefehl bedingt, dieser wird jedoch als Verweis auf das fremde Recht, das Völkerrecht gesehen23 • 17 Siehe insbes. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 239 f. m. w. H. ; Schlochauer, Das Verhältnis, S. 1 8 ; Thieme, Das Grundgesetz, S. 55. 18 Vgl. Schreuer, The Interpretation, S. 256 f. 19 Siehe dazu die ungewöhnliche Bestimmung des Art. 28 der französischen Verfassung vom 27. 10. 1946, welche eine parlamentarische Mitwirkung auch bei der Auflösung von Verträgen vorsah. 20 Eine umfassende Darstellung findet sich insbesondere bei Partsch, Die Anwendung, S. 90 f. ; vgl. auch Jenks, The Prospects, S. 745 f. 21 Siehe dazu Seidl-Hohenveldern, Transformation or Adoption; Morgen stern, Judicial Practice and the Supremacy of International Law, 27 BYIL 42, 61 f. (1950). 22 Partsch, Die Anwendung ; Boehmer, Der völkerrechtliche Vertrag im deutschen Recht (1965).
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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Eine Prämisse, welche diesen beiden Theorien über die Wirkung staatlicher Rechtsvorschriften zur Gewährleistung völkerrechtskonfor mer Entscheidungen staatlicher Organe gemeinsam ist, betrifft die ab solute Herrschaft der staatlichen Rechtsordnung über die Frage ob, in welchem Ausmaße und in welcher Weise Völkerrecht angewandt wird24 • Der Umstand, daß die staatlichen Rechtsanwendungsorgane Geschöpfe der staatlichen Rechtsordnung sind, wird von den Vertretern dieser Theorien als selbstverständlicher Grund dafür gewertet, daß sie auch ausschließlich gemäß den Dispositionen dieser Rechtsordnung zu han deln haben. Die Tatsache, daß viele Rechtsordnungen solche Disposi tionen enthalten und bei Entscheidungen zu völkerrechtlichen Fra gen häufig auf sie verwiesen wird, scheint diese Annahme zu stützen. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, daß das Entscheidungsver halten staatlicher Rechtsanwendungsorgane zu völkerrechtlichen Fra gen nicht immer ausschließlich auf entsprechende staatliche Transfor mations- oder Vollzugsnormen zurückgeführt werden kann25 • Insbeson dere fällt auf, daß auch in jenen Ländern, deren Rechtsordnungen keine ausdrücklichen Befehle zur Anwendung nichtvertraglichen Völker rechts enthalten26, das Völkergewohnheitsrecht mit größter Selbstver ständlichkeit angewandt wird27 • Die Behauptung einer gewohnheits rechtlichen Verfassungsnorm, welche dieses Verhalten sanktioniere, hat, insbesondere in Ländern mit geschriebenen Verfassungen, stark fiktiven Charakter und läßt sich wohl nur mittels einer petitio principii aufrechterhalten28 • Aus tatsächlichem Organverhalten kann schwerlich eine staatliche Rechtsnorm interpoliert werden, um eben den Verdacht einer Organpraxis ohne staatliche Rechtsgrundlage zu widerlegen. Ähnliche, wenn auch weniger spektakuläre Beispiele gibt es aus dem Vertragsrecht: Selbst in Fällen einer speziellen Transformation ver traglicher Bestimmungen durch staatliches Gesetzesrecht läßt sich ein Rückgriff auf das völkerrechtliche Dokument nachweisen29• 23 Wengler, Reflexions, S. 924 f. ; Strebe!, Das Völkerrecht als Gegenstand von Verweisungen und Begriffsübernahmen, von Kollisionsregeln und Re zeption im nationalen Recht, 28 ZaöRV 503 (1968). 24 Wengler, Reflexions, S. 924; van Panhuys, Relations and interactions, S. 45 ; Mosler, L'application, S. 640; Kraus, Der deutsche Richter und das Völkerrecht, in Festschrift für Rudolf Laun, S. 223 (1953). 25 Partsch, Die Anwendung, S. 84, 157 ; van Panhuys, Relations and Inter actions, S. 46 ; Mosler, L'application, S. 689 ; Morgenstern, Judicial Practice, S. 52 ; Seidl-Hohenveldern, Transformation or Adoption, S. 90 f. ; Alexandro wicz, International Law in the Municipal Sphere, S. 92. 2 8 Siehe etwa die Verfassungen der Vereinigten Staaten, der Niederlande und der Schweiz. 27 Dominice, La nature juridique, S. 251. 28 Vgl. auch Wagner, Monismus und Dualismus, S. 237 ; Verdross, Völker recht und staatliches Recht, in Klecatsky et al. (Hrsg.), Die Wiener rechts theoretische Schule, S. 2063, 2066 (1968).
12•
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Diese Beispiele deuten darauf hin, daß die Prämisse von der alleini gen Dispositionsmacht des staatlichen Rechts über das Verhalten staat licher Organe in völkerrechtlichen Angelegenheiten nur mit Ein schränkungen zu verstehen ist30 • Es erhebt sich die Frage, ob diese An nahme nicht ein Produkt der oben bereits kurz behandelten schemati sierenden Auffassung vom Verhältnis von Völkerrecht und Landes recht ist. Folgt aus der Tatsache, daß Rechtsanwendungsorgane wie Ge richte durch das staatliche Recht eingerichtet sind und ihm ihre Autori tät verdanken tatsächlich notwendigerweise, daß sie in ihrer Entschei dungstätigkeit ausschließlich diesem staatlichen Recht unterworfen sind? Ist die Vorstellung vom Völkerrecht als einem fremden Recht, welches ebenso wie ausländisches Recht nur mittels Rezeption oder staatlicher Kollisionsnormen angewendet werden kann, zutreffend oder wäre es nicht vielleicht passender, das Völkerrecht als ein gemeinsa mes und nicht als ein ausländisches Recht zu betrachten? Wird die Rechtsordnung nicht als ein in sich geschlossenes, nach au ßen abgekapseltes Normensystem, sondern im Sinne autoritativer Ent scheidungsabläufe gesehen, so verlagert sich das Problem von einem Eindringen fremder Rechtsnormen in die staatliche Rechtsordnung weitgehend in eine Frage der Organzuständigkeit. Die . wesentliche Frage ist dann nicht mehr, ob die Vorschriften des Völkerrechts als eines fremden Rechts in der staatlichen Rechtsordnung gelten oder an wendbar sind, sondern vielmehr welche staatlichen Organe aufgrund welcher völkerrechtlichen Bestimmungen oder Entscheidungen welche Entscheidungen zu fällen haben. Diese Frage wiederum sollte nicht Gegenstand grundsätzlicher dogmatischer Überlegungen sein, sondern nach den Erfordernissen der besonderen Umstände beantwortet wer denst . Die Auffassung von der „innerstaatlichen" Verbindlichkeit, welche erst durch das Eingreifen bestimmter Organe herbeigeführt wird, ba siert offensichtlich auf der Ansicht, daß das Völkerrecht sich zunächst nur an ganz bestimmte Staatsorgane richten könne. Völkerrechtlich re levante Fragen treten jedoch · heute in den verschiedensten Bereichen menschlicher Beziehungen auf und sind keineswegs auf Staaten bzw. 2 9 Alexandrowicz, International Law in the Municipal Sphere, S. 87 f. ; Schreuer, The Interpretation, S. 257 f. mit einer Übersicht über die englische Fallpraxis. Siehe auch die Praxis französischer Gerichte zu nicht kundge machten Verträgen bei Ruzie, Les procedes de mise en vigueur des engage ments internationaux pris par la France, 101 Clunet 562, 570 (1974). 30 In diesem Sinne siehe bereits den erstmalig 1920 veröffentlichten Auf satz von Verdross, Völkerrecht und staatliches Recht. 31 Vgl. auch McDougal, The Impact, S. 72 : ,,The fact is that such terms as ,transformation', ,incorporation' and ,adoption' are but metaphors of ill defined reference, deriving wbatever meaning · they have from the limiting conception of law, international and national, as abstracted rules."
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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bestimmte ihrer Organe beschränkt. Aus diesem Grunde erscheint eine aprioristische Vorstellung von einem sogenannten „innerstaatlichen Bereich", für den Bestimmungen völkerrechtlichen Ursprungs nur dann erheblich sind, wenn sie von ganz bestimmten Staatsorganen aus einem offenbar außerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Bereich übertra gen worden sind, nicht sinnvoll. Aus diesen Überlegungen folgt keineswegs im Sinne einer verein fachend monistischen Vorstellung, daß generelle Vorkehrungen des staatlichen Rechts zur Sicherung des völkerrechtskonformen Verhaltens staatlicher Entscheidungsorgane, wie etwa ausdrückliche Anwendungs befehle oder Ausführungsnormen, überflüssig oder gar völkerrechts widrig seien. Derartige Bestimmungen des staatlichen Rechts haben eine wichtige Funktion und üben einen ganz wesentlichen Einfluß auf das Entscheidungsverhalten anderer staatlicher Organe zu konkreten Sachverhalten aus. Aus dieser Tatsache darf jedoch nicht die Schluß folgerung der Exklusivität von Geltung wie tatsächlichem Einfluß die ser staatlichen Normen oder Grundsatzentscheidungen gezogen werden. Das Völkerrecht steht zwar den verfahrensrechtlichen Details seiner Durchführung neutral gegenüber und beharrt keineswegs auf einer so genannten „unmittelbaren Anwendung" 32 • Dennoch erhebt es sowohl bezüglich der Rechtsunterworfenen als auch der Entscheidungsorgane grundsätzlich einen umfassenden Anwendungsanspruch. Es beschränkt sich institutionell nicht auf gewisse internationale oder auswärtige Organe des Staates. Wenn die Entscheidungs- und Vollzugstätigkeit staatlicher Organe zu völkerrechtlich erheblichen Angelegenheiten er forderlich ist, verbleibt also lediglich die praktische Frage, welche Or gantypen für dieses Eingreifen geeignet sind und ob auch andere Staatsorgane in den Entscheidungsprozeß eingeschaltet werden sollen, bevor eine völkerrechtliche Bestimmung etwa von einem Gericht auf einen konkreten Fall angewandt wird. Ein staatliches Gericht ist zwar ein Produkt der staatlichen Rechts ordnung, sieht sich aber dennoch auch einem Geltungsanspruch des Völkerrechts gegenübergestellt. Fällt es Entscheidungen von völker rechtlicher Bedeutung, so handelt es funktionell auch als völkerrecht liches Entscheidungsorgan, unabhängig davon, ob auch ein staatlicher Rechtsanwendungsbefehl vorliegt33 • Dies ist selbst dann der Fall, wenn sich das Gericht dieser Funktion gar nicht bewußt ist. Das staatliche Gericht gebraucht also seine von der staatlichen Rechtsordnung einge richtete institutionelle Kompetenz, um die Bestimmungen der Völker rechtsordnung; welche derartiger Organe ermangelt, zur Effektivität 3
z Vgl. Partsch, Die Anwendung, S. 31, 158. Siehe dazu oben S. 26 f. sowie die dort angeführten Anmerkungen.
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IV.Der internationale Organakt und das staatliche Recht
zu bringen34 • Die Rechtsordnung, welcher ein Organ organisatorisch zu gehört, ist nicht notwendigerweise identisch mit der Rechtsordnung, welche materiell angewandt wird35 • Nach dieser Idee des dedoublement fonctionnel wendet das staatliche Gericht Völkerrecht auch kraft des sen eigener Autorität und nicht notwendigerweise aufgrund eines staatlichen Anwendungsbefehls oder einer Verweisung an. Die Anwen dung der Völkerrechtsordnung ergibt sich also auch aus deren eigenem Geltungsanspruch für gewisse materielle Fragen und ist nicht aus schließlich von der organisatorischen Stellung des Anwendungsorgans abhängig38 • Das Vorhandensein ergänzender oder widersprechender Rechtsbefehle des staatlichen Rechts ist zwar für das Entscheidungsver halten bedeutsam, aber nicht notwendigerweise allein ausschlaggebend. In kollisionsrechtlicher Terminologie ausgedrückt bedeutet dies, daß das Völkerrecht zwar nicht eine Einheit mit dem Landesrecht ist, wie das von Vertretern des Monismus behauptet wird, aber dennoch auch lex fori ist. Es ist das Recht der gesamten Völkerrechtsgemeinschaft, seine Anwendung ist weder territorial auf bestimmte Rechtsbezirke noch organisatorisch auf bestimmte Organe beschränkt. Ein Verweis des Landesrechts auf bestimmte Typen oder Bestimmungen des Völ kerrechts ist nicht notwendige Voraussetzung seiner Anwendung. Es ist weder ein „übergeordnetes" (so der Monismus) noch ein „auswärtiges" (so der Dualismus) Recht, sondern ein gemeinsames Recht. Eine kol lisionsrechtliche Lösung zum Verhältnis von Völkerrecht und Landes recht wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn die im besonderen Falle an zuwendenden völkerrechtlichen Bestimmungen keinen universellen Geltungsanspruch haben und nicht an die Organe bzw. Angehörigen des Forumstaates gerichtet sind. Dazu gehören Staatsverträge zwi schen Drittstaaten, regionales Völkergewohnheitsrecht, insbesondere aber Entscheidungen internationaler Organe mit einem begrenzten Adressatenkreis, etwa zwischen den Parteien eines Urteils, oder zwi schen den Mitgliedern einer internationalen Organisation. Anknüp fungen und Verweisungen wären hier sowohl im örtlichen Staatsrecht als auch im allgemeinen Völkerrecht zu suchen. 3'
Vgl. insbes. Scelle, Le phenomene, S. 331 f. Eine in Umkehrung der Transformationstheorie operierende These wonach staatliches Recht in Völkerrecht ,transformiert' werden müsse um von internationalen Gerichten und Schiedsgerichten angewendet zu werden, scheint nicht ernsthaft vorgebracht worden zu sein. Vgl. dazu van Panhuys, Relations and interactions, S. 20. 38 Vgl. auch die analoge Situation in einem Bundesstaat, in welchem Glied staatenorgane Bundesrecht anwenden. Dazu van Panhuys, Relations and interactions, S. 8, 37; siehe auch das verwandte Problem bei Jessup, The Doctrine of Erie Railroad v. Tompkins applied to International Law, 33 AJIL 740 (1939). 35
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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Zusammenfassend ist also zu sagen: Der Anwendungsbefehl für das Völkerrecht im staatlichen Recht, sei er generell oder individuell, ist ein wichtiger Teil des Entscheidungsprozesses zu völkerrechtlichen Fragen und beeinflußt insbesondere auch das Verhalten der Gerichte. In manchen Fällen, insbesondere wenn die Spezifizierung inhaltlich unklarer Völkerrechtsverpflichtungen nötig ist, oder die Haltung des Forumstaates zu behaupteten völkerrechtlichen Bestimmungen oder Entscheidungen, deren Autorität zweifelhaft erscheint, eine Rolle spielt, sind Direktiven des staatlichen Rechts zur Anwendung des Völkerrechts von größter Wichtigkeit. Wenn der Anwendungsbefehl des staatlichen Rechts mehr programmatischen Charakter hat, kann er immerhin ein wichtiges zusätzliches Element für das völkerrechtskonforme Verhal ten von Entscheidungsorganen darstellen. Andererseits ist es jedoch weder theoretisch zwingend noch praktisch nachweisbar, einen aus drücklichen staatlichen Befehl zur Anwendung des Völkerrechts als das allein ausschlaggebende Kriterium für das Verhalten staatlicher Ge richte gegenüber dem Völkerrecht zu betrachten. In einer Situation, in der weder schwerwiegende Zweifel am Bestehen einer völkerrecht lichen Verpflichtung noch an deren inhaltlicher Ausgestaltung beste hen, ist ein Eingreifen legislativer Organe daher nicht zwingende Vor aussetzung für ein entsprechendes Entscheidungsverhalten staatlicher Rechtsanwendungsorgane. 2. Anwendungsbefehle und Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
Die Frage der Beachtung völkerrechtlicher Bestimmungen durch staatliche Entscheidungsorgane ist für das Vertragsrecht und das Ge wohnheitsrecht in den meisten staatlichen Rechtsordnungen in ihren wesentlichen Aspekten beantwortet, wenngleich zahlreiche Einzelfra gen oft noch ungeklärt bleiben. Sie unterliegt oft ausdrücklichen ver fassungsrechtlichen Bestimmungen und ist Gegenstand einer umfang reichen Praxis und wissenschaftlichen Behandlung37 • Demgegenüber hat die Anwendung internationaler Organakte, abgesehen vom europä ischen Gemeinschaftsrecht, bisher nur wenig Beachtung gefunden. Die in der Literatur auftretenden Aussagen sind meist generell und ohne eine differenzierte Betrachtung der besonderen Probleme für verschie dene Arten von Organakten38 • Die Maßnahmen gesetzgebender und exekutiver Organe sind uneinheitlich und lückenhaft. In dieser SituaVgl. die Hinweise oben Anm. 16. Siehe etwa Papacostas, Nature juridique; S0rensen, Principes, S. 120 f. ; Zacklin, The United Nations and Rhodesia, S. 76 f., sowie die pauschalen Aussagen über alle nicht von den Europäischen Gemeinschaften herrühren den Organakte bei Skubiszewski, Enactment, S. 267. 37
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
tion können aus einer Untersuchung der staatlichen Gerichtspraxis kaum einfache Ergebnisse erwartet werden. Aus der Perspektive des staatlichen Gesetzgebers ergeben sich meh rere Möglichkeiten, um der Forderung nach einer Transformation oder einem Vollzugsbefehl nachzukommen. Die konsequenteste und verfas sungsrechtlich unbedenklichste Lösung besteht sicherlich in einer gene rellen Verfassungsbestimmung, welche analog den Regelungen für völ kerrechtliche Verträge, die Anwendung gewisser Beschlüsse internatio naler Organe vorsieht. Das Ergebnis einer vergleichenden Durchsicht moderner Staatsverfassungen auf das Vorhandensein derartiger Be stimmungen ist allerdings wenig ergiebig39 • Zwar enthalten eine Reihe von Verfassungen Hinweise auf die internationale organisierte Zu sammenarbeit, doch können die meisten dieser Bestimmungen schwer lich als Rechtsanwendungsbefehle für Beschlüsse internationaler Or gane interpretiert werden. In einer Reihe europäischer Staaten wurde im bevorstehenden Bei tritt zu den Europäischen Gemeinschaften die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung gesehen40 • Andere Staaten hatten schon vorher diesbezügliche Verfassungsbestimmungen oder führten sie erst nach dem Beitritt zu den Gemeinschaften ein. So enthalten insbesondere die Verfassungen der BRD4 1 , ltaliens42, der Niederlande43 , Belgiens44 , Lu39 Allgemein siehe insbes. Mangoldt, Das Völkerrecht in den neuen Staats verfassungen, 3 Jahrb. IR 1 1 (1950/51) ; Wildhaber, Treaty-Making Power, S. 384 f. ; P. de Visscher, Les tendances internationales des constitutions modernes, 80 RC 515, 545 f. (1952, I) ; Miele, Les Organisations internationales et le domaine constitutionel des etats, S. 388 f. ; Stein, Application and En forcement of International Organization Law by National Authorities and Courts, in Sehwebei (Hrsg.), The Effectiveness of International Decisions, s. 66 (1971). 40 Wildhaber, Treaty-Making Power, S. 384 f. ; Hunnings, Constitutional Implications of joining the Common Market, 6 CMLRev. 50 (1968 - 69) ; Gaudet, The European Communities, in Sehwebei (Hrsg.), The Effectiveness of International Decisions 309, 320 (1971). 4 1 Art. 24 Grundgesetz : (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Ein richtungen übertragen. (2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseiti ger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkun gen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Verein barungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten. Vgl. auch Art. 80 a des Grundgesetzes wonach Notstandsgesetze unter anderem auch auf Grund eines Beschlusses einer internationalen Organisa tion anwendbar werden. Dabei ist offenbar an die NATO gedacht. Vgl. dazu insbes. Maunz / Dürig, Kommentar zum Grundgesetz Art. 80 a, S. 20 f. (1964).
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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xemburgs45 , Dänemarks4 6 aber auch Norwegens4 7 und Schwedens48 Klau seln, welche die Übertragung von Befugnissen an internationale Organi sationen oder Einrichtungen vorsehen. Frankreich hatte eine ähnliche Bestimmung in der Präambel der Verfassung von 194649 • 12
Art. 1 1 : Italy . . . agrees, on conditions . o f equality with other states, to such limita tion of sovereignty as may be necessary for a system calculated to ensure peace and justice between Nations : it promotes and encourages interna tional organizations having such ends in view. übersetzung aus Peaslee, Constitutions of Nations Bd. III, S. 50 (1968) ; vgl. auch den Hinweis auf die internationale Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichts barkeit in Art. 80. 43 Art. 67 : Subject, where necessary, to the provisions of Article 63, certain powers with respect to legislation, administration and jurisdiction may by or in virtue of an agreement be conferred on organizations based on internatio nal law. With regard to decisions made by organizations based on international law, Article 65 and 66 shall similarly apply. übersetzung aus Peaslee, Constitutions Bd. III, S. 660. Siehe hiezu Zimmer mann, Die Neuregelung der auswärtigen Gewalt in der Verfassung der Nie derlande, 15 ZaöRV 164, 203 f. (1953/54) ; Bauer, Die niederländische Ver fassungsänderung von 1956 betreffend die auswärtige Gewalt, 18 ZaöRV 137, 153 (1957) ; van Panhuys, The Netherlands Constitution and International Law, 47 AJIL 537 (1953) und 58 AJIL 88 (1964). 44 Art. 25bis: L'exercice de pouvoirs determines peut etre attribue par un traite ou par une loi a des institutions de droit international public. (Verfassungsnovelle vom 20. Juli 1970) Vgl. dazu Louis, L'article 25bis de la Constitution belge, 13 Revue du Marche Commun 410 (1970) ; Ganshof van der Meersch, Vanwelkenhuyzen, La Constitution Belge, in Corpus Constitutionnel, S. 569, 588 (1968 - 72) ; Senelle, Kommentar der belgischen Verfassung, S. 75 f. 45 Art. 49bis: Die Ausübung von Befugnissen, welche durch die Verfassung der gesetz gebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt vorbe halten sind, kann vorübergehend durch Vertrag an völkerrechtliche Ein richtungen übertragen werden. 46 Art. 20 (1) : Powers vested in the authorities of the Realm under this Constitution Act may, to such extent as shall be provided by Statute, be delegated to inter national authorities set up by mutual agreement with other states for the promotion of international rules of law and co-operation. Übersetzung aus Peaslee, Constitutions Bd. III, S. 256 ; vgl. dazu Marcus, Die dänische Verfassung vom 5. Juni 1953 und das Thronfolgegesetz vom 27. März 1953, 15 ZaöRV 211, 215 (1953/54). 47 Art. 93 : In order to secure international peace and security, or in order to promote international law and order and co-operation between nations, the Storting may, by a three-fourths majority, consent that an international organiza tion of which Norway is or becomes a member, shall have the right, within a functionally limited field, to exercise powers which in accordance with this Constitution are normally vested in the Norwegian authorities, exclu sive of the power to alter this Constitution. For such consent as provided
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
In anderen Verfassungen geben die Hinweise auf internationale Institutionen noch weniger Auskunft auf unsere Frage. Sie treten ent weder in der Form von programmatischen Erklärungen50 oder von in ternen Kompetenzbestimmungen51 auf. In einigen weiteren Staaten werden die Fragen der Verfassungsmäßigkeit des Beitritts zu interna tionalen Organisationen derzeit noch diskutiert und es wird die Not wendigkeit einer Verfassungsänderung erwogen52 • Nur am Rande sei vermerkt, daß die Zustimmung zu Entscheidungs befugnissen internationaler Organe, ganz abgesehen von der hier inter essierenden Frage eines staatlichen Anwendungsbefehls, erhebliche above at least two thirds of the members of the Storting - the same quo rum as is requi�d for changes in or amendments to this Constitution shall be present. The provisions of the preceding paragraph do not apply in cases of membership in an international organization, the decisions of which are not binding in Norway except as obligations under international law. Übersetzung aus Peaslee, Constitutions Bd. III, S. 703. Vgl. dazu Anderson, Supranational Delegation Clauses in Scandinavian Constitutions, 18 Western Political Quarterly 840 (1965) ; Hambro, The New Provisions for International Collaboration in the Constitution of Norway, in Hommage Guggenheim 557, 561 f. (1968) ; Castberg, Histoire de l'interpretation d'une disposition constitu tionelle, in Melanges Rolin 30, 36 f. (1964). 48 Art. 81, Abs. 3 : The right to make decisions which, according to this Constitution belongs to the King and Riksdag either separately or together, or to another organ of the State, when such decisions do not relate to the drawing up, amend ment, interpretation or revocation of the Constitution, may, in a limited sphere, be handed over to an international organization for peaceful co-existence of which the country is or is becoming a member. Übersetzung aus Peaslee, Constitutions Bd. III, S. 863. 49 „Sous reserve de reciprocite, la France consent aux limitations de souverainete necessaires a l'organisation et a la defense de la paix." Zit. n. P. de Visscher, Les tendances, S. 549 ; vgl. auch Scelle, Da la pretendue in constitutionalite interne des traites, 58 Revue du droit public et de la science politique 1012, 1018 f. (1952). 50 Siehe etwa Art. 11 der Algerischen Verfassung : La Republique donne son adhesion a la Declaration universelle des droits de l'Homme. Convaincue de la necessite de la cooperation internationale, elle donnera son adhesion a toute organisation internationale repondant aux aspirations du peuple algerien. 51 Siehe Art. 8 (1) der Verfassung Brasiliens ; Art. 246 § 1 der Seventh Schedule (12) u. (13) der Verfassung Indiens; Art. 56 der Verfassung Süd koreas ; Art. 67 der Verfassung Togos ; Art. 76 (1) (a) der Verfassung Malaysias. 52 Zur Situation in der Schweiz siehe insbes. Schindler, Supranationale Organisationen und schweizerische Bundesverfassung, 57 Schw. Jur. Z. 197 (1961); Guggenheim, Organisations supranationales, independance et neu tralite de la Suisse, 97 Zeitschr. f. Schw. R. 221 (1963 II) ; Wildhaber, Vor schläge zur Verfassungsrevision betreffend den Abschluß internationaler Verträge, 65 Schw. Jur. Z. 1 17, 122 f. (1969) ; ibid., Treaty-Making Power, S. 395 ; Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums vom 23. Okt. 1974.
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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verfassungsrechtliche Schwierigkeiten bereiten kann53 • In Staaten, wel che einen Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften nicht beabsich tigen und daher zunächst keine aktuelle Notwendigkeit zu einer ent sprechenden Verfassungsänderung sahen, wurde schließlich auch die immer häufiger werdende Übertragung von Befugnissen an interna tionale Institutionen traditionellen Charakters als verfassungsrechtlich problematisch empfunden54 • So entschloß man sich in Österreich dazu, wegen der im B.-VG. enthaltenen erschöpfenden Aufzählung der Or gane, welche für die staatliche Rechtsordnung verbindliche Akte setzen können55 , all diese Vertragsbestimmungen mit Verfassungsrang auszu statten. Ein Staatsverträge-Sanierungsgesetz, welches bereits erfolgte Kompetenzübertragungen an internationale Organe rückwirkend in Verfass�ngsrang erheben soll56 , ist nicht über das Stadium einer Regie53 Zur Diskussion dieser Frage für das Verfassungsrecht der U. S. A. siehe Nathanson, The Constitution and World Government, 57 Northwestern University LRev. 355 (1962) ; Hay, Federalism and Supranational Organiza tions, S. 205 f. (1966) ; Henkin, Foreign Affairs, S. 189 f. ; Wildhaber, Treaty Making :Power, S. 384 f. 54 Zur österreichischen Verfassungsdiskussion in dieser Frage siehe Seidl Hohenveldern, Probleme der Anerkennung, S. 92 ; ibid., Transformation or Adoption, S. 109 ; Klecatsky, Die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 über die Staatsverträge, 86 JBl 349, 354 (1964) ; Laurer, Der Beitritt Öster reichs zu internationalen Organisationen als Problem der innerstaatlichen Normerzeugung, 20 ÖZöR 341 (1970) ; Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht, S. 202 f. (1973) ; ibid., Institutionelle Grundlagen der österreichischen Integrationspolitik; Hanreich, Die Beschlüsse internationaler Wirtschaftsorganisationen im österreichischen Rechtsquellensystem, 26 ÖZöR 173 (1975) ; Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft, Gutachten No. 7, Über die verfassungs- und gesetzändernden Staatsverträge; Gutachten No. 21, Bundesverfassung und supranationale Organisationen. 55 Siehe die erläuternden Bemerkungen zum EFTA Vertrag, 156 Blg NR IX. GP S. 318 : Welche Organe für Österreich verbindliche Erklärungen nach außen abge ben und welche Organe berechtigt sind, für die österreichische nationale Rechtsordnung verbindliche Akte zu setzen, bestimmt die österreichische Bundesverfassung. Da in der Bundesverfassung nicht vorgesehen ist, diese Rechte, sei es auch nur in einem sehr beschränkten Umfang, an Staaten gemeinschaftsorgane zu delegieren, müssen alle jene Bestimmungen des Vertragswerkes, die für die Mitgliedstaaten unmittelbar verbindliche Beschlüsse des Rates vorsehen, als verfassungsändernd betrachtet werden. Darüber hinaus sind diese Bestimmungen aber auch noch deshalb als ver fassungsändernd anzusehen, weil sie entgegen dem Grundsatz des Artikels 1 B.-VG. nichtösterreichischen Organen die Befugnis übertragen, Akte zu setzen, die im Hinblick auf den die österreichische Verfassung beherrschen den Grundsatz der unmittelbaren Transformation auch für den Bereich der innerstaatlichen Rechtsordnung beachtlich sind. 56 Regierungsvorlage zum Ersten Staatsverträge-Sanierungsgesetz vom 15. Dez. 1971, 122 Blg NR XIII. GP; siehe auch die Regierungsvorlage vom gleichen Tag für ein Bundesverfassungsgesetz mit dem die Übertragung von Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Patentwesens sowie des Schutzes von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen auf internationale Or ganisationen oder sonstige internationale Einrichtungen geregelt wird, 123 Blg NR XIII. GP.
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
rungsvorlage hinausgekommen. Ob diese Form der fallweisen, immer wieder erfolgenden verfassungsrechtlichen Sanierung derartiger Ver tragsbestimmungen eine glückliche Lösung ist, muß . zumindest bezwei felt werden. Eine eingehendere Erörterung dieser Frage würde aller dings über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Die Debatte um diese verfassungsrechtlichen Fragen, die insbeson-: dere in Zusammenhang mit dem Art. 24 des Bonner Grundgesetzes umfangreich ist5 7 , zeigt, daß bei diesen Verfassungsbestimmungen ganz andere Gesichtspunkte als die Beachtung von Entscheidungen interna tionaler Organe durch staatliche Rechtsanwendungsorgane im Vorder grund stehen. Es geht dort vor allem um die Problematik der Ausübung von Hoheitsrechten durch nichtstaatliche Organe58 , Fragen der Kompe tenzverteilung und dergleichen. Ein Versuch, diese Verfassungsbestim mungen im Sinne von Transformations- oder VoHzugsnormen für die Entscheidungen internationaler Institutionen zu werten, wäre wenig überzeugend5 9 • Eine wichtige Ausnahme bildet Art. 67 der niederländischen Ver fassung. Nach der auch in anderen Verfassungen bekannten Ermächti gung, gewisse Befugnisse der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung auf internationale Organisationen zu übertragen60, ver fügt Abs. 2: With regard to decisions made by organizations based on international law, Articles 65 and 66 shall similarly apply.
In Art. 65 werden Bestimmungen unmittelbar anwendbarer Verträge generell für verbindlich erklärt. Art. 66 bestimmt, daß im Falle einer 57 Klein, Die übertragung von Hoheitsrechten (1952); Inst. f. Staatslehre und Politik der Univ. Mainz, Der Kampf um den Wehrbeitrag, 3 Bde. (1952 - 58); Mosler, Internationale Organisation und Staatsverfassung; Bern hardt, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat, S. 182 f. (1957); Glaesner, übertragung rechtsetzender Gewalt auf internationale Organisationen in der völkerrechtlichen Praxis, 12 Die öffentliche Verwal tung 653 (1959); Maunz / Dürig, Kommentar zum Grundgesetz (1964); Man goldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, S. 655 f. (1966, 1974). 58 Siehe dazu auch Münch, Internationale Organisationen mit Hoheits rechten, in Festschrift Wehberg, S. 301 (1955). 59 Siehe j edoch den vielbeachteten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1974 zum Verhältnis des europäischen Gemeinschaftsrechts zu den deutschen Grundrechten: Art. 24 GG ermächtigt nicht eigentlich zur Übertragung von Hoheitsrech ten, sondern eröffnet die nationale · Rechtsordnung (in der angegebenen Begrenzung) derart, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bun desrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurück genommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb des staatlichen Herrschaftsbereichs Raum gelassen wird. Abgedruckt in 35 ZaöRV 85, 91 (1975). Vgl. dazu auch Bleckmann, Zur Funktion des Art. 24 Abs. 1 Grundgesetz, ebendort S. 79. 80 Siehe Anm. 43.
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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Kollision zwischen Vertrag und Gesetz der Vertrag vorzugehen habe. Wenngleich diese Verfassungsbestimmung in erster Linie im Hinblick auf die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaften geschaffen wurde, besteht keine Notwendigkeit ihre Anwendung auf die Gemeinschaf ten zu beschränken. Allerdings birgt auch diese klar und eindeutig an mutende Regelung Schwierigkeiten61 • Der Begriff der „decisions" mag in gewissen Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit Empfehlungen internationaler Organe, Anlaß zu Zweifeln geben. Auch der Verweis auf die unmittelbare Anwendbarkeit der internationalen Entscheidung kann mehr Probleme aufwerfen als lösen. In Ermangelung einer geeigneten Verfassungsbestimmung, welche sich spezifisch auf Akte internationaler Organe bezieht, bietet sich die Möglichkeit der Anwendung solcher Akte mit Hilfe anderer, bereits etablierter Erscheinungsformen des Völkerrechts an, indem die inter nationale Entscheidung unter eine jener Völkerrechtskategorien sub sumiert wird, über deren Anwendbarkeit grundsätzlich kein Zweifel besteht. Bisweilen wird versucht, die staatsrechtlich meist unproblema tische Stellung eines Vertrages zur Überwindung der Probleme, die für die Anwendung internationaler Entscheidungen durch staatliche Rechtsanwendungsorgane gesehen werden, heranzuziehen. So sollen etwa Interpretationen eines völkerrechtlichen Vertrags durch interna tionale Organe auf dem Umweg über den meist unzweifelhaft anzu wendenden Vertrag selbst als inkorporiert gelten62 • Oft wird die Zu stimmung zu einem Vertrag, welcher die Entscheidungsbefugnis eines internationalen Organs begründet, auch auf das „sekundäre Vertrags recht" übertragen63 • Der Anwendungsbefehl für den Vertrag schließt also einen Anwendungsbefehl für etwaige Beschlüsse des durch den Vertrag begründeten Organs ein. Schließlich wird die Zustimmung zum Vertrag bisweilen auch als staatsrechtliche Ermächtigung zur Erlas sung von „Verordnungen" durch das internationale Organ gesehen64 • All diese Argumente können wegen ihres stark formalistischen und fiktiven Charakters nicht recht befriedigen. Bei diesen konstruierten Anwendungsbefehlen hat das zustimmende staatliche Organ keinen Entscheidungsspielraum bezüglich einzelner internationaler Organakte. Insbesondere die Konstruktion einer Kompetenzübertragung als eines Anwendungsbefehls für die künftigen in Ausübung dieser Kompetenz gefällten Entscheidungen ist ebenso gekünstelt wie das bereits oben abgelehnte Argument bei den bezüglichen Verfassungsbestimmungen65 • Vgl. auch S0rensen, Principes, S. 120 f. Dazu unten S. 212, 215. 83 Dominice, La nature, S. 256 ; Dubouis, Le juge administratif, S. 55 ; Hen kin, Foreign Affairs, S. 195 ; Bianchi, Security Council Resolutions, S. 84 f. u Economides, Nature juridique, S. 231, 235 f. 81
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Neben dem Versuch, internationale Organakte durch vertragsrecht liche Konstruktionen in die staatliche Rechtsordnung einzuschleusen, findet sich bisweilen sogar eine Verknüpfung internationaler Entschei dungen mit dem Völkergewohnheitsrecht, um ihre Beachtung durch staatliche Entscheidungsorgane zu rechtfertigen. Insbesondere interna tionale „Präzedenzentscheidungen" zu völkergewohnheitsrechtlichen Fragen66 und generelle Empfehlungen internationaler Organe67 eignen sich für diese Argumentation. Auch hier gilt das oben über die Rechtsquellentypologie gesagte68 sinngemäß. Der Versuch, neue Erscheinungsformen im internationalen Entscheidungsprozeß in die herkömmlichen Kategorien des Völker rechts zu pressen, um ihre Beachtung durch staatliche Entscheidungs organe zu rechtfertigen, mag in gewissen Situationen und für gewisse Arten internationaler Entscheidungen zu befriedigenden Ergebnissen führen. Eine generelle Antwort wird er jedoch kaum bieten können. Statt einfacher Patentlösungen wird man auch hier die Probleme für den Bereich verschiedener Arten internationaler Organakte gesondert erwägen müssen, um differenzierte und sachgerechte Lösungen zu fin den. Neben einem generellen Anwendungsbefehl für Entscheidungen in ternationaler Organe in Form einer Verfassungsbestimmung oder der Assimilierung solcher Entscheidungen an andere Formen des Völker rechts, für die das grundsätzliche Problem der Anwendung durch staat liche Organe gelöst ist, verbleibt als dritte Form ihrer Einführung in die staatliche Rechtsordnung die Technik spezieller Durchführungs maßnahmen oder Vollstreckungsbefehle für bestimmte internationale Entscheidungen oder Gruppen von Entscheidungen. Diese Methode wird in bestimmten Ländern auch für das traditionelle Vertragsrecht eingesetzt69 • Sie besteht in der Anpassung des staatlichen Rechts durch entsprechende legislative oder exekutive Maßnahmen. Ohne Zweifel bietet ein derartiges Vorgehen gewisse Vorteile. Etwaige Unklarheiten über den Rechtscharakter der internationalen Bestimmungen werden beseitigt. Die materiellen Vorschriften werden harmonisch in das staat liche Rechtsquellensystem eingefügt. Eine sprachliche Angleichung an die örtliche Terminologie und die Möglichkeit detaillierter Ausfüh85 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß ausdrückliche Bestimmungen über die Anwendung internationaler Organakte nicht auch in internationa len Verträgen enthalten sein können. Die Bestimmungen in den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften über die unmittelbare Gel tung von Gemeinschaftsakten sind ein naheliegendes Beispiel. 88 Dazu unten S. 212. 87 Dazu unten S. 224. 8s I. C. 2. 89 Vgl. Schreuer, The Interpretation, S. 256 f.
B. Der staatliche Anwendungsbefehl
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rungsbestimmungen erleichtern die Anwendung. Dem stehen allerdings auch erhebliche Nachteile gegenüber. Konkrete staatliche Durchfüh rungsmaßnahmen können die Verbindung zu der internationalen Ent scheidung verdecken und dem Gesichtskreis des staatlichen Anwen dungsorgans entziehen70 • Die Durchführungsmaßnahme gibt den Inhalt des internationalen Organaktes j edoch unter Umständen nur unvoll ständig oder verzerrt wieder. Am gravierendsten ist aber die Tatsache, daß eine umfassende und vollständige Anpassung der staatlichen Rechtsordnung an sämtliche potentiell entscheidungsrelevante inter nationale Organakte so gut wie unmöglich ist. Ganz abgesehen von der oft beträchtlichen Verzögerung bis zur Durchführung der staatlichen Maßnahmen, wäre ein derartiges Vorhaben auch aus rein quantitativen Gründen kaum realistisch. überdies müßte es an den Schwierigkeiten scheitern, die sich bei dem Versuch ergeben, vorherzusehen, welche internationalen Organakte für eine gerichtliche oder sonstige Entschei dung in Zukunft erheblich werden könnten. Es wäre daher verfehlt, die unzweifelhaften Vorteile gewisser Durchführungsmaßnahmen um den Preis der Nachteile eines Beharrens auf der ausschließlichen Beacht lichkeit solcher Maßnahmen erkaufen zu wollen71 • Tatsächlich existieren in zahlreichen Staaten die verschiedensten Vorkehrungen, um die Beachtung von Entscheidungen internationaler Organe zu gewährleisten. Eine vergleichende Darstellung dieser staat lichen Maßnahmen wäre zweifellos eine eigene detaillierte Untersu chung wert, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten72 • Dennoch können die Durchführungsmaßnahmen selbst verständlich nicht außer Acht gelassen werden. Sie sind für das Ver halten der Gerichte zu internationalen Organakten wesentlich und müssen aus diesem Blickwinkel berücksichtigt werden. Die Abschnitte über die Praxis zu den verschiedenen Arten internationaler Entschei dungen werden daher auch auf legislative und exekutive Durchfüh rungsmaßnahmen Bedacht nehmen soweit sie in diesem Zusammenhang erheblich erscheinen. 3. Durchführungsmaßnahmen und unmittelbare Anwendbarkeit
Vom dualistisch geprägten Standpunkt, jede völkerrechtliche Vor schrift oder Entscheidung müsse mittels eines staatlichen Anwendungs70 Vgl. hiezu auch die scharfe Kritik an Versuchen EWG Verordnungen zu „transformieren" bei Bebr, Community Regulations and National Law, 10 CMLRev. 87, 95 f. (1973). 71 In gleichem Sinne: Partsch, Die Anwendung, S. 133 f. 72 Siehe die kurze Darstellung für Frankreich bei Ruzie, Les procedes, S. 565; für Griechenland bei Economides, Nature juridique, S. 231 f.; sowie für Spanien in 19 Revista Esp. DI 452 (1966) und 20 Revista Esp. DI 504 (1967).
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
befehls transformiert oder anwendbar gemacht werden, unterscheidet sich jene Lehre, welche die Anwendung gewisser Kategorien völker.;. rechtlicher Rechtsbefehle ohne Dazwischentreten genereller staatlicher Durchführungsmaßnahmen für unmöglich hält. Das Kriterium liegt hier nicht so sehr in der internationalen Herkunft der Bestimmung als in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Diese Frage ist, meist unter dem Schlagwort „self-executing", auf dem Gebiete des Vertragsrechts Gegenstand zahlreicher Betrachtungen73 und einer umfangreichen Pra xis. Nicht selten werden stereotype Formeln oder tautologische Zirkel schlüsse benützt74 • Selbst dort, wo dieser Lehre eingehendere Überle gungen gewidmet sind, wird der schillernde Begrüf der unmittelbaren Anwendbarkeit keineswegs einheitlich präsentiert, sondern unterliegt ganz unterschiedlichen Beurteilungskriterien. Etwas vereinfachend zusammengefaßt läßt sich aus den verschiede nen Argumenten zunächst eine subjektive Variante erkennen. Diese geht davon aus, daß es oft den Intentionen der Vertragspartner ent spricht, gewisse Vertragsbestimmungen nicht ohne weiteres für die Allgemeinheit der Rechtsgenossen gelten zu lassen, beziehungsweise von den Rechtsanwendungsorganen anwenden zu lassen. Daraus folgt, daß diese Bestimmungen in ihrem persönlichen Anwendungsbereich auf bestimmte Staatsorgane, insbesondere die Legislative, beschränkt sind. Der subjektiven steht eine objektive Theorie gegenüber. Sie versteht die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit primär als ein Erkenntnis problem. Allgemeine oder vage Formulierungen völkerrechtlicher Ver träge sind hier für die Unmöglichkeit einer Anwendung ohne das Da zwischentreten weiterer staatlicher Rechtsbefehle verantwortlich. Die Erhellung dieser Auslegungsfragen wird j edoch als Aufgabe der gene rellen Rechtsetzung betrachtet. In Wahrheit ist das Problem der un mittelbaren Anwendbarkeit nicht nur eine objektive Frage nach der Beschaffenheit der anzuwendenden Bestimmung oder Entscheidung, sondern auch nach dem Rollenverständnis des Anwendungsorgans. Ob die internationale Bestimmung oder Entscheidung unmittelbar an wendbar ist, richtet sich nicht zuletzt nach der Bereitschaft des Ge richts, Mängel in ihrer Präzision durch eine großzügige Interpretation auszufüllen. 73 Siehe insbes. Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge (1970) ; Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrags im inner staatlichen Bereich (1971), sowie die dort angeführten weiteren Hinweise. Speziell zum Europäischen Gemeinschaftsrecht siehe Behr, Directly Appli cable Provisions of Community Law : The Development of a Community Concept, 19 ICLQ 257 (1970). 74 Vgl. die zutreffende Kritik bei McDougal, The Impact, S. 76 f.
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Zu diesen beiden unterschiedlichen Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen kommt als weitere Schwierigkeit, daß die Beurteilung dieser Frage überdies auch vom prozessualen Zusammenhang, in welchem die Bestimmung heran gezogen wird, abhängt, also von der Art der Berufung auf den Ver trag75 . Ganz ähnliche Fragen ergeben sich auch bei der Anwendung von Entscheidungen internationaler Organe. Die Behandlung der Praxis zur Frage ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit wird hier, wegen ihrer heterogenen Problematik, nicht in einem eigenen Abschnitt zusam mengefaßt. Soferne subjektive Elemente des persönlichen Anwen dungsbereichs oder eines ius standi, im Sinne einer Berufung auf in ternationale Organakte, im Vordergrund stehen, werden sie unten im Abschnitt über die Parteien, insbesondere Individuen, behandelt76 . So ferne dabei Fragen der ausreichenden inhaltlichen Ausgestaltung eine Rolle spielen, werden sie im folgenden Abschnitt berücksichtigt. C. Anwendungsbefehle und Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte in der Praxis Die folgende Untersuchung der Praxis zum Erfordernis eines staat lichen Anwendungsbefehls für Entscheidungen internationaler Organe folgt dem bereits oben bei der Untersuchung ihrer internationalen Autorität angewandten Schema. Verschiedene Arten internationaler Organakte müssen wegen ihrer Unterschiedlichkeit getrennt betrachtet werden. Innerhalb der einzelnen Gruppen ist, soweit angebracht, auch hier zu beachten, zu welchem Zweck versucht wird, die internationale Entscheidung heranzuziehen: also etwa zur Durchsetzung, zur Klärung einer Vorfrage oder als „Präzedenzfall". Nicht selten ist die Einstel lung eines Gerichts zur Notwendigkeit einer „Transformation" ganz entscheidend von der Art der Berufung auf den internationalen Or ganakt bestimmt. Auch bei der Untersuchung des Entscheidungsverhaltens der Gerichte zu dieser Frage ist stets zu bedenken, daß die Nichtbeachtung einer internationalen Entscheidung mangels ihrer Einführung in die staat liche Rechtsordnung eine von mehreren Methoden sein kann, um die Folgen dieser Entscheidung abzuwehren. Sie mag also bisweilen als willkommene Strategie dienen, um eine unerwünschte Folge, welche sich andernfalls aus dem internationalen Organakt ergäbe, abzuwen75 Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 66 f. ; Schlüter, The Domestic Status, S. 130. 10 V. D.
13 Schreuer
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
den. Manche theoretische Inkonsequenz gerichtlichen Verhaltens kann aus dieser Perspektive verständlicher werden. Bei der Untersuchung der Praxis sind mehrere Situationen denkbar, welche in unterschiedlichem Maße Schlußfolgerungen für die Frage des Erfordernisses von Anwendungsbefehlen oder Durchführungsmaßnah men zulassen: In Fällen, in denen konkrete Durchführungsmaßnah men legislativer oder exekutiver Natur vorliegen, ergibt sich unser Problem meist gar nicht. Die Beachtung der internationalen Entschei dung erfolgt dann regelmäßig im Hinblick und unter Berufung auf die staatliche Maßnahme. Derartige Fälle sind also für unsere Untersu chung nur wenig ergiebig. Allerdings wäre ein Zurückgreifen auf die ursprüngliche internationale Entscheidung, etwa zum Zwecke der bes seren Auslegung der Durchführungsmaßnahme, denkbar. Liegen keine Durchführungsmaßnahmen vor, so steht das staatliche Entscheidungs organ vor mehreren Möglichkeiten. Es kann die Beachtung der inter nationalen Entscheidung rundweg ablehnen. Entschließt es sich den noch, den internationalen Organakt seiner Entscheidung zugrundezu legen, so besteht zunächst die Möglichkeit, einen Anwendungsbefehl oder Transformationsakt mit Hilfe einer der oben angeführten Me thoden77 zu konstruieren. Schließlich verbleibt auch noch die Möglich keit, daß sich das Gericht direkt auf die internationale Entscheidung stützt, indem es die Notwendigkeit eines besonderen staatlichen An wendungsbefehls entweder verneint oder sich mit dieser Frage gar nicht befaßt. 1. Konkrete Sachentscheidungen
a) Durchsetzung oder Überprüfung
aa) Gerichtliche und schiedsgerichtliche Entscheidungen Die Anrufung staatlicher Gerichte zur Durchsetzung oder Überprü fung von Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte erscheint insbesondere dann sinnvoll und erfolgversprechend, wenn die auf internationaler Ebene entschiedenen Ansprüche vermögens rechtlicher Natur sind. Derartige Ansprüche gehören gewöhnlich in den Tätigkeitsbereich der Gerichte. Die Durchsetzung liegt regelmäßig in ihrem effektiven Dispositionsbereich 78 • Bei der Frage der Behandlung solcher internationaler Entscheidun gen drängt sich sofort die Parallele zu ausländischen Urteilen oder Schiedssprüchen auf79 . Von einer „Transformation" im herkömmlichen 77 s. 189 f. Vgl. auch oben II. A. 1.
78
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
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Sinne kann bei solchen individuell-konkreten Rechtsbefehlen kaum die Rede sein, wohl aber von einer Anerkennung auf Grund bestimmter materieller und prozeduraler Vorschriften des örtlichen Rechts oder internationaler Verträge80 . Diese Anerkennung wird in vielen Län dern durch Gerichtsbeschluß, oft als Exequatur bezeichnet, ausdrück lich ausgesprochen. Selbst dort, wo keine ausdrückliche Anerkennung durch Gerichtsbeschluß vorgesehen ist, erfordert die Vollstreckbarkeit eines auf Leistung gerichteten ausländischen Urteils meist einen for mellen Beschluß in Form einer Vollstreckungserklärung oder derglei chen81 . In diesen Situationen sind also regelmäßig die Gerichte selbst für die Anwendbarerklärung der ausländischen Entscheidungen ver antwortlich. Eine analoge Anwendung dieser Regelung auf internatio nale Urteile und Schiedssprüche führt daher zunächst zu keinen Schwie rigkeiten, welche aus einer dualistischen Auffassung und der Untätig keit anderer Staatsorgane resultieren könnten. Die staatliche Gerichtspraxis zur Durchführung internationaler Ent scheidungen der Rechtsprechung in Vermögensstreitigkeiten weist er wartungsgemäß Ähnlichkeiten mit der Behandlung ausländischer Ent scheidungen auf. Das fehlende Einschreiten der Exekutive oder der Le gislative oder sogar die Opposition anderer Staatsorgane hindert die Gerichte nicht daran, Entscheidungen gemischter Kommissionen oder internationaler Schiedsgerichte, etwa durch Erteilung eines Exequa turs, für durchsetzbar zu erklären82 . Auch ein Eintreten in die merito rische Überprüfung der internationalen Entscheidung83 läßt sich schwer 79 Seyersted, Settlement of internal disputes, S. 33 f., 54, plädiert für die Behandlung von Entscheidungen interner Gerichte internationaler Organi sationen durch staatliche Gerichte wie ausländische Gerichtsurteile. 80 Vgl. dazu etwa Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessua les Fremdenrecht, S. 509 f., 627 f. (1949) ; Szäszy, International Civil Procedure, A Comparative Study, S. 523 f., 627 f. (1967) ; Condorelli, La funzione del rico noscimento di sentenze straniere (1967) ; Fouchard, L'arbitrage commercial international, S. 506 f. (1965) ; Fasching, Schiedsgericht und Schiedsverfahren im österreichischen und im internationalen Recht, S. 174 f. (1973) ; Müller, Zum Begriff der „Anerkennung" von Urteilen in § 328 ZPO, 79 Zeitschr. f. Zivilprozeß 199 (1966) ; Matscher, Zur Theorie der Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach österreichischem Recht, in Festschrift für Hans Schima, s. 265 (1969). 81 Riezler, Int. Zivilprozeßrecht, S. 512, 563, 570 ; Szäszy, Int. Civil Proce dure, S. 551 f. 82 Myrtoon Steamship Co. cf Agent judiciaire du Tresor, Cour d'appel de Paris, 10. Apr. 1957, 85 Clunet 1003 (1958) ; Galakis cf Tresor public, Cour d'appel de Paris, 21. Feb. 1961, 90 Clunet 156 (1963), bestätigt von der Cour de cassation, 2. Mai 1966, 93 Clunet 648 (1966) ; N. V. Cabolent v. National Iranian Oil Co., Berufungsgericht Den Haag, 28. Nov. 1968, 9 ILM 152 (1970) ; Musul man cf Banque Nationale de Grece, Zivilgericht Saloniki, 1937, 65 Clunet 908 (1938). 83 Vgl. etwa Republic of Colombia v. Cauca Co., oben III.A. 1.a) aa) Anm. 10. 13 *
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mit dualistischen Vorstellungen vereinbaren. In Fällen, in welchen eine Befassung mit der internationalen Entscheidung unter Hinweis auf ihren internationalen Charakter verweigert wurde, standen nicht Be denken aus der Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht, sondern die Scheu vor einem Eintreten in „politische Fragen" im Vordergrund84 • Allerdings sind mit der Überlassung der Initiative an die Gerichte selbst noch nicht alle Probleme gelöst. Bestimmungen über die Be handlung ausländischer Urteile und Schiedssprüche sind von Staat zu Staat höchst unterschiedlich und nicht immer gleich anerkennungs freundlich85 . Ihre analoge Übertragung auf internationale Entscheidun gen kann daher unter Umständen zu einer Kollision mit den inter nationalen Verpflichtungen des Forumstaates führen. Gegen die Erteilung eines Exequaturs an internationale Entscheidun gen als Mittel zu ihrer leichteren Durchsetzung können kaum Ein wände bestehen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die zur Erteilung des Exequaturs führenden Verfahren in verschiedenen staatlichen Rechtsordnungen zum Teil sehr unterschiedlichen Bedingungen unter liegen. Sie reichen von einer bloßen Bestätigung der Authentizität bis zu weitreichenden Befugnissen, den materiellen Inhalt der fremden Entscheidung zu überprüfen, so etwa in Frankreich86 . Das Formerfor dernis der Vollstreckungserklärung kann also unter Umständen auch als Mittel zur Vereitelung der Durchführung der internationalen Ent scheidung dienen. Ein deutliches Beispiel liefert ein Beschluß des Tribunal de la grande instance de Paris87 . Dort wurde in einem Verfahren zur Erteilung eines Exequaturs für einen Schiedsspruch gegen Jugoslawien88 die An spruchsberechtigung des betreibenden Unternehmens in der Haupt sache überprüft und verworfen89 . Die Erteilung der Vollstreckungsbe willigung wurde daher verweigert. In einem oft besprochenen belgischen Fall zur Durchsetzung eines Urteils des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Soc. commerciale de Belgique c. Etat hellenique et Banque de Grece 90 , hatte das belgische Vgl. oben S. 58 f. Vgl. Szäszy, Int. Civil Procedure, S. 549 f. 88 Szäszy, Int. Civil Procedure, S. 576. Die neuere französische Judikatur hat allerdings eine gewisse Wandlung gebracht. Vgl. Schütze, Die Berück sichtigung der Rechtshängigkeit eines ausländischen Verfahrens, 31 RabelsZ 233, 236 (1967). 87 Yougoslavie cf Ste europeenne d'etudes et d'entreprises, 6. Juli 1970, 98 Clunet 131 (1971). 88 24 ILR 761 (1957). 89 Vgl. dazu unten V. D. 1. Anm. 136. 90 Tribunal de Bruxelles, 30. Apr. 1951, Sirey 1953, I, IV, S. 1 f., 79 Clunet 244 (1952), 18 ILR 3 (1951), 47 AJIL 508 (1953). 84
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C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
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Unternehmen zunächst in einem Schiedsverfahren gegen Griechenland obsiegt. Als sich Griechenland weigerte, seinen Verpflichtungen aus den Schiedssprüchen nachzukommen, brachte Belgien den Fall vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof, welcher in einem Urteil fest stellte, ,,that the arbitral awards made on January 3rd and July 25th, 1936, between the Greek Government and the Societe commerciale de Belgique are definitive and obligatory" 91 • Das Unternehmen versuchte daraufhin in Belgien Zwangsvollstreckung gegen den griechischen Staat zu führen. Das Zivilgericht von Brüssel war zwar von der Be rufung Griechenlands auf seine Immunität nicht beeindruckt92 , verwei gerte aber dennoch die Vollstreckung. Neben dem Fehlen einer Partei stellung des Unternehmens im Verfahren vor dem Ständigen Interna tionalen Gerichtshof93 führte es auch das Fehlen eines Exequaturs für die internationale Entscheidung als Grund für die Abweisung der Klage an: Attendu que la demanderesse fait observer qu'il ne se concoit pas de faire exequaturer par nos tribunaux un arret emanant de cette Cour interna tionale, statuant sur des litiges nes entre Etats; Attendu que si, de lege ferenda, semblable dispense d'exequatur apparait concevable, voire legitime, il n'en est pas moins constant qu'a l'heure pre sente aucun arrangement international n'est venu introduire, dans nos institutions, semblable consecration; Attendu qu'elle ajoute que les arrets de la Cour permanente seraient af franchis de la formalite de l'exequatur, cette Cour ne constituant pas une ,,juridiction etrangere" mais, en realite, une „juridiction superieure com mune a tous les pays qui sont parties a son organisation et a son statut" . . . Attendu qu'en l'absence d'un pouvoir d'execution propre, appartenant a cette Cour, et permettant aux parties litigantes de realisier, de plano, l'execution de ces arrets, ceux-ci ne sont point, a cet egard, affranchis des servitudes qui s'attachent, sur le territoire national aux decisions qui n'emanent pas d'une juridiction nationale94 ; Diese Entscheidung ist nicht ohne Grund kritisiert worden95 • Die Gleichstellung eines Urteils des Ständigen Internationalen Gerichts hofs, des Internationalen Gerichtshofs oder eines sonstigen internatio nalen Entscheidungsorgans mit einem ausländischen Urteil oder Schiedsspruch ist problematisch. Die Unterwerfung einer solchen in ternationalen Entscheidung unter die im staatlichen Kollisionsrecht vorgesehenen Bedingungen für die Durchführung ausländischer EntPCIJ Series A./B., No. 78, S. 178. Dazu siehe unten V. B. 1. Anm. 39. 93 Dazu siehe unten V. D. 1. Anm. 1 16. 94 Sirey 1953, I, IV, S. 5. 9• Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 130 f. ; Jenks, The Prospects, S. 708 f. ; Reisman, Nullity and Revision, S. 817 f. 91
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1,cheidungen wird um so bedenklicher, je restriktiver die örtlichen Be stimmungen für die Anerkennung sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im besonderen Falle Belgien wohl nicht völkerrechtlich verpflichtet war, den für den eigenen Staatsbürger international er strittenen Anspruch durch seine Gerichte durchzusetzen. Eine Überprü fung einer internationalen Entscheidung nach den Anerkennungsre geln für ausländische Entscheidungen ist auch dann nicht gerechtfer tigt, wenn der Forumstaat durch die internationale Entscheidung nicht unmittelbar verpflichtet ist98 • Soferne eine Anwendbarerklärung wie ein Exequatur nur der Feststellung der Authentizität der internationa len Entscheidung dient, kann sie eine Erleichterung des Verfahrens bringen und ist unbedenklich. Wenn sie jedoch versteckt oder offen der meritorischen Überprüfung der internationalen Entscheidung dient, dann gelten auch hier die allgemeinen Einwände gegen die materielle Revision internationaler Organakte durch staatliche Gerichte97 • Die Behandlung internationaler Entscheidungen gemäß den Bestim mungen für ausländische Gerichtsurteile ist also nur in engen Grenzen sinnvoll. Die offenkundigen Unterschiede zwischen ausländischen und internationalen Gerichten machen das Erfordernis einer entsprechen den Differenzierung deutlich. Bei Schiedssprüchen ist es allerdings et was schwieriger, stets eine klare Abgrenzung zwischen „ausländischen" und „internationalen" Entscheidungen zu finden98 • Gerade in „gemisch ten Schiedsverfahren" zwischen Staaten und nichtstaatlichen Parteien, insbesondere Wirtschaftsunternehmen, ist der Übergang fließend. Einerseits kann es heute kaum noch zweifelhaft sein, daß Schiedsver fahren gemäß gewissen internationalisierten Verträgen zwischen Staa ten und ausländischen Konzessionären starke öffentlich-rechtliche Züge tragen und nicht einfach wie eine private Handelsarbitrage in einem ausländischen Staat behandelt werden können99 • Andererseits treten Staaten immer häufiger in der Rolle des Kaufmannes auf und bedie nen sich auch der Streitschlichtungsmethoden des internationalen Han delsverkehrs. Die Übertragung der im Bereich der Staatenimmunität weitgehend akzeptierten Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis auch auf diese Frage bietet sich an. Auch sie hat sich jedoch keineswegs als ein einfacher und unproblematischer Maß stab erwiesen100 • Dazu siehe auch oben III. C. 1. a) aa) und unten V. D. 1. Vgl. oben S. 56. Vgl. auch Ruzie in 102 Clunet 297 (1975), welcher die Erteilung eines Exequaturs an eine internationale Entscheidung für unan gebracht hält. 98 Vgl. Pinto, Juge interne fran1;ais, S. 82 f., welcher ein Exequatur für völkerrechtliche Schiedssprüche für unzulässig, für sonstige internationale Schiedssprüche jedoch für erforderlich hält. 99 Allgemein siehe Fischer, Die internationale Konzession, S. 417 f. 1 00 Vgl. unten V. B. 1. 91 97
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Die Unterscheidung spielt nicht nur für die Frage, ob der Schieds spruch dem Formerfordernis eines Exequaturs unterworfen werden soll eine Rolle. Im Bereich der internationalen Handelsschiedsgerichts barkeit sind neben bilateralen Abkommen, eine Reihe wichtiger mul tilateraler Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Durch führung von Schiedssprüchen abgeschlossen worden101 • Die wichtigsten davon sind das Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln vom 24. 9. 1923 102, zusammen mit dem Genfer Abkommen betreffend die Vollstrek kung ausländischer Schiedssprüche vom 26. 9. 1927 103 , das UN-überein kommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. 6. 1958 104, sowie das Europäische übereinkom men über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. 4. 1961 106 • Der Zweck dieser Abkommen liegt in der Sicherung der Durch setzung von Schiedssprüchen privatrechtlicher Natur. Dennoch wären Fälle einer Anwendung dieser Abkommen auch auf Schiedssprüche, an denen Staaten als Parteien beteiligt sind 106 , denkbar 107 • Um echten in ternationalen Entscheidungen eine ähnliche Durchsetzung zu sichern, hat Jenks jedoch eine Konvention analog dem UN-übereinkommen von 1958 angeregt108 • Die hier dargestellte Praxis und die dazu angestellten Überlegungen geben kein völlig klares Bild, welches zuverlässige Voraussagen über das Verhalten staatlicher Gerichte zur Durchsetzung der Entscheidun101 Vgl. insbes. die Übersicht bei Fasching, Schiedsgericht und Schiedsver fahren, S. 174 f. ; Reisman, Nullity and Revision, S. 824 f. ; Spofford, Third Party Judgment, S. 211. 102 27 LNTS 158. 103 92 LNTS 302. 104 330 UNTS 38. 105 484 UNTS 364. 108 Art. II der letztgenannten Konvention bezieht sich spezifisch auf „legal persons of public law". 107 Zur Frage der Anwendung des UN Übereinkommens von 1958 auf Schiedsverfahren an denen Staaten oder Staatsunternehmen beteiligt sind, siehe Reisman, Nullity and Revision, S. 805. In Societe Europeenne d'Etudes et d'Entreprises v. Yugoslavia fand der holländische Oberste Gerichtshof, 26. Okt. 1973, 5 NYIL 290 (1974) das UN übereinkommen von 1958 auf einen Schiedsspruch anwendbar, der in der Schweiz gegen den Jugoslawischen Staat und zugunsten eines französischen Unternehmens ergangen war. Stuyt, Misconceptions about international (commercial) arbitration, 5 NYIL 35, 56 (1974), kritisiert diese Entscheidung vor allem deshalb, weil der Schuld ner aus dem Schiedsspruch, also Jugoslawien, nicht Mitglied des UN Über einkommens ist. Diese Argumentation erscheint fragwürdig, da die UN Kon vention für ihre Anwendung nicht bei den Parteien des Schiedsverfahrens anknüpft. Der Hinweis auf die Bestimmungen der Wiener Vertragsrechts konvention über Drittstaaten erscheint nicht zutreffend, da durch die An wendung der Verfahrensbestimmungen der Konvention keine neuen sub stantiellen Pflichten für Jugoslawien geschaffen wurden. 10s The Prospects, S. 711.
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gen internationaler Rechtsprechungsorgane in vermögensrechtlichen Fragen zuließe. In einigen Fälleri hat man die Frage einer allfälligen Durchsetzung solcher Entscheidungen nicht der autonomen Beurtei lung der Gerichte überlassen, sondern einer ausdrücklichen Regelung durch internationale Verträge oder Gesetze unterworfen, welche gene relle Anwendungs- oder Durchführungsbefehle für die Entscheidungen bestimmter internationaler Rechtsprechungsorgane enthalten. Beispiele für die Gleichstellung internationaler Entscheidungen mit Urteilen der ordentlichen Gerichte finden sich schon in bilateralen Verträgen zur schiedsgerichtlichen Regelung gewisser Ansprüche aus kriegerischen Handlungen chilenischer Truppen, zwischen Chile einerseits und Groß britannien und Frankreich andererseits 109• Die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg waren bezüglich der Entscheidungen der durch sie errichteten Gemischten Schiedsge richte nicht so eindeutig. Art. 304 Abs. g des Vertrags von Versailles bestimmte lediglich: Die Hohen vertragschließenden Teile kommen überein, die Entscheidun gen des Gemischten Schiedsgerichtshofs als endgültig zu betrachten und ihnen verbindliche Kraft für ihre Staatsangehörigen beizulegen110• Durchführungsgesetze in mehreren Vertragsstaaten111 , einschließlich Deutschlands112 , sahen jedoch eine Gleichstellung dieser Entscheidun gen mit Urteilen der örtlichen Gerichte zum Zwecke ihrer Exekution vor. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Methode zur Siche rung der unmittelbaren Durchsetzung von internationalen Entschei dungen angewandt. Der zwischen der Bundesrepublik und den West109 Art. 7 des chilenisch-französischen Vertrags vom 2. Nov. 1882, Martens, N. R. G., 2nd ser. Bd. 9, S. 706; Art. 7 des chilenisch-britischen Vertrags vom 4. Jan. 1883, ibid. Bd. 9, S. 246 ; Art. 6 des chilenisch-britischen Vertrags vom 26. Sept. 1893, ibid. Bd. 21, S. 650 ; Art. 6 des chilenisch-französischen Vertrags vom 17. Okt. 1894, ibid. Bd. 23, S. 154. 110 RGBl. 1919, S. 1 181. Vgl. auch Art. 256 g des Vertrags von St. Germain; Art. 239 g des Vertrags von Trianon ; Art. 188 g des Vertrags von Neuilly. Der Vertrag von Lausanne schloß in seinem Art. 94 das Erfordernis einer staatlichen Vollstreckungserklärung ausdrücklich aus. 111 Vgl. das belgische Gesetz vom 25. März 1928, Pasinomie, 5. Ser. XIX, S. 71, No. 122 (1928). Das tschechoslowakische Gesetz No. 146 vom 28. Apr. 1922, zitiert in einer Entscheidung in 4 AD 174 (1927 - 28). Bezüglich Frank reichs siehe die Antwort des Außenministers vom 7. Feb. 1920 : 1,Pour l'execti tion en France, l'agent general du gouvernement francais inscrit sur l'expedi tion du jugement la formule executoire et, dans ce cas, la sentence est executee contre toute partie comme un jugement francais ordinaire." Journal officiel (Chambre-Debats), S. 490 (1928). Siehe auch Schätze!, Die gemischten Schiedsgerichte der Friedensverträge, 18 Jahrb. des öff. Rechts 378, 446 (1930) ; Carabiber, Les juridictions internationales de droit prive, S. 200 f. (1947). 111 Ges. vom 10. Aug. 1920, RGBl. 1920, S. 1569. Vgl. auch das Urteil des Reichsgerichts vom 24. Mai 1928, RGZ 121, 180.
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liehen Alliierten 1952 abgeschlossene Vertrag zur Regelung von aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen113 sah mehrere internatio nale rechtsprechende Organe vor, deren Entscheidungen für die staat lichen Gerichte und Behörden unmittelbar verbindlich waren114 • Ähn liche Regelungen gelten auch nach dem Londoner Abkommen für deut sche Auslandsschulden115 • Das wichtigste zeitgenössische Beispiel für eine „unmittelbare" Voll streckung internationaler Sachentscheidungen, welche aus Vermögens ansprüchen entspringen, bieten die Europäischen Gemeinschaften. Ent scheidungen des Rats, der Kommission116 oder des Gerichtshofs 11 7, die eine Zahlungsverpflichtung auferlegen und nicht gegen Staaten gerich tet sind, gelten als vollstreckbare Titel. Die Zwangsvollstreckung wird zwar nach den Vorschriften des örtlichen Rechts durchgeführt, doch ist die Überprüfung bei der Erteilung der Vollstreckungsklausel aus drücklich auf formelle Gesichtspunkte, nämlich die Echtheit des Titels beschränkt11 8 • Einen wichtigen Fortschritt bei der Durchsetzung internationaler Schiedssprüche durch staatliche Vollzugsorgane, insbesondere die Ge richte, bietet die Weltbankkonvention vom 18. März 1965 zur Regelung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen ande rer Staaten1 19 • Art. 54 dieser Konvention sieht ebenfalls eine Gleich stellung mit Urteilen der örtlichen Gerichte vor: (1) Each Contracting State shall recognize an award rendered pursuant to this Convention as binding and enforce the pecuniary obligations imposed by that award within its territories as if it were a final judgment of a court in that State. . . . Eine Überprüfung des materiellen Inhalts des Schiedsspruches ist aus geschlossen 1 20• BGBl. 1955 II, S. 405. Anhang zum Dritten Teil, Art. 9, Abs. 3; Fünfter Teil, Art. 7, Abs. 5 ; Zehnter Teil, Art. 12, Abs. 5. us BGBl. 1953 II, S. 336 ; Art. 29, Abs. 7; Art. 32, Abs. 8. 116 Art. 192 EWG, Art. 164 EAG, Art. 92 EGKS. 11 7 Art. 1 87 EWG, Art. 159 EAG, Art. 44 EGKS. 118 Runge, Die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen der europäischen Gemeinschaften AWB 337 (1962) ; Schütze, Die Nachprüfung von Entscheidun gen des Rates, der Kommission und des Gerichtshofes nach Art. 187, 192 EWG Vertrag, 1 6 NJW 2204 (1963) ; Valentine, The Court of Justice of the European Communities Bd. I, S. 80 f. (1965) ; Green, Political Integration by Jurisprudence, S. 197 f. (1969). 119 4 ILM 532 (1965). Vgl. dazu insbes. Fischer, Die schiedsgerichtliche Bei legung von privaten Investitionsstreitigkeiten im Liebte der Weltbankkon vention vom 18. März 1965, 1 Verfassung und Recht in Obersee 262, 295 f. 113
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(1 968).
uo Art. 53.
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Eine Reihe von Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutsch land 12 1 , des Vereinigten Königreichs 122 und der Vereinigten Staaten 123 , haben Ausführungsgesetze zu dieser Vertragsbestimmung erlassen124 . Die Konvention sieht auch die Bekanntgabe der in den einzelnen Mit gliedstaaten für die Anerkennung und Vollstreckung zuständigen Stel len vor 125 . Eine vom Generalsekretär des International Centre for the Settlement of Investment Disputes zusammengestellte Übersicht126 zeigt, daß die Mitgliedstaaten überwiegend Gerichte, oft Bezirksgerichte aber auch Gerichte höherer Instanzen, einschließlich der Obersten Gerichts höfe, mit der Aufgabe der Vollstreckung dieser Schiedssprüche betraut haben. In einigen Staaten werden allerdings auch Exekutivorgane, ins besondere das Außenministerium, für diese Aufgabe nominiert 127 . Eine Praxis staatlicher Gerichte zu Art. 54 der Weltbankkonvention existiert derzeit noch nicht. Bei internationalen Gerichtsentscheidungen oder Schiedssprüchen, welche nicht über vermögensrechtliche Ansprüche befinden, kommt eine nach kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten orientierte Behand lung durch staatliche Gerichte kaum in Betracht. Die Forderung nach Transformationsmaßnahmen wäre daher naheliegender. Allerdings ist eine Durchsetzung durch staatliche · Gerichte auch nur ausnahmsweise denkbar. Die Wahrnehmung der durch ein internationales Urteil einem staatlichen Gericht zugesprochenen Jurisdiktion könnte allenfalls als eine Durchsetzung der internationalen Entscheidung betrachtet wer den128 . Marokkanische und französische Gerichte1 29 haben sich in einer solchen Situation unbedenklich auf das Urteil des Internationalen Ge richtshofs über Rechte amerikanischer Staatsbürger in Marokko 1 30 , zum Ausmaße ihrer Jurisdiktion berufen, ohne eine generelle staatliche Durchführungsmaßnahme für dessen Anwendung für erforderlich zu halten1 3 1 . BGBL 1969 U, S. 369. Arbitration (International Investment Disputes) Act 1966. 123 Convention on the Settlement of Investment Disputes Act of 1966, 5 ILM 820 (1966). Zur Vollstreckung siehe insbes. Sec. 3 des Act. Siehe auch das Statement des U. S. Department of State dazu, 5 ILM 821 (1966). 12 4 Eine Übersicht der legislativen Maßnahmen findet sich in Annex 5 zum Dokument No. 8 des International Centre for the Settlement of Investment Disputes. 125 Art. 54 (2). 121 ICSID/8, Annex 4. 127 So in Belgien und Schweden. 128 Vgl. auch Rex v. Cooper, 24. Okt. 1953, 20 ILR 166 (1953), 82 Clunet 451 (1955). In diesem Fall beruft sich der Oberste Gerichtshof von Norwegen auf das Urteil des IGH im Englisch-Norwegischen Fischereistreit. 129 Vgl. oben II. B. 1. 13 0 ICJ Reports, S. 176 (1952). 121
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Dem entspricht auch die in der Literatur vertretene Meinung, daß die Pflicht zur Erfüllung einer Entscheidung eines internationalen rechtsprechenden Organs alle Staatsorgane einschließlich der Gerichte treffe 132 • Eine Unterscheidung zwischen pekuniären und sonstigen An sprüchen wird dabei meist nicht gemacht133 • bb) Entscheidungen politischer Organe Während staatliche Gerichte oft als die geeigneten Organe angesehen werden, um die nötigen Maßnahmen zur Durchführung internationaler Urteile und Schiedssprüche, insbesondere aus vermögensrechtlichen Ansprüchen, zu treffen, bietet eine Betrachtung der Praxis zu Entschei dungen sogenannter politischer internationaler Organe ein völlig ande res Bild. Im Bereiche solcher Entscheidungen sind die Voraussetzungen für ein Mitwirken staatlicher Gerichte bei der Durchsetzung oder für eine Anwendung nur selten gegeben. Selbst dort, wo dies möglich wäre, messen die Gerichte jedoch dem Vorhandensein gesetzlicher Durchfüh rungsmaßnahmen größte Bedeutung bei. Die Beispiele für diese reservierte Haltung gehen bis auf die Zeit des Völkerbundes zurück. Nach dem Deutsch-Polnischen Oberschlesienab kommen erhielt der Völkerbund die Zuständigkeit, über bestimmte Fragen zu entscheiden, die sich aus der Übertragung von Vermögen der Sozialversicherungsträger für die an Polen abgetretenen Gebiete erga ben. Nachdem der Völkerbundrat am 9. 12. 1924 eine diesbezügliche Entscheidung gefällt hatte, versuchte ein Sozialversicherungsträger, sich in einem gerichtlichen Verfahren auf sie zu stützen. Der polnische Oberste Gerichtshof 134 lehnte eine Berufung auf die Entscheidung des Völkerbundes ab, da diese noch nicht im offiziellen Promulgationsor gan der Republik veröffentlicht war und folglich „noch nicht als Ge setz Bestandteil der polnischen Rechtsordnung geworden war" . Das Deutsche Reichsgericht machte die Anerkennung dieser Entscheidung von einer ähnlichen Bedingung abhängig : 1 3 1 Vgl. dazu den Kommentar von Laubadere in 42 RCDIP 160 (1953), wel cher die unmittelbare Anwendbarkeit der IGH Entscheidung für französische Gerichte aus der Unterwerfung Frankreichs unter die Gerichtsbarkeit des IGH ableiten will. 132 J enks, The Prospects, S. 715 ; Rosenne, The Law and Practice of the International Court, S. 132 f. ; Seidl-Hohenveldern, Internationale Präjudiz entscheidungen, S. 484. Siehe jedoch Kiss, Nature juridique, S. 266 f., der auch nicht unmittelbar anwendbare internationale Entscheidungen der Rechtsprechung für möglich hält. 133 Siehe jedoch Jenks, The Prospects, S. 719 f. 134 Landesversicherungsanstait Schlesien v. Rybnickie Gwarectwo Weglowe and Others, 5. Apr. 1929, 5 AD 345 (1929 - 30).
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Innerstaatliche Geltung hat die Entscheidung des Völkerbundrates nur dann gewinnen können, wenn . ihr Inhalt als innerstaatliches Recht ge setzt wurde135 •
Im besonderen Falle wurde die Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt jedoch als ausreichend befunden. Im Rahmen der Vereinten Nationen ist es vor allem Aufgabe des Sicherheitsrats, konkrete· Maßnahmen zu ergreifen. Ihre Durchsetzung liegt nur sehr bedingt im Dispositionsbereich staatlicher Gerichte, doch ist eine Mithilfe bei der Aufrechterhaltung etwa von Wirtschaftssank tionen denkbar 136 . Gerade bei den meist in sehr generellen Worten ge haltenen Beschlüssen des Sicherheitsrats sind vor einer Anwendung konkrete Durchführungsmaßnahmen durch die einzelnen Mitglied staaten wünschenswert oder notwendig137 • Tatsächlich werden derartige Maßnahmen auch sehr häufig getroffen. Eine Reihe von Staaten hat zum Zwecke der Durchführung, insbesondere von nichtmilitärischen Sanktionsbeschlüssen nach Art. 41 der Satzung, die gesetzlichen Vor aussetzungen für konkrete Ausführungsmaßnahmen im Einzelfall ge troffen138 . Der United Nations Participation Act der Vereinigten Staa ten139 etwa, gibt dem Präsidenten die Befugnis die geeigneten Maßnah men für die Durchführung von Sanktionsbeschlüssen, insbesondere durch Verordnungen, zu ergreifen1 40 . Gleichzeitig sieht das Gesetz Stra fen für die Verletzung solcher Durchführungsmaßnahmen des Präsi denten vor141 . Das Beispiel der Boykott-Resolutionen des Sicherheitsrats gegen Rhodesien zeigt, daß eine große Anzahl von Mitgliedstaaten die Erlas sung oft überaus · detaillierter Durchführungsbestimmungen in der 13s
RGZ 131, 250, 2. Feb. 1931. Vgl. oben II. A. 1. Siehe auch eine Entscheidung in der eine Durchfüh rungsverordnung zu den Sanktionsmaßnahmen des Völkerbundes gegen Italien angewandt wird: G. L. v. A. M. C. van L., Bezirksgerichts von Breda (Nieder!.), 3. Dez. 1935, 8 AD 476 (1935 - 37). Siehe auch die Fälle oben III. A. 1. a) bb). 137 S0rensen, Principes, S. 121; Stein, Application and Enforcement, S. 68; Zacklin, The United Nations and Rhodesia, S. 76. 138 Der Britische United Nations .Act 1946 enthält eine Verordnungsermäch tigung um Entscheidungen des Sicherheitsrats nach Art. 41 durchzuführen. Das griechische Gesetz No. 92 aus 1967, Journal Officiel A'No. 139 sieht die Verordnungsermächtigung nicht nur für Beschlüsse nach Art. 41, sondern auch für gewisse Resolutionen der Generalversammlung vor, Economides, Nature juridique, S. 232. Das österreichische Außenhandelsgesetz, BGB!. 314/1968 sieht in § 5 (1) eine Bewilligungspflicht im Handelsverkehr mit be stimmten Staaten auf Grund „internationaler Verpflichtungen" vor. 139 22 U. S. C. § 287 - 287 c. Vgl. dazu auch Bianchi, Security Council Resolu tions, S. 104 f. 140 Sec. 5 (a). 1 4 1 Sec. 5 (b). 136
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Form von Gesetzen, Verordnungen und dgl. für notwendig hielt 142 . Da bei stand offenbar das Bestreben im Vordergrund, die verschiedenen oft komplizierten wirtschafts- und verkehrsrechtlichen Probleme, die sich aus den internationalen Sanktionsbeschlüssen ergaben, in einer der örtlichen Rechtsordnung gemäßen Weise zu lösen143 . Wie immer auch die Motive für die Erlassung staatlicher Durchführungsmaßnah men beschaffen sein mögen, so folgt aus ihnen, daß Gerichte, soferne sie angerufen werden, um solchen internationalen Entscheidungen Gel tung zu verschaffen, einem staatlichen Anwendungsbefehl gegenüber stehen144 . Dennoch sind damit noch nicht alle Fragen gelöst. Fälle vor ameri kanischen und australischen Gerichten beleuchten die dabei auftre tenden Probleme. In dem amerikanischen Fall, Diggs v. Shultz145 , klagte eine Gruppe von Personen, welche unter dem Regime in Südrhodesien gelitten hat ten, den Secretary of Treasury auf Unterlassung der Ausstellung von Importlizenzen, welche gegen die Sicherheitsratsresolutionen 232 vom 16. Dezember 1966 und 2 5 3 vom 29. Mai 1968 verstoßen hätten. Zu die sen Resolutionen waren in den U. S. A. zwei Durchführungsverord142 Eine Zusammenstellung dieser Durchführungsmaßnahmen findet sich in Berichten des Generalsekretärs UN Doc. S/7781, in Security Council, Official Records, 22nd Year, Supplement for January, February and March 1967 ; UN Doc. S/8786, in Security Council, Official Records, 23rd Year, Supplement for July, August and September 1968. In Österreich siehe auch die Verord nung des Handelsministers BGBl. 652/1974 über die Bewilligungspflicht aller Importe und Exporte von Waren von und nach Rhodesien gemäß § 5 des Außenhandelsgesetzes, vgl. oben Anm. 138. 143 Vgl. insbes. die ausführlichen britischen Maßnahmen, wiedergegeben in UN Doc. S/7781 und S./8786. Siehe jedoch andererseits das brasilianische Dekret No. 62,980 vom 12. Juni 1968, wiedergegeben in UN Doc. S/8786, S. 181, welches lediglich einen abstrakten Anwendungsbefehl für die Resolution 253 (1968) enthält. Eine detaillierte Darstellung der Durchführung der Sank tionsbeschlüsse in Großbritannien findet sich bei Zacklin, The United Na tions and Rhodesia, S. 78 f. m Siehe dazu insbesondere die Fälle, in denen Strafen wegen der Vedet zung des Boykotts auf Grund staatlicher Durchführungsbestimmungen ver hängt wurden. An englischen Fällen vgl. etwa R. v. The Super Heater Co. Ltd. vor dem Liverpool Stipendiary Magistrate, 10. Jan. 1968, The Times, 11. Jan. 1968, S. 4 ; vgl. auch die Hinweise auf ähnliche Verurteilungen im Vereinigten Königreich im Fourth Report of the Sanctions Committee UN Doc. S/10 229 Abs. 36 und 38. Hinweise auf Verurteilungen durch US Gerichte finden sich in einem Bericht der Vereinigten Staaten an das Sanctions Committee vom 10. Juli 1972, UN Doc. S/10 852. Zu Verurteilungen gemäß den niederländischen Bestimmungen über die Durchführung des Boykotts gegen Südrhodesien vgl. Public Prosecutor v. J. S. and J. S., District Court of Amsterdam, 13. Juni 1974, 6 NYIL 373 (1975) ; Public Prosecutor v. Etab lissement Zephyr Hotland Transito, District Court of Amsterdam, 13. Juni 1974, 6 NYIL 373 (1975). m Court of Appeals D. C. Cir., 31. Okt. 1972, 470 F. 2d 461, cert. den. 411 U. S. 931. Siehe auch die Fallbesprechung in 14 VaJIL 185 (1973).
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nungen erlassen worden14 6 • Die Frage der innerstaatlichen Geltung und Anwendbarkeit der Resolution spielte daher bei der Entscheidung keine primäre Rolle. Obwohl ein klagbares Interesse der Kläger aner kannt wurde147 , wies das Berufungsgericht die Klage schließlich wegen eines späteren Gesetzes, das im Widerspruch zu den Sicherheitsratsreso lutionen stand, ab148 • Dennoch enthält das Urteil gewisse Hinweise zu unserer Frage: Bei der Beurteilung des späteren Gesetzes erklärt das Gericht mehrfach, es enthalte eine offene Verletzung der Vertragsver pflichtungen der Vereinigten Staaten 149 • Diese Ausdrucksweise könnte darauf schließen lassen, daß auch die Sicherheitsratsresolutionen als „supreme law of the land" 150 betrachtet wurden. Allerdings hatte der Sicherheitsrat nach der Erlassung des Gesetzes seine Sanktionsbe schlüsse gegen Rhodesien wiederholt und bekräftigt 151 , ohne daß dieser Umstand einen Niederschlag im Urteil gefunden hätte. Dies könnte allenfalls auf das Fehlen von entsprechenden Durchführungsverord nungen für diese späteren Resolutionen zurückgeführt werden. Eine plausiblere Erklärung wäre allerdings, daß diese Resolutionen dem Gericht gar nicht bekannt waren. In diesem Falle existierten also Durchführungsmaßnahmen, die Haltung des Gerichts zum Erfordernis eines staatlichen Anwendungsbefehls ist aber nicht völlig klar. Die Ausgangsposition in einem australischen Fall war insoferne an ders, als keine staatlichen Durchführungsmaßnahmen existierten. Da für läßt das Urteil des höchsten australischen Gerichts in Bradley v. Commonwealth of Australia and the Postmaster-General 152 an Ein deutigkeit zu dieser Frage nichts zu wünschen übrig. In diesem Fall versuchte die Regierung selbst, die Sicherheitsratsresolutionen gegen Rhodesien durchzusetzen. Der Kläger stand im Dienste des rhodesi schen Informationsministeriums und leitete ein „Rhodesia Information Centre" in Sydney. Der Postminister hatte insbesondere der Sicher heitsratsresolution 277 vom 18. März 1970 entsprochen, welche eine Aufforderung enthielt, alle möglichen im Art. 41 der UN-Charta ange führten Maßnahmen zu ergreifen. Er nahm die Aufzählung des Art. 41, 1 46 Executive Order No. 1 1 322 vom 5. Jan. 1967, 4 Fed. Reg. 1 1 9 ; Executive Order No. 11 419 vom 29. Juli 1968, 33 Fed. Reg. 10 837. 147 Dazu unten V. D. 2. 1 48 Dazu unten IV. E. 2. b) aa). Vgl. auch die Hinweise bei Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 436, Anm. 1 1 . m 470 F. 2 d 466. 1 60 Vgl. Art. VI (2) der U. S. Verfassung : ,, . . . all treaties made, or which shall be made under the authority of the United States, shall be the supreme law of the land ; and the judges in every State shall be bound thereby, . . . ". 1 5 1 Res. 314 vom 28. Feb. 1 972 und 318 vom 28. Juli 1972. m High Court of Australia, 10. Sept. 1973, Australian Law Reports, Bd. I, S. 241 (1973), 101 Clunet 865 (1974).
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welcher u. a. auch die Unterbrechung der Post- Telegraphen- und sonstigen Verbindungen vorsieht, wörtlich und verfügte eine Unter brechung des Telephons und eine Aufhebung der Post- und Telegra phenverbindungen vom und zum Kläger, sowie die Einstellung der Verbreitung einer von ihm veröffentlichten Publikation. Der Reprä sentant des rhodesischen Informationsministeriums klagte daraufhin auf Unterlassung und Schadenersatz. Das Gericht kümmerte sich in seiner Entscheidung wenig um die dabei auftretenden völkerrechtlichen Fragen, sondern behandelte den Fall lediglich unter dem Blickwinkel des Post and Telegraph Act und stellte fest, daß dem Postminister nach diesem Gesetz nicht die Befugnis zukomme, die angeführten Maßnah men zu ergreifen. Die bindende Wirkung der Sicherheitsratsresolutio nen wurde zwar anerkannt 163, ihre Wirkung jedoch durch eine streng dualistische Auffassung vereitelt: Since the Charter and the resolutions of the Security Council have not been carried into effect within Australia by appropriate legislation, they cannot be relied upon as a justification for executive acts that would otherwise be unjustified, or as grounds for resisting an injunction to restrain an excess of executive power, even if the acts were done with a view to complying with the resolutions of the Security Council. lt is therefore unnecessary to consider whether the resolutions of the Security Council, properly construed, would require the Commonwealth as a mem ber nation to take the action that has been taken against the Rhodesia Information Centre154• Dieser Fall zeigt deutlich, welch weitreichende Konsequenzen das Beharren auf einem staatlichen Anwendungsbefehl für internationale Entscheidungen haben kann. Das Gericht verhielt sich hier nicht etwa passiv, indem es sich weigerte, der internationalen Entscheidung man gels eines gesetzlichen Anwendungsbefehls zur Durchsetzung zu ver helfen, sondern intervenierte vielmehr aktiv, um die Exekutive an der Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen zu hindern 155 • Eine Überprüfung exekutiver Maßnahmen von außenpolitischer Bedeutung, verbunden mit einer streng dualistischen Haltung zum Völkerrecht, muß mehr als bedenklich erscheinen. Die Aktionen der australischen Regierung gegen den Agenten eines illegalen Regimes in Erfüllung bin dender internationaler Beschlüsse wurden, offenbar da sie auf austra lischem Territorium stattfanden, nach staatlichem Recht überprüft und verworfen, ohne daß die völkerrechtlichen Aspekte des Falles berück sichtigt wurden. Eine derartige Entscheidungspolitik birgt ernste Ge153
Auf S. 259. m Auf S. 260. 155 Vgl. diesen Fall mit der Entscheidung Maghanbhai des indischen ober sten Gerichtshofs unten IV. E. 2. a). Dort war vergeblich versucht worden, die Regierung unter Berufung auf staatliches Recht an der Durchführung eines internationalen Schiedsspruches zu hindern.
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fahren für die organisierte internationale Zusammenarbeit. Sie könnte die Tätigkeit von Regierungen im Rahmen internationaler Organisatio nen weitgehend paralysieren, soferne und solange keine Durchfüh rungsgesetzgebung für die auf internationaler Ebene getroffenen Ent scheidungen existiert. Auch das Bestehen auf dem Erfordernis eines staatlichen Anwen dungsbefehls kann also eine Form der funktionellen Revision inter nationaler Entscheidungen darstellen. Diese Revision kann die Neben erscheinung einer Haltung sein, die auf grundsätzlichen dogmatischen Überlegungen über die Bedeutung des Völkerrechts für staatliche Ent scheidungsorgane beruht. Andererseits kann das Argument der man gelnden Transformation durchaus auch als gezielte Entscheidungsstra tegie zur Abwehr der Konsequenzen einer unliebsamen internationalen Entscheidung dienen. Charakteristisch dafür ist etwa das bereits er wähnte Urteil eines israelischen Militärgerichts am besetzten West jordanufer156, welches, wie kaum anders zu erwarten war, eine Einrede der Unzuständigkeit verwarf, die auf der Aufforderung des Sicher heitsrats an Israel, sich aus diesem Gebiet zurückzuziehen, basierte. Das Gericht berief sich dabei nicht nur auf die angeblich mangelnde Bindungswirkung der Resolution157, sondern auch auf das Fehlen ihrer Bestätigung durch die Knesset. b) Die Sachentscheidung zur Beurteilung einer Vorfrage
Bei der Heranziehung einer internationalen Entscheidung zur Be antwortung einer völkerrechtlichen Vorfrage spielt das Verhalten des staatlichen Gerichtes meist keine oder nur eine untergeordnete Rolle für die Effektivität der internationalen Entscheidung158 . Eine Nicht beachtung durch das Gericht würde den Forumstaat meist nicht einer Verantwortung wegen der Mißachtung des internationalen Organaktes aussetzen. Oft ist die internationale Entscheidung von solcher Beschaf fenheit, daß die Regierung und Legislative des Forumstaats sich nicht veranlaßt sehen, irgendwelche Maßnahmen zu ihrer Durchführung zu setzen, oder jedenfalls keine Durchführungs- oder Anwendungsbe fehle für die Rechtsanwendungsorgane für notwendig halten. Das gilt insbesondere, wenn die internationale Entscheidung nicht auf eine Lei stung gerichtet ist, sondern die Feststellung oder Gestaltung eines in ternational relevanten Zustandes oder Status betrifft. Eine Transfor mation oder ausdrückliche Anwendbarerklärung kommt dann meist 158 Military Prosecutor v. Halil Muhamad Mahmud Halil Bakhis and Others, Military Court in Ramallah, 10. Juni 1968, 47 ILR 484. 151 Vgl. das Zitat auf S. 86. 168
Vgl. oben II. B. 3.
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gar nicht in Betracht. Bei der Erledigung bestimmter zivil- oder straf rechtlicher Fälle mit internationalen Elementen können sich jedoch völkerrechtliche Fragen ergeben, von denen der Ausgang des Verfah rens mit abhängt und auf die eine internationale Entscheidung eine Antwort bietet. Auch · die Beurteilung einer juristischen Vorfrage unter Beachtung einer früheren Entscheidung ist Rechtsanwendung. Es wäre also ver fehlt, internationale Entscheidungen in solchen Situationen als einfache Tatsachen betrachten zu wollen. Ebenso wie ausländische Entscheidun gen nur auf Grund der besonderen Vorschriften der Zex fori anerkannt werden, wäre auch hier die Forderung nach einer Transformation oder mindestens einem Anwendungsbefehl naheliegend. Eine dualistische Betrachtungsweise müßte bei ihrem Fehlen die Möglichkeit einer Be achtung internationaler Entscheidungen durch staatliche Gerichte auch zur Beantwortung von Vorfragen ablehnen. Eine Betrachtung der nicht unbeträchtlichen Gerichtspraxis zu sol chen Situationen ist allerdings verblüffend. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß die Gerichte die Beachtlichkeit von oft höchst politischen Entscheidungen internationaler Organe zur Lösung von Vorfragen des halb bezweifelt hätten, weil die internationalen Entscheidungen nicht durch gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen in die örtliche Rechts ordnung übernommen worden waren. Diese Beobachtung erstreckt sich auf die verschiedensten Typen internationaler Entscheidungsor gane und auf Entscheidungen von völlig unterschiedlicher Reichweite. So wurden Urteile des Internationalen Gerichtshofs und anderer inter nationaler Rechtsprechungsorgane über Fragen staatlicher Jurisdik tion1 59, aber auch zu Enteignungsmaßnahmen166 bei der Beurteilung von Vorfragen in Straf- und Zivilsachen zugrundegelegt. Aufnahmebe schlüsse des Völkerbundes161 und Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen162 wurden für die Beurteilung der Staatsqualität der betroffenen territorialen Einheiten herangezogen. In einer ganzen Reihe von Fällen wurden Beschlüsse der Generalversammlung der Rex v. Cooper, Oberster Gerichtshof von Norwegen, 20 ILR 166 (1953), Clunet 451 (1955) ; siehe auch die bereits erwähnten Fälle vor marokkani schen und französischen Gerichten über das Urteil des IGH über US Staats bürger in Marokko, oben II. B. 1. 160 Anglo-Iranian Oil Co. v. Idemitsu Kosan Kabushiki Kaisha, Bezirks gericht Tokyo, 1 953, 20 ILR 305, 308 (1953) ; Anglo-Iranian Oil Co. v. S. U. P. O. R., Zivilgericht Rom, 22 ILR 23, 40 (1955). 161 U. S. S. R. v. Luxemburg and Saar Company, Handelsgericht Luxem burg, 2. März 1935, 8 ILR 1 1 4 (1935 - 37). 182 Madzimbamuto v. Lardner-Burke, Appelate Division, Rhodesia, 29. Jan. 1968, 39 ILR 61, 209 ; Attorney-General of the Republic v. Mustafa lbrahim and Others, Supreme Court of Cyprus, 10. Nov. 1964, 48 ILR 6. 1 59
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14 Schreuer
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Vereinten Nationen zu Territorialfragen1 83, insbesondere im Zusam menhang mit der Unabhängigkeit neuer Staaten1 84 , von staatlichen Ge richten den Beurteilungen ihrer örtlichen Zuständigkeit zugrunde ge legt. In keinem dieser Fälle gibt es Anzeichen, daß die Gerichte auf Grund von Transformationsmaßnahmen oder Vollzugsbefehlen des örtlichen Rechts entschieden hätten. Der Versuch, die innerstaatliche Geltung solcher Beschlüsse auf die Genehmigung der Zuständigkeit des internationalen Organs in einem früheren Vertrag zurückzuführen166 , ist dabei nicht völlig überzeugend. Was vielleicht noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, daß auch in je nen Fällen, in denen die auf den internationalen Organakt .gestützten Argumente zurückgewiesen wurden, diese Zurückweisung nicht mit dem Fehlen einer Inkorporation in das örtliche Recht begründet wurde. Als Begründung wurden in solchen Fällen entweder die Unzuständig keit des internationalen Organs166, die Unrichtigkeit der Entscheidung167 oder ihre mangelnde Relevanz für den besonderen Fall1 68 angeführt. Die Verweigerung der Anerkennung einer internationalen Entschei dung zur Beantwortung einer Vorfrage mit Hilfe einer dualistischen Argumentation wurde offenbar nicht für sinnvoll gehalten. c) Die Sachentscheidung als Präzedenzfall Bei der Beachtung einer internationalen Entscheidung, regelmäßig eines Rechtsprechungsorgans, zum Zwecke der analogen Anwendung der dort ausgedrückten Rechtsansicht, ist die Verbindung zwischen der internationalen Entscheidung und dem Fall vor dem staatlichen Gericht noch entfernter als bei einer Vorfrage. Eine Transformation interna tionaler „Präzedenzfälle" in staatliches Recht zum Zwecke ihrer Be113 Attorney General of Israel v. El-Turani, Bezirksgericht Haifa, 21. Aug. 1951, 18 ILR 164, 166 (1951). 184 Mbounya, Conseil d'Etat (Fr.), 3. Nov. 1961, 8 AFDI 943 (1962) mit Hin weisen auf weitere Fälle; Union des Populations du Cameroun, Conseil d'Etat (Fr.), 24. Jan. 1962, 9 AFDI 1010 (1963) ; Passi c. Sonzogno, Corte di cassazione, 5. März 1953, 37 Rivista DI 579 (1954) ; Cassa di risparmio della Libia c. Dainotto, Corte di cassazione, 18. Aug. 1959, 44 Rivista DI 295 (1961) ; Ministero degli esteri etc. c. S. A. I. C. E. S., Appello Roma, 23. Juni 1965, 50 Rivista DI 694 (1967). 165 Ruzie, Le juge francais, S. 1 1 1 f. ; ibid., Les procedes, S. 575. 1 88 The Inge Toft, Ägyptisches Prisengericht, 10. Sept. 1 960, 31 ILR 509, 517 (1966) ; Ruiz Alicea v. U. S., Court of Appeals 1st Cir., 10. März 1950, 1 7 ILR 42, 46 (1950) ; U. S. v. Vargas, U. S. Dist. Ct., D. Puerto Rico, 29. Jan. 1 974, 370 F. Supp. 908. 187 RGSt 63, 395, 21. Jan. 1930. 188 Willis v. First Real Estate and Investment Co. et al., U. S. Court of Appeals 5th Circ., 24. Jan. 1934, 68 F. 2d 671 ; Eichmann Fall, Bezirksgericht Jerusalem, 12. Dez. 1961, 36 ILR 5, 58 f.
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rücksichtigung durch staatliche Gerichte ist praktisch kaum durchführ bar 1 69 . Beispiele für einen solchen Versuch sind nicht bekannt170 . In den vielen Fällen, in welchen staatliche Gerichte sich zur Beant wortung völkerrechtlicher Fragen auf internationale „Präzedenzfälle" stützten171 , tauchen dualistische Bedenken gegenüber dieser Praxis nur selten auf. Dabei setzen sich die Gerichte mit dieser Frage regelmäßig nicht auseinander, versuchen also meist gar nicht einen staatlichen An wendungsbefehl für die internationale Gerichtspraxis zu konstruieren. Von den wenigen Fällen, in denen solche Bedenken doch geäußert wurden1 72 , ist die Entscheidung eines Gerichts in Tanger173 das extrem ste Beispiel für eine solche Haltung. Das Gericht hatte hier über die Abgrenzung seiner Jurisdiktion gegenüber der amerikanischen Konsu largerichtsbarkeit zu entscheiden. Der Internationale Gerichtshof hatte eben diese Frage kurz zuvor in Bezug auf die fast identische Situation in Marokko entschieden174 • Das Gericht weigerte sich der Auslegung des Internationalen Gerichtshofs zu folgen, indem es zunächst die analoge Beachtung des ähnlich gelagerten Falles prinzipiell ablehnte171 und dann hinzufügte: . . . the judgments of the International Court of Justice resolve differences arising between States, which differences usually refer to conflicting in terpretation of treaties between the two nations concerned. The juridical value of such judgments is centred on the differences with which they deal, and the judgments are binding only upon the High Contracting Par ties, who must then take the necessary internal legislative measures to carry out the decisions of that high Court. For these reasons, those judg ments cannot have an obligatory character on individuals who might litigate on similar matters178• Gerade bei der Frage der Beachtlichkeit internationaler Entschei dungspraxis zu völkerrechtlichen Fragen ist es besonders offenkundig, daß ein starres Festhalten an dualistischen Vorstellungen177 zu völlig 189 Siehe jedoch die Vorschläge bezüglich der einheitlichen Interpretation von Konventionen zur Vereinheitlichung des Privatrechts unten Anm. 187. 1 70 Es sei denn, man wollte gesetzgeberische Maßnahmen zum Zwecke der Beseitigung eines von einem internationalen Entscheidungsorgan festge stellten Mangels in der staatlichen Rechtsordnung in diesem Sinne ver stehen. 171 Vgl. oben III. A. 1. c). m Siehe auch das Zitat zu Pavia c. Amministrazione Finanze, Appello Genova, 5. Jan. 1965, 49 Rivista DI 395, 399 (1966) oben auf S. 90. 178 Mackay Radio and Telegraph Co. v. Lal-la Fatma and others, Court of Appeal of the International Tribunal (ein staatliches Gericht), 13. Aug. 1954, 21 ILR 136 (1954). 174 ICJ Reports, S. 176 (1952). 1 76 Vgl. das Zitat oben S. 91. ne 21 ILR 137 (1954). 1 77 In diesem Sinne : Anzilotti, I1 diritto internazionale nei giudizi interni, S. 45 (1905) ; Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, S. 229 (1933) ; Makowski,
14 •
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unhaltbaren Ergebnissen führt. Das bisweilen behauptete Erfordernis einer Transformation internationaler Entscheidungen zum Zwecke ih rer Anwendung als Präzedenzfälle178 ist wenig realistisch. Der Versuch, den jeweiligen Stand der internationalen Rechtsprechung ständig durch legislative Maßnahmen an staatliche Entscheidungsorgane weiterzuge ben, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. In der Literatur ist meist versucht worden, dieser Schwierigkeiten mittels verschiedener Konstruktionen Herr zu werden. So hat man bis weilen die vertragliche Unterwerfung unter die Zuständigkeit des in ternationalen Organs als Anwendungsbefehl für die spätere Praxis dieses Organs interpretiert179 • Soferne die internationale Entscheidung einen völkerrechtlichen Vertrag betraf, welcher auch von staatlichen Rechtsanwendungsorganen zu beachten war, wurde erklärt, der Ver trag sei durch die Gerichte in der Art anzuwenden, wie er durch das internationale Organ ausgelegt worden ist180 • Ähnlich werden für das allgemeine Völkerrecht die entsprechenden Inkorporationsbestimmun gen der staatlichen Rechtsordnungen in dem Sinne verstanden, daß das Völkerrecht jeweils in der durch internationale Entscheidungen ge klärten Fassung anzuwenden ist 181 : Where the doctrine of incorporation applies and international law is accep ted as part of the law of the land, the clarification of international law by an international court or tribunal may be self-executory not only in the sense that it determines the point of law at issue between the parties to the particular case but equally in the sense that the law as clarified be comes a part of the law applicable as the law of the land in virtue of the doctrine of incorporation182 • Auch hier treffen wir also wieder auf den Versuch, die Beachtung internationaler Entscheidungen durch staatliche Gerichte mittels ihrer Angleichung an etablierte Erscheinungsformen des Völkerrechts zu L'organisation actuelle de l'arbitrage international, 36 RC 257, 377 (1931, II) ; Simons, Verhältnis der nationalen Gerichtsbarkeit, S. 35, 50 ; Kaufmann, eben dort auf S. 58. 1 78 Huber, Die Fortbildung des Völkerrechts auf dem Gebiete des Prozeß und Landkriegsrechts durch die II. internationale Friedenskonferenz im Haag 1907, 2 Jahrb. des öff. R. 470, 563 (1908) ; Wehberg, Kommentar, S. 152 ; Lim burg, L'Autorite, S. 585 ; Heise, Internationale Rechtspflege, S. 86 f., 153 f. 1 79 Waelbroek, Nature juridique, S. 5 1 5 ; Dominice, La nature juridique, S. 262 ; etwas vorsichtiger bezüglich der EMRK : Buergenthal, The Effect of the European Convention, S. 103 ; vgl. aber auch Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 81 f., wo diese Argumentation in Hinblick auf Art. 94 (1) der UN Charta verworfen wird. 1 80 Zorn, Das völkerrechtliche Werk der beiden Haager Konferenzen, 2 Zeitschr. f. Politik 321, 364 (1909) ; S0rensen, Principes, S. 1 1 9 ; Jenks, The Prospects, S. 745 ; Dominice, La nature juridique, S. 261 f. 181 Seidl-Hohenveldern, Transformation or Adoption, S. 98; Waelbroek, Nature juridique, S. 515. 182 Jenks, The Prospects, S. 690, vgl. auch S. 10.
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rechtfertigen. Wenngleich diese Konstruktionen im Einzelfall zu akzep tablen Ergebnissen führen können, sind sie doch nicht völlig befriedi gend 183. Insbesondere fällt bei den zuletzt angeführten Thesen von der Anwendung der internationalen Entscheidungspraxis auf dem Umweg über die Anwendung der in dieser Praxis interpretierten Normen auf, daß sie von der Vorstellung einer rein deklarativen Funktion der inter nationalen gerichtlichen und schiedsgerichtlichen Entscheidungen be einflußt zu sein scheinen. Als bloße Rechtserkenntnisquelle bedürften die internationalen Entscheidungen wohl keines gesonderten Anwen dungsbefehls im örtlichen Recht. Wie bereits oben ausgeführt184, ist eine solche Betrachtung jedoch nicht wirklichkeitsnah. Gerade im Völ kerrecht erfüllt die internationale Rechtsprechung eine wesentliche Funktion der Rechtsfortbildung. Die Vorstellung, eine Anwendung von internationalen Entscheidungen zu Verträgen oder zum Gewohnheits recht sei nichts anderes als die Anwendung dieser Verträge oder des Gewohnheitsrechts selbst, hat daher oft stark fiktiven Charakter. Bei den Diskussionen um spezifische Regelungen für die Wirkung internationaler Entscheidungen für künftige Fälle185 wurde auch die Frage der Anwendung solcher Präjudizien durch staatliche Gerichte berührt. In den Debatten der Haager Friedenskonferenz um die Prä zedenzwirkung von Schiedssprüchen für spätere Streitigkeiten, wurde ihre unmittelbare Anwendung durch staatliche Gerichte diskutiert188. Bei der Behandlung der gleichen Frage im Zusammenhang mit der einheitlichen Interpretation von Konventionen zur Vereinheitlichung des Privatrechts, wurden gesetzgeberische Maßnahmen für nötig ge halten, um diese Interpretationen für staatliche Rechtsanwendungsor gane bindend zu machen187. Lediglich im Rahmen der Vorabentscheidungen gibt es in einigen Fällen klare Regelungen bezüglich der direkten Anwendung von „Prä zedenzfällen". Soferne einmal gefällte Vorabentscheidungen interna tionaler rechtsprechender Organe auch für künftige Fälle vor staat lichen Gerichten gelten sollen188, kann an ihrer direkten Anwendung keinerlei Zweifel bestehen. 19s 184 185
Vgl. oben S. 189 f.
s. 68 f.
Oben III.A. 1. C) CC). The Proceedings of the Hague Peace Conferences 1907 (J.B. Scott, Hrsg.) Bd. II, S. 450 f. 187 Conference de la Haye en Droit International Prive, Actes de la Sixieme Session, S. 208, 233 f.; im gleichen Sinn ist auch die Resolution des Institut de Droit International aus 1929 in 35 Annuaire 306 (1929, II). 188 Siehe Art. 592 des Deutsch-Polnischen Abkommens über Oberschlesien, RGBl. 1922 II, S. 238 ; Art. 42 des deutsch-französischen Vertrags über das 188
214
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht 2. Autoritative Interpretationen durch internationale Organe
Von den an internationale Organe übertragenen Befugnissen autori tative Interpretationserklärungen abzugeben, hat, wie oben ausge führt1 89, bisher nur die Kompetenz der Exekutivdirektoren des Inter nationalen Währungsfonds nach Art. XVIII des Abkommens eine Be deutung für staatliche Gerichte erlangt. Die Interpretation zu Art. VIII/ 2 (b) des Abkommens von Bretton Woods ist immer wieder in Verfahren wegen zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit ausländischen Währungen von Bedeutung. Die Inkorporationspraxis der Mitglied staaten trägt diesem Umstand jedoch nicht Rechnung. Besondere staat liche Maßnahmen, um die Interpretationserklärung der Exekutivdi rektoren zu Art. VIII/2 (b) zu transformieren oder anwendbar zu er klären, sind nicht bekannt. In manchen Ländern wurden nur ganz be stimmte legislative Maßnahmen getroffen, um den Verpflichtungen des Abkommens zu entsprechen oder . nur bestimmte Teile des Abkommens mit „force of law" ausgestattet. Dabei wurde Art. XVIII etwa in Eng land1 90 und den U. S. A. 191 nicht berücksichtigt. Auch in den Staaten, in denen Art. XVIII als Bestandteil des Abkommens genehmigt und kund gemacht wurde, ist die Wirkung dieser Kundmachung für die späteren Interpretationsbeschlüsse problematisch. Für Österreich sind im Hin blick auf Art. 18/2 B.-VG. Bedenken gegen „Interpretationsverordnun gen" durch nichtösterreichische Stellen erhoben worden192 . Selbst für die Niederlande, deren Verfassung die Anwendung von Beschlüssen internationaler Organisationen vorsieht, ergeben sich Schwierigkeiten, da die Bedingung der örtlichen Veröffentlichung nicht erfüllt ist193. Die höchst unbefriedigende Folge einer Nichtbeachtung der offiziel len Interpretation des Art. VIII/2 (b) durch staatliche Gerichte wird in der Literatur mit Hilfe der bereits bekannten Konstruktionen vermieSaargebiet, BGBl. 1956 II, S. 1 589 ; Art. 6 des Vertrags über die Errichtung des Benelux Gerichtshofs, 13 European Yearbook 262 (1965). Dazu oben III. A. 1. c) ee). 189 III. A. 2. 190 Bretton Woods Agreement Act, 1945 ; Lachmann, The Articles of Agree ment of the International Monetary Fund and the Unenforceability of Certain Exchange Contracts, 2 NTIR 148, 1 53 (1953). 191 Gold, Interpretation by the Fund, S. 34 ; Meyer, Recognition of Exchange Controls, S. 883. Die offizielle Interpretation wurde in den USA durch den Chairman of the National Advisory Council on International and Financial Problems veröffentlicht : 14 Fed. Reg. 5208 (1949), zit. n. Meyer, S. 869. 192 Seidl-Hohenveldern, Probleme der Anerkennung ausländischer Devi senbewirtschaftungsmaßnahmen, S. 92 ; vgl. auch Aufricht, Das Abkommen des Internationalen Währungsfonds und die Unerzwingbarkeit bestimmter Verträge, 6 ÖZöR 529, 539 (1955). Art. 3 (2) 1 der Regierungsvorlage zum Ersten Staatsverträge-Sanierungsgesetz, 122 Blg NR XIII. GP, sieht Verfas sungsrang für Art. XVIII des Abkommens vor. 193 Lachmann, The Articles of Agreement, S. 154.
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
215
den: Die innerstaatliche Geltung des Art. XVIII soll auch die Anwend barkeit der unter dieser Bestimmung gefaßten Beschlüsse durch alle staatlichen Organe gewährleisten194 • Gegen diese Lösung sprechen die bereits oben allgemein geäußerten Bedenken zur Auslegung von Zu ständigkeitsbestimmungen als Anwendungsbefehle. Die Übernahme dieser Konstruktion würde überdies die Anwendung der Interpreta tionserklärung in den Ländern, welche Art. XVIII nicht inkorporiert haben, unmöglich machen. Auch die Auffassung, der Art. VIII/2 (b) sei, soferne seine Anwendbarkeit außer Zweifel steht195 , in der durch die Exekutivdirektoren ausgelegten Version anzuwenden196, gibt keine vollständige Antwort auf die „innerstaatliche Geltung" der Interpre tationserklärung. Der Interpretationsbeschluß eines internationalen Or gans ist ein autonomer Bestandteil des internationalen Entscheidungs prozesses. Auch eine für andere Entscheidungsorgane autoritative Aus legung ist Rechtsetzung. Ähnlich wie bei internationalen „Präzedenz fällen" wäre es daher gekünstelt, der Frage ihrer Anwendbarkeit durch staatliche Gerichte unter Hinweis auf ihren angeblich nur dekla rativen Charakter ausweichen zu wollen. Die Praxis der Gerichte 197 zeigt keinerlei Spuren solcher theoretischer Bedenken. In keinem der Fälle, in denen die Interpretationserklä rung zu Art. VIII/2 (b) herangezogen wurde, zeigen sich die Gerichte über das Fehlen eines staatlichen Anwendungsbefehls besorgt. Die Fälle, in denen die Interpretationserklärung übergangen wird, tun dies stillschweigend und ohne Angabe von Gründen. Bemerkenswert ist vielleicht auch noch, daß selbst das Fehlen einer Übernahme des Art. XVIII in die staatliche Rechtsordnung keinen Einfluß ausgeübt zu ha ben scheint. Eine Reihe von Fällen vor Gerichten der U. S. A.198 zeigt das deutlich. In England199 finden sich in einer frühen, noch vor der Interpretationserklärung der Exekutivdirektoren gefällten Entschei dung200, sogar gewisse Bedenken, den Art. VIII/2 (b) ohne die Hilfe einer offiziellen Auslegung des Währungsfonds zu interpretieren. In Hexner, Interpretation, S. 353. Dazu vgl. Nussbaum, Exchange Control, S. 422, 428 f. 198 Gold, Certain Aspects, S. 88 ; Skubiszewski, Resolutions, S. 88 ; ibid., Legal Nature, S. 200 ; .Meyer, Recognition, S. 884. 197 Siehe oben III. A. 2. 198 Siehe Kapitel III. A. 2. Anm. 215. 199 Vgl. Mann, The Private International Law of Exchange Control under the International Monetary Fund Agreement, 2 ICLQ 97, 104 (1953), welcher die rechtliche Wirkung der offiziellen Interpretation in England bezweifelt. Siehe auch ibid., Der Internationale Währungsfonds und das internationale Privatrecht, JZ 442, 445 (1953). Contra: Gold, The Interpretation by the In ternational Monetary Fund, S. 272 ; ibid., Interpretation by the Fund, S. 40. 20° Kahler v. Midland Bank Ltd., Court of Appeal, 19. Apr. 1948, [1948] 1 All E. R. 811, 819. 194
195
216
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
einem späteren englischen Urtei1201 wurde zwar dem Inhalt der inter nationalen Interpretationserklärung gefolgt, diese aber mit keinem Wort erwähnt. 3. Reglements Die Formulierung generell-abstrakter verbindlicher Vorschriften (Reglements) durch internationale Organe entspricht von allen Formen internationaler Beschlüsse am meisten dem, was herkömmlicherweise unter dem Begriff der Rechtsetzung verstanden wird. Das ist vermut lich ein Grund dafür, daß bei dieser Art internationaler Organakte die Frage ihrer Inkorporation in das staatliche Recht am meisten im Vordergrund gestanden ist. Die Anwendung allgemeiner und detail lierter Bestimmungen, welche von internationalen Organisationen her rühren, durch staatliche Rechtsanwendungsorgane, läßt sich nur sehr schwer mittels rechtsquellentheoretischer Konstruktionen mit einem Rechtsetzungsmonopol staatlicher Organe oder einer dualistischen Auf fassung in Einklang bringen. Dementsprechend wird in der Literatur auch ganz überwiegend die Meinung vertreten, Reglements, welche von internationalen Organisationen traditionellen Typs stammen, wie etwa die Annexe zum Abkommen von Chicago über die Internationale Zi villuftfahrt, bedürften eines staatlichen Aktes der Transformation202 • Bisweilen wird dieses Erfordernis mit der Einschränkung verstanden, daß einige bestimmte Regelungen, wie etwa die nach Art. 12 des ICAO Abkommens für einen Flug über der Hohen See unzweifelhaft binden den Bestimmungen, auch ohne staatliche Durchführungsmaßnahmen gelten sollen203 • Nur selten wird auch außerhalb der Europäischen Ge meinschaften, der Rechtsetzung durch internationale Organisationen eine direkte Wirkung für die staatlichen Rechtsanwendungsorgane, bzw. die einzelnen Rechtsunterworfenen zugestanden204 • Wenngleich die konstitutiven Verträge dieser Organisationen meist keine klare Auskunft über die Art der staatlichen Durchführung der 201
230.
Sharif v. Azad,
Court of Appeal, 4. Okt. 1966, [1967) 1 Q. B. 605, 41 ILR
202 Mosler, Internationale Organisation und Staatsverfassung, S. 286 ; Skubiszewski, Enactment, S. 267 m. w. H. ; ibid., Legal Nature, S. 197 ; Erler, Rechtsfragen der ICAO, S. 148 f. m. w. H. ; Manin, L'organisation de l'aviation civile internationale, S. 148 f. ; Stein, Application and Enforcement, S. 69 ; Ruzie, Le juge francais, S. 106; ibid., Les procedes, S. 574; zur OECD vgl. Hahn, Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick lung, 12 Jahrb. des öff. R. 1, 27 (1963) ; Hanreich, Die Beschlüsse, S. 187, 194 f. 203 FitzGerald, The International Civil Aviation Organization, S. 166 f. ; Schermers, International Institutional Law, S. 534; contra: Manin, L'organi sation de l'aviation civile internationale, S. 153 f. 204 Nicht völlig klar: Miele, Les organisations internationales, S. 347 f.
C. · Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
217
von ihnen beschlossenen Reglements geben2 06, läßt die Haltung der Or ganisationen doch manchmal erkennen, daß allgemeine Durchführungs maßnahmen für nötig gehalten werden. In einer Resolution aus dem Jahre 1948 forderte etwa der Rat der ICAO die Mitgliedstaaten auf, ICAO „standards" in ihre nationalen Rechtsvorschriften aufzunehmen und dabei dem Wortlaut und der Systematik, wie sie von der ICAO be nützt wurden, so weit wie möglich zu folgen206 • Diese Aufforderung wurde in den Vorworten zu den einzelnen Annexen wiederholt, wobei allerdings seit 1952 eine flexiblere Haltung eingetreten ist und nur mehr jene Bestimmungen ins staatliche Recht zu übernehmen sind, welche für eine Inkorporation geeignet gehalten werden207 • Die Inkorporationspraxis der einzelnen Staaten zu solchen Beschlüs sen ist, soweit sie sich überblicken läßt, uneinheitlich. Eine erkennbare Methode ist ein in einem staatlichen Gesetz enthaltener genereller Ver weis auf die internationalen Bestimmungen, oder Teile von ihnen, in ihrer jeweils von der internationalen Organisation beschlossenen Fas sung. Dieses Mittel wurde von einigen Staaten bezüglich der Annexe zum Abkommen von Chicago gewählt208 • In Staaten mit einer bereits vorhandenen entwickelten Gesetzgebung auf dem Gebiet des Luft fahrtrechts würde eine solche pauschale Einführung der Annexe aller dings zu Schwierigkeiten führen. Eine Reihe von Staaten, darunter die U. S. A. 209 , das Vereinigte Königreich2 1 0, Kanada2 1 1, Australien2 12 , die BRD 2 13 und Österreich2 14 , haben daher Gesetze erlassen, welche eine Verordnungsermächtigung an die Exekutive enthalten, um eine Anpas205 Manin, L'organisation de l'aviation civile internationale, S. 156 will aus Art. 38 des Vertrags zur Gründung der ICAO eine Pflicht zur Setzung staat licher Durchführungsmaßnahmen ableiten. 208 Zitiert bei Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 102 f. ; vgl. auch Merle, Le pouvoir reglementaire, S. 359 ; Manin, L'organisation de l'aviation civile internationale, S. 153. 207 Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 103 f. ; Manin, L'organisation de l'aviation civile internationale, S. 156. Vgl. auch die Stellungnahmen der Mitgliedstaaten in diesem Sinne, zit. bei Detter, Law Making by Interna tional Organizations, S. 255 f. 208 Buergenthal, Law-Making in the ICAO, S. 105 führt als Beispiele den Sudan, Laos, Libyen und El Salvador an. 209 Federal Aviation Act (1958), zit. n. Erler, Rechtsfragen der ICAO, S. 152. 210 Sec. 8 des Civil Aviation Act 1949, abgedruckt bei Shawcross and Beaumont on Air Law Bd. 2, S. B 63 (1966 - 74). 211 Sec. 4 des Aeronautics Act 1952, zit. n. Erler, Rechtsfragen der ICAO, s. 152. 212 Sec. 26 (1) (b) des Air Navigation Act 1960, zit. n. Buergenthal, Law Making in the ICAO, S. 106. 213 § 32 Abs. 3 Luftverkehrsgesetz, BGBl. 1959 I, S. 16. 21 4 Luftfahrtgesetz, BGBl. 253/1957. Eine detaillierte Darstellung findet sich bei Bernard, Die Transformation der Normen der ICAO in die österreichische Rechtsordnung, S. 355 f.
218
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
sung der staatlichen Rechtsvorschriften an die Annexe zu ermöglichen. Auch eine fallweise Erlassung entsprechender Rechtsvorschriften zur Anpassung der staatlichen Rechtsordnung an die von internationalen Organisationen stammenden Reglements läßt sich beobachten2 15 . So sind etwa verschiedene Annexe zum ICAO-Abkommen in Frankreich durch ,decrets', ,arretes', ,circulaires' und ,instructions ministerielles' anwend bar gemacht worden2 16 . Eine sachliche Begründung für diese unter schiedliche Behandlung läßt sich nicht erkennen. Schließlich verbleibt noch die Methode einer einfachen Veröffentlichung im staatlichen Promulgationsorgan als Mittel der „Inkorporation" . Sie wird vor allem für die International Sanitary Regulations der Weltgesundheitsorgani sation2 1 7, bisweilen für Beschlüsse des EFTA-Rates2 18 sowie in Öster reich für Beschlüsse der Gemischten Ausschüsse gemäß den Abkommen mit den Europäischen Gemeinschaften herangezogen219 . Auch die Entscheidungspraxis der staatlichen Gerichte zu dieser Art von Beschlüssen internationaler Organisationen ist keineswegs konse quent und einheitlich. In Fällen, in denen Durchführungsmaßnahmen des örtlichen Rechts existieren, ergeben sich regelmäßig keine Prom Dieses Verfahren wird in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten für Be schlüsse des EFTA Rates angewandt. Siehe den anonymen Aufsatz : Die Aus führung der Ratsbeschlüsse in den Mitgliedstaaten, in 12 EFTA Bulletin Nr. 2, S. 9 (1971). 218 Siehe die detaillierte Darstellung bei Manin, L'organisation de l'aviation civile internationale, S. 161 f. ; vgl. auch Merle, Le pouvoir reglementaire, s. 358. 217 In Osterreich wurde anläßlich der Kundmachung in BGBl. 97/1953 erklärt, die International Sanitary Regulations „sind gemäß den Vorschriften des Artikels 107 dieser Regelungen im zusammenhalte mit den Bestimmun gen des Artikels 22 der Satzung der Weltgesundheitsorganisation, BGBl. Nr. 96/1949, in Osterreich in Kraft getreten". Die schweizerische Bundes versammlung, der die Int. Sanitary Regulations vom Bundesrat wie ein Ver trag zur Genehmigung zugeleitet worden waren, weigerte sich in die Sache einzutreten, da die Regulations schon nach Art. 21 der WHO Satzung bindend seien und daher keine neuen Verpflichtungen enthielten. Sie wurden kund gemacht in ROLF 1952, 861. Dominice, La nature juridique, S. 255 ; vgl. auch Huber, Die internationale Quasilegislative, S. 28. Ähnlich wurde auch in Belgien vorgegangen : Waelbroek, Nature juridique, S. 504. In der Bundes republik wurden die Int. Sanitary Regulations „mit Gesetzeskraft veröf fentlicht". BGBl. 1955 II, S. 1062. Zur Behandlung der Int. Sanitary Regula tions in Frankreich siehe Ruzie, Le juge frani;ais, S. 107 f. 218 Mori, Rechtssetzung, S. 118 f. Zur schweizer Praxis siehe Bindschedler, Die Vollziehung völkerrechtlicher Verträge in den EFTA-Staaten, Schweiz, 12 EFTA Bulletin No. 9, S. 8, 10 (1971). Dem entspricht auch die österreichi sche Praxis einer einfachen Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Vgl. dazu zwei höchstgerichtliche Entscheidungen in welchen der Art. 7 des EFTA Vertrages in der durch den Rat abgeänderten Fassung angewendet wird : VerfGH Slg. 5935, 6. Juni 1969 ; Verwaltungsgerichtshof, 6. Nov. 1970, Osterr. Steuer Zeitung Beilage 112 (1971). Im ersten Fall wurde überdies eine Inter pretationserklärung des EFTA-Rats herangezogen. 219 Vgl. unten IV. D. 2. Anm. 289. Hanreich, Die Beschlüsse, S. 194 hält diese Praxis für verfassungswidrig.
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
219
bleme. Die betreffende Rechtsvorschrift wird dann unter Berufung auf den staatlichen Anwendungsbefehl herangezogen220 • Eine ausdrückliche Weigerung, die von internationalen Organisatio nen herrührenden generellen Vorschriften mangels staatlicher Durch führungsmaßnahmen anzuwenden, läßt sich nur selten nachweisen: Ein Urteil des belgischen Kassationshofs221 verwarf in einem Streit um eine Baubewilligung für einen Turm nahe einem Flughafen den Ver such des Staatsvertreters, sich auf Annex 14 zur Konvention von Chi cago zu stützen, da dessen Bestimmungen nicht durch staatliche Gesetz gebung anwendbar gemacht worden waren. Bei einer ähnlichen Feststellung der Cour d'appel de Paris betref fend die International Sanitary Regulations222 handelt es sich jedoch offenbar um ein obiter dictum: Solche Maßnahmen lagen im besonde ren Fall vor, der Anwendung stand also nichts im Wege. Das Schweizer Bundesgericht schließlich wich der Frage der inner staatlichen Geltung eines Ratsbeschlusses der OECD mit dem Hinweis auf die mangelnde inhaltliche Ausgestaltung der internationalen Be stimmung aus: Ziff. 5 des Ratsbeschlusses ist inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, um Grundlage für einen Entscheid im Einzelfall bilden zu können. Das Bun desgericht kann sie deshalb nicht unmittelbar anwenden. Die Bestimmung richtet sich lediglich an die politischen Behörden. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß sie nicht amtlich publiziert worden ist223 • Auch hier sollte die geringe Anzahl abweisender Entscheidungen nicht zu einer quantitativen Analyse verleiten. Es kann vermutet wer den, daß in einer größeren Anzahl von Fällen derartige internationale Rechtsvorschriften materiell anwendbar gewesen wären, aber mangels m z. B.: Hurwits v. State of the Netherlands, Bezirksgericht Den Haag, 12. Juni 1958, 6 NTIR 195 (1959), 26 ILR 602, zum Liberalisierungskodex der OEEC; K. F. 0. v. Public Prosecutor, Oberster Gerichtshof der Niederlande, 15. Juni 1971, 3 NYIL 296 (1972) sowie Verenigde Tankrederij N. V. v. wmem Geervliet, Oberster Gerichtshof der Niederlande, 25. Feb. 1972, 4 NYIL 413 (1973) zu den Polizeiverordnungen der Zentralkommission für die Rhein schiffahrt; Beschlüsse vom 7. Juli 1964 und 27. April 1965 des spanischen Tribunal Econ6mico-Administrativo Central, 19 Revista Esp. DI 452 (1966), 20 Revista Esp. DI 502 (1967) zu Empfehlungen des Rats für die Zusammen arbeit auf dem Gebiet des Zollwesens. 221 Belgium v. Marquise de Croix de Maillie de la Tour Landry et al.,
3. Okt. 1957, 24 ILR 9 (1957).
222 Dame Maury et Pivert cf Ministere public, 18. Nov. 1967, 48 ILR 231, 14 AFDI 866 (1968), 95 Clunet 728 (1968) : ,. . . . Le reglement sanitaire international adopte par !'Organisation mondiale de la Sante n'est pas de plein droit applicable au droit interne des pays membres de ladite organisation ; que pour ce faire, il etait necessaire que des mesures reglementaires inter viennent dans chacun des pays signataires"; vgl. dazu Ruzie, Le juge francais, s. 107 f. 228 12. Juli 1974, 1 EuGRZ 14 (1974).
220
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
eines staatlichen Anwendungsbefehls stillschweigend übergangen wur den. Diesen Fällen stehen andere gegenüber, in denen sich die Gerichte keine besonderen Gedanken über staatliche Durchführungsmaßnahmen gemacht zu haben scheinen. In zwei französischen Fällen hatten die Gerichte, einschließlich der Cour de cassation224 , keinerlei Bedenken ge gen die Anwendung des Annex 9 zur Konvention von Chicago, obwohl dieser in Frankreich weder inkorporiert noch kundgemacht worden war. Ähnlich wandte das Oberlandesgericht Frankfurt/Main Bestimmungen der Annexe 11 und 15 zur Konvention von Chicago ohne einen Hin weis auf deutsche Durchführungsmaßnahmen an225 • Allerdings wäre es vermutlich irreführend, irgendwelche weitreichenden Schlüsse aus die sen Fällen zu ziehen. Es spricht einiges dafür, daß sich die Gerichte über den wahren Ursprung dieser „Annexe" nicht im klaren waren und sie einfach für einen Bestandteil der Konvention hielten. Ebensowenig ge ben einige vereinzelte Fälle226 , in denen andere generelle Beschlüsse internationaler Organe, anscheinend ohne staatliche Durchführungsbe stimmungen, herangezogen wurden, zuverlässige Hinweise auf eine allgemeine Praxis. 4. Internes Organisationsremt
Für den Bereich des internen Rechts internationaler Organisationen besteht eine weitgehende Rechtsetzungsbefugnis insbesondere auf dem Gebiete des Angestelltenrechts227 • Eine „Transformation" dieser Vor schriften in staatliches Recht erscheint kaum angebracht, da es ja inter nationale Organe sind, welche dieses Recht anzuwenden haben. Auch 224 Public Prosecutor and Customs Administration v. Schreiber and Air France, Berufungsgericht Dakar, 15. Mai 1957, 24 ILR 54 (1957), bestätigt von
der Cour de cassation, 8. Nov. 1963, Dalloz Somm., S. 38 (1964), vgl. auch Ruzie, Le juge francais, S. 107; Re Males, Cour de cassation, 29. Juni 1972, 101 Clunet 142 (1974); 19 AFDI 979 (1973), in diesem Fall wies das Außen ministerium, auf eine Anfrage betreffend die Interpretation der Bestimmun gen, darauf hin, daß der Annex nicht ohne weiteres anwendbar sei. 225 25. Feb. 1965, 16 Zeitschrift f. Luftrecht u. Weltraumrechtsfragen 185, 188 (1967). 228 Staatsianwaltschaft des Kantons Thurgau v. Lang u. Legler, Bundes gericht, 27. Jan. 1950, BGE 76 IV 43, 17 ILR 306 (1950) bezüglich der Anhänge zum Pariser Luftfahrtabkommen; Schweizer Zollrekurskommission, 22. März 1961, bezüglich der „explanatory notes" des „Nomenclature Committee" nach Art. IV c der Convention on the Nomenclature for the Classification of Goods in Customs Tariffs, 347 UNTS 129, Dominice, La nature juridique, S. 256; Beschlüsse vom 24. Sept. 1963 und 14. Jan. 1964 des span. Tribunal Econ6mico-Administrativo Central, 18 Revista Esp. DI 225 (1965), 19 Revista Esp. DI 79 (1966), in welchen die „Kriterien", formuliert vom Ausschuß für Zollwert gemäß Art. V des Abkommens über den Zollwert der Waren vom 15. Dez. 1950, angewandt werden. 227 Vgl. oben III. C. 2.
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
221
hier zeigt allerdings die Praxis, daß die theoretisch so überzeugende begriffliche Trennung verschiedener Rechtsordnungen den Realitäten des internationalen Entscheidungsprozesses nicht immer ganz gerecht wird. Zwar obliegt die Anwendung und Durchführung dieser Vor schriften in erster Linie den Organen jener Institutionen, welche die Vorschriften geschaffen haben. Dennoch gibt es Fälle, in welchen Be stimmungen des Angestelltenrechts internationaler Organisationen in zidenter auch von staatlichen Gerichten heranzuziehen waren. Italienische Gerichte stützten sich auf die Staff Regulations der In ternationalen Flüchtlingsorganisation zur Lösung der verfahrensrecht lichen Vorfrage ihrer Zuständigkeit gegenüber den im Rahmen der Organisation vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismen22 8 • Daneben ist insbesondere eine amerikanische Entscheidung229 interessant, in wel cher sogar materielle Vorschriften des Angestelltenrechts der Verein ten Nationen vom Gericht angewendet wurden. Die Angeklagte hatte sich vor einem Unterkomitee des Kongresses geweigert, bestimmte Angaben über ihr Angestelltenverhältnis bei den Vereinten Nationen zu machen und berief sich dabei auf die Geheimhaltungspflicht nach den „Staff Regulations" und den „Staff Rules" der Organisation. Das Bezirksgericht, welches sie deswegen verurteilte, meinte in traditionell dualistischer Manier: The United Nations is not clothed with the power to legislate on matters in the realm of municipal law of the United States230• Diese Verurteilung wurde vom Berufungsgericht aufgehoben. Es mein te, die Angeklagte wäre berechtigt, sich auf Staff Rule No. 7, welche die Schweigepflicht festlegte231 , zu stützen. Diese Fälle zeigen wieder deutlich, daß ein staatliches Entscheidungs organ in die Lage kommen kann, über Rechtsfragen zu befinden, auf die auch nicht inkorporiertes Recht internationalen Ursprungs sachlich anwendbar ist. Ein starres Beharren auf einer Transformation oder einem ausdrücklichen Anwendungsbefehl müßte in diesen Situationen zu unvertretbaren Ergebnissen führen. 228 Viecelli v. IRO, Tribunale Trieste, 20. Juli 1951, 36 Rivista DI 470 (1953), 49 AJIL 102 (1955) ; Maida v. Administration for International Assistance, Corte di cassazione, 39 Rivista DI 546 (1956), 23 ILR 510 (1956). 229 Keeney v. U. S., Court of Appeals, D. C., 26. Aug. 1954, 218 F. 2d 843, 20 ILR 382 (1953). 230 17. März 1953, 1 1 1 F. Supp. 233, 47 AJIL 715 (1953). 231 „Staff members shall exercise the utmost discretion in regard to all matters of official business. They shall not communicate to any other person any unpublished information known to them by reason of their official position except in the course of their duties or by authorization of the Secretary General."
222
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
5. Generell-abstrakte Empfehlungen
Ebenso wie die auf Grund einer speziellen Normsetzungsbefugnis erlassenen Reglements, haben auch eine große Anzahl von Empfehlun gen die Schaffung generell-abstrakter Verhaltensstandards zum Zie le232 . Allerdings ·weichen sie vom Idealbild der Rechtsetzung durch ihre verminderte Autorität ab. Die Inkorporation einer internationalen Empfehlung in staatliches Recht ginge meist über die von ihr geschaf fenen Rechtserwartungen hinaus und wird regelmäßig nicht als eine der Verpflichtungen der Adressaten betrachtet. überdies würde eine Übernahme in die staatliche Rechtsordnung auch eine wesentliche Ver änderung in der Autorität oder Rechtsnatur mit sich bringen, da die in internationalen Organisationen bekannte Konstruktion der Empfeh lung den meisten staatlichen Rechtsordnungen fremd sein dürfte. Während die Frage der staatlichen Durchführung von Reglements internationaler Organisationen in der Literatur beträchtliche Aufmerk samkeit genießt, in der gerichtlichen Entscheidungspraxis aber nur ver hältnismäßig selten eine Rolle spielt, ist die Situation in Bezug auf Empfehlungen gerade umgekehrt. Ihr nicht verbindlicher Charakter disqualifiziert sie für die meisten Autoren offensichtlich von einer Behandlung als „Normen" 283 . Eine Transformation oder ein Anwen dungsbefehl für Rechtsanwendungsorgane wie Gerichte wird bezüg lich solcher Beschlüsse mit dubiosem Rechtscharakter nicht erwogen234 . Die praktischen Anwendungsfälle sind dagegen zahlreich. Ein Blick auf die staatliche Inkorporationspraxis zu allgemeinen Emp fehlungen internationaler Organe ist wenig ergiebig. Der indirekte Einfluß solcher Empfehlungen auf die Gesetzgebung einzelner Staaten läßt sich allerdings kaum abschätzen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte diente zwar als Vorbild für eine Reihe von Grund rechtskatalogen in staatlichen Verfassungen236, doch war sie dabei wohl mehr eine Vorlage für die legistische Arbeit als ein Gegenstand staat licher Durchführung. Auch Klauseln wie in der algerischen Verfas sung236 sind vermutlich nicht als Inkorporationsnormen sondern als programmatische Erklärungen zu verstehen. 232
Vgl. oben III. A. 4. Vgl. jedoch Waelbroek, Nature juridique, S. 504 f. 284 Siehe jedoch Sloan, The Binding Force, S. 30 ; Kiss, Nature juridique, s. 269 f. 235 Dazu McDougal and Bebr, Human Rights in the United Nations, S. 639 ; Schwelb, The Influence of the Universal Declaration, S. 223 ; Skubiszewski, Legal Nature, S. 204. 288 Art. 1 1 : ,,La Republique donne son adhesion a la Declaration univer selle des droits de l'Homme . . . ". Vgl. auch Art. 7 der Verfassung von Soma lia, sowie die Präambeln zu den Verfassungen von Dahomey, Elfenbein küste, Gabon, Guinea, Kamerun, Madagaskar, Mali und Senegal. 23s
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
223
Selbst die in einigen Staaten geübte Praxis der Veröffentlichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hinterläßt im Lichte einschlägiger Gerichtsentscheidungen beträchtliche Zweifel. Die Cour d'Appel de Paris kam in einem urheberrechtlichen Fall237 zur Über zeugung, diese Veröffentlichung komme einer Gleichsetzung mit einem französischen Gesetz gleich: . . . la Declaration Universelle des Droits de l'Homme votee le 10 decembre 1948 par l'Assemblee des Nations Unies et publiee au Journal Officiel du 19 fevrier 1949, ce qui en fait une loi de l'Etat francais, stipule238• • • Der französische Conseil d'Etat dagegen wies diese Ansicht entschieden zurück. In zwei Fällen239 , vor und nach der Entscheidung des Pariser Berufungsgerichts, meinte er, die Veröffentlichung im Journal Officiel rechtfertige nicht die Annahme, daß die Allgemeine Erklärung in Frankreich Rechtscharakter habe, da die Verfassung dies nur für ord nungsgemäß ratifizierte und publizierte Verträge vorsehe240 • In ähn licher Weise verwarf auch der belgische Conseil d'Etat24 1 eine Beru fung auf die Allgemeine Erklärung, trotz ihrer Veröffentlichung im Moniteur Belge.
Das Fehlen jeglicher Maßnahmen der Übernahme von Empfehlun gen, wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in den mei sten Staaten, hat nur in einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Fällen zu einer Weigerung der Gerichte geführt, sie anzuwenden. Dies vor allem in Ländern wie Irland242 , Ceylon243 und Mauritius244 , wo sich 287 Ste Roy Export and Charlie Chaplin cf Societe Les Films Roger Richebe, 29. Apr. 1959, 87 Clunet 128 (1960). 238 Auf S. 136. Im darauffolgenden Zitat verwechselt das Gericht allerdings Art. 17 der Allgemeinen Erklärung mit Art. 15. 1. (c) des damals von der Generalversammlung noch gar nicht beschlossenen Texts zum Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 238 Elections de Nolay, 18. Apr. 1951, 17 AFDI 24 (1971) ; Re Car, 11. Mai 1960, 88 Clunet 404 (1961), 39 ILR 460. uo Diese Ansicht wird auch in der französischen Literatur unterstützt : Dehaussy, Les conditions d'application des normes conventionelles sur le for interne francais, 87 Clunet 703, 715 (1960) ; Ruzie, Le juge francais, S. 1 10. 24 1 De Meyer c. Etat belge, 9. Feb. 1966, 4 RBDI 569 (1968), 47 ILR 196. Vgl. auch Manderlier v. UN & Belgium, Tribunal civil Brüssel, 11. Mai 1966, 45 ILR 446, 451. Der Anspruch scheiterte hier hauptsächlich an der Immunität der Vereinten Nationen, das Gericht führte jedoch die mangelnde Inkorporation als zusätzliches Argument an. 242 In re O'Laigleis, Supreme Court, 3. Dez. 1957, 8 BILC 853, 864 sowie das dictum hiezu in The State v. Furlong, High Court, 24. Jan. 1966, 9 BILC 369, 372. 2 48 The Queen v. Liyanage, 65 New Law Reports 73, 82 (1964). 20 Roussety v. The Attorney General, High Court, 30. März 1967, 44 ILR 108, 130 ; siehe jedoch den zweideutigen Hinweis auf die Allgemeine Erklä rung in Director of Public Prosecutions v. Labavarde and Another, High Court, 9. März 1965, 44 ILR 104, 106.
224
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
diese Haltung auch mit dem Einfluß des englischen Prinzips einer Übernahme von Vertragsverpflichtungen nur durch spezielle Gesetze erklären läßt245. Allerdings haben auch der österreichische Verfassungs gerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof246 erklärt, die Allgemeine Erklärung bilde nicht „Bestandteil der österreichischen Rechtsord nung"247. Auch bei Empfehlungen kann dieser Hinweis auf das Fehlen einer Inkorporation eine bewußte Abwehrstrategie zur Vermeidung der un erwünschten Folgen ihrer Anwendung darstellen248. Allerdings scheint sie, verglichen mit anderen Begründungen, etwa dem Fehlen einer ,,Bindungswirkung"249, von geringerer Bedeutung zu sein. Im weitaus größeren Teil der Fälle hat das Fehlen von Transfor mationsmaßnahmen oder staatlichen Anwendungsbefehlen die Gerichte nicht an einer Heranziehung von Empfehlungen, insbesondere der All gemeinen Erklärung der Menschenrechte, gehindert. Dabei lassen sich auch hier bisweilen Konstruktionen beobachten, welche die Allgemeine Erklärung auf Umwegen in die staatliche Rechtsordnung einschleusen wollen. Insbesondere italienische Gerichte haben, getreu ihrer dualisti schen Einstellung, solche Versuche unternommen. Dies geschah entwe der über die Europäische Menschenrechtskonvention, die in ihrer Prä ambel auf die Allgemeine Erklärung verweist und in Italien inkorpo riert worden ist250, oder häufiger, indem die Menschenrechtserklärung unter den Begriff der „norme del diritto internazionale generalmente riconosciute", subsumiert wurde, welche nach Art. 10 der Verfassung im italienischen Recht anerkannt sind251 • Auch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Philippinen262 wendet die Menschenrechts245 Allgemein dazu Schreuer, The Interpretation of Treaties, S. 256 f. ; siehe jedoch R. v. Romano vor dem englischen Court of Criminal Appeal, 15. Juli 1963, 8 BILC 790. In diesem Falle fand es das Gericht zwecklos, eine Empfeh lung auf Deportation eines Doppelstaatsbürgers auszusprechen, da der Horne Secretary mitgeteilt hatte, er sähe sich angesichts der Allgemeinen Erklä rung außerstande eine derartige Deportation auszuführen. 248 VerfGH: 5. Okt. 1950, Slg. 2030, 46 AJIL 161 (1952), 78 Clunet 622 ((1951) ; 6. Okt. 1970, Slg. 6260. Verwaltungsgerichtshof: 16. Dez. 1966, Slg. 7045 A. 247 Siehe dazu oben III. C. 3. und vergleiche die zahlreichen Entscheidungen in denen sich Gerichte der BRD mit der Allgemeinen Erklärung auseinander setzten. 248 Vgl. Military Prosecutor v. Halil Muhamad Mahmud Halil Bakhis and Others, israelisches Militärgericht in Ramallah, 10. Juni 1968, 47 ILR 484. 24D Siehe oben III. A. 4. a). 250 Ministry of Home Affairs v. Kemali, Corte di cassazione, 1. Feb. 1962, 40 ILR 191, 195 ; nicht völlig klar ist der Hinweis auf legislative Durchfüh rungsmaßnahmen in Fallimento Ditta Maggi cf Ministero del tesoro, Tribu nale di Roma, 27. Juli 1959, LXXXIII Il foro italiano 1960, I, 505, 507, 28 ILR 607, 609. 251 Vgl. oben III. A. 4. b) bb), Anm. 303. 2 52 Loc. cit.
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
225
erklärung als Bestandteil der allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts an, welche von der Verfassung übernommen werden. Dazu stehen mehrere Entscheidungen aus der Bundesrepublik Deutschland253 in Widerspruch, welche ausdrücklich betonen, die Men schenrechtserklärung gehöre nicht zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" im Sinne des Art. 25 des Grundgesetzes. Das hat west deutsche Gerichte j edoch nicht daran gehindert, sich in einer Reihe von Entscheidungen auf die Allgemeine Erklärung und andere Empfehlun gen zu stützen254 . Von diesen Entscheidungen sind hier vor allem jene interessant, welche sich bei ihrer Berufung auf internationale Empfeh lungen von Begriffen wie einem ordre public international256 , einem ,,ewigen Naturrecht" 258 oder „jeder Rechtsordnung vorgegebenen Grund sätzen" 257 leiten lassen. Eine ausdrückliche Übernahme solcher funda mentaler internationaler Prinzipien in das örtliche Recht, als Voraus setzung für ihre Beachtung, wird offensichtlich nicht für nötig gehal ten21s. Der größte Teil der Fälle, in denen Empfehlungen herangezogen werden25 9, enthält keinen Hinweis darauf, daß sich die Gerichte dabei irgendwelcher Probleme des Verhältnisses von Völkerrecht und Lan desrecht bewußt gewesen wären. In zahlreichen Fällen stützen sich die Entscheidungen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor allem als Interpretationshilfe für staatliches Recht280 .
6. Formlose Akte Informelle Mitteilungen, Expertenberatungen und tatsächliche Hand lungen internationaler Organe genießen zwar, nach Maßgabe der be sonderen Umstände, eine gewisse Autorität261 , stellen aber auch bei großzügigster Interpretation keine „Rechtsbefehle" dar. Versuche, sol che Akte zu inkorporieren oder im staatlichen Recht auf sie zu verwei sen, sind nicht bekannt und meist auch schwer denkbar. Dabei können 253 Bundesverwaltungsgericht, 22. Feb. 1956, BVerwGE 3, 171, DVerw. Bl. 378 (1956) ; Bundesverwaltungsgericht, 29. Juni 1957, BVerwGE 5, 153 ; Kammergericht Berlin, 14. Sept. 1961, 14 NJW 2209, 2211 (1961). 254 Vgl. oben III. C. 3. 255 Bundesgerichtshof, 22. Juni 1972, BGHZ 59, 83. Siehe dazu auch unten IV. E. 4. b) bb). 258 OLG Stuttgart, 5. Nov. 1962, 10 Zeitschr. f. d. gesamte Familienrecht 1963, 39 (41) [7] . 257 Bundesverwaltungsgericht, 16. Jan. 1964, 83 DVerw. Bl. 983 (1968). 25.8 In diesem Sinne auch Jenks, The Prospects, S. 443. 259 Siehe die oben III. A. 4. angeführte Judikatur. 2eo Siehe unten IV. E. 2. a). 281 Vgl. oben III .. A. 5.
15 Schreuer
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
226
insbesondere die von einem internationalen Organ erarbeiteten travaux preparatoires zu einem zweifellos anwendbaren Dokument, wie einem Vertrag, eine wichtige Interpretationshilfe auch für staatliche Gerichte darstellen262 • Es ist kein Fall bekannt, in welchem ein Gericht Schwie rigkeiten darin gesehen hätte, daß . für solche Akte, die im Rahmen einer anderen Rechtsordnung als der des Forumstaates gesetzt worden sind, keine konkreten örtlichen Anwendungsbefehle vorlagen. 7. Zusammenfassung
Die Übersicht über die Praxis zum Erfordernis eines ausdrücklichen staatlichen Anwendungsbefehls für Entscheidungen internationaler Or gane zeigt, daß diese Frage nur mittels gewisser Differenzierungen zu beantworten ist. Eine pauschale . Lösung, welche im Sinne einer strikt dualistischen Haltung alle internationalen Organakte mangels einer ausdrücklichen Inkorporation in das örtliche Recht für staatliche Ent scheidungsorgane stets für unbeachtlich erklären wollte, . müßte zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen führen und entspricht auch kei neswegs der bisherigen Praxis. Ebensowenig schiene eine vereinfachend monistische Lösung, welche legislative oder exekutive Durchführungs maßnahmen ganz allgemein für überflüssig hielte, sinnvoll. Die Frage des Erfordernisses staatlicher Durchführungsmaßnahmen zu Entscheidungen internationaler Organe ist daher nicht so sehr ein dogmatisches und rechtstheoretisches, als ein praktisches Problem. Wie die Praxis gezeigt hat, richtet sich die Notwendigkeit solcher Maßnah men . sowohl nach der Art der internationalen Entscheidung als auch nach der Art und Weise, in welcher sie herangezogen werden soll. Ein besonderer Anwendungsbefehl des örtlichen Rechts erscheint nur dann sinnvoll, wenn dem Forumstaat ein Entscheidungsspielraum darüber verbleibt, ob oder in welcher Weise die internationale Entscheidung beachtet werden soll263 • Dies gilt insbesondere für internationale Entscheidungen, deren in haltliche Ausgestaltung derart mangelhaft ist, daß die Details ihrer Ausführung einer eingehenderen Spezifizierung bedürfen. Das Argu ment für örtliche Durchführungsbestimmungen ist dann nicht mehr ein grundsätzlich dogmatisches aus der „Geltung in der örtlichen Rechts ordnung", sondern ein praktisches aus ihrer „Anwendbarkeit" durch die Gerichte. Zwar haben sich Gerichte als durchaus fähig erwiesen, auch programmatische Grundsätze mit hoher Abstraktion anzuwenden und ihnen durch ihre Judikatur einen konkreten Inhalt zu verleihen264 • 282 Loc. 283
cit. Vgl. auch Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 133 f.
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
227
Gerade in internationalen Fragen ist jedoch oft eine einheitliche und international abgestimmte Entscheidungspolitik der schrittweisen Bil dung einer Spruchpraxis durch die Gerichte vorzuziehen. Sind dagegen die Erfordernisse einer klaren Verpflichtung sowie einer ausreichen den inhaltlichen Ausgestaltung der internationalen Entscheidung er füllt, kann ein ausdrücklicher Anwendungsbefehl des örtlichen Rechts höchstens eine Klärung verfassungsrechtlicher Probleme bieten. Die Nützlichkeit oder Erwünschtheit örtlicher Ausführungsbestim mungen muß aber keineswegs bedeuten, daß die Anwendungsorgane bei ihrem Fehlen die Beachtung der internationalen Organakte zu ver weigern haben. Gerade bei der Frage der inhaltlichen Ausgestaltung internationaler Entscheidungen empfiehlt sich ein flexibler Maßstab. Eine nicht völlig eindeutige Bestimmung läßt sich nicht selten durch die Heranziehung auswärtiger Auslegungshilfen klären, insbesondere mit Hilfe der internationalen aber auch der ausländischen Praxis. Ob eine Bestimmung unmittelbar anwendbar ist, läßt sich oft nicht durch ihre Betrachtung in abstracto sondern erst aus einer konkreten Entschei dungssituation feststellen. Zwar hat das Problem der mangels inhalt licher Ausgestaltung nicht unmittelbar anwendbaren internationalen Bestimmungen im Bereiche internationaler Organakte in der Praxis der Gerichte bisher keine große Rolle gespielt, doch ist auch hier zu beachten, daß die Berufung auf dieses Argument unter Umständen eine Entscheidungsstrategie zur Umgehung des internationalen Organ akts darstellen kann. Eine aprioristische Vorstellung, Entscheidungen internationaler Or gane richteten sich grundsätzlich nur an bestimmte Staatsorgane, wel che die Rechtsbefehle in geeigneter Form an Gerichte und andere An wendungsorgane weiterzugeben hätten, würde eine unnötige Erschwe rung ihrer Anwendung bedeuten. Die Untätigkeit der legislativen Or gane bei der Durchführung dieser Entscheidungen würde andere Par teien, insbesondere Individuen, daran hindern, sich vor den Gerichten auf solche internationale Verpflichtungen des Forumstaats zu beru fen266_ Aus diesen Überlegungen lassen sich folgende Schlußfolgerungen für die oben dargestellten Entscheidungssituationen ziehen: Internatio nale Sachentscheidungen, die eine eindeutig umrissene Leistungsver284 Dies gilt vor allem bei der Verfassungsinterpretation, insbesondere im Bereiche der Grundrechte. Siehe beispielsweise die detaillierte Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu Sozialfragen, welche auf der Bezeichnung der BRD als ,sozialer Bundesstaat' in Art. 20 Grundgesetz aufbaut. Vgl. Schlüter, The Domestic Status, S. 160. H6 Vgl. auch Schermers, International Institutional Law, S. 619. Die Frage von Individualrechten aus internationalen Organakten wird unten gesondert behandelt : V. D.
15*
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
pflichtung der Adressaten beinhalten, wie das insbesondere bei vermö gensrechtlichen Entscheidungen der Fall ist, eignen sich durchaus für eine „unmittelbare" Anwendung oder Durchsetzung durch staatliche Gerichte. Eine Anerkennung wie etwa ein Exequatur sollte sich auf die formelle Überprüfung der Entscheidung beschränken. Ein Eingreifen der Legislative oder Exekutive scheint nur selten angebracht. Internationale Entscheidungen, welche zwar eine Handlungspflicht enthalten, aber, wie etwa Boykottresolutionen, komplizierte wirt schaftspolitische, außenpolitische und militärische Maßnahmen erfor dern, können kaum der eigenverantwortlichen Durchführung durch die Gerichte überlassen werden. Der Spielraum des Forumstaates bei der Durchsetzung solcher Entscheidungen ist meist groß, die Möglichkeiten sind vielfältig. Eine autonome Durchsetzung mit Hilfe der Gerichte er scheint daher wenig praktikabel. Als einzige Möglichkeit einer „unmit telbaren Anwendung" käme hier die Verweigerung der Durchsetzung eines Rechtsgeschäfts oder die Nichtanwendung ausländischen Rechtes in Betracht, welche der Verpflichtung aus der internationalen Ent scheidung zuwiderlaufen. Die Beachtung internationaler Entscheidungen, die einen Status mit Wirkung erga omnes feststellen oder begründen, sollte nicht von einer Inkorporation in das örtliche Recht abhängig gemacht werden. Typische Beispiele sind Entscheidungen über Territorialfragen durch internatio nale Organe der Rechtsprechung aber auch durch politische interna tionale Organe. Die Heranziehung solcher und ähnlicher internationa ler Entscheidungen zur Klärung internationaler Vorfragen vor staat lichen Gerichten kann, wie auch die Praxis deutlich zeigt, sinnvoller weise nur durch ein direktes Zurückgreifen auf die internationale Ent scheidung erfolgen. Das Gleiche muß für die Fortbildung des Völkerrechts durch die inter nationale Fallpraxis gelten. Ein Versuch, internationale „Präzedenz fälle" durch staatliche Durchführungsmaßnahmen anwendbar zu ma chen, wäre praktisch kaum durchführbar. Ihre Ablehnung mangels sol cher Durchführungsmaßnahmen erschiene verfehlt. Interpretationserklärungen internationaler Organe, wie nach Art. XVIII der Satzung des Internationalen Währungsfonds, erfüllen nicht nur die Bedingung der unzweifelhaften Verpflichtungswirkung. Ihr Zweck besteht eben darin, eine nicht völlig klare Vertragsbestimmung inhaltlich weiter auszugestalten. Eine besondere Durchführungsmaß nahme des örtlichen Rechts scheint daher nicht erforderlich. Internationale Reglements, wie sie vor allem von einigen Spezial organisationen der Vereinten Nationen formuliert werden, bereiten aus mehreren Gründen Schwierigkeiten. Ihre inhaltliche Ausgestaltung ist
C. Durchführungsmaßnahmen für internationale Organakte
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oft ausreichend detailliert266 , doch kann ihre Autorität im Einzelfalle wegen der den Mitgliedern eingeräumten Escape-Klauseln und wegen der oft weitreichenden Praxis der Nichtbefolgung zweifelhaft sein267 • Soferne sie komplizierte technische Probleme betreffen, ist überdies oft eine Harmonisierung mit den örtlichen Rechtsvorschriften zu ver wandten Fragen erforderlich. Beide Gesichtspunkte sprechen stark für eine Klärung mit Hilfe von staatlichen Durchführungsgesetzen oder Verordnungen. Dazu kommt, daß diese Reglements vom zuständigen internationalen Organ bisweilen offensichtlich in der Erwartung staat licher Durchführungsmaßnahmen gesetzt werden268 • Daß diese Lösung praktischen und nicht grundsätzlichen dogmati schen Überlegungen entspricht, zeigt die Konstruktion der Verordnun gen und Richtlinien in den Europäischen Gemeinschaften269 • Danach sind Verordnungen unmittelbar gültig und bedürfen keines weiteren staatlichen Anwendungsbefehls270 • Dennoch können in besonderen Fäl len staatliche Durchführungsmaßnahmen nötig sein271 • Richtlinien sind an Staaten gerichtet und bedürfen grundsätzlich weiterer Maßnahmen vor ihrer Anwendung. Dennoch kommt eine direkte Anwendung in Betracht, wenn es der Forumstaat unterlassen hat, die nötigen Durch führungsbestimmungen zu erlassen und einer anderen Partei aus die ser Unterlassung Schaden erwachsen könnte272 • Die Übernahme dieser Lösung auch auf Reglements traditionellen Typs wäre eine vielver sprechende Möglichkeit. Vgl. S0rensen, Principes, S. 120 f. Vgl. dazu oben III. A. 3. 288 Vgl. dazu oben IV. C. 3. 289 Art. 189 EWG Vertrag, Abs. 2 u. 3. 276 Vgl. dazu insbes. Bebr, Directly Applicable Provisions of Community Law: The Development of a Community Concept, 19 ICLQ 257 (1970) ; ibid., Community Regulations and National Law, 10 CMLRev. 87 (1973) ; Kovar, L'applicabilite directe du droit communautaire, 100 Clunet 279, 289 (1973). Dennoch ist in Italien immer wieder versucht worden, Verordnungen zu ,,transformieren". Vgl. dazu etwa Maestripieri, The Application of Commu nity Law in Italy in 1972, 10 CMLRev. 340, 346 f. (1973) . Der EuGH hat die direkte Geltung von Verordnungen jedoch wiederholt bestätigt: Politi v. Finanzministerium der Italienischen Republik, 14. Dez. 1971, Slg. XVII, S. 1039; Marimex v. Finanzministerium der Italienischen Republik, 7. März 1972, Slg. XVIII, S. 89 ; Leonesio v. Ministerium für Landwirtschaft und Forste der Italienischen Republik, 17. Mai 1972, Slg. XVIII, S. 287 ; Kommis sion v. Italienische Republik, 7. Feb. 1973, Slg. XIX, S. 101. Auch der italie nische Corte Constituzionale lehnt die Transformation von Verordnungen neuerdings ab: Entscheidung vom 30. Okt. 1975 in 3 EuGRZ 54 (1976) ; Ent scheidung vom 28. Juli 1976 in 3 EuGRZ 352 (1976). 271 Vgl. Winter, Direct Applicability and Direct Effect. Two Distinct and Different Concepts in Community Law, 9 CMLRev. 425 (1972) ; zur franzö sischen Praxis siehe Ruzie, Les procedes, S. 566 f. 272 Dazu unten S. 298 f. 288
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Allgemeine Empfehlungen internationaler Organe sind sowohl wegen ihrer beschränkten Verpflichtungswirkung, als auch wegen ihres meist wenig detaillierten Inhalts geeignete Objekte für generelle staatliche Durchführungsmaßnahmen. Diese Maßnahmen bestehen jedoch in der Regel nicht in einer ausdrücklichen Übernahme der betreffenden Be stimmungen, sondern in einer allfälligen Anpassung staatlicher Rechts vorschriften. Wie die recht umfangreiche Praxis zu dieser Frage zeigt, ist aber auch die direkte Heranziehung von Empfehlungen oft eine nützliche zusätzliche Entscheidungshilfe bei der Anwendung anderer Rechtsvorschriften. D. Die Publikation
1. Allgemein
Die angemessene Kundmachung von Rechtsvorschriften entspricht der rechtspolitischen Forderung nach Rechtssicherheit und ist ein not wendiges Attribut des Rechtsstaats273 . Das Bestehen auf der Publikation sämtlicher geschriebener und allgemein verbindlicher Rechtsvorschrif ten wird von den staatlichen Rechtsordnungen regelmäßig auch auf die aus dem Völkerrecht stammenden vertraglichen Verpflichtungen aus gedehnt274. Gleiches müßte grundsätzlich auch für Beschlüsse internationaler Organe gelten275 . Soferne sie allerdings nicht generell-abstrakt sind, sich also nicht an einen unbestimmten Adressatenkreis richten, wie etwa Leistungsurteile aus pekuniären Verpflichtungen, erscheint eine Publikation nicht erforderlich. Aber auch für internationale Organakte, welche nicht nur an bestimmte Personen gerichtet sind, läßt sich das Erfordernis . einer formellen örtlichen Publikation nicht völlig durch halten. Dies gilt insbesondere für ihre Heranziehung zur Klärung von Vorfragen. Entscheidungen, welche einen völkerrechtlichen Status erga omnes feststellen oder begründen, lassen sich für ihre Beachtung kaum einer Publikation in sämtlichen Staaten unterwerfen. Ähnliches muß auch für internationale „Präzedenzentscheidungen" gelten. Das Verlangen nach einer staatlichen Publikation wäre ebenso unrealistisch wie das nach einer „Inkorporation" in das örtliche Recht. 273 Allgemein zur Frage der materiellen Publizität siehe insbes. Mayer Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut (1969). 274 Seidl-Hohenveldern, Transformation or Adoption, S. 106 f. 275 Scheuner, Die Rechtsetzungsbefugnis internationaler Organisationen, Festschrift für A. Verdroß, S. 229, 238 (1960) ; Langner & Wengler, Die Rechts natur der Bekanntmachung über das Inkrafttreten völkerrechtlicher Ver träge für den Staatsbürger, 15 NJW 228, 232 (1962).
D. Die Publikation
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Für autoritative Interpretationen276, Reglements und Empfehlungen erscheint eine formelle staatliche Promulgation jedoch grundsätzlich angebracht. Der weite Handlungsspielraum der einzelnen Staaten bei bestimmten Reglements und noch mehr bei Empfehlungen hat aller dings zur Folge, daß eine direkte oder indirekte Aufnahme in die amt lichen Promulgationsorgane oft über eine bloße Kundmachung hinaus geht, da der Rechtscharakter der internationalen Bestimmung dadurch geändert wird. Eine bloß empfehlende Wirkung kommt nach der for mellen staatlichen Kundmachung wohl nicht mehr in Betracht277 . Eine Alternative zur Wiedergabe internationaler Entscheidungen in den offiziellen staatlichen Publikationsorganen ist die Kundmachung in einem eigenen amtlichen Blatt der internationalen Organisation. So ferne dieses Blatt der Allgemeinheit oder zumindest dem betroffenen Adressatenkreis leicht zugänglich ist, bestehen vom Standpunkte der Rechtssicherheit keine Bedenken. Allerdings dürfte bis heute nur die Einrichtung des Amtsblattes der Europäischen Gemeinschaften den Erfordernissen einer angemessenen Kundmachung entsprechen278 . 2. Staatlidle Vorsdlriften Ober die Publikation internationaler Organakte
Das französische Dekret vom 14. März 1953 über die Ratifikation und Publikation von Frankreich übernommener internationaler Ver pflichtungen279, trägt der Möglichkeit einer internationalen Publikation Rechnung : Art. 3 sieht zunächst grundsätzlich die Publikation aller für Frankreich verbindlicher Dokumente, soweit sie die Rechtsposition Ein zelner betreffen können, im Journal Officiel oder in einem „Bulletin officiel special" vor. Er fügt jedoch folgende Ausnahme hinzu: Les dispositions du present article ne sont pas applicables aux reglements emanant d'une organisation internationale lorsque ces reglements sont integralement publies dans le Bulletin officiel de cette organisation, offert au public, et lorsque cette publication suffit, · en vertu des dispositions ex presses d'une convention engageant la France, a rendre ces reglements opposables aux particuliers280• 278 In Banco do Brasil, S. A. v. A. C. Israel Commodity Co. Inc., · verweist der Court of Appeals von New York, 4 .. . Apr. 1963, . auf die Publikation der offiziellen Auslegung des Art. VIII 2 (b) der Satzung des Internationalen Währungsfonds in 14 Fed. Reg. 5208, 5209 (1949) : 32 ILR 371, 373. 2 77 Vgl. jedoch die Haltung des französischen und des belgischen Conseil d'Etat zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, oben IV. C. 5 .. 278 Langner & Wengler, Die Rechtsnatur der Bekanntmachung, S. 232. 279 Journal Officiel, 15. März 1953, S. 2436, zit. n. Kiss Bd. 1, No. 522. 280 Siehe dazu Merle, Le pouvoir reglementaire, S. 358 ; Serensen, Prin cipes, S. 121 f. ; Skubiszewski, Enactment, S. 268 f. ; ibid., Resolutions, S. 86; Kiss, Nature juridique, S. 261 f. ; Ruzie, Le juge fran�ais, S. 105 ; ibid., Les procedes, S. 564. Vgl. auch den Fall DUe Scarab el Livia, Cour de Dijon, 28. Okt. 1965, 12 AFDI 887 (1966), in welchem . sich das Gericht mit dieser Methode der Publikation auseinandersetzt.
IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
232
In Österreich sah das Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt in seiner ursprünglichen Fassung28 1 im § 2 (2) lediglich die Verlautbarung ,,sonstiger Kundmachungen" der Bundesregierung oder der Bundes ministerien vor. Die Novelle 1972 zu diesem Gesetz282 bezieht sich erst mals besonders auf Beschlüsse internationaler Organe: §
2.
(1)
Das Bundesgesetzblatt ist bestimmt zur Verlautbarung : (c) der Rechtsvorschriften, einschließlich ihrer Übersetzung in die deutsche Sprache, die auf Grund besonderer verfassungsrecht licher Ermächtigung von internationalen Organen mit unmit telbarer Wirkung für Österreich erlassen werden, sofern sie sich ihrem Inhalte nach nicht ausschließlich an Verwaltungsbe hörden wenden;
(5)
Der Bundeskanzler kann durch Verordnung bestimmen, daß die im Abs. 1 lit. c genannten Rechtsvorschriften nicht im Bundesgesetz blatt, sondern in anderer zweckentsprechender Weise kundzuma chen sind. Hiebei ist Abs. 4 sinngemäß anzuwenden283•
In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu diesem Gesetz284 wird die Kundmachung solcher Rechtsvorschriften als ein Gebot der Rechts staatlichkeit bezeichnet und gleichzeitig versichert, sie sei bisher auch stets erfolgt285 • Tatsächlich entspricht es der österreichischen Verlaut barungspraxis, eine große Anzahl von Beschlüssen internationaler Or ganisationen in das Bundesgesetzblatt aufzunehmen286 • Dazu zählen die Regulations der WH0 2 87, Beschlüsse des EFTA-Rates288 , Beschlüsse der Gemischten Ausschüsse zwischen Osterreich und der EWG289 und anderer internationaler Organe2 90 • BGB!. 33/1920. BGB!. 106/1972 . 283 Abs. 4 sieht un,ter gewissen Umständen eine Kundmachung von Staats . verträgen auf andere Weise als durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt vor. Vgl. beispielsweise BGB!. 132/1975 : Die Kundmachung erfolgte hier durch Auflage zur Einsicht im Bundeskanzleramt. 284 34 Blg NR XIII. GP. 285 Diese Feststellung ist wohl etwas zu optimistisch. Beachte dazu, daß die an internationale Organe ausgesprochenen Ermächtigungen bisher zu einem Großteil verfassungsrechtlich noch gar nicht saniert sind. Vgl. oben IV. B. 2. Anm. 54 - 56. 288 Siehe auch Hanreich, Die Beschlüsse, S. 185 f. 287 BGB!. 97/1953, 377/1971, 46/1974. 288 Für das Jahr 1974 siehe dazu etwa folgende Nummern des BGB!. : 37, 38, 189, 190, 191, 192, 193, 540, 541, 542, 543. Siehe auch die Interpretations erklärungen, welche als Auszug aus einem Ratsprotokoll veröffentlicht sind: BGB!. 632/1974 sowie 301/1975. 289 BGB!. 316/1973, BGB!. 2, 3, 4, 95, 133, 134, 549, 550, 757, 758, 812, 813/1974, BGB!. 151/1975. 281
282
D. Die Publikation
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3. Die Praxis der Gericllte
Die Gerichtspraxis zum Erfordernis einer örtlichen Publikation ist widersprüchlich. In manchen Fällen wurde die amtliche Veröffentli chung durch den Forumstaat als ausreichende Grundlage für die An wendung eines internationalen Organaktes betrachtet29 1 . In anderen Fällen wurde die Anwendung trotz formeller Kundmachung abge lehnt292 . In wieder anderen Fällen wurden die internationalen Ent scheidungen trotz des Fehlens einer amtlichen Publikation herangezo gen293 . Die völlige Uneinheitlichkeit dieser Praxis zeigt sich vor allem dort, wo der gleichen Entscheidung in Ländern, in denen sie veröffent licht worden war, die Beachtung verweigert wird294 , während sie in Ländern, in denen sie nicht kundgemacht ist, ohne Bedenken heran gezogen wird295 . Ein größtmögliches Maß an Publizität für Entscheidungen internatio naler Organe, welche auf die Rechtsstellung Einzelner und auf die Ent scheidungstätigkeit der Gerichte Einfluß ausüben, ist ohne Zweifel wichtig. Meist würde eine amtliche Verlautbarung gleichzeitig auch dem Verlangen nach einem staatlichen Anwendungsbefehl gerecht wer den. Die derzeitige Publikationspraxis der Staaten läßt sicher noch er hebliche Verbesserungen zu. Auch das Mittel einer angemessenen Kund machung und Verbreitung durch die internationale Organisation selbst, könnte, auch jenseits der Europäischen Gemeinschaften, in weiterem Maße angewandt werden. Insbesondere auf spezialisierten Gebie ten, in welchen der betroffene und interessierte Adressatenkreis be290 Siehe etwa in BGB!. 503/1973 die Regeln gemäß dem Internationalen Kakao übereinkommen von 1972 ; in BGB!. 8, 634/1975 die Ausführungen zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken. 29 1 RGZ 131, 250 vom 2. Feb. 1931 ; VerfGH Slg. 5935, 6. Juni 1969 und Verwaltungsgerichtshof 6. Nov. 1970, österr. · Steuer Zeitung Beilage 1 1 2 (1971) ; Ste Roy Export and Charlie Chaplin c f Societe Les Films Roger Richebe, Cour d'Appel de Paris, 29. Apr. 1959, 87 Clunet 128 (1960). 292 Elections de Nolay, Conseil d'Etat (Fr.), 18. Apr. 1951, 17 AFDI 24 (1971) ; Re Car, Conseil d'Etat (Fr.), 1 1 . Mai 1960, 88 Clunet 404 (1961) ; De Meyer c. Etat belge, Conseil d'Etat (Belg.), 9. Feb. 1966, 4 RBDI 569 (1968). Alle diese Fälle betrafen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Vgl. dazu oben IV. C; 5. 293 z. B. : Mbounya, Conseil d'Etat (Fr.), 3. Nov. 1961, 8 AFDI 943 (1962) ; Re Males, Cour de cassation (Fr.), 9. Juni 1972, 101 Clunet 142 (1974) ; vgl. auch die Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts in Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau v. Lang u. Legler, 27. Jan. 1950, BGE 76 IV 43, wo es als fraglich bezeichnet wurde, ob die Publikation eines Anhanges zum Pariser Luftfahrtabkommen in der „Aero-Revue" ausreiche. Die Frage wurde jedoch nicht entschieden. 294 Siehe die Behandlung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch den französischen und belgischen Conseil d'Etat oben IV. C. 5. 295 Siehe die Behandlung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die deutschen Gerichte, vgl. die Hinweise oben III. C. 3.
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
schränkt und überschaubar ist, wäre eine derartige Kundmachung tech nisch durchführbar. Allerdings kann nur eine flexible Haltung der Rechtsanwendungs organe den besonderen Problemen gerecht werden, die mit der Publi kation internationaler Organakte zusammenhängen. Die Publikations praxis der Staaten und die Entscheidungspraxis der Gerichte zeigen, daß eine starre Forderung nach einer formellen Promulgation durch den Forumstaat oft unrealistisch wäre. In vielen Fällen muß die for melle Publikation hinter einer Ü berprüfung der materiellen Publizität zurücktreten. In Ermangelung eines wohlorganisierten und lückenlosen Systems der Kundmachung in der internationalen Arena müssen sich auch staatliche Gerichte bei der Anwendung von Bestimmungen völker rechtlichen Ursprungs bisweilen mit einer internationalen Notorietät begnügen. Offenkundigstes Beispiel für diese Haltung ist die Praxis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ihre materielle Pub lizität ist ungemein groß, obwohl sie in vielen Staaten niemals im amt lichen Promulgationsorgan veröffentlicht worden ist. Dennoch haben sich die Gerichte in vielen Fällen auf ihre Grundsätze gestützt. E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte 1. Allgemein
In einer konkreten Entscheidungssituation sieht sich ein Entschei dungsorgan meist nicht nur der Frage gegenüber, ob eine bestimmte Rechtsvorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden ist, sondern oft auch jener, welche von mehreren einander materiell er gänzenden, aber auch widersprechenden Rechtsbefehlen zu beachten sind. Dies kommt auch innerhalb einer Rechtsordnung vor296 • Die Lö sung hängt einerseits davon ab, in welchem Maße die verschiedenen konkurrierenden Rechtsvorschriften als auf den Sachverhalt zutref fend gesehen werden, andererseits davon, welche Autorität den ver schiedenen Rechtsvorschriften beigemessen wird. Streitfälle vor staatlichen Gerichten, in welchen völkerrechtliche Be stimmungen heranzuziehen sind, betreffen fast immer auch staatliches Recht. In der konkreten Entscheidung hat das Gericht die Bestimmun gen des staatlichen und des Völkerrechts in eine sinnvolle Beziehung zu setzen. Bei dieser gemeinsamen Anwendung ist ein gewisses Spannungs298 Vgl. Horak, Zur rechtstheoretischen Problematik der juristischen Be gründung von Entscheidungen, in Die Entscheidungsbegründung (Sprung u. König Hrsg.), S. 1, 13 f. (1974). Zur Frage konkurrierender Entscheidungen internationaler Organe siehe oben S. 86 f.
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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verhältnis zwischen den verschiedenen Rechtsvorschriften unvermeid lich. Dabei muß der Gegensatz nicht in einem klaren Widerspruch zwi schen zwei inhaltlich offenbar unvereinbaren Rechtsbefehlen liegen, wie das bei Betrachtungen über den „Primat" meist vorausgesetzt wird. Das ist vielmehr der atypische Fall. Jede Situation, in der die Ent scheidung bei Beachtung der völkerrechtlichen Vorschriften anders aus fiele, als bei einer bloßen Anwendung des staatlichen Rechts, schafft ein Konkurrenzverhältnis und stellt das Entscheidungsorgan vo:r die Frage der relativen Autorität der verschiedenen Bestimmungen. Dieses Problem wird dadurch erheblich kompliziert, daß sowohl im Bereiche des Völkerrechts als auch im staatlichen Recht Vorschriften von unterschiedlicher Autorität existieren. Im Völkerrecht ist die Auto rität oft mehr durch den Inhalt als durch die äußere Form bestimmt und ist im Einzelfall oft umstritten297 . Im staatlichen Recht ergibt sich der „Rang" einer Vorschrift meist aus der Art ihrer Entstehung und aus ihrer formellen Zugehörigkeit zu einem Typus von Normen wie ,,Verfassung", ,,Gesetz", ,,Verordnung", oder Sachentscheidung (,,Be scheid", ,, Urteil" etc. ) 298 . Viele staatliche Rechtsordnungen haben versucht, dieses Problem dadurch zu lösen, daß sie dem Völkerrecht generell oder gewissen sei ner Teilbereiche einen bestimmten Grad an Autorität gegenüber dem staatlichen Recht einräumen, ihm also einen „Rang" zuweisen. Dies geschieht entweder für ganze Rechtsquellentypen des Völkerrechts, wie die „allgemein anerkannten Grundsätze", oder das Vertragsrecht, oder aber ad hoc für einzelne Gruppen von Bestimmungen, wie einen be stimmten Vertrag oder Teile eines solchen. Die völkerrechtlichen Be stimmungen werden dabei entweder einem Typus staatlicher Rechts normen gleich- oder übergeordnet, oder es wird ihnen ein allgemeiner Vorrang über das staatliche Recht eingeräumt. Die Details dieser staatlichen Regelungen sind oft beschrieben wor den299 . Ihre allzu starke Betonung, getragen von der Annahme, nur die staatlichen Rechtsvorschriften über die relative Autorität völkerrecht licher Vorschriften gegenüber dem staatlichen Recht seien für die Ent scheidungstätigkeit der Gerichte ausschlaggebend, ist jedoch proble matisch. Eine abschließende Regelung über das Verhältnis zweier Rechtsordnungen (hier besser Entscheidungsprozesse) läßt sich nicht 297
Siehe etwa die umfangreiche Debatte zum Begriff des ius cogens. Vgl. dazu Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 57. 299 Vgl. dazu einige der wichtigsten Arbeiten: Morgenstern, Judicial Prac tice and the Supremacy of International Law, 27 BYIL 42 (1950) ; Guggen heim, Völkerrechtliche Schranken im Landesrecht (1955) ; Mosler, L'applica tion, S. 639 f.; McDougal, The Impact, S. 80 f. ; Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 57 f. 298
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
ausschließlich aus den Bestimmungen einer dieser Rechtsordnungen entnehmen, es sei denn, man wollte ihr generell einen Vorrang einräu men. Dies wird aber für das staatliche Recht gegenüber dem Völker recht heute nicht mehr ernsthaft vertreten. Die staatlichen Bestimmun gen über den „Rang des Völkerrechts im staatlichen Recht" (besser: im Verhältnis zum staatlichen Recht) sind daher nur von begrenzter sach licher Bedeutung und stellen nicht mehr als einen Anspruch des staat lichen Rechts dar. Ob ein Entscheidungsorgan diesem Anspruch statt gibt, hängt nicht zuletzt von seiner organisatorischen Stellung und von seinem Selbstverständnis ab300 • Ein staatliches Gericht ist zwar ein Or gan der staatlichen Rechtsordnung, aber unter Umständen, in funktio neller Verdoppelung, auch gleichzeitig ein internationales Entschei dungsorgan, welches sich einem selbständigen Anwendungsanspruch des Völkerrechts gegenübersieht301 • Inwieweit sich das Gericht imstande fühlt, diesen konkurrierenden Anwendungsansprüchen stattzugeben, hängt sehr stark von den besonderen Umständen eines Falles ab. Wenn ein allfälliger Konflikt zwischen staatlichen und völkerrechtlichen Rechtsbefehlen darauf beruht, daß sich der Staat bewußt zu internatio nalen Verpflichtungen in Widerspruch setzt, wird sich ein staatliches Gericht meist auf seine Loyalität zum Forumstaat besinnen. Berührt der Widerspruch technische Fragen und keine wesentlichen Interessen des Forumstaates, kann eine viel weitergehende Berücksichtigung in ternationaler Bestimmungen erwartet werden. Die Gerichte pflegen sich jedoch auch hier meist nicht offen in einen Gegensatz zum Anwen dungsanspruch des staatlichen Rechts zu setzen. Die völkerrechtskon forme Entscheidung wird etwa durch eine großzügige Interpretation302 oder durch die Heranziehung der völkerrechtlichen Bestimmung als das „sachlich anwendbare Recht" herbeigeführt. Die Bereitschaft, sol che und ähnliche Entscheidungstechniken zugunsten des Völkerrechts heranzuziehen, variiert selbstverständlich nicht nur nach dem Streit gegenstand, sondern auch von Staat zu Staat und selbst von einem Gerichtstyp zum anderen. Für die besondere Frage des „Ranges" internationaler Organakte gegenüber staatlichem Recht, müßte der traditionelle Verweis auf staatliche Bestimmungen schon deshalb fehlgehen, weil diese Bestim mungen nur in den seltensten Fällen auf Entscheidungen internationa ler Organe Bezug nehmen303 • Der Hinweis, diese Frage sei aus der Re300 Vgl. auch die „perspektivistisch e Sicht" von Tammelo, in Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, S. 84 f. ao1 Vgl. dazu oben I. B. 1. 302 Zur Frage der völkerrechtskonformen Interpretation staatlichen Rechts vgl. etwa Mosler, L'application, S. 681 ; Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 85 f. m. w. H.
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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gelung des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht in den ein zelnen staatlichen Rechtsordnungen zu lösen, ginge für die meisten Staaten also bereits wegen des Fehlens solcher Regelungen ins Leere. Eine in der Literatur bisweilen vertretene Lösung besteht in der schon aus früheren Abschnitten bekannten Gleichsetzung der interna tionalen Entscheidungen mit dem Vertrag, durch welchen das interna tionale Entscheidungsorgan geschaffen wurde. Der internationale Or ganakt wäre dann ebenso zu behandeln, wie der Gründungsvertrag des Ursprungsorgans304 • Die Frage des „Ranges" von Verträgen gegenüber staatlichem Recht ist jedoch meist grundsätzlich gelöst. Die Übertragung der für Verträge gewählten Lösung auf internationale Organakte hätte zwar den Vorteil der Einfachheit, entspricht aber nicht den Realitäten. Zwar ist das internationale Entscheidungsorgan durch einen Vertrag geschaffen worden und es sind ihm Kompetenzen durch den Vertrag übertragen worden. Die Tätigkeit des Organs ist jedoch nicht mehr Vertragsrecht, sondern das Ergebnis einer eigenständigen internationa len Entscheidungsbefugnis, welche durch eine großzügige Auslegung der implied powers und sonstige Verfassungsentwicklungen ein großes Maß an Selbständigkeit erlangen kann. Die Tätigkeit des Organs kann vom Willen der ursprünglichen Vertragsparteien ganz oder teilweise unabhängig sein, die Befolgung seiner Entscheidungen kann unter Um ständen auch gegen den Willen eines Staates verlangt werden305 • Aus der Form der ursprünglichen staatlichen Zustimmung zu völkerrecht lichen Verpflichtungen ergibt sich nicht notwendigerweise die Antwort auf die Frage ihrer Autorität. Internationale Verpflichtungen aus Ent scheidungen internationaler Organe besitzen eigene Autorität als Völ kerrecht und lassen sich nicht einfach nur als Produkt der vertraglichen staatlichen Zustimmung erklären. Der Versuch, das Maß der Autorität internationaler Organtätigkeit gegenüber staatlichem Recht aus der Tatsache deduzieren zu wollen, daß das Organ seine Existenz histo3oa Siehe jedoch Art. 67/2 der Niederländischen Verfassung, welcher den Vorrang für völkerrechtliche Verträge in Art. 66, auch auf Akte internationa ler Organisationen ausdehnt. Die Bestimmungen betreffend internationale Organe in der norwegischen und in der schwedischen Verfassung (vgl. oben IV. B. 2.) enthalten jedoch einen ausdrücklichen Verfassungsvorbehalt. Vgl. auch Hambro, The New Provision, S. 571. Für das französische Recht vermu tet S0rensen, Principes, S. 122 einen Rang unter gewöhnlichen Gesetzen. Für das belgische Recht halten Ganshof und Vanwelkenhuyzen, La Constitu tion Beige, S. 589 eine Vorrangregel für internationale Organe für erwünscht. 304 Scheuner, Die Rechtsetzungsbefugnis, S. 235, 241 ; Skubiszewski, Legal Nature, S. 198 f. ; Dominice, La nature juridique, S. 257. 305 Vgl. auch die analoge Situation der Schaffung eines internationalen Organs durch ein anderes internationales Organ. Im UN Administrative Tribunal Gutachten, ICJ Reports, S. 47 (1954), kam der Internationale Ge richtshof zu dem Schluß, daß das Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen Entscheidungen fällen könne, deren Durchführung vom Willen der General versammlung, welche das Verwaltungsgericht errichtet hatte, unabhängig ist.
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
risch meist einem völkerrechtlichen Vertrag verdankt, muß daher als mißglückt bezeichnet werden. Die Gleichsetzung einer internationalen Entscheidung mit einem Vertrag zur Feststellung ihrer relativen Autorität gegenüber staat lichem Recht, erscheint allenfalls dann sinnvoll, wenn die internationale Entscheidung eine autoritative Interpretation des Vertrages zum In halt hat306 • In der folgenden Darstellung der Praxis zum Zusammentreffen staat lichen Rechts mit internationalen Organakten, werden folgende typi sche Situationen untersucht: Die naheliegendste Situation besteht dar in, daß mehr oder weniger voneinander abweichende internationale Organentscheidungen und Rechtsnormen des Forumstaats konkurrie rend Anspruch erheben, auf einen bestimmten Sachverhalt angewandt zu werden. Diese Sachlage entspricht der traditionellen Fragestellung nach dem „Primat". In anderen Fällen besteht der Gegensatz der inter nationalen Entscheidung nicht zu einer staatlichen Rechtsnorm im en geren Sinne, sondern zu einer früheren Entscheidung eines staatlichen Rechtsanwendungsorgans, insbesondere eines Gerichts. Mit der inter nationalen Entscheidung kann diese frühere staatliche Entscheidung entweder wegen ihrer Präzedenzwirkung oder wegen ihrer Rechts kraft in Kollision geraten. In wieder einer anderen Situation stehen internationale Entscheidung und staatlicher Rechtsbefehl nicht in einem inhaltlichen Gegensatz, die internationale Entscheidung hat viel mehr eine kollisionsrechtliche Bedeutung: Sie bestimmt entweder, ob und in welchem Ausmaß staatliche Organe des Forumstaates Jurisdik tion über bestimmte Sachverhalte auszuüben haben, oder welches aus ländische Recht auf einen Fall anwendbar ist. 2. Die Konkurrenz von Reclltsnormen des Forumstaats mit Entsclleidungen internationaler Organe Eine detaillierte empirische Untersuchung der Gerichtspraxis zur Konkurrenz staatlicher Rechtsnormen mit internationalen Organakten müßte nicht nur, wie das in vorangegangenen Kapiteln geschehen ist, die verschiedenen Arten internationaler Organakte und die Art der Be rufung darauf, einzeln beschreiben, sondern diese auch gesondert zu verschiedenen Arten staatlicher Rechtsnormen, also etwa Verfassungs bestimmungen, Gesetzen und Verordnungen in Beziehung setzen. Ob eine solche, am formellen Charakter der internationalen und staatlichen Rechtsbefehle anknüpfende Untersuchung allgemeingültige Schlußfol gerungen auf die relative Autorität der staatlichen und der internatioaoo Skubiszewski, Resolutions, S. 88 f. ; ibid., Legal Nature, S. 200.
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nalen Rechtsbefehle für die Entscheidungstätigkeit staatlicher Gerichte zuließe, ist fraglich. Die verhältnismäßig wenigen Fälle, welche An haltspunkte zu dieser Frage bieten, lassen eine derart umfassende Un tersuchung jedoch nicht zu. Der Grund für diese geringe Gerichtspraxis liegt nicht im Mangel von Gelegenheiten, sich zu diesem Problem zu äußern, sondern in der Tendenz der Gerichte, dieser Frage aus dem Wege zu gehen. Weder die offene Nichtanwendung des internationalen Rechtsbefehls wegen einer widersprechenden staatlichen Norm, noch die umgekehrte Lösung der Mißachtung staatlichen Rechts im Hinblick auf eine völkerrechtliche Verpflichtung, erscheinen einem staatlichen Gericht attraktiv. Dem Gericht stehen eine Reihe von Strategien offen, um eine Ent scheidung zu einem solchen Normenkonflikt zu vermeiden. Zeichnet sich ein Gegensatz oder eine Konkurrenz zwischen . staatlichem Recht und internationaler Entscheidung ab, hat das Gericht bereits die Mög lichkeit, durch einen Hinweis auf die mangelnde Autorität der interna-, tionalen Entscheidung307, auf das Fehlen eines staatlichen Anwen dungsbefehls308 , oder auf die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit309 , einer Kollision auszuweichen. Wählt das Gericht diesen Weg nicht, ist oft eine harmonisierende Interpretation möglich. Bisweilen wird der internationale Organakt auch herangezogen, · ohne daß eigens betont wird, daß das staatliche Recht andernfalls eine andere Lösung verlan gen würde. In der Folge kann daher nur eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Lösungen gegeben werden, welcher sich die Gerichte bedie nen, wenn sie auf konkurrierende Rechtsbefehle aus staatlichen Rechts normen und aus internationalen Organakten stoßen. Dabei können, grob gesprochen, die Methode der Vermeidung von Konflikten durch harmonisierende Interpretationen und die Methode einer Entscheidung für den staatlichen oder den internationalen Rechtsbefehl unterschie den werden. a) Die Vermeidung von Konflikten
Eine relativ unproblematische „Konkurrenz" existiert, wenn sich das Gericht imstande sieht, eine Übereinstimmung von staatlicher Rechts norm und internationaler Entscheidung festzustellen. Solche Feststel lungen finden sich insbesondere in Fällen, in welchen versucht worden Vgl. oben III. Vgl. oben IV. B. und C. 309 Vgl. oben IV. B. 3. Allgemein zur Tendenz der Gerichte zur Vermeidung eines Normenkonflikts die Notbremse der „non-self executing" Erklärung zu ziehen, siehe Bleckmann, Vorrang, S. 528. 307
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
war, eine staatliche Rechtsnorm unter Hinweis auf die Allgemeine Er klärung der Menschenrechte31 0 oder andere Resolutionen der General versammlung311 zu bekämpfen. Es wäre allerdings voreilig, aus derar tigen Feststellungen der Übereinstimmung allzu weitgehende Schluß folgerungen auf die Bereitschaft der Gerichte zu ziehen, staatliche Nor men an der internationalen Entscheidung zu messen. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß die Gerichte bisweilen selbst bei Heranziehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deren nicht binden den Charakter ausdrücklich betonen312 • überdies ist kein Fall bekannt, in dem ein Gericht eine Norm des Forumstaates als mit der Allgemeinen Erklärung inkompatibel befunden hätte und die Anwendung der staat lichen Norm deswegen verweigert hätte 313 • Auch in der umgekehrten Situation, in welcher versucht wurde, die Durchführung internationaler Entscheidungen unter Hinweis auf Hin dernisse im staatlichen Recht zu vereiteln, haben sich die Gerichte bis weilen damit begnügt, die Vereinbarkeit des internationalen Organ aktes mit den Vorschriften des örtlichen Rechts, insbesondere der Ver fassung, festzustellen314 • In einem indischen Fall316 versuchte eine Grup310 In re Hauck, Voigt and Others, Cour de cassation (Fr.), 3. Juni 1950, 17 ILR 388 (1950) ; Bundesverwaltungsgericht, 22. Feb. 1956, BVerwGE 3, 171 ; Bundesverwaltungsgericht, 29. Juni 1957, BVerwGE 5, 153 ; High Court of Mauritius, Director of Public Prosecutions v. Labavarde and Another, 9. März 1965, 44 ILR 104, 106 ; Israel Supreme Court, American European Beth-El Mission v. Minister of Social Weljare, 12. Nov. 1967, 47 ILR 205, 207, 208 f. ; siehe auch die Entscheidung eines niederländischen Exekutivorgans in diesem Sinne : Administrative decision of the Crown in I. C. v. Minister of Justice, 4. März 1970, 2 NYIL 238 (1971). 31 1 Chile, Special Copper Tribunal, Excess Profits of N ationalized Copper Companies, 11. Aug. 1972, 11 ILM 1013, 1046, 1059 (1972). Das Gericht stellte fest, daß die Bestimmungen, nach welchen den enteigneten ausländischen Firmen eine Entschädigung verweigert wurde, nicht in Widerspruch zur Resolution der Generalversammlung über „Permanent sovereignty over natural resources" stehe. Zu dieser Entscheidung siehe auch Schreuer, Unjustified Enrichment in International Law, 22 AJCompL 281, 285 (1974). 3 12 So das Bundesverwaltungsgericht in den beiden oben (Anm. 310) zitier ten Fällen. 313 Ein von Skubiszewski, Recommendations, S. 363 angeführter Fall vor dem Obersten Gerichtshof von Guatemala, in welchem die Allgemeine Er klärung der Menschenrechte ausdrücklich staatlichen Gesetzesbestimmungen vorgezogen worden sein soll, dürfte auf einer mißverständlichen Auslegung der vom Autor angeführten Quelle beruhen. Vgl. jedoch die Entscheidungen, in welchen die Anwendung ausländischen Rechts aus diesem Grunde verwei gert wurde unten IV. E. 4. b) bb). 314 In Lake Ontario Land Development and Beach Protection Association, Inc. v. Federal Power Commission, US Ct. of Appeals, D. C., 29. Jan. 1954, 48 AJIL 498 (1954) war versucht worden, die Durchführung der internatio nalen Entscheidung unter Hinweis auf die nach der bundesstaatlichen Struk tur fehlende Zuständigkeit des internen Durchführungsorgans zu verhindern. Allgemein zu Schwierigkeiten im völkerrechtlichen Verkehr aus der internen Verfassungsstruktur vgl. McDougal, The Impact, S. 65 t
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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pe von Personen die Übergabe eines bisher unter indischer Verwaltung gewesenen Landstrichs, welchen ein internationales Schiedsgericht Pakistan zugesprochen hatte, durch eine Klage beim Obersten Gerichts hof zu bekämpfen. Ihr Argument war, daß nach der indischen Verfas sung für die Zession von Staatsgebiet die Zustimmung des Parlaments erforderlich sei. Das Gericht wies die Klage . ab, indem es meinte, die Übergabe sei keine Zession, da das fragliche Gebiet wegen der deklara torischen Natur der internationalen Entscheidung nie indisches Terri torium gewesen sei. Eine etwas aktivere Rolle spielen die Gerichte in jenen Fällen, in denen erklärt wird, die Bestimmungen der staatlichen Norm und der internationalen Entscheidung würden durch eine harmonisierende In terpretation in Einklang gebracht3 1 6. Hier gestehen sie immerhin die Möglichkeit zu, daß die Anwendung des staatlichen Rechts ohne die Beachtung der internationalen Entscheidung zu einer anderen Lösung führen könnte. Im Falle von internationalen Entscheidungen mit be schränkter Autorität, also etwa von Empfehlungen, wäre mit der Kon struktion eines „Primats" kaum zu operieren, eine harmonisierende Auslegung der entsprechenden staatlichen Norm erscheint also die ein zige Möglichkeit, den internationalen Organakt gebührend zu berück sichtigen. Tatsächlich beziehen sich auch fast alle bekannten Fallbei spiele für dieses Vorgehen staatlicher Gerichte auf die Allgemeine Er klärung der Menschenrechte. Sie wurde vor allem bei der Interpreta tion der durch die örtliche Verfassung garantierten Grundrechte be nützt3 1 7. Auch einfachgesetzliche Regelungen über Angelegenheiten wie Staatsbürgerschaft3 18, Auslieferung3 19, Fremdenrecht320, Arbeitsrecht321, 31 5 Maghanbhai Ishwarbai Patel and Others v. Union of India, 1969, 9 IJIL 234 (1969). Die Entscheidung des Untergerichtes findet sich in 8 IJIL 267 (1968). 316 Zur harmonisierenden Interpretation mit völkerrechtlichen Verträgen siehe vor allem Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 85 f. 31 7 Public Prosecutor v. F. A. v. A., Supreme Court of the Netherlands, 1951, UN Yearbook of Human Rights 251 (1951) ; Isabel Rodriguez v. Rafael Pantoja, Supreme Court of Bolivia, 30. Apr. 1951, UN Yearbook of Human Rights 16 (1951), die herangezogene Empfehlung war hier die von der Völker bundversammlung beschlossene „Declaration of the Rights of the Child" ; Fallimento Ditta Maggi c. Ministero del tesoro, Tribunale di Roma, 27. Juli 1959, 28 ILR 607 ; Kennedy v. Mendoza-Martinez, US Supreme Court, 18. Feb. 1963, 372 U. S. 144, 161 ; Bundesverfassungsgericht, 17. Jan. 1957, BVerfGE 6, 55; Bundesverfassungsgericht, 30. Juni 1964, BVerfGE 18, 112, 118; Bundes verfassungsgericht, 15. Dez. 1965, 19 NJW 243 (1966) ; Bundesverfassungs gericht, 3. Okt. 1969, 23 NJW 235 (1970) ; Choithram Verhomal Jethwani v. A. G. Kazi and Others, Idien, 1966, 6 IJIL 247, 251 (1966) ; siehe auch die dis senting opinion in :Satwant Singh Sawhney v. Assistant Passport Officer, New Delhi, Supreme Court of India, 1967, 7 IJIL 542, 550 (1967). 3 18 Ministry of Home Affairs v. Kemali, Corte di cassazione, 1. Feb. 1962, 40 ILR 191, 195 ; Re Tovt, Court of Taranto, 20. März 1954, . UN Yearbook of Human Rights 169, 171 (1954).
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
Flüchtlingsrecht822 und Eherecht823 wurden mit ihrer Hilfe ausgelegt. In ähnlicher Weise wurden bisweilen auch völkerrechtliche Verträge324, vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention325 unter Zuhilfe nahme der Allgemeinen Erklärung interpretiert. b) Die Lösung von Konflikten
aa) Zugunsten des staatlichen Rechts Die eher seltenen Fälle, in welchen Gerichte sich gezwungen sahen, sich offen für eine staatliche Rechtsvorschrift und gegen eine interna tionale Entscheidung auszusprechen, lassen keine klaren generellen Schlußfolgerungen zu. In einer Reihe von Fällen, in denen die staat liche Rechtsnorm vorgezogen wurde, war die internationale Entschei dung lediglich eine Empfehlung. Die Gerichte erklärten dann meist ziemlich lapidar, die Empfehlung könne die Geltung oder Anwendung des entgegenstehenden staatlichen Gesetzes nicht beeinträchtigen826 • So meinte etwa ein indisches Gericht327 , vor dem die Legalität von staat lichen Enteignungsbestimmungen angefochten worden war, welche je doch mit der indischen Verfassung in Einklang standen: Doubtless if there were no express provision in the Constitution like Artic le 31 or 31 (a), the provisions of the Charter of the United Nations and the 319 Bundesgerichtshof, 21. Jan. 1953, 6 NJW 392 (1953), 20 ILR 370 (1953); Bundesgerichtshof, 12. Juli 1955, 8 NJW 1365 (1955), 22 ILR 250, 254 (1955); Hackstetter v. State of Israel, Supreme Court of Israel, 1972, 2 Israel YBHR 344 (1972). 32° Fuji v. California, California Dist. Ct. Appeal, 24. Apr. 1950, 44 AJIL 590 (1950). 321 American Federation of Labor v. American Sash and Door Co., US Supreme Court, 3. Jan. 1949, 335 U. S. 538, 549. 322 Bundesverwaltungsgericht, 1 6. Jan. 1964, 83 DVerw. Bl. 983 (1968). 323 Vanderginste v. Sulman, Court of Courtrai, Belgien, 26. Apr. 1956, UN Yearbook of Human Rights 23 (1956); Miriam Streit v. Nissim, the Chief Rabbi of Israel, Israel Supreme Court, 10. Juli 1964, 18 Piskei Din 598, 612 (1964). m Mejia v. Regierungsrat des Kantons Bern, Bundesgericht, 9. Mai 1963, 32 ILR 192; Hackstetter v. State of Israel, oben Anm. 319. 326 A. J. K. v. Public Prosecutor, Dist. Ct. Maastricht, 27. Jan. 1959, 7 NTIR 73 (1961) ; Ministry of Home Affairs v. Kemali, oben Anm. 318; Bundesver fassungsgericht, 4. Mai 1971, BVerfGE 31, 58. 328 Vgl. auch In re Best and Others, Supreme Court of Denmark, 17. März 1950, 17 ILR 434 (1950), in diesem Falle war versucht worden, rückwirkende Strafbestimmungen gegen Kriegsverbrecher mit Hilfe der Allgemeinen Erklärung zu bekämpfen ; X. v. Minister of Defence, Niederländische Admi nistrativentscheidung, 14. Nov. 1968, 1 NYIL 219 (1970), in diesem Falle war versucht worden, eine Resolution der Beratenden Versammlung des Europa rats über Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gegen das Wehr dienstgesetz zu verwenden.. 327 Biswambhar Singh v. State of Orissa, High Court of Orissa, 27. Apr. 1957, 24 ILR 425 (1957).
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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Universal Declaration of Human Rights might possibly .· be invoked in fa vour of the petitioners, on the doctrine of wise use of public policy . . . But where Article 31 expressly bars the jurisdiction of the Court to question the adequacy of compensation it is futile to rely on Article 17 (2) of the Universal Declaration of Human Rights. Hence though an argument of this type . . . is attractive and requires serious consideration, I must hold that the provisions of the Declaration of Human Rights where they conflict with the provisions of the Constitution will be of no avail in municipal courts328• Der einzige bekannte Fall, in welchem ein offener und gewollter Widerspruch zwischen einer Entscheidung eines internationalen Or gans und einem staatlichen Gesetz vorlag, ist der bereits oben darge stellte329 amerikanische Fall Diggs v. Shultz330 • Der U. S. Kongreß hatte ganz bewußt aus politischen Erwägungen einen Gesetzesbeschluß ge faßt, welcher die Durchführung der Boykottresolutionen des Sicher heitsrats gegen Rhodesien in den Vereinigten Staaten teilweise un möglich machen sollte33 1 . Unter diesen Umständen war die Entscheidung des Gerichts, das amerikanische Gesetz und nicht den Beschluß des Sicherheitsrats anzuwenden, keine Überraschung. Allerdings ist be merkenswert, daß das Gericht seine Entscheidung damit begründete, das Gesetz sei als Aufkündigung einer bestehenden Vertragsverpflich tung zu verstehen332 . Die Resolution wurde also offenbar zunächst wie ein Vertrag als „supreme law of the land" angesehen, dem jedoch durch das spätere Gesetz derogiert wurde333 . Ob eine solche Anwen dung des lex posterior Prinzips glücklich ist, ist zweifelhaft. Dies zeigt auch die Tatsache, daß der Sicherheitsrat seine Resolutionen, als Reaktion auf die amerikanischen Maßnahmen, wiederholte und be kräftigte334 . Diese noch späteren Beschlüsse des Sicherheitsrats, welche nach der vom Gericht gewählten Methode der Begründung, eigentlich als weitere lex posterior wieder dem staatlichen Gesetz hätten vorge hen müssen, werden im Urteil nicht erwähnt. Vielleicli.t waren sie dem Gericht gar nicht bekannt. Schließlich verbleibt den Gerichten noch als radikalste Methode einer Konfliktlösung zugunsten staatlicher Rechtsvorschriften das still schweigende übergehen der internationalen Entscheidung. Offenkun328
s. 427.
Oben IV. C. t a) bb) Anm. 145. Court of Appeals D. C. Cir., 470 F. 2d 461. 331 Das sogenannte Byrd amendment zum Strategie and Critical Materials Stock Piling Act von 1971. Vgl. auch die Hinweise bei Henkin, Foreign Af fairs and the Constitution, S. 436, Anm. 11, sowie Zacklin, The United Na tions and Rhodesia, S. 82 f. 332 Auf S. 466. Allgemein zu den verfassungsrechtlichen Implikationen siehe Bianchi, Security Council Resolutions, S. 88, 107 f. 383 Vgl. auch die Fallbesprechung in 14 VaJIL 191 (1973 - 74). 334 SC Res. 314 vom 28. Feb. 1972 und 318 vom 28. Juli 1972. 329
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
dige Beispiele für ein derartiges Verhalten finden sich in Urteilen des israelischen Obersten Gerichtshofs335 über den Status Ostjerusalems und des besetzten Westjordanufers sowie der Entscheidung eines süd afrikanischen Gerichts336 im Zusammenhang mit Süd-Westafrika. Al lerdings ist bei der Bewertung solcher rein negativer Entscheidungen für die theoretische Frage des Normenkonflikts einige Vorsicht geboten. Sie könnten ebensogut auf eine streng dualistische Haltung der Ge richte zurückgeführt werden. Ein Blick auf die in den angeführten Fällen auf dem Spiel stehenden Interessen gi bt überdies Anlaß zur Vermutung, daß die wahren Motive für das Vorgehen der Gerichte in politischen Rücksichten auf die Haltung des Forumstaates zu den inter national stark umstrittenen Fragen zu suchen sind337 • bb) Zugunsten der internationalen Entsclleidung Die Fälle, in denen sich die Gerichte für die Anwendung der interna tionalen Entscheidung entschlossen, sind schwierig zu analysieren, da ein offenes übergehen des Rechts des Forumstaates zugunsten des in ternationalen Rechtsbefehls meist nicht zu erwarten wäre. Diese Lö sung erschiene höchstens dann akzeptabel, wenn das örtliche Recht eine Vorrangregel für Verträge enthält und sich das Gericht entscllließt, den internationalen Organakt als „sekundäres Vertragsrecht" zu behan delnsss . Ein anderer Weg besteht darin, das Zusammentreffen einer staat lichen Norm und einer internationalen Entscheidung nicht mit Hilfe einer Rangordnung, sondern aus der sachlichen Zuständigkeit des in ternationalen Organs zu bewältigen. Die Autorität der internationalen Entscheidung ergibt sich dann aus der Übertragung gewisser Entschei dungsbefugnisse an das internationale Organ. Die vom internationalen Organ stammenden Rechtsbefehle werden als das sachlich anwendbare Recht herangezogen, ohne daß zur Konstruktion einer Derogation ge griffen werden muß. 336 Avalon Hanzalis v. Greek Orthodox Patriarchate Religious Court and Constandinos Nicola Papadopoulos, 10. März 1 969, 48 ILR 93 ; Muhammad Abdullah Iwad and Zeev Shimshon Maches v. Military Court Hebron Dis trict, and Military Prosecutor for the West Bank Region, I. D. F., 13. Okt. 1970, 48 ILR 63. 336 S. v. Tuhadeleni and Others, Appellate Division, 22. Nov. 1968, 18 ICLQ 789 (1969).
Vgl. dazu unten VI. B. 1. Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau v. Lang und Legler, Bundes gericht, 27. Jan. 1950, BGE 76 IV 43, vgl. dazu Dominice, Nature juridique, S, 257. Kiss, Nature juridique, S. 259 f. will Art. 55 der französischen Verfas sung, welcher völkerrechtlichen Verträgen einen Vorrang vor staatlichem Recht einräumt, in diesem Sinne interpretieren. Allgemein zu dieser Frage siehe oben S. 237 f. 33 7 338
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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Charakteristisch für diese Art des Vorgehens ist die bereits be kannte339 amerikanische Entscheidung Keeney v. U. S. 340, in welcher eine Bedienstete der Vereinten Nationen nach amerikanischem Recht be straft werden sollte, da sie sich geweigert hatte, vor einem Unterkomi tee des Kongresses auszusagen. Ihr Freispruch wurde schließlich auf die UN Staff Rules gestützt, welche, entgegen der Aussagepflicht nach amerikanischem Recht, eine Schweigepflicht begründeten. Ähnlich ist die Einstellung der Gerichte, welche die von einer inter nationalen Organisation geschaffenen Schlichtungsmethoden in Ar beitsstreitigkeiten auf Kosten des staatlichen Rechts berücksichtigen341 oder die Polizeiverordnungen der Zentralkommission für die Rhein schiffahrt anstelle der sonst anwendbaren Bestimmungen des örtlichen Strafrechts heranziehen342 . In solchen Fällen werden die Entscheidun gen internationaler Organe nicht unter Anerkennung einer höheren Autorität durch das örtliche staatliche Recht berücksichtigt, sondern wegen ihrer vom Recht der einzelnen Staaten unabhängigen autono men Befugnis, bestimmte Sachverhalte zu regeln. Diese Form der Lösung ist einer formalistischen, welche staatliche Normen und internationale Entscheidungen in ein starres Rangver hältnis bringen wollte, vorzuziehen. Beim Zusammentreffen verschie dener Entscheidungsprozesse, wie dem staatlichen und dem internatio nalen, bietet eine Konstruktion der formellen Über-, Unter- oder Gleichordnung und die damit verbundenen Vorstellungen von der De rogation keine optimale Lösung. Die autoritativen Entscheidungen stammen aus heterogenen Sozialprozessen u_nd von ganz unterschied lichen Organen. Die innerhalb einer Rechtsordnung für die Lösung von Normenkonflikten geläufigen Grundsätze sind nur sehr schwer auf die Konkurrenz von Rechtsbefehlen verschiedenen Ursprungs an zuwenden. Sie führen zu aleatorischen Lösungen und können der rechts politischen Forderung nach effektiver Durchführung internationaler Organakte nicht gerecht werden. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der A_nwendung des lex poste rior-Prinzips343 . Es geht von der Voraussetzung eines einheitlichen Ent339 Oben IV. C. 4. 34° Court of Appeals, D. C., 26. Aug. 1954, 218 F, 2d 843. 34 1 Viecem v. IRO, Tribunale Trieste, 20. Juli 1951, 36 Rivista DI 470 (1953) ; ProfiH v. International Institute of Agriculture, Corte di cassazione, 26. Feb. 1931, 23 Rivista DI 386 (1931) ; Marre cf UNIDROIT, Tribunale di Roma, 26. Juni 1965, 50 Rivista DI 149 (1967) ; Dame Klarsfeld cf Office franco allemand pour la jeunesse, Cour d'Appel de Paris, 18. Juni 1968, 15 AFDI 865 (1969). 342 K. F. O. v. Public Prosecutor, Netherlands Supreme Court, 15. Juni 1971, 3 NYIL 296 (1972).
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
scheidungs- oder Rechtsetzungsorgans aus, dessen jeweils späterer Wille autoritativ sein soll. Sind jedoch mehrere Entscheidungsorgane nebeneinander mit Autorität ausgestattet, können widersprechende Absichten dieser Organe bei Beachtung des lex posterior-Prinzips leicht in ein legislatives ,Bockspringen' ausarten, bei dem der jeweils zuletzt Handelnde dem anderen einen Schritt voraus ist344 • cc) Zusammenfassung Der brauchbarste Ausgangspunkt für eine Lösung erscheint nicht in einer Behandlung dieser Frage unter dem Gesichtspunkt der Geltungs konkurrenz, sondern der Anwendung der Entscheidung des sachlich zuständigen Organs zu liegen. Für den Bereich, in welchem eine Ent scheidungsbefugnis an internationale Organe übertragen worden ist, sind dessen Beschlüsse als das auf die so geregelten Sachverhalte an wendbare Recht zu betrachten. Dies bedeutet zwar nicht den unbe dingten Vorrang oder „Primat" dieses Beschlusses, wohl aber, daß im Zweifel auch ein staatliches Rechtsanwendungsorgan in Übereinstim mung mit dem Beschluß des internationalen Organs zu entscheiden hat. Es sind allerdings Situationen denkbar, in denen erwartet werden inuß, daß sich staatliche Gerichte im Kollisionsfall jedenfalls für den staatlichen Rechtsbefehl und gegen den internationalen Organakt ent scheiden. Dazu gehören insbesondere Fälle, in denen der · Forumstaat sich durch Erlaß entsprechender Vorschriften bewußt und offen in Gegensatz zu der internationalen Entscheidung gestellt hat346 • Vor al lem in Krisensituationen können Staaten veranlaßt sein, ihren Ver pflichtungen aus der Mitgliedschaft zu internationalen Organisationen vorübergehend nicht mehr nachzukommen346 • Unter solchen Umstän den muß eine Entscheidung eines Gerichts in Übereinstimmung mit dem örtlichen Rechtsbefehl realistischerweise erwartet werden. Ähnliche Situationen können sich ergeben, wenn Entscheidungen in ternationaler Organe mit fundamentalen Grundsatzentscheidungen der staatlichen Rechtsordnung, wie sie insbesondere in der Verfassung, vor allem im Bereiche des Grundrechtsschutzes existieren, in Kollision ge raten. In solchen Fällen kann eine Überprüfung der internationalen Entscheidung durch die Gerichte eine durchaus angemessene Form des .343 Zt,tr Ki;itik am lex posterior Prinzip zur Lösung des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht siehe auch die Bemerkungen von Sohn in 63 ASIL Proceedings 180 (1969). 30 Vgl. dazu als aktuelles Beispiel, die oben IV. E. 2. b) aa) erwähnte Aus einandersetzung zwischen dem Sicherheitsrat und dem Kongress der Ver einigten Staaten. 3 45 Allgemein zur Frage der Haltung des Forumstaates siehe unten VI. B. 1. 348 Siehe auch Bleckmann, Vorrang, S. 528.
E. Materielles staatliches Recht und internationale Organakte
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Rechtsschutzes darstellen. Daraus ist keineswegs der Schluß zu ziehen, internationale Organakte sollten, analog staatlichen Gesetzen, allge mein einer Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit, gemessen an den Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten, unterworfen werden. An dererseits sollte das Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit nicht zu einer Integrationseuphorie auf Kosten des Grundrechtsschutzes führen347 • Die traditionelle Kontrollfunktion der Gerichte kann auch in diesem Bereich eine nützliche Rolle bei der Prüfung der Übereinstim mung von internationalen Organakten mit den grundsätzlichen Wert vorstellungen der Mitglieder spielen und gegebenenfalls als letztes Mittel gegen internationale Entscheidungen dienen, die diese Grund sätze verletzen. Im Europäischen Gemeinschaftsrecht zeigen die hier für internatio nale Organakte traditionellen Typs ausgesprochenen Gedanken bereits starke Anzeichen sich durchzusetzen. Auch für das Verhältnis des Ge meinschaftsrechts zum staatlichen Recht wurde zuerst vielfach ver sucht an Bestimmungen der einzelstaatlichen Verfassungen über das Völkerrecht, insbesondere für völkerrechtliche Verträge, anzuknüp fen348. Ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts konnte nach diesen Vor stellungen nur auf staatlicllen Vorrangregeln für völkerrechtliche Ver träge basieren349 • Vor allem unter dem Einfluß der Judikatur des 347 Vgl. auch P. de Visscher, Les tendances, S. 554; van Panhuys, The Netherlands Constitution and International Law, S.552. 848 Vgl. etwa das Urteil des italienischen Corte Constituzionale in Costa v. E. N. E. L., 7. März 1964, 3 CMLRep. 425 (1964); Berufungsgericht Rom in I. C.I. C. v. Ministero Commercio con l'ES!tero, 13. Apr. 1973, 12 CMLRev. 439 (1975). Dazu vgl. Bebr, Law of the European Communities and Municipal Law, 34 Modern Law Review 481, 485 f. (1971); Erichsen, Zum Verhältnis von EWG-Recht und nationalem öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutsch land, 64 Verwaltungsarchiv 101, 106 (1973); Ipsen, The Relationship between the Law of the European Communities and National Law, 2 CMLRev. 379, 380 f. (1964 - 65), Kovar, L'applicabilite, S. 282; Waelbroek, The Application of E.E. C. Law by National Courts, 19 Stanford Law Review 1248, 1258 f. (1967). Zur Lage in Luxemburg und den Niederlanden wo auch Völkerrecht traditionellen Typs Vorrang genießt vgl. Pescatore, Die unmittelbare An wendung der europäischen Verträge durch die staatlichen Gerichte, 5 Europa recht 56, 74 f., 76 f. (1970); ibid., The Law of Integration, S. 96 (1974). 3 19 Vgl. etwa das Urteil der französischen Cour de cassation in Administra tion des Contributions Indirectes et Comite Interprofessionel des Vins Doux Naturels c/ Ramel, 22. Okt. 1970, 10 CMLRep. 315 (1971); belgische Cour de cassation in Etat b elge c/ Frommagerie Le Ski, 27. Mai 1971, 11 CMLRep. 330, 374 (1972). Vgl. auch Simon, Enforcement by French Courts of European Community Law, 90 Law Quarterly Review 467, 472 f. (1974); Plouvier, Primaute du droit international et du droit communautaire en Belgique. Analyse de l'arret de la Cour de cassation du 27. Mai 1971, Revue du Marche Commun 171 (1972). Vgl. dazu auch eine Anfragebeantwortung der Kommis sion vom 1. April im Amtsblatt C 34/1 (1968) : ,,Der Vorrang des Gemein schaftsrechts vor dem nationalen Recht gründet sich nicht auf die Verfas sungsvorschriften, die in den einzelnen Mitgliedstaaten das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht bestimmen, sondern entspringt dem Wesen der Gemeinschaft selbst, deren wirksames Funktionieren er gewährleistet."
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IV. Der internationale Organakt und das staatliche Recht
EuGH350 setzt sich mittlerweile immer mehr die Ansicht durch, daß das Gemeinschaftsrecht auf Grund einer autonomen Regelungsbefugnis gilt und auch im Falle einer Kollision mit staatlichem Recht anzuwen den ist 35 1 • Dieser Anwendungsvorrang wird nicht mit einer Höherran gigkeit und einer daraus resultierenden Derogation staatlichen Rechts352 , sondern mit einer Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane für den materiellen Bereich des Gemeinschaftsrechts und der Siche rung ihrer Funktionsfähigkeit begründet353 • Diese Konstruktion bietet eine ausreichende Gewähr für das rechtspolitische Postulat nach Effek tivität des Gemeinschaftsrechts. Die Frage des Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht hat in neuerer Zeit hitzige Debatten ausgelöst354 • Die vom EuGH ausgespro350 Van Gend & Loos v. Niederländische Finanzverwaltung, 5. Feb. 1963, Slg. IX, S. 1 ; Costa v. ENEL, 5. Juli 1964, Slg. X, S. 1251 ; Wait Wilhelm v. BundeskarteUamt, 13. Feb. 1969, Slg. XV, S. 1 ; Marimex v. Finanzministerium der italienischen Republik, 7. März 1972, Slg. XVIII, S. 89 ; Kommission v. Italien, 13. Juli 1972, Slg. XVIII, S. 529. Vgl. auch Green, Political Integration by Jurisprudence, S. 319 f. 351 Vgl. etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht, 9. Juni 1971, BVerfGE 31, 145, 174; Frontini v. Ministero deHe Finanze, Corte Constituzionale, 27. Dez. 1973, 14 CMLRep. 372 (1974) ; Guerrini, französ. Cour de cass., 7. Jan. 1972, 100 Clunet 346 (1973) ; Administration des Douanes c/ Societe des Cafes Jacques Vabre et Societe J. Weigel & Cie., französ. Cour de cass., 24. Mai 1975, 16 CMLRep. 336 (1975). Vgl. auch Bebr, How Supreme is Com munity Law in the National Courts?, 11 CMLRev. 3 (1974) ; Meier, Zur Gel tung von Gemeinschaftsnormen im staatlichen Bereich, 14 AWB 205, 209 f. (1968) ; Neri, Rapports entre le droit communautaire et le droit interne selon la cour constitutionelle, 10 Rev. Trim. Dr. Eur. 154 (1974) ; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich (1969) ; ibid., Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, Juristische Rundschau 441 (1973) ; Randelzhofer, Das Recht der Europäischen Gemein schaften und das nationale Recht, 135 Zs. f. d. ges. Handelsr. u. Wirtschaftsr. 237 (1971) ; Riegel, Zum Verhältnis zwischen gemeinschaftsrechtlicher und innerstaatlicher Gerichtsbarkeit, 28 NJW 1049, 1051 (1975) ; Le Tallec, Le juge fran1;ais devant le droit international et le droit communautaire, Rev. du Marelle Commun 124 (1975). 352 Siehe jedoch Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht (1966). 353 Vgl. etwa Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht 261 f. (1972) ; Mertens de Wilmars, Les enseignements communautaires des jurisprudences nationa les, 6 Rev. Trim. Dr. Eur. 454 (1970) ; Ophüls, Die Geltungsnormen des Euro päischen Gemeinschaftsrechts, in Festschrift für Otto Riese, S. 1, 17 f. (1964) ; Prasch, Die unmittelbare Wirkung des EWG-Vertrages auf die Wirtschafts unternehmen, S. 156 f. (1967). m Vgl. etwa Ehlermann, Primaute du droit communautaire mise en