Die Bedingungen des Bundes: Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen 3161591321, 9783161591327, 9783161591334

Die Beschreibung der Gottesbeziehung Israels als Bund hat in der deuteronomisch-deuteronomistischen, der priesterlichen

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German Pages 274 [275] Year 2020

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Titel
Vorwort
Inhalt
I. Einleitung
1. Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung
2. Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen
Exkurs: Gegenstand – Einkleidung – Ausarbeitung. Zu einer notwendigen Differenzierung und zur Wiedergabe von ברית im Deutschen
3. Anlage und Zugang der Untersuchung
II. Hermeneutische Perspektiven
1. Zur Standortbezogenheit biblischer Exegese
2. Bund und Gesetz bei Paulus
3. Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur
4. Das Vorverständnis hinterfragen
III. Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption
1. These
2. Sinaibund und Abrahambund?
3. Genesis 17
4. Die Paränese in Leviticus
5. Der Zusammenhang in P
6. Zwischenfazit und Weiterführung
IV. Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption
1. Zwei Thesen und ein Vergleich: Die nicht-priesterliche Sinaiperikope
2. Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition
3. Die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels
4. Die Paränese im Deuteronomium
5. Der deuteronomistische Jeremia
6. Fazit
V. Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes
1. Die Frage
2. Der neue Bund und die alte Tora im alexandrinischen und im masoretischen Jeremiabuch
3. Die Tora in Buch und Herz, ihr Lehren und Lernen und die konditionale Struktur des Bundes
4. Zwischenfazit und Zuspitzung
5. Der neue Bund als Ausdruck endgültiger Resignation über den alten Menschen?
6. Zweites Fazit
VI. Erträge und theologische Bedeutung
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Literatur
Register
Stellenregister
Sachregister
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Die Bedingungen des Bundes: Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen
 3161591321, 9783161591327, 9783161591334

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Forschungen zum Alten Testament Edited by

Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) · Andrew Teeter (Harvard)

140

Joachim J. Krause

Die Bedingungen des Bundes Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen

Mohr Siebeck

Joachim J. Krause, geboren 1978; Studium der Politologie und Evangelischen Theologie in Berlin und Tübingen, mit Studien- und Forschungsaufenthalten an der Hebräischen Universität Jerusalem und in Yale; 2012–2015 Vikariat und Pfarrdienst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg; 2013 Promotion; 2019 Habilitation; derzeit Leitung eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft. orcid.org/0000-0002-6156-7698

ISBN 978-3-16-159132-7 / eISBN 978-3-16-159133-4 DOI 10.1628/978-3-16-159133-4 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Minion Pro gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

für Katharina ‫כשושנה‬

Vorwort Die vorliegenden Studien sind im Wintersemester 2018/19 eingereicht und im Sommersemester 2019 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen worden. Für die Veröffentlichung wurde die Darstellung an einigen Stellen knapper gefasst und an anderen erweitert. Dabei konnte seit Abschluss der Arbeit erschienene Literatur in Auswahl berücksichtigt werden. Zu danken habe ich vielen für vieles. An erster Stelle nenne ich wiederum meine Jerusalemer Lehrer, unter denen ich in diesem Fall namentlich Prof. Dr. Dr. h.c. Shimon Gesundheit hervorheben möchte. Ich danke ihm nicht nur für das, was ich vor nunmehr anderthalb Jahrzehnten über die großen mittelalterlichen Kommentatoren der Hebräischen Bibel gelernt habe, sondern in der Hauptsache für den Austausch seitdem. Besonders viel verdankt aber auch dieses Buch Prof. Dr. Erhard Blum. Das gilt für den ungewöhnlich großen Freiraum für eigene Forschungen, den er mir als seinem Assistenten gewährt hat, das gilt darüber hinaus jedoch vor allem für unser Gespräch, dessen Spuren sich in mancher Fußnote finden. Prof. Dr. Martin Leuenberger danke ich gleichfalls für das langjährige fachliche Gespräch und sein eingehendes Zweitgutachten. Von Bedeutung für die Entwicklung der hiermit zur Diskussion gestellten Thesen war ferner der intensive Austausch mit drei Tübinger Freunden und Kollegen. Prof. Dr. Wolfgang Oswald hat mehrere Kapitel gelesen und kommentiert, Dr. Ruth Ebach und Prof. Dr. Kristin Weingart kennen die gesamte Untersuchung und könnten aus ihren Unterlagen wohl annähernd deren diachrones Profil rekonstruieren. Für unser mutuum colloquium bin ich nicht nur in fachlicher Hinsicht dankbar. Neben den bereits Genannten danke ich für fachlich-kritische Gespräche, manch praktischen Ratschlag, die freundliche Überlassung noch nicht publizierter Manuskripte und anderes mehr Prof. Dr. David M. Carr, Prof. Dr. Jan C. Gertz, Prof. Dr. Walter Groß, Prof. Dr. Gabriel Hornung, Prof. Dr. Gary Knoppers (†), Prof. Dr. Hermann-Josef Stipp und Prof. Dr. Jakob Wöhrle. Die Liste wäre aber unvollständig, wenn nicht wenigstens summarisch auch die Studierenden erwähnt würden, die in diversen Lehrveranstaltungen der zurückliegenden Semester meine Thesen zur alttestamentlichen Bundestheologie mit mir diskutiert und gelegentlich auch Weiterentwicklungen angeregt haben. Begonnen im Pfarrdienst und fortgeführt auf der Assistentenstelle, die ich seit 2015 innehatte, sind diese Studien am Ende ein Buch geworden dank der großzügi-

VIII

Vorwort

gen Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Projekt 403831448 „Die konditionale Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen in theologischer, literarhistorischer und religionsgeschichtlicher Perspektive“). Für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe der „Forschungen zum Alten Testament“ danke ich den Herausgebern, namentlich Prof. Dr. Konrad Schmid, Prof. Dr. Mark S. Smith, Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann und Prof. Dr. D. Andrew Teeter, für die hervorragende verlegerische Betreuung Elena Müller und ihren Mitarbeitern bei Mohr Siebeck. Gewidmet ist das Buch meiner Frau Dr. Katharina Krause. Sie ist und bleibt meine erste theologische Gesprächspartnerin, aber danken will ich ihr für viel mehr. Mit ihr und unserem Sohn Conrad freue ich mich, diese Studien nun in die Hände der Leser zu legen. Tübingen, im Sommer 2019

Joachim Krause

Inhalt I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung . . 2. Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen . Exkurs: Gegenstand – Einkleidung – Ausarbeitung. Zu einer notwendigen Differenzierung und zur Wiedergabe von ‫ברית‬ im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anlage und Zugang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 17

19 22

II. Hermeneutische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Zur Standortbezogenheit biblischer Exegese . . . . . . . . . . . . . . 2. Bund und Gesetz bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur . . . . . . . . 4. Das Vorverständnis hinterfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 31 39 45

III. Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sinaibund und Abrahambund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Genesis 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Paränese in Leviticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Zusammenhang in P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenfazit und Weiterführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 51 61 81 93 108

IV. Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption . . . . . . . . . . . . . 111 1. Zwei Thesen und ein Vergleich: Die nicht-priesterliche Sinaiperikope 111 2. Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition . . . 117 3. Die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

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Inhalt

4. Die Paränese im Deuteronomium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5. Der deuteronomistische Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

V. Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes . . . . . . . . 165 1. Die Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der neue Bund und die alte Tora im alexandrinischen und im masoretischen Jeremiabuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Tora in Buch und Herz, ihr Lehren und Lernen und die konditionale Struktur des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit und Zuspitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der neue Bund als Ausdruck endgültiger Resignation über den alten Menschen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zweites Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165 166 181 191 193 205

VI. Erträge und theologische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

I. Einleitung Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden. Aber daß ich zu ihm das Grundwort spreche, ist Tat meines Wesens, meine Wesenstat. Das Du begegnet mir. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm. So ist die Beziehung Erwähltwerden und Erwählen, Passion und Aktion in einem.1

Der Titel der vorliegenden Untersuchung ist im Plural formuliert: „Die Bedingungen des Bundes“. So erinnert er daran, was der Begriff der Bedingung bedeuten kann. Dieser gibt nicht nur an, was Jhwh, oder genauer, was das Leben in Beziehung mit Jhwh von Israel fordert, sondern auch, was Jhwh an Israel tut – und bereits getan hat. Die Untersuchung ist zwar, wie weite Teile der biblischen Überlieferung selbst, vornehmlich der Seite Israels gewidmet. Es wird sich aber zeigen, wie wichtig es ist, diesen Aspekt nicht zu isolieren. Denn die Beziehung ist Erwähltwerden und Erwählen in einem. Die damit aufgerufene Frage nach der konditionalen Struktur alttestamentlicher Konzeptionen des Bundes könnte als eine Spezialfrage auf dem weiten Feld der Bundestheologie erscheinen. Das ist sie nicht. Inspiriert am Konzept des zwischenmenschlichen, insbesondere des politischen Vertrags, beschreibt das Theologumenon vom Bund Jhwhs das Gottesverhältnis Israels als bewusst gestaltete Beziehung. Für eine solche sind Bedingungen im eben beschriebenen Sinne grundlegend, und zwar beide: zuerst der Anruf, dann die Erwiderung. So beginnt und so besteht die Beziehung.

1 

Buber, Ich und Du, 18.

2

I. Einleitung

1.  Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung Eine förmlich geschlossene verbindliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Parteien war in der alten Welt eine nicht weniger gewöhnliche soziale Realität als für uns.2 Ungewöhnlich war aber die Übertragung dieses Konzepts auf die Vorstellung, die man sich von der Beziehung zu Göttern machte. Dass diese Übertragung nicht nur in Israel, sondern auch seiner Umwelt vorgenommen werden konnte,3 davon zeugt ein zufälliges und gerade deshalb signifikantes Streiflicht. Die Rede ist von dem ersten der beiden ins siebte Jahrhundert zu datierenden phönizischen Amulette aus dem nordsyrischen Arslan Tash (dem antiken Hadatu).4 Wie die Vorderseite (Abb. 1) in Text und eindrücklichen Bildern darstellt, hatte es apotropäische Funktion. Es diente der Beschwörung zweier Dämonen, der Fliegerin (Recto Z.  1)5 und der Würgerin (Recto Z.  4),6 auf dass diese nicht die Schwelle von Haus und Hof (Recto Z.  5–6; Verso Z.  7–8), an deren Eingang das Amulett vermutlich angebracht war, übertreten.7 Rückseitig (Abb. 2) ist ein schreitender Gott mit Streitaxt abgebildet, möglicherweise Assur. Jedenfalls handelt der beigegebene Text von einem ewigen Bund (ʾlt ʿlm Verso Z.  9–10; vgl. auch 13–14), 8 den Assur sowie alle 2  S. nur die bei Borger u. a., Staatsverträge (TUAT), und Breyer u. a., Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte (TUAT N.F.), gesammelten Quellen aus dem Bereich staatlicher Politik. Ferner s. nun auch die Zusammenstellung von Kitchen/Lawrence, Treaty, Law and Covenant in the Ancient Near East; die dort gebotenen Analysen und historischen Einordnungen sind jedoch nur mit Vorsicht zu benutzen, vgl. Lauinger, Approaching Ancient Near Eastern Treaties, Laws, and Covenants. Zur Einführung s. Koch, Art. Covenant: I. Ancient Near East, und, immer noch instruktiv, Weinfeld, Art. ‫ ְּבִרית‬. 3  Zur einschlägigen Diskussion s. Lohfink, Gott im Buch Deuteronomium, 41 mit Anm.  52; ders., Art. Bund, 345; Zevit, A Phoenician Inscription and Biblical Covenant Theology, 116–118; Sperling, Rethinking Covenant in Late Biblical Books, 51 mit Anm.  8; Zenger, Die Bundestheologie, 35–36; Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, 20– 21; Otto, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, 60–61; ders., Der Bund im Alten Testament, 362; sehr viel skeptischer etwa Joosten, People and Land in the Holiness Code, 109; Weeks, Admonition and Curse, 179–180. 4  Neben KAI Nr.  27 und TUAT II/3, 435–437 s. vor allem die eingehende Neubearbeitung aufgrund eigener Autopsie bei Pardee, Les documents d’Arslan Tash (mit den hier abgebildeten Nachzeichnungen a. a. O., 43), der auch den bis dato virulenten Verdacht einer Fälschung überzeugend entkräftet hat, und die darauf basierende Übersetzung und Interpretation von Conklin, Arslan Tash I (Lit.), jeweils mit ausführlicher Diskussion der im Folgenden berührten Probleme von Lesung und Interpretation. Mein eigener Blick auf die Inschrift hat von der eingehenden Diskussion in einem Tübinger Oberseminar zur nordwestsemitischen Epigraphik unter Leitung von Erhard Blum und Walter Groß profitiert. Wolfgang Röllig, der daran teilnahm, danke ich ebenfalls für wichtige Hinweise. 5  Hier unleserlich, vgl. aber die der Figur auf den Leib geschriebene Bezeichnung. 6  Zur Identifikation der genannten Dämonen s. TUAT II/3, 436. Ob tatsächlich, wie dort angenommen, von der Würgerin des Lammes die Rede ist, hängt an der Deutung des Wortes ʾmr (Recto Z.  4 –5); vgl. dazu unten, Anm.  10. 7  Soviel kann unbeschadet erheblicher Probleme mit Lesung und Interpretation gerade der Eingangszeilen (Recto Z.  1–4; vgl. Pardee, Les documents d’Arslan Tash, 20–22; Conklin, Arslan Tash I, 91) festgestellt werden. 8  Das Nomen wird in der kurzen Inschrift in nicht weniger als drei verschiedenen, aber mitein-

1.  Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung

Abb. 1: Arslan Tash I Recto nach Pardee, a. a. O., 43

Abb. 2: Arslan Tash I Verso nach Pardee, a. a. O., 43

3

4

I. Einleitung

Göttersöhne (kl bn ʾlm) und der Oberste der Versammlung aller Heiligen (rb . dr kl . qdšn Verso Z.  11–12) zu diesem Zweck mit den Bewohnern des Hauses geschlossen haben (krt Verso Z.  8–9 bzw. 10). Die beiden Dämonen werden zugunsten9 eines gewissen Sasam (ssm . bn pdrš Recto Z.  2) oder vielleicht eher von diesem10 wie folgt beschworen:11 In das Haus, in das ich eintrete, dürft ihr nicht eintreten, und den Hof, den ich betrete, dürft ihr nicht betreten! Sie haben einen ewigen Bund mit uns geschlossen: Assur hat ihn mit uns geschlossen und alle Göttersöhne und der Oberste der Versammlung aller Heiligen, mit einem von Himmel und Erde bezeugten Schwur …

Ziony Zevit hat diese Inschrift als „the first clearly attested expression of non-Israelite covenant theology from the ancient Near East“ bezeichnet.12 In der Tat belegt sie die Übertragung des Konzepts eines zwischenmenschlichen Vertrags auf die Beziehung zwischen Menschen und Göttern. Zugleich lässt der Vergleich mit ihr die Alleinstellungsmerkmale, die das Theologumenon des Bundes im Alten Testament auszeichnen, scharf konturiert hervortreten. (1) Das Amulett ist in seiner apotropäischen Funktion (Schutz eines Hauses und seiner Bewohner) ein typischer Ausdruck familiärer Frömmigkeit13 – von einem Bund der Gottheiten mit einer sozialen Großgruppe (Volk) ist gerade nicht die Rede. (2) In dieser Schutzfunktion geht das Amulett in der Tat auch auf, die von ihm bezeugte Konzeption eines Bundes mit den Göttern ist rein instrumentell – die Gottesbeziehung als solche wird nicht zum Thema gemacht und theologisch reflektiert, geschweige denn als exklusive Verehrung einer Gottheit profiliert. (3) Dem entspricht schließlich, dass keinerlei Verpflichtung der durch diesen Bund Begünstigten in den Blick kommt – Gehorsamsforderungen jedweder Art, mit anderen Worten, ein Modus der Antwort gegenüber den Göttern, fehlen vollständig. Eine solche Konzeption, ander verwandten Bedeutungen verwendet: Recto Z.  1 für einen Fluch (nämlich die Beschwörung selbst), Verso Z.  9–10 und 13–14 im Sinne von Vertrag beziehungsweise ‚Bund‘, Verso Z.  14 ff. dann in der letzterer Verwendungsweise zugrunde liegenden Bedeutung Eid/Schwur. Mit anderen Worten, die Semantik des Nomens ist ebenso breit wie die von ʾlh im biblischen Hebräisch. Zu dem sprach- und kulturübergreifenden Hendiadyoin bryt wʾlh (um mit der biblisch-hebräischen Form zu sprechen) s. Weinfeld, The Common Heritage of Covenantal Traditions in the Ancient World, 176–177. 9 So Conklin, Arslan Tash I, 91. 10  Das Verbum ʾmr in Z.  4 –5 (wenn es denn, wie hier vorausgesetzt, ein Verbum ist und nicht Lamm zu lesen ist; vgl. oben, Anm.  6) wäre in diesem Fall nicht, wie in Conklins Interpretation (s. o., Anm.  9), als Imperativ, sondern als ein performativ gebrauchtes Perfekt zu deuten. So oder so dürfte Conklin im Recht sein, wenn er sich gegen die übliche Deutung des Sasam auf eine Gottheit (s. etwa TUAT II/3, 436) ausspricht. 11 Text bei Pardee, Les documents d’Arslan Tash, 18, Übersetzung im freien Anschluss an Conklin, Arslan Tash I, 90. Anders als von ihm, aber auch sonst häufig angenommen, spricht der syntaktische Zusammenhang allerdings eher dafür, das Verbum krt bei seinem ersten Vorkommen als dritte Person Plural zu lesen, also nicht exklusiv auf das Subjekt Assur zu beziehen. Am abgebrochenen Anfang von Verso Z.  13 lese ich anders als Pardee b. 12  Zevit, A Phoenician Inscription and Biblical Covenant Theology, 116. 13 Vgl. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Bd.  1, 53–60.

1.  Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung

5

die die anspruchsvolle Bezeichnung „Bundestheologie“ in ihren beiden Teilen gerechtfertigt erscheinen ließe, ist in Israels altorientalischer Umwelt bislang nicht zutage gefördert worden. Im Alten Testament hingegen ist sie ein schlechterdings zen­ trales, nach Ansicht mancher das zentrale Thema.14 Im Bereich der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur ist diese Zentralstellung des Bundesgedankens gar nicht zu übersehen; gleichwohl ist sie durch die neuere Forschung noch um einiges anschaulicher geworden, wie sich gleich zeigen wird. Doch steht die priesterliche Überlieferung der deuteronomistischen darin nicht nach, im Gegenteil. Tatsächlich wird die Kategorie erst durch die priesterlichen Tradenten so entschieden aufgeweitet, dass nun nicht allein die Geschichte Israels von den ersten Ahnen an (Abrahambund), sondern darüber hinaus sogar die des Lebens überhaupt (Noahbund) bundestheologisch begründet werden kann. Der Verkündigung der Propheten ursprünglich „wurzelfremd“,15 ist das Theologumenon des Bundes schließlich auch in den großen Prophetenbüchern, besonders denen von Jeremia und Ezechiel, aufgegriffen und mit ganz eigener Zuspitzung fortgeschrieben worden. Die großen Linien der Forschung von Julius Wellhausen (Spätdatierung des Bundesgedankens als theologische Idee) über Max Weber und Martin Noth (Frühdatierung als soziale Institution) und mit Lothar Perlitt wieder zurück zu Wellhausen (prophetisches „Bundesschweigen“; geschichtstheologische Grundfunktion der Krisenbewältigung) haben Ernest Nicholson und Eckart Otto nachgezeichnet.16 Auch für die neuere und neueste Diskussion fehlt es nicht an Überblicksdarstellungen und Berichten.17 En detail kommen Probleme und Stand der Forschung dann in den drei exegetischen Hauptteilen der vorliegenden Untersuchung zur Sprache.18 So kann im Folgenden besonderes Augenmerk auf einige ausgewählte Aspekte gelegt werden. Dass dabei nicht allein theologische Fragen, sondern mit ihnen auch grundlegende literarhistorische und religionsgeschichtliche Probleme der jeweiligen Überlieferungsbereiche in den Blick kommen, liegt in der Natur der Sache.

14 Vgl. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments, und Childs, Biblical Theology of the Old and New Testaments, und zu beiden Barton, Covenant in Old Testament Theology. 15  Thiel, Die Rede vom ‚Bund‘ in den Prophetenbüchern, 26. 16  Nicholson, God and His People, 3–117; Otto, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, 1–37. 17  S. vor allem Markl, God’s Covenants with Humanity and Israel; Koch, Art. Covenant: II. Hebrew Bible/Old Testament; Rüterswörden, Art. Bund; Goldingay, Art. Covenant; Otte, Der Begriff berît in der jüngeren alttestamentlichen Forschung; Baker, Covenant; Hahn, Covenant in the Old and New Testaments; McKenzie, Covenant; Gertz, Art. Bund: II. Altes Testament; McConville, Art. ‫ ; ְּבִרית‬Neef, Aspekte alttestamentlicher Bundestheologie; Zenger, Die Bundestheologie; Mendenhall/Herion, Art. Covenant; Lohfink, Art. Bund; unter Konzentration auf die Verbindung des Theologumenons mit legislativem Material zuletzt auch Joosten, Covenant. Den Einfluss von Perlitts Buch sichtet Aurelius, Bundestheologie im Alten Testament. 18  S. u., Kap. III, IV und V, mit ausführlicher Diskussion und Literaturangaben auch zu den im Folgenden nur skizzenhaft umrissenen Problemkreisen.

6

I. Einleitung

Einzusetzen ist im Deuteronomium, wo die Theologie des Bundes erstmals zu voller Blüte entfaltet worden ist – und damit bei ihrer Herkunft aus der altorientalischen Vertragstradition. Hier bietet der durch die neuere Diskussion erreichte Stand der Forschung eine erfreulich solide Ausgangsbasis. Durch ihre vielbeachtete These, der Nachfolgevertrag des assyrischen Großkönigs Asarhaddon (EST)19 habe die Übersetzungsvorlage für Dtn 13* und 28* geboten, regten Hans Ulrich Steymans20 und Eckart Otto21 eine vertiefte Beschäftigung mit den seit den grundlegenden Arbeiten von George Mendenhall,22 Klaus Baltzer,23 Dennis McCarthy24 und Moshe Weinfeld25 bekannten Strukturanalogien (‚Bundesformular‘) an.26 Die Annahme exklusiver literarischer Abhängigkeit von dem einzigen (!) vollständig erhaltenen neuassyrischen Vertrag hat sich in der folgenden Diskussion zwar nicht bewährt.27 Christoph Koch konnte vielmehr zeigen, dass bei der vertragsförmigen Gestaltung des Deuteronomiums wenigstens drei unterschiedliche Einflüsse wirksam waren: Neben neuassyrischen finden sich auch westlich-aramäische sowie autochthone judäische Traditionselemente.28 Zur Erklärung der entsprechenden Rezeptionsvorgänge verweist er außer auf die per definitionem internationale Gattung des Vasallenvertrags und die konkreten, den Vertragsparteien ausgehändigten Vertragstexte vor allem auf den international vernetzten Berufsstand der Schreiber und deren weitgehend standardisierte Ausbildung.29 Dank dieses differenzierten tradi­ 19  Editio princeps: Wiseman, The Vassal Treaties of Esarhaddon; Standardausgabe: Parpola/ Watanabe, Neo-Assyrian Treaties and Loyalty Oaths; in deutscher Übersetzung bequem zugänglich in TUAT I/2, 160–176 (Borger); das zuletzt in Tell Tayinat aufgefundene Exemplar dokumentiert Lauinger, Esarhaddon’s Succession Treaty at Tell Tayinat. Zur Diskussion um die konkurrierenden Interpretationen als Vasallenverträge (Wiseman, Parpola) oder Loyalitätseide (Gelb, Cogan) s. Otto, Das Deuteronomium, 15–32, und Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 78–97. 20  Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. 21  Otto, Das Deuteronomium. 22  Mendenhall, Law and Covenant in Israel and the Ancient Near East. 23  Baltzer, Das Bundesformular. 24  McCarthy, Treaty and Covenant. 25  Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School. 26  Das Formular selbst hatte Korošec, Hethitische Staatsverträge, erhoben und so die Grundlage für die Pionierstudien von Mendenhall und Baltzer gelegt. Beschrieben diese die Strukturanalogien noch vornehmlich anhand des älteren hethitischen Vergleichsmaterials, so verschoben McCarthy und Weinfeld den Fokus der Forschung auf die neuassyrischen Belege. Zu der bemerkenswerten diachronen und diatopischen Stabilität der tragenden Elemente vgl. Weinfeld, The Common Heritage of Covenantal Traditions in the Ancient World. 27  S. bereits Radner, Assyrische  tuppi adê als Vorbild für Deuteronomium 28,20–44, und dann vor allem Koch, Vertrag, Treueid und Bund, vgl. jetzt auch Ramos, A Northwest Semitic Curse Formula; Quick, Deuteronomy 28 and the Aramaic Curse Tradition. 28  Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 167–168.243–244. 29  Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 313. Weitgehend unabhängig von Koch hat sich auch Crouch, Israel and the Assyrians, 47–92, unlängst gegen die Annahme direkter literarischer Abhängigkeit des Deuteronomiums von den EST ausgesprochen. Mit der gänzlichen Bestreitung spezifischer Übereinstimmungen schüttet sie freilich das Kind mit dem Bade aus. Das Verhältnis von Dtn 13 und 28 zu den einschlägigen Paragraphen der EST als generell, unpräzise und oberflächlich abzutun (so a. a. O., 92), wird weder dem Textbefund noch dessen eingehender Analyse durch Stey-

1.  Die alttestamentliche Bundestheologie in der neueren Forschung

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tions­geschichtlichen Ansatzes, für den das in den aramäischen Inschriften von S­ efire30 bezeugte „Amalgam“ aus genuin aramäischen sowie späthethitischen und neuassyrischen Traditionen Pate steht,31 eröffnen sich nun Lösungswege für lange virulente genetische Probleme des Deuteronomiums. Dies gilt in Sonderheit für das Vorkommen nicht nur von Elementen, die in der mutmaßlich zeitgenössischen neuassyrischen Tradition belegt sind, sondern auch solcher, die wir sonst bislang nahezu ausschließlich aus der rund ein halbes Jahrtausend älteren hethitischen Überlieferung kennen. Einschlägig sind hier vor allem das Element der so genannten Vorgeschichte, die die bisherige Beziehung der Vertragspartner darstellt, sowie die ausdrückliche Nennung nicht nur von Fluch, sondern auch von Segen als Folge von Vertragstreue.32 Gleichwohl bleibt der Nachdruck, mit dem Steymans und Otto auf die in der Tat bemerkenswerten Übereinstimmungen mit den EST hingewiesen haben, wichtig. Denn in dieser Fokussierung wird die Forderung exklusiver Loyalität gegenüber Jhwh, gleichsam der Generalbass im Deuteronomium, und zumal deren ausgesprochen drastische Bebilderung in Dtn 13 so scharf profiliert, dass kein Weg mehr an der Frage nach der theologischen raison d’être der Konzeption der Bundes vorbeiführt: Warum wurde die Tradition des politischen Vertrags adaptiert und zu einem Bild für die Beziehung zwischen Jhwh und Israel ausgestaltet?33 Für ihre Beantwortung bleibt nach meinem Dafürhalten weiterhin Lothar Perlitts Einsicht wegweisend: Die Bundestheologie wurde als Mittel der Krisenbewältigung, mithin als Geschichtstheologie konzipiert.34 Tatsächlich führte diese Annahme einer immanenten Entwicklung, nämlich der Reflexion der eigenen Geschichte sub specie Jhwh, Perlitt selbst dazu, die altorientalischen Parallelen so weit als irgend möglich abzublenden.35

mans, Otto und andere (zu Dtn 13 vgl. unlängst etwa noch Levinson/Stackert, Between the ­Covenant Code and Esarhaddon’s Succession Treaty, 128–139 [Lit.]) gerecht. Zuletzt und am ausführlichsten s. Otto, Deuteronomium 12–34, Bd.  1, 1201–1272, hier bes. 1222–1226, zur Auseinandersetzung mit der jüngeren Kritik. 30  Fitzmyer, The Aramaic Inscriptions of Sefire. 31  Koch, Zwischen Hatti und Assur, mit dem Zitat a. a. O., 380; ders., Vertrag, Treueid und Bund, 52–78. 32  Zur Zählebigkeit hethitischer Traditionen vgl. ferner d’Alfonso, Die hethitische Vertragstradition in Syrien. 33  Hingegen kommt diese Frage gar nicht in den Blick, wenn man, wie zuletzt von Miller, The Israelite Covenant in Ancient Near Eastern Context; ders., Covenant and Grace in the Old Testament, vorgeschlagen, die alttestamentliche Bundestheologie hauptsächlich von der Barrakib-Inschrift aus Sam’al und ihren mutmaßlichen Parallelen her zu erklären versucht. 34 Schon für den seines Erachtens deuteronomischen Ursprung der Bundestheologie in den Blick gefasst (vgl. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 274 ff.), betont Perlitt dies entschieden für deren deuteronomistische Ausprägung: „Die Verfasser des DtrG trieb nicht historiographische Leidenschaft, sondern die Nötigung, die Trümmer zweier Reiche theologisch zu deuten.“ (a. a. O., 7). 35  So die berechtigte Kritik von Otto, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, 29–30.

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Sie muss aber keineswegs dazu führen,36 und sie sollte es auch nicht. Im Gegenteil, gerade diese Analogie bietet den deuteronomistischen Tradenten den entscheidenden Ansatzpunkt für ihre Erklärung der Krise: als „Folge des Vertragsbruches“.37 Die am politischen Vertrag inspirierte Beschreibung der Gottesbeziehung stellt drei für diese Erklärung essentielle Voraussetzungen bereit: (1) Nach der Logik dieser Beschreibung existiert die Beziehung gerade nicht naturwüchsig, sondern verdankt sich einer bewussten Entscheidung für das Gegenüber; (2) sie plausibilisiert damit die Forderung exklusiver Verehrung dieses einen Gottes, der sich für Israel und für den Israel sich entschieden hat;38 (3) und eben deshalb ist die Beziehung potentiell gefährdet, eben deshalb erlaubt es ihre Beschreibung als Bund, die Katastrophe Judas geschichtstheologisch zu integrieren.39 Eine Beschreibung der Gottesbeziehung, die als Mittel geschichtstheologischer Krisenbewältigung entwickelt worden ist und als solches davon lebt, dass Israel den Bund ‚brechen‘ kann – auf diesen Begriff lässt sich die gängige Deutung der deuteronomisch-deuteronomistischen Konzeption des Bundes bringen. So gängig diese Deutung ist, so weit verbreitet ist die Schlussfolgerung, die daraus für die priesterliche Konzeption gezogen worden ist. P stehe, so die Grundannahme, auch hier in diametralem Gegensatz zu der vorausliegenden Tradition,40 und auch hier sei dieser Gegensatz genau kalkuliert. Diese in der Forschung weithin geteilte Einschätzung der priesterlichen Bundestheologie gründet in einem kurzen, aber umso wirkmächtige36 

Vgl. zum Gegenbeispiel Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 322. Mit einer Formulierung von Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20. 38  So in aller Klarheit etwa schon Weinfeld, Art. ‫בִרית‬ ְּ , 808: Durch die Konzeption der Gottesbeziehung als Bund wurde „absolute Loyalität gefordert und die Möglichkeit mehrfacher Loyalität ausgeschlossen“ – in Entsprechung zu der Forderung „ausschließlicher Treue zu einem König in den politischen Verträgen“. 39  Das heißt nicht eo ipso, dass 587 v. Chr. als terminus post quem beziehungsweise das deuteronomistische Deuteronomium als die erste bundestheologisch geprägte Ausgabe des Buches zu gelten hätten. Unbeschadet der weiteren gewichtigen Gründe, die Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 248–265, für diese Annahme ins Feld geführt hat (das Bundesschweigen der gesamten vorexilischen Prophetie sowie die ohne Vermittlung des Königs funktionierende Beziehung zwischen Gott und Volk; in Verbindung damit die Unterbrechung eines ursprünglichen, deuteronomistisch angesetzten literarischen Zusammenhangs in Dtn 12* und *14–16 durch Dtn 13* und die Deutung einschlägiger Flüche in Dtn 28 als vaticinia ex eventu) und die je für sich nach kritischer Diskussion rufen, bleibt in dieser Hinsicht festzuhalten, dass die Zerstörung des Tempels und das Ende des Königtums über Juda nicht die erste grundstürzende Staatskrise war, die verarbeitet und aus der gelernt werden wollte. Dem Bruderstaat im Norden war es anderthalb Jahrhunderte zuvor nicht besser ergangen, und dort war derselbe Gott als Staatsgott verehrt worden. Für die vorliegende Untersuchung ist die Frage, ob schon für das vor-deuteronomistische Deuteronomium mit einer Theologie des Bundes zu rechnen ist, freilich nicht ausschlaggebend, ebenso wenig wie die, ob es überhaupt ein vor-deuteronomistisches Deuteronomium gegeben hat (zu dieser Diskussion vgl. in der jüngeren Forschung vor allem Pakkala, The Date of the Oldest Edition of Deuteronomy). 40  Wie etwa im Streit um die Profanschlachtung, die Zubereitung des Passa oder die Zusammensetzung und Binnenstruktur der Priesterschaft, um nur drei Beispiele zu nennen; s. die Bestandsaufnahme bei Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 333–338. 37 

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ren Aufsatz, den Walther Zimmerli 1960 in einer Festgabe für Walther Eichrodt veröffentlicht hat.41 Zimmerli ging von dem per se unstrittigen literarischen Befund in der Sinaiperikope aus, nach dem die P-Tradenten trotz aller Bedeutung, die sie der Kategorie des Bundes augenscheinlich beimaßen,42 ausgerechnet am Gottesberg, also dem von der Tradition dazu prädestinierten Ort, nicht selbst von einem Bundesschluss berichteten. Damit fehle „das recht eigentlich tragende Element der alten Sinaitradition“: die Kundgabe des göttlichen Rechts und die darauf erfolgende „Bundesverpflichtung des Volkes“.43 Und es fehle keineswegs zufällig. Vielmehr, so Zimmerlis zentrale These, sei dieses Element gezielt „ausgeschaltet“ worden,44 und zwar gerade aufgrund seiner geschichtstheologischen Leistungsfähigkeit. „Der Sinaibund […] kannte als sein Kernstück eine Rechtsproklamation, der eine Ausführung über Segen und Fluch folgte“, führt Zimmerli anhand der erst wenige Jahre zuvor in die Diskussion gebrachten hethitischen Parallelen und unter Verweis auf das mit ihrer Hilfe rekon­ struierte Formular aus.45 Gehörte nun zur „Struktur dieses Bundes“ nicht zuletzt auch das „Schwert, das die Rache des Bundes vollzieht“,46 so „hämmerte“ die Kata­ strophe von 587 v. Chr. und die darauf folgende Exilszeit „dem unter dem Gericht stehenden Volke ein, daß Jahwe selber das Schwert des Gerichtes schwinge.“47 Mit anderen Worten: „Der Sinaibund in seiner alten Gestalt ist P als Grundlage des Gottesverhältnisses fraglich geworden.“48 Die Lösung dieses Problems durch P, die Zimmerli postuliert, ist radikal und grundstürzend. Der Sinaibund, wie er in JE konzipiert worden war – die Konzeption deuteronomisch-deuteronomistischen Typs, wie unter gewandelten forschungsgeschichtlichen Vorzeichen neu zu formulieren wäre49 –, werde schlicht ersetzt: durch die priesterliche Fassung des Abrahambundes (Gen 17), der „schon nach den alten Quellen“ (nämlich in Gen 15) „ein reiner Gnadenbund gewesen ist.“50 Eine Gehorsamsforderung an den menschlichen Partner, die von konstitutiver Bedeutung für das Verhältnis wäre, gibt es in diesem alt-neuen Gnadenbund nicht mehr, und es soll sie auch nicht geben. In der so angelegten Kontrastprofilierung, die in den sechs Jahrzehnten seit Zimmerlis Aufsatz besondere Konjunktur hatte, erscheinen beide Konzeptionen scharf konturiert:51 Da die deuteronomisch-deuteronomistische Fassung mit ihrer ebenso 41 

Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund. vermag schon Wellhausens berühmte Fehlwahrnehmung, P berichte von vier Bundesschlüssen, zu belegen (vgl. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 1). 43  Beide Zitate bei Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 208. 44 So Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 208; „verdräng[t]“ (a. a. O., 210, auch 215); „eliminiert“ (a. a. O., 212 und passim). 45  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 214. 46 So Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 214, mit dem Ausdruck von Lev 26,25. 47  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 214. 48  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 215. 49  Vgl. dazu auch schon Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 211 und 214–215. 50  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 215. 51 Vgl. Knauf, Die Priesterschrift und die Geschichten der Deuteronomisten, 102: „Den Gegen42  Dies

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unmissverständlichen wie unerbittlichen Konditionierung, der Bund Israels mit seinem Gott als ein letzten Endes verhängnisvoller Vertrag – hier der priesterliche Gegenentwurf, ein gänzlich unkonditionierter Bund, den Israel nicht mehr brechen wird, weil es ihn gar nicht brechen kann.52 Der priesterliche Gnadenbund ist demnach, und hierin liegt die wesentliche Weichenstellung Zimmerlis, als „Korrektur“ zu verstehen.53 Mit seiner Hilfe löst P das Problem, das die vor-priesterliche Tradition durch ihre Konzeption des Bundes in Analogie zum politischen Vertrag und die damit verbundene konditionale Struktur aufgeworfen hatte. Es soll, fasst Jörg Jeremias die kaum noch hinterfragte Annahme in seinem neuen Referenzwerk zusammen, „unter allen Umständen vermieden werden, dass die mit ‚Bund‘ bezeichnete Gottesgemeinschaft Israels von Israels eigenem Verhalten abhängig sein könnte“.54 Vor diesem Hintergrund erschließt sich die neuere Diskussion zu dem mutmaßlichen Gegenentwurf selbst, dem Abrahambund nach Gen 17 – der ja durchaus eine Gehorsamsforderung enthält, noch dazu eine besonders drastisch eingeschärfte: (9) Und Gott sprach zu Abraham: Und du, meinen Bund sollst du halten, du und deine Nachkommen nach dir, durch ihre Generationen! (10) Dies ist mein Bund, den ihr halten sollt, zwischen mir und euch und deinen Nachkommen nach dir: alles, was männlich ist, soll bei euch beschnitten werden. … (14) Ein männlicher Unbeschnittener aber, der sich nicht beschneiden lässt am Fleisch seiner Vorhaut, der soll ausgerottet werden aus seiner Sippe; meinen Bund hat er gebrochen.

Wie ist dieser Befund zu vereinbaren, ist er überhaupt zu vereinbaren mit der Annahme eines ‚reinen Gnadenbundes‘ bei P? Wird mit der Beschneidungsforderung nicht eine Bedingung des Bundes eingeführt, wie sie die priesterliche Konzeption nach allgemeinem Dafürhalten gerade ausschließen wollte? Dass hier nichts weniger als der unkonditionierte priesterliche Gnadenbund selbst infrage steht, belegt die Tatsache, dass gegenwärtig gleich zwei unterschiedliche Ansätze darum konkurrieren, die Schwierigkeit zu entschärfen.55 Der eine Ansatz besteht in dem Versuch, das Beschneidungsgebot in V.  9–14 und nach Möglichkeit auch die Nachricht von seiner ersten Ausführung in V.  23–27 literarkritisch aus dem Grundbestand von Gen 17 auszuscheiden. So lässt sich die Komplexität des Kapitels diachron auflösen: Ursprünglich ein unkonditioniertes, satz so deutlich wie möglich zu fassen, dient der präziseren Beschreibung des theologischen Profils von P wie von D.“ 52  Statt vieler vgl. Schmid, Zeit und Geschichte als Determinanten biblischer Theologie, 313: „Sie [sc. die Priesterschrift] kündigt das deuteronomistische Junktim zwischen Gebotsgehorsam und Heil radikal auf und stellt sich auf die Position: Jhwh sagt Israel bedingungslos seine heilvolle Nähe zu, ohne dass Israel sich von sich aus von Jhwh entfernen könnte.“ 53  So mit einer Formulierung von Lohfink, Der Begriff ‚Bund‘ in der biblischen Theologie, 166. Vgl. ders., Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 165. 54  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 250, Anm.  12. Dass diese Sicht der Dinge mittlerweile tatsächlich als Lehrbuchwissen gelten kann, ließe sich mühelos auch aus anderen aktuellen Standardwerken belegen. 55  Wie unlängst dargelegt in Krause, Circumcision and Covenant in Genesis 17, 152–153.

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allein in der reinen Verheißung bestehendes Verhältnis, wird der Abrahambund erst durch eine nachträgliche Bearbeitung unter eine Bedingung gestellt.56 Im Unterschied dazu geht der andere Ansatz gerade von der literarischen Einheitlichkeit von Gen 17 aus. Das Beschneidungsgebot wird nicht literarkritisch eliminiert, sondern anders interpretiert – und zwar als eine ausschließlich den individuellen Israeliten betreffende Forderung. Zwar könne der Einzelne den so konzipierten Bund brechen, nicht aber Israel insgesamt. Eine kollektive Katastrophe des Gottesverhältnisses sei damit für alle Zukunft ausgeschlossen.57 Beide Ansätze treffen sich damit in ihrem Ergebnis: Sie erlauben, die These von einem unkonditionierten ‚Gnadenbund‘ bei P aufrecht zu erhalten.58 Die theologische Frage ist also zugleich eine literarhistorische. Und dies gilt, wie für Gen 17 im Einzelnen, so auch für P im Ganzen. Denn mit der Deutung der priesterlichen Bundestheologie kommt unweigerlich ein ‚Evergreen‘ der Pentateuchkritik aufs Tapet: die Frage nach dem Umfang und literarischen Charakter der P-Überlieferung. Dass diese, um aus ihr einen ‚reinen Gnadenbund‘ zu rekonstruieren, ohne das Heiligkeitsgesetz in Lev 17–26 und dessen dezidierte Gehorsamsforderung rekonstruiert werden muss, liegt auf der Hand, und es könnte nicht nachdrücklicher unterstrichen werden als durch Zimmerlis oben zitierte Beschreibung der konditionierten Konzeption des ‚Sinaibundes‘, für die er der finalen Fluchdrohung in Lev 26 das Wort gab.59 Konnte Zimmerli dabei noch die ältere Annahme eines ursprünglich eigenständigen Gesetzeskorpus, das nachträglich in Pg aufgenommen worden sei,60 voraussetzen,61 so wird seit Karl Elliger62 und Alfred Cholewiński63 vielfach damit gerechnet, dass die Sammlung in Lev 17–26 von vornherein für ihren vorliegenden 56 Grundlegend Grünwaldt, Exil und Identität, 42–62; zuletzt vor allem Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle; Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 45–50; ders., The Integrative Function of the Law of Circumcision, 74–78; ders., Abraham amidst the Nations, 26, und Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, 90. 57  Der Ansatz geht auf Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 114; ders., Zukunft für Israel, 61, und Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, zurück. Gegenwärtig erfreut er sich wachsender Zustimmung, wie die Aufnahmen etwa bei Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20; Konkel, Vergebung ohne Umkehr, 69–70, oder, mit eigenen Akzenten, Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 101–103, belegen. 58  Zumeist ist dies auch das erklärte Ziel, vgl. zum Beispiel Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 135. Dagegen gelangt Wöhrle in seinen eben zitierten Arbeiten (s. o., Anm.  56) bei der Verfolgung einer ganz anders gelagerten Frage – der nach den nicht-israelitischen Nachkommen Abrahams und ihrem Ort in dem mit dem Ahnvater geschlossenen Bund – zu diesem Ergebnis. Das ist gegenüber meiner Darstellung in Krause, Individualisierung des Bundesbruchs, 197, zu präzisieren, und ich danke Jakob Wöhrle für den freundlichen Hinweis. 59  S. o., bei Anm.  4 6. 60 Zur Forschungsgeschichte s. Grünwaldt, Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17–26, 5–22; Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 5–35; Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 4–11; Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 18–28. 61 Vgl. Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 211. 62  Elliger, Leviticus, hier bes. 14–20. 63  Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium.

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Kontext in P komponiert worden ist. Angeregt von Israel Knohl64 und Jacob Milgrom,65 ist dieser Neuansatz mittlerweile in der Hypothese einer im gesamten Pentateuch (nicht zuletzt auch in Gen 17) greifbaren Heiligkeitsredaktion (H) weitergeführt worden.66 So oder so: Das Heiligkeitsgesetz samt seiner intensiv rhetorisch vermittelten Gehorsamsforderung wird als nicht originär zu P gehörig betrachtet – was wiederum voraussetzt, P sei als ursprünglich eigenständige Urkunde, eben als Priesterschrift vorzustellen. Wenn damit die neuere Geschichte der Forschung zu den beiden großen bundestheologischen Konzeptionen umrissen ist, muss sogleich angefügt werden: Keine der beiden, weder die deuteronomisch-deuteronomistische noch die priesterliche Konzeption, blieb nach gängiger Auffassung, was sie ursprünglich gewesen war. Darüber, dass beide Überlieferungsbereiche umfangreiche Bearbeitungen erfuhren, besteht sehr weitgehende Einmütigkeit in der kritischen Forschung. Dabei wurde, so die ebenfalls breit geteilte Annahme, auch die jeweilige Bundestheologie entscheidend umgeformt – und zwar unter nomistischem Vorzeichen. Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich die einschlägigen redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zu beiden Überlieferungsbereichen bringen. Im deuteronomisch-deuteronomistischen ­Bereich ist besagte Entwicklung durch Rudolf Smends Vorschlag, mit einem redak­ tions­k ritisch zu rekonstruierenden deuteronomistischen Nomismus (DtrN) zu rechnen, ausdrücklich so bezeichnet worden.67 Für die priesterliche Literatur ist der Begriff zwar nicht eingeführt, er legt sich aber von der Sache her nahe. Hier wie da geht es um eine Entwicklung zunehmender Gesetzlichkeit – und ich gebrauche bewusst einmal den deutschen Ausdruck68 mit all seiner Zwiespältigkeit, die er bei vielen christlichen Leserinnen und Lesern evozieren wird. Der wesentliche Unterschied beider Nomismen liegt in ihrem jeweiligen Bezugsrahmen begründet. So ist im Deuteronomium und der deuteronomistischen Literatur insgesamt unstrittig, dass die Konzeption des Bundes von Anfang an eine konditionierte ist. Der Streit geht vielmehr darum, wie die Bedingung gemeint war – oder verstanden worden ist. Gegen anderslautende Einschätzungen hatte vor allem Gerhard von Rad die Ansicht begründet, dass es, im Deuteronomium ebenso wie in der älteren Sinaiperikope, um ein der bereits gewährten Beziehung entsprechendes Verhalten gehe, der von Israel geforderte Gehorsam mithin keine Vorleistung darstelle. „[A]uf keinen Fall waren diese Gebote dem Bund in einem konditionalen Sinne vorgeordnet, als hinge das Inkrafttreten des Bundes überhaupt erst von dem geleisteten Gehorsam ab. Die Dinge liegen vielmehr umgekehrt […].“69 64 

Knohl, The Sanctuary of Silence. Milgrom, Leviticus 1–16; ders., Leviticus 17–22; ders., Leviticus 23–27. 66  Dazu s. u., S.  14. 67 Grundlegend Smend, Das Gesetz und die Völker, zusammenfassend ders., Die Entstehung des Alten Testaments, 123–125. 68  Wie gelegentlich auch Smend, Das Gesetz und die Völker; vgl. a. a. O., 126. 69  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 207–208, mit dem Zitat a. a. O., 207. 65 

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Lothar Perlitt arbeitete diese Sicht der Dinge breit aus.70 Den Umschlag in Richtung eines dezidierten Nomismus verband er mit dem einsetzenden Deuteronomismus.71 Mittlerweile wird auch die formative Frühphase der deuteronomistischen Traditionsbildung in bundestheologischer Hinsicht so gesehen, wie von Rad ihre deuteronomische Grundlage sah.72 Der entscheidende Wendepunkt hin zu einer immer weiter zunehmenden Gesetzlichkeit ist damit, redaktionsgeschichtlich betrachtet, eine Stufe nach unten verschoben – eben auf die spät-deuteronomistische Schicht DtrN73 beziehungsweise die von Timo Veijola unter Aufnahme einer Anregung von Christoph Levin74 in seinen späteren Arbeiten angenommene bundestheologische Redaktion DtrB.75 Auf dieser Stufe gehe es nun aber in der Tat um eine Vorbedingung.76 Der geforderte Gehorsam gegen ‚das Gesetz‘ sei zwar eigentlich als Ermutigung gemeint, eröffne er den Adressaten doch die Perspektive, ihr Schicksal – nach Norbert Lohfink, der diesen Gedanken besonders betont, das babylonische Exil – aus eigener Kraft zu wenden.77 Aber genau damit führe sie ein theologisch fatales Rechnen mit Verdienst ein, eben das ‚gesetzliche‘ Verständnis der Bedingung als einer Vorleistung für den Eintritt in den Bund respektive das Inkrafttreten seiner Verheißungen.78 Was man ‚priesterlichen Nomismus‘ nennen könnte, firmierte herkömmlich und zumal im Horizont der Neueren Urkundenhypothese unter dem Siglum Ps. Als sekundär in P hatte nach dem einflussreichen Postulat Martin Noths79 zu gelten, was nicht in eine erzählende Quellenschrift passte; also auch und vor allem gesetzliches 70 

Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 54–128. Beides – diese Einschätzung der deuteronomistischen Bundestheologie und jene der deuteronomischen – lässt sich exemplarisch an seiner Analyse von Dtn 7 ablesen: Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 55–77. 72 Zusammenfassend Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 50–55 bzw. 56–61. Zur Forschungsgeschichte vgl. Veijola, Deuteronomismusforschung zwischen Tradition und Innovation. 73  Im Anschluss an Smend, Das Gesetz und die Völker, vor allem vertreten von Veijola, Die ewige Dynastie; ders., Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie; mit eigenem Ansatz Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, und Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium (um jeweils nur den wichtigsten ihrer zahlreichen Beiträge zur Sache zu nennen), ferner ­Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 47–72. 74  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 83–88. 75  Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium; vgl. die weiteren in ders., Moses Erben, versammelten Vorarbeiten und die Durchführung im Deuteronomium-Kommentar (ders., Das fünfte Buch Mose). 76  So etwa in aller Deutlichkeit Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 15.61–65. 77  Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 138–140. 78  Belegt werde diese theologische Innovation nicht zuletzt dadurch, dass ihr ein noch späterer deuteronomistischer Überarbeiter – Lohfink nennt ihn DtrÜ – explizit und gleichsam als Vorläufer des Paulus widersprochen habe; vgl. Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 141–142, und schon ders., Das Hauptgebot, 203–204, ferner vor allem Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium, 20–24, und Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 65–69. 79  Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, 7 und passim. S. auch Elliger, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung. 71 

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Material.80 Die letzte groß angelegte Durchführung stammt von Klaus Grünwaldt,81 der auch eine unzweideutige Explikation der tragenden Grundannahme vorgelegt hat: Das Verhältnis von Pg und Ps entspreche dem von „Geschichte und ‚Gesetz‘“ – in literarischer wie theologischer Hinsicht.82 Mittlerweile (spätestens seit der wichtigen Untersuchung von Christophe Nihan83) wird immer weniger mit dem Modell einer exklusiv narrativen Priestergrundschrift operiert.84 Dabei steht die Stratifizierung der P-Überlieferung nun zunehmend im Zeichen der Hypothese einer H-Redaktion des Pentateuchs.85 Zwar würde es dem Sachverhalt nicht gerecht, die Unterscheidung von P und H schlicht als Fortschreibung der Differenzierung zwischen Pg und Ps aufzufassen.86 Aber in der hier fraglichen Hinsicht ist jeweils die gleiche Denkfigur leitend: Der Bund ist ursprünglich unkonditioniert konzipiert, die Bedingung erst nachträglich eingefügt worden. Im Fall von Gen 17 ist die entsprechende Analyse schon in den Blick gekommen, 87 wobei bereits die Literaturangaben belegen, dass die mutmaßliche Ergänzung des Beschneidungsgebots wahlweise Ps88 oder H89 in Rechnung gestellt werden kann. Für P insgesamt, das heißt für die Frage nach der Provenienz des Heiligkeitsgesetzes und generell danach, ob und wie H-Material von P zu unterscheiden ist, genügt es an dieser Stelle, das von Elliger und Cholewiński ausgemachte Motiv in Erinnerung zu rufen. Die nachträgliche Einfügung der Gehorsamsforderung, die Lev 17–26 im Einzelnen wie im Ganzen darstellt, diene der „Korrektur“ eines „Hauptfehler[s]“ von Pg,90 nämlich der „Grundidee […], dass der Bund Gottes unwiderruflich und vom menschlichen Tun unabhängig ist“.91 Schließlich zu der prophetischen, vor allem in der Perikope Jer 31,31–34 sowie ihren Seitenstücken und Bezugstexten in Jeremia und Ezechiel92 greifbaren Verhei80  Zur Diskussion vgl. etwa Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, 106–107. 81  Grünwaldt, Exil und Identität. 82  Grünwaldt, Exil und Identität, 3–4, mit dem Zitat a. a. O., 3. 83  Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch. 84  Vgl. schon die kritischen Anfragen bei Crüsemann, Die Tora, 328–329, oder Zenger/Frevel, Das priester(schrift)liche Werk, 188. 85  S. o., S.  12. 86  Allein schon deshalb nicht, weil Israel Knohl in seinem einflussreichen Entwurf ausdrücklich nicht mit einer Grundschrift rechnet; vgl. Knohl, The Sanctuary of Silence, 101. 87  S. o., S.  10–11 mit Anm.  56. 88  Grünwaldt, Exil und Identität, 42–62. 89  So etwa Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, 90, unter Aufnahme und Weiterführung der Analyse von Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, der diesen mit erheblichen methodischen Problemen verbundenen Schluss selbst noch nicht gezogen hat, vgl. a. a. O., 83, Anm.  33. 90 So Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 140. 91  Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 335. Entsprechend schon Elliger, Leviticus, 16, und nicht anders im Rahmen seines Modells Knohl, The Sanctuary of Silence, 173 und passim. 92 Vgl. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 66–85.295–304; Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 81–111; dies., Prophecy Continued, 578–581.

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ßung eines neuen Bundes. Sie ist im Alten Testament randständig geblieben. Umso treffender erscheint ihre Selbstbezeichnung. Auch die Interpretation dieser Konzeption steht im Zeichen der Annahme, sie diene der Lösung eines von der vorangegangenen Überlieferung aufgeworfenen Problems. Und hier wird dieses Problem an noch grundsätzlicherer Stelle verortet: im menschlichen Vermögen selbst. Gewiss gehört es auch zum Wesen der neuen, eschatologisch verheißenen Bundesbeziehung, dass Israel auf Jhwhs Zuwendung antwortet, indem es seinen Willen tut. Dafür steht Jhwhs Tora, offensichtlich dieselbe Tora wie zuvor (Jer 31,33).93 Doch sorgt für die Bedingung der Möglichkeit, ihr beziehungsweise der Bundesbeziehung entsprechend zu leben, nun Jhwh selbst. Das Wollen der Israeliten wird seiner neuen Natur gemäß dem Willen Jhwhs entsprechen. Soweit der Text von Jer 31,31–34. Seine gängige Auslegung fügt an: Anders wäre dies auch gar nicht möglich, denn aus sich heraus ist Israel – oder der Mensch – schlechterdings nicht in der Lage, dem Willen Jhwhs zu entsprechen. Die Entwicklung eines von tiefer Skepsis geprägten anthropologischen Pessimismus, die innerhalb der Jeremia-Überlieferung mit Händen zu greifen ist, kulminiere in diesem späten Spitzentext darin, dass der Knoten schlicht zerschlagen werde.94 Ausgangspunkt aller Erwägungen ist die von Winfried Thiel schlagend belegte Einsicht, dass Jer 31,31–34 nicht vor der deuteronomistischen Bearbeitung der Jeremia-Überlieferung entstanden sein kann.95 Zugleich hat die Diskussion um die von Christoph Levin vorgelegte literarkritische Analyse96 die Auffassung von der wesentlichen literarischen Integrität des Textes nur bestärkt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt die neuere Forschung die Frage nach Provenienz und Pragmatik der Perikope. Dass sie einer deuteronomistischen Redaktion des Buches angehören könnte, haben Walter Groß97 und Konrad Schmid98 mit Nachdruck bestritten. Die dafür ins Feld geführten Gründe erscheinen, soweit sie die buchinternen und -externen literarhistorischen Relationen betreffen, in der Tat zwingend. Für die damit verbundene und besonders von Schmid stark profilierte Deutung als anti-deuteronomistische Aussage ist allerdings eine spezifische Interpretation maßgeblich, die sich, obwohl weithin so aufgefasst, keineswegs von selbst versteht. Durch die Verheißung, Jhwh selbst werde einem jeden die Tora ins Herz schreiben, würden die typisch deuteronomistischen Institutionen der Tora als Buch und ihrer Vermittlung durch Lehren und Lernen abgewertet und überwunden – weil diese Vermittlung, so die an die ältere

93 

S. dazu die eingehende Untersuchung von Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 337–352. Repräsentativ zusammengefasst bei Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten. 95  Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, 23–28. 96  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 55–60. 97  Gross, Neuer Bund oder Erneuerter Bund; ders., Erneuerter oder Neuer Bund; ders., Zukunft für Israel, 134–152. 98  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 67–69.81–84.302–304.346–349. 94 

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‚anthropologische‘ Diskussion anknüpfende Zuspitzung, angesichts der menschlichen Voraussetzungen ein „zum Scheitern verurteiltes Unterfangen“ sei.99 Diese weithin akzeptierte Interpretation muss im Licht jüngerer Erkenntnisse auf zwei unterschiedlichen Forschungsfeldern neu bewertet werden.100 Einerseits gilt es, die Betrachtung auf die gesamte verfügbare Textgrundlage auszuweiten, nämlich die variante Fassung des Jeremiabuches, wie es auf Griechisch und in Qumran bezeugt wird, einzubeziehen. Diese für die Perikope vom neuen Bund namentlich von ­Adrian Schenker mit Nachdruck auf die Tagesordnung gesetzte Komplikation101 ist in der Tat zwingend geboten. Selbst wenn man nicht der gut begründeten Mehrheitsmeinung folgen wollte, die in dieser Fassung eine aufs Ganze gesehen ältere Ausgabe des Buches findet,102 wird man doch zugeben müssen, dass es sich um eine andere Ausgabe handelt, die als solche eben nicht allein text-, sondern auch und gerade literargeschichtlich und theologisch ausgewertet werden will.103 Andererseits und vor allem muss die zugrunde liegende Voraussetzung, mündliche und schriftliche Textüberlieferung seien als konkurrierende Gegensätze aufzufassen, kritisch hinterfragt werden. Dazu nötigen neuere, in kulturvergleichenden Studien von David Carr104 erarbeitete Einsichten zum Zusammenspiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und der entsprechenden Ausbildung von Schreibern im Alten Orient,105 die den lebensweltlichen Vorstellungsraum hinter der Verheißung des neuen Bundes bilden. Im Unterschied zu der eben angesprochenen Debatte um die varianten Ausgaben des Jeremiabuches, die sich ausdrücklich auch auf Jer 31,31– 34 bezieht, müssen diese neueren Erkenntnisse zum so genannten Oral-Written-Komplex erst noch auf die Frage nach dem neuen Bund bezogen werden. Dazu drängen sie sich allerdings geradezu auf.

99 

Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68. Wenn man sie heute wieder aufnimmt, ordnet sich die Fragestellung in eine der dringlichsten und zugleich produktivsten Diskussionen der aktuellen Jeremiaforschung ein, nämlich die Frage nach dem Wesen „deuterojeremianischen“ Materials (vgl. schon Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches, 296) und die genauere Bestimmung seiner Provenienz jenseits der Grundannahme, es sei wesentlich im Rahmen des deuteronomistischen Überlieferungszusammenhangs und mit vergleichsweise einfachen redaktionsgeschichtlichen Modellen zu erklären (vgl. Maier, The Nature of Deutero-Jeremianic Texts; Stipp, Formulaic Language and the Formation of the Book of Jeremiah, sowie diverse weitere Beiträge in Najman/Schmid, Jeremiah’s Scriptures). 101  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. 102  Für ein gegenläufiges Votum s. vor allem Fischer, Jeremia, 17–53 (unter Aufnahme umfangreicher eigener Vorarbeiten zur Sache). 103  Für die hier fraglichen Texte vgl. außer Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, besonders Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, und Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde. 104  Carr, Writing on the Tablet of the Heart. 105  Dazu vgl. auch van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible. 100 

2.  Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen

17

2.  Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen Wie bereits die Auswahl der Aspekte in der vorstehenden forschungsgeschichtlichen Skizze zu erkennen gibt, wird das Theologumenon des Bundes in der vorliegenden Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen konditionalen Struktur in den Blick gefasst. Das hat einen dreifachen Grund: (1) Diese Struktur entspricht von Haus aus – das heißt: mindestens in der deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition, in der die alttestamentliche Bundestheologie erstmals zu voller Blüte entfaltet worden ist – der charakteristischen Eigenart des Theologumenons. Dies ergibt sich aus seiner Inspiration am politischen Vertrag. (2) Dementsprechend überrascht es nicht, dass die Interpretation dieser Struktur schlechterdings ausschlaggebend ist für die Deutung der betreffenden Überlieferungen – und zwar, wie die Forschungsgeschichte lehrt, nicht allein in theologischer, sondern ebenso auch in literarhistorischer und religionsgeschichtlicher Hinsicht. (3) Umso mehr muss verwundern, dass der dabei als entscheidendes Kriterium in Anschlag gebrachte Aspekt der Konditionalität selbst in der bisherigen Forschung erstaunlich unterbelichtet, ja nahezu ein blinder Fleck geblieben ist. In neuerer Zeit mehren sich freilich Stimmen, die die schlichte Dichotomie ‚konditioniert‘ versus ‚unkonditioniert‘ oder, noch grundsätzlicher, die Annahme unkonditionierter Konzeptionen an sich infrage stellen. An erster Stelle ist hier eine wichtige Untersuchung von Gary Knoppers zu nennen, in der er altorientalische Zeugnisse von königlichen Schenkungen („royal grants“) in ihrem jeweiligen historischen Kontext und im Vergleich mit vermeintlichen biblischen Parallelen („Davidbund“; „Abrahambund“) unter die Lupe nimmt.106 Der Hintergrund und die forschungsgeschichtliche Bedeutung dieser Fragestellung ergeben sich aus Moshe Weinfelds einflussreichem Versuch, beide Teile seiner dichotomischen Typologie alttestamentlicher Bundeskonzeptionen von altorientalischen Analogien herzuleiten.107 Wie der vom Sinaibund repräsentierte „obligatory type“ vom politischen Vertrag („treaty“) abstamme, so finde der in den Überlieferungen von David und Abraham rekonstruierte „promissory type“ seinen rechtsgeschichtlichen Prototyp im „royal grant“.108 Letzterer wird von Weinfeld ausdrücklich als „unconditional“ beschrieben.109 Demgegenüber kann Knoppers zeigen, dass auch die Schenkung in aller Regel ein konditionales Verhältnis etabliert (beziehungsweise ein bereits bestehendes Verhältnis neu strukturiert), und zwar selbst dort, wo die entsprechenden Bedingungen auf literarischer Ebene kaum betont werden.110 Dies impliziert auch,

106 

Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant. Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East; vgl. auch ders., Art. ‫ ְּבִרית‬, 799. 108  Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East, 184. 109  Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East, 189. 110  Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 673–674. 107 

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I. Einleitung

dass sich eine ‚unilaterale‘ Selbstverpflichtung nicht am Material verifizieren lässt, für die königliche Schenkung so wenig wie für den Vasallenvertrag.111 Verdichteten Niederschlag findet diese Einsicht in einem von Knoppers unlängst gemeinsam mit Richard Bautch herausgegebenen Sammelband.112 In dessen Einleitung wird, nun im Blick auf die alttestamentlichen Überlieferungen der Perserzeit, formuliert: „The obligatory/promissory dichotomy is false; covenants assume relational expectations that are mutual and can be translated into conditions incumbent on both parties. The conditions are expressed differently in different texts, with the literary context often key for understanding a covenant’s conditionality. Conditionality differs from text to text, but it resides in virtually every covenantal text.“113 Dass sich die binär kodierte Unterscheidung ‚konditioniert‘ versus ‚unkonditioniert‘ dennoch so nachhaltig etablieren konnte und in der Forschungsdiskussion zu den alttestamentlichen Bundeskonzeptionen trotz verbreiteten Unbehagens hartnäckig hält,114 dürfte daran liegen, dass sie eine Art Basisaxiom darstellt, anhand dessen zentrale Hypothesen zu den jeweiligen literarischen Überlieferungen und ihrem theologischen Profil allererst formuliert werden konnten.115 Für die kontrastive Profilierung der priesterlichen Bundestheologie als Lösung des Problems der deuteronomisch-deuteronomistischen und das vice versa geschärfte Profil letzterer liegt das auf der Hand. Das Schibbolet ist aber, wie gesehen, auch ausschlaggebend für weithin geteilte Ansätze zur Stratifizierung der deuteronomistischen (DtrN; DtrB; DtrÜ) und der priesterlichen Literatur (Ps beziehungsweise H gegenüber Pg). Und auch die Konzeption des neuen Bundes wird immer wieder als unkonditioniert angesprochen,116 obwohl das Element der Tora beziehungsweise die Gehorsamsforderung, für die der kodifizierte Gotteswille steht, in ihr sogar noch fester verankert ist. Daher lautet die in der vorliegenden Untersuchung verfolgte Aufgabe, der Genese dieser Unterscheidung forschungsgeschichtlich auf den Grund zu gehen, um sie dann je vor Ort exegetisch auf ihre Geltung zu prüfen. Dabei steht auch zu erwarten, dass der erstaunlicherweise kaum je reflektierte Aspekt der Konditionalität selbst differenzierteres Profil gewinnt. Denn der Begriff versteht sich ja keineswegs von selbst. Mit Recht gibt Matthias Köckert zu bedenken, was selten bedacht wird: „Der Begriff ‚Bedingung‘ allein klärt nichts, weil er die entscheidende Frage unbeantwortet lässt: Bedingung wofür?“117 In der exegetischen Arbeit wird sie sich durchweg als Schlüsselfrage erweisen. Mehr noch, sie öffnet den Blick für weiteren Klärungsbedarf. In 111 

696.

Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 694; vgl. a. a. O.,

112  Bautch/Knoppers, Covenant in the Persian Period. Zur kritischen Einordnung vgl. Krause, Rezension zu Bautch und Knoppers, Covenant in the Persian Period. 113  Bautch/Knoppers, Introduction, 5. 114  Vgl. dazu jetzt auch die kritische Bemerkung bei Römer, Essays on the Historical Books, 31–32. 115  Zum Folgenden vgl. oben, S.  6 –16. 116  Vgl. zum Beispiel Lundbom, Jeremiah 21–36, 466. 117  Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15.

2.  Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen

19

ihrem Licht stellen sich andere elementare Fragen wie: Was bedeutet es, den Bund zu halten? Wie ist die Bedingung formuliert und worin genau besteht sie? Was steht unter der Bedingung, worauf bezieht sie sich? Welche Funktion hat der geforderte Gehorsam? Wird er als Möglichkeit in Betracht gezogen oder seine Unmöglichkeit vorausgesetzt? Diesen Fragen ist die vorliegende Untersuchung gewidmet. Bevor ihnen nachgegangen werden kann, gilt es aber, zwei noch grundsätzlichere Probleme zu klären: die Wiedergabe von ‫ ברית‬im Deutschen und die mit diesem Wort eröffneten Aspekte.118 Exkurs: Gegenstand – Einkleidung – Ausarbeitung. Zu einer notwendigen Differenzierung und zur Wiedergabe von ‫ ברית‬im Deutschen Nach dem biblischen Bild, in dem der Schluss des Bundes in Analogie (!) zum Abschluss eines politischen Vertrags dargestellt wird, begründet ein konkretes, ‚geschichtlich‘ fassbares, in Zeit und Raum lokalisiertes Ereignis – eben der Bundesschluss – die besondere, durch Selbstverpflichtung Jhwhs und Verpflichtung Israels bestimmte Beziehung. Der Sache nach ist es natürlich umgekehrt. Die besondere Beziehung wird gleichsam begriffen, narrativ gefasst, im kollektiven Gedächtnis an einem Erinnerungsort lokalisiert, mit einem Wort: geschichtlich eingekleidet.119 Literarisch wie religionstheoretisch liegt das nur nahe, ja, man mag urteilen: im gegebenen kulturellen Kontext ist es alternativlos. Abstrakte Theologie ist nicht Sache unserer biblischen Tradenten. Umso wichtiger erscheint das Caveat, ihre Art der Darstellung nicht in gut gemeinter exegetischer Genauigkeit – die sich im Lichte des eben Gesagten als zu genau erweisen würde – unvermittelt nachzuvollziehen und in eine Art biblische Historie der Bundesschlüsse und ‚Bünde‘ zu übersetzen.120 Die geschichtliche Einkleidung zu historisieren hieße, das Selbstverständnis der Überlieferung gerade zu verfehlen. Schließlich ist noch zu differenzieren zwischen der geschichtlichen Einkleidung (Tradition) und ihrer literarischen Ausarbeitung – re­ spek­tive Ausarbeitungen; denn zumindest in einem der beiden Fälle, in denen es um Israel insgesamt geht – mit der exegetischen Tradition zu sprechen: für ‚Sinaibund‘ und ‚Abrahambund‘ –, besitzen wir derer ja zwei.

118  Einige der damit angeschnittenen Probleme werden auch von Lohfink, Der Begriff ‚Bund‘ in der biblischen Theologie, traktiert. Vgl. ferner Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, 101– 105. 119  Zu dieser Metapher vgl. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 247, und Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 7. 120 Vgl. Barr, Some Semantic Notes on the Covenant, 29: „Berīt forms no plural; it is strange that this fact is not more frequently commented upon. Considering the number of important incidents that are named as the making of a berīt, it is remarkable that no one counted them up as so many ‚covenants‘ or formed any phrase that required the formation of a plural.“ Dazu s. auch Neef, Nomina ohne Plural im Biblischen Hebräisch, 103–104.

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I. Einleitung

Daher ist jeweils – für die Darstellung des Bundesschlusses am Gottesberg und ebenso für die Innovation, der zufolge Jhwhs Bund mit Israel bereits mit Abraham geschlossen wurde121 – dreierlei zu unterscheiden:122 (1) Da ist zunächst der theologische Gegenstand, nämlich die besondere Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk, wie sie durch Erwählung begründet ist, ausgezeichnet durch Selbstverpflichtung Jhwhs und Verpflichtung Israels, oder in geprägter Diktion: Verheißung und Gebot. (2) Davon zu unterschieden ist die geschichtliche Einkleidung dieses Gegenstandes: Im kollektiven Gedächtnis lokalisiert, gleichsam in einem Denkbild begriffen wird die besondere (oder einfach: Bundes-) Beziehung durch die Geschichte vom Bundesschluss am Gottesberg beziehungsweise mit dem Ahnvater Abraham. (3) Die geschichtliche Einkleidung ist schließlich zu differenzieren von ihrer literarischen Ausarbeitung, denn geprägt für den je eigenen literarischen Kontext liegt uns eine dieser beiden Geschichten in zweifacher Ausführung vor: in der vor-priesterlichen Sinaiperikope und im deuteronomistischen Deuteronomium.123 Was nun die Bezeichnung des Gegenstandes anlangt, hat Ernst Kutsch mit Verve problematisiert, ob man ihn „Bund“ nennen soll und überhaupt kann,124 und dies, sieht man auf die Texte selbst, mit einigem Recht. In der Tat deckt diese Redeweise – „Bund“ für die Gottesbeziehung – vielerorts nur eine begriffliche Abstraktion der Exegeten, nicht einen exegetisch verifizierbaren Ausdruck der jeweiligen biblischen Tradenten.125 Treffender erscheinen dann stattdessen, je nach Kontext, die Grundbedeutung „Verpflichtung“ und davon abgeleitete Bedeutungen wie „Verheißung“ (‫ברית‬ im Sinne einer Selbstverpflichtung Gottes) oder „Gebot“ (‫ ברית‬im Sinne einer Verpflichtung durch Gott).126 Dieser Teil der Kutsch’schen Philippika scheint mir, im 121  Gleiches gilt mutatis mutandis für Jhwhs Bund mit allem Fleisch auf Erden (Gen 9), den Aaroniden (Num 25) und den Davididen (2 Sam 7 mit Ps 89 und Par.). 122  Eine ganz andere, vierfache Unterscheidung, die unter anderem einer ‚formgeschichtlich‘ begründeten Frühdatierung des Konzepts (Stichwort: Bundesformular) sowie seiner vorausgesetzten sozialen Realisierung (Stichwort: Amphiktyonie) Rechnung trägt, hat Thomas Krüger vor­ geschlagen. Im Anschluss an eine Überlegung von Werner H. Schmidt differenziert er zunächst ­zwischen „Begriff (‚Bund‘) und Sache (Gemeinschaft zwischen Gott und Volk)“ (Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, 101, mit Zitat von Schmidt, Exodus, Sinai und Mose, 74). Auf Seiten des Begriffs unterscheidet er sodann zwischen dem deutschen Wort Bund als „Interpretationsbegriff“ und dem hebräischen ‫ברית‬, auf Seiten der Sache zwischen der „Darstellung des Verhältnisses zwischen Gott und Volk in alttestamentlichen Texten“ und historischen Erkenntnissen „über dieses Verhältnis und seine soziale Realisierung in Israel“ (Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, 101). 123  Wenn man die eidliche Zusicherung der Landverheißung an Abraham nach Gen 15 als Begründung einer Bundesbeziehung im oben beschriebenen Sinne auffassen wollte, wäre dieses Kapitel als andere Ausarbeitung derselben geschichtlichen Einkleidung neben Gen 17 zu stellen. 124  S. vor allem Kutsch, Gesetz und Gnade; zusammenfassend ders., Art. Bund: I. Altes Testament; ders., Art. ‫ ְּבִרית‬. 125  Zu diesem Problem s. etwa auch Edenburg, From Covenant to Connubium, 131–132; Kartveit, Reconsidering the ‚New Covenant‘ in Jeremiah 31:31–34, 151–155. 126  S. zuletzt Stoppel, Von Angesicht zu Angesicht, 281–282.

2.  Problemanzeige: Die Interpretation der konditionalen Strukturen

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Unterschied zu seiner strikten Separierung der Aspekte von Selbst- und Fremdverpflichtung in theologischen Kontexten und der damit verbundenen Problematisierung jeder partnerschaftlichen Dimension,127 wichtig und trotz aller intensiven Debatte letztlich zu wenig beachtet. Dass er sich nicht nachhaltig durchsetzen konnte,128 dürfte an der nur allzu berechtigten Skepsis liegen, mit der die besagte, merklich konfessionell geprägte Separierung von Selbstverpflichtung Gottes und Verpflichtung des Menschen, zwischen „Gnade“ und „Gesetz“ aufgenommen wurde129 und die, je länger, desto deutlicher, die Rezeption des Werkes insgesamt beeinflusste.130 Insofern eine Verpflichtung in jedem Fall, als Indienstnahme (Fremdverpflichtung) wie als Zusage (Selbstverpflichtung), eine wie auch immer geartete Beziehung konstituiert oder restrukturiert, erscheint die eingebürgerte Verwendung von „Bund“ für die Gottesbeziehung aber auch nicht unsachgemäß. Es handelt sich weniger um eine „Fehlübersetzung“ als vielmehr um eine bewusst elliptische Redeweise – die allerdings als solche bewusst bleiben sollte. In diesem Sinne wird der Gegenstand in der vorliegenden Untersuchung im Zweifelsfall auch, mit einem eindeutig als nicht-quellsprachlich erkennbaren Ausdruck, als „Bundesbeziehung“ bezeichnet. Dieser Ausdruck dient zugleich der engeren Eingrenzung des Gegenstandes. Es geht eben nicht um die Gottesbeziehung Israels generell,131 sondern spezifischer um eine Konzeption derselben, die im Unterschied zu anderen Konzeptionen nicht immer schon gegeben, sondern einmal begründet ist,132 nämlich durch die Erwählung Israels, und die (deshalb) bestimmt ist durch die Selbstverpflichtung Jhwhs (Verheißung) und eine ihr korrespondierende Verpflichtung des menschlichen Partners (Gebot).133 Eben dies ist ja auch der Grund dafür, dass aus der Verwendung der so genannten

127 Vgl. Kutsch, Art. ‫בִרית‬ ְּ , 347.350–351. Kutsch radikalisierte damit die Rekonstruktion der ‚ursprünglichen‘ Denkform durch Begrich, Berit; s. bes. a. a. O., 4. 128 Vgl. jüngst etwa Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 1, Anm.  1, der lakonisch bemerkt: „Das hebräische Wort ‫ ברית‬wird hier ganz konventionell mit ‚Bund‘ übersetzt und fortan auch nicht mit Anführungszeichen versehen, obwohl diese Übersetzung schon seit Valeton ‚keinen Beifall‘ mehr findet“ (unter Bezug auf Valeton, Bedeutung und Stellung des Wortes ‫ ברית‬im Priestercodex, 5). 129 Vgl. Barr, Some Semantic Notes on the Covenant, 37. 130  Eingehend zur diesbezüglichen Forschungsgeschichte s. Otte, Der Begriff berît in der jüngeren alttestamentlichen Forschung. 131  Denn „Israel hat seinen Gottesglauben offensichtlich weder ausschließlich noch zu allen Zeiten gleichmäßig mit dem Stichwort ‫ ברית‬bekannt oder reflektiert“ (Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 3), „Name und Wesen des israelitischen Gottesverhältnisses“ decken sich deshalb eben gerade nicht vollständig in diesem Begriff (a. a. O., 1). 132  Vgl. zum Folgenden Gertz, Mose und die Anfänge der jüdischen Religion, 12. 133  Vgl. auch Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, 102: „Das Bundesverhältnis qualifiziert das Handeln der beteiligten Instanzen insofern, als bestimmte Typen ihres Handelns dem Bundesverhältnis entsprechen, andere ihm widersprechen. Der Bund verpflichtet die beteiligten Instanzen zu einem dem Bundesverhältnis entsprechenden Handeln.“ Vgl. ferner die Diskussion bei Hugenberger, Marriage as a Covenant, 168–184.

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I. Einleitung

Bundesformel nicht eo ipso auf Bundestheologie geschlossen werden kann134 beziehungsweise sollte.135 Selbstverpflichtung Jhwhs (Verheißung) und Verpflichtung Israels (Gebot), beide Aspekte zusammen bestimmen demnach die als Bund bezeichnete Form der Got­ tesgemeinschaft und nicht einer allein. Dafür spricht, wie gesehen,136 schon die ­dezidierte Profilierung des Moments der Beziehung, das sich der Inspiration am poli­ tischen Vertrag verdankt.137 So dürfte es auch kein Zufall sein, dass das schlechterdings grundlegende Theologumenon der Erwählung mit der Rede vom „heiligen Volk“ zum Ausdruck gebracht wird.138 Wenn nach dieser vorläufigen Vermutung auch und gerade der Aspekt des Gebots wesentlich für die Bundesbeziehung ist, birgt das elementare Implikationen für unsere Grundfrage nach der Konditionalität. Umso deutlicher ist ihre Vorläufigkeit zu betonen: Die Vermutung muss sich an den Texten – angesichts ihrer Forschungsgeschichte sind hier besonders die priesterlichen einschlägig – bewähren und nicht umgekehrt. Sie wird daher bei der exegetischen Arbeit, entgegen verbreiteter Praxis, bewusst nicht als analytisches Kriterium verwendet. Es ist zirkelschlüssig, aufgrund der Vorannahme, Verheißung und Gebot träten nicht gemeinsam auf, entsprechend komplex angelegte Texte literarkritisch zu zerlegen.139 Ebenso zirkelschlüssig wäre es, umgekehrt ihren Zusammenhang als notwendig vorauszusetzen und aufgrund dieser Voraussetzung die Einheitlichkeit solcher Texte a priori zu postulieren.

3.  Anlage und Zugang der Untersuchung Den Kern der Untersuchung bilden drei exegetische Hauptkapitel zu den drei großen Konzeptionen der Gottesbeziehung als Bund, die sich im Alten Testament unterscheiden lassen. In sich sind die Kapitel so angelegt, dass eingangs Leitfragen und Thesen formuliert werden, die Position zu den durch die Forschung zu den betreffenden Überlieferungsbereichen aufgeworfenen Problemen beziehen. Die Thesen verste134 S. Schmid, Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein, 18–19. Anders aber Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 3–4.113–115, unter Aufnahme von Smend, Die Bundesformel. 135  So mit Recht etwa Edenburg, From Covenant to Connubium, 132, Anm.  2 . Zur Diskussion s. auch Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 17–18, und besonders van den Eynde, Covenant Formula and ‫ברית‬. 136  S. o., Kap. I.1, dort bes. S.  8. 137  Vgl. dazu vor allem Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 696, zur diesbezüglichen Kritik an Kutsch auch noch einmal Barr, Some Semantic Notes on the Covenant, 37. 138  Ex 19,6; Dtn 7,6; 14,2.21; 26,19; 28,9. Vgl. Rendtorff, Die Erwählung Israels als Thema der deuteronomistischen Theologie, 85. 139  Vgl. exemplarisch die Analyse von Gen 17 bei Kutsch, Ich will euer Gott sein, und dazu unten in Kap. III.3; dort auch weitere Beispiele aus der neueren und neuesten Literatur.

3.  Anlage und Zugang der Untersuchung

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hen sich als Vorgriff auf das jeweilige exegetische Ergebnis, haben also keine heuristische, sondern eine darstellende Funktion. Zu Beginn steht die Erarbeitung der priesterlichen Konzeption (Kap. III). Dabei ist die Frontstellung bereits Teil des Programms. Denn mit dem nachdenklichen Einspruch von Erich Zenger scheint mir die weithin geteilte Annahme, P ziele auf eine Korrektur der deuteronomisch-deuteronomistischen Bundestheologie, „noch nicht der theologischen Weisheit letzter Schluß“ zu sein.140 Daher soll es bewusst vermieden werden, P von vornherein auf eine solche Funktion festzulegen. Mit der gewohnten Kontrastprofilierung steht freilich der weitgehende Konsens über eine gänzlich unkonditionierte Konzeption des Bundes bei P zur Disposition. Die These lautet denn auch, dass der Bund durchaus konditional strukturiert ist, auch nach priesterlicher Auffassung. Es wird aber zu fragen sein, was das konkret bedeutet, mit anderen Worten nach einer Differenzierung der Kategorie selbst. Folgt vor diesem Hintergrund die deuteronomistische Konzeption (Kap. IV), so ist hier unstrittig, dass sie konditional strukturiert ist. Zu klären ist indes, wie genau die Konditionierung funktioniert. Ausweislich des Forschungsstandes sind zwei Hauptprobleme zu bearbeiten. Zum einen scheint sich durch „die deuteronomistische Betonung des Vertragscharakters des Bundes“ eine „Abhängigkeit der Geltung des Bundes von der Beachtung seiner Regelungen“ zu ergeben.141 Eben diese scheinbar verhängnisvolle Konstellation ist ja das Problem, das P nach allgemeinem Dafürhalten zu lösen sucht. Zum anderen ist zu klären, ob der von Israel geforderte Gehorsam eine Rolle bei der Begründung der Beziehung spielt. Handelt es sich tatsächlich, wie zumindest im Blick auf die spätere redaktionelle Entwicklung (DtrN und Wahlverwandte) weithin angenommen, um eine Vorbedingung für den Eintritt in den Bund beziehungsweise das Inkrafttreten seiner Verheißungen? Im Blick auf die prophetische Verheißung eines neuen Bundes (Kap. V) gilt es zunächst, die wichtige Diskussion um die Form der Tora und ihrer Vermittlung aufzunehmen und anhand der neueren Erkenntnisse zum Zusammenhang mündlicher und schriftlicher Textreproduktion in der Schreiberausbildung weiterzuführen. In deren Licht wird neu zu fragen sein, ob die Verheißung tatsächlich einer anti-deuteronomistisch ausgerichteten Abwertung der Tora als Buch und ihrer Vermittlung durch Lehren und Lernen das Wort reden will. So oder so ist festzuhalten: Das verheißene Eingreifen Jhwhs schafft die Gehorsamsforderung nicht ab, sondern ermöglicht ihre Erfüllung. Von daher stellt sich zum zweiten auch die Frage nach der Motivation dieser göttlichen Intervention oder, überlieferungsgeschichtlich gewendet, nach dem Verhältnis der Verheißung zu dem so genannten anthropologischen Pessimismus in Jeremia und Ezechiel noch einmal neu.

140 

Zenger, Die Bundestheologie, 39. einer Formulierung von Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 449–

141  Mit

450.

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I. Einleitung

Mit der synthetischen Rede von der priesterlichen und der deuteronomistischen Konzeption soll selbstverständlich nicht behauptet werden, sämtliche untersuchten priesterlichen oder – erst recht nicht – deuteronomisch-deuteronomistischen Texte lägen in diachroner Hinsicht auf einer Ebene oder stammten gar von einer Hand. Für die Konzeption des neuen Bundes ergibt sich dies bereits aus der Textauswahl, insofern Belege aus den Büchern Jeremia und Ezechiel herangezogen werden. Bewusst ist eben nicht literarisch von Kompositionen, also auktorial gestalteten Werkzusammenhängen die Rede, sondern inhaltlich-thematisch von Konzeptionen: spezifischen, diastratisch geteilten Grundgedanken. Durchaus behaupten will ich jedoch, dass die unter den drei Überschriften zusammengeführten Belege die Zusammenschau rechtfertigen, und zwar insofern, als sie sich in der jeweils untersuchten Hinsicht nicht grundsätzlich unterscheiden. Zweifellos heben sich auch und gerade im Blick auf die jeweilige Theologie des Bundes die Eigenprofile nicht nur der Überlieferungskreise, sondern auch einzelner Traditionen innerhalb derselben markant voneinander ab. Hier gilt es, weder zu fraktionieren noch zu nivellieren. Die wesentlichen Unterschiede liegen aber jeweils, so die hiermit zur Diskussion gestellte Einschätzung, nicht in der konditionalen Struktur. Gefragt wird also weder nach genetischer Gleichursprünglichkeit noch nach vollständiger konzeptioneller Gleichförmigkeit, sondern danach, ob tatsächlich, wie es jeweils erkenntnisleitende Annahme prominenter Ansätze zur dia­ chronen Analyse ist, die Konzentration auf die konditionale Struktur wesentliche theologische Kontroversen offenbart. Positionen bezüglich der literarhistorischen Grundfragen, die im Raum stehen, werden damit bewusst gerade nicht zum Ausgangspunkt gemacht. Stattdessen werden die miteinander verschränkten literarischen und theologischen Probleme in ihrer wechselseitigen Bezogenheit diskutiert. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich mit der Antwort auf die theologische jeweils auch eine Antwort auf die literarhistorische Frage nahelegt (zum Beispiel nach der Validität der DtrN-Hypothese, dem literarischen Ort des Heiligkeitsgesetzes oder der mutmaßlich anti-deuteronomistischen Provenienz der Konzeption des neuen Bundes). Aber so wenig jene literarhistorischen Fragen als solche Ausgangspunkt, so wenig sind diese Antworten Ziel der Untersuchung. Was innerhalb der drei großen bundestheologischen Konzeptionen gilt, gilt mutatis mutandis auch zwischen ihnen: Der komparative Blick auf die konditionale Struktur ist nicht geeignet, kontrastiv das jeweilige Eigenprofil zu schärfen – weil die wesentlichen Unterschiede anderswo liegen. Wie prägnant sich zum Beispiel die priesterliche Konzeption des Bundes von der ihr vorausliegenden deuteronomisch-deuteronomistischen unterscheidet, wird schon beim ersten Blick auf ihre ganz eigenen, eben typisch priesterlichen Hauptinhalte deutlich: das Sein Jhwhs zum Gott für Israel und dessen Realisierung in Jhwhs Einwohnung inmitten Israels. ­Darin liegt die differentia specifica der priesterlichen Konzeption des Bundes – und ihr genus proximum in der konditionalen Grundstruktur der so beschriebenen Gottesbeziehung.

3.  Anlage und Zugang der Untersuchung

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Das sind weitgreifende Thesen. Sie rufen geradezu danach, aus den Texten begründet zu werden, und sind ihrerseits Ergebnis der Arbeit an eben jenen Texten. Bevor wir zur exegetischen Einzeluntersuchung kommen, muss allerdings noch basaler angesetzt werden: beim Vorverständnis des Exegeten. Wie eng die im Raum stehenden Fragen mit elementaren Aspekten der Identitätsbildung in beiden Auslegungsgemeinschaften, die sich auf die Hebräische Bibel berufen, verknüpft sind, bedarf zwar kaum ausdrücklicher Erwähnung. Gerade deshalb gilt es aber, sich diese Tatsache bewusst vor Augen zu führen und vor allem, sie während der exegetisch-theologischen Arbeit bewusst zu halten. Darum soll es also zuerst gehen (Kap. II).

 II. Hermeneutische Perspektiven Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das Theologumenon des Bundes zwischen Jhwh und Israel in den unterschiedlichen Konzeptionen, die in der Hebräischen Bibel nebeneinander stehen, unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen konditionalen Struktur. Bevor dieser Gegenstand in den Blick gefasst werden kann, beziehungsweise um einen unverstellten Blick auf ihn zu gewinnen, gilt es aber zunächst, sich des gegebenen eigenen Standortes bewusst zu werden, und das heißt vor allem, ihn im Gegenüber zu anderen Standorten und dadurch in seiner Spezifik zu bedenken. Denn von unterschiedlichen Standorten ergeben sich naturgemäß unterschiedliche Perspektiven auf denselben Gegenstand, in denen er, wie sich zeigen wird, recht unterschiedliches, teilweise geradezu gegensätzliches Profil gewinnen kann. Es geht also, mit anderen Worten, um die kritische Reflexion auf bestimmte Vorverständnisse, die sich, wenn man sie nicht bewusst vor sich bringt (Gadamer), in unbewussten exegetischen Vorentscheidungen niederschlagen. Sie sind wie die berühmte Brille auf der eigenen Nase, die man bekanntlich nicht sieht – und gerade deshalb von Zeit zu Zeit absetzen sollte, schon um sie zu putzen. Wissenschaftstheoretisch und in den geschichts- und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen gehört eine derartige Standortreflexion mit gutem Grund zum methodischen Standard der Textinterpretation. Sie ist umso dringlicher, als den hier fraglichen Texten eine Schlüsselrolle im Rahmen der religionspraktischen Identitätsbildung der sich auf die Hebräische Bibel berufenden Gemeinschaften – ihrem Wesen nach Auslegungsgemeinschaften – zukommt. Dabei kann und soll es nicht darum gehen, besagte Vorverständnisse auszuschalten, wohl aber, sie ins Bewusstsein zu heben und reflex zu halten, um ihren Einfluss auf die exegetische Arbeit kontrollieren zu können.

1.  Zur Standortbezogenheit biblischer Exegese Nun könnte sich sogleich der Einwand erheben, erkenntnisleitende Vorverständ­ nisse, zumal solche konfessioneller Natur, hätten ohnehin keinen Platz in einer ­historisch-philologisch arbeitenden Disziplin. Und in der Tat, in entschiedener Übereinstimmung mit dem nach wie vor weithin geteilten Selbstverständnis der alttestamentlichen Wissenschaft als einer im strengen Sinne exegetischen Disziplin

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II.  Hermeneutische Perspektiven

kann dieser Anspruch nur unterstrichen werden.1 In der Sache wäre es aber eine Selbsttäuschung, sich mit einem bloßen Hinweis auf das akzeptierte Ideal aus der Affäre zu ziehen. Denn eine objektive Sicht steht dem Exegeten nicht zu Gebote.2 „Das ist vielmehr die Naivität des historischen Objektivismus, ein solches Absehen von sich selbst anzunehmen“, wie Hans-Georg Gadamer in seiner Auseinander­ setzung mit dem Historismus festgehalten und in der Frage, „wie man aus dem Bannkreis seiner eigenen Vormeinungen überhaupt herausfinden soll“, konstruktiv aufgenommen hat.3 Neuere Ansätze in den Kulturwissenschaften haben die wissenschaftstheoretische Grundeinsicht, nach der Objektivität keine Option ist, schon gar nicht in einem Untersuchungszusammenhang, der elementar die eigene Identität des forschenden Subjekts betrifft, nur noch verschärft.4 Für die alttestamentliche Wissenschaft hat sich James Barr wie kein zweiter um diesen Problemzusammenhang bemüht. Seine profunde Skepsis5 gründet kaum zufällig in einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Konzept einer ‚Biblischen Theologie‘.6 Unter Bezug auf Barr kann Frank Crüsemann zusammenfassen: Von dem je eigenen „gegebenen […] Standpunkt abzusehen geht schon nicht im Historischen, es geht gar nicht im Theologischen.“7 Von daher muss sich die „grundsätzliche[…] Perspektivik und Standortgebundenheit“ biblischer Exegese8 umso ausgeprägter darstellen, je zentraler der fragliche Gegenstand für das religiöse Selbstverständnis der Exegeten ist – also vielleicht nirgendwo so ausgeprägt wie dort, wo es um die alttestamentliche Rede von Gott als Bundespartner geht. Hier ist die „evidente[…] und unvermeidbare[…] Unmittelbarkeit der Sache zum Selbstverständnis derer, die sie analysieren“, besonders evident.9 Umso stärker schlagen bestimmte Vorverständnisse der Ausleger auf die Auslegung durch. „Dabei sind es“, wie mit Crüsemanns Einschätzung hinsichtlich der alttestamentlichen Exegese auf christlicher Seite einschränkend präzisiert werden kann, „nicht so sehr explizite kirchliche Dogmen und Bekenntnisse, die den Blick prägen“,10 denn solche würden der durchaus skrupulösen akademischen Selbstdisziplin 1 

Krause, Aesthetics of Production and Aesthetics of Reception, 416–417 und 426. So in aller Deutlichkeit auch Perlitt, Anklage und Freispruch Gottes, 20, der seinem Beitrag ein Zitat Heinrich Heines vorausschickt: „Die sogenannte Objektivität, wovon heut’ soviel die Rede, ist nichts als eine trockene Lüge; es ist nicht möglich, die Vergangenheit zu schildern, ohne ihr die Färbung unserer eigenen Gefühle zu verleihen.“ 3  Gadamer, Wahrheit und Methode, mit den Zitaten a. a. O., 304 bzw. 273. 4  Vgl. nur den modernen Klassiker der Ethnologie: Clifford/Marcus, Writing Culture. Für eine konstruktive Aufnahme in religionstheoretischer Absicht s. Krause, Bekehrungsfrömmigkeit, 70–71. 5  Pointiert in Barr, Some Problems in the Search for a Pan-Biblical Theology. 6  Barr, The Concept of Biblical Theology. 7  Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 74, unter Aufnahme seiner Response in ders., Über die Schrift hinaus, 46. 8  So mit einer Formulierung von Blum, Volk oder Kultgemeinde, 214. Vgl. dazu auch Janowski, Theologie des Alten Testaments, 123–124. 9  Blum, Volk oder Kultgemeinde, 214. Vgl. auch ders., Das Vorverständnis hinterfragen, 215. 10  Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 73. 2 

1.  Zur Standortbezogenheit biblischer Exegese

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eines Faches, das seine Gründungsgeschichte wesentlich als Emanzipation von kirchlichen Konsistorien erzählt, natürlich nicht entgehen. „Es sind vielmehr so etwas wie prägende Tiefenstrukturen“.11 Von deren Prägekraft zeugt, dass gerade dort, wo im engeren Sinne theologische Fragen zur Diskussion stehen, bestimmte Schulmeinungen in signifikanter Weise mit konfessioneller Provenienz korrelieren12 – was umso stärker ins Auge sticht, als dies in der gegenwärtigen alttestamentlichen Wissenschaft gerade nicht die Regel ist.13 Dalit Rom-Shiloni formuliert diese Wahrnehmung rundheraus, wenn auch noch recht holzschnittartig: „More than in other spheres of study of the HB, this [sc. Hebrew Bible Theology] is the one domain where a clear divide exists […] between Christian and Jewish scholars and their respective scholarship.“14 Was Rom-Shiloni für biblische Theologie („Hebrew Bible Theology“) im Allgemeinen feststellt, gilt für die Bundestheologie im Besonderen: Nach meiner Wahrnehmung gibt es kaum ein Gebiet der alttestamentlichen Wissenschaft, in dem die von ihr benannte Kluft deutlicher markiert wäre. Die Tendenz – hier wie sonst bestätigen Ausnahmen die Regel – entsprechender Korrelationen ließe sich ohne Mühe belegen, und sie wird in den forschungsgeschichtlichen Partien der folgenden Untersuchungen ein ums andere Mal belegt (wenngleich dies nicht deren Ziel ist). Als ein Beispiel mag es an dieser Stelle genügen, Jon Levensons mittlerweile klassische Analyse in Erinnerung zu rufen, in der er die Auslegung von Gen 15,6 durch Gerhard von Rad15 in erhellender Weise von Gal 3,5–6 und Röm 4,1–5 her erklärt – paulinischen Argumentationen mit diesem Vers, die von Rad selbst nicht erwähnt, geschweige denn argumentativ einsetzt.16 Wie dieses Beispiel zeigt, sind es auch und gerade die frühen Auslegungen beziehungsweise Applikationen der alttestamentlichen Überlieferung, die maßgeblichen, sozusagen leserlenkenden Einfluss ausüben.17 Im Folgenden seien zwei besonders 11 

Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 73. dazu schon Krause, Individualisierung des Bundesbruchs, 197–198 mit Anm.  14 und 15, vgl. des Weiteren die bei Blum, Das Vorverständnis hinterfragen, 216–226, gegebenen Beispiele. 13  Dies gilt es nicht zuletzt gegenüber Dohmen/Stemberger, Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, festzuhalten. 14  Rom-Shiloni, Hebrew Bible Theology, 184. 15  Von Rad, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. 16  Levenson, Why Jews Are Not Interested in Biblical Theology, 300–304. Zur Sache vgl. zuvor schon Oeming, Ist Genesis 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit, dessen Beitrag Levenson entgangen zu sein scheint. 17  Anzuführen wären aber auch Vorverständnisse anderer Herkunft. Zwei seien wenigstens genannt: zum einen die reformatorische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, nach Luthers gern zitiertem Diktum das ‚Discrimen‘, das einen Theologen zum Theologen macht (s. dazu Schwöbel, Art. Gesetz und Evangelium, 863; aus alttestamentlicher Warte Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 3–15); zum anderen, um den Blick auch über den dominanten Horizont konfessioneller Standpunkte hinaus zu öffnen, die in der Moderne scheinbar selbstevidente und daher mitunter nur schwer als eminentes Vorverständnis zu erkennende Tendenz, eher vom Individuum als vom Kollektiv her zu denken (zur Diskussion s. etwa Kaminsky, Corporate Responsibility in the Hebrew Bible). 12  S.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

einflussreiche, das religiöse Selbstverständnis der Auslegungsgemeinschaften und damit auch die Arbeit ihrer bestallten Ausleger tief prägende Traditionen – Tiefen­ strukturen im Sinne Crüsemanns – exemplarisch vor uns gebracht.18 Es sind dies die Verhältnisbestimmung von Bund und Gesetz durch Paulus, gerade in der zugespitzten Form, die ihr der Apostel in der Hitze der galatischen Krise gibt (Kap. II.2), und, wenn man so will, deren Pendant, die mit dem Begriff von E. P. Sanders als Bundesnomismus zu bezeichnende Religionsstruktur, wie sie in der rabbinischen Literatur bezeugt ist und die Auslegung der biblischen Überlieferung von Exodus und Gottesbergereignissen in den großen halachischen Midraschim charakterisiert (Kap. II.3). Bei dieser Auswahl waren zwei Kriterien maßgebend. Zum einen handelt es sich um Traditionsbildungen, denen eine konstitutive Bedeutung für gegenwärtige religiöse Gemeinschaften zukommt,19 in denen sie aufgrund ihrer kanonischen Geltung als Grundlage und konstanter Referenzpunkt der religiösen Identitätsbildung fungieren, und dies dank ihrer theologiegeschichtlichen Zentralstellung mit besonderer Wirkmächtigkeit.20 Zum anderen wurden innerhalb dieser Traditionen solche Aspekte ausgewählt, die für die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Frage nach der konditionalen Struktur bundestheologischer Konzeptionen einschlägig sind. Wenn nun diese beiden frühen Auslegungen biblischer Bundeskonzeptionen aufgerufen werden, so geschieht dies nicht, um sie vom hohen Ross des historisch-kritischen Exegeten zu zensieren, sondern um sich ihres potentiellen Einflusses auf die eigene 18  So mit der glücklichen Formulierung von Gadamer, Wahrheit und Methode, 304: „Ein Vorurteil gleichsam vor sich zu bringen“. 19  Das unterscheidet die rabbinische Literatur etwa von den so genannten Sektenschriften aus Qumran, die in thematischer Hinsicht mindestens ebenso einschlägig wären. 20  Wobei der Unterschied zwischen den paulinischen Briefen und etwa dem Hebräerbrief in der zuletzt genannten Hinsicht gewiss nur graduell ist und vom konkreten Problemzusammenhang abhängt. Dies belegt zum Beispiel die bekannte These Gerhard von Rads von der über sich selbst hinausweisenden heilsgeschichtlichen Fluchtlinie des Alten Testaments: „Nein, das Alte Testament kann nicht anders denn als das Buch einer ins Ungeheure anwachsenden Erwartung gelesen werden.“ (von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 341). An ihrem Ort wird diese These damit untermauert, das „älteste Substrat dieses immensen Erwartungskomplexes“ sei die an die Väter ergangene Landverheißung, denn „merkwürdigerweise war keine Erfüllung in der Geschichte imstande, diese Erwartung zu befriedigen und zur Ruhe zu bringen.“ (a. a. O., 339). Denselben Ton hatte von Rad schon an anderer Stelle angeschlagen: Mit dem „Heute“, das Israel noch einmal an den Sinai stellt, sei im Deuteronomium „auch dies gegeben, daß dieses Israel noch zwischen der Erwählung und seinem eigentlichen Heilszustand steht, daß es noch unterwegs ist und des Empfangs der großen Heilsgüter noch wartet“, wie Dtn 12,9 bezeuge (ders., Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 244). Doch gehen weder diese Einzelversexegese noch jene Einschätzung des Alten Testaments als Ganzem aus ihm selbst hervor (zu Dtn 12,9 vgl. bei von Rad selbst: ders., Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes, 102; zu den einschlägigen Parallelen im Deuteronomium und den Vorderen Propheten Krause, Exodus und Eisodus, 109–110, Anm.  204, und die dort verzeichnete Literatur). Vielmehr erschließt sich das Postulat einer angeblich unbefriedigten Erwartung in dieser pointierten Form erst vom Hebräerbrief her, dessen Bild vom wandernden Gottesvolk, unterwegs zu seiner Ruhe, in von Rads Auslegungen ja auch kräftig genug anklingt – was von Rad in diesem Fall (vgl. oben, S.  29, zu seiner Auslegung von Gen 15,6) auch selbst bestätigt, wenn er schließlich noch einmal auf das Problem zu sprechen kommt und dabei ausdrücklich Hebr 3,7 ff. und 11,13 zitiert (von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 397–398).

2.  Bund und Gesetz bei Paulus

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Arbeit bewusst zu werden und so in die Lage zu kommen, eigene vorkritische Annahmen kritisch zu reflektieren, eben: das Vorverständnis zu hinterfragen (Kap.  II.4).

2.  Bund und Gesetz bei Paulus Wahrscheinlich um 55 n. Chr. schreibt Paulus seinen Brief an die von ihm gegründete Gemeinde in Galatien,21 eine im Corpus Paulinum beispiellose Polemik. Anlass ist die so genannte galatische Krise. Gegner, dem Anschein nach judenchristliche Missionare,22 sind in die Gemeinde eingedrungen und verkündigen ein, so der Apostel, anderes Evangelium (Gal 1,6). Ihrer Ansicht nach ist es erforderlich, dass sich Christusgläubige aus den Völkern grundlegende Bestimmungen des Judentums zu eigen machen. Konkret und in ihrem Konfliktpotential unmittelbar nachvollziehbar geht es vor allem um die Forderung der Beschneidung (Gal 5,2; 6,12–13). Was konnte da näher liegen, als auf Abraham zu verweisen, den paradigmatischen Empfänger von Bund und Beschneidung? Viel spricht dafür, dass die Gegner diese Karte gegenüber den Galatern auch tatsächlich ausgespielt haben.23 So lässt sich jedenfalls erklären, warum Paulus nun seinerseits beginnt, mit der biblischen Gestalt des Abraham zu argumentieren.24 Der Berufung auf den Ahnvater durch seine judenchristlichen Gegner setzt der Heidenapostel eine andere Interpretation des Abrahambundes entgegen, die wesentlich in dessen innerbiblischer Relation zum Mosegesetz gründet.25 Dabei nimmt er eine Verhältnisbestimmung vor, die Manuel Vogel treffend als „soteriologische Dissoziation von Bund und Gesetz“26 zusammengefasst hat.27 Im Römerbrief revidiert Paulus kaum ein halbes Jahr später28 diese scharf abrogative Rede29 von dem Gesetz (ὁ νόμος), um sie in eine andere und, wie die entstehungsgeschichtliche Abfolge der hitzigen Streitschrift und des in ruhigem Rückblick konzipierten theologischen Vermächtnisses zu urteilen erlaubt, reifere Form zu bringen.30 Dessen ungeachtet steht, was der Apostel den Galatern ins Stammbuch ge21  Schreiber, Die Chronologie der paulinischen Briefe, 163. Eine genaue Ansetzung fällt im Fall des Galaterbriefs schwerer als für andere Paulus-Briefe, vgl. Hübner, Art. Galaterbrief, 11; Lührmann, Art. Galaterbrief, 451 (zwischen 50 und 55 n. Chr.). An der hier vorausgesetzten Datierung hängt für die folgende Darstellung nichts Entscheidendes. 22  S. etwa Vogel, Das Heil des Bundes, 254–257; Sänger, Galaterbrief, 196–197; Schnelle, Paulus, 284, mit Literatur und Diskussion a. a. O., Anm.  31. 23  So mit einer Formulierung von Wolter, Paulus, 346–347. Ebenso Schnelle, Paulus, 298, und Vogel, Das Heil des Bundes, 64. 24  Wolter, Paulus, 347. 25  Zum Ganzen s. Vogel, Das Heil des Bundes, 62–77. 26  Vogel, Das Heil des Bundes, 76. 27  Dazu gleich ausführlicher. 28  Je nach Ansetzung des Galaterbriefs (s. o., Anm.  21); ich orientiere mich hier an Schreiber, Die Chronologie der paulinischen Briefe, 163.165. Zur Ansetzung des Römerbriefs s. auch Theobald, Der Römerbrief, 27 (Lit.). 29 Vgl. Dochhorn, Von Jesus zu Paulus, 35. 30 Vgl. Schnelle, Paulus, 559 mit Anm.  9 0.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

schrieben hat, nach wie vor in kanonischer Geltung. Mehr noch, es bleibt die kanonische Referenz für die Frage nach dem Verhältnis von Bund und Gesetz, denn diese nimmt Paulus im Römerbrief, wenn er seine Gesetzeslehre in ihre endgültige Fassung bringt, nicht mehr in dieser Form auf.31 Daher ist und bleibt die im Galaterbrief vorgenommene Verhältnisbestimmung von nachhaltigem Einfluss – eine Tiefenstruktur,32 die das Vorverständnis christlicher Ausleger zum Verhältnis der Größen im Alten Testament prägt oder mindestens zu prägen vermag.33 Unter Bezug auf Paulus und seine Theologie, gerade auch seine theologische Auslegung der Schrift, wird in der vorliegenden Untersuchung bewusst von „dem Gesetz“ (eben: ὁ νόμος) gesprochen34 – und dieser Begriff ebenso bewusst dort vermieden, wo es um das Alte Testament selbst geht.35 Die Problematik der verbreiteten Rede von dem Gesetz im Alten Testament liegt schon mit der schlichten Rückfrage auf der Hand, wo genau dieses zu finden sein soll: im Korpus der Stipulationen des Deuteronomiums? im deuteronomistischen Deuteronomium? in den Kultgesetzen der priesterlichen Überlieferung? im Pentateuch insgesamt? – um nur die am nächsten liegenden Überlieferungsbereiche anzuführen, für die der Begriff in der Literatur promiscue gebraucht werden kann.36 Mindestens so erhellend ist die Frage nach dem quellsprachlichen Äquivalent. Anders als im Griechischen (νόμος) oder auch Aramäischen (‫ )דת‬liegt ein solches im biblischen Hebräisch ja bekanntlich nicht vor (auch nicht in dem programmatischen Singular ‫תורה‬, wie er im deuteronomistischen Deuteronomium geprägt wird, ist für diesen doch charakteristisch, dass der in Geboten gegebene Gotteswille von Anfang an eingebunden ist in die Erzählung der Heilsgeschichte37). Und nach Umfang, Inhalt und Absicht des ominösen Gesetzes wäre da noch gar nicht gefragt.38

31  Zu den Gründen, die dafür ausschlaggebend gewesen sein mögen, vgl. Dunn, Did Paul Have a Covenant Theology, 305–306. 32  Vgl. oben, S.  29. 33  Es spricht in dieser Hinsicht für sich und mag als Beispiel an dieser Stelle genügen, dass Martin Noth einen Beitrag zu dieser Frage im Alten Testament (!) überschreiben konnte mit einem Zitat aus Gal 3,10: Noth, Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. 34  Für eine Rekonstruktion der paulinischen Konzeption s. zuletzt Dochhorn, Von Jesus zu Paulus, 34–42. 35  Entscheidende Anregungen zu der folgenden Problemskizze verdanke ich dem Gespräch mit Erhard Blum. Die wichtige Frage ist jüngst auch in dem Band von Rüterswörden, Ist die Tora Gesetz, aufgeworfen, von den dort versammelten Beiträgen allerdings nur zum Teil im Sinne des hier in den Blick genommenen hermeneutisch-theologischen Problems aufgefasst worden. Vgl. ferner Smend, ‚Gesetz‘ im Alten Testament. 36  Unter Bezug auf Dekalog und Bundesbuch (und mit Zitat aus Röm 5,20!) vgl. ferner etwa Schmitt, Das Gesetz aber ist neben eingekommen. 37  Vgl. nur Dtn 6,20–25 und dazu unten, S.  135, Anm.  145. 38  Um zwei Missverständnissen vorzubeugen: Mit der vorstehenden Problemanzeige soll weder der evidente Sachverhalt bestritten werden, dass es legislatives Material (‚Gesetze‘) im Alten Testament gibt. Noch geht es darum, die historische und literargeschichtliche Rekonstruktion der innerbiblischen Rechtshermeneutik einschließlich der Untersuchung ihrer differenzierten Begrifflichkeit abzukürzen oder gar zu umgehen; zur Triftigkeit letzterer Aufgabe und maßgeblichen neueren Beiträgen s. vor allem Lohfink, Prolegomena zu einer Rechtshermeneutik des Pentateuchs; Otto, Rechtshermeneutik im Pentateuch; Achenbach, Die Tora und die Propheten. Zur Debatte steht nur – nicht mehr, aber auch nicht weniger –, ob es das Gesetz als Größe im Alten Testament gibt.

2.  Bund und Gesetz bei Paulus

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Das Problem lässt sich in der Frage zusammenfassen, ob es das Gesetz als Größe im Alten Testament überhaupt gibt. Es wird noch verschärft durch die gängige Annahme eines ursächlich mit dieser Größe verbundenen degenerativen Prozesses, in dessen Verlauf es von einer ursprünglichen und sachgemäßen Gesetzespraxis, die gleichsam als Antwort auf Jhwhs Heilshandeln zu verstehen ist, dahin kommt, dass im Gehorsam die Vorbedingung des Heils gesehen, ja ‚das Gesetz‘ am Ende um seiner selbst willen befolgt wird.39 Besonders anschaulich (und nach wie vor einflussreich) tritt dieses Denkmuster in Martin Noths 1940 veröffentlichter Studie „Die Gesetze im Pentateuch“ vor Augen.40 Noth unterscheidet eine sachgemäße Einordnung der Gesetze (!) in eine bestimmte „Ordnung der Dinge“, die bis zum Ende der Königszeit gegolten habe, von „dem Gesetz“ als „absolute Größe“ in der „Spätzeit“.41 Besagte Ordnung der Dinge ist der sakrale Stämme-Bund. Obwohl Noth mit dieser Hypothese eigentlich die vorstaatliche Konstitution Israels zu erklären suchte, ging er davon aus, die Am­phiktyonie habe parallel zu den staatlichen Strukturen weiter existiert. Ist so schon die Bestimmung der „alten Ordnung der Dinge“ spekulativ, so erst recht die Annahme, sie habe mit der Tempelzerstörung von 587 v. Chr. ihr Ende gefunden. Gleichwohl markiert dieses Ende den entscheidenden Einschnitt, wie Noths Erklärung belegt: „Dieses Ende herbeigeführt hat […] die Beseitigung der Grundlage, auf der die alte Institution des sakralen Zwölfstämmeverbandes ruhte, nämlich des Bundesverhältnisses zwischen Gott und Volk“.42 Mit dezidiert historischem ­Gestus trifft Noth hier eine Aussage, die kein Historiker treffen kann. Tatsächlich historisiert er ein theologisches Urteil: über das Ende Israels.43 Was folgt, ist die epigonale „Spätzeit“, in der widernatürlicher Weise nicht mehr die Gemeinschaft Grundlage des Gesetzes, sondern das Gesetz Grundlage der Gemeinschaft gewesen sei.44 „Das Gesetz“ wird „zu einer auf eigenen Füßen stehenden Macht.“45 Ihm zu gehorchen, ist nun ein menschliches Werk, durch das „tote Ordnungen“ angebetet werden.46 Wollte man – hier ist dazu nicht der Ort – die Herkunft dieses Denkmusters ergründen, würde wohl kein Weg an der theologiegeschichtlichen Weichenstellung vorbeiführen, an der tatsächlich in theologisch-konstruktiver Weise ‚das Gesetz‘ auf den Plan tritt, nämlich der reformatorischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.47 Luther wiederum führte uns dann zurück zu – Paulus.

39  Vgl. die eminenten Einzelstudien zur deuteronomisch-deuteronomistischen und zur priesterlichen Überlieferung, die Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, vorgelegt hat. 40  Noth, Die Gesetze im Pentateuch. Zum Folgenden vgl. auch das Referat bei Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, 256–257. 41  Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 112 ff. 42  Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 84. 43 Vgl. Rendtorff, Das ‚Ende‘ der Geschichte Israels. 44  Die Voraussetzung dieses Gedankens, nämlich die Annahme, nachexilisch sei die Gemeinschaft nicht mehr ethnisch, sondern religiös, das heißt durch Unterwerfung unter ‚das Gesetz‘, begründet gewesen, kann hier nicht aufgenommen werden. Es sei aber auf Weingart, Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk, verwiesen, die in exegetischer und ethnologisch-vergleichender Perspektive schlagend gezeigt hat, dass sich die Judäer der Perserzeit als Ethnos und nicht als Wahlgemeinschaft verstanden. Darauf deutet ja schon für jeden, der es wahrnehmen will, das überragende Interesse an Genealogien bei P und in der Chronik hin. 45  Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 114. Es wird „zum ‚Gesetz‘ im landläufigen Sinn des Wortes“, wie von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 214, bezeichnenderweise formulieren kann. 46  Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 141. 47  Vgl. dazu bereits oben, S.  29, Anm.  17.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

Paulus fängt mit Abraham an: nicht, wie wohl die Gegner, in Gen 17, sondern in Gen 15. Als Spitzenaussage hebt er dort V.  6 hervor, der (mindestens in der Septuaginta48) davon handelt, dass Jhwh dem Abraham dessen Glauben zur Gerechtigkeit anrechnete (Gal 3,6).49 Mit diesem biblischen Beleg im Rücken (erkennt also V.  7) führt Paulus in V.  6 ff. zunächst aus, dass Nachkommen Abrahams – und das bedeutet zugleich, wie im Folgenden wichtig werden wird, seine Erben – die sind, die wie er aus dem Glauben (ἐκ πίστεως) sind, im Unterschied zu denen, die aus den Werken des Gesetzes (ἐξ ἔργων νόμου) sind (V.  7.10). Die aus dem Glauben sind, sind gesegnet mit Abraham (V.  9); die aus den Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch, wie Paulus unter Verweis auf die den Bund sanktionierende Fluchdrohung im Deuteronomium argumentiert (V.  10). Die derart aufgebaute Antithese, nach der „[a]llein die Verheißung Gottes an Abraham […], nicht das Gesetz des Mose“ das Heil verbürgt,50 will der Apostel den Galatern sodann mit Hilfe einer Analogie (nach menschlicher Weise) näher bringen (V.  15–18) – und nimmt dabei die eingangs angesprochene Verhältnisbestimmung von Bund und Gesetz vor:51 Brüder, ich will nach menschlicher Weise reden: Man hebt doch das Testament (διαθήκη) ­eines Menschen nicht auf, wenn es bestätigt ist, noch setzt man etwas hinzu. (16) Nun sind die Verheißungen Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: „und den Nachkommen“, als wären viele gemeint, sondern es gilt einem: „und deinem Nachkommen“ (Gen 13,15; 17,8; 24,7), welcher ist Christus. (17) Ich meine aber dies: Das Testament (διαθήκη), das von Gott zuvor bestätigt worden ist, wird nicht aufgehoben durch das Gesetz (νόμος), das vierhundertdreißig Jahre danach gegeben wurde, sodass die Verheißung (ἐπαγγελία) zurückgenommen würde. (18) Denn wenn das Erbe durch das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben; Abraham aber hat Gott es durch Verheißung frei geschenkt (χαρίζομαι).

Für seine Auslegung macht Paulus sich die Grundbedeutung von διαθήκη, dem Standardäquivalent für ‫ ברית‬in der Septuaginta, zu Nutze: letztwillige Verfügung, Testament.52 Das damit aufgerufene Bild erlaubt ihm einerseits, das Thema des rechtmäßigen Erben weiterzuführen. Andererseits – und das ist für die hier verfolgte Frage von besonderer Bedeutung – lässt sich so das Verhältnis des Abrahambundes (im Bild: des Testamentes) zu dem erst unter Mose hinzugekommenen Gesetz klären: denn man hebt doch ein Testament nicht auf und setzt auch nichts hinzu! (V.  15). So bestimmt Paulus das Wesen des mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossenen Bundes mittels einer doppelten Denkfigur: Dieser Bund wurde ur48  Zur Problematisierung des MT s. Oeming, Ist Genesis 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. 49  Eingehend zur Deutung von Gen 15,6 zuletzt Köckert, ‚Glaube‘ und ‚Gerechtigkeit‘ in Gen 15,6 (Lit.). 50  Schnelle, Paulus, 298. 51  Übersetzung hier und im Folgenden in Anschluss an die 2017 revidierte Fassung der Lutherbibel. 52  Vgl. dazu etwa auch Merklein, Der (neue) Bund als Thema der paulinischen Theologie, 299.

2.  Bund und Gesetz bei Paulus

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sprünglich und eigentlich ohne eine Verpflichtung Abrahams geschlossen, er ist daher rein und ausschließlich Verheißung; und: Die dem Bund seinem Wesen nach fremde Verpflichtung tritt erst nachträglich hinzu. Diesen sekundären Rang des Gesetzes – auch von seiner „Inferiorität“ kann, durchaus nicht ohne Anhalt an der Darstellung im Galaterbrief, gesprochen werden53 – begründet Paulus in gleich drei Hinsichten. Zunächst und grundlegend zeitlich: Erst vierhundertdreißig Jahre nach dem Bund als reiner Verheißung wird das Gesetz gegeben (V.  17).54 Zweitens sachlich: Das Gesetz vermag es nicht, das Abraham und seinen Nachkommen verheißene Erbe zu vermitteln (V.  18).55 Stattdessen besteht sein heilsgeschichtlicher Sinn nach der Fortsetzung in V.  19 ff. in einer zeitlich begrenzten, hamartiologisch begründeten Ordnungsfunktion.56 Dem entspricht schließlich, drittens, die Art seiner Offenbarung: Im Gegensatz zu der von Gott selbst gegebenen Verheißung wurde es von Engeln verordnet durch die Hand eines Mittlers, nämlich Mose (V.  19–20).57 Im Kern beruht die Argumentation also darauf, dass das Wesen des Bundes (διαθήκη) bestimmt wird – und zwar ausschließlich als Verheißung (ἐπαγγελία), nicht als Gesetz (νόμος).58 In der biblischen Überlieferung selbst ist die Assoziation von ‫ ברית‬und ‫תורה‬, διαθήκη und νόμος, die Paulus damit auszuschließen sucht, freilich gerade die dominante. Insofern dürfte der Apostel durch den argumentativen Einsatz des Bundesbegriffs bei den gesetzesfreudigen Galatern vom Regen in die Traufe gekommen sein.59 Jedenfalls sieht er Bedarf, die bislang allein am Beispiel Abrahams vorgenommene Verhältnisbestimmung in Gal 4,21–31 noch einmal anders, nämlich unter Einbezug der Sinaitradition, zu entfalten, wozu er noch größere allegoretische Beweglichkeit60 aufbieten muss: Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt: Hört ihr das Gesetz nicht? (22) Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien. (23) Aber der von der Magd ist nach dem Fleisch geboren worden, der von der Freien aber durch die Verheißung. (24) Das ist bildlich zu verstehen: Die beiden Frauen sind zwei Bundes53 So Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 460. Schnelle, Paulus, 559, spricht von einer Demontage. 54  Schnelle, Paulus, 299; Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 460; Wolter, Paulus, 357. In Röm 4,9–11a variiert Paulus die Argumentation mit der zeitlichen Abfolge, indem er sie auf die kanonische Abfolge der beiden großen Abraham-Kapitel Gen 15 und Gen 17 bezieht. 55  Wolter, Paulus, 357. 56  Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 460. 57  Eingehend dazu Eckstein, Verheißung und Gesetz, 190–205. 58  Vogel, Das Heil des Bundes, 66: „Der ‚Bund‘ ist wesentlich ‚Verheißung‘, nicht ‚Gesetz‘.“ S. noch Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 459–460, und Eckstein, Verheißung und Gesetz, im Ganzen, ferner Watson, Paul and the Hermeneutics of Faith, 177–185, hier bes. 181–182. 59  Darauf weist Vogel, Das Heil des Bundes, 67, hin. Mutatis mutandis gilt dies übrigens auch für Bund und Beschneidung, und in der Tat mag darin ein Grund dafür liegen, dass Paulus die Argumentation mit Abraham in Röm 4 ganz anders aufzieht; vgl. dazu bereits oben, Anm.  54. 60  Oder den „intellektuellen Witz elaborierter Spekulation“ (Merklein, Der [neue] Bund als Thema der paulinischen Theologie, 301).

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II.  Hermeneutische Perspektiven

schlüsse (δύο διαθῆκαι), einer vom Berg Sinai, der in die Knechtschaft gebiert; das ist Hagar. (25) Hagar aber bezeichnet den Berg Sinai in Arabien und ist ein Gleichnis für das jetzige Jerusalem, das mit seinen Kindern in der Knechtschaft lebt. (26) Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie; das ist unsre Mutter. (27) Denn es steht geschrieben: „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst! Brich in Jubel aus und jauchze, die du nicht schwanger bist. Denn die Einsame hat viel mehr Kinder, als die den Mann hat“ (Jes 54,1). (28) Ihr aber, Brüder, seid wie Isaak Kinder der Verheißung. (29) Aber wie zu jener Zeit der, der nach dem Fleisch geboren war, den verfolgte, der nach dem Geist geboren war, so geht es auch jetzt. (30) Doch was spricht die Schrift? „Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn; denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien“ (Gen 21,10). (31) So sind wir nun nicht Kinder der Magd, sondern der Freien.

Die erheblichen exegetischen und theologischen Schwierigkeiten, die die komplexe Perikope aufwirft, brauchen uns hier nicht zu beschäftigen61 – wohl aber ihre ar­ gumentative Stoßrichtung. Denn sie bestätigt via negationis, was sich bereits in Gal 3,15–18 ergeben hat.62 Dem „Verheißungsbund“ mit Abraham und seinen Nachkommen, in dem, wie Paulus jetzt ausdrücklich erklärt, all jene stehen, die an den einen Nachkommen (vgl. 3,16) glauben, wird nun pointiert ein anderer, ein „Verpflichtungsbund“ gegenübergestellt.63 Jener Bund vom Berg Sinai führt in die Knechtschaft (4,24–25), er vermittelt das Erbe gerade nicht (4,30).64 Auch das Gesetz ist also Wesen eines Bundes, gesteht Paulus damit zu – aber nicht das Wesen des Bundes, dem die Verheißung gilt. In einem Wort zusammengefasst: Der Abrahambund ist Verheißung, er ist nicht Verpflichtung. Diese den Galatern ins Stammbuch geschriebene These begründet Paulus in zwei Anläufen. Zunächst grenzt er den Bund mit Abraham scharf vom Gesetz des Mose ab; letzteres trat erst nachträglich hinzu und entspricht nicht dem eigentlichen Wesen des Bundes. Gleichsam als dunkle Folie führt er sodann auch den Sinaibund ein: als Inbegriff der Knechtschaft unter dem Gesetz, vor dessen Hintergrund die reine Verheißung des Abrahambundes umso heller hervortritt. Vogel, der diese „Dissoziation von Bund und Gesetz“65 in der paulinischen Aneignung des Alten Testaments präzise herausarbeitet, weist abschließend darauf hin, sie fände bereits im Alten Testament selbst eine „Sachparallele“, nämlich in der Frontstellung der priesterlichen Konzeption eines reinen Gnadenbundes gegen die deuteronomisch-deuteronomistische Tradition.66 Die scharfe Abgrenzung des Abrahambundes gegen das Gesetz durch Paulus entspräche dem „priesterschriftlichen Konzept 61  S. insbesondere Wolter, Paulus, 417–424, der das theologische Zentralproblem schon mit seiner Überschrift auf den Punkt bringt: „Identität durch Alterität“. Vgl. auch Wöhrle, Isaak und Ismael, 126–131. 62  Zum Folgenden s. Vogel, Das Heil des Bundes, 68–74, sowie Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 459–462: „Verheißung versus Gesetz: Die beiden Bundesschlüsse im Galaterbrief“. 63  Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 461 (dort auch die beiden Zitate). 64  Wolter, Paulus, 357 und 423–424. 65  Vogel, Das Heil des Bundes, 76. 66  Vogel, Das Heil des Bundes, 74–76, mit dem Zitat a. a. O., 76. Vogel stützt sich wesentlich auf

2.  Bund und Gesetz bei Paulus

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eines reinen Gnadenbundes […], das selbst schon in Konkurrenz zu einer anderen, nämlich der dtn-dtr Bundesauffassung steht.“67 Eben dies scheint mir aber die Frage zu sein. Der Fall könnte ja auch umgekehrt liegen – nämlich so, dass sich diese Perspektive auf Konzeptionen des Bundes im Alten Testament ergibt, wenn und weil letztere durch die Brille betrachtet werden, die uns Paulus auf die Nase gesetzt hat. Von dem Gesetz spricht Paulus allerdings – um noch eine andere Tiefenstruktur der paulinischen Theologie auszuleuchten – nicht nur abrogativ, sondern auch kon­ struktiv. Das zeigt schon das Nebeneinander der eben umrissenen Argumentation in Gal 3–4 und der eindringlichen Paränese, die er ihr in Gal 5–6 folgen lässt.68 Hier wie auch sonst ermahnt der Apostel die Christusgläubigen, das Gesetz zu tun, und ermutigt sie, dass sie dies auch vermögen – aber nicht aus sich heraus, sondern erst und nur, weil der Geist, den sie empfangen haben, in ihnen wirkt.69 Gott selbst sorgte, so Röm 8,4, durch die Sendung seines Sohnes dafür, dass die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch (σάρξ) wandeln, sondern nach dem Geist (πνεῦμα).70 Im Römerbrief wird dieser Zusammenhang systematisch entfaltet. Die dortige Apologie des Gesetzes läuft darauf hinaus, dass sich die Sünde (ἡ ἁμαρτία) seiner bemächtigt und es entgegen seiner eigentlichen Intention instrumentalisiert hat (Röm 7,7 ff.). Die Sünde trägt dabei die Züge einer unentrinnbaren Macht, der der Mensch – jeder Mensch – hilflos ausgeliefert ist.71 In dem universalen Horizont, den die von Röm 1,18–3,20 über 5,12–21 auf 7,7–25 zulaufende hamartiologische Argumentation eröffnet,72 erscheint ὁ νόμος als umfassende Chiffre für den Gotteswillen, der nicht allein in dem Gesetz des Mose begegnet, sondern auch in Gestalt des alle Menschen betreffenden Naturrechts.73 Entsprechend umfassend lautet das Ergebnis, das in Röm 7,14–25a74 gleichsam als „anthropologische[r] Sachverhalt“ konstatiert

die entsprechende Analyse von Lev 26 bei Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks; vgl. dazu unten, Kap. III.5 (mit gegenläufiger Analyse und Interpretation). 67  Vogel, Das Heil des Bundes, 76–77. Ähnlich etwa auch Merklein, Der (neue) Bund als Thema der paulinischen Theologie, 300. 68  So mit Dochhorn, Von Jesus zu Paulus, 35. 69  Wie der Glaube, so ist auch „die Neugestaltung des konkreten Lebens […] eine Gabe Gottes“, weshalb der Imperativ der Paränese bei Paulus nicht appellativ, sondern performativ zu verstehen ist, so die anhand von Phil 1,27–2,18 begründete These bei Landmesser, Der paulinische Imperativ als christologisches Performativ (das Zitat a. a. O., 575). Zur Anwendung auf Gal 5,13–6,10 s. a. a. O., 572, Anm.  87. 70  Ausführlich dazu nun Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul, 153–170, und Wells, Grace and Agency in Paul and Second Temple Judaism, 253–275. 71  Zur Diskussion s. u., Anm.  78 und 79. 72  Vgl. dazu etwa Theobald, Der Römerbrief, 149–150. 73 Vgl. Dochhorn, Von Jesus zu Paulus, 40, Anm.  48: „Das paulinische System läuft grosso modo auf eine Identität von Lex mosaica und Lex naturalis hinaus.“ 74  Zu dieser Abgrenzung und zum Ort von Röm 7,25b s. Lichtenberger, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit, 150–160.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

wird: Aus sich heraus ist der Mensch unfähig, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu leben.75 Denn wir wissen, dass das Gesetz (ὁ νόμος) geistlich (πνευματικός) ist; ich aber bin fleischlich (σάρκινος), unter die Sünde (ἡ ἁμαρτία) verkauft. (15) Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. (16) Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. (17) So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (18) Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. … (24) Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? (25a) Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Auch hier können und müssen einige elementare Aspekte genügen.76 Das Ich, das hier spricht, spricht für den Menschen, spricht für jeden Menschen ohne Christus.77 Die Sünde, der er sich gegenüber sieht, ist nicht bloß personifiziert,78 sie erscheint tatsächlich als eine Art eigenständiger Wirkmacht, die den Menschen beherrscht.79 Jedenfalls aber, und dieses Ergebnis ist hier von Bedeutung: Unter die Macht der Sünde verkauft (V.  14), ist der Mensch unfähig, das Gesetz zu tun. Rettung aus dieser scheinbar rettungslosen Situation gibt es allein in Christus (Röm 8,1), und in der Tat ist es diese Lösung, von der aus Paulus den Gedankengang entwickelt: from solution to plight.80 Aufgrund dieser Argumentationsrichtung ist der anthropologische Pessimismus des Paulus letztlich eine Konsequenz seiner christologischen und soteriologischen Erkenntnis, weshalb auch der Vergleich mit zeitgenössischen Parallelen – man denke nur an die Hodajot oder 4 Esra81 – in seinem Erklärungspotential begrenzt ist.82 Meinte die ältere Forschung noch sauber scheiden zu können: hier das optimistische Menschenbild des zeitgenössischen Judentums, da der Pessimismus des Paulus, 83 haben neuere Untersuchungen ein75 

S. etwa Schnelle, Paulus, 359 (hier auch das Zitat); Wolter, Paulus, 366–367. Zu Forschungsgeschichte und Problemen von Röm 7 s. immer noch Lichtenberger, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. 77  Lichtenberger, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit, 266, in Auseinandersetzung mit Werner Kümmel. Zur Diskussion vgl. etwa noch Theobald, Der Römerbrief, 156–157; Schnelle, Paulus, 356–357. 78  So etwa Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, 79. 79  So unlängst noch einmal Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul, 141–144. S. ferner Schnelle, Paulus, 543–545, vgl. aber auch die Warnung bei Theobald, Der Römerbrief, 153–154, nicht durch Überbetonung des Verhängnischarakters die Dialektik des paulinischen Sündenverständnisses einzuebnen. 80  Zu der Argumentations- beziehungsweise Erkenntnisrichtung „from solution to plight“ s. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 548, zur zugrundeliegenden Analyse a. a. O., 442–447.474– 502. 81 Vgl. Lichtenberger, Studien zum Menschenbild in Texten der Qumrangemeinde; Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul, 75–123; Mermelstein, Creation, Covenant, and the Beginnings of Judaism, 154–179. 82 Wie Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, 80–81, ausdrücklich herausstellt. 83  So etwa noch Laato, Paul and Judaism, vgl. sein Fazit a. a. O., 146: „the anthropological presuppositions of the Jewish and the Pauline pattern of religion clearly differ from one another. The 76 

3.  Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur

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drücklich gezeigt, dass die Herauslösung des Paulus aus der jüdischen Tradition auch in dieser Hinsicht nicht zu halten ist.84 Zugleich ist dabei nur noch deutlicher geworden, wie vielstimmig und in sich differenziert diese Tradition ist. Mit seiner Sicht auf den Menschen steht Paulus zwar nicht allein, diese Sicht kann aber unterschiedlich ausgeprägt und begründet sein. Der paulinische Schluss von der Lösung – dem Christusgeschehen und dessen unbedingter Notwendigkeit – auf das Problem erweist sich dabei tatsächlich als sui generis, und er hat eine besonders radikale Ausprägung zu Folge.85 Das Ergebnis ist eine absolute, nicht empirisch, sondern prinzipiell begründete Absage: Der Mensch als Mensch ist schlechterdings nicht fähig, so zu leben, wie es Gott gefällt. Er hat „nicht die Möglichkeit […], nicht zu sündigen“.86 Auch das ist eine paulinische Perspektive, und es ist unmittelbar einsichtig, wie problematisch eine konditional strukturierte Konzeption des Bundes, in der dem Wandel des menschlichen Bundespartners eine wesentliche Bedeutung für die Beziehung beigemessen wird, erscheinen müsste, geriete sie in dieses Licht.

3.  Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur „The covenant by God’s grace and Torah obedience as man’s proper response within the covenant“ – auf diesen einfachen Nenner hat E. P. Sanders 1977 das Verhältnis von Bund und Tora im palästinischen Judentum um die Zeitenwende gebracht.87 Die Formel scheint sich von selbst zu verstehen und wirkte doch grundstürzend. Denn bis dato tonangebende Autoritäten in der Erforschung des Frühjudentums (seinerzeit noch weithin als Spätjudentum apostrophiert) im Allgemeinen und dessen rabbinischer Ausprägung im Besonderen hatten die Bedeutung der mit der Tora erhobenen Gehorsamsforderung beziehungsweise den Umgang des Judentums mit ihr genau umgekehrt bestimmt: als Vorbedingung, durch deren Erfüllung das Heil und die Gottesbeziehung selbst erst verdient werden könnten und müssten.88 Demgegenüber rekonstruierte Sanders in der rabbinischen Literatur der tannaitischen Epoche eine former is based on human free will, while the latter is founded on human depravity“ (zit. bei Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, 71). 84  Neben den oben, Anm.  81, angeführten Arbeiten s. noch Wells, Grace and Agency in Paul and Second Temple Judaism; Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, und diverse weitere Beiträge in Barclay/Gathercole, Divine and Human Agency in Paul and His Cultural Environment. 85  „Paul’s anthropology, in corresponding to his ‚soteriology‘, is a good deal more ‚negative‘ than the anthropology typical among his contemporary Jews“, fasst Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, 97, als Ergebnis seines Survey zusammen. 86  Wolter, Paulus, 367. 87  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, das Zitat a. a. O., 420. 88  S. dazu neben Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 33–59, noch die Hinweise bei Urbach, The Sages, 6–7, und Neusner, The Rabbinic Traditions about the Pharisees, Bd.  3, 359–363, vgl. ferner die abgewogene forschungsgeschichtliche Darstellung bei Avemarie, Tora und Leben, 11–49.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

Religionsstruktur („pattern of religion“), 89 die er als Bundesnomismus („covenantal nomism“)90 bezeichnete und folgendermaßen zusammenfasste:91 Gott hat Israel aus freier Güte erwählt und Israel die Erwählung angenommen. In seiner Rolle als ‚König‘, die ihm damit zukommt, gab Gott Gebote, die zu beachten Israel obliegt. Gerechter Herrscher, der er ist, belohnt Gott Gehorsam und bestraft Ungehorsam. Die Beziehung selbst ist durch ein Scheitern des menschlichen Partners an der Gehorsamsforderung aber nicht bedroht. Denn Gott selbst hat in der Tora die Möglichkeit der Umkehr und, gleichsam deren Ausdruck, Sühne vorgesehen. So gilt: „The intention and effort to be obedient constitute the condition for remaining in the covenant, but they do not earn it.“92 In griffiger Verdichtung kann Sanders auch schlicht von „the pattern of getting in (election) and staying in (obedience)“ sprechen.93 Erarbeitet anhand der umfangreicheren tannaitischen Literatur, suchte Sanders besagtes ‚Pattern‘ als die maßgebliche, die unterschiedlichen Formen des antiken Judentums in Palästina (Untersuchungszeitraum: ca. 200 v. Chr. bis 200 n. Chr.) verbindende Grundstruktur aufzuweisen.94 Angesichts dieses umfassenden Anspruchs verwundert es nicht, dass sein Ansatz kontrovers diskutiert wurde und wird. Als bleibender Ertrag hat sich dabei eine grundsätzlich gewandelte Perspektive auf das Judentum um die Zeitenwende ergeben.95 Die Kritik lässt sich in zwei wesentlichen Einwänden zusammenfassen, die jeweils auf die dem Ansatz erklärtermaßen innewohnende Tendenz der Generalisierung abheben. Einerseits verfahre Sanders zu systematisch; der Versuch, möglichst alle Aussage zur Sache in ein Modell zu integrieren, werde schon der komplexen Überlieferung der jeweiligen Corpora nicht gerecht. Für die rabbinische Literatur hat dies namentlich Friedrich Avemarie betont96 und damit ein angesichts der strukturimmanenten Vielstimmigkeit dieser Tradition wichtiges Caveat notiert.97 Andererseits sei der Anspruch, einen Interpretations-

89 

Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 12–24. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 236. 91  Meine Darstellung folgt Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 180; die oft zitierte Zusammenfassung in acht Punkten findet sich a. a. O., 422. 92  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 180 (Hervorhebungen im Original). 93  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 424. 94  Untersucht werden die Qumran-Schriften, Ben Sira, 1 Henoch, das Jubiläenbuch, die Psalmen Salomos und 4 Esra. 95  Dieses Ergebnis vermochte selbst das hyperkritische, von christlich-apologetischen Motiven nicht freie Unternehmen von Carson/O’Brien/Seifrid, Justification and Variegated Nomism, nicht in Abrede zu stellen. Eine konstruktive Weiterführung von Sanders’ Ansatz bietet die wichtige Untersuchung von Avemarie, Tora und Leben (zu seiner Kritik an Sanders s. im Folgenden), eine wirkungsgeschichtliche Bilanz Gathercole, Art. Covenantal Nomism, 496. Vgl. auch Sanders’ ­eigenes Fazit in Sanders, Covenantal Nomism Revisited. 96  Avemarie, Tora und Leben. 97 In methodologischer Hinsicht wird Avemarie dem strukturalistischen Ansatz und seiner Durchführung bei Sanders allerdings nicht ganz gerecht; vgl. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 12–18.69–75.423, mit Avemarie, Tora und Leben, 35. 90 

3.  Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur

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schlüssel für nahezu die gesamte jüdische Überlieferung der Zeit zu bieten, zu um­ fassend.98 An dieser Stelle geht es aber ohnehin nicht um Sanders’ Modell selbst, geschweige denn darum, ob es eine neue Perspektive auf Paulus bietet.99 Auch die durch diesen Vergleich vorprogrammierte Konzentration auf das eschatologische Heil des Einzelnen, die im Blick jedenfalls auf Teile der rabbinischen Überlieferung eine doppelte Engführung bedeutet, kann hier auf sich beruhen.100 Stattdessen steht lediglich, für uns aber entscheidend, der elementare Grundgedanke zur Diskussion, den Sanders ja auch keineswegs neu entdeckt, sondern gegen eine grotesk verzerrte Wahrnehmung des Judentums der neutestamentlichen Zeit durch die christlich dominierte Forschung101 lediglich erneut zur Geltung gebracht hat: Toragehorsam ist die Antwort Israels. Gegenstand der Diskussion ist dabei nicht das Judentum, sondern die rabbinische Literatur.102 Noch genauer, und noch näher an die in der vorliegenden Untersuchung verfolgte Fragestellung, soll es vornehmlich um die Auslegung der biblischen Überlieferung von Exodus und Gottesbergereignissen in den so genannten halachischen Midraschim gehen.103 Einerseits sind sie unmittelbar einschlägig für unser Thema. Andererseits liegt auf der Hand, dass diese ersten großen, bis heute maßgeblichen Kommentierungen der Ursprungsgeschichte Israels eine jedenfalls für die Mitglieder der Auslegungsgemeinschaft wirkmächtige, das Vorverständnis prägende Tiefenstruktur im beschriebenen Sinne104 darstellen.105 In der Mekhilta zu Ex 20,2 (MekhY Bahodesch 5) wird die Frage aufgeworfen, warum das Zehnwort (‫ )עשרת הדברות‬nicht schon am Anfang der Tora gegeben worden ist, und mit einem Gleichnis beantwortet:106 „Ich bin der Herr, dein Gott.“ Warum wurden die Zehn Gebote nicht am Anfang der Tora gesagt? Sie gaben ein Gleichnis. Womit kann dies verglichen werden? Mit einem König, der in eine Stadt kam und zu ihnen (den Einwohnern) sprach: Ich will König über euch sein! Sie 98  Dies ist der wohl vehementeste Widerspruch, den Sanders erfahren hat; statt vieler s. nur die neuere Studie von Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul. Nicht von ungefähr sah sich Sanders im Zuge der Diskussion um seinen Entwurf genötigt, das Konzept des „Common Judaism“ nachzuliefern, in dem, ohne Besonderheiten zu marginalisieren oder gar monolithische Uniformität zu postulieren, elementare Gemeinsamkeiten der jüdischen Strömungen der Zeit herausgearbeitet werden; s. dazu Sanders, Judaism, 45–314. 99  Zur jüngeren Diskussion s. Tilly, Antikes Judentum und frühes Christentum, 64–72. 100  Vgl. die Erwägungen bei Sanders, Covenantal Nomism Revisited, 26 und passim. 101 Vgl. Neusner, The Rabbinic Traditions about the Pharisees, Bd.  3, 359: „If I have neglected accounts of Pharisaism by non-Jewish scholars, the reason is that most are beneath criticism. What they lack are concern to portray the Pharisees accurately and dispassionately and willingness to abandon theological interests in favor of historical ones.“ 102  Zu den Gründen für diese Auswahl s. o., S.  30. 103  Zur Einleitung s. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 245–271. 104  Vgl. oben, S.  29. 105  Die folgende Diskussion orientiert sich an Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 82 ff. Ergänzend wurden die Untersuchung von Avemarie, Tora und Leben, sowie Urbach, The Sages, herangezogen. 106  Text bei Lauterbach, Mekilta de-Rabbi Ishmael, Bd.  2 , 229–230, Übersetzung JJK.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

sprachen zu ihm: Hast du irgendetwas Gutes für uns getan, dass du König über uns sein willst? Was tat er? Er baute für sie die Stadtmauer, besorgte für sie den Wasserzulauf und führte für sie Kriege. (Dann) sprach er (erneut) zu ihnen: Ich will König über euch sein! (Da) sprachen sie zu ihm: Ja! Ja! Ebenso Gott. Er führte Israel aus Ägypten heraus, spaltete für sie das Meer, ließ für sie das Manna herabkommen, ließ für sie den Brunnen heraufsteigen, ließ für sie die Wachteln herbeifliegen, führte für sie Krieg gegen Amalek. (Dann) sprach er zu ihnen: Ich will König über euch sein! (Da) sprachen sie zu ihm: Ja! Ja!

Alle Emphase liegt auf der Abfolge: Zuerst handelt Gott an Israel, ohne dass Israel dies in irgendeiner Weise verdient hätte. Daraufhin akzeptieren sie ausdrücklich seine Herrschaft: Ja! Ja! Dann erst werden die Gebote gegeben. Letzteres ist ja eben die Frage, die das Gleichnis beantwortet: Warum wurden die Zehn Gebote nicht am Anfang der Tora gesagt? In der Kommentierung von Ex 20,3 (MekhY Bahodesch 6), die sich in mancher Hinsicht wie die Fortsetzung des eben zitierten Gleichnisses liest, wird dies explizit bestätigt.107 Wieder wird das Bild eines Königs aufgerufen, der in eine Stadt kam. Seine Minister raten ihm, Dekrete über die Einwohner zu erlassen. Der König weist dieses Ansinnen zurück: Nein! (Erst) wenn sie meine Königsherrschaft (‫ )מלכותי‬auf sich genommen haben werden, werde ich Dekrete (‫ )גזירות‬über sie erlassen.108 Nach diesem Bild, legt der Midrasch dar, ist die Anrede Gottes an Israel, die das Fremdgötterverbot darstellt, zu verstehen: Ebenso sprach Gott zu Israel: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben.“ Ich bin der, dessen Königsherrschaft ihr in Ägypten auf euch genommen habt. – Sie sprachen zu ihm: Ja! Ja! – Und so, wie ihr meine Königsherrschaft auf euch genommen habt, nehmt (nun) auch meine Dekrete auf euch: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Kürzesten Ausdruck findet besagte Abfolge in einer viel zitierten Passage aus Mischna Berakhot (mBer 2,2).109 Die Stellung des Höre Israel (Dtn 6,4 ff.) vor Und es wird geschehen, wenn ihr hört (Dtn 11,13 ff.) wolle dazu anleiten, so Rabbi Josua ben Qorcha, zuerst (‫ )תחלה‬das Joch der Königsherrschaft Gottes (‫ )עול מלכות שמים‬auf sich zu nehmen und danach (‫ )אחר כך‬das Joch der Gebote (‫)עול מצות‬.110 Die Gehorsamsforderung steht in dieser Perspektive gerade nicht für sich, sondern ist auf die vorgängig gestiftete Gemeinschaft bezogen. Es besteht, mit der Begrifflichkeit der zugrunde liegenden biblischen Überlieferung gesprochen, eine integrale Verbindung von Bund und Tora,111 und zwar in dieser Reihenfolge. „Nicht die Tora ist hier die Grundlage des Verhältnisses zwischen Gott und Israel, vielmehr begründet Gottes Gnade diese Beziehung, und die Pflicht zur Erfüllung der Gebote folgt daraus

107 

Zum Folgenden s. Urbach, The Sages, 400. Text bei Lauterbach, Mekilta de-Rabbi Ishmael, Bd.  2, 237–238, Übersetzungen JJK. 109  Urbach, The Sages, 400; Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 85. 110  Text bei Holtzmann, Berakot (Gebete), 48; Übersetzung JJK. 111  Aus den oben, S.  32–33, dargelegten Gründen verwende ich hier und im Folgenden bewusst nicht den Begriff „Gesetz“. 108 

3.  Bundesnomismus in der frühen rabbinischen Literatur

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erst.“112 Gehorsam gegenüber den Geboten erweist sich so als Antwort. Er ist die Art und Weise, der Gottesgemeinschaft entsprechend zu leben: „keeping the ordinances of the king […] is the proper relationship between king and people“.113 Mit anderen Worten, das Tun der Tora ist das Bekenntnis zum Bund. Die Debatte, wie sachgemäß die Verwendung des Bundesbegriffs in Sanders’ Konzept des „covenantal nomism“ ist,114 hat zweifellos ihre Berechtigung.115 In diesem Fall – der Kommentierung des Dekalogs im Rahmen des den Ereignissen am Gottesberg gewidmeten Traktats Bahodesch der Mekhilta – ist sie jedoch müßig.116 In der Tat fehlt hier die Vokabel ‫ברית‬. Gegenstand ist aber die schlechterdings zentrale Bundesüberlieferung der Hebräischen Bibel, und diese wird in dezidiert theologischer Perspektive ausgelegt. Selbst wenn die Rabbinen den Begriff hier bewusst vermieden haben sollten, was keine Wahrscheinlichkeit für sich hat, so hätten sie doch einen Kommentar zur Sache geliefert. Die Rezipienten jedenfalls bedürfen nicht dieses Stichworts, um die angeführten Gleichnisse auf den Bundesschluss am Gottesberg zu beziehen.

Die eben skizzierte Sicht auf das Verhältnis von Bund und Tora lässt sich vertiefen und zugleich differenzieren anhand einer Reihe von Aussagen, die sich vor allem in Sifra zu Leviticus finden – und auf den ersten Blick die umgekehrte Abfolge zu belegen scheinen.117 Gebildet mit der geprägten Formel ‫ על תנאי כך הוצאתי אתכם‬unter dieser Bedingung habe ich euch herausgeführt, erklären sie jeweils Israels vom Standpunkt des Gottesbergs aus zukünftigen Gehorsam zur Grundlage des Exodus. So zum Beispiel im Kommentar zu Lev 19,36, dem Gebot rechter Maße (Sifra Qedoschim 8,10):118 „Ich bin der Herr, euer Gott, der ich euch aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe“ (Lev 19,36b). Unter dieser Bedingung habe ich euch aus dem Lande Ägypten herausgeführt: unter der Bedingung, dass ihr das Gebot der Maße auf euch nehmt (‫על תנאי שתקבלו עליכם מצות‬ ‫)מידות‬. Denn jeder, der sich bekennt zu dem Gebot der Maße, bekennt sich zum Auszug aus Ägypten (‫)שכל המודה במצות מידות מודה ביציאת מצרים‬, und jeder, der das Gebot der Maße leugnet, leugnet den Auszug aus Ägypten.

Hier wird zunächst deutlich, dass der oben gebrauchte Begriff des Bekenntnisses keineswegs an das Material herangetragen ist. Ebenso deutlich ist, dass dieses Bekenntnis in einem konditionalen Verhältnis steht zu der Rettungstat Gottes an Israel – und zwar, wie der Wortlaut zunächst nahelegen könnte, dem Verhältnis einer „Vorbedin112 

So mit Avemarie, Tora und Leben, 177 (unter Bezug auf das oben zitierte Gleichnispaar). Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 85–86. 114 Vgl. Segal, Covenant in Rabbinic Writings; Schiffman, The Rabbinic Understanding of Covenant. 115  Auch hier besteht die Gefahr, die Vorsilbe ‚Bund-‘ nicht für ein spezifisches Phänomen, sondern als „beinahe allfällige Verstehens- und Einordnungschiffre“ zu verwenden, um den „konkreten Erscheinungen“ der Religionsgeschichte erst das „passende Gesicht“ zu geben – „unabhängig davon, ob sie dessen bedürfen oder nicht.“ (Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 1–2). 116 Gegen Avemarie, Tora und Leben, 177, Anm.  83. 117  Zum Folgenden s. neben Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 92–95, vor allem Avemarie, Tora und Leben, 457–462, vgl. Urbach, The Sages, 385–387. 118  Text bei Weiss, ‫ספרא דבי רב‬, ‫ ;צא‬Übersetzung JJK im Anschluss an Winter, Sifra, 518. 113 

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gung“.119 Sieht man genauer zu, verhält es sich aber genau umgekehrt. Nicht nur, dass „Gott sein Werk längst vollbracht hat“;120 vielmehr gilt alle Aufmerksamkeit der Frage, wie sich Israel zu diesem zu seinen Gunsten vollbrachten Werk verhalten kann und soll. Die mit ‫ על תנאי כך‬formulierten Aussagen geben an, wie Israel den Exodus und die durch ihn begründete Herrschaft Gottes bejahen kann121 – nämlich durch die Bejahung der Gebote, das ‚Bekenntnis‘ zu ihnen, also die entschiedene Absicht, diesen Geboten zu gehorchen. Ebenso klar ist das Gegenteil: Ein Gebot zu ‚leugnen‘ bedeutet, den Exodus und damit die Herrschaft Gottes zu leugnen; „‚denying‘ a commandment indicates a denial of God’s kingship and wilful and intentional disobedience.“122 Nicht eine Bedingung für den Bund wird also formuliert, sondern für das Bleiben in ihm. „The point is not that obeying a commandment, or even all the commandments, earned the exodus, but that God accomplished the exodus so that Israel might obey the commandments and that God made the condition for remaining in the covenant the free intent to obey the commandments“.123 Auch und gerade an den Unter-dieser-Bedingung-Aussagen bewährt sich also die griffige Kurzformel zum Verhältnis von Bund und Tora: Es geht nicht um Getting in, sondern um Staying in. Damit könnten sie freilich einem anderen Missverständnis Vorschub leisten: „that God would cancel the covenant if its conditions were not fulfilled“.124 Ist der Bund gebrochen, wenn Israel seinen Bundesgehorsam schuldig bleibt? In der Mekhilta wird dieser denkbare Einwand gleich zu Beginn, nämlich in der Kommentierung von Ex 19,2 (MekhY Bahodesch 1) aufgenommen und entkräftet. Die Rabbinen diskutieren dort die Bedeutung des im Kontext schwierigen (möglicherweise auf einen Fehler in der Textüberlieferung zurückgehenden) Wortlauts von Ex 2,25b. Rabbi Elieser ben Rabbi Jose legt ihn im Namen von Abba Jose, dem Sohn des Damaszeners, folgendermaßen aus:125 „Und Gott sah die Israeliten“ (Ex 2,25a), (nämlich) dass sie ihn in Zukunft erzürnen würden, „und er erkannte“ (Ex 2,25b), (nämlich) dass sie ihn in Zukunft schmähen würden. Aber bei alledem, warum? Aufgrund der Kraft der Umkehr (‫)כח התשובה‬, die groß ist.

Gott sieht voraus, dass Israel ihm untreu werden wird.126 Dennoch steht er seinerseits treu zu Israel. Das setzt Rabbi Elieser mit seiner Frage ‫ וכל כך למה‬Aber bei alledem, warum? voraus.127 Zur Begründung verweist er auf die Kraft der Umkehr, die ander119 

So bringt Avemarie, Tora und Leben, 460, die Problemstellung auf den Punkt. Avemarie, Tora und Leben, 461. 121  Urbach, The Sages, 386: „The acknowledgement of the exodus from Egypt means the acceptance of the yoke of the kingdom of Heaven“. 122  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 93. 123  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 93 (Hervorhebungen im Original). 124  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 95. 125  Text bei Lauterbach, Mekilta de-Rabbi Ishmael, Bd.  2 , 196–197; Übersetzung JJK. 126  Vgl. Dtn 31,16. 127  Lauterbach, Mekilta de-Rabbi Ishmael, Bd.  2 , 197, Anm.  7, paraphrasiert treffend: „why was so much leniency shown them?“ 120 

4.  Das Vorverständnis hinterfragen

45

norts in der rabbinischen Literatur geradezu hymnisch gepriesen werden kann.128 Sanders, der diese Rede von der Umkehr (‫ )תשובה‬mit Recht in den Mittelpunkt stellt, verbindet sie innerhalb seines Modells nun noch mit der in der Tora selbst eröffneten Möglichkeit der Sühne als eines Mittels, die gestörte Beziehung wieder zurecht zu bringen.129 Diese letzte Systematisierung mag hier auf sich beruhen.130 Auch ohne sie kann festgestellt werden: „[A]lthough God would punish disobedience and although intentional rejection of God’s right to command implied rejection of the covenant, the Rabbis did not have the view that God’s covenant with Israel was conditional on obedience in the sense that the covenantal promises would be revoked by God be­ cause of Israel’s sin.“131 Vielmehr bildet die Gewissheit, dass Gott an der Erwählung festhalten wird, die Grundlage aller Erwägungen – was seinen vielleicht deutlichsten Ausdruck darin findet, dass diese Frage die Rabbinen allenfalls am Rande beschäftigte, im Unterschied zu der anderen, die Halacha aus sich heraussetzenden Frage, wie Israel an der Erwählung festhalten und ihr entsprechen könne. Insgesamt arbeitet die als Bundesnomismus bekannt gewordene Perspektive auf die frühe rabbinische Literatur – an dem Begriff hängt wenig, umso mehr dafür an der Verhältnisbestimmung von Bund und Tora, die er abbildet – einen elementaren Grundgedanken heraus, der in hermeneutischer Hinsicht von Interesse für die hier verfolgte Frage nach der konditionalen Struktur bundestheologischer Konzeptionen ist. Er besteht in der asymmetrischen und zugleich reziproken Grundstruktur: Gott handelt zuerst an Israel, erst auf dieser Grundlage, nämlich antwortend, handelt Israel. Weil dabei die Bedeutung dieser Antwort beziehungsweise die Funktion der Gehorsamsforderung, die die rabbinischen Zeugnisse nicht weniger klar zum Ausdruck bringen, ebenso ernst genommen wird, bietet diese Perspektive einen Ansatz, um zu der dringend gebotenen Differenzierung des Begriffs der Konditionalität selbst zu kommen. Denn so deutlich die Rabbinen den Bund als ein konditionales Verhältnis verstehen, so deutlich ist auch, dass es nicht der Bund selbst ist, der unter der Bedingung steht, sondern – noch einmal mit Sanders gesprochen – das Bleiben in ihm.

4.  Das Vorverständnis hinterfragen Paulus und die tannaitischen Rabbanim – je auf ihre Weise begründen und prägen sie die religiöse Identität von Christen und Juden. Ihre Blickwinkel auf die biblischen Bundeskonzeptionen sind so zu unseren Perspektiven geworden. Sie einfach auszu-

128 

Vgl. die Zusammenstellung bei Urbach, The Sages, 462–471 („The Power of Repentance“). Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 147 ff. 130  Um sich ihre Schwierigkeiten vor Augen zu führen, genügt es, die bei Urbach, The Sages, 463–465, angeführten Positionen zu vergleichen. 131  Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 97. 129 

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II.  Hermeneutische Perspektiven

blenden ist weder möglich, noch wäre es wünschenswert.132 Einerseits ist der Bezug zu dem biblischen Zeugnis, den wir überhaupt nur durch die mit der frühen nach­bib­ lischen Tradition einsetzende Überlieferung gewinnen, in religionsgeschichtlicher Hinsicht schlechterdings grundlegend und selbst Gegenstand der gelebten Religion. Andererseits, und das ist in exegetischer Hinsicht von Belang, können frühe nach­bib­ lische Aufnahmen biblischer Texte und Themen, wie sie uns im Neuen Testament, der Mischna oder den tannaitischen Midraschim überkommen sind, in heuristischer Hinsicht durchaus wichtige Hinweise für die historische Frage nach diesen Texten und Themen selbst bieten. Ein gelungenes Beispiel für einen solchen Zugang gibt Volker Haarmann mit seiner Neubewertung jener alttestamentlichen Erzählungen, die in der Forschung bisher als früheste Belege für das in rabbinischer Zeit gut bezeugte Phänomen des Proselytismus gewertet worden sind.133 Die von ihm stattdessen vorgeschlagene und am alttestamentlichen Material bewährte Kategorie der Jhwh-Verehrer der Völker (vor allem Ex 18,1–12: Jitro; Jos 2: Rahab; 2 Kön 5: Naaman; Jon 1: die Seeleute)134 gewinnt Haarmann in Auseinandersetzung mit einschlägigen halachischen Differenzierungen, die ihm als „heuristisches Korrektiv“ zu einer kritischen Einschätzung der herkömmlichen Kategorisierung verhelfen.135 Aus diesen Gründen kann und soll es hier nicht darum gehen, Vorverständnisse im beschriebenen Sinne auszublenden oder gar auszuschalten. Sehr wohl aber geht es darum, sich ihrer allererst bewusst zu werden, sie kritisch zu reflektieren und dann reflex zu halten, um ihren Einfluss auf die exegetische Arbeit kontrollieren zu können – nicht nur, aber gerade auch dort, wo dieser Einfluss, statt zu textgemäßen Auslegungen, zu Eintragungen zu führen droht. Einem wie auch immer gearteten Vorverständnis entkommt der Exeget nicht. Er kann es allenfalls ignorieren, ermöglicht ihm dadurch jedoch nur, seinen Einfluss gänzlich ungehindert auszuüben. In diesem Sinne beschreibt Frank Crüsemann die nachdrückliche Betonung der Standortgebundenheit biblischer Exegese durch James Barr136 als „Bedingung der Möglichkeit […], solche hermeneutischen Vorgegebenheiten samt ihren Gefangenschaften stärker als bisher überhaupt wahrzunehmen, sie zuzugeben statt zu leugnen, sie zu explizieren, um sie bearbeiten zu können.“137 132 So Blum, Volk oder Kultgemeinde, 214, unter Bezug auf seine oben, S.  28, zitierte Feststellung der „Unmittelbarkeit der Sache zum Selbstverständnis derer, die sie analysieren“. 133  Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker. 134  Zu der Erzählung von Ruths Integration in Israel, in der Haarmann ein alternatives Modell findet, s. Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 255–272. 135  Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 27. Vgl. auch die von ihm zitierte Methodendiskussion bei Moberly, How Appropriate is ‚Monotheism‘ as a Category for Biblical Interpretation, 218: „[I]t is neither possible nor desirable to try to interpret the Bible without making heuristic use of post-biblical categories […] What matters is less whether the category is biblical or post-biblical than whether it (negatively) does not force the biblical content into inappropriate moulds but (positively) enables penetrating grasp of the nature and content of the biblical text; and this, in turn, is a matter not only of the category in itself but of the way in which it is used in practice.“ 136  S. o., S.  28, unter Bezug auf Barr, The Concept of Biblical Theology. 137  Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 74.

4.  Das Vorverständnis hinterfragen

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Barr selbst will freilich mehr und vor allem anderes, er will aus der Not eine Tugend machen, indem er kurzerhand dafür plädiert, der luzide analysierten Faktizität normative Geltung beizulegen. Aus der von ihm wahrgenommenen Unmöglichkeit einer (christlichen) biblischen Theologie auf Grundlage der Bibel allein zieht er den Schluss,138 sich bei diesem Unterfangen von vornherein und erklärtermaßen von nachbiblischen, in erster Linie altkirchlichen dogmatischen Weichenstellungen leiten zu lassen (inspiriert an dem analogen Zugang zu einer „positiven“ jüdischen Theologie des Alten Testaments, den Matitiahu Tsevat gesucht hat139). Diesen Versuch hat Crüsemann mit Recht entschieden zurückgewiesen. „Wird aus der konkreten Situation eines unhintergehbaren hermeneutischen Standpunktes einschließlich seiner Begrenztheit ein theologisches Programm, dann hat das verheerende Konsequenzen“, argumentiert er und illustriert dies mit einem biblischen Bild: „Wenn die Gefängnisgitter zum stützenden Stab erklärt werden, wird dieser durch die Hand dringen“ (vgl. Jes 36,3).140 Was auf der Strecke bliebe, so Crüsemanns Gegenthese, wäre nicht weniger als „die Erneuerungsfähigkeit von christlicher Theologie und christlicher Kirche“, die ihre Kraft immer wieder gerade aus der Spannung von Schrift und Tradition bezogen hat.141

Die vornehmste Aufgabe des Exegeten muss daher lauten, allfällige Vorverständnisse, anstatt sie zu Verständnissen zu erklären,142 zu hinterfragen,143 eingespielte „Lesemuster“ als solche zu erkennen, auf ihre Textgemäßheit zu prüfen und – wo nötig – zu verändern.144 Es geht dabei, noch einmal mit Gadamer gesprochen, um „die eigentlich kritische Frage der Hermeneutik“: darum „die wahren Vorurteile, unter denen wir verstehen, von den falschen, unter denen wir mißverstehen, zu scheiden.“145 Wie kann es gelingen, derart das eigene Vorverständnis zu hinterfragen? Am ehesten, indem es konfrontiert wird mit dem des Anderen: im Gespräch über die Grenzen der Auslegungsgemeinschaft hinweg.146 Erhard Blum, der dies mit Nachdruck betont,147 formuliert damit eine Erfahrung des christlich-jüdischen Dialogs.148 Das „Selbstverständnis des Anderen“, so sein mit Beispielen aus der neueren alttesta138  Dezidiert in seinem Beitrag zu einer Gerhard von Rad gewidmeten Gedenkveranstaltung: Barr, Some Problems in the Search for a Pan-Biblical Theology; vgl. ders., The Concept of Biblical Theology, 581–585. 139  Tsevat, Theology of the Old Testament; ders., Theologie des Alten Testaments – eine jüdische Sicht (das Zitat a. a. O., 337), konstruktiv aufgenommen bei Barr, The Concept of Biblical Theology, 581; ders., Some Problems in the Search for a Pan-Biblical Theology, 33. 140  Beide Zitate bei Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 74, dort unter Aufnahme seiner Response in ders., Über die Schrift hinaus, 47. 141  Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 75 (im Original hervorgehoben); ders., Über die Schrift hinaus, 48. „Offenbar ist diese Spannung geradezu ein Einfallstor für den Geist“, fährt er emphatisch fort (ebd.). 142 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, 304 und passim, zum hermeneutischen Verhältnis von „Vorurteil“ und „Urteil“. 143  So mit Blum, Das Vorverständnis hinterfragen. 144 Vgl. Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 23 (dort auch das Zitat), der eben darin „die eigentliche hermeneutische Herausforderung“ sieht. 145  Gadamer, Wahrheit und Methode, 304 (Hervorhebungen im Original). 146  Ähnlich auch Levin, Rezension zu Walter Groß, Zukunft für Israel, 326–327. 147  Blum, Das Vorverständnis hinterfragen. 148  Konzipiert als Beitrag zu Petschnigg/Fischer, Der ‚jüdisch-christliche‘ Dialog veränderte die Theologie.

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II.  Hermeneutische Perspektiven

mentlichen Forschung untermauertes Fazit, ist „die verlässlichste Hilfe, um eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.“149 In diesem Sinne stehen hier zwei hermeneutische Perspektiven nebeneinander. Wie das Gespräch über die Grenzen seiner Auslegungsgemeinschaft hinaus den Verfasser der vorliegenden Untersuchung geprägt, was es ihm fraglich werden lassen und welche neuen Sichtweisen auf die alttestamentlichen Konzeptionen des Bundes es ihm eröffnet hat, ist – gelegentlich ausdrücklich, weitaus öfter noch zwischen den Zeilen – in den folgenden exegetischen Kapiteln nachzulesen.

149  Blum, Das Vorverständnis hinterfragen, 226. S. auch Rendtorff, Was ist neu am neuen Bund, 36, und vgl. noch einmal Gadamer, Wahrheit und Methode, 302–304 mit Anm.  228, der die entscheidende Rolle betont, die Abstand – auch, aber nicht allein zeitlicher Abstand – bei der Lösung der besagten hermeneutischen Frage spielt.

III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption Die These des vorliegenden Kapitels ist bereits in der Überschrift benannt: Der Bund ist konditional strukturiert – auch nach der priesterlichen Konzeption. Auch nach priesterlichem Verständnis korrespondiert Gottes gnädiger Zuwendung eine Gehorsamsforderung an sein Volk. Vor dem Hintergrund der gegenläufigen, seit über ­einem halben Jahrhundert in Geltung stehenden und breit geteilten Mehrheitsmeinung der Forschung hebt sich diese These deutlich genug ab. Begründet liegt sie in der priesterlichen Bundesüberlieferung schlechthin, der Erzählung, wie Jhwh dem Ahnvater Abraham seinen Bund mit Israel gewährt. Sie bewährt sich aber auch an anderen, überlieferungsgeschichtlich in der Regel anders eingeordneten Bestandteilen der priesterlichen Tradition im Pentateuch. Die Belege werden daher je für sich, dann aber auch in ihrem Zusammenhang befragt. Zunächst jedoch bedarf die These der Präzisierung und einer forschungsgeschichtlichen Herleitung.

1. These Der Bund ist konditional strukturiert, auch nach der priesterlichen Konzeption. Das heißt: Jhwhs Bund umfasst eine an Israel gerichtete Gehorsamsforderung, und diesem Gehorsam kommt wesentliche Bedeutung für die etablierte Beziehung zu. Das heißt aber zugleich: In dieser Hinsicht steht die priesterliche Überlieferung nicht, wie allgemein angenommen, in diametralem (und bewusst kalkuliertem) Gegensatz zur deuteronomistischen. Über diesen vermeintlichen Gegensatz herrscht indes weitgehende Einmütigkeit, ja annähernd ein Konsens in der alttestamentlichen Wissenschaft. Während die deuteronomistische Bundestheologie als ‚konditioniert‘ beschrieben wird – Stichwort: Vertrag –, gilt es gemeinhin als Pointe der priesterlichen, dass sie ganz und gar ‚unkonditioniert‘ sei – Stichwort: Gnade. Und diese Pointe der priesterlichen Bundestheologie sei konzipiert als Reaktion auf die deuteronomistische, genauer gesagt als deren „Korrektur“, wie Norbert Lohfink suggestiv formulieren konnte.1 Welches Problem will P dieser Auffassung zufolge lösen, und wie? Es gehe um die Gehorsams1  Lohfink, Der Begriff ‚Bund‘ in der biblischen Theologie, 166. „In diesem Gegensatz zweier Literaturwerke und ihrer theologischen Grundpositionen bahnt sich die (paulinische) Rechtferti-

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

forderung beziehungsweise ihre Ausschaltung, dank derer Israel gar nicht mehr in der Lage sei, den Bund zu brechen – um die völlige „Entkopplung“ des Bundes vom Tun und Lassen des menschlichen Partners.2 Denn eben diese Abhängigkeit der „Valenz“ des Bundes vom Bundesgehorsam des menschlichen Partners3 sei der „unheilbare“ Fehler der vorausliegenden deuteronomisch-deuteronomistischen Konzeption gewesen.4 Auch in dieser Hinsicht könne man „den Gegensatz zwischen P-Tradition und D-Tradition nicht scharf genug profilieren“,5 fasst Ernst Axel Knauf zusammen: „Die ‫ ברית‬von D ist ein Vasallitätsvertrag, in dem Jhwh dem Volk Israel ein Land verleiht mit der Gegenleistung, sein Gesetz zu halten. Israel kann seinen Teil des Vertrages brechen und dadurch des Landes verlustig gehen. Die ‫ברית‬ ist bei P eine einseitige Setzung Gottes allein aus Gnaden, zu der eine menschliche Mitwirkung weder nötig noch überhaupt möglich ist und die darum auch vom Menschen aus nicht infrage gestellt werden kann.“6 Die forschungsgeschichtliche Herkunft dieser längst zum Lehrbuchwissen avancierten Sicht der Dinge muss uns gleich noch beschäftigen (Kap. III.2). Hier bereits sei aber an die skeptische Anfrage von Erich Zenger erinnert. Ihm schien „die These, P wolle eine Korrektur der dt/dtr Bundestheologie bieten, noch nicht der theologischen Weisheit letzter Schluß zu sein.“7 Die damit festgehaltene Fragestellung ist bislang unbearbeitet geblieben, ihr gehen wir im Folgenden nach. Dabei soll, in geradem Gegensatz zu der eben umrissenen communis opinio, gezeigt werden, dass der priesterliche Bund durchaus das Element der Bedingung kennt. Gewonnen ist diese Auffassung aus zwei Blickwinkeln. Einerseits legen klare Befunde in den einschlägigen priesterlichen Überlieferungen selbst (Kap. III.3 und III.4) und ihrem Zusammenhang (Kap. III.5) sie nahe. Andererseits und an erster Stelle deutet, gleichsam als Anfangsverdacht, eine elementare Erwägung zur pragmatischen Plausibilität einer gungsproblematik an“, führt er weiter aus (ebd.). Vgl. grundlegend ders., Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 165. 2  So besonders pointiert, der Sache nach aber ganz repräsentativ Schmid, Zeit und Geschichte als Determinanten biblischer Theologie, 313: „Durch sein Tun oder Lassen kann Israel das Fortbestehen dieses Bundes [sc. nach Gen 17] weder fördern noch beeinträchtigen – die göttliche Bundeszusage und das Verhalten Israels sind priesterschriftlich völlig entkoppelt.“ 3  Mit der Formulierung von Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 450. 4  Vgl. die Diagnose bei Gross, Zukunft für Israel, 47. 5  Knauf, Die Priesterschrift und die Geschichten der Deuteronomisten, 101. 6  Knauf, Die Priesterschrift und die Geschichten der Deuteronomisten, 102. Schmid, Zeit und Geschichte als Determinanten biblischer Theologie, beschreibt diese „dem Deuteronomismus diametral entgegengesetze Position“ (a. a. O., 315) als dezidiertes „Gegenkonzept“ (a. a. O., 313). Vgl. zuletzt etwa noch Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20, dem zufolge die „besondere[…] Gestalt“ des priesterlichen Abrahambundes nur als „Antwort“ auf die deuteronomistische Bundestheologie und deren Vertragsbruch-Theodizee erklärt werden kann. – Zur kritischen Rückfrage, ob die Auffassung der deuteronomisch-deuteronomistischen Bundestheologie, die sich in der Interpretation der priesterlichen als ihrer Korrektur und Lösung eines ungelösten Problems spiegelt, dem Sachverhalt im Deuteronomium überhaupt gerecht wird, s. u., Kap. IV.1 und IV.2. 7  Zenger, Die Bundestheologie, 39.

2.  Sinaibund und Abrahambund?

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mutmaßlichen bedingungslos konzipierten Bundestheologie in diese Richtung (dazu in Kap. III.2). Im Licht der skizzierten Diskussion drängt sich freilich zugleich die Frage auf, was die gängigen, mit dem Schlagwort ‚Kondition‘ gebildeten kategorialen Etikettierungen überhaupt aussagen – mit anderen Worten, was eigentlich unter der Bedingung steht, von der hier die Rede ist. Eben darum soll es in den folgenden exegetischen Untersuchungen gehen.

2.  Sinaibund und Abrahambund? Dass eine schon von den Zeitgenossen im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert widerlegte8 Behauptung zum nahezu obligatorischen Auftakt bei der Behandlung eines Themas avanciert, ist ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Im Fall der priesterlichen Bundestheologie ist aber genau dies geschehen: Kaum ein Beitrag zur Sache, der nicht eröffnet mit einer Referenz an Julius Wellhausens Bezeichnung des „Priesterkodex“ als Liber quatuor foederum und der darin zum Ausdruck gebrachten Wahrnehmung, P sei durch vier Bundesschlüsse strukturiert.9 Die griffige Formel wird nicht ohne Grund so gern angeführt. Denn wie so oft haben Wellhausens scharfe Augen Wesentliches gesehen: dass wir nämlich, bei aller unbestreitbaren und schlechterdings grundlegenden Bedeutung, die der deuteronomistischen Überlieferung für die Ausbildung des Gedankens im Pentateuch zukommt, die umfassende bundestheologische Prägung des gesamten Pentateuch erst der priesterlichen Überlieferung verdanken. Hier erst wird die Rede vom Bund so ausgeweitet, dass nun tatsächlich die gesamte Ursprungsgeschichte Israels – Stichwort: Abrahambund – und sogar aller Lebewesen auf Erden – Stichwort: Noahbund – unter diesem Vorzeichen zu stehen kommt.10 Umso mehr muss aber ins Auge stechen, dass gerade am Sinai – ausgerechnet dort, wo der Bund zwischen Jhwh und Israel traditionell verortet wird – die priesterliche Überlieferung in dieser Hinsicht eigentümlich wortkarg bleibt. Der Bundesschluss am Gottesberg wird von ihr nicht mit eigenen Worten erzählt. Beinahe könnte man meinen, sie kenne ihn gar nicht.11 Diese Beobachtung hat Walther Zimmerli in seinem klassisch gewordenen Aufsatz von 1960 zugespitzt zu der These: Die priesterliche Überlieferung kennt keinen Bundesschluss am Sinai – weil sie ihn nicht kennen

8 Vgl.

Stade, Biblische Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 345. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 1 (mit dem entsprechenden Siglum Q); ders., Prolegomena zur Geschichte Israels, 293 ff. 10  Treffend bezeichnet daher von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 63, P als den „Bundestheologen schlechthin“. 11  So hat in der Tat Crüsemann, Die Tora, 63–65, die alte Crux zu erklären versucht. S. ferner Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, 70–101. 9 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

will. P hat den Sinaibund mit voller Absicht „eliminiert“, wie er mehrfach wörtlich wiederholt.12 Diese „revolutionäre[…] Umzeichnung der Sinaitradition“13 geschieht, so die Annahme, nicht allein unter dem lastenden Schatten der geschichtlichen Katastrophe Judas, sie geschieht vor allem angesichts deren geschichtstheologischer Deutung durch die deuteronomistische Bundestheologie. Mit Hilfe letzterer konnte die Vergangenheit erklärt und Jhwh gerechtfertigt werden.14 Aber was ist mit der Zukunft, was ist mit Israel?15 Führt nicht die geschichtstheologische Erklärung der Vergangenheit mit der Schuld Israels in eine Sackgasse, aus der für das Volk kein Weg mehr in die Zukunft führt?16 „Israel konnte die Sinai-Berit brechen und hat sie gebrochen, weil sie an die Bedingung menschlichen Gehorsams geknüpft wurde.“17 Steht nicht zu befürchten, dass sich eben dies in Zukunft wiederholt?18 Das ist das Problem, dessen Lösung Zimmerli in der „Eliminierung“ des Sinaibundes sah. An die Stelle des konditionierten Sinaibundes, dessen Verheißung an die Bedingung menschlichen Gehorsams geknüpft ist, habe P ein ganz anderes Konzept gesetzt: das Konzept eines unkonditionierten Bundes, eines, wie Zimmerli einflussreich formulierte, „reine[n] Gnadenbund[es]“19 – das Konzept des Abrahambundes. Dieser Bund, in dem Jhwh nichts fordere, sondern nur verheiße – er sei die Lösung der priesterlichen Theologie. Nicht mehr in Israels Gehorsam, in Jhwhs Gnade allein soll der Bund künftig gründen.20 Zimmerlis These erfuhr von Anfang an eine enorme Rezeption und wurde vielfach aufgenommen.21 Bis heute steht sie ungebrochen in Geltung,22 wie bereits der Blick in die aktuellen Referenzwerke belegt. So erläutert etwa Jörg Jeremias, indem P allein vom Abraham-, nicht aber vom Sinaibund spreche, solle jede Abhängigkeit der so gefassten Gottesbeziehung von Israels eigenem Verhalten ausgeschlossen werden.23

12 

Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 212 und passim. Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 208. 14  S. dazu unten, Kap. IV.2. 15 S. Gross, Zukunft für Israel, 40, und Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20–21. 16  Vgl. die Rede von der „Aporie des alten Sinaibundes“ bei Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, 274. Von einer „Sackgasse“ sprechen Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 120, und Konkel, Vergebung ohne Umkehr, 71. 17  Gross, Zukunft für Israel, 47. S. auch Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament, 17. 18 Vgl. Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament, 17. 19  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 215. 20  So im Anschluss an Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 166 (unter Bezug auf Zimmerlis These). 21  Früh zum Beispiel durch Smend, Die Bundesformel, 36. 22  S. o., Kap. III.1. Vgl. etwa noch das Referat neuerer Beiträge bei Dozeman, Essays on the Pentateuch and Jeremiah. 23  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 250, Anm.  12, a. a. O., 312 und passim. Entsprechend Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 450.452, und Schmid, Theologie des 13 

2.  Sinaibund und Abrahambund?

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In diesem „bedingungsfreien“ priesterlichen „Gnadenbund“24 gebe es nichts zu vergelten, weil kein Gehorsam geboten wurde.25 Er könne daher von Israel gar nicht gebrochen werden.26 Diese von Zimmerli begründete Auffassung hat sich, wie Christophe Nihan zutreffend konstatiert, als nahezu einmütig geteilter Konsens etabliert.27 Zu der eindrücklichen Karriere der These trug nicht zuletzt bei, dass sie aus unterschiedlichen Richtungen bestätigt zu werden schien. So zum einen durch Moshe Weinfelds breit rezipierten Vorschlag, einen „verheißenden“ und einen „verpflichtenden Typ“ des Bundes im Alten Testament zu unterscheiden und beide auf altorientalische Vergleichsgrößen zurückzuführen.28 Während Weinfeld für den vom Sinaibund repräsentierten „verpflichtenden Typ“ und seine Herkunft vom politischen Vertrag lediglich auf die kurz zuvor erschienenen Untersuchungen von George Mendenhall, Klaus Baltzer und Dennis McCarthy sowie sein eigenes, im Erscheinen begriffenes Buch zu verweisen brauchte,29 galt seine Konzentration dem in Abrahamund Davidbund wahrzunehmenden „verheißenden Typ“. Dieser finde, so Weinfeld, sein formgebendes Vorbild im Formular der königlichen Schenkung. Die dezidierte Charakterisierung dieses Vorbilds als unkonditioniert30 wurde weithin als komparative Bestätigung der entsprechenden Deutung biblischer Bundeskonzeptionen gewertet.31 Zum anderen ist hier die Argumentation bezüglich eines sich förmlich aufdrängenden Einwands zu nennen – insofern sie ausdrücklich darauf zielt, eine offene Flanke der These vom priesterlichen Gnadenbund zu schließen. Der Einwand lautet: Auch bei seinem Bund mit Abraham erhebt Jhwh doch eine Forderung, und sogar eine besonders prominente (Gen 17,9–14). Und diese wird auch sogleich mit einer drastischen Sanktion bewehrt: Ein männlicher Unbeschnittener aber, der sich nicht beschneiden lässt am Fleisch seiner Vorhaut, der soll ausgerottet werden aus seiner Sippe; meinen Bund hat er gebrochen. (V.  14). Darauf haben in neuerer Zeit namentlich Walter Groß und Hermann-Josef Stipp aufmerksam gemacht.32 Gleichwohl weiAlten Testaments, 133–134.302. Vgl. in dieser Hinsicht auch Kaiser, Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt, 105–106.107. 24  Beide Zitate bei Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, 150. 25  Vgl. zuletzt etwa Wöhrle, Abraham amidst the Nations, 23–24. 26  So ausdrücklich Rüterswörden, Art. Bund. Vgl. auch Konkel, Vergebung ohne Umkehr, 69. 27  Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 93: „It is not excessive to state that Zimmerli’s view is consistently presupposed in most of the works on P that have appeared in the past decades.“ Zu den auch von Nihan besprochenen abweichenden Voten s. im Folgenden. 28  Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East; vgl. ders., Art. ‫ ְּבִרית‬, 799 (hier auch die Zitate). 29  Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East, 184. Zur Sache und den Literaturangaben s. o., S.  6. 30  Weinfeld, The Covenant of Grant in the Old Testament and in the Ancient Near East, 189. 31  S. das kritische Referat bei Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant. Vgl. etwa noch Levenson, The Davidic Covenant and Its Modern Interpreters. 32  S. schon Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 102.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

sen sie die Gnadenbund-These nicht zurück, im Gegenteil.33 Zimmerli habe im Grunde Recht, P wolle in der Tat ausschließen, dass der Bund künftig wieder an mangelndem Gehorsam des Volkes scheitere. Um dieses Ziel zu erreichen, werde der Bundesbruch in Gen 17 konsequent individualisiert. Nicht mehr Israel insgesamt gelte die angedrohte Sanktion, sondern dezidiert nur noch dem einzelnen Bundesbrüchigen.34 „Damit“, so Stipp, „verschiebt die Priesterschrift den Bundesbruch samt seiner Folgen in die individuelle Sphäre, während auf kollektiver Ebene keine Kata­ strophe des Gottesverhältnisses mehr ins Auge gefasst wird.“35 Die Forderung der Beschneidung samt ihrer Sanktionierung „bestätigen“ also, wie er resümiert, „jene, die Gen 17 als reinen Gnadenbund begreifen“.36 Zu diesem Ergebnis kommt auch Christophe Nihan in seiner gründlichen Studie37 und reiht sich damit, bei Differenzierungen im Detail, selbst in den von ihm treffend konstatierten Konsens ein.38 In erster Linie lebt die These eines „reinen Gnadenbundes“ aber von einer ebenso elementaren wie wichtigen Textwahrnehmung. In der Tat liegt der Ton in Gen 17 auf dem Anliegen, die Adressaten der Unverbrüchlichkeit des Bundes zu versichern. P geht es hier, mit Jeremias geredet, um die „Gewissheit der Glaubenden.“39 Dafür sprechen markante Merkmale der Gestaltung, zuerst und vor allem die ausgeprägte Betonung der Theozentrik des Geschehens, die besonders augenfällig zum Ausdruck kommt in der konsistenten, das Kapitel in allen seinen Teilen zusammenhaltenden Rede Jhwhs von seinem Bund (‫ ;)בריתי‬dann auch in dem von den priesterlichen Tradenten aufgenommenen und als Schlüsselwort eingesetzten Begriff eines dauerhaften, unverbrüchlichen, ewigen Bundes (‫ ברית עולם‬in Gen 17,7.13.19). Letztere Beobachtung bedarf freilich, das sei hier bereits notiert, dringend der Differenzierung.40

33 Zum Folgenden s. Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 114; ders., Zukunft für Israel, 61, und Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen. 34 Ausgearbeitet wurde diese Argumentation im Gespräch zwischen Walter Groß und Hermann-Josef Stipp, vgl. Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 121, Anm.  7, und Gross, Noch einmal: Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, 69 und 72–73. Jedenfalls der Ansatz findet sich aber schon in der älteren Diskussion, etwa bei Elliger, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung, 190, oder auch Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, 46, selbst. Vgl. des Weiteren die Hinweise bei Gross, Zukunft für Israel, 61, Anm.  38; ders., Noch einmal: Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, 70–72. 35  Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 134. „[D]aß ganz Israel die Berit-Verheißungen Land und Gottesverhältnis ablehnen könnte, hat P gar nicht einkalkuliert,“ muss Gross, Zukunft für Israel, 61, im Zugzwang dieses Gedankens weiter postulieren. 36  Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 135. 37  Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 101–103. 38  S. o., Anm.  27. Der These einer gezielten Individualisierung des Bundesbruchs in Gen 17,14 haben sich zuletzt auch Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20, und Konkel, Vergebung ohne Umkehr, 69–70, angeschlossen. 39  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 484. S. etwa noch Kaiser, Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt, 105. 40  Dazu s. u., S.  77–81 und 105–108.

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Denn aus dem Begriff selbst geht ja gerade nicht hervor, wodurch die ‫ ברית עולם‬ihre Unverbrüchlichkeit gewinnt.41 Ausgerechnet Walter Groß, wie gesehen selbst Vertreter der These eines gänzlich bedingungslosen Gnadenbundes, legt nun freilich auch den Finger auf ihr elementares Problem: das der pragmatischen Plausibilität einer dergestalt konzipierten (‚unkonditionierten‘) Bundestheologie. Groß stellt fest, P leiste durch seine Konzeption des Bundes eine „theologische Fundierung der Existenz Israels nach der Exil­skata­ strophe“,42 um fortzufahren: „Aber er [sc. P] hat das Exil eher unsichtbar gemacht als wirklich bearbeitet: Die Berit wird so konstruiert, daß die Katastrophe, die diese Konstruktion veranlaßte, eigentlich in dieser Radikalität gar nicht stattfinden konnte.“43 Was faktisch passiert ist, konnte theoretisch gar nicht passieren – das Paradox offenbart, dass die vermeintliche Stärke der Gnadenbund-Theorie zugleich auch ihre Schwäche ist.44 Zwar eröffnet ein solcher Gnadenbund einen neuen Blick in die Zukunft, aber aus der unheilvollen Vergangenheit (und Gegenwart!) wird nun wieder ein dunkles Rätsel. Erneut stellt sich die Frage, wie es so weit hatte kommen können, und sie stellt sich umso quälender, als die Schuld jedenfalls nicht bei Israel zu liegen scheint. Israel konnte den Bund ja gar nicht brechen. Angesichts dieser paradoxen Konstellation drängt sich die Frage auf, ob es plausibel und überhaupt denkbar ist, dass sich eine – je nach Ansatz – exilisch oder frühnachexilisch konzipierte Überlieferung derart selbst zur geschichtstheologischen Sprachlosigkeit verurteilt. Sollte ausgerechnet die priesterliche Bundestheologie, die die feierlichen Zusagen des Landes und – vor allem – der Einwohnung Jhwhs im Kult dezidiert ins Zentrum ihrer Konzeption rückt, zum faktischen Verlust von Land und Tempel nichts zu bemerken wissen? Es wäre dies eben jene „merkwürdige ‚Aporie‘“,45 die Erhard Blum in Norbert Lohfinks Deutung der priesterlichen Bundestheologie46 bemerkt hat: Angenommen, der Autor von Pg verbiete sich, wie von Lohfink vorausgesetzt, ‚deuteronomisch-deuteronomistisches‘ Denken, „was hätte er dann theologisch als Erklärung zu seiner und seiner Zeitgenossen geschichtlicher Lage noch zu sagen?!“47 41  Die Frage wird so gut wie nie gestellt, sondern eine der möglichen Antworten vorausgesetzt. Ausdrücklich angesprochen hat sie unlängst Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, 53, dessen explizite Antwort dann freilich eben jene ist, die sonst implizit im Raum steht, vgl. a. a. O., 55: „because P deliberately distinguishes between covenant and law“ (im Original teilweise hervorgehoben). Dank dieser Ausschaltung der Gehorsamsforderung könne der menschliche Partner den Bund gar nicht brechen. 42  Gross, Zukunft für Israel, 66. 43  Gross, Zukunft für Israel, 66–67. 44  Darauf hat zuletzt auch Konkel, Vergebung ohne Umkehr, 72–73, hingewiesen. 45  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 327. 46  Blum bezieht sich auf die Behauptung einer in Lev 26 greifbaren nachträglichen „Deuteronomisierung der Priesterschrift“ bei Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks (das Zitat a. a. O., 167). 47  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 327. Das Problem verschärft sich noch, wenn man in Anschlag bringt, dass nach der grundlegenden deuteronomisch-deuteronomistischen Kon-

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Statt mit Hilfe der Bundeskategorie sei das Exil, argumentiert Walter Groß unter Bezug auf die Kundschaftergeschichte in Num 13–14, von den priesterlichen Tradenten (ob von dem Verfasser der Priesterschrift oder einem späteren, lässt er offen) mittels der Einführung des Gegensatzes zweier Generationen erklärt worden.48 Den Adressaten werde erläutert, dass „das Land […] der sündigen Generation vorenthalten“,49 die Verheißung (diese Verheißung!) des Bundes also verzögert wird. Trotz der Tatsache, dass die Frage, was in Num 13–14 auf priesterliche Hände (und vor allem: auf welche priesterlichen Hände) zurückgeht, in der gegenwärtigen Forschung ausgesprochen kontrovers diskutiert wird,50 liegt damit eine anregende Interpretation auf dem Tisch. Gegen den Versuch, auf diese Weise die mangelnde pragmatische Plausibilität einer als ‚unkonditioniert‘ verstandenen Bundestheologie zu kompensieren, sprechen aus meiner Sicht aber mindestens zwei gravierende Sachverhalte. Zum einen macht es einen gewaltigen Unterschied, ob die – in der erzählten Situation noch ausstehende – Gabe des Landes für eine gewisse Zeit verzögert wird oder – so der tatsächliche Geschichtsverlauf, auf den die Adressaten zurückblicken – dem Volk das seit Generationen gegebene Land wieder genommen wird. Zum anderen: Die Verheißung schlechthin besteht für die priesterlichen Tradenten in der Einwohnung Jhwhs im Kult – und ihre absolute Verdichtung findet die Kata­ strophe von 587 v. Chr. eben nicht im Verlust des Landes, sondern dieser Wohnung Jhwhs.

Der durch diese Problemanzeige geweckte Zweifel bleibt keine freihändige Erwägung. Vielmehr findet, wie sich zeigen wird, auch er Anhalt an konkreten Befunden in der priesterlichen Überlieferung selbst.51 So verwundert es nicht, dass die These vom priesterlichen Gnadenbund, bei aller Zustimmung, die sie genießt, keineswegs unwidersprochen geblieben ist. Erhoben wurde dieser Widerspruch bezeichnen­ derweise vornehmlich von Forschern, die aufgrund ihrer akademischen und konfessionellen Provenienz vergleichsweise unabhängig von den literarischen und/oder theologischen Parametern, unter denen die These entwickelt wurde und nahezu unhinterfragte Akzeptanz erlangen konnte, arbeiten.52 zeption eine genuin theologische Bewältigung der geschichtlichen Katastrophen des Nord- und vor allem des Südreichs gerade die wesentliche Leistung der Bundeskategorie war, wie Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, gezeigt hat. Zwar könnte man gegen diese Argumentation mit Lohfink, Die Priesterschrift und die Geschichte, einwenden, die priesterliche Überlieferung messe im Unterschied zur deuteronomistischen der Geschichte im Allgemeinen und den Ereignissen von 587 v. Chr. im Besonderen ohnehin geringe Bedeutung bei – aber nur, wenn man diese Meinung teilt. Die gegen sie vorgebrachten Gründe scheinen mir schwerer zu wiegen; vgl. etwa Gross, Zukunft für Israel, 57, mit Verweis auf Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, 458, und Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 254. Gewiss kann die geschichtstheologische Funktion des Bundesgedankens auch überbewertet werden – aber schwerlich im sechsten und frühen fünften Jahrhundert. Und selbst da, wo theologisches Krisenmanagement nicht mehr das primäre Movens ­bietet, muss ein Entwurf plausibel bleiben für Adressaten, die diese Krisen selbst erlebt haben oder jedenfalls noch aus Augenzeugenberichten kennen. 48  Gross, Zukunft für Israel, 67–70, unter Aufnahme von Lohfink, Die Ursünden in der priesterlichen Geschichtserzählung, 184–186, bekräftigt in Gross, Noch einmal: Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, 74–75. 49  Gross, Zukunft für Israel, 70. 50  Dazu auch Gross, Noch einmal: Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, 75 mit Anm.  26, und schon ders., Zukunft für Israel, 67–68. 51  Eingehend dazu unten, Kap. III.3, III.4 und III.5. 52  S. im Folgenden.

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Sie argumentieren einerseits mit Beobachtungen zu Gen 17, dort wiederum vor allem zu zwei Bereichen des Textes: Jhwhs einleitender Ansprache an Abraham in V.  1–2 und der Beschneidungsforderung in V.  9–14. Rechtschaffenheit und Gehorsam Abrahams würden, wie Israel Knohl unter Bezug auf V.  1bβ betont, gleich zu Beginn eingeführt „as a condition for the covenant“.53 Schon damit werde die Deutung des Abrahambundes als reiner Gnadenbund „totally refuted“, sekundiert Jacob Mil­ grom.54 Dieser Wahrnehmung korrespondiert die Zentralstellung der Bundesverpflichtung („covenantal obligation“),55 als die die Beschneidungsforderung samt der Sanktion in V.  14 von diesen Forschern gewertet wird.56 In ihrem Licht wäre es „a great distortion“, wollte man ausgerechnet P, „which places the fulfillment of the divine command at the heart of its system“,57 im Sinne einer „theology of pure grace“ interpretieren.58 Andererseits wird in diesem Zusammenhang verschiedentlich die alte Frage traktiert, ob es überhaupt zutreffe, dass der Sinaibund in P nicht vorkommt. Mit ihr hat sich bekanntlich schon Gerhard von Rad herumgeschlagen und dabei neben seinen beiden Ansätzen zur Erklärung der Lücke – nach dem allumfassenden Abrahamhätte ein Sinaibund in P „gar nichts Neues bringen“ können59 oder aufgrund der Kompilation mit JE sei eine eigene Darstellung durch P entbehrlich geworden60 – auch den Versuch unternommen, mit dem Sabbatgebot in Ex 31,12–17 zu argumentieren.61 Letzterer ist neuerdings von Saul Olyan und Jeffrey Stackert wiederaufgenommen worden,62 während Jacob Milgrom den priesterlichen Sinaibund in Lev 9 sucht.63 Eher prinzipieller Art sind die einschlägigen Ansätze von Israel Knohl und Baruch Schwartz. Im Kontext seiner Profilierung zweier grundsätzlich voneinander geschiedener heilsgeschichtlicher Epochen64 will Knohl den gordischen Knoten mit 53 

Knohl, The Sanctuary of Silence, 138, s. auch a. a. O., 141, Anm.  66. Milgrom, Leviticus 23–27, 2340, wiederholt in ders., Covenants, 95–96. S. ferner Joosten, People and Land in the Holiness Code, 111–112. 55  S. etwa schon Fox, The Sign of the Covenant; das Zitat a. a. O., 588. Knohl, The Sanctuary of Silence, 141, spricht, wie vor ihm auch schon Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, 271, Anm.  224, pointiert von einem Gesetz („law“) des Bundes. 56  S. dazu auch Bernat, Sign of the Covenant, 34–36. Vgl. ferner Schwartz, The Priestly Account of the Theophany and Lawgiving at Sinai, 131. 57  Knohl, The Sanctuary of Silence, 144, Anm.  80. 58  Letzteres Zitat bei Joosten, People and Land in the Holiness Code, 111, in seinem zustimmenden Referat Knohls. Zu beiden Beobachtungen vgl. zuletzt auch Arnold, The Holiness Redaction of the Abrahamic Covenant, 57. 59  Von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 175–176, mit dem Zitat a. a. O., 175. 60  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 148; vgl. Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, 318–320. 61  Von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 63: V.  13a.15–17 gehörten nicht zu Ps, sondern böten den dezidiert bundestheologischen Abschluss der Jhwh-Rede ab Ex 25 durch P. 62  Olyan, Exodus 31:12–17, 202: V.  16–17; Stackert, Compositional Strata in the Priestly Sab­ bath, 19–20: V.  12–13aα.15*.16. 63  Milgrom, Leviticus 17–22, 1394–1397. Vgl. ders., Covenants, hier bes. 98. 64  Knohl, The Sanctuary of Silence, 137–148: „The Faith of Genesis and the Faith of Moses“. 54 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

der Annahme durchschlagen, der Sinaibund fehle in P nicht, er werde aber anders interpretiert und daher auch auf einen anderen Begriff gebracht, den der am Sinai gegebenen ‫( עדת‬Ex 25,16 und passim).65 Schwartz hingegen postuliert, die priesterlichen Tradenten hätten das Wort ‫ ברית‬aufgrund ihrer abweichenden Auffassung von dessen Bedeutung schlicht nicht mit den Sinaiereignissen in Verbindung bringen können.66 Bemerkenswerterweise spielt bei der ganzen – und ganz unterschiedlich ausgerichteten – Suche nach dem Sinaibund in P ein Beleg so gut wie keine Rolle: Lev 26. Hier scheint die Hypothese einer dort greifbaren Heiligkeitsredaktion unter der Hand in einen keiner Erklärung mehr bedürftigen Befund übersetzt.67 Hinzu kommt auch hier ein komparatistisches Argument. So hat Gary Knoppers in einer materialreichen Studie die von Moshe Weinfeld gestellte Frage nach altorientalischen Analogien mutmaßlich unkonditionierter Bundesverhältnisse im Alten Testament neu aufgenommen – um sie genau entgegengesetzt zu beantworten.68 In einer gründlichen methodischen Kritik arbeitet Knoppers zunächst heraus, dass die von Weinfeld vertretene streng dichotomische Typologie schon für das altorientalische Vergleichsmaterial nicht durchzuhalten ist.69 Durch genaue Untersuchung konkreter Beispiele in ihrem jeweiligen historischen und literarischen Kontext vermag er stattdessen zu zeigen, dass auch die königliche Schenkung in aller Regel ein kondi­ tio­nales Verhältnis etabliert.70 Noch grundsätzlicher, und hier legt Knoppers die Axt an eine Wurzel der alttestamentlich-exegetischen Gnadenbund-These,71 bestreitet er dann das von Weinfeld vorausgesetzte Verständnis einer unilateralen Selbstverpflichtung: Es werde der Schenkung so wenig gerecht wie dem Vasallenvertrag.72 Vielmehr gelte für beide: „covenants are inevitably bilateral“.73 Wenn auch je nach konkreter Sachlage und dem Machtverhältnis der Partner unterschiedliche Aspekte betont werden können (Versprechen im Sinne einer Selbstverpflichtung; Indienstnahme durch Fremdverpflichtung etc.), so gelte doch, und Knoppers weist ausdrück65  Knohl, The Sanctuary of Silence, 142, gefolgt von Joosten, People and Land in the Holiness Code, 112. Zur Fraglichkeit der dabei leitenden Unterscheidung einer bilateral (‫ )ברית‬von einer unilateral (‫ )עדת‬angelegten Bundesbeziehung vgl. im Folgenden. 66 „The conditional nature of the promise is not disputed by P; rather, the meaning of the word ‫ברית‬. In P the ‫ ברית‬is only the promise, not the contractual relationship connected with it. Thus in the Priestly tradition no ‫ ברית‬was made at Sinai.“ (Schwartz, The Priestly Account of the Theophany and Lawgiving at Sinai, 131; Hervorhebung im Original). 67  Zur Diskussion s. u., S.  59–60. 68  Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant. Zu dem von Knoppers gewählten Beispiel des so genannten Davidbundes s. jetzt auch Avioz, The Davidic Covenant in 2 Samuel 7, und schon Tsevat, Studies in the Book of Samuel III; Krašovec, Two Types of Unconditional Covenant. 69  Vgl. dazu auch Haran, The Bĕrît ‚Covenant‘, 207 mit Anm.  8 und 9. 70  Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 673–674: „predominantly conditional in nature and function“. 71 Vgl. Begrich, Berit, hier bes. 4–9. 72  Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 694. Vgl. zum Folgenden auch Haran, The Bĕrît ‚Covenant‘, 205–208. 73  Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 696.

2.  Sinaibund und Abrahambund?

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lich auf die bundestheologischen Implikationen hin: „Even in the case of asymmetrical covenants, a sense of mutuality characterizes the accord. The very composition of a treaty assumes a degree of mutuality between the relevant parties. Similarly, the ratification of a covenant is intended to ensure that the relationship between the two parties presupposed by the covenant continues, however, restructured, into the future. The covenant confirms, defines, and structures that relationship.“74 Von daher empfiehlt es sich, die in der alttestamentlich-bundestheologischen Diskussion verbreitete Kategorisierung mit dem Attribut ‚unilateral‘ – und zumal dessen Gebrauch als eine Art Äquivalent für ‚unkonditioniert‘ – aufzugeben.75 Sachgemäßer kann stattdessen auf die Theozentrik, die jeder (!) theologischen Adaption des Bundesgedankens mit Notwendigkeit wesenseigen ist, abgestellt und diese je vor Ort in ihrer konkreten Ausprägung beschrieben werden: etwa so, wie oben für Gen 17 angedeutet.76 Dass ein derart deskriptiv am konkreten Befund orientierter Zugang den differenzierten Nuancen der jeweiligen Darstellung besser gerecht wird als die grobe Kategorisierung, zeigt sich auch und gerade an den scheinbar so eindeutigen priesterlichen Belegen. Nehmen wir zum Beispiel den gern als locus classicus der vermeintlich unilateralen und unkonditionierten Bundeskonzeption angeführten Beleg der doppelten Bundesformel in Ex 6,7. Die Formulierung des ersten mit dem Verb ‫לקח‬, mithin beider Teile als Tun Jhwhs, gibt im Vergleich mit der herkömmlichen Form nur zu deutlich zu erkennen, dass der Ton hier auf Gottes unumschränkter Souveränität und der entsprechenden Asymmetrie im Verhältnis zu seinem Volk liegt. Doch handelt es sich eben um ein Verhältnis, und aus der Art und Weise, mit der es etabliert wurde, geht nicht hervor, ob und wenn ja, wie es konditional strukturiert ist.

Ziehen wir ein Zwischenfazit, so ist zu konstatieren, dass die Bestreitung der These vom priesterlichen Gnadenbund eine zwar profilierte, in die Mainstream-Diskussion aber kaum konstruktiv einbezogene77 Minderheitenmeinung geblieben ist; das verrät etwa schon eine in ihrer großen Generalisierung merklich apologetisch motivierte Formulierung wie die bei Jacob Milgrom: „In the Bible, […] there is no such thing as an unconditional covenant“.78 Auch sind etliche der zu ihrer Begründung angeführten Argumente für sich betrachtet fraglich und untereinander teilweise unverträglich. Doch zeigt der Widerspruch, dass der Befund in der priesterlichen Überlieferung eben keineswegs so eindeutig ist, wie seine gängige Interpretation nahelegen könnte. Es gilt daher, die bislang nicht befriedigend geklärte Frage nach der konditionalen Struktur des Bundes bei P neu aufzunehmen. Dazu nötigt schon die kontroverse 74 

Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant, 696. Diesen Schluss aus Knoppers Studie haben auch Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 94, und Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 111, Anm.  62, gezogen. S. ferner Arnold, Genesis, 101–102. Zur älteren Diskussion vgl. zum Beispiel Waltke, The Phenomenon of Conditionality within Unconditional Covanants. 76  S. o., S.  54. 77  Rühmliche Ausnahmen stellen Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, und Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, dar. 78  Milgrom, Leviticus 23–27, 2345. 75 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Deutung ein und desselben Grundtextes, der priesterlichen Darstellung des Abrahambundes, als reiner Gnadenbund und als Verhältnis, das eine Gehorsamsforderung einschließt. Die beiden Positionen spiegeln, so ließe sich die hier vertretene These auch reformulieren, die inhärente Komplexität der priesterlichen Bundestheologie. Es handelt sich, pointiert gesagt, um zwei Seiten einer Medaille. Freilich wurde und wird diese Komplexität in der Regel literargeschichtlich aufgelöst, in der älteren Forschung durch das schon bei Wellhausen und seinen Vorgängern virulente, dann aber namentlich von Martin Noth79 und Karl Elliger80 profilierte Postulat, Pg sei als rein narrative Quellenschrift zu rekonstruieren.81 Zuletzt breit aufgenommen und für die Überlieferung in der Genesis und in Exodus noch einmal verschärft wurde es von Klaus Grünwaldt, der auch die eminent theologischen Implikationen dieses Zugangs dankenswert klar benennt. So führt er aus, je sicherer „gesetzliche“ Passagen der ursprünglichen Priesterschrift abzusprechen seien, desto klarer lasse sich deren theologische Aussage erfassen.82 In der neueren Diskussion verliert zwar das literarische Postulat einer reinen Erzählquelle zusehends an Boden.83 Die konzeptionell begründete Scheidung der vermeintlich konträren Aspekte, auf die die unterschiedlichen bundestheologischen Deutungen abheben, wird aber unter anderen Vorzeichen nur noch dezidierter durchgeführt. So dient der These einer Redaktion der priesterlichen Überlieferung im Geiste des Heiligkeitsgesetzes, nach dem Vorgang von Karl Elliger84 begründet von Israel Knohl, 85 eben diese Unterscheidung als letztlich ausschlaggebendes Differenzkriterium. Angeführt werden zwar vorrangig andere, vor allem stilistische und terminologische Gründe, sie halten aber ebenso wenig Stich wie das Kriterium des erzählenden Duktus zur Rekonstruktion von Pg.86 So hängt die Abgrenzung des „H“-Materials von P unter dem Strich allein an seinem arg strapazierten „religiös-paränetische[n] Ton“, 87 mit anderen Worten: an der emphatischen Einschärfung des geforderten Gehorsams und seiner Bedeutung für die Bundesbeziehung, oder priesterlich formuliert, der regelgestützten Acht auf die Heiligkeit, derer die Einwohnung des Heiligen bedarf.

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Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch. Elliger, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung. Vgl. ders., Leviticus, hier bes. 9–10. 81  „Daß P seiner Gesamtanlage nach ein Erzählungswerk ist, wird nicht zu bestreiten sein. Dieses Urteil gilt aber noch ausschließlicher, als gemeinhin angenommen zu werden pflegt.“ (Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, 7; Hervorhebung im Original). 82  Grünwaldt, Exil und Identität, 3–4. 83  In dieser Hinsicht wegweisend wirkte Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch. 84  Vgl. den Neuansatz zur Analyse von Lev 17–26 in Elliger, Leviticus, 14–20. 85  Knohl, The Sanctuary of Silence, hier unter Zuschreibung an eine „Holiness School“. 86 S. Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 33–39, bes. 34–36, ausführlich zuletzt Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 35–66. Zum methodologischen Problem der Identifizierung von „H“ außerhalb des Heiligkeitsgesetzes s. Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 564. 87  Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 150. 80 

3.  Genesis 17

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Damit steht im Folgenden nicht zuletzt auch die Plausibilität besagter literarhistorischer Hypothesen auf dem Prüfstand. Aufgrund der hier gewählten Fragestellung kann dies freilich nicht das Ziel, sondern nur ein Nebenprodukt der Untersuchung sein. Die Entscheidung für ein Modell der Entstehung von P ist, das sei ausdrücklich hervorgehoben, nur das beziehungsweise ein Ergebnis der folgenden Analysen, nicht hingegen ihre Voraussetzung.

3.  Genesis 17 „Genesis 17 ist […] so etwas wie ein Modell für das Gesamtwerk des P: Dort wird dem Gesetz, hier wird dem Gebot durch Einbeziehung in die Geschichte der Rang und die Würde eines konstitutionellen Bestandteils des Gottesverhältnisses, des Geschehens zwischen Gott und Mensch gegeben“. Denn eben darauf beruht dieses Verhältnis: „auf dem sich diesem Menschenkreis zuwendenden Gottsein Gottes und dessen Antwort im ‚Wandeln vor Gott‘.“88 Claus Westermann, dem wir diese beherzte Beschreibung verdanken, argumentierte zu ihrer Begründung ebenso einfach wie zwingend: mit gründlichen Beobachtungen zur literarischen Struktur von Gen 17. In der Tat findet in ihr die theologische Konzeption des Kapitels so „kristallklaren“ Ausdruck89 wie selten. Hat man einmal den „durchsichtigen“ Aufbau (so Walter Groß)90 von Gen 17 durchschaut, liegt auch die priesterliche Bundestheologie offen: „Die Architektur von Gen 17 als Interpretationsschlüssel“ (Matthias Köckert).91 Indes steht dieser Zugang nur dem zu Gebote, der Gen 17 als Text aus einem Guss zu lesen vermag. Zumal in der neueren Diskus­ sion ist dies alles andere als unumstritten. Damit ist der Gang der folgenden Untersuchung vorgezeichnet. Zu Beginn stehen grundlegende Beobachtungen zur literarischen Struktur des Kapitels. Diese sind dann abzuwägen gegen literarkritische Argumente, insbesondere gegen den Versuch, das Beschneidungsgebot in V.  9–14 einer nachträglichen Bearbeitung zuzuschreiben und dergestalt „Geschichte“ und „Gesetz“92 zu scheiden. Auf so gesicherter Grundlage können schließlich besagte Textbefunde, die für eine konditionale Struktur des Bundes bei P sprechen,93 ausgewertet werden.

88 

Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 169. Westermann, Genesis, Bd.  2, 308. 90  Gross, Zukunft für Israel, 54. 91  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 79. Vgl. unlängst noch einmal ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 5: „Der außerordentlich komplexe Inhalt dieses Schlüsseltextes der Priesterschrift ist überraschend einfach strukturiert.“ 92  Vgl. die oben, S.  60, angeführte Erwägung von Grünwaldt, Exil und Identität, 3–4. 93  S. o., Kap. III.1 und III.2. 89 Vgl.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Die grundlegenden Beobachtungen zu Aufbau und Struktur von Gen 17 hat, gleichsam Wegbereiter der eben angeführten Ausleger, Sean McEvenue mitgeteilt.94 In seiner Pionierstudie zum Erzählstil von P arbeitet er drei je eigenständige, sich aber gegenseitig ergänzende Aufbaustrategien („techniques or figures of development“) heraus:95 eine lineare Entwicklung zunehmender Konkretion („from the intentional and vague to the actual and specific“), die ihr Ziel im Ausführungsbericht von der Beschneidung des Hauses Abrahams in V.  23–27 findet;96 eine konzentrische Anordnung („palistrophe“), die um das betont ins Zentrum („stressed centre“) gestellte Gebot der Beschneidung in V.  9–14 kreist;97 damit verschränkt schließlich eine Gliederung in zwei parallel aufgebaute Strophen („parallel panels“), die auf das Beschneidungsgebot beziehungsweise dessen erstmalige Erfüllung zulaufen.98 Nimmt man die deutlich markierte Rahmung des Kapitels hinzu – narrativ: Abraham ist neunundneunzig Jahre alt (V.  1a und 24); szenisch: Jhwh erscheint und fährt wieder auf (V.  1bα und 22b); handlungslogisch: Jhwh wendet sich Abraham zu, der reagiert auf angemessene Weise (V.  1–2 und 23–27) – und berücksichtigt den differenzierten Einsatz der Redeeinleitungen zur Gliederung der Gottesrede – das ‚Zwiegespräch‘ rahmendes reden mit (V.  3b und 22a) neben sprechen zu (V.  1b; 9a; 15a; 19a)99 –, sind die wesentlichen Befunde benannt, die die Auslegung zu berücksichtigen hat. Sie lassen den absichtsvoll gestalteten Aufbau der einen großen Gottesrede, die das Ganze letztlich – und typisch priesterlich – darstellt, erkennen: Auf eine einleitende Grundsatzerklärung (V.  1b–2) folgen im Hauptteil Verheißung (V.  3b–8), Gebot (V.  9–14) und noch einmal Verheißung (V.  15–21).100 Unbeschadet der strittigen Frage nach Binnenstruktur und Aussageabsicht der V. 15 ff. (McEvenues zweiter Strophe), die hier keiner Antwort bedarf,101 sind im Blick 94  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer. Vgl. nun aber auch Wénin, Recherche sur la structure de Genèse 17. 95  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 156–159, mit dem Zitat a. a. O., 159. 96  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 156, das Zitat a. a. O., 159. 97  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 157–158, die Zitate a. a. O., 157 und 159. 98  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 158–159, das Zitat a. a. O., 159. 99  Dazu s. u., S.  63. 100  Vgl. vor allem Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 79–80 (partiell modifiziert in ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 4–6; zur Diskussion s. im Folgenden); Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 162; ders., Genesis, Bd.  2, 307–308; für V.  4 –8.9–14 vgl. auch Gross, Zukunft für Israel, 54. 101  In der gegenwärtigen Debatte ist die Frage zusätzlich kompliziert durch den Versuch einer ‚ökumenischen‘ Deutung des Abrahambundes, nach dem dieser nicht allein Israel gilt, sondern allen Völkern, die von Abraham abstammen; so vor allem Naumann, The Common Basis of the Covenant (unter Aufnahme früherer Arbeiten), de Pury, Abraham, und Schmid, Gibt es eine ‚abrahamitische Ökumene‘ im Alten Testament, mit anderer Ausrichtung und Begründung auch Brett, Reading the Bible in the Context of Methodological Pluralism, und Wöhrle, The Integrative Func­ tion of the Law of Circumcision; ders., Fremdlinge im eigenen Land, 45–50. Umfassend aufgearbeitet und mit gewichtigen Argumenten zurückgewiesen wird der Versuch von Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels. – Zur Struktur: Dass die Darstellung mit V.  15 ff. neu anhebt, ist deutlich, ebenso, dass sie lebendiger angelegt ist als der monologische Vorkontext. Abrahams Erwiderung (V.  17–18) bietet Jhwh Gelegenheit zu einer letzten, entscheidenden Spezifi-

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auf unsere Frage nach der konditionalen Struktur des Bundes einige Gesichtspunkte in der ersten Hälfte des Kapitels besonders hervorzuheben. Zunächst zu besagter Grundsatzerklärung in V.  1b–2. Dass diese erste Redeeinheit in der Tat als eine Art programmatischer Prolog konzipiert ist, zeigt schon ihr Inhalt. In nuce finden sich hier beide Aspekte, die das Kapitel und, wenn das richtig ist, auch die dort beschriebene Bundesbeziehung bestimmen: Verheißung und Gebot. Abrahams ungeteilter Wandel vor Jhwh (V.  1bβ), Jhwhs Verheißung für Abraham und seine sichtbare Segnung (V.  2) – darin besteht die Beziehung, davon handelt die folgende Rede. Treffend sind die V.  1b–2 daher als vorangestellte „theologische Summe“ beschrieben worden.102 Weitere sprachliche und sachliche Argumente untermauern diese Deutung: Die Einheit hebt mit einer regelrechten Selbstvorstellung der Gottheit an (V.  1a), ihr entspricht die Proskynese des der Erscheinung Gewürdigten (V.  3a). Dass der anschließende Hauptteil demgegenüber mit ‫ וידבר אתו אלהים‬eingeleitet wird (V.  3b), verweist auf dessen „dialogisches Moment“, das in V.  15–21 zur Geltung kommt.103 Die dadurch angezeigte Sonderstellung des Prologs wird unterstrichen durch seine Formulierung mit Modusformen, die ihn von dem in we=qātal gehaltenen Folgekontext abhebt. Dazu passt schließlich das handlungslogische Verhältnis: Was Jhwh hier ankündigt (Kohortativ in V.  2), führt er dort aus (Deixis zur Markierung eines performativen Sprechaktes in V.  4)104.105 Das Programm dieser vorangestellten Summe wird im folgenden Hauptteil konsequent entfaltet. Zwei Redeeinheiten, in denen Jhwh seine Verheißung konkretisiert und spezifiziert (V.  3b–8 und 15–21), umgreifen die Mitteilung des Gebotes, durch dessen Praxis Abrahams Wandel Gestalt gewinnen soll (V.  9–14).106 Dabei sticht vor zierung seiner Zusage (V.  19–21). Die Bedeutung dieser Wendung erhellt schon aus der einleitenden Binnenzäsur in V.  17a, die auf V.  3a rekurriert. Letzterer Befund illustriert zugleich, dass McEvenue richtig lag mit der Rekonstruktion mehrerer miteinander verschränkter Aufbaustrategien. 102  So von Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 80. A. a .O., 79, bezeichnet Köckert die Einheit, wie vor ihm schon Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 162, auch als „Proömium“ des Kapitels. 103  So mit Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 5. 104  Zu dieser Deutung s. Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 111– 112. Sie bestätigt sich im Blick auf die Umbenennung Abrahams. Hier wird der Koinzidensfall nicht nur syntaktisch angezeigt (vgl. a. a. O., 112 mit Anm.  30), der Erzähler stellt die Performativität der sprachlichen Handlung gleichsam dar: Ab dem Augenblick der Erzählung, an dem Jhwh Abraham mit seinem neuen Namen nennt, tut es auch der Erzähler (s. Gross, Zukunft für Israel, 56, unter Verweis auf Gunkel, Genesis, 268). 105  Zwar sieht Köckert in diesem Verhältnis nun ein Gegenargument, aufgrund dessen er seine frühere Auffassung von V.  1b–2 revozieren möchte (Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 5). Aber gerade der Zusammenhang von Ankündigung und Ausführung spricht zusätzlich für die Deutung als einleitende Grundsatzerklärung. Überhaupt leuchtet mir Köckerts neuerdings geltend gemachtes Bedenken, man solle die Verse nicht als vorangestellte Summe vom Folgekontext absetzen, sondern mit diesem zusammen auslegen (a. a. O., 5, Anm.  20), nicht recht ein. Das eine schließt das andere ja nicht aus, im Gegenteil. 106  Gross, Zukunft für Israel, 54–59, zählt in Gen 17 zwei Bundesschlüsse, einen mit Abraham allein (V.  2–6) und einen mit Abraham und seinen Nachkommen (V.  7 ff.; vgl. ders., Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 111, wo hier noch weiter differenziert und der Bund mit

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allem die sorgfältig gestaltete Entsprechung von V.  3b–8 (Ich …) und 9–14 (Du aber …) ins Auge.107 Den unüberhörbaren Ton setzt jeweils der Auftakt. Beide Redeeinheiten heben mit im Casus pendens exponiertem Personalpronomen an: ‫ואתה – אני‬, beide betonen so die Spitzenaussage: Sieh’ hier, mein Bund mit dir – Meinen Bund sollst du bewahren. Die dadurch markierte Korrespondenz von Ich (Verheißung) und Du (Gebot) lässt sich in den jeweils folgenden Ausführungen bereits an der Textoberfläche ablesen: Die handlungstragenden Verben stehen zunächst in der ersten, dann in der zweiten Person, und sie regieren eindeutig voneinander abgehobene Wortfelder: Mehrung, Land und Gottsein Jhwhs für Israel stehen Gehorsam (‫ שׁמר‬V.  9.10) und Beschneidung gegenüber. Ist diese Strukturgliederung einmal erkannt, liegt auch die intendierte Aussage auf der Hand. Dem Bund zwischen mir und dir (‫)בריתי ביני ובינך‬, der Gen 17,2a angekündigt wurde, „entspricht auf seiten Gottes das Erfüllen der Verheißung, auf seiten Abrahams das Befolgen des Gebotes.“108 Doch sind die beiden Worte Gottes dadurch Isaak als eigenständige dritte Größe gezählt wird). „Berit 1“ verheiße Mehrung, „Berit 2“ Land und Gottesverhältnis; erstere werde gegeben (‫ נתן‬Qal V.  2), letztere aufgerichtet (‫ קום‬Hif. V.  7). Die lexikalisch mögliche (und von Milgrom, Leviticus 23–27, 2343–2346, vehement als einzige Verwendungsweise der priesterlichen Tradenten vertretene) Auffassung von ‫ קום‬Hif. + ‫ ברית‬im Sinne von aufrecht erhalten; erfüllen bezogen auf einen bereits gestifteten Bund, mit der diese Trennung ihre Grundlage verlöre, sei abzulehnen, sekundiert Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 7. Doch bietet die von Day, Why Does God ‚Establish‘ rather than ‚Cut‘ Covenants in the Priestly Source, beigebrachte Begründung für die auffällige Vermeidung des Idiom ‫ כרת ברית‬in der priesterlichen Überlieferung, auf die sich Köckert beruft, keinen Anhalt zur Entscheidung der Frage, ob ‫ קום‬Hif. wie ‫ נתן‬Qal nur als striktes Äquivalent oder aber semantisch variabel verwendet werden kann (vgl. dazu auch Schmid, Gibt es eine ‚abrahamitische Ökumene‘ im Alten Testament, 75, Anm.  47, sowie 79). Von daher vermag die von Köckert abgewiesene Deutung bei Naumann, The Common Basis of the Covenant, 101, nach dem V.  19.21 als „a particular affirmation of the recent covenantal act (v. 4–8)“ aufzufassen seien, durchaus anzusprechen (unabhängig von dem Honig, den Naumann daraus für seine inklusivistische Deutung des Abrahambundes saugen möchte). Für sie spricht ferner, dass gerade dort die Bestimmung ‫ לברית עולם‬aus V.  7 (und 13) wieder aufgegriffen wird. – Für die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Fragestellung hat die These zweier Bundesschlüsse in Gen 17 keinen unmittelbaren Belang und kann auf sich beruhen. Von den sich aufdrängenden Rückfragen sei daher nur die am nächsten liegende notiert: Ein Bund mit Abraham allein, ist dies angesichts des Inhalts (Mehrungsverheißung) nicht eine contradictio in adiecto? Anders gewendet, wird hier nicht außer Acht gelassen, in welcher Funktion Abraham von Jhwh des Bundes gewürdigt wird, nämlich als Israel in statu nascendi? Gewiss ist gerade in dieser Hinsicht sorgfältig zu unterscheiden zwischen der Mehrungsverheißung in V.  4 –6, die auf alle Nachkommen Abrahams zielt (so mit Recht Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, 421), und den Isaak vorbehaltenen Verheißungen von Land und besonderer Gottesbeziehung. Aber trennen lässt sich das eine vom anderen eben auch nicht. So behalten Groß’ differenzierte Textbeobachtungen ihr Recht, sind aber bei der Binnendifferenzierung der einen, facettenreichen Bundesverheißung in Anschlag zu bringen; vgl. dazu unten, S.  74–75, zur traditionsgeschichtlichen Frage nach der Rezeption und bundestheologischen Reformulierung der vor-priesterlichen Väterverheißungen in Gen 17. In diesem Sinne relativiert letztlich auch Groß selbst: „Die erste Berit mit Abraham holt die Segensverheißungen Berit-theologisch ein, aber sie schafft nur die Voraussetzung für die zweite Berit, sie ist lediglich das Berit-theologische Vorwort.“ (Gross, Zukunft für Israel, 57). 107  Dazu zuletzt Arnold, The Holiness Redaction of the Abrahamic Covenant, 58. 108  Westermann, Genesis, Bd.  2 , 308.

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gerade nicht „gleichgeordnet“.109 Denn „das Gebot ergeht an den, der die Verheißung empfangen hat; das Gebot ruht auf der Verheißung.“110 „So wird das Gebot deutlich als zweites Wort laut; und damit sind alle Aktivitäten Israels entsprechendes oder widersprechendes, in keinem Falle aber begründendes, sondern allein antwortendes Tun.“111 Präzise paraphrasiert Benno Jacob die durch das „Korrelat“ von Ich und Du angezeigte Gedankenfolge in V.  4 ff.: „ich sage dir (entsprechend v. 2) zweierlei zu: 1. meinen Bund, 2. Vermehrung, und tue meinerseits, was an mir ist, es zu erfüllen […]. Ich werde ferner diesen Bund in den folgenden Geschlechtern aufrechterhalten, so daß er nicht nur ein Bund zwischen uns beiden, sondern für alle Geschlechter ein ewiger Bund sei, indem ich ihnen das Land Kanaan gebe und ihnen Gott bin. Dies ist, was ich tun kann und werde. An euch (und in erster Linie an dir) ist es, diesen Bund nach eurem Können in acht zu haben, indem ihr etwas dazu tut, was euch überlassen werden muß, das ist die Beschneidung.“112 Verheißung und Gebot – dass die beiden einander korrespondierenden Aspekte in der Tat integral zusammengehören, sozusagen zwei Seiten einer Medaille sind, wird schließlich aufs Nachdrücklichste bekräftigt durch ihre begriffliche Profilierung. Denn beide werden mit ein und demselben Ausdruck bezeichnet: ‫ בריתי‬mein Bund. Als Leitwort par excellence113 durchzieht er die unterschiedlichen Teile des Textes und verbindet sie so miteinander. Dabei wird der Ausdruck nicht nur durchgängig, im Gebots- ebenso wie im Verheißungsteil, ganz konstant in dieser Form – mein Bund – gebraucht.114 Beide Teile kulminieren auch in der genau gleichlautend formulierten, augenscheinlich in absichtsvoller Parallelität gestalteten Bestimmung ‫לברית‬ ‫עולם‬. Kurz und klar kann Matthias Köckert daher zusammenfassen: Verheißung und Gebot sind „sub voce ‫ ברית‬aufeinander bezogen“.115 Aber sind sie das ursprünglich schon gewesen? Oder verdankt sich der Zusammenhang literarischem Wachstum? Darüber besteht, wie eingangs erwähnt, ein Dissens in der neueren Diskussion. Bevor die eben erarbeitete Struktur von Gen 17 auf ihre theologischen Implikationen befragt werden kann, ist daher eine Prüfung der literarischen Einheitlichkeit des Kapitels angezeigt. Dabei müssen und können wir uns auf den Bereich des Beschneidungsgebots konzentrieren. Auch für den vorangehenden Verheißungsteil gab es zwar verschiedent109 

Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 162. Westermann, Genesis, Bd.  2, 306. 111  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 82; s. auch ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15. 112  Jacob, Das Buch Genesis, 422 (Hervorhebungen im Original). 113 Vgl. Westermann, Genesis, Bd.  2 , 307. 114  Von daher empfiehlt es sich nicht, die beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen, wie Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 19, Anm.  84, mit Recht gegen Kutsch, Ich will euer Gott sein, 388, festhält. In diesem Sinne etwa auch Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, 208, und ders., Zwischen Verheißung und Verpflichtung, 265: Der Bund, den Jhwh stiftet, „ist der nämliche Bund, den die Adressaten bewahren sollen“. 115  Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 6. 110 

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lich literarkritische Versuche,116 sie bezogen sich vornehmlich auf die beim Thema Mehrung wahrgenommene Überfüllung.117 So argumentierte etwa Ernst Kutsch, die vermeintliche Doppelung von V.  4 mit V.  2 spreche dafür, V.  3–5 als nachträgliche Zutat auszuscheiden.118 Dem widerrät aber nicht allein die Funktion von V. 1b–2 als vorangestellte Summe. Gegen die Scheidung spricht vor allem, wie Walter Groß zwingend gezeigt hat, dass Jhwh in V.  4 mit einem performativen Sprechakt ausführt, was er in der einleitenden Grundsatzerklärung angekündigt hat.119 Dement­sprechend ist es in jüngerer Zeit ruhig geworden um literarkritische Versuche im Verheißungsteil.120 Virulenter und wichtiger ist ohnehin die Diskussion um das Beschneidungsgebot in V.  9–14 und in der Konsequenz auch, jedenfalls bei den konsequenteren Kritikern, dessen erste Erfüllung in V.  23–27. Trotz gelegentlicher Anfragen121 herrschte hier ein stabiler Konsens in der älteren Forschung. Julius Wellhausen wusste zur Literarkritik von Gen 17 „nichts zu bemerken“,122 was freilich zu seiner generellen Sicht der priesterlichen Überlieferung (Priesterkodex, Kultgesetz) passt. Umso signifikanter erscheint im Rückblick, dass auch Martin Noth, der Pg so entschieden als rein erzählende Quelle profiliert und dementsprechend für die literarkritische Ausschaltung legislativen Materials votiert hatte, keinen Anlass sah, das Beschneidungsgebot auszuscheiden.123 In der neueren Forschung hat sich das gründlich geändert. Namentlich Jakob Wöhrle,124 Mark Brett125 und Joseph Blenkinsopp126 plädieren nun mit Verve für eben diese Ausscheidung. Den Weg hat Klaus Grünwaldt gewiesen mit seiner erklärten Radikalisierung des

116 

Zusammengefasst und zurückgewiesen bei Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 80–82. Gegen dieses ästhetische Argument vgl. schon McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 167: „the unit [sc. Gen 17,3b–8] is stiffly stylised, marked with parallel and echo, and marked principally by repetition“ (keine Hervorhebung im Original). 118  Kutsch, Ich will euer Gott sein, 371–373. Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Ab­ rahamgeschichte, 188–203, hingegen rekonstruierte in V.  1–4a + 6 eine von Pg rezipierte und in V.  4b + 5.7–8* ausgebaute Tradition. 119 S. Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 111–112; ders., Zukunft für Israel, 56, und bereits oben, S.  63. Der Sache nach urteilte so schon Gunkel, Genesis, 264: „2a darf als Thema des Ganzen nicht fehlen, 4a ist dazu nicht parallel, sondern die Ausführung davon“. 120  Einen ganz anderen Zugang, freilich auch ohne Bezug auf die sonst diskutierten Beobachtungen und Argumente, hat neuerdings Gaines, The Poetic Priestly Source, mit seiner Rekonstruktion einer poetischen priesterlichen Quelle („Poetic-P“) zur Diskussion gestellt. Im hier fraglichen Bereich schreibt er ihr V.  1*–2.5–6.8* zu. 121  Zum Beispiel von Smend sen., Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, 9, der V.  12b–13a als Einschub und, damit zusammenhängend, Erweiterungen in V.  23–27 identifiziert. 122  Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 25. 123 Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, 17. 124  Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 45–50; ders., The Integrative Function of the Law of Circumcision, 74–78; ders., Abraham amidst the Nations, 26. 125  Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, 90. 126  Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle, 148– 153. 117 

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Noth’schen Postulats;127 bei ihm finden sich auch schon alle wesentlichen Argumente.128 Zu klären ist also: Gehörte das Beschneidungsgebot bereits zum Grundbestand von Gen 17, und wenn ja, in welcher Mindestgestalt? Das Hauptargument, das für die Ausscheidung von V.  9–14 ins Feld geführt wird, fasst Wöhrle wie folgt zusammen: Während die Darstellung im vorangehenden Verheißungsteil „ohne jegliche Bedingung“ oder „Voraussetzung“ auskomme,129 mithin von einem reinen Gnadenbund handle, gebe das Beschneidungsgebot „dann aber doch eine Bedingung für den mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossenen Bund an. Nach diesen Versen werden sie des Bundes nur unter der Voraussetzung, dass sie sich beschneiden lassen, teilhaftig.“130 So werde in V.  9–14 eine „nachträgliche Konditionierung des zuvor unkonditioniert vorgebrachten Abrahambundes“ eingeführt.131 Zu diesem theologischen kommen zwei literarische Argumente. Das eine ergibt sich aus dem Vergleich mit Gen 9 (P). Ebenso wenig wie zum Vorkontext in Gen 17 passe die mit dem Beschneidungsgebot eingeführte Kondition nämlich zu dem unkonditionierten Noah-Bund in Gen 9, wie bereits die unterschiedliche Funktion des Zeichens (Gen 17,11 neben 9,12.13.17) belege.132 Das andere hebt auf das markante sprachliche Profil und den präskriptiven Stil von Gen 17,9–14 ab. Schon der „stilistische[…] Bruch“, als der die Ansprache an eine zweite Person Plural in V.  10–12a.13b gewertet wird, spreche für einen Nachtrag.133 Zu diesem Urteil zwinge aber vor allem „the legal idiom“ (Blenkinsopp),134 das Grünwaldt an den Wendungen ‫( ׁשמר ברית‬V.  9a.10a), ‫( הפר ברית‬V.  14b) sowie der so genannten karet-Formel (V.  14a) festmacht und auf deuteronomistischen Einfluss beziehungsweise (für die karet-Formel) redaktionelle Überarbeitung im Zusammenhang mit der Einfügung des Heiligkeitsgesetzes in den Pentateuch zurückführt.135 127  Grünwaldt, Exil und Identität, 3, unter zustimmendem Zitat von Lohfink, Die Priesterschrift und die Geschichte, 217, Anm.  16: „[V]ielleicht muß man sogar noch radikaler als Noth sein, vor allem für den Bereich zwischen Gen. i und Ex. xiv.“ Vgl. auch das von Grünwaldt, Exil und Identität, 25, aus der Forschungsgeschichte gezogene Fazit, bei bisherigen Analysen sei „entweder der Aspekte der Zusage Gottes oder der Aspekt des Gebotes Gottes in Gen 17 nicht ernst genug genommen worden“, es müsse daher versucht werden, „die Zusage als Zusage und das Gebot als Gebot stehenzulassen“ – mit anderen Worten, sie diachron voneinander zu isolieren. A. a. O., 26, wird der für dieses Programm maßgebliche theologische Einfluss Ernst Kutschs benannt; zu Walther Zimmerli vgl. a. a. O., 22. 128  S. im Folgenden. Aufgenommen ist Grünwaldts Literarkritik auch im Kommentar seines Lehrers: Seebass, Genesis II, 111. 129  Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 47. 130  Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 48. 131  Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 48. Ebenso schon Grünwaldt, Exil und Identität, 42–62, und jetzt auch Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle, 149. 132  Grünwaldt, Exil und Identität, 58–59; Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 48–49. 133 So Grünwaldt, Exil und Identität, 35–36, unter Verweis auf Gunkel, Genesis, 270, der aus dieser Beobachtung freilich keineswegs die gleiche Konsequenz zog, vgl. ebd.: „von 10 an fällt der Verfasser in den Stil des ‚Gesetzes‘“ (keine Hervorhebung im Original). 134  Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle, 149. 135  Grünwaldt, Exil und Identität, 27–35. Bei Wöhrle, The Integrative Function of the Law of

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Doch die Gründe gegen diese Analyse wiegen schwerer. Gegen die tragende Argumentation mit der nachträglichen Konditionierung eines ursprünglich unkonditionierten Gnadenbundes hat bereits Walter Groß ebenso spitz wie treffend eingewandt: „Das AT bietet […] keine Grundlage für das von christlichen Theologumena inspirierte Bemühen, Verheißung und Verpflichtung, Zusage und Gebot gegeneinander auszuspielen.“136 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Gleichwohl kann die Kritik an diesem Argument auch nüchterner und zugleich noch grundsätzlicher angelegt werden. Denn in methodischer Hinsicht erscheint es generell nicht ratsam, ein derartiges theologisches Urteil als literarkritischen Hebel einzusetzen, droht hier doch die ungeschützte Eintragung von spezifischen, insbesondere konfessionellen Vorverständnissen (pointiert: die Spannung entsteht erst im Auge des christlichen Betrachters). Angesichts dieser methodischen Problematik, die so oder so – auch ein jüdisches Vorverständnis müsste hier nicht eo ipso näher an die ursprüngliche Aussageabsicht führen! – besteht, empfiehlt es sich umgekehrt, die Frage nach dem Zusammenhang von Verheißung und Gebot an den literarkritisch geklärten Text zu richten – mit anderen Worten, vorgängig aufgrund anderer, vorzugsweise literarischer Argumente zu einem Urteil über die Zugehörigkeit des Beschneidungsgebotes zum Grundbestand von Gen 17 zu kommen. Das versuchen die genannten Vertreter ja auch. Wir sind damit an ihre weiteren Argumente gewiesen. Der Vergleich mit Gen 9 ist dabei schnell erledigt, denn er hinkt. Dass bei Jhwhs Bund mit allem Fleisch, also mit den Tieren ebenso wie mit den Menschen, kein Korrespondenzverhalten im Blick ist und es auch nicht sein kann, liegt in der Natur der Sache.137 Sie spiegelt sich auch in der jeweiligen Funktion des Zeichens. So ist es denn kein Zufall, dass die von Grünwaldt, Wöhrle und anderen bemühten Unterschiede zwischen Gen 9 und Gen 17 zwar altbekannt sind, bislang aber nicht literarkritisch ausgewertet wurden.138 Was Sprache und Stil betrifft, so ist zunächst festzustellen, dass der Numeruswechsel innerhalb (!) der Einheit augenscheinlich vom Kontext induziert, mithin literarkritisch irrelevant ist.139 Dass ab Circumcision, 81–84, und, in Aufnahme und Weiterführung seiner Überlegungen, bei Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, 90, kehrt die Grundbeobachtung der relativen sprachlich-stilistischen Eigenständigkeit von Gen 17,9–14 unter veränderten literarhistorischen Vorzeichen wieder; vgl. dazu unten, S.  72. 136  Gross, Zukunft für Israel, 59, Anm.  31, gerichtet an Grünwaldt und seinen Gewährsmann Kutsch. Vgl. ferner Otto, Forschungen zur Priesterschrift, 37–38, der zudem ausdrücklich auf die zirkuläre Anlage der Argumentation hinweist. Im Blick auf die angeführten Untersuchungen von Jakob Wöhrle ist freilich festzuhalten, dass sie nicht von dem kritisierten „Bemühen“ geleitet sind, sondern im Rahmen einer anders gelagerten Fragestellung mit dem hier strittigen Sachverhalt argumentieren. Vgl. dazu oben, S.  11, Anm.  58. 137  So mit Recht auch Neef, Aspekte alttestamentlicher Bundestheologie, 18. Vgl. die systematisch-theologischen Klärungen zum Begriff der Beziehung bei Meyer zu Hörste-Bührer/Bührer, Relationale Erkenntnishorizonte als hermeneutischer Schlüssel, 191 mit Anm.  37. 138  Dies gibt Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 16, zu bedenken. Zuletzt hat sich auch Heckl, Die Beschneidung in Genesis 17, Abschnitt I, dagegen ausgesprochen, literarkritische Schlüsse aus dem Vergleich zu ziehen. 139  S. vor allem Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 113, Anm.  34,

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V.  10a eine zweite Person Plural angesprochen wird, ergibt sich mit intuitiver Folgerichtigkeit aus der in V.  9b vorliegenden Ausweitung Du und deine Nachkommen nach dir, und die wiederholt formulierte unabsehbare Geltungsdauer der Forderung (‫ לדרתם‬V.  9b.12a, ‫ לברית עולם‬V.  13b) drängt geradezu darauf.140 Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Text durch die Adressierung einer zweiten Person Plural unver­ sehens zu einer Ansprache an die Hörer beziehungsweise Leser wird141 – kaum zufällig gerade dort, wo sein lebensweltlicher Belang zur Sprache kommt.142 Sodann ist auch die Argumentation mit deuteronomisch-deuteronomistisch geprägten Wendungen „nicht so stark, wie sie klingt“.143 Zwar trifft es zu, dass die Rede vom Bewahren (‫ )שׁמר‬beziehungsweise Brechen (‫ פרר‬Hif.) des Bundes durch menschliche Subjekte typisch für jenen Traditionskreis ist, während sie in der priesterlichen Überlieferung Seltenheitswert genießt. Aber ein literarkritisches Argument wird daraus erst unter der Voraussetzung, die Aufnahme derartiger Wendungen, die die priesterlichen Tradenten ohne Zweifel kannten,144 sei a limine auszuschließen. Dafür spricht nichts,145 und deshalb „zwingt […] nichts dazu, die Wendungen der Priesterschrift rundheraus abzusprechen.“146 Aber auch (und gerade), wenn sich einzelne (!) Bestandteile in Gen 17,9–14 als sekundär erweisen sollten (wofür im Einzelfall, vor allem in V.  12b–13a, durchaus manches zu sprechen scheint),147 böte dies keine Grund-

und ders., Zukunft für Israel, 59, Anm.  33, aber auch Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 46–47, Anm.  70. 140  So schon Fox, The Sign of the Covenant, 587, Anm.  58, gegen von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 20–25. 141 Vgl. Gunkel, Genesis, 270. 142  Dazu passt die plausible Vermutung (vgl. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 47, Anm.  70, mit Lit.) der Aufnahme präskriptiven, auf eine bestehende Praxis gemünzten Materials in V.  9–14. 143  So mit Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15. 144  Sie stammen ja, woran Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 129, und Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15, mit Recht erinnern, aus dem klassischen Vertragsrecht; vgl. nur Ez 17,14–15. 145  Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 135, kann darin im Gegenteil geradezu eine literarische Strategie erkennen: „Wenn die Bundestheologie effektiv neu konzipiert werden sollte“ – nämlich durch die von Stipp in Gen 17,14 wahrgenommene gezielte Individualisierung des Bundesbruchs (s. o., S.  54) –, „war es nur zweckdienlich, traditionelle Schlüsselbegriffe aufzugreifen, um sie durch die Art ihrer Verwendung mit neuem Sinn zu füllen.“ 146  Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15. 147  Zu V.  12b–13a und den dort vorliegenden engen terminologischen und thematischen Entsprechungen mit Ex 12,43 ff. (Ps) s. Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, 83–84, und vgl. unten, S.  72. Wenig sachgemäß erscheint hingegen die ‚nomistische‘ Begründung einer solchen Analyse mit der Deutung auf ein „von der Verheißung gelöste[s] Gesetz“, das „immer umfassender in seinem Geltungsbereich“ werde und zu einem „entleerten Ritualismus“ führe, wie sie von Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 86–87 (die Zitate a. a. O., 87), vorgetragen wurde (in der Sache ähnlich auch Weimar, Zwischen Verheißung und Verpflichtung, 266, unter Wiederaufnahme von ders., Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, 212–213); s. jetzt aber Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, mit deutlich veränderten Akzenten.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

lage zur Ausscheidung der gesamten Einheit.148 Das Beschneidungsgebot ist und bleibt integraler Bestandteil von Gen 17. Eben dies ist ja die in diachroner Hinsicht wesentliche Erkenntnis – von den vorgestellten Analysen wird sie nicht in Betracht gezogen –, zu der Sean McEvenue gelangt ist.149 Wie gesehen, wies er in Gen 17 drei je eigenständige Gliederungen auf, und alle drei sind auf den Skopus der Beschneidung angelegt.150 Sein Ergebnis spricht mit Nachdruck dagegen, just die V.  9–14 aus dem ursprünglichen Bestand des sorgfältig gestalteten Kapitels auszuscheiden. Dies gilt umso mehr, als ohne das Beschneidungsgebot der Bericht von dessen erster Erfüllung in der Luft hinge. Grünwaldts gewundene Argumentation zu diesem Problem spricht für sich.151 Wöhrle und Blenkinsopp scheiden die V.  23–27 daher gleich ganz aus.152 Aber auch dem widerrät die Strukturanalyse McEvenues, und dass er jedenfalls einen Kern in V.  24–25 nicht vom

148  So schon Otto, Forschungen zur Priesterschrift, 37, und unlängst noch einmal Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 14.16. 149  S. o., S.  62. 150  „It follows that the subject of Gen 17 is circumcision. All the literary structures underline this.“ (McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 159). 151  Anders als für das Beschneidungsgebot V.  9 –14 sowie die den Ausführungsbericht rahmenden V.  23 und 27 sieht Grünwaldt für V.  24–25 keinen Anhalt, sie dem Grundbestand des Kapitels beziehungsweise Pg abzusprechen (Grünwaldt, Exil und Identität, 37–38). Da diese Verse aber eine Notiz über die Beschneidung Abrahams und Ismaels voraussetzen und V.  23 nach seiner Analyse dafür nicht infrage kommt, nimmt er V.  26 und stellt ihn so um, dass der ursprüngliche Schluss aus V.  26.24–25 bestand (a. a. O., 38). Wie aber ist dieser solenne Schluss durch den Akt der Beschneidung in seinem literarischen Kontext – der nach der Analyse kein entsprechendes Gebot enthielt – zu verstehen? Nach Grünwaldt durchaus als „Antwort auf die großartige Anrede Gottes“ (ebd.), die aber „aus freien Stücken“ (a. a. O., 69) ergehe: Abraham „initiiert“ die Beschneidung (a. a. O., 38), und zwar „eigenmächtig“ (ebd. und passim), wie mehrfach betont wird. Diese ad-hoc-Erklärung mit der Eigenmächtigkeit Abrahams – zu P will sie noch weniger passen als zu allen übrigen biblischen Überlieferungen – ist also der Preis, der für die literarkritische Reinigung der Geschichte von dem Gebot zu zahlen ist. Warum aber besteht die eigenmächtige Antwort Abrahams ausgerechnet in der Beschneidung? Hier bringt Grünwaldt die vor-priesterlich eingeschätzte Beschneidungsepisode Jos 5,2–9 (angegebener Umfang: V.  2–3 + 8–9) in Anschlag: „Möglicherweise hat die Priesterschrift diese Verbindung von Land und Beschneidung gekannt und in ihre Darstellung modifiziert aufgenommen.“ (a. a. O., 40). Nach der neueren Diskussion dürfte aber nicht allein die vorausgesetzte literarhistorische Einordnung von Jos 5,2–9 unhaltbar geworden sein (vgl. Krause, Exodus und Eisodus, 297–316, und die dort verzeichnete Literatur). Überhaupt ist eine spezifisch religiöse Bedeutung des hergebrachten Brauchs der Beschneidung in der vor-priesterlichen Überlieferung nirgendwo belegt – weil sie erst mit Gen 17 eingeführt wird (so a. a. O., 319–323, in Auseinandersetzung mit Grünwaldts gegenläufiger Annahme). Kurzum: Ohne vorangehendes Beschneidungsgebot ist weder Abrahams Antwort selbst noch ihre konkrete Gestalt nachvollziehbar. Warum als „direkte Konsequenz aus dem zuvor dargestellten Bundesschluss“ ausgerechnet die Beschneidung folgen sollte, ist unter dieser Voraussetzung „schlechterdings nicht erklärbar“ (so mit Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 50, Anm.  78, der seinerseits auf Otto, Forschungen zur Priesterschrift, 37, verweist). 152  Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 45–50; ders., The Integrative Function of the Law of Circumcision, 74–78; ders., Abraham amidst the Nations, 26; Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle, 148–153.

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Grundbestand des Kapitels abzutrennen vermochte, nötigte Grünwaldt ja erst zu besagten Windungen.153 In diesem Licht ist schließlich die oben herausgearbeitete Korrespondenz zwischen V.  3b–8 und V.  9–14 zu werten: als Bestätigung und Bekräftigung, dass das Beschneidungsgebot von Anfang an zum Abrahambund gehört hat. Eingeleitet durch die geradezu ostentative Entsprechung von ‫ אני‬und ‫( ואתה‬V.  4 par. 9)154 ist durchgängig von ‫ בריתי‬mein Bund die Rede, jeweils näher bestimmt durch die Angabe zwischen mir und dir/euch (V.  7a par.  10a.11b und schon 2a),155 die ihrerseits jeweils durch den Einbezug der Nachkommen (‫ זרעך אחריך‬V.  7a.7b.8a.9b.10a) erweitert, als dauerhaft (‫ לדרתם‬V.  7a.9b, auch 12a) beschrieben und, sprechender Ausdruck dieser Dauerhaftigkeit, als ‫ ברית עולם‬ewiger Bund (V.  7a par.  13b) qualifiziert wird.156 Angesichts dieser augenscheinlich mit Sorgfalt angelegten Wechselbezüge liegt die (erhebliche) Beweislast bei dem, der die Entsprechung von Verheißungs- und Gebotsteil als Ergebnis redaktioneller Bearbeitung (Bearbeitungen) erklären möchte.157 Fazit: Wenigstens ein Grundbestand des Beschneidungsgebotes gehört zum Grundbestand von Gen 17. Den Ausschlag dafür geben literarische, nicht theologische Gesichtspunkte. Welchen genauen Umfang dieser Grundbestand hatte, daran hängt für unsere Fragestellung nichts. Daher soll hier offen bleiben, was offen bleiben kann.158 Zwei Details müssen aber noch geklärt werden, insofern sie es durch die obigen Hinweise zur literarischen Gestalt der Einheit noch nicht sind: die Bestimmung der Beschneidung zum Zeichen des Bundes (‫ )אות ברית‬in V.  11 und die Sanktion ihrer Unterlassung in V.  14. Für die Ursprünglichkeit ersterer Passage spricht die unverkennbare Parallele mit Gen 9,12.13.17 (P).159 Für letztere kann, unbeschadet des 153 Vgl.

Grünwaldt, Exil und Identität, 38. „Läßt sich aber jenes ‚Ich …‘ (V 4) nicht herausbrechen, fällt es zu glauben schwer, daß das strukturell korrespondierende ‚Aber du …‘ (V 9) erst einer zweiten Hand zu verdanken sei.“ (Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 82; wiederholt und bekräftigt in ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 16). 155  Diese Beobachtung ist mit Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 82, gegen ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 14, festzuhalten. S. ferner Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, 208. 156  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 85, bemerkt treffend, dass die „Interpretation“ der Beschneidung, die deren Bezeichnung als ‫ ברית עולם‬in V.  13b bietet, „der Sache nach“ schon in ‫לדרתם‬ V.  9b.12a angelegt war, „wie überhaupt mit dem Gebot natürlich schon von vornherein niemals nur eine temporär begrenzte, sondern bleibende Institution begründet werden sollte.“ Dass er dennoch – gegen seine eigene Textbeobachtung – für eine sekundäre Ansetzung dieses Belegs der Bezeichnung (im Unterschied zu dem im Verheißungsteil) plädiert, ist einer theologischen (näherhin ‚nomistischen‘) Auslegung verpflichtet, vgl. a. a. O., 85–86. In ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 14, wird die Entscheidung revoziert. 157  Vgl. noch einmal Grünwaldt, Exil und Identität, 61, der dem angenommenen Bearbeiter des nachgetragenen Beschneidungsgebots – nach seiner Analyse also der dritten in Gen 17 tätigen Hand – bescheinigt, es sei ihm „exzellent“ gelungen, das Gebot an den Vorkontext anzuschließen. 158  Grundsätzlich gilt mit Gross, Zukunft für Israel, 53, Anm.  16: „Retuschen, vor allem innerhalb der Bestimmungen zur Beschneidung, sind nicht ausgeschlossen, aber besonders schwierig zu beurteilen, da gerade hier vorformuliertes gesetzliches Material verarbeitet sein könnte.“ 159  So mit Recht Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 113. Die un154 

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neueren Vorschlags, den Vers H zuzuschreiben,160 daran erinnert werden, dass auch schon McEvenue die karet-Formel am liebsten losgeworden wäre, weil sie sich nicht recht in sein theologisches Gesamtbild von Pg fügen wollte,161 davon aber Abstand nahm: mangels literarischen Anhalts.162 In Aufnahme und Weiterführung von Vorarbeiten Jakob Wöhrles, der auf terminologische Gemeinsamkeiten von Gen 17,9–14 (sie finden sich allerdings ausschließlich in V.  12b–13a!) mit Ex 12,43 ff. (Ps) und beider Abschnitte mit Lev 17–26 hingewiesen hat,163 stellt Mark Brett die relative sprachlich-stilistische Eigenständigkeit des Abschnitts neuerdings einer H-Redaktion in Rechnung.164 Ihrer Eigenlogik entsprechend kann diese Hypothese erst im Gesamtzusammenhang der priesterlichen Überlieferung beurteilt werden,165 auch sie muss daher und kann an dieser Stelle auf sich beruhen. Der methodische Zugang gemahnt indes an die kon­tro­ verse Einschätzung zweier Altmeister, die angesichts der gegenwärtigen Diskussion zu denken geben sollte – weil sie deutlich macht, dass auch der klarste Textbefund seine Erklärung noch nicht in sich trägt. John Skinner hegte aufgrund der heute für H in Anschlag gebrachten Beobachtung schon vor reichlich einem Jahrhundert Zweifel, ob der Abschnitt V.  9–14 tatsächlich als ursprünglicher Bestandteil von Gen 17 angesprochen werden könne: „The legal style of the section is so pronounced that it reads like a stray leaf from the book of Levicitus“.166 Aber bereits Theodor Nöldeke hatte, noch einmal ein halbes Jahrhundert früher, den in der Tat erklärungsbedürftigen Befund ganz anders erklärt. „Unzweifelhaft“ gehört für ihn das ganze Kapitel zur Grundschrift, behandelt es doch „mehrere für das Werk höchst wichtige Gegenstände“, „besonders die Einsetzung der Beschneidung“.167 Dass diese gerade hier platziert wird, hat nach Nöldeke einen erzähllogischen Grund: Der Brauch soll an Isaak, dessen Geburt ins Haus steht, nach speziell israelitischem Ritus vollzogen werden (Gen 21,4). Er fährt fort: „Somit war der Zeitpunkt der Einführung dieses wichtigen Gesetzes für den Verfasser gegeben. Mit groterschiedliche Funktion des Zeichens steht dem, wie oben gesehen, nicht entgegen. Sie wird eher zum Problem, wenn man, wie Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 49, annimmt, die Redeweise sei nachträglich aus Gen 9 nach Gen 17 übernommen worden (warum nicht in genauerer Entsprechung?). 160  S. im Folgenden. 161  Letzteres wird anschaulich illustriert durch die Rede von „the grimness of the law“, die hier gerade nicht begegne (McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 169, Anm.  39). 162  McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer, 170, Anm.  4 0: „Attractive as this possibility [sc. eines Nachtrags von V.  14a] is, I do not see any way of proving it satisfactorily.“ 163  Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, 81–84. 164  Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, 90. Diesen Schluss hat Wöhrle, wiewohl er ihn nahelegt, noch nicht gezogen, vgl. Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, 83, Anm.  33. Sehr viel vorsichtiger als Brett – und dies mit guten methodologischen Gründen – bleibt Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 570: „No trace of H is to be found in Genesis, except possibly in Gen 17:14.“ Zu besagten Gründen vgl. a. a. O., 564, für eine Erklärung, die auch in Gen 17,14 ohne H auskommt, ders., The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 102 mit Anm.  54. Dagegen hat Arnold, The Holiness Redaction of the Abrahamic Covenant, gefolgt von Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 41–42 mit Anm.  21, zuletzt versucht, den Knoten zu durchschlagen, indem er Gen 17 insgesamt (!) auf eine H-Redaktion zurückführt. 165  S. u., Kap. III.5. Eine forschungsgeschichtliche Spurensuche zur Frage nach H in der Genesis unternimmt Warner, The Holiness School in Genesis, 156–158. 166  Skinner, Genesis, 293. 167  Nöldeke, Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, 19.

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ßer Ausführlichkeit wird das Beschneidungsgesetz vorgetragen; wir haben hier vollständig die Sprache, welche wir unten bei den Ritualgesetzen wiederfinden und die uns auch in der Genesis öfter begegnen würde, wenn diese eben ehr [sic] Veranlassung hätte, Gesetze zu geben. Die Einsetzung der Beschneidung ist hier nothwendig, ihre Stellung durch die Oekonomie der Grundschrift gegeben; wir werden daher von vorn herein bedenklich gegen das Bestreben, die ganz gleichartig formulierten Ritualgesetze der späteren Bücher aus anderen Quellen herzuleiten.“168

Auf dieser Grundlage können nun die Befunde in Gen 17, die für eine konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption sprechen, ausgewertet werden. Einige Aspekte sind schon in den Blick gekommen, insgesamt sind fünf Gesichtspunkte anzusprechen. Der erste und schlechterdings grundlegende betrifft den Prolog in V.  1b–2. Hier wird der Bund zwischen Jhwh und Abraham-Israel im Ganzen und grundsätzlich vorgestellt – und zwar als ein beidseitiges Verhältnis. Darauf weist schon die (im Folgekontext gezielt wieder aufgegriffene) Formel zwischen mir und dir ‫( ביני ובינך‬V.  2a, vgl. 7a.10a.11b) unmissverständlich hin,169 und es ist auch gar nicht anders zu erwarten, geht es doch um die Begründung der besonderen Gottesbeziehung Abraham-Israels,170 die als solche auf einer „antwortenden Partnerschaft“171 beruht.172 Dieses beidseitige Verhältnis bringt Verpflichtungen für beide Seiten mit sich, neben der Verheißung V.  2 steht die auf das Gebot vorausverweisende Paränese V.  1bβ.173 Aber es ist einseitig und vorgängig von Jhwh begründet worden, eine „von Gott allein eingerichtete Institution zwischen ihm und seinem Volk“,174 eben sein Bund: ‫בריתי‬.175 Daher gibt es auch keine Grundlage für die verschiedentlich vertretene Auffassung, die Forderung von V.  1bβ gebe die Vorbedingung des Bundesschlusses an.176 So könnte man zwar das Gefälle der programmatischen Gottesrede im Prolog auszulegen versuchen, nach der auf zwei Imperative, die Abrahams Wandel betreffen 168 

Nöldeke, Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, 20. So mit Recht schon Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 164, besonders nachdrücklich dann Knohl, The Sanctuary of Silence, 141 (in Auseinandersetzung mit Valeton, Bedeutung und Stellung des Wortes ‫ ברית‬im Priestercodex, und Begrich, Berit). 170  S. u., zweiter Gesichtspunkt. 171  So mit einem Ausdruck von Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 328. Vgl. ferner von Rad, Das erste Buch Mose, 155. 172  Dies im Unterschied – er liegt, wie bereits erläutert, in der Natur der Sache – zu Jhwhs Bund mit allem Fleisch nach Gen 9. 173  Vgl. etwa Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 250; Freedman/Miano, People of the New Covenant, 9; Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 328; auch Seebass, Genesis II, 101, der im Anschluss an Benno Jacob darauf hinweist, „daß die Berit anders als bei Noah zweiseitig ist, also gegenseitig verpflichtet.“ 174  Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 166. 175  Zur einseitigen Begründung eines beidseitigen Verhältnisses s. o., S.  58–59, im Anschluss an Knoppers, Ancient Near Eastern Royal Grants and the Davidic Covenant. 176  So vor allem Knohl, The Sanctuary of Silence, 138.141, gefolgt von Joosten, People and Land in the Holiness Code, 111–112, und Milgrom, Leviticus 23–27, 2340, aber auch schon Gunkel, Genesis, 267 („die Grundvoraussetzung für die Bundesschließung“). 169 

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(V.  1bβ),177 die Verheißung Jhwhs folgt (V.  2), zumal diese Syntax eine finale Deutung der Kohortative nahelegen mag.178 Durchgeführt wird dieses Programm aber in der genau umgekehrten Reihenfolge: Zuerst erfolgt die angekündigte Selbstverpflichtung Jhwhs (V.  3b–8), und zwar in Form eines performativen Sprechaktes,179 dann erst die Verpflichtung Abrahams (V.  9–14). Mit anderen Worten: Jhwh beginnt seine Verheißung zu erfüllen, bevor überhaupt das Gebot an Abraham ergeht, geschweige denn dieser Gelegenheit gehabt hätte, ihm zu gehorchen. Gegen die Deutung von V.  1bβ als „moral demands“ „made on Abraham as preconditions for the ‫“ברית‬180 spricht schließlich auch die Semantik: zu ‫ התהלך לפני‬in Verbindung mit Jhwh vergleiche Gen 5,22.24; 6,9,181 zu ‫ תמים‬wiederum Gen 6,9.182 Die symbolische Konkretion dieses Wandels in der Beschneidung und deren Abraham beziehungsweise Israel obliegende Praxis („etwas […], was euch überlassen werden muß“183), stellt dann in der Tat eine Bedingung dar – aber nicht für die Etablierung des Bundes.184 Inhalt und Ziel des Bundes – damit sind wir beim zweiten Gesichtspunkt – besteht, spezifisch priesterlich, im Gottsein Jhwhs für Abraham beziehungsweise Israel (Gen 17,7b.8b). Jhwh verspricht sich selbst dem Ahnvater und dessen Nachkommen: Ich werde ihr Gott sein (V.  8b). Dieser Selbstverspruch ist indes nicht zu trennen vom vorangehenden Kontext der Verheißungsrede in V.  4–8. Hier bekundet Jhwh, was er für seinen Bundespartner tun will und in dem Wort, das er spricht, bereits zu tun beginnt: Sieh’ hier, mein Bund mit dir (V.  4a). Dies wird sogleich näher ausgeführt. Im Vergleich mit der Vätergeschichte der Genesis185 fällt dabei auf, dass mit Mehrung (V.  4b–6) und Land (V.  8a) die in der vor-priesterlichen Überlieferung wesentlichen Verheißungen aufgenommen sind.186 Sie stehen dort aber nirgends im Zusammenhang mit dem Theologumenon Bund.187 Hier in Gen 17 sind sie dagegen pointiert als Bundeszusagen gefasst; und vor allem, sie sind um eine weitere Zusage ergänzt, die 177  Für sich genommen, trägt die Form des Imperativs nichts für die Fragestellung aus: „Imperative bezeichnen […] in P, wie auch sonst, nicht nur Befehle, sondern auch durch Segen geschenkte Ermächtigungen“, wie Gross, Zukunft für Israel, 54, Anm.  17, unter Verweis auf Gen 1,28 in Erinnerung ruft. 178  Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 111, Anm.  27, aufgenommen bei Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, 204. 179  S. o., S.  63 mit Anm.  104. 180  Knohl, The Sanctuary of Silence, 138 und 141 mit Anm.  66 (hier auch die Zitate), ebenso Joosten, People and Land in the Holiness Code, 111–112, bes. Anm.  74, und Milgrom, Leviticus 23–27, 2340. 181  Und dazu Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 291. 182  Hierzu auch Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 99. 183  Um noch einmal Jacob, Das Buch Genesis, 422, zu bemühen. 184  S. u., dritter und vierter Gesichtspunkt. 185  Eingehend zur Transformation der vor-priesterlichen Väterverheißungen durch P vgl. Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, 392 ff. 186  Vgl. zum Beispiel Gen 13,15–16 oder 28,14. 187  Mit der neueren Forschung setze ich voraus, dass Gen 15 bereits auf Gen 17 reagiert; vgl. nur Gen 15,6 mit 17,17.

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wir in der vor-priesterlichen Überlieferung vergebens suchen, die des Gottseins Jhwhs für die Angesprochenen. Mit Achtergewicht eingeführt und zweimal ausgesprochen (V.  7b.8b), ist sie deutlich ins Zentrum gerückt. Ja, die beiden älteren Verheißung sind in die neue aufgenommen und integriert: Das Gottsein Jhwhs für Israel ist nach der priesterlichen Konzeption die Verheißung des Bundes,188 die Zusagen von Mehrung und Land gehören zur Konkretion dieser einen, grundlegenden Zusage Jhwhs.189 Traditionsgeschichtlich betrachtet, nimmt P also eine doppelte Innovation vor. Die traditionellen Zusagen an die Väter, Mehrung und Land, werden aufgenommen und bundestheologisch reformuliert; zugleich werden sie ergänzt um eine weitere Zusage, die nun gleichsam den Grund aller Verheißungen angibt und diese so in sich aufnimmt: das Gottsein Jhwhs für Abraham und dessen Nachkommen.190 So ist der Selbstverspruch Jhwhs als das theologische Proprium der priesterlichen Konzeption des Bundes profiliert – und damit der Bund in seinem Wesen als Beziehungsgeschehen.191 Die Stiftung des Bundes durch Jhwh konstituiert die besondere Beziehung, die er eingeht: mit Abraham und dem Volk, das in Person des Ahnvaters schon vor ihm steht, sozusagen Israel in seiner Kindheit.192 Darin ist alles angelegt, was P in der folgenden Darstellung entfaltet;193 wir werden darauf zurückkommen.194 Der dritte Gesichtspunkt ist im Rahmen der literarkritischen Prüfung bereits wiederholt in den Blick gekommen, sodass wir uns hier kürzer fassen können. Ergebnis besagter Prüfung: Gen 17 enthält mit dem Beschneidungsgebot in V.  9–14 eine dezidierte Gehorsamsforderung an den menschlichen Bundespartner, und ihr kommt wesentliche Bedeutung für die Bundesbeziehung zu. Unübersehbar weist darauf schon die Zentralstellung des Gebotes in allen erkennbaren Strukturgliederungen hin, und die abschließende Sanktion bekräftigt es mit Nachdruck.195 Wenn aber das Beschneidungsgebot von Anfang an zum Abrahambund gehörte, dann ist er konditional strukturiert. Das belegen die oben zurückgewiesenen Versuche, V.  9–14 literarkritisch auszuscheiden, insofern sie durch eben diese Ausscheidung einen vermeintlich unkonditionierten Gnadenbund rekonstruieren, der durch die Einfügung 188 Vgl.

Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 20.52 und passim. syntaktischen Plausibilisierung dieser Zuordnung s. Gross, Zukunft für Israel, 57–58, der gegen die verbreitete finite Wiedergabe der Landzusage von V.  8a zu bedenken gibt, dass Infinitive im Status constructus in der Regel nicht durch einen weiteren Infinitiv, sondern durch ein finites Verb weitergeführt werden. 190  Genauer gesagt, wie Jhwh selbst in Gen 17,19–21 präzisiert, für die Nachkommen der mit Isaak weitergeführten Linie; zur Diskussion s. o., S.  62, Anm.  101. 191  „Die Verheißung des Gottseins kann sich […] nur in einem wechselseitigen Geschehen vollziehen“ (Westermann, Genesis 17 und die Bedeutung von berit, 165; Hervorhebung im Original). 192  Grundlegend hierzu Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 294. S. auch Bernat, Sign of the Covenant, 41. 193 Vgl. von Rad, Das erste Buch Mose, 156, der die Verheißung des Gottseins für Abraham und seine Nachkommen als „Vordatierung des Sinaibundesinhaltes“ bezeichnet. 194  S. u., Kap. III.5. 195  Zu Letzterem s. u., vierter Gesichtspunkt. 189  Zur

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des Beschneidungsgebotes nachträglich unter eine Bedingung gestellt worden sei.196 Bemühungen, bei einheitlicher Lesung des Textes diesen Schluss zu vermeiden, muten künstlich an.197 Zu fragen bleibt freilich, was dieses Ergebnis eigentlich besagt, mit anderen Worten, welche Bedeutung dem geforderten Gehorsam zukommt. Der bloße Begriff ‚Bedingung‘ lässt die entscheidende Frage ja noch unbeantwortet: „Bedingung wofür?“198 Also: In welchem Verhältnis stehen Verheißung und Gebot? Wenn man die Frage so stellt, liegt die Antwort nach der oben erarbeiteten Strukturgliederung auf der Hand. Wie gesehen, wird das Du aber des Gebotes in Entsprechung – erst in Entsprechung – zu dem vorgängigen und voraussetzungslosen Ich der Verheißung laut. Daraus folgt: Gefordert wird ein der Gabe und dem Geber korrespondierendes Verhalten199 und damit zugleich eine Stellungnahme des durch die Stiftung des Bundes Begünstigten. Eben in diesem Sinne ist denn auch die Bestimmung der Beschneidung zum Zeichen des Bundes (V.  11b) zu deuten: Sie weist die Erfüllung des Gebots als „Akt […] des Bekenntnisses zu der Heilsoffenbarung Gottes und das Zeichen 196  Zu dieser namentlich von Klaus Grünwaldt angebahnten Sicht s. o., S.  66–67, mit Zitat der dankenswert klaren Darstellung von Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, 47–48. Treffend zusammengefasst ist die theologische Konsequenz dieser Analyse in der von Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 129, formulierten Rückfrage, ob der Charakter des priesterlichen Abrahambundes dann also erst diachron zu erfassen sei: „ein Gnadenbund in der ursprünglichen Priesterschrift, ein bedingter Bund im vorliegenden Endtext?“ 197  Einen verschiedentlich aufgegriffenen Ansatz in diese Richtung hat Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, vgl. ders., Zukunft für Israel, ins Spiel gebracht. Mit der Verpflichtung auf das Beschneidungsgebot erscheine der Abrahambund „ebenso konditioniert, an menschlichen Gehorsam gebunden zu sein wie in den dtn-dtr Texten, lediglich wurden der Dekalog bzw. des Bundesbuch gegen das Beschneidungsgesetz ausgetauscht“, führt er zunächst aus (a. a. O., 60, unter Aufnahme von ders., Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, 102). Doch werde die Beschneidung nur metonymisch als ‫ ברית‬bezeichnet, wie Groß unter Verweis auf ihre Bestimmung zum Zeichen des Bundes in V.  11b wahrscheinlich machen möchte (a. a. O., 113; aufgegriffen zuletzt etwa bei Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20, Anm.  86; anders und überzeugender aber schon Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, 271 mit Anm.  224 und 297; zur Bedeutung der Beschneidung als Zeichen des Bundes s. ferner im Folgenden). Wohl haben Abraham beziehungsweise die Adressaten von Gen 17 Jhwhs Bund zu bewahren, führt Gross, Zukunft für Israel, 60, den Gedanken weiter. „‚Bewahren‘ geschieht jedoch“, so sein Votum (ebd.; zustimmend aufgenommen bei Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, 209, und ders., Zwischen Verheißung und Verpflichtung, 266), „nicht durch gehorsame Ausführung irgendwelcher Gebote religiösen oder sozialen Inhalts“, sondern allein durch den Vollzug der Beschneidung. Aber wo liegt, bei Licht betrachtet, der Unterschied zwischen „irgendwelchen“ religiösen Geboten und dem Gebot der Beschneidung? Inwiefern verleiht P dem aus der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur „als Ausdruck für Gebotsgehorsam“ vertrauten Verb ‫„ שׁמר‬eine neue [welche?] Bedeutung“? (so Gross, Zukunft für Israel, 59; vgl. dagegen nur Lohfink, Das Hauptgebot, 90–93, der Gen 17,9 als einwandfreie Bezeugung des von ihm rekon­ struierten paränetischen Schemas ausweist). Ist nicht Westermann, Genesis, Bd.  2, 318–319, von dem Gross, Zukunft für Israel, 60, Anm.  36, sich ausdrücklich abgrenzt, Recht zu geben, wenn er den Vollzug der Beschneidung als Erfüllung des Gebots auffasst? 198  So mit Recht Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 15. 199 Vgl. Rendtorff, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 21; Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 328; Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 82.

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i­ hrer Annahme“ aus.200 Es geht hier um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als die Antwort Israels und seinen Wandel vor, das „Bleiben bei Jahwe“.201 Gestalt gewinnt dieser Wandel im Gehorsam gegenüber dem Beschneidungsgebot.202 Diese Einsicht bezüglich der Bedeutung des geforderten Gehorsams wird bestätigt und mit Nachdruck bekräftigt durch die abschließende Sanktion in V.  14, ihr gilt der vierte Gesichtspunkt. Wenn hier die Nichtbeachtung des Beschneidungsgebotes als Bundesbruch bezeichnet wird, ist damit vollends augenscheinlich, was auf dem Spiel respektive unter der Bedingung steht: das Bleiben im Bund. Begründet ist die Gottesbeziehung von Gott allein, in ihr zu leben aber die Freiheit seines Gegenübers – mit den entsprechenden Konsequenzen.203 Formuliert wird die Sanktion unter Verwendung der so genannten karet-Formel: ‫ונכרתה הנפש ההוא מעמיה‬, mithin unter Bezug auf den Einzelnen. Das deutet aber gerade nicht darauf hin, die Verletzung der Bundesverpflichtung werde hier gezielt individualisiert, um kollektive Katastrophen des Gottesverhältnisses künftig auszuschließen.204 Im Gegenteil, wie ich unter Aufnahme von Beobachtungen Rolf Rendtorffs205 an anderer Stelle gezeigt zu haben hoffe, wird die Formel durchgängig gerade dort eingesetzt, wo ein Einzelner durch ein Verhalten, das in seinen individuellen Verantwortungsbereich fällt, die Gemeinschaft als Ganze gefährdet.206 Als fünfter Gesichtspunkt, an dem sich die konditionale Struktur des priesterlichen Abrahambundes ablesen lässt, ist schließlich auch seine solenne Qualifizierung als ‫ ברית עולם‬ins Feld zu führen. Das mag erstaunen, wird diese priesterliche Spitzenformulierung sonst doch als Beleg für das genaue Gegenteil gewertet, die herkömm200  So mit von Rad, Das erste Buch Mose, 157. S. ferner ders., Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 148, vgl. jüngst etwa auch Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 250 und 314 („Bekenntniszeichen“ beziehungsweise „Bekenntnisakt“). – Es ist dies, um es mit anderen Worten noch einmal zu sagen, ein Bekenntnis derjenigen, die bereits im Bund stehen. Das erhellt auch aus der Anweisung, die Beschneidung am achten Tag vorzunehmen (V.  12a; nach der Textkritik von Thiessen, The Text of Genesis 17:14, außerdem auch in V.  14a). Ihr zufolge kommt der Beschneidung der Söhne eine Bedeutung als Bekenntniszeichen für die Väter zu; vgl. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, 422. 201 Mit Westermann, Genesis, Bd.  2 , 328. Für eine ganz anders gelagerte Interpretation des Zeichens s. Wénin, L’alliance de la circoncision. 202  Man könnte versucht sein, das an den Ahnvater ergangene Gebot als pars pro toto, „sozusagen als Vorläufer und Angeld“ der später gegebenen priesterlichen Tora aufzufassen; in diesem Sinne Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 85 (hier auch das Zitat), und ähnlich Fox, The Sign of the Covenant, 587–588, konsequent ausgearbeitet bei Bernat, Sign of the Covenant, 38–40 und passim. Treffender erscheint es indes, die Beschneidung als den Teil der Tora zu deuten, der in der erzählten Situation von Gen 17 bereits einschlägig ist beziehungsweise sein kann (ebenso wie die Passabestimmungen in Ex 12); so schon Nöldeke, Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, 20, in seiner oben, S.  72–73, angeführten Erläuterung. 203  Deutlich dazu etwa schon Fox, The Sign of the Covenant. 204  So die zur Absicherung der These eines reinen Gnadenbundes in Stellung gebrachte Deutung; s. o., S.  54. 205  Rendtorff, Die sündige nǽfæš. 206  Krause, Individualisierung des Bundesbruchs (unter ausführlicher Diskussion der Vergleichsbelege).

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

liche Deutung auf ein gänzlich bedingungsloses Bundesverhältnis. Die priesterlichen Tradenten lehnen, so nimmt man für gewöhnlich an, „eine konditionierte Berit, die an menschlichen Gehorsam als Bedingung gebunden ist“, ab – und bringen dies zum Ausdruck, indem sie ihren Gegenentwurf ewigen Bund nennen.207 „Wie könnte er ‚ewig‘ heißen, wenn [sein] Bestand vom Gehorsam Israels abhängig wäre?“208 So wird das „Anliegen der Vergewisserung“ in der Rede von einer „unauflöslichen, auf Dauer abzielenden Selbstbindung Gottes“209 gleichsam auf ein „Stichwort“210 gebracht. Dieses Stichwort wird in Gen 17 nun aber in beiden Teilen, unter Bezug auf die Verheißung (Jhwhs Selbstverpflichtung) und ebenso auch das Gebot (die Verpflichtung Abraham-Israels), gebraucht. Jhwhs Selbstverspruch, Abraham und seinen Nachkommen Gott zu sein (V.  7), und die Antwort der so Erwählten im Bekennt­nis­ akt der Beschneidung (V.  13), beides wird, genau gleichlautend und augenscheinlich in absichtsvollem Wechselbezug, als ‫ ברית עולם‬qualifiziert. Ja, wenn V.  13b mit dem durchlaufenden Leitwort formuliert: So soll mein Bund (‫ )בריתי‬an eurem Fleisch ein ewiger Bund sein, sind damit die beiden Seiten dieser Beziehung in einen integralen Zusammenhang gebracht. Dieser Sachverhalt wird in der Regel geflissentlich ignoriert, zuweilen auch literarkritisch eliminiert.211 Aber dagegen spricht nicht nur die Sorgfalt der literarischen Gestaltung, sondern auch der Konkordanzbefund. Nimmt man die Belege für ‫ברית‬ ‫ עולם‬gemeinsam in den Blick und vergleicht ihre Verwendung, fördert dies einen ge207 

So mit der Zusammenfassung bei Gross, Zukunft für Israel, 45. Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 19. In diesem Sinne etwa auch – die Beispiele ließen sich nahezu beliebig vermehren – Lohfink, Die Priesterschrift und die Geschichte, 251; Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 130; Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 250, Anm.  12, oder Blenkinsopp, The ‚Covenant of Circumcision‘ in the Context of the Abraham Cycle, 148. Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 99–101, wertet diese Überlegung ausdrücklich als Bestätigung der grundlegenden These Zimmerlis: „[T]he tradition of a Sinaitic covenant, with its emphasis on the people’s obedience as the condition sine qua non for the perpetuation of Yahweh’s relationship with Israel, could not be fitted into P’s notion of an ‚everlasting covenant.‘ In this respect, Zimmerli’s original insight remains […] the best explanation.“ (a. a. O., 101). 209  Beide Zitate aus Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 486. 210  Gross, Zukunft für Israel, 45. 211  So der Versuch von Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 85–86, den er mit der Auslegung begründet, das Gebot sei hier „auf dem Wege, Selbstzweck zu werden“, Anlass „menschlicher Gehorsamstat“ im „gesetzlich[en]“ Sinne – ein „Werk, dessen rituell korrekter Vollzug die heilvolle Wirklichkeit des ‚dein Gott‘ verbürgt“ (a. a. O., 86). Anstelle einer ausführlichen theologischen Auseinandersetzung mit dieser eminent christlich-theologischen Interpretation – in dem neueren Beitrag ders., Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, ist sie übrigens, ebenso wie die literarkritische Eliminierung von V.  13b aus dem Grundbestand von Gen 17, revoziert – sei hier nur auf ein Detail der Darstellung hingewiesen, das in bezeichnender Weise für sich beziehungsweise gegen die insinuierte Deutung der Beschneidung als einem dem Menschen zu Gebote stehenden Heilsweg spricht: Obwohl Köckert zuvor treffend auf den konstanten Gebrauch des Leitworts ‫בריתי‬ und dessen theologische Bedeutung eingegangen ist, unterschlägt er den Beleg in V.  13b bei seiner eben referierten Auslegung vollständig; er fehlt in seiner Übersetzung des Verses (ders., Leben in Gottes Gegenwart, 85) und sogar in der Wiedergabe des hebräischen Textes (a. a. O., 86). 208 

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messen am herkömmlichen Verständnis verblüffenden, gleichwohl eindeutigen Sachverhalt zutage: dass es nämlich geradezu die differentia specifica der priesterlichen Überlieferung ist, diese Spitzenformulierung auch zur Qualifizierung von Verpflichtungen einzusetzen. Die Belege außerhalb der priesterlichen Überlieferung, mithin außerhalb des Pentateuchs, begegnen schwerpunktmäßig in prophetischen Diskursen der frühnach­ exilischen Zeit.212 Wenn sie so etwas wie einen gemeinsamen Nenner aufweisen, dann den Umstand, dass der Ausdruck ‫ ברית עולם‬angesichts zurückliegender kata­ strophischer Erfahrungen gezielt aufgegriffen und als Element der Vergewisserung profiliert wird.213 Dieses Anliegen teilen die priesterlichen Tradenten, wenn sie Jhwhs Versprechen, nicht noch einmal eine Flut kommen zu lassen (Gen 9,16), sowie seine Selbstverpflichtung gegenüber Abraham und seinen Nachkommen (Gen 17,7.19) als ewigen Bund apostrophieren.214 Zugleich aber setzen sie – und dies, wie zu zeigen sein wird, ohne damit besagtem Anliegen zu widersprechen – denselben Begriff auch für zentrale Verpflichtungen der menschlichen Bundespartner ein: Außer der Beschneidung (Gen 17,13) werden auch der Sabbat (Ex 31,16) und die Zurichtung der Schaubrote (Lev 24,8) feierlich als ‫ ברית עולם‬bezeichnet.215 So trifft, was Andreas 212  Sämtliche Belege: Jes 55,3; 61,8; 24,5; Jer 32,40; 50,5; Ez 16,60; 37,26; 2 Sam 23,5; 1 Chr 16,17 par. Ps 105,10. Die Auflistung weiterer, teilweise eng verwandter Formulierungen (vgl. nur Ps 89,29) erscheint im Zeitalter elektronischer Konkordanzen entbehrlich. Hinzu kommt aber, was in aller Regel übersehen wird, die Beschwörung des ersten der beiden phönizischen Amulette aus Arslan Tash (s. o., S.  2, sowie Conklin, Arslan Tash I), sofern dort, wofür aus meiner Sicht nach wie vor die besten Gründe sprechen, ʾlt ʿlm (Verso Z.  9–10) tatsächlich einen dauerhaften, ‚ewigen‘ Bund meint und nicht einen Bund mit der Unterwelt, wie Niehr, Zur Semantik von nordwestsemitisch ʿlm, 298, nahegelegt hat. 213  Auch wenn früher datierbare biblische Belege fehlen, muss dies nicht heißen, dass der Ausdruck zu diesem Zweck erst geprägt wurde. Einem solch allzu schnellen Schluss widerrät als Zufallsfund, der es ist, schon das eben (Anm.  212) angeführte Amulett aus Arslan Tash (siebtes Jahrhundert). Zugleich warnt dieser Beleg auch vor theologischen Überinterpretationen, zu denen der für biblisch geschulte Ohren klangvolle Ausdruck leicht verführt. Das gilt zunächst für die dauerhafte Beständigkeit, die ‚Ewigkeit‘, die dem jeweiligen Verhältnis durch die Qualifizierung als ‫ ברית עולם‬zugeschrieben wird. Bei Licht betrachtet ist sie kaum verwunderlich, nur das Gegenteil wäre es. S. dazu Barr, Some Semantic Notes on the Covenant, 33, der darauf hinweist, dass ‫ עולם‬die einzige bekannte Angabe bezüglich der Geltungsdauer eines als Bund bezeichneten Verhältnisses ist: „no one, it seems, ever made a berīt for a limited period“; vgl. dazu auch Weinfeld, Art. ‫ ְּבִרית‬, 793. Erst recht keine Grundlage hat der verbreitete Schluss von einem ‚ewigen‘ auf einen unkondi­ tio­nierten Bund. Hinsichtlich des Davidbundes haben darauf Tsevat, Studies in the Book of Samuel III, 76–77, und Avioz, The Davidic Covenant in 2 Samuel 7, 46, mit Recht hingewiesen. Für P stellt sich die Sachlage sogar noch deutlicher dar, s. im Folgenden. 214  Vgl. ferner Num 25,13. 215  Vgl. ferner Num 18,19. Zu Gen 17,13 s. Jacob, Das Buch Genesis, 432: „indem jedes Geschlecht die Beschneidung vollzieht, wird sie zu einem [sic] ‫ ְּבִרית עֹולָם‬.“ In Ex 31,16 und Lev 24,8 kann man fragen, wie die Syntax funktioniert. Während Fox, The Sign of the Covenant, 588, ‫ ברית עולם‬als adverbialen Akkusativ bestimmt, der die Art und Weise beschreibt, wie die Gebote zu halten sind, plädiert Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, 56, Anm.  29, im Blick auf Ex 31,16 für eine Apposition. So oder so ist aber eindeutig, dass der Ausdruck hier „not a perpetual promise [...] but a perpetual obligation“ näher bestimmt, wie Stackert, Distin-

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Schüle für Ex 31 ausspricht, die priesterlicher Konzeption des Bundes insgesamt: „This ‚eternal covenant‘ imposes a condition on Israel“ – „which means that the covenant, in spite of its eternal nature, could be broken.“216 Festzuhalten ist also: Verheißung und Gebot, in P wird beides – und beides gemeinsam – als ‫ ברית עולם‬qualifiziert,217 wobei der Gebrauch für Verpflichtungen die priesterlichen Belege markant von der sonstigen Verwendung des Begriffs unterscheidet. Vor diesem Hintergrund ist Gen 17,13 keine Ausnahme, sondern die typisch priesterliche Regel. Keinesfalls kann der Beleg als auffällig oder gar literarkritisch anstößig gelten. Im Gegenteil, im Zusammenspiel mit Gen 17,7 und 17,19 zeigt er in aller Deutlichkeit: Verheißung und Gebot, beides gehört, wie im Begriff ‫ ברית‬selbst, so auch in der priesterlichen Konzeption des Bundes, integral zusammen. Mit alledem soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass P besonders daran gelegen ist, die Adressaten der Unverbrüchlichkeit des Bundes zu versichern. Ebenso richtig ist und bleibt, dass bei diesem Anliegen der sprechende Ausdruck ‫ברית עולם‬ eine zentrale Rolle spielt. Dafür spricht ja schon die plötzliche Popularität des Begriffs in einschlägigen Diskursen der Zeit.218 Die eben gewonnene Einsicht zu dessen Verwendung bei P wirft nun aber die Frage auf, wodurch der ewige Bund seine dauerhafte Unverbrüchlichkeit gewinnt.219 Denn dass es die Ausschaltung der Gehorsamsforderung sei, dank derer der menschliche Partner den Bund gar nicht mehr brechen könne, wie für gewöhnlich angenommen wird,220 erscheint in diesem Licht ganz unwahrscheinlich. Im Gegenteil, die gezielte Verwendung des Ausdrucks für zentrale Bundesverpflichtungen belegt: ‚Ewig‘ unverbrüchlich ist der Bund nach priesterlicher Lesart nicht deshalb, weil sein Bruch durch den menschlichen Partner ausgeschlossen wäre. Weshalb aber dann? Warum ist der ewige Bund ewig? Die Frage muss uns noch beschäftigen.221 Nicht zuletzt zeigt sie auch, dass man nach der Untersuchung von Gen 17 noch nicht am Ende ist mit der priesterlichen Bundestheologie – sondern erst guishing Innerbiblical Exegesis from Pentateuchal Redaction, 378 (Hervorhebungen im Original), zu Ex 31,16 festhält. 216  Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, 43. 217  Zu diesem Ergebnis kommt auch die neuere monographische Untersuchung von Mason, ‚Eternal Covenant‘ in the Pentateuch. Kann Mason das herkömmliche, forschungsgeschichtlich erhobene Verständnis von ‫ ברית עולם‬im Pentateuch (also in der priesterlichen Überlieferung) zusammenfassen als „an unbreakable, unconditional, and unilateral covenant which primarily reflects the gracious promises of God“, so steht dem seine eigene, exegetisch erarbeitete Sicht entgegen: „a bilateral, conditional, and breakable covenant involving the obligations of God and humans“ (a. a. O., 226; Hervorhebungen im Original). Vgl. ferner Arnold, Genesis, 171, und Ben Zvi, A Balancing Act, 117 mit Anm.  21. 218  Dazu zuletzt auch Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, 48–53. 219  Oder mit Schüle, The ‚Eternal Covenant‘ in the Priestly Pentateuch and the Major Prophets, 53: „what it is according to P that gives the covanant the potential of being eternally valid.“ Vgl. oben, S. 55 mit Anm.  41. 220  Dazu ausführlich in der forschungsgeschichtlichen Problemexposition in Kap. III.2. 221  S. u., S.  105 ff.

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am Anfang. Denn, mit Christoph Kochs treffender Formulierung, „the Moses narrative is the place where the Abrahamic covenant is realized.“222

4.  Die Paränese in Leviticus Wenn die Mose-Erzählung der Weg ist, die Abraham gegebene Bundesverheißung zu verwirklichen,223 so kommt dieser Weg in Leviticus an sein Ziel. Hier erfüllt sich dem aus Abrahams Same erwachsenen Volk (Gen 17 ff. mit Ex 1* P) die schlechterdings zentrale Zusage Jhwhs: sein Gott zu sein. Die spezifisch priesterliche Verheißung des Bundes224 wird, wie wir sehen werden, in spezifisch priesterlicher Art und Weise Wirklichkeit. Jhwh führt sein Volk aus der Fron Ägyptens heraus (Ex 1–14), um ihm am Sinai 225 Struktur und Einrichtung des Heiligtums zu offenbaren. Kaum ist es errichtet (Ex 25–40), hält die Herrlichkeit Jhwhs (‫ )כבוד יהוה‬Einzug (Ex 40,34–35). Es folgt die Offenbarung der Gottesdienstordnung (Lev 1–7). Als dann auch die Priester geweiht sind (Lev 8) und das erste Opfer dargebracht (Lev 9), erscheint Jhwhs Herrlichkeit dem ganzen Volk (Lev 9,23–24). Nun, da Jhwh mitten unter den Israeliten (!) wohnt (vgl. Ex 29,45–46), können und müssen diese schließlich auch instruiert werden, was es zu beachten gilt und wie es sich auswirkt, wenn der heilige Gott gegenwärtig ist. In diesem Sinne erläutert Jhwh zunächst, wie Unreinheit zu vermeiden und wie mit ihr umzugehen ist (Lev 11–15, abgeschlossen in Lev 16 durch das Institut einer jährlichen Generalrestitution), bevor ebenso detaillierte wie grundsätzliche, Kult und Ethos gleichermaßen betreffende Gebote ergehen (Lev 17–26, abgeschlossen durch eine in der geprägten Form von Segensverheißung und Fluchdrohung gehaltene Darlegung der Konsequenzen, die Gottes Gegenwart in Israel mit sich bringt). Ihr sollt heilig sein, denn ich, Jhwh, euer Gott, bin heilig (Lev 19,2), so Logik und Tenor der Instruktion. Fragt man nun in diesem Zusammenhang nach Paränese – also etwas, das es in P nach der herkömmlichen Auffassung von einem bedingungsfreien Gnadenbund eigentlich gar nicht geben dürfte –, fällt der Blick in erster Linie auf die zuletzt angesprochene Sammlung in Lev 17–26, das so genannte Heiligkeitsgesetz. Sie ist regelrecht strukturiert durch ein „Fachwerk paränetischer Rahmenstücke“,226 dem Inhalt einer alle Lebensbereiche umfassenden Gehorsamsforderung entspricht die Form der eindringlichen rhetorischen Vermittlung. Schon einem flüchtigen Leser sind die 222 

Koch, Art. Covenant: II. Hebrew Bible/Old Testament, 905. S. o., bei Anm.  222. 224  S. o., S.  75, zu Gen 17,7b.8b. 225  Zur Diskussion s. Schmid, Der Sinai und die Priesterschrift. 226  Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, 237. S. ferner Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 66–68, und vgl. schon Lohfink, Das Hauptgebot, 92–93 (das paränetische Schema außerhalb von Dtn 5–28). 223 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

typischen Merkmale bald geläufig: An die zweite Person Plural adressierte Ermahnungen zum Halten und Tun der eingeschärften Satzungen Jhwhs; deren charakteristische Umschreibung durch die Aufforderung zur Heiligung, die ihrerseits begründet wird mit dem Hinweis auf die Heiligkeit Jhwhs und seine Heiligung der Israeliten; und die denkbar dichteste Zusammenfassung das Ganzen in der rekurrenten Formel Ich bin Jhwh (euer Gott).227 Freilich findet sich – der Befund wird häufig notiert, aber selten beachtet – schon als Abschluss der Reinheitstora über essbare Tiere in Lev 11 ein paränetisches Rahmenstück (V.  43–45), das genau diese Merkmale aufweist. Sachlich erscheint die Ermahnung an dieser Stelle auch geradezu geboten, denn im Unterschied zu allen anderen Ursachen von Unreinheit (im Wesentlichen körperliche Funktionen und Krankheiten), die in Lev 11–15 besprochen werden, kann – und das impliziert mit Notwendigkeit: muss – unreine Speise und die aus ihr resultierende Unreinheit durch verantwortungsbewusstes Handeln der Israeliten von vornherein vermieden werden.228 Eben diese „Verantwortung für den Bestand und das Funktionieren des Gottesbundes“ (Karl Elliger)229 ist dann aber in Lev 17–26 durchgängig thematisch, sodass diese letzte Einheit in Leviticus, die zugleich das Finale der Sinaioffenbarung in der P-Überlieferung (jedenfalls in einem weiteren Sinne) insgesamt darstellt,230 in der Tat besonders einschlägig ist für unsere Frage nach der konditionalen Struktur des Bundes in der priesterlichen Konzeption. Provenienz und literarische Zugehörigkeit von Lev 17–26 werden allerdings unterschiedlich beurteilt, und dies gerade aufgrund der angesprochenen Besonderheiten gegenüber dem Vorkontext in P, nämlich der hier konzentriert erhobenen Gehorsamsforderung und der darauf bezogenen paränetischen Rhetorik. Unter den Vorzeichen der Neueren Urkundenhypothese erklärte man dieses Profil mit der ursprünglichen Selbständigkeit eines älteren Gesetzeskorpus, eben des „Heiligkeitsgesetzes“, das nachträglich in Pg aufgenommen worden sei.231 Die Schwierigkeiten begannen aber schon mit der Abgrenzung dieses Korpus, die jedenfalls unter den literarkritischen Klassikern durchaus strittig war. Mindestens so viel Kopfzerbrechen wie der in diesem Zusammenhang diskutierte Umstand, dass sich die namensgebende Aufforde227  Zu Letzterem s. vor allem Zimmerli, ‚Heiligkeit‘ nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, 499, der gegen Elligers redaktionell ausgewertete Kontrastprofilierung der längeren ‚Huldaussage‘ gegenüber der kürzeren ‚Hoheitsaussage‘ auf der Gleichsinnigkeit beider Fassungen der Formel insistiert. 228  Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 38. 229  Elliger, Leviticus, 16; zur Einordnung s. u., bei Anm.  234. 230  Dass Lev 27 nachträglich angehängt wurde, ist schon an der Unterschrift Lev 26,46 (und der anscheinend auf sie abgestimmten komplementären Unterschrift Lev 27,34) abzulesen. Die neuere Diskussion zum Buch Numeri kann hier nicht aufgenommen werden, vgl. aber Achenbach, Die Vollendung der Tora; Frevel, Alte Stücke – späte Brücke; diverse Beiträge in Frevel/Pola/ Schart, Torah and the Book of Numbers; ferner Albertz, Das Buch Numeri jenseits der Quellentheorie. 231  Instruktive forschungsgeschichtliche Darstellungen bieten Grünwaldt, Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17–26, 5–22; Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 5–35; Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 4–11; Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 18– 28.

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rung zur Heiligung erst in Lev 19,2 findet, sollte ferner bereiten, dass sie schon in 11,44–45 begegnet. Demgegenüber hat die neuere Forschung wahrscheinlich gemacht, dass die Sammlung Lev 17–26, unbeschadet der in Traditionsliteratur schon prima facie zu vermutenden Aufnahme älterer Materialien, für ihren Kontext in P komponiert wurde. Dieser Neuansatz ist Karl Elliger zu verdanken,232 Alfred Cholewiński hat ihn abgesichert und vertieft.233 Unter diesem Vorzeichen konnte das charakteristische Profil des Heiligkeitsgesetzes als gezielte Ergänzung,234 ja polemische „Korrektur der zwei ‚Hauptfehler‘ der Pg“ erklärt werden:235 Außer der nachträglichen Erklärung der Sinaiereignisse zum Bundesschluss236 solle „die Grundidee von Pg geändert werden, dass der Bund Gottes unwiderruflich und vom menschlichen Tun unabhängig ist“.237 Aufgenommen und entschieden ausgeweitet wurde dieser Neuansatz in der Hypothese ­einer nicht allein in Lev 17–26, sondern auch andernorts in Leviticus und darüber hinaus im gesamten Pentateuch greifbaren Bearbeitung einer „Holiness School“ beziehungsweise Heiligkeitsredaktion. Begründet von Israel Knohl238 und Jacob Milgrom,239 genießt sie in der gegenwärtigen Diskussion beachtliche Zustimmung und ist ihrerseits in unterschiedlichen Spiel­ arten weiterentwickelt worden.240 Leitend ist auch hier die Annahme einer korrektiven ­Absicht: Hatte die grundlegende priesterlicher Überlieferung – Knohls Priestly Torah (PT) – die Beziehung zwischen Jhwh und Israel, wie sie ab dem Buch Exodus zur Darstellung kommt, dezidiert von Prinzip der Vergeltung („recompense“) und überhaupt von „the observance of moral laws and the practice of justice“ entkoppelt,241 so halte die Holiness School (HS) demgegenüber fest, dass der Bund (‫ )ברית‬in einer „unique relation of reciprocity“ gründe.242 Gegen PT integriere HS das Ethos in den Kult,243 gegen PT vertrete HS dementsprechend auch ein auf ganz Israel ausgeweitetes Konzept von Heiligkeit.244 Die Stärke der Hypothese einer Heiligkeitsredaktion liegt in ihrer hohen Erklärungskraft hinsichtlich der in der Tat erklärungsbedürftigen Befunde im Heiligkeitsgesetz und nunmehr gerade auch außerhalb desselben – wie etwa in den unverkennbar mit Lev 17–26 verwandten Passagen Lev 11,43–45 oder Ex 6,2–9 und 29,43–46 oder auch Gen 17,7–8.14.245 Diese Stärke der Hypothese ist aber zugleich auch ihre Schwäche, denn sie beruht auf einem zweifachen Zirkelschluss. Der eine betrifft die Identifizierung von H-Stücken außerhalb von Lev 17–26. Wenn, wie es gängige Praxis im Gefolge 232 

Elliger, Leviticus. Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium. 234  Elliger, Leviticus, 16: „Und zwar wollte der Initiator der Sammlung […] die Sinaigesetzgebung des Pg, die sich ausschließlich mit dem Kultapparat beschäftigte, durch eine Gesetzgebung ergänzen, die, ohne die Heilsbedeutung jenes von Jahwe ja befohlenen Apparates zu schmälern, nun auch die Gemeinde in ihrem außerkultischen Leben auf ihre Verantwortung für den Bestand und das Funktionieren des Gottesbundes hinwies.“ 235  Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 140. 236  Diese Absicht nimmt Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 335 und passim, in Lev 26,45–46 wahr. S. aber unten, S.  103–104. 237  Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 335. 238  Knohl, The Sanctuary of Silence. 239  Milgrom, Leviticus 1–16; ders., Leviticus 17–22; ders., Leviticus 23–27. 240  Vgl. dazu jüngst etwa Nihan, Heiligkeitsgesetz und Pentateuch, 187–190. 241  Knohl, The Sanctuary of Silence, 173. 242  Knohl, The Sanctuary of Silence, 173. 243  Knohl, The Sanctuary of Silence, 175–180: „Morality and the Cult“. 244  Knohl, The Sanctuary of Silence, 180–186: „Inclusive Sacredness“. 245  Vgl. die Aufstellung bei Knohl, The Sanctuary of Silence, 104–106. S. auch King, The Realignment of the Priestly Literature, 149–151. 233 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Knohls ist, sämtliche Passagen im Pentateuch, die Verwandtschaft mit dem Heiligkeitsgesetz aufweisen, per definitionem derselben Hand oder Schule zugewiesen werden, erlaubt dies zwar eine klare Analyse – aber nicht deren Falsifikation.246 Der zweite Zirkelschluss liegt in der leitenden Annahme einer korrektiven Ergänzung der grundlegenden priesterlichen Überlieferung durch H. Stichhaltig ist diese nämlich nur unter der Voraussetzung, das vermeintlich Ergänzte habe zuvor gefehlt – eine klassische petitio principii. So ist schon Elliger, Cholewiński und ihrer These, das Heiligkeitsgesetz sei in Pg nachgetragen worden, um die dort fehlende Bedeutung menschlichen Handelns zur Geltung zu bringen, mit Recht entgegnet worden, sie vollzögen „eindeutig ein[en] Zirkelschluß“, denn das Heiligkeitsgesetz „bringt ja genau das Fehlende“.247 Die prinzipielle Alternative lautet, für die formative Phase der priesterlichen Überlieferungsbildung mit dem Vorgang einer Komposition zu rechnen, also der Zusammenstellung heterogener priesterlicher Materialien zu einem in sich schlüssigen Werkzusammenhang. Diesen Weg haben Erhard Blum,248 Frank Crüsemann249 und, unter besonderer Berücksichtigung von Lev 17–26, Andreas Ruwe250 gewiesen. Unter dieser Voraussetzung verliert nicht nur der problematische, als methodisches Instrument der Quellenscheidung überholte Verweis auf Differenzen in Terminologie und Stil entscheidend an Gewicht.251 Vielmehr können auch die per se unstrittigen Unterschiede im Thema zwischen der zweiten Hälfte des Leviticus-Buches (Lev 11–26) und der vorangehenden Erzählung von Offenbarung und Einrichtung des Heiligtums (Ex 25–Lev 10), aber auch zwischen letzterer und der priesterlichen Darstellung der Väterzeit in der Genesis (Gen *12–50 P) oder des Exodus (Ex *1–14 P), anders erklärt werden, nämlich als von der Fabelführung, mithin sachlich bedingte Distribution des darzustellenden Materials. „For there is simply no place for social stipulations or for a ban on incestuous relations in the P story of the ancestors or during Israel’s stay in Egypt or during the preparation of the sanctuary in the wilderness.“ „[T]he proper place of stipulations and warnings for the lay community is after the installation of the cultic institutions.“252 Das primäre Erkenntnisinteresse der folgenden Untersuchung ist nun freilich, daran sei noch einmal erinnert, kein literarhistorisches, sondern ein theologisch-konzeptionelles. Konkret bedeutet dies, dass unsere Frage nicht auf die literarische Zugehörigkeit der Texte zielt, sondern darauf, ob sie hinsichtlich ihres theologischen Profils tatsächlich, wie weithin angenommen, in Konflikt mit den Vergleichsbelegen innerhalb des priesterlichen Korpus – zuerst

246  Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 37: „the hypothesis will remain irrefutable, being built on a vicious circle.“ Vgl. auch Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 564. 247 So Crüsemann, Die Tora, 324, Anm.  8, an die Adresse Cholewińskis; vgl. Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 15, zu Elliger. 248  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch. 249  Crüsemann, Die Tora. 250  Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘. 251 Vgl. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 322: „Es lag wohl vorwiegend an der Fixierung traditioneller Quellenkritik […] auf das Postulat einer quellen-/autoreneinheitlichen Sprache, daß der hier [sc. im so genannten Heiligkeitsgesetz] erkennbare ‚paränetische Ton‘ durchweg in ein schichtenspezifisches Merkmal […] umgemünzt wurde und naheliegende kompositorische Gründe für die unterschiedliche Verteilung solcher ‚sprachlichen Kennzeichen‘ gar nicht in den Blick kamen.“ 252  Beide Zitate bei Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 38 (Hervorhebung im Original).

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und vor allem Gen 17 – stehen.253 Es ist auch keine Antwort auf die virulenten literarhistorischen Fragen vorausgesetzt. Wohl aber mag sich eine solche Antwort am Ende, gleichsam als Beifang, nahelegen.254

Dass der Paränese in Leviticus eine konditional strukturierte Bundeskonzeption zugrunde liegt, muss nach der vorstehenden forschungsgeschichtlichen Orientierung kaum noch eigens betont werden, und spätestens mit dem Abschluss in Lev 26,3 ff. 14 ff. kann daran gar kein Zweifel mehr bestehen.255 Zu betonen – beziehungsweise im Folgenden allererst zu erarbeiten – ist hingegen die enge konzeptionelle Übereinstimmung mit dem priesterlichen Zentraltext zum Thema, Gen 17. Sie erscheint umso signifikanter angesichts der unterschiedlichen Verortung von Gen 17 und Lev 17–26 in der Fabel,256 der zufolge ein ‚ausgewachsener‘ Ausdruck der priesterlichen Bundestheologie – Israel steht am Sinai als ‚Baum‘ vor uns257 – mit einem bei Abraham als ‚Same‘ – so die Bildsprache von Gen 17 – angelegten verglichen wird. Bevor wir zu besagter Übereinstimmung kommen, seien aber zunächst noch einmal die altbekannten Unterschiede in aller Deutlichkeit herausgestellt. Da ist in erster Linie die nun alle Lebensbereiche betreffende Gehorsamsforderung.258 Sie ergeht hier, der spezifisch priesterlichen Konzeption entsprechend, in Gestalt der Aufforderung zur Heiligung.259 Den Grund gibt ihr klassischer Ausdruck in Lev 19,2 par. (aber eben auch schon in Lev 11,44–45) deutlich genug zu erkennen: Israel muss heilig sein, damit der Heilige hier Wohnung in der Welt nehmen kann.260 Mit der Gehorsamsforderung sachlogisch verbunden, ist es sodann der bereits beschriebene,261

253  Dies hat zuletzt, unter besonderer Konzentration auf das Material in Exodus, auch Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, geprüft und abschlägig beantwortet. 254  Vgl. dazu in Kap. III.5. 255  Zu letzterem Befund treffend Knohl, The Sanctuary of Silence, 173, der bemerkt, das Heiligkeitsgesetz sei gestaltet („edited“) als „covenant book“. 256  Diese ist unabhängig vom präferierten literargeschichtlichen Modell zu konstatieren! 257  So mit dem von Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 294, geprägten Bild. Zur Sache vgl. von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 175–176. 258  „Sklaverei, Körperverletzungen, Familie und Sexualität, Zins und Verschuldung“ – es fehlt „nahezu kein Thema“, kann Crüsemann, Die Tora, 356, im Abgleich mit der vorexilischen Rechtstradition feststellen. 259 Vgl. Joosten, People and Land in the Holiness Code, 132: „The notions of obedience to the commandments and striving for holiness are practically synonymous in H.“ 260  Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 45–52, hat herausgearbeitet, dass diese Logik nicht erst in Lev 17–26, sondern bereits in Lev 11–15 leitend ist. Er kann dafür auf Lev 10,10–11 verweisen (vgl. auch schon Elliger, Leviticus, 134), findet die Forderung der Unterscheidung zwischen heilig und profan einerseits und rein und unrein andererseits, die in diesem Programmsatz erhoben wird, doch eben in jenen beiden Blöcken ihre Entfaltung. „Die priester(schrift)liche Sinaigeschichte ethisiert das Thema der Gottesnähe damit an der kompositorisch entscheidenden Stelle, und zwar gerade in der Weise, wie ‚Ethik‘ in den dann folgenden Komplexen Lev 11–15 und Lev 17– 26 entwickelt wird.“ (Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 51–52). Dieser Zusammenhang lässt es nicht geraten erscheinen, die beiden Einheiten prinzipiell voneinander abzusetzen. Sie behandeln je eigene Themenkreise, verfolgen dabei aber ein und dasselbe Ziel. 261  S. o., S.  81.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

seit Wellhausen oft und mit Recht hervorgehobene „religiös-paränetische[…] Ton“,262 der Lev (11–15) 17–26 besonders auszeichnet gegenüber der vorangehenden priesterlichen Darstellung.263 Beides begegnet in dieser konzentrierten Form erst in der zweiten Hälfte von Leviticus,264 beides kann freilich in dieser Form, führt man sich die Logik der Fabel vor Augen,265 auch erst hier begegnen.266 Umso schwerer wiegt die bemerkenswerte konzeptionelle Übereinstimmung, zu der wir nun kommen. Zunächst und grundlegend: Auch in Lev 17–26 wird Jhwhs Bund (‫ )בריתי‬mit (‫ )את‬Israel (Lev 26,9.44) als eine beidseitige, partnerschaftliche Beziehung profiliert,267 wie schon aus der prominent herausgestellten Bundesformel in ihrer vollen, zweigliedrigen Gestalt (Lev 26,12) hervorgeht.268 Gewiss, begründet ist das Verhältnis (Jhwhs Bund) einseitig und von Jhwh allein (vgl. nur Lev 26,13; 25,42a.55). Gleichwohl verpflichtet es beide Seiten. Eben dies ist ja die unmissverständliche Stoßrichtung der hier erhobenen Gehorsamsforderung.269 Entsprechend ist dieser Aspekt in Lev 17–26 kaum strittig, im Unterschied zu der Frage, wie es andernorts in der priesterlichen Überlieferung um ihn bestellt ist. So konnte Israel Knohl, der sich gezwungen sah, die Beidseitigkeit der Bundesbeziehung in Gen 17 gegen die Mehrheitsmeinung der Forschung zu verteidigen,270 bei seiner analogen Interpretation des Heiligkeitsgesetzes von vornherein mit Zustimmung rechnen.271 Inhalt und Ziel der Beziehung ist das Gottsein Jhwhs für Israel: ‫להיות לכם לאלהים‬ (Lev 22,33; 25,38; 26,12.45 und schon 11,45).272 Auch dieser Aspekt stimmt genau mit Gen 17 überein. Eben dort wird ja, wie gesehen, das Gottsein Jhwhs für Israel als die 262 

Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 150. Demgegenüber fallen einzelne terminologische Differenzen nicht ins Gewicht, zumal sie in einer Traditionsliteratur – vielleicht darf man sagen: der alttestamentlichen Traditionsliteratur par excellence – wie der priesterlichen geradezu zu erwarten sind. Grundsätzlich hierzu schon Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 322, Anm.  133; unter Diskussion konkreter, von Knohl und Milgrom angeführter Beispiele noch einmal ders., Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 34–36. 264  In konzentrierter Form, das heißt: nicht ausschließlich – wie die Hypothese einer im gesamten Pentateuch greifbaren Heiligkeitsredaktion ja auch in aller Deutlichkeit herausstellt. 265  S. o., S.  8 4, ferner auch S.  72–73, zur Diskussion um Gen 17,9–14 mit Skinner und Nöldeke. 266  Noch einmal: Dies gilt unabhängig davon, wie man die Entstehung der priesterlichen Überlieferung erklärt. 267 Vgl. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 328. 268 Dazu Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 24. 269  Sie wird noch unterstrichen durch die Unterschrift in Lev 26,46, insofern diese unter Verwendung der in Gesetzespromulgationen sonst nicht gebräuchlichen (darauf weist Steymans, Verheißung und Drohung, 265, hin) Formel ‫ בין … ובין‬gestaltet ist. Zur Deutung dieses Befunds vgl. Nihan, Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 324, und bereits Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126–127, zur literarhistorischen Einschätzung des Verses außerdem Elliger, Leviticus, 371, der ihn Ph1 zuweist. 270 S. Knohl, The Sanctuary of Silence, 141, und dazu oben, S.  73. 271  Knohl, The Sanctuary of Silence, 173. 272  Vgl. dazu Zimmerli, ‚Heiligkeit‘ nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, 507; Crüsemann, Die Tora, 351; Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 25–26; Joosten, People and Land in the Holiness Code, 98. 263 

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Verheißung des Bundes nach der priesterlichen Konzeption eingeführt (Gen 17,7b.8b).273 Mehr noch, es bildet das „Leitthema“,274 das die anschließende P-Erzählung Schritt für Schritt entfaltet.275 So greift der priesterliche Gelenktext, der Väterund Volksgeschichte verbindet, in Ex 6,7 gezielt die Verheißung des Gottseins Jhwhs für Israel auf, das hier auch erstmals – bei der ersten sich bietenden Gelegenheit – um das korrespondierende Gegenstück des Volkseins Israels für Jhwh erweitert wird.276 Mit der folgenden Herausführung aus der ägyptischen Sklaverei „gewinnt“ dann, da alle Voraussetzungen gegeben sind, „Gestalt“,277 was Abraham und seinen Nachkommen verheißen worden ist – und zwar durch die Einwohnung des heiligen Gottes inmitten seines Volkes (Ex 29,45–46). Indem er Wohnung nimmt (‫ )שׁכן‬in Israel und seine Herrlichkeit in das Heiligtum (‫ )משׁכן‬einzieht (Ex 29,43; 40,35; Lev 9,23), verwirklicht Jhwh seinen Selbstverspruch.278 Und genau im Sinne dieser Verwirklichung wird das Thema in Lev 11 ff. aufgenommen und weitergeführt. Dies zeigt sich, wenn wir gleich nach der sachlichen Bedeutung der dort behandelten Themen Reinheit und Heiligkeit beziehungsweise Heiligung fragen, es zeigt sich aber auch schon bei einem Blick auf die abschließende Segensverheißung in Lev 26,3–13. Denn in ihrem thematischen Aufbau läuft diese, wie zuletzt Christophe Nihan gezeigt hat,279 auf die schlechterdings zentrale Zusage der kultisch vermittelten Gegenwart Gottes in Israel zu: Wohlstand des Landes (V.  4–6), Wohlstand des Volkes (V.  7–10), Ein273 

S. o., S.  75. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 287. 275  Ausführlicher dazu s. u., Kap. III.5. 276  Die priesterliche Darstellung ab Exodus präsentiert sich in dieser Hinsicht unverkennbar als Konsequenz des Abrahambundes von Gen 17 (so unlängst noch einmal Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 101), wie der Zusammenhang Gen 17,7–8; Ex 2,23–25; 6,2–8; 29,43–46; 40,34–35 zeigt (grundlegend dazu von Rad, Die Priesterschrift im Hexateuch, 175–176, mit der charakteristischen Beschreibung als „historische[r] Fortschritt von der Verheißung zur Erfüllung“, aufgenommen bei Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 294, aber auch Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 212). Dieser sukzessiv entwickelte sachlogische Zusammenhang steht der von Knohl, The Sanctuary of Silence (gefolgt von Joosten, People and Land in the Holiness Code, 110–112), zur Diskussion gestellten These entgegen, nach der die grundlegende priesterliche Darstellung (Knohls PT) die beiden heilsgeschichtlichen Epochen der Väter- und der Mosezeit scharf voneinander abhebe durch den jeweiligen Modus der Gottesbeziehung und dessen Bezeichnung als ‫ ברית‬beziehungsweise ‫עדות‬. So ist es kein Zufall, dass Knohl die tragenden Bestandteile des besagten Zusammenhangs HS zuweist (vgl. Knohl, The Sanctuary of Silence, 104–106, ferner a. a. O., 102, Anm.  145, wo die Rede vom Gottsein Jhwhs für Israel als typisches Erkennungsmerkmal für HS reklamiert wird). Dieser Analyse ist mit Recht entgegnet worden, dass sie vom Textbefund her alles andere als zwingend (Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 34–35, Anm.  72) und im Ergebnis „the actual coup de grâce“ für jede denkbare P-Erzählung ist (Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, 34, und ebenso Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 97, Anm.  39); vgl. zuletzt Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 5 und passim. 277  Crüsemann, Die Tora, 350. 278 Vgl. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, 295–303; Utzschneider, Das Heiligtum und das Gesetz, 49–52; Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 294 ff.; Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 102.104. 279  Nihan, Heiligkeitsgesetz und Pentateuch, 195. 274 Vgl.

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wohnung Jhwhs und Gottsein für Israel (V.  11–13).280 Das ist die spezifisch priesterliche Ausgestaltung des Bundesgedankens.281 Eben auf dieses in der Einwohnung Jhwhs in Israel verwirklichte Ziel der Bundesbeziehung ist die Gehorsamsforderung bezogen. Denn sie thematisiert die Bedingung der Möglichkeit von Leben in Gottes Gegenwart in der geminderten Schöpfungswelt.282 Unter den Umständen einer mit Jhwhs Heiligkeit inkompatiblen, durch den Einbruch des ‫ חמס‬korrumpierten Welt (Gen 6,11) bedarf Gemeinschaft mit Jhwh eines „schützenden Raumes“,283 nämlich des von ihm selbst gestifteten Kultes.284 Wesentlich für dessen Ordnung ist zum einen, dass der räumlichen Dimension (Heiligtum) eine temporale (heilige Zeiten) und eine personale (geheiligte Menschen) korrespondieren. Zum anderen ist sie in konzentrischen Kreisen aufgebaut: Das gesamte Gottesvolk ist ausgerichtet auf die Kapporet in seiner Mitte, und mit zunehmender Nähe zu diesem Ort der denkbar sublimsten ‚Berührung‘ mit dem Heiligen nimmt der Grad, gleichsam die Dichte der Heiligkeit zu.285 Ist damit ganz Israel die Wohn280  S. auch schon Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, 318: „The climactic blessing of Leviticus 26:9, 11–13a stresses most clearly the supreme meaning of the covenant at Sinai, Yahweh’s tabernacle in Israel’s midst and thereby his covenant presence with his people“. 281  Demgegenüber hat Joosten, People and Land in the Holiness Code; ders., Covenant Theology in the Holiness Code; ders., Covenant, hier Abschnitt 2.2, wahrscheinlich zu machen versucht, das Heiligkeitsgesetz entwickle „a distinct covenant theology from its own particular world view“ (ders., Covenant Theology in the Holiness Code, 147). Im Kern gehe es um „a sacral bond between the god YHWH and the people of Israel designated to enable the former’s dwelling, in an earthly sanctuary, among the latter“ (a. a. O., 163), vorausgesetzt sei ein entsprechendes, auch andernorts im Alten Orient nachzuweisendes Konzept (vgl. a. a. O., 155–156). Doch lassen sich die in Joostens Beschreibung pointiert zusammengefassten Spezifika der in Lev 17–26 vorliegenden Konstellation ungezwungen aus der priesterlichen Bundeskonzeption und ihrer sukzessiven Entfaltung seit Gen 17 heraus erklären (s. o.). Ja, um das Heiligkeitsgesetz und ‚seine‘ Bundestheologie überhaupt ‚für sich‘ („on its own terms“, a. a. O., 147) beziehungsweise im Licht alternativer Verstehensvoraussetzungen lesen zu können, muss Joosten allzu eindeutige Rückverweise auf die vorangehende P-Erzählung gezielt ausklammern (so a. a. O., 150–152 mit Anm.  28, für Lev 26,42). 282  Zu letzterer vgl. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 289–293. 283  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 294. 284  Vgl. grundlegend von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 201 und passim, ferner etwa Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 105. 285  Dieses elementare priesterliche Ordnungsprinzip (vgl. Jenson, Graded Holiness) lässt sich auch und gerade im so genannten Heiligkeitsgesetz aufweisen. So hat Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 82–86, herausgearbeitet, dass der die aaronidischen Priester betreffende Abschnitt Lev 21,1–22,16 sachlich in genauer Entsprechung zu den die Israeliten insgesamt betreffenden Abschnitten 17,1–20,27; 22,17–33 gestaltet ist. Es gibt faktisch keine Bestimmung in ersterem, die kein Gegenstück in letzteren hätte, wobei die die Priester betreffende jeweils eine Steigerungsform der entsprechenden allgemeinen Vorschrift darstellt. Wenn Israel aber, im Heiligkeitsgesetz ebenso wie in der priesterlichen Überlieferung insgesamt, in konzentrischen Kreisen auf das Heiligtum ausgerichtet ist, wobei mit zunehmender Nähe zum Heiligtum die Anforderungen hinsichtlich Reinheit und Heiligkeit graduell ansteigen, so spricht diese Ordnung entschieden gegen die Auslegung von Knohl, The Sanctuary of Silence, die differentia specifica des Heiligkeitsgesetzes im Unterschied zur vorangehenden P-Darstellung liege darin, dass erst hier die Heiligkeit des gesamten Volkes (und des Landes, wie Joosten, People and Land in the Holiness Code, ergänzt) als erforderlich für die Einwohnung Jhwhs behauptet würde. Gewiss, die entsprechenden Bestimmungen kommen erst hier – genauer: von Lev 11 an! – zur Darstellung, wie vor allem Nihan, From Priestly Torah to Pen-

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statt Jhwhs in der Welt: ‫( ושכנתי בתוך בני ישראל‬Ex 29,45), so kann es schwerlich erstaunen, dass an ganz Israel die Forderung ergeht, der das Heiligkeitsgesetz seinen Namen verdankt, die aber, wie gesehen, von Lev 11 an erhoben wird: ‫קדשים תהיו כי קדוש‬ ‫( אני יהוה אלהיכם‬Lev 19,2). Das die vorangehende P-Erzählung prägende Leitthema der Gottesgemeinschaft wird aufgenommen und „ethisiert“,286 konkret: „an die das Kollektiv Israel bestimmende Unterscheidung von ‚Rein/ Unrein und Heilig/ Profan‘ gebunden“.287 Wo diese Unterscheidung vorgenommen und beachtet wird, kann Leben in Gottes Gegenwart gelingen – wie wohl am nachdrücklichsten via negationis zum Ausdruck kommt (Lev 20,22–26 u. ö.).288 Kurzum: Die vorgängige „actio dei“ trägt in sich die Forderung nach einer „reactio hominum“.289 Gefordert wird nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Jhwhs freier Zuwendung und seinem Wesen entsprechendes „Korrespondenzverhalten“290 ­Israels.291 In ihrer Konkretion mittels der Kategorien von Reinheit und Heiligkeit ergeht diese Forderung erst und kann erst ergehen, nachdem der Kult eingerichtet ist. Nun ist sie allerdings auch „geradezu überfällig: Jhwhs exklusive Zuwendung hat nur Bestand, wenn das Volk seine Partnerrolle übernimmt; das Regelwerk des Kultes […] tateuch, im Anschluss an Knohl und Joosten mit Nachdruck betont hat. Doch wo und wie hätten sie zuvor angesprochen werden sollen oder überhaupt angesprochen werden können? Die Logik der priesterlichen Sinaierzählung widerrät dem Versuch, die narrative Abfolge in ein diachrones Nacheinander (P → H) zu übersetzen. Dabei ist keineswegs die ursprüngliche Einheit der priesterlichen Großerzählung vorausgesetzt; es wird lediglich bestritten, dass der Versuch ihrer diachronen Differenzierung Anhalt an der Distribution des Stoffes zu finden vermag. Denn diese Distribution ist augenscheinlich sachlich bedingt. 286  Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 51. 287  Ruwe, ‚Heiligkeitsgesetz‘ und ‚Priesterschrift‘, 51, unter Verweis auf die entsprechende Forderung in Lev 10,10–11 und deren konsequente Entfaltung in Lev 11–15 und 17–26. Dass beide Komplexe unter das Thema „Heiligung des Gottesvolkes“ zu stellen sind, betont auch schon Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 318, der hierfür auf Lev 11,44 verweisen kann. 288  Zur Klärung dieses Sachzusammenhangs hat Joosten, People and Land in the Holiness Code, wichtige exegetische Beobachtungen beigesteuert, die auch unabhängig von seiner aus ihnen gefolgerten These (s. o., Anm.  281) aufgenommen werden können. 289  So mit Elliger, Leviticus, 16. 290  Den Begriff „Korrespondenzverhalten“ hat Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 318, in die Diskussion eingeführt. Elliger, Leviticus, 16, spricht unter Bezug auf Lev 19,2 von dem „Korrespondenzverhältnis von actio dei [sic] und reactio hominum“, Zimmerli, ‚Heiligkeit‘ nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, 495, von der „Korrespondenzaussage“. Zur Sache s. jetzt auch Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 57–58 und passim. 291  Dagegen argumentiert Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 106, unter Weiterführung des Ansatzes von Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, die Einwohnung Jhwhs werde in Lev 26,11–12 als noch ausstehend präsentiert und im Sinne einer Vorbedingung von Israels Gehorsam gegenüber der Sinai­ gesetzgebung abhängig gemacht („made conditional upon observance“; Nihan, The Priestly Cove­ nant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 106); er sieht darin gar die charakteristische Innovation von H gegenüber P (a. a. O., 105; zum Problem s. bereits Elliger, Leviticus, 366–367). Doch scheint mir diese Deutung den Eigensinn der als Idealbild (vgl. nur V.  12aα!) angelegten Segensverheißung zu verfehlen. S. Joosten, Covenant Theology in the Holiness Code, 151–152, Anm.  31 und 158, Anm.  55; ders., People and Land in the Holiness Code, 106–107.115–116, und im Anschluss an seine Auslegung unten, S.  92–93.

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hat nur einen Sinn in einer Gemeinschaft, die sich der Verantwortung angesichts des Heiligen bewußt ist.“292 Ihrer Grundstruktur nach ist die Forderung des Korrespondenzverhaltens indes nicht neu: Sie ist uns bereits in Gen 17 begegnet.293 Vorsätzlich mangelndes Korrespondenzverhalten muss, wie bereits die Forderung als solche impliziert, Konsequenzen nach sich ziehen. Deutlicher als durch die große Alternative des Schlusskapitels Lev 26 könnte dies kaum zum Ausdruck gebracht werden: Wenn ihr … (V.  3 ff.) – Wenn ihr aber nicht … (V.  14 ff.). Unter Anleihe bei dem für das altorientalische Vertragswesen charakteristischen Sanktionsmechanismus von Segen und Fluch294 wird dort en detail durchbuchstabiert, welche Bedeutung Israels Gehorsam gegenüber der Forderung zukommt: nämlich den von Jhwh gestifteten Bund zu bewahren, die Gottesbeziehung mit Leben zu erfüllen und in ihr zu bleiben. Auch diese Anlage der konditionalen Struktur, nach der Israels Wandel erst als ‚zweites Wort‘, eben als Antwort auf die Zuwendung Jhwhs in den Blick kommt, kennen wir aus Gen 17,295 auch sie stellt sich unter den veränderten Vorzeichen – in Lev 26 ist Israel als Volk angesprochen und nicht mehr in Person des Ahnvaters – nun allerdings in ausdifferenzierter Form dar. In lebensweltlichen Kategorien und zum Teil drastischer Anschaulichkeit wird hier dargelegt, was das konkret bedeutet: im Bund zu bleiben. Auf diese Differenzierung führt die sorgfältige Gestaltung von Lev 26, die, bei unübersehbarer traditionsgeschichtlicher Abhängigkeit von dem gemeinaltorientalischen Fluchformular,296 durch dessen genuin theologische Adaption ganz eigene Akzente setzt. Zwei sind besonders hervorzuheben. Erstens: Während in altorientalischen Verträgen oder Gesetzen Götter als Garanten angerufen und gebeten werden, bei künftigem Bruch der Vereinbarung die festgeschriebenen Fluchfolgen in die Tat umzusetzen, führt in Lev 26 die Gottheit selbst das Wort. Jhwh aber bittet niemand, er sagt und wirkt selbst, was geschehen wird.297 Daher handelt es sich hier nicht um Segen und Fluch, sondern um Verheißung und Drohung, wie in jüngerer Zeit besonders Hans Ulrich Steymans betont hat.298 Diese Drohung zielt, zweitens, keineswegs auf bloße Ahndung künftigen Ungehorsams. Vielmehr verfolgt sie eine pädagogische Absicht.299 Das wird nicht nur durch die Verwendung der Wurzel ‫ יסר‬angezeigt (Pi. 292  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 318 (Hervorhebung im Original), aber auch schon Elliger, Leviticus, 16. 293  S. o., S.  76–77. 294 Vgl. Kitz, Cursed are You, und Aitken, The Semantics of Blessing and Cursing in Ancient Hebrew, und s. u., Kap. IV.2, mit ausführlicher Diskussion und Literatur. 295  S. o., S.  77. 296  S. zuletzt Ramos, A Northwest Semitic Curse Formula. 297 Vgl. McCarthy, Treaty and Covenant, 11. So kann Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 380, Lev 26 als „Prophetie in poetisch-pathetischer Rede“ klassifizieren. 298  Steymans, Verheißung und Drohung, 273, zustimmend aufgenommen bei Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 208. Den Sachverhalt hat schon Noth, Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, 170, gesehen. 299  So zuletzt vor allem Marx, Lévitique 17–27, 201–202, aber auch schon Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 127.

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V.  18 und 28, Nif. V.  23),300 sondern mit der sukzessiven Steigerung der angedrohten Züchtigungen in „an escalating scale“301 auch anschaulich dargestellt.302 Strukturiert ist diese Eskalationsspirale durch ein retardierendes Moment, das viermal wiederkehrt (V. 18.21.23.27) und jede der fünf Reihen von Fluchdrohungen bis auf die letzte303 abschließt nach dem Motto: Wenn ihr euch aber dadurch noch nicht von mir zurechtweisen lasst … (V.  23).304 Ein ums andere Mal wird Jhwh, so seine Ankündigung, innehalten bei der Züchtigung, immer wieder neu gibt er Israel Gelegenheit umzukehren – und in der Tat liegt darin offensichtlich der Sinn des ganzen Unterfangens.305 Von besonderem Interesse für unsere Fragestellung ist dabei: Mag das mangelnde Korrespondenzverhalten Israels als Bundesbruch bezeichnet werden (V.  15: ‫ פרר‬Hif. + ‫)בריתי‬, und dies von Anfang an, nämlich bereits in der Protasis des einleitenden Konditionalgefüges,306 unter Bezug auf Jhwhs Reaktion ist davon gerade nicht die Rede. Dass dies kein Zufall ist, sondern Ziel der durchdachten Darstellung, zeigt der in genauer Entsprechung zu V.  15 formulierte V.  44.307 Hier wird ‫ פרר‬Hif. + ‫ בריתי‬auf Jhwh bezogen – aber nur, um diese Möglichkeit definitiv auszuschließen. Diesem ausdrücklichen Votum des Schlussteils entspricht der Befund in den beiden Hauptteilen. Vergleicht man die dortigen Segensverheißungen und Fluchdrohungen im Einzelnen, so ergibt sich, dass nach und nach jede Verheißung durch eine gegenläu300  Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 212; Nihan, Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 317. 301  Levine, The Epilogue to the Holiness Code, 20. 302  Gross, Zukunft für Israel, 93; Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 212–213. 303  Zu V.  39 ff. s. aber unten, Anm.  305. 304  Auf diesen wichtigen Aspekt hat vor allem Korpel, The Epilogue to the Holiness Code, 150, aufmerksam gemacht. 305  So die Schlussfolgerung von Korpel, The Epilogue to the Holiness Code, 150; s. ferner Stey­ mans, Verheißung und Drohung, 290. Aufgrund dieser Deutung sprechen sich Korpel wie Stey­ mans gegen die Annahme aus, V.  39–45 seien, ob en bloc oder schrittweise, nachträglich angefügt worden, wie sie in der neueren Forschung besonders nachdrücklich von Levine, The Epilogue to the Holiness Code, der seinerseits auf die Analyse von H. L. Ginsberg rekurriert, vertreten wurde. Im Anschluss an Ginsberg und Levine und unter Berufung auf eine entsprechende Einschätzung Wellhausens hat zuletzt vor allem Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, die Ansicht vertreten, ein „statement of hope“, wie es der Schlussabschnitt V.  39 ff. bietet, breche der vorangehenden Fluchdrohung die Spitze ab, ursprünglich müsse Lev 26 auf den „threat of doom“ ausgeklungen haben (beide Zitate a. a. O., 221). Doch wenn Jhwh nach Darstellung von Lev 26 mit seiner Drohung die pädagogische Absicht verfolgt, Israel zur Umkehr zu bewegen, ist diese Argumentation geradewegs umzudrehen; so mit Recht Fischer, A Need for Hope, 372–375, und Nihan, Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 314–317. Ausführliche Diskus­ sion der literarkritischen Probleme und weitere Literatur bieten die angeführten Untersuchungen von Müller und Nihan; s. auch unten in Kap. III.5. 306  „Schon die erste Stufe des Ungehorsams wird als Berit-Brechen qualifiziert“ (Gross, Zukunft für Israel, 93). 307  Außer auf den Sachverhalt, dass dem ‚Bundesbruch‘ Israels gerade kein Bruch des Bundes durch Jhwh entspricht (s. im Folgenden), sei auf die analogen Kontrastformulierungen mit ‫ מאס‬und ‫( געל‬vorbereitet und verstärkt durch die Aufnahme von V.  15a in 43b) hingewiesen.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

fige Drohung zurückgenommen wird – bis auf eine: die Zusage, den Bund (‫)בריתי‬ aufrecht zu erhalten (‫ קום‬Hif. V.  9b).308 Die äußerste denkbare Konsequenz, die darin bestünde, seinem Volk selbst ein Ende zu setzen (‫ כלה‬Pi. V.  44) – und eben dies wird in V.  44 als Bundesbruch Jhwhs ‚definiert‘ –,309 zieht Jhwh ausdrücklich nicht in Betracht. Mit anderen Worten: Auch wenn die für Israels ‚Bundesbruch‘ angedrohten Sanktionen bis zum bitteren Ende, als das sich die historischen Realitäten von Landverlust und Exil zu erkennen geben,310 durchexerziert werden, der Bund selbst bleibt bestehen. „It is […] crucial to recognize that, within the imagined scenario in Lev 26, divine abandonment is not an annulment of the relationship between God and his people.“311 Jede binär kodierte Fragestellung griffe hier zu kurz. Besteht der Bund noch oder ist er bereits endgültig, nämlich von Jhwh, gebrochen? Mit einer solchen Alternative ließe sich die Bandbreite der Möglichkeiten, die zur Wirklichkeit des Lebens Israels vor Jhwh werden können, allenfalls abgrenzen. Die eigentliche Frage, die die Schilderung der Konsequenzen mangelnden Korrespondenzverhaltens in Lev 26 aufwirft, ist nicht die, ob der Bund noch besteht, sondern wie sich Israels Leben als Volk Jhwhs darstellt und warum. Es geht, mit anderen Worten, um die lebensweltliche Erfahrung der eigenen Existenz und deren Deutung sub specie Dei.312 Wenn es an Israel ist, im Bund zu bleiben, so bedeutet dies konkret, dass sein in das stufenlose Spek­ trum lebensweltlich erfahrbaren Segens ausdifferenziertes Ergehen ursächlich verbunden ist mit seinem dem Willen und Wesen Jhwhs entsprechenden Wandel.313 In dieser Perspektive erschließen sich denn auch markante exegetische Charakteristika von Lev 26. So lässt die literarische Darstellung einer sukzessiven Eskalation der Züchtigungen durch das Schwert der Bundesrache (V.  25)314 den Leser gleichsam den Weg nachvollziehen, auf dem das Gottesvolk aus seinem geradezu paradiesisch gesegneten Land (vgl. nur V.  6b) schrittweise – Schlag um Schlag – zu einem prekären Leben im Land seiner Feinde (V.  33 ff.) gelangt. So signalisiert umgekehrt aber auch die futurische Formulierung der Segensverheißungen das Potential gelingender 308 

Beobachtet von Hieke, The Covenant in Leviticus 26, 78. Vgl. ders., Levitikus 16–27, ad loc. mit Olyan, The Status of Covenant During the Exile, 335. S. ferner Joosten, Covenant Theology in the Holiness Code, 164, Anm.  79, und Gross, Zukunft für Israel, 93. 310 Vgl. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, 170–171. 311  Stackert, Distinguishing Innerbiblical Exegesis from Pentateuchal Redaction, 384 (Hervorhebung im Original). Vgl. ders., Political Allegory in the Priestly Source, 218–219. S. etwa auch schon Crüsemann, Die Tora, 355. 312  Zum religionstheoretischen Hintergrund vgl. Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, 77–85. 313  So bleibt „an essential tension of biblical theology“ gewahrt: „Israel […] remains responsible and is called to live according to God’s commandments; failing to do so or willingly neglecting God’s torah will not be without consequences. But the punishment will not lead into extinction“ (Hieke, The Covenant in Leviticus 26, 76). 314  Gross, Zukunft für Israel, 93, argumentiert überzeugend, dass der singuläre Ausdruck durchgängig, das heißt für alle fünf Eskalationsstufen, den Modus beschreibt, in dem Jhwh seine Fluchdrohungen verwirklicht. 309  So

5.  Der Zusammenhang in P

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Gottesgemeinschaft: „if the Israelites obey the commandments, the relationship between them and YHWH will blossom“,315 „even though the covenant is already official and binding, YHWH will bring it to fruition“.316 Fassen wir das Ergebnis der vorstehenden Untersuchung zusammen, so ist festzuhalten: Jhwhs Bund mit Israel erweist sich in Leviticus, erstens, als eine beidseitige, partnerschaftliche Beziehung. Deren zentrale Verheißung besteht, zweitens, in Jhwhs Selbstverspruch, seinem Volk Gott zu sein, mittlerweile verwirklicht durch die Einwohnung Jhwhs in Israel. Die Bedingung der Möglichkeit dafür thematisiert, drittens, die an das Volk ergehende Forderung, sich zu heiligen, um der Heiligkeit des in ihrer Mitte wohnenden Gottes zu entsprechen. Und schließlich viertens: Wenn Israel seiner mit dieser besonderen Zuwendung Jhwhs einhergehenden Verantwortung nicht gerecht wird und sein Korrespondenzverhalten vorsätzlich schuldig bleibt, so zieht solches, als ‚Bruch‘ des Bundes bezeichnetes Verhalten Konsequenzen nach sich. Diese bestehen freilich nicht im effektiven Bruch des Bundes durch Jhwh. Vielmehr bekommt Israel die Folgen eines Wandels, der nicht in der Gottesbeziehung bleibt, in dem Maß beziehungsweise Mangel lebensweltlicher Segenserfahrungen zu spüren. Dieses Ergebnis entspricht nun aber Punkt für Punkt dem bei der Untersuchung von Gen 17 erzielten.317 Der Vergleich zeigt, dass die konditional strukturierte Konzeption des Bundes, die der Paränese in Leviticus zugrunde liegt, in signifikanter Übereinstimmung mit dem priesterlichen Zentraltext zum Thema steht. Diese Übereinstimmung wiegt umso schwerer, als die wesentlichen Unterschiede durch den unterschiedlichen Ort in der Fabel vorgegeben sind.

5.  Der Zusammenhang in P Das Ergebnis der beiden vorangehenden Untersuchungen des Abrahambundes und der Paränese in Leviticus lässt sich auch so zusammenfassen: Gen 17 (herkömmlich Pg) und Lev 17–26 (H) sind in konzeptioneller Hinsicht gerade nicht grundsätzlich voneinander geschieden. Mit der vertrauten Kontrastprofilierung entfällt das tragende Argument sowohl für die herkömmliche Abgrenzung einer P-Grundschrift ohne Heiligkeitsgesetz als auch für die Identifizierung einer H-Bearbeitung dort und an anderen Orten im Pentateuch, wie sie im Gefolge 315 

Joosten, People and Land in the Holiness Code, 106. Joosten, People and Land in the Holiness Code, 116; vgl. auch ders., Covenant Theology in the Holiness Code, 152, Anm.  31. Durch die Verwendung von Metaphern aus dem Bereich der Vegetation (blühen, zur Reife gelangen, Früchte tragen) schließt sich Joostens Deutung nicht nur eng an die sprachliche Gestaltung des Textes an, sie verleiht auch dessen theologischer Nuancierung treffenden Ausdruck. 317  Vgl. oben, S.  73 ff. Zum fünften in Gen 17 herausgearbeiteten Gesichtspunkt, der Qualifizierung des Bundes als ‫ברית עולם‬, s. im folgenden Kap. III.5, dort S.  105–108. 316 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

von Israel Knohl die gegenwärtige Diskussion dominiert.318 Wenngleich diese literarhistorische Implikation nicht im Fokus der hier verfolgten Fragestellung liegt, spricht dieses Ergebnis mit Nachdruck gegen beide genannten Grundannahmen bezüglich der Entstehung der priesterlichen Überlieferung, ja überhaupt gegen Grundschrift-Hypothesen319 und für ein Kompositionsmodell.320 Für unsere Untersuchung ist indes nicht entscheidend, wann und wie Gen 17 und Lev 17–26 zu dem vorliegenden Zusammenhang der priesterlichen Überlieferung verbunden worden sind, sondern dass sie hinsichtlich ihrer bundestheologischen Konzeption im Grundsatz übereinstimmen.

Dieser Befund wird noch bekräftigt durch den folgenden Blick auf das literarische Profil der priesterlichen Überlieferung im Ganzen. Nach der Logik ihrer Fabel kann die an Israel adressierte Paränese, die wir konzentriert in Lev 17–26 finden, erst erfolgen, nachdem das Arrangement der Bundesbeziehung von Jhwh her eingerichtet ist. Dann muss sie aber auch unbedingt erfolgen. Nachdem Gott in seinem Volk Wohnung genommen, nachdem Jhwh sozusagen seinen Teil der Bundesformel verwirklicht hat, muss es nun mit Notwendigkeit darum gehen, wie Israel dieser Wirklichkeit entsprechend leben kann.321 Für den Zusammenhang, der hier aufscheint, spricht nicht allein die elementare religionsphänomenologische Evidenz, nach der die Einwohnung des Heiligen die Heiligung der Wohnung erforderlich macht.322 Er wird auch mit Nachdruck unterstrichen durch einen per se unstrittigen literarischen Befund. Die Rede ist von den verschiedentlich beobachteten Inclusio-Bezügen zwischen Lev 26 und Zentralstücken der vorangehenden P-Erzählung.323

318 

So bereits Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 321–322. seine Unterscheidung einer „Priestly Torah“ von der sie redigierenden „Holiness School“ in der folgenden Forschung weithin als modifizierte Fortsetzung der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Pg und Ps aufgefasst wurde, ist für Knohls eigenen Ansatz festzuhalten, dass er explizit nicht mit der Annahme einer Grundschrift operiert, vgl. Knohl, The Sanctuary of Silence, 101: „PT came into the possession of HS in the form of individual scrolls, and it was HS that edited and combined them.“ (Auf diesen Sachverhalt hat unlängst auch Blum, Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, 33, Anm.  3, aufmerksam gemacht.) Durchaus einschlägig ist die Kategorisierung jedoch für die neuere Diskussion; vgl. zum Beispiel Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, 618–619, der „the original Priestly document in Gen 1–Lev 16“ und „P’s editing by the Holiness School“ unterscheidet. 320  Zur Diskussion s. o., S.  82–85. 321  S. o., Kap. III.4. 322  Außer der obigen Untersuchung s. etwa noch Milgrom, Numbers, 444–447 („The Effect of the Sinner upon the Sanctuary“, mit Ausblick auf das altorientalische Vergleichsmaterial) und passim. Mit methodisch konsequenter Verfolgung der komparativen Perspektive und auf breiter Materialbasis, allerdings teilweise anders gelagertem Zugang zu dem Problem vgl. ferner Hundley, Keeping Heaven on Earth. 323  Herausgearbeitet vor allem von Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 159–163, und Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 325–326. S. noch Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 24.52–53 und passim, neuerdings etwa Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 210–211. 319  Obwohl

5.  Der Zusammenhang in P

‫והפרתי אתך‬ ‫והקמתי את־בריתי‬ ‫להיות לך לאלהים … והייתי להם לאלהים‬

6 Gen 17 7 7+8

‫הקמתי את־בריתי אתם‬ ‫ולקחתי אתכם לי לעם‬ ‫והייתי לכם לאלהים‬ ‫וידעתם כי אני יהוה אלהיכם‬ ‫המוציא אתכם מתחת סבלות מצרים‬

4 7

Ex 6

‫ושכנתי בתוך בני ישראל‬ ‫והייתי להם לאלהים‬ ‫וידעו כי אני יהוה אלהיהם‬ ‫אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים‬

45

Ex 29

‫והפריתי אתכם והרביתי אתכם‬ ‫והקימתי את־בריתי אתכם‬ ‫ונתתי משכני בתוככם‬ ‫והייתי לכם לאלהים‬ ‫ואתם תהיו־לי לעם‬ ‫אני יהוה אלהיכם‬ ‫אשר הוצאתי אתכם מארץ מצרים‬

95

46

9

Lev 26

11 12 13

Schon diese Übersicht gibt die überaus engen sachlichen und sprachlichen Zusammenhänge zu erkennen. Nimmt man die Abschnitte näher in den Blick, verstärkt sich der Eindruck noch. Wie sorgfältig sie aufeinander abgestimmt sind, belegt vor allem die Tatsache,324 dass die einander korrespondierenden Elemente nicht nur gleich formuliert, sondern auch jeweils in der gleichen Reihenfolge angeordnet sind.325 Mit Norbert Lohfink ist zu resümieren: „Die Zusammenhänge […] sind von solcher Intensität, daß man bei den sonst in der alttestamentlichen Forschung üblichen Anforderungen an Kriterien der Literarkritik ohne weiteres auf gleichen Verfasser oder auf literarische Abhängigkeit in der einen oder anderen Richtung schließen darf.“326 324  Aufgewiesen von Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 160–162. 325  Die einzige Ausnahme von dieser Regel, die chiastische Inversion der Glieder der doppelten Bundesformel zwischen Ex 6,7 und Lev 26,12, kann als kontextuell motiviert erklärt werden, wie Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 24, gezeigt hat. 326  Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 163. Dass die Zusammenhänge auf literarische Bezüge zurückzuführen sind, betont auch Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 211.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Damit sind auch schon die prinzipiellen Optionen zur literarhistorischen Erklärung des Befunds angesprochen. Tatsächlich erwogen wird bei Lohfink freilich nur die zuletzt genannte Alternative, die er wie folgt konkretisiert: Entweder ist die von Karl Elliger vermutete agendarische Grundschicht in Lev 26 von Pg als Quelle herangezogen oder aber Pg ihrerseits in Lev 26 rezipiert worden.327 Die von ihm selbst benannte erste (und einfachste) Möglichkeit, dass hier wie da derselbe „Verfasser“ am Werk ist (mit Lohfinks beziehungsweise Elligers Worten: „daß Pg und Ph1 identisch sind“), schließt Lohfink von vornherein aus.328 Reinhard Müller, der wie Lohfink feststellt, dass die Zusammenhänge literarischer Natur sind, nimmt die Möglichkeit werkinterner Rückbezüge gar nicht mehr in den Blick.329 Jeweils geben andernorts getroffene literarhistorische Vorannahmen den Ausschlag. Für sich betrachtet, kann der Befund indes mindestens ebenso gut mit der Annahme eines sorgfältig komponierten literarischen Werkes erklärt werden. Dafür spricht zudem, dass die Abschnitte ja nicht nur mit Lev 26, sondern auch untereinander aufs Engste vernetzt sind.330 Dies wird sogar noch deutlicher, wenn man ein weiteres, weder bei Lohfink noch in der obigen Aufstellung berücksichtigtes Element hinzunimmt: das Motiv des Gedenkens Jhwhs an seinen Bund (‫ זכר‬+ ‫)ברית‬. Auch dieses Motiv wird in Ex 6,5 und, gleichsam im Vorgriff darauf, bereits in Ex 2,24 eingesetzt, um die Bestandteile der P-Erzählung (Väter- und Volksgeschichte) zusammenzubinden. Und auch dieses Leitmotiv findet sein Ziel in Lev 26 (V.  42 und 45).331 Da es sich bei den einander entsprechenden Elementen (Mehrung; Gottsein Jhwhs für Israel; Einwohnung Jhwhs in Israel; Bund; Bundesformel; Gedenken Jhwhs an den Bund etc.) um die schlechterdings zentralen Leitmotive und -themen von P handelt,332 kann die Sorgfalt, mit der sie vernetzt sind, auch gar nicht erstaunen. Die derart geschlossene Erzählung, bei der ein Glied ins andere greift, spricht nun aber gerade nicht dafür, dass ihr fulminantes Finale, in dem noch einmal sämtliche Themen und Motive aufgenommen und zu ihrem Abschluss gebracht werden, ursprünglich gar nicht dazu gehört haben sollte. Besonders zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass in Lev 26 noch einmal die Bundesformel in ihrer vollen, zweigliedrigen Gestalt be327 

Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 163. Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 163, Anm.  7 (ebd. auch das Zitat). 329  Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 211. 330  Ausführlich dazu Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 67 ff. 331 Nach Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 167–168, liegen die fraglichen Verse zwar auf einer anderen (späteren) literarischen Ebene als der seines Erachtens in Lev 26,9.11–13 greifbaren (Lohfink schreibt Lev 26,42 ff. Elligers Ph2 zu). Aber die dabei vorausgesetzte Analyse von Lev 26 ist weder nötig noch wahrscheinlich, vgl. oben, S.  91, Anm.  305, mit Verweis auf Fischer, A Need for Hope, 372–375, und Nihan, Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 314–317. 332  Noch einmal Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 160: „Und zwar handelt es sich […] um die zentralsten theologischen Aussagen, die überhaupt über Jahwes Verhältnis zu Israel gemacht werden.“ 328 

5.  Der Zusammenhang in P

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gegnet. In dieser Gestalt liegt die Formel ausschließlich in Ex 6,7 und Lev 26,12 vor.333 Diese Inclusio, die die gesamte Sinaioffenbarung umrahmt,334 ist ein deutlicher Hinweis, welche Funktion das Finale von Lev 26 einnimmt. Hier liegt das Schlusskapitel der priesterlichen Bundestheologie vor. Nicht von ungefähr wird es als Kronzeuge aufgerufen bei Erhard Blums Rekonstruktion einer priesterlichen Komposition des Pentateuch (KP) unter Einschluss des Heiligkeitsgesetzes.335 Damit stellt sich, wenn wir nun diesen Zusammenhang als solchen ernst nehmen, die im Modus der Ursprungsgeschichte konzipierte Bundestheologie der priesterlichen Tradenten beziehungsweise das in ihr angelegte Verhältnis von Verheißung und Gebot wie folgt dar.336 Mit Abraham schließt Jhwh seinen Bund, den er mit Israel eingeht. Als erster Repräsentant des Volkes, das aus ihm werden wird, erhält der Ahnvater die Verheißung, und das heißt bei P vor allem: den Selbstverspruch Jhwhs, für Israel Gott zu sein. Wenngleich Israels Teil in dieser Beziehung, die für die Adressaten unverkennbar auf die gottesdienstliche Verehrung Jhwhs im Tempelkult hin transparent ist, mit dem einzelnen Ahnvater noch nicht entfaltet werden kann, so wird in Gen 17 doch in der Hinsicht, die dort bereits einschlägig ist, nämlich der auf den einzelnen Familienvater, unzweideutig dargelegt, dass es sich bei Jhwhs Bund um ein beidseitiges Verhältnis handelt, das des Partners und dessen Antwort bedarf. Indem sie schildert, wie aus Abraham, Isaak und Jakob Israel wird, stellt die folgende P-Erzählung Jhwhs Treue zu seinem Bund gleichsam in einem narrativen Bild dar. Doch die Einlösung der Mehrungszusage ist lediglich der erste Schritt, sie ist nur die Voraussetzung für die Erfüllung der zentralen Verheißung. Mit der Herausführung aus Ägypten beginnt Jhwh, sie zu verwirklichen. Er gedenkt seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob (Ex 2,24; 6,5). Er wiederholt die Zusage, Israel Gott zu sein – und nun, da Israel tatsächlich als Volk vor ihm steht, ergänzt er sie auch um das andere Glied der Bundesformel (Ex 6,7).337 Dass er im selben Zusammenhang den Namen offenbart, mit dem er im Kult angerufen werden kann (Ex 6,2–3 bzw. 6–8), zeigt dabei schon an, worauf die folgenden Ereignisse letztlich und eigentlich zielen. 333 

Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 26–27. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 328: „Die Gottesreden von Ex 6 und Lev 26 bilden […] so etwas wie eine kompositorische Klammer in dem Komplex ‚Exodus und Sinai‘.“ (Hervorhebung im Original). In diesem Sinne auch Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 27; aufgenommen bei Tucker, The Holiness Composition in the Book of Exodus, 187. 335  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 325–328; dort auch zu den weiteren, bis in die Urgeschichte zurückreichenden Bezügen der Verheißungen von Mehrung und Tierfriede sowie zu der mit ‫ הלך‬Hitpa. gebildete Motivkette in Gen 5,22.24; 6,9; 17,1 und Lev 26,12. 336  Zu den der folgenden Darstellung zugrunde liegenden exegetischen Einzelentscheidungen samt Diskussion der einschlägigen Literatur vgl. oben, Kap. III.3 und III.4. 337  Diese augenscheinlich mit Bedacht disponierte Entfaltung spricht gegen die Vermutung von Schmid, Theologie des Alten Testaments, 302–303, in Gen 17,7 sei dieses Glied der Bundesformel absichtsvoll unterdrückt worden, um den Adressaten zu signalisieren: „Ob Israel Gottes Volk sein will oder nicht, ist irrelevant. Gott ist Israels Gott, was immer es auch tut oder lässt.“ (ebenso schon a. a. O., 134). Zu der eigenwilligen, streng theozentrischen Fassung der Formel durch die priesterlichen Tradenten s. o., S.  59. 334 Vgl.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Ganz deutlich wird es in Ex 29,43–46, dem Spitzentext, in dem die am Gottesberg offenbarten Anweisungen zur Einrichtung des Kultes kulminieren. Hier, im mobilen Allerheiligsten des Begegnungszeltes, wörtlich mitten unter den Israeliten, will Jhwh wohnen und so Israels Gott sein (V.  45) – und eben dazu hat er sie herausgeführt (V.  46). Mit dem Einzug der Herrlichkeit Jhwhs in das Heiligtum (Ex 40,30–35) und deren Erscheinung vor dem Volk (Lev 9,23–24) wird die an Abraham ergangene Verheißung dann endgültig Wirklichkeit: Der heilige Gott wohnt unter seinem Volk. Diese Wirklichkeit impliziert nun aber zwingend, dass Israel der Gegenwart des Heiligen entspricht, dass Israel selbst heilig ist. Die Anleitung dazu bieten die ab Lev 11 eingeschärften Regeln bezüglich kultischer Reinheit und Heiligkeit. Nun, nach Erfüllung der Verheißung und mit der Absicht, Israel ein Leben in Gottes Gegenwart zu ermöglichen, ergehen die Gebote. Das durch die Paränese in Leviticus und besonderes das Heiligkeitsgesetz detaillierte Korrespondenzverhalten Israels ist deshalb unverzichtbarer Bestandteil der priesterlichen Bundestheologie. Es ist die andere Seite der Medaille, es ist die Antwort Israels. Worin die Bedeutung dieser Antwort liegt, könnte nicht klarer zum Ausdruck gebracht werden als durch die große, in der geprägten Form von Segen und Fluch dargelegte Alternative von Lev 26. Es geht darum, ob Israel auf Jhwhs Zusage eingeht, bei ihm und in seinem Bund bleibt: Wenn ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Gebote bewahrt und sie tut … (V.  3) Wenn ihr aber nicht auf mich hört und nicht tut alle diese Gebote, und wenn ihr meine Satzungen verwerft und meine Rechte verabscheut, so dass ihr nicht alle meine Gebote tut und so meinen Bund brecht … (V.  14–15)

Mit dieser Alternative ist die priesterliche Bundestheologie komplett – und damit kann auch sie Auskunft geben auf die unvermeidliche Rückfrage der Zeitgenossen nach der jüngeren, wenig heilvollen Vergangenheit der alten Verheißung, nach dem Verlust des Landes und insbesondere des Tempels, nach der gewaltsamen Unterbrechung des Kultbetriebs, mit einem Wort: nach der Zerstörung der Wohnung Jhwhs.338 In Lev 26 wird deutlich ausgesprochen, was die priesterliche Bundestheologie durchweg voraussetzt: Es ist an Israel, auf Jhwhs Zuwendung einzugehen und sich zu seinem Bund zu bekennen. Das gilt, und das galt auch, als der erste Tempel noch stand. Israel hatte die Wahl, und die priesterlichen Tradenten verschweigen ebenso wenig wie vor ihnen die deuteronomistischen: Israel hat falsch gewählt. Israel hat den Bund ‚gebrochen‘, deshalb die Katastrophe. Damit können wir ein Zwischenfazit ziehen. Auf ihre pragmatische Plausibilität geprüft,339 wies die priesterliche Konzeption des Bundes nach ihrer herkömmlichen Abgrenzung und Interpretation im Sinne eines ‚reinen Gnadenbundes‘ eine eklatan338  „Fordert nicht die […] Transparenz der Priesterschrift auf die Situation ihrer Adressaten eine Antwort auf diese Frage?“ (Steymans, Verheißung und Drohung, 297). 339  S. o., Kap. III.2, dort S.  55.

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tes Problem auf, nämlich das Fehlen eines Ansatzpunktes zur geschichtstheologischen Deutung der geschehenen Katastrophe des Gottesverhältnisses.340 Dabei handelt es sich nicht bloß um eine gewisse argumentative „Lücke“, sondern um die Aporie, dass ein umfassender theologischer Weltentwurf sich sehenden Auges der Möglichkeit begibt, seinen Adressaten die Welt, in der diese leben, zu erklären. Nach den Ergebnissen der vorstehenden Untersuchungen kann dieses Problem als entschärft gelten. Einerseits warf Gen 17 schon für sich betrachtet erheblichen Zweifel an der Deutung auf einen „bedingungsfreien Gnadenbund“341 auf.342 Dieser Zweifel kam durchaus auch Vertretern der Interpretation selbst, sie meinten ihn jedoch beiseite­schieben zu können, in der neueren Forschung entweder durch die literarkritische Ausscheidung der Beschneidungsordnung oder unter Verweis auf die vermeintliche Individualisierung des Bundesbruchs bei P.343 Andererseits werden die Bedingungen, unter denen das Bundesverhältnis ‚aufblühen‘ kann,344 in Leviticus lang und breit dargelegt,345 und der Abschluss in Lev 26 bringt ihre Bedeutung unmissverständlich auf den Punkt.346 So bestätigt der oben herausgearbeitete Zusammenhang der priesterlichen Überlieferung mit allem Nachdruck, was man schon in Gen 17 lesen kann: Der Bund ist konditional strukturiert, auch nach der priesterlichen Konzeption. Er umfasst eine an Israel gerichtete Gehorsamsforderung, und diesem Gehorsam kommt wesentliche Bedeutung für die Beziehung zu. Demnach muss die Eröffnung von Zukunftshoffnung für Israel in der priesterlichen Konzeption nicht mit theologischer Geschichtsblindheit bezahlt werden, wie dies im Rahmen der herkömmlichen Interpretation eines gänzlich unkonditionierten ‚Gnadenbundes‘ zu konstatieren war. Das Problem mangelnder pragmatischer Plausibilität hat sich in dieser Perspektive erledigt. Auch die priesterliche Konzeption vermag die Katastrophe von 587 v. Chr. bundestheologisch zu integrieren: als Folge fehlenden Gehorsams Israels, oder mit der in Lev 26 eingeführten Vorstellung, als Verwirklichung der Fluchdrohung. Zugleich ist die priesterliche Bundestheologie freilich, das ist ebenfalls bereits deutlich geworden347 und kann keinem Zweifel unterliegen, durchaus anders akzentuiert als die deuteronomistische. Das eigentliche 340  Vgl. grundlegend Elliger, Leviticus, 16, und Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 140.335 und passim, s. jetzt auch die Zusammenfassung bei Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 258: „Mit dem Zuwachs des Heiligkeitsgesetzes (Lev 17–26) wird […] eine auffällige Lücke in Pg geschlossen: Die Priestergrundschrift hatte keine ethischen Forderungen Gottes am Sinai genannt und stattdessen das Ziel der intakten Gottesgemeinschaft Israels allein in Gottes Heilswillen verankert.“ 341  Mit der pointierten, aber durchaus repräsentativen Formulierung von Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, 150. 342  So unser Ergebnis in Kap. III.3. 343  Zu beiden Ansätzen und ihrer Kritik s. ebenfalls Kap. III.3, ausführlicher zu dem zweiten auch Krause, Individualisierung des Bundesbruchs. 344  S. o., S.  93, mit einem Zitat von Joosten, People and Land in the Holiness Code, 106. 345  Dazu in Kap. III.4. 346  Vgl. dazu etwa schon Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic, 314. 347  S. o., Kap. III.2, dort S.  54–55.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Anliegen der priesterlichen Tradenten ist eben nicht die Gerichtsdoxologie. So gewiss sie die zurückliegende Unheilsgeschichte nicht abblenden und dies auch nicht vermocht hätten zu ihrer Zeit – selbst Deuterojesaja setzt mit ihr ein! (Jes 40,2) –, so entschlossen geht ihr Blick nach vorne. Der Ton liegt auf neuer Hoffnung und deren Verankerung in der alten Verheißung. Auf diese andere Ausrichtung führt bereits der diachrone Befund der literarischen Verbindung von Erzvätern und Exodus, insofern wir diese, wie die neuere Forschung gezeigt hat, ebenfalls den priesterlichen Tradenten verdanken.348 Konrad Schmid, der dies als erster in extenso herausgearbeitet hat, weist auch auf die eminent theologischen Implikationen hin. Sie stellen sich ihm wie folgt dar: „Wohl einer der wichtigsten Aspekte im Zusammenschluß von Erzväter- und Mose-Exodus-Überlieferung besteht im sich nun ergebenden Nacheinander von unbedingter Verheißung und der die göttliche Heilszuwendung konditionierenden Forderung nach dem Befolgen des Gotteswillens“.349 Durch ihre Verbindung würden beide Überlieferungskreise „theologisch erheblich modifiziert“: „Die […] ‚deuteronomistische‘ Vorstellung eines strikten Junktims zwischen Heil und Gehorsam in *Ex(ff) wird durch die Vorschaltung der unbedingten Verheißungstheologie“ – außer an P denkt Schmid vor allem an Gen 15 – „aufgeweitet: Der Heilswille Gottes wird – jedenfalls für die Epoche von den Erzvätern bis zur Landnahme – entkonditionalisiert und vor allem in seiner Artikulation in den großen Abrahamsverheißungen (Gen 15.17) der Volksgeschichte gewissermaßen im Sinne einer gratia praeveniens vorangestellt“.350 Zwar können wir uns weder die hier in Anschlag gebrachte Charakterisierung der priesterlichen Bundestheologie (unbedingte Verheißung) noch auch, wie sich zeigen wird,351 die der deuteronomistischen (striktes Junktim) zu Eigen machen. Mit Schmid bleibt aber festzuhalten, dass der literarische Zusammenhang zugleich auch ein theologischer ist. Er akzentuiert das schon innerhalb der beiden Konzeptionen angelegte Zusammenspiel von Verheißung und Gebot heilsgeschichtlich: Durch die Vorschaltung der Väter- vor die Volksgeschichte wird der Bund Jhwhs mit Israel noch tiefer in der Ursprungstradition verankert. Und genau an diesem Anker hängt er am Ende auch, wie sich gleich zeigen wird.352 Um im Vertrauen auf Jhwh wieder nach vorne blicken zu können, blicken die priesterlichen Tradenten in die Heilsgeschichte zurück, und zwar entschieden weiter zurück, als es die ihnen und den Zeitgenossen geläufige bundestheologische Tradition tat. Schwarz auf weiß ablesen lässt sich diese andere Ausrichtung an dem heilsgeschichtlichen Schlusswort von Lev 26,40–45.353 Dort liegt das genuin priesterliche 348 S. Schmid, Erzväter und Exodus, ferner Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, 233–388, und Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. 349  Schmid, Erzväter und Exodus, 284. 350  Schmid, Erzväter und Exodus, 285. 351  S. u., Kap. IV, dort bes. IV.2. 352  S. im Folgenden zu Lev 26,40–45. 353  Zur ursprünglichen Zugehörigkeit des Abschnitts zu Lev 26 s. bereits oben, S.  91, Anm.  305, mit Diskussion und Literatur. In der älteren Forschung gelegentlich literarkritisch zerlegt (neuer-

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Anliegen, die Adressaten der Unverbrüchlichkeit des Bundes – der ‫ – !ברית עולם‬zu versichern, offen zutage, ebenso ihr ‚geschichtlicher‘ Ansatz, neue Hoffnung auf der alten Verheißung zu begründen. Diese Hoffnung deutet sich bereits in V.  39 an. Denn nachdem die Logik der Fluchdrohung bis zum bitteren Ende „durchgespielt“ ist,354 ist es eben nicht aus mit Israel (vgl. V.  44aβ). Ein Rest wird noch übrig sein.355 Diese Übriggebliebenen werden, wie Jhwh selbst im Duktus der Prophetie vorhersagt,356 zur Einsicht kommen in die Verkehrtheit ihres Verhaltens (V.  40a.41b),357 sodass das Ziel der göttlichen Pädagogik endlich erreicht wird.358 Vor allem aber handelt wieder Jhwh, und, wie treffend bemerkt worden ist: „Dieses Handeln ist ein Gedenken.“359 Jhwh gedenkt seines Bundes mit Jakob, Isaak und Abraham360 – in dieser Reihenfolge (V.  42). Der Hörer beziehungsweise Leser kann förmlich nachvollziehen, wie der Blick der Tradenten auf der Suche nach einem festen Halt weiter und weiter zurückwandert in der Heilsgeschichte.361 Jhwh gedenkt seines Bundes, den er ganz am Anfang, mit Abraham, geschlossen hat und der seitdem das Unterpfand seiner Treue zu Israel ist, wie in unüberholbarer Weise die Herausführung aus Ägypten bewiesen hat (V.  45). dings hat Müller, A Prophetic View of the Exile in the Holiness Code, 222–227, dies noch einmal unternommen), gilt er der Mehrheit der neueren Ausleger mit guten Gründen als einheitlich (s. die eingehende Diskussion mit Literatur bei Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 107–109, und ders., Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 313–314, vgl. außerdem die Strukturanalyse bei Hieke, Levitikus 16–27, 1090–1091; zum strittigen Verhältnis von V.  42 und 45 s. im Folgenden). 354  So mit einer Formulierung von Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 168. 355  Die Einführung dieser von den fiktiven Adressaten unterschiedenen Größe ist der Grund für den Wechsel in die dritte Person Plural in V.  39 (vgl. schon V.  36–37). Zugleich signalisiert er die jetzt anstehende „Wende“ (Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 327, Anm.  147). 356  Dazu grundlegend Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 380, zur Deutung Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 110. 357  Zu den verwickelten Problemen der Syntax in V.  4 0b–41 s. Gross, Zukunft für Israel, 88, Anm.  12, zur Semantik der Verse Elliger, Leviticus, 378, und noch einmal Gross, Zukunft für Israel, 94–95, der unter Voraussetzung einer Wurzel ‫ רצה‬II in V.  41bβ zu der Gesamtdeutung gelangt: „Israel anerkennt nicht nur seine Schuld und entsprechend das Exil als dessen angemessene Folge, es bezahlt auch seine Schuld/Strafe durch seine so verstandenen Exilsleiden.“ 358  Dazu bereits oben, S.  9 0–91. Der Begriff der Umkehr (‫ שׁוב‬Qal) wird dabei, anders als in Dtn 4,30, zwar nicht gebraucht. Der Sache nach ist aber genau dies gemeint. 359  Steymans, Verheißung und Drohung, 293. 360  Die unregelmäßige Bildung PN‫ את־בריתי־‬möchte Elliger, Leviticus, 378, Anm.  75, durch die Annahme einer „fälschliche[n] Umstellung“ des ‫ את‬glätten. Dann wäre aber in der Tat mit Zimmerli, ‚Heiligkeit‘ nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, 510, Anm.  49, zu fragen, warum die Form „hartnäckig[…]“ dreimal wiederholt wird; auch und gerade, wenn man, wie Elliger es tut (s. u., Anm.  361), mit einem sekundären Wachstum des Satzes rechnet. Führt man sich die enorme Umständlichkeit eines regulär (jeweils mit zusätzlichem ‫ )את‬gebildeten Satzes vor Augen, ist vielleicht eine Haplographie die einfachere Annahme. 361  So mit der schönen Auslegung von Römer, Israels Väter, 549 („ein ‚Zurückschreiten‘ in der Geschichte“), gegen die bei Elliger, Leviticus, 378, vorgeschlagene literarkritische Reduktion auf Jakob.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

In der vorstehenden Auslegung von Lev 26,40–45 wurde stillschweigend eine Annahme vorausgesetzt, die alles andere als unstrittig ist, nämlich, dass in V.  42 und 45 (und in Lev 26 insgesamt) weder von zwei unterschiedlichen ‚Bünden‘362 die Rede ist noch zwei konträre Bundeskonzeptionen in Konkurrenz stehen. Diese Voraussetzung gilt es noch zu begründen. Das erfordert zunächst eine Durchsicht, was in der Forschung kontrovers ist und warum. Im Wesentlichen geht der Streit darum, wovon an den unterschiedlichen Stellen die Rede ist, vom ‚Sinaibund‘ oder vom ‚Abrahambund‘, und in welches heilsgeschichtliche Verhältnis die beiden so bezeichneten Größen gesetzt werden. Wer ‚siegt‘ über wen, der Sinai- über den Abrahambund oder umgekehrt? Oder werden beide gar – unter den Vorzeichen der Hypothese ­einer H-Redaktion und/oder der Frage nach der Endredaktion des Pentateuch gegenwärtig besonders beliebt – zu einem Bund beziehungsweise Konzept verschmolzen? Schon Walther Zimmerli konnte in seiner auch in dieser Hinsicht weichenstellenden Untersuchung konstatieren, das von ihm als alte Überlieferung eingeschätzte Heiligkeitsgesetz rede „noch ganz so, wie es J und E (aber auch Dt.) taten, von einem Bunde, der mit der Generation der aus Ägypten Ausziehenden geschlossen worden ist“, und verwies dafür auf Lev 26,44– 45.363 „Segen und Fluch stehen als die beiden Möglichkeiten für den Fall des Gehorsams oder Ungehorsams im Bunde bereit.“364 Doch sei dem „Sinaibund“ in V.  42 „durch eine jüngere Hand das Gedenken an den Bund mit den Vätern vorangestellt“ worden.365 Norbert Lohfink, der bei der Analyse der Segensverheißung in Lev 26 eine „Deuteronomisierung der Priesterschrift“ wahrgenommen hatte, sah diese durch den Verweis auf den Väterbund „wieder rückgängig gemacht.“366 Im Sinne dieser Betrachtungen kann Jörg Jeremias feststellen, „die gefährliche Fragilität“ des Bundeskonzepts, das „auf der Betonung des Gehorsams Israels als seine Bedingung“ beruhe, werde letztlich „eingedämmt“.367 „So siegt im Endtext von Lev 26 der priesterschriftliche Väter-Bund über den dtr Sinai-Bund.“368 In der neueren Diskussion haben sich die Vorzeichen verändert, die Größen, mit denen gerechnet wird, sind aber dieselben geblieben. Die im Einzelnen recht unterschiedlich angelegten Beiträge stimmen darin überein, dass sie eine Verschmelzung von ‚Sinaibund‘ und ‚Abrahambund‘ beziehungsweise der entsprechenden Konzeptionen annehmen, durch die beide ausgleichend miteinander vermittelt worden seien.369 Exemplarisch zusammengefasst findet sich diese Position bei Christophe Nihan. Ausgehend von der literarischen Integrität des Kapitels stellt er fest, für den Autor von Lev 26 gebe es nur einen Bund, „the covenant with Abraham and the covenant at Mount Sinai have been fused into a single covenant“.370 Lev 26 biete 362  Ein Plural ist im Deutschen so wenig in Gebrauch wie im biblischen Hebräisch. Zu letzterem Befund vgl. Neef, Nomina ohne Plural im Biblischen Hebräisch, 101.103–104; Barr, Some Semantic Notes on the Covenant, 29. 363  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 211. 364  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 211. 365  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 212, bekräftigt in ders., ‚Heiligkeit‘ nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, 509–510. 366  Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, 167. 367  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 316. 368  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 318 (im Original hervorgehoben). 369  S. vor allem Álvarez Valdés, Una Síntesis de Alianzas como Clave de Lectura; Bautch, An Appraisal of Abraham’s Role in Postexilic Convenants, auf Basis von ders., Glory and Power, Ritual and Relationship; Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘; ders., Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, vgl. schon Gross, Zukunft für Israel, 96–99, und Römer, Israels Väter, 549–550. 370  Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 112 (im Original hervorgehoben).

5.  Der Zusammenhang in P

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damit „an original synthesis between two competing traditions of the covenant“.371 Die Frage, welche der beiden Traditionen die Oberhand behält, hat sich damit aber keineswegs erledigt. Je nachdem, wie der erzielte Kompromiss bewertet wird, können (und müssen) die Gewichte bei der Deutung der Synthese durchaus unterschiedlich gelegt werden. So halten etwa Ariel Álvarez Valdés und Richard Bautch dafür, letztlich werde in Lev 26 der Abraham- durch den Sinaibund unterlaufen.372 Nicht genug, dass der Sinaibund mit V.  45 das letzte Wort erhalte und dieses durch den in V.  46 folgenden Hinweis auf das am Gottesberg erlassene ‚Gesetz‘ noch unterstrichen werde, er dominiere auch im Vorkontext (unter Verweis auf V.  15 und 25),373 sodass der in V.  42 erwähnte Abrahambund ganz in seinem Schatten stehe: „Abraham’s unconditional covenant [is] paling in contrast to the conditional covenant of Moses.“374 Dass ‫ בריתי‬in Lev 26 den Bund meint, den Jhwh mit Abraham geschlossen hat – oder hinsichtlich des theologischen Gegenstands formuliert: die priesterliche Konzeption –, ist im Blick auf V.  42 unstrittig, und auch V.  9 wird in der Regel und mit Recht so gedeutet.375 In einem (mindestens im weiteren Sinne) priesterlichen Kontext ist das ja auch nur zu erwarten. Die entscheidende Frage lautet aber: Wie kommen die Ausleger eigentlich darauf, dass in Lev 26 auch vom ‚Sinaibund‘ – gleichviel, ob sie damit nur den theologischen Gegenstand oder zugleich auch dessen geschichtliche Einkleidung und literarische Ausarbeitung meinen376 – die Rede ist? Soweit ich sehe, geben dafür im Wesentlichen zwei Argumente den Ausschlag. Beide leuchten auf den ersten Blick ein, sind aber bei näherem Zusehen nicht so stark, wie es zunächst den Anschein hat. Da ist zum einen der Wortlaut von V.  45: ‫וזכרתי להם ברית ראשנים אשר הוצאתי־אתם מארץ‬ ‫מצרים‬.377 Die Formulierung ist zwar notorisch mehrdeutig, trotzdem hat es die größte Wahrscheinlichkeit für sich, dass mit dem indeterminierten Ausdruck ‫ ראשנים‬mindestens auch die Exodusgeneration gemeint sein soll.378 Aber: Dass der Bund, dessen Jhwh gedenkt, mit dieser Generation geschlossen worden wäre, wird gerade nicht gesagt.379 Auch unter Einbezug von 371 

Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 112. Álvarez Valdés, Una Síntesis de Alianzas como Clave de Lectura; Bautch, An Appraisal of Abraham’s Role in Postexilic Convenants. 373  Bautch, An Appraisal of Abraham’s Role in Postexilic Convenants, 59. 374  Bautch, An Appraisal of Abraham’s Role in Postexilic Convenants, 44. 375 Nach Lohfink, Die Abänderung der Theologie des priesterlichen Geschichtswerks, vgl. so unterschiedliche Arbeiten wie Grünwaldt, Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17–26, 352; Gross, Zukunft für Israel, 90, oder Milgrom, Leviticus 23–27, 2298. 376  Zu diesen Differenzierungen s. die grundlegenden Überlegungen in Kap. I.2, dort S.  20. Das Desiderat, zwischen den genannten Hinsichten zu unterscheiden und diese Entscheidung in der exegetischen Diskussion auch durchzuhalten, erweist sich im Blick auf Lev 26 als besonders dringlich. 377  In Anspruch genommen u. a. von Milgrom, Covenants, 95; Bautch, An Appraisal of Abraham’s Role in Postexilic Convenants, 59, und Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 111. Vgl. bereits Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126. 378 Mit Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 111; ders., Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 321, Anm.  59, und den meisten gegen Gross, Zukunft für Israel, 97–98, der durch syntaktische Überlegungen wahrscheinlich zu machen versucht hat, auch V.  45 nehme Bezug auf die Erzväter. Nach Milgrom, Leviticus 17–22, 1395; ders., Covenants, 94–95, der sich hierfür auf Joüon, A Grammar of Biblical ­Hebrew, §  137i, beruft, wurde der mehrdeutige Ausdruck ‫ ראשנים‬gerade deshalb gewählt, weil er gleichzeitig auf die Väter und die Exodusgeneration bezogen werden kann. 379 Gegen Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 111 („the ‫ברית‬, which Yahweh will remember, must therefore be the ‫ ברית‬made at Mount Sinai“), Cho372 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

V.  46 ist dies nicht zu belegen.380 Freilich bedarf es einer solchen – immanent aus dem singulären Wortlaut der Stelle entwickelten – Annahme auch gar nicht. Die Rede von dem Bund, in dem die Exodusgeneration steht, erschließt sich zwanglos aus der genuin priesterlichen Darstellung, nach der Jhwh seinen Bund bereits mit Abraham, aber eben nicht mit Abraham allein schließt (Gen 17,7 und passim).381 Wenn Alfred Cholewiński unter Verweis auf Ex 6,2–8 schreibt, Pg stelle Herausführung und Sinaioffenbarung nicht als einen Bundesschluss, sondern als „Verwirklichung des mit Abraham geschlossenen Bundes“ dar, so kann dies nur unterstrichen werden.382 Es gilt aber genauso für Lev 26,45.383 Im Übrigen ist es die unzweideutige Implikation schon der Vätertrias in V.  42. Wie von Isaak und Jakob ohne Umstände gesagt werden kann, dass sie im Bund mit Jhwh stehen, so auch von den Israeliten zur Zeit des Exodus. Diese Sicht findet schließlich Bestätigung durch Jan Joostens Beobachtung, dass, wo immer in Lev 26 von ‫ ברית‬die Rede ist, die gemeinte Größe als bekannt vorausgesetzt wird.384 Kurzum: In V.  45 ist weder von dem aus der nicht-priesterlichen Überlieferung bekannten noch gar von einem anderweitig unbelegten Bundesschluss am Sinai die Rede. Damit ist freilich erst die Frage nach der geschichtliche Einkleidung und ihrer literarischen Ausarbeitung geklärt. Wichtiger ist der theologische Gegenstand, ihm gilt das andere Argument. Es hebt auf die Konzeption eines konditional strukturierten Bundes ab, die in Lev 26 durchgängig greifbar ist. In diesem Sinne steht ‚Sinaibund‘ in den entsprechenden Argumentationen gleichsam als Abkürzung für das, was man umständlicher, aber auch unmissverständlicher als Bundeskonzeption deuteronomisch-deuteronomistischen Typs bezeichnen könnte und sollte. Als ein Beispiel für viele mag die Untersuchung von Walter Groß dienen.385 Angesichts der Tatsache, dass der Begriff ‫ ברית‬in V.  15 in einer eindringlichen Warnung vor Ungehorsam und in V.  25 zur Beschreibung der entsprechenden Strafe verwendet wird, zieht er den Schluss: „Eine Berit, die Israel durch Ungehorsam brechen kann und deren Bruch YHWH rächen wird, enthält Verpflichtungen Israels“.386 Mangels Bezugspunkt im näheren Kontext „kann“ es sich dabei „nur um die Sinai-Berit handeln“.387 Doch sticht dieses Argument allein unter der Prämisse, der eingeschärfte Gotteswille, die Bedeutung menschlichen Gehorsams, die Konsequenzen eines ‚Bruchs‘ des Bundes etc. seien der priesterlichen Konzeption wesensfremd. Ein abweichendes Verständnis geben die inkriminierten Aussagen nur dann zu erkennen, wenn der Bund bei P als ‚unkonditioniert‘ und ‚bedingungsfrei‘ gelten kann. Das ist aber gerade die Frage, die in diesem Zusammenhang zur Debatte steht, und nach unserer Untersuchung schon von Gen 17 und erst recht der übrigen P-Überlieferung bestehen gravierende Zweifel an der von Groß, aber auch den meisten anderen Auslegern vorausgesetzten Antwort. So oder so ist es aber eine Voraussetzung und nicht das Ergebnis exegetischer Arbeit an Lev 26. lewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126.337, der diesen Punkt besonders nachdrücklich betont hat, und bereits Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 211 (vgl. das oben, vor Anm.  363 angeführte Zitat). 380  So aber die Argumentation bei Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126– 127, und Nihan, Leviticus 26:39–46 and the Post-Priestly Composition of Leviticus, 324. 381  Daran erinnert auch Gross, Zukunft für Israel, 93. 382  Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126. 383 Gegen Cholewiński, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, 126. 384  Joosten, Covenant Theology in the Holiness Code, 151. Joostens anders abgezweckte Deutung dieses Befunds kann hier auf sich beruhen; vgl. dazu oben, S.  88, Anm.  281. 385  Gross, Zukunft für Israel, 89–90. 386  Gross, Zukunft für Israel, 90. 387  Gross, Zukunft für Israel, 90.

5.  Der Zusammenhang in P

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Summa summarum spiegelt Lev 26 weder Konkurrenz noch Konflation von Sinai- und Abrahambund. Hier liegt keine ausgleichende Vermittlung priesterlicher mit deuteronomisch-deuteronomistischer Theologie vor, sondern das Schlussstück der bei P im Modus der Ursprungsgeschichte dargestellten, konditional strukturierten Konzeption des Bundes. Die vielfach und zutreffend konstatierte theologische Komplexität ist ihr inhärent, Lev 26,40–45 steht neben 26,3 ff. 14 ff. wie Gen 17,4–8 neben 17,9–14.

Entscheidend ist, dass dieses Schlusswort der priesterlichen Konzeption des Bundes Jhwhs mit Israel, das in Lev 26,40–45 vorliegt, erneut im Wechselspiel mit deren Auftakt in Gen 17 steht, jetzt aber in umgekehrter Blickrichtung. Ergänzte Lev 26,3 ff. 14 ff. in aller drastischen Ausdrücklichkeit, was in Gen 17 zu fehlen schien oder in seiner Subtilität von den Auslegern oft überlesen wurde, nämlich die Verantwortung für Jhwhs Bund, die das Israel obliegende Bekenntnis mit sich bringt, so gilt umgekehrt: Die Frage nach der Verantwortung Israels stellt sich erst und ausschließlich innerhalb der vorgängig und von Jhwh allein begründeten Beziehung, eben: seinem Bund. Mit anderen Worten, ob er aufblühen kann oder von Israel verachtet (‚gebrochen‘) wird, Jhwhs Bund selbst bleibt bestehen, denn er gründet auf dem unerschütterlichen Fundament, das Gen 17 gelegt wird – und genau darauf bezieht sich die Hoffnungsperspektive, die Lev 26,40–45 eröffnet. P geht es also tatsächlich darum, die Adressaten der Unverbrüchlichkeit des Bundes zu vergewissern. Und tatsächlich spielt dabei der sprechende, von den priesterlichen Tradenten gezielt aufgegriffene Ausdruck ‫ ברית עולם‬die Rolle eines Schlüsselbegriffs.388 In Lev 26 begegnet er zwar gar nicht, dafür wird hier nun aber klar, wie er zu verstehen ist, mit anderen Worten, warum der ewige Bund ewig ist.389 Denn, wie unsere von Gen 17 ausgehenden Untersuchung des Begriffs gezeigt hat: Aus der Einsicht, dass die Rede von der ‫ ברית עולם‬im Dienst des Anliegens steht, die Adressaten der dauerhaften Beständigkeit des Bundes zu versichern, ergibt sich eben noch nicht, worin diese Unverbrüchlichkeit gründet. Dies war vielmehr die Frage, die dort noch offen bleiben musste. Eine mögliche Antwort – und zwar die in aller Regel und wie selbstverständlich vorausgesetzte – konnten wir freilich schon ausschließen: Dass der Bund nach priesterlichem Verständnis deshalb ‚ewig‘ sei, weil die göttliche Gehorsamsforderung ausgeschaltet und der menschliche Partner daher gar nicht mehr in der Lage sei, ihr zuwider zu handeln, erschien ganz unwahrscheinlich. Gegen diese Annahme spricht nicht erst die in der vorliegenden Untersuchung herausgearbeitete konditionale Struktur der Bundeskonzeption bei P, gegen sie spricht schon der elementare Textbefund, nach dem die Spitzenformulierung ‫ ברית עולם‬in der priesterlichen Überlieferung auch und gerade unter Bezug auf Bundesverpflichtungen Israels gebraucht wird.

388 

Ich nehme damit den oben, S.  78–80, verfolgten Faden wieder auf. Insofern vermag es durchaus einzuleuchten, dass Nihan, The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ‚P‘, 104–115, seine Untersuchung von Lev 26 unter die Überschrift „The ‫ ברית עולם‬according to the Holiness School“ stellt. 389 

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

Darin liegt, wie gezeigt werden konnte, geradezu die differentia specifica der priesterlichen Verwendung des Begriffs im Vergleich mit der zeitgenössischen Prophetie. Von daher ist deutlich: Jhwhs Bund, wie ihn die priesterlichen Tradenten konzipieren, ist nicht deshalb ewig, weil er von Israels Verhalten entkoppelt wäre. Stattdessen empfiehlt es sich, am anderen Ende anzusetzen: bei Jhwh. Von ihm her ist hier ja auch sonst alles gedacht. Die eminente Theozentrik der Darstellung muss, wie oft und mit Recht hervorgehoben worden ist, als einer der charakteristischen Züge, vielleicht als der charakteristische Zug der priesterlichen Theologie gelten. Zumal angesichts der Aporie, in die der Ansatz bei Israel beziehungsweise der vermeintlichen Eliminierung der Gehorsamsforderung geführt hat, gilt es mit dieser Einsicht nun Ernst zu machen. Den Ansatzpunkt dazu bietet Lev 26 ja auch mit beiden Händen an, und zwar in der Rede vom Gedenken Jhwhs an seinen Bund mit Abraham beziehungsweise den Vorvätern (‫ זכר‬+ ‫)ברית‬. Gleich zweimal wird dieses Motiv bemüht (V.  42 und 45) und jeweils stark betont. Es fungiert, wie aus dem Kontext (und ebenso aus Jer 14,21) hervorgeht, als Antonym nicht etwa zu ‫שׁכח‬, sondern zu ‫ פרר‬Hif. + ‫ ברית‬mit Subjekt Jhwh. Israel hat, so Lev 26,43b, Jhwhs Rechte verworfen (‫ מאס‬+ ‫ )משׁפט‬und seine Satzungen verabscheut (‫ געל‬+ ‫)חקה‬. Dass diese Feststellung unter Rekurs auf die Protasis der Fluchdrohung in V.  15 erfolgt, zeigt in aller Deutlichkeit, dass Jhwh im Recht wäre, wenn er seinerseits Israel verwerfen und verabscheuen (‫ מאס‬und ‫)געל‬, ja ihm ein Ende machen (‫ כלה‬Pi.) und so seinen Bund brechen (‫ פרר‬Hif. + ‫ )ברית‬würde, wie V.  44a als hypothetische, nämlich durchweg negierte Möglichkeit formuliert. Dass er es nicht tut, hängt am Ende daran, dass er seines Bundes gedenkt (‫ זכר‬+ ‫)ברית‬. Gedenken meint hier also „ein tathaftes Verhalten Gottes zu dem von ihm gewährten Bund: im Gegensatz zum Bundesbruch […] die Wahrung des Bundes.“390 Dass wir damit auf das theologisch entscheidende Motiv gestoßen sind, bestätigt sich, wenn man die übrigen Belege für ‫ זכר‬+ ‫ ברית‬hinzuzieht; übersichtlich aufgearbeitet hat sie schon Willy Schottroff.391 Die flehentliche Bitte in der Volksklage Jer 14,19–22, Jhwh möge seines Bundes gedenken und ihn nicht brechen (V.  21b), ist bereits in den Blick gekommen. Von Schottroff wird sie als ältester Beleg betrachtet,392 heute kann man das auch anders sehen.393 Aber das braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Von Bedeutung ist hingegen die unübersehbare Konzentration der Belege bei P. Da ist zunächst Gen 9. Auch seines Bundes mit allem Fleisch, den Jhwh nach der Weltkatastrophe der Flut schließt und der in der Zusage besteht, das Leben auf der Erde nicht noch einmal auszurotten (V.  11), wird Jhwh im kritischen Moment gedenken; auch hier wird das gleich zweimal gesagt (V.  15 und 16), beim zweiten Mal

390 

Schottroff, ‚Gedenken‘ im Alten Orient und im Alten Testament, 206–207. Schottroff, ‚Gedenken‘ im Alten Orient und im Alten Testament, 202–211. Vgl. jetzt etwa auch Levitt Kohn, A New Heart and a New Soul, 35–36. 392  Schottroff, ‚Gedenken‘ im Alten Orient und im Alten Testament, 202. 393  S. nur Fischer, Jeremia 1–25, 488, vgl. Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 272–273. 391 

5.  Der Zusammenhang in P

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unter expliziter Qualifizierung des Bundes als ‫ברית עולם‬.394 Vor allem begegnet das Motiv dann aber unter Bezug auf Jhwhs Bund mit Abraham und seinen Nachkommen. Sowohl in Ex 2,23–25 als auch in Ex 6,2–8 wird die entscheidende Wende im Geschick Israels als Gedenken Jhwhs an seinen Bund beschrieben (2,24 bzw. 6,5), wobei zur näheren Bestimmung jeweils die volle Vätertrias eingesetzt wird (2,24 bzw. 6,3–4). Genau analog ist schließlich auch das Finale von Ez 16 formuliert. Das in Person einer Frau angesprochene Jerusalem muss sich vorwerfen lassen, den Bund gebrochen zu haben (V.  59). Dem zum Trotz wird Jhwh seines Bundes gedenken, geschlossen – im Kontext des Kapitels ist dies transparent auf die dort dargestellte Geschichte der Beziehung Jhwhs zu der Frau – in den Tagen deiner Jugend (V.  60). Die übrigen Belege für ‫ זכר‬+ ‫ ברית‬finden sich in Ps 105,8–10 par.  1 Chr 16,15–17; Ps 106,45 und Ps 111,5. Ohne die Stellen im Einzelnen zu besprechen, kann bemerkt werden, dass dort, wo sie eindeutig in Abhängigkeit von P stehen, ebenfalls ausdrücklich auf die drei Erzväter Bezug genommen wird (Ps 105,9–10 par.  1 Chr 16,16–17). In traditionsgeschichtlicher Hinsicht erweist sich das Gedenken Jhwhs an seinen Bund damit als wesentlich von P geprägtes Motiv, das gezielt an den ‚kritischen‘ Stellen, an denen besonderer theologischer Begründungsbedarf besteht, eingesetzt wird.395 Inhaltlich fällt auf, was schon Schottroff mit Nachdruck betont hat: Wo ‫ברית‬ im theologischen Sinne steht, wird darauf bezogenes ‫ זכר‬ausschließlich von Jhwh ausgesagt. Diese „einseitige Festlegung auf einen Bundespartner“396 erscheint umso bedeutsamer, als sie sonst gerade nicht festzustellen ist, weder, wo es um die Bewahrung (man denke nur an ‫ שׁמר‬+ ‫)ברית‬, noch, wo es um die Missachtung und den ‚Bruch‘ (hier genügt der Verweis auf ‫ פרר‬Hif. + ‫ ברית‬mit Subjekt Israel) des Bundes geht. Es scheint, als bleibe das Gedenken an seinen Bund deshalb Gott vorbehalten, „weil die mit diesem Ausdruck ausgesprochene (für die Aufrechterhaltung des Bundesverhältnisses wesentliche) Tätigkeit nur von dem ausgeübt werden kann, in dessen alleinige Initiative der Bund gelegt ist.“397 Über Schottroffs Beobachtungen hinaus konnte außerdem festgestellt werden, dass dort, wo Gottes Gegenüber sein Volk ist, die Kombination ‫ זכר‬+ ‫ ברית‬ihrerseits regelmäßig verbunden wird mit einer näheren Beschreibung Israels, die Bezug auf seine ‚Jugend‘ nimmt. Bei der namentlichen Nennung Abrahams, Isaaks und Jakobs (so sämtliche Belege in P außer Lev 26,45) liegt dies auf der Hand, interessanterweise entspricht dem aber auch die in ganz anderem Kontext stehende Rede von den Jugendtagen Jerusalems in Ez 16, und auch auf das wohl in der Tat absichtsvoll mehrdeutige ‫ ראשנים‬in Lev 26,45 fällt von hier aus noch einmal mehr Licht. Letztere Beobachtung bestätigt und vertieft die Bedeutung der Verankerung des Bundes ganz am Anfang der Heilsgeschichte (Konrad Schmid) und des Zurück394  Zum Motiv des Gedenkens Gottes im Gesamtkontext der priesterlichen Fluterzählung s. darüber hinaus Janowski, Das Zeichen des Bundes, 116–120. 395  Vgl. dazu Carr, Reading the Fractures of Genesis, 140. 396  Schottroff, ‚Gedenken‘ im Alten Orient und im Alten Testament, 202. 397  Schottroff, ‚Gedenken‘ im Alten Orient und im Alten Testament, 204.

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III.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der priesterlichen Konzeption

schreitens in dieser Geschichte (Thomas Römer). Tatsächlich besteht die Strategie der priesterlichen Tradenten darin, neue Hoffnung auf die alte Verheißung gründen. Dass diese tragfähig ist, begründen sie aber mit der Rede von Jhwhs Gedenken. ‚Ewig‘ unverbrüchlich ist der Bund in ihren Augen nicht deshalb, weil Israel ihn nicht brechen könnte, sondern weil Jhwh ihn bewahrt, auch und gerade dann, wenn Israel ihn bricht. Mit einem Wort: Wenn P von einer ‫ ברית עולם‬reden kann, dann deshalb, weil Gott dieser seiner einmal geschlossenen ‫ ברית‬gedenkt.

6.  Zwischenfazit und Weiterführung Richtig verstanden, stimmt also beides: Der Bund, wie ihn die priesterlichen Theologen konzipieren, ist ein Gnadenbund und er kennt das Element der Bedingung. Aus lauter Gnade ist das Verhältnis von Jhwh gestiftet worden und aus lauter Gnade wird es von Jhwh im Zweifel aufrechterhalten. Aber das heißt gerade nicht, dass das Verhalten Israels keine Rolle mehr spielte und die Gehorsamsforderung ausgeschaltet sei. Ja, durch die Neufassung dieser Forderung als Gebot der Heiligung wird ihre Bedeutung nur noch klarer profiliert, thematisiert sie nun doch die Bedingung, unter der der heilige Gott inmitten seines Volkes „wohnen“ kann, wie die Verwirklichung des Bundesverhältnisses typisch priesterlich beschrieben wird. Auch Israel hat also Sorge zu tragen für dieses Verhältnis, hat es in seinem Teil zu bewahren. So müssen die priesterlichen Tradenten, um Hoffnung auf neues Heil nach der geschehenen Katastrophe zu vermitteln, das zurückliegende Unheil nicht verdrängen. Vielmehr hat beides Platz in ihrer Theologie des Bundes: die Zukunft und die Vergangenheit. Im Licht der so rekonstruierten priesterlichen Bundestheologie stellt sich nur umso dringlicher die Frage nach der deuteronomistischen – und ihrem vermeintlichen Dilemma. Muss der Bund mit Gott, weil er an menschlichen Gehorsam geknüpft ist, letztlich an menschlichem Ungehorsam zerbrechen? Dieses Problem zu lösen ist P, so Walther Zimmerli und der von ihm begründete Konsens, mit der Innovation eines unkonditionierten Bundes angetreten.398 Wenn nun aber die priesterliche Konzeption auf ihre Weise nicht weniger konditional strukturiert ist als die deutero­nomistische, mag sich die Problemwahrnehmung vorderhand noch verschärfen.399 Oder man tritt einen Schritt zurück und prüft, ob die Frage denn richtig 398 

Vgl. oben, Kap. III.1 und III.2. Man könnte natürlich auch prüfen, ob die ‚Lösung‘ des Problems durch die priesterliche Konzeption anders funktioniert. Vgl. dazu schon Zimmerli selbst, der in seinem im selben Jahr wie Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, veröffentlichten Aufsatz ders., Das Gesetz im Alten Testament, ausführt, an die Stelle der „Gesetzgebung […], die Israel zur Entscheidung fordert“, sei bei P „die große Opferinstitution“ getreten (a. a. O., 273). „Angesichts der gnädig geschenkten göttlichen Gegenwart darf Israel nun seinen Opferdienst üben. Im Rahmen dieses Dienstes aber darf es nach Lev.16 jährlich geschehen, daß die Sünde der Gemeinde aus gnädiger göttlicher Erlaubnis wieder weggetan wird, so daß sie sich nicht erneut zur Gefährdung der Gemeinde auswachsen kann.“ Durch diese „Ordnung der Vergebung“ (ebd.) sei, so Zimmerli weiter, die „Möglichkeit der Versün399 

6.  Zwischenfazit und Weiterführung

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gestellt ist. Schon unser Ergebnis für P – Jhwh gedenkt des Bundes, er hält ihn aufrecht, obwohl Israel ihn ‚gebrochen‘ hat – mag Zweifel daran wecken. Diese fallen umso mehr ins Gewicht, wenn man entgegen verbreiteter Praxis nicht von vornherein davon ausgeht, die priesterliche Bundestheologie sei als Korrektur der deuteronomisch-deuteronomistischen zu deuten. In der Tat legt es sich vor diesem Hintergrund nahe, einmal kritisch zu prüfen, ob das Problem, das die deuteronomistische Bundestheologie nach gängiger Ansicht aufwirft, so überhaupt existiert. Dem ist nun nachzugehen – in der deuteronomistischen Überlieferung selbst.

digung Israels […] als realer Faktor in die Sinaiordnung einbezogen. In einem von Jahwe in Gnaden verordneten Sühneinstitut aber ist ihr die Kraft einer Bedrohung der Gemeinde genommen. Das ist die priesterliche Antwort auf die Aporie des alten Sinaibundes. Dieser ist hier im Grunde preisgegeben und uminterpretiert zur großen göttlichen Heilsveranstaltung, in der die Zusage an Abraham eingelöst wird.“ (a. a. O., 274). Denselben Ansatz habe ich in meinen Vortrag „Sinaibund und Sühne. Ein Beitrag zum Verständnis der priesterlichen Bundestheologie“ (Evangelisch-theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, 1. Juli 2014, und Kirchliche Hochschule Wuppertal, 14. Juli 2014), damals noch ohne Kenntnis der eben zitierten Erwägungen Zimmerlis, ausgelotet. Er hat sich bei der weiteren exegetischen Arbeit als nicht zielführend erwiesen.

IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption Im vorangegangenen Kapitel zur priesterlichen Bundestheologie enthielt die gleichlautende Überschrift „Die konditionale Struktur des Bundes“ bereits die These. Hier ist das anders. Die deuteronomistische Konzeption gilt unstrittig als eine, ja als die konditionierte Konzeption. Ohne Zweifel ist der Bund an Bedingungen geknüpft. Zu klären ist indes die Frage, wie diese Konditionierung konzipiert ist. Darum geht es im vorliegenden Kapitel. Anhand ausgewählter Repräsentanten deuteronomistisch geprägter Bundestheologie – neben den einschlägigen Belegen im Deuteronomium und in der von ihm ausgehenden Geschichtsdarstellung steht hier der deuteronomistische Jeremia – werden zwei Thesen aufgestellt und in Auseinandersetzung mit jeweils gegenläufigen Positionen der Forschung begründet. Beide Thesen lassen sich anhand der Darstellung des Bundesschlusses am Gottesberg nach der nicht-priesterlichen Sinaiperikope illustrieren.

1.  Zwei Thesen und ein Vergleich: Die nicht-priesterliche Sinaiperikope Zum einen geht es um die Bedeutung des Gehorsams, den Jhwh von Israel fordert und unter dessen Bedingung der Bund gestellt wird. Was gibt diese Bedingung an: welche Voraussetzung Israel erfüllen muss, um in den Bund einzutreten, oder wie Israel im Bund bleibt? Geht es um eine vorab zu erbringende Leistung oder um ein der bereits gewährten Beziehung entsprechendes Verhalten? Die hier vertretene These behauptet Letzteres, und zwar für die deuteronomisch-deuteronomistische Überlieferung insgesamt, während Ersteres in der gegenwärtigen Forschung besonders im Blick auf die spätere redaktionsgeschichtliche Entwicklung der Tradition vertreten wird. Nicht ausschließlich, aber auch und vor allem hinsichtlich der weithin diagnostizierten Ausbildung eines deuteronomistischen „Nomismus“ herrscht das Verständnis vor, Toragehorsam fungiere hier als Vorleistung, durch die Israel sich den Eintritt in den Bund beziehungsweise das Inkrafttreten seiner Verheißungen verdienen müsse und – im Sinne einer zukunftsweisenden Ermutigung an die babylonische Gola – auch verdienen könne.1 Dabei ist freilich zu konstatieren, dass die benannte Alternative – Bedingung für den Eintritt oder aber 1 

Im Einzelnen und mit ausführlichem Nachweis s. u., Kap. IV.4.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

für das Bleiben im Bund – in aller Regel gar nicht bedacht wird, zum Schaden einer präzisen Problembeschreibung. Der Ort, an dem sich diese Frage entscheiden muss, ist die Paränese im Deuteronomium, einen willkommenen Kontrollbeleg bietet die deuteronomistische Jeremia-Überlieferung. Bevor wir uns den Hauptzeugen der deuteronomisch-deutero­ nomistischen Konzeption des Bundes zuwenden, lohnt aber der Blick auf ihren nächsten Verwandten: die Erzählung vom Bundesschluss am Gottesberg nach der vorderen Sinaiperikope (Ex 19–24). Sie bietet ein aufschlussreiches Vergleichsbeispiel, anhand dessen sich die eben aufgestellte These illustrieren lässt. Die Erzählung von den Ereignissen am Gottesberg, wie sie die nicht-priesterliche Sinaiperikope (Ex 19–24; 32–34) in ihrer kompositionellen Gestalt bietet, wird mithin zwar im Erbe der deuteronomistischen Tradition verortet, darin aber entstehungsgeschichtlich wie konzeptionell für sich betrachtet;2 eben daher wird sie hier zum Vergleich herangezogen.3 Die folgende Betrachtung der Sinaiperikope ist also in heuristischem Interesse vorgeschaltet, und sie gilt deren kompositioneller Gestalt. Der Text wird demnach nicht in eigenem Recht ausgelegt, geschweige denn diachron analysiert. Eine über die grundlegende Ausgrenzung der priesterlichen Darstellung und einiger späterer Zusätze (u. a. Ex 19,20–25) hinausgehende Vor­stufen­ rekon­struktion ist für unsere Zwecke auch nicht erforderlich, geht es hier doch um den synchronen Erzählzusammenhang, den der nicht-priesterliche Bestand in Ex 19–24 und – einschlägig für die unten folgende zweite These – Ex 32–34 in der vorliegenden Form bildet, und dessen Aussageabsicht.4

Auf Adelers Fittichen hat Jhwh das Volk getragen und zu sich gebracht (Ex 19,4), Israel steht am Gottesberg. Ist diese Vorgeschichte schon Unterpfand der Erwählung, so soll die besondere Beziehung nun in aller Form besiegelt werden: Eigentum aus allen Völkern soll Israel für Jhwh sein (V.  5b),5 ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk (V.  6a).6 Beide Verheißungen und mit ihnen der Bund selbst werden frei2 Vgl.

Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 7–218. Anders etwa Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 303–311, wo die deuteronomistische Theologie des Bundes vornehmlich aus Ex 19; 24 und 34 erhoben wird (zu den literarhistorischen Voraussetzungen vgl. a. a. O., 223–224). Die je eigene Ausrichtung – Vergangenheitsbewältigung hier, Zukunftshoffnung da – verliert in dieser Perspektive einiges an Profil. Zu dieser Kritik s. schon Krause, Rezension zu Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 50. 4  Zur synchronen Untersuchung vgl. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 45–72, für die hintere Sinaiperikope auch Konkel, Sünde und Vergebung, 51–104; eingehend zur diachronen Analyse Oswald, Israel am Gottesberg, 80–237; Konkel, Sünde und Vergebung, 105–300, und Stoppel, Von Angesicht zu Angesicht, 289–435; zur Forschungsgeschichte ferner Schmid, Israel am Sinai. 5 Zu ‫ סגלה‬als Element der Erwählungstradition vgl. Dtn 7,6; 14,2 und 26,18, ferner Mal 3,17. 6  Schon der Parallelismus zeigt an, dass ‫ ממלכת כהנים‬nicht eine Hierokratie meint (Genitivus subjectivus), sondern ein allgemeines Priestertum aller Israeliten (Genitivus objectivus); mit weiteren Gründen und Literatur dargelegt in Krause, A Kingdom of Priests and a Holy Nation, 265–266, unter Aufnahme von Blum, Esra, die Mosetora und die persische Politik, 183–184. Ferner s. etwa Schmidt, Israel und das Gesetz, 170, und Schmitt, Die ‚Sinai-Ouvertüre‘ in Ex 19,3b–9, 302 (Lit.), vgl. auch die Auslegung bei Kwakkel, The Sinaitic Covenant in the Narrative of the Book of Exodus, 29–31. 3 

1.  Zwei Thesen und ein Vergleich: Die nicht-priesterliche Sinaiperikope

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lich in unzweideutiger Weise unter die Bedingung des Gehorsams Israels gestellt (V.  5a): ‫אם־שמוע תשמעו בקלי‬ ‫ושמרתם את־בריתי‬ … ‫והייתם‬ Wenn ihr hört, ja hört auf meine Stimme und meine Bundesverpflichtung haltet, dann …

Derart in die Entscheidung gerufen,7 bekundet Israel ebenso pauschal – was konkret von ihm erwartet wird, weiß das Volk ja noch gar nicht – wie einmütig seinen Willen, der Gehorsamsforderung Folge zu leisten (Ex 19,8),8 um diesen hernach in Kenntnis der Verpflichtung – im Anschluss an die Verkündigung des Dekalogs durch Jhwh (Ex 20,1 ff.) übermittelt Mose die im Bundesbuch (‫ )ספר הברית‬niedergelegten Bestimmungen (Ex 24,3a.4a.7a) – wiederholt und mit Nachdruck zu bekräftigen: Alles, was Jhwh geredet hat, wollen wir tun und darauf hören! (Ex 24,7b; zuvor schon 24,3b).9 In aller Deutlichkeit wird der Bund damit unter eine Bedingung gestellt. Was aber gibt diese an? Man hat gemeint, in Ex 19,5 den Kronzeugen gefunden zu haben für eine Konzeption, nach der „die Gebote […] dem Bund konditional vorgeordnet“ seien,10 ihre Bewahrung „die Vorbedingung für dieses Verhältnis“:11 „Vor den Lohn hat Gott den Schweiß gesetzt“.12 In der Tat kann die Darstellung in Ex 19 den Anschein erwecken, Israel müsse gleichsam in Vorleistung treten und sich den Bund samt seiner Verheißungen erst verdienen. Dieser Eindruck wird aber umgehend zerstreut, wenn man weiterliest. Geschlossen wird der Bund nämlich, einschließlich der prototypischen Erfüllung seiner Verheißungen, bevor das Volk überhaupt Gelegenheit gehabt hätte, seinen Gehorsam (oder das Gegenteil) unter Beweis zu stellen.13 So schildert Ex 24, dass junge Männer mitten aus dem Volk wie selbstverständlich priesterliche Prärogative wahrnehmen (V.  5), dass siebzig von den Ältesten Gott sehen (!), in 7 Vgl.

Albertz, Exodus, Bd.  2, 41–43; Dohmen, Exodus 19–34, 60–63. Recht interpretiert Konkel, Sünde und Vergebung, 290–293, die ‚verfrühte‘ Erklärung („Blankoverpflichtung“) des Volkes als „charakteristisches Kennzeichen der Komposition“ (die Zitate a. a. O., 291). Wenn hingegen, wie etwa bei Noth, Das zweite Buch Mose, 124, Ex 19,3 ff. als Nachtrag beurteilt wird mit der Begründung, V.  5 spreche „bereits vom Halten des Bundes […], der noch gar nicht geschlossen ist“, so wird die absichtsvolle literarische Gestaltung (zum wechselseitigen Bezug der Darstellung in Ex 19,3–8 und 24,1–11 s. u., Anm.  9) literarkritisch aufgelöst. 9  Wie sorgfältig Ex 19,3–8 und 24,1–11 aufeinander abgestimmt sind, erhellt schon aus einem Vergleich der drei Antworten – oder pointierter: der dreifachen Wiederholung einer Antwort – des Volkes in Ex 19,8; 24,3 und 24,7. Zu diesem Zusammenhang auch Albertz, Exodus, Bd.  2, 138–139. 10  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 15. 11  Kutsch, Gesetz und Gnade, 30; „in Ex 19,5 [ist] das Hören auf Jahwes Stimme und das Bewahren seiner berît die Voraussetzung dafür, daß Israel Jahwes Eigentum(svolk) werden wird“ (a. a. O., 29), es ist „den großen Würdetiteln, die das erwählte Volk erhalten soll“ „konditional […] vorgeschaltet“ (Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, 43). 12  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 171. 13  Das hat schon von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 208, gesehen. 8  Mit

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

seinem Angesicht essen und trinken (V.  9–11)14 – kurz: dass Israel tatsächlich Jhwhs Eigentum, in concreto ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk geworden ist.15 Eben dies bestätigt die singuläre „Konsekration“16 des Volkes mit dem Blut des Bundes (V.  8).17 Jhwh hat „die bedingten Verheißungen von 19,5a–6a erfüllt“,18 bevor Israel die Bedingung gehalten hat oder überhaupt hätte halten können. Anschaulich illustriert dieses Stück „erzählender Theologie“19: Die Bedingung, unter die der Bund gestellt wird, gibt nicht eine Vorleistung an, die zum Eintritt in den Bund berechtigte. Stattdessen schärft sie ein, wie man im Bund bleibt, ihn bewahrt (‫ שׁמר‬Ex 19,5), welcher Wandel der vorgängig geschlossenen und also vorausgesetzten Beziehung entspricht. Gewiss wird dabei, wie Gerhard von Rad resümiert, „der menschliche Partner scharf in Pflicht genommen“.20 „Das heißt nun freilich nicht, daß damit die Gewährung des Bundes konditional von der Gehorsamsleistung Israels abhängig wurde, aber doch dies, daß nun auch die persönliche Entscheidung des Bundesempfängers für unerläßlich gehalten wurde und daß damit dann auch die Frage seiner subjektiven Bewährung ins Gesichtsfeld kommen mußte.“21 Mit anderen Worten: Bei dem Bundesgehorsam, den Jhwh von Israel fordert, geht es nach dem Zeugnis der Sinaiperikope nicht um Getting in, sondern um Staying in, wenn man diese zur Beschreibung der späteren jüdischen Traditionsbildung entwickelte Begrifflichkeit hier in Anschlag bringen will.22 Und nichts anderes gilt, wie zu zeigen sein wird, für die Konzeption des Bundes, wie sie uns im deuteronomistischen Deuteronomium überliefert ist (Kap. IV.4) und der deuteronomistischen Fassung des Jeremiabuches zugrunde liegt (Kap. IV.5). Freilich scheint – so der naheliegende Einwand, der zu der zweiten These führt – die Konstruktion weder das eine noch das andere zu leisten, scheitert Israel doch sogleich und auf ganzer Linie an dem als Bedingung für das Bleiben im Bund geforder14  Hier wie andernorts in der biblischen Überlieferung stehen die Ältesten repräsentativ für das Volk und die Zahl Siebzig für Vollständigkeit. Für Erwägungen zu einem möglichen politischen beziehungsweise verfassungsrechtlichen Hintergrund der siebzig Ältesten im perserzeitlichen Juda vgl. Oswald, Lawgiving at the Mountain of God, 189–190. 15  Grundlegend hierzu Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 51–53. 16  Oswald, Israel am Gottesberg, 156. 17  Den Referenzrahmen für diese kühne Symbolik eröffnet der in Ex 29,20–21; Lev 8,23–24.30 (P) gespiegelte Ritus der Priesterweihe, vgl. Albertz, Exodus, Bd.  2, 139–140. Anders Dohmen, Exodus 19–34, 203. 18  Oswald, Israel am Gottesberg, 156. 19  So mit Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 47. 20  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.   1, 145, in seiner Auslegung der Passage Ex 24,3–8, die er E zurechnet und von dem seines Erachtens in Ex 24,9–11 J vertretenen, als „einseitiges Schutzverhältnis“ beschriebenen Konzept abgrenzt. 21  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.   1, 145 (keine Hervorhebung im Original). S. auch a. a. O., 205.207–208 (im Kontext des grundlegenden Abschnitts „Die Bedeutung der Gebote“), ferner Rendtorff, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 23–26 („Ihr sollt meinen Bund bewahren“). 22  Vgl. grundlegend Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 419–428, und zu seinem Ansatz oben, Kap. II.3.

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ten Gehorsam (Ex 32). Noch am Gottesberg und in schlechterdings unbegreiflicher Absage an die dort erfahrene Gottesnähe übertritt das Volk mit einem Schritt Hauptgebot samt Bilderverbot des Dekalogs (Ex 20,3–5) und die das Bundesbuch eröffnende Forderung (Ex 20,23),23 mit einem Wort: den Gotteswillen im Ganzen.24 Demonstrativer als durch den Kalbsdienst am Sinai könnte die gerade erst begeistert bestätigte Bedingung gar nicht missachtet werden. Zeigt die große Sünde – auf diesen Begriff wird der Bruch der Bundesverpflichtung in Ex 32 gebracht25 – nicht in aller Deutlichkeit, dass ein konditional konzipierter Bund unentrinnbar gefährdet ist durch den Ungehorsam des menschlichen Partners? Mit Walter Groß gesprochen: Israel konnte den Sinaibund brechen und hat ihn gebrochen, weil er an die Bedingung menschlichen Gehorsams geknüpft war.26 Genau dies ist ja das Problem, dessen Lösung Walther Zimmerli in der von ihm wahrgenommenen Eliminierung des Sinaibundes durch P sah.27 An die Stelle des konditionierten und daher zum Scheitern verurteilten Sinaibundes habe P einen unkonditionierten und eben deshalb dauerhaften Bund gesetzt: den „reinen Gnadenbund“ mit Abraham.28 „Der Sinaibund in seiner alten Gestalt ist P als Grundlage des Gottesverhältnisses fraglich geworden. So wird die ganze Begründung des Bundesstandes in den Abrahambund zurückverlegt […]. Die Proklamation des Gottesrechtes und die daraufhin erfolgende Bundesschließung unter den Möglichkeiten von Segen und Fluch ist verdrängt.“29 Blicken wir aber noch einmal auf die Darstellung in der Sinaiperikope selbst, so belegt deren Fortsetzung in Ex 32–34 eindrücklich eine andere Lösung, oder vielmehr: sie wirft gerade nicht das Problem auf, das P vermeintlich zu lösen sucht. Gewiss kann Israel an der Bedingung des Sinaibundes scheitern und scheitert auch tatsächlich auf geradezu verheerende Weise. Aber scheitert damit der Bund, findet die kaum geschlossene Beziehung ihr Ende? Israel ist seinen Gehorsam schuldig geblieben, nach der Logik der Vereinbarung müsste es nun aus sein (vgl. Ex 32,10)30 – aber es ist nicht aus.31 Hier ist nicht der Ort, die Ursprungserzählung von paradigmati23 

Zu den provokativen Einzelheiten s. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 54. „Israel’s original sin“, kann Spieckermann, God’s Steadfast Love, 309, pointiert zusammenfassen. 25  V.  21.30.31. Während Konkel, Sünde und Vergebung, 65, hier einen konkreten Rechtsterminus vermutet, beschreibt Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 54, das so zusammengefasste Geschehen als ursprungsgeschichtlich-paradigmatischen „Sündenfall“. S. ferner Gross, Zukunft für Israel, 20, vgl. Oswald, Correlating the Covenants in Exodus 24 and Exodus 34, 67. 26  Gross, Zukunft für Israel, 47. 27  Dazu s. o., Kap. III.2. 28  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 215 und passim. 29  Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund, 215. 30 Vgl. Kugler, When God Wanted to Destroy the Chosen People, 13–26. 31 Vgl. Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 61, ausführlicher ders., ‚Bund‘ als Strukturkonzept in Genesis und Exodus, 127–129. – Die bei ders., Die ‚Bundesformel‘, 73, aus dieser Beobachtung abgeleitete, von Dohmen, Der Sinaibund als neuer Bund nach Ex 19–34, breit entfaltete Interpretation des in Ex 34 erneuerten Bundes als „neuer Bund“ indes nivelliert mit Jer 31,31–34 ausgerechnet den einen Fall, bei dem in der Hebräischen Bibel tatsächlich nicht allein begrifflich, sondern auch der 24 

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

scher Abwendung Israels („Sündenfall“), ihr entsprechender Strafe und endlich Erneuerung des Bundes (nun nicht mehr „auf der Ebene der Heiligkeit, sondern auf der Ebene der Sünde Israels“32) durch Jhwh, in der die denkbar schwerste Krise der Gottesbeziehung ganz am Anfang, gleichsam vor der Geschichte Israels, durchgespielt wird, zu rekonstruieren.33 Auch ihren – im weiten Sinne des Wortes paränetischen: kritisch mahnenden und zugleich Hoffnung eröffnenden – Implikationen für nach­ exilische Adressaten kann hier nicht nachgegangen werden.34 Für unsere Frage ist nur das Ergebnis wichtig: Die konditionale Struktur des Sinaibundes erweist sich eben nicht als unentrinnbares Verhängnis. Indem sie das dramatische Geschehen am Gottesberg seinen Höhepunkt finden lässt in der mit Recht „Gnadenformel“ genannten Selbstprädikation Jhwhs (Ex 34,6– 7),35 nach der unter dessen ‚Eigenschaften‘, wie auch immer man sie zählt, die der richtenden Gerechtigkeit überwogen werden von denen der Gnade,36 bekräftigt die hintere Sinaiperikope vielmehr die grundsätzliche Gewissheit: Über das Bleiben im Bund entscheidet nicht der Gehorsam Israels, sondern Jhwh.37 Ja, dessen Unverfügbarkeit wird eigens hervorgehoben in der anderen großen Selbstprädikation Jhwhs am Sinai (Ex 33,19):38 ‫וחנתי את־אשר אחן‬ ‫ורחמתי את־אשר ארחם‬ Ich werde gnädig sein, wem ich gnädig sein werde, und mich erbarmen, wessen ich mich erbarme.

Der Bund steht und fällt nicht mit Israels Gehorsam, sondern er steht in Jhwhs Freiheit. Eben diese in der Sinaiperikope verbürgte Gewissheit wird auch schon, so die zweite hier vertretene These, in der Konzeption des Bundes im Deuteronomium und der auf dieser Grundlage stehenden deuteronomistischen Geschichtsdeutung zur Sache nach (gegen Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 87) von einem „neuen“, grundsätzlich als anders profilierten Bund die Rede ist. S. dazu unten, Kap. V.2; zur Frage nach dem ‚neuen Bund‘ in der Sinaiperikope vgl. ferner Lohfink, Der Neue Bund im Buch Deuteronomium. 32  So mit Aurelius, Der Fürbitter Israels, 125. 33 Grundlegend Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 203–216; Aurelius, Der Fürbitter Israels, 57–126; Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 54–72. 34  S. dazu Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 189–193, vgl. Konkel, Sünde und Vergebung, 285. 35  Spieckermann, Barmherzig und gnädig ist der Herr, 4. 36  Ausführlich dazu Franz, Der barmherzige und gnädige Gott, 111–153, vgl. auch Scoralick, Ein gnädiger und barmherziger Gott. 37 Vgl. Konkel, Sünde und Vergebung, 289; Albertz, Exodus, Bd.  2 , 310–312. 38  Dass der Vers zu einem korrigierenden Nachtrag in Ex 33,18–23 gehört, der im Vorgriff auf Ex 34,5–8 das Problem der Schau Gottes durch den Menschen Mose behandelt (so Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 64–65, unter Aufnahme von Rudolph, Der ‚Elohist‘ von Exodus bis Josua, 57–58, zuletzt etwa Albertz, Exodus, Bd.  2, 287–289.298–299), scheint mir evident. Hinsichtlich der hier betrachteten Selbstaussage Jhwhs vertieft dieser Nachtrag aber nur, was in der Gnadenformel angelegt ist. Hossfeld, Alttestamentliche Bemerkungen zum Thema Rechtfertigung, 292, kommentiert: „Diese Formulierung [sc. Ex 33,19] unterstreicht die göttliche Freiheit.“

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

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Darstellung gebracht – in geradem Gegensatz zu der gängigen Wahrnehmung einer verhängnisvollen Vertragslogik. Noch offenkundiger als die Sinaiperikope gibt das regelrecht nach altorientalischem Formular konzipierte Deuteronomium den Hintergrund der Bundesidee im Vertragsrecht zu erkennen, noch entschiedener fällt daher die theologische Kritik aus. Der nach Analogie des Vertrags gestaltete Bund kann geradezu als Verhängnis beschrieben werden.39 Und in der Tat, verschärft die vertragsmäßige Fassung der Beziehung mit ihrer gleichsam juristischen Betonung der Konditionalität nicht sogar noch das Problem, dass ein an die Bedingung menschlichen Gehorsams geknüpfter Bund an menschlichem Ungehorsam scheitern muss?40 Ein Vergleich der Konstellation des Bundes im Deuteronomium mit der altorientalischer Verträge unter Konzentration auf den entscheidenden Sanktionsmechanismus von Segen und Fluch vermag zu zeigen, dass diese Einschätzung auf einer Fehlwahrnehmung beruht (Kap. IV.2). Die alternative, anhand von Dtn 28 erarbeitete Sicht stützt sich aber nicht allein auf besagten Vergleich. Vielmehr findet sie einen schlagenden Beleg in der deuteronomistischen Darstellung der Geschichte Israels (Kap. IV.3).

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition Der Bund fällt nicht, auch wenn seine Logik dies erwarten lassen sollte, mit dem Ungehorsam Israels. Jhwh lässt sein Volk nicht. Das ist die Botschaft der Sinaiperikope.41 Wenn sich trotz dieses klaren Befunds die Profilierung des priesterlichen ‚Gnadenbundes‘ als Remedium des ‚alten‘ Sinaibundes nahezu einhelliger Zustimmung erfreut, so erklärt sich dies allenfalls zum Teil aus der Forschung zur Sinaiperikope und noch weniger aus entsprechenden Einsichten zur priesterlichen Bundestheologie selbst. Vielmehr zeigt es, dass das bei ihrer Interpretation gleichsam als dunkle Folie vorausgesetzte Verständnis der deuteronomistischen ungebrochen in Geltung steht. Denn mit der Chiffre ‚Sinaibund‘ wird ja nicht allein das Geschehen am Gottesberg nach dem Buch Exodus aufgerufen, sondern auch und besonders dessen Darstellung im Deuteronomium42 samt der davon ausgehenden Deutung der Geschichte Israels 39  So fasst etwa Franz, Der barmherzige und gnädige Gott, 220, vor dem Hintergrund seiner Untersuchung der Gnadenformel die „Theologie des Vertrags“, wie sie in Deuteronomium und Geschichtswerk vertreten werde, lapidar zusammen: Laut „Vertrag“ steht Israel vor der „Alternative von Gehorsam oder Ungehorsam, Heil oder Unheil“. 40  Der vielleicht prominenteste Zeuge für eine solche Problemwahrnehmung ist Martin Noth mit seiner Interpretation des deuteronomistischen Geschichtswerks als Abgesang auf die Geschichte Jhwhs mit Israel; s. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 107–110, vgl. ders., Die Gesetze im Pentateuch, 84–85. Anders hingegen schon Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, vgl. ferner Rendtorff, Das ‚Ende‘ der Geschichte Israels. 41  S. o., Kap. IV.1. 42  Zum Verhältnis der Gottesberg-Überlieferungen in Exodus und Deuteronomium s. nun vor allem Stoppel, Von Angesicht zu Angesicht.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

in der deuteronomistischen Tradition. Hier schürzt sich der Knoten: in der Konzeption der deuteronomistischen Bundestheologie als Geschichtstheologie. Die deuteronomistische Geschichtsdarstellung blickt auf nationale Katastrophen von verheerendem Ausmaß zurück: auf den Untergang des Nordreichs Israel im Jahre 722 v. Chr. und dann vor allem, dieser Schock sitzt jedenfalls den frühen Tradenten noch in allen Gliedern, auf die Zerstörung Jerusalems einschließlich des Jhwh-Tempels 587 v. Chr.43 Konzipiert unter dem noch allzu lebendigen Eindruck dieser Katastrophe, will die Darstellung ein Ziel erreichen: die Rechtfertigung Jhwhs. Sollte Jhwh sich etwa als zu schwach erwiesen haben? Oder hat gar, horribile dictu, der Gott Israels sein Volk aufgegeben?44 Nein! Nicht Jhwh ist schuld an der Kata­ strophe, sondern Israel.45 Israel ist seinen Bundesgehorsam schuldig geblieben – und hat die „Quittung“ dafür bekommen.46 Als Ansatzpunkt dieser Argumentation dient den deuteronomistischen Theologen die Konzeption des Bundes nach Analogie des altorientalischen Vertrags.47 Nach dem Formular, das dessen Aufbau vorgibt und sich in den wesentlichen Elementen auch im Deuteronomium rekonstruieren lässt, folgen auf die Vertragsbestimmungen oder Stipulationen, denen zu gehorchen die Partner sich verpflichten, seitenlange Listen mit Flüchen.48 Sie sollen den Vertrag schützen.49 Nehmen wir, um ein bekanntes Beispiel aufzugreifen, den Vertrag, den der assyrische Großkönig Asarhad43  Dass die Tempelzerstörung, weil in der altorientalischen Kriegsführung nicht an der Tagesordnung, besonders „verstörend“ wirken musste, stellt Stipp, Die Deuteronomisten und das Exil, 9, unter Verweis auf Mayer, Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 587 v. Chr., heraus. 44 S. Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 15, und Olyan, The Status of Covenant During the Exile, vgl. die Erwägung derartiger Deutungen der Ereignisse bei Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, 107, ferner etwa Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament, 17, und schon ders., Die Verheißung des neuen Bundes, 128, zu Jer 7,21. 45  „Der Zusammenbruch ist göttliche Strafe für menschliche Schuld“, fasst Schmid, Theologie des Alten Testaments, 294, zusammen. 46  Mit einem Ausdruck von Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 118. Die Katastrophe wird so als „Folge des Vertragsbruches“ erklärt, wie Köckert, Gottes ‚Bund‘ mit Abraham und die ‚Erwählung‘ Israels, 20, formulieren kann. Grundlegend dazu Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 7: „Geschichte konnte […] in jenem 6. Jh. nur geschrieben werden unter dem theologischen Gesichtspunkt der mißachteten Bedingungen der Heilsgabe.“ 47  Zu Geschichte und Stand der Forschung s. o., Kap. I.1. 48  Anhand des hethitischen Materials wurde das Formular erstmals von Korošec, Hethitische Staatsverträge, zusammenfassend beschrieben. Neuere Überblicksdarstellungen bieten Beckman, Hittite Treaties and the Development of Cuneiform Treaty Tradition; Christiansen/Devecchi, Die hethitischen Vasallenverträge und die biblische Bundeskonzeption, und Koch, Zwischen Hatti und Assur; ders., Vertrag, Treueid und Bund; vgl. auch Weeks, Admonition and Curse. Im traditionsgeschichtlichen Vergleich weist das Formular eine erhebliche Variabilität auf, was angesichts einer über tausendjährigen Tradition in unterschiedlichen Kulturräumen und diversen Verwendungszwecken kaum verwundern kann. Zu seinen wesentlichen Elementen gehören aber: die Vertragsbestimmungen oder Stipulationen; Fluch (und Segen); die Anrufung von Göttern als Zeugen. 49 Nach der Unterscheidung von Pomponio, Formule di maledizione della Mesopotamia preclassica, gehören sie also zur Kategorie der präventiven (im Unterschied zu punitiven) Flüche. Zu dieser Funktion vgl. neuerdings etwa noch McAffee, The Good Word.

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

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don mit ihm ergebenen Vasallenkönigen schließt (EST).50 Dieser Vertrag bestimmt, dass Assurbanipal, der Sohn Asarhaddons, nach dessen Tod die Thronfolge antreten soll.51 Die Asarhaddon ergebenen Könige werden verpflichtet, ebenso dereinst auch dem Kronprinzen Assurbanipal zu gehorchen. Im Anschluss daran legt der Vertrag fest, was geschehen wird, wenn sie diesen Gehorsam schuldig bleiben. Wenn ihr gegen diesen Vertrag, den Asarhaddon, König von Assyrien, euer Herr, zugunsten Assurbanipals, des Kronprinzen … mit euch geschlossen hat, sündigt, so möge Assur, der Vater der Götter, mit seinen zornigen Waffen euch niederstrecken (EST §  58), so möge Ea, der König der Wassertiefe, der Herr der Quellen, euch tödliches Wasser zu trinken geben … (EST §  60), und so weiter, und so fort. Fluch um Fluch, ein Gott nach dem anderen, ja schließlich alle Götter, die auf dieser Vertragstafel namentlich genannt sind (EST §  63 par.).52 Dem Formular eben solcher Verträge folgt das Deuteronomium, wenn es das am Sinai begründete Verhältnis zwischen Jhwh und Israel als Bund beschreibt.53 Im Anschluss an die Stipulationen in den Kapiteln 12–26, für gewöhnlich als Gesetzeskorpus bezeichnet, werden in Dtn 28 Sanktionen festgelegt. Hier zunächst für den erwünschten Fall: Wenn du nun genau hörst auf die Stimme Jhwhs, deines Gottes, dass du hältst und tust alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete, dann wird dich Jhwh, dein Gott, zum höchsten über alle Völker auf Erden machen. Und alle diese Segnungen werden über dich kommen und dich einholen, weil du auf die Stimme Jhwhs, deines Gottes, hörst: … (Dtn 28,1–2). Es folgt eine Liste der verheißenen Segnungen, die ihr traditionsgeschichtliches Vorbild im älteren hethitischen Vertragswesen hat und durch die Steleninschriften von Sefire ansatzweise auch für die 50  Wiseman, The Vassal Treaties of Esarhaddon. Die EST werden hier als Beispiel aufgenommen, nicht aufgrund der Annahme, sie hätten als Übersetzungsvorlage für Dtn 13* und 28* gedient, wie Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, und Otto, Das Deuteronomium, nachzuweisen versucht haben. Zur Diskussion s. o., Kap. I.1, im Anschluss an Radner, Assyrische tuppi adê als Vorbild für Deuteronomium 28,20–44, und vor allem Koch, Vertrag, Treueid und Bund. 51 Daher die geläufige, auch in der vorliegenden Untersuchung verwendete Bezeichnung als „Esar­haddon’s Succession Treaty“ (EST). Zu der strittigen Frage, ob die EST als Vasallenverträge (Wiseman, Parpola) oder Loyalitätseide (Gelb, Cogan) anzusprechen sind, s. Otto, Das Deuteronomium, 15–32, und Koch, Vertrag, Treueid und Bund, 78–97. 52  Übersetzung nach TUAT I/2, 172–173 (Borger). 53  Außer auf die Stipulationen (Dtn 12–26) sowie Segen und Fluch (Dtn 28; bemerkenswerterweise ist die Reihenfolge beider Teilelemente in freier Adaption des Formulars umgekehrt) sei auf folgende Elemente hingewiesen: die Vorgeschichte (Dtn *1–3.4 und Passagen in Dtn 6–11); die Grundsatzerklärung (hierfür kommen entweder der Dekalog beziehungsweise das Hauptgebot oder das Höre Israel infrage; für Letzteres könnte Dtn 27,9 sowie die im Vertragswesen wurzelnde Rede von der Liebe zum Herrn [s. Moran, The Ancient Near Eastern Background of the Love of God in Deuteronomy] sprechen); ferner autoreferenzielle Bezüge auf die Niederschrift samt Bestimmungen zu Aufbewahrung und Kundgabe (neben Dtn 28,58.61 vgl. hierzu 31,9–13.24–26 in Verbindung mit 1,5 und 17,18). Der in Dtn 28,69 eingeleitete Zusammenhang der Kap.  29–30 weist dann noch einmal alle wesentlichen Elemente des Formulars auf. Zur Rekonstruktion im Deuteronomium vgl. vor allem McCarthy, Treaty and Covenant, und Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School.

120

IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

aramäische Rechts­tra­dition, mit der die Königreiche Israel und Juda in Berührung kamen,54 bezeugt ist.55 Zu Anfang steht hier also, was auch die Absicht des Ganzen ist: Jhwhs Segen für das von ihm erwählte Volk. Doch für den Fall, dass Israel den Bundesbestimmungen nicht gehorcht, wird auch im Deuteronomium Fluch angedroht – und auch hier liegt darauf das Schwergewicht des Abschnitts, dessen Zweck ja der Schutz des Bundes ist.56 Wenn du aber nicht hörst auf die Stimme Jhwhs, deines Gottes, dass du hältst und tust alle seine Gebote und Satzungen, die ich dir heute gebiete, dann werden alle diese Flüche über dich kommen und dich einholen: … (Dtn 28,15). Israel hatte die Wahl, und die rauchenden Trümmer Jerusalems bezeugen: Es hat falsch gewählt. Nach der Logik der geltenden Vereinbarung bekommt das Volk, was es verdient: Vergeltung für schuldig gebliebenen Gehorsam. So erklären die Deuteronomisten die unheilvolle Vergangenheit und rechtfertigen zugleich Jhwh – Geschichtstheologie von Format.57 Doch genau aus dieser Theologie erwächst das besagte Problem. Die Vergangenheit ist erklärt und Jhwh gerechtfertigt – dafür aber umso fraglicher, wie und ob es überhaupt weitergehen kann. Noch einmal: Israel konnte den Bund brechen und hat ihn gebrochen, weil er an die Bedingung menschlichen Gehorsams geknüpft war. Wer garantiert, dass dieser „Keim erneuten Scheiterns“58 nicht bald von Neuem aufgeht?59 Der Sachverhalt scheint klar zu sein. Die deuteronomistische Bundestheologie beschreibt die Beziehung zwischen Israel und Jhwh als von einer konsequenten Vergeltungslogik geprägtes Vertragsverhältnis. Der Bund steht und fällt mit Israels Gehorsam,60 und er erweist sich darin als verhängnisvoller Vertrag. Dem setzt die priesterliche Bundestheologie, so die gängige Auffassung, das Konzept eines gänzlich bedingungslosen Gnadenbundes entgegen. Hier gibt es nichts zu vergelten, weil kein Gehorsam geboten wurde. Israel kann den Bund also gar nicht brechen.61 In einem neueren Lehrbuch wird dieser herrschende Konsens treffend zusammengefasst: „Der Bund als einseitige Vor-Gabe Gottes ist in seiner Valenz nicht mehr abhängig vom

54  Zu dieser Annahme vgl. etwa 1 Kön 15,18–19; s. zuletzt auch Ramos, A Northwest Semitic Curse Formula, 216–218. 55 S. Koch, Zwischen Hatti und Assur, zur Vermittlung hethitischer Traditionen in aramäische und neuassyrische Kontexte auch d’Alfonso, Die hethitische Vertragstradition in Syrien, und, unter Bezug auf das Element des Segens bei Vertragstreue, Otto, Deuteronomium 12–34, Bd.  1, 1250. 56  Vgl. etwa Nelson, Deuteronomy, 327. 57 Vgl. Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 61. Köckert spricht pointiert von einer Theodizee, mit der die Deuteronomisten Jhwh „aus der noch rauchenden Asche reißen“. 58  Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament, 17. 59  S. o., S.  115, unter Aufnahme der Exposition in Kap. III.2. 60  Olyan, The Status of Covenant During the Exile, 341, kann diese Annahme „about the fate of covenant violators“ kurz und bündig als „traditional treaty discourse“ bezeichnen. 61 Zur fraglichen Plausibilität einer dergestalt profilierten (unkonditionierten) priesterlichen Bundestheologie und einer alternativen Rekonstruktion s. o., Kap. III.

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

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Bundesgehorsam derjenigen, mit denen Gott den Bund schließt.“62 So reformuliert, erscheint das Problem nur noch zwingender: Durch „die deuteronomistische Betonung des Vertragscharakters des Bundes“ ergibt sich eine „Abhängigkeit der Geltung des Bundes von der Beachtung seiner Regelungen“.63 Die Frage ist freilich, und ihr gilt es nun in der deuteronomistischen Überlieferung selbst nachzugehen, ob die angenommene Abhängigkeit überhaupt existiert. Steht und fällt Jhwhs Bund tatsächlich mit Israels Gehorsam, sozusagen nach dem Algorithmus ‚wenn Ungehorsam, dann Unheil‘? Eine solche Abhängigkeit besteht nämlich, sieht man genauer hin, nur unter einer zusätzlichen Annahme: dann und nur dann, wenn die vertraglich festgelegte Vergeltung automatisch funktioniert.64 Ein solcher Automatismus wird aber vorausgesetzt – auch wenn dies kaum je theologisch reflektiert wird –, wo man wie selbstverständlich davon ausgeht, die Geltung des Bundes hänge von der Erfüllung seiner Pflichten ab. Die vorab festgelegte Vergeltung funktioniert von selbst, gleichsam als gnadenloser Algorithmus – erst unter dieser Zusatzannahme wird aus dem Bund ein verhängnisvoller Vertrag. Eine derartige, theologisch kaum reflektierte, aber umso problematischere Voraussetzung kommt natürlich nicht von Ungefähr. Sie verdankt sich der altorientalischen Analogie. Nehmen wir noch einmal das Beispiel von Asarhaddons Nachfolgevertrag. Der Großkönig schließt mit seinem Vasallen einen Vertrag. Der Vertrag ist geschützt, wir haben es gesehen, durch Fluch als Folge von Ungehorsam gegenüber den Vertragsbestimmungen, und damit ex negativo, wenngleich das hier nicht ausdrücklich gesagt wird,65 durch Segen als Folge von Gehorsam. In Analogie dazu l­ esen wir im Deuteronomium, wie Jhwh mit seinem Volk Israel einen Bund schließt, der geschützt ist durch Segensverheißung und Fluchdrohung. Warum im Fall des Deuteronomiums besser von Verheißung und Drohung statt mit der gebräuchlichen Formulierung von Segen und Fluch gesprochen werden sollte, wird gleich klar werden. Um nun besagten Schutz des Vertrages herzustellen, ruft Asarhaddon Götter an – seine eigenen und ebenso auch die des Vertragspartners, 66 ja zur Sicherheit einfach 62  Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 450, im Rahmen einer Profilierung der priesterlichen Bundestheologie durch ihre Kontrastierung mit der deuteronomistischen. 63  Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 449–450. Die luzide Darstellung wird hier, das sei ausdrücklich hervorgehoben, nicht aufgrund einer spezifischen Pointe aufgegriffen, sondern im Gegenteil gerade deshalb, weil sie als gesichertes Ergebnis der Forschung, gleichsam als Lernstoff, in einem Lehrbuch steht. Neben sie ließen sich nahezu beliebig viele andere stellen. 64 Einmal ausgesprochen von Dozeman, Commentary on Exodus, 737, der ausgehend von Ex 20,4–6 darlegt: „God is capable of both love and hate toward the Israelites as a result of entering into covenant with them. But both the vengeance and the love of God are automatic responses triggered by the actions of love and hate in humans toward God.“ (im Original ohne Hervorhebung). 65  Und in einem Staatsvertrag auch nicht ausdrücklich gesagt werden muss; darin ist Noth, Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, 164–165, Recht zu geben. Vgl. etwa noch Krašovec, Reward, Punishment, and Forgiveness, 182–183; ders., The Distinctive Hebrew Testimony to Renewal Based on Forgiveness, 234–235. 66  S. EST §  54B, die auf den Fragmenten von Nimrud nicht erhaltene, nun aber dank der Tafel aus Tell Tayinat zu rekonstruierende Anrufung von Šarrat-Ekron, der Königin von Ekron (Lauinger,

122 IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption alle Götter. Die angerufenen Götter fungieren als „Zeugen“ des Vertrags, und das alle Götter. Die angerufenen Götter fungieren als „Zeugen“ des Vertrags, und das heißt in der Begrifflichkeit des altorientalischen Vertragswesens zugleich: sie fungieheißt in der Begrifflichkeit des altorientalischen Vertragswesens zugleich: sie fungieder Vasall derren als Agenten der vertraglich festgeschriebenen Fluchfolgen.1 Wenn ren als Agenten der vertraglich festgeschriebenen Fluchfolgen.67 Wenn der Vasall einst seinen Gehorsam gegenüber Assurbanipal schuldig bleibt, werden die Götter dereinst seinen Gehorsam gegenüber Assurbanipal schuldig bleibt, werden die Götden Abschluss ihm dies vergelten – die Götter, und nicht Assurbanibal selbst.2 Durch ter ihm dies vergelten – die Götter, und nicht Assurbanibal selbst.68 Durch den Abdes Vertrages stellen die Vertragspartner ihr Wohl und Wehe also den Göttern anschluss des Vertrages stellen die Vertragspartner ihr Wohl und Wehe also den Götheim, und sie etablieren damit – das ist jedenfalls die Absicht – einen ohne weitere tern anheim, und sie etablieren damit – das ist jedenfalls die Absicht – einen ohne die Götter Mitwirkung der Partner funktionierenden Schutz des Vertrages.3 Weil 69 weitere Mitwirkung der Partner funktionierenden Schutz des Vertrages. Weil die über den Vertrag wachen, wird auf Gehorsam Heil folgen und auf Ungehorsam UnGötter über den Vertrag wachen, wird auf Gehorsam Heil folgen und auf Ungehorheil (vgl. Abb. 3). sam Unheil (vgl. Abb. 3).



Fluch (und Segen)



Vertrag

Großkönig Zeugen

Götter Agenten

Vasallenkönig Abb. 3: Akteurskonstellation eines altorientalischen Vertrages Esarhaddon’s Succession Treaty at Tell Tayinat, 102). Zum traditionsgeschichtlichen Rückraum dieses1Aspekts vgl. grundlegend Smith,des God in Translation, 51–62, hier bes. 52–53. 33). Das Material Als „Rächer“ und „Vollstrecker Fluches“ (Baltzer, Das Bundesformular, 67  Als „Rächer“ und „Vollstrecker des Fluches“ (Baltzer, Das Bundesformular, 33). Das Materiist jüngst umfassend aufgearbeitet worden von Christiansen, Schicksalsbestimmende Kommunial ist jüngst umfassend aufgearbeitet von Cursed Christiansen, Schicksalsbestimmende Kommukation (für den hethitischen Bereich),worden und Kitz, are You (in komparativer Perspektive). nikation (für den hethitischen Bereich), und Kitz, Cursed are You (in komparativer Perspektive). 2 In diese Logik ist integriert, dass die geschädigte Vertragspartei sich gelegentlich als ausfüh68  In diese Logik ist integriert, dass die geschädigte Vertragspartei sich gelegentlich als ausführendes Organ des göttlichen Fluchzorns verstehen beziehungsweise ihre Strafaktionen so inszenierendes Organs. des göttlichen verstehen beziehungsweise ihre Strafaktionen so inszenieren konnte; Kitz, Cursed Fluchzorns are You, 195–196 (strafende Gottheiten bedienen sich menschlicher ren konnte; s. Kitz, Cursed are You, 195–196 (strafende Gottheiten bedienen sich menschlicher Unterstützung), und McCarthy, Treaty and Covenant, 138–139 (göttliche und menschliche SankUnterstützung), undlassen McCarthy, and Covenant, 138–139vgl. (göttliche und menschliche Sanktionsmechanismen sich garTreaty nicht voneinander trennen); auch Weeks, Causality in the tionsmechanismen lassen sichDoch gar nicht trennen); vgl. auch Weeks, Causality in the Assyrian Royal Inscriptions. liegenvoneinander die weitaus meisten Fluchfolgen – man denke nur an die Assyrian Royal Inscriptions. Naturkatastrophen Doch liegen die weitaus Fluchfolgen – man denkeköniglicher nur an die formelhaft standardisierten und meisten Krankheiten – ohnehin jenseits formelhaft standardisierten Naturkatastrophen undTraces Krankheiten – ohnehin jenseits königlicher Reichweite. Nicht umsonst lässt sich, wie Weinfeld, of Assyrian Treaty Formulae in DeuteReichweite. NichtDeuteronomy umsonst lässtand sich,the wieDeuteronomic Weinfeld, Traces of Assyrian Formulae inhat, Deuteronomy; ders., School, 117–121,Treaty herausgearbeitet im ronomy;rischen ders., Kontext Deuteronomy and the Deuteronomic School, 117–121, herausgearbeitet hat,proim neuassy eine Zuordnung bestimmter Fluchfolgen zu den Kompetenzbereichen neuassy­rischen Kontext Zuordnung bestimmter zu denist Kompetenzbereichen minenter Mitglieder deseine Pantheons feststellen (für Fluchfolgen Hautkrankheiten Sin verantwortlich,profür minenter Šamaš Mitglieder Blindheit etc.). des Pantheons feststellen (für Hautkrankheiten ist Sin verantwortlich, für Blindheit 3 „DasŠamaš ist die etc.). formale Struktur eines Fluchs. Ein Fluch löst die Intervention jenseitiger Agenten 69  „Das ist die formale Struktur eines Fluchs. Ein Fluch löst die Intervention jenseitiger Agenten aus, um den Zusammenhang zwischen Tat und Folge zustande zu bringen. Er etabliert einen Nexus aus, um den Zusammenhang zwischen Tat und Folge zuoder bringen. Er etabliert einen Nexus zwischen Verbrechen und Strafe, der unabhängig von zustande staatlichen gesellschaftlichen Institutiozwischen Verbrechen und Strafe, der unabhängig(Assmann, von staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen und daher quasi automatisch funktioniert.“ Altorientalische Fluchinschriften und nen Problem und daher quasi automatisch funktioniert.“ das performativer Schriftlichkeit, 237). (Assmann, Altorientalische Fluchinschriften und das Problem performativer Schriftlichkeit, 237).

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

123

Damit ist hier in der Tat ein Automatismus von Segen und vor allem Fluch programmiert, ja, er ist das entscheidende Funktionsprinzip der Konstruktion. Je nach gewählter Blickrichtung ist der Begriff Automatismus in der vorstehenden Darstellung uneigentlich gebraucht. Im Blick auf die Zeugengötter, die ihrer Aufgabe als Agenten der Fluchfolgen unabhängig von menschlicher Manipulation walten sollen, trifft er eigentlich gerade nicht. Mit Recht beschreibt daher Jan Assmann in seiner eben zitierten Untersuchung die durch die Anrufung von Göttern etablierte Schutzfunktion als „quasi automatisch“;70 ausdrücklich grenzt er sie ab von einer magisch funktionierenden Verbindung zwischen Vertragsbruch und vereinbarter Sanktion, die durch rituelle Praktiken oder durch das bloße Aussprechen einer Fluchformel hergestellt wird.71 In der Tat hat das Problem der Magie die ältere Forschung in diesem Zusammenhang stark beschäftigt,72 die alttestamentliche zumal angesichts der These73 einer spezifisch westsemitischen Fluchtradition, nach der ein im Partizip passiv, mithin ohne Anrufung eines Agenten formuliertes Fluchwort (Typ: ‫)ארור‬, einmal ausgesprochen, eigenmächtige Wirksamkeit entfalte. Eine solche Auffassung hat sich zunächst an den jeweils untersuchten Texten zu bewähren;74 für konditionale, unter Anrufung von Zeugen formulierte Vertragsflüche ist sie ohnehin nicht einschlägig. Auch die jüngere Frage nach Magie im Alten Testament, wie sie umfassend zuletzt Rüdiger Schmitt erörtert hat,75 kann hier auf sich beruhen. Von Bedeutung für unser Argument ist hingegen, dass die wesentliche dabei erarbeitete Einsicht, nach der magische Weltbewältigung keineswegs in die primitive Vorgeschichte genuin religiöser Weltdeutung sub specie Dei gehört, sondern integraler Bestandteil derselben ist, Bestätigung findet in zwei neuen, unabhängig voneinander entstandenen Studien zum gemein-altorientalischen Phänomen des Fluches.76 In diesem Licht wird deutlich: Selbst da, wo unbestreitbar magische Sprachhandlungen und vor allem Praktiken (im Kontext der Vertragsflüche kommt unwillkürlich die Identifizierung der Eidleistenden mit rituell getöteten Tieren, schmelzenden Wachspuppen etc. in den Sinn) im Spiel sind, liegt die entscheidende Verfügungsgewalt über den Fluch letztlich bei den Göttern. Daher trifft der Begriff Automatismus im Blick auf die Zeugengötter und ihr unabhängiges Wirken als Agenten eigentlich nicht. Umso einschlägiger ist er indes, wenn man die Vertragspartner – im Fall der EST den assyrischen Großkönig und seine Vasallen – in den Blick nimmt, soll der Schutz des Vertrags doch, wie oben dargestellt, ohne ihre Mitwirkung funktionieren (Assmann: „unabhängig von staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen“). In dieser Perspektive – und sie ist hier von Belang – erweist es sich geradezu als Pointe der Konstruktion, dass sie quasi automatisch funktioniert. 70 

71 

237.

S. o., Anm.  69. Assmann, Altorientalische Fluchinschriften und das Problem performativer Schriftlichkeit,

72  Zur Forschungsgeschichte s. Kitz, Cursed are You, 9–31, aus alttestamentlicher Sicht Stey­ mans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, 209–220, und Aitken, The Semantics of Blessing and Cursing in Ancient Hebrew, 5–17. 73  Vorbereitet von Hempel, Die israelitischen Anschauungen von Segen und Fluch im Lichte altorientalischer Parallelen, mit nachhaltigem Einfluss vertreten von Gevirtz, Art. Curse, aufgenommen bei Schottroff, Der altisraelitische Fluchspruch. 74  Kritisch dazu etwa schon Scharbert, Art. ‫ארר‬, 444. 75  Schmitt, Magie im Alten Testament; speziell zu Segen und Fluch s. auch Aitken, The Semantics of Blessing and Cursing in Ancient Hebrew, 5–17. 76  Kitz, Cursed are You; Christiansen, Schicksalsbestimmende Kommunikation.

124

IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

Diese spezifische Eigenlogik altorientalischer Verträge ist der Hintergrund, vor dem die deuteronomistische Konzeption des Bundes als gleichsam automatisch funktionierender Vergeltungsmechanismus wahrgenommen werden kann und tatsächlich wahrgenommen wird.77 Doch zu Unrecht, denn hier liegt ein Unterschied – der entscheidende Unterschied. Zwar werden auch beim Bund im Deuteronomium Zeugen ‚angerufen‘ beziehungsweise benannt: Himmel und Erde (Dtn 30,19; auch 31,28; 32,1; 4,26), später dann auch das Buch der Tora (31,26) und ein von Mose aufgeschriebenes Lied (31,19.21). In deutlichem Kontrast zu der sonst so konsequent durchgehaltenen Analogie zum altorientalischen Vertrag nimmt sich das aber wie der etwas halbherzige Versuch aus, dem Formular auch in diesem Punkt zu folgen.78 Jedenfalls haben diese ‚Zeugen‘, anders als die traditionellen Zeugengötter, keine Wächterfunktion. Sie sind ja auch keine Götter.79 Gott ist in dieser Konstellation überhaupt nur einer: Jhwh. Folgerichtig ist er es auch, der als Agent der Fluchfolgen fungiert – oder besser gesagt: der seine Fluchdrohung in die Tat umsetzt. In den altorientalischen Vergleichsbelegen trifft die Bezeichnung „Fluch“ im herkömmlichen Sinne einer Bitte an die Götter, bestimmtes Fehlverhalten zu sanktionieren, im Deuteronomium hingegen nicht. Den Sachverhalt hat schon Dennis McCarthy hellsichtig beschrieben: „The reader may think that certain passages […] called curses, blessings or curse-blessing formulae might be better characterized as threats, promises, conditional predictions or the like. In fact, it is difficult to apply strict definitions in the matter, especially when the words are those of God Himself. A curse is usually defined as ‚A prayer or invocation for harm or injury to come upon one.‘ But Yahwe does not pray, He says what will happen.“80 Im Sinne dieser Problemanzeige plädiert Hans Ulrich Steymans im Fall von Lev 26 dafür, von „Versprechen und Drohung“ anstelle von „Segen und Fluch“ zu sprechen.81 Dagegen hält er für Dtn 28 ausdrücklich an der 77  „Like other treaty texts from West Asia“, notiert Olyan, The Status of Covenant During the Exile, 342. Als frühes Beispiel vgl. Malamat, Doctrines of Causality in Hittite and Biblical Historiography, 9, Anm.  1. 78  Zum Problem s. etwa schon Baltzer, Das Bundesformular, 33–34, oder Lohfink, Der Bundesschluß im Lande Moab, 80. Letzterer bezeichnet die Anrufung von Himmel und Erde als „Ersatzlösung“. 79  In der altorientalischen Umwelt, besonders in der hethitischen Vertragsrechtstradition, aber auch in Sefire, Arslan Tash und andernorts, wo neben (beziehungsweise unter) den Zeugengöttern gelegentlich ebenfalls Himmel und Erde (beziehungsweise deren Numen) angerufen werden, liegt der Fall zwar anders; s. Koch, Zwischen Hatti und Assur, 388–390, mit Verweis auf die Diskussion bei Moran, Some Remarks on the Song of Moses, 317–320, und Delcor, Les attaches litteraires, l’origine et la signification de l’expression biblique ‚prendre a temoin le ciel et la terre‘, zu Arslan Tash I Verso, Z.  13–14 auch Zevit, A Phoenician Inscription and Biblical Covenant Theology, 117; Conklin, Arslan Tash I, 92, und oben, S.  2–4; vgl. ferner Rüterswörden, Bundestheologie ohne ‫ברית‬, 90. Aber dass Himmel und Erde im Deuteronomium nicht als Gottheiten angerufen werden, bedarf keiner weiteren Begründung (vgl. Veijola, Das fünfte Buch Mose, 103, Anm.  531). Als Assoziationshintergrund der dortigen Formulierung käme übrigens auch die im neuassyrischen Vertragsrecht gebräuchliche Kollektivformel die großen Götter des Himmels und der Erde (z. B. EST §  56) in Betracht. 80  McCarthy, Treaty and Covenant, 11 (Hervorhebung im Original). 81  Steymans, Verheißung und Drohung, 273. Ganz ähnlich auch schon Noth, Die mit des Ge-

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

125

herkömmlichen Formulierung fest – aufgrund seiner Interpretation des Kapitels als von Mose als Liturgen ausgerufener Selbstsegnung beziehungsweise -verfluchung der Vereidigten im Rahmen der Zeremonie des Bundesschlusses in Moab, deren Ritual in Dtn 29,11 angedeutet werde.82 Doch verdankt sich die Gestaltung des Deuteronomiums insgesamt als Mose-Rede ja bereits der deuteronomistischen Konzeption als „Torabuch“ des Mose (so bekanntlich die Selbstbezeichnung des deuteronomistisch edierten Deuteronomiums), 83 der zufolge Mose nicht nur als Ich-Erzähler (Dtn 1), sondern auch als Mittler und Sprachrohr Jhwhs (Dtn 5) eingeführt und wiederholt in Erinnerung gerufen wird.84 Vor diesem Hintergrund erscheint Steymans’ spezifische Interpretation der Sprecherrolle Moses in Dtn 28 gesucht.85 Mutatis mutandis gilt vielmehr auch für die Flüche, was Norbert Lohfink für die von Mose promulgierten Gesetze im Deuteronomium herausgearbeitet hat:86 So wie diese Gesetze Jhwhs, so sind jene Flüche Jhwhs.87 Es besteht in dieser Hinsicht kein prinzipieller Unterschied zwischen Dtn 28 und Lev 26. Fungiert Jhwh demnach als Agent seines eigenen ‚Fluches‘, so sollte dieser Sachverhalt aber auch sachgemäß bezeichnet werden: als Drohung.

Jhwh selbst setzt seine Fluchdrohung in die Tat um, daran lässt denn auch die sprachliche Gestalt von Dtn 28 keinen Zweifel.88 Zwar beginnt die Reihe, ebenso wie zuvor die der Segensverheißung, mit Formulierungen im Partizip passiv (‫ ארור‬V.  16–19; vgl. V.  3–6).89 Aber die Fortsetzung führt dann expressis verbis Jhwh als Subjekt ein (V. 20 ff.; vgl. V.  7 ff.).90 Gewiss können dabei Fluchfolgen personifiziert, ‚die Flüche‘ (‫ )הקללות האלה‬gar selbst als Subjekt aktiver Aussagen konstruiert werden (V.  45a).91 Doch dienen sie, wie im selben Atemzug klar wird, nurmehr als Werkzeuge in Jhwhs Hand (V.  22: ‫)יככה יהוה בשחפת‬.92 Besonders deutlich abzulesen ist diese Konstellation aber an den Modi. Für Fluchdrohung wie Segensverheißung werden neben Indikativen auch Jussive gebraucht (V.  21; vgl. V.  8). Dies entspricht Wesen und Form altorisetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, 170, der unter Bezug auf Lev 26 von „Verheißungs- und Drohworten“ spricht. 82  Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, 206. 83  S. dazu Blum, Pentateuch – Hexateuch – Enneateuch, 391–396. 84  Vgl. etwa Schäfer-Lichtenberger, Göttliche und menschliche Autorität im Deuteronomium, 133–134. 85  Vgl. die zugrundeliegenden Erwägungen zu „Kontext und Fabel von Dtn 28“ (Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, 195–220), die in diesem Rahmen nicht hinreichend gewürdigt werden können. 86  Lohfink, Jahwegesetz oder Mosegesetz, 161. 87  Gerade an den Einleitungen Dtn 28,1 und 28,15 ist diese Zuordnung von Jhwh, Mose und Israel unzweideutig abzulesen. 88  Vgl. dazu schon die Untersuchung von McCarthy, Treaty and Covenant, 177–180. 89  Also der Form, von der man auf die Vorstellung eines eigenmächtig wirksamen Fluchwortes schließen zu können meinte, s. o., S.  123. Vgl. Anderson, The Blessing and the Curse, 165. 90  Nelson, Deuteronomy, 328–329. Zur vorliegenden Gestalt der Segensverheißung in V.  3 –6.7 ff. s. Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, 96, zu entstehungsgeschichtlichen Erwägungen Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, 268–276, sowie a. a. O., 276–287, zur Reihe der konditional formulierten Flüche in V.  15–46. 91  Zum akkadischen und hethitischen Vergleichsmaterial, besonders zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Siebenergruppe von V.  22, s. Kitz, Cursed are You, 195, zur in dieser Hinsicht stabilen Textbezeugung Teeter, Scribal Laws, 115. 92  Kitz, Cursed are You, 188: „Yahweh personally dispatches these injurious forces as personifications of the curse’s punishment. He lets them wield their woe.“

IV.  Die konditionale Struktur des

nachdes derVertrags, deuteronomistischen alle Götter. Die126 angerufenen Götter fungieren als Bundes „Zeugen“ und das Konzeption heißt in der Begrifflichkeit des altorientalischen Vertragswesens zugleich: sie fungieentalischer Vertragsflüche als Bitte der der Vertragspartner an die angerufeentalischer Vertragsflüche als Bitte Vertragspartner an als die Zeugen als Zeugen angerufe1 Wenn der Vasall der- dieselbe Insren als Agenten der vertraglich festgeschriebenen Fluchfolgen. nennen Gottheiten. Doch handelt es sich im Deuteronomium um ein und Gottheiten. Doch handelt es sich im Deuteronomium um ein und dieselbe In­ einst seinen Gehorsam gegenüber Assurbanipal schuldig bleibt, werden Subjekt die Götter tanz.stanz. Jhwh,Jhwh, als den diktierender Partner logisches der Bitte, zu- ist als‚Vertrag‘ den ‚Vertrag‘ diktierender Partner logisches Subjekt deristBitte, 2 1 Assurbanibal Durch den Abschluss ihm dies vergelten – die Götter, und nicht selbst. 93 So zeigen die auf Jhwh bezogenen Jussive in letzter Deutgleich auch der Gebetene. zugleich auch der Gebetene. So zeigen die auf Jhwh bezogenen Jussive in letzter des Vertrageslichkeit: stellen die Vertragspartner ihr Wohl Wehe also Göttern anJhwh selbst übernimmt dieund Funktion derden Garanten der derVerDeutlichkeit: Jhwh selbst übernimmt die Funktion derGötter Götterals als Garanten 294 – das ist jedenfalls die Absicht – einen ohne weitere heim, und sieVereinbarung. etablieren damit Jhwh wird dir die Pest anhängen … Jhwh wird dich schlagen mit einbarung. Jhwh wird dir die Pest anhängen … Jhwh 3 wird dich schlagen mit SchwindWeil Götter Mitwirkung Schwindsucht der Partner funktionierenden Schutz des undEntzündung mit Entzündung undFieber mit Vertrages. Fieber ... –so und sodie weiter, und fort 28,21 ff.). (Dtn sucht und mit und mit … – und weiter, und so fortso(Dtn über den Vertrag wachen, wird auf Gehorsam Heil folgen undhier aufgibt Ungehorsam Un28,21 ff.). Hier gibt es keine wachsamen Zeugen, es keine externen Agenten, Hier gibt es keine wachsamen Zeugen, hier gibt es keine externen Agenten, Jhwh heil (vgl. Abb. 3). Jhwh selbst wacht über den Bund, den mit Israel geschlossen (vgl. Abb. selbst wacht über den Bund, den erer mit Israel geschlossen hathat (vgl. Abb. 4).4).

ZeugenZeugen

GötterGötter Agenten Agenten

VasallenVasallenkönig

Segensverheißung und Fluchdrohung

Jhwh

Bund

Fluch (und Segen)

Fluch (und Segen) Vertrag

Vertrag

GroßGroßkönig könig

„Zeugen“ Himmel und Erde

Israel

Abb.3: 4:Akteurskonstellation Akteurskonstellation eineseines altorientalischen Vertrages und und des Deuteronomiums Abb. 4: Akteurskonstellation altorientalischen Vertrages des Deuteronomiums Abb. eines altorientalischen Vertrages im Vergleich im Vergleich

Jhwh ist also zugleich, sozusagen in Personalunion, Partner des des Bundes undund dessen Jhwh ist also zugleich, sozusagen in Personalunion, Partner Bundes dessen 3 95 Es gibt keine dritte Instanz, die über den Bund wacht. Garant. Es gibt keine dritte Instanz, die über den Bund wacht. Garant. Als „Rächer“ und „Vollstrecker des Fluches“ (Baltzer, Das Bundesformular, 33). Das Material ist jüngst umfassend aufgearbeitet von Christiansen, Schicksalsbestimmende KommuniDamit gibtgibt es worden hier aber auch keinen Automatismus. Dank seiner Doppelfunktion Damit es hier aber auch keinen Automatismus. Dank seiner Doppelfunktion kation (für den verfügt hethitischen Bereich), und Kitz, Cursed are YouSanktionen. (in komparativer Perspektive). Jhwh frei über die festgelegten Es steht in seiner Gewalt, die die Jhwh frei über die festgelegten Sanktionen. Es steht in seiner Gewalt, 2 In diese Logik verfügt ist integriert, dass die geschädigte Vertragspartei4sich gelegentlich als ausfüh96 Israel hingegen kann, anders als AsDrohung in die Tat umzusetzen – oder nicht. Israel hingegen kann, anders als AsDrohung in die Tat umzusetzen – oder nicht. rendes Organ des göttlichen Fluchzorns verstehen beziehungsweise ihre Strafaktionen so inszeniesurbanipals Vasallen, das drohende Unheil nicht herbeiführen, selbstselbst wennwenn es dieses dies ren konnte; s. Kitz, Cursed are You, 195–196 (strafende Gottheiten bedienen sich menschlicher surbanipals Vasallen, das drohende Unheil nicht herbeiführen, 1

Unterstützung), und McCarthy, Treaty and Covenant, 138–139 (göttliche und menschliche Sanktionsmechanismen1 lassen sich gar nicht voneinander trennen); vgl. auch Weeks, Causality in the 93 dazu Vgl. auch liegen Seitz,Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum denke Deuteronomium, Vgl.Doch dazu auch Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, Assyrian Royal Inscriptions. die weitaus meisten Fluchfolgen – man nur an die 279. 279. 2 Die 94 Jussivformen sind daher, wieKrankheiten in derinfolgenden Übersetzung indikativisch DieNaturkatastrophen Jussivformen sind daher, wie der folgenden Übersetzung vorgeschlagen, indikativisch formelhaft standardisierten und – ohnehin jenseitsvorgeschlagen, königlicher aufzufassen. aufzufassen. Reichweite. Nicht umsonst lässt sich, wie Weinfeld, Traces of Assyrian Treaty Formulae in Deute3 Ähnlich 95  Ähnlich auch schon Weippert, Synkretismus und Monotheismus, 168,hat, der freilich aus Jhwhs Weippert, Synkretismus und Monotheismus, 168,im der freilich aus Jhwhs ronomy; ders., Deuteronomy andauch the schon Deuteronomic School, 117–121, herausgearbeitet folgert, dieser habehabe mithin „doppelten Anlaß, im Fall zu SankDoppelfunktion folgert, dieser mithin „doppelten Anlaß, im des FallVertragsbruchs des Vertragsbruchs zu Sankneuassy rischenDoppelfunktion Kontext eine Zuordnung bestimmter Fluchfolgen zu den Kompetenzbereichen protionen zu schreiten“. Steymans, Deuteronomium 28 und dieSin adê zur Asarhadtionen zu schreiten“. Steymans, 28ist und dieverantwortlich, adêThronfolgeregelung zur Thronfolgeregelung Asarhadminenter Mitglieder des Pantheons feststellen (für Deuteronomium Hautkrankheiten für 24, der in Erwägung ziehtzieht (um (um sie letztlich zu verwerfen; s. o., s. o., S. 125), S.  1stellt 25), stellt dons, 24, die derKonstellation die Konstellation in Erwägung sie letztlich zu verwerfen; Blindheit Šamašdons, etc.). den treffenden Vergleich mit Legislative und Exekutive an, die nach der Konzeption des Deuterono3 „Das ist die den treffenden Vergleich mit Legislative und Exekutive an, die nach der Konzeption des Deuteronoformale Struktur eines Fluchs. Ein Fluch löst die Intervention jenseitiger Agenten miums in Jhwh vereinigt wären. miums in zwischen Jhwh vereinigt wären. aus, um den Zusammenhang Tat und Folge zustande zu bringen. Er etabliert einen Nexus 4 96  ist gegen dieunabhängig –die noch einmal als ein für viele herangezogene – Beschreibung des des Dies ist der gegen – noch einmal alsBeispiel einoder Beispiel für viele herangezogene – Beschreibung zwischen VerbrechenDies und Strafe, von staatlichen gesellschaftlichen InstitutioZusammenhangs durch Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 118, festzuhalten. Stipp schreibt: Zusammenhangs durch Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 118, festzuhalten. Stipp schreibt: nen und daher quasi automatisch funktioniert.“ (Assmann, Altorientalische Fluchinschriften und „Verweigerte sich sich IsraelIsrael […]237). Jhwhs Willen, war er von Heilszusagen entbunden, und und die zi„Verweigerte […] Jhwhs Willen, war er seinen von seinen Heilszusagen entbunden, die zidas Problem performativer Schriftlichkeit, tierten Flüche traten in Kraft.“ MagMag auchauch Ersteres gelten, Letzteres gilt eben gerade nicht. Sondern: tierten Flüche traten in Kraft.“ Ersteres gelten, Letzteres gilt eben gerade nicht. Sondern: Die Flüche treten in Kraft, wennwenn JhwhJhwh sie insie Kraft setzt.setzt. Die Flüche treten in Kraft, in Kraft

2.  Deuteronomium 28 und die altorientalische Vertragstradition

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wollte. Führt man sich diese Konstellation vor Augen, wird klar: Der Bund ist in seiner Valenz eben nicht abhängig vom Gehorsam des menschlichen Partners. Wohl argumentiert die deuteronomistische Bundestheologie mit einem ursächlichen Zusammenhang von Ungehorsam und Unheil. Aber dieser Zusammenhang funktioniert nicht automatisch, sondern er wird von Jhwh hergestellt.97 In derselben Freiheit, in der er sich allererst an sein Volk bindet, entscheidet Jhwh auch, ob, wann und wie er dessen Verletzung von Gehorsamsforderungen bestraft.98 Mit anderen Worten: In letzter Instanz gründet der Bund nicht in Israels Gehorsam, sondern in Jhwhs Gnade – auch nach der deuteronomistischen Konzeption. In der älteren bundestheologischen Debatte wurde mit Leidenschaft gestritten für die Feststellung: Der Gehorsam Israels bindet Jhwh nicht, der Mensch kann kein Verdienst einklagen von seinem Gott.99 Aber so wenig Jhwh gebunden ist durch den Gehorsam Israels, so wenig ist er auch gebunden durch dessen Ungehorsam. Der Bund steht und fällt nicht mit Israels Gehorsam, er steht in Jhwhs Freiheit. Der Schluss bezüglich unserer Ausgangsfrage liegt auf der Hand. Wenn der Bund nicht mit Israels Gehorsam steht und fällt, sondern in Jhwhs Freiheit steht, auch und gerade als ein Verhältnis, das Gehorsamsforderungen an Israel einschließt, dann muss die priesterliche Bundestheologie nicht das Problem der deuteronomistischen lösen – weil es dieses Problem so gar nicht gibt. Der Bund Gottes mit seinem Volk ist 97 

In wünschenswerter Deutlichkeit hebt dies Veijola, Art. Segen und Fluch, 76–77, hervor. erhellenden Vergleichspunkt in der altorientalischen Umwelt bieten die von Kitz, ­Cursed are You, untersuchten Flüche (beziehungsweise Fluchdrohungen) der Götter. Obwohl sie grundsätzlich als unveränderlich gelten, bedeutet dies nicht, „that the deities ever lost the ability to manage their own curses. […] The deities remained completely free to confer a blessing, dismiss the harm, or heal the afflicted individual.“ (a. a. O., 137; Hervorhebung im Original). Im Blick auf ein fragliches Beispiel arbeitet sie „Enlil’s exclusive authority over the harm, that is, the effect, em­ bedded in the curse he personally utters“ heraus (ebd.). Im alttestamentlichen Bereich hat ähnlich bereits Zobel, Art. ‫עקב‬, 284–285 (in Auseinandersetzung mit älteren magischen Auffassungen), argumentiert: „Der Fluch, mit dem JHWH selbst seinen Bund mit Israel sanktioniert hat, bedroht zwar ständig das bundesbrüchige Volk; aber auch die schriftlich fixierten Fluchformeln, die dem Bundesgesetz beigefügt sind, wirken nicht magisch, sondern nur deshalb, weil JHWH selbst den Fluch jeweils in Kraft setzt. Wenn aber JHWH über den Fluch verfügt, ist er auch frei, den Fluch auszusetzen oder zu widerrufen.“ S. ferner Lohfink, Der Zorn Gottes und das Exil, 54: „Ob Gott dann, wenn Israel den Bund bricht, auf diese Selbstverwünschungen [so Lohfinks Deutung der Flüche von Dtn 28] eingeht, steht noch einmal in seiner Freiheit. Die Bundesverwünschungen sind also kein Mechanismus, der automatisch Gottes Zorn auslösen könnte.“ Vgl. aber auch ders., Gott im Buch Deuteronomium: Im Rahmen des Versuchs, im Deuteronomium zwei Theologien voneinander abzuheben, die er seiner vorexilischen Fassung und seiner exilisch-nachexilischen Bearbeitung zuordnet und zusammenfassen kann in den Überschriften „Jahwe, der Israel vertraglich verbundene Gott“ und „Jahwe, der alles überragende und Israel gegen Israel liebende Gott“, gelangt Lohfink zu dem Schluss, mit letzterer sei „eine Tiefe der Zuwendung Jahwes zu Israel in Sicht gekommen, die Jahwe frei macht vom guten oder schlechten Verhalten Israels.“ (a. a. O., 51–52). Wie selbstverständlich setzt diese Profilierung einer neuen Theologie dabei voraus: Nach dem ‚alten‘ Vertragsdenken ist Jhwh unfrei, gleichsam schicksalhaft gebunden durch Israels Gehorsam oder Ungehorsam. 99  So vor allem Kutsch, Gesetz und Gnade, vgl. ders., Verheißung und Gesetz, passim, unter Zuspitzung des Neuansatzes bei Begrich, Berit. 98 Einen

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

eben kein gewöhnlicher Vertrag,100 auch nach der deuteronomistischen Konzeption nicht, und erst recht wird er nicht zum unentrinnbaren Verhängnis.101 Die Analogie des Vertrags bietet ein Denkbild102 für das unerhörte Credo, dass Gott sich ein Volk erwählt hat, um sich selbst an es zu binden. Und die Geschichte dieses Volkes belegt, dass unverdiente Gnade dabei nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort ­Gottes ist.

3.  Die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels Der Bund steht und fällt nicht mit Israels Gehorsam, er steht in Jhwhs Freiheit – nach dem Deuteronomium.103 Aber nicht allein dort bewährt sich die vorgelegte Interpretation, vielmehr folgt der literarische Beleg auf dem Fuß – in der vom Deuteronomium ausgehenden Deutung der ‚Geschichte Israels‘ von deuteronomistischer Hand. Denn die dort dargestellte Geschichte müsste ja, die Richtigkeit der herrschenden 100  Vgl. dazu Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 237: „Ob die dt Bundestheologie das dafür [sc. die Erfassung des besonderen Verhältnisses zwischen Jhwh und Israel] geeignete Instrumentarium bot, muß man sich nur dann bekümmert fragen [unter Verweis auf Galling, Die Erwählungstraditionen Israels, 28: „Die Bundesidee ist für die wirklich religiöse Erfassung des Verhältnisses von Gott und Mensch geradezu ein Hemmnis“, „für die Reflexion erniedrigt sie Gott zum gehorsamen Geschöpf einer über ihm stehenden Moira“], wenn man in den Kategorien des Vertragsrechts denkt. Aber die Texte reden nicht von Gottes Bindung, sondern von Gottes Zusage und Israels Verpflichtung.“ – Die im letzten Satz angebrachten, augenscheinlich von Kutsch angeregten Differenzierungen mögen an dieser Stelle auf sich beruhen. Von Bedeutung ist hingegen das grundsätzliche Caveat: Das deuteronomisch-deuteronomistische Theologumenon (!) des Bundes inspiriert sich am altorientalischen Vertrag, aber es ist kein Vertrag. 101  Jhwh legt sich auf sein Volk fest, aber er legt sich nicht darauf fest, es zu strafen. Darin liegt eine Asymmetrie zwischen Segensverheißung und Fluchdrohung, die der Beziehung wesenseigen ist. Dass Israel Jhwhs Volk ist und eo ipso gesegnet, steht fest; ob dieser Segen partiell suspendiert wird, wenn Israel dies verdient, entscheidet Jhwh je und je in unbedingter Freiheit – und immer wieder entscheidet er sich, gleichsam Gott gegen Gott, dagegen. (Im Anschluss an die treffende Auslegung von Gen 6–9 [!] durch Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 488, könnte man von Gottes ‚gnädiger Inkonsequenz‘ sprechen.) In dieser Asymmetrie dürfte auch die Erklärung dafür liegen, dass im Deuteronomium das Teilelement des Segens in freier Adaption des Vertragsformulars dem Fluch vorangestellt, darüber hinaus auch deutlich stärker ausgebaut ist als in den Verträgen, in denen es begegnet (neben der auch in dieser Hinsicht grundlegenden hethitischen Rechts­ tradi­tion ist hier besonders deren Rezeption in Sefire zu beachten). In einem Vertrag kann, dessen Pragmatik entsprechend, Segen eben durchaus fehlen (wie in der neuassyrischen Tradition üblich; vgl. oben, S.  121 mit Anm.  65); in einer Theologie des Bundes hingegen ist er Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung (vgl. dazu auch Christiansen/Devecchi, Die hethitischen Vasallenverträge und die biblische Bundeskonzeption, 81, ferner etwa Zehnder, Fluch und Segen im Buch Deuteronomium). 102  McCarthy, Treaty and Covenant, 297, insistiert mit Recht darauf, dass es sich bei der Darstellung des Verhältnisses zwischen Jhwh und Israel in der Form eines Vertrags um eine Analogie handelt – „which like all analogies for divine things is […] inadequate.“ 103  S. o., Kap. IV.2.

3.  Die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels

129

Auffassung vorausgesetzt, um fast fünf Jahrhunderte kürzer ausfallen. Anders gewendet beziehungsweise vom literarischen Befund her gesprochen: Die nationale Katastrophe, auf die die Geschichtsdarstellung zuläuft, kann gerade nicht in berechenbarer Weise als Konsequenz der ‚Bundesflüche‘ des Deuteronomiums nachvollzogen werden. So, wie diese Katastrophe nach der herkömmlichen Auffassung der priesterlichen Bundestheologie eigentlich gar nicht hätte passieren können, so hätte sie nach der herkömmlichen Auffassung der deuteronomistischen Bundestheologie schon sehr viel früher passieren müssen. Darauf hat bereits Hans Walter Wolff in seiner Auseinandersetzung mit Martin Noth um das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks hingewiesen: „Wenn […] sein Ziel [sc. das des Verfassers] gewesen wäre, zu zeigen, daß Jahwe sein altes Fluchwort vom Bundesschluß der Mosezeit wahrgemacht habe und daß nun die Geschichte Israels rechtens zu Ende gegangen sei, dann muß man gerade angesichts seiner umfangreichen Darstellung fragen, warum sie nicht schon viel früher zu Ende gegangen ist. Warum beschäftigt er seine Leser mit dem die Jahrhunderte durchwogenden Auf und Ab des Geschehens?“104 Anhand der Darstellung der Richterzeit arbeitet Wolff heraus, dass nach der dort angewandten „Geschichtsschau“ der „Abfall“105 Israels unmittelbar im Anschluss an das goldene Zeitalter der Landnahme106 einsetzt, und dass dabei „genau das gleiche“ geschieht, was Jahrhunderte später zum Ende erst des Nord- und dann, noch einmal um anderthalb Jahrhunderte verzögert, auch des Südreichs führt.107 „Warum also ging nicht schon damals Israels Geschichte zuende?“108 Gerhard von Rad, den bei seiner Untersuchung der deuteronomistischen Geschichtstheologie in den Königebüchern die gleiche Frage beschäftigte, konnte für die staatliche Epoche darauf hinweisen, dass jedenfalls in Israel der schicksalhafte Gipfel der Gottlosigkeit gleich zu Beginn erreicht, das Geschick des Nordreichs mit der paradigmatischen Sünde Jerobeams I. „eigentlich […] besiegelt“ gewesen sei.109 Ob man hier ansetzt oder da: Die Geschichte Israels hätte vorbei sein müssen, kaum dass sie begonnen hat110 – aber sie ist nicht vorbei.

104 

Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 311–312. Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 312. 106  Zu dieser Interpretation der deuteronomistischen Josua-Erzählung vgl. Krause, Exodus und Eisodus, 414. 107  Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 312, unter Vergleich von Ri 2,11 ff. mit 2 Kön 17,15–18; 21,2–15 und 23,26. 108  Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 312. 109  Von Rad, Deuteronomium-Studien, 59, unter Verweis auf 1 Kön 14,16. 110  Dies gilt notabene für jedes der gegenwärtig diskutierten Geschichtswerke, konkret: mit oder ohne Richter. Vgl. dazu etwa Müller, Theologie jenseits der Königsherrschaft, 8, der die Konstruktion einer Epoche der Richter auf ein ätiologisches Anliegen zurückführt. Die Darstellung lasse das Volk „schon in den Jahrhunderten vor dem Königtum die Erfahrungen machen, die schließlich zum Untergang der Staaten Israel und Juda geführt haben.“ 105 

130

IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

Mehr noch, sie verläuft nicht einmal linear nachvollziehbar. Das haben in neuerer Zeit vor allem Norbert Lohfink und Erhard Blum zu bedenken gegeben.111 „Natürlich“, so Lohfink, „ist es dem Leser des Geschichtswerks schon vom Deuteronomium an klar, daß Gott Israel einst wegen des gebrochenen Bundes in seinem Zorn aus dem Land […] wieder hinauswerfen wird.“112 Aber die im Anschluss dargestellte Geschichte treibt nun eben gerade nicht in Form „evolutiven Wachstums“ auf diese „Schlußkatastrophe“ zu.113 Sie kennt auch „lange Geschichten der Gnade und der kompromißbereiten göttlichen Geduld,“114 ja, sie kennt auch Geschichten, auch und gerade kurz vor dem Ende, in denen Jhwhs Geduld gar nicht strapaziert, seine Gnade von Israel nicht wie sonst auf die Probe gestellt wird.115 Nicht einmal die Geschichte des Nordreichs verläuft in einer geraden Abwärtsbewegung, ganz zu schweigen von der Judas.116 Nicht von ungefähr wird dieser Sachverhalt – das Auf und Ab des Geschehens beziehungsweise der Aufschub des Gerichts – von der Überlieferung selbst verschiedentlich zum Thema gemacht; schon für das Nordreich (vgl. 2 Kön 14,26–27), besonders dann aber für das Südreich. Da ist zum einen die besondere Bindung Jhwhs an David und seine Dynastie samt dem daran angelagerten Motivkomplex: David der Knecht Jhwhs, Jerusalem die von Jhwh erwählte Stadt, die symbolische Verdichtung des Ganzen in der Verheißung einer „Leuchte“ (‫)ניר‬117 für David in Jerusalem. Um Davids willen (‫ )למען דוד עבדי‬schiebt Jhwh das eigentlich fällige Gericht über Juda ein ums andere Mal auf (1 Kön 11,13.32.36; 15,4; 2 Kön 8,19; 19,34 [par. Jes 37,35]; 20,6).118 Und da ist zum anderen die Möglichkeit der Umkehr zu Jhwh. Wolff sah in ihr das

111  Lohfink, Der Zorn Gottes und das Exil; Blum, Das exilische deuteronomistische Geschichtswerk. 112  Lohfink, Der Zorn Gottes und das Exil, 48. 113  Lohfink, Der Zorn Gottes und das Exil, 48. 114  Lohfink, Der Zorn Gottes und das Exil, 48. 115  Blum, Das exilische deuteronomistische Geschichtswerk, 279. 116  Das hat Blum, Das exilische deuteronomistische Geschichtswerk, unlängst anschaulich herausgearbeitet. Kehrt man die Fragerichtung um, verstärkt sich der Eindruck noch. Denn auch von den Deuteronomisten als herausragend beurteilter Gehorsam einzelner Könige korreliert keineswegs notwendig mit deren Erfolg beziehungsweise Ergehen. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel bietet Jehu: Er rottet den Baalsdienst aus, wird aber nach dem Zeugnis von 2 Kön 10,32–33 selbst von den Aramäern vernichtend geschlagen (vgl. dazu Blum, The Relations between Aram and Israel in the 9th and 8th Centuries BCE, 48) – was umso mehr ins Auge sticht durch den Kontrast mit den Omriden. 117  Die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks ist nach wie vor ungeklärt. Insofern sämtliche Deutungen im Ergebnis auf das semantische Feld „Herrschaft“ hinauslaufen, kann die Frage hier auf sich beruhen; vgl. Oswald, Nathan der Prophet, 93, Anm.  300 (mit Lit.). 118  So konnte von Rad, Deuteronomium-Studien, 63, unter Rückbezug auf 2 Sam 7 zusammenfassen, die Nathan-Verheißung gehe „wie ein κατέχων durch die Geschichte Judas“ und halte „das längst verdiente Gericht“ ab. S. ferner Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 47, aus der neueren Literatur vor allem Oswald, Nathan der Prophet, 69–105, vgl. jetzt auch Steiner, Salomo als Nachfolger Davids.

3.  Die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels

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„aktuelle Kerygma“ des Geschichtswerks,119 und tatsächlich ist ihre nachträglich schematisierende Profilierung als prinzipielle Möglichkeit in Dtn 4,29–31 und 30,1– 10 jeweils im Ausblick auf die Situation der Adressaten im Angesicht der eingetretenen Katastrophe gestaltet.120 Doch wird damit nur ausgearbeitet, was schon in der Darstellung der vorangehenden Geschichte angelegt war, wie Wolff anhand von Ri 2,11 ff. und 1 Sam 12 argumentiert: „Warum ging die Geschichte Israels dennoch weiter? Weil Israel neu zu Jahwe flehte und Jahwe sich erbarmte.“121 Beide Motive, die besondere Bindung Jhwhs an David und die Möglichkeit von Buße und Umkehr, thematisieren den eigentümlichen Verlauf, den die ‚Geschichte Israels‘ nimmt. Auch (und gerade), wenn man sie auf Nachträge gegenüber der formativen Darstellung zurückzuführen haben sollte,122 belegen sie damit den Sachverhalt selbst: die theologisch denkwürdige Tatsache, dass die Geschichte eben nicht zu Ende ist, kaum dass sie begonnen hat, dass die in Dtn 28 ausführlich dargelegten Folgen der Untreue gegenüber Jhwh offensichtlich nicht automatisch eintreten, sobald Israel die Voraussetzungen dafür erfüllt; oder in der biblischen Bildsprache reformuliert, dass der Bund nicht zerbrochen ist, sobald Israel ihn ‚gebrochen‘ hat. In diesem Zusammenhang muss die in der exegetischen Literatur verbreitete Rede vom „Bruch“ des Bundes durch Israel – auch in der vorliegenden Untersuchung wird sie verwendet, vermutlich sind dem Leser aber schon die wiederholten Anführungszeichen aufgefallen – problematisiert werden.123 Auf den ersten Blick erscheint es nur naheliegend, so zu formulieren, entspricht es doch der biblischen Bildsprache. Doch legt diese scheinbar textnahe Redeweise ein gravierendes semantisches Missverständnis nahe, insofern das Verhalten des menschlichen Partners zu seiner Bundesverpflichtung begrifflich in eins zu fallen scheint mit einer bestimmten Auswirkung dieses Verhaltens auf den Status der Bundesbeziehung. Eben dies ist aber die Frage. In der deuteronomistischen Geschichtsdarstellung findet der zugrunde liegende hebräische Ausdruck ‫ הפר ברית‬zunächst zwar ohnehin keine Verwendung, jedenfalls nicht unter Bezug 119  Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 315 und passim, in seinem Gefolge zuletzt etwa Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 235. 120  Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass Jhwh die Umkehr an beiden Stellen in Form einer Verheißung vorhersagt und durch die Herzensbeschneidung nach Dtn 30,6 ihre Voraus­ setzung selbst schafft; so mit besonderem Nachdruck Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium, 24–27; ders., Die ‚Glaubensgerechtigkeit‘ im Buch Deuteronomium, 495–497, und Barker, The Triumph of Grace in Deutero­nomy, 140–181, vgl. wiederum bereits Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 322. Anders dagegen Otto, Old and New Covenant, 944. Eine ausführliche Abwägung bietet Ehrenreich, Wähle das Leben, 71–210. 121  Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 312. 122  Hinsichtlich der grundsätzlichen Ausarbeitung der Umkehr-Thematik bereits in der Abschiedsrede des Mose hat dafür schon Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, 318–321, plädiert, mit schlagenden Gründen. Zum Motivkomplex um David und die ihm geltende Dynastieverheißung s. etwa Dietrich, Niedergang und Neuanfang, 54–56, der die einschlägigen Stellen DtrN zuweisen möchte. 123  Zum Folgenden vgl. Thiel, HĒFĒR BERÎT, und Buis, La notion d’alliance dans l’Ancien Testament, 123–148, ferner vor allem Gross, Zukunft für Israel, 120–125; Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 131–133, und Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, passim.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

auf die Beziehung zwischen Jhwh und Israel. Er bleibt vielmehr dem Bereich internationaler Bündnispolitik vorbehalten (1 Kön 15,19), und es ist dieser Verwendungszusammenhang (außerdem belegt durch Ez 17,15–19), in dem Winfried Thiel den Ausdruck als Terminus technicus für die „einseitige Aufhebung eines Vertragsverhältnisses“ bestimmen konnte.124 Unter Bezug auf theologische Zusammenhänge begegnet der Ausdruck erst Dtn 31,16.20 und Ri 2,1, ferner Gen 17,14; Lev 26,15.44; Jes 24,5; 33,8 (?); Jer 11,10; 14,21; 31,32; 33,20; Ez 16,59; 44,7 und Sach 11,10. Die an diesen Stellen (beziehungsweise an denen unter ihnen, die ‫ פרר‬Hif. + ‫ברית‬ vom menschlichen Partner aussagen) abzulesende Begriffsverwendung fügt sich aber bruchlos zu der oben umrissenen Darstellung und Deutung der Geschichte Israels von deuteronomistischer Hand, ja ließe sich zum Teil geradezu als ihr begrifflicher Niederschlag lesen (und in ­einigen Fällen legt sich dies in der Tat nahe). Aufgrund der in dieser Hinsicht einhelligen Belege ist die theologische Semantik von ‫פרר‬ Hif. + ‫ ברית‬wie folgt zu rekonstruieren: ‚Israel bricht den Bund‘ bedeutet in einer weniger missverständlichen deutschen Wiedergabe so viel wie ‚Israel verletzt seine ihm im Rahmen der Bundesbeziehung obliegende Verpflichtung‘.125 Doch ist durch ein entsprechendes Verhalten Israels der Bund (hier: die Beziehung) nicht zerbrochen, wie die Belege übereinstimmend zeigen. Die aus dem Vertragsrecht belegte Bedeutung einer einseitigen Aufhebung des Verhältnisses ist hier gerade nicht greifbar. Vielmehr ist mit Walter Groß festzustellen: „Berit-Bruch ist zwar eine einseitige Aktion des Volkes, auf die in letzter Konsequenz tödliche Sanktionen stehen, aber daß es in seiner Vollmacht stünde, YHWHs Berit aufzuheben, wird nicht gesagt“.126 Seinen (!) Bund zu zerbrechen, also effektiv zu beenden, steht allein in Jhwhs Macht; nur wo er als Subjekt genannt ist, kann der aktiv (Hif.) formulierten Aussage eine passive (Hof.) beigesellt werden (Sach 11,11 neben 11,10; vgl. Jer 33,21 neben dem Irrealis von 33,20). Diese Möglichkeit wird an den Stellen, an denen sie in den Blick gefasst wird (s. im Folgenden), als legitime, weil den Bundesbestimmungen entsprechende Reaktion Jhwhs begriffen.127 Doch bleibt eine solche gleichsam endgültige Reaktion im Bereich des Möglichen; an allen Stellen, an denen ‫ פרר‬Hif. + ‫ ברית‬von Jhwh ausgesagt wird, ist die Aussage verneint:128 In Jer 14,21 in Form einer flehentlichen Bitte an Jhwh vorgebracht, begegnet die Negation Lev 26,44 in Jhwhs eigenem Vorausblick auf die vollzogene Strafe (unter pointierter Kontrastierung mit dem ‚Bundesbruch‘ Israels), Ri 2,1 dann gar als generelle Zusage (vgl. noch Ez 16,59–63). 124 

Thiel, HĒFĒR BERÎT, 215. Gross, Zukunft für Israel, 122, und Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 133 („bloße Verletzung der Bundespflichten“). Letzterer möchte diese Bedeutung allerdings nur auf die laxe Praxis lebendigen Sprachgebrauchs zurückführen und rechnet im Anschluss an Thiel daneben mit einem strikten Gebrauch im Sinne der vertragsrechtlichen Bedeutung („Fachausdruck für die Liquidation einer ‫ )“ ְּבִרית‬auch im theologischen Bereich. 126  Gross, Zukunft für Israel, 120. S. ferner Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 89, Anm.  10, mit dem Vergleich: „Ehebruch bedeutet auch nicht Annullierung der Ehe“. 127  Auch in dieser Hinsicht kann der vorwurfsvoll konnotierte Ausdruck „Bundesbruch“ also semantisch in die Irre führen, wie Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 89, Anm.  10, festhält. 128  Dies gilt zwar nicht für Sach 11,10–11, doch steht in diesem enigmatischen Zusammenhang auch nicht Jhwhs besondere Beziehung zu Israel in Rede. Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 22–24 und passim, meint, aufgrund von LXX Jer 38,32b eine gegenüber MT ältere Fassung des Verses rekonstruieren zu können, der zufolge Jhwh auf Israels Ungehorsam am Gottesberg reagierte, indem er das Volk „fahren ließ“ (a. a. O., 62), das heißt den gerade erst geschlossenen Bund seinerseits brach. Doch geht Schenkers Rekonstruktion schon aus philologischen Gründen nicht auf; s. u., Kap. V.2, und Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 242–245. 125 Ähnlich

4.  Die Paränese im Deuteronomium

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Mit einem Wort, die deuteronomistische Darstellung und Deutung der Geschichte Israels bestätigt, synchron wie diachron gelesen, was vom Deuteronomium her zu erwarten ist: Die Valenz des Bundes ist nicht abhängig vom Gehorsam Israels, sondern davon, wie Jhwh je und je auf Israels Ungehorsam reagiert.

4.  Die Paränese im Deuteronomium Der Bund steht und fällt nicht mit Israels Gehorsam, sondern er steht in Jhwhs Freiheit. Dieser in Dtn 28 erhobene Befund129 und seine Bestätigung in der deuteronomistischen Geschichtsdarstellung130 könnten das theologische Problem nahelegen, das Dietrich Bonhoeffer auf den Begriff „billige Gnade“ gebracht hat.131 Gründlicher könnte die deuteronomistische Bundestheologie kaum missverstanden werden.132 Das Erbarmen Jhwhs vor dem Ende und seine Treue zu Israel, dank der er selbst da noch am Bund festhält, wo Israel diesen gebrochen hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen: Zur Konzeption der Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk als Bund gehört dem Wesen nach, dass Israel antwortet auf Jhwhs zuvorkommende Gnade und auch zu antworten hat. Es geht dabei um „dankbare Liebe, um die freilich total“.133 Das „Heilsangebot“ stellt seine Empfänger vor „die Frage des Gehorsams“.134 Anders gesagt, es hält ihnen ihre „Verantwortlichkeit“ für das eigene Tun und Ergehen vor: „Alle heilvollen Setzungen Jhwhs und zugeschworenen Verheißungen entbinden nicht von den Folgen des eigenen Handelns, entlassen nicht aus der Alternative von Scheitern und Gelingen.“135 Dass die deuteronomistischen Tradenten den Bund als konditioniertes, mit einer Bedingung versehenes Verhältnis auffassten, steht also außer Zweifel. Zu fragen bleibt indes, was konkret unter die Bedingung des von Israel geforderten Gehorsams gestellt wird. Die diesbezügliche These ist bereits eingangs dargelegt und anhand der vorderen Sinaiperikope illustriert worden.136 Dort hat sich gezeigt, dass besagter Gehorsam nicht eine Vorleistung für die Gewährung des Bundes darstellt. Die Bedingung gibt nicht an, wie sich Israel den Eintritt in den Bund beziehungsweise das In129 

S. o., Kap. IV.2. S. o., Kap. IV.3. 131 Ebenso Albertz, Exodus, Bd.  2 , 312, in seiner Auslegung der Gnadenformel Ex 34,6–7. 132  Vgl. dazu auch die wichtigen Abwägungen bei Gross, Zukunft für Israel, 124–125. Er hält fest, dass Jhwh „an keiner Stelle angesichts des Berit-Bruchs durch das Volk auf der Basis dieser gebrochenen Berit zur Tagesordnung [übergeht]“, und plädiert gegen entsprechende Voten dafür, die exegetische Erkenntnis des ‚nie gekündigten Bundes‘ nicht freihändig in das theologische Postulat eines ‚nie kündbaren Bundes‘ zu übersetzen. 133  So mit der Beschreibung der deuteronomischen ‚Gesetzestheologie‘ bei Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 55 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zuletzt etwa noch Lundbom, Deuteronomy, 72. 134  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 209. 135  Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, 204. 136  S. o., Kap. IV.1. 130 

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

krafttreten seiner Verheißungen zu verdienen hat. Stattdessen schärft sie die Bewährung an der bereits geschlossenen Beziehung ein. Wie bleibt Israel im Bund, welche Antwort wird Jhwhs ungeschuldeter Zuwendung gerecht? Kurz: Es geht nicht um Getting in, sondern um Staying in. Gleiches gilt nun aber, so die These, nicht allein für die Entfaltung der Tradition, wie sie die nicht-priesterliche Sinaiperikope bezeugt, sondern für die deuteronomistische Konzeption des Bundes insgesamt. Dies muss sich jetzt bewähren – an der Paränese im Deuteronomium. Auch hier hat Gerhard von Rad, dem schon die Einsicht in die Struktur der Sinaiperikope zu verdanken war,137 wegweisend gewirkt. In der Vorordnung des Bundesschlusses vor die Bewährung an den Geboten fand von Rad den Schlüssel zur Bundestheologie des – nach seiner Rekonstruktion – vor-deuteronomistischen Deuteronomiums. Als Beleg von „beispielhafter Klarheit“ führt er den Zusammenhang von Dtn 26,17–19 und 27,9–10 an.138 In der Tat springt im Blick auf den performativen Sprechakt der wechselseitigen Erklärung in Dtn 26,(16)17–19139 und die in 27,9–10 folgende Konstatierung seines Ergebnisses140 die Parallele zur Darstellung der Sinaiperikope geradezu ins Auge.141 Auch hier erfolgt der Bundesschluss unmittelbar nach Bekanntgabe der Gehorsamsforderung (nämlich dem Korpus der Stipulationen in Dtn 12–26, die das Hauptgebot gleichsam im Detail ausführen), also bevor Israel überhaupt Gelegenheit gehabt hätte, seinen Gehorsam zu bewähren. Der gebotene Gehorsam dient augenscheinlich nicht als Vorbedingung für den Bund. Vielmehr ist der, der ihn gebietet, bereits dein Gott (Dtn 26,16).142 Keinesfalls, argumentiert von Rad, seien diese Gebote dem Bund in einem konditionalen Sinne vorgeordnet, „als hinge das Inkrafttreten des Bundes überhaupt erst von dem geleisteten Gehorsam ab.“143 Die Dinge lägen vielmehr umgekehrt, nämlich: „Das Halten der göttlichen Gebote ist gleichsam die Konkretisierung dessen, daß Israel Gottes Volk geworden

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S. o., S.  113 mit Anm.  13. zusammenfassend von Rad, Das fünfte Buch Mose, 119 (dort auch das Zitat), ferner unten, Anm.  143. 139  Zu dieser Interpretation des Textes s. Lohfink, Bund als Vertrag im Deuteronomium, 293– 294, unter Aufnahme von ders., Dt 26, 17–19 und die ‚Bundeformel‘, vgl. Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  1, 241–242. 140  Otto, Deuteronomium 12–34, Bd.  2 , 1905. 141  Auf diese Parallele führen auch schon die signifikanten sprachlichen Übereinstimmungen: neben ‫ שׁמר‬und ‫( שׁמע בקל‬Dtn 26,16 par. Ex 19,5a) vor allem die Formulierung mit dem Erwählungsbegriff ‫( סגלה‬Dtn 26,18 par. Ex 19,5b) sowie die Entsprechung von ‫ עם־קדש‬und ‫( גוי קדוש‬Dtn 26,19 par. Ex 19,6). 142  In genauer Entsprechung zu dem bekannten Befund in der Präambel beider Dekaloge; vgl. die diesbezügliche Argumentation bei Hossfeld, Gedanken zum alttestamentlichen Vorfeld paulinischer Rechtfertigungslehre, 15–16. Vgl. auch Perlitt, ‚Evangelium‘ und Gesetz im Deuteronomium, 175, zu Dtn 6,4. Zur Auslegung von Dtn 26,17–18 s. zuletzt vor allem Müller, Treue zum rettenden Gott, 420–421, sowie a. a. O., 425, mit Verweis auf Smend, Die Bundesformel; mit anderen Akzenten Michel, Ein ‚ewiger Bund‘, 147–149. 143  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  1, 207. S. auch a. a. O., 242, ferner ders., Deuteronomium-Studien, 50. 138  Vgl.

4.  Die Paränese im Deuteronomium

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ist.“144 Dtn 27,9–10 bringt es auf den Punkt: Höre Israel, heute bist du das Volk Jhwhs, deines Gottes, geworden. So höre nun auf die Stimme Jhwhs, deines Gottes.145 Die Strukturanalogie zum Element der Vorgeschichte im altorientalischen Vertragsformular liegt auf der Hand.146 Auch dort steht an erster Stelle, was der Großkönig für seinen Vasallen getan, mithin, wie er die Beziehung begründet hat.147 Auf dieser Grundlage („ground and motive“148) kann die Beziehung dann durch Forderungen vertraglich ausgestaltet werden.149 Die Vorgeschichte bezeugt damit das Grundprinzip: Gehorsam ist die Art und Weise, ein vorgängig geschlossenes Verhältnis mit Leben zu erfüllen („to live out the basic relationship“150) und zu bewahren.151

Für das vor-deuteronomistische Deuteronomium – sofern mit einem solchen gerechnet wird, wofür aus meiner Sicht nach wie vor die besten Argumente sprechen152 – ist diese Interpretation, die von Rad nach dem Vorgang von Martin Noth gegen erhebli144 So Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 55. Oder mit Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 54: Das durch Jhwh begründete Verhältnis „bedarf der Realisierung durch Israels Gehorsam.“ 145  Der Sache nach (ihrer kompositionsgeschichtlichen Einordnung unbeschadet) ist hier auch noch die Katechese Dtn 6,20–25 zu vergleichen, in der die theologisch elementare Zuordnung von vorgängigen, die Gemeinschaft allererst begründenden Gerechtigkeitserweisen Jhwhs (vgl. Mi 6,5) und der ihnen entsprechenden Gemeinschaftstreue (‫ צדקה‬Dtn 6,25) des Volkes in lehrhafter Form vermittelt wird. Auf die Frage des Sohnes nach der Bedeutung der Gebote (V.  20) antwortet der Vater, indem er zunächst davon erzählt, was Jhwh an seinem Volk getan hat (V.  21–23). Dann erst kommt der Vater auf den Israel gebotenen Gehorsam zu sprechen (V.  24–25) – womit er dessen Bedeutung bereits erzählerisch abgebildet hat: Er ist und kann nichts anderes sein als die Antwort Israels. Zwar wird V.  25 verschiedentlich als nachträgliche Zutat eingeschätzt (zum Beispiel von Perlitt, Deuteronomium 6,20–25, 153) und, so isoliert, als „nomistische Bedingung“ gedeutet (s. vor allem Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 66, und Veijola, Das fünfte Buch Mose, 192–193; a. a. O., 192, auch das Zitat). Aber der skizzierte Zusammenhang lässt es kaum geraten erscheinen, die Antwort des Vaters, auf die die sorgfältig gestaltete Katechese zuläuft, derart abzukürzen (vgl. dazu auch Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, 189). 146  Stabil bezeugt ist es zwar nur in den uns überkommenen hethitischen Verträgen. Aber der deutlich erkennbare Ansatz in dem fragmentarisch erhaltenen Vertrag Assurbanipals mit dem Stamm Qedar (TUAT I/2, 177; vgl. Campbell, An Historical Prologue in a Seventh-Century Treaty, 535) rät dazu, die kontingente Befundlage auch in dieser Hinsicht nicht in ein historisches Ausschlusskriterium zu übersetzen. 147  Die „freie Guttat“ Jhwhs an Israel begründet den Bund, argumentiert anhand dieser Analogie schon Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, 269. S. auch Lohfink, Das Hauptgebot, 276, vgl. Levenson, Sinai and Zion, 36–42 („The theology of the historical prologue“). 148  McCarthy, Treaty and Covenant, 170. 149  Zur Funktion der Vorgeschichte s. etwa Beckman, Hittite Treaties and the Development of Cuneiform Treaty Tradition, 284, und Weeks, Admonition and Curse, 11–12; mit anderem Akzent Taggar-Cohen, Biblical Covenant and Hittite išhiul Reexamined, 485. 150 So McCarthy, Treaty and Covenant, 292, ˘ unter Bezug auf die Stipulationen des Deuteronomiums. 151  Vor diesem Hintergrund konnte Baltzer, Das Bundesformular, 32, bei seiner Untersuchung von Jos 24 den Begriff der ‚Bundesbedingung‘ gar doppelt besetzen: „‚Bedingungen‘ sind hier nicht nur gesetzliche Bestimmungen, sondern in gleicher Weise auch die in der Vorgeschichte aufgeführten Heilstaten. Diese sind die Voraus-Setzung der von Israel geforderten Loyalität.“ 152  Zur Bestreitung s. Hölscher, Komposition und Ursprung des Deuteronomiums, neuerdings wieder Pakkala, The Date of the Oldest Edition of Deuteronomy.

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che Widerstände etablierte,153 längst konsensfähig. Gleiches gilt mittlerweile auch für die erste deuteronomistische Bearbeitung.154 Anders verhält es sich hingegen im Blick auf die nachfolgende Redaktionsgeschichte, namentlich die seit Rudolf Smend155 postulierte „nomistische“ Redaktionsschicht „DtrN“156 und deren Wahlverwandte, in erster Linie die von Timo Veijola zuletzt favorisierte bundestheologische Bearbei­ ebote dem Bund tung „DtrB“.157 Hier, so das vorherrschende Verständnis, seien die G sehr wohl „konditional vorgeordnet“.158 Mithin ergebe sich die „Reihenfolge: Ge­bots­ erfüllung – ‚Heil‘“.159 Diese sei zwar als zukunftsweisende Option konzipiert, nämlich als Möglichkeit für das exilierte Israel, sich durch neuen Gehorsam neuerliche Landgabe zu verdienen.160 Doch leite sie damit zu einem hochproblematischen Lohn-161

153  Vgl. das Referat bei Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, ferner etwa Smend, Die Bundesformel, 36. 154 Zusammenfassend Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 50–55 bzw. 56–61. Damit ist die Frage nach dem vor-deuteronomistischen Deuteronomium für das hier behandelte Problem nicht (mehr) von Bedeutung. Wie andernorts auch, hat sich die Diskussion, redaktionsgeschichtlich betrachtet, eine Stufe nach unten verschoben. Die theologische Frontlinie, an der die entscheidende Schlacht um ‚das Gesetz‘ und eine vermeintlich unaufhaltsam anwachsende ‚Gesetzlichkeit‘ geschlagen wird, verläuft nicht mehr, wie noch bei Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, zwischen dem älteren Deuteronomium und seiner deuteronomistischen Ausgabe, sondern zwischen jener formativen deuteronomistischen Grundschicht und ihren redaktionellen Bearbeitungen. Die Genealogie bei Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 47–72, führt dies anschaulich vor Augen. 155  Smend, Das Gesetz und die Völker. 156  Im Anschluss an Smend grundlegend Veijola, Die ewige Dynastie; ders., Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie, unter Rückgriff auf eigene Vorarbeiten in Lohfink, Das Hauptgebot, auch ders., Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks (vgl. etwa noch ders., Bundestheologie im Alten Testament; ders., Die huqqîm ûmišpātîm im Buch Deuteronomium; ders., Der Neue Bund im Buch Deuteronomium), und Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium (weitere Hinweise im Folgenden), ferner vor allem Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 47–72. Einen umfassenden Forschungsbericht bietet Veijola, Deuteronomismusforschung zwischen Tradition und Innovation, s. auch die Synthese bei Dietrich, Niedergang und Neuanfang. 157  Im Überblick Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, im Einzelnen ders., Das Bekenntnis Israels; ders., Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; ders., Bundestheologie in Dtn 10,12–11,30, und ders., Wahrheit und Intoleranz nach Deuteronomium 13 (zusammengestellt in ders., Moses Erben, ausgearbeitet in ders., Das fünfte Buch Mose). 158  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 15, in ausdrücklichem Widerspruch gegen von Rad. 159 So Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 55, mit einem Zitat von Ernst Kutsch. 160  Mit besonderem Nachdruck hat dies Norbert Lohfink in diversen Beiträgen betont; vgl. Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 138–140. Für DtrB vgl. zum Beispiel Veijola, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, 100. S. auch schon Macholz, Israel und das Land, 102. 161  Vgl. etwa, obschon mit Reserve gegen die DtrN-Hypothese, Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105: „Hier in [Dtn] 8,1 (und ebenso in 11,8) ist Landbesitz nicht mehr Erfüllung von Verheißung, sondern Lohn für die Erfüllung von Gebot.“ Den Maßstab der theologischen Wertung legt Lohfink, Art. ‫י ַָר ׁש‬, 976, offen: „Sie [sc. DtrN] ist im streng paulinischen Sinn ‚nomistisch‘, da JHWHs eigentliche Heilsgabe von vorangehender Gesetzestreue abhängig gemacht wird.“

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und Verdienstdenken an,162 nach dem Gehorsam gegen ‚das Gesetz‘ als Vorbedingung für den Eintritt in den Bund oder das Inkrafttreten seiner Verheißungen fungiere.163 Dabei wird, wie schon die unterstellte Pragmatik einer Ansprache an die babylonischen Exulanten zwecks zweiter Landnahme belegt, der Eintritt in den Bund auf suggestive Weise überblendet mit dem Einzug ins Land.164 Demgegenüber soll im Folgenden gezeigt werden, dass für die einschlägigen, DtrN beziehungsweise DtrB zugeschriebenen Belege nichts anderes gilt als für die deuteronomistische Grundschicht und schon das vor-deuteronomistische Deuteronomium: Der Bund ist in der Tat unzweideutig konditioniert. Aber die Bedingung gibt an, was Israel zu tun und vor allem zu lassen hat, um im Bund (beziehungsweise, wo dies thematisch wird, im verheißenen Land) zu bleiben, nicht, wie es sich den Eintritt verdient. Der von Israel geforderte Gehorsam ist nicht als zu belohnende Vorleistung konzipiert, sondern als der von Jhwh bereits gewährten Bundesbeziehung entsprechendes und sie mit Leben erfüllendes Verhalten.165 In dieser Hinsicht besteht kein Dissens innerhalb der deuteronomisch-deuteronomistischen Überlieferung.166 Ja, es 162 Wenn Dietrich, Niedergang und Neuanfang, 56, eine solche Problembeschreibung als „Zerrbild“ bezeichnet und betont, Jhwh erweise seine Gunst immer ungeschuldet, als unverdient begünstigtes Volk schulde Israel seinem Gott Dank, kann dies im Licht der vorliegenden Untersuchung nicht nachdrücklich genug unterstrichen werden. Es fragt sich dann aber, worin das spezifische Profil von DtrN innerhalb der deuteronomistischen Überlieferung liegen soll. Vgl. dazu unten, S.  138, ferner auch S.  148–150, zur Diskussion um Dtn 9,4–6. 163  Noch einmal pointiert Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 61–62: „Aus der terra promissionis ist die terra condicionalis geworden und aus dem Gesetz der Engel mit dem Schwert vor des Landes Toren.“ (Hervorhebung im Original). 164  Dass sich Bund und Land in dieser Perspektive gegenseitig beleuchten, ja durchdringen, hebt Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105, ausdrücklich hervor; ihr Verhältnis beschreibt er mit den Begriffen „abstractum“ und „concretum“. 165  Fraglich ist also nicht, ob die Konzeption des Bundes im jeweils untersuchten Horizont deuteronomisch-deuteronomistischer Überlieferung konditioniert ist oder nicht; daran lässt schon die eindringliche Sprache der Tradenten keinen Zweifel (grundlegend hierzu Lohfink, Das Hauptgebot, 90–97, ferner Finsterbusch, Das gesetzesparänetische Schema im Deuteronomium). Vielmehr geht es darum, wie diese Konditionierung konzipiert ist – und damit um einen blinden Fleck der bisherigen Diskussion: Was genau steht unter der Bedingung? Dass hier nicht hinreichend differenziert wird, ja, dass die aufgezeigte Alternative (Getting in versus Staying in) in aller Regel gar nicht wahrgenommen wird, ist an bemerkenswert unpräzisen Formulierungen abzulesen. Als ein Beispiel für viele sei Lothar Perlitt zitiert: „Segen oder Zusagen werden durch Bedingungen oder Ermahnungen erworben oder erhalten.“ (Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 171, zu Ex 19,5; im Original ohne Hervorhebung). Die Belege ließen sich aber mühelos multiplizieren; vgl. etwa so unterschiedliche Beiträge wie Diepold, Israels Land, 187; Veijola, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, 100; Finsterbusch, Deuteronomium, 95, oder Liss, Die Tora im Judentum, 114, mit der für diverse Bereiche der deuteronomistischen Tradition nahezu wortgleich formulierten Auffassung, das Halten der Bundesbestimmung sei Vorbedingung für Erwerb und Erhalt des Verheißungslandes. Klar gesehen hat hier hingegen Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 132–133, der in seiner Analyse von Dtn 7 eine ursprüngliche Fassung rekonstruiert, nach der durch das Halten der Gebote die im Voraus zugesagten Gaben Gottes zwar in Kraft erhalten, aber nicht erst verdient werden; dazu s. u., S.  146. 166  Zu der Passage Dtn 9,4–5(6), die Lohfink, Braulik, Köckert und andere als die paulinische Rechtfertigungslehre vorwegnehmenden Widerspruch gegen DtrN interpretieren, s. u., S.  148–150.

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ist diese grundsätzliche Übereinstimmung, die es erlaubt, synthetisch von einer Konzeption zu sprechen.167 Einheitliche literarische Provenienz der im Folgenden diskutierten Belege soll durch die Untersuchung ausdrücklich nicht behauptet werden, und eine solche Annahme liegt ihr auch nicht zugrunde. Zwar mögen die Ergebnisse Zweifel daran wecken, wie stark sich der weithin diagnostizierte Nomismus der gemeinhin DtrN zugerechneten Belege eigentlich vom grundlegenden Deuteronomismus abhebt,168 zugespitzt: ob das Kriterium, anhand dessen eine solche Schicht rekonstruiert wird, dazu tauglich ist. Und in der Tat treffen sich derartige Zweifel mit andernorts – und an neuralgischer Stelle – zutage getretenen Problemen der Hypothese.169 Aber für die hiesige Fragestellung ist nicht entscheidend, wie und wo die einschlägigen Belege redaktionsgeschichtlich einzuordnen sind.170 Gezeigt werden soll lediglich, dass sie sich in der hier untersuchten Hinsicht nicht unterscheiden.

Als Einstieg drängt sich der vieldiskutierte Vers Dtn 28,9 auf; nicht nur, weil er als Kronzeuge eines redaktionell verschärften „Nomismus“ gilt,171 sondern auch, weil sein Kontext – Segensverheißung und Fluchdrohung in Dtn 28 – im Sinne der alt­ orientalischen Analogie als entscheidender Angelpunkt der Bundeskonzeption profiliert ist.172 Der Vers lautet: Jhwh wird dich für sich aufrichten (‫ קום‬Hif.) zu einem heiligen Volk, wie er dir geschworen hat, wenn du die Gebote Jhwhs, deines Gottes, bewahrst und auf seinen Wegen gehst. Die Streitfrage hat Matthias Köckert in wünschenswerter Klarheit herausgestellt: „Mindestens Dtn 28,9 (aber auch Ex 19,4 f.) entzieht der Behauptung den Boden, die Gebote seien in keinem Falle dem Bund konditional vorgeordnet gewesen“.173 Zwar ist, wie Ex 19,5,174 so auch Dtn 28,9 erst in seinem literarischen Kontext voll zu verstehen. Eine isolierte Einzelversexegese reicht hier umso weniger hin, als Dtn  28* in direkter Nachbarschaft zu dem eben untersuchten Zusammenhang Dtn 26,*16–19 + 27,9–10 steht; ursprünglich dürften die drei Passagen einen durchlaufenden Textzusammenhang gebildet haben.175 Und in diesem Kontext kann kein 167 

Vgl. dazu oben, in Kap. I.3. Zur Problemanzeige vgl. bereits Krause, Exodus und Eisodus, 84–86, im Anschluss an Römer, Josué, lecteur de la Torah. 169  Krause, The Book of the Torah in Joshua 1 and 23 and in the Deuteronomistic History. 170  Zur kritischen Bewertung der DtrN-Hypothese vgl. auch Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  1; ders., Deuteronomium 1–11, Bd.  2, passim, zu DtrB Steymans, DtrB und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons, zu beiden Perlitt, Deuteronomium, 297. 171  Für gewöhnlich wird der Vers DtrN zugeschrieben; Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, 160, zog in tentativem Vorblick auf Dtn 28 eine einheitliche Abfassung des ganzen Kapitels durch DtrB in Erwägung. 172  Vgl. dazu schon oben, Kap. IV.2. 173  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 15. 174  Dazu s. o., S.  112–114. 175  So erstmals Kuenen, Historisch-kritische Einleitung in die Bücher des alten Testaments, 121–122, zuletzt vor allem Otto, Deuteronomium 12–34, Bd.  2, 1904–1905; vgl. auch, allerdings unter Einbezug von Dtn 27,1, Lohfink, Die Ältesten Israels und der Bund, 277, und zu seiner Analyse Markl, Gottes Volk im Deuteronomium, 111, Anm.  114, ferner etwa Nelson, Deuteronomy, 327. 168 

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Zweifel bestehen: Israel wird nicht erst zu Jhwhs Volk werden, Israel ist es heute (Dtn 27,9) bereits geworden. Nicht als Voraussetzung dafür dient der geforderte Gehorsam, sondern das Bewahren der Gebote und der Wandel auf Gottes Wegen (Dtn  28,9b) ist konkreter Ausdruck der Erwählung zum Gottesvolk.176 Aber eine solche Argumentation mit dem Kontext träfe die zitierte Interpretation des Verses nicht, beruht sie doch gerade auf der Annahme einer gezielten Neudeutung dieses Kontexts. Umso wichtiger ist dann allerdings die präzise philologische Mikroperspektive.177 Bei einem punktuellen Nachtrag, der eine derart gravierende Neuausrichtung des gesamten Argumentationszusammenhangs bezwecken soll, ist eine sorgfältige Formulierung und Wortwahl zu erwarten. Nimmt man also die konkrete Textgestalt in Dtn 28,9 ernst, sticht ein Element ins Auge: die Formulierung der Verheißung mit ‫קום‬ Hif. Dass Jhwh sich Israel zu einem heiligen Volk aufrichten wird,178 will beachtet werden, zumal im Horizont der formelhaft geprägten deuteronomistischen Tradi­ tion; alle übrigen Bestandteile des Verses sind zigfach wiederholte Versatzstücke aus dem deuteronomistischen Standardrepertoire. Die Formulierung fällt umso mehr auf, als die spezifische Semantik des Verbs (aufrichten, aufstehen lassen) in dem vorliegenden Syntagma ‫ יקימך יהוה לו לעם קדוש‬gar nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen ist,179 jedenfalls nicht aus dem fraglichen Vers selbst. Nimmt man hingegen die unmittelbare Fortsetzung in V.  10 hinzu – und diesen Zusammenhang kann auch nicht ausblenden, wer mit einem Nachtrag rechnet –, erklärt sich die unerwartete Wortwahl wie von selbst. Dann werden alle Völker der Erde sehen, dass der Name Jhwhs über dir ausgerufen ist (V.  10a) – dann, wenn Israel von Jhwh aufgerichtet worden ist. So gelesen, geht es keineswegs darum, dass Israel allererst das Volk Jhwhs wird, sondern darum, dass es als solches vor aller Welt sichtbar wird – weil es hoch aufgerichtet dasteht.180 Es geht um das Maß der Verwirklichung, darum, wie weit (wie hoch) das Potential der singulären Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk realisiert wird. Dazu wiederum, gleichsam zur Absonderung des ausgesonderten Volks von den Völkern (auch ‫ עם קדוש‬steht hier nicht zufällig), dient der geforderte Wandel auf Jhwhs Wegen. Dem Bund vorgeordnet sind die Gebote also gerade nicht. Dtn 28,9 wird, wie gesehen, als Musterbeispiel („mindestens“181) für diese Sicht der Dinge angeführt. Erhärten – oder entkräften – lässt sich der unterstellte Nomismus aber nur durch ein kumulatives Argument. Daher nun zum Schwerpunkt der fraglichen Belege: in der einleitenden Paränese des vorderen Rahmens. Die wichtigsten Stellen – nämlich die, an denen die hier vertretene Interpretation am ehesten in176 S.

Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 55, mit dem Begriff der „Konkretisierung“. Die folgende Deutung hat von der Diskussion mit Erhard Blum profitiert. 178  Und nicht etwa erwählen wie in Dtn 7,6 par.  14,2: ‫ – בך בחר יהוה אלהיך להיות לו לעם סגלה‬dort freilich, und auch diesen Unterschied gilt es wohl zu beachten, mit vorzeitiger Deixis. 179  Man vergleiche die Belege mit demselben oder einem funktional äquivalenten Objekt in Jes 49,6; Hos 6,2; negiert Am 5,2. 180  Vgl. zu dieser Bildsprache auch V.  13: ‫והיית רק למעלה ולא תהיה למטה‬, ferner Dtn 26,19. 181  So Matthias Köckert in seiner oben, S.  138, zitierten These. 177 

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

frage steht – sind Dtn 6,17–19; 7,12; 8,1; 11,8–9 (+ 22–25).182 Außerdem wären weitere Belege im Gesetzeskorpus zu nennen; hier werden vor allem Dtn 15,10; 16,20 und 19,8–9 diskutiert. Dass es sich entgegen verbreiteter Praxis empfiehlt, auch diese Aufforderungen (in der älteren Diskussion gerne zusammengefasst unter dem Schlagwort „Imperativ“) jeweils in ihrem Kontext auszulegen, muss nach den vorangehenden Ausführungen nicht noch einmal begründet werden; ebenso wenig, dass dieser Kontext durch das große dein Gott (den „Indikativ“) markiert ist. Wir wollen uns stattdessen einem anderen Aspekt widmen, scheint er vorderhand doch den Schlüssel zu bieten zu einer unzweideutigen Beantwortung unserer Frage nach der Bedeutung der Bedingung. Das Heil des Bundes wird an den meisten der genannten Stellen – im Horizont der erzählten Situation kaum überraschend – illustriert mit der Gabe des Landes, das „abstractum“ Bund, mit Lothar Perlitt gesprochen, beleuchtet und regelrecht durchdrungen von diesem „concretum“.183 Und in dieser Konkretion scheint die Sache nun klar: Israel wird eindringlich aufgefordert, Jhwhs Gebote zu halten (Dtn 6,17) und zu tun, was recht ist in seinen Augen (6,18a), damit (‫ )למען‬ihm die verheißene Gabe auch zuteilwird (6,18b).184 Zeigen Belege wie dieser nicht in aller Eindeutigkeit, dass Gehorsam nun eben doch die Vorbedingung ist,185 für den Eintritt in den Bund ebenso wie den Einzug in das Land? Gegen diesen Schluss, der sozusagen den harten Kern der Nomismus-Hypothese im Deuteronomium bildet, spricht zunächst und grundlegend die elementare Eigenlogik der Erzählung. So wenig am Gottesberg Gelegenheit war, den geforderten Gehorsam unter Beweis zu stellen,186 so wenig hat Israel am Vorabend der Landnahme die Möglichkeit, sich dieselbe zu verdienen.187 Gewiss macht die Hypothese gerade aus dieser Not eine Tugend, indem sie hier den pragmatischen Skopus unterstellt. Nach dem einflussreichen Versuch Norbert Lohfinks gilt die Aufforderung den Exulanten in Babylon, die „vielleicht noch viel Zeit“ haben.188 Mangels expliziter Markie182  Ferner wird etwa noch in Dtn 4,1 mit DtrN gerechnet. Seinem DtrB schlägt Timo Veijola darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Stellen zu, vgl. Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, und den Überblick in ders., Das fünfte Buch Mose, 4. 183  Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105. 184  Eingehend dargelegt etwa von Veijola, Das fünfte Buch Mose, 176–177. 185  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 67, spricht pointiert von „Einlaßbedingungen“. Nach der Zusammenfassung bei Finsterbusch, Deuteronomium, 101, die dankenswerterweise auch die problematischen Implikationen ausbuchstabiert, geht es um „[d]ie Position, dass Israel bereits außerhalb des Landes die dtn Gesetze halten muss als Bedingung für die Inbesitznahme des Landes“ (zu besagten Problemen s. im Folgenden bei Anm.  187 und 190). 186  S. o., S.  113–114, zum Befund in der vorderen Sinaiperikope. 187  Vgl. die Problemanzeige zu Dtn 8,1 bei Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium, 61: „ein wenig merkwürdig, da dafür nicht mehr allzu viel Zeit bleibt“ (entsprechend zu Dtn 11,8 a. a. O., 71). Finsterbusch, Deuteronomium, 95, versucht das Problem mit der Formulierung zu entschärfen, Israel solle „sofort anfangen“, das von Mose gebotene Gesetz zu halten. Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  2, 905–906, hingegen möchte die „Fabelinkonsistenz“ als hermeneutischen Kunstgriff deuten; s. dazu im Folgenden, Anm.  188. 188  So die Formulierung in Lohfink, Der Neue Bund im Buch Deuteronomium, 29. Grundsätz-

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rung dieser Pragmatik in den fraglichen Passagen selbst muss die Deutung freilich ganz im Vagen bleiben („vielleicht noch viel Zeit“). Auch fragt man sich, zumindest für die das Leben im Verheißungsland betreffende Masse der Einzelgebote (im Unterschied zum Hauptgebot),189 wie sie außerhalb des Landes überhaupt gehalten werden sollen.190 Und nimmt man die Belege je für sich unter die Lupe, kommt man um kritische Fragen erst recht nicht herum. Das Problem sei exemplarisch an Dtn 8,1 erörtert, wo es besonders eklatant ins Auge sticht (ähnlich auch in der Fortsetzung von Dtn 11,8 in 11,9):191 ‫כל־המצוה אשר אנכי מצוך היום תשמרון לעשות‬ ‫למען תחיון ורביתם ובאתם וירשתם את־הארץ‬ ‫אשר־נשבע יהוה לאבתיכם‬ Das ganze Gebot, das ich dir heute gebiete, sollt ihr bewahren, es zu tun, damit ihr lang lebt und zahlreich werdet und hineinkommt und das Land besitzt, das Jhwh euren Vätern zugeschworen hat.

Hier steht die Verheißung der Landgabe (‫ )ובאתם וירשתם את־הארץ‬einmal nicht für sich, sondern wird näher ausgeführt durch die Parallelisierung mit der Verheißung von Leben – im Licht der einschlägigen Vergleichsbelege ist wohl zu ergänzen: langen, erfüllten Lebens192 – und Mehrung (‫)תחיון ורביתם‬.193 Letztere Verheißung (Mehrung) kann sich augenscheinlich erst im Land erfüllen, jedenfalls nicht in den kurzen Tagen östlich des Jordans. Schon diese nähere Beschreibung schließt damit, wenn man sie nur beim Wort nimmt, die Möglichkeit aus, der in V.  1a angemahnte Gehorlich s. ders., Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 138–141; Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 61–65. Vgl. ferner auch (freilich mit grundsätzlicher Kritik an einer nomistischen Deutung) Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  2, 906: „Die Paradoxie der Argumentation in der erzählten Zeit des Mose soll den Adressaten […] auffallen und dieser hermeneutische Kunstgriff ihnen verdeutlichen, dass es […] um ein tua res agitur in der nachexilischen Erzählzeit geht.“ 189  Vgl. dazu etwa schon Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 368. 190  Dieses Problem sieht auch Lohfink selbst, s. Lohfink, Gab es eine deuteronomistische Bewegung, 126, in Verbindung mit ders., Die huqqîm ûmišpātîm im Buch Deuteronomium. 191  Zur redaktionsgeschichtlichen Einordnung von Dtn 8,1 (DtrN beziehungsweise DtrB) s. vor allem Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 61–62 mit Anm.  43, und Veijola, Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, 95–104; ders., Das fünfte Buch Mose, 211–216, vgl. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, 309–310; die entsprechende Deutung (Gehorsam als Vorbedingung der Landgabe) findet sich aber auch bei Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105, oder Aurelius, Der Fürbitter Israels, 21–22, um nur zwei besonders prominente Beispiele herauszugreifen. Dass ausgerechnet Norbert Lohfink den Vers nicht DtrN, sondern seinem DtrN kritisierenden Überarbeiter DtrÜ zuschreibt, liegt nicht an einer anderen Deutung (in Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 139, zählt er Dtn 8,1 ausdrücklich zu den Stellen, an denen „die Inbesitznahme des Landes von der vorauslaufenden Gesetzesbeobachtung abhängig gemacht“ wird), sondern an der Annahme literarischer Einheitlichkeit von Dtn 8,1– 20 (im Anschluss an ders., Das Hauptgebot, 189–199; vgl. ders., Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 141). 192  Vgl. vor allem Dtn 11,8–9, wo ‫ למען תאריכו ימים‬anstelle von ‫ למען תחיון‬steht, und dazu Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, 310. 193  Wohlgemerkt in dieser Reihenfolge: zuerst Leben und Mehrung, dann das Land.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

sam sei als vorab zu erfüllende „Einlaßbedingungen“194 konzipiert (wofür der syntaktische Anschluss mit ‫ למען‬vorderhand durchaus sprechen könnte). Mehr noch, von der parallelen Reihung der Segensgüter in Dtn 8,1 (und 11,8–9) fällt auch Licht auf die übrigen, kürzer gefassten Belege, die auf die pars pro toto stehende Gabe des Landes konzentriert sind (vgl. Dtn 6,18). Wie der Vergleich zeigt, eröffnet diese rhetorische Konzentration überhaupt erst die Möglichkeit, dass sich die hier kritisierte Auffassung bilden konnte; wären alle Belege wie Dtn 8,1 formuliert, käme man schwerlich auf den Gedanken, der geforderte Gehorsam gebe eine vorab zu erfüllende Bedingung an. Zugleich zeigt die Reihung der Segensgüter auch, dass die Forderung nicht mit einer binär kodierten Entscheidung verbunden ist. Als Antwort auf die Frage nach der Gabe des Landes reichte ein schlichtes Ja oder Nein; die Frage nach Mehrung und langem, erfülltem Leben ist nur mit Wie zu beantworten. Aber spricht nicht allein schon das Verb ‫ש‬ ׁ ‫ – יר‬selbst wenn es, wie eben gesehen, parallelisiert wird mit weiteren Verben, die das Sein im Land beschreiben – dafür, dass es sehr wohl um eine Vorbedingung geht, weil doch als ‚Lohn‘ des Toragehorsams die Einnahme des Landes versprochen wird? Das hängt letztlich – trivial und grundlegend – davon ab, was ‫ש‬ ׁ ‫ יר‬bedeutet beziehungsweise bedeuten kann. Die im Folgenden formulierte Anfrage kann im hier gesteckten Rahmen zwar nur als Desiderat für vertiefte Lexikonarbeit notiert werden.195 Sollte sie sich aber bewähren, bedeutete dies, dass das Verb nicht unverbunden neben den ihm zur Seite gestellten Aussagen steht, sondern diesen korrespondiert beziehungsweise korrespondieren kann. Die Anfrage lautet: Sollte für ‫ ירׁש‬Qal mit sächlichem Akkusativobjekt neben der unstrittigen ingressiven Grundbedeutung „in Besitz nehmen“ (sei es durch Gewalt, bezogen auf das Land also durch Eroberung, oder aber als Erbe) nicht noch mit einer progressiven Nebenbedeutung „in Besitz haben/halten“ gerechnet werden? Dafür scheint jedenfalls eine ganze Reihe von Belegen in unterschiedlichsten Kontexten – keineswegs nur dem hier problematisierten – zu sprechen, in denen die ingressive Bedeutung „in Besitz nehmen“ den gemeinten Sachverhalt augenscheinlich nicht trifft. Die folgenden Beispiele mögen dies illustrieren.196 In Ri 2,6 entlässt Josua das Volk, worauf die Israeliten hingehen, ein jeder in seine (!) Nachala – um das Land zu erobern? Im mutmaßlichen literarischen Kontext (meines Erachtens bildet Ri 2,6–10 mit Jos 21,43–45; 22,1–6; 23,1–3.6.11.14–16a den Abschluss der deuteronomistischen Josua-Erzählung197) kann die finale Wendung ‫ לרשת את־הארץ‬schwerlich meinen, dass das Land nun erstmals in Besitz genommen wird. Es ist bereits erobert, und zwar vollständig (Jos 21,43–45). Die Israeliten gehen hin, um die erworbenen Rechte an diesem Land wahrzunehmen und sich seines Besitzes zu erfreuen. Wer eine andere Rekonstruktion des buchübergreifenden Zusammenhangs bevorzugt und Ri 2,6b in diesem Kontext auf die Einnahme bis194 Vgl.

Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 67. noch maßgeblich: Lohfink, Art. ‫ש‬ ׁ ‫י ַָר‬. Vgl. Schmid, Art. ‫יר ׁש‬, ferner Römer, Israels Väter, 36–38, und jetzt auch Germany, The Compositional Horizon of the Verb ‚yarash‘ in Deuteronomy and Joshua. 196  Vollständigkeit ist hier auch nicht im Ansatz angestrebt. Die Belege ließen sich in jedem der angesprochenen Bereiche unschwer vermehren. 197  Vgl. die Zusammenfassung bei Krause, Exodus und Eisodus, 410; zur Analyse von Jos 23 außerdem ders., The Book of the Torah in Joshua 1 and 23 and in the Deuteronomistic History, 415–416 (Lit.). 195  Immer

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lang uneroberter Gebiete beziehen möchte, muss erklären, wie dies zu der Formulierung ‫ איש לנחלתו‬passen soll.198 Ez 33,24 ff. schildert den Anspruch auf das Land durch dessen dort zurückgebliebene Bewohner – sie werden präzise beschrieben als ‫ – ישבי החרבות האלה על־אדמת ישראל‬und Jhwhs Widerspruch. Wird durch dessen rhetorische Frage (V.  25b.26b) den Bewohnern des Landes der mit ‫ש‬ ׁ ‫ יר‬+ ‫ ארץ‬zum Ausdruck gebrachte Sachverhalt bestritten, so handelt es sich dabei augenscheinlich nicht um die Einnahme des Landes, sondern darum, es rechtmäßig in Besitz zu haben und zu halten. Eben dafür spricht auch die Fortsetzung in V.  27–29. In mehreren Psalmen, am prominentesten in Ps 37, wird einer Gruppe von gottesfürchtigen Gerechten, vorgestellt im Gegensatz zu gottlosen Übeltätern, verheißen: ‫( המה יירשו־ארץ‬V.  9 par.  11.22.29.34). Sollte damit etwa gemeint sein, dass sie neues Land erobern? Dagegen spricht schon der antithetische Parallelismus mit dem Geschick der Gottlosen: Ausrottung (V.  9.22.34). Vielmehr geht es offenbar auch hier um die Frage, wer das Land rechtmäßig – und das heißt: in der verheißenen Zukunft tatsächlich – besitzt.199 Nun hat bereits Norbert Lohfink in seiner grundlegenden Untersuchung des Materials eine ähnliche Vermutung ausgesprochen und auch mit einigen der eben herangezogenen Stellen begründet. ׁ ‫ ירש‬Qal mit Objekt des Landes bedeute dort „besitzen, sich des Besitzes erfreuen“.200 Freilich beeilt er sich sogleich, die hier interessierenden Belege ausdrücklich auszuschließen: Besagte Bedeutung sei „nicht in jenen dtr Passagen anzunehmen, wo der Besitzantritt des Lands unter Josua und in der Richterzeit von vorangehender Gesetzesbeobachtung abhängig gemacht wird“.201 Eben dies ist aber die Frage. Indem Lohfink a priori voraussetzt, Toragehorsam sei hier als vorab zu erfüllende Bedingung konzipiert, gibt die theologische Interpretation das Ergebnis der lexikalischen Untersuchung vor. So gewiss ׁ ‫ ירש‬Qal + ‫ ארץ‬in Deuteronomium und Josua verwendet wird, um im Sinne der ingressiven Grundbedeutung die Eroberung des Landes zu thematisieren, so deutlich ist doch auch, dass dadurch die progressive Bedeutung keineswegs ausgeschlossen ist. Besonders schön lässt sich das an dem oben untersuchten Beleg Dtn 8,1 ablesen, genauer gesagt an der Reihenfolge der dort parallelisierten Propositionen: Leben – Mehrung – Land. Sie legt nahe, auch hier die supponierte progressive Nebenbedeutung in Anschlag zu bringen.202 Wie gesagt, die thetische Anfrage bedarf gründlicher lexikalischer Prüfung. Soviel aber lässt sich festhalten: Auch die Semantik von ‫ש‬ ׁ ‫ יר‬Qal empfiehlt sich nicht als Begründung für die Interpretation der fraglichen, DtrN beziehungsweise DtrB zugeschriebenen Aussagen in dem Sinne, der geforderte Gehorsam werde als Einlassbedingung ins Land propagiert.

198 Vgl. Blum, Once Again: The Compositional Knot at the Transition between Joshua and Judges, 226, Anm.  23. 199  Als zusätzliches Verdachtsmoment mag die Morphologie gelten. Es fällt nämlich auf, dass das Imperfekt von ‫ש‬ ׁ ‫ יר‬Qal nach Art der Zustandsverben, deren semantisches Spektrum ingressive und progressive Bedeutungen zugleich umfassen kann, gebildet wird. Vgl. Joüon, A Grammar of Biblical Hebrew, §  41.44.75. 200  Lohfink, Art. ‫ש‬ ׁ ‫י ַָר‬, 959; vgl. ders., Die Bedeutungen von hebr. jrš qal und hif, 24–25. 201  Lohfink, Art. ‫ש‬ ׁ ‫י ַָר‬, 959. Zu besagten Passagen und ihrer theologischen Interpretation vgl. a. a. O., 976–977. 202  Wiederum ließen sich die Belege unschwer vermehren. – Der aufgrund seiner notorisch uneindeutigen Referenz besonders schwierige Beleg Dtn 30,5 (vgl. die Diskussion bei Römer, Israels Väter, 36–42) erlaubt zwar kein dezidiertes Urteil. Doch mag er im Licht der hiesigen Diskussion einen erneuten Blick lohnen. Gewiss hängt das Verständnis von ‫ש‬ ׁ ‫ יר‬Qal an dieser Stelle entscheidend davon ab, wer (hier) mit Väter gemeint ist – aber eben auch umgekehrt.

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Die Anfragen im Detail ließen sich vermehren. Man kann (und sollte) aber auch noch eine grundsätzliche Frage stellen. Sie betrifft die den mutmaßlichen Nomisten unterstellte Pragmatik: die Propagierung von Toragehorsam als Mittel und Weg für die babylonische Gola, sich die neuerliche Gabe des Landes zu verdienen. So sug­ gestiv die Deutung sein mag, sie beruht auf Annahmen zur Aussageabsicht der frag­ lichen Texte, die in diesen selbst weder expliziert noch auch nur angedeutet werden. Die supponierte Ansprache an die Exulanten auf die Voraussetzungen ihrer Rückkehr ist in keiner Weise kenntlich gemacht. So hängt die Auslegung der Texte einzig und allein an einem heimlichen Subtext, der gleichsam in sie hineingelesen wird. Dieser Einwand fällt umso mehr ins Gewicht, als es im späten Deuteronomium ja durchaus Passagen gibt, die die Situation Israels im Exil expressis verbis ansprechen und von da aus eine Zukunftsperspektive entwickeln, nämlich Dtn 4,29–31 und vor allem 30,1–6.203 Dort findet sich die Forderung von Toragehorsam als Voraussetzung neuerlicher Landgabe jedoch gerade nicht.204 Ziehen wir ein Zwischenfazit, so ist zu konstatieren, dass die konkrete Rede vom „Land“ und seiner bevorstehenden Einnahme – der vermeintlich eindeutige Schlüssel zur Deutung des abstrakten „Bund“ – eben nicht zu belegen vermag, der von Israel geforderte Gehorsam stelle in der konditionalen Struktur der deuteronomistischen Konzeption eine Vorbedingung für den Eintritt in den Bund beziehungsweise das Inkrafttreten seiner Verheißungen dar. Im Gegenteil, alles spricht für die alternative Deutung: als Bedingung für das Bleiben im Bund. Angesichts der dominanten Erzählfiktion des Deuteronomiums scheint es allerdings geraten, den Schlüssel nun ganz aus der Hand zu legen und die herkömmliche Hermeneutik umzukehren. Anstatt die von der erzählten Situation der Landnahme geprägten Aussagen als Referenzrahmen für die übrigen, ohne Land formulierten zu benutzen, wie es für gewöhnlich geschieht, empfiehlt es sich, diese von jenen her auszulegen. Wenn wir wissen wollen, was in Wahrheit unter die Bedingung des Bundesgehorsams gestellt wird, sollten wir diese Frage zuerst an die Belege stellen, die nicht unmittelbar auf die erzählte Situation bezogen sind. Einschlägig sind hier vor allem zwei Texte. Einen haben wir bereits betrachtet, Dtn 28,9 samt Kontext.205 Der andere ist Dtn 7. Dort können wir die Exposition des Problems bei Lothar Perlitt aufnehmen,206 die nicht nur klar pointiert ist, sondern auch ungebrochen einflussreich;207 Perlitt emp203  Eingehend dazu Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  1, 574–576, beziehungsweise ders., Deuteronomium 12–34, Bd.  2, 2066–2071, s. ferner Markl, Gottes Volk im Deuteronomium, 41–42 und 85. 204  Zu Dtn 4 hat das auch Lohfink selbst zu bedenken gegeben, er versucht den Befund aber anders zu deuten: Lohfink, Gab es eine deuteronomistische Bewegung, 126. Zum Verhältnis von Umkehr, Herzensbeschneidung und Gehorsam in Dtn 30,1–10 s. bereits oben, S.  131 mit Anm.  120. Vgl. ferner Aurelius, Zukunft jenseits des Gerichts, 102–103. 205  S. o., S.  138–139. 206  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 55–77. 207  Aufgenommen zuletzt etwa bei Hagedorn, Covenant, Election, and War in Deuteronomy 7, 55–56.

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fing seinerseits die entscheidende Anregung durch Martin Noths These zu „dem Gesetz“ als „absolute Größe in der Spätzeit“.208 Locus classicus des Theologumenons Erwählung, präsentiert Perlitt den in Dtn 7 rekonstruierten Grundbestand als Paradebeispiel für die vor-deuteronomistische – und das heißt für ihn: noch nicht konditionierte209 – Bundestheologie.210 Zugleich findet er in der späteren Überarbeitung des Kapitels den Beweis dafür, das Gesetz sei zwischeneingekommen und nachträglich zur Vorbedingung erklärt worden. Als formative deuteronomische Fassung arbeitet Perlitt die Verse 1–4a.6.9– 11.12b ff.211 heraus. Die Plausibilität dieser Rekonstruktion und der Datierung in die judäische Königszeit muss uns hier nicht bekümmern.212 Von Interesse für unsere Fragestellung ist die Wertung: „Die theologische Eigen-Art von Dtn 7 besteht darin, den ‚Bund‘ gerade nicht vom Gesetz, sondern von den Verheißungen leben zu lassen.“213 Die deuteronomische Bundestheologie ist, so Perlitt, charakterisiert durch die „Unbedingtheit der Zusage“.214 Ob die Beschreibung als unbedingt beziehungsweise „nicht konditional“215 trifft, sei zunächst zurückgestellt.216 Von Bedeutung ist, dass sie den Maßstab bietet, an dem Perlitt die spätere Vergesetzlichung misst. Im Anschluss an Noths Analyse findet er diese in Dtn 7,12: „Theologisch zerreißt der Zusatz v. 12a die dt Segensproklamation tief.“217 208  So ist der einschlägige Abschnitt in Noth, Die Gesetze im Pentateuch überschrieben; zu Dtn 7 s. a. a. O., 132–133. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 59, zieht die kürzere Fassung des Arguments in Noth, Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, 166, heran. 209  Unter der Überschrift „Dtn 7 und der Väterbund“ wird das Kapitel in Verbindung mit Gen 15 ausgelegt (Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 55–77). 210 Die Bedeutung, die Perlitt Dtn 7 beilegt, zeigt sich auch darin, dass er dem Kapitel das Schlusswort seines Buches überlässt: Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 284. 211  Zu Erwägungen über deren Wachstum s. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 60–64. Den Grundstock bildeten demnach V.  1–4a.6. 212  Vgl. die jüngeren Analysen von Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, 212– 306; Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, 158–162, und zuletzt vor allem Ebach, Das Fremde und das Eigene, 201–213. Einen Forschungsüberblick bietet Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  2, 623–639. Wenn, wie bei Perlitt, V.  3–4 zur Grundschicht gerechnet werden, legt sich in jedem Fall eine sehr viel spätere Datierung nahe, nämlich in das Jehud der fortgeschrittenen Perserzeit mit seiner virulenten Mischehen-Problematik; vgl. zu unserer Stelle Römer, The So-Called Deuteronomistic History, 170–171, zur Sache etwa Becking, On the Identity of the ‚Foreign‘ Women in Ezra 9–10 (Lit.). 213  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 63. Er lebt, so die traditionsgeschichtliche Entfaltung dieser These, allein von den Verheißungen an die Erzväter und nicht vom Bundesschluss am Gottesberg. Auf die Sinai-Tradition oder überhaupt „einen formellen ‚Bundesschluß‘“ werde in der deuteronomischen Fassung von Dtn 7 gar nicht Bezug genommen (a. a. O., 61), wie Perlitt auf der Grundlage seiner entsprechenden Analyse von V.  7–8 (a. a. O., 58) behaupten kann. Zur Kritik s. Römer, Israels Väter, 144–146. 214  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 60. 215 So Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 59, zu V.  11.12b. 216  S. im Folgenden und bereits oben, S.  137, Anm.  165. 217  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 61, unter Verweis auf Noth, Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, 166.

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Noth hatte, ganz zu Recht und wünschenswert klar, für die auch von ihm deuteronomisch angesetzte Grundschicht in Dtn 7 herausgestellt, dass „durch das ‚Halten der Gebote‘ die schon im voraus zugesagten Gaben Gottes zwar in Kraft erhalten, aber nicht erst verdient“ werden,218 der Segen „durch Erfüllung des Gesetzes wohl gesichert, aber nicht erst erworben“.219 Anders als Perlitt sieht Noth also durchaus, dass es sich um eine wesenhaft konditionale Struktur handelt, und stellt von daher die entscheidende Frage: nicht, ob es eine Bedingung gibt, sondern was unter der Bedingung steht. Seine Antwort, nach der es – mit dem hier vorgeschlagenen Begriff – um das Bleiben im Bund geht, empfiehlt sich schon deshalb mit Nachdruck, weil Dtn 7 darin eine direkte Parallele zu den übrigen beiden loci classici der Er­ wählungstheologie in Dtn 26,16–19 (mit 27,9–10)220 und Ex 19,3–8 (mit 24,1–11)221 bildet. Dann aber haben, so Noth weiter, „sekundäre Stücke im Deuteronomium […] den göttlichen Segen als einen durch die Gesetzeserfüllung verdienten Lohn ver­ standen.“222 Als exemplarischer Beleg dient ihm „der offenkundige Einschub“ Dtn 7,12a.223 Prominent aufgenommen bei Perlitt, bildet diese Analyse die Grundlage der heute gängigen Zuschreibung von Dtn 7,12 (ob im Ganzen oder literarkritisch geteilt) an eine spät-deuteronomistischen Bearbeitung224 und deren ‚nomistische‘ Deutung.225 Aber diese Deutung, die den Vers in einen scharfen Gegensatz zu seinem Kontext bringt, erscheint in mehrfacher Hinsicht problematisch. Schon die Einführung des theologisch geladenen Begriffes „Lohn“ durch Noth gebietet Vorsicht, hängt er doch an einer einschränkenden Interpretation der Konstruktion mit ‫עקב‬,226 die nicht annähernd so eindeutig ist, wie Noth sich dies wünschen müsste.227 Doch selbst wenn man diese Auffassung voraussetzen wollte, wäre die strikte Unterscheidung zwischen V.  12a und dem Kontext, der – noch einmal Noth – „davon spricht, daß, wie

218 

Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 132–133. Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 132. 220  S. o., S.  134. 221  S. o., Kap. IV.1. 222  Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 133. 223  Als Argumente für diese Literarkritik nennt Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 132, den Numeruswechsel in V.  12a sowie den Zusammenhang von V.  11 und 12b, der durch V.  12a zerrissen werde (aufgenommen bei Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 59). Im Grunde ist es aber der in V.  12a wahrgenommene Einbruch einer Gesetzestheologie, der den Ausschlag gibt. Das zeigen gegenläufige Analysen, die den Zusammenhang von vornherein als ‚nomistisch‘ auffassen. So kann Lohfink, Das Hauptgebot, 170, gegen Noth einwenden, dass V.  12a gerade deshalb nicht ausgeschieden werden dürfe, weil er den göttlichen Segen an die Bedingung der Gesetzeserfüllung knüpft (aufgenommen bei Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, 161). 224  Zur redaktionsgeschichtlichen Phasenverschiebung vgl. schon oben, S.  136 mit Anm.  154. 225  Zur Kritik s. Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  2 , 872, vgl. ders., Deuteronomiumstudien II, 196–197. 226  S. die Übersetzung von V.  12a bei Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 133: „Zum Lohne dafür, daß ihr diese Rechtssätze hört und befolgt“ (im Original ohne Hervorhebung). 227 Vgl. Zobel, Art. ‫עקב‬. 219 

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Gott Bund und Treue hält, so das Volk das Gesetz halten soll“,228 nicht zu begründen. Denn als ‚Lohn‘ für Israels Gehorsam wird weder der Schluss des Bundes noch auch der ‚Erwerb‘ des Segens, sondern Jhwhs Treue zu seiner Selbstverpflichtung verheißen: ‫ ושמר יהוה אלהיך לך את־הברית ואת־החסד‬Jhwh, dein Gott, wird dir den Bund und die Treue bewahren (V.  12bα) – wie er schon, so die Fortsetzung, den Vätern geschworen hat: ‫( אשר נשבע לאבתיך‬V.  12bβ). Unabhängig davon, ob hier die Erzväter oder die Exodusgeneration229 oder aber gar keine konkreten Referenzgrößen im Blick sind,230 zeigt dieser Verweis, dass sich der geforderte Gehorsam auf ein bestehendes Verhältnis und längst gewährten Segen bezieht. Damit bietet Dtn 7,12 keine andere Konzeption als der Kontext. Hier wie da betrifft die (unmissverständlich eingeschärfte) Bedingung das Bleiben im Bund. In diesem Licht bestätigt sich das oben anhand der Land-Aussagen erhobene Bild. So ist nun zu resümieren: Man geht in die Irre, wenn man unter dem Eindruck der Erzählfiktion vor dem Einzug ins Land darauf schließt, das Israel, dem Mose in Jhwhs Namen die Bedingung des Bundes verkündet, stehe vor dem Eintritt in den Bund. In der Tat ist durch die Verkündigung der Mosetora am Vorabend der Landnahme das verheißene Land, in Lothar Perlitts eigenwilliger Diktion, „zu einer Funktion des Gesetzes“ geworden.231 Aber diese ‚Funktion‘ besteht nicht darin, sich das Land zu verdienen, sondern nur, es nicht wieder zu verlieren. Indem sie ‚das Gesetz‘ vor das Land stellt, schafft die deuteronomistische Tradition einen Hebel, um den geschehenen Landverlust theologisch zu erklären, nicht neuerlichen Landgewinn in Aussicht zu stellen. Genau dies gilt, wie für das Concretum Land, so auch für das Abstractum Bund: Die Bedingung erläutert, wie man im Bund bleibt, nicht, unter welcher Voraussetzung dieser geschlossen oder in Kraft gesetzt wird. Spätestens an dieser Stelle ist allerdings eine notwendige Differenzierung am Platz: nämlich eine genauere Fassung des Begriffs ‚Bleiben im Bund‘. Die Notwendigkeit dieser Differenzierung ergibt sich aus allen bislang untersuchten Belegen, und sie ließe sich an jedem von ihnen darlegen. Besonders anschaulich ist auch in dieser Hinsicht die Segensverheißung in Dtn 28,1– 14 samt dem Widerlager, das sie in der folgenden Fluchdrohung findet. Eingeleitet wird die Verheißung von der unüberhörbar ausgesprochenen Bedingung in Dtn 28,1–2, abgeschlossen von deren nachdrücklicher Einschärfung in V.  13–14232 – und in diesem Rahmen erschließt sich ihr Verständnis. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei das formelhafte Resümee in V.  13a: Jhwh wird dich zum Kopf machen und nicht zum Schwanz, und es wird mit dir nur nach oben gehen und nicht nach unten. Mit seiner ganz in Weiß und

228 

229 

um.

Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 133. Vgl. zur Diskussion Römer, Israels Väter, und Lohfink, Die Väter Israels im Deuteronomi-

230  Veijola, Das fünfte Buch Mose, 203, gibt mit Kutsch, Verheißung und Gesetz, 122–123, zu bedenken, der Ausdruck in V.  12b sei so vage, dass er wohl am ehesten „allgemein für Gottes Treue und Güte steht“. 231  Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105. 232 Vgl. Finsterbusch, Deuteronomium, 164, unter Aufnahme von dies., Das gesetzesparänetische Schema im Deuteronomium.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

Schwarz gehaltenen Metaphorik – Kopf versus Schwanz, nur (‫ )רק‬nach oben und nicht nach unten – gibt es deutlich zu verstehen, dass hier nicht vorfindliche Wirklichkeit beschrieben wird, sondern eine ideale Möglichkeit.233 So könnte, ja so sollte es sein – das ist das Potential der Bundesbeziehung. Gefordert wird vollkommener Gehorsam, und ihm würde vollkommener Segen entsprechen.234 Dieses Ideal freilich wird nicht als Negativfolie geschildert, um das spätere Scheitern Israels als gleichsam notwendig zu erweisen, sondern als Paradigma, das Orientierung bieten und zu Gehorsam motivieren will.235 Denn zwischen seinen Polen – oben und unten – verläuft ein stufenloses Kontinuum realer Möglichkeiten. So findet der adverbiale Gebrauch von ‫ למעלה‬und ‫ למטה‬in V.  13 eine instruktive Parallele in V.  43: ‫ מעלה מעלה‬höher und höher, ‫ מטה מטה‬tiefer und tiefer.236 Zwar werden diese Möglichkeiten in der charakteristischen Darstellungsform von Dtn 28 nicht ausbuchstabiert. Aber dass der nüchterne Realismus der Tradenten keineswegs suspendiert ist, belegen bereits die Segens- beziehungsweise Fluch­ inhalte, die den lebensweltlichen Erfahrungsraum der Adressaten in einer Sinnlichkeit aus­ loten, die manchen Ausleger schon befremdet hat.237 Jhwh hat Israel zu seinem Volk erwählt, und er hat es zum heiligen Volk bestimmt. Nun ist es an Israel, dies mit Leben zu erfüllen. Als Gottes Volk soll Israel heilig sein. Die Ansprache in Dtn 28 und ebenso die Paränese im Deuteronomium insgesamt zielen auf die Konkretisierung dieser grundlegenden Bestimmung. Und diese Konkretisierung, mithin die ‚Aufrichtung‘ zu einem heiligen Volk (vgl. noch einmal V.  9) kann nun eben unterschiedlich ausfallen (unterschiedlich hoch, um im Bild von V.  9 zu bleiben). So ist die Frage nach dem Bleiben und Sein im Bund letztlich nicht mit Ja oder Nein zu beantworten, sondern mit Wie. Ganz im Sinne der lebensnah-realistischen Wahrnehmung der Wirklichkeit sub specie Dei, die in ­einem Wort wie dem vom gesegneten Backtrog (V.  5) anklingt, geht es um die gesamte Bandbreite der den Adressaten erfahrbaren Möglichkeiten von Gehorsam und Heilsgegenwart.

Bleibt schließlich die Frage nach Dtn 9,4–6 (samt möglicher Seitenstücke), also den Versen, die expressis verbis die Meinung zurückweisen, man habe sich die Einnahme des Landes eigener Gerechtigkeit zuzuschreiben (… ‫ בצדקתי‬Dtn 9,4), und denen Norbert Lohfink, Georg Braulik, Matthias Köckert, Timo Veijola und andere attestieren, sie erreichten (!) damit „im Ansatz Römerbrieftheologie“.238 Angesichts der Art und 233 Ebenso, unter umgekehrtem Vorzeichen, in der unmittelbar folgenden Fluchdrohung Dtn 28,15 ff., aber etwa auch in Dtn 7,13 ff. 234  „[U]mfassende[r] Segen für alle relevanten Lebensbereiche“ (Leuenberger, Segen und Segenstheologien im alten Israel, 97). 235  Zum analogen Befund in Ex 19 und 24 s. Krause, A Kingdom of Priests and a Holy Nation, 269. 236  Treffend deutet Otto, Deuteronomium 12–34, Bd.  2 , 2011, V.  4 4 als „Sinnbild von sozialem Abstieg“. Vgl. etwa noch Lundbom, Deuteronomy, 786, und Anderson, The Blessing and the Curse, 159: „Curse would lead to a miserable life, devoid of the fullness of blessing.“ 237  S. dazu Leuenberger, Segen im Alten Testament, 60, und grundlegend ders., Segen und Segenstheologien im alten Israel, 91–92. 238  So die Formulierung bei Lohfink, Bundestheologie im Alten Testament, 343; vgl. schon ders., Das Hauptgebot, 203–204. Zu dieser Interpretation und ihrer redaktionsgeschichtlichen Einordung – Lohfink hat hierzu die Annahme eines deuteronomistischen Überarbeiters DtrÜ eingeführt, der dem Nomismus des DtrN in gleichsam proto-paulinischer Absicht widersprochen habe – s. vor allem ders., Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 141–142, unter Aufnahme von ders., Das Hauptgebot, 167–231; Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium, 20–24; Köckert, Leben in Gottes Gegenwart,

4.  Die Paränese im Deuteronomium

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Weise, wie hier explizit Widerspruch eingelegt wird, spricht in der Tat einiges dafür, mit einer spät-deuteronomistischen Bearbeitung zu rechnen.239 Und belegt nicht dieser Widerspruch, dass die Einschärfung von Toragehorsam in den oben untersuchten Passagen eben doch eine Vorleistung zum Eintritt in den Bund beziehungsweise eine Einlassbedingung ins Land bedeutet? Die Antwort hängt an der Referenz: Worauf zielt die Kritik, wogegen wird Widerspruch eingelegt? Köckert formuliert als diesbezügliche Alternative, ob „Mißverständnisse aus der nomistischen Konzeption“ oder aber „diese Konzeption selbst“ angegriffen würden.240 Er selbst votiert für Letzteres,241 ohne dass die literarische Begründung dafür vollauf zu überzeugen vermag.242 Den gleichen Ansatz verfolgt Lohfink, der mit der Annahme einer „Neukommentierung“ von Dtn 6,18 in 9,5243 zudem einen Rückbezug auf eine DtrN zugeschriebene Stelle im unmittelbaren Kontext wahrscheinlich machen kann.244 Doch auch unter dieser Voraussetzung: In einem Rückbezug auf Dtn 6,17–19 einen Angriff auf die Konzeption von DtrN zu sehen, hieße, diese Verse mit der strittigen These bezüglich ihrer Interpretation gleichzusetzen. „Diese Konzeption selbst“ existiert ja, anders als die so interpretierten Texte, nicht als gegebene Größe, sondern allein im Auge des Betrachters. Die alternative Fragestellung erweist sich daher als unzureichend. Weiterführend erscheint mir hingegen der von Köckert ins Spiel gebrachte Begriff des Missverständnisses. In der Tat stellt sich der Einwurf von Dtn 9,4–6 als Kritik einer unsachgemäßen Auffassung dar: ‫( אל־תאמר‬9,4). Kritisiert wird ein falsches Verständnis, und zwar – unter Voraussetzung des von Lohfink wahrscheinlich gemachten Rückbezugs – ein falsches Verständnis von Dtn 6,17–19, nicht von „DtrN“. Diese Kritik wehrt einer unsachgemäßen Auffassung – und man darf annehmen: einer tatsächlich vertretenen Auffassung; was einer allein in seinem Herzen sagt (Dtn 9,4),

65–69; Veijola, Das fünfte Buch Mose, 5 und 235–236. Kritisch dagegen Aurelius, Der Fürbitter Israels, 35, und Otto, Deuteronomium 1–11, Bd.  2, 901 und passim. 239  Zumindest in Dtn 9,4–6; zu möglichen Seitenstücken s. Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, 141, und Veijola, Das fünfte Buch Mose, 5, vgl. aber auch die kritische Diskussion bei Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 65–69. Gegen die Annahme eines Nachtrags hat sich unlängst Stoppel, Von Angesicht zu Angesicht, 159–164, ausgesprochen. 240  Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 67. 241  In diesem Sinne auch Veijola, Das fünfte Buch Mose, 234, nach dessen Ansicht die Stoßrichtung von Dtn 9,4–6 „polemisch gegen die Behauptung des DtrB gerichtet“ ist. 242 Vgl. Köckert, Leben in Gottes Gegenwart, 67, wo mit dem parallelen Vorkommen des Nomens ‫ ישׁר‬Geradheit, Redlichkeit in Dtn 9,5 und dem DtrN zugeschriebenen Beleg 1 Kön 9,4 argumentiert wird. 243  Das Zitat steht bei Lohfink, Bundestheologie im Alten Testament, 343, die These wird aufgenommen und breiter ausgeführt bei Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium, 21. 244  In der Tat könnten die vergleichsweise signifikanten Parallelen (‫ הדף‬begegnet im Deuteronomium nur in diesen beiden Passagen, ‫ ישׁר‬nur hier in Dtn 1–11) vermuten lassen, dass ein Bezug beabsichtigt ist (womit freilich noch nicht über die Richtung der Abhängigkeit entschieden wäre, wie Aurelius, Der Fürbitter Israels, 31, zeigt).

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

erregt in der Regel noch keinen Widerspruch – dieser Passage, mag man sie DtrN zurechnen oder nicht. Das Land soll nicht und kann nicht durch eigene Leistung verdient werden. Wenn dieses Missverständnis in Dtn 9,4–6 abgewehrt wird, dann bekräftigt diese Richtigstellung nur, wie die Sache eigentlich gemeint war.

5.  Der deuteronomistische Jeremia Soll es sich bei der im Deuteronomium herausgearbeiteten konditionalen Struktur des Bundes245 tatsächlich um die deuteronomistische Konzeption im beschriebenen Sinne einer Übereinstimmung im Grundsätzlichen handeln, steht nun aber zu erwarten, dass sie sich auch in der deuteronomistischen Jeremia-Überlieferung niedergeschlagen hat. Die Probe aufs Exempel lässt sich in Jer 7,21 ff. und vor allem in Jer 11 machen: der prophetischen Erinnerung an die Worte dieses Bundes ‫דברי הברית הזאת‬ (so Jer 11) am Tag der Herausführung (Jer 11,4 par.  7,22). „Was […] Mose auf den Gefilden Moabs predigt, wird hier, unter dem Einfluß der prophetischen Ambitionen, zeitlich und örtlich genauer an den Mann gebracht.“246 In Fortführung eines älteren Prophetenwortes (Jer 7,21b),247 das in seiner eigenständigen Form wohl als sarkastische Polemik gegen selbstbewusstes Vertrauen auf einen durch fortgesetzten Ungehorsam pervertierten Opferdienst gemeint war, betont die an Jeremias Zeitgenossen adressierte Jhwh-Rede in Jer 7,22–23, den Vätern (‫ )אבותיכם‬habe Jhwh beim Exodus (‫)ביום הוציאי אותם מארץ מצרים‬248 nichts bezüglich Brand- oder Schlachtopfern geboten, sondern dieses Wort (‫)הדבר הזה‬: ‫שמעו בקולי‬ ‫והייתי לכם לאלהים‬ ‫ואתם תהיו־לי לעם‬ ‫והלכתם בכל־הדרך אשר אצוה אתכם‬ ‫למען ייטב לכם‬ Hört auf meine Stimme, so will ich für euch Gott sein, und ihr, ihr sollt mir zum Volk sein. Wandelt stets auf dem Weg249, den ich euch gebiete, damit es euch gut geht.

Aber die Väter hörten nicht darauf (V.  24), noch weniger, trotz unermüdlicher prophetischer Ermahnung, ihre Nachkommen bis auf die gegenwärtige Generation

245 

S. o., Kap. IV.4. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 16, über Jer 11. 247  Statt vieler s. Duhm, Das Buch Jeremia, 80, und Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 78–79. 248  So mit dem Qere. 249  LXX: ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς μου. 246 So

5.  Der deuteronomistische Jeremia

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(V.  25–26),250 sodass Jeremia gleichsam als letzter Prophet seine Zeitgenossen251 mit der Feststellung konfrontieren muss:252 Dies ist das Volk (hier: ‫)גוי‬, das nicht gehört hat auf die Stimme Jhwhs, seines Gottes (V.  28).253 Ist dieser Stoff in Jer 7 als Teil einer mehrgliedrigen Anklage dargestellt, so wird er in Jer 11 in eigenständiger Form (vgl. V.  1) entfaltet.254 Christl Maier hat treffend von der Jeremia aufgetragenen „Bundesrede“ gesprochen.255 Die Anlage als ausführliche, für sich stehende Einheit und deren konkrete Umsetzung bedingen etliche Unterschiede gegenüber der Parallelüberlieferung. Zu nennen sind neben der charakteristischen Angabe die Worte dieses Bundes256 vor allem folgende Punkte: Die mit ‫ שמעו בקולי‬selbstredend implizierte257 Forderung ‫ ועשיתם‬wird in V.  4a explizit er250  Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 92–95.109–112, hält V.  25–26 für einen Nachtrag zu V.  22–24. Doch zwingt der traditionsgeschichtliche Befund (Prophetenaussage) nicht zu diesem Urteil, und das treffend benannte Problem der unklaren Personalisierung in V.  26b löst sich so oder so nicht. Zumal angesichts der, wie die Textgeschichte lehrt (vgl. BHS app. crit. zu V.  25a.b, auch 28b), in diesem Fall eng begrenzten Möglichkeiten zur literarhistorischen Rekonstruktion mag es sich eher anbieten, die Unklarheit, wenn nicht mit Duhm, Das Buch Jeremia, 83, dem Schreiber, dann jedenfalls den Abschreibern in Rechnung zu stellen. 251  Dass die Identifikation von V.  28 auf Jeremias Zuhörer gemünzt ist, kann im Kontext kaum zweifelhaft sein. Wie sie ursprünglich eingeleitet wurde, lässt sich nach der Überarbeitung des Vorkontextes (zu V.  27 s. u., Anm.  252, zur Diskussion um V.  25–26 oben, Anm.  250) nicht mehr mit hinreichender Sicherheit sagen. 252  Die Einleitung V.  27 fällt aus dem Duktus dieser Ansprache und fehlt in LXX. Es dürfte sich um einen Nachtrag handeln. – Was LXX Jeremia anlangt, so gehe ich mit den bekannten Argumenten von Gerald Janzen, Emanuel Tov, Hermann-Josef Stipp und anderen davon aus, dass die Rekonstruktion ihrer hebräischen Vorlage in der Regel (!) auf eine ältere Ausgabe des Jeremiabuches führt (vgl. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, 286–294; s. auch unten, S.  172–173). Diese globale Einschätzung gilt es indes je und je lokal zu prüfen. Wo immanente literarische beziehungsweise literarkritische Beobachtungen mit dem LXX-Befund korreliert werden können, ergeben sich so besonders belastbare Anhaltspunkte für die literargeschichtliche Analyse. 253  Zur Auslegung des Wortes („like an epitaph“) s. Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 263, und Fischer, Jeremia 1–25, 315; vgl. dazu auch die Fortsetzung in V.  29! 254  Angesichts des mehrfach erheblich gestörten Leseflusses (vgl. vor allem V.  2a und 7–8* in ihrem jeweiligen Kontext) fällt es schwer, Jer 11 als Text aus einem Guss zu lesen, wie dies von Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 15–18 (vgl. aber zu V.  7 a. a. O., 16), und Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 139–157, bis zu Otto, Der Pentateuch im Jeremiabuch, 274–280, unter verschiedenen Vorzeichen immer wieder versucht worden ist. Andererseits scheinen mir gegenüber vergleichsweise kleinteiligen Schichtenanalysen, wie sie etwa Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 73–75, und Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 165–205, vorgelegt haben, zur Rekonstruktion der formativen Fassung der Einheit behutsamere literarkritische Operationen ausreichend; vgl. die Hinweise im Folgenden. 255  Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 165. Die Bezeichnung trifft nach Maiers Analyse noch nicht die von ihr rekonstruierte exilische Grundschicht, sondern erst die nachexilische Neufassung von Jer 11. 256  Wie V.  2a belegt, konnte sie (sekundär, wie mit Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 73, und anderen zu vermuten ist) als eine Art Überschrift aufgefasst werden (Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 16: „Thema-Angabe des Stücks“). 257  Zur Idiomatik der Wendung ‫ ׁשמע בקול יהוה‬s. u., S.  158 mit Anm.  306, zur vorliegenden Stelle Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 353.

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

hoben258 und wiederholt angemahnt (V.  6); dem entspricht die nachdrückliche Einschärfung … ‫( ארור האיש אשר לא‬V.  3b), von Jeremia mit Amen bekräftigt (V.  5b; vgl. Dtn 27,15 ff.); anstelle des generischen damit es euch gut geht (Jer 7,23b) steht eine spezifischere, durch den Topos des Verheißungslandes konkretisierte Angabe (Jer  11,5a);259 der beklagte Ungehorsam wird unter dem Stichwort ‫ קשר‬näher beschrieben und zugleich umfassend generalisiert, nämlich als Bundesbruch der Häuser Israel und Juda (V.  9–10); und entsprechend ergeht eine regelrechte Gerichtsankündigung bezüglich der gegenwärtigen Judäer (V.  11–12.13 ff.260).261 Trotz dieser Unterschiede hat man den Befund mit Recht als „eine der auffallendsten Mehrfachüberlieferungen“ des Jeremiabuches bezeichnet.262 Außer der Kommunikationssituation (Jhwh-Wort, das Jeremia judäischen Adressaten mitteilen soll) fallen als wesentliche Übereinstimmungen zwischen Jer 7,21 ff. und Jer 11 ins Auge: Zunächst und vor allem dieses Wort respektive die Worte dieses Bundes selbst, beste258  Der Bezug der Objektangabe ‫ אותם‬ist innerhalb der zitierten Rede unklar, zugleich lässt sich unschwer vermuten, mit welcher Absicht ein Abschreiber sie eingefügt haben könnte: nämlich als Rückverweis auf die – augenscheinlich im Sinne konkreter Einzelgebote aufgefassten – ‚Bundesworte‘ aus der Einleitung V.  3b. Dem entspricht, dass LXX kein Äquivalent bietet. So dürfte der Satz ursprünglich mit absolut gebrauchtem ‫ עשׂ ה‬formuliert gewesen sein. Der Befund bietet indes keinen Anlass, mit dem Objekt auch das Verb zu streichen, wie Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 74, es getan hat. 259  Formuliert ist sie unter Bezug auf einen Schwur Jhwhs gegenüber euren Vätern. Für sich betrachtet, kann Jer 11,4–5 die Frage aufwerfen, ob der ‫למען‬-Satz V.  5a noch als Teil der zitierten Bundesworte oder aber als Fortsetzung der Zitateinleitung von V.  4a verstanden werden soll; dies vor allem deshalb, weil sich nur in letzterem Fall die gleichlautende Bezeichnung Väter in V.  4a und V.  5a auf dieselbe Größe, nämlich die erste Exodus-Generation, beziehen lässt (zur Diskussion s. Römer, Israels Väter, 424, und Gross, Zukunft für Israel, 118). Dass diese Lösung syntaktisch jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, hat Walter Groß mit dem Vergleichsbeleg Gen 37,22 gezeigt (ebd.). Hinsichtlich der Frage nach den Vätern gibt er freilich zu bedenken, dass der Verfasser ausweislich des aktualisierenden ‫ כיום הזה‬gerade nicht auf eine ‚historisch‘ differenzierende Darstellung Wert legte (ebd.; Römer, Israels Väter, 425, rechnet mit einem Nachtrag); sonst hätte er hier (wie auch andernorts) unmissverständlicher formulieren müssen. Den Ausschlag dafür, Jer 11,5a noch als Teil des Zitats aufzufassen, gibt aber vor allem der Vergleich mit Jer 7,23. 260  In V.  15–16 dürfte ebenfalls älteres Spruchgut verarbeitet sein, vgl. Duhm, Das Buch Jeremia, 111–112; Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 156; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 202. 261  In der vorstehenden Durchsicht sind V.  7–8* (ausgenommen lediglich ‫ ולא עשו‬V.  8fin) nicht berücksichtigt. Sie verdanken sich aller Wahrscheinlichkeit nach einem späten Nachtrag. Dafür spricht in erster Linie ihr ganz eigener Skopus, nach dem Jhwh seine Fluchdrohung – hier werden mit alle Worte dieses Bundes die einschlägigen Passagen des Deuteronomiums evoziert – bereits in die Tat umgesetzt hat, denn er sprengt den Rahmen der fiktiven Kommunikationssituation (wenn nicht die Katastrophe des Nordreichs gemeint sein sollte, wie Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 229–230, erwägt, wofür aber deutliche Hinweise fehlen); so etwa auch Wanke, Jeremia, Bd.  1, 121. Umgekehrt lässt sich die lapidare Feststellung Aber sie taten (sie) nicht in V.  8fin nahtlos an die entsprechende Aufforderung Hört die Worte dieses Bundes und tut sie! in V.  6 anschließen. Diese immanente literarkritische Analyse erfährt wiederum Bestätigung durch die mutmaßlich ältere Fassung der LXX, in der just der problematisierte Wortlaut fehlt. 262 So Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 77. Er bezieht sich dabei zwar nur auf Jer 7,22– 23 par.  11,4, verweist aber auf die beide Perikopen im Ganzen berücksichtigende Synopse bei Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 149.

5.  Der deuteronomistische Jeremia

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hend jeweils aus doppelt formulierter Verpflichtung, doppelter Bundesformel und mit ‫ למען‬eingeleiteter Zielangabe; sowie die konstitutive Verbindung dieser Worte mit Jhwhs grundlegender Heilstat (Tag der Herausführung); dann die Feststellung, dass Israel der darin ausgesprochenen Gehorsamsforderung nicht gerecht geworden ist; und dies, argumentativer Skopus des Ganzen, nicht nur in Person der ersten Adres­saten, sondern auch und erst recht durch die gegenwärtig Angesprochenen. Unbeschadet der für das Jeremiabuch insgesamt kompositionsgeschichtlich zu klärenden Frage nach den Parallelüberlieferungen scheint es daher nicht geraten, Jer 7,21 ff. und Jer 11 allzu kontrastiv zu profilieren, um nicht zu sagen: gegeneinander auszuspielen.263 Vor uns liegen zwei „je eigenständige Darlegungen“ eines Themas: „des mit dem Exodus begründeten Gottesverhältnisses Israels.“264 Wenn diese Darlegungen hier unter die Überschrift „der deuteronomistische Jeremia“ gestellt werden, mag dies vorderhand freilich mehr Fragen aufwerfen als es beantwortet. Dass beide Texte bei allem eigentümlich ‚jeremianischen‘ Kolorit 265 einen unverkennbar deuteronomistischen Eindruck machen, darüber lässt sich leicht Einvernehmen herstellen,266 sehr viel schwerer indes über die Frage, was genau das bedeutet.267 263  So aber Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 77–78. Bei der Aufnahme des seines Erachtens älteren („deuteronomischen“, vgl. a. a. O., 80) Textes Jer 7,22–23 in 11,4 sei der Verheißungszugunsten des Forderungscharakters gemindert worden. Anstelle von: „Hört auf meine Stimme, so will ich euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein“ (so Levins Übersetzung von Jer 7,23, a. a. O., 78) werde in Jer 11,4 gefordert: „Hört auf meine Stimme und seid mein Volk, so will ich euer Gott sein“ (ebd.; im Original ohne Hervorhebung). Aber ob ‫ והייתם לי לעם‬überhaupt zutreffend als Forderung verstanden werden kann, steht nicht allein angesichts der einschlägigen Parallelen der doppelten Bundesformel infrage. Schon im Kontext von Jer 11,4 liegt es entschieden näher, die Aussage als ersten Teil einer zweiteiligen Verheißung (Volksein Israels für Jhwh, Gottsein Jhwhs für Israel) aufzufassen, die auf eine zweifach formulierte Forderung (Hören und Tun; deren zweiten Teil hat Levin zuvor freilich ohne triftigen Grund literarkritisch eliminiert, s. a. a. O., 74, und dazu oben, Anm.  258) folgt. Zur Diskussion s. ferner Biberger, Hört auf die Worte dieser Berit, 135–141, der Levins Deutung auf eine Minderung der Verheißung in Jer 11 zwar zurückweist, zugleich aber seinerseits Jer 11,3–5 als durch die Auseinandersetzung mit Dtn 27 ausgelöste Weiterentwicklung von Jer 7,22– 23 erklären möchte, wobei er mit subtilen Detailbeobachtungen argumentiert, Jer 11,4 ‚überbiete‘ Dtn 27,9–10. Demgegenüber empfiehlt es sich meines Erachtens in methodologischer Hinsicht, konsequenter mit variablem Gebrauch der deuteronomistischen Formelsprache, wie er zumal innerhalb ein und desselben literarischen Kontextes nur zu erwarten ist, zu rechnen und daher, statt aus Unterschieden im Detail auf grundlegende theologische Verschiebungen zu schließen, umgekehrt solche mutmaßlichen Verschiebungen, so sie sich anderweitig wahrscheinlich machen lassen (zum Beispiel durch Beobachtungen zu Aufbau und Skopus, Kontext, Pragmatik etc.), an den Details der Gestaltung zu prüfen. 264 So mit Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 108 (dort im Kontext eines Vergleichs von Jer 7,22–23 und 11,4, a. a. O., 107–108). 265  Man denke nur an die Rede vom Tag der Herausführung (zur Idiomatik s. u., S.   159 mit Anm.  315), außer Jer 7,22 und 11,4 (11,7) noch in 31,32; 34,13. Vgl. Dtn 29,24; 1 Kön 8,9.21. 266  Beide wurden von Mowinckel, Zur Komposition des Buches Jeremia, zu seiner Quelle C gerechnet. Für die neuere Forschung sind die von Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 121–128 bzw. 139–157, geltend gemachten Gründe maßgeblich geworden. Vgl. etwa Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 48–136 bzw. 165–205, mit eingehender Diskussion und Literatur. 267  Instruktive forschungsgeschichtliche Überblicke bieten Fischer, Jeremia, und Liwak, Vier-

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IV.  Die konditionale Struktur des Bundes nach der deuteronomistischen Konzeption

Zunächst und grundlegend gilt es mit der jüngeren Forschung, zwischen deuterojeremianischem Material insgesamt 268 und der deuteronomistischen Redaktion (Redaktionen) des Buches zu unterscheiden.269 Wenn, wie auch in der vorliegenden Untersuchung, mit einem deuteronomistisch bearbeiteten Jeremiabuch gerechnet wird,270 sind entsprechende Zuweisungen sodann nicht allein sprachlich, sondern auch und gerade sachlich zu begründen. Angesichts der sogar ‚empirisch‘, nämlich durch den Vergleich der beiden divergenten Ausgaben des Buches belegbaren Tatsache, dass in einwandfrei deuteronomistischer Diktion gehaltene Passagen noch als jüngste Zusätze zu der erweiterten masoretischen Ausgabe des Buches angebracht werden konnten,271 mehr noch, dass Texte, die in durch und durch deuteronomistischer Sprachgestalt daherkommen, hinsichtlich Inhalt und Aussageabsicht als anti-deuteronomistisch bezeichnet werden können, ist hier besondere Aufmerksamkeit geboten. Dafür hat spätestens Konrad Schmid den Blick geschärft.272 Thematisch-sachlich nach dem ‚deuteronomistischen‘ Charakter von Jeremia-Texten zu fragen, darf freilich nicht heißen, sie schlicht über den Leisten des Deuteronomismus im Deuteronomium und den Vorderen Propheten zu schlagen. Vielmehr gilt es, die Frage nach dem spezifischen Profil der ‚jeremianischen‘ Deuteronomisten offen zu halten.273 Vor diesem Hintergrund setze ich als thetische Einschätzung, die ihre Begründung in der folgenden Untersuchung findet, voraus, dass Jer 7,21 ff. und Jer 11 als deuteronomistische Texte anzusprechen sind. In beiden Fällen, vor allem für das Zentralkapitel Jer 11, das er auf eine Linie mit der Perikope vom neuen Bund in Jer 31,31–34 bringen möchte, hat dies Konrad Schmid zwar gerade bestritten.274 Aber der Grund, den er dafür ins Feld führt, nämlich dass jeweils „die Landgabe an Israel als trotz dessen Ungehorsam erfolgt“ angesehen wird, 275 kann entkräftet werden.276 Wo genau beide Texte innerhalb der deuteronomistischen Bearbeitung des Buches einzuordnen sind und was sie zu der Frage nach einem spezifisch ‚jeremianischen‘ Deuteronomismus beizutragen vermögen, steht dabei nicht zur Debatte.277 Im Gegenteil: Insofern die Probe aufs Exempel, die das vorliegende Kapitel im Ganzen darstellt, die im Deuteronomium herausgearbeitete konditionale Struktur des Bundes sozusagen via negationis daraufhin prüft, ob ihr die einschlägigen Belege in Jeremia widersprechen, ist ihr Ergebnis umso aussagekräftiger, je eigenständiger sich letztere in anderen Hinsichten erweisen. zig Jahre Forschungen zum Jeremiabuch, ferner auch Römer, Is there a Deuteronomistic Redaction in the Book of Jeremiah, 399–406; ders., The Formation of the Book of Jeremiah, 168–171. 268 Vgl. Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches, 296 und passim. 269  S. dazu jetzt vor allem Stipp, Formulaic Language and the Formation of the Book of Jere­ miah; Maier, The Nature of Deutero-Jeremianic Texts. 270  Vgl. zuletzt Stipp, Apologetik, Propaganda, Rivalitäten, Abschnitt VI. 271  Vgl. oben, Anm.  252, und für ein Beispiel Anm.  261. 272  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches. Zu dem rezeptionsgeschichtlich besonders prominenten Fall von Jer 31,31–34 s. ausführlich unten, Kap. V.3, in Auseinandersetzung mit Schmid und Walter Groß. 273  Vgl. dazu nun vor allem Mastnjak, Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah. 274  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 295–300.347–348. 275  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 347, Anm.  686 (Hervorhebung im Original). 276 S. dazu im Folgenden, S.   156. Vgl. auch Gross, Zukunft für Israel, 141, Anm.  34, gegen Schmid: „Jer 11 enthält […] nichts, was über dtr Vorstellungen hinausginge.“ 277  Auch wenn die Texte gerade für letztere Frage in der Tat ergiebig erscheinen; s. u., S.  158, zu einer möglichen Konkurrenz zwischen der von Mose verkündeten Tora und weitergehender prophetischer Verkündigung.

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Als Kontrollbeleg für unsere Untersuchung der Paränese im Deuteronomium drängen sich Jer 7,21 ff. und Jer 11 aber nicht allein deshalb auf, weil sie demselben Tradi­ tions­k reis zuzurechnen sind, sondern vor allem, weil sie denselben Gegenstand in den Blick nehmen:278 den im kollektiven Gedächtnis mit dem Erinnerungsort Sinai beziehungsweise Horeb assoziierten Bund Jhwhs mit seinem Volk Israel und dessen konditionale Struktur. Dementsprechend überrascht es nicht, dass sich die einschlägige Diskussion hier ganz ähnlich darstellt wie dort. So notiert etwa Rolf Rendtorff zu Jer 7,23 das Problem (um es zu entkräften): Dass die Gehorsamsforderung vor der Bundesformel steht, „klingt fast wie eine Voraussetzung oder gar Bedingung, die erst erfüllt sein muß, bevor Jhwh Israels Gott werden kann und will“.279 Ernst Kutsch hatte dies für Jer  11,3–4 entschieden bejaht: „Auch hier ist“ – ebenso wie seines Erachtens in Ex 19,5 – „das Hören, das Befolgen der berît Voraussetzung des Bundesverhältnisses.“280 Und im Blick auf die Konkretion der Verheißung durch das Verheißungsland in Jer 11,5 schrieb schon Peter Diepold: „Der Bund ist der Landnahme vorgeordnet und zwar im theologischen Sinne: die Erfüllung der Bundesverpflichtungen ist die Bedingung für Landnahme und Landbesitz. […] Diese sachliche Vorordnung von Bund gegenüber dem Land bedeutet: das Halten des deuteronomischen Gesetzes […] ist die conditio des Landbesitzes. Wenn Israel diese Gebote Jahwes hält, dann wird es Jahwes Volk sein […], und erst dann wird die den Vätern zugeschworene Gabe des Landes für Israel Wirklichkeit werden können […].“281 Dabei nehmen die Jeremia in den Mund gelegten Jhwh-Worte in Jer 7 und 11 allerdings, was erstaunlicherweise wenig beachtet wird, ihrer literarischen Einbettung entsprechend eine ganz andere Perspektive ein als die Mose-Rede am Vorabend der Landnahme: nämlich die des Rückblicks. Besonders anschaulich zeigt sich dies wiederum am „concretum“ Land.282 Konnten wir im Deuteronomium feststellen, dass der von Israel geforderte Gehorsam keine Vorleistung darstellt, die zum Einzug in das Land berechtigte, so mussten wir uns den unverstellten Blick darauf erst verschaffen, indem wir die dominierende Erzählfiktion der unmittelbar bevorstehenden 278  Allerdings, und das wird sich als besonders aufschlussreich erweisen, ihn aus einem anderen Winkel in den Blick nehmen. 279  Rendtorff, Die ‚Bundesformel‘, 36. 280  Kutsch, Gesetz und Gnade, 30; angeführt zur Begründung der Auffassung, dass mit ‫ ברית‬im jeweiligen Kontext nicht das Verhältnis selbst gemeint sein kann. Vgl. auch, unter Verweis auf Smend, Die Bundesformel, 29, Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 187: „Das in Jer 11,4 umschriebene Verhältnis folgt […] erst aus der Einhaltung der Verpflichtung seitens des Volkes […].“ Maier geht es wie schon Kutsch darum, das Bundesverhältnis selbst von der Verpflichtung zu unterscheiden. Dass diese Differenzierung in der Tat von entscheidender Bedeutung ist, wird sich im Folgenden noch zeigen. Hier interessiert indes die von Maier, Kutsch, aber auch den allermeisten anderen Auslegern wie selbstverständlich vorausgesetzte Auffassung der Verpflichtung im Sinne einer Vorbedingung des Verhältnisses. 281  Diepold, Israels Land, 157 (Hervorhebungen im Original). 282  S. o., S.  140, und die dort angeführte Argumentation von Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, 105.

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Landnahme einmal bewusst ausgeklammert haben. In Jer 11 durchdringen sich „abstractum“ (Bund) und „concretum“ (Land) in ähnlicher Weise (V.  5a). Aber hier ist, anders als in der Fabel des Deuteronomiums, die Landgabe längst geschehen, sodass wir sie retrospektiv in den Blick bekommen (‫)כיום הזה‬. Auf diese umgekehrte Perspektive weist Konrad Schmid (im Anschluss an ­Christoph Levin) mit Recht hin, und seine von dieser Beobachtung ausgehende Problemskizze führt geradewegs ins Zentrum unserer Fragestellung.283 Schmid bemerkt, dass Jer 11,1–5 auf Israel bereits gewährte Heilsgaben zurückblickt: „Der Schwur der Landgabe […] ist in seiner Erfüllung nicht mehr ausstehend und an Bedingungen geknüpft, sondern in Tat und Wahrheit bereits erfüllt“.284 Die Gleichsetzung von „ausstehend“ und „an Bedingungen geknüpft“ belegt dabei nur, was auch sonst allgemeinem Usus entspricht, nämlich die wie selbstverständlich vorgenommene Festlegung der konditionalen Funktion auf die einer Vorbedingung. Zustimmend zitiert Schmid die Bemerkung Levins: „Da ist nichts mehr aufzurichten.“285 Demgegenüber leite die Darstellung Lothar Perlitts auf eine falsche Fährte. Dieser beschrieb Jer 11 als „Verknüpfung der dt Predigt mit dem dtr Fazit“, nach dem Schema: Hört! (V.  2–6) – aber sie hörten nicht (V.  8–10) – lāken … (V.  11–12).286 Die Darstellung leite deshalb auf eine falsche Fährte, so Schmid, weil schon die Erfüllung der Landverheißung „erfolgte trotz der Bedingung, an die sie geknüpft war“.287 „Die Gesetzespredigt in Jer 11 ist damit in gewisser Weise disfunktionalisiert [sic].“288 Dem ist zu entgegnen: Sie wäre dysfunktionalisiert, wenn die Funktion tatsächlich als Vorbedingung zu bestimmen wäre. Wenn es sich hingegen um eine Bedingung für das Bleiben im Land handelt, dann illustriert Jer 11 geradezu idealtypisch die konditionale Struktur des Bundes, wie sie uns bereits im Deuteronomium begegnet ist.289 Schmid fährt fort: „Die Landgabe ist nicht aufgrund des ‚Hörens‘ erfolgt, sondern Jhwh hat sich selbst, trotz des ‚Nicht-Hörens‘ an seinen Schwur gebunden.“290 In der Tat: nicht aufgrund des Hörens! Aber anders, als Schmid argumentiert, ist dies nicht Ausweis der Dysfunktionalität der Gesetzespredigt, sondern im Gegenteil Beleg dafür, wie sie beziehungsweise die Bedingung, die sie in Erinnerung ruft, funktioniert. Das jedenfalls soll im Folgenden gezeigt werden. Zuvor nötigt die neuere Forschung jedoch, nach dem Inhalt dieser ‚Predigt‘ zu fragen. Denn seit Levins auch in dieser Hinsicht wirkmächtigen Untersuchung steht die These im Raum, ursprünglich sei sie als ganz generelle, gar nicht durch konkrete Gebote gefüllte Gehorsamsforderung ergangen. Der prophetische „Keulenschlag“ 283 

Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297, unter Verweis auf V.  5a fin. 285  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 77. 286  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 16. 287  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297 (Hervorhebung im Original). 288  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297. 289  S. o., Kap. IV.4. 290  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297. 284 

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von 7,21b291 erfahre, so Levin, in 7,22–23 eine nachträgliche Begründung, und zwar durch eine deuteronomische (!) Paränese, die in eine bedingte Verheißung münde.292 Dieser ‚deuteronomische‘ Text habe jedoch „erstaunlicherweise eine antideuteronomische Pointe“:293 „Er sucht die Addition gesetzlicher Einzelvorschriften zu überwinden zugunsten der Generalforderung Jahwes: ‚Hört auf meine Stimme und geht auf dem Wege, den ich euch immer gebieten werde!‘ Dabei ist eine neue Art des Gehorsams geboten: An die Stelle der Beobachtung einer Anzahl von Vorschriften, die für den bestimmten Einzelfall gelten, tritt eine umfassende Grundhaltung vor Gott.“294 Ziel dieser „Generalklausel“ sei es, mit der „neue[n] Gehorsamshaltung“ „die Bedingung des Verhältnisses zwischen Jahwe und seinem Volk“ anzugeben.295 Nachdem das ‚natürliche‘ Gottesverhältnis verspielt ist, wie das umfassende ‚Nein‘ von V.  21b296 bezeuge, gehe es dem Verfasser von V.  22–23 darum, die Beziehung theologisch neu zu begründen297 – und er begründe damit zugleich die Bundestheologie im Alten Testament.298 So tritt nach Levin das Hauptgebot an die Stelle des Gesetzes: „‚Hört auf meine Stimme!‘ Diese grundlegende Haltung, die von jetzt an statt des Gesetzes gelten soll, ist der Bundesglaube.“299 Doch ob ‚Bundesglaube‘, Hauptgebot oder Generalforderung – es muss ja entfaltet werden! Gewiss ist Israel aufgefordert, auf Jhwhs Stimme zu hören und ihm gehorsam zu sein. Aber wie? Auf welche Weise? Worin soll der geforderte Gehorsam konkreten Ausdruck gewinnen?300 Auch Levin sieht dieses Problem, er nennt es „[d]ie Notwendigkeit des Gesetzes“: „Die Schwierigkeit, die sich aus dem neuen Hauptge291 

Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 79. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 80. Entschieden setzt Levin diese Paränese von der typisch deuteronomistischen „deutende[n] Konfrontation […] mit der Geschichte Israels und Judas“ ab (ebd.; Hervorhebung im Original). 293  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 80. 294  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 81. 295  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 81. 296  Zu dieser Interpretation von Jer 7,21b s. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 79. 297  Levin hält sich an Wellhausen und Perlitt: Am Anfang stand ein natürliches Verhältnis zwischen Gott und Volk, nach dessen prophetischer Bestreitung musste es theologisch wiederhergestellt werden. Vgl. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 415–417, und Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 114. 298  Vgl. dazu auch Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament. 299  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 88 (Hervorhebung im Original). Es gewinnt vor diesem Hintergrund einen besonderen Klang, wenn Erik Aurelius, dem wir die eingehendste Untersuchung der Wendung ‫ ׁשמע בקול יהוה‬im (weiten) deuteronomistischen Traditionskreis verdanken (Aurelius, Zukunft jenseits des Gerichts, 100–110), Jer 7,23 in Anspielung auf Lk 10,41–42 kommentiert: „Israel hat viel Sorge und Mühe gehabt, aber nur eines war notwendig: auf die Stimme Jhwhs zu hören.“ (a. a. O., 109). Zu der von Aurelius angenommenen redaktionsgeschichtlichen Zentralstellung von Jer 7,23 (gemeinsam mit 7,28 habe der Vers das Vorbild abgegeben für die in Ex 19,3b–8 und 2 Kön 18,12 wahrgenommene Rahmung der „großen Geschichte“ des Enneateuch) s. a. a. O., 106–107 (das Zitat a. a. O., 106). 300  Wenn man so fragt, muss jedenfalls in Jer 11 auffallen, dass zugleich mit dem Hören auch schon vom Tun die Rede ist: 11,4a.6b.8bfin; besonders eingehend dann in dem Nachtrag 11,7–8*. Für Jer 7,23 ist immerhin auf die längere Fassung der LXX (καὶ πορεύεσθε ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς μου) zu verweisen. 292 

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bot ergeben mußte, liegt auf der Hand. Es bestimmt die grundsätzliche Haltung vor Gott, entbehrt aber jeder näheren Bestimmung […]. Eine solche Aufforderung mag in der Predigt einleuchtend klingen; doch taugt sie nicht für das Leben. […] Angesichts dessen erweist die Überwindung des Gesetzes zugunsten des Hauptgebots sich als abstraktes theologisches Postulat. Soll das Hauptgebot für das Leben wirksam werden, bedarf es der Füllung durch bestimmte Normen.“301 Er resümiert: „Die Überwindung des Gesetzes drängt alsbald zum Gesetz zurück. Aus dem Weg, ‚den ich euch immer gebieten werde‘ (Jer 7,23), wird der Weg, ‚den Jahwe, euer Gott, euch geboten hat‘ (Dtn 5,33).“302 Christl Maier kehrt die literarhistorischen Vorzeichen um. Ausgehend von der Beobachtung, dass ‫ ׁשמע בקול יהוה‬im deuteronomistischen Deuteronomium standardmäßig auf die Forderung verweist, konkrete Gebote Jhwhs zu bewahren und zu tun, argumentiert sie, in Jer 7,23 und ebenso in 11,4.7 sei „der Inhalt des durch die JHWH-Stimme Gebotenen nicht genau bestimmt, sondern einer zukünftigen Mitteilung seitens JHWHs überlassen.“303 Maier interpretiert dies als „Weiterentwicklung“ der besagten Belege im Deuteronomium.304 Ob ‫ ׁשמע בקול יהוה‬in Jer 7 und 11 tatsächlich in diesem Sinne zu deuten ist oder – so die prinzipielle Alternative – die Wendung wie im deuteronomistischen Deuteronomium selbst als Breviloquenz für die eben dort, nämlich im Torabuch des Mose305 kodifizierte Gehorsamsforderung fungiert,306 ist von Interesse im Blick auf das spezifische Profil des Deuteronomismus im Jeremiabuch.307 Wichtiger für die hier verfolgte Fragestellung ist jedoch, dass die Stimme Jhwhs für eine konkrete Gehorsamsforderung steht, ob sie im Torabuch des Mose laut wird oder je und je in prophetischer Wegweisung, dass also – noch einmal mit Levins Kunstwort – selbst ein ‚Bundesglaube‘ der inhaltlichen Bestimmung bedarf. In jedem Fall auszuschließen ist dagegen eine Deutung von ‫ דברי הברית הזאת‬in Jer 11,3b (6b; 2a) als Bezeichnung des deuteronomistischen Deuteronomiums, sozusagen als dessen Titel-Zitat, wie sie aufgrund von 2 Kön 23,3 (vgl. auch Dtn 28,69; 29,8) immer wieder versucht worden ist.308 Vielmehr ist mit die Worte dieses Bundes in der Einleitung (!) Jer 11,3b, der deiktischen 301 

Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 89. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 89 (Hervorhebung im Original). 303  Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 107. 304  Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 108. 305  Um hier bewusst mit der Selbstbezeichnung des deuteronomistisch edierten Deuteronomiums zu sprechen. 306  Dort dient die Wendung als geprägte „Chiffre für die Befolgung seiner [sc. Jhwhs] Gebote“ (Rüterswörden, Art. ‫·שָ ַמע‬, 267; vgl. auch Kedar-Kopfstein, Art. ‫קוֹל‬, 1251), wie besonders schön an Dtn 26,17; 27,10 und 28,1.15 abzulesen ist. Zum charakteristischen Gebrauch in Bedingungssätzen von Segens- und Fluchformularen s. schon Lohfink, Das Hauptgebot, 65, vgl. Sf I B 21–23 (KAI 222); Sf II B 2–4 (KAI 223). 307  S. dazu jetzt vor allem Mastnjak, Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah; vgl. bes. a. a. O., 42–46, zu Jer 7,23 und Dtn 5,33. 308  Zum Problem s. schon Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 16–18, zur Diskussion weiter im Folgenden. 302 

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Funktion des hebräischen Demonstrativums entsprechend, das im unmittelbar folgenden Kontext wörtlich zitierte (‫ )לאמר‬Jhwh-Wort bezeichnet.309 Anders als in 2 Kön 23,3 (und den Belegen im Deuteronomium), wo die Verbindung zwischen den Worten des Bundes und dem Buch, in dem sie geschrieben stehen, überdies explizit benannt wird, kommt kein alternativer Referent infrage. Sollte es eines weiteren Beweises bedürfen, findet er sich in Jer 7,23a: ‫הדבר הזה‬. Es gilt hier also, zwei Fragen auseinanderzuhalten. Zum einen: Was ist mit die Worte dieses Bundes in Jer 11,3b bezeichnet? – Antwort: das in Jer 11,4–5a zitierte Jhwh-Wort. Zum zweiten: Worauf bezieht sich dieses Jhwh-Wort? – Antwort mit der oben umrissenen Diskussion: entweder auf die von Mose einmal verkündete Tora, also das deuteronomistische Deuteronomium, oder aber auf eine im Anschluss an den Erzpropheten weitergehende prophetische Verkündigung.

So oder so kommt man nicht um die alte Frage herum, die bislang bewusst aus­ geklammert worden ist: welcher Bund in Jer 11 gemeint sei. Unter den im Raum stehenden Vorschlägen fällt der Blick im hiesigen Zusammenhang zunächst auf den so genannten Josiabund als Verpflichtung auf das Deuteronomium.310 Was für diesen Vorschlag sprechen könnte, haben wir gerade gesehen. Abgesehen von der Erwartung, es müsse sich, wenn nicht für den Propheten Jeremia, so wenigstens für seinen deuteronomistischen Wiedergänger eine Verbindung mit der josianischen Reform feststellen lassen, ist es im Wesentlichen die Wortlautparallele, die die Wendung ‫ דברי הברית הזאת‬in 2 Kön 23,3 findet. Ebenso deutlich ist bereits geworden, was dagegen spricht. Alternativ wird seit Paul Volz vertreten, Jer 11 rufe den Bundesschluss am Sinai in Erinnerung.311 Dafür lässt sich die Umstandsbeschreibung in Jer 11,4 ins Feld führen: ‫ביום הוציאי־אותם מארץ־מצרים‬. Just diese Formulierung wurde, wörtlicher aufgefasst, freilich auch von Siegfried Herrmann in Anspruch genommen für seine These, es sei gerade nicht der Sinaibund gemeint, sondern ein ihm vorausliegender Ägyptenbund.312 Doch scheint die Rede vom Tag der Herausführung (neben Jer 7,22 und 11,4.7 noch in 31,32; 34,13) nicht ein exaktes Datum313 (welcher Tag der Herausführung wäre das?), sondern einen „ereignisorientierten Zeitrahmen“ anzugeben.314 Dafür sprechen neben den genannten Jeremia-Belegen Dtn 29,24 und 1 Kön 8,9.21.315 309  Anders offensichtlich der Nachtrag Jer 11,7–8*, insofern die gleichlautende Angabe hier etwas bezeichnet, das durch das zitierte Jhwh-Wort selbst nicht gedeckt ist (nämlich Sanktionen des Bundes in Gestalt von Fluchdrohungen) – das sich dem Rezipienten allerdings aufdrängen mag (abgesehen davon, dass das Wort tatsächlich, wie gesehen, auf das Deuteronomium verweist, ist an seine Rahmung zu erinnern: ‫)ארור האיש אשר … אמן‬. Ähnlich wie bei der Einfügung von ‫ אותם‬in 11,4a (dazu s. o., Anm.  258) ist die innerbiblische Auslegung hier mit Händen zu greifen. 310  S. zum Beispiel Duhm, Das Buch Jeremia, 107, zur neueren Diskussion Römer, Les ‚anciens‘ pères et la ‚nouvelle‘ alliance. 311  Volz, Der Prophet Jeremia, 130. 312  Herrmann, Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament, 180–181, unter Bezug auf Jer 31,32. 313  In diesem Sinne zuletzt vor allem Rom-Shiloni, The Covenant in the Book of Jeremiah, 157, und ausführlich dies., On the Day I Took Them out of the Land of Egypt. 314  Krause, Exodus und Eisodus, 291; s. ferner Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 93; Mastnjak, Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah, 43, Anm.  26, und schon Duhm, Das Buch Jeremia, 81: „die Zeit des Mose überhaupt.“ 315  Zur Idiomatik von ‫ ביום‬+ Infinitiv (damals, als …) vgl. ferner etwa Gen 2,4b.

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Jüngst ist die Diskussion durch Eckart Otto um eine weitere Variante bereichert ­worden. Unter Aufnahme der Ägyptenbund-These Siegfried Herrmanns möchte er Jer 11,4 als genau kalkulierte Gegendarstellung zu der Gesetzespromulgation in Moab, auf die sich Dtn 29,8 beziehe, profilieren: „Nicht im Land Moab, sondern am Tage des Exodus habe Gott die Bundesurkunde ohne mosaischen Mittler promulgiert. Die mosaisch vermittelte Gottesoffenbarung am Sinai wird übergangen und ein Exodusbund ihr entgegengesetzt.“316 Einen anderen Weg wies schon Lothar Perlitt: „Daß diese ‫ ברית‬beim Exodus keine literarische Vorlage in den älteren Quellen hat, muß niemanden verwundern. Der Verfasser von Jer 11 nimmt es mit der Lokalisierung und Chronologie der ‚Bünde‘ nicht so genau, weil er an einen bestimmten in Wahrheit überhaupt nicht denkt.“317 In der Tat scheint er nicht ebenso genau zu zählen wie viele Exegetinnen und Exegeten. Dies dürfte aber nicht auf seine chronologische Lässigkeit zurückzuführen sein. Eher sind es wohl wir, die zu genau zählen. Das legt zumindest die eingangs dieser Untersuchung vorgeschlagene dreifache Unterscheidung von theologischem Gegenstand, geschichtlicher Einkleidung und literarischer Ausarbeitung nahe.318 Der theologische Gegenstand, von dem der Verfasser handelt, ist demnach die besondere Beziehung, ist der ‚Bund‘319 zwischen Jhwh und seinem Volk. Geschichtlich eingekleidet wird dieser Gegenstand in der biblischen Überlieferung durch die Erzählung (story) vom Bundesschluss am Gottesberg. Diese Erzählung wiederum liegt uns in zwei literarischen Ausarbeitungen vor, in der nicht-priesterlichen Sinaiperikope und im deuteronomistischen Deuteronomium. So betrachtet, geht es in Jer 11 (und 7,21 ff.) um ein und denselben theologischen Gegenstand wie im Deuteronomium und mithin auch am Sinai: um den einen Bund Jhwhs mit seinem Volk. Dass der Verfasser ausweislich seiner distinkten Idiomatik von der literarischen Ausarbeitung im Deuteronomium herkommt und geprägt ist, kann in einem im weiteren Sinne deuteronomistischen Text kaum erstaunen. Anders als dort oder in der Sinaiperikope stecken wir hier aber nicht in der geschichtlichen Einkleidung, sondern ‚Jeremia‘ blickt auf diese zurück. Und in dieser Perspektive erschließt sich nun – um auf die im Gespräch mit Christoph Levin und Konrad Schmid aufgeworfene Frage zurückzukommen – die charak316  Otto, Jeremia und die Tora, 542–544; ders., Welcher Bund ist ewig, 165 (hier auch das Zitat). Vgl. noch Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 93–94, deren Vermittlungsversuch von einem ‚dynamischen Bundesschluss‘ (was ist das?) ausgeht, der die beiden ‚Bünde‘ zu integrieren vermag, im Ergebnis aber einen zusätzlichen Bund zählt: „Die einzelnen Bundesschlüsse mit dem Volk in der Auszugs-Epoche, nämlich am Sinai und in Moab, sind gut als Teile des umfassenden Auszugs-Bundesschlusses verstehbar.“ 317  Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 17 (Hervorhebung im Original). S. auch Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 147–148; ders., HĒFĒR BERÎT, 218– 219, ferner Carroll, From Chaos to Covenant, 96. 318  S. o., S.  20. 319  Zur Problematik dieser Bezeichnung des Gegenstandes und der Art und Weise, wie sie in der vorliegenden Untersuchung verwendet wird, s. o., S.  20–21.

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teristische Art, mit der das heilsgeschichtliche Thema dargelegt wird: als eminent gegenwartsbezogener Anspruch an Jeremias Adressaten. Die Generationen des Bundespartners – seit damals und bis heute – fallen bei dieser Aktualisierung geradezu in eins, und das nicht aus Nachlässigkeit,320 sondern mit Absicht;321 ja, vielleicht sollte man bei aller Programmatik 322 eher von einer Selbstverständlichkeit sprechen. Heißt es von den Vätern, dass sie nicht gehorchten (7,24), so soll Jeremia seine Zuhörer identifizieren mit Dies ist der Goi, der nicht gehorchte (7,28); in der Tat entspricht das Verhalten dieser dem jener (7,26a par.  7,24a).323 Was dem Volk der klassischen Heilszeit geboten wurde (Jer 7,23; 11,4–5a), begründet die prophetische Ansprache an das der Gegenwart (7,21); wie selbstverständlich wird es bei den Männern Judas und Einwohnern Jerusalems angemahnt (11,1–3.6). Mit einem Wort: Dieser Bund (11,3b par.), geschlossen am Anfang der Geschichte Gottes mit dem Volk (11,10bβ), hat Geltung für die Gegenwart. Er steht – ‫( כיום הזה‬vgl. 11,5afin). Ganz anders Adrian Schenker, der bei seiner Auslegung der älteren, Griechisch bezeugten Gestalt von Jer 11 (also im Wesentlichen der auch hier vorausgesetzten Fassung des Textes ohne V.  7–8*) davon ausgeht, dass der Bund schon von den ersten Empfängern gebrochen wurde (so lässt sich V.  10a immerhin deuten), und „[d]araus folgt, dass Juda und Jerusalem jetzt ohne Bund sind!“324 Nun trage Jhwh Jeremia auf, „den Bund neu [zu] proklamieren“, und lade dadurch zur „Neuschließung seines Bundes“ ein.325 Doch wird dies weder dem biblischen Befund zum Thema Bundbrechen noch dem ausgelegten Text gerecht. Was Ersteres angeht, ist daran zu erinnern, dass ‫ – הפר ברית‬ausdrücklich gesagt wird es von den Vätern hier ohnehin nicht! – eben nicht gleichbedeutend ist mit einer Annullierung der Bundesbeziehung.326 Aber selbst wenn man davon absehen beziehungsweise für Jer 11 ad hoc ein abweichendes Verständnis postulieren wollte, scheitert die These am Text selbst. Mit Recht weist Karin Finsterbusch auf den Zusammenhang in V.  9–10 hin:327 Jhwh bestätigt, was Jeremia konstatiert, nämlich dass seine Zeitgenossen den Bund gebrochen haben, 328 das heißt der göttlichen Gehorsamsfor320 Gegen

Duhm, Das Buch Jeremia, 83. Vgl. Dtn 5,2–3 und dazu Stoppel, Von Angesicht zu Angesicht, 99–107: „Radikale Vergegenwärtigung“. 322  Zu der von ihm so genannten deuteronomistische Prophetenaussage in Jer 7,25–26 s. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, 72–73. 323  S. dazu auch Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 186. Sollte die Prophetenaussage in Jer 7,25– 26 sekundär eingefügt worden sein, wie Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, wahrscheinlich zu machen versucht hat (s. o., S.  151 mit Anm.  250), wäre dieser Nachtrag als treffende Interpretation des vorgegebenen Zusammenhangs anzusprechen. 324  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 38 (Hervorhebung im Original). Im Hintergrund steht seine Deutung von LXX Jer 38,32, vgl. a. a. O., 20–25, zustimmend aufgenommen etwa bei Otto, Old and New Covenant, 940; ders., Welcher Bund ist ewig, 167. 325  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 37 (Hervorhebung im Original). 326  S. dazu oben, S.  131–132. Der isolierte, philologisch wie theologisch uneindeutige Wortlaut von LXX Jer 38,32 scheint demgegenüber schwerlich geeignet, die Last einer sonst nie belegten „Theologie der drei Bundesschlüsse“ (Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 38) zu tragen; s. Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘. 327  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94. 328  Zur Rede vom Haus Israel neben Juda s. Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94. 321 

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derung nicht gerecht geworden sind. Die Gültigkeit des Bundes wird dabei vorausgesetzt, 329 was kaum deutlicher illustriert werden könnte als durch die ab V.  11 folgende Gerichtsankündigung. So ergibt es „keinen Sinn, den Jeremia gebotenen Höraufruf […] als […] Neuschließung des Bundes zu deuten.“330 Vielmehr ist er „als eindringliche Vergegenwärtigung des Auszugs-Bundesschlusses zu verstehen mit dem Ziel, die judäischen Zeitgenossen zu bewegen, der bleibend gültigen Bundesverpflichtung nachzukommen.“331

Daraus folgt aber: Aufgabe der „Gesetzespredigt“ (Konrad Schmid) ist und kann nur sein, die Bedingung für das Bleiben im Bund in Erinnerung zu rufen. Wenn es irgend­einen Sinn ergeben soll, dass ‚Jeremia‘ dasselbe Wort, das den Vätern der klassischen Heilszeit geboten wurde, seinen Zeitgenossen als ungebrochen gültig vorhält, dann kann seine Pragmatik nur darin liegen, die Bewährung an der vorgängig geschlossenen Beziehung einzuschärfen. Könnte (und kann) die Gehorsamsforderung in ihrer geschichtlichen Einkleidung – beim Bundesschluss am Tag der Herausführung – noch dahingehend verstanden werden, durch ihre Erfüllung qualifiziere sich Israel für den Eintritt in den Bund beziehungsweise die Aufrichtung seiner Verheißung,332 so schließt der Rückblick dieses Verständnis aus. Die ‚äußere‘, gleichsam unverhüllte Betrachtung des Gegenstands in prophetischer Retrospektive liefert ‚external evidence‘, die unsere in der Szene selbst – östlich des Jordans und am Sinai – gewonnene Auffassung bestätigt.

6. Fazit In ihrer beeindruckenden Vielfalt und Breite, mit der sie die Gestalt des hebräischen Kanons maßgeblich geprägt hat, und durch ihre diachrone Erstreckung, in der sich die Zeitläufte vom Ende der staatlichen Epoche bis tief in die Perserzeit spiegeln, weist die deuteronomisch-deuteronomistische Überlieferung im Blick auf das Theologumenon des Bundes eine bemerkenswerte Konstanz auf: Die Selbstverpflichtung Jhwhs und eine ihr korrespondierende Verpflichtung Israels, Verheißung und Gebot bestimmen die Beziehung. Ohne Zweifel ist der Bund konditional strukturiert. Soweit konnte die vorliegende Untersuchung der in dieser Hinsicht einmütigen Forschung folgen. Anders als gemeinhin angenommen, reicht die herausgearbeitete Übereinstimmung im Grundsätzlichen aber noch wesentlich weiter. Nicht nur die Überzeugung, dass der Bund an eine Bedingung geknüpft ist, sondern auch, welche 329 

Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94. Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94 (Hervorhebung im Original). Dies umso weniger, als der einschlägige Terminus (‫ )כרת ברית‬im Text wohl verwendet wird (V.  10bβ), aber gerade nicht für die gegenwärtige Generation, wie mit Stipp, Die Perikope vom ­‚Neuen Bund‘, 253, festzuhalten ist. 331  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94. Ebenso Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 253. 332  Zur Diskussion entsprechender Deutungen der in der nicht-priesterlichen Sinaiperikope und im Deuteronomium vorliegenden literarischen Ausarbeitungen s. o., Kap. IV.1 und IV.4. 330 

6. Fazit

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Bedeutung dieser zukommt, verbindet die deuteronomistischen Theologen durch die Generationen. In beiden darauf bezogenen Hauptfragen der Forschung haben die vorgelegten Einzeluntersuchungen auf eine Antwort geführt, die jenseits der bisher gesuchten Lösungswege beziehungsweise quer zu ihnen liegt. Zum einen ist deutlich geworden, dass der von Israel geforderte Gehorsam das der Erwählung durch Jhwh entsprechende Verhalten, gleichsam die Antwort Israels darstellt. Wie die Untersuchung der Paränese im Deuteronomium ergeben und die deuteronomistische Jeremia-Überlieferung aus ihrer Warte bestätigt hat, benennt die Gehorsamsforderung keine Vorbedingung für den Eintritt in den Bund oder das Inkrafttreten seiner Verheißungen. Zwar mag die suggestive Überblendung mit dem Einzug in das Land in der dominanten Erzählfiktion des Deuteronomiums dies zunächst nahelegen. Sieht man genauer zu, so erweist sich der von Israel geforderte Toragehorsam aber gerade nicht als vorab zu erbringende Leistung – und zwar, wie angesichts der redaktionsgeschichtlichen Entwicklung beziehungsweise deren theologischer Einschätzung durch die neuere Forschung zu betonen war, weder in älteren noch in jüngeren, gerne als ‚nomistisch‘ apostrophierten Ausprägungen der deuteronomistischen Theologie. Es geht vielmehr hier wie da um die Frage, wie Israel im Bund bleiben, also die vorgängig von Jhwh gewährte Beziehung bewahren soll. Zum anderen hat sich gezeigt, dass trotz dieser elementaren Bedeutung, die Israels Gehorsam zukommt, der Bestand des Bundes in letzter Instanz nicht von ihm abhängt. Im Licht der altorientalischen Vertragstradition, der die alttestamentliche Bundestheologie ihre ursprüngliche Inspiration verdankt, wird vorderhand zwar eben dieses Verständnis begünstigt, nach dem die Gültigkeit des Bundes mit Israels Bundesgehorsam steht und unentrinnbar auch fällt. Doch darf die traditionsgeschichtliche Verwandtschaft nicht den Blick verstellen für wesentliche, durch die theologische Adaption des Motivs bedingte Unterschiede. Tatsächlich hat der unternommene Vergleich der Akteurskonstellation im Deuteronomium mit der altorientalischer Verträge auf eine entscheidende Differenz geführt. Anders als ein den Vertrag diktierender Großkönig ist Jhwh beides zugleich, Partner des Bundes und für dessen Sanktionierung zuständiger Zeuge. Dank dieser Doppelfunktion entscheidet er allein, welche Konsequenzen aus Israels ‚Bruch‘ des Bundes folgen. So ist der Bund mit seinem Gott für das Volk eben kein gewöhnlicher Vertrag, und er wird ihm daher auch nicht zum Verhängnis – wie die vom Deuteronomium ausgehende Darstellung und Deutung der Geschichte Israels schlagend belegt. Mit dieser Erkenntnis hat sich schließlich auch das vermeintliche Problem der deuteronomistischen Bundestheologie, das zu lösen nach weithin geteilter Auffassung Ziel des priesterlichen Entwurfs war, erledigt.

  V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes In den vorangegangenen Kapiteln zum deuteronomistischen und zum priesterlichen Überlieferungskreis ist nach der konditionalen Struktur alttestamentlicher Konzeptionen der Gottesbeziehung als Bund, mithin nach der Seite des menschlichen Partners gefragt worden. Wenn man diese Perspektive einnimmt, muss früher oder später auch das Problem in den Blick gefasst werden, ob Israel überhaupt zu leisten vermag, was sein Gott beziehungsweise das Leben in Beziehung mit diesem fordert. Als exegetische Frage reformuliert: Wird der von Gottes Volk erwartete Gehorsam in den einschlägigen Überlieferungen als Möglichkeit betrachtet – oder nicht vielmehr seine Unmöglichkeit vorausgesetzt? Dass dies weder im Zusammenhang der deuteronomistischen noch der priesterlichen Bundestheologie problematisiert worden ist, impliziert eine Antwort bezüglich dieser Ausprägungen des Theologumenons. Doch im Blick auf die prophetische Verheißung eines neuen Bundes muss die Frage explizit gestellt werden. Denn nach verbreiteter Ansicht war es eben dieses Problem, das die für Jer 31,31–34 und die einschlägigen Seitenstücke, insbesondere Ez 36,26–28, verantwortlichen Tradenten umtrieb; und man meint weiterhin, den Texten entnehmen zu können, die Frage sei durch die Konzeption des neuen Bundes abschlägig beantwortet worden im Sinne eines grundsätzlichen Unvermögens, der Gottesbeziehung entsprechend zu leben.

1.  Die Frage Die forschungsgeschichtliche Herleitung dieser Frage erfordert einen gewissen ­Anmarsch. Das kann angesichts des Gewichts und vor allem der Wirkungsgeschichte von Jer 31,31–34 kaum verwundern. Einzusetzen ist bereits bei der Textgrundlage, nämlich der Verhältnisbestimmung der beiden uns in Gestalt der masoretischen und der alexandrinischen Fassung überkommenen Ausgaben des Jeremia­buches (Kap.  V.2). Nicht von ungefähr werden theologische Hauptprobleme der Perikope von der neueren Forschung im Horizont der Text- beziehungsweise Literargeschichte des Jeremiabuches diskutiert, wobei auch vermeintlich längst geklärte Grundfragen neu aufbrechen. Dies gilt in Sonderheit für die Identität der Tora des neuen Bundes mit der zuvor bekannten – wird eine neue Tora gelten im neuen Bund? – sowie für die Auslegung und geschichtstheologische Einordnung der Rede vom Bruch des ‚alten‘

166

V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

Bundes – ist dieser damit abgetan? und bildet der so entstandene ‚bundeslose‘ Zustand den Anlass zum Schluss des neuen Bundes? Auf Grundlage der entsprechenden Klärungen kann sodann die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Zuordnung der Verheißung des neuen Bundes in den Blick genommen werden (Kap. V.3). Gestützt auf die Wahrnehmung, durch die im neuen Bund verheißene göttliche Einschreibung der Tora ins Herz würden die programmatischen Institutionen des Torabuchs und der Vermittlung der Tora durch Lehren und Lernen abgewertet, ist unter der deuteronomisch-deuteronomistischen Oberfläche des Textes eine un- beziehungsweise anti-deuteronomistische Absicht ausgemacht worden. Im Licht neuerer Erkenntnisse zum Zusammenspiel mündlicher und schriftlicher Textüberlieferung und der entsprechenden Ausbildung von Schreibern im Alten Orient, die den lebensweltlichen Vorstellungsraum hinter der Verheißung bilden, muss diese weithin geteilte Einschätzung jedoch neu bewertet werden. Von Bedeutung für die hier verfolgte Fragestellung ist dabei weniger, ob beziehungsweise inwiefern Jer 31,31–34 der deuteronomistischen Tradition in einem weiteren Sinne zugerechnet werden kann, als vielmehr, wie stichhaltig die zur Begründung einer dezidiert anti-deuteronomistischen Ausrichtung angeführten Beobachtungen erscheinen. Denn hier entscheidet sich, wie sich die ausdrücklich als ‚neu‘ abgesetzte Konzeption des Bundes zu den ‚normalen‘, konditional strukturierten Konzeptionen verhält, die die deuteronomistischen und, wie gesehen, auch die priesterlichen Theologen vertreten. Durchgängig zu beachten bleibt dabei, dass die Verheißung eine eschatologische Vision bietet: So wird es nach der göttlichen Intervention am Ende der in den Blick gefassten Geschichte sein. Für die Gegenwart der Adressaten des Wortes behält ­hingegen der ‚alte‘ Bund mit seiner in Gestalt des Torabuchs greifbaren Gehorsamsforderung ungebrochen Gültigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die eingangs angesprochene Zuspitzung auf die Frage nach der Möglichkeit, den Bund zu halten, forschungsgeschichtlich einzuordnen (Kap. V.4). Denn die Deutung der Tora im Herzen als gezielter Gegenentwurf zu der im Buch durch die neuere Forschung schreibt die ältere Ansicht fort, dieses Bild setze die desillusionierte Einschätzung voraus, eine Rezeption der Tora auf herkömmlichem Wege sei ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, Israel daher gar nicht fähig, in Gemeinschaft mit seinem Gott zu leben. Dieser Grundfrage – wenn nicht des Alten Testaments, so doch seiner theologischen Deutung – geht schließlich der letzte Abschnitt des vorliegenden Kapitels nach (Kap. V.5).

2.  Der neue Bund und die alte Tora im alexandrinischen und im masoretischen Jeremiabuch Die nach Jer 30,1–2 dem Propheten Jeremia zuteil gewordene Verheißung Jhwhs, er werde nach jenen Tagen (‫ אחרי הימים ההם‬31,33a) einen neuen Bund (‫ )ברית חדשה‬mit

2.  Der neue Bund und die alte Tora

167

I­ srael schließen (‫ וכרתי את‬31,31b), formuliert nicht nur aus sich selbst heraus einen schwerlich zu steigernden Höhepunkt. Diese Funktion kommt ihr auch in dem Kontext zu, in den sie gestellt ist. Eröffnete die Ansage künftiger Heilsereignisse, die das Ende des Exils und einen Neuanfang in dem den Vätern gegebenen Land bedeuten werden, in Jer 30,3 mit dem Versprechen Jhwhs, sein Volk in dieses Land zurückzuführen, so korrespondiert dem die Zusage in 31,27–28, es dort einzupflanzen und aufzubauen. Darauf folgt die Verheißung des neuen Bundes. Die gleichlautende Formel Siehe, Tage sind am Kommen (‫ הנה ימים באים‬30,3 par.  31,27 und 31,31) markiert die Abfolge der drei sukzessiven ‚Ereignisse‘ und verortet sie zugleich in der nahen ­Zukunft (Futurum instans) der von Jhwh Angesprochenen.1 Im Blick auf den letzten Akt, den Schluss des neuen Bundes, wird indes sogleich eingeschränkt, dass er erst nach jenen Tagen (31,33a), also in einer nicht näher bestimmten ferneren Zukunft, stattfinden werde,2 sozusagen als finale „Etappe“ der Heilsereignisse.3 Der neue Bund steht am Ende der in den Blick gefassten Geschichte.4 Er ist eine eschatologische ­Vision.5 Dem entspricht auch seine inhaltliche Profilierung, die von Anfang an einen dezidierten Gegensatz zu elementaren Erfahrungswerten (vgl. dazu besonders V.  34a.bα) aufbaut. Der neue Bund wird nicht mehr sein wie der bis dahin bekannte (‫לא כברית‬ V.  32ainit), dessen Verpflichtung Israel ungehorsam geworden ist (V.  32b) und ungehorsam werden konnte. Sondern er wird solcher Art sein, dass Israel ihm schlechterdings nicht mehr ungehorsam werden kann – dank einer im wörtlichen Sinne endgültigen Belehrung6 durch Jhwh selbst (V.  33). Grundlage der so ermöglichten ungetrübten Gottesgemeinschaft ist die Vergebung der Schuld Israels (V.  34bβ.γ). Mit dieser Zusage endet die Einheit (Neueinsatz in V.  35a mit Botenspruchformel), der Sache nach stellt sie aber die Voraussetzung (‫ )כי אסלח‬für den Schluss eines neuen Bundes dar.7 Gemeinsam mit der Einleitung in V.  31 bildet 34bβ.γ so einen Rahmen um die Verheißung des neuen Bundes. Deren Entfaltung innerhalb dieses Rahmens ist auf zweierlei Weise gegliedert, zum einen durch den Kontrast der Perspekti1 

Gross, Zukunft für Israel, 144. Duhm, Das Buch Jeremia, 255: „es kommt noch einmal so, wann, das weiss man nicht.“ 3  Mit einem Ausdruck von Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 79. Zur Diskussion s. ferner Carroll, The Book of Jeremiah, 610. 4  Wenn, wofür starke Indizien sprechen, der Zusammenhang Jer 30,1–3 + 31,27–30 + 31,31–34 erst nachexilisch geschaffen wurde (zusammenfassend und mit Literatur Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 340–341), so hat die als zukünftiges Geschehen angesagte Rückkehr Israels in das Land der Väter, wenn nicht in der verheißenen Form stattgefunden, so doch jedenfalls bereits begonnen. Im Unterschied dazu bleibt der neue Bund tatsächlich Zukunftsmusik, wie der Verfasser seinen Zeitgenossen gegenüber ausdrücklich klarstellt (Gross, Zukunft für Israel, 149, Anm.  62). 5  Zum Begriff der Eschatologie in seiner hier vorausgesetzten, konsequent innergeschichtlich definierten Verwendungsweise s. Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 401. 6  Vgl. dazu unten, Kap. V.3. 7  So mit Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 338. S. noch Krašovec, Vergebung und neuer Bund nach Jer 31,31–34, 437; ders., Reward, Punishment, and Forgiveness, 457; Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260; Stipp, Jeremia 25–52, 277, und vgl. bereits Duhm, Das Buch Jeremia, 257. 2 

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

ven von Rück- und Ausblick (V.  32 bzw. 33–34bα), 8 zum anderen durch zwei Argumentationsstrukturen der Form nicht … sondern (‫ לא … כי‬V.  32 → 33 und 34a → 34bα).9 Dabei markiert die erste dieser Strukturen den Übergang zwischen Rückblick und Ausblick, während die zweite innerhalb des Ausblicks begegnet; semantisch kommt so innerhalb des der Zukunft gewidmeten Teils mit V.  34a noch einmal die Gegenwart der Adressaten in den Blick.10 Dass der Text unterbelichtet geblieben wäre, wird man nach bald zweieinhalb Jahrhunderten moderner Forschung11 kaum behaupten wollen. So besteht hier in der Tat kein Bedarf, noch einmal durch alle „gewundenen […] Gänge“ seiner Auslegung zu kriechen.12 Einige ausgewählte Aspekte müssen aber bereits an dieser Stelle geklärt und Schwierigkeiten benannt werden, um die Grundlage für die folgende text- und literargeschichtliche Diskussion zu legen.13 Darunter steht an erster Stelle die alte Frage: Wer hat den Bund, der durch den neuen abgelöst wird, gebrochen (V.  32b)? Das eigens betonte pronominale Subjekt ‫( המה‬mein Bund, den sie, sie gebrochen haben) kann prinzipiell auf zwei Referenzpunkte bezogen werden, die in V.  31b angesprochenen Häuser Israel und Juda oder die im unmittelbaren Vorkontext V.  32a erwähnten Väter der Exodusgeneration. Letztere Möglichkeit mag auf den ersten Blick näherliegend erscheinen.14 Doch sind die Väter ihrerseits auf die eingangs genannten Häuser bezogen (ihre Väter), wie 8 Zu

‫ נתתי‬in Jer 31,33aβ s. u. Gross, Zukunft für Israel, 139–141; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 338–339; Wanke, Jeremia, Bd.  2, 292. 10  Für alternative Ansätze zur Gliederung der Einheit s. Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  2, 197, und Fischer, Jeremia 26–52, 171 mit Anm.  10. 11 Vgl. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 20. 12  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 20. Einen Überblick über die neuere Forschung bietet Liwak, Vierzig Jahre Forschungen zum Jeremiabuch, 462 ff. 13  Dass die Perikope in literarkritischer Hinsicht als ursprüngliche Einheit zu gelten hat, ist im Zuge der Diskussion um die von Christoph Levin vorgelegten Analyse nur noch deutlicher worden (vgl. Gross, Neuer Bund oder Erneuerter Bund, 91–92; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 339– 340, Anm.  24, und die dort jeweils angeführte Literatur). Levin hatte mit einem dreistufigen Wachstum von Jer 31,31–34 gerechnet: Zugrunde liege mit V.  31a.34a.bα1 ein frühexilisches, nach der von Levin selbst rekonstruierten Gattung einer prophetischen Heilsankündigung gestaltetes Heilswort, das zunächst in V.  31b–32.33b.34bα 2βγ unter Rückgriff auf Jer 6,13 und 11,4.10 um die Verheißung des neuen Bundes ergänzt worden sei, bevor diese Verheißung schließlich in „spätalttestamentlicher Zeit“ erläutert worden sei durch die Verheißung der ins Herz geschriebenen Tora in V.  33a (zusammenfassend Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 60). Die gegen diese Analyse vorgebrachten Gründe (s. besonders Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 69–71, und Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 339–340) sind schlagend und müssen hier nicht noch einmal ausgebreitet werden. Hingewiesen sei lediglich auf einen, für die folgenden Überlegungen besonders bedeutsamen Punkt: Die inhaltliche Profilierung der Verheißung des neuen Bundes durch die Einschreibung der Tora ins Herzen (V.  33a) steht, wie Levin selbst treffend bemerkt, in der „Achse der Perikope“ (Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 258). Widerrät schon diese Zentralstellung der Annahme, hier läge lediglich eine nachträgliche Erläuterung vor, so erst recht die Tatsache, dass die Verheißung ohne diese ‚Erläuterung‘ gänzlich inhaltsleer, der Bund „ohne konkrete Bestimmungen“ (Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 70) bliebe. 14  So etwa Schenker, Der nie aufgehobene Bund, 109–110. 9 Vgl.

2.  Der neue Bund und die alte Tora

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überhaupt Israel und Juda insgesamt angesprochen werden durch Jhwhs Wort.15 Die Parallelführung der beiden Relativsätze, durch die die gegensätzliche Beschreibung der beiden Bundesverhältnisse jeweils eingeleitet wird (V.  32a und 33a),16 unterstreicht dies noch. Die „Bundbrecher“17 sind damit Israel und Juda – durch ihre Geschichte hindurch. Ungehorsam gegen die Verpflichtung des Bundes wird nicht einer Generation vorgeworfen, sondern allen, „von den Ägypten-Tagen an bis zum Augenblick der Verheißung“,18 genauer: bis zum Augenblick der zukünftigen Erfüllung der Verheißung. Dem so konzipierten „Schuldkontinuum“19 entspricht die schematische Zweiteilung der Zeiten durch den Schluss eines neuen Bundes, wie überhaupt die Tatsache, dass es dieses neuen Bundes samt umfassender Vergebung der Schuld – auch und gerade der der aktuellen Adressaten – bedarf. Seine Grundlage findet dieses Geschichtsbild in Jer 11,10: Das Haus Israel und das Haus Juda haben meinen Bund gebrochen, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe.20 In Jer 31,32bβ durchdringen sich traditionsgeschichtliche und textkritische Pro­ bleme. Die Formulierung des MT ist notorisch mehrdeutig. Man hat gemeint, das auf Jhwh bezogene Verbum der Wurzel ‫ בעל‬deute auf eine Bestrafung hin.21 Angesichts des in semantischer Hinsicht polyvalenten syntaktischen Zusammenhangs mit V.  32bα ist dies zwar nicht a limine auszuschließen. Die enge Parallele, die V.  32bβ in Jer 3,14 findet, spricht aber eher für eine Auslegung, wie sie zum Beispiel in der Einheitsübersetzung vertreten wird: obwohl ich ihr Gebieter war.22 Im Unterschied 15  16 

136.

17 

Ähnlich auch Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  2, 142, Anm.  2. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 342, im Anschluss an Gross, Zukunft für Israel, 135–

Mit einem Ausdruck von Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 342. Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260. 19  Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260. 20  S. dazu vor allem Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 295–298, unter Aufnahme von Römer, Les ‚anciens‘ pères et la ‚nouvelle‘ alliance, ferner Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260; ders., Zukunft für Israel, 141–142, und Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 342. Zu ‫ בית ישראל‬in Jer 31,33 s. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 298: „Das Volk des ‚neuen Bundes‘ wird eines sein, das die Teilung überwunden haben und von Jhwh allein beherrscht werden wird“ (Hervorhebung im Original). Zu Jer 11 als Bezugspunkt für Jer 31,31–34 s. auch im Folgenden. 21  Mit besonderem Nachdruck Krašovec, Reward, Punishment, and Forgiveness, 454; ders., Vergebung und neuer Bund nach Jer 31,31–34, 433: „Jahwe tritt in der Rolle des Eheherrn auf, um die negativen Eherechte gegen die untreue Ehefrau anzuwenden, was nichts anderes als Bestrafung bedeuten kann.“ Vgl. ferner Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  2, 142 mit Anm.  3. 22  Vgl. ferner Wanke, Jeremia, Bd.  2 , 293. Auch der von Jer 11,13.17 her begründeten Vermutung, Jer 31,32bβ spiele auf illegitimen Baalskult an (so vor allem Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 297: „Israel hat dem ‚Baal‘ Räucheropfer dargebracht, obwohl doch Jhwh sein ‫‚ בעל‬Herr‘ gewesen wäre“, s. auch Römer, Les ‚anciens‘ pères et la ‚nouvelle‘ alliance, 26), ist diese Parallele nicht eben günstig. Zu besagter Vermutung s. bereits Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 337, kritisch dagegen Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 344–345, und Gross, Zukunft für Israel, 144, der darauf hinweist, dass der Rede vom Bundesbruch in Jer 31,32 keinerlei Hinweis auf kultisches Fehlverhalten zu entnehmen ist. 18 

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

dazu ist die Lesung der LXX (1. Sg. Aor. Ind. akt. von ἀμελέω, vernachlässigen, sich nicht kümmern um) in dieser Hinsicht eindeutig. Strittig ist hingegen, wie sie textkritisch zu bewerten ist. Nach einer ansprechenden Vermutung23 könnte sie auf eine Vorlage mit dem Konsonantenbestand ‫ געלתי‬beziehungsweise eine entsprechende Verlesung zurückgehen (vgl. Lev 26,11 u. ö.; in Jer 14,19 ebenfalls mit der Präposition ‫)ב‬. Noch zu klären wäre unter dieser Voraussetzung freilich, in welche Richtung die Textentwicklung verlief. Angesichts des Gewichts der These, die in der neueren Diskussion darauf abgestützt wird, werden uns diese Frage und die Textkritik von V.  32bβ insgesamt ausführlich beschäftigen müssen.24 Gleiches gilt für das andere textkritische Hauptproblem der Perikope, das die Tempusverhältnisse in der Beschreibung des neuen Bundes betrifft. Während diese, der Natur einer Heilsverheißung entsprechend, durchgängig eine futurische Deixis aufweist, begegnet unter Bezug auf die Gabe der Tora in Jer 31,33aβ die Vergangenheitsform ‫נתתי‬. Die meisten Ausleger nehmen einen Überlieferungsfehler an und postulieren ursprüngliches ‫*ונתתי‬25 – in dieser syntaktischen Position zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich.26 Alternativ könnte erwogen werden,27 ob das qātal im vorliegenden syntaktischen Zusammenhang ein vorzeitiges Geschehen anzeigt (entsprechend dem deutschen Futurum exactum),28 die künftige Gabe der Tora also aus der Perspektive des künftigen Bundesschlusses als abgeschlossen betrachtet wird. In diesem Sinne könnte man übersetzen: Nachdem ich meine Tora in ihr Inneres gegeben habe, indem ich sie auf ihr Herz schreibe, werde ich ihnen zum Gott sein …29 Eine dritte Möglichkeit ergibt sich, wenn die Anordnung der beiden Kola in V.  33aβ als antithetischer statt als synonymer Parallelismus aufgefasst wird, innerhalb dessen ‫ קרב‬die soziologische und eben nicht wie das parallele ‫ לב‬die anthropologische Mitte meine.30 Das Perfekt unterstriche dann den ausgesagten Gegensatz: In der Vergangenheit gab Jhwh seine Tora in die Mitte der Israeliten mittels öffentlicher (äußerlicher) Vermittlung, in der Zukunft jedoch wird er sie einschreiben in ihr Personzen­ trum. Gegen diese Auffassung spricht freilich nicht allein die Semantik von ‫קרב‬,31 sondern schon die oben herausgearbeitete Struktur der Einheit, nach der dem Rück-

23 

Vgl. BHS app. crit. S. u. zur Auseinandersetzung mit der Rekonstruktion und Deutung bei Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. 25  So lesen tatsächlich etliche hebräische Handschriften, entsprechend LXX und Vulgata. 26 Vgl. Gross, Zukunft für Israel, 137, Anm.  15; noch kritischer Stipp, Die Perikope vom ­‚Neuen Bund‘, 246 mit Anm.  27. 27 Skeptisch: Gross, Zukunft für Israel, 136 (unter Bezug auf einen Vorschlag von Friedrich Eduard König). 28  Dazu s. Blum, Das althebräische Verbalsystem, 176–178 (mit Beispielen). 29  Private Mitteilung von Erhard Blum. 30  Erwogen etwa von Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 79, vgl. auch Finsterbusch, Weisung für Israel, 73. 31  S. dazu jetzt auch Stipp, Jeremia 25–52, 280 mit Anm.  14. 24 

2.  Der neue Bund und die alte Tora

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blick von V.  32 in V.  33–34bα ein Ausblick gegenübergestellt wird, zu der ein als Vergangenheitsaussage interpretiertes ‫ נתתי‬mithin quer läge.32 Im Blick auf die in diesem Vers angesprochene Größe der Tora schließlich ist – trivial, aber angesichts der neueren Forschung umso nötiger – festzustellen, dass sie, anders als der Bund, gerade nicht mit dem Attribut „neu“ belegt wird.33 Vielmehr wird sie ohne Umstände als bekannte Größe vorausgesetzt,34 was die Formulierung meine Tora (‫ )תורתי‬nur unterstreicht.35 Was den Kontext der Perikope betrifft, so ist schon lange erkannt, dass die Prosapartien Jer 30,1–3; 31,27–30 und 31,31–34 einen Zusammenhang bilden, der eine (wie auch immer entstandene) Sammlung poetischer Sprüche („Trostbüchlein“) in Kap.  30–31 sekundär rahmt.36 Ob sich Jer 31,31–34 seinerseits einem Nachtrag gegenüber den beiden vorangehenden Teilen dieses Rahmens verdankt oder nicht,37 so oder so will der Text in diesem Zusammenhang ausgelegt werden.38 Im Gesamtkontext des Jeremiabuches ist darüber hinaus aber vor allem der unverkennbare Rückbezug der Verheißung eines neuen Bundes für Israel und Juda auf die dem Propheten in dem Mund gelegte Anklage des Bundesbruchs durch eben diese beiden „Häuser“ nach Jer 11 von Bedeutung.39 Die Rede von dem mit den Vätern (11,10b ← 31,32a) der Exodusgeneration (11,4a ← 31,32a) geschlossenen und von den Häusern Israel und Juda (11,10b ← 31,31–32) gebrochenen Bund (11,10b ← 31,32b) bietet gleichsam die dunkle Folie, vor der sich die Verheißung des neuen Bundes umso

32  Zuletzt hat Stipp, Jeremia 25–52, 279, ins Spiel gebracht, die qātal-Form könne auch performativ gedeutet werden. Entsprechend übersetzt er: „Ich gebe (hiermit) meine Weisung in ihr Inneres“ (a. a. O., 271). Dass die notwendigen Voraussetzungen für eine solche Deutung in Jer 31,33 gegeben seien, kann ich nicht erkennen. 33  So in aller Klarheit schon Duhm, Das Buch Jeremia, 254–256; ferner s. etwa Rendtorff, Was ist neu am neuen Bund, 27. Anders neben Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten (zu seiner dezidierten Deutung auf „neue Gesetze“ a. a. O., 62, s. im Folgenden), nun auch Min, Die neue Tora als der neue Bund in Jer 31,31–34; ders., Geist und Tora, 113–132, im Gefolge von Achenbach, Die Tora und die Propheten, und Otto, Old and New Covenant; ders., Welcher Bund ist ewig. Mit der von ihm stark betonten Neuheit der Tora meint Min allerdings eher das, was herkömmlich als neuer Modus ihrer Vermittlung bezeichnet wird, vgl. Min, Die neue Tora als der neue Bund in Jer 31,31–34, 71–72. 34  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 259, hält mit Recht fest: „Das Bild ist sinnvoll nur, wenn mit ‚meiner Tora‘ nicht irgendeine Weisung Gottes gemeint ist“. 35  Was damit konkret gemeint ist – eine Ausgabe des Deuteronomiums oder, nachexilisch mindestens so wahrscheinlich, eine Vorform des Pentateuch (vgl. etwa Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 259; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 351) –, spielt hier keine Rolle. 36  Vgl. bereits Mowinckel, Zur Komposition des Buches Jeremia, 46–47 (für Jer 30,1–3; 31,27– 28), dann vor allem Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, 28, der mit einem Eingriff seiner D-Redaktion rechnete. 37  Zur Diskussion s. Gross, Neuer Bund oder Erneuerter Bund, 96–97; ders., Zukunft für Israel, 138–139, einerseits und Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 69–85, andererseits. 38  Wie eingangs angedeutet (s. o., S.  167). 39  S. o., Kap. IV.5, mit Analyse und Interpretation von Jer 11.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

heller abhebt.40 Dass Jer 11 seinerseits auf diese Verheißung vorausverweise und sie regelrecht vorbereite,41 ist hingegen nicht ebenso evident.42 Nach diesem ersten Durchgang liegen die Zentralthemen des Textes, die die folgenden Überlegungen (Kap. V.3–5) bestimmen werden, auf der Hand: der neue Bund und die alte Tora. Bevor sie behandelt werden können, beziehungsweise um sie sachgemäß zu behandeln, muss im Folgenden aber zunächst die Betrachtung auf die ­gesamte verfügbare Textgrundlage ausgeweitet werden. Denn es gilt, nicht eine Aus­ gabe des Jeremiabuches zu untersuchen,43 sondern das Jeremiabuch in seinen unterschiedlichen Ausgaben.44 Davon sind uns zwei überkommen: das masoretische Jeremiabuch, bezeugt durch MT im Verein mit Targum, Peschitta und Vulgata, und das – mit Hermann-Josef Stipps Bezeichnung – alexandrinische, bezeugt durch LXX und die beiden fragmentarisch erhaltenen Qumranmanuskripte 4QJerb und 4QJerd.45 Die Unterschiede beider Textformen, die es rechtfertigen, von zwei Ausgaben des Buches zu sprechen, liegen zum einen in der Länge des Textes: der griechisch bezeugte ist circa ein Sechs­ tel kürzer, wobei einzelne Wörter und Phrasen ebenso fehlen wie eigenständige Sätze und auch ganze Abschnitte. Zum anderen ist der Text je anders angeordnet, und zwar sowohl innerhalb einzelner Abschnitte als auch durch den Aufbau des Buches im Ganzen.46 Es handelt 40  Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 26–28; Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 295–296; Gross, Zukunft für Israel, 141–142; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 193–196. Angesichts dieses Rückbezugs ist auch klar, dass Jer 31,31–34 jedenfalls nicht vor der formativen deuteronomistischen Bearbeitung der Jeremia-Überlieferung angesetzt werden kann; wofür im Übrigen auch die in dieser Hinsicht eindeutigen formalen (sprachlichen) Charakteristika sprechen. Eingehend zu der mit diesem Terminus a quo eben noch nicht geklärten Frage der Provenienz unserer Perikope s. aber unten, Kap. V.3. 41 So Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 296–299, im Anschluss an Beobachtungen bei Römer, Les ‚anciens‘ pères et la ‚nouvelle‘ alliance, und anderen, in redaktionsgeschichtlicher Modifikation aufgenommen von Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 193–197. S. jetzt auch Otto, Welcher Bund ist ewig, 166. 42  Die von Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 296–299, dafür in Anschlag gebrachten Affinitäten beider Texte lassen sich durchweg als Ergebnis diachroner Bezugnahme von Jer 31,31–34 auf Jer 11 erklären. In dieser Hinsicht ohne Ergebnis bleibt lediglich der Fall der von Schmid beziehungsweise Römer, Les ‚anciens‘ pères et la ‚nouvelle‘ alliance, miteinander in Verbindungen gebrachten Wendungen ‫ אבותם הראשנים‬und ‫ברית חדשה‬. Doch ist auch hier die umgekehrte Annahme, die Formulierung von Jer 11,10 bereite die in Jer 31,31 vor, alles andere als zwingend. 43  So etwa noch Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, in seiner in vielerlei Hinsicht maßgeblichen Untersuchung, ganz entschieden gegenwärtig Georg Fischer in seiner Kommentierung, vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 46. Einen Kommentar zu LXX B bietet Walser, Jeremiah. 44  Zu diesem Desiderat und der entsprechenden Arbeitsweise vgl. grundsätzlich Krause, Exodus und Eisodus, 33–35. 45  Dazu und zum Folgenden s. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, 286–294; Stipp, Zur aktuellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches; Weis, Textual History of Jeremiah; Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 1–14, ferner den Forschungsüberblick bei Liwak, Vierzig Jahre Forschungen zum Jeremiabuch, 163–173. 46 Eine Übersicht bieten Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 9. Der Aufbau der alexandrinischen Ausgabe wird gerne als Beleg für das andernorts in der prophetischen Literatur (Ezechiel, Zephanja, Protojesaja) bezeugte dreigliedrige eschatologische Schema (Gerichtsworte gegen das eigene Volk – Gerichtsworte gegen Fremdvölker – Heilsworte für das eigene Volk) gewertet. Vgl. dagegen aber kritisch Stipp, Legenden der Jeremia-Exegese (I).

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sich also um Divergenzen, die nicht textgeschichtlich zu erklären sind. Natürlich kommen entsprechende Varianten (Textausfall aufgrund von Parablepsen etc.) auf beiden Seiten auch vor, und in der Tat belegt dieser Umstand, dass die Textgestalten nach ihrer Gabelung separat überliefert wurden.47 Aber die besagten beiden Hauptunterschiede bezeugen absichtsvolle literarische Umgestaltung des Textes. Mithin sind sie unter literar-, nicht unter textgeschichtlichem Vorzeichen zu betrachten – während zugleich exemplarisch deutlich wird, dass die vermeintlich trennscharfe Unterscheidung beider Fragehinsichten letztlich nur heuristischen Wert haben kann.48 Im Blick auf LXX als den Hauptzeugen der alexandrinischen Ausgabe stellt sich zwar die Frage, ob besagte Unterschiede überhaupt auf eine hebräische Vorlage zurückgehen oder nicht möglicherweise von dem beziehungsweise den Übersetzern stammen.49 Sollte Letzteres der Fall sein, wäre immerhin die Frage der literarischen Priorität geklärt. Aber gegen diese Annahme spricht abgesehen vom Befund in Qumran die bei der Übersetzung zur Anwendung gebrachte, zwar keineswegs mechanische, aber augenscheinlich einer möglichst originalgetreuen Wiedergabe der Vorlage verpflichtete Arbeitsweise.50 Dass dieselben Personen, die um einer dergestalt wörtlichen Übersetzung willen bereit waren, schwerste Einbußen an griechischer Idiomatik in Kauf zu nehmen,51 zugleich in höchst eigenständiger Manier gekürzt, umgestellt und abgeändert haben sollten, hat keine Wahrscheinlichkeit für sich.52 So nehme ich mit der Mehrheit der Forschung an, dass die Unterschiede zwischen MT und LXX erstens nicht auf den Vorgang der Übersetzung, sondern auf die dabei verwendete hebräische Vorlage zurückgehen, die sich aufgrund besagter Arbeitsweise auch mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren lässt; und dass zweitens diese hebräische Vorlage aufs Ganze gesehen eine ältere Ausgabe des Jeremiabuches bezeugt.53 Letztere Einschätzung ist indes, wie zu betonen ist, dezidiert im Sinne einer Globalhypothese formuliert. Angesichts der Tatsache, dass die beiden Ausgaben nach der Gabelung der Textüberlieferung separat tradiert wurden, mithin je individuellen textgeschichtlichen Veränderungsbedingungen unterworfen waren, hat sie lediglich heuristische Funktion und entbindet gerade nicht davon, jeden Einzelfall ergebnisoffen an seinem Ort zu diskutieren. Im Übrigen ist festzuhalten: Selbst wer die Mehrheitsmeinung, nach der die griechische Übersetzung zu einer aufs Ganze gesehen älteren Ausgabe führt, nicht teilen will,54 wird doch zugeben müssen, dass sie eine wesentlich andere Ausgabe des Jeremiabuches bezeugt.55

Eigenständige literarische Ausgaben des Jeremiabuches, die sie sind, verdient jede dieser beiden Textformen schon grundsätzlich, in je eigenem Recht ausgelegt zu wer47 

S. etwa Weis, Textual History of Jeremiah, 498. Zum Problem vgl. Stipp, Das Verhältnis von Textkritik und Literarkritik, und ders., Textkritik – Literarkritik – Textentwicklung. 49  Fischer, Jeremia, 52: „Neugestaltung im Zuge des Übersetzens“. 50  Weis, Textual History of Jeremiah, 496; Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 3–6 (Lit.). 51  Vgl. dazu etwa Walser, Jeremiah, 5–7. 52  Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, 288; Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 6. 53 Zusammenfassend Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, 286–294 (Lit.). 54 Prominent Fischer, Jeremia 1–25, 39–46; ders., Jeremia, 17–53, anhand des wichtigen Fallbeispiels Jer 25 ferner Gesundheit, The Question of LXX Jeremiah as a Tool for Literary-Critical Analysis (zu seinem Ansatz s. jetzt aber auch Stipp, Jer 25,1–14 im masoretischen und im alexandrinischen Text des Jeremiabuchs). 55  Fischer, Jeremia, 51–52. 48 

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den. In der Perikope vom neuen Bund ist dieser doppelte Zugang zudem forschungsgeschichtlich unumgänglich geworden, seit Adrian Schenker wahrscheinlich zu machen versucht hat, Rekonstruktion und Interpretation der LXX-Vorlage führten hier auf eine Theologie des Bundes und darüber hinaus der gesamten Heilsgeschichte Israels, die in derart eklatantem Widerspruch zur sonstigen biblischen Tradition stehe, dass nur eine Autorität wie die des Propheten selbst für ihre Aufbewahrung und Überlieferung gesorgt haben könne. In griechischer Übersetzung sei ein „echtes Wort“ Jeremias konserviert,56 in dem dieser ausgesprochen habe, wonach wir in der alttestamentlichen Literatur sonst vergeblich suchen, dass nämlich nicht allein Israel, sondern auch Jhwh den Bund gebrochen habe – mit dem Ergebnis, dass „Israel den größten Teil seiner Geschichte ohne Bund mit Gott gelebt hat.“57 Diesen Zustand beende der verheißene neue Bund und die mit ihm verbundene unmittelbare Einschreibung des Gotteswillens in das Herz des Menschen, wobei nicht allein an eine neuartige Vermittlung der Tora gedacht sei, sondern an „neue Gesetze“.58 MT bezeuge demgegenüber eine gezielte Entschärfung des „skandalöse[n]“ Prophetenwortes, sozusagen eine orthodoxe Standardisierung, die die Idee eines effektiven Bruchs des Bundes getilgt und die Identität der Tora betont habe.59 Die Befunde, auf die Schenker seine profilierte These stützt, sind rasch zu überblicken.60 Zuerst und vor allem ist auf die oben bereits wahrgenommene Lesart ἐγὼ ἠμέλησα αὐτῶν in LXX Jer 38,32bβ hinzuweisen. Unbeschadet der gleich aufzunehmenden Frage, auf welche Vorlage sie möglicherweise zurückgeht und in welchem Verhältnis diese zu der unterschiedlich gedeuteten MT-Lesart ‫ בעלתי בם‬steht, geht aus diesem Wortlaut tatsächlich unzweideutig hervor, dass Jhwhs Aktion als strafende Reaktion auf den im unmittelbaren Vorkontext erwähnten Ungehorsam aufgefasst ist. Hinzu kommen zwei Lesarten in V.  33, die anstelle des ebenfalls problematischen ‫ נתתי‬auf Griechisch gebotene, im Futur gehaltene Figura etymologica διδοὺς δώσω sowie für ‫ תורתי‬der Plural νόμους μου. Obwohl – beziehungsweise weil – sie bei Schenker keine Rolle spielen, sei schließlich noch auf zwei weitere Numerusdifferenzen in der Darstellung von Nomina in V.  34 (ταῖς ἀδικίαις und τῶν ἁμαρτιῶν) aufmerksam gemacht. Denn sie illustrieren den verschiedentlich notierten Sachverhalt, „dass Toleranzen bei der Wiedergabe der Numeri für den Übersetzer nicht mit seinem Verständnis von Wörtlichkeit kollidierten.“61 56 

Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 43. Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 41. 58  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 62. 59  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 46–47; das Zitat a. a. O., 25. Schenkers These ist aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert und zurückgewiesen (s. im Folgenden), von manchen aber auch produktiv weitergeführt worden, prominent etwa bei Otto, Old and New Covenant, 940, und ders., Welcher Bund ist ewig, 166–168. 60  Text nach Ziegler, Ieremias. 61  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 249. Ausführlich dazu, auch unter der Frage nach wechselnden Übersetzern beziehungsweise unterschiedlichen Rezensionen, a. a. O., 249–252, ferner Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 3–4. 57 

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Schlechterdings grundlegend für Schenkers Interpretation ist Jhwhs Aussage nach LXX Jer 38,32bβ: … und ich habe mich nicht um sie gekümmert. Was war nun aber die Vorlage des Verbs ἠμέλησα? Nach Schenkers Ansicht lässt sie sich nicht mehr mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren. Die naheliegende Annahme einer Textverderbnis von ‫ בעל‬zu ‫ געל‬lehnt er dezidiert ab, mit der Begründung, dass sinnverändernde Unterschiede „meistens“ nicht auf Textverderbnis, sondern auf literarische Initiative zurückgingen.62 Obwohl er also offen zugesteht, das Verb der Vorlage nicht auf textlicher Grundlage identifizieren zu können, spricht Schenker eine Vermutung aus, die dann sozusagen die selbstgelegte Grundlage seiner gesamten weiteren Abhandlung bildet: Hinter ἀμελεῖν müsse ein Verb der „Verwerfung“ wie etwa ‫ מאס‬oder des „Verdrusses“ und der „Scheidung“ wie ‫ שׁ לח‬gestanden haben. „Was immer dieses hebräische Verb war, das sich nicht mehr identifizieren lässt, es bedeutete die Auflösung des Verhältnisses, die Kündigung des Bundes mit den Israeliten.“63 Im Vergleich mit MT, der Jhwhs Treue trotz Israels Ungehorsam herausstelle, spiegele LXX so eine andere Auffassung von dem „geistigen Drama“, das sich am Gottesberg abgespielt habe: „Der LXX zufolge […] liessen die Israeliten der Auszugsgeneration den Bund hinfällig werden, worauf sich JHWH seinerseits von ihnen in Überdruss abwandte, sodass der Bund zu bestehen aufhörte. Es ist das Fiasko des ersten Bundes, das die Initiative JHWHs erklärt, einen neuen Bund mit Israel (und Juda) zu schliessen, um dem bundeslosen Zustand ein Ende zu setzen!“64 Dass nach dieser Auffassung seit der Herausführung aus Ägypten und bis in die Gegenwart Jeremias kein Bund Jhwhs mit Israel bestanden habe, bestätige im Übrigen auch die Parallele LXX Jer 3,14 mit ihrer futurischen Lesart κατακυριεύσω: „Gott wird sich erst als rettender Meister erweisen. […] Jetzt gibt es kein Verhältnis zwischen ihm und seinem Volk.“65 Den zweiten tragenden Pfeiler der von ihm im ale­ xandri­nischen Jeremiabuch wahrgenommenen Geschichtstheologie bildet aber vor allem Schenkers Bewertung des Befunds in Jer 11. Der dortige, in der Regel und mit Recht als sekundäre Erweiterung gegenüber einer kürzeren Vorlage der LXX angesprochene Passus MT Jer 11,7–8* (bis ausschließlich ‫)ולא עשו‬66 stellt in aller Ausdrücklichkeit das – mit Walter Groß gesprochen – Kontinuum einer langen Geschichte des Ungehorsams heraus.67 Damit beschreibt er zugleich, wie Schenker treffend bemerkt, die Geschichte Israels als „eine lange Geduld Gottes, der seinen Bund unbeirrbar aufrechterhielt“.68 Just dieses Element fehle aber der von LXX gespiegelten kürzeren Fassung, in der Jeremias Bundesrede vielmehr als Einladung 62 

Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 23, das Zitat a. a. O., Anm.  24. Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 23. 64  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 24 (Hervorhebung im Original). 65  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 22 (Hervorhebung im Original). 66  Zur Analyse s. o., S.  152, Anm.  261. 67  Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260. 68  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 36. 63 

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Jhwhs zur „Neuschließung seines Bundes“ zu interpretieren sei69 – eine Einladung freilich, die Israel erneut ausgeschlagen habe.70 Den zwei Theologien des neuen Bundes, die Schenker so rekonstruieren möchte, korrespondiere schließlich auch die jeweilige Konzeption des kodifizierten Gotteswillens. Was MT angeht, so hält sich Schenker an den überlieferten Text von V.  33aβ und wertet ‫ נתתי‬als Vergangenheitsaussage, indem er die beiden Kola als antithetischen Parallelismus und ‫ קרב‬als Mitte im soziologischen Sinne interpretiert; gemeint sei die Gabe der Tora am Gottesberg.71 Diese traditionskonforme Lesart verdanke sich indes wiederum erst der Korrektur einer Fassung, die in der griechischen Übersetzung noch aufbewahrt sei. Wie gesehen, bietet LXX in beiden Teilen des Parallelismus eine Zukunftsaussage. Gleich mehrere Gründe scheinen Schenker dafür zu sprechen, dass sie damit tatsächlich eine hebräische Vorlage wortgetreu wiedergebe: Zum einen der harte Hebraismus, den die Figura etymologica darstellt; zum zweiten der die gleichen Tempusverhältnisse aufweisende Vergleichsbeleg Jer 3,14; dann aber vor allem („der Hauptgrund“) die Tatsache, dass sich die Differenz zwischen MT und LXX hinsichtlich des Tempus (Vergangenheit versus Zukunft) mit einer Differenz im Numerus verbindet, nämlich der an der Stelle von ‫ תורתי‬gebotenen Rede von νόμοι oder Gesetzen Jhwhs.72 Bei dem neuen Bund, wie er durch die ältere alexandrinische Fassung bezeugt ist, gehe es mithin um eine künftige „anthropologische Einpflanzung der Weisungen Gottes“,73 und dies dezidiert im Plural. Verheißen werde die Mitteilung „mannigfaltiger Weisungen“, die „alte Weisungen mit einschließen mögen, aber neue keineswegs ausschließen.“74 „Die Gebote oder Gesetze dieses künftigen neuen Bundes werden […] nicht nur die bisherigen Gebote sein. Es werden neue Gesetze sein.“75 Summa summarum ergeben sich für Schenker so in der Tat zwei grundsätzlich geschiedene Theologien: „Israel und die Tora werden weder verworfen noch ersetzt: das sagt der MT. Israel wurde verworfen, aber dabei wird es nicht bleiben, und die Tora, Gottes Weisungen, werden noch erweitert und ergänzt werden:  das sagt die LXX aufgrund ihrer hebräischen Basis.“76 Es erstaunt nicht, dass sich Schenker an-

69 

Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 37 (Hervorhebung im Original). Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 38. Von daher kann Schenker die von ihm in der alexandrinischen Ausgabe des Jeremiabuches wahrgenommene Konzeption der Geschichte Israels auch als „Theologie der drei Bundesschlüsse“ (ebd.) zusammenfassen: Sie ist gegliedert durch den gescheiterten Bund am Sinai, einen gar nicht erst geschlossenen Bund in den Tagen des Propheten Jeremia und den die bundeslose Geschichte Israels endlich beendenden neuen Bund. 71  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 26–31. 72  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 32–34, das Zitat a. a. O., 33. 73  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 39. 74  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 40. 75  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 62. Ähnlich etwa noch Walser, Jeremiah, 413. 76  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 64. 70 

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gesichts dieser Darstellung beeilt anzufügen: „Beide Anschauungen sind israelitische und jüdische Auffassungen.“77 Rückfragen drängen sich nach diesem Referat förmlich auf – philologische ebenso wie theologische. Dabei entspricht es Schenkers eigenem Anspruch, seine theologische Deutung danach zu bewerten, inwieweit sie sich auf eine tragfähige historisch-philologische Grundlage stützen kann. Eben dies hat Hermann-Josef Stipp untersucht,78 Karin Finsterbusch zudem die postulierte Konzeption einer Kündigung des ‚alten‘ Bundes durch Jhwh einer kritischen Prüfung im Gesamtkontext des alexandrinischen Jeremiabuches unterzogen.79 Im Blick auf die Rekonstruktion des hebräischen Textes von LXX Jer 38,32bβ, mit der die These einer Kündigung des Bundes durch Jhwh steht und fällt, weist Stipp zunächst Schenkers Argument zurück, nach dem die Vorlage nicht mit ‫ געלתי‬formuliert gewesen sein könne: Unter geeigneten Umständen kann eben auch aus unabsichtlicher Textverderbnis ein neuer Sinn erwachsen.80 Eine Formulierung mit ‫מאס‬ oder ‫שׁ לח‬, wie von Schenker vermutungsweise erwogen, lässt sich zwar nicht a limine ausschließen, ist im Vergleich aber weit weniger wahrscheinlich. Das bedeutet indes, dass die abweichende Lesart der LXX wohl von einem bloßen Schreibfehler herrührt, mithin keine Rückschlüsse auf eine andere theologische Aussageabsicht erlaubt.81 Ohnehin wäre sie, da mit der textkritischen Tradition eine Verschreibung von ursprünglichem ‫ בעלתי‬zu ‫ געלתי‬einfacher zu erklären ist als umgekehrt, kaum als die ältere Absicht einzuschätzen.82 Damit hat die theologische Deutung des dargestellten Geschehens als effektiver Bruch des Bundes durch Jhwh ihre Grundlage verloren.83 Hinzu kommt, dass auch 77  Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 64. Vgl. den harten Vorwurf von Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 173, Schenkers Auslegung habe zum Ziel, das alte christliche Verwerfungsurteil zu repristinieren, und die Verwahrung dagegen in Schenker, Apologia pro libro meo. 78  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘. 79  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde. 80 Ausführlich Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 242–245. 81  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 244. Unter Aufnahme der Kritik Stipps konzediert Schenker, Welche Argumente wiegen schwerer auf der Waagschale, 114–115; ders., Apologia pro libro meo, 157–158, inzwischen, dass mit größter Wahrscheinlichkeit ‫ געלתי‬als Lesart der LXX-Vorlage zu rekonstruieren ist, hält aber unter Verweis auf die parallele Verwendung dieses Verbs mit ‫מאס‬ in Lev 26,44 an seiner Deutung als Kündigung des Bundes fest. Zur Einordnung dieser Argumentation vgl. allerdings oben, S.  100 ff., zu Lev 26,40–45. 82  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 244–245, unter Abwägung der Vergleichsbelege für beide Lesarten in Jer 3,14 und 14,19. 83  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, rechnet für LXX Jer 38,32 und das alexandrinische Jeremiabuch insgesamt zwar mit einer hernach durch die Masoreten abgemilderten „Kategorie göttlicher (legitimer) ‚Bundesbruch‘“, die dazu gedient habe, „die äußerste Dimension von JHWHs Strafhandeln anzudeuten“ (a. a. O., 111). Doch habe Jhwh von diesem „Recht“ gerade nicht Gebrauch gemacht und stattdessen zum Mittel einer temporären Suspension des Bundes für zwei Generationen, die Exodusgeneration und die des Zidkija, gegriffen. – Finsterbuschs differenzierte Deutung wirft ihrerseits Rückfragen auf, die an dieser Stelle nicht in der ihnen angemessenen Ausführlichkeit diskutiert werden können. Zwei seien wenigstens notiert: Zum ei-

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der vermeintliche Stützpfeiler, den die These in LXX Jer 11 findet, nicht trägt. Zwar ist richtig, dass die dortige MT-Erweiterung in V.  7–8* die Kontinuität des Ungehorsams gegen die Bundesverpflichtung durch die Geschichte noch zusätzlich herausstreicht, ausgesprochen ist sie aber auch in dem bereits der alexandrinischen Kurzfassung des Kapitels zuzurechnenden V.  10. Dieser Befund scheint Schenker entgangen zu sein, jedenfalls ist er unvereinbar mit seiner Deutung auf eine vom Gottesberg bis in Jeremias Gegenwart reichende „Zwischenzeit[…] ohne Bund“, 84 wie besonders Finsterbusch mit Recht herausstellt.85 Indem der Prophet seinen Zeitgenossen Gehor­ sam gegen den Sinaibund ins Stammbuch schreibt, bestätigt er dessen ungebrochene Gültigkeit.86 Dafür kann Finsterbusch überdies geltend machen, dass ausweislich von Jer 31,34bβ auch die von Jeremia Angesprochenen der verheißenen Vergebung be­ dürfen.87 Was schließlich die Konzeption einer offenen, ‚neuen‘ Tora (Torot) angeht, die Schenker aus Futur und Plural in LXX Jer 38,33aβ erschließen zu können meint, kommt Stipp zu einem im Detail abgewogenen, im Ganzen aber nicht weniger eindeutigen Urteil.88 Ausschlaggebend ist dabei die Frage, inwieweit der griechische Wortlaut seine Vorlage noch zu erkennen gibt. Während der hebraisierende Duktus (Figura etymologica) in der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Wortlaut der Vorlage mit einem absoluten Infinitiv begann, ist nicht ebenso klar, wie sich das Futur δώσω zu der in MT belegten qātal-Form ‫ נתתי‬verhält. Widersprüche zwischen unserer Auffassung vom Zeitbezug der hebräischen Verben und der Tempuswahl in LXX nötigen vielmehr, wie Stipp ausführlich darlegt, zu dem Schluss, „dass der Übersetzer die Zeitdeixis der Verben oftmals anders auffasste als wir, sodass er eine exakte Wiedergabe vorzulegen glaubte, obwohl er es nach unseren Maß-

nen wäre die Einführung des Generationenschemas in den Problemzusammenhang ‚Bundesbruch‘ im Licht der diesbezüglichen Diskussion bei Gross, Zukunft für Israel, 104–125, kritisch zu prüfen (vgl. insbesondere a. a. O., 121, Anm.  37). Zum anderen bleibt zu fragen, inwiefern die Rede von ­einem möglichen Bruch des Bundes durch Jhwh im Sinne einer strafenden Reaktion als Proprium des älteren alexandrinischen Jeremiabuches gelten kann. In Jer 14,21 ist sie nicht weniger eindeutig auch für die masoretische Ausgabe belegt. Eingehend zur Sache s. o., S.  132. 84  So auf den Begriff gebracht bei Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 40. 85  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94; s. auch Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 253. 86  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 94. Selbst wenn man davon absehen wollte, bliebe unklar, inwiefern die Ermahnung des Propheten als Bundesschluss gelten sollte, wie Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 253, festhält. Er weist überdies darauf hin, dass die einschlägige Terminologie ‫ כרת ברית‬in beiden Fassungen des Kapitels allein unter Bezug auf die Exodusgeneration benutzt wird. 87  Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 103, unter der mit Gross, Zukunft für Israel, 141.143, vorausgesetzten, in der Tat nahezu unabweisbaren Annahme, dass die zu vergebende Schuld mit dem in V.  32b angesprochenen Ungehorsam (‚Bundesbruch‘) zu verbinden ist. 88  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 247–252.

2.  Der neue Bund und die alte Tora

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stäben nicht tat.“89 So ist zwar nicht auszuschließen, aber eben auch nicht zu beweisen, dass die von Schenker vorgeschlagene Rekonstruktion einer mit hebräischem Imperfekt formulierten Vorlage das Richtige trifft.90 Doch selbst in diesem Fall wäre auch hier erst zu klären, welche Lesart als die ursprünglichere zu gelten hat. Noch ungünstiger für Schenkers These fällt die Prüfung seiner Argumentation mit den unterschiedlichen Numeri bei der Bezeichnung des Gotteswillens aus. Angesichts des in LXX Jeremia breit belegten Sachverhalts, dass sich der Anspruch einer wörtlichen Übersetzung aus Sicht des Übersetzers offensichtlich nicht auf die Wiedergabe der Numeri erstreckte,91 kann der Plural νόμους „mit so hohem Sicherheitsgrad der Übersetzungstechnik zugeschrieben werden, dass jedes methodische Recht entfällt“, auf seiner Grundlage eine entsprechende hebräische Vorlage anzunehmen.92 So ist zu resümieren, dass der Nachweis der von Schenker in LXX Jer 38,31–34 ‚wiederentdeckten‘, vermeintlich ursprünglichen Theologie des neuen Bundes „weder für die hebräische noch für die griechische Fassung des alexandrinischen Textes gelingen will.“93 Auch wenn man, was in der Tat unbedingt geboten erscheint, nicht eine Ausgabe des Jeremiabuches untersucht, sondern das Jeremiabuch in seinen unterschiedlichen Ausgaben, so ergibt sich in dieser Hinsicht keine andere Aussage. Festzuhalten ist daher für das masoretische Jeremiabuch – mit Schenker – und ebenso auch für das alexandrinische – hier gegen ihn – ein doppeltes Ergebnis. Erstens: Der Schluss des neuen Bundes beendet keineswegs eine bundeslose „Zwischenzeit“ (die nach der These nahezu die gesamte Geschichte Israels umfasst hätte, vom Sinai bis in die eschatologische Zukunft der fiktiven Adressaten). Zweitens: Die Tora im neuen Bund wird keine andere sein als die zuvor bekannte. Das erste dieser beiden Ergebnisse entspricht in der Tat auch dem, was wir bereits bei der exegetischen Klärung des Ausdrucks ‫ הפר ברית‬feststellen konnten.94 Die drei wesentlichen Erkenntnisse dieser Untersuchung seien hier rekapituliert, denn sie erlauben, das in Auseinandersetzung mit Schenker gewonnene Ergebnis noch zu vertiefen und zugleich in einen weiteren Horizont zu stellen: (1) Die bildhafte Rede vom ‚Bruch‘ des Bundes durch Israel meint, dass das Volk seinem Gott beziehungsweise der ihm von diesem im Rahmen der Bundesbeziehung auferlegten Verpflichtung untreu geworden ist, nicht hingegen, dass der Bund durch 89 

Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 248. Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 102 mit Anm.  48, die sich hier Schenker anschließt. 91  S. dazu bereits oben, S.  174, mit Verweise auf Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 249–252, und Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia 1–24, 3–4. 92  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 252; dasselbe Ergebnis bei Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 102. 93  Stipp, Die Perikope vom ‚Neuen Bund‘, 258. 94  S. o., S.   131–132, dort im Gespräch mit Thiel, HĒFĒR BERÎT; Gross, Zukunft für Israel, 120–125; Stipp, Meinen Bund hat er gebrochen, 131–133, und Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde. 90 Anders

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

solchen Ungehorsam tatsächlich zerbrochen, die Beziehung beendet wäre. Es steht gerade nicht in Israels Macht, den Bund Jhwhs zu annullieren. (2) Dies vermöchte nur Jhwh selbst; wo er Subjekt des Ausdrucks ist, meint Bundesbruch tatsächlich den Abbruch der Beziehung. (3) Doch eben dieser Akt wird von Jhwh nicht ausgesagt. An den drei Stellen im Alten Testament, an denen ‫ פרר‬Hif. + ‫ ברית‬mit Jhwh als Subjekt konstruiert wird (Jer 14,21; Lev 26,44; Ri 2,1), ist die Aussage verneint. Wenn dies richtig sein sollte, und wenn damit die Auffassung noch bekräftigt würde, dass der Autor von Jer 31,31–34 die Gegenwart seiner Adressaten „im Zeichen der Gültigkeit des Auszugs-Bundes“ stehen sah,95 wie ist dann aber die verheißene Gabe eines neuen Bundes überhaupt zu erklären? Setzt nicht der Schluss eines neuen Bundes voraus, dass der ihm vorangehende aufgehört hat zu existieren? Eben dies ist ja die gängige Ansicht: dass der neue Bund notwendig ist, weil der ‚alte‘ zerbrochen ist.96 An sich leuchtet es durchaus ein, sich die vorausgesetzte Logik so zurechtzulegen. Nur spricht dagegen der exegetische Befund: einerseits die Semantik von ‫הפר ברית‬, zu der, wie gesehen, auch LXX Jer 38,32 keine Ausnahme bildet, andererseits die Tatsache, dass in Jer 11,9–10 und ebenso auch in Jer 31,31–34 der Bruch des Bundes gerade nicht einer Generation angelastet wird. Israel hat durch seine Geschichte hindurch immer wieder den Bund ‚gebrochen‘ – der dadurch offensichtlich nicht zerbrochen ist. Wie aber hat man sich den Schluss des neuen Bundes dann vorzustellen?97 Die Alternative lautet, dass Jhwh den neuen Bund unmittelbar an die Stelle des bis dahin bestehenden, zwar von Israel, nicht aber von ihm selbst ‚gebrochenen‘ Bundes setzen und diesen dadurch ersetzen wird. Diese Erklärung hat bereits Walter Groß ins Spiel gebracht,98 damit aber, soweit ich sehe, kaum Aufnahme gefunden.99 Doch wird sie dem exegetischen Befund gerecht und erlaubt eine logisch konsistente Rekon95 

111.

Mit einer Formulierung von Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde,

96  Einige mehr oder weniger zufällig ausgewählte Beispiele: Noth, Die Gesetze im Pentateuch, 90; von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 221; Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 141 („Deshalb und nur deshalb ist der Schluß eines neuen Bundes erfordert“); Krašovec, Vergebung und neuer Bund nach Jer 31,31–34, 433 („Der neue Bund ist notwendig, weil Israel den ‚alten‘ Bund gebrochen und ihn dadurch zunichte gemacht hat“); Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 262 („Der davon [sc. von dem neuen Bund] abgehobene Exodusbund ist nicht ‚alt‘, sondern er existiert nicht mehr, denn er wurde gebrochen“); Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 38 („Weil der erste Bund gebrochen wurde […] und der zweite Bund überhaupt nicht geschlossen werden konnte […], musste Gott einen dritten Bund ersinnen“); Otto, Welcher Bund ist ewig, 166–168 (im Anschluss an Schenker diagnostiziert Otto eine „jeremianische[…] Theorie der Bundesdiskontinuität“); Olyan, The Status of Covenant During the Exile, 340; Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 409. Die Belege ließen sich nahezu beliebig vermehren. 97  Vgl. dazu auch Rata, The Covenant Motif in Jeremiah’s Book of Comfort, 47. 98  Gross, Zukunft für Israel, 120–122 mit Anm.  37, unter Revokation früherer Aussagen wie der oben in Anm.  96 zitierten. 99  Vgl. neuerdings aber Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 118:

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struktion der vorgestellten Dramaturgie des eschatologischen Ereignisses: „Nicht der Berit-Bruch des Volkes, sondern die neue Berit-Gabe YHWHs bereitet der vorherigen Berit ein Ende“.100 Unter dieser Voraussetzung erscheint im Übrigen auch die alte Debatte um die Kategorisierung des verheißenen Bundes als „neu“ oder als „erneuert“101 in anderem Licht. Der Verfasser der Perikope vom neuen Bund setzt rhetorisch in der Tat alles daran, diesen neuen Bund gerade nicht als bloße Erneuerung erscheinen zu lassen102 – was aber eo ipso weder bedeutet, dass der Bund, den dieser neue ablösen wird, inadäquat gewesen, noch, dass er gescheitert sei.103 Mit der Annahme einer unmittelbaren Ablösung des ‚alten‘ Bundes durch den neuen lässt sich das Wie des verheißenen Bundesschlusses beziehungsweise der vorgestellte „Handlungsablauf“ plausibilisieren.104 Warum es eines neuen Bundes bedarf, wo doch der von ihm abzulösende noch in Geltung steht, ist damit noch nicht geklärt. Es ergibt sich erst im Blick auf seinen Inhalt: auf die durch die Bundesformel angezeigte Zuordnung Jhwhs zu Israel und Israels zu Jhwh, auf die Tora als Mittel und Maß dieser Gemeinschaft, und vor allem – denn hier erst tritt tatsächlich etwas Neues auf den Plan – auf den Modus ihrer Vermittlung. Darum – um die alte Tora und ihre endgültige Verinnerlichung – geht es im Folgenden.

3.  Die Tora in Buch und Herz, ihr Lehren und Lernen und die konditionale Struktur des Bundes Die noch von literarkritischen Klassikern gern dem Propheten zugeschriebene Verheißung eines neuen Bundes105 kann nicht vor der formativen deuteronomistischen „Erst im Zuge einer in unbestimmter Zukunft verheißenen Schließung eines neuen Bundes […] wird JHWH die Gültigkeit des Auszugs-Bundes definitiv aufheben […].“ 100  Gross, Zukunft für Israel, 121–122, Anm.  37. 101  Dazu mit durchaus unterschiedlicher Ausrichtung und Argumentation vor allem Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 138–141; Lohfink, Der niemals gekündigte Bund; Zenger, Die Bundestheologie, 29; Rendtorff, Was ist neu am ‚Neuen Bund‘; ders., Was ist neu am neuen Bund. Zur Diskussion s. Gross, Neuer Bund oder Erneuerter Bund; ders., Erneuerter oder Neuer Bund. 102  Exegetisch aufgewiesen von Gross, Erneuerter oder Neuer Bund; s. ferner ders., Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 261– 262; ders., Zukunft für Israel, 146–149. Mit Recht gibt Groß dabei allerdings zu bedenken, dass für den Verfasser „das sich durchhaltende Gemeinsame – Adressaten, Tora, Bundesformel“ wohl so „selbstverständlich“ war, dass er es nicht eigens betonen zu müssen meinte – und sich stattdessen ganz auf die Pointe des neuen Bundes konzentrieren konnte (a. a. O., 149, Anm.  61). 103  Wenngleich die mit besonderem Nachdruck von Zenger, Die Bundestheologie, 29, verfochtene Lösung, auch in der Perikope vom neuen Bund werde nur mit einem Bund gerechnet, dem exegetischen Befund nicht gerecht wird, so bezeugt sie doch ein feines Gespür für ein Grund­pro­ blem der Auslegung dieser Stelle – das sich erst lösen lässt, wenn man die Möglichkeit der unmittelbaren Ersetzung des einen Bundes durch den anderen in Betracht zieht. 104  Mit einer Formulierung von Gross, Zukunft für Israel, 144. 105  Vgl. die eingehend begründete, biographisch gefärbte Gegenposition bei Duhm, Das Buch Jeremia, 254–255.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

Bearbeitung der Jeremia-Überlieferung entstanden sein. Hinter diesen von Siegfried Herrmann und Winfried Thiel erbrachten Nachweis106 kann und will kaum jemand mehr zurück.107 Zu eindeutig sind die sprachlichen Formen und Klischees. Zugleich kann man bei diesem Ergebnis aber auch nicht stehen bleiben. Denn der Sprach­ beweis allein reicht für eine redaktionsgeschichtliche Einordnung, wie sie Thiel vertreten hat, nicht hin.108 Eine solche müsste vielmehr auch durch den sachlichen ­Gehalt gedeckt sein. Eben dies steht aber infrage, seit Walter Groß und Konrad Schmid hinter der deuteronomisch-deuteronomistischen „Fassade“ des Textes eine un- beziehungsweise anti-deuteronomistische Absicht ausgemacht haben.109 In Jer 31,31–34 würden die für den deuteronomisch-deuteronomistischen Vorstellungsraum schlechterdings grundlegenden Institutionen des Torabuchs und der Vermittlung der Tora durch Lehren und Lernen abgewertet, so ihre Diagnose.110 Diese Deutung stützt sich im Wesentlichen auf zwei Beobachtungen. Die erste bezieht sich auf V.  33 und den dort vorliegenden, chiastisch gestalteten Parallelismus ‫נתתי את־תורתי בקרבם ועל־לבם אכתבנה‬. Buchintern kann das Schreiben der Tora auf das Herz durch Jhwh zunächst an die in Jer 8,8 (auch 2,8) zum Ausdruck gebrachte Klage über mangelhafte Vermittlung der Tora durch jene gesellschaftlichen Institu­tio­nen, die von Berufs wegen mit dieser Aufgabe betraut sind, erinnern.111 Vor allem aber scheint Jer 31,33 als Gegenüber zu Jer 17,1 und der Rede von der Sünde Judas gebildet zu sein, die eingeschrieben, ja graviert ist auf die Tafel ihres Herzens.112 Doch reiche dieser Kontrast noch nicht hin, um die Formulierung des Parallelismus in Jer 31,33 zu erklären, argumentiert Groß.113 Denn die auffällige Fokussierung der Umstandsangabe ‫ ועל־לבם‬in dessen zweiter Hälfte, die entgegen der gewöhnlichen Satz106  Herrmann, Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament, 179–185.195–204; Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, 23–28; vgl. auch ders., Die Rede vom ‚Bund‘ in den Prophetenbüchern, 16–17. 107  In neuerer Zeit etwa Robinson, Jeremiah’s New Covenant, oder Lundbom, Jeremiah 21–36, 471; vgl. noch Renaud, Nouvelle ou éternelle alliance, 67–76. 108  Zu diesem Problem s. bereits Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches. 109  Gross, Neuer Bund oder Erneuerter Bund; ders., Erneuerter oder Neuer Bund; zusammenfassend ders., Zukunft für Israel, 134–152; Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 67–69.81– 84.302–304.346–349 (a. a. O., 84, auch das Zitat). 110  Bekräftigt durch die Analyse bei Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 340–352, der zufolge die Perikope vom neuen Bund ein dem deuteronomistischen Deuteronomium „entgegengesetztes Anliegen“ (a. a. O., 350) vertritt. 111  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68; Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 348. In diesem Sinne auch schon Weinfeld, Jeremiah and the Spiritual Metamorphosis of Israel, 28–29, er allerdings mit der Annahme, hier in historischer Hinsicht die Haltung des Propheten Jeremia, dem er die Verheißung des neuen Bundes zuschrieb, zu der Reform des Josia beziehungsweise dem aus seiner Sicht unzureichenden Erfolg der mit ihr verbundenen „literary-religious activity“ (a. a. O., 29) greifen zu können. Vgl. ferner Carroll, Inscribing the Covenant. 112  Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 261; Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68. Vgl. zuletzt etwa noch Bauks, Theologie des Alten Testaments, 144. 113  Gross, Zukunft für Israel, 145.

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teilfolge vor das finite Verb gestellt ist, lege den Ton nicht auf die Tora, die nun anstelle der Sünde auf das Herz geschrieben wird. Vielmehr werde eine andere Opposition angezielt: Auf ihr Herz schreibe ich die Tora, nicht auf – „und dann ist wohl zu ergänzen: ‚nicht auf eine Buchrolle‘.“114 Damit gebe die Verheißung, so Groß’ Schlussfolgerung, „das dtn-dtr Prinzip der schriftlichen Tora zugunsten der ins Herz […] eingeschriebenen Tora auf“.115 Mit der Tora als Buch werde sodann auch ihre Vermittlung durch Lehren und Lernen negativ evaluiert und abgewiesen, wie zum zweiten unter Bezug auf Jer 31,34 argumentiert wird. In der Tat lässt der Wortlaut keinen Zweifel daran: In der kommenden, eschatologisch geschauten Heilszeit wird gegenseitige Belehrung über den Gotteswillen und dessen Weitergabe von Generation zu Generation „überflüssig“ sein.116 Gott selbst wird ja die Tora in eines jeden Herz geschrieben haben.117 Diese Zukunftsvision ist als „Abweisung“ der Toravermittlung durch öffentliche Verlesung (Dtn 31,9–13) und häusliche Katechese (Dtn 6,6–9 par.  11,18–21), wie sie das Deuteronomium für die Gegenwart der Adressaten propagiert,118 gedeutet worden.119 Schmid, der dies mit besonderem Nachdruck vertreten hat, stellt zur Begründung Jer 31,31–34 neben Dtn 6,4–9: „Der neue Bund ersetzt […] nachgerade die ‚alte‘ pädagogische Einleitung des Gesetzes“.120 Kurz gesagt, Jer 31,34 „verneint die lehrmäßige Vermittlung der Tora.“121 Ja, mehr noch, hinter dem radikalen „Gegenkonzept“, das die Verheißung vom neuen Bund damit entwerfe,122 stehe ein grundsätzlicher Zweifel an der „Vermittelbarkeit des Gotteswillens an den gegenwärtigen Menschen“,123 das heißt an der „Rezipierbarkeit der äußerlich vorgegebenen Tora“.124 Eine hinreichende Aneignung der in einem Buch aufgeschriebenen Tora durch Lehren und Lernen sei nach Auffassung der für Jer 31,31–34 verantwortlichen Tradenten gar 114  Gross, Zukunft für Israel, 146. So im Anschluss an Groß auch Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68, der im Blick auf seine These einer kritischen Überwindung von Dtn 6,4–9 (s. im Folgenden) ergänzt: „Nicht auf eine Buchrolle oder die Türpfosten“. In dem neueren Beitrag ders., Schrift und Schriftmetaphorik in der Prophetie des Jeremiabuchs, wird die Fragestellung nicht mehr angesprochen. 115  Gross, Zukunft für Israel, 146. 116  So mit Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 350. 117 Vgl. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 346. 118  Grundlegend zur Sache Braulik, Das Deuteronomium und die Gedächtniskultur Israels, und Finsterbusch, Weisung für Israel. Vgl. auch Otto, Lehre und Lernen der Tora; Markl, Gottes Volk im Deuteronomium, 62–66; Finsterbusch, Modelle schriftgestützten religiösen Lehrens und Lernens in der Hebräischen Bibel, und schon Greenberg, Was ist neu am neuen Bund, 19–20. 119  S. vor allem Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 81–82; das Zitat a. a. O., 68. 120  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 81–82. S. dazu auch Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 346. 121  So das Fazit bei Gross, Zukunft für Israel, 146. 122  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68. 123  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 69, Anm.  81 (im Original ohne Hervorhebung). 124  Gross, Zukunft für Israel, 145; vgl. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 302, der seine oben zitierte Formulierung variiert, indem er von „der Vermittelbarkeit des geschriebenen Gesetzes an den Menschen“ spricht.

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nicht möglich, das Israel der Gegenwart mithin nicht fähig, seinem Gott Gehorsam zu leisten.125 Hinter ihrer deuteronomistischen Sprachfassade rede die Perikope so einer sachlichen Abwertung der schlechterdings grundlegenden Werte deuteronomisch-deuteronomistischen Denkens das Wort. Die referierte Deutung mag zunächst schlüssig klingen, und sie erlaubt, die singuläre Rede von einem neuen Bund exegetisch einzuholen. Daher hat sie stark gewirkt, wie schon ein rascher Blick in seitdem erschienene Handbücher und Kommentare lehrt.126 Heute könnte sie so wohl aber nicht mehr formuliert werden. Das liegt in erster Linie an der mittlerweile gewachsenen Einsicht, dass Idiomatik und lebensweltliche Präsuppositionen der Verheißung aus der im Alten Orient und darüber ­hinaus in der antiken Welt gebräuchlichen Praxis mündlich-schriftlicher Textüberlieferung und entsprechender Schreiberausbildung stammen. In den Nachbar­dis­zi­ plinen schon länger diskutiert,127 ist die Ausarbeitung der einschlägigen Erkenntnisse für die alttestamentliche Wissenschaft in erster Linie David Carr zu verdanken.128 Im Licht seiner Arbeiten wird nicht nur klar, dass hinter der Verheißung ein bestimmtes Bildungsideal steht, sondern auch, wie die dabei vorausgesetzte Bildung konkret vonstattenging. Einzusetzen ist bei dem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang der deuteronomisch-deuteronomistischen Programmatik des Lehrens und Lernens mit der Weisheitsliteratur, auf den bereits Moshe Weinfeld und andere aufmerksam gemacht haben.129 Er liegt auf der Hand, wenn man Dtn 6,6–9; 11,18–20 neben Spr 3,3; 6,20–22 und 7,1–3 hält.130 Im Mittelpunkt steht jeweils die Rede vom Herzen (‫ )לב‬als dem kognitiven und voluntativen Zentrum der Person.131 Schreibe sie auf die Tafel deines Herzens! (‫)כתבם על־לוח לבך‬, wird der angesprochene Schüler in Spr 7,3 ermahnt – sie, nämlich die in V.  1–2 erwähnten Worte (‫)אמרי‬, Gebote (‫ )מצותי‬und die Tora (‫ )תורתי‬des Lehrers. Diese verbindende Tradition verweist nun aber ihrerseits, wie Carr in historischer Hinsicht herausgearbeitet hat, auf das Wesen schulischer Ausbildung im alten Israel. Deren didaktischer Ansatz bestand darin, Texte aller Sorten auswendig zu 125  Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 263. 126  Statt vieler s. zuletzt Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 409–410; Stipp, Jeremia 25–52, 271–285 (Lit.). 127  Vgl. die Kapitel zu Mesopotamien, Ägypten und dem vorhellenistischen Griechenland sowie zu hellenistischen und jüdischen Formen der weiteren Entwicklung bei Carr, Writing on the Tablet of the Heart, und die dort verzeichnete Literatur. 128  Carr, Writing on the Tablet of the Heart; ders., Mündlich-schriftliche Bildung und die Ursprünge antiker Literaturen. S. ferner van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible. Zu beider Werk s. Utzschneider, Performativität und Mündlichkeit als Kategorien alttestamentlicher Exegese, Abschnitt III.3. Zuletzt und unter Konzentration auf das Jeremiabuch, bedauerlicherweise aber ohne Besprechung unseres Textes, vgl. Leuchter, The Pen of Scribes. 129  Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School, 298–306. Vgl. zuletzt Carr, ­Writing That Dares Not Speak Its Name, 70–73. 130  Eine Übersicht bietet Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School, 299. 131 Vgl. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, 75–101.

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lernen, eben: sie auf das Herz zu schreiben.132 Das doppelte Ziel für die wenigen derart erstklassig ausgebildeten Schreiberschüler („the chief tradents of the cultural tradition“133) lautete, sich den Inhalt dieser Texte persönlich anzuverwandeln,134 um sie schließlich, je nach Bedarf und Anlass, wiedergeben zu können – mündlich wie schriftlich.135 Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Jer 31,33 mit der Rede vom Schreiben der Tora auf das Herz eine idiomatische Wendung einsetzt, die metaphorisch das Auswendiglernen von Texten bezeichnet.136 Derartige ‚Beherzigung‘ des jeweiligen Lernstoffes war das konkrete Ausbildungsziel des altisraelitischen Schulbetriebs137 und, davon abgeleitet, auch das regulative Ideal des – unbestritten programmatische Züge tragenden – volkspädagogischen Ansatzes,138 wie er in der deuteronomisch-­ deuteronomistischen Überlieferung vertreten wird (vgl. noch einmal Dtn 6,6–7). Grundlegend für diese im gesamten Alten Orient (und in traditionsgebundenen Gemeinschaften der Region zum Teil bis heute139) übliche Art der Ausbildung ist das Zusammenspiel von mündlicher und schriftlicher Textüberlieferung, das schon in der Metapher vom Schreiben auf das Herz aufscheint. Gegen die sich gerade in der alttestamentlichen Exegese hartnäckig haltende Tendenz, Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Gegensätze zu konstruieren, betont Carr: „Orality and writing technology are joint means for accomplishing a common goal: accurate recall of the treasured 132  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, stellt diesen Aspekt durchweg in den Vordergrund. Vgl. auch van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, 101–103 (mit der in dieser Hinsicht etwas unterbestimmten Rede von „the study of the classics“). 133  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 288. 134  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 126 und passim, bringt dies auf den Begriff „education-enculturation“. Vgl. hierzu auch van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, 96. 135  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 8–9. 136  Dass zeitgenössische Hörerinnen und Hörer mit Idiomatik und Praxis der (elitären) Schreiberausbildung hinreichend vertraut waren, um diesen Sprachgebrauch nachvollziehen zu können, stellt van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, 98, am Beispiel von Jes 50,4 fest: „Such metaphors and such language were apparently clear to the audience, which suggests familiarity on their part with the practices of scribal education.“ 137  Dieser dürfte notabene nur ausnahmsweise in einer regelrechten ‚Schule‘ mit entsprechender Infrastruktur und Schülerzahl (vgl. aber den Befund in Deir ʿAlla und dazu Blum, Institutionelle und kulturelle Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur, 17–25; ders., Die altaramäischen Wandinschriften von Tell Deir ʿAlla und ihr institutioneller Kontext), stattdessen zumeist im Rahmen eines persönlichen Verhältnisses zwischen dem Lehrer (‚Vater‘) und seinem Schüler (‚Sohn‘) – das ausweislich mancher Indizien in familiären Verbindungen gründen konnte, aber nicht musste – angesiedelt gewesen sein. Für diese wichtige Präzisierung, die dem gegenüber älteren Rekonstruktionen erhobenen Vorwurf anachronistischer Projektion Rechnung trägt, s. Carr, ­Writing on the Tablet of the Heart, 12–13, und van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, 97. Zur Diskussion s. ferner Finsterbusch, Modelle schriftgestützten religiösen Lehrens und Lernens in der Hebräischen Bibel, 229–230 (mit Lit.). 138 Vgl. Greenberg, Was ist neu am neuen Bund, 19–20. 139 Vgl. Weippert, Die ‚Konfessionen‘ Deuterojesajas, 111–112; Schorch, Das Lernen der Tora bei den Samaritanern heute, 114–115.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

tradition.“140 Im Zentrum dieses Zusammenspiels steht „the mind“141 – oder eben, hebräisch-anthropologisch gesprochen, das Herz: „The focus was on inscribing a culture’s most precious traditions on the insides of people.“142 Solche Verinnerlichung ließ die schriftlichen Vorlagen aber keineswegs obsolet erscheinen, im Gegenteil: „Within this context, copies of texts served as solidified reference points for recitation and memorization of the tradition“.143 Kurz und im Blick auf Jer 31,33–34 gesagt: Die Tora im Buch zielt auf die Tora im Herzen, umgekehrt hat die Tora im Herzen jene im Buch zur Voraussetzung. Wie stellt sich die von Groß und Schmid vorgetragene Deutung der Verheißung vom neuen Bund in diesem Licht dar? Zunächst zu dem von Groß in V.  33 wahrgenommenen Gegensatz zwischen dem Schreiben der Tora auf das Herz und dem dadurch abgewerteten Schreiben der Tora in ein Buch, durch den das Prinzip der schriftlichen Tora als solcher aufgegeben werde. Abgesehen davon, dass von einem Torabuch gar nicht die Rede ist,144 bleibt bei dieser Deutung unbeachtet: Schreiben auf das Herz steht idiomatisch für Auswendiglernen, dafür wiederum bedarf es einer schriftlichen Fassung des betreffenden Textes. Die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen der ‚äußerlichen‘ Tora und ihrer Verinnerlichung entspricht gerade nicht der den Rezipienten geläufigen wechselseitigen Bezogenheit von schriftlicher Fixierung und wörtlicher Memorisierung in der Pflege von Traditionstexten. Nun wird doch aber, wie eingewandt werden mag, in V.  34 gerade solches Studium beziehungsweise die von ihm abgeleitete häusliche Katechese ausdrücklich abgewiesen. Mit besonderem Nachdruck hat dies Schmid betont und durch die Profilierung von Jer 31,31–34 als Antithese zu Dtn 6,4–9 zu untermauern gesucht. Doch handelt es sich um eine Verheißung, die, wie nicht zuletzt Schmid selbst klar herausgearbeitet hat,145 erst für eine nicht näher bestimmte fernere Zukunft nach jenen Tagen in Aussicht gestellt wird, mit anderen Worten: um eine eschatologische Vision. Eine Aussage über die Gegenwart der Adressaten trifft sie gerade nicht.146 Vor allem aber ist auch hier zu bedenken, dass diese Verheißung in ihrer Substanz von der Vorstellungswelt des altorientalischen Schulwesens lebt. Dessen Bildungsideal wird in einer doppelten Programmatik weitergeführt und überboten. Einerseits geht es nicht um einzelne, elitäre Meisterschüler, sondern, wie in der Utopie des Deuteronomiums, um das Volk im Ganzen und in allen seinen Teilen (von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten). Andererseits tritt nun, und das geht in der Tat noch entschieden über die 140 

Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 7. Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 6 (im Original hervorgehoben). 142  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 6. 143  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 6. 144  Gross, Zukunft für Israel, 145, muss es im wörtlichen Sinne eintragen, wie er in der oben zitierten Formulierung selbst ausdrücklich bemerkt: „ist wohl zu ergänzen“. 145  S. o., S.  167. 146  Das hat natürlich auch Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 303, gesehen, aber mit einer konzessiven Seitenbemerkung („Sogar in Anbetracht der Tatsache, daß Jer 31,31–34 sich auf die Zukunft bezieht“) eher beiseitegeschoben als beachtet. 141 

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im Deuteronomium dargelegte Konzeption hinaus, Jhwh selbst als Lehrer auf.147 In Jer 31,31–34 werden nicht die Israeliten – im Bild: die Schüler – ermahnt, die Tora auf ihr Herz zu schreiben, sondern Jhwh – der Lehrer – verspricht, dies selbst zu tun. „This is a vision of divine education in the book of Jeremiah built on the educational vision in the Deuteronomic utopia […].“148 Wenn dies richtig sein sollte, so liegt mit der Verheißung eines neuen Bundes keine Abwertung der schriftlichen Tora und ihres Studiums vor, sondern eine emphatische Steigerung, sozusagen eine endgültige Aufwertung dieser Konzeption in einem prophetisch-eschatologischen Idealbild. Dieses führt über die gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit hinaus, indem es die vollkommene Aneignung der Tora in Aussicht stellt.149 Die Frage, ob es unter den Bedingungen dieses Äons, das heißt vor der göttlichen Intervention überhaupt möglich sei, sich die Tora anzueignen und den Gotteswillen zu beherzigen, die Groß und Schmid unter Zuspitzung ihrer Deutung aufgeworfen und auch hierin stark gewirkt haben,150 ist damit noch nicht beantwortet – sie wird im Text aber auch nicht gestellt.151 Dieser Befund legt es nicht nahe, die Perikope vom neuen Bund als anti-deuteronomistisches Programm zu profilieren. Eher ließe sie sich als spezifische Weiterführung und prophetisch-eschatologische Steigerung (wenn man will: Überbietung) von Grundgedanken der deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition ansprechen. Freilich verliert es, so betrachtet, auch entscheidend an Bedeutung, ob man diese Überhöhung als idiosynkratische Sonderprägung deuteronomistischer Theologumena bewertet oder ganz für sich sprechen lässt. Im Licht des von Hermann-Josef Stipp und Christl Maier vorgetragenen Plädoyers, zwischen dem Phänomen deuterojeremianischen Materials152 insgesamt und, sofern damit gerechnet wird, redaktionsgeschichtlich zu beschreibenden, sprachlich und sachlich auszuweisenden deuteronomistischen Bearbeitungen des Buches zu unterscheiden,153 spricht viel für Letzteres. So oder so dürfte klar sein, dass Jer 31,31–34 nicht auf die beziehungsweise eine formative deuteronomistische Redaktion des Jeremiabuches154 zurückgehen kann. Außer der ganz eigenen Prä147  Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Jer 31,18; 32,33; ferner Jes 48,17; 50,4–5; 54,13. 148  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 149 (im Original ohne Hervorhebung). 149  Vgl. schon Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 260, nach dem sich die Verheißung zur Gegenwart nicht als Antithese verhält, sondern als „Überbietung“. 150  S. o., S.  183. 151  Gleichwohl führt diese Zuspitzung auf die – in der Tat entscheidende – Frage nach der theologischen raison d’être, die hinter der Verheißung steht. Dazu s. u., Kap. V.5, wo das (auch) in Jer 31,31–34 wahrgenommene Problem der Vermittel- beziehungsweise Rezipierbarkeit des Gotteswillens in seiner ‚äußerlichen‘ Form im Zusammenhang der Jeremia-Überlieferung insgesamt und deren diachroner Entwicklung zu behandeln sein wird (Stichwort: „anthropologischer Pessimismus“). 152  Den Terminus hat Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches, 296, eingeführt. 153  Stipp, Formulaic Language and the Formation of the Book of Jeremiah, in Aufnahme und Weiterführung von ders., Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches; Maier, The Nature of Deutero-Jeremianic Texts; vgl. auch die in Najman/Schmid, Jeremiah’s Scriptures, dokumentierte Debatte. 154  Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, 23–28.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

gung der Perikope stehen dagegen ihre literarischen Bezüge (buchintern wie -extern), die im Fall von Jer 11 bereits in den Blick gekommen155 und vor allem durch Konrad Schmids subtile Analyse umfassend beleuchtet worden sind.156 Ob man dennoch, mit welchem begrifflichen Zusatz auch immer, von einer ‚deuteronomistischen‘ Sonderüberlieferung sprechen will oder auf das – in einer solchen Verwendung ohnehin wenig aussagekräftige – Etikett verzichtet,157 daran hängt für die hier verfolgte Fragestellung nichts. Von Bedeutung ist hingegen, dass sich die zur Begründung einer anti-deuteronomistischen Ausrichtung der Verheißung bemühte inhaltliche Deutung nicht bewährt hat. Weder die Tora als Buch noch ihre Vermittlung durch Lehren und Lernen werden abgewertet, im Gegenteil.

Dieses Ergebnis hat theologische Konsequenzen. Denn hier wie auch sonst ist von der Tora nicht als abstrakter Größe die Rede, sondern in ihrer konkreten Funk­ tion.158 Ebenso wenig wie die Tora selbst wird ihr Gehorsam abrogiert. Dass der Kodifikation des Gotteswillens und der mit ihr erhobenen Gehorsamsforderung eine schlechterdings zentrale Bedeutung für die Bundesbeziehung zukommt, wird durch die Verheißung des neuen Bundes gerade nicht infrage gestellt,159 sondern endgültig (im wörtlichen Sinne) festgeschrieben.160 Das bestätigt sich beim Vergleich mit zwei naheliegenden Vergleichsstellen. Da ist zum einen Ez 36,26–27. Auch ohne den Begriff Bund (‫)ברית‬, der dort nicht begegnet, ist die Ähnlichkeit zu Jer 31,31–34 kaum zu übersehen: Beide Texte sind verbunden durch die Stichwörter Herz (‫ )לב‬und neu (‫)חדש‬, die jeweils auf eine Veränderung im Inneren (‫ )בקרב‬der angesprochenen Israeliten bezogen sind. Diese Veränderung soll – so Ez 36,27 ausdrücklich – das Bewahren und Tun des Gotteswillen ermöglichen, was in Ez 36 in Verbindung mit dem aus Jer 31 unbekannten Stichwort neuer Geist (‫ )רוח חדשה‬beziehungsweise mein Geist (‫ )רוחי‬zum Ausdruck gebracht wird.161 In der älteren Forschung herrschte die Annahme vor, Jer 31,31–34 werde von Ez 36,26–27 aufgenommen und überboten,162 neuerdings ist diese Sicht von Michael Konkel und Anja Klein mit beachtlichen Argumenten bekräftig worden.163 Konrad Schmid hin155 

S. o., S.  171. S. dazu auch im Folgenden. 157  Zu begrifflicher Klarheit rät Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches, 296. Vgl. auch die Warnung vor einem „Nulldeuteronomismus“ bei Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 348. 158 Vgl. Greenberg, Was ist neu am neuen Bund. 159  Im Gegenteil, „die Tora“ ist im neuen Bund „sogar fester verankert“, hält Rendtorff, Was ist neu am neuen Bund, 27, mit Recht fest. 160  Das Gegenteil kann Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 132.141 u. ö., nur aufgrund seiner fraglichen Literarkritik behaupten, der zufolge sich V.  33a erst einer nachträglichen Erläuterung verdanke (zur Kritik s. o., S.  168, Anm.  13). 161 Vgl. Weinfeld, Jeremiah and the Spiritual Metamorphosis of Israel, 31–32. Bezieht man den näheren Kontext in Ez 36 mit ein, lassen sich weitere Parallelen benennen, vgl. von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 244–245, und ausführlich Granados García, La nueva alianza como recreación, 151–194. 162  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 245; Smend, Die Bundesformel, 38; Zimmerli, Ezechiel, Bd.  2, 879. 163  Konkel, Bund und Neuschöpfung, 128; Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 104–105; 156 

3.  Die Tora in Buch und Herz

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gegen hat vorgeschlagen, Jer 31,31–34 als „antischwärmerische Reaktion“164 auf Ez 36,26–27 zu deuten: „In kritischer Abgrenzung gegen die schwärmerische Verheißung eines ‚neuen‘ Geistes und eines ‚neuen‘ Herzens des Ezechielbuchs präzisiert Jer 31,33, daß das Neue, das Jhwh für Israel vorsieht, die Einschreibung der Tora ins Herz ist.“165 Hinsichtlich der dabei vorausgesetzten literarischen Abhängigkeit scheinen mir zwar Zweifel angebracht.166 Dessen ungeachtet wirft Schmids Deutung ein helles Licht darauf, wie dezidiert die Verheißung vom neuen Bund an der Geltung der ‚alten‘ Tora auch für das Israel am Ende der in den Blick gefassten Geschichte festhält. In dieselbe Richtung deutet die andere Vergleichsstelle, die Verheißung eines ewigen Bundes (‫ )ברית עולם‬nach Jer 32,38–40. Zumal im unmittelbaren literarischen Kontext situiert, ist die nahe Verwandtschaft auch dieser Verheißung mit der in Jer 31,31–34 nicht unbeachtet geblieben.167 Eingeleitet von der Bundesformel in ihrer beidseitigen Form, ist auch hier von einem zukünftigen anderen Bund die Rede. Dieser wird zwar nicht mit demselben Stichwort als neu bezeichnet, aber ebenfalls mit dem Terminus technicus ‫ כרת ברית‬in we=qātal als künftige Zuwendung Jhwhs in Aussicht gestellt. Der Sache nach geht es auch hier um „eine Wandlung des Menschen in seinem Personkern“,168 die mit der (variabel eingesetzten) Metapher des Herzens zum Ausdruck gebracht wird und durch die Jhwh selbst dafür sorgt, dass Israel nach seinem Willen wandelt. Mit anderen Worten, Jer 32,38–40 bietet eine Verheißung, die der in Jer 31,31–34 strukturanalog,169 aber (noch) ohne das Element der Tora formuliert ist. Wiederum Konrad Schmid konnte in diachroner Hinsicht wahrscheinlich machen, dass die Formulierung in Jer 32 älter ist und in Jer 31 bereits vorausgesetzt wird.170 Wenn das zutrifft, so bestätigt dieser Vergleich zusätzlich, welch zen­ dies., Prophecy Continued, 580–581. S. auch Sedlmeier, Ich gebe mein Heiligtum für immer in ihre Mitte, 102–103. 164  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 83. 165  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 84. 166  Das gilt einerseits angesichts der detaillierten Textbeobachtungen, die Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 81–111, für den „Kompendiumscharakter[…]“ von Ez 36,23bβ–32 ins Feld führen kann (das Zitat a. a. O., 85); zur Textgeschichte der Passage, die Ausgangspunkt und Anregung ihrer These (vgl. Lust, Ezekiel 36–40 in the Oldest Greek Manuscript, 522) darstellt, s. umfassend Schwagmeier, Untersuchungen zu Textgeschichte und Entstehung des Ezechielbuches. Andererseits und vor allem scheint mir trotz der vergleichenden Untersuchungen von Schmid, Klein und anderen nicht ausgemacht, dass tatsächlich mit direkter literarischer Abhängigkeit zu rechnen ist. Die Vermutung von Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, 448, nach dem Jer 31,31–34 und Ez 36,26–27 je auf ihre Weise ein gemeinsames Problem bearbeiten, hat in modifizierter, eher ideen- als zeitgeschichtlich akzentuierter Form meines Erachtens nach wie vor einiges für sich; s. dazu auch Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 349–350. 167  S. die Zusammenstellung bei Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 269–270. 168  Mit einer Formulierung von Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 269. 169  Duhm, Das Buch Jeremia, 270: „sagt ziemlich dasselbe“. 170  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 101–103, zu Jer 32,37–41. Seine Sicht findet Bestä-

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

trale Bedeutung in der Verheißung des neuen Bundes der Tora als Weisung zu Gottesfurcht und Gehorsam171 beigemessen wird. In jedem Fall ist festzuhalten: Die verheißene Intervention schafft die Gehorsamsforderung nicht ab.172 Vielmehr ermöglicht sie ihre ultimative Erfüllung.173 Kurz und klar kann Hermann Spieckermann resümieren: „In gut deuteronomistischer Weise hält Jer 31,31–34 am Zusammenhang von Bund und Gehorsam gegen das Gebot fest […].“174 Mit anderen Worten: Auch hier, in der ausdrücklich als ‚neu‘ abgesetzten Konzeption, wird die konditionale Grundstruktur des Bundes nicht aufgegeben. Die entscheidende Innovation liegt vielmehr, wie oft und zutreffend dargestellt, darin, dass Jhwh nun selbst sicherstellt, dass der geforderte Gehorsam auch tatsächlich geleistet wird – indem er Ungehorsam unmöglich macht.175 Besonders anschaulich hat dies Thomas Krüger mit der Rede von einem „therapeutischen Eingriff Gottes“ herausgestellt. Jhwh erscheint so als Chirurg, der eigenhändig implantiert, wonach er zuvor gesucht hat.176 Ob man die Metaphorik so oder in ein anderes Bild übersetzt – Jhwh als Lehrer, der gleichsam den Griffel seiner Schüler führt, erscheint mir in Jer 31 treffender –,177 deutlich wird in jedem Fall: Jhwh selbst sorgt nun, so paradox es tigung in der Analyse von Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 99–102. Ferner s. etwa Wanke, Jeremia, Bd.  2, 310. 171 Anders als Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 101, vermag ich angesichts der in Jer 32,40 vorliegenden, deutlich in der Fluchtlinie des deuteronomistischen Sprachgebrauchs stehenden Verwendung von ‫ יראת יהוה‬keinen grundlegenden Unterschied zwischen Gottesfurcht und Gehorsam wahrzunehmen. S. dazu etwa auch Mastnjak, Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah, 200–203 (unter Vergleich mit Dtn 5,29). 172  So aber Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 141, mit anderer Argumentation auch Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 348 („Gebotsgehorsam“ wird durch die Einschreibung der Tora ins Herz „ersetzt“), und Gross, Zukunft für Israel, 151 (der Verfasser lässt „Forderungen an Israel“ und damit das „das dtn-dtr Problem der Konditionierung und Wechselseitigkeit“ des Bundes „völlig fallen“). S. ferner zum Beispiel Brueggemann, The Theology of the Book of Jeremiah, 143. 173  In dieser Hinsicht lohnt die Erinnerung an die Deutung des Wortes durch Duhm, Das Buch Jeremia, 254–258, nach dem der neue Bund „die Vorbedingung dazu liefern wird, dass künftig ‚ein jeder nur durch seine Schuld stirbt‘“ (vgl. Jer 31,30; das Zitat a. a. O., 254). 174  Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 455. Vgl. Thiel, Die Rede vom ‚Bund‘ in den Prophetenbüchern, 16: „[D]ie Verpflichtung bleibt bestehen.“ S. ferner Freedman, Divine Commitment and Human Obligation, 178, der von hier auf das Wesen der als Bund verfassten Gottesbeziehung generell schließt: „The moral element in the relationship between God and man, the necessity for obedience, could not be abandoned; it is intrinsic to the nature of God and any rela­tion­ ship with men.“ 175  S. dazu vor allem Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 262; ders., Zukunft für Israel, 150–152, und Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 84, ferner etwa Freedman/Miano, People of the New Covenant, 22. 176  Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 127–130, das Zitat a. a. O., 128. Das Bild von Jhwh als Herzchirurg klingt schon bei von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 245, an. Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 409–410, sagt das Gleiche in der Sprache der Schöpfungstheologie. 177  S. o., S.  187. Vgl. auch Ego, Zwischen Aufgabe und Gabe, 5–7, wo Jer 31,33 unter der Überschrift „Belehrung und Einsicht als eschatologische Heilsgüter“ behandelt wird.

4.  Zwischenfazit und Zuspitzung

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klingt, für Israels Korrespondenzverhalten.178 In diesem Sinne führt Spieckermann seine eben zitierte Zusammenfassung fort: Das Wort vom neuen Bund verheißt „ein Handeln Gottes, welches die Optionen deuteronomistischer Theologie weit hinter sich lässt.“179 Es verheißt dieses Handeln Gottes allerdings auch erst für die Zeit nach jenen Tagen, also (nur) in Form einer eschatologischen Schauung der vollendeten Geschichte,180 deren Verwirklichung in rabbinischer Auslegung konsequenterweise für die Tage des Messias erwartet wird.181

4.  Zwischenfazit und Zuspitzung Ziehen wir ein Zwischenfazit, so hat die exegetische Untersuchung von Jer 31,31–34 in den beiden verfügbaren Ausgaben des Jeremiabuches zwei wesentliche Ergebnisse erbracht. Zum einen: Der Schluß des neuen Bundes ist nicht deshalb erforderlich, weil der ihm vorangehende aufgehört hätte zu existieren. Der neue Bund wird keinen „bundeslosen Zustand“ beenden.182 Vielmehr steht die Gegenwart der Adressaten der Verheißung „im Zeichen der Gültigkeit“ des ‚alten‘, am Gottesberg geschlossenen Bundes.183 Dem entspricht, zweitens, dass Mittel und Maß der Gemeinschaft Israels mit seinem Gott gleich bleiben. Es ist ein und dieselbe Tora, in diesem wie in jenem Bund. Was diese Tora selbst betrifft, so hat sich nicht bestätigt, ihre Fassung in Buchform und die entsprechende Aneignung durch Lehren und Lernen würden abgewertet. Zwar geht die Verheißung in der Tat deutlich über den deuteronomisch-deuteronomistischen Vorstellungsraum hinaus. Aber sie wertet dessen Zentralinstitutionen dadurch nicht ab, sondern in einem prophetisch-eschatologischen Idealbild sozusagen endgültig auf. In Aussicht gestellt wird eine vollkommene Aneignung der Tora, für die Jhwh als fürsorglicher Lehrer selbst sorgen wird. Des Weiteren ist klar geworden, dass dieser neue Modus ihrer Vermittlung die mit der Tora erhobene Gehorsamsforderung nicht infrage stellt. Im Gegenteil, er ermöglicht ihre ultimative Erfüllung. Auch – und gerade! – der merkwürdige Sachverhalt, dass die Antwort Israels im neuen Bund sozusagen von Jhwh gegeben wird, unterstreicht ihre Bedeutung. So wird die konditionale Struktur durchgehalten, auch noch hier in der Konzep­ tion eines neuen Bundes. Zwar geschieht dies, wie gesehen, in einer geradezu paradoxen Ausprägung, nach der Jhwh selbst für Israels Korrespondenzverhalten sorgt. Diese göttliche Intervention wird aber erst für die eschatologische Zukunft verhei178 

Vgl. dazu auch Freedman, Divine Commitment and Human Obligation, 178. Feldmeier/Spieckermann, Der Gott der Lebendigen, 455. 180  S. o., S.  167. Zur eschatologischen Signatur s. etwa schon Sekine, Davidsbund und Sinaibund bei Jeremia, 55. 181  Lichtenberger/Schreiner, Der neue Bund in jüdischer Überlieferung, 281–282. 182 Gegen Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten, 24 (im Original teilweise hervorgehoben). 183 Mit Finsterbusch, Auszugs-Bund, neuer Bund und weitere Bünde, 111. 179 

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

ßen. Für die Hörer und Leser des Wortes hingegen ist der ‚alte‘ Bund ungebrochen gültig. Mit Recht hält Christl Maier daher fest, dass der Anspruch, „die geschriebene Weisung JHWHs zu beachten, für die Gegenwart der AdressatInnen erhalten bleibt.“184 Spätestens an dieser Stelle muss sich eine Untersuchung, die die alttestamentliche Bundestheologie insgesamt in den Blick fasst, der Frage stellen, die je nach Blickwinkel geradezu selbstevident wirken mag und den fatalen „Konstruktionsfehler“185 einer Konzeption der Gottesbeziehung als Bund zu offenbaren scheint: Vermag Israel eigentlich zu leisten, was sein Gott respektive das Leben in Beziehung mit ihm fordert? Oder, wie Thomas Krüger mit Kategorien von Jer 31 formulieren kann: Ist „der Mensch“ überhaupt „in der Lage“, „die Weisung Gottes mit seinem ‚Herzen‘ zu erfassen und in die Tat umzusetzen – also die Tora zu ‚rezipieren‘“?186 Dass dies jedenfalls im Hauptstrom der deuteronomisch-deuteronomistischen Überlieferung nicht fraglich war, ist so klar wie unstrittig.187 Auch jenseits dieses Traditionsraums wird man kaum behaupten können, dass derartige, aus der späteren jüdischen und vor allem christlichen Theologiegeschichte wohl vertraute Zweifel in der Hebräischen Bibel breiten Raum einnehmen.188 Doch hier, in der Idee eines neuen Bundes, würden sie – so die weithin vertretene Ansicht – via negationis greifbar. Wie gesehen189 ist die Deutung von Jer 31,31–34 als Gegenkonzept gegen die Institutionen der buchförmigen Tora und ihre Vermittlung durch Lehren und Lernen mit der weitergehenden These verbunden worden, auf diesem Weg sei eine Rezeption der Tora nach Auffassung der Tradenten gar nicht möglich,190 Israel mithin nicht fähig, seinem Gott Gehorsam zu leisten.191 In Auseinandersetzung mit dieser Sicht ist im Folgenden also zu klären, ob die Idee des neuen Bundes tatsächlich das Bewusstsein voraussetzt, Israel sei gar nicht in der Lage, den ‚alten‘ – aus Sicht der ursprünglichen Adressaten: aktuellen! – Bund zu halten. Das ist die eigentliche Frage, die die Verheißung des neuen Bundes im Kon184 

Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 352 (im Original ohne Hervorhebung). Mit einem drastischen Ausdruck von Gross, Zukunft für Israel, 151. 186  Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 107. 187  S. nur die oft zitierte Zusammenfassung bei von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 419: „[E]ine Erwägung, die uns so nahe zu liegen scheint, suchen wir in diesen wortreichen Texten [sc. der Paränese im Deuteronomium] vergeblich, nämlich die, ob denn Israel dieses Gesetz auch erfüllen könne. Die Gebote erscheinen dem deuteronomischen Prediger als durchaus erfüllbar, ja eigentlich als leicht erfüllbar.“ Anders, aber schwerlich überzeugend in neuerer Zeit Barker, The Triumph of Grace in Deuteronomy, 4: „Exhortation to keep the law need not presuppose Israel’s ability to do so. Rather, […] we argue that law and exhortation function to expose Israel’s need for grace, presupposing, in fact, its inability to keep it.“ 188  Wie zum Beispiel Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 261–263, oder Lapsley, Can These Bones Live, 6–7, mit Recht festhalten (nicht zufällig in Studien zur Überlieferung in Jeremia beziehungsweise Ezechiel). 189  S. o., S.  183. 190  „[E]in zum Scheitern verurteiltes Unterfangen“, wie Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 68, pointiert formulieren kann. 191  So ausdrücklich Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 263. 185 

5.  Der neue Bund als Ausdruck endgültiger Resignation über den alten Menschen?

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zert der alttestamentlichen Bundestheologien aufwirft – oder ausweislich ihrer Auslegungsgeschichte aufzuwerfen scheint.

5.  Der neue Bund als Ausdruck endgültiger Resignation über den alten Menschen? Den Begriff des neuen Bundes kennen wir allein aus Jer 31,31–34. Der Sache nach wird aber in der Regel und mit Recht auf Parallelen verwiesen. Solche konzeptionell verwandten Verheißungen – zwei von ihnen kamen bereits in den Blick – finden sich in Jer 32,38–40 und 24,7, darüber hinaus vor allem in Ezechiel, dort neben Ez 36,26– 28 noch 11,19–20. Diachron ist zwischen den Texten zu differenzieren,192 und auch inhaltlich sind sie keineswegs deckungsgleich.193 Gemeinsam ist ihnen aber, was sich in Jer 31,31–34 als Novum des neuen Bundes erwiesen hat: Indem er seinen Bundespartner regelrecht umgestaltet, wird Jhwh künftig selbst dafür sorgen, dass Israel den in der Beziehung mit seinem Gott geforderten Gehorsam leistet. Aus dieser Zukunftsvision schließen die Ausleger für Vergangenheit und Gegenwart vielfach auf das genaue Gegenteil: Vor der verheißenen göttlichen Intervention sei Gehorsam gar nicht möglich und Israel, unfähig, den Bund zu halten, zum völligen Scheitern vor seinem Gott verurteilt. Um den Faden der obigen Diskussion aufzunehmen,194 kann diese Sicht mit der profilierten Einschätzung von Walter Groß zusammengefasst werden. Ihm zufolge bieten Jer 31,31–34 und Ez 36,26–28 je eine „gnadentheologische[…] Antwort“ auf die „Frage nach der (gegenwärtig fehlenden) Befähigung Israels zum YHWH-Gehorsam“.195 Unter Konzentration auf die in Jer 31 virulente Frage der Tora-Rezeption hat dies zuvor schon Adrian Schenker in aller 192  Vgl. vor allem Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, 82–84.101–103.260–261; Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 130; Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 89–111. Zur Diskussion s. o., S.  188–190. 193  Auch dazu s. bereits oben, S.  188–190, ferner vor allem Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 127–130, der eine „‚Implantations‘-Perspektive“ in Jer 31,33 und 32,40 von einer „‚Transplantations‘-Perspektive“ in Ez 36,26 und 11,19 sowie Jer 24,7 (a. a. O., 128) unterscheidet und vor diesem Hintergrund auch Dtn 30,6 einordnen kann (a. a. O., 130–131). Die vielzitierte Unterscheidung erlaubt eine ausgesprochen differenzierte Auslegung der Texte, die in methodischer Hinsicht freilich streckenweise die Frage aufwirft, ob die hochgradig metaphorische Darstellungsweise tatsächlich derart dezidierte Rückschlüsse auf konzeptionelle Differenzen erlaubt. Um nur ein Beispiel zu geben: Im Zusammenhang der Frage, in welche Richtung der angenommene Rezeptionsprozess verlaufen sein könnte, und seiner diesbezüglichen These, die Transplantation eines neuen Personzentrums gehe als noch radikalere Kur über die Implantation von Gottesfurcht beziehungsweise Tora hinaus, argumentiert Krüger, die Ersetzung des steinernen Herzens durch ein fleischernes in Ez 11,19 und 36,26 mache es schwierig („wenn auch vielleicht für Gott nicht unmöglich“), auf dieses neue Herz noch etwas zu schreiben, wie in Jer 31,33 verheißen (a. a. O., 130). Mir scheint fraglich, ob damit nicht mehr aus den bildhaften Texten gelesen wird, als diese aussagen wollen. 194  S. o., S.  183 und 192. 195  Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 263.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

Schärfe formuliert: „[I]m gegenwärtigen Zustand bleibt die Tora außerhalb des Menschen; sie kann nicht bei ihm ankommen; Tora und Mensch kommen nicht zusammen.“196 Das ist, so Schenker weiter, „die Voraussetzung des Wortes Jer 31,31–34.“197 Besonders prägnant und in der Sprache der späteren dogmatischen Tradition ist das Problem von Ernst Kutsch auf den Punkt gebracht worden. Jedenfalls in Jer 31,31–34, möglicherweise auch (schon) in Ez 36,27 werde ein non posse peccare verheißen, ein Unvermögen zu sündigen.198 Erforderlich sei dies, weil zuvor das Gegenteil, nämlich ein non posse non peccare, gegolten habe: „Das Unvermögen, nicht zu sündigen, macht es notwendig, daß Herz und Geist der Menschen erneuert werden.“199 Ist der neue Bund also Ausdruck einer grundsätzlichen Resignation über den ‚alten Menschen‘?200 So wird es weithin gesehen.201 Logisch betrachtet ist dieser Umkehrschluss freilich nicht zwingend: Dass im neuen Bund ein non posse peccare gelten wird, impliziert nicht, dass zuvor ein non posse non peccare gegolten hätte. Dass Jhwh zukünftig selbst dafür sorgen wird, dass Israel den von ihm geforderten Gehorsam leistet, bedeutet nicht eo ipso, dass dieser in Vergangenheit und Gegenwart gar nicht geleistet wurde und werden konnte. Logisch betrachtet ist der Schluss nicht zwingend, aber er hat natürlich seine exegetischen Gründe. Sie hängen mit dem überlieferungsgeschichtlichen Ort der Verheißungen im Ezechiel- und insbesondere im Jeremiabuch zusammen. Werner H. Schmidt hat diese Gründe pointiert zusammengefasst in seiner Kategorisierung des neuen Bundes als „Antwort auf Jeremias kritische Einsichten“.202 Demnach findet sich Jer 31,31–34 „nicht zufällig im Wirkungszusammenhang von Jeremias Botschaft“, lässt diese „mit ihren radikalen Einsichten, ihren Höhen und Tiefen“ doch „Fragen aufkommen, auf die Jer 31,31 ff. antwortet.“203 Derselbe Grundgedanke findet sich bereits bei Gerhard von Rad, der ihn analog auch für Ezechiel formulierte: Das neue Herz wie der neue Bund, beide antworteten auf den wachsenden „Zweifel“, „ob das von Jahwe angebotene Bundesverhältnis von Israel, also vom menschlichen 196 

Schenker, Unwiderrufliche Umkehr und neuer Bund, 102. Schenker, Unwiderrufliche Umkehr und neuer Bund, 102. 198  Kutsch, Das posse non peccare und verwandte Formulierungen als Aussagen biblischer Theologie, 274–276. 199  Kutsch, Das posse non peccare und verwandte Formulierungen als Aussagen biblischer Theologie, 275. Vgl. auch ders., Gesetz und Gnade, 33. 200  Ein „Ausdruck der Verzweiflung“, wie Greenberg, Was ist neu am neuen Bund, 22, gleich zweimal wortgleich wiederholt. 201 In dieser Hinsicht konnten sich Groß und Schmid mit ihren oben, S.  183, referierten Voten auf eine fest etablierte Forschungstradition stützen. Schon von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2, 278, formulierte mit nachhaltigem Einfluss die Auffassung, dass „die Weissagungen Jeremias und Hesekiels [sc. in Jer 31 und Ez 36] […] von der Erkenntnis der totalen Unfähigkeit Israels zum Gehorsam ausgehen.“ Neben den im vorangehenden Absatz zitierten Beiträgen s. etwa Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, 272–273, und in diesem Fahrwasser auch Greenberg, Was ist neu am neuen Bund, 22, aus jüngerer Zeit zum Beispiel Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 410–411, ferner noch Wells, Grace and Agency in Paul and Second Temple Judaism, 45. 202  Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten. 203  Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 187. 197 

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Partner, durchgehalten werden könne“.204 Mit diesem Zweifel, den radikalen Einsichten, namentlich den „Tiefen“, ist angesprochen, was seit Helga Weippert gerne als „anthropologischer Pessimismus“ bezeichnet wird.205 Der Begriff ist eingeführt und es besteht kein dringender Bedarf, ihn zu ersetzen – solange beachtet wird (was freilich, wie sich im Folgenden zeigen wird, nicht überall in der Forschung gleichermaßen der Fall ist), dass in den fraglichen Überlieferungen durchweg nicht ‚der Mensch‘ angesprochen wird, sondern Judäer in konkreten historischen Situationen des siebten und sechsten Jahrhunderts v. Chr., und es dabei nicht um den Einzelnen als Individuum geht, sondern um das Volk beziehungsweise kollektive Größen.

In der Tat finden sich gerade bei Jeremia eindrückliche Verzweiflungsrufe. Nach Schmidt, der die Deutung der einschlägigen Stellen repräsentativ zusammenfasst,206 bringt der Prophet in ihnen nicht bloß die Unwilligkeit seiner Hörer zum Ausdruck (Jer 2,22; 5,4–5; 5,21; 6,10; 9,4–5; 13,23), die dann redaktionell zur sprichwörtlichen Verstocktheit des Herzens ausbuchstabiert worden ist (z. B. Jer 5,23; 7,24; 9,13; 11,8; vgl. noch Jer 9,25 und 17,9; ferner Ez 2,3–4; 3,7). In der Nachfolge der klassischen Gerichtspropheten spitzt Jeremia die Tatsache, dass das Volk nicht umgekehrt ist (vgl. z. B. Jes 9,12), vielmehr zur Feststellung der „Unmöglichkeit der Umkehr“ zu, indem er das Nicht-Tun als ein „Nicht-anders-Können“ deutet.207 „An Böses gewöhnt“ (so zu Jer 2,33; 9,4; 13,23), erscheinen die Angesprochenen „nicht mehr veränder­bar“ (Jer 2,22; 13,23; 17,1; 30,12–13).208 Im Blick auf das ‚anthropologische‘ Problem sind zwei Aspekte dieser Deutung hervorzuheben. Einerseits gilt es zu beachten, dass die fraglichen Aussagen keine Konstitution qua Schöpfung ansprechen, sondern eine durch „gewohnheitsmäßige Wiederholung“ erworbene.209 Andererseits gewinnt die derart gewachsene Unfähigkeit, in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen zu leben, „in ihrer Auswirkung dann allerdings doch wesensmäßige Züge“.210 Sie ist zur „zweiten Natur“ des Menschen,211 gleichsam zu seiner „zweiten Haut“ ge204  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 275; vgl. a. a. O., 225. S. noch Rudolph, ­Jeremia, 203; Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 344 („fast wie eine Antwort“), ferner etwa Klein, Prophecy Continued, 579–580, und zuletzt Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 408 (zu Jer 31,31–34) und a. a. O., 411 (zu Ez 11,19 und 36,26–27). 205  Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 344. Zur Sache s. in neuerer Zeit etwa Schmidt, Konturen von Jeremias Verkündigung, 545–546, beziehungsweise Lapsley, Can These Bones Live, 185 und passim; vgl. Pohlmann, Ezechiel, 168–172. 206  Zum Folgenden s. Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 191, mit ders., Das Buch Jeremia, Bd.  1, 19. Zu den Stellen im Einzelnen s. u., im Anschluss an das folgende Referat. 207  Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 191. 208  Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 191; ders., Konturen von Jeremias Verkündigung, 545. 209  So mit Recht etwa Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 407 (hier auch das Zitat), aber auch bereits Duhm, Das Buch Jeremia, 126; Rudolph, Jeremia, 97, oder Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345. 210  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 407. 211  So gleichlautend Duhm, Das Buch Jeremia, 126, und Rudolph, Jeremia, 97, von Rudolph zi-

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

worden.212 Jedenfalls aber, und darauf liegt der Ton, ist sie, soviel am Menschen selbst liegt, unabänderlich.213 Wie auch immer sie ihm zugewachsen ist, aus dieser seiner zweiten Haut kann der Mensch nun „nicht mehr […] schlüpfen“,214 er ist „zu grundlegenden Wandlungen unfähig“215 – und das heißt letztlich, er ist unfähig, „mit Gott zu leben“, wie schon von Rad im Blick auf das „Menschenverständnis[…]“ Jeremias und Ezechiels resümierte.216 Nun fällt in Jeremia allerdings nicht nur die Häufung derartiger ‚anthropologischer‘ Aussagen auf, sondern auch – der Befund wird freilich selten registriert und noch seltener auf die hier behandelte Problematik bezogen217 –, dass ein erheblicher Teil der fraglichen Stellen mit Motiven und Begriffen aus dem semantischen Feld ‚Lehren und Lernen‘ gestaltet ist. Namentlich die Verbalwurzel ‫ למד‬begegnet in auffälliger Konzentration gerade in den immer wieder zitierten Kronzeugen, die nach der eben referierten Deutung doch eine unabänderliche Unfähigkeit, in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen zu leben, belegen sollen. Der Spannung zwischen diesem Befund und der gängigen Auffassung des anthropologischen Problems, die hier aufscheint, gilt es im folgenden Durchgang durch besagte Stellen (v. a. Jer 2,33; 9,4; 9,12–13; 13,23; 17,1) nachzuspüren. Als Einstieg bietet sich die vermeintlich eindeutigste, oft pars pro toto zitierte ­Stelle an: der Vergleich (!) des Verhaltens des Volkes mit Haut beziehungsweise Fell von Kuschiter und Leopard in Jer 13,23. Er gilt, wie gesehen, als Zentralbeleg für Jeremias „anthropologische[n] Pessimismus“.218 Jacqueline Lapsley, die diese Auffassung teilt, bemerkt gleichwohl, dass die zur Anrede des Volkes gebrauchte Wendung ‫ למדי הרע‬einer solchen Deutung widerraten könnte, dann nämlich, wenn anzunehmen wäre, sie impliziere „any connotation of having been taught“, würde dies doch dafür sprechen, „that the people’s basically bad moral character was at least partially a learned problem.“219 Um dennoch an der traditionellen Lesart festzuhalten, präferiert sie die Übersetzung „accustomed to“.220 In eben diesem Sinne herrscht in deutschen Übersetzungen der Begriff der Gewohnheit vor.221 Er ist unstreitig durch die tiert bei Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 191; s. etwa noch Wanke, Jeremia, Bd.  1, 138. 212  Mit der Formulierung von Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345. 213  „[S]ervum arbitrium“, fasst Duhm, Das Buch Jeremia, 126, mit der dogmatischen Tradition zusammen. 214  Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345. Ebenso Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten, 191; ders., Das Buch Jeremia, Bd.  1, 19. 215  Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 407. 216  Von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 276. 217  Eine Ausnahme bildet die Randbemerkung bei Lapsley, Can These Bones Live, 59; zu ihr s. u., bei Jer 13,23. 218  Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 344–345, zur Stelle. 219  Lapsley, Can These Bones Live, 59. 220  Lapsley, Can These Bones Live, 59. 221  Vgl. zum Beispiel Duhm, Das Buch Jeremia, 125, oder Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 253 („die ihr gewohnt seid, böse zu handeln“).

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Semantik von ‫ למד‬gedeckt; man denke nur an die Verwendung der Wurzel für die Abrichtung von Nutztieren (Jer 31,18; Hos 10,11).222 Hingegen hat es keinen Anhalt, das Resultat solcher Gewöhnung im Unterschied zu Lernergebnissen als irreversibel zu profilieren.223 Ein nicht ans Joch gewöhntes Kalb (Jer 31,18) kann daran gewöhnt werden (Hos 10,11), wie umgekehrt auch die gut abgerichtete Kuh wieder verwildern kann.224 Von daher dient es der Klarheit, ‫ למד‬in Jer 13,23 mit der Grundbedeutung des Wortes zu übersetzen: etwa wie Karin Finsterbusch, die ‫ למדי הרע‬mit „Belehrte im bösen Tun“ wiedergibt.225 Dies gilt umso mehr, als die einschlägigen Parallelen noch viel deutlicher in diese Richtung weisen. Da ist zunächst Jer 2,33. Jhwh rechtet mit seinem Volk,226 er wirft ihm vor, sich selbst falsch unterrichtet zu haben. Die von ‫ למד‬gebildete Verbform in V.  33b ist mit den Masoreten als 2. Sg. fem. Pi. zu deuten. Das personifiziert angesprochene Volk hat gelehrt; und zwar, wenn der doppelte Akkusativ damit zutreffend aufgefasst sein sollte, seinen eigenen Wegen (‫ )דרכיך‬die Bosheiten (‫)הרעות‬.227 Zu übersetzen wäre also: Darum hast du auch die Bosheiten deine Wege gelehrt. Das Volk ist sein eigener „Lehrmeister bezüglich der Bosheiten“,228 zu denen ausweislich des Kontextes sowohl ein nicht auf Jhwh ausgerichteter Gottesdienst (Vorkontext) als auch soziales Unrecht (Nachkontext) zählen. Sprachlich ist der Vers in mehrfacher Hinsicht schwierig,229 auf Griechisch ist er überdies anders überliefert.230 Das hier vorausgesetzte Verständnis findet aber eine direkte Parallele in Jer 9,4b, dort ganz ohne diese Schwierigkeiten. Jer 9,4b steht im Zusammenhang einer bitteren Klage über das Verhalten des Volkes. Übervorteilung und Verleumdung (V.  3b), Täuschung und Unwahrheit (V.  4a) sind an der Tagesordnung. Dieser gegenwärtig herrschende Zustand wird in dem für

222  So wird Jer 13,23 gelegentlich auch von Jer 2,24 her interpretiert; etwa in der angeführten Argumentation von Lapsley, Can These Bones Live, 59. 223  So aber der Ansatz bei Rudolph, Jeremia, 97, aufgenommen bei Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345, und mit besonderem Nachdruck bei Schmidt, Konturen von Jeremias Verkündigung, 545; ders., Das Buch Jeremia, Bd.  1, 257. Anders, aber ebenso fraglich Finsterbusch, Weisung für Israel, 64, die umgekehrt nahelegt, während „Gewohnheiten“ sich „auch wieder ändern“ ließen, gelte dies für Gelerntes nicht in gleichem Maße. 224  Für Letzteres vgl. die Deutung von Jer 2,24 bei Duhm, Das Buch Jeremia, 26. 225  Finsterbusch, Weisung für Israel, 63. Mit Recht hält Finsterbusch fest, dass das Volk „sein eigener Lehrmeister“ ist (a. a. O., 64, Anm.  213, gegen Lundbom, Jeremiah 1–20, 687, der unter Bezug auf den Vorkontext in Jer 13,21 an die dort thematisierten Widersacher denkt). S. auch Kapelrud, Art. ‫ ָל ַמד‬, 581, mit der Übersetzung „Schüler der Schlechtigkeit“. 226  Vgl. die Einleitung des Unterabschnitts in Jer 2,29. 227  So mit Finsterbusch, Weisung für Israel, 49, und den meisten Übersetzungen. 228  Finsterbusch, Weisung für Israel, 49. 229 Vgl. Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 109–110, der in seine eindringliche Diskussion allerdings die engste Parallele, nämlich Jer 9,4, nicht einbezieht. 230  Der dort gebotene Wortlaut von Jer 2,33b ist zu übersetzen mit: Aber nein, du hast ja auch böse gehandelt, indem du deine Wege besudelt hast! Vgl. Walser, Jeremiah, 33.

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unsere Frage einschlägigen Vers Jer 9,4b hergeleitet 231 – indem er, wie schon in 2,33, auf eine bewusste,232 als regelrechter Unterricht bezeichnete Anstrengung zurückgeführt wird: Sie lehrten ihre Zunge, Lüge zu reden (‫)למדו לשונם דבר־שקר‬.233 Die Verantwortung, die dem Volk damit zugewiesen wird, stellt William Holladay klar heraus, wenn er bemerkt: „It is striking that people must ‚teach‘ their tongue to speak falsehood: it is not something that comes naturally but takes planning and effort“.234 Durch diesen selbst erteilten „Unterricht im Lügen“,235 durch falsche Lehre, ist es dazu gekommen, dass im Volk Lug und Trug Raum gegriffen haben. Dass das Volk nun gar nicht mehr anders könne, als zu lügen, wie diese Einsicht von den Auslegern verschiedentlich weitergeführt wird,236 ist dem Text hingegen nicht zu entnehmen.237 In deuteronomistischer Redaktion wird dieser unselige Zusammenhang dann ganz explizit durchbuchstabiert, wobei nun auch Ross und Reiter genannt werden. So führen die Verse Jer 9,12–13 in einem neuerlichen Anlauf238 die beklagte Situation, die in V.  11–15 mit dem bereits erfolgten Gericht überblendet wird, darauf zurück, dass das Volk Jhwhs Weisung (‫ )תורתי‬verlassen (V.  12a) und nicht auf seine Stimme gehört hat (V.  12b). Statt Jhwhs Weisung sind sie vielmehr der Verstocktheit ihres Herzens (‫ )שררות לבם‬gefolgt (V.  13a), nämlich – Waw explicativum – den Baalen (‫)הבעלים‬, die zu verehren sie ihre Väter (Eltern) gelehrt haben (‫)אשר למדום אבותם‬. An der Wurzel des Übels sitzt also intergenerationelles Lehren und Lernen, wie es im deuteronomischen Buche steht – nur leider des falschen Stoffes.239 Das bleibt nicht ohne Folgen: „[D]urch schlechten Unterricht kann man zu den grössten Irrtümern, das sind aber Sünden, kommen.“240 231  So mit Finsterbusch, Weisung für Israel, 54, die zu Recht auf die perfektivische Formulierung hinweist. 232  S. dazu Fischer, Jeremia 1–25, 352. 233  Ähnlich übersetzen etwa Wanke, Jeremia, Bd.  1, 103: „Sie haben ihre Zunge lügen gelehrt“ oder Fischer, Jeremia 1–25, 342: „Sie haben gelehrt ihre Zunge, Trug zu reden.“ 234  Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 301. 235  Fischer, Jeremia 1–25, 352 (im Original hervorgehoben). 236  Zum Beispiel Finsterbusch, Weisung für Israel, 54: „die Zunge […] kann deshalb nur noch Lüge reden“ (Hervorhebung im Original) oder Wanke, Jeremia, Bd.  1, 105: „Eine Änderung ist nicht mehr zu erwarten.“ 237 Noch schwieriger am Text auszuweisen ist die Deutung von Di Vito, Alttestamentliche Anthro­pologie und die Konstruktion personaler Identität, 235, der hier „Israels offenkundige[s] Unvermögen, sich selbst in den Gesetzesforderungen zu erziehen“ (unter Vergleich mit Dtn 11,19), belegt findet. Auf dieses hehre Ziel ist die Mühe (vgl. V.  4bfin), die das Volk sich macht, ja gar nicht gerichtet! 238  Zu Jer 9,11 als redaktionellem Neuansatz s. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, 136.298, und Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, 318. 239 Vgl. Römer, Israels Väter, 415: „die Anweisung des Dtn ist ihr Gegenteil verkehrt!“ In diesem Sinne etwa noch Fischer, Jeremia 1–25, 357, eingehend Finsterbusch, Weisung für Israel, 55, die das Lehren der Baale als pauschale Chiffre für „‚falsches‘ religiöses Lehren“ deutet. 240  Diese Bemerkung von Duhm, Das Buch Jeremia, 257, ist auf Jer 31,34 gemünzt, also gut gemeinten, allenfalls schlecht gemachten Unterricht. Für die ‚schlechte‘ Absicht von Jer 9,13 gilt sie daher erst recht.

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Das Gleiche kann man schließlich auch für Jer 17,1 geltend machen. Dabei gilt gerade dieser Vers neben Jer 13,23, mit dem er häufig in einem Atemzug genannt wird, nachgerade als Beweis für das unterstellte Bewusstsein, die Angesprochenen vermochten nicht zu gehorchen, und dieses Unvermögen sei auch nicht mehr zu ändern. Dass die Sünde Judas mit eisernem Griffel geschrieben (‫)כתובה בעט ברזל‬, ja eingraviert ist auf der Tafel ihres Herzens (‫)חרושה על־לוח לבם‬, wird auf eine nicht mehr zu tilgende Verfehlung, gleichsam eine sündige Konstitution gedeutet.241 Helga Weippert setzt dabei die von Wilhelm Rudolph242 beziehungsweise Paul Volz243 vorgeschlagene Konjektur von V.  2ainit (‫ ְלזִ ּכָרוֹן ָּבהֶם‬als Mahnmal gegen sie) und deren Verbindung mit V.  1bfin voraus.244 In der Tat ist der Zusammenhang ab V.  1bβ schwierig zu deuten und kaum in seiner ursprünglichen Gestalt überliefert.245 Daher muss David Carrs zuversichtliche Deutung fraglich bleiben. Ausgehend von einer wörtlichen Auffassung des vorliegenden masoretischen Textes übersetzt er: „The sin of Judah is written / with an iron pen / inscribed with a diamond tip / On the tablet of their heart-­mind / on the horns of their altars. / As their children remember / their altars and ashe­rot.“246 Damit beschreibe die Stelle „the impact on children when their parents have the wrong thing written on their hearts“.247 Doch auch wenn man dieser Deutung des – so oder so schwierigen – Textes nicht zu folgen, mithin keinen Hinweis auf eine konkrete Lernkonstellation zu finden vermag, bleibt mit Carr festzuhalten, dass Jer 17,1 als Aussage über irregeleitetes Lernen und dessen fatale Folgen gestaltet ist. Angesichts der idiomatischen Rede vom Schreiben auf die Tafel des Herzens, die die engste Parallele zu den einschlägigen Formulierungen Spr 3,3 und 7,1–3 in der gesamten Hebrä­ ischen Bibel bietet, genügt es hierfür, an die obigen Ausführungen zu Jer 31,33 zu erinnern.248 Jer 17,1 belegt also, dass „the metaphor of writing on the mind can be used to describe the corruption of the mind as well as its cultivation.“249 Dass die so entstandene Verfassung nicht mehr zu revidieren sei, sagt das hyperbolische Bild hingegen gerade nicht. Gewiss soll es in seiner kaum zu überbietenden Drastik 250 einen starken Eindruck machen. Aber die Tatsache, dass dafür ausgerechnet eine 241  S. vor allem Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345 („Unaustilgbarkeit der Verfehlung“), und Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 296 („Unveränderlichkeit des Volkes“), ferner etwa noch Wanke, Jeremia, Bd.  1, 162–163 (jeweils unter Parallelisierung mit Jer 13,23). 242  BHS app. crit. 243 Vgl. Rudolph, Jeremia, 114. 244  Weippert, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia XXXI 31–34, 345 mit Anm.  26. 245  Zum Problem und alternativen Lösungsversuchen vgl. Wanke, Jeremia, Bd.  1, 162–163, und eingehend Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 484–485. 246  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 147–148. 247  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 147. 248  S. o., S.  184–186, unter Bezug auf die grundlegende Diskussion durch Carr. Dazu passt im Übrigen auch das weitere Wortfeld des Verses; zu ‫ עט‬vgl. nur Jer 8,8. 249  Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 148. 250  Weder ist die genaue Bedeutung von ‫( צפרן‬vgl. Dtn 21,12) zu bestimmen noch die verbreitete Wiedergabe von ‫ שמיר‬mit Diamant gesichert (vgl. Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 486; Fischer, Jeremia 1–25, 546, Anm.  2). Eindeutig ist aber, dass ein besonders hartes Schreib- beziehungsweise Gravurinstrument gemeint sein muss.

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dem altorientalischen Schulbetrieb entlehnte Metapher gewählt worden ist, widerrät der Auffassung dieser Aussage als resignative Feststellung eines unrettbar verdorbenen Charakters. Eben dies gilt nun aber für alle im vorstehenden Durchgang untersuchten Aussagen: Ihre Formulierung mit Motiven und Begriffen aus dem Bereich des Lehrens und Lernens spricht gerade nicht dafür, dass von einem unveränderlichen Wesen die Rede sei. Im Gegenteil: Wo gelernt wurde, kann auch umgelernt werden – wie im Kontext ausdrücklich hervorgehoben wird. Diesbezüglich erweist sich Jer 12,16 in Verbindung mit 10,2 als aufschlussreich. Während Jhwh nach Jer 10,2 sein Volk mahnt, nicht den Weg der Völker (‫ )דרך הגוים‬zu lernen (‫ למד‬Qal),251 setzt sein Spruch über die Nachbarvölker in 12,14–17 voraus, dass diese Israel gelehrt haben (‫ למד‬Pi. qātal), beim Baal zu schwören (V.  16aβ). Daher wird das angekündigte Gericht über sie ergehen (V.  14). Doch dabei muss es nicht bleiben. Jhwh kündigt an, sich dieser Völker wieder zu erbarmen (V.  15) – wenn sie umgekehrt die Wege seines Volkes (‫)דרכי עמי‬, nämlich252 beim Namen Jhwhs zu schwören, fleißig lernen (‫ אם־למד ילמדו‬V.  16aα).253 Was konkret unter der Verheißung zu verstehen sein soll, sie (die Völker) würden dann inmitten des Volkes Israel aufgebaut werden (V.  16b), kann an dieser Stelle auf sich beruhen.254 Von Bedeutung für die hier verfolgte Fragestellung ist hingegen, dass der Spruch nicht nur die Gefahr falschen Lernens unterstreicht, sondern zugleich ausdrücklich betont, dass auch und gerade Verhalten, das erlernt wurde, wieder revidiert, dass umgelernt werden kann.255 Nun bilden freilich die eben betrachteten, unter Bezug auf Lehren und Lernen formulierten Aussagen nur einen Teil der Belege, die für das wahrgenommene Pro­ blem in Anschlag gebracht werden. Daneben (und teilweise in Verbindung damit, vgl. Jer 13,23) können in der überaus bildhaften Darstellungsweise, die die Jeremia-Überlieferung auszeichnet, für gleichgerichtete Aussagen auch andere Metaphern und semantische Felder verwendet werden. Besonders eindrücklich wirken Bilder aus Flora und Fauna. Neben dem Vergleich mit dem vielzitierten Leoparden, der seine Flecken nicht loswerden kann (13,23a), ist hier die Adressierung des Volkes als aus

251  Lesung mit Duhm, Das Buch Jeremia, 98; Rudolph, Jeremia, 70, und BHS app. crit.: ‫את־דרך‬ ‫הגוים‬. Anders Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 322, und Finster­busch, Weisung für Israel, 57–58 (jeweils unter Verweis auf LXX). 252  Zu dieser syntaktischen Zuordnung vgl. Finsterbusch, Weisung für Israel, 61 mit Anm.  205. 253  Übersetzung mit Wanke, Jeremia, Bd.  1, 130. 254  Zur Diskussion s. Duhm, Das Buch Jeremia, 118–119; Rudolph, Jeremia, 90; Wanke, Jeremia, Bd.  1, 130; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 246; Finsterbusch, Weisung für Israel, 62–63; Fischer, Jeremia 1–25, 443. 255  Vor dem Hintergrund der eben betrachteten Belege gewinnt im Übrigen auch die oben in Kap. V.3 vorgeschlagene Deutung von Jer 31,33–34 als prophetisch-eschatologische Steigerung des deuteronomisch-deuteronomistischen Ideals der Tora-Rezeption durch häusliche Katechese ein scharf konturiertes Profil. Jhwh selbst stellt sich als Lehrer vor und verspricht, seinen Schülern zur vollkommenen, fehlerlosen Aneignung seiner Weisung zu verhelfen.

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der Art geschlagener Weinstock (2,21) zu nennen.256 Die weitaus meisten Vorstellungen stammen aber aus dem Bereich des menschlichen Körpers. Wohl am stärksten gewirkt hat hier der parallel zum Leopardenfell angestellte Vergleich mit der Haut des Kuschiters.257 So wenig wie deren dunkle Farbe könne das Verhalten des Volkes verändert werden, provoziert die rhetorische Frage in Jer 13,23a.258 Ähnlich ist wohl auch Jer 2,22 zu verstehen, wo in beißender Schärfe die Aussichtslosigkeit selbst einer mit Laugensalz vorgenommenen Körperreinigung prognostiziert wird.259 Vor allem aber wird das Volk in unterschiedlicher Akzentuierung immer wieder auf die menschlichen Sinnesorgane und auf das Herz als Zentrum von Wille und Verstand angesprochen. Sie haben Augen und Ohren, sehen und hören aber nicht (Subjekt sind die Angesprochenen, nicht die Sinnesorgane!), kann der Inhalt der ­K lage von Jer 5,20–25 zusammengefasst werden (V.  21b). Ihr Ohr ist unbeschnitten, bringt Jer 6,10 das Gleiche noch grundsätzlicher (und nun unter Bezug auf das Organ selbst) zum Ausdruck.260 Vor Augen steht ein Volk ohne Verstand, wie ‫ אין לב‬in Jer 5,21a in deutschen Übersetzungen treffend wiedergegeben wird.261 Ihr Herz ist wider­spenstig (‫ לב סורר ומורה‬Jer 5,23), unbeschnitten (‫ ערלי־לב‬Jer 9,25),262 es ist unergründlich und unheilbar krank (‫)אנש‬, wie schließlich Jer 17,9 generalisiert.263 Gerade diese Belege finden ein genaues Pendant in Ezechiel, wo einschlägige Aussagen zwar seltener, aber nicht weniger explizit zur Darstellung kommen. Israel, das sprichwörtliche Haus des Widerspruchs (Ez 2,5),264 hat eine harte Stirn und ein verhärtetes Herz (‫ קשי פנים וחזקי־לב‬Ez 2,4 par. ‫ חזקי־מצח וקשי־לב‬Ez 3,7).265 Vor dem Hintergrund solcher Aussagen, die „das Problem des menschlichen ‚Herzens‘“ in „grundsätzlich-anthropologischer Weise“ zu formulieren scheinen,266 überraschen dann auch die kategori256 

167.

257 

Wanke, Jeremia, Bd.  1, 40; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 84–86; Fischer, Jeremia 1–25,

Vgl. oben, S.  195, zu der in einschlägigen Beiträgen beliebten Rede von einer „zweiten Haut“. Wort genommen von Rudolph, Jeremia, 97, ferner etwa Wanke, Jeremia, Bd.  1, 138; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 257. Mit anderem Akzent hingegen Fischer, Jeremia 1–25, 463.467–468. 259  Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 99–100; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 86. 260  Fischer, Jeremia 1–25, 249; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 161; Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 214; Rudolph, Jeremia, 45. 261 Vgl. Wanke, Jeremia, Bd.  1, 74; Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 150; Fischer, Jeremia 1–25, 234. 262  Vgl. Dtn 10,16; 30,6. 263 Nach Schmidt, Das Buch Jeremia, Bd.  1, 300, knüpft Jer 17,9 über 17,5 hinweg an 17,1 an, „verallgemeinert jedoch die prophetische Erfahrung zu weisheitlich-grundsätzlicher Einsicht.“ 264  Für eine kontextuelle Deutung der Bezeichnung als Ausdruck für „die unheimliche Verfallenheit Israels an die Widerspenstigkeit“ s. Zimmerli, Ezechiel, Bd.  1, 74. 265  Pohlmann, Hesekiel 1–19, 46, paraphrasiert: „sturköpfig und starrsinnig“. 266  So die Einschätzung von Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 128, in seiner eingehenden Studie. Für Ezechiel kommt Lapsley, Can These Bones Live, zu dem Ergebnis, die einschlägigen Aussagen belegten eine Auffassung der menschlichen Natur als unrettbar verdorben („inherently and ineradicably depraved nature of humanity“, a. a. O., 185). 258  Beim

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schen Urteile nicht: Sie können nicht aufmerken (‫ לא יוכלו להקשיב‬Jer 6,10)267 beziehungsweise wollen es nicht (‫ לא יאבו‬Ez 3,7).268 Folglich gibt es keinen, auch nicht ­einen, der tut, was recht ist, oder bereut, was er Unrechtes getan hat (Jer 5,1; 8,6). Vorderhand scheinen diese Belege an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig zu lassen, eben „die Unfähigkeit des Menschen“ zu bezeugen, „mit Gott zu leben“.269 Aber ist das wirklich so eindeutig? Kann, ja darf man die Aussagen derart beim Wort nehmen? Dagegen sind grundsätzliche Bedenken anzumelden. Denn auch – und gerade! – angesichts derart apodiktisch-allumfassender Formulierungen ist exegetische Vorsicht geboten. Schon ihr offenkundig rhetorischer Einsatz rät dringend dazu, bei der Interpretation die sprachliche Gestaltung (Metaphern, Hyperbeln etc.) und das spezifische argumentative Profil miteinzubeziehen.270 Beherzigt man diese elementare hermeneutische Maxime, erweist sich im Fall der angeführten Aussagen das wörtliche als ein zu wörtliches Verständnis. Darauf weist auch Georg Fischer in seiner Auslegung des locus classicus vom Leopardenfell mit Recht hin. Der Vergleich in Jer 13,23 ist „als […] übertriebene Aussage zu fassen“, kommentiert er knapp, aber treffend.271 Zur Begründung dieser unmittelbar einleuchtenden, gleichwohl eher selten beherzigten Einsicht führt er Überlegungen zur Gestalt und pragmatischen Abzweckung des Wortes ins Feld, die es lohnen, im Zusammenhang zitiert zu werden. Fischer schreibt: „V 23 dient oft als Beleg für das ‚pessimistische‘ Menschenbild von Jer. Es scheint zu besagen, daß Menschen sich nicht ändern können, daß also gleichsam alle Versuche zu einer Besserung des Verhaltens vergeblich sind. Eine solche nur negative Deutung übersieht einerseits den rhetorischen Charakter und andererseits die durchaus ernst gemeinten Aufforderungen, etwa in V 15 f. Diese beiden Aspekte weisen in die Richtung bewegen wollender Appelle.“272 Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Gerichts sollen die Adressaten „ihre letzte Chance ergreifen“ und umkehren, so Fischer weiter.273 Indem die rhetorischen Fragen von V.  23 eine Antwort der Angesprochenen geradezu provozieren, dienten sie dazu, einen „Prozeß der Besinnung“ auszulösen.274

267 S. Fischer, Jeremia 1–25, 268, und Holladay, A Commentary on the Book of the Prophet Jeremia, Bd.  1, 214. 268  Zu Ez 3,7 vgl. Pohlmann, Hesekiel 1–19, 67. 269 So von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.  2 , 276, in seiner oben, S.  196, angeführten Argumentation; vgl. ferner a. a. O., 239: Es geht um „eine tiefe Unfähigkeit zum Gehorsam, ja um einen Widerstand gegen Gott“. 270  Im Blick auf Jer 13,23 (s. im Folgenden) ist dabei insbesondere die sorgfältige literarische Gestaltung nach dem aus der antiken Rhetorik wohlbekannten Formalprinzip der Adynata (Impossibilia) zu beachten; vgl. dazu etwa Kruger, Mundus inversus in the Hebrew Bible, 185–186. 271  Fischer, Jeremia 1–25, 463 (Hervorhebung im Original). 272  Fischer, Jeremia 1–25, 467–468 (Hervorhebung im Original). 273  Fischer, Jeremia 1–25, 468. 274  Fischer, Jeremia 1–25, 468.

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So erheben sich schon in hermeneutischer Hinsicht gravierende Bedenken gegen eine anthropologisch-systematisierende Auswertung der fraglichen Aussagen.275 Von der Sache her werden diese Zweifel bestätigt und entschieden verschärft, wenn man nur einmal Ernst macht mit der schlichten Einsicht: Angesprochen werden eben nicht einfach ‚Menschen‘, erst recht nicht ‚der Mensch‘, sondern Judäer, und dies im Kollektiv, nicht als Individuen. Die intensive Rhetorik richtet sich an konkrete Adres­ saten an konkreten historischen Orten, in den erzählten Kommunikationssituationen und ebenso, wo einschlägig, in der darin verkleideten tatsächlichen Lage der inten­dierten Rezipienten. Mit anderen Worten, die Texte sperren sich gegen ihre ‚an­ thro­pologische‘ Generalisierung. Dabei ist unstrittig, dass die mit den Figuren der beiden Propheten verbundenen Überlieferungen von ausgesprochen pessimistischen Perspektiven geprägt sind. Aber diese gehen auf konkrete Erfahrungen zurück. Es handelt sich um empirische Aussagen, die den ursprünglichen Adressaten als solche freilich nur einleuchten, solange sie eine nachvollziehbare Deutung der geteilten Gegenwart und Geschichte eröffnen.276 Um das zuletzt Ausgeführte an einem Beispiel zu illustrieren, sei an dieser Stelle wieder der eigentliche Gegenstand aufgenommen, die Verheißung eines neuen Bundes mit dem in ihr enthaltenen Vorwurf, Israel habe den vorangehenden Bund ge­ brochen (Jer 31,32b). Dieser Vorwurf zeugt, wie gesehen,277 von schneidender Selbstkritik, die der in Jeremias Mantel geschlüpfte Tradent stellvertretend für das Volk vornimmt. Israel ist Jhwh ungehorsam geworden, die Tora stand, um im Bild zu bleiben, nicht immer auf ihrem Herzen. Das lehrt die Geschichte dieses Volkes, im konkreten Fall die Katastrophe von 587 v. Chr. Dass diese prägende Erfahrung, die durch ihre normativ gewordene geschichtstheologische Deutung als Erfahrung des eigenen Scheiterns wahrgenommen wird, hier tatsächlich im Hintergrund steht, legt nicht allein die Rede vom Bruch des Bundes (‫ )המה הפרו את־בריתי‬nahe, die unverkennbar zur theologischen Deutung des Exils dient.278 Dafür spricht auch die in LXX Jer 38,32bβ zum Ausdruck gebrachte Auffassung von Jhwhs Reaktion (καὶ ἐγὼ ἠμέλησα αὐτῶν), aus der, anders als aus dem Wortlaut des MT, unzweideutig hervorgeht, dass eine strafende Reaktion Jhwhs gemeint ist.279 Als theologische Reflexion der eigenen Geschichte steht und fällt solche Selbstkritik – ein, vielleicht das charakteristische Alleinstellungsmerkmal der uns überkommenen Nationalliteratur Israels und Judas gegenüber den Zeugnissen der Umwelt – mit ihrer empirischen Plausibilität für die Adressaten. Jer 31,31–34 kommt von der Erfahrung her, am Gotteswillen gescheitert zu sein, und problematisiert diese Möglichkeit (posse peccare). Soweit ist die Aussage 275  Mit ähnlichen Überlegungen und gleichem Ergebnis vgl. Crüsemann, Gottes Ort, 179, zu Ps 14 und ders., Gegen dich allein habe ich gesündigt, 185–186, zu Ps 51. 276  So mit einem ceterum censeo von Erhard Blum. 277  Ausführlich zur Stelle s. o., Kap. V.2. 278  So mit Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, 260. 279 Vgl. Walser, Jeremiah, 413. Zur Diskussion s. o., Kap. V.2.

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

durch die geteilte Geschichte beziehungsweise deren akzeptierte theologische Deutung gedeckt. Dass dieses Scheitern eine unausweichliche Notwendigkeit (non posse non peccare) gewesen wäre, wird hingegen nicht ausgesagt, und es ließe sich auch nicht in gleicher Weise erfahrungsbezogen aussagen.280 Israel kann die Tora „rezipieren“,281 hat sie aber nicht zu allen Zeiten rezipiert. Dass letztere Möglichkeit nicht mehr bestehen wird (non posse peccare), ist die Verheißung des neuen Bundes.282 Wie eine grundsätzliche Bestreitung der Möglichkeit, die Weisung Gottes mit dem Herzen zu erfassen und in die Tat umzusetzen, tatsächlich aussehen könnte, ist hingegen – der Kontrast mag die hier zur Diskussion gestellte Auffassung via negationis plausibilisieren – exemplarisch in 4 Esra und insbesondere den Briefen des Paulus nachzulesen.283 In 4  Esra wird es im ersten der drei Dialoge Esras mit dem Engel Uriel durchbuchstabiert.284 Nach einer an Gott selbst adressierten Rekapitulation der biblischen Ur- und Heilsgeschichte von der Erschaffung des Menschen bis zur Gabe der Tora am Gottesberg wird dort in 3,20–22 das Grundproblem formuliert:285 Aber du hast das böse Herz nicht von ihnen weggenommen, damit dein Gesetz in ihnen Frucht brächte. (21) Weil er nämlich ein böses Herz in sich trug, verging sich der erste Adam und wurde besiegt, ebenso aber auch alle, die von ihm abstammen. (22) So entstand eine dauernde Krankheit: das Gesetz im Herzen des Volkes zusammen mit der Wurzel des Bösen; das Gute schwand, das Böse blieb.286

Die Rede von dem bösen Herzen könnte auf den ersten Blick an die rekurrente Pro­ ble­matisierung des menschlichen Herzens und dessen Verstocktheit beziehungsweise Härte in Jeremia und Ezechiel erinnern. Näher betrachtet, fallen aber vor allem wesentliche Unterschiede ins Auge. Die entscheidende Differenz scheint mir darin zu 280  Anders aber zum Beispiel Freedman, Divine Commitment and Human Obligation, 178: „the previous history of Israel had demonstrated the practical impossibility of maintaining the covenant by human effort“ oder Schenker, Unwiderrufliche Umkehr und neuer Bund, 103: „die Geschichte Israels zeigt, daß sie [sc. die Bundesurkunde] faktisch nie assimiliert wurde“ (Hervorhebung im Original). 281  Um noch einmal die Formulierung von Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes, 107, aufzunehmen. 282  Vor diesem Hintergrund ist auch das vieldiskutierte (in Buchlänge bei Joyce, Divine Initiative and Human Response in Ezekiel) Nebeneinander der Verheißung Jhwhs in Ez 36,26 (und 11,19), zukünftig werde er Israel ein neues Herz und einen neuen Geist schenken, und der Aufforderung in Ez 18,31, sich selbst ein neues Herz und einen neuen Geist zu schaffen, einzuordnen. Nach Pohlmann, Ezechiel, 168–172; ders., Forschungen am Ezechielbuch, 295–297, und Klein, Schriftauslegung im Ezechielbuch, 97–99, sind beide Aussagen „nicht unter einen Hut zu bringen“ (Pohlmann, Ezechiel, 170). Unbeschadet der dadurch noch nicht geklärten Frage nach den diachronen Verhältnissen kann ich mit Albertz, Die Exilszeit, 275, und Zimmerli, Ezechiel, Bd.  1, 414, keinen derart scharf zu akzentuierenden Widerspruch wahrnehmen. 283  Des Weiteren wären einschlägige Zeugnisse aus Qumran zu vergleichen, zu ihnen s. Lichtenberger, Studien zum Menschenbild in Texten der Qumrangemeinde, und Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul, 75–123 (zu den Hodajot). 284  Zu Analyse und Interpretation des Dialogs s. zuletzt Mermelstein, Creation, Covenant, and the Beginnings of Judaism, 156–160. 285  Zu Text und Übersetzung s. Schreiner, Das 4. Buch Esra, 314–315. 286  Vgl. noch 4 Esr 4,30 in der Antwort Uriels.

6.  Zweites Fazit

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liegen, dass das böse Herz nach 4 Esra bereits dem ersten Adam eignete und allen, die von ihm abstammen, vererbt wurde (3,21).287 Seither steckt im Herzen des Volkes die Wurzel des Bösen und spielt auf verhängnisvolle Weise mit dem Gesetz zusammen (3,22).288 Von dergleichen ist in Jeremia und Ezechiel gerade nicht die Rede.289 Mit ähnlichen Worten und zugleich entschieden radikalerer Konsequenz kann man davon indes schon bei Paulus lesen.290 Während im Ergebnis des Diskurses, den 4 Esra darstellt, ungeachtet der niederschmetternden Tatsachen zumindest keine prinzipielle Unfähigkeit zum Toragehorsam konstatiert wird,291 ist eben dies die Pointe der von der Lösung – dem Christusgeschehen – auf das Problem schließenden Soteriologie des Paulus. Auch ohne seine Fassung des Begriffs der Sünde als einer hypostasierten Wirkmacht, wie sie vor allem im Römerbrief entfaltet wird, an dieser Stelle noch einmal nachzuzeichnen,292 lässt sich feststellen, dass der Apostel tatsächlich in expliziter Grundsätzlichkeit über den Mensch als Menschen aussagt: Aufgrund der verhängnisvollen Herrschaft der Sünde, der seine Existenz unentrinnbar ausgeliefert ist, kann er nicht so leben, wie es Gott gefällt. Diese Sorge wird jetzt – erst jetzt – laut.293 Doch es ist der Hintergrund dieser theologischen Innovation, vor dem das Problem auch für alttestamentliche Überlieferungen und insbesondere für die Frage, ob Israel der Bundesbeziehung mit seinem Gott gerecht zu werden vermöge, Evidenz gewinnen konnte.294

6.  Zweites Fazit Damit kann schließlich auch die weitergehende, zu Beginn dieses Kapitels benannte und von unserem vorläufigen Fazit295 noch verschärfte Frage unzweideutig beantwortet werden. Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes setzt keine prinzi287 

Vgl. dazu etwa Krauter, ‚Gesetz‘ in der Esratradition, 154. Diese Sicht wird hier in Esras erstem Geschichtsrückblick als theologisches Grundproblem formulierte, um im Verlauf der Dialoge zwischen Esra und Uriel sowie den anschließenden Visionen kontrovers diskutiert zu werden. Vgl. dazu Hogan, Art. Forth Book of Ezra, 624–625, und ausführlich Mermelstein, Creation, Covenant, and the Beginnings of Judaism, 154–179. 289  Im Gegenteil, wie das oben angeführte Vergleichsbeispiel Jer 9,13 belegt, kann in einem Atemzug von der Verstocktheit des Herzens und von Verfehlungen, die die Väter der Angesprochenen diese gelehrt (!) haben, gesprochen werden. 290  S. dazu bereits oben, S.  37–39, anhand von Röm 7,7–24. 291  Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, 89–90. 292  Vgl. die oben, S. 38, gegebenen Hinweise. 293  Zur Rekonstruktion des paulinischen Standpunkts im Kontext zeitgenössischer Debatten vgl. Westerholm, Paul’s Anthropological ‚Pessimism‘ in Its Jewish Context, und weitere Beiträge in Barclay/Gathercole, Divine and Human Agency in Paul and His Cultural Environment, ferner Maston, Divine and Human Agency in Second Temple Judaism and Paul, und Wells, Grace and Agency in Paul and Second Temple Judaism. 294  Zu dieser Problemanzeige s. auch bereits Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, 261–264. 295  S. o., Kap. V.4: „Zwischenfazit und Zuspitzung“. 288 

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V.  Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes

pielle Unfähigkeit voraus, der Gottesbeziehung entsprechend zu leben. Was sie bietet, ist eine Vision dieser Beziehung, nach der diese schließlich einmal so vollkommen sein wird, wie sie seitens des Schöpfers immer schon gemeint war: „the hope proclaimed is a perfect integration of God and people, a flawless reciprocity, an undisturbed interaction“.296 Diese Vollendung der Gottesbeziehung wird darin gründen, dass Israel dank einer Intervention Jhwhs gar nicht mehr anders können wird, als so zu leben, wie es seinem Gott und der Gemeinschaft mit ihm entspricht. Das Wort verheißt also für die eschatologische Zukunft, dass es nicht mehr möglich sein wird, den Willen Gottes nicht zu tun. Damit sagt es über Geschichte und Gegenwart aus, was die Adressaten aus eigener Erfahrung wissen: dass es möglich ist, an ihm zu scheitern. Es sagt nicht, es sei unmöglich, ihn zu tun.

296 

McKane, Jeremiah, Bd.  2, 820.

VI.  Erträge und theologische Bedeutung Jacob Milgrom hat behauptet: „In the Bible, there is no covenant without obligation. In other words, there is no such thing as an unconditional covenant“.1 Wer diese Ansicht teilt, kann sich künftig auf die hier vorgelegte Untersuchung berufen. In ­ihren drei exegetischen Hauptteilen konnte dies in der Tat für alle drei großen Konzeptionen der Gottesbeziehung Israels als Bund, von der deuteronomisch-deuteronomistischen über die priesterliche bis hin zu der als neuer Bund firmierenden prophetischen Fassung, festgestellt werden. Das heißt nicht, es gäbe keine Unterschiede zwischen den Bundestheologien im Alten Testament. Aber diese lassen sich nicht anhand der binär kodierten Frage erheben, ob die jeweilige Konzeption konditioniert oder unkonditioniert sei. Dies ist das eine Hauptergebnis der vorliegenden Untersuchung. Das andere bezieht sich auf die Kategorie der Bedingung selbst. Auch hier klingt das Problem bereits in der zitierten Behauptung Milgroms an, nämlich in der Parallelisierung von Bedingung beziehungsweise Kondition einerseits und Obligation oder Verpflichtung innerhalb eines bestehenden Verhältnisses andererseits. Milgrom selbst nimmt diese Gleichsetzung ganz beiläufig vor, und auch sonst wird die dahinterliegende Frage eher selten als solche wahrgenommen. Dabei ist es die schlechterdings entscheidende Frage: eine Bedingung wofür? Im Licht dieser Frage ist das eben zusammengefasste erste Ergebnis zu ergänzen und zu differenzieren durch das zweite: Es gibt im Alten Testament keine Konzeption des Bundes, die nicht konditional strukturiert wäre; die Israel betreffende Bedingung bezieht sich aber in keinem der Fälle auf die Gabe des Bundes selbst, sondern durchweg auf dessen Bewahrung. Es geht nicht um den Eintritt in den Bund, sondern um das Bleiben in ihm. So markant sich die drei großen bundestheologischen Konzeptionen inhaltlich unterscheiden, so wesensverwandt sind sie in diesem einen, theologisch entscheidenden Grundsatz. Im Folgenden werden die entsprechenden Erträge der drei exegetischen Haupt­teile knapp gebündelt, um sie sodann auf ihre Bedeutung für Theologie und transreligiöses Gespräch in der Gegenwart zu befragen.

1 

Milgrom, Leviticus 23–27, 2345.

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VI.  Erträge und theologische Bedeutung

Die priesterliche Konzeption des Bundes Die priesterliche Konzeption des Bundes (Kap. III) wird von der weit überwiegenden Mehrheit der Ausleger als gänzlich unkonditionierte Konzeption, eben als ‚reiner‘ Gnadenbund interpretiert. Diese Auffassung provoziert freilich – so der hier gewählte Ansatzpunkt – die Rückfrage, wie es um ihre Plausibilität in pragmatischer Hinsicht bestellt ist (dazu in Kap. III.2). Einmal angenommen, die Konzeption zielte ­tatsächlich darauf, die Gottesbeziehung zu immunisieren, indem sie mit der Gehorsamsforderung an den menschlichen Partner zugleich auch die Möglichkeit, an dieser zu scheitern, ausschlösse: Wie sollen sich die Adressaten unter dieser Voraussetzung die Ereignisse von 587 v. Chr. erklären? Sollte ausgerechnet die priesterliche Bundestheologie, die so entschieden die Verheißung des Landes betont und die Einwohnung Jhwhs im Kult zu dem Inhalt des Bundes schlechthin erhebt, zum Verlust des Landes und vor allem zu der traumatischen Zerstörung des Tempels schweigen und nur schweigen können? Im Licht dieser elementaren Erwägung zur pragmatischen Plausibilität des priesterlichen Entwurfs gewann zunächst der exegetische Befund in Gen 17 an Gewicht. Denn mit dem Beschneidungsgebot (V.  9–14) liegt dort – schon dort – eine Forderung an den menschlichen Bundespartner vor, deren Bedeutung die Sanktion in V.  14 wie folgt einschärft: Ein männlicher Unbeschnittener aber, der sich nicht beschneiden lässt am Fleisch seiner Vorhaut, der soll ausgerottet werden aus seiner Sippe; meinen Bund hat er gebrochen. Zwar werden gegenwärtig gleich zwei Erklärungsansätze vertreten, die diesen Befund in Einklang mit der Deutung auf einen unkon­di­ tio­nierten ‚Gnadenbund‘ zu bringen scheinen. Aber keiner von beiden hat sich bewährt. Weder bezeugt der Wortlaut von V.  14 eine gezielte Individualisierung des Bundesbruchs, durch die kollektive Katastrophen des Gottesverhältnisses künftig ausgeschlossen würden, noch lässt sich das Gebot der Beschneidung in V.  9–14 literarkritisch aussondern. Vielmehr hat sich Gen 17 als literarisch weitgehend einheitlich erwiesen; lediglich V.  12b–13a verdanken sich wohl einem Nachtrag. Damit gilt auch der Abrahambund nicht einfach bedingungslos. Diese grundsätzliche Feststellung muss und kann aber differenziert werden. Die Untersuchung von Gen 17 (Kap. III.3) führte auf die folgenden fünf Gesichtspunkte. (1) Ausweislich des Prologs (V.  1b–2) und weiterer Formulierungen wird der Bund zwischen Jhwh und Abraham beziehungsweise dem Volk Israel, für das der Ahnvater steht, als ein beidseitiges Verhältnis vorgestellt, das einseitig und vorgängig von Jhwh begründet worden ist. (2) Ist Jhwhs Bund (durchgängig als ‫ בריתי‬bezeichnet) damit seinem Wesen nach als Beziehungsgeschehen gefasst, so entspricht dem der für P charakteristische Inhalt: Die Verheißung des Bundes ist nach priesterlichem Verständnis das Gottsein Jhwhs für Israel (V.  7b und 8b). (3) Mit dem bereits angesprochenen Beschneidungsgebot (V.  9–14) kennt die priesterliche Konzeption des Bundes eine dezidierte Gehorsamsforderung an den mensch-

VI.  Erträge und theologische Bedeutung

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lichen Partner. Deren Bedeutung liegt darin, dass Israel, durch die vorgängige Stiftung Jhwhs beschenkt, diesem antwortet und sich zu der gewährten Beziehung ­bekennt. Im Sinne eines solchen Korrespondenzverhaltens ist auch die Bestimmung der Beschneidung zum Zeichen des Bundes (V.  11b) zu deuten. (4) Für Israel geht es also darum, in Jhwhs Bund zu bleiben – und eben dies schärft die Sanktion (V.  14) ein. (5) Die konditionale Struktur des priesterlichen Abrahambundes lässt sich schließlich auch an seiner Qualifizierung als unverbrüchlicher, ‚ewiger‘ Bund (‫)ברית עולם‬, die in Gen 17 gleich dreifach gebraucht wird, ablesen. Zwar wird diese Formulierung üblicherweise für das genaue Gegenteil in Anspruch genommen, nämlich die Deutung auf eine unkonditionierte, ganz von Gehorsamsforderungen an den menschlichen Partner entkoppelte Konzeption. Dabei wird freilich übersehen, dass in Gen 17 nicht nur Jhwhs Verheißung, sondern auch das an Israel ergehende Gebot als ‫ברית‬ ‫ עולם‬bezeichnet wird (V.  7.19 und 13). Mehr noch, zieht man die Konkordanz zu Rate und vergleicht sämtliche Belege für den Ausdruck in der priesterlichen Überlieferung mit denen in der prophetischen Literatur, so zeigt sich, dass es geradezu die differentia specifica des priesterlichen Gebrauchs ist, nicht allein Verheißungen, sondern auch und gerade Israel verpflichtende Gebote als ewigen Bund zu bezeichnen. So konnte schon nach der Untersuchung von Gen 17 festgestellt werden: Der Bund ist konditional strukturiert, auch nach der priesterlichen Konzeption. Die immer wieder und mit Recht hervorgehobenen Textsignale, nach denen es den priesterlichen Tradenten vordringlich um die Vergewisserung ihrer Adressaten ging (dazu s. im Folgenden), sind nicht zu trennen von der Gehorsamsforderung und ihrer Be­ deutung. Was für Gen 17 im Einzelnen gilt, gilt für P im Ganzen. Der andere für die Fragestellung einschlägige Befund in der priesterlichen Literatur im weiteren Sinne ist die Forderung der Heiligung Israels samt eindringlicher paränetischer Einschärfung, wie sie sich nicht ausschließlich, aber in konzentrierter Form im Heiligkeitsgesetz Lev 17–26 findet. Hier lautet die Streitfrage nicht, ob die bezeugte Konzeption des Bundes konditional strukturiert ist, sondern vielmehr, wie dieser evidente Sachverhalt zum sonstigen Befund in P passt. Beides passt, so die übliche Antwort, gar nicht zueinander. Vielmehr schlage sich auch in diesem Neben- beziehungsweise Gegen­ einander eine fundamentale theologische Kontroverse bezüglich des Wesens der als Bund gefassten Gottesbeziehung nieder. Ob mit einem älteren eigenständigen Gesetzeskorpus, das nachträglich in Pg aufgenommen worden sei, gerechnet, oder Lev 17– 26 von vornherein einer auf den vorliegenden Kontext bezogenen Heiligkeits­redak­ tion zugeschrieben wird, so oder so scheint die Paränese in Leviticus zu ergänzen, was in P zuvor gefehlt hat. Die ursprünglich unkonditionierte Konzeption des Bundes sei, in dezidiert korrektiver Absicht, nachträglich unter eine Bedingung gestellt worden. Diese Sicht setzt freilich voraus, die vornehmlich in Gen 17 greifbare P-Kon­zep­ tion vertrete einen Bund ohne Bedingung. Beim Vergleich des Befunds in Leviticus

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VI.  Erträge und theologische Bedeutung

mit dem oben zusammengefassten Ergebnis ergab sich hingegen ein anderes Bild (Kap. III.4). Gen 17 und Lev 17–26 sind demnach hinsichtlich der Konzeption des Bundes und deren konditionaler Struktur gerade nicht grundsätzlich voneinander geschieden. Vielmehr konnte eine bemerkenswert enge Übereinstimmung in allen fünf aus Gen 17 erhobenen Gesichtspunkten festgestellt werden, wobei sich das Heiligkeitsgesetz gleichsam als Schlussstein einer ausgebauten Fassung der Bundestheologie erwies, die bei Abraham in nuce angelegt ist. Diese Übereinstimmung wiegt umso schwerer, als die wesentlichen Unterschiede durch den unterschiedlichen Ort in der Fabel bedingt sind. Eine umfassende, alle Lebensbereiche des Volkes betreffende Gehorsamsforderung kann erst ergehen, nachdem Abrahams Same zum Volk geworden ist; und sie ergibt erst Sinn, nachdem Jhwh in diesem seinem Volk Wohnung genommen hat, zielt sie doch darauf, dieser Einwohnung zu entsprechen: denn der Heilige kann nur im Heiligen wohnen. Eben deshalb muss die Forderung hier aber auch zwingend ergehen. Nun, nachdem Jhwh seinen Teil der Bundesformel verwirklicht hat, ist der eindringliche Hinweis auf die „Verantwortung für den Bestand und das Funktionieren des Gottesbundes“2 am Platz. Vor diesem Hintergrund waren schließlich noch die bekannten, von Gen 17 über Ex 6 und Ex 29 bis Lev 26 reichenden und augenscheinlich mit großer Sorgfalt gestalteten literarischen Querbezüge zu bedenken (dazu in Kap. III.5). Der so erhobene Gesamtbefund spricht für ein literargeschichtliches Modell, in dessen Rahmen sich die bemerkenswerte konzeptionelle Übereinstimmung und die unübersehbaren Unterschiede im Material erklären lassen, konkret: in dem das Heiligkeitsgesetz seinen Ort in einem aus heterogenen priesterlichen Überlieferungsstoffen zusammengesetzten (komponierten) Werkzusammenhang findet. Auf dieses literargeschichtliche Ergebnis zielte die Untersuchung allerdings nicht; erst recht setzt sie eine solche Sicht von P nicht voraus. Es ging hier allein um die konzeptionelle Frage nach den vermeintlichen Differenzen hinsichtlich der konditionalen Struktur des Bundes, mit deren abschlägiger Beantwortung das besagte Ergebnis erst in den Blick kam. Das aus der deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie bekannte Element der Gehorsamsforderung an den menschlichen Partner ist in der priesterlichen Konzeption also keineswegs ausgeschaltet. Eher im Gegenteil, durch die spezifisch priesterliche Art und Weise, wie das mit Abraham begonnene Bundesverhältnis verwirklicht wird, nämlich mit der Einwohnung des heiligen Gottes in seinem Volk, und durch die darauf bezogene Konkretisierung der Gehorsamsforderung als Gebot der Heiligung, die die Wohnung bereitet, wird die Bedeutung dieser Forderung nur noch anschaulicher herausgestellt. So gilt auch bei P: Israel hat in seinem Teil Sorge zu tragen für den Bund, hat ihn zu bewahren; und Israel hat die Konsequenzen zu tragen, wenn es dieser seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Die Eröffnung neuer

2  So beschreibt Elliger, Leviticus, 16, die Absicht, die seinen Ph1 zur Zusammenstellung und nachträglichen Einfügung des Heiligkeitsgesetzes in Pg bewogen habe.

VI.  Erträge und theologische Bedeutung

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Hoffnung nach der Katastrophe, auf der unverkennbar der Ton liegt, geschieht daher nicht um den Preis, die noch kaum vergangene Unheilsgeschichte auszublenden. Mit dieser Deutung soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass es den priesterlichen Tradenten vorrangig um etwas anderes als die Gerichtsdoxologie ging, nämlich um Zukunftshoffnung und die Vergewisserung der Adressaten. Die diesbezüglichen Textsignale, allen voran die prononcierte Rede von einem ewigen Bund, sind nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich scheint den Tradenten in erster Linie daran gelegen zu sein, die als Bund beschriebene Gottesbeziehung als unverbrüchlich darzustellen. Aber just an dem dazu gebrauchten Ausdruck ‫ ברית עולם‬wurde auch schon deutlich, dass sich aus der Formulierung selbst eben noch nicht ergibt, worin diese Unverbrüchlichkeit gründet. Die herkömmliche Erklärung, der zufolge es die Ausschaltung der Gehorsamsforderung sei, die die Dauerhaftigkeit des Bundes garan­tiere, scheiterte schon daran, dass es, wie gezeigt, geradezu typisch für P ist, ‫ ברית עולם‬auch und gerade für dem menschlichen Partner obliegende Verpflichtungen zu gebrauchen. Ohnehin scheint sie nicht recht zu P passen zu wollen, wo so konsequent wie in kaum einer anderen alttestamentlichen Überlieferung alles wirksame Handeln von Gott erwartet wird. Statt anthropozentrisch, nämlich bei dem vermeintlich ausgeschalteten Faktor menschlicher Fehlbarkeit, anzusetzen, empfahl es sich daher, den Garanten des ewigen Bundes am anderen Ende zu suchen. Und in der Tat bestätigte sich auch in diesem Fall die oft und mit Recht konstatierte Theozentrik der priesterlichen Konzep­ tion. Als entscheidendes Motiv erwies sich dabei die Rede vom Gedenken (‫ )זכר‬Jhwhs an seinen Bund, die auch andernorts in der alttestamentlichen Überlieferung als Antonym zu dem dadurch verneinten Brechen (‫ פרר‬Hif.) des Bundes durch Jhwh fungiert. In P wird dieses Motiv aufgegriffen und gezielt an den kritischen Wendepunkten der Heilsgeschichte eingesetzt, an denen die Zukunft der Beziehung Jhwhs zu Israel infrage steht (Ex 2,24; 6,3–5; Lev 26,42.45; ebenso bereits im weltgeschichtlichen Zusammenhang Gen 9,15.16; vgl. auch Ez 16,60). Zweierlei fiel dabei besonders auf: Allein von Jhwh wird ausgesagt, dass er seines (!) Bundes gedenkt; und wo es um seinen Bund mit Israel geht, ist diese Aussage jeweils bezogen auf die Anfänge, namentlich die Erzväter. Die hier aufscheinende Strategie der priesterlichen Tradenten, neue Hoffnung auf die alte Verheißung zu gründen, fügt sich aufs Beste zu der Erkenntnis der neueren Pentateuchkritik, nach der die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus erstmals von P hergestellt worden ist. Kurz gesagt: Ewig unverbrüchlich ist der Bund nach priesterlicher Auffassung nicht deshalb, weil sein Bruch durch den menschlichen Partner ausgeschlossen wäre, sondern weil Gott ihn nicht bricht. Im Ergebnis erlaubt die vorgelegte Rekon­struk­ tion so eine ganzheitlichere Interpretation der priesterlichen Konzeption des Bundes, in der die einer erfahrungsbezogenen und in diesem Sinne empirisch plausiblen Theologie inhärente Komplexität als solche gewürdigt werden kann, anstatt sie redaktionsgeschichtlich aufzulösen.

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VI.  Erträge und theologische Bedeutung

Die deuteronomistische Konzeption des Bundes In dem Kapitel zur deuteronomistischen Konzeption (Kap. IV) waren angesichts der Diskussionslage in der Forschung (dazu gleich) im Wesentlichen zwei Fragen zu behandeln. Zum einen: Welche Rolle spielt der von Israel geforderte Gehorsam bei der Begründung der Bundesbeziehung? Spielt er hier überhaupt eine Rolle, und wenn nein, wie anders ist seine Bedeutung zu bestimmen? Zum zweiten: Welche Auswirkung hat Israels Ungehorsam auf die einmal begründete Bundesbeziehung? Vermag solches, in der biblischen Bildsprache als ‚Bruch‘ des Bundes bezeichnetes Verhalten Israels den effektiven Abbruch der Beziehung herbeizuführen? Die zweite Frage stellt sich angesichts der gängigen Kontrastprofilierung mit der priesterlichen Bundestheologie, die in der Einschätzung gründet, P ziele auf eine Korrektur der deuteronomistischen Konzeption des Bundes und deren Beschreibung des Gottesverhältnisses in Analogie zu einem politischen Vertrag. Denn dadurch, so die den priesterlichen Tradenten unterstellte Kritik, gerate dieses Verhältnis selbst in eine potentiell verhängnisvolle Abhängigkeit von Israels Verhalten. Die erste Frage wird aufgeworfen durch die weithin geteilte Annahme, die deuteronomisch-deuteronomistische Überlieferungsbildung lasse, diachron betrachtet, eine in theologischer Hinsicht als problematisch zu bewertende Tendenz immer weiter zunehmender Gesetzlichkeit erkennen. So sei es auf spät-deuteronomistischer Stufe dahin gekommen, dass die Erfüllung der Israel obliegenden Verpflichtung als Vorbedingung für den Bund verstanden worden sei. Beide vermeintlichen Probleme stellen sich indes genau umgekehrt dar in der ebenfalls einer fortgeschrittenen Phase der im weiteren Sinne deuteronomistischen Überlieferungsbildung zuzurechnenden nicht-priesterlichen Sinaiperikope (Ex 19– 24 und 32–34; dazu in Kap. IV.1). Dort wird der Bund geschlossen, mithin die bedingte Verheißung erfüllt, bevor Israel überhaupt Gelegenheit gehabt hätte, den von ihm geforderten Gehorsam oder das Gegenteil zu beweisen. Und der unbegreifliche, weil unmittelbar auf die nicht zu überbietende Gottesnähe dieser Urszene am Sinai folgende Abfall Israels führt gerade nicht zum Abbruch der Beziehung. Von daher erschien es angezeigt, die beiden Fragen für die deuteronomisch-deuteronomistische Überlieferung insgesamt neu zu behandeln. Die Frage nach der Auswirkung von Ungehorsam Israels auf die Valenz der Bundesbeziehung wurde an die Wahl zwischen Segen und Fluch gerichtet, vor die Israel durch die Mose-Rede gestellt wird (Kap. IV.2). Das einschlägige Kapitel Dtn 28 ist, wie längst gesehen und durch die neuere Forschung noch einmal aufschlussreich vertieft, in Analogie zu dem entsprechenden Element des in Israel und seiner Umwelt gebräuchlichen Vertragsformular gestaltet. Dessen Betonung einer bewussten Entscheidung der Vertragspartner bot den deuteronomistischen Tradenten den entscheidenden Ansatzpunkt für ihre geschichtstheologische Erklärung der geschehenen Katastrophe, und in der Tat steht zu vermuten, dass dieser Aspekt sie überhaupt erst dazu bewog, die Gottesbeziehung Israels auf diese neuartige Weise zu beschrei-

VI.  Erträge und theologische Bedeutung

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ben. Der Tenor besagter Erklärung lautet schlicht und einprägsam: Es lag an Israel, nicht an Jhwh. Die Katastrophe als Vergeltung schuldig gebliebenen Gehorsams – ein Ansatz von bestechend einfacher Logik und deshalb von nachhaltiger ideengeschichtlicher Wirkung. Aber genau aus dieser Logik erwächst auch das wahrgenommene Problem. Denn derart vertragsförmig beschrieben, scheint die Gottesbeziehung unentrinnbar gefährdet zu sein: Wie sie mit dem Gehorsam des menschlichen Bundespartners steht, so muss sie mit dessen Ungehorsam fallen. Durch die deuteronomistische Konzep­ tion ergibt sich eine verhängnisvolle Abhängigkeit des Bundes von der Beachtung seiner Bestimmungen – mag es vorderhand den Anschein haben. Bei näherem Zusehen hat sich freilich gezeigt, dass es dafür noch einer Zusatzannahme bedarf. Denn triftig ist die Problembeschreibung nur dann, wenn die ‚vertraglich‘ festgelegte Vergeltung automatisch funktioniert. Genau dies wird nun allerdings vorausgesetzt, wo man wie selbstverständlich davon ausgeht, über den Bestand des Bundes entscheide die Erfüllung seiner Bedingungen. Vor dem Hintergrund der altorientalischen Analogie mag diese Zusatzannahme zunächst nachvollziehbar erscheinen. Im Vertragswesen dient das Element des Fluches dem Schutz des Vertrages. Um diesen Schutz herzustellen, rufen die Vertragspartner ihre Götter an. Diese fungieren als „Zeugen“, also als Agenten der vertraglich festgeschriebenen Fluchfolgen, denen die Vertragspartner die Sanktionierung eines Bruchs der Vereinbarung anheimstellen. Damit etablieren sie in der Tat einen automatisch, nämlich ohne weitere Mitwirkung der Partner funktionierenden Schutz des Vertrages. Weil die Götter über den Vertrag wachen, wird auf Ungehorsam Unheil folgen. Ja, dieser Automatismus ist das entscheidende Funktionsprinzip der Konstruktion. Genau hier liegt allerdings auch der entscheidende Unterschied zur deuteronomistischen Konzeption des Bundes, wie durch einen Vergleich der Akteurskonstellation im Deuteronomium und dem Nachfolgevertrag Asarhaddons gezeigt werden konnte. Denn nach der Konzeption des deuteronomistischen Deuteronomiums gibt es keine Größe, die wie die den Vertrag garantierenden Zeugengötter als externer Agent über den Bund zwischen Jhwh und Israel wachen könnte. Diese Abweichung vom vorgegebenen Vertragsformular lässt sich unschwer schon an den im Deuteronomium hier und da ersatzweise genannten „Zeugen“ ablesen: Himmel und Erde; das Buch der Tora; zuletzt auch ein von Mose aufgeschriebenes Lied (Dtn 30,19 u. ö.; 31,26; 31,19.21). Gott ist in dieser Konstellation immer nur einer, Jhwh selbst. Folglich ist er es auch, der als Agent der Fluchfolgen fungiert beziehungsweise, wie man angesichts dieses Sachverhalts genauer formulieren sollte, der seine Fluchdrohung in die Tat umsetzt. Mit einem Wort: Jhwh ist Partner des Bundes und dessen Garant in Personalunion. So konnte festgestellt werden, dass es in der deuteronomistischen Konzeption des Bundes gerade keinen Automatismus gibt. Vielmehr verfügt Jhwh frei über die vorab festgelegten Sanktionen. Es steht in seiner Gewalt, die Drohung in die Tat umzuset-

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VI.  Erträge und theologische Bedeutung

zen oder nicht. Israel hingegen kann, anders als die von Asarhaddon verpflichteten Vasallen, das drohende Unheil nicht selbst herbeiführen. Gewiss besteht nach deuteronomistischer Auffassung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ungehorsam und Unheil; auf ihm liegt alle Emphase. Aber dieser Zusammenhang funktioniert nicht automatisch, sondern er wird von Jhwh je und je hergestellt. Durch den Ungehorsam seines menschlichen Partners lässt Jhwh sich dabei so wenig binden wie durch dessen Gehorsam. Wenn dies richtig sein sollte, müsste es sich an einer Darstellung und Deutung der Geschichte Israels von deuteronomistischer Hand bewähren, so die im Anschluss an die Untersuchung des Deuteronomiums vorgenommene Probe (Kap. IV.3). Und eben dort bewährte sich die vorgelegte Interpretation auch tatsächlich, mehr noch, sie vermochte eine alte crux interpretum aufzulösen. Wie schon lange aufgefallen ist, lässt sich die nationale Katastrophe, auf die Darstellung in den Samuelis- und Königebüchern zuläuft, gerade nicht in berechenbarer Weise als Konsequenz der ‚Bundesflüche‘ des Deuteronomiums nachvollziehen. Weder die Geschichte des Nordreichs noch (erst recht nicht) die des Südreichs verläuft in einer steten Abwärtsbewegung. Und selbst eine solche Bewegung wäre, die problematisierte Annahme eines gleichsam automatischen Zusammenhangs von Ungehorsam und Unheil vorausgesetzt, kaum zu erklären. Jedenfalls hätte die Katastrophe, die nach der herkömmlichen Auffassung der priesterlichen Bundestheologie eigentlich gar nicht hätte passieren können, nach der herkömmlichen Auffassung der deuteronomistischen Bundestheologie schon um Jahrhunderte früher passieren müssen. Nicht umsonst ist die theologisch denkwürdige Erfahrung des immer weiter aufgeschobenen Gerichts auch in der Überlieferung selbst thematisiert worden, einerseits durch den Motivkomplex um David und die besondere Bindung Jhwhs an seine Dynastie, andererseits durch die Akzentuierung der Möglichkeit der Umkehr zu Jhwh. Auch und gerade, wenn die entsprechenden Texte auf Nachträge gegenüber der formativen deuteronomistischen Darstellung zurückzuführen sein sollten, belegen sie durch ihre theologische Reflexion das empirische Datum selbst: dass der Bund nicht zerbrochen ist, wenn Israel ihn ‚gebrochen‘ hat. Und eben dieses Ergebnis bestätigt schließlich auch die Semantik von ‫ פרר‬Hif. + ‫ברית‬. Wie die Untersuchung gezeigt hat, kann eine wörtliche Übersetzung des bildhaften Ausdrucks leicht in die Irre führen. Denn nach übereinstimmendem Zeugnis sämtlicher alttestamentlicher Belege meint die Rede vom ‚Bruch‘ des Bundes durch Israel lediglich, dass Israel seinen Bundesverpflichtungen untreu geworden ist – in signifikantem Unterschied zu den mit Jhwh als Subjekt konstruierten Belegen, die einen effektiven Bruch des Bundes im Sinne eines Abbruchs der Beziehung umschreiben. Bezeichnenderweise kommt letzteres Szenario allerdings im gesamten Alten Testament ausschließlich als negierte Möglichkeit in den Blick. Die andere Frage – nach der Rolle des von Israel geforderten Gehorsams bei der Begründung der Bundesbeziehung – betrifft zunächst und vor allem das Verständnis der Paränese im Deuteronomium (Kap. IV.4). Die Frage stellte sich angesichts des in

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unterschiedlichen Spielarten entwickelten Versuchs, dort redaktionskritisch einen besonders akzentuierten Nomismus innerhalb der deuteronomistischen Darstellung zu identifizieren. Wenn nicht dem älteren Deuteronomium und dessen formativer deuteronomistischer Bearbeitung, so läge doch jedenfalls den fraglichen spät-deuteronomistischen, DtrN oder DtrB zugewiesenen Stellen die Auffassung zugrunde, Toragehorsam stelle die Vorleistung für Israels Eintritt in den Bund beziehungsweise das Inkrafttreten seiner Verheißungen dar. Mindestens Dtn 6,17–19; 7,12; 8,1; 11,8–9 (+ 22–25) und 28,9 seien in diesem Sinne zu interpretieren. Tatsächlich weisen gleich mehrere der genannten Stellen einen Aspekt auf, der unmissverständlich auf diese Deutung zu führen scheint: Das Heil des Bundes wird konkretisiert durch die Gabe des Landes. Wenn nun aber Israel aufgefordert wird, die Gebote zu halten, damit ihm diese Gabe zuteilwird (so Dtn 6,17–18), ist dann nicht eindeutig, dass von einer vorab zu erfüllenden Bedingung die Rede ist? Mehr noch, trifft eine solche Ansprache nicht genau auf die Situation der babylonischen Gola? Diese Überblendung der abstrakten Größe des Bundes mit der konkreten des Landes, auf der die Interpretation beruht, ist zugegebenermaßen suggestiv, zumal in Verbindung mit der Erzählfiktion von der bevorstehenden Einnahme des Landes. Lässt man sich einmal auf den Gedanken ein, scheitert er aber gerade an der Logik dieser Erzählung, wie die Untersuchung gezeigt hat. Denn so wenig am Gottesberg Gelegenheit war, den geforderten Gehorsam unter Beweis zu stellen, so wenig hat Israel am Vorabend der Landnahme die Möglichkeit, sich dieselbe zu verdienen. Und selbst wenn Zeit dazu wäre: Die allermeisten Gebote des Deuteronomiums könnten dort gar nicht gehalten werden – sondern erst im Land. Die hier vorgeschlagene Alternative lautet, auch für diese Belege in Anschlag zu bringen, was die deuteronomistische Rede vom Land von Anfang an bestimmt: die theologische Erklärung seines Verlustes. Die eindringlichen Mahnungen zu Toragehorsam geben dann die Bedingung nicht dafür an, wie Israel in sein Land kommt, sondern dass es darin bleiben kann. Bei genauer Betrachtung bestätigte sich eben dies auch an den Details der Gestaltung. So wird die Verheißung des Landes wiederholt parallelisiert mit der von Leben und Mehrung, und zwar in dieser Reihenfolge: Leben – Mehrung – Land (so zum Beispiel in Dtn 8,1). Dem so eröffneten Verständnis der Belege steht auch die Semantik von ׁ‫ ירש‬Qal nicht im Wege. Wie die Untersuchung ergeben hat, kann das Verb außer mit der ingressiven Grundbedeutung „in Besitz nehmen“ auch mit der progressiven Bedeutung „in Besitz haben/halten“ gebraucht werden. Rückübertragen auf das Abstraktum Bund, geht es eben nicht darum, sich den Eintritt in denselben oder das Inkrafttreten seiner Verheißungen zu verdienen. Vielmehr schärft die Paränese ein, dass und wie Israel im Bund bleiben, das heißt der vorgängig von Jhwh gewährten Beziehung entsprechend leben soll. Die theologische Bedeutung, die dem in der Mosetora kodifizierten Gotteswillen damit zugeschrieben wird, mag man nomistisch nennen. Aber dieser Nomismus ist nicht mit der pauli­ nisch vorgeprägten Problematisierung als Vorleistung des menschlichen Bundes-

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partners zu beschreiben. Einen treffenderen Vergleichspunkt bietet die Religionsstruktur des so genannten Bundesnomismus, wie sie in der rabbinischen Literatur und anderen frühjüdischen Überlieferungen rekonstruiert worden ist: „the pattern of getting in (election) and staying in (obedience)“.3 Im Blick auf die literargeschichtlichen Implikationen dieses Ergebnisses ist zu betonen, dass die Fragestellung gerade nicht auf Herkunft und literarischen Ort der untersuchten Belege zielte – sondern darauf, ob die sich einem über Generationen geführten theologischen Diskurs verdankende deuteronomisch-deuteronomistische Überlieferung tatsächlich, wie weithin angenommen, wesentliche theologische Widersprüche und Wandlungen hinsichtlich der konditionalen Struktur des Bundes zu erkennen gibt. Abgesehen von einer Ausnahme wie Dtn 9,4–6, wo gleichsam via negationis die deuteronomistische Regel bestätigt wird, konnten keine entsprechenden Kontroversen, geschweige denn eine sich immer weiter verstärkende Tendenz zur Verabsolutierung ‚des Gesetzes‘ festgestellt werden. Dies lässt Versuche zur Rekonstruktion einer Redaktionsschicht, die gerade zu einer solchen Verabsolutierung tendiert habe, fraglich erscheinen. Die Probe aufs Exempel ließ sich im deuteronomistischen Jeremiabuch machen: in Jer 7,21 ff. und vor allem in Jer 11 (Kap. IV.5). Dem Propheten wird dort eine Predigt in den Mund gelegt, die im Kern darin besteht, dass Jeremia seinen Zeitgenossen die an die Exodusgeneration ergangene Gehorsamsforderung – die Worte dieses Bundes – vorhält; und auch in dieser Predigt ist das Thema des Bundes verschränkt mit dem des Landes. Es geht also um denselben Gegenstand wie in der Paränese des Deuteronomiums. Er wird aber, der literarischen Einbettung entsprechend, aus der umgekehrten Perspektive thematisiert: Worauf Mose vorausblickt, darauf blickt Jeremia zurück. Dieser Wechsel der Perspektive erwies sich als aufschlussreich. Kann die Gehorsamsforderung im Deuteronomium, also unter dem Eindruck der dominanten Erzählfiktion von der bevorstehenden Landnahme, noch dahingehend verstanden werden, Israel müsse sich durch ihre Erfüllung die Gabe des Landes verdienen, so schließt der Rückblick dieses Verständnis aus. Und eben dies gilt, wie für das Land, so auch für den Bund: Wenn Jeremia seinen Zeitgenossen die an die Exodusgeneration ergangene Forderung als ungebrochen gültig vorhalten kann, so ist damit entschieden, dass sie nicht die Gewährung des Bundes betrifft, sondern die Bewährung an der vorgängig geschlossenen Beziehung. So bestätigte der Befund in Jer 11 die Bedeutung der Bedingung, wie sie im Deuteronomium erarbeitet werden konnte. Vorausgesetzt wurde bei dieser Argumentation, dass es ein deuteronomistisch bearbeitetes Jeremiabuch gegeben hat und Jer 11 dazu gehört. Letzteres wird in der Forschung zwar verschiedentlich bestritten, aber mit einem Argument, das durch die eben dargelegte Differenzierung hinsichtlich der konditionalen Struktur des Kapitels als entkräftet gelten muss. Eine andere Frage ist es, wie sich der Deuteronomismus im Jeremiabuch zu dem in den Vorderen Propheten verhält. Hier gilt indes das Gleiche 3 

Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 424.

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wie für die Übereinstimmung im Grundsätzlichen, die die vielfach geschichtete deuteronomistische Überlieferung im Deuteronomium und den geschichtlichen Büchern verbindet: Das Ergebnis, das unsere Probe aufs Exempel ergeben hat, ist umso signifikanter, je eigenständiger sich der ‚deuteronomistische Jeremia‘ in anderen Hinsichten darstellt. Gerade dann belegt er nämlich, dass die wesentlichen Unterschiede nicht in der konditionalen Struktur liegen. Die prophetische Verheißung eines neuen Bundes Die dritte große Konzeption der Gottesbeziehung als Bund im Alten Testament, die prophetische Verheißung eines neuen Bundes (Kap. V), wird von Jer 31,31–34 im Verein mit mehreren thematisch eng verwandten Seitenstücken in Jeremia und Ezechiel, allen voran Ez 36,26–28, bezeugt. Hier lautet die von der exegetischen Tradi­ tion aufgeworfene und durch die neuere Forschung noch einmal zugespitzte Frage: Vermag das erwählte Volk überhaupt zu leisten, was das Leben in Beziehung mit seinem Gott von ihm fordert? Muss Israel – oder der Mensch – daran nicht vielmehr mit Notwendigkeit scheitern? Und setzt nicht die Verheißung eines neuen Bundes eben diese grundsätzliche Skepsis voraus? Die Frage scheint die inhärente theologische Problematik einer Beschreibung der Gottesbeziehung als Bund zu offenbaren, umso mehr, wenn das Theologumenon tatsächlich in den beiden anderen Konzep­ tionen wesenhaft von einer konditionalen Grundstruktur lebt. Jer 31,31–34 gehört zu den am häufigsten ausgelegten Texten des Alten Testaments. Angemessen diskutieren ließ sich die genannte Grundfrage daher nur unter Einbezug mehrerer je eigenständiger, aber miteinander verschränkter Problemstellungen, die die neuere Forschung beschäftigen. Das betrifft schon die Textbasis. Denn es galt, nicht eine Ausgabe des Jeremiabuches auszulegen, sondern das Jeremiabuch in seinen verfügbaren Ausgaben. Dass uns derer zwei je eigenständige überkommen sind, neben dem masoretischen Jeremiabuch auch eine auf Griechisch und in Qumran bezeugte Ausgabe, ist, anders als die entstehungsgeschichtliche Verhältnisbestimmung dieser Versionen, zwar kaum strittig. Mit voller Konsequenz in der Auslegung berücksichtigt wird der Sachverhalt aber nach wie vor eher selten. Auch auf so verbreiterter Textgrundlage hat sich indes nicht bewährt, die Verheißung habe in ihrer ursprünglichen Gestalt ausdrücklich von einem effektiven Bruch des ‚alten‘ Bundes durch Jhwh gehandelt (es wäre dies eine singuläre Aussage im Alten Testament) und mit dem neuen Bund auch eine neue Tora in Aussicht gestellt. Die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Thesen (Kap. V.2) verhalf aber zu einem besseren Verständnis der Dramaturgie der vorgestellten eschatologischen Ereignisse. Demnach setzt der verheißene Schluss eines neuen Bundes nicht voraus, der ihm vorangehende habe aufgehört zu existieren. Stattdessen wird Jhwh den neuen Bund unmittelbar an die Stelle des bis dahin geltenden, zwar von Israel, aber nicht von ihm selbst gebrochenen Bundes setzen und diesen dadurch ersetzen.

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Aber warum wird er dies tun? Hier setzt die andere Problemstellung an, die die Forschung der vergangenen zwei Jahrzehnte bestimmt hat. Ausgehend von der älteren redaktionsgeschichtlichen Erkenntnis, dass Jer 31,31–34 ausweislich seiner formalen Gestaltung jedenfalls nicht vor der formativen deuteronomistischen Bearbeitung der Jeremia-Überlieferung eingeordnet werden kann, hat man gemeint, unter der sprachlichen Oberfläche einen sachlichen Gehalt von un- oder sogar anti-deuteronomistischer Stoßrichtung ausmachen zu können. Denn so deuteronomistisch die Verheißung in ihrem Wortlaut klinge, so wenig stimme sie mit elementaren Grundsätzen des Deuteronomismus überein. Durch die Verheißung, Jhwh selbst werde seine Tora künftig direkt ins Herz der Israeliten schreiben, würden die Zentral­insti­tu­ tio­nen der schriftlichen Fassung der Tora in einem Buch und ihrer Vermittlung durch Lehren und Lernen abgewertet. Dieses dezidiert als Gegenkonzept profilierte Programm gründe in einem prinzipiellen Zweifel an der von den Deuteronomisten propagierten Art und Weise, den Gotteswillen zu vermitteln. Diese Deutung wird aber infrage gestellt, wenn man sie, wie in der vorliegenden Untersuchung erstmals unternommen, mit neueren kulturvergleichenden Studien zum Zusammenspiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und der entsprechenden Ausbildung von Schreibern im Alten Orient ins Gespräch bringt (Kap. V.3). Gegen die in der alttestamentlichen Wissenschaft nach wie vor wahrnehmbare Tendenz, hier einen Gegensatz zu konstruieren, belegen diese Studien die wechselseitige Bezogenheit von schriftlicher Fixierung und wörtlicher Memorisierung in der Pflege von Traditionstexten. Da die entsprechenden Kulturtechniken augenscheinlich den lebensweltlichen Vorstellungsraum hinter der Verheißung eines Schreibens der Tora auf das Herz bilden, greift der für die referierte Deutung grundlegende Gegensatz zwischen der ‚äußerlichen‘ Tora und ihrer Verinnerlichung dort ebenso wenig. Aufgrund ihrer Verstehensvoraussetzungen hätten die Rezipienten einen solchen Gegensatz gar nicht nachvollziehen können. Vielmehr zielt für sie die Tora im Buch auf die Tora im Herzen, während umgekehrt die Tora im Herzen selbstredend jene im Buch zur Voraussetzung hat. Gewiss ist die den Rezipienten geläufige Vorstellung entschieden gesteigert, insofern nun Jhwh selbst als Lehrer auftritt, der auf das Herz seiner Schüler schreibt. Nicht umsonst handelt es sich um eine eschatologische Verheißung. Diese Steigerung bedeutet jedoch keine Abwertung der schriftlichen Tora und ihres Studiums, sondern eine im Wortsinn endgültige Aufwertung, die über die gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit hinausführt, indem sie die vollkommene Aneignung der Tora als Gabe Gottes verspricht. Dass diese Neubewertung Implikationen für die gegenwärtige Debatte um das so genannte deuterojeremianische Material und die stichhaltige, sprachlich wie sachlich zu begründende Identifizierung deuteronomistisch-redaktioneller Texte birgt, ist augenscheinlich. Wichtig für die hier verfolgte Fragestellung war indes nur, dass sich die zur Begründung einer dezidiert anti-deuteronomistischen Ausrichtung der Verheißung in Anschlag gebrachte Deutung nicht bewährt. Denn ebenso wenig wie die Tora selbst wird die mit ihr erhobene Gehorsamsforderung an den menschlichen

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Bundespartner abrogiert. Im Gegenteil, dass Jhwh künftig selbst dafür sorgen wird, dass sie erfüllt wird, bezeugt mit Nachdruck die Bedeutung, die diesem Element bei einer Beschreibung der Gottesbeziehung als Bund offenbar zukam; eine Einsicht, die durch den Vergleich mit den Seitenstücken Jer 32,38–40 und Ez 36,26–27 noch vertieft werden konnte. Mit anderen Worten: Die konditionale Grundstruktur, die dem Theologumenon des Bundes von Hause aus, nämlich seit seiner ersten Prägung in der deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition, eigen ist, wird auch in der Konzeption eines neuen Bundes nicht aufgegeben – sondern gleichsam endgültig festgeschrieben. Ohnehin ist zu beachten, dass der neue Bund erst für eine eschatologische Heilszeit verheißen wird, während für die Gegenwart der Adressaten der ‚alte‘ unverändert gültig bleibt. Mit diesem Ergebnis stellt sich aber, so könnte es den Anschein haben, das eingangs benannte Problem noch verschärft: Vermag der Mensch dem Anspruch einer dergestalt strukturierten Gottesbeziehung überhaupt zu entsprechen? Jedenfalls wird, so die weithin geteilte Auffassung, eben diese Frage durch die Konzeption eines neuen Bundes beantwortet,4 und zwar abschlägig beantwortet. Ist der neue Bund also ein Ausdruck endgültiger Resignation über den alten Menschen? (Kap. V.5). Zwar ist, wie zunächst festzustellen war, der in der Forschung häufig vorausgesetzte Umkehrschluss nicht zwingend: Dass Jhwh zukünftig selbst dafür sorgen wird, dass Israel den von ihm geforderten Gehorsam leistet, impliziert nicht notwendig, dass er in Vergangenheit und Gegenwart gar nicht geleistet wurde beziehungsweise werden konnte. Durchaus wirft der literarische Befund aber die Frage nach dem traditionsund theologiegeschichtlichen Hintergrund der Verheißung auf – nach dem ‚anthropologischen Pessimismus‘, dessen Entwicklung in Jeremia wie Ezechiel wahrgenommen wird. Indes konnte auch die exegetische Untersuchung der einschlägigen Texte nicht bestätigen, sie zeugten von einer Sicht auf den Menschen vor Gott, nach der dieser zu Gehorsam schlechterdings nicht fähig und darin auch nicht mehr zu bessern sei. Bereits die – gemessen am unterstellten Menschenbild – überraschende Beobachtung, dass eine ganze Reihe der einschlägigen Belege in Jeremia unter Bezug auf das semantische Feld von Lehren und Lernen gestaltet sind, ließ dies fraglich erscheinen. Der rekurrente Gebrauch der Verbalwurzel ‫ למד‬auch und gerade in den zentralen Kronzeugen für die angebliche Unfähigkeit, in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen zu leben (Jer 2,33; 9,4; 9,12–13; 13,23; 17,1), spricht, zumal in idiomatischer wie traditionsgeschichtlicher Hinsicht keineswegs alternativlos, gerade nicht dafür, die Aussagen auf ein unveränderliches Wesen zu deuten. Andere Belege mögen demgegenüber unzweideutig erscheinen, so etwa der immer wieder zitierte Vergleich des Verhaltens des Volkes mit der Unveränderlichkeit von Hautfarbe (Jer 13,23a). Doch

4  Pointiert zusammengefasst in dem Titel von Schmidt, Der ‚neue Bund‘ als Antwort auf Jeremias kritische Einsichten.

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schon die Tatsache, dass letztere Aussage nicht zu trennen ist von der eben angesprochenen Formulierung mit ‫ למד‬im folgenden Versteil, lässt es geraten erscheinen, sich bei der Interpretation der Belege nicht allein auf den vermeintlich eindeutigen Wortlaut zu konzentrieren, sondern das argumentative Profil der betreffenden Passage zu berücksichtigen. Diesen exegetisch-hermeneutischen Bedenken korrespondiert in der Sache, dass Jeremia wie Ezechiel eben nicht ‚den Menschen‘ ansprechen, sondern Judäer in historischen Situationen des siebten und sechsten Jahrhunderts v. Chr., und es dabei nicht um den Einzelnen als Individuum geht, sondern um das Volk beziehungsweise kollektive Größen. Die auf je konkrete Kommunikationssituationen gemünzte Pragmatik der Texte widerrät einer anthropologisch-systematisierenden Generalisierung. Stattdessen sind die ausgesprochen pessimistischen Töne, die in der Überlieferung beider Propheten angeschlagen werden, als erfahrungsbezogene Aussagen zu interpretieren. Ihre Triftigkeit für die ursprünglichen Adressaten steht und fällt mit dem Maß, in dem sie eine plausible, nachvollziehbare, in diesem Sinne realistische Deutung der geteilten Gegenwart und Geschichte eröffnen. Kurz und im Blick auf den untersuchten Haupttext zusammengefasst: Weder aus sich selbst heraus noch als ‚Antwort‘ auf entsprechende anthropologische Einsichten – die prophetische Verheißung eines neuen Bundes setzt keine prinzipielle Unfähigkeit voraus, der Gottesbeziehung entsprechend zu leben. Sie bietet eine eschatologische Vision dieser Beziehung, nach der diese am Ende vollkommen und ungetrübt sein wird. Dank einer Intervention Jhwhs wird Israel gar nicht mehr anders können, als dessen Willen zu tun. Diese Zukunftsvision impliziert jedoch nicht, für Geschichte und Gegenwart der Adressaten gelte das genaue Gegenteil. Auf der im Sinne einer Gegenprobe unternommenen Suche nach einer solchen Sicht ist die vorliegende Untersuchung erst im Römerbrief fündig geworden. In komparativer Perspektive kann nach diesem Durchgang festgestellt werden, dass in der Tat alle drei großen Konzeptionen der Gottesbeziehung als Bund, die sich im Alten Testament unterscheiden lassen, eine konditionale Grundstruktur aufweisen. Selbst in der ausdrücklich als neu abgesetzten, für die eschatologische Heilszeit verheißenen Konzeption wird diese Struktur durchgehalten. Der paradoxe Gedanke, dass Jhwh nach dieser letzten Konzeption selbst sicherstellen wird, dass Israel die ihm obliegende Bedingung erfüllt, unterstreicht nur deren Bedeutung. Damit kann als exegetisch gesichert gelten, was schon angesichts der altorientalischen Analogie des politischen Vertrags (dazu in Kap. I) zu vermuten stand: dass ein elementares Korrespondenzverhalten des menschlichen Partners zum Wesenskern des Theologumenons gehört. Wo die besondere Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk als Bund beschrieben wird, da wird damit zugleich zum Ausdruck gebracht: Eine Beziehung lebt davon, dass beide Seiten sich zu ihr bekennen, und das heißt im Alten Testament, sich ihr entsprechend verhalten. Dieser Aspekt, besonders die von ihm herausgestellte Wechselseitigkeit des Verhältnisses, wurde über weite Strecken der

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Forschungsgeschichte eher als theologisches Problem wahrgenommen.5 Er birgt aber auch ein eminentes Potential – für den theologischen Begriff einer aktiv gestalteten und ganzheitlich praktizierten (‚gelebten‘) Gottesbeziehung.6 In der Tat dürfte in diesem Proprium des Theologumenons der Grund für seine nachhaltige Karriere mit theologiegeschichtlich weitreichenden Folgen liegen. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lohnt es sich, noch einmal auf die der Untersuchung vorausgeschickte hermeneutische Sondierung (Kap. II) zurückzukommen. Deren Anliegen lautete, sich im Sinne einer kritischen Standortreflexion spezifische Vorverständnisse, die von der Bezogenheit des Auslegers auf diesen Standpunkt herrühren, bewusst vor Augen zu führen und vor allem, sie bei der exegetischen Arbeit bewusst zu halten. Es ging also nicht darum, solche Vorverständnisse auszuschalten, wohl aber, ihren Einfluss zu kontrollieren – und am Ende natürlich darum, in alttestamentlich-exegetischer Hinsicht begründet unterscheiden zu können zwischen „wahren Vorurteile[n], unter denen wir verstehen“ und „falschen, unter denen wir mißverstehen“.7 Um Vorverständnisse von tatsächlich maßgebendem Einfluss ins Bewusstsein zu heben, wurden für diese Sondierung Überlieferungsbestände ausgewählt, denen kanonische Bedeutung beigelegt wird von den gegenwärtigen Auslegungsgemeinschaften, die ihre Anfänge auf das Alten Testament zurückführen. So wurden zum einen die Briefe des Paulus herangezogen (Kap. II.2). Hier war in erster Linie an die entschiedene Entkopplung der Größen Bund und Gesetz zu erinnern, die der Apostel im Galaterbrief vornimmt. Seine diesbezügliche Argumentation beruht im Kern auf ­einer Bestimmung des Wesens des mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossenen Bundes. Dieser Bund wurde ursprünglich und eigentlich ohne eine Verpflichtung Abrahams geschlossen, so Paulus, er ist also rein und ausschließlich Verheißung; die dem Bund wesensfremde Verpflichtung tritt erst nachträglich hinzu. Ein weiteres Augenmerk galt der soteriologischen Argumentation im Römerbrief und dem dort dargelegten absoluten, nicht empirisch, sondern prinzipiell begründeten Pessimismus des Paulus im Blick auf die Natur des Menschen und dessen Möglichkeit, so zu leben, wie es Gott gefällt. Zum anderen wurden thematisch einschlägige Zeugnisse der tannaitischen Literatur ausgewertet (Kap. II.3), insbesondere die Kommentierung der biblischen Überlieferung von Exodus und Gottesbergereignissen in den großen halachischen Midraschim. Mit der als Bundesnomismus (covenantal nomism) bekannt gewordenen Re5  Dafür standen namentlich Begrich, Berit, und Kutsch, Gesetz und Gnade; ders., Verheißung und Gesetz. 6  S. dazu jetzt Levenson, The Love of God, mit der programmatischen These, „that the two meanings of ‚the love of God‘ – the love God gives and the love he receives – cannot be disengaged“ (a. a. O., xiv). Vgl. auch schon McCarthy, Treaty and Covenant, 297: „What is wanted is a means of response, a commitment to the sovereign, and a response which can be lived. Hence the stipulations which serve to define the already extant relationship so that it can be lived out in one’s ordinary life.“ 7  Gadamer, Wahrheit und Methode, 304 (im Original teilweise hervorgehoben).

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konstruktion konnte hier herausgearbeitet werden, wie konsequent die Rabbinen Gehorsam gegenüber dem in der Tora kodifizierten Gotteswillen als Antwort Israels auf die unverdiente und in diesem Sinne gnadenvolle Erwählung durch Jhwh profilieren. So ergibt sich die asymmetrische und zugleich reziproke Grundstruktur, die in der Forschung auf die komplementären Begriffe des Eintritts in den Bund (getting in) und des Bleibens in ihm (staying in) beziehungsweise seiner Bewahrung gebracht worden ist. Auch die sich zwangsläufig anschließende Frage, ob nicht ein Scheitern an der Verantwortung, die Israel mit dieser Aufgabe der Bewahrung des Bundes zukommt, mit Notwendigkeit ein Scheitern des Bundes selbst bedeuten müsse, wird bereits von den Rabbinen diskutiert und entkräftet. Im Rückblick auf die so sensibilisierte exegetische Untersuchung ist zunächst festzustellen: Die paulinischen Perspektiven haben sich aufs Ganze gesehen nicht als ein „wahres Vorurteil“ in dem Sinne erwiesen, dass sie zu einer dem Eigenprofil der alttestamentlichen Überlieferungen entsprechenden Auslegung anregen könnten. Dabei überrascht weniger diese Einsicht selbst als vielmehr der Umstand, dass ihr in der Forschung zur Bundestheologie im Alten Testament bisher nicht breiter und kon­ sequen­ter Rechnung getragen wurde. In dieser Hinsicht anders zu bewerten ist die Religionsstruktur des Bundesnomismus in der frühjüdischen Tradition. Zwar sind wesentliche, religionsgeschichtlich bedingte Unterschiede nicht zu übersehen. Namentlich die zunehmende Konzentration auf den Einzelnen als Individuum und dessen eschatologisches Heil stellen Entwicklungen dar, die den im Alten Testament abgeschrittenen Vorstellungsraum entschieden transzendieren. Dieser Differenzen unbeschadet bietet die angesprochene Grundstruktur aber ein „heuristisches Kor­ rek­tiv“, 8 das dazu verhilft, in der alttestamentlich-exegetischen Tradition eingespielte Lesemuster kritisch zu hinterfragen und dadurch auch die betreffenden Texte selbst neu und, wie ich meine, sachgemäßer zu verstehen. Die oben umrissenen Ergebnisse mögen dies belegen. Von daher kommt schließlich auch ein Desiderat für weitere Forschungen in den Blick, nämlich die religionsgeschichtliche Rückfrage nach der Herkunft des frühjüdischen Bundesnomismus und seiner möglichen Vorgeschichte im Alten Testament. E. P.  Sanders rekonstruierte die Struktur in seiner Pionierstudie anhand der (umfangreicheren) tannaitischen Literatur, um von dort aus zurückzufragen nach früheren (auch partiellen) Bezeugungen: zunächst in den Qumran-Schriften, dann in Ben Sira, 1 Henoch, dem Jubiläenbuch und den Psalmen Salomos. In der Diskussion seit Sanders ist die Textgrundlage noch ausgeweitet worden, nicht hingegen der Untersuchungszeitraum. Damit steht eine Klärung der Herkunft dieser für das sich formierende Judentum schlechterdings grundlegende Religionsstruktur aus. Wie ist der frühjüdische Bundesnomismus entstanden? Hat er eine Vorgeschichte im Alten Testament? Muss der Rückweg von der tannaitischen Literatur über die Qumran-Schrif-

8 

Mit einer Formulierung von Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker, 27.

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ten zu den Hauptwerken der apokryphen Literatur, den Sanders und seit ihm viele andere gegangen sind, noch fortgesetzt werden? Diese Fragen sind bislang kaum gestellt, geschweige denn beantwortet worden.9 Ausschlaggebend dafür dürften nicht zuletzt disziplinäre Gründe sein; die bisherige Diskussion wird so gut wie ausschließlich von Judaisten und Neutestamentlern ­getragen. Sanders, der unlängst den Gang der Forschung resümiert hat, bedauert unterdessen ausdrücklich, die Untersuchung nicht selbst auf das Alte Testament ausgeweitet zu haben. Auf diesem Weg hätte, gibt er sich gewiss, die Rekonstruktion zusätzlich untermauert werden können.10 Im Licht der vorliegenden Untersuchung erscheint ein solcher transdisziplinärer Zugriff, der vor allem den Übergangsbereich zwischen der bereits erforschten Literatur der Seleukidenzeit zu den alttestamentlichen Zeugnissen der Ptolemäer- und der späteren Perserzeit in den Blick zu fassen hätte, in der Tat als ein lohnendes Unterfangen. Dies gilt in doppelter Hinsicht. Einerseits eben im Blick auf die bislang nicht ergründete Herkunft des frühjüdischen Bundesnomismus: Unbeschadet wesentlicher, sorgfältig zu gewichtender Unterschiede (s. o.) dürfte sich dabei, so die durch die vorliegende Untersuchung begründete Vermutung, eine grundsätzliche, rezeptionsgeschichtlich zu beschreibende Kontinuität mit den Konzeptionen des Bundes im Alten Testament und ihrer konditionalen Grundstruktur feststellen lassen. Andererseits steht zu erwarten, dass sich auf dergestalt erweiterter Textgrundlage auch Gesichtspunkte zur kritischen Differenzierung der Rekonstruktion des Bundesnomismus selbst ergeben, nicht zuletzt hinsichtlich gewichtiger Einwände, die in der jüngeren Diskussion vorgebracht worden sind.11 Bleibt die Frage nach der aktuellen Bedeutung der vorliegenden Untersuchung und ihrer Ergebnisse. „Denn wozu treiben wir Geschichte und Exegese alter, und zumal biblischer, Traditionen, wenn nicht dazu, uns über den eigenen Ort in der Gegenwart zu verständigen?“12 Auf der Bundestheologie liegt dabei ein besonderes Augenmerk. Hier, in der theologischen Rede von der Beziehung zu dem einen Gott, geht es für beide Auslegungsgemeinschaften, die sich auf das Alte Testament zurückführen, um die immer wieder neu auszuhandelnde Konstruktion der eigenen Identität – die, wie die Kirchen- und Theologiegeschichte schmerzlich lehrt, immer wieder auch die aggressive Konstruktion von Alterität, bis hin zur Bestreitung der Identität des anderen, eingeschlossen hat. Die Denkfigur des Bundes Gottes mit seinem Volk ist daher, systematisch wie historisch betrachtet, das alttestamentliche Theologumenon, das Juden und Christen verbindet – oder trennt. 9  Vgl. jetzt aber auch das bei Knoppers, The End of Israelite Religion, 54, andeutungsweise umrissene Arbeitsprogramm. 10  Sanders, Covenantal Nomism Revisited, 34–35. Skeptisch dagegen Lim, Covenantal Nomism and the Hebrew Bible. 11  Vgl. dazu oben, in Kap. II.3. 12  Blum, Volk oder Kultgemeinde, 214.

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Als ein Beispiel dafür, wie belangvoll und zugleich schwierig die Verhältnisbestimmung in exegetisch-theologischer Hinsicht ist, sei an den Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ vom 11. Januar 1980 erinnert. Dessen theologisch wohl wichtigster und zugleich am heftigsten umstrittener Satz lautet: „Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist.“13 Der biblisch bezeugte Bund Gottes mit Israel besteht demnach bis heute ungebrochen, und zwar mit Israel nach dem Fleisch; in diesem Bund Gottes mit seinem Volk haben nun aber auch die Völker (vgl. Mt 28,19) ihren Platz. Die oft und mit Recht hervorgehobene Bedeutung der ersten Aussage und nicht weniger die in exegetisch-theologischer Perspektive unumgängliche Problematisierung der zweiten zeigen in aller Deutlichkeit: Wie die Bundestheologie im Alten Testament verstanden wird, trägt wesentlich dazu bei, wie sich Juden und Christen heute verstehen und in theologischer Hinsicht zueinander verhalten können. Daher seien abschließend zwei elementare Einsichten der vorliegenden Untersuchung besonders hervorgehoben, weil sie mir von besonderer Bedeutung für die theologische Grundlegung eines gelingenden christlich-jüdischen Gesprächs zu sein scheinen. Zum einen: Das Alte Testament kennt keinen Bund ohne Verpflichtung. Die Auffassung, das Theologumenon bedeute – ob ursprünglich und ‚eigentlich‘ oder auf einer späteren Stufe seiner Theologiegeschichte – ausschließlich Verheißung, findet keinen Anhalt an den Belegen. Einen gänzlich unkonditionierten, in diesem Sinne ‚reinen‘ Gnadenbund, in dem jedes Korrespondenzverhalten des menschlichen Partners ausgeschaltet wäre, gibt es nach dem Zeugnis des Alten Testaments nicht. Gleichgewichtig und komplementär dazu ist festzuhalten: Dass es keinen unkon­di­ tio­nierten Bund gibt, heißt nicht, dass der von der exegetischen Tradition geprägte Begriff des ‚Gnadenbundes‘ nicht auf die in Rede stehenden Konzeptionen angewandt werden könnte. Denn so gewiss die Liebe, die Gott gibt, sich nicht scheiden lässt von der, die er empfängt,14 so gewiss ist diese Reihenfolge unumkehrbar. Von daher ist der Idee der Gesetzlichkeit in dem Sinne, als müsse der menschliche Partner für sein Heil selbst sorgen, endgültig der Abschied zu geben, und zwar für alle Entwicklungsstadien israelitisch-jüdischer Religion.

13 

Zitiert nach Rendtorff/Henrix, Die Kirchen und das Judentum, 594. Levenson, The Love of God, xiv.

14 Mit

Literaturverzeichnis Abkürzungen Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21992. Darüber hinaus und davon abweichend werden folgende Abkürzungen verwendet: AncBD ANEM ANESt.S ATM BibEnz BZAR CBRe CNEB.N CSHBS EBR ECC FAT II HBS HeBAI HThKAT JAJ JHeS JNSL JSJ.S JSQ LHBOTS LJI LNTS LSTS LuR MdZ MTK NAWG.PH NIDB

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226 NIDOTE NSK.AT NVBS ORA OTRM OTT PBM PThGG SAA SaStA SBL.AIL SBL.RBS SCSer StBL STh TBTh TexHB UBTh WiBiLex WUNT II ZAR ZPT

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Register Stellenregister Altes Testament Genesis 1,28 74 2,4 159 74, 97 5,22 74, 97 5,24 6–9 128 74, 97 6,9 6,11 88 20, 51, 67 f., 73, 106 9 9,11 106 67, 71 9,12–13 9,15 106 79, 106 9,16 67, 71 9,17 12–50 84 13,15 34 9, 20, 34 f., 74, 100, 145 15 29 f., 34, 74 15,6 9 ff., 20, 34 f., 61 ff., 85, 87, 93, 17 99 f., 105 57, 62 f., 66, 73 17,1–2 62, 73 f., 97 17,1 17,2–6 63 64, 66, 71, 73 f. 17,2 62 ff., 66, 71, 74 17,3–8 17,3–5 66 62 f. 17,3 74, 105 17,4–8 64, 74 17,4–6 63, 66, 71 17,4 17,6 95 54, 64, 71, 73 ff., 78 ff., 83, 87, 17,7 95, 97, 104

34, 71, 74 f., 83, 87, 95 10, 53 f., 57, 62 ff., 66 ff., 71 f., 74 f., 105 62, 64, 69, 71, 76 17,9 17,10–12 67 64, 69, 71, 73 17,10 67, 71, 73, 76 17,11 66, 69, 72 17,12–13 69, 71 17,12 54, 64, 67, 69, 71, 78 ff. 17,13 53 f., 69, 71 f., 77, 83, 132 17,14 62 f. 17,15–21 17,15 62 17,17–18 62 17,17 74 63, 75 17,19–21 54, 62, 64, 79 f. 17,19 17,21 64 17,22 62 10, 62, 66, 70 17,23–27 17,23 70 17,24–25 70 17,24 62 17,26 70 17,27 70 21,4 72 21,10 36 24,7 34 37,22 152

17,8 17,9–14

Exodus 81, 84 1–14 1 81

258 2,23–25 87, 107 96 f., 107 2,24 2,25 44 6,2–9 83 87, 97, 104, 107 6,2–8 6,2–3 97 6,3–4 107 6,4 95 96 f., 107 6,5 6,6–8 97 59, 87, 95, 97 6,7 12 77 69, 72 12,43 ff. 18,1–12 46 111 ff. 19–24 19,2 44 113, 146, 148, 157 19,3–8 19,4–5 138 19,4 112 112 ff., 134, 137 f., 155 19,5 112, 114, 134 19,6 113 f. 19,8 19,20–25 112 20 113 41 f. 20,2 20,3–5 115 20,3 42 20,4–6 121 20,23 115 113, 146, 148 24,1–11 24,3 113 24,4 113 24,7 113 81, 84 25–40 25,16 58 29,20–21 114 83, 87, 98 29,43–46 29,43 87 81, 87 29,45–46 89, 95, 98 29,45 95, 98 29,46 31,12–17 57 79 f. 31,16 111 f., 115 ff. 32–34 32 115 32,10 115 33,18–23 116 33,19 116

Register

34,5–8 116 116, 133 34,6–7 40,30–35 98 81, 87 40,34–35 40,35 87 Leviticus 1–10 84 1–7 81 8 81 8,23–24 114 8,30 114 57, 81 9 81, 98 9,23–24 9,23 87 10,10–11 85, 89 84, 86 f., 98 11–26 81 f., 85 f., 89 11–15 11 82 82 f. 11,43–45 11,44–45 85 11,44 89 11,45 86 81, 108 f. 16 11, 14, 72, 81 ff., 93 f. 17–26 17,1–20,27 88 81, 83, 85, 89 19,2 19,36 43 20,22–26 89 21,1–22,16 88 22,17–33 88 22,33 86 24,8 79 25,38 86 25,42 86 25,55 86 37, 55, 58, 60, 94 ff., 99, 102 ff., 26 124 f. 85, 87, 90, 105 26,3–13 26,3 98 26,4–6 87 26,6 92 26,7–10 87 26,9 86, 92, 95 f., 103 26,11–13 88, 96 26,11–12 89 26,11 95, 170 26,12 86, 95, 97

Stellenregister

26,13 86, 95 85, 90, 105 26,14 ff. 26,14–15 98 91, 103 f., 106, 132 26,15 26,18 91 26,21 91 26,23 91 92, 103 f. 26,25 26,27 91 26,28 91 92 26,33 ff. 26,36–37 101 26,39–45 91 26,39 101 100 ff. 26,40–45 26,40 101 26,41 101 88, 96, 101 ff., 106 26,42 91, 106 26,43 26,44–45 102 86, 91 f., 101, 106, 132, 177, 26,44 180 26,45–46 83 86, 96, 101 ff., 106 f. 26,45 82, 86, 103 f. 26,46 27 82 27,34 82 Numeri 13–14 56 18,19 79 25 20 25,13 79 Deuteronomium 1–3 119 1 125 1,5 119 4 119 4,26 124 131, 144 4,29–31 4,30 101 119, 125 5 5,29 190 5,33 158 6–11 119 42, 119 6,4 ff. 183, 186 6,4–9

6,4 134 183 ff. 6,6–9 140, 149 6,17–19 6,17 140 140, 142, 149 6,18 32, 135 6,20–25 6,25 135 13, 137, 144 ff. 7 7,3–4 145 112, 139, 145 7,6 7,7–8 145 7,11 145 140, 145 ff. 7,12 148 7,13 ff. 136, 140 ff. 8,1 148 ff. 9,4–6 148 f. 9,4 9,5 149 10,16 201 140, 142 11,8–9 136, 140 f. 11,8 11,9 141 42 11,13 ff. 183 f. 11,18–21 11,19 198 11,22–25 140 119, 134 12–26 12,9 30 6 f. 13 112, 139 14,2 15,10 140 16,20 140 17,18 119 19,8–9 140 21,12 199 138, 146 26,16–19 26,16 134 26,17–19 134 26,17 158 112, 134 26,18 134, 139 26,19 27 153 27,1 138 134 f., 138, 146, 153 27,9–10 27,9 119, 139 27,10 158 27,15 ff. 152 28 6, 117 ff., 131, 138

259

260

Register

28,1–14 147 119, 147 28,1–2 125, 158 28,1 28,3–6 125 28,5 148 28,8 125 138 f., 148 28,9 28,10 139 28,13–14 147 139, 147 f. 28,13 125, 147 f. 28,15–46 120, 125, 158 28,15 28,16–19 125 28,21 125 28,22 125 28,43 148 28,58 119 28,61 119 119, 158 28,69 29–30 119 158, 160 29,8 29,11 125 153, 159 29,24 131, 144 30,1–10 30,1–6 144 30,5 143 131, 193, 201 30,6 30,19 124 119, 183 31,9–13 31,16 132 31,19 124 31,20 132 31,21 124 31,24–26 119 31,26 124 31,28 124 32,1 124 Josua 2 46 5,2–9 70 21,43–45 142 22,1–6 142 23 142 24 135 Richter 2,1

132, 180

2,6–10 142 2,6 142 129, 131 2,11 ff. 1 Samuel 12 131 2 Samuel 20, 58, 79, 130 7 23,5 79 1 Könige 153, 159 8,9 153, 159 8,21 9,4 149 11,13 130 11,32 130 11,36 130 14,16 129 15,4 130 15,18–19 120 15,19 132 2 Könige 5 46 8,9 130 10,32–33 130 14,26–27 130 17,15–18 129 18,12 157 19,34 130 20,6 130 21,2–15 129 158 f. 23,3 23,26 129 Jesaja 79, 132 24,5 33,8 132 36,3 47 37,35 130 40,2 100 48,17 187 49,6 139 50,4–5 187 50,4 185 54,1 36 54,13 187

Stellenregister

55,3 79 61,8 79 Jeremia 2,8 182 195, 201 2,22 2,24 197 2,29 197 195 ff. 2,33 169, 175 ff. 3,14 5,1 202 5,4–5 195 5,20–25 201 195, 201 5,21 195, 201 5,23 195, 201 f. 6,10 6,13 168 150 ff. 7,21 ff. 118, 150, 157, 161 7,21 150, 152 f., 157 7,22–23 150, 153, 159 7,22 152 f., 155, 157 ff. 7,23 150, 161, 195 7,24 151, 161 7,25–26 7,27 151 151, 157, 161 7,28 7,29 151 8,6 202 182, 199 8,8 9,3 197 9,4–5 195 196 ff. 9,4 9,11–15 198 196, 198 9,12–13 195, 198 9,12 195, 198, 205 9,13 195, 201 9,25 10,2 200 150 ff., 172, 175, 178 11 11,1–5 156 11,1–3 161 11,1 151 11,2–6 156 151, 158 11,2 11,3–5 153 11,3–4 155 152, 158 f., 161 11,3 159, 161 11,4–5

261

150 ff., 155, 157 ff., 168, 171 11,4 152, 155, 161 11,5 152, 157 f., 161 11,6 151 f., 157, 159, 175, 178 11,7–8 153, 158 f. 11,7 157, 195 11,8 11,8–10 156 152, 161, 180 11,9–10 132, 161 f., 168 f., 171 f., 178 11,10 152, 156, 162 11,11–12 152 11,13 ff. 11,13 169 11,15–16 152 11,17 169 12,14–17 200 12,16 200 13,15–16 202 13,21 197 195 ff., 200, 202 13,23 14,19–22 106 170, 177 14,19 106, 132, 178, 180 14,21 182, 195 f., 199, 201 17,1 17,2 199 17,5 201 195, 201 17,9 24,7 193 30–31 171 167, 171 30,1–3 30,1–2 166 30,3 167 30,12–13 195 187, 197 31,18 167, 171 31,27–30 31,27 167 31,30 190 14 f., 115 f., 154, 165 ff. 31,31–34 31,31–32 171 167, 171 31,31 132, 153, 159, 161, 167 ff., 31,32 174 f., 177 f., 180, 203 15, 166 ff., 174, 176, 178, 182, 31,33 185 f., 189 f., 193, 199 f. 31,34 167 f., 174, 178, 183, 186, 198, 200 32,33 187 32,38–40 189 f., 193 32,40 79, 193

262

Register

Jona 1 46

33,20–21 132 153, 159 34,13 50,5 79 Ezechiel 2,3–4 195 2,4–5 201 195, 201 f. 3,7 11,19–20 193 193, 195, 204 11,19 16,59–63 132 107, 132 16,59 79, 107 16,60 17,14–15 69 17,15–19 132 18,31 204 33,24–29 143 33,25–26 143 33,27–29 143 36,23–32 189 165, 193 36,26–28 188 f., 195 36,26–27 193, 204 36,26 188, 194 36,27 37,26 79 44,7 132

Micha 6,5 135 Sacharja 11,10–11 132 Maleachi 3,17 112 Psalmen 14 203 37,9 143 37,11 143 37,22 143 37,29 143 37,34 143 51 203 89 20 89,29 79 105,8–10 107 105,10 79 106,45 107 111,5 107 Sprüche 184, 199 3,3 6,20–22 184 184, 199 7,1–3

Hosea 6,2 139 10,11 197 Amos 5,2 139

1 Chronik 16,15–17 107 16,17 79

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Arslan Tash Amulett I Z. 1 ff. 2, 4 2, 4, 79 Z. 9–10 2, 4, 124 Z. 13–14 Asarhaddons Nachfolgevertrag 6 f., 118 f., 121 ff. EST 121 EST § 54B 124 EST § 56

EST § 58 EST § 60 EST § 63

119 119 119

Steleninschriften von Sefire 7, 119 f., 124, 128 Sf Sf I B 21–23 158 158 Sf II B 2–4

Stellenregister

Neues Testament Matthäus 28,19 224 Lukas 10,41–42 157 Römer 1,18–3,20 37 4 35 4,1–5 29 4,9–11 35 5,12–21 37 5,20 32 37 f. 7,7–25 7,7–24 205 7,14 38 8,1 38 8,4 37 Galater 1,6 31 3–4 37 3,5–6 29

3,6 34 3,7 34 3,9 34 32, 34 3,10 34, 36 3,15–18 3,16 36 3,17 35 3,18 35 3,19–20 35 35 f. 4,21–31 4,24–25 36 4,30 36 5–6 37 5,2 31 6,12–13 31 Philipper 1,27–2,18 37 Hebräer 30 3,7 ff. 11,13 30

Rabbinische Literatur Mischna mBer 2,2

42

Mekhilta de Rabbi Jishmael Bahodesch 43 Bahodesch 1 44 Bahodesch 5 41 f.

Bahodesch 6 42 Sifra Qedoschim 43

Weitere Schriften 4 Esra 1 ff. 38, 40, 204 f. 204 f. 3,20–22 4,30 204

Hodajot 1QHa 38

263

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Register

Sachregister Amphiktyonie  5, 20, 33 Beschneidung  10 f., 14, 31, 57, 62, 65 ff., 75 ff. Beschneidungsgebot,  siehe Beschneidung Bruch des Bundes  44, 131 f., 161, 179 f. – ~ durch Israel  8, 10, 50, 69, 77, 80, 91, 107, 115, 131 f., 152, 168 f., 179 ff., 203 – ~ durch Jhwh  91 f., 106, 132, 174, 177 f., 180 Bund, ewiger  2, 54 f., 64 f., 71, 77 ff., 105 ff., 189 Bundesformel  21 f., 59, 86, 94 ff., 153, 155, 181 Bundesnomismus  39 ff., 216, 221 ff. covenantal nomism,  siehe Bundesnomismus Dialog, christlich-jüdischer  47 f., 223 f. Erwählung  1, 20 ff., 40, 45, 112, 128, 134, 145 f., 148, 224 Fluch  4, 7, 34, 90 f., 99, 106, 118 ff., 129, 147 f., 152 – siehe auch Segen und Fluch Gedenken des Bundes  96, 101, 106 ff. Gesetz, das  21, 32 ff., 145, 204 f. – ~ und Evangelium  29, 33 Individualisierung des Bundesbruchs  11, 53 f., 69, 77 Magie  123, 127 Mündlichkeit,  siehe Mündlichkeit und Schriftlichkeit Mündlichkeit und Schriftlichkeit  16, 184 ff.

Nomismus 12 – deuteronomistischer ~  12 f., 136 ff. – priesterlicher ~  13 f., 69, 71, 78 Pessimismus, anthropologischer  15 f., 37 ff., 187, 192 ff. royal grant,  siehe Schenkung Sabbat  57, 79 Sabbatgebot,  siehe Sabbat Schenkung, königliche  53, 58 f. Schreiberausbildung  6, 16, 184 ff. Schriftlichkeit,  siehe Mündlichkeit und Schriftlichkeit Schulwesen, altorientalisches,  siehe Schreiberausbildung Segen  7, 87, 89, 92 f., 120 f., 128, 145 ff. – siehe auch Segen und Fluch Segen und Fluch  9, 81, 90, 98, 118 ff. Standortreflexion  25, 27 ff., 32, 41, 45 ff., 68, 221 f. Sühne  40, 45, 108 f. Sünde  37 ff., 115 f., 182, 198 f., 205 Umkehr  40, 44 f., 90 f., 101, 130 f., 144, 195, 202 Vertrag  2 ff., 6 ff., 53, 58, 117 ff., 132 Vertragstradition, altorientalische,  siehe Vertrag Vorgeschichte  7, 119, 135 Vorverständnis,  siehe Standortreflexion Zeichen des Bundes  67 f., 71 f., 76 f. Zeugengötter  90, 118, 121 ff.