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German Pages 192 [200] Year 1971
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Richard Brinkmann, Friedrich Sengle und Klaus Ziegler
Band 24
PETER VON MATT
Die Augen der Automaten E. T. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzählkunst
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1971
ISBN 3-484-18018-8 © M a x Niemeyer Verlag Tübingen 1 9 7 1 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Herstellung durch Bücherdruck Helms K G Tübingen Einband von Heinr. K o c h Tübingen
I N H A L T
ι. KAPITEL:
Der Karfunkel
ι
H o f f m a n n s Theorie v o n der Genese des Kunstwerks. D i e D i f f e r e n z zwischen Actus und Opus. Die
Imagination
als Mythologem. II. K A P I T E L :
Die gemalte Geliebte
38
Der Weg zur Selbsterkenntnis als Handlungsdiagramm. Die Möglichkeit des Scheiterns. i n . KAPITEL: D i e A u g e n der O l i m p i a
76
Die lebendigen Puppen. Konzeption und Varianten des Teraphims. IV. K A P I T E L :
D e r metallisierte B r ä u t i g a m
117
Aporie. Erstarrung. Utopie. v . KAPITEL:
Archimechanicus
161
Die Augen des Lesers. Die Identität v o n Meister A b r a h a m und Johannes Kreisler im Schriftsteller E. T . A . H o f f m a n n . LITERATURVERZEICHNIS
185
WERKREGISTER
190
PERSONENREGISTER
191
I. KAPITEL
DER
KARFUNKEL
Hoffmanns Theorie von der Genese des Kunstwerks. Die Differenz zwischen Actus und Opus. Die Imagination als Mythologem.
Ε. T . A. Hoffmann steht nicht im Ruf, ein großer Denker zu sein. So gern man seine vielen künstlerischen Begabungen aufzählt und ihnen nicht ohne Bewunderung die juristischen Fähigkeiten beifügt, an das Prädikat eines Philosophen denkt man dabei kaum, und selbst seine anerkannte Bedeutung als Musikkritiker beruht mehr auf der erstaunlichen Sicherheit seines Urteils und auf der neuartigen Methode, das Musikerlebnis sprachlich nachzuvollziehen, als auf schulemachenden kunsttheoretischen Leistungen. Im Gegenteil: wo Hoffmann sich abstrakten Gedankengängen widmet - und er tut es immer wieder mit Behagen —, da macht er es auch seinen geneigtesten Freunden schwer. Eine fatale Unbekümmertheit philosophisch ohnehin belasteten Begriffen gegenüber verstrickt ihn oft gerade dort, wo es ihm um heiligste Dinge geht, in abenteuerliche Terminologien. Ausdrücke wie Ich, Selbst, Bewußtsein, Person, höherer oder innerer Geist, Geisterreich, Jenseits, Ironie, Humor und nicht zuletzt Dualismus gleiten da ohne klare Begrenzung und gelegentlich in gewagter Syntax durcheinander, so daß der Leser, der zu den vielen Rätseln dieses Autors aus dessen eigenem Munde einige Schlüsselsätze vernehmen möchte, entweder verwirrt zu den novellistischen Werken zurückkehrt, oder aber eine Aussage exzerpiert, die sich in der Folge als ungenau, wenn nicht geradezu widersprüchlich erweist. Die Tatsache, daß es in der Hoffmann-Forschung so oft zu völlig divergierenden Meinungen kommen konnte, beruht denn auch in vielen Fällen darauf, daß der Dichter voreilig beim Wort genommen und auf einer scheinbar eindeutigen These behaftet wurde, die seinen Leitvorstellungen im Grunde entgegenlief. Zwei Sätze aus der gleichen Erzählung — ,Die Automate' in den. .Serapionsbrüdern' - mögen zeigen, wie leicht dies geschehen kann. D a heißt es einmal: „Kann denn die Musik, die in unserm Innern wohnt, eine andere sein als die, welche in der Natur wie ein tiefes, nur dem höhern Sinn erforschliches Geheimnis verborgen, und ι
die durch das Organ der Instrumente nur wie im Zwange eines mächtigen Zaubers, dessen wir Herr worden, ertönt?" (II. 350). Das deutet unmittelbar auf eine naturphilosophische Konzeption der Musik im Sinne des von Hoffmann verehrten Novalis, wo sie der „Große Rhythmus" der Schöpfung ist, die „Bildnerin des Weltalls", 1 ein Gedanke, der auch noch hinter Eichendorffs berühmter Formel vom „Lied in allen Dingen" steht. Durch die Musik würde demnach die verdeckte Einheit der Menschen mit der beseelten Natur offenbar oder mindestens für Augenblicke erlebt. Nun heißt es aber kaum drei Seiten weiter vorn von den Tönen, die der wahre Musiker hervorbringt, daß sie „uns mit mächtigem Zauber ergreifen, ja in uns die unbekannten unaussprechlichen Gefühle erregen, welche mit nichts Irdischem hienieden verwandt, die Ahndungen eines fernen Geisterreichs und unsers höheren Seins in demselben hervorrufen" (II. 347). „Mit nichts Irdischem hienieden verwandt" — da erweist sich also dieselbe Musik, welche im vorgängigen Zitat das Unterpfand einer gewissen Geborgenheit in der Welt zu sein schien, als etwas dieser Welt radikal Entgegengesetztes, ja als einziges Mittel zu ersehnter Befreiung von ihr. Hier wie dort ist Musik das Höchste, aber dieser Rang kommt ihr einmal im Rahmen einer frühromantisch-pantheistischen, das andere Mal im Rahmen einer fast manichäisch strukturierten Weltvorstellung zu. Wenn nun die beiden Sätze als Ausgangspunkte dienten zu je einer Untersuchung über den Autor, müssten sich bei konsequentem Vorgehen zwei völlig gegensätzliche Resultate ergeben. Kommt also zu der bereits angeführten sprachlichen Weitmaschigkeit des Philosophen Hoffmann noch ein geradezu sprunghafter Eklektizismus? Der Schluß drängt sich auf, und doch hält uns die echte Leidenschaft, die auch hinter solchen Passagen stets spürbar ist, von einem schroffen Entscheid ab. Eine heftig erfühlte Wahrheit scheint hier wie dort vergeblich nach sprachlicher Form, nach dem erlösenden genauen Wort zu suchen. Das zwingt zu behutsamem Lesen. Wenn wir gewohnt sind, die Fragmente der Frühromantiker synoptisch zusammenzuhalten, die Richtung weiterzuverfolgen, die sie in raschem Zeigerschlag weisen, und, ständig ergänzend, ein System in Umrissen zur Erscheinung zu bringen, so müssen wir bei Hoffmann — vom philosophischen Rangunterschied einmal abgesehen - gleichsam abstrahierend lesen und hinter den oft tumultuarischen Sprachgebilden die bedrängenden Grunderfahrungen aufzuspüren suchen. Diese nämlich bilden das konstante Kraftfeld, das seine gesamte schriftstellerische Produktion bestimmt, sie mit versteck1
Novalis. Werke, Briefe, Dokumente, hg. von Ewald Wasmuth, Heidelberg 1 9 5 7 ; Bd. 2, S. 3 j i f .
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ten Energieströmen durchzieht und zu einem der erfolgreichsten Werkganzen der deutschen Literatur gemacht hat. Wenn nun also die Auffassung Hoffmanns über die Genese des Kunstwerks herausgearbeitet werden soll, die zum einigermaßen festen Kern seines ästhetischen Räsonnements gehört und von der aus sich eine schlüssige Reihe zentraler Fragestellungen eröffnet, dann führt der Weg dazu nicht über eine Untersuchung isolierter theoretischer Dikta, sondern über ein ganzheitliches Erfassen erzählerischer Einheiten. Als Gestaltenund Geschichtenbildner nämlich ist dieser Autor stets genau und konsequent. Die Erzählung ,Die Jesuiterkirche in G.' aus den ,Nachtstücken' enthält als Mittelteil eine der bei Hoffmann und seiner Zeit beliebten Künstlerviten. Der Maler Berthold beginnt als Landschafter und bringt es in Italien, unter Leitung eines deutschen Meisters, zu schönen Erfolgen. E r „erlangte große Fertigkeit, die verschiedenen Baum- und Gesträucharten der Natur getreu darzustellen; auch leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und Duftigen . . . " (1.427). Zwar streifen ihn gelegentlich seltsame Zweifel über seine Kunst, aber der Beifall beschwichtigt sie wieder, bis er eines Tages einem Mann begegnet, der ihn unverblümt als irregeleitetes Talent bezeichnet. Er male die Natur wie einer, der eine fremde, unverstandene Handschrift nachzeichne und über äußerliche und steife Ergebnisse nicht hinauskomme. Der „heilige Zweck aller Kunst" aber sei „Auffassung der Natur in der tiefsten Bedeutung des höhern Sinns, der alle Wesen zum höheren Leben entzündet", und der echte Künstler vernehme jene Stimme, die „in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebüsch, Blume, Berg und Gewässer von unerforschlichem Geheimnis spricht" (I.429). Damit ist allerdings weder Berthold noch dem Leser sehr geholfen; die höhere Umgangssprache der Spätromantik scheint einmal mehr sich selbst zu genügen. Erst die Schlußsätze des geheimnisvollen Malers werden etwas deutlicher: „Daher studiere die Natur zwar auch im Mechanischen fleissig und sorgfältig, damit du die Praktik des Darstellens erlangen mögest, aber halte die Praktik nicht für die Kunst selbst. Bist du eingedrungen in den tiefen Sinn der Natur, so werden selbst in deinem Innern ihre Bilder in hoher glänzender Pracht aufgehen" (1.429). Aber auch von diesen Worten wissen wir noch nicht, ob sie mehr als geläufige Formeln darstellen. Die Hoffnung, im weiteren Verlauf der Erzählung Klarheit zu gewinnen, bewährt sich indessen schon sehr bald. Berthold, im Innersten bewegt und von leuchtenden Träumen heimgesucht, die er nicht festhalten kann, zerfällt in seltsamer Weise mit der Natur, er hält sie nicht mehr aus, droht an ihr, auch wo sie am schönsten ist, zu ersticken. N u r wenn er 3
von schwebenden Landschaften träumt, findet er wieder Ruhe. Diese Entwicklung aber entspricht nun durchaus nicht mehr den konventionellen Vorstellungen vom Werdegang eines Künstlers. Das zeigt sich am deutlichsten daran, daß Bertholds Entfremdung von der Natur nicht etwa bloß eine vorübergehende Krise markiert, sondern Bestand hat. Sie erscheint sogar als wesentliche Bedingung für den Zutritt zum wahren Künstlertum. V o n jetzt ab sucht er den Vorwurf seines Arbeitens ganz und ausschließlich im eigenen Innern: „Ich mühte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern lag, wie in jenem Traum hieroglyphisch darzustellen, aber die Züge dieser Hieroglyphenschrift waren menschliche Figuren, die sich in wunderlicher Verschlingung um einen Lichtpunkt bewegten. - Dieser Lichtpunkt sollte die herrlichste Gestalt sein, die je eines Bildners Fantasie 2 aufgegangen; aber vergebens strebte ich, wenn sie im Traume von Himmelsstrahlen umflossen mir erschien, ihre Züge zu erfassen. Jeder Versuch, sie darzustellen, mißlang auf schmähliche Weise . . ( 1 . 4 3 2 ) . Berthold erkennt also seine Aufgabe unmißverständlich: er muß versuchen, die Bildereien, die er in lebendigem Gewoge in sich sieht, nachund abzubilden; alles Äußere ist für ihn als Künstler belanglos. Und von daher bekommt nun auch der letzte Satz jenes Mahners seinen sehr bestimmten Sinn: das Zeichnen und Malen nach der Natur ist nur deshalb wichtig, weil unversehens naturähnliche Bilder im Künstler auftauchen können, die er festzuhalten fähig sein muß. Über die weiteren Erfahrungen des Malers Berthold bleibt zu sagen, daß ihm eine sekundenschnelle Begegnung mit einer Frau endlich jene Klarheit gibt, die er braucht, um seine Visionen in gültige Kunstwerke zu übersetzen. Er glaubt dabei, jenes Wesen ebenfalls geträumt zu haben, und als man ihm sagt, die Gestalt, die er immer und immer wieder male, sei eine Neapolitanerin, ist er „hoch erzürnt über das alberne Gewäsch der Leute, die das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen" wollen (I.433). Man könnte nun versucht sein, diesen exemplarischen Werdeprozeß als etwas verspätete Kritik Hoffmanns an den Grundsätzen einer aufklärerischen Ästhetik zu sehen, als ein Bekenntnis, daß Kunst nicht in der geschickten Abbildung gefälliger Objekte bestehe. Die Deutung wäre überzeugend, wenn Berthold, wie etwa der Grüne Heinrich, vom mechanischen Kopieren zum beseelten Darstellen der Natur geführt würH o f f m a n n schreibt durchweg „Fantasie", „fantastisch"; er macht also den Unterschied zwischen Phantasie = Vorstellungskraft und Fantasie = musikalische Improvisation nicht. Wir halten uns in Zitaten und Überschriften an seine Schreibweise, wie auch die Zeichensetzung beibehalten bleibt. i
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de, wenn er zu lernen hätte, wie man malt. Es heißt aber, nachdem er sich als Künstler wirklich gefunden hat, schlicht und entschieden: „ A n Landschaften w a r nicht mehr zu denken." (I.433). Demnach ging es von A n f a n g an allein um die Frage, was gemalt werden sollte, und zwar nicht in der Meinung, daß zwischen Landschafts-, Historien- oder K i r chenmalerei zu wählen gewesen wäre (solche Überlegungen werden im Gegenteil ausdrücklich als irrevelant bezeichnet), sondern im Sinne einer fundamentalen Entscheidung, ob ein Äußeres darzustellen sei oder ein Inneres. D a ß dies für H o f f m a n n ein radikales Entweder-Oder bedeutet, muß mit größtem Nachdruck betont werden. Denn hier berühren wir sein Eigenstes. Die weitere Untersuchung wird dies noch deutlicher machen und zugleich die Konsequenzen ableuchten, die sich daraus ergeben. Wie folgerichtig der Dichter an seinem ästhetischen Prinzip festhält, zeigt bereits der weitere Verlauf der obigen Erzählung. Den eigentlichen Lichtkern aller Gemälde, die Berthold zum Entzücken der Welt nun malt, bildet das Antlitz jener Einen, die er als seine erlösende Vision betrachtet und deren Bild er mit überwirklicher Deutlichkeit in der Seele trägt. D a begegnet er der Frau tatsächlich, der Schreck der Erkenntnis schlägt um in stürmende Liebe; sie ziehen zusammen nach Deutschland zurück, aber wie er wieder vor die Leinwand tritt und die Geliebte ihm nun lebendig als Modell vor Augen sitzt, ist seine künstlerische Begnadung dahin. „Angiola, sein Ideal, wurde, wenn sie ihm saß und er sie malen wollte, auf der Leinwand zum toten Wachsbilde, das ihn mit gläsernen Augen anstierte" (1.436). Und auch jene Glanzgestalt in seinem Innern hat sich verwandelt; sie tritt „auf greuliche Weise verzerrt vor seines Geistes A u g e " (1.435). Berthold wird in der Folge unter unklaren Umständen zum Mörder an Frau und Kind; zuletzt tötet er sich selbst. Die spezifische Gesetzlichkeit der Künstlerliebe, die den Verlauf dieser Geschichte mitbestimmt, muß vorläufig noch außer Betracht bleiben. Wesentlich ist für uns, daß der Maler vollständig paralysiert wird, sobald er etwas darstellen soll, das außen, in seines Daseins Fülle, vor ihm steht — selbst wenn es die einzige Geliebte ist. Hier drängt sich nun von selbst die Frage nach den andern Künsten auf. Wird in Hoffmanns Reflexionen über die Musik zum Beispiel eine verwandte Grundauffassung sichtbar, und darf auch sie als etwas unverwechselbar Eigenes bezeichnet werden? U m dies zu beantworten, müssen wir von Johannes Kreisler sprechen. Wir meinen damit eine vom Erzähler H o f f m a n n erfundene Gestalt; als solche ist sie nicht voreilig mit dem Schöpfer zu identifizieren. Die Forschung hat hier allzu o f t ungenau gearbeitet. Kreisler mag in H o f f -
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mann enthalten sein, Hoffmann ist es nicht in Kreisler: der Unterschied muß festgehalten bleiben.* - Dieser Kapellmeister nun hat einige auffällige Eigenschaften. So komponiert er nachts in lodernder Begeisterung, weint vor Freude über die gelungene Arbeit und wirft sie am Morgen ins Feuer (I. 25/26). Das wird schon in der Einleitung zu den ,Kreisleriana' über ihn berichtet. Später, als dennoch von Kompositionen des Kapellmeisters die Rede ist (im .Kater Murr'), kommt Hoffmann auf jene Stelle zurück und meint, die Unfähigkeit, das Werk festzuhalten, sei Ausdruck einer besonders „verhängnisvollen Zeit" gewesen (III. 537). Gerade die Tatsache aber, daß der Dichter nach mehr als sieben Jahren jenen rasch erwähnten Charakterzug wieder aufgreift, ja den entsprechenden Absatz fast wörtlich nochmals zitiert, weist auf dessen Bedeutung hin. Nun ist es zwar allgemein bekannt, daß Künstler gelegentlich mörderisch über ihre eigenen Werke herfallen, aber zwischen solchen Attacken und der fundamentalen Haltung, die vom Kreisler der ,Fantasiestücke' berichtet wird, besteht ein wesentlicher Unterschied. Wenn ein anderer an einzelnen Produkten zweifelt, vielleicht sogar an denen einer ganzen Epoche - Kreisler zweifelt am Kunstobjekt schlechthin. Deshalb schreibt er die meisten seiner Kompositionen, allem Drängen der Freunde zum Trotz, nicht einmal auf ( 1 . 2 6 ; III. 537). Hoffmann betont zwar sehr, daß solches Verhalten extrem sei und aus zerstörtem Gleichgewicht stamme (1.2$), aber wir müssen es dennoch als die radikale Erscheinungsform einer Wahrheit nehmen. Diese Wahrheit, die für das Verständnis Hoffmanns unabdingbar ist, besteht in der Überzeugung, daß das Kunstwerk im Innern des Künstlers vollendet und vollkommen da ist, unabhängig von der Ausführung, als ein Ganzes und Fertiges, und daß der Prozeß der Transformation ins äussere Dauernde selten ohne Verlust abgeht. Hoffmann hat diese Einsicht nie als allgemeine These aufgestellt und begründet; sie steht für ihn von Anfang an fest, ist Teil eines Grundwissens, das keine Prämissen und Folgerungen nötig hat. In dieser Weise zeichnet sie sich denn auch immer wieder ab, wenn in Gesprächen oder Erzählungen die Kunst thematisch wird. So ärgert sich der Dichter in den ,Höchst zerstreuten Gedanken' der .Kreisleriana' heftig über eine Anekdote, die besagt, daß Mozart die Ouvertüre zu ,Don Giovanni' am Aufführungsmorgen in wenigen Stunden komponiert habe: „Glaubt ihr denn nicht, daß die Ouvertüre aller Ouvertüren, in der alle Motive der Oper schon so herrlich und lebendig angedeutet sind, nicht ebensogut * Vgl. dazu neuerdings Wulf Segebrecht, Autobiographie und Dichtung, 1967. S. ι j u. a.
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fertig war als das ganze Werk, ehe der große Meister die Feder zum Aufschreiben ansetzte? - Ist jene Anekdote wahr, so hat Mozart wahrscheinlich seine Freunde, die immer von der Komposition der Ouvertüre gesprochen hatten, mit dem Verschieben des Aufschreibens geneckt, da ihre Besorgnis, er möchte die günstige Stunde zu dem nunmehr mechanisch gewordenen Geschäft, nämlich das in dem Augenblick der Weihe empfangene und im Innern aufgefaßte Werk aufzuschreiben, nicht mehr finden, ihm lächerlich erscheinen mußte" (I. j i ) . Man braucht wohl kaum zu betonen, daß es hier nicht um die Psychologie Mozarts geht, um das Phänomen seines musikalischen Gedächtnisses oder etwas Ähnliches, sondern um den prinzipiellen Unterschied zwischen „Komponieren" und „Aufschreiben", der von Hoffmann als ein Geheimnis dargestellt wird, von dem die „Freunde" — die Laien also - keine Ahnung haben. Sie sehen den Komponisten an der Arbeit, Zeichen und Zeichen setzend in größter Sammlung, und glauben, der Genese des Kunstwerks beizuwohnen. Der Künstler aber weiß, daß dieses nach ganz anderen Gesetzen bereits entstanden ist, „empfangen" und „im Innern aufgefaßt", daß es seinem eigentlichen Wesen nach fertig ist. Das „mechanische Geschäft", diesen „Prototypus" (I. 325) im Bereich des sinnlich Greifbaren nachzubilden, kann deshalb bei hinreichender technischer Schulung in größter Geschwindigkeit vollzogen werden.4 Nun wissen wir allerdings schon von der erwähnten Eigenheit Kapellmeister Kreislers her, daß dieses „mechanische Geschäft" in den Augen Hoffmanns nicht immer so problemlos ist, wie es hier im Kommentar zur Mozart-Anekdote erscheint. Die ,Ahnungen aus dem Reiche der Töne', welche in späterer Fassung zu Johannes Kreislers Lehrbrief' wurden, enden sogar in bewußter Pointierung mit einer Klage über die Divergenz zwischen Ur- und Abbild: „ . . . wenn ich daran denke, das alles innen Gehörte und Empfundene in Zeichen aufzuschreiben, ist es mir, als würde ich ein zartes Geheimnis entweihen. - Sollte denn das wahre Leben des Musikers in der Musik nur intensiv sein, und Alles, was er der Welt gibt, nur der schwache Reflex seiner innern Erscheinungen bleiben?" (V. 613). Was Hoffmann mit diesen Sätzen theoretisch ausspricht, etwas unscharf wie so oft, das bringt er als Erzähler in der Geschichte des Barons von B. am Ende des dritten Serapion-Bandes zu genau geformter Gestalt (II. 743Íf.). Dieser Baron, ein alter Herr, steht auf der Grenze zwischen 4
Vgl. dazu auch Hoffmanns Brief an Hippel vom 28. Febr. 1804: „ . . . gestern habe ich eine komische Oper gemacht und heute Morgen - es war noch finster - ungefähr 5 Uhr - die Musik dazu -Aufgeschrieben ist noch nichts, das wird auch wohl noch etwas länger dauern.
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Skurrilität und Verrücktheit. Er gilt als großer Musikkenner, besitzt eine der kostbarsten Sammlungen von Instrumenten und Kompositionen und fördert die ausübenden Musiker in generöser, wenn auch etwas seltsamer Weise. Die führenden Virtuosen Berlins sind nämlich seine Schüler; dafür bezahlt er sie reichlich, wobei das Honorar'mit ihrer Meisterschaft wächst. In dem jungen Violinisten, den Hoffmann als Erzähler vorschiebt, erregt er „wahre Ehrfurcht" und zugleich „inneres wohltuendes Hinneigen". Denn bei aller Freundlichkeit blitzt aus seinen Augen „jenes dunkle Feuer [ . . . ] , das so oft den von der Kunst wahrhaft durchdrungenen Künstler verrät" (II. 745). Sein Gespräch zeugt denn auch von außerordentlichen Einsichten; selbst im rein Technischen des Geigenspiels gibt er Hinweise zu höchster Verfeinerung. Wie er aber einmal selber den Bogen nimmt, um dem „Söhnchen" zu zeigen, wie ein einzelner Ton voll und rein und lang auszuhalten sei, faßt den Schüler Verblüffung und Entsetzen: „Dicht am Stege rutschte er mit dem zitternden Bogen hinauf, schnarrend, pfeifend, quäkend, miauend - [ . . . ] . Und dabei schaute er himmelwärts, wie in seliger Verzückung, und als er endlich aufhörte, mit dem Bogen auf den Saiten hin und her zu fahren und das Instrument aus der Hand legte, glänzten ihm die Augen und er sprach tief bewegt: ,Das ist Ton - das ist T o n ! ' " (II. 751). In ebenso gnadenloser Weise spielt er die schwierigsten Solopartien Tartinis und rühmt sich, als dessen letzter Schüler auch der einzige zu sein, der dazu noch die Fähigkeiten habe. Kaum aber hat er die Geige weggelegt, reißt sein Gespräch den halb beklommenen, halb amüsierten Zuhörer wieder zu ehrfürchtiger Bewunderung hin. Die Geschichte ist als leicht komischer anekdotischer Bericht konzipiert, deshalb wird das Phänomen, dem sie gilt, weiter nicht gedeutet.5 Wir finden kaum mehr als einige nebenhingesagte Bemerkungen, die auf den Nerv des Ganzen hinweisen. So etwa, wenn der Baron feststellt, es gebe nur noch zwei Schüler Tartinis: „Der eine ist Nardini, jetzt ein siebzigjähriger Greis, nur noch innerer Musik mächtig, der andere [ . . . ] bin ich selbst" (II. 747). Da merkt der Leser, daß der Baron mit dem Begriff der „inneren Musik" ungewollt sich selbst kennzeichnet, ja daß H o f f mann hier die Grundidee des Ganzen aussprechen läßt. Und noch einmal ist dies der Fall, gegen Schluß hin, wo der Konzertmeister den Alten einen „mit dem innern Sinn die Kunst beherrschenden Mann" nennt (II. 752). Es geht also um das Phänomen eines Menschen, der nur „inne5
H o f f m a n n hat ein feines Sensorium für solche formalpoetische Belange: er liebt es z w a r , in Erzählungen theoretisch zu werden und etwas abzuhandeln, w a s ihm am H e r z e n liegt, aber der R a u m dazu muß sich aus der Architektur des betreffenden Stücks ergeben. 8
rer Musik mächtig* ist. Wir dürfen annehmen, daß in ihm die Sonate Tartinis tatsächlich in einer Reinheit ertönt, wie sie sonst keinem gelingt; daß das „dunkle Feuer" der Augen nicht täuscht und er wirklich ein großer Künstler ist. Weil er die gräßlichen Mißtöne, die unter seinen Händen entstehen, nicht als solche aufnimmt, muß man ihn als verrückt bezeichnen, aber diese Art von Ohrentäuschung ist nur möglich, weil er so tief und sehnsüchtig ins Innere gewendet ist, daß jene Töne die äußern überdecken." Illusionen solcher Art bleiben dem komponierenden Kreisler der ,Fantasiestücke' versagt; im Gegenteil, sein verzweifelter Scharfblick vergrößert die Divergenz zwischen innerem und äußerem Werk ins Unerträgliche und läßt ihn seine Arbeiten ins Feuer werfen. Daß aber für Mozart in der Anekdote das Vollkommene so frei und leicht nach außen gleitet, erscheint vor diesem Hintergrund als rares Wunder. Hier zeichnet sich in Grundzügen bereits eine Typologie der Künstler ab, doch ist es für ein definierendes Unterscheiden noch zu früh. Wir müssen zunächst darauf achten, die vordringlichsten Resultate, so einfach sie sein mögen, völlig klar zu machen. Das Gemeinsame zwischen den Auffassungen über die Malerei, wie sie sich in der Geschichte des Malers Berthold spiegeln, und den nun eben dargelegten über die Musik besteht also darin, daß sich der Künstler jedesmal ganz und ausschließlich in sein Inneres wenden muß, wenn er ein Kunstwerk schaffen will; dort findet er dessen vollkommene Präformation, die er mit allen Mitteln technischer Fertigkeit im Bereich des Stofflichen nachzubilden hat. Dieses Prinzip gilt nicht minder entschieden für den ausübenden Künstler, den musikalischen „Virtuosen", der sich das zu spielende Stück immer erst in diesem Sinne anverwandeln muß. Dabei bleibt die Ausführung letztlich überall sekundär; es kann ohne sie zwar kein dauerndes oder auch nur irgendwie mitteilbares Kunstwerk geben, wohl aber den Künstler, - sei er in den Augen der Welt noch so verrückt. Durchaus eindrücklich ist es nun zu verfolgen, wie Hoffmann diese Grundsätze selbst auf die Kunst der Schauspieler anwendet. Am eindeutigsten geschieht es in einer ebenso klugen wie liebenswürdigen Schrift aus dem Jahre 1818, dem umfangreichen Dialog ,Seltsame Leiden eines Theaterdirektors'. Während der Erörterung verschiedenster, bald harmloser, bald sehr gewichtiger Dinge aus dem Bereich der Büh• Hier liegt die direkte Anregung zu Grillparzers „Armem Spielmann" vor. Grillparzer hat Hoffmann schon früh geschätzt und war überzeugt, mit seiner Wertung im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung zu stehen. Zum „Armen Spielmann" vgl. Peter von Matt, Der Grundriss von Grillparzers Bühnenkunst Zürich 1965. S. 147ÎÎ.
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nenkunst und des Theaterbetriebes wird die Frage nach dem Wesen des „wahren Schauspielers" aufgeworfen (1.640). Was dem Mimen vor allem andern aufgegeben sei, was die Essenz* seiner Kunst bilde, umreißt er so: „Dem wahren darstellenden Künstler muß die besondere geistige K r a f t inwohnen, sich die von dem Dichter gegebene Person, beseelt und lebendig gefärbt, das heißt, mit allen innern Motiven, die die äußere Erscheinung in Sprache, Gang, Gebärde bedingen, vorzustellen. Im Traum schaffen wir fremde Personen, die sich gleich Doppeltgängern mit der treusten Wahrheit, mit dem Auffassen selbst der unbedeutendsten Züge darstellen. Über diese geistige Operation, die der uns selbst dunkle geheimnisvolle Zustand des Träumens uns möglich macht, muß der Schauspieler mit vollem Bewußtsein, nach Willkür gebieten, mit einem Wort, bei dem Lesen des Gedichts die von dem Dichter intendierte Person in jener lebendigsten Wahrheit hervorrufen können." (I. f>4of.). Diese erstaunlich präzise Passage stellt den Schauspieler unverkennbar neben den Maler und den Musiker, wie wir sie vorgängig skizziert haben: auch seine Kunst beruht auf einer primären „geistigen Operation", die als solche einen zu Ende geführten kreativen Akt darstellt, die Erschaffung jenes innern „Prototypus", von dem in Kreislers Lehrbrief die Rede ist und dem das lichte Modell des Malers Bethold, die imaginäre Sonate des Barons von B. entsprechen. Es sei darauf hingewiesen, daß Hoffmann hier das innere Geschehen der Traumtätigkeit gleichsetzt. Und zwar meint er das keineswegs metaphorisch, in jenem verfließenden Sinn, der dem Begriff Traum damals immer häufiger gegeben wurde, sondern er denkt an die genau bestimmten Kräfte und Funktionen des sogenannten „Traumorgans", das er bei G. H . Schubert kennenlernte.7 Dort fand er auch seinen Lieblingsausdruck dafür, den Begriff des „versteckten Poeten", der ihm in seiner kuriosen Anschaulichkeit um vieles wichtiger wurde als alle physiologisch-naturphilosophischen Definierungsversuche jenes Autors.8 Wir haben das Produkt dieses „versteckten Poeten" die Präformation des Kunstwerks genannt, auf welche als zweite, andersgeartete Tätig7
V g l . dazu auch Schopenhauers .Versuch über das Geistersehen', w o das „ T r a u m o r g a n " und seine Möglichkeiten ausführlich abgehandelt werden. In ,Parerga und Paralipomena', hg. von Julius Frauenstädt, Leipzig 1888. 8 H o f f m a n n hat Schubert durchaus nicht so wahllos geplündert, wie gelegentlich gesagt wird. E r hat ihn leidenschaftlich gelesen, aber nur ein sehr schmales Segment seiner Grundgedanken aufgenommen. Eine der zentralsten Ideen Schuberts ist die jenseitig-zukünftige Existenzform des Menschen, deren Keimen im gegenwärtigen Dasein er unermüdlich nachspürt, gläubig-begeistert in den .Nachtseiten der Naturwissenschaften', um vieles pessimistischer in der .Symbolik des Traumes'. Eben diese Vorstellung aber, von Schubert unübersehbar her-
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keit das „mechanische Geschäft" (I. j i ) folgen müsse. In Hinsicht auf den Schauspieler äußert sich Hoffmann zu dem letzteren ebenfalls, leider mit eher nachlassender Prägnanz. Er sagt: „Mit dieser geistigen K r a f t ist es aber noch nicht getan. Ihr muß noch die vom Himmel so selten verliehene Gabe hinzutreten, vermöge welcher der Künstler über seine äußere Erscheinung so vollkommen herrscht, daß jede, auch die kleinste Bewegung von dem innern Willen bedingt wird. Sprache, Gang, Haltung, Gebärde gehören nicht mehr dem individuellen Schauspieler, sondern der Person an, die, die Schöpfung des Dichters, wahr und lebendig in ihm aufgegangen . . ( I . 641). Das heißt, daß der Schauspieler nun, da die „fantastische Gestalt" (I. 651) lebendig in ihm da ist, sich höchst konzentriert auf seine „äußere Erscheinung" richten muß, daß er seinen Körper in „Sprache, Gang, Haltung, Gebärde" mit der Präzision des Marionettenspielers zu lenken hat.' Seine physische Existenz wird ihm dabei in durchaus analoger Weise Objekt, wie das Instrument dem Musiker. Wir sehen, von welcher Kunstgattung Hoffmann auch spricht, stets wird eine Zweiteilung des Entstehungsprozesses sichtbar, eine Art von Doppelphasigkeit, die auf völlig verschiedenen Ebenen spielt. Bevor wir aber auf die Weiterungen einer solchen Haltung eingehen, müssen wir von etwas reden, das bis jetzt bewußt ausgespart blieb, von H o f f manns Begriff des literarischen Kunstwerks. Es wird immer wieder gesagt, Hoffmann sei eher nebenhin zum Schreiben gekommen, höchstes und innigstes Ziel sei ihm stets die Musik und nur die Musik gewesen, ja er habe sich aus bloßer Verzweiflung darüber, daß er als Komponist den eigenen Anforderungen nicht genügt habe, in eine hektische literarische Tätigkeit gestürzt. Diese deutlich melodramatische These ist in fast allen Punkten anfechtbar; sie stützt sich zwar auf biographische Tatsachen, aber auf willkürlich und einseitig ausgeausmodelliert, ist bei H o f f m a n n schlechthin nicht vorhanden. Für diesen ganzen Komplex steht bei ihm nur eines: die Imagination. Vgl. dazu auch die Stelle in der Rezension der Lieder von Riem: „Der innere Poet (so nennt Schubert in der .Symbolik des Traumes' die wunderbare Traumgabe: aber ist nicht jedes Empfangen eines Kunstwerks wie ein herrlicher Traum, von dem innern Geist bewußtlos geschaffen?) spricht auf seine eigne, wunderbare Weise das wirklich aus, was sonst unaussprechlich geschienen . . ( V . 238). 9 Der Vergleich mit den Marionetten wird von H o f f m a n n wenig später, S. 653, ausdrücklich gezogen, und das ganze Werk endet mit der Pointe, daß einer der beiden Schauspieldirektoren eine Marionettenbühne besitzt, die es ihm erlaubt, die zauberhaftesten Stücke Gozzis zur A u f f ü h r u n g zu bringen, was seinem Kollegen versagt bleibt. Er verhält sich zu seiner Puppenmannschaft ähnlich wie der Schauspieler zu seinem Körper. II
wählte. Die angebliche Resignation des Komponisten zugunsten des Schriftstellers wird allein schon dadurch widerlegt, daß Hoffmanns musikalisches Hauptwerk, die Oper ,Undine', gleichzeitig mit den .Fantasiestücken' und den .Elixieren des Teufels' entstanden ist und daß er nach dem bedeutenden Erfolg des Werkes10 eine neue Oper plante, nach Calderone ,E1 galan Fantasma'. 11 Von einem pathetischen Verzicht kann demnach keine Rede sein. Und wenn wir andererseits ,Ritter Gluck', ein Werk des 33jährigen, als den Auftakt zu Hoffmanns dichterischem Schaffen betrachten,12 dürfen wir nicht vergessen, daß vorher u. a. bereits ein dreibändiger Roman (Cornaro. Memoiren des Grafen Julius von S., 1795), zwei Romanfragmente und ein Lustspiel (Der Preis, 1803 an Kotzebue eingereicht) entstanden sind, die heute als verloren gelten müssen. Von der tatsächlichen Einstellung des jungen H o f f mann zu den verschiedensten Künsten geben die Briefe und Tagebücher recht klare Nachricht. Gesamthaft geht aus ihnen hervor, daß H o f f manns Drang zur Kunst und zu eigener künstlerischer Betätigung von Anfang an leidenschaftlichste Züge trug, daß aber weder Musik noch Schriftstellerei noch Malerei dauernd den Vorrang hatte. So heißt es in einem Brief des 19jährigen an Hippel: „Arm und hülflos werde ich nie seyn - immer findet sich doch wohl eine Wand, die ich bepinseln, und Papier, das ich beschreiben kann". 1 3 Hier ist von Musik nicht einmal die Rede, während er wenig später schreibt: „Ich müßte verzweifeln ohne mein Pianoforte - dies schafft mir mitten in dem Sturm von tausend quälenden Gefühlen, noch Trost." 14 Schon der unmittelbar nächste Brief aber preist in ähnlichen Tönen wieder die „glücklichen Stunden der Autorschaft", 1 5 und kurz darauf erfährt der Freund: „Du glaubst überhaupt nicht, wie mich jetzt die Furie der Composition in Musik - Ro-
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Der Erfolg der ,Undine' wurde dadurch beeinträchtigt, daß das Opernhaus nach der 23. Aufführung „mit sämtlichen Dekorationen, Kleidern, Noten pp" abbrannte. Vgl. Hoffmanns Brief an Kunz vom 8. März 1 8 1 8 . 11 „Künftiges Jahr erscheint [ . . . ] ein halb Dutzend Erzählungen beinahe in Taschenbüchern, und noch manches andere. Seit dem 1 Januar bin ich fleißig gewesen. Auch komponiere ich künftigen Sommer eine Oper, deren Text Contessa nach Calderons ,E1 galan Fantasma' gar herrlich bearbeitet hat." (An Kunz, 8. März 1818). 12 .Ritter Gluck' wurde im Januar 1809 abgeschlossen, mehr als drei Jahre vor jenem katastrophalen Ende der Beziehungen zu Julia Marc, welches oft ebenfalls als entscheidender Anstoß zur literarischen Produktion Hoffmanns bezeichnet wird. 13 An Hippel, 29. Febr. 179$. 14 An Hippel, 22. Sept. 179$. 15 An Hippel, 2$. Okt. 1795.
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manschreiberey pp anpackt".16 Gelegentlich rückt die Musik allein in den Mittelpunkt: „Wenn ich von mir selbst abhinge, würd' ich Componisi und hätte die Hoffnung, in meinem Fache groß zu •werden'',17 dann wieder werden die drei Künste parallel gesetzt: „Meine Musik - mein Mahlen - meine Autorschaft - alles ist zum Teufel gegangen .. ," 18 In dem Brief, den er am Vorabend seines 20. Geburtstages - 13 Jahre vor dem ,Ritter Gluck'! - schreibt, erscheint die Musik erneut an den Rand verschoben: „Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens noch etwas Musiker, Sonntags am Tage wird gezeichnet und Abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die späte Nacht - α 1 ί Diese Zeugnisse stammen alle aus dem Zeitraum vom Februar 1795 bis zum Januar 1796. Aber noch acht Jahre später, in der verzweifelten Zeit der Verbannung nach Plock, ist durchaus keine dauernde Hierarchie der einzelnen Künste festzustellen, nicht einmal eine dominierende Tendenz. So kann ihm die Malerei für einen jähen Moment sogar als die dämonischste Gattung erscheinen: „Die Mahlerey habe ich ganz bey Seite geworfen, weil mich die Leidenschaft dafür, hinge ich ihr nur im mindestens nach, wie ein griechisches Feuer unauslöschlich von innen heraus verzehren könnte - [ . . . ] Die Musik mit ihren gewaltigen Explosionen ist mehr ein Theater-Donnerwetter - ein feuerspeiender Berg von Gabrieli (jene Kunst ein Vesuv in natura) - man kann sich mit ihr ohne Gefahr vertrauter machen, darum habe ich sie zu meiner Gefährtin und Trösterin erkieset auf diesem dornigen, steinigen Pfad!" 20 Und die vielleicht eindeutigste Deskription von Hoffmanns Verhalten zu den verschiedenen Künsten, die alle bisherigen Zitate zusammenfaßt, findet sich gleichfalls in einem Brief aus Plock: „ - eine bunte Welt voll magischer Erscheinungen flimmert und flackert um mich her - es ist als müsse sich bald was großes ereignen - irgend ein KunstProdukt müsse aus dem Chaos hervorgehen! - ob das nun ein Buch - eine Oper ein Gemähide seyn wird - quod diis placebit - meinst Du nicht, ich müsse noch einmahl den GroßKanzler fragen, ob ich zum Mahler oder zum Musikus organisiert bin? - " 2 1 Dies darf nicht einfach als Ausdruck einer vielseitigen Begabung und ihres naturgemäßen Schwankens zwischen den greifbaren Möglichkeiten verstanden werden, wie es etwa bei Gottfried Keller der Fall war. Denn 16 17 18 w 20 21
An An An An An An
Hippel, Hippel, Hippel, Hippel, Hippel, Hippel,
26. 25. 10. 23. 10. 28.
Okt. 179J. Nov. 1795. Jan. 1796. Jan. 1796. Dez. 1803. Febr. 1804.
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dann müßte sich doch die Reflexion sehr bald und ernstlich um die Frage drehen, in welcher Kunstgattung das Beste geleistet werden könne, wo mit ökonomischer Sorglichkeit die Kräfte gesammelt einzusetzen seien. Gerade das aber erwägt Hoffmann kaum; er amüsiert sich sogar über die Notwendigkeit einer Wahl, überläßt sie den Göttern, dem Zufall. Das magische Chaos, das er beschreibt, hat für ihn Eigenwert - unabhängig vom schließlichen Werk - , es reißt ihn in Exaltationen, es bildet das Unterpfand seiner Identität als Künstler, das empirische Faktum, an welchem sich sein Selbstverständnis mißt und klärt. Daß daraus „irgend ein KunstProdukt" entspringen wird, daran zweifelt er nicht, aber die Spezies - „Ein Buch — eine Oper - ein Gemählde" bleibt unbestimmt; alle drei Möglichkeiten liegen gleich nah; 22 Zufälliges wird den Ausschlag geben. Dieses kurze Abweichen ins Biographische sollte die einzige Tatsache klarmachen, daß Hoffmann sich von Anfang an ebensosehr als Schriftsteller wie als Musiker oder Maler sah.23 Sein Begriff des poetischen Schaffens schließt sich denn auch seinen Theorien über die andern Künste fugenlos an. Im Zentrum steht dabei zweifellos das „Serapiontische Prinzip", das er eingangs seiner großen Novellensammlung formuliert und auf das er immer wieder in fast gleichbleibenden Wendungen zu reden kommt. Die Forschung hat dieses Prinzip zwar nie außer acht gelassen, ihm aber doch bedeutend weniger Gewicht beigemessen, als sein Begründer es tat, - zu Unrecht, jedoch aus verständlichen Ursachen. Es nimmt sich nämlich beim ersten Anblick eher harmlos aus, gar nicht wie ein folgenreicher ästhetischer Lehrsatz. Auf dem Hintergrund unserer bisherigen Darlegungen hingegen dürfte es an Relevanz um einiges gewinnen. Denn Hoffmann fordert darin vom Dichter genau das, was wir die Präformation des Kunstwerks im Innern des Künstlers genannt haben, und selbst die zeitliche Aufteilung des Gesamtprozesses wird deutlich sichtbar: „Jeder prüfe wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden unternommen, ehe er es wagt laut damit zu werden. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich darnach, das Bild, das ihm
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V g l . dazu auch den A u f s a t z v o n Robert Mülher, Die Einheit der Künste und das Orphische bei Ε . T . A . H o f f m a n n (in: S t o f f e , Formen, Strukturen Studien zur dt. Literatur. Festschrift H . H . Borcherdt, München 1 9 6 2 ) , der sich von unseren Ausführungen u. a. in der Deutung von H o f f m a n n s N a t u r Konzeption unterscheidet. 23 D a s unterscheidet ihn wesentlich von Kapellmeister Kreisler. N u r weil man ihn mit dieser Gestalt in methodisch fragwürdiger Weise gleichgesetzt hat, ist die Vorstellung v o m geborenen Musiker entstanden, der sich in bereits gereiften Jahren auch literarisch betätigte.
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im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten, und dann, wenn er sich recht entzündet davon fühlt, die Darstellung ins äußere Leben (zu) tragen" (II. 55). Wie angedeutet, hat Hoffmann um dieses Theorem einen besonderen Aufwand getrieben. Der ganze, einem Vorspiel ähnliche Anfangsteil der ,Serapionsbrüder' (bis zur Novelle ,Die Fermate') ist daraufhin ausgerichtet und gipfelt in der Proklamation des eben zitierten Abschnitts. In dieses Vorspiel verflochten sind so bedeutende Stücke wie der Bericht über den wahnsinnigen Dichter Serapion und die Geschichte vom Rat Krespel. Beide stehen in Beziehung zum Prinzip; als dessen eigentliche Exemplifizierung aber muß die erstere Erzählung gelten. Ihre Hauptfigur ist Graf P., ein ehemaliger Diplomat, der in einem Wald bei Bamberg anachoretisch haust und überzeugt ist, daß er „der Einsiedler Serapion sei, der unter dem Kaiser Dezius in die Thebaische Wüste floh und in Alexandrien den Märtyrertod litt." (II. 20). Obwohl es sich also, typologisch gesehen, um eine Wahnsinns-Novelle handelt, wie sie in der romantischen Literatur öfters zu finden ist," verfehlt man das Wesentliche, wenn man den Sinn des Stücks in der Faszinationskraft des pathologischen Phänomens sucht. Hoffmann bemüht sich deutlich und wiederholt, den Eindruck des Krankhaften zu entschärfen, ihn als Ergebnis eines irrigen Maßstabs im Beobachter (und damit auch im Leser) darzustellen. Serapion soll nicht als der Fall eines Wahnsinnigen, sondern als der eines Dichters gesehen werden. Vom Vorleben des Eremiten heißt es: „Mit seinen Kenntnissen verband er ein ausgezeichnetes Dichtertalent, alles was er schrieb, war von einer feurigen Fantasie, von einem besondern Geiste, der in die tiefste Tiefe schaute, beseelt" (II. 19). Dieser Dichter und Weltmann, ein Liebling der Gesellschaft, taucht plötzlich aus dem Kreis der Menschen weg: „Von Stufe zu Stufe gestiegen hatte man ihn eben zu einem wichtigen Gesandtschaftsposten bestimmt, als er auf unbegreifliche Weise aus M- verschwand. Alle Nachforschungen blieben vergebens . . . " (II. 19). 25 Ginge es um das Phänomen des Wahn-
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Der Übergang von den aufklärerischen Schriften über Wahnsinnige zu dem neuen, lange fruchtbaren Typus dürfte Werthers Bericht über den Wahnsinnigen im zweiten Buch (30. November) bilden. Der Vergleich mit der Serapion-Geschichte läßt einen direkten Einfluß dieser Szene auf Hoffmann annehmen. Vgl. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe. Bd. V I . 1958 (3). S. 88f. - Lothar Köhn weist im Zusammenhang mit Serapion auch auf die Tradition der Einsiedler-Idylle hin. Vgl. Vieldeutige Welt. Studien zur Struktur der Erzählungen Ε. T. A . Hoffmanns und zur Entwicklung seines Werkes. Tübingen 1966, S. i24Íf. 25 Hier liegt eine auffällige Parallele zu Kreisler vor, von dem es heißt: „ A u f einmal war er, man wußte nicht wie und warum, verschwunden. Viele behaup-
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sinns, dann müßte den Ursachen und dem Ausbruch der Phrenesie eine ganz besondere Beachtung geschenkt werden, wie es etwa in Arnims ,Tollem Invaliden' geschieht; gerade das aber spart Hoffmann demonstrativ aus. Wir erfahren nur vom Verschwinden des Grafen und daß er „nach einiger Zeit* im „tiefen Tirolergebürge" wieder erscheint, wo er sich „in den wildesten Wald" zurückzieht. Wahnsinnig im landläufigen Sinn, nämlich tobsüchtig und rasend, wird er erst, als man ihn gewaltsam in medizinische Pflege nimmt; ein verständiger Arzt läßt ihm schließlich seinen Willen. Er lebt im Wald und erhält täglich Besuche von Männern wie Ariost und Dante, von Kirchenlehrern und Heiligen. Wenn er dem Erzähler von solchen Besuchen und Erlebnissen berichtet, formt er unwillkürlich Novellen, „angelegt, durchgeführt, wie sie nur der geistreichste, mit der feurigsten Fantasie begabte Dichter anlegen, durchführen kann" (II. 26). Und Hoffmann betont die Vollkommenheit dieser Novellen: „Alle Gestalten traten mit einer plastischen Rundung, mit einem glühenden Leben hervor, daß man fortgerissen, bestrickt von magischer Gewalt wie im Traum daran glauben mußte, daß Serapion alles selbst wirklich von seinem Berge erschaut" (II. 26/27). Hier liegt der eigentliche Nucleus der ganzen Geschichte. Gerade wegen seiner Spielart von Wahnsinn wird Serapion zum Urbild des Dichters, zur Zielform dessen, wonach jeder erzählende Künstler streben soll: alles in und aus seinem Innern zu bilden. „Du, o mein Einsiedler! statuiertest keine Außenwelt" (II. 54), ruft einer der Freunde aus, in vollem Bewußtsein, damit eine unerreichbare Idealbedingung zu nennen. Denn für Serapion ist die „fantastische Gestalt" (I. 651) des Kunstwerks, von der wir gesprochen haben, der „Prototyp" im Innern oder die Präformation, das vollendete und abgeschlossene, aus Traumstoff modellierte Dasein, bereits „außen", ist von der Beschaffenheit greifbarer Realität. E r sieht es vor sich, genau umrissen im Licht, mit all den tausend Nuancen und Schattierungen des Lebendigen. Und daran, an diese äußerste Möglichkeit generativer Phantasie, denkt Hoffmann, wenn er immer wieder verlangt, der Dichter müsse das, was er spreche, „wirklich geschaut" haben. Sein Begriff des „Schauens" enthält somit eine indirekte Absage an alle Außenwelt, - eine Absage, genau besehen, an Himmel und Erde, wie man sie radikaler kaum irgendwo trifft und auch an Hoffmann selber wohl noch nicht entschieden genug festgehalten hat. Wieviel ihm daran liegt, richtig verstanden zu werden, zeigt sich in der teten, Spuren des Wahnsinns an ihm bemerkt zu haben. . . . alle Nachforschungen, wo er geblieben (waren) vergebens" (1.26). 16
Tatsache, daß er dem Leser gleichzeitig das Gegenbild zum serapiontischen Dichter vor Augen zu halten sucht, daß er sich bemüht, ihm die richtigen Kriterien auch zur Beurteilung wertloser Dichtung beizubringen: „Woher kommt es denn, daß so manches Dichterwerk das keineswegs schlecht zu nennen, wenn von Form und Ausarbeitung die Rede, doch so ganz wirkungslos bleibt wie ein verbleichtes Bild, daß wir nicht davon hingerissen werden, daß die Pracht der Worte nur dazu dient den inneren Frost, der uns durchgleitet, zu vermehren. Woher kommt es anders, als daß der Dichter nicht das wirklich schaute wovon er spricht, daß die Tat, die Begebenheit vor seinen geistigen Augen sich darstellend mit aller Lust, mit allem Entsetzen, mit allem Jubel, mit allen Schauern, ihn nicht begeisterte, entzündete, so daß nur die inneren Flammen ausströmen durften in feurigen Worten: Vergebens ist das Mühen des Dichters uns dahin zu bringen, daß wir daran glauben sollen, woran er selbst nicht glaubt, nicht glauben kann, weil er es nicht erschaute. Was können die Gestalten eines solchen Dichters der jenem alten Wort zufolge nicht auch wahrhaftiger Seher ist, anderes sein als trügerische Puppen, mühsam zusammengeleimt aus fremdartigen Stoffen! - " (II. 54). Das Bild, das hier zur Charakterisierung der mißratenen Dichtkunst dient - die „trügerischen Puppen" - , ist für Hoffmann nach mehrfacher Richtung von Bedeutung. In unserem Zusammenhang erinnert es unmittelbar an den Maler Berthold, der die Geliebte in concreto porträtieren wollte, statt ihr Traumbild als einziges Modell zu nehmen, und dem sie deshalb „auf der Leinwand zum toten Wachsbilde (wurde), das ihn mit gläsernen Augen anstierte" (vgl. oben S. 5). Wenn die Figuren des falschen Dichters „zusammengeleimt aus fremdartigen Stoffen" sind, dann heißt dies, daß ihr Autor, wie jener Maler, nach außen geschaut, Elemente der objektiven Umwelt ausgewählt und variierend nachgeformt hat. Diese objektive Umwelt aber ist, ob sie nun als Natur oder Gesellschaft oder personales Gegenüber erscheine, nach Hoffmanns innerster Überzeugung ein Bereich erkalteter Materie. Das Lebendige, das Göttliche (oder wie immer man es nennen will) gibt es nur noch als den glühend-magmatischen Kern in der eigenen Brust, sonst nirgends, und selbst da ist es eingeengt wie zwischen Mauern. Von dieser pochenden Mitte aus - Hoff mann hat sie im „strahlenden Karfunkel" in der Brust des Peregrinus Tyss konkretisiert - 2 e muß alle Kunst ihren Ursprung nehmen; nur hier entstehen die Bilder, die der Dichter in dem nun bekannten Sinne „schauen" und dann in Worte bringen muß. So stellt es Hoffmann auch dar in einer aufschlußreichen Passage der ,Prin-
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Vgl. das Schlußkapitel von .Meister Floh', insbesondere IV. 809. 17
Zessin Brambilla': „Welch eine herrliche Welt liegt in unserer Brust verschlossen! Kein Sonnenkreis engt sie ein, der ganzen sichtbaren Schöpfung unerforschlichen Reichtum überwiegen ihre Schätze! - Wie so tot, so bettelarm, so maulwurfsblind, war unser Leben, hätte der Weltgeist uns Söldlinge der Natur nicht ausgestattet mit jener unversieglichen Diamantgrube in unserm Innern, aus der uns in Schimmer und Glanz das wunderbare Reich aufstrahlt, das unser Eigentum geworden! Hochbegabt die, die sich dieses Eigentums recht bewußt! Noch hochbegabter und selig zu preisen die, die ihres innern Perus Edelsteine nicht allein zu erschauen, sondern auch heraufzubringen, zu schleifen und ihnen prächtiges Feuer zu entlocken verstehen" (IV. 260). Deutlicher kann der Gegensatz zur „ganzen sichtbaren Schöpfung" (!), die völlige Unabhängigkeit des Kunstwerks von ihr kaum ausgesprochen werden. D a ist keine Spur zu finden von jener Alchimie zwischen Innen und Außen, um deren Geheimnis sich die ästhetischen Theorien vom Sturm und Drang bis zur Romantik in immer neuen Ansätzen bemüht haben. Der große Prozeß, welcher mit der schrittweisen Überwindung der rationalistischen Lehre vom reinen Nachahmungscharakter des Kunstwerks einsetzte, gelangt hier an einen Grenz- und Wendepunkt. Damit soll H o f f m a n n nicht entgegen unserer anfänglichen Warnung doch noch zum epochemachenden Denker erklärt werden. Schon die deutlich hörbaren Novalis- und Jean-Paul-Töne in dem eben zitierten Abschnitt würden eine solche Apostrophierung verbieten. Aber auch wenn er bei seinen Gedankengängen den eklektizistischen Zug nie ganz verliert, so müssen wir doch zugeben, daß sein Eklektizismus Methode hat und, so seltsam es tönt, eine ausgeprägte Originalität. H o f f m a n n postuliert, wie gezeigt wurde, die absolute Autonomie der produktiven Einbildungskraft. Nun kann er das gewiß nicht vehementer tun, als es bereits Novalis getan hat, wenn er vom „Magism oder Synthetism der Phantasie" 27 sprach, wenn er Erzählungen forderte, die „ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziation, wie Träume, Gedichte — bloß wohlklingend und voll schöner Worte - aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang"" sind; wenn er „das Märchen" zum „Kanon der Poesie" erklärte, weil darin der Dichter den Z u f a l l anbete.89 Aber diese poetische Willkür, je schrankenloser sie waltet, umso mehr ist sie f ü r Novalis
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Vgl. Wolfgang Preisendanz, Zur Poetik der deutschen Romantik: Die Abkehr vom Grundsatz der Naturnachahmung. In: Die deutsche Romantik. Hg. von Hans Steffen. Göttingen 1967, S. 65. 28 Novalis, Werke. Hg. v. Ewald Wasmuth. Heidelberg 1957, Bd. 2, S. 392. » Ebd. Bd. 2, S. 390. 18
zugleich auch „echte Naturanarchie".® 0 Denn in der Dichtung wird die Identität von Ich und Welt, von Subjekt und Objekt, an welche er mit ungehemmter chiliastischer Frömmigkeit glaubt, zum aktuellen Ereignis. Was immer daher der Dichter aus den Schächten seines Innern fördert, es kann in keinem Gegensatz stehen zu den äußeren Dingen; auf das poetische Produkt blickend, erkennen wir das Geheimnis der Naturdinge, und im Naturding geht uns das Geheimnis der Poesie auf. „Die N a tur hat Kunstinstinkt - daher ist es Geschwätz, wenn man Natur und Kunst unterscheiden will", 3 1 lautet ein Fragment. Daß dabei der Vordersatz auch umgekehrt gilt - „die Kunst hat Naturinstinkt" - , ist eine mitgedachte Selbstverständlichkeit. Diese Konvergenz spiegelt den so oft beschworenen „tiefen unendlichen Zusammenhang der ganzen Welt", 32 von dem aus sich die Physik als „die Lehre von der Phantasie" 33 darstellt und „die Denkorgane" gleichzeitig den Charakter von „Naturgeschlechtsteilen"34 erhalten. Eine solche Art von prästabilierter Harmonie aber gibt es für Hoffmann nicht. Er mag mit der hohen Begeisterung des Novalis, ja fast mit dessen eigenen Worten die Selbstgesetzlichkeit der Phantasie bekennen, — es als „Geschwätz" bezeichnen, „wenn man Natur und Kunst unterscheiden will", könnte er nie, im Gegenteil: gerade auf diesem Unterschied beruht sein unerschütterliches Credo. Es ist daher aufschlußreich, wie in dem zitierten Abschnitt aus .Prinzessin Brambilla' vom „Reich" die Rede ist. Dieser vielleicht zentralste Begriff der ersten romantischen Generation (im weitern Sinn) erscheint hier zwar formelähnlich verfestigt und weit entfernt von jenem Glanz nahender Epiphanie, der ihm in dem berühmten Ausspruch der Tübinger Freunde Hegel, Hölderlin und Schelling beim Abschied von 1793 beikommt; 35 dennoch hat das Wort auch noch bei Hoffmann den Charakter eines bedeutungsvollen Signals. Denn wo vom „Reich" die Rede ist, stellt sich zugleich die Frage, ob dieses Reich „von dieser Welt" sei, ob es als ein gegenwärtiges, ein verlorenes oder ein kommendes geglaubt, ob es realiter oder idealiter gedacht werde. Und diese Frage läßt sich auch dann präzise beantworten, wenn der Begriff selber eher eilfertig
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Ebd. Bd. 2, S. 388. Ebd. Bd. 2, S. 382. 32 Ebd. Bd. 3, S. i j j . 33 Ebd. Bd. 2, S. 142. 34 Ebd. Bd. 2, S. 467. 35 „Ich bin gewiß, daß D u indessen zuweilen meiner gedachtest, seit wir mit der Losung - Reich Gottes! voneinander schieden. A n dieser Losung würden wir uns nach jeder Metamorphose, wie ich glaube, wiedererkennen." Hölderlin an Hegel, 10. Juli 1794. 31
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gebraucht erscheint. Für H o f f m a n n ist das Reich innen, im Einzelnen und nur f ü r den Einzelnen. Darin liegt eine seltsame Paradoxie; denn die romantische Idee vom Reich meint sonst in allen ihren Brechungen stets die Möglichkeit und die Sanktionierung der umfassenden menschlichen Gesellschaft, und sie hat in diesem Sinne auch die größten geschichtsbildenden Energien des Jahrhunderts mitbestimmt. Solches aber liegt H o f f mann fern; alles Gesellschaftliche gehört für ihn, wie wir noch sehen werden, in die Sphäre des Erstarrten, und selbst der Versuch, mit wenigen Freunden zusammen einen einigermaßen harmonischen Zirkel zu bilden, erweist sich als höchst riskantes Unternehmen." S o ist denn auch in unserem Abschnitt v o m „ R e i c h " nur als von „unserem Eigent u m " die Rede, das freigelegt und geschaut werden soll, weil das Leben sonst nicht zu ertragen wäre; der Gedanke an eine verbindende Grundlage für das menschliche Zusammenleben w i r d nicht einmal gestreift. G a n z ähnlich mischen sich Eklektizismus und Selbständigkeit auch in H o f f m a n n s Rezeption von Gedanken Jean Pauls. So viele seiner Lieblingsausdrücke und -Wendungen sich bereits in der ,Vorschule der Ästhet i k ' und im A u f s a t z ,Uber die natürliche Magie der Einbildungskraft' finden, so sehr man dabei an ein unbekümmertes Plündern z u denken versucht ist,®7 es gibt einen Punkt, w o H o f f m a n n s Gefolgschaft ein Ende hat. N i c h t daß er Stellung bezöge und disputierend Grenzen setzte; d a z u müßte er in vermehrtem M a ß e ein systematisch Denkender und Schreibender sein, während er denn doch sein Leben lang ein Liebhaber theoretischer Abschweifungen blieb. Vielmehr fällt bei ihm ganz einfach auf den blinden Fleck, was seinen Grunderfahrungen widerspricht. U n d das sind jene Ideen Jean Pauls, bei denen es um Aussöhnung geht, um das Ineinandergreifen und -wirken von N a t u r (d. h. äußerer Gegenwart) und Kunst. D a f ü r findet Jean Paul trotz der großen „ M a g i e " der Einbildungskraft immer neue Metaphern, und z w a r bezeichnenderweise meist organischer oder organisch-chemischer A r t . So heißt es in der .Vorschule': „Denn wie das organische Reich das mechanische aufgreift, umgestaltet und beherrschet und k n ü p f t , so übt die poetische Welt dieselbe K r a f t an der wirklichen und das Geisterreich am Körperreich".® 8 Später w i r d gesagt, daß die N a t u r der „äußere Nahrungsstoff" der
" Repräsentativ für die stete Gefährdung dieser äußersten Möglichkeit spontan belebter Sozietät ist etwa der unheimlich zwiespältige Schluß des J . A b schnitts im I V . Band der .Serapionsbrüder' (II. 87jf.). 87 Wie weit Hoffmanns Jean-Paul-Kenntnisse auf direkter Lektüre beruhen und wie weit sie über Umwegen zu ihm gelangten, spielt dabei keine Rolle. 38 Jean Paul, Werke. Bd. V . H g . von Norbert Miller. München 1963, S. 46. 20
Dichtkunst sei39, daß die rezeptive Einbildungskraft ihr Objekt „chemisch und in Teilen" bekomme, die sie „organisch zu einem Ganzen bilden" müsse40. Und diese biologisch geprägte Vorstellung wird durch den Vergleich mit der Transsubstantiation noch gesteigert und sakral überhöht: „Die äußere Natur wird in jeder innern eine andere, und die Brotverwandlung ins Göttliche ist der geistige poetische Stoff, welcher [ . . . ] seinen Körper (die Form) selber bauet". 41 Schon diese wenigen Stellen machen sichtbar, wie sehr die Genese des Kunstwerks für Jean Paul immer noch Welt-Begegnung ist, schwierig zwar und nur mit mehrdeutigen Metaphern benennbar, aber doch auf einem Glauben an die letztliche Kommensurabilität von Einbildungskraft und bewegter Natur beruhend. Demgegenüber bleiben für H o f f mann Außen- und Innenwelt grundsätzlich heterogen. Sie können nie ineinander verfließen, wie es die Vorstellungen des Novalis von der Liquidität alles Seienden postulieren, und sie können auch nicht einander anverwandelt werden in der Art der Jean-Paulschen Welt-Absorption. Nach Hoffmanns unerschütterlicher Uberzeugung ist der lebendige und kreative Geist „eingeschachtet" in die Außenwelt (II. $4), feindselig und unlösbar verhängt mit der schweren Mechanik der Materie. Dies wird im Kommentar über Serapion deutlich gesagt (II. $4Í.), und es gibt auch sonst kaum eine Erzählung des Dichters, in der das Faktum nicht so oder anders umschrieben würde. Das Gespräch der Freunde um jenen exemplarischen Einsiedler liefert aber dazu noch eine bedeutsame Präzisierung. Erst wird zwar in gewohnter Weise die Disparität von Innen und Außen festgestellt und von den Gestalten und Gesichten gesprochen, die aus jener Mitte aufsteigen: „Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem vollendetsten Glänze des regesten Lebens zu schauen" (II. 54). Dann aber heißt es, es sei „unser irdisches Erbteil", daß auch diese Schau Bedingtheiten unterliege: „Die innern Erscheinungen gehen auf in dem Kreise, den die äußeren um uns bilden und den der Geist nur zu überfliegen vermag in dunklen geheimnisvollen Ahnungen, die sich nie zum deutlichen Bilde gestalten" (II. 54). Obwohl sich der Kontext nicht eben durch stilistische Transparenz auszeichnet, kann der Sinn des Satzes hinreichend geklärt werden. Hoffmann meint damit die Tatsache, daß jene Visionen, welche aus dem glühenden Kern im Innern des Menschen entstehen, die das Höchste sind, was ihm an Schönheit je zugänglich
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Ebd. S. 46. Ebd. S. 49. Ebd. S. 43. 21
sein kann, und die für den Künstler die Präformation des Kunstwerks bilden, daß sie für uns nur in Gestalt irgendwelcher Formen und Bildungen der Außenwelt faßbar sind, weil wir als „Söldlinge der Natur" (vgl. oben S. 18) unsere Sehkraft zwar nach innen richten, aber nicht erweitern oder zu einem Organ für eine ganz und gar andere Erscheinungswelt machen können. Die höchste menschliche Tätigkeit, das spontane Gestalten der Phantasie, ist an die Morphologie der äußern Objektwelt gebunden - nur im Kleide des schlechthin Starren und Mechanischen vermögen wir das schlechthin Freie und Lebendige zu fassen. Dies ist eine Grundeinsicht Hoffmanns, die für die erfolgreiche Interpretation seiner Werke von entscheidender Bedeutung ist. Der Handlungsablauf vieler Erzählungen enthüllt sich nur von da her als innerlich notwendig, und auch die Grundlinien einer Figurentypologie sind von diesem Prinzip aus zu ziehen. Das letztere läßt sich schon an Serapion selbst zeigen: Er ist wie Kreisler ein Mann von drängend produktiver Imagination und in diesem Sinn von jener trüben Hälfte der Menschheit geschieden, welche statt des erwähnten „Karfunkels" das hohle Nichts in der Brust trägt; er und Kreisler sind jedoch ihrerseits wieder Gegensätze, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Selbsterkenntnis. Der heilig-wahnsinnigen Naivität des einen steht die gnadenlose Einsicht des andern gegenüber, daß, wie oben gesagt wurde, die Gestaltungen der Phantasie zwar die einzige uns zugängliche Manifestation des Absoluten sind, aber als solche doch die Maske der Außenwelt, die Formen von Raum und Zeit tragen müssen, weil es für uns kein anderes Erkennen gibt. Dieses Wissen macht dem Kapellmeister die Erfahrung des eigenen Innersten so schmerzhaft: „ - ein wüstes wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben außer mir suche, da es doch in meinem eigenen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer rätselhafter Traum von einem Paradies der höchsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung ängstigt mich mit den Qualen des Tantalus" (III. 356). Während Kreisler dergestalt weiß, daß „der Traum nur zu ahnen vermag", findet Serapion in ebendiesem Traum sein sanftes, niegestörtes Glück. „Du statuiertest keine Außenwelt" (II. 54), heißt es von ihm, und: „Dein Leben war ein steter Traum" (II. 5$). Das will besagen, daß Serapion nicht mehr unterscheiden kann zwischen greifbarer Realität und den Produkten oder vielmehr Projektionen seiner Phantasie. Ohne von der gestaltenbildenden K r a f t des eigenen Innern zu wissen, nimmt er deren Schöpfungen als objektives Seiendes, so daß man, den obigen Satz umkehrend, sagen könnte: „Alles ward dir zur Außenwelt". 22
N u r der reflektierende Beobachter, der den Scharfblick Kreislers besitzt, w e i ß um das Wesen dieser fundamentalen Täuschung, weiß, daß Serapion einen geschlossenen Projektionskreis um sich herum zieht, innerhalb dessen es keine Diskordanz v o n A u ß e n und Innen geben kann, weil eben alles von innen kommt. Genau diesen Zustand finden w i r nun bei einer Hauptklasse Hoffmannscher Protagonisten immer wieder, und z w a r sehr vielfältig und verschiedenartig variiert. Sie begegnen alle dem konkretisierten Lichtwurf ihres eigenen kreativen Seelengrunds, aber da sie ihn nicht als solchen erkennen und ihnen auch die G n a d e eines milden Wahnsinns fehlt, können ihnen diese Erscheinungen ebensosehr zu tödlichem Grauen wie zu überirdischer Beseligung gereichen. Je nachdem, meinen sie auf Dämonen oder gute Geister zu stoßen, bedroht oder beschenkt zu werden, aber de facto erleben sie niemals Jenseitiges, weder den Teufel noch den Lieben Gott, sondern nur sich selbst und ihre phantastisch ausgefächerte Innenseite. Dabei sind natürlich Stufen und Metamorphosen der Einsicht möglich. Viele Helden H o f f manns machen einen eigentlichen Entwicklungsprozeß durch; andere werden von ihren Phatasmata nur gestreift oder zeitweilig verwirrt. A m differenziertesten sind die Vorgänge aber stets dort, w o es zugleich um Künstler und künstlerische Tätigkeit geht. Denn das wahre Kunstw e r k ist ja seinem Wesen nach die materielle Nachbildung dieser Erscheinungen, und die erste Bedingung des Künstlertums besteht darin, diese Tatsache zu erkennen, was wiederum f ü r viele heißt, mit ihrem eigenen Innern überhaupt erst einmal Bekanntschaft z u machen. Z u welch verrückten Abenteuern das führen kann, zeigt H o f f m a n n mit unermüdlichem Behagen, am blühendsten und folgerichtigsten w o h l im .Goldnen T o p f ' und in .Prinzessin Brambilla*. D a s letzte Kriterium in seiner Menschenkunde aber bleibt stets die Frage, ob einer jenen „ K a r f u n k e l " 4 2 - b e w u ß t oder verschüttet - in der Brust trage. W o dies verneint werden muß, zögert er nicht, das Menschsein der Figur überhaupt anzuzweifeln. Ein groteskes Exempel dafür ist der Mohrenkönig K i l i a n im fragmentarischen Commedia-dell'ArteSpiel ,Prinzessin Blandina', dessen K o p f sich zuletzt als „ein bloßer Haubenstock, dem ein königlicher R u m p f anwuchs" erweist (1.745), und v o n dem der Sänger Amandus sagt: So hat sich meine Ahnung nicht betrogen, Der Kilian war ein triigrisch leeres Nichts. Nie brannt ein Funke in der toten Masse, 42
Zum Symbol des „Karfunkels" vgl. auch die Novelle ,Der Artushof*
(II.IJ7).
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Kein Herzblut rann in dem herzlosen Wesen, Nur äußre Lichter liehen ihm den Schein Des Lebens!
(1.745)
Wie ernst es Hoffmann gerade in dieser Hinsicht ist, zeigt die Tatsache, daß er sich immer neu bemüht, seine Erfahrung von jenem innersten Innen umschreibend oder bildlich auszudrücken. So spricht der gleiche Amandus einmal von der dunklen ahnungsvollen Tiefe, Aus der dem Magus gleich mit kräftgem Zauber Der Dichter seltsame Gestalten lockt, Daß sie, Trugbilder zwar, doch hell und farbigt, Vom höhern Geist beseelt gar seltne Lust Dem Glaubigen bereiten -
(1.737)
Das ist eine Formulierung, welche den Gesprächen um Serapion eng verwandt ist und in ähnlicher Weise das Wissen ausdrückt, daß die „seltsamen Gestalten" zugleich „Trugbilder" und „vom höhern Geist beseelt" sind. Komplizierter nimmt sich eine andere Stelle dieses Stücks aus. Da sagt Amandus, der Blandina liebt und gegenüber Kilian um sie kämpfen will: „Welch ein neues Leben ging mir auf! [ . . . ] N i e gedachte, nie empfundene Melodien, aber wie in einem einzigen überschwenglich herrlichen Ton zusammenstrahlend durchbeben mein Innerstes und ist nicht dieser Ton, von dem erfüllt meine Brust in unnennbarer Sehnsucht brennt, sie - sie selbst? [ . . . ] Seitdem ich durch sie - in ihr - mein wahres Sein, den höhern Geist in mir erkannt habe, weiß ich, daß der Gesang nicht außer mir wohnt, sondern ich selbst bin der Gesang und der ist unsterblich! - Zerschlägt Kilian das Instrument, so wird der darin wie in ein enges Gefängnis gebannte Ton frei und leicht daherschweben, und ich werde in ihr - sie selbst sein" (I. 735/36). Hier wird die gleiche Erfahrung, die oben mit der „dunklen ahnungsvollen Tiefe" und dem „Funken in der toten Masse" umschrieben wurde, in eine neue, intensivere Metapher gefaßt. Hoffmann spricht von „einem einzigen T o n " , in dem alles „zusammenstrahlt", die Geliebte und der Gesang und sogar das eigene Selbst, das Prinzip der Individualität. Dies nimmt sich beim ersten Anhören aus wie eine rückhaltlose Hingabe, ein totales SichVerschenken an Kunst und Geliebte. Tatsächlich aber liegt die Sache umgekehrt: der Gesang und die Geliebte werden um ihre Eigenständigkeit gebracht und als reine Emanationen, als gleitende Spiegelbilder dieses brennenden Seelenkerns dargestellt. Dabei interessiert uns hier vor allem das Problem der Kunst (von der Liebe wird später die Rede sein), genauer: es ist die Frage zu stellen, ob da nicht von einer gewissen Relativierung der Kunst gesprochen werden muß. Aus einem einzigen
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Z i t a t , das w u r d e schon früher festgehalten, darf man bei H o f f m a n n nie grundsätzliche Schlüsse ziehen. N u n kommt aber dieses M o t i v eines „ U r t o n s " , w i e man es nennen könnte, in seinen Schriften auch anderswo v o r , und aus der Zusammenschau einiger Belege läßt sich vielleicht eine A n t w o r t finden. So heißt es im zweiten Teil der ,Kreisleriana' v o m Kapellmeister: „ I m m e r exzentrischer, immer verwirrter wurde sein Ideengang; so ζ . B . sprach er, k u r z v o r seiner Flucht aus dem Orte, viel v o n der unglücklichen Liebe einer N a c h t i g a l l zu einer Purpurnelke, das G a n z e sei aber (meinte er) nichts als ein A d a g i o , und dies nun wieder eigentlich ein einziger lang ausgehaltener T o n Juliens, auf dem R o m e o in den höchsten H i m m e l voll Liebe und Seligkeit hinaufschwebe." (I. 284) M a n beachte die Stufung, die in dieser Aussage Kreislers über seine Innenwelt z u m Ausdruck k o m m t und die uns nun, nach der K o n trastierung des Kapellmeisters mit Serapion, nicht mehr unverständlich bleibt. D i e „Liebe einer N a c h t i g a l l zu einer P u r p u r n e l k e " , deren G e schichte den armen Musiker beschäftigt, entspricht der Sphäre jener Traumgestalten, mit denen Serapion umgeht und die den H o r i z o n t seines Bewußtseins begrenzen, - der Sphäre der Präformationen, welche der Dichter gemäß dem Serapiontischen Prinzip „ w a h r h a f t schauen" muß. Kreisler aber weiß, daß diese Konkretisierungen das Letzte, indem sie es o f f e n b a r e n , zugleich auch verstellen. E r möchte, w i e in dem Z i t a t aus dem R o m a n (vgl. oben S. 22), darüberhinaus, wobei es f ü r ihn, im G e gensatz zum Dichter Serapion oder zu den Malern, noch eine weitere F o r m der Verdichtung gibt, die Musik. Deshalb „ist" die phantastische E p o p ö e v o n der N a c h t i g a l l und der Purpurnelke zugleich „nichts als ein A d a g i o " . A b e r beide Ausprägungen können j a nur miteinander identifiziert werden auf G r u n d einer höheren Einheit, im H i n b l i c k auf w e l che der Unterschied zwischen dem musikalischen und dem dichterischen Opus dahinfällt, und diese höhere Einheit, H o f f m a n n s radikal subjektivistisches εν, w i r d , w i e in der .Blandina', als „ein einziger lang ausgehaltener T o n " erfahren. D a s ist Metapher und Realität zugleich: Metapher, weil damit jenes energetische Zentrum benannt wird, welches anderswo K a r f u n k e l oder Diamantgrube, dunkle T i e f e oder reine Sehnsucht 43 heißt; Realität, weil H o f f m a n n tatsächlich in der Musik immer wieder den „einzigen T o n " oder doch eine Annäherung daran sucht. S o erzählt der v o n der Gesellschaft als „ M u s i k f e i n d " betrachtete M a n n 43
Hoffmann braucht den Begriff „Sehnsucht" mit Vorliebe absolut, also nicht als Begierde nach etwas, als Erfahrung des Mangels, sondern als deren Erfüllung. So etwa in ,Ombra adorata': „Ziehe mit uns, ziehe mit uns in das ferne Land, wo der Schmerz keine blutende Wunde mehr schlägt, sondern die Brust wie im höchsten Entzücken mit unnennbarer Sehnsucht erfüllt!" (1.35).
im gleichnamigen Kreislerianum von seiner Kindheit, wie er, den die Hausmusiken seines Vaters stets auf das grauenhafteste langweilten, oft heimlich an den Flügel schlich und sich dort „stundenlang damit ergötzen konnte, allerlei wohlklingende Akkorde aufzusuchen und anzuschlagen"; und er fährt fort: „Hatte ich nun mit beiden Händen drei, vier, ja wohl sechs Tangenten gefunden, die, auf einmal niedergedrückt, einen gar wunderbaren, lieblichen Zusammenklang hören ließen, dann wurde ich nicht müde, sie anzuschlagen und austönen zu lassen. Ich legte den Kopf seitwärts auf den Deckel des Instruments; ich drückte die Augen zu; ich war in einer anderen Welt; aber zuletzt mußte ich wieder bitterlich weinen, ohne zu wissen, ob vor Lust oder vor Schmerz" (I.308). In einem einzigen Akkord also, den er immer neu aufklingen läßt, erlebt der Knabe alles, was Musik sein und geben kann. Er gilt dafür bei seinem Vater als unmusikalisch, und dieser Ruf bleibt ihm auch später, weil er in den öffentlichen Konzerten meist schon nach der ersten Symphonie wegläuft, ja kaum den zweiten Satz mehr anzuhören vermag. „Es kommt mir dann vor, als sei die gehörte Musik ich selbst" (I. 311), sagt er; das heißt: sie fällt zusammen mit jenem innersten Unum, von dem Amandus und Kreisler als von einem Ton sprachen, sie durchdringt ihn wie einst den Knaben als ein einziger voller Akkord, wobei er nicht weiß, ob dieser von außen oder von innen kommt: „Ich frage daher niemals nach dem Meister; das scheint mir ganz gleichgültig. Es ist mir so, als werde auf dem höchsten Punkt nur eine psychische Masse bewegt" (I. 311). Aber nicht bloß der fiktive Musikfeind, auch Hoffmann selber, sogar in seiner Funktion als Kritiker, macht immer wieder deutlich, daß die Musik für ihn umso vollkommener ist, je einfacher sie erscheint, je näher sie einem reinen Urakkord kommt. Einer seiner schönsten und zugleich bedeutendsten kritischen Aufsätze, ,Alte und neue Kirchenmusik', spricht ausführlich davon. Die Zeit Palestrinas wird hier mit Entschiedenheit als „die herrlichste Periode der Kirchenmusik (und also der Musik überhaupt)" bezeichnet (V. 214) und diese höchste je von Menschen geschaffene Tonkunst folgendermaßen charakterisiert: „Ohne allen Schmuck, ohne melodischen Schwung, folgen meistens vollkommene, konsonierende Akkorde aufeinander, von deren Stärke und Kühnheit das Gemüt mit unnennbarer Gewalt ergriffen und zum Höchsten'erhoben wird" (V. 215). Der Akkord sei denn auch, so wird gleich darauf ergänzt, der reinste Ausdruck der Liebe, und jene Musik sei am heiligsten, die „nur als Ausdruck jener Liebe aus dem Innern aufgeht, alles Weltliche nicht beachtend und verschmähend" (V. 215). Viele sind indessen kaum oder gar nicht mehr imstande, solches zu verstehen: 26
„Die Folge konsonierender, vollkommener Dreiklänge, vorzüglich in den Molltönen, ist uns jetzt, in unserer Verweichlichung, so fremd geworden, daß mancher [ . . . ] darin nur die Unbehiilflichkeit der technischen Struktur erblickt" (V. 21 j). Das heißt: wir sehen nicht, daß das Fehlen aller artifiziellen Raffinesse nichts anderes ist als die K r a f t des ungebrochenen Ursprungs. „In Palestrinas Musik trifft jeder Akkord den Zuhörer mit der ganzen Gewalt, und die künstlichsten Modulationen werden nie so, wie eben jene kühnen, gewaltigen, wie blendende Strahlen hereinbrechenden Akkorde, auf das Gemüt zu wirken vermögen" (V. 216). Hoffmann weiß aber auch, daß diese Art von Musik einem modernen Künstler nicht mehr erreichbar ist: „Rein unmöglich ist es wohl, daß jetzt ein Komponist so schreiben könne wie Palestrina . . . " (V. 229). Mit dem Hinweis auf den fortschreitenden Weltgeist und die von ihm bewirkte ungeahnte Entwicklung und Verfeinerung der Instrumentalmusik sucht er diesen Wandel zu rechtfertigen und so die Möglichkeit zu finden, Haydn, Mozart und Beethoven gleichwohl voll zu anerkennen. E r weiß, „daß dem heutigen Komponisten kaum eine Musik anders im Innern aufgehen wird, als in dem Schmuck, den ihr die Fülle des jetzigen Reichtums gibt", und daß es „nur der falsche Gebrauch dieses Reichtums (ist), der ihn schädlich macht" (V. 232). Aber trotz dieser gut historistischen Apologie bleibt ein Vorbehalt spürbar, und er wird sogar offensichtlich in der Tatsache, daß Hoffmann den rein kirchenmusikalischen Werken der drei Klassiker gegenüber unverhüllte Bedenken anmeldet. Er kann es tun, weil er für die moderne Zeit zwischen weltlichen und kirchlichen Kompositionen streng scheidet, so daß etwa die Kritik an Beethovens C-Dur-Messe (V. 154) die Anerkennung und Förderung von dessen übrigen Werken nicht beeinträchtigt. Aber eben - diese Klassifizierung war für die Zeit Palestrinas nicht nötig, und jene Epoche bleibt deshalb trotz allem Hoffmanns lauterstes Ideal. Umso tiefer ist er ergriffen, als er feststellen kann, daß in Mozarts .Requiem' als einzigem kirchenmusikalischem Werk der Neuzeit noch etwas von der „heiligen Würde der alten Musik" bewahrt ist, daß darin „die wunderbarsten Akkorde" ertönen, . „die das Jenseits selbst sind" (V.233). Es dürfte nun um einiges verständlicher sein, daß Kreisler von einem Adagio sagen kann, es sei „eigentlich ein lang ausgehaltener Ton Juliens". Wie die Bilder- und Figurenwelt des Dichters, wie die Gruppen und Gestalten des Malers gleichsam den zerlegten und in dieser Brechung erst sichtbaren Lichtstrahl des Seelenkerns darstellen, so geht alle Musik aus einem geahnten und ersehnten Urton oder Urakkord hervor, der mit
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jenem Strahl identisch ist und den Hoffmann in den archaisch-sakralen Schöpfungen Palestrinas beinahe unmittelbar zu vernehmen glaubt. Aber auch im Gesang der Geliebten gibt es Momente, wo ein einziger Ton plötzlich auf diese Weise „das Jenseits selbst" zu sein scheint. Er kann in äußersten Fällen sogar zum physischen Tod der Sängerin führen: von Prinzessin Blandina zum Beispiel heißt es: „Ihr Herz bricht in des Gesanges höchster Seligkeit" (1.747), und den novellistischen Nukleus von ,Rat Krespel' bildet ein ähnliches Phänomen. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die Faszination, welche für Hoffmann die sogenannte Wetterharfe besaß, eine Einrichtung mit massiven, im Freien ausgespannten Saiten, die, mehrere Meter lang, bei bestimmten klimatischen Verhältnissen „ertönten in mächtigem Klange" (II. 351). Mit ihr verglichen sind die üblichen Aeolsharfen „kleinliches Spielzeug". Sie wird in den „Automaten" beschrieben und im KreislerRoman von Meister Abraham eingesetzt. Der Sturm greift dort in die Drähte, und: „in dem Gebraus des Orkans [ . . . ] erklangen furchtbar die Akkorde der Riesenorgel" (III. 315). Bei Schubert hat Hoffmann den Bericht über eine verwandte Erscheinung auf der Insel Ceylon gefunden, die „Luftmusik oder Teufelsstimme", die „eine so tiefe Wirkung auf das menschliche Gemüt äußert, daß selbst die ruhigsten Beobachter sich eines [ . . . ] zerschneidenden Mitleids mit jenen den menschlichen Jammer so entsetzlich nachahmenden Naturtönen nicht erwehren können" (II. 349). Und etwas Ähnliches vernahm er schließlich in Ostpreußen selbst, nämlich „in stillen Nächten und bei mäßigem Winde deutlich lang gehaltene Töne [ . . . ] , die bald gleich einer tiefen gedämpften Orgelpfeife, bald gleich einer vibrierenden dumpfen Glocke erklangen". Er berichtet dazu: „ O f t konnte ich genau das tiefe F mit der ausschlagenden Quinte C unterscheiden, oft erklang sogar die kleine Terz Es, so daß der schneidende Septimenakkord in den Tönen der tiefsten Klage meine Brust mit einer das Innerste durchdringenden Wehmut, ja mit Entsetzen erfüllte" (II. 349/jo). Es besteht kein Zweifel, daß diese Klänge für ihn von gleicher Wesensart sind wie die „gewaltigen hereinbrechenden Akkorde", aus denen sich die Musik Palestrinas fügt. Er spricht von beiden mit einer emotionalen Dringlichkeit, die aus tiefen Schichten der Erfahrung stammt. Besonders auffällig aber ist dabei die Tatsache, daß Hoffmann hier ein präzises Phänomen beschreibt, er, dem sonst die ganze lebendige Schöpfung reines Kulissenmaterial und totes Substrat für phantastische Projektionen ist.44 E r bezieht denn auch eigens dafür eine Art vorgefertigter 44
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Das Motiv der Naturtöne findet sich bei vielen zeitgenössischen Schrift-
Begründung aus Schuberts .Ansichten' ( „ U m mich ganz der Worte eines geistreichen Schriftstellers zu bedienen", sagt er), und rechtfertigt sein Hinneigen zu dieser Erscheinung der Außenwelt damit, daß er sie als „Nachhall aus der geheimnisvollen T i e f e " einer „Urzeit" erklärt, w o die N a t u r „den Menschen wie im Wehen einer ewigen Begeisterung mit heiliger Musik" umfangen habe und „wunderbare Laute [ . . . ] die G e heimnisse ihres ewigen Treibens" verkündet hätten (II. 349). Dies ist nicht als Umriß einer naturphilosophischen Konzeption
(aus zweiter
Hand) zu verstehen, sondern als Versuch, ein eigenes und durchaus ursprüngliches subjektiv-mythisches Denkbild, die Vorstellung vom Einzelklang, der mächtiger ist als alle komponierte Musik, unter V e r w e n dung der damals geläufigen oder sogar modischen naturmythologischen Konstruktionen zu objektivieren. Das faszinierte Hinmerken auf alles, was als akustisches Phänomen dieser Idee sich zu nähern scheint, entspringt der Sehnsucht nach einer unmittelbaren und
ungebrochenen
Erscheinungsform der kreativen Mitte des eigenen Ich. 45 Wir erinnern uns jener frühen Briefstelle: „ - eine bunte Welt voll magischer Erscheinungen flimmert und flackert um mich her - es ist als müsse sich bald was großes ereignen — irgend ein KunstProdukt müsse aus dem Chaos hervorgehen! - ob das nun ein Buch — eine Oper — ein Gemähide seyn wird -
quod diis placebit -
. . ." 4 e Dem einfachen, ein-förmigen U r -
stellern, meist exemplifiziert an der Memnonssäule, aber da ist es stets Teil einer ausgeprägten Naturverehrung, während H o f f m a n n hier von seiner spontanen Haltung der Natur gegenüber abweicht. 45
Eine unerwartete und überzeugende Bestätigung dafür finden wir in der Art, wie Hoffmann eine diesbezügliche Stelle der Erzählung ,Die Automate' korrigiert hat. Da heißt es in der endgültigen Fassung: „ .Deine höhere musikalische Mechanik', sagte Ferdinand, ,ist allerdings sehr interessant, wiewohl ich mir eigentlich nicht die Spitze und das Ziel jener Bestrebungen denken kann.' - .Dies ist kein anderes', erwiderte Ludwig, .als die Auffindung des vollkommensten Tons; ich halte aber den musikalischen Ton für desto vollkommener, je näher er den geheimnisvollen Lauten der Natur verwandt ist, die noch nicht ganz von der Erde gewichen.' " (II. 348f.). Dieser letztere Satz von eindeutig Schubertschem Zuschnitt lautete indessen zuerst so: „Ich halte aber den musikalischen Ton für desto vollkommener, je stärker und inniger er mit unserm innern geistigen Prinzip in Beziehung steht, das scheint aber wiederum desto mehr der Fall zu sein, je näher er den geheimnisvollen Lauten " usw. (vgl. die Anm. zu II. 348 in II. 1064). Man sieht, wie Hoffmann zuerst versucht, sein spezifisches Imaginationsmythologem theoretisch zu fassen, wie er aber damit nicht zu Rande kommt (gerade weil es ein Mythologem ist!) und sich aus der unbehaglichen Konfusion ins problemlose spätromantische Klischee flüchtet. Der Fall zeigt, wie sehr man beim Theoretiker Hoffmann auf der Hut sein muß. 4e An Hippel, 28. Februar 1804.
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sprung genau dieses Chaos spürt Hoffmann nach, seine Nähe durchschauert ihn in jenen isolierten Akkorden. Und damit wird in der Tat eine gewisse Relativierung der Kunst vollzogen, nicht nur des im sinnlich-stofflichen Bereich gefertigten Werks, sondern auch der Präformation, der „fantastischen Gestalt", wie sie Serapion „schaut". Für die Interpretation der erzählenden Werke ist diese Feststellung von großer Bedeutung; sie kann Fehldeutungen verhindern und irrtümliche Vereinfachungen (vor allem in Hinsicht auf den Künstler-Begriff) als solche aufdecken. Anderseits aber müssen wir uns gleichzeitig hüten, von da her nun mit scheinbar zwingenden Folgerungen den leidenschaftlichen Enthusiasmus für die verschiedensten Formen künstlerischer Betätigung, wie er in Hoffmanns Werken sichtbar wird, anzuzweifeln. Wenn die Kunst, als Actus und als Opus, in ihrer jeweiligen Ausprägung auch nicht das letzte Denk- und Erahnbare ist, so bleibt sie doch — von seltenen Akkorden und streifenden Lichtern abgesehen - das höchste realiter Zu-Erreichende. So haben sich denn, wenn wir das Kapitel rückschauend überblicken, in Hoffmanns Gedanken über die Genese des Kunstwerks 47 drei deutlich unterschiedene Stufen gezeigt: das chaotisch-lebendige Zentrum der produktiven Einbildungskraft, welches dem Menschen selber geheimnisvoll oder gar unbewußt ist und das als eine Art nucleus divinus erfahren wird; dann die Sphäre der inneren Gestaltung, wo sich der phantastische Prototyp aus- und durchbildet, von der Kraft jenes Zentrums belebt, aber auch bereits gebunden an das Formenarsenal der Außenwelt; und schließlich das „mechanische Geschäft" der NachKonstruktion dieser geschauten Gestalt im materiellen Bereich. Zu diesem letzteren gehört, neben den Farben des Malers, neben Partitur und Instrumenten des Musikers, ganz entschieden auch die Sprache des Dichters. Etwas verallgemeinernd und im Bewußtsein der eben dargelegten Stufung könnte man sogar sagen, daß bei Hoffmann die Entstehung des konkreten, sinnlich-greiflichen Kunstwerks wiederum, wie im frühen 18. Jahrhundert, ein Vorgang der imitatio, der genauen Nachahmung ist, - Nachahmung allerdings nicht der Natur als der abgeschlossenen Schöpfung Gottes, sondern des eigenen Innern und der dort entspringenden Gestaltenwelt. Hoffmann ist denn auch vielleicht der erste bedeutende Schriftsteller der Nach-Goethe-Zeit, für den die sprach47
Auch wenn hier eine einigermaßen zusammenhängende Theorie sichtbar wird, dürfen wir diese nicht zugleich als wahrheitsgetreue Darstellung des Entstehungsprozesses von Hoffmanns eigenen Werken betrachten. (Vgl. unten, Kap. V.) 3®
theoretischen Prophetien Hamanns, die Inkarnation des dichterischen Worts betreffend, keine Geltung mehr haben. Den Abschluß dieses ersten Teils bilde nun aber nicht ein abstrahiertes Resultat, sondern der Blick auf ein Erzählmotiv, dessen Bedeutung erst jetzt völlig klar werden kann. Es findet sich nicht sehr häufig, aber in allen Phasen von Hoffmanns schriftstellerischer Tätigkeit, das erste Mal im ,Ritter Gluck', das letzte Mal in ,Des Vetters Eckfenster'. In jener frühen Geschichte vom wahnsinnigen Musiker, der glaubt oder vorgibt, Ritter Gluck zu sein, setzt sich der rätselhafte Mann ans Klavier und schlägt ein Notenbuch auf, der Überschrift nach die ArmidaPartitur. Dabei stellt sein verblüffter Begleiter fest, daß auf dem rastrierten Papier keine einzige Note steht; gleichwohl erhält er die Anweisung: „Wenden Sie die Blätter um, und zur rechten Zeit!" (I. 23) Und nun spielt der Unbekannte die Ouvertüre durch, „herrlich und meisterhaft", aber mit seltsamen Variationen, Abweichungen und neuen Wendungen, die, bei aller Differenz zum Original, dessen Geist durchaus entsprechen, ja die Vorlage „gleichsam in höherer Potenz" darstellen (1.23). Dazu bleiben seine Augen mit größter Konzentration auf das leere Papier gerichtet, so daß der Begleiter seiner Pflicht ohne Schwierigkeiten nachkommen kann: „Ich wandte die Blätter fleißig um, indem ich seine Blicke verfolgte" (I. 23). Diese leeren Notenbücher des „Ritters" finden nun in der Erzählung ,Der Artushof' eine offensichtliche Parallele. Hier tritt der alte Maler Berklinger auf, um dessen Tochter sich der Held der Erzählung, der Jüngling Traugott, bemüht. Als dieser den Meister besucht, findet er ihn „vor einer großen aufgespannten grau grundierten Leinwand sitzend" (II. 156). Der Alte erklärt, nach jahrelanger Arbeit eben das Bild vollendet zu haben, es stelle das •wiedergewonnene Paradies dar. Und er erläutert dem Besucher das Werk bis in Einzelheiten, macht ihn „auf die geheimnisvolle Verteilung des Lichts und des Schattens aufmerksam" (II. 157), wird immer begeisterter und bricht zuletzt, nach rätselhaften Worten über den funkelnden Rubin in der Brust, zusammen. Die Tochter gibt dem jungen Mann Auskunft über ihren Vater: „ . . . schon seit mehreren Jahren ist er der Kunst abgestorben, für die er sonst lebte. Er sitzt ganze Tage hindurch vor der aufgespannten grundierten Leinwand, den starren Blick darauf geheftet; das nennt er malen, und in welchen exaltierten Zustand ihn dann die Beschreibung eines solchen Gemäldes versetzt, das haben Sie eben erfahren" (II. 1J7). Die Analogie der Szene zu dem Geschehnis im .Ritter Gluck' braucht weiter nicht betont zu werden; so sei denn gleich die dritte Belegstelle angeschlossen. Wenn es das eine
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Mal um Musik ging, das andere Mal um Malerei, so ist hier nun, in der Erzählung ,Des Vetters Eckfenster', von einem Schriftsteller die Rede. (Wir dürfen in dieser Anwendung des gleichen Motivs auf die verschiedenen Gattungen eine Bestätigung für unsere Feststellung sehen, daß es bei H o f f m a n n keinen Rangunterschied der einzelnen Künste gibt.) Dieser Schriftsteller, der „Vetter" des Erzählers, ist von schweren Lähmungen getroffen und lebt mühsam zwischen Bett und Lehnstuhl. Z w a r ist es der Krankheit nicht gelungen, »den raschen Rädergang der Fantasie zu hemmen, der in seinem Innern fortarbeitete, stets Neues und Neues erzeugend" (IV. $97), aber sie hat doch in seine Existenz als Künstler eingegriffen. Wir müssen den Abschnitt in extenso zitieren, weil er zugleich den Kommentar zu den obigen Stellen enthält: „Aber den Weg, den der Gedanke verfolgen mußte, um auf dem Papier gestaltet zu erscheinen, hatte der böse Dämon der Krankheit versperrt. Sowie mein Vetter etwas aufschreiben wollte, versagten ihm nicht allein die Finger den Dienst, sondern der Gedanke selbst war verstoben und verflogen. Darüber verfiel mein Vetter in die schwärzeste Melancholie. ,Vetter!' sprach er eines Tages zu mir, mit einem Ton, der mich erschreckte, .Vetter, mit mir ist es aus! Ich komme mir vor, wie jener alte, vom Wahnsinn zerrüttete Maler, der tagelang vor einer in den Rahmen gespannten grundierten Leinewand saß, und allen, die zu ihm kamen, die mannigfachen Schönheiten des reichen, herrlichen Gemäldes anpries, das er soeben vollendet; - ich geb's auf, das wirkende schaffende Leben, welches zur äußern Form gestaltet aus mir selbst hinaustritt, sich mit der Welt befreundend!' —" (IV. 597/98). Hoffmann ist also unverkennbar bemüht, klarzumachen, daß es nicht etwa die physische Lähmung ist, welche die Entstehung schriftstellerischer Werke verhindert, sondern daß die äußere Paralyse nur einen bestimmten inneren Zustand spiegelt. Und diesen weiß er auf keine Weise besser zu charakterisieren, als indem er, sich selbst zitierend, jenen Maler aus dem ,Artushof' zum Vergleich herzieht. Dadurch erscheint die seltsame Verfassung als möglich, ohne daß eine weitere Begründung nötig wäre. Eine solche dürfte selbst dem psychologisch erfahrenen Hoffmann nicht leicht gefallen sein; denn es geht ihm ja keineswegs um die Schilderung einer besonderen Spielart der menschlichen Seele, sondern um die Exemplifizierung des tiefen Bruchs im Entstehungsprozeß des Kunstwerks, im A k t der ästhetischen Produktion, der auf der Inkommensurabilität von Innen und Außen beruht, - jener Inkommensurabilität, welche dem Menschen schlechthin das Zu-Hause-Sein in dieser Welt, in Natur, Liebe und Menschengesellschaft, verwehrt. Was der Vetter am Schluß unseres Zitats sagt, ist die genaue Definition jenes spontanen, sich in einer versöhnenden Tat er-
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füllenden Kíinstlertums, das f ü r den Pseudo-Gluck, f ü r Berklinger und f ü r den Theoretiker H o f f mann selbst keine Geltung mehr hat: „ . . . das wirkende schaffende Leben, welches zur äußern Form gestaltet aus mir selbst hinaustritt, sich mit der W e l t befreundend". 4 8 D a ß die inneren Energien aber erhalten bleiben, ja d a ß die Blockierung der externen F o r m k r a f t im Grunde v o n zweitrangiger Bedeutung ist, zeigt die Tatsache, daß H o f f m a n n aus der Erzählung von dem dergestalt lädierten Vetter ein eigentliches Lehrstück über die Schriftstellerei machen kann, wobei der Titelheld durchaus Vorbild ist. D a s Motiv v o n der grundierten Leinwand, die als vollendetes Gemälde gesehen wird, o b w o h l kein Pinselstrich daraufkommt, und das im A u f t a k t der E r zählung so deutlich hervortritt, nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein: nur v o n ihm aus kann das G a n z e richtig verstanden werden. Gleich nach dieser Einleitung nämlich w i r d der Erzähler v o m Vetter ans E c k fenster geführt, den O r t seines „Trostes". M a n sieht fast senkrecht auf den M a r k t p l a t z ; der Anblick ist f ü r den Besucher „seltsam und überraschend". „ D e r ganze M a r k t schien eine einzige, dicht zusammengedrängte Volksmasse [ . . . ] . Die verschiedensten Farben glänzten im Sonnenschein und z w a r in ganz kleinen Flecken; auf mich machte dies den Eindruck eines großen, v o m Winde bewegten, hin und her wogenden Tulpenbeets, und ich mußte mir gestehen, daß der A n b l i c k z w a r recht artig, aber auf die Länge ermüdend sei, ja w o h l gar aufgereizten Personen einen kleinen Schwindel verursachen könne, der dem nicht unangenehmen Delirieren des nahenden Traums gleiche; darin suchte ich das Vergnügen, das das Eckfenster dem Vetter gewähre . . . " ( I V . 599). Diese irritierende Fläche von gestaltlos verschwimmenden Farben mit dem hingerissen davorsitzenden Vetter steht in offensichtlicher Parallele z u r Leinwand, auf die der alte Berklinger, Monologe murmelnd, starrt, und in beiden Erzählungen können denn auch die Besucher ihr höfliches Befremden nicht verbergen. U n d w i e der spielende Pseudo-Gluck v o n den leeren Notenlinien die kühnsten Armida-Variationen abliest, so enthüllt der Vetter seinem Gast im Verlauf der Erzählung ein Bild nach dem andern, das er auf den Hintergrund des „scheckichten, sinnverwirrenden G e w ü h l s " ( I V . 600) hingetuscht hat. Bei seinen häufigen theoretischen Zwischenbemerkungen k o m m t deshalb auch jener Begriff wieder unübersehbar zu Ehren, dessen Bedeutung f ü r H o f f m a n n s ästhetische Zum Motiv des Malers vor der leeren Leinwand vgl. ebenfalls ,Die Elixiere des Teufels' III. 146 und III. 236. Auch das Büchlein mit lauter weißen Blättern gehört in diesen Zusammenhang, das der bibliomanische Kanzleisekretär Tusmann am Schluß der ,Brautwahl' erhält, und das jedesmal, wenn er es aus der Tasche zieht, das Werk ist, das er dringlich zu lesen wünscht. (Vgl. 11.592^). 48
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Gedankengänge wir weiter vorn herausgestellt haben, der Begriff des „Schauens". Was dort gesagt wurde, daß nämlich das Hoffmannsche „Schauen", welches den Kern des Serapiontischen Prinzips bildet, wesentlich als Projektion zu verstehen sei und daß der Welt nur die Funktion eines Substrats zukomme, das bestätigt sich hier Wort für Wort. 4 " Wie nämlich der Gast seine Vorbehalte dem ungestalten Anblick gegenüber anmeldet, ruft der Vetter aus: „ N u n sehe ich wohl, daß auch nicht das kleinste Fünkchen von Schriftstellertalent in dir glüht. Das erste Erfordernis fehlt dir dazu [ . . . ] ; nämlich ein Auge, welches wirklich schaut" ( I V . 600). Sein eigener Geist dagegen, „ein wackerer Callot", entwerfe „eine Skizze nach der andern", und er wolle nun sehen, ob er dem Freund „nicht wenigstens die Primizien der Kunst zu schauen" beibringen könne. Ohne serapiontische Vorbildung würde man wohl kaum der Gefahr entgehen, hierin eine Aufmunterung zu genauer Weltbeobachtung und -wiedergäbe zu sehen, wie denn diese Erzählung auch immer wieder als frühes Muster des Realismus (im Sinne des Epochenbegriffs) und folglich auch als Beleg für die Entwicklung des Schriftstellers H o f f m a n n auf diese Stilform hin betrachtet worden ist.50 „Schauen" aber heißt auch hier nicht die Welt beobachten, sondern sie mit einem dichten, changierenden Gewebe der Phantasie überziehen. 51 Dies wird schon dadurch deutlich, daß die kleinen Lebensläufe, Psychogramme und Alltagsschicksale, welche da nacheinander ausgefaltet werden, beinahe alle vom Vetter bereits durchgedacht und durchgeformt sind und dem Besucher nur anhand des realen Substrats übermittelt werden. Dieser ruft denn auch nach dem Anhören einer solchen Miniatur aus: „Von allem, was du da herauskombinierst, lieber Vetter, mag kein Wörtchen wahr sein, aber indem ich die Weiber anschaue ist mir, Dank sei es deiner lebendigen Darstellung, alles so plausibel, daß ich daran glauben muß, ich mag wollen oder nicht" (IV. 602). Diese Gleichgültig-
Schon H o f f m a n n s Hinweis auf das „Delirieren des nahenden Traums" ist ein deutlicher Fingerzeig. Der Ausdruck fällt fast regelmäßig im Zusammenhang mit dem Prinzip. 50 Eine eigentliche Entwicklung H o f f m a n n s in dem Sinne, daß auf Grund des sich wandelnden Selbst- und Weltverständnisses stilistisch Neuartiges entstünde, welches - und dies ist entscheidend! - die früheren Formen ausschließt, läßt sich, sooft dies auch unternommen worden ist, nicht zwingend nachweisen. A u c h L. Köhns vorsichtiger Versuch (a.a.O. S. zzoß.) scheint mir nicht evident. Gegen die These v o m erreichten Realismus im ,Eckfenster' wendet sich, etwas vorsichtiger, auch W . Preisendanz (Humor als dichterische Einbildungskraft, München 1963, S. i i 5 f . ) , während Martini im Einverständnis mit vielen andern v o m „weltverklärenden Realismus" des ,Eckfensters' spricht. (Die Märchendichtungen Ε. T . A . Hoffmanns, in: Deutschunterricht 7, 1955 H e f t 2, S. 59). 49
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keït dem
„Wahren"
im Sinne der Faktizität gegenüber -
welcher
„Realist" hätte so unbekümmert darüber sprechen können? - wird aber am entschiedensten in der Behandlung des alten Mannes offenbar, der mit dem Malkasten einkaufen geht. D a entwirft der Vetter das Bild eines selbstsüchtigen, gierig-bösartigen Einzelgängers, und zwar so überzeugend, daß sein Freund von Abscheu gefaßt wird: „ W e g von dem widrigen Menschen"
( I V . 6 1 1 ) . Der Vetter
aber
entgegnet
gelassen:
„Mißfällt dir der Mann so sehr, lieber Vetter, so kann ich dir darüber, was er ist, tut und treibt, noch eine andere Hypothese
aufstellen"
( I V . 6 n ) . U n d er zeichnet auf der Stelle ein ergreifendes, leicht skurriles Idyll, in dem die - von beiden dauernd mit den Augen verfolgte - Gestalt eine durchaus sympathische Rolle spielt. Triumphierend schließt er: „So habe ich den widrigen zynischen deutschen Zeichenmeister augenblicklich zum gemütlichen französischen Pastetenbäcker umgeschaffen, und ich glaube, daß sein Äußeres, sein ganzes Wesen recht gut dazu paßt" ( I V . 6 1 2 ) . Der Besucher drückt ihm dafür seine Bewunderung aus, aber keiner von den beiden stellt auch nur f ü r einen Moment die Frage, was es denn mit jenem Menschen nun tatsächlich auf sich habe! 5 0 rückt also der gelähmte Vetter, und mit ihm Berklinger und „ G l u c k " , in die unmittelbare N ä h e von Serapion. 52 A u c h jener Einsiedler ist ja, 51
Der Gebrauch des Fernrohrs widerspricht dem nicht, im Gegenteil, er deckt sich genau mit der Art, wie das Instrument im ,Sandmann' eingesetzt ist: als Imaginationswerfer (vgl. unten Kap. III). So hat H o f f m a n n es auch in dem unmittelbar vor dem .Eckfenster' entstandenen ,Meister Floh', grotesk symbolisierend, verwendet, in dem „optischen Zweikampf zweier Magier" (IV. 735) im Vierten Abenteuer. Jeder der beiden Duellanten fühlt da die sengendsten Schmerzen, wenn ihn der Gegner durch das Fernrohr anblickt. Es sei hier auf die imponierende Passage nachdrücklich hingewiesen (IV. 746). 52 Daß es H o f f m a n n in ,Des Vetters Eckfenster' von Anfang an darum ging, das Serapiontische Prinzip nochmals demonstrierend abzuhandeln, zeigen sogar die Entstehungsumstände des kleinen Werks. Es wurde in den ersten Monaten des (Todes-)Jahres 1822 geschrieben, und zwar f ü r die Zeitschrift ,Der Zuschauer'. Diese w a r ein Jahr früher, am 2. Januar 1 8 2 1 , erstmals erschienen, wobei H o f f m a n n als angeworbener Mitarbeiter gleich nach dem Vorwort des Editors einen programmatischen Aufsatz, .Schreiben an den Herausgeber' (V. 673ff.), einrückte. Hier erklärt er sich „mit Vergnügen" zur Teilnahme bereit und führte auch gleich den Grund an: „ . . . um so mehr, als der wohlgewählte Titel mich an meine Lieblingsneigung erinnert. Sie wissen es nämlich wohl schon wie gar zu gern ich zuschaue und anschaue, und dann schwarz auf weiß von mir gebe, was ich eben recht lebendig erschaut". Sofort verhindert er aber auch eine mögliche Verwechselung seines „Schauens" mit dem Beobachten der Welt: „Von etwas anderem, meine ich, als von dem, dessen Anschauung in vollkommener Gestalt im Innern aufgegangen, könne man auch gar nicht sprechen, daß die Leute es eben so lebendig erblicken, zu denen man spricht". Hoffmann benützte also, von der an sich nicht eben originellen Überschrift 35
wie wir sahen, ein Schriftsteller, der nicht mehr schreibt, für den es, bei andauernder Produktivität der dichterischen Einbildungskraft, das Opus nicht mehr gibt. Wenn gerade diese Gestalten von Hoffmann immer wieder dazu ausersehen werden, seine serapiontische Poetik zu verkünden, so geschieht es wohl deshalb, weil bei ihnen die Verwechslung des kreativen Aktes mit der Fabrikation von vorneherein ausgeschlossen ist. Ein Gegenbeispiel wäre in diesem Zusammenhang der Goldschmied Cardillac aus dem ,Fräulein von Scuderi', der über der Unmöglichkeit, jene beiden Elemente in seinem Schaffen zu trennen, zum Verbrecher wird. Und bei ihm wird auch ein Faktor besonders deutlich, den wir bis jetzt nur gestreift haben: die Tatsache, daß erst mit der Fertigung im materiellen Bereich das Kunstwerk kommunikativen Charakter bekommt. Die Hoffmannsche Aufspaltung des genetischen Vorgangs in die Stufen der Präformation und der mechanischen Nachbildung ist somit zugleich eine Aufspaltung der zum Wesen jedes Ästheticums gehörenden Einheit von erscheinender Subjektivität und kommunikativer Richtung, die auf der anthropologischen Grundtatsache beruht, daß jedes Wort untrennbar ein Gesprochenes und ein Gehörtes ist.53 Die Erzähler in den Geschichten von Gluck und Serapion, von Berklinger und vom lahmen Vetter (auch der Baron von B. müßte hier nochmals erwähnt provoziert, mit spürbarer Leidenschaftlichkeit die Gelegenheit, sein liebstes Theorem darzulegen und zu verteidigen. Denn wie er anschließend sagt, wurde „dieses Prinzip" nach dem Erscheinen der .Serapionsbrüder' von „einem strengen Mann verworfen", der darin eine Mißachtung der Verstandestätigkeit gesehen habe. Da es sich indessen gar nicht um ein Spannungsverhältnis zwischen Verstand und Phantasie handelt, fällt dem Autor die Antwort leicht. Er erklärt knapp und unwiderleglich, daß „die innern Augen, deren Blick die dichterische Anschauung bedingt, eben so gut im Kopf sitzen wie der Verstand", und der „heilige Serapion" habe an beide Kräfte gedacht, „als er jenes Prinzip aufstellte, nach dem man nur das lebendig und wahrhaftig ans Licht befördern kann, was man eben so im Innern geschaut". (Bezeichnenderweise vergißt Hoffmann hier, daß nicht Serapion, sondern der Freundeskreis jene poetische Ordensregel aufgestellt hat.) Und er schließt: „Ich bleibe bei diesem Prinzip!" Zur Ergänzung dieses Manifestes aber fügt er noch ein kurzes „Billet der reisenden Enthusiasten" bei (in der Manier der einstigen Kreisleriana), wo der Besuch einer Kunstausstellung geschildert wird, in der dem Erzähler plötzlich eines der Bilder lebendig wird - die innere Sehkraft also wie bei Serapion, d. h. beim „wahren Dichter", projizierend die Außenwelt überschichtet. Die seltsame Magie, welche die Uberschrift „Der Zuschauer" auf Hoffmann ausübte, blieb auch weiterhin bestehen und ließ ihn ein Jahr später das angeschlagene Thema in seinem bedeutendsten poetischen Programmstück, eben dem ,Eckfenster', gesteigert durchführen. Die Erzählung könnte selber ,Die Zuschauer' heißen, denn nur als solcher lebt der Vetter, von dem sie handelt, als ein Schauender im Hoffmannschen Sinn, der letzte und ergreifendste Bruder Serapions.
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werden) sind deshalb prononciert als zufällige Zeugen hingestellt, die nur f ü r einen Augenblick teilnehmen dürfen an der rastlosen Arbeit der einsamen Gehirne. Von einem unaufdringlichen Erzählmotiv aus haben wir also noch einmal Rückschau halten können auf die wichtigsten Ergebnisse des Kapitels, welche die Grundlage alles folgenden sein werden. Die methodische Schwierigkeit, welche zu Beginn dargelegt wurde, daß es nämlich mit Hoffmanns theoretischen Ausführungen und mit der Verläßlichkeit seiner diesbezüglichen Dikta seine Tücken habe, hat sich bestätigt, ebensosehr aber auch die Tatsache, daß der gleiche Hoffmann als Erfinder von Figuren, Situationen und Geschehnissen von einer Konstanz und Folgerichtigkeit ist, die bei sorgfältigem synoptischem Vorgehen feste, vielfach abstützbare Ergebnisse ermöglicht und damit auch zur kritischen Auswertung der essayistischen Teile seines Werkes durchaus Hand bietet. Noch einmal aber sei hier betont, daß die aufgedeckten Theorien über den Entstehungsprozeß des Kunstwerks und die von daher bestimmten Varianten der künstlerischen Arbeitsweise nicht unbesehen auf die Tätigkeit des Schriftstellers Hoffmann selber übertragen werden dürfen. Wir versprechen uns zwar von der Untersuchung dieser Relation wichtige Einsichten, gerade deshalb müssen wir jedoch umsichtig vorgehen und autobiographische Kurzschlüsse vermeiden.
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Es ist bezeichnend f ü r den geheimen Zusammenhang der scheinbar rein additiven ,Eckfenster'-Erzählung, daß darin die Anekdote v o m Mädchen v o r kommt, welches „niemals daran gedacht, daß die Bücher, welche sie lese, v o r her gedichtet werden müßten", und dem „der Begriff eines Schriftstellers, eines Dichters [ . . . ] gänzlich f r e m d " ist. „ I c h glaube w a h r h a f t i g " , meint der Vetter dazu, „bei näherer N a c h f r a g e w ä r e der [ . . . ] Glaube ans L i c h t gekommen, daß der liebe Gott die Bücher wachsen ließe wie Pilze" ( I V . 608). D a m i t w i r d eine radikale Gegenposition zu den Serapionfiguren bezeichnet: die Kunst als reines Äußeres, Opus ohne Actus.
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II. KAPITEL
DIE GEMALTE
GELIEBTE
Der Weg zur Selbsterkenntnis als Handlungsdiagramm. Die Möglichkeit des Scheiterns
Es hat sich erwiesen, daß die Genese eines Kunstwerks zu jener beschränkten Zahl von Vorgängen und Motivkomplexen gehört, die der ungestüm erfindende und erzählende Geist Hoffmanns immer wieder aufgreift und in wechselnden Formen zur Darstellung bringt. Dabei wurde eine Auffassung dieses Entstehungsprozesses sichtbar, die als durchaus persönlich und eigenständig betrachtet werden muß, eine A u f fassung, mit welcher der Dichter außerhalb der Denkweise seiner Zeit steht und Töne anschlägt, wie sie in solcher Radikalität erst später auch von anderswoher vernommen werden. Für H o f f m a n n gibt es keine Analogie mehr zwischen Natur- und Kunstprodukt, — nicht weil er das künstlerische Tun gegenüber der fraglosen Vollendung alles Gewachsenen als nichtig empfände, sondern umgekehrt: auf Grund einer schroffen Verneinung alles Natürlichen im Sinne des Vegetativ-Organischen. N u r im Innern des Einzelnen befindet sich das Absolute, das Göttliche, oder wie immer man das Mythologem nennen will, das der Dichter selber begrifflich nicht genau zu fassen weiß. Auf ihm beruht jenes besondere „Schauen", das Prinzip aller Kunst, welches Hoffmann, der philosophische Dilettant, so unbeholfen wie hartnäckig wieder und wieder formuliert, bezeichnenderweise gerade hier das Termini-Geschiebe der spätromantischen Koiné vermeidend. 1 A l s D i f f e r e n z i a l b e i s p i e l sei auf eine Stelle A c h i m v o n A r n i m s hingewiesen, eines A u t o r s , der H o f f m a n n b e e i n f l u ß t hat und auch seinerseits v o n ihm lernte. In seiner E r z ä h l u n g , D i e Majoratsherren' h a t er eine Stelle als v o n besonderer W i c h t i g k e i t gesperrt: „ . . . und es erschien überall d u r c h den B a u dieser W e l t eine höhere, w e l c h e den Sinnen nur in der Phantasie erkenntlich w i r d : in der Phantasie, die zwischen beiden Welten als V e r m i t t l e r i n steht und immer neu den toten S t o f f der U m h ü l l u n g zu lebender G e s t a l t u n g vergeistigt, indem sie das H ö h e r e v e r k ö r p e r t . " (Achim v o n A r n i m , Sämtliche R o m a n e und E r z ä h lungen, hg. v o n W a l t e r Migge. München 1965, B d . I I I , S. 63f.). F ü r A r n i m ist die Phantasie also wesentlich Erkenntnisorgan, das einzige Mittel, die w a h r 1
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Von diesen gefestigten Ergebnissen her muß es nun auch möglich sein, einen Motivzusammenhang zu erhellen, der bei der Lektüre des Gesamtwerks so unübersehbar hervortritt, daß an seiner zentralen Bedeutung für den Autor nicht zu zweifeln ist. Es handelt sich um das Thema der gemalten Geliebten, das wir bereits einmal gestreift haben, ohne damals näher darauf eingehen zu können. Es war dies beim Hinweis auf die Erzählung ,Die Jesuiterkirche in G.' aus den Nachtstücken. In der stufenweisen Entwicklung des Malers Berthold zu einem im Hoffmannschen Sinne wahren Künstler, die auf das Phänomen der Präformation des Kunstwerks hin untersucht wurde, spielte das Porträt der schönen Angiola eine entscheidende Rolle. Es handelte sich dabei um weit mehr als ein dramaturgisches Requisit, wie man es sonst etwa von der Bühne her kennt, wo das Bild der Geliebten einen eigentlichen Topos darstellt, einen Kunstgriff beim Bau der Exposition (man denke an die .Zauberflöte', an ,Turandot' und ,Maria Stuart'). Z w a r kommt der fragliche Gegenstand in dieser Funktion bei Hoffmann auch vor, aber nie isoliert, nie als reines Mittel zur Handlungssteigerung, sondern immer schon als Teil eines spezifischen Prozesses. Und diesen letzteren gilt es im gegenwärtigen Kapitel zu untersuchen. Es ist nicht allein die zahlenmäßige Häufigkeit des Themas, die eine eingehende Behandlung rechtfertigt, sondern auch die Tatsache, daß Hoffmann in seinen beiden Romanen jene Geschichte, welche den Schlüssel bieten soll zum Kern des Ganzen, als Geschichte von einer gemalten Geliebten konzipiert hat. Offensichtlich hat er darin eine einzigartige Möglichkeit gesehen, wichtigste Dinge unmißverständlich auszudrücken. Besonders fein gestuft und in allen Phasen ausgearbeitet erscheint der Vorgang, dessen Grundmodell wir also herausstellen möchten, in der Erzählung ,Der Artushof' (II. 145), von welcher schon im Zusammenhafte Beschaffenheit des Weltganzen, d. h. des sinnlich Faßbaren und des übersinnlich Jenseitigen in einem A k t zu erfassen. K n a p p e r gesagt: der Phantasie Arnims w i r d die Welt transparent. D a s phantastische Kunstwerk stellt somit f ü r ihn eine objektive Versöhnung der „beiden W e l t e n " dar. F ü r H o f f m a n n bewirkt die tätige Phantasie keine objektive Transparenz, sondern s c h a f f t p r o jizierend einen magischen Kreis um das erregte Ich, in dem dieses die gefährliche, aber einzig mögliche A r t von Freiheit findet.
Philosophiegeschichtlich
gesehen, steht A r n i m näher bei Schelling und Goethe, H o f f m a n n im Schattenwurf Fichtes. E r hätte, im Gegensatz zu A r n i m , den frühen Versen Brentanos zustimmen können: U n d w e r sich mit Liebe nicht selber umarmt, F ü r den ist das Leben zum Bettler verarmt. (Clemens Brentano, Werke, Bd. I , hg. von F r ü h w a l d , G a j e k und K e m p . M ü n chen 1 9 6 8 , S. 3 0 )
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hang mit dem Motiv der leeren Leinwand die Rede war. Es ist die Geschichte vom jungen Traugott, der in Danzig als Börsenkaufmann tätig ist, unmittelbar vor der Gründung einer Finanzcompagnie sowie vor der Heirat mit der Tochter seines Partners steht, und der, nach einer stürzenden Folge innerer und äußerer Abenteuer, in voller Künstlerseligkeit deutschrömischer Maler in Italien wird. Dieser Werdegang ist aufs engste mit einem Mädchengesicht verbunden. Man muß es so begrenzend formulieren, weil, wie sich zeigen wird, das gleiche holde Antlitz tatsächlich verschiedenen Individuen zukommt. Schon als Knabe fühlte sich Traugott von den altertümlichen Bildern im Danziger Börsensaal, dem ,Artushof', wunderbar angezogen, vor allem von der Figur eines Jünglings, „der in seiner Lockenfülle und zierlicher bunter Tracht beinahe weiblich anzusehen war" (II. 146), und in kindisch-spielerischen Zeichenversuchen bemühte er sich, den „schönen Pagen" abzubilden (II. 153). Nun, da er täglich am kommerziellen Betrieb teilnimmt, wirkt die seltsame Radiation des Freskos noch verstärkt auf ihn und bringt ihn mit seinem Metier in schlimme Konflikte. So passiert es ihm, daß er beim Schreiben eines dringlichen Geschäftsbriefes ungewollt ins Skizzieren gerät und jenen Jüngling samt dessen Begleiter, einem ernsten alten Mann, auf das Papier zeichnet. Diese halb traumhafte Tätigkeit entspricht der Tatsache, daß er gar nicht weiß, was ihn an dem Bild denn so berührt; er wird davor „jedesmal mit seltsamer unbegreiflicher Wehmut befangen", und aus dem bewunderten Gesicht strahlt ihm „eine ganze Welt süßer Ahnungen entgegen" (II. 146). Wehmut und süße Ahnungen, das sind leise Vorformen jenes höchsten Gefühls, der „Sehnsucht", die nicht auf ein Ziel gerichtet ist, sondern sich in sich selber erfüllt als die emotionale Erscheinungsform des inwendigen Absolutums (vgl. Anm. 43). Die erste Stufe der Künstler- und Selbstwerdung des Helden, ein sanft-skurriles Präludium, steht also bereits in ursächlicher Beziehung zu einem Bild. Was ungekannt in seinem Innern ruht, schimmert ihm in magischen Lichtern von der Wand entgegen, und er nimmt es gläubig als ein Wunderbares an. Von den Ausführungen des vorigen Kapitels her wissen wir, daß hier bereits die spezifisch Hoffmannsche Projektion spielt, jene zentrale Tätigkeit der Seele, welche nach den ersten leichten Regungen üblicherweise zu immer fabuloseren Erlebnissen des Helden führt, so lange, bis dieser erkennt, daß er alles im Grunde selbst veranstaltet hat, daß die Sonne, deren phantastische Protuberanzen ihn jagen, ängstigen und verzücken, in seiner eigenen Brust ruht. Das erste Mirakel geschieht im gleichen Moment, da Traugott die Zeichnung auf den Geschäftsbrief wirft: es klopft ihm einer auf die 40
Schulter, er wendet sich, hinter ihm stehen greifbar lebendig der ernste Alte und der „wunderbar schöne Jüngling", völlig so, wie sie vor ihm auf dem Papier, wie sie oben an der Wand sind, nur durch lange Mäntel unauffällig gemacht. „Blitz und Schlag" fahren durch Traugott, er starrt die beiden fassungslos an, da sind sie schon wieder in der Menge verschwunden. Wie er sich nach einiger Zeit erholt hat, stellt er fest, daß in ihm eine Wandlung vorgegangen ist; „es war ihm, als wisse er nun alles deutlich, was sonst nur Ahnung und Traum gewesen" (II. xjo). Er spricht kühn und selbstgewiß über Dinge der Kunst, wie er es bisher nie gewagt hat, und verteidigt vor allem die Gemälde des Artushofs, von denen „einzelne Figuren" ihn „mit deutlichen Worten daran gemahnt (hätten), daß er auch ein mächtiger Meister sei und schaffen und bilden könne . . . " ( i j o ) . Es ist offensichtlich: nach seiner tiefsten Überzeugung ist ihm ein Bote aus einer anderen Welt begegnet, aus den jenseitigen Bezirken, welche sein bisheriges Dasein jäh relativieren und in seiner Öde entlarven. Wenn das jahrhundertealte Bild lebendig wird und mitten durch seinen Alltag auf ihn zuschreitet, dann wird es zum Beweis, daß auch von der banalen Gegenwart des merkantilen Danzig aus ein Weg in höheres, nicht minder reales Leben führen muß. Traugott fühlt sich wie von einem Engel besucht und ist gleich bereit, dem wortlosen Ruf zu gehorchen. „Was hält mich ab, mich loszureißen von der verhaßten Lebensweise?" fragt er sich. „Kann ich denn nicht, statt meines unseligen Treibens, ein tüchtiger Maler werden?" (II. 152). Doch dieser Aufschwung dauert nicht lange an, es folgen Zweifel und schließlich quälerische Resignation. Zudem entpuppt sich wenig später das wunderbare Paar, das ihm erschienen ist, als der verrückte Maler Berklinger mit seinem Sohn, zwei stadtbekannte Gestalten, die gelegentlich im Artushof verkehren. Diese Entlarvung, die ihm ja eigentlich seine frühere Begeisterung endgültig lächerlich machen müßte, behebt indessen seine düstere Unruhe nicht, vor allem weil ihn der Jüngling bei der zweiten Begegnung wieder mit einem so „wehmütig freundlichen Blick" anschaut (II. 154). Er erbittet sich sogar die Erlaubnis, die Bilder des Alten einmal betrachten zu dürfen. Bei diesem Anlaß spielt sich die früher erwähnte Szene mit der leeren Leinwand ab. Sie macht dem Jungen allerdings keinen besonderen Eindruck, und auch die Gemälde aus Berklingers früherer Zeit sieht er sich mit Überraschung, aber ohne tieferes Empfinden an. Die Absicht des Besuches ist damit erfüllt; er wendet sich zum Gehen, zurück ins Geschäft und zu seiner kochtüchtigen Braut. In diesem Augenblick ereignet (oder wiederholt) sich etwas uns prinzpiell nun bereits Bekanntes: „Schon wollte Traugott ins Vorzimmer zurückkehren, als er dicht an der Tür ein Bild wahrnahm, vor
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dem er wie festgezaubert stehenblieb. Es war eine wunderliebliche Jungfrau in altteutscher Tracht, aber ganz das Gesicht des Jünglings, nur voller und höher gefärbt, auch schien die Gestalt größer. Die Schauer namenlosen Entzückens durchbebten Traugott bei dem Anblicke des herrlichen Weibes. An K r a f t und Lebensfülle war das Bild den Van Dykschen völlig gleich. Die dunklen Augen blickten voll Sehnsucht auf Traugott herab, die süßen Lippen schienen halb geöffnet liebliche Worte zu flüstern! - ,Mein Gott! - mein Gott!' seufzte Traugott aus tiefster Brust: ,wo! - wo ist sie zu finden?' - ,Gehen wir', sprach der Jüngling. Da rief Traugott wie von wahnsinniger Lust ergriffen: ,Ach sie ist es ja, die Geliebte meiner Seele, die ich so lange im Herzen trug, die ich nur in Ahnungen erkannte! - wo - wo ist sie!'" (II. 158) Es ist das gleiche Gesicht, das den Knaben im Artushof so merkwürdig bewegte, das ihn später bei der Börsenarbeit um die Seelenruhe brachte, das ihm mit dem jungen Berklinger lebendig begegnete, ihn zunächst aufwühlte und dann zu sachlicher Haltung beruhigte. (Der wahnsinnige Alte ahmte, wie man in Danzig wußte, absichtlich jenes Wandbild nach, von der zufälligen Ähnlichkeit dazu veranlaßt). Nun aber erweist sich diese Dämpfung als täuschend; das Innere Traugotts braust vulkanisch auf: er begreift die tiefste Sehnsucht seines Lebens als die Sehnsucht nach diesem hier gemalten Mädchen. Bei der Begegnung im Artushof wurden ihm seine Ahnungen zum ersten Mal überhaupt als solche bewußt; hier nun haben sie sich in klare Erkenntnis gewandelt: alles ihm mögliche Glück hängt vom Besitz des Mädchens ab, der „Geliebten seiner Seele". Der junge Berklinger setzt diesen Hoffnungen allerdings gleich drastische Grenzen, indem er erklärt, das Porträt stelle seine verstorbene Schwester Felizitas dar. Dennoch steht Traugotts Entschluß fest: ein solches Maß von Schönheit, wie es dieses Bild erreicht, ist ihm noch nie begegnet; so will er malen können; er bittet Berklinger, ihn zum Schüler anzunehmen. Es ist eines der bedeutendsten Charakteristica der Hoffmannschen Erzählungen, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle seine Helden ständig ironisiert werden. Das unterscheidet sie von vielen romantischen Traumläufern, besonders von jener Filiation, die von ,Heinrich von Ofterdingen' durch die Metamorphosen der ersten Jahrhunderthälfte zum ,Nachsommer' führt. Hoffmanns Geschöpfe gehören da, wenn man eine ähnlich oberflächliche Parallele ziehen will, eher auf die Linie zwischen den ,Flegeljahren' und dem ,Grünen Heinrich'. Dabei liegt das Meßprinzip, welches diese Ironie bestimmt, weder in einem JeanPaulschen Unendlichkeitsbegriff noch in Kellers Wissen um das Rechte Leben in Vergänglichkeit, sondern in der Tatsache, daß alle diese stür-
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menden und strauchelnden Anselmi durch hundert Verzwickungen dem nachjagen, was sie von Anfang an schon unwissend besitzen. Solche Ironie verwirklicht sich in unserer Erzählung nun zum Beispiel darin, daß, wie der Leser ahnt und der Autor später zugibt, der „wunderschöne Jüngling" in Wahrheit die verkleidete Felizitas ist, die der Vater aus abergläubischen Gründen männlich kaschiert. So verzehrt sich Traugott nun beinahe vor Sehnsucht nach dem Mädchen, mit dem er in Wirklichkeit täglich spricht. Da er jenes Gemälde zudem nicht mehr zu Gesicht bekommt, muß er sich an seine eigenen „wunderbaren Träume" halten, in denen er Felizitas immer wieder sieht; allerdings kommt es ihm auch in der Nähe des „Jünglings" oft vor, „als stehe lichthell das geliebte Bild neben ihm" (II. 160). So komödiantisch die Situation ist, so sehr sie alter Novellentradition entspricht, wir dürfen darüber doch die Anstrengung nicht übersehen, mit der der Autor das schöne Antlitz von seiner Trägerin zu lösen bemüht ist. Es erhält gegen den Willen Traugotts, und ohne daß es ihm zu Bewußtsein kommt, eine wachsende Eigenständigkeit; schon beim letztzitierten Satz können wir nicht mehr sagen, ob der Ausdruck „das geliebte Bild" nun das Porträt oder dessen Modell oder die Phantasieform beider im Innern des Jungen meint. Deshalb wischen ja auch die Träger des schönen Gesichts — der Jüngling bei der ersten Begegnung im Artushof; das Gemälde im Atelier Berklingen — nur flüchtig vor den Augen Traugotts vorüber, um ihm in einer Schrecksekunde den Brand in die Brust zu werfen. Wie sehr diese Beobachtung zutrifft, zeigt das unmittelbar folgende Abenteuer. Als Traugott einmal verspätet zum Haus des Malers kommt, hört er darin zu seiner Überraschung Lautenklänge: „Er horchte - wie leise Seufzer schlich ein abgebrochener Gesang durch die Akkorde hin. Er drückte die Tür auf - Himmel! den Rücken ihm zugewendet saß eine weibliche Gestalt, altteutsch gekleidet mit hohem Spitzenkragen, ganz der auf dem Gemälde gleich! - Auf das Geräusch, das Traugott unwillkürlich beim Hereintreten gemacht, erhob sich die Gestalt, legte die Laute auf den Tisch und wandte sich um. Sie war es, sie selbst! - ,Felizitas!' schrie Traugott auf voll Entzücken, niederstürzen wollte er vor dem geliebten Himmelsbilde, da fühlte er sich von hinten gewaltig gepackt . . . " (II. 160). Der Alte wirft ihn zum Haus hinaus; Traugott ist halb wahnsinnig vor Liebesqual; anderntags steht die Malerwohnung leer, Bild und Jüngling (und Felizitas) sind verschwunden. Für den behutsamen Leser sind diese Ereignisse durchaus nicht rätselhaft. Er weiß, daß der harmlose Spleen des Alten an den verschiedenen Bekleidungen des Mädchens Schuld trägt. Dem Jungen hingegen ist jede Phase ein erneutes Wunder, jede Begegnung mit dem schönen Antlitz 43
erscheint ihm als jäher Riß durch den Schleier von Sais, dessen Wirkung auf sein Inneres auch bestehen bleibt, wenn ihm die natürliche Erklärung langsam deutlich wird. Um es ganz konkret zu sagen: der Wahnsinn des Malers besteht darin, daß er ein Meister aus dem 15. Jahrhundert zu sein glaubt, jener Mann, der im Artushof abgebildet ist; deshalb muß seine Tochter, wenn er ihr zu Hause weibliches Gewand gestattet, altteutsche Tracht tragen, und deshalb hat er sie auch so gemalt. Traugott nun sieht zuerst das Porträt als das einer Verstorbenen und dann zufällig das Mädchen in seinem kuriosen Hauskleid: er erlebt bei vollem Bewußtsein, daß ein gemaltes Bild, an dem er in besonderer Weise hängt, vor seinen Augen lebendig wird; der Vorgang im Artushof (mit dem gemalten und dem lebendigen Jüngling) wiederholt sich somit in intensiverer Form. Und erneut geschieht dies in der kleinstmöglichen Zeiteinheit, dem Liebesaugenblick, der als ein Hoffmannscher Topos bezeichnet werden muß. Aus den bereits erwähnten Werken sei nur an die analoge Stelle in der ,Jesuiterkirche' erinnert (I.432). Diese Reduktion der entscheidenden Begegnung auf einen einzigen jähen Moment ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sie zeigt, wie sehr es hier um den reinen Erkenntnisakt des Helden und nicht um ein personales Zusammenfinden geht. Daher ist es auch nur eine novellentechnische Frage, ob jener Vorgang, die Verlebendigung des geliebten Bildes, auf einer Projektion des Helden beruht oder, wie in unserem Fall, auf unbegriffenen Realitäten. Eines allein ist wichtig: daß der junge Mann ein greifliches und erstrebbares Ziel seiner Sehnsucht vor Augen gestellt bekommt, ein Ziel, das ihn vorerst diese Sehnsucht als solche erkennen läßt, dann aber auch zum Aufbruch aus dem blinden Leben bewegen kann, zur kompromißlosen Jagd nach dem höchsten je von seinen Sinnen Erfaßten. Am Ende jedoch, in der letzten und gefährlichsten Metamorphose, wird er dieses Ziel als gar nicht außer ihm existent begreifen müssen, als den reinen Spiegelwurf seines Innersten, die einzige Gestalt, in der dieses letztere überhaupt erkennbar ist. ,Der Artushof' ist eine der wenigen Erzählungen Hoffmanns, in welchen der schwierige Prozeß vom Helden ohne Hilfe bestanden wird; sonst stehen den jungen Enthusiasten meist die überlegenen Mentorfiguren zur Seite, die ihnen zwar kein Stolpern und keinen peinvollen Salto ersparen (im Gegenteil, sie stoßen oft genug noch kräftig nach), die aber doch dafür zu sorgen trachten, daß die Entwicklung nicht auf einer Vorstufe zum Stillstand kommt. Denn wo dies passiert, und es gibt bei Hoffmann schauerliche Beispiele, besteht nicht nur die Gefahr eines verstärkten „Philistrismus" (II. 47), sondern von Verbrechen, Totschlag und Selbstmord. Der kapitale drohende Fehlschritt ist dabei stets die Heirat, der physische Besitz
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der Geliebten, der natürlich die entscheidende „Umkehr", die Erkenntnis des schönen Antlitzes als Spiegelbild des eigenen Ich, unmöglich macht. N u n ist es wohl ohne weiteres verständlich, daß eines der wichtigsten Motive im Handlungsgeflecht um das Wachsen ebendieser Erkenntnis die gemalte Geliebte ist, daß sie in so vielen Geschichten Hoffmanns an so wesentlichen Stellen des Ablaufs vorkommt. Je nachdem, in welcher Phase des Prozesses das Porträt vom Autor eingesetzt wird, bildet es eine Vorstufe zur Begegnung mit dem wirklichen Mädchen (das Bild wird lebendig) oder aber den Abschluß dieser Begegnung, das Symbol der erreichten Einsicht (die Geliebte wird zum Bild); nicht selten finden sich in der gleichen Erzählung beide Möglichkeiten. In unserem Fall, dem ,Artushof', w o wegen der fehlenden Mentorgestalt das Motiv in so vielen Funktionsvarianten aufgeboten wird wie, von den ,Elixieren des Teufels' abgesehen, sonst wohl nie, hat sich das erstere Geschehen, wie wir verfolgen konnten, in spektakulärer Form abgespielt; wir stehen also in der Mitte des Ganzen. Traugott ist über dem Verschwinden des Malers und seines Anhangs in neue Depressionen versunken und brütet Resignationsgedanken: „ ,Ach', sprach er, ,bittre, bittre Täuschung war mein Beruf zur Kunst; Felizitas war das Trugbild das mich verlockte zu glauben an dem (sie!),2 das nirgends lebte als in der wahnsinnigen Fantasie eines Fieberkranken.' " (II. 162). Damit spricht er in seiner Trübsal ironischerweise genau die Wahrheit aus, auf die sein Lebensgang zustrebt, die er aber noch nicht zu begreifen vermag. Sein Kunsttraum ist für ihn noch untrennbar verbunden mit dem Besitz des Mädchens Felizitas; ihr Verlust lähmt ihm alles Streben. Der Gedanke, sie könnte ein Phantasma gewesen sein, der später zum Angelpunkt seines Künstlerlebens wird, läßt ihn jetzt erneut an die Börse und zu seiner braven Christine zurückkehren, w o ihm für kurze Zeit nichts von dem erlebten Glänze übrigbleibt als die „herzzerschneidende Wehmut" beim Anblick des alten Wandbilds. Für kurze Zeit: denn unversehens erfährt er, was andere schon längst wissen, daß der verrückte Berklinger wirklich eine Tochter hat (bald im Pagen-, bald im altfränkischen Frauenkleid) und jetzt „in Sorrent" wohnt. Und wie Traugott durch jede Aufhellung in einen neuen Irrtum fällt, denkt er auch jetzt bei „Sorrent" nur an Italien, nicht an das gleichnamige Landhaus bei Dan-
Es handelt sich bei dieser, in verschiedenen Ausgaben korrigierten Wendung um eine Eigentümlichkeit Hoffmanns. So heißt es in der Hexen-Diskussion der Serapionsbrüder: „ G e w i ß ist es, daß [ . . . ] jene unglücklichen Wesen, die man so grausam mit Feuer und Schwert verfolgte, an allem dem wirklich glaubten, dessen man sie beschuldigte" (II. 527).
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zig, wo Felizitas tatsächlich zu finden wäre. Mit doppelter K r a f t erfaßt ihn der Furor, tobend löst er die Verlobung auf: „ ,Ich werde Christinen nimmermehr heiraten', schrie er, ,sie sieht der Voluptas ähnlich und der Luxuries, und hat Haare wie die Ira auf dem Bilde im Artushof. - O Felizitas, Felizitas! - holde Geliebte - wie streckst du so sehnend die Arme nach mir aus! - ich komme! - ich komme!' " (II. 163). Und er reist stracks nach Italien. Die Fahrt ist, von seinen Absichten aus gesehen, ebenso grotesk wie jene Szenen, da er neben der verkleideten Geliebten sehnsüchtig an diese denkt. Dennoch tut er hier wie dort genau das Richtige; das komische Mißverständnis führt ihn jenen Weg, den er zu seinem Glück gehen muß, den er aber sonst nie beträte, — solange nicht, als er das Ziel seines inneren Dranges als die Umarmung der lebendigen Felizitas mißversteht; oder anders gesagt: solange, als das lebendig gewordene Bild nicht erneut ins Unvergängliche transformiert worden ist. Dieser Prozeß setzt denn auch ein, sobald er im „Land der Kunst" (II. 163) anlangt. Die Freundschaft und die gemeinsame Arbeit mit den deutschrömischen Malern dämpft seine Rastlosigkeit. Zwar will er unverwandt nur eines: Felizitas finden; - „aber milder war die Sehnsucht geworden, sie gestaltete sich im Innern, wie ein wundervoller Traum, dessen duftiger Schimmer sein ganzes Leben umfloß [ . . . ] . Jede weibliche Gestalt, die er mit wackrer Kunstfertigkeit zu schaffen wußte, hatte die Züge der holden Felizitas" (II. 164). Nun malt er also das geliebte Antlitz selber; die entscheidende Gegenbewegung, die zur vollen Erkenntnis der zeitlosen Immanenz des Bildes führen muß, ist damit im Gange. Aber wie alle Inbrünstig-Naiven Hoffmanns hat er schwer, umzudenken, ja er könnte es überhaupt nicht, wenn ihm nicht das Leben oder besser: der Autor, dem an seiner paradigmatischen Novelle gelegen ist, weiterhin mit stürmisch pädagogischen Abenteuern auf den Fersen bliebe. Und hier nun leistet sich dieser Erzähler etwas, das den unbefangenen Leser trotz der komödiantischen Schleier leicht schockiert, das aber gerade deshalb besonders aufschlußreich ist. Plötzlich geht nämlich die Rede, das Mädchen, welches Traugott auf tausend Bildern darstelle, befinde sich in Rom, man habe sie gesehen, sie sei „die Tochter eines armen alten Malers [ . . . ] , der eben jetzt die Wände in der Kirche Trinità del Monte anstreiche" (II. 164). Traugott stürmt los, sieht sie von fern, ruft: „Sie ist es!" und stürzt zu der Erschrockenen hin. Und nun fährt Hoffmann unverfroren weiter: „Sie hatte die Züge der Felizitas, sie war es aber nicht" (II. 165). Zu all den Varianten des einen Gesichts, die in der kurzen Erzählung bisher aufgeboten wurden, kommt also eine weitere in Gestalt einer fast perfekten physiognomischen Ver46
dopplung der Felizitas. Wenn bis jetzt noch Zweifel an der hinter den phantastischen Tumulten versteckten Methode vorliegen konnten, so dürften sie nun endgültig beseitigt sein. Um das Antlitz der Felizitas als ideellen Urbesitz Traugotts zu erweisen, muß Hoffmann die Identität von Gesicht und Seele auflösen, die ein Grundbestandteil spontaner anthropologischer Erfahrung ist. Und dieses Auflösen kann nicht radikaler geschehen als durch die Verdopplung der äußern Erscheinung. Dabei drängt sich natürlich die Erinnerung an Kleist auf, an Alkmene vor den zwei Amphitryonen; aber bei Hoffmann steht der Vorgang in anderer Beleuchtung. Was Kleist im Innersten bewegt, ist die Beschaffenheit einer Welt, in der solche Duplikation des beseelten Leibes möglich ist; für Hoffmann steht diese Beschaffenheit von vornherein fest. Die Verdopplung der Geliebten, wenn sie von einem Helden Kleists erfahren wird, gleicht einem Blick in den Tartarus, - durch einen Riß hindurch, der sich nie mehr schließen kann. Hoffmann bewerkstelligt sie mit einer fast anstößigen Leichtigkeit, als ein Mittel, den Helden zum Kapieren dessen zu bringen, was er zu seinem eigenen Heil nun endlich einmal kapieren soll. Daß das Römermädchen Dorina die gleichen Züge trägt wie Felizitas, ist von Hoffmann nicht als ein metaphysischer Genickschlag für Traugott gedacht, sondern als hilfreiche Belehrung. Diese zeitigt denn auch bald einmal die gewünschte Wirkung. Z w a r fühlt sich der junge Künstler durch die Täuschung zunächst „wie mit tausend Dolchen durchbohrt" (II. 16$), aber wenig später folgen sanftere Regungen. „Traugott mußte gestehen, daß außer Felizitas kein Mädchen so ihn im Innersten aufgeregt hatte als Dorina" (II. 165). Auch erfaßt er die Differenz zwischen den beiden Frauen in höchst bezeichnender Weise: „Es war dasselbe Bild von Raffael und von Rubens gemalt" (II. 165). Ob dazu noch Unterschiede psychischer Natur, Nuancen in der Physiognomie der Seele vorliegen, danach wird überhaupt nicht gefragt. Es geht um das Gesicht und um nichts anderes, und da lassen sich die Stufungen am besten mit kunstgeschichtlichen Kriterien fassen. Der Satz lautet ja auch nicht, wie man erwarten könnte: „Es war dasselbe Mädchen, von R a f f a e l und von Rubens gemalt", sondern: „dasselbe Bild", was man wohl mit Recht in Zusammenhang bringen darf zu Traugotts Traumbesitz, zu jenem Gesicht, das er seit je in sich trägt, das ihn Felizitas lieben ließ und das ihn nun auch mit Dorina in ein ähnliches Verhältnis bringt. Aber da es sich jetzt um zwei Geschöpfe handelt, wird ihm die irrige und potentiell verhängnisvolle Identifizierung seiner innersten Seelensehnsucht mit dem Streben nach Umarmung und Zusammensein außerordentlich erschwert. E r gerät in den letzten Zwiespalt, auf den die endgültige Klärung folgen muß.
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N a c h einigen W o c h e n freundschaftlichen und immer herzlicheren U m gangs mit D o r i n a fordert der A l t e n ä m l i c h die V e r l o b u n g ; der R u f des Mädchens sei sonst gefährdet. T r a u g o t t erschrickt: „Felizitas stand i h m w i e d e r lebhaft v o r Augen, und doch w a r ihm, als könne er D o r i n a nicht lassen" (II. 166). Er muß sich entscheiden und w e i ß doch nicht, wie er es anstellen soll. Z w a r formt sich die erlösende Einsicht schon mit deutlichen K o n t u r e n in seinem mühsamen K o p f , aber er w a g t den schwebenden G e d a n k e n noch nicht mit W i l l e n z u erfassen und z u m Fundament v o n Entschlüssen und Taten zu machen. „ A u f wunderbare Weise konnte er sich den Besitz der entschwundenen Geliebten als Frau nicht w o h l denken. Felizitas stellte sich ihm dar als ein geistig Bild, das er nie v e r lieren, nie gewinnen könne. E w i g
geistiges Inwohnen
der
Geliebten
- niemals physisches Haben und Besitzen. - A b e r D o r i n a k a m ihm o f t in G e d a n k e n als sein liebes W e i b [ . . . ] , und doch dünkte es ihm V e r r a t an seiner ersten Liebe, wenn er sich mit neuen unauflöslichen Banden fesseln ließe" (II. 166). D e n n er w e i ß : Felizitas lebt irgendwo, w a r t e t vielleicht auf ihn; wie sollte er sie d a „als ein geistig B i l d " auffassen können, auch w e n n ihm solches immer w i e d e r v o r k o m m t ? So zieht er denn t a p f e r die Konsequenzen u n d n i m m t die Suche wieder auf, o b w o h l der Abschied v o n Dorina bitter ist. E r geht nach Sorrent; niemand w e i ß e t w a s v o n Felizitas; er bleibt u n d w a r t e t und übt sich in seiner K u n s t . D i e beiden Schönen schweben ihm u n v e r r ü c k t im Sinn, w o b e i die scholastische Differenzierung seiner G e f ü h l e bestehen bleibt: auf der Straße r u f t ihm jedes schöne Mädchen die D o r i n a vor A u g e n , beim M a l e n denkt er einzig an Felizitas (II. 167). Eigentlich w ä r e damit alles entschieden, - w e n n T r a u g o t t es nur merken w o l l t e . A b e r diese treuherzige S c h w e r f ä l l i g k e i t gehört nun einmal wesentlich z u den H e l d e n v o n H o f f m a n n s Erziehungsnovellen,
eine S c h w e r f ä l l i g k e i t ,
die nur den
wiederholten
u n d massiven Stößen der jeweiligen Mentoren oder, w i e in unserm Falle, des jederzeit sichtbaren, schicksalspinnenden Erzählers weicht. Dieser bringt denn auch in einem rasanten S c h l u ß die Sache zur fälligen L ö sung. T r a u g o t t w i r d geschäftlich n a c h D a n z i g gerufen, merkt endlich seine groteske Verwechslung der beiden „ S o r r e n t " und vernimmt, d a ß „ M a m s e l l Felizitas" inzwischen ohne weitere M i r a k e l den H o f -
und
K r i m i n a l r a t Mathesius geheiratet, sogar die Familie bereits respektabel v e r m e h r t hat. D e r junge M a l e r w i r d f ü r kurze Zeit v o n dem z u e r w a r tenden „ w i l d e n Jammer" (II. 168) e r f a ß t ; dann bricht die befreiende Erkenntnis durch, auf welche die g a n z e E r z ä h l u n g v o n A n f a n g gezielt h a t : „ N e i n , nein, Felizitas, nie habe ich dich verloren, du bleibst mein immerdar, denn du selbst bist j a die schaffende Kunst, die in mir lebt. N u n - nun erst habe ich dich erkannt. W a s hast du, was habe ich mit
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der Kriminalrätin Mathesius zu schaffen!" (II. 169). Und wieder reist er nach Italien, Feligitas für immer in der Brust und auf immer in die Arme der Dorina. Den Schlüsselsatz bildet zweifellos der Ausruf: „Du selbst bist ja die schaffende Kunst, die in mir lebt"; und er wird profiliert durch die trotz allem erstaunliche Bemerkung: „Was hast du (i.e. Felizitas) mit der Kriminalrätin Mathesius zu schaffen!" Damit ist der Kreis geschlossen, das geliebte Gesicht hat sich endlich als seit jeher besessenes Gut erwiesen. Die schöne Malerstochter aber (die ihn immerhin einst auch geliebt hat, wie Hoffmann unverkennbar deutlich macht) ist nun kaum mehr als ein ausgedienter Spiegel, ja es fällt sogar eine Spur bösen Hohns auf sie, - weil sie als Person geliebt wurde, obwohl nur ihre Außenseite von Bedeutung war! Wie früher die harmlose Christine kommt sie in ein fahles Licht, in die nur halbwegs komische Vergleichbarkeit zu Ira, Voluptas und Luxeries (vgl. S. 46). Diese plötzlich aufbrechende Härte den über lange Strecken hin durchaus liebenswürdig, gelegentlich sogar ergreifend gezeichneten Mädchengestalten gegenüber ist bei Hoffmann oft festzustellen; es ist eine Inkonsequenz innerhalb des einzelnen Stücks, die auf einer tieferen, unerbittlicheren Konsequenz beruht. Das bekannteste Beispiel dürfte die Beziehung zwischen Anseimus und Veronika im ,Goldnen Topf* darstellen; vielleicht am krassesten erscheint die erzählerische Gewaltsamkeit in der .Brautwahl', wo die entzückende Albertine auf der letzten Seite mit einem einzigen unguten Satz schroff und für den unbefangenen Leser geradezu empörend ins Philiströse umgestaltet wird.' Diese eigentümliche Lieblosigkeit um des Höheren willen stellt eine wichtige Dimension in Hoffmanns erzählter Welt dar, und es ist kein Zufall, daß Jean Paul in seiner Vorrede zum ersten Band der ,Fantasiestücke', die auf Ersuchen des befreundeten Verlegers zustande kam, gerade aus solchen Tendenzen einen harten Vorwurf machte. Der Abschnitt sei hier zitiert; er kann manches verdeutlichen. Jean Paul schreibt: „Ein Künstler kann leicht genug - Beispiels halber sei es unser Verfasser - aus Kunstliebe in Menschenhaß geraten, und die Ro-
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„ E d m u n d , so schmerzlich ihm die Trennung von der Geliebten werden mußte, fühlte doch den dringenden Trieb zu wallfahrten nach dem Lande der Kunst und auch Albertine dachte, während sie die bittersten Tränen vergoß daran, wie interessant es sein würde, in diesem, jenem Tee, Briefe, die sie aus R o m erhalten, aus dem Strickkörbchen hervorzuziehen" ( I I . 5 9 7 ) . - D e r „ T e e " , als gesellschaftliche Veranstaltung, ist in H o f f m a n n s W e r k ein Übel v o n fataler Gewalt. D a s M o t i v erscheint so häufig und in der Wertung so stereotyp negativ, daß er es bei der bloßen Erwähnung bewenden lassen kann, wenn eine G e stalt degradiert werden soll.
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senkränze der Kunst als Dornenkronen und Stachelgürtel zum Züchtigen verbrauchen. Inzwischen bedenk er doch sich und die Sache! Die durch Kunstliebe einbüßende Menschenliebe rächt sich stark durch Erkältung der Kunst selber; denn Liebe kann wohl der Meßkünstler, Denkkünstler, Wappenkünstler entbehren, aber nicht der Künstler selber, er sei einer in welchem Schönen er's wolle. Liebe und Kunst leben gegenseitig ineinander, wie Gehirn und Herz, beide einander zur Wechselstärkung eingeimpft" (1.9). Ob hier wirklich der ganze Jean Paul spricht (es ist wohl eher Walt als Vult), braucht uns weiter nicht zu beschäftigen. Es bleibt jedenfalls aufschlußreich, wie klar schon bei den ersten Veröffentlichungen Hoffmanns spezifischer Ton vernommen wurde. Daß der Dichter über den Kommentar des berühmten Romanciers nicht eben begeistert war, kann man verstehen. Seine Reaktion ist uns in einem Brief an Kunz vom 24. März 1 8 1 4 überliefert; sie zeugt von einer spürbaren Erbitterung. Zu dem präzisen Vorwurf nimmt er dabei in seltsamer Weise Stellung: „Was aber seine Ermahnung zur Menschenliebe betrifft, so habe ich ja dieser Liebe beynahe zu viel gethan, indem mir oft vor lauter Liebe ganz schwächlich und miserabel zu Muthe worden, daß ich Wein und Arak nachtrinken müssen". Hoffmann spielt hier auf seine Leidenschaft zu Julia Mark an, die der Adressat des Briefes in allen Phasen miterlebt hat. E r wehrt damit Jean Pauls Argument beinahe sophistisch ab, indem er die von jenem geforderte Duldung des Nächsten bewußt mißversteht und aus den Qualen der Julia-Affäre geradezu ein Recht zu seiner umstrittenen Haltung ableitet, — eine Parade des Juristen Hoffmann, für die es in den biographischen Zeugnissen noch verschiedene Parallelen gibt. Dennoch ist die Sache nicht so einfach, wie Jean Paul sie sieht, von den ihm vorliegenden Stücken aus vielleicht auch sehen mußte. Seine Formel „Menschenhaß aus Kunstliebe" führt nämlich insofern irre, als nicht die Kunst (i. e. eine ungehemmte Apotheose der Kunst) für Hoffmann das letzte Ziel ist, dem er alles opfert, sondern die in der künstlerischen Tätigkeit mögliche Erfahrung des namenlosen menschlichen Innersten als eines Absolutums. Deshalb stellt die Abkehr vom umworbenen Mädchen für den jeweiligen Helden keinen Treubruch seiner Liebe gegenüber dar. Indem er erkennt, daß diese Liebe gar nie der Person gegolten hat, sondern einzig der äußerlichen Verkörperung seines Traumbilds, muß er sogar, um treu zu sein, die Trennung betreiben. Da aber Hoffmann als Erzähler auch die Perspektive der Mädchen durchzuhalten hat, denen er schwerlich die Einsicht in den subtilen Unterschied zwischen ihrer Person und ihrer Außenseite zumuten kann, greift er, wie gesagt, meist zum Mittel einer leichten Charakter5°
Verschiebung und erklärt sie kurzerhand zu glücklichen Philisterinnen. Dies ist nicht voreilig als schriftstellerische Unbekümmertheit zu tadeln, denn die Durchgestaltung der angelegten Problematik könnte zu im strengsten Sinne tragischen Situationen führen. Hoffmann hat diese Möglichkeit ein einziges Mal verfolgt, im Kreisler-Roman, und das Gespräch darüber zwischen Meister Abraham und der Rätin Benzon gehört denn auch zu den großen Stellen seines Werks (III. 499ff.). Wenn es nun, um zur Erzählung ,Der Artushof' und zum Motiv der gemalten Geliebten zurückzukehren, verständlich geworden ist, warum Traugott die lebendige Felizitas so leicht und lachend sein läßt, so bleibt gerade in diesem Werk ein Knoten bestehen, der unsere Theorie in Frage zu stellen scheint. Denn Traugott heiratet ja trotzdem, und ein Mädchen mit dem gleichen Gesicht.4 Ist also die Künstler-Ehe, die in der selben Novelle als das schwarze Unheil dargestellt wird, plötzlich doch wieder möglich? Man kann es nicht bestreiten, so sehr es vielen fundierten Untersuchungen zur Liebesproblematik in Hoffmanns Werk zu widersprechen scheint. Die Lösung liegt indessen gar nicht so weit ab: Traugott kann Dorina heiraten, weil sie in Rom lebt, in der „Heimat der Kunst". Wir stoßen damit auf einen für den Dichter sehr wichtigen Ideenzusammenhang, den wir unter dem Begriff der „Utopie einer Künstlergesellschaft" fassen. Es ist hier noch nicht der Ort, darauf näher einzugehen; der Hinweis aber gehört unbedingt in eine Interpretation dieser Novelle (vgl. unten Kap. IV). Von der Erzählung ,Die Brautwahl' war vor kurzem die Rede als von einem Beispiel für Hoffmanns Bemühen, das Mädchen abzuschütteln, nachdem der Held auf den rechten Weg gebracht ist. Dieser rechte Weg ist der gleiche wie im ,Artushof': die Straße nach Italien. Noch nicht erwähnt aber wurde, daß auch hier das Porträt der Geliebten in der Handlung ausschlaggebende Bedeutung gewinnt. Nun ist zwar der werdende Maler Edmund nur eine von den zahlreichen Gestalten, die in dieser „Berlinischen Geschichte" (II. 590) durcheinanderwirbeln, aber gerade deshalb muß der Autor an ihm den nun bekannten Prozeß mit besonderer Konzentration zu Ende führen. Dieser schriftstellerischen 4
K a r l L u d w i g Schneider, der in seinem aspektreichen A u f s a t z über ,Künstlerschicksal und Philistertum im W e r k E . T . A . H o f f m a n n s ' (in ,Die deutsche Romantik', Göttingen 1 9 6 7 , hg. v o n H a n s Steffen) die allzu biographisch ausgerichtete Arbeit v o n Joachim Rosteutscher (,Das ästhetische Idol im W e r k e v o n Winckelmann, N o v a l i s , H o f f m a n n , Goethe, George und Rilke, Bern 1 9 5 6 ) mit N a c h d r u c k korrigiert, spricht in dem Abschnitt über den ,Artushof' nur v o n der Polarität Christine-Felizitas. W i e sich Dorina mit H o f f m a n n s „ F o r d e rung des Künstlerzölibats" (S. 2 1 3 ) vereinigen läßt, w i r d nicht geklärt.
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Aufgabe haben wir es wohl zu verdanken, daß Hoffmann hier Sinn und Funktion der gemalten Geliebten nicht nur zeigt, sondern mit einer Präzision benennt, wie wir es von ihm sonst nicht gewohnt sind. Die Geschichte findet ihren effektvollen Schluß in einem bewußt und zugegebenermaßen Shakespeare nachgebildeten Auftritt, einer Kästchenszene wie im .Kaufmann von Venedig'. 5 Dort erhält derjenige Freier die schöne Portia, der die Schatulle mit ihrer Miniatur wählt; das Bildnis steht in selbstverständlicher Weise für die Dargestellte. Bei H o f f mann nun ist alles auf den ersten Blick gleich („der, der Albertines Bildnis gefunden, erhält ihre Hand" [II. 587]); die zwei lästigen Anwärter bekommen die erwartete Abfuhr, Edmund umarmt die erwartete Braut. Die Sprüche des Kästchens aber, von der Mentor-Gestalt des Goldschmieds angebracht, weisen in ganz anderer Richtung. Außen steht der Satz: „Wer mich erwählt, dem wird geträumte Seligkeit" (II. $96). Edmund faßt dies unmittelbar als „die Seligkeit, von der man träumt", als Hinweis auf den Besitz Albertines, und er findet denn auch ihr Bild im Innern. Dabei aber steht, kaum beachtet, der Vers: J a du trafst es, lies dein Glück In der Schönsten Liebesblick. Was da war, kommt nie zurück, So will's irdisches Geschick. Was dein Traum dir schaffen muß Lehrt dich der Geliebten Kuß.
(II. 596)
Die letzten zwei Zeilen zeigen den von Edmund mißverstandenen Sinn des vorgehenden Satzes auf; sie erweisen ihn als Orakelspruch für eine Zukunft ohne Braut und Gattin. Der „Traum" ist nicht Vorstufe des realen Liebes-Glücks, sondern umgekehrt: die Begegnung mit der Geliebten, der „ K u ß " , ist das unabdingbare, aber rasch verstreichende Präludium zum „Traum" als Ziel, zum alterslosen Besitz des Mädchens als phantastisches Ideal. Das Bildnis im Kästchen steht somit nicht für die Geliebte als Person, sondern für ihre Existenz in jener Sphäre, wo sich auch die Präformation des Kunstwerks bildet (welche ihrerseits damit überhaupt erst möglich wird). Die Szene darf demnach als ein besonders deutliches Beispiel gelten für das, was wir oben die Rückverwandlung ins Bildnis genannt haben; das Porträt wird zum Zeichen des notwen5
Diese Nachbildungen bekannter literarischer Szenen, auf deren Herkunft Hoffmann fast immer verweist, stammen nicht aus einem momentanen Schwund der Erfindungskraft (obwohl man sie fast durchwegs in diesem Sinne zu tadeln pflegt), sondern aus dem Wesen seiner Erzählkunst, welche immer wieder die Dimension des „Machens", des im besten Sinne technisch-mechanischen Fertigens selbst aufdecken muß (vgl. unten Kap. V ) . $2
digen Übergangs von der vorläufigen personalen Begegnung zur „geträumten Seligkeit", zu dem, „was dein Traum dir schaffen muß". Mit einer Stimmigkeit, die uns nun wohl nicht mehr überrascht, erscheinen Motiv und Funktion in dem durch die literarische Fortwirkung berühmten Stück ,Meister Martin der Küfner und seine Gesellen' (II. 416). Drei junge Männer werden darin gegen ihre Neigung Faßbinder-Gesellen, weil die schöne Meisterstochter nur einem solchen zur Frau gegeben wird. Der eine ist eigentlich ein Maler, der zweite ein Silberschmied, der dritte ein junger Adliger. Hier beschäftigt uns vorerst nur die Geschichte des Kunstmalers Reinhold, weil sie unsere bisherigen Ausführungen durchwegs bestätigt. Der wahre Beruf dieses Gesellen wird nämlich gegen Ende der Novelle dadurch aufgedeckt, daß sein Freund in dessen Zimmer unversehens das Porträt der schönen, von allen dreien umworbenen Rosa findet: „ D a alles still im Zimmer blieb, drückte er die Tür, die nicht wie sonst verschlossen war, auf und trat hinein. Aber in demselben Augenblick erstarrte er auch zur Bildsäule. Rosa in vollem Glanz aller Anmut, alles Liebreizes, ein herrliches lebensgroßes Bild stand vor ihm aufgerichtet auf der Staffelei, wunderbar beleuchtet von den Strahlen der Morgensonne. Der auf den Tisch geworfene Malerstock, die nassen Farben auf der Palette zeigten, daß eben an dem Bilde gemalt worden" (II. 458). Das Licht, das auf dieser Szene liegt, der feuchte Glanz des eben Gewordenen, hat durchaus symbolischen Charakter. Denn aus dem gleich darauf mitgeteilten Werdegang des jungen Mannes vernimmt der Leser, welch entscheidende Peripetie mit der Vollendung des Bildes erreicht worden ist. Reinhold ist bereits einmal Maler gewesen, am Hof des Herzogs von Florenz, angesehen und tüchtig in der äußerlichen „italienischen" Manier. Das heißt, er besaß das handwerkliche Können wie Berthold in der Jesuiterkirche* vor der Begegnung mit der gemalten Katharina und der lebendigen Angiola. Der innere Prozeß beginnt nun damit, daß er bei einem Händler ein Madonnenbildchen von Dürer sieht. Dieses „durchdringt auf wunderbare Weise (sein) Innerstes" (II. 459). Die jähe Entschlußkraft aller Hoffmannschen Helden läßt ihn auf der Stelle nach Deutschland zurückreisen. „Ich kam hierher nach Nürnberg und als ich Rosa erblickte, war es mir, als wandle jene Maria, die so wunderbar in mein Inneres geleuchtet, leibhaftig auf Erden. [ . . . ] mein ganzes Wesen loderte auf in hellen Liebesflammen" (II. 460). Auch hier also wird ein Bild lebendig, so wie im ,Artushof' die Gestalten des Freskos plötzlich vor dem erstaunten Traugott standen. Das DürerBildchen erscheint dem Jungen in dieser Phase nur als Vorglanz der lebendigen Gestalt; die Kunst verblaßt neben dem Gedanken an Liebe, 53
Werbung und Besitz. Die unbewußte Ahnung von einer höchsten perfectio war vor dem kleinen Gemälde ins helle Bewußtsein gestiegen; vor dem Mädchen aber scheint sie von der Sphäre des Traums zur unmittelbarsten Realität durchgebrochen zu sein. Deshalb zögert Reinhold nicht, Küfergeselle zu werden, um später einmal freien zu können; verfolgt er doch auch hier nur eines: die vollkommenste Verdichtung seiner Sehnsucht. In diesen Handwerkerwochen aber beginnt er heimlich (denn er darf ja sein eigentliches Metier nicht verraten) an einem großen Bildnis Rosas zu malen und setzt damit, ohne es zu wissen, den gegenläufigen Prozeß in Bewegung. Wie er das Werk beendet hat (vgl. das obige Zitat), stellt er zu seiner Überraschung einen völligen Wandel seines Innern fest. E r ist plötzlich überzeugt, „daß das Ringen nach Rosas Besitz eine Täuschung war", daß sein „irrer Sinn" ihn dazu verleitete (II. 462). Diese Änderung ist in keiner Weise durch die nähere Bekanntschaft mit dem Mädchen bewirkt worden; denn dessen liebliches Wesen bleibt die ganze Erzählung hindurch ohne Minderung. Vielmehr ist der einzige und völlig zwingende Grund das gemalte Porträt: „Als ich Rosas Bild vollendet, war es in meinem Innern ruhig und oft war freilich auf ganz verwunderliche Art mir so zumute, als sei Rosa nun das Bild, das Bild aber die wirkliche Rosa geworden" (II. 462). Pointierter, schärfer könnte man es nicht formulieren. Das ins Leben getretene Gemälde Dürers ist auf höherer Ebene wieder zum Kunstwerk zurückverwandelt; der Prozeß der Selbsterkenntnis, ja der Selbstentdeckung, der sich in diesen Ereignissen spiegelt, ist abgeschlossen. Rosa, oder genauer gesagt: der Gegenstand von Reinholds Liebe, enthüllt sich denn auch, wie wir es erwarten, als der zeitlose Traumbesitz: „Wie kann auch nur das Himmelskind, wie ich es im Herzen trage, mein Weib werden? Nein! in ewiger Jugend, Anmut und Schönheit soll sie in Meistersverken prangen, die mein reger Geist schaffen wird. H a wie sehne ich mich darnach ! wie könnt ich auch nur der göttlichen Kunst abtrünnig werden! — bald werd ich mich wieder baden in deinen glühenden Düften, herrliches Land, du Heimat aller Kunst!" (II. 462) Auf die Geschichte Friedrichs, des zweiten falschen Küfergesellen, gehen wir hier nicht weiter ein. Beim dritten Burschen aber, Conrad, dem verkleideten Junker, ist auf eine von Hoffmanns erzählerischen Unverfrorenheiten hinzuweisen, deren geheime Stimmigkeit nicht ohne Reiz ist. Der junge Adlige erträgt die Handwerkerexistenz ebenfalls sehr schwer, aber nicht aus künstlerischer Berufung wie seine Freunde, sondern aus Klassenbewußtsein. Immer wenn zufällig von einem Schwert die Rede ist, beginnt er feurig zu schreien und legt Zeichen einer außerordentlich kriegerischen Gesinnung an den Tag. Er ist der erste, der aus 54
der Werkstatt und damit von Rosa wegläuft. A m Schluß, als sich alles prächtig löst, tritt auch er unverhofft nochmals auf, und zwar nicht allein, sondern mit einer „wunderschönen Dame", „die der holden Braut (i. e. Rosa) so auf ein Haar glich, als sei es ihre Zwillingsschwester" (II. 469). Und nicht genug damit: das vornehme Geschöpf ist auch „so wie die holde Braut, Rosa geheißen" (II. 469). N a c h dem verwandten Geschehen im ,Artushof' sind wir von solcher Austauschbarkeit der Personen nicht mehr übermäßig befremdet. Was hier aber von Bedeutung sein dürfte, ist die Tatsache, daß bei Conrad von Künstlertum keine Rede ist und er trotzdem einen innern Prozeß in Ansätzen durchmacht, wie er sonst für die jungen Künstler Hoffmanns spezifisch ist." Wir dürfen darin einen weitern, wenn auch nicht sehr gewichtigen Hinweis sehen auf die Tatsache, daß alles Künstlerwesen bei diesem Autor im Rahmen einer umfassenderen Problematik begriffen werden muß. Wenn wir nun im folgenden von der gemalten Geliebten im Roman ,Die Elixiere des Teufels' reden, so geschieht dies nicht mehr in der A b sicht, einen weitern Beleg für ein von Hoffmann besonders geschätztes Motiv anzuführen (die bisherigen Beispiele dürften genügen), sondern um zu zeigen, wie der mit diesem Motiv zusammenhängende Prozeß einen ganzen Roman strukturieren kann und wie, von diesem Gesichtspunkt her, das scheinbar verwilderte Opus unvermittelt transparent wird. Denn es ist ja immer noch der Einwand denkbar, daß der Vielschreiber Hoffmann sich selber eben wiederhole und daß die Konstanz eines solchen Themas nicht mehr aufdecke als das Arbeitsprinzip eines Trivialautors mit höheren Ansprüchen. Mit solchen Argumenten wird Hoffmann ja heute noch gelegentlich abgeschätzt, und schon deshalb rechtfertigt sich eine gewisse Akribie. Der Mönch Medardus entläuft dem Kloster, treibt unter Seelenqualen Mord und Unzucht und kehrt zuletzt in den Frieden der Mauern zurück. Das ist der einfachste zu ziehende Umriß des Romans. In diesen zwei Angeln, Ausbruch und Heimkehr, hängt das ganze Geschehen, und eben hier setzt H o f f m a n n so präzis wie wirkungsvoll den Elementarvorgang um die gemalte Geliebte ein. Wenn dieser im Roman auch sonst noch wiederholt vorkommt, so ist es im Grunde jedesmal nur Spiegelung,
A u c h das immer wieder unterschätzte handwerkliche Ethos des Erzählers H o f f m a n n spielt hier mit. Er kann und will keinen Handlungsstrang blind enden lassen, selbst wenn er dabei, wie in unserm Fall, zu einem Mittel zu greifen hat, das, würde es Usus bei den Poeten, sämtliche Liebestragödien z u einem fröhlichen Ende führen müßte.
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vergröberte oder verdichtete Variation der einen Start- und Zielhandlung. Medardus ist vor dem entscheidenden Ereignis in einer Verfassung, die auffällig an jene des Malers Reinhold und anderer Künstler auf ihrer früheren Entwicklungsstufe erinnert. So wie dieser „äußerlich" malte, in „üppiger Manier" (vgl. oben S. 53), ist der Mönch ein durch den Erfolg effektsüchtig und prahlerisch gewordener Prediger. „Du hast Gefühle geheuchelt, die nicht in deinem Innern waren", muß er sich vorwerfen lassen, „ja du hast selbst gewisse sichtlich studierte Mienen und Bewegungen erkünstelt, wie ein eitler Schauspieler" (III. 39/40). Das ist, wie wir vom I. Kapitel her wissen, das Zentral-Vergehen des H o f f mannschen Künstlers, die Sünde gegen das Serapiontische Prinzip. Hinter der Wendung: „Gefühle, die nicht in deinem Innern waren", steht das Theorem vom „Schauen" mit all seinen ästhetischen und anthropologischen Zusammenhängen. Die Haltung des Mönchs ist somit nicht einfach als eine Deformation des Charakters zu betrachten, sondern darf als Symptom dafür genommen werden, daß er über sich selbst, über sein Inneres nicht Bescheid weiß. Zur gleichen Zeit, da diese falsche Haltung ihren Höhepunkt erreicht (III. 40), setzt denn auch der bekannte und gefährliche Prozeß ein. In der Kirche hängt ein großes Bild der heiligen Rosalia, „in dem Moment gemalt, als sie den Märtyrertod erleidet" (III. 41). Von seinem Beichtstuhl aus kann der Mönch es sehen (III. 46), und wie er sich einmal „in tiefen Gedanken versunken" (III. 40) dort aufhält, naht sich ihm eine seltsam verschleierte Frau; sie beichtet, daß sie ihn bis zum Wahnsinn liebe. E r fällt in eine Art von Trance, die Gestalt verschwindet; als er wieder zu sich kommt, merkt er sich verwandelt, fühlt Glut und Flammen in der Brust. Und jetzt erkennt er auch, daß die Unbekannte identisch ist mit der gemalten heiligen Rosalia: „Es war meine Geliebte, ich erkannte sie, ja sogar ihre Kleidung war dem seltsamen Anzug der Unbekannten völlig gleich" (III. 41). Und wie alles in diesem Roman gleich an die Grenze des Menschenüblichen vorstößt, äußert sich die jähe Verliebtheit in heftigster Weise: „ D a (i.e. vor dem Bild) lag ich stundenlang, wie von verderblichem Wahnsinn befangen, niedergeworfen auf den Stufen des Altars und stieß heulende entsetzliche Töne der Verzweiflung aus, daß die Mönche sich entsetzten und scheu von mir wichen" (III. 41). Ohne sich nur einen Augenblick zu fragen, wie eine solche Identität der Unbekannten mit dem Bild möglich sei, will er nur eins: „Hinaus in die Welt [ . . . ] , und nicht rasten, bis ich sie gefunden, sie erkaufen mit dem Heil meiner Seele" (III. 42). Es gelingt ihm, sich freizumachen, er zieht ins Gebirge und, nachdem es ihm zeitweilig vorkommen wollte, als sei
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die Unbekannte doch eher Halluzination als Wirklichkeit gewesen, t r i f f t er sie auf einem Landschloß tatsächlich, — Aurelie. „Sie w a r es selbst, sie die ich in jener wundervollen Vision im Beichtstuhl geschaut. [ . . . ] nicht Aurelie, die heilige Rosalie selbst w a r es. - Sogar der azurblaue Shawl, den Aurelie über das dunkelrote Kleid geschlagen w a r im fantastischen Faltenwurf ganz dem Gewände ähnlich, wie es die Heilige auf jenem Gemälde, und eben die Unbekannte in jener Vision trug" (III.61). Damit ist die erste Hauptphase, die Vivifikation des Bildes, abgeschlossen, wobei Hoffmann mit allem nur möglichen Nachdruck auf der Obereinstimmung von Mädchen und Gemälde beharrt. Und der ganze nun folgende Roman, bis zu den letzten zehn Seiten, ist durchgehend von dem einen Impuls des Helden Medardus bestimmt, diese Aurelie realiter zu besitzen. Sein Ausbruch in die Welt steht also durchaus parallel zur Handwerkerexistenz Reinholds in ,Meister Martin', die den Besitz Rosas zum Ziel hat. N u r verschärft und steigert die überspannte Stillage des Romans alle Elemente des Geschehens ins Extreme. Die Folge spektakulärster Ereignisse und die monströsen Genealogien, die niemand überblicken kann, wenn er nicht mühsam Stammtafeln zeichnet, verdecken dabei allzuleicht die Tatsache, daß es einen einzigen Motor des Geschehens gibt: das in mächtigen Eruptionen arbeitende Innere des Mönchs, wo seit jenem ersten Moment im Beichtstuhl das Gesicht Aurelies „lebt" und ihn unverwandt anschaut „mit holdseligen dunkelblauen Augen" (vgl. I I I . 4 1 ) . Diese innere Präsenz nimmt er als Vorstufe, als Schicksalszeichen (III. 69) und als Stachel zur physischen Vereinigung. Über seiner ganzen brünstigen Migration steht gleichsam der unbegriffene Satz aus der Kästchen-Szene der ,Brautwahl': „Was dein Traum dir schaffen muß, lehrt dich der Geliebten K u ß " . Aber im Gegensatz zu den verwandten Helden in Hoffmanns Werk besitzt Medardus ein geheimes, nicht eingestandenes und streng verdrängtes Wissen um die Tatsache, daß die Immanenz der Geliebten eigentlich höher ist als der „ K u ß " . (Medardus ist ja auch nicht von jener geradezu topischen nervösen Gutmütigkeit und schwerfälligen Intelligenz der üblichen Protagonisten Hoffmanns.) Diese Ahnung bewirkt, daß mit dem gesteigerten Wunsch nach liebendem Besitz immer der jähe Gedanke, Aurelie zu ermorden, einhergeht, - die äußerste Form jenes „Abschüttelns" der Person um des Phantasmas willen, das wir früher in weit harmloseren Varianten festgestellt haben (vgl. oben S. 49ÎÏ.). 7
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,Die Jesuiterkirche in G.' stellt u. a. auch in dieser Hinsicht eine genaue Parallele zu den .Elixieren' dar. 57
Und nun sei gleich die Rede vom gegenläufigen Prozeß am Schluß des Romans, wo sich, soll unser Modell überhaupt stimmen, eine Rückverwandlung der Geliebten ins Bild vollziehen muß. Es gelingt Hoffmanns erfinderischem Scharfsinn tatsächlich, diese Transformation bis ins Detail zu bewerkstelligen. Medardus ist ins Kloster zurückgekehrt, besänftigt, die Gier nach dem Mädchen von schweren Bußen gebändigt. Das entscheidende Geschehen beginnt mit der Botschaft des Priors: „Du hast wahrscheinlich die Zubereitungen zu einem großen Feste in dem Kloster bemerkt? - Aurelie wird morgen eingekleidet und erhält den Klosternamen Rosalia" (III. 177). Sie soll also durch einen feierlichen liturgischen Akt ihrem Abbild auf dem Altargemälde auch dtm Namen und der geistlichen Aura nach angeglichen werden. Die Meldung erweckt im Mönch nochmals den alten Zwang mit schrecklicher Heftigkeit: „Sie mit aller Inbrunst der wütenden Begier umarmen und dann ihr den Tod geben" (III. 281). Aurelie erscheint, „Myrten und Rosen im künstlich geflochtenen Haar", — das heißt, sie ist genau gleich gekleidet wie die heilige Rosalia des Bildes (III. 280; vgl. auch III. 205). In dem Augenblick, da ihr Haar dem Ritus gemäß abgeschnitten werden soll, springt der Doppelgänger des Mönchs (i. e. sein wahnsinniger Bruder) ins Chor und ersticht sie. Die Wirklichkeit fällt so mit der Szene des Gemäldes, dem Märtyrertod, zusammen, - und von da an ist Aurelie für Medardus endgültig „die heilige Rosalia". Die Klimax solcher Identifikation ereignet sich in jenem Moment, wo sie bekränzt auf der Bahre durch die Kirche getragen wird, unter einem Baldachin wie das Sanctissimum, und sich in betender Haltung nochmals langsam aufrichtet, während alles Volk auf die Knie stürzt mit dem Ruf: „Sancta Rosalia, ora pro nobis" (III. 285.) — Und nun endlich findet Medardus auch zur erlösenden Einsicht, mit der er sich neben so viele geprüfte Jünglinge Hoffmanns stellt: „Erst jetzt war mein Geist fähig, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden, und bei diesem klaren Bewußtsein mußte jede neue Prüfung des Feindes wirkungslos bleiben. [ . . . ] War sie denn für mich untergegangen? Nein! jetzt erst, nachdem sie der Erde voller Qual entrückt, wurde sie mir der reine Strahl der ewigen Liebe, der in meiner Brust aufglühte" (III. 287). Mit der größten wünschenswerten Deutlichkeit kommt hier zum Ausdruck, daß es im letzten um einen Akt der Erkenntnis, der Selbst-Erkenntnis geht, daß das geheime Gefälle des Romans von Anfang an auf den Moment hinläuft, wo der Held fähig sein würde, im spezifisch Hoffmannschen Sinn „das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden", - die Sehnsucht nach Aurelie als die Liebe zur zeit- und
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wandellos im Innern gegenwärtigen Rosalia zu begreifen, zur Konkretisation des reinen energischen Ich. Hier ist nun auch der Ort, eine wichtige These Lothar Köhns zu präzisieren. Er sagt nämlich über die ,Elixiere': „Von einer echten Entwicklung kann also bis zum Schluß des Romans keine Rede sein. Es bleibt bei einem Hin und Her. [ . . . ] Es gibt keine echte Lösung, sondern die Handlung ist eben zu Ende, das Hin und Her wird abgebrochen" (a.a.O. S. 79). Daß es sich in dem Roman wie bei den vielen Erziehungsnovellen des Dichters nicht um eine „Entwicklung" im Sinne Goethes handelt, trifft unbedingt zu. Die Idee des Wachsens, des Reifens, der Entfaltung, welche die Klassik mit einem großen Teil der Romantik und auch des sogenannten Realismus gemeinsam hat und die auf der Annahme einer grundsätzlichen Analogie zwischen den Naturdingen und der innern Gesetzmäßigkeit des Menschen beruht, ist für den Erzähler Hoffmann bedeutungslos. Das Prinzip jeder Veränderung bildet bei ihm der Umschlag, ein Umschlag ohne notwendige immanente Teleologie, ein Umschlag, der durchaus „an Ort" bleiben kann. Insofern darf man für den Mittelteil des Romans, von der Begegnung mit der lebendigen Aurelie bis zum Beginn des oben beschriebenen Finales, durchaus mit Köhn von einem „Hin und Her" sprechen. Um so wichtiger aber wird der vom Motiv der gemalten Geliebten geprägte Rahmenprozeß, der dem Erzählgang eben doch Ausgang und Ziel und eine „echte Lösung" gibt. Es ist nicht möglich und nicht nötig, allen Szenen des Romans nachzugehen, wo das Motiv der gemalten Geliebten erscheint und funktional wichtig wird. Mindestens hinweisen aber müssen wir auf die Tatsache, daß Aurelie ihrerseits einen fast parallelen Stationenweg durchmacht wie Medardus: ein Gemälde, dem sie als Kind begegnet und das sie im Tiefsten ergreift, stellt des Medardus Vater dar; das spätere Zusammentreffen mit dem Mönch, der diesem völlig gleichsieht, ist somit für sie ebenfalls die Begegnung mit einem lebendig gewordenen Bild (vgl. III. i^öff.). Diese Reziprozität der zentralen Erfahrung findet sich in Hoffmanns Werk selten, und sie wird auch in den .Elixieren' nicht konsequent durchgeführt. Die Perspektive des Mannes dominiert fast völlig; Aurelies Erlebnis wird nur in einer Einlage berichtet. Immerhin dürfen wir hier eine Vorform jener Schicksals-Parallelität sehen, wie sie später das Liebespaar in der .Prinzessin Brambilla' erfährt. Ganz ähnlich wie die Vorgeschichte Aurelies ist auch der für unsere gegenwärtigen Gedankengänge vielleicht wichtigste Text Hoffmanns als erzählerisches Separatum in die ,Elixiere' eingefügt. Es handelt sich um das sogenannte ,Maler-Buch', die geheimnisvolle Chronik, in 59
der alles, was an Geschlechterfluch, sündiger Vererbung, ausschweifender Genealogie und literarischem Nazarenertum im Roman vorhanden ist, fokusartig gebündelt erscheint. Hierbei kümmern uns die verschiedenen „frevelichen" Generationen wenig; nur die Anfangserzählung vom Stammvater des Geschlechts ist bedeutungsvoll. Sie bestätigt und erweitert nämlich die Ergebnisse unseres ersten wie auch dieses zweiten Kapitels. Dabei war Hoffmann bei der Konzeption der Geschichte durchaus nicht ungebunden; er mußte mit ihr fast sämtliche bisher aufgehäuften Rätsel lösen, mußte eine Menge seltsamer Dinge begründen und verständlich machen, allen voran die Ähnlichkeit Aurelies mit dem Rosalia-Bild. 8 Dieser Bericht vom Leben des Malers Francesco erweist, streng genommen, die ,Elixiere' als Künstlerroman, - in jenem spezifisch Hoffmannschen Sinn, der, wie wir betont haben, nur scheinbar in das Prinzip des art pour l'art ausläuft. Es wurde schon vorher darauf hingewiesen, daß der Prediger Medardus, bevor er in die Welt entläuft, als Künstler erscheint; aber erst seine im ,Malerbuch' aufgedeckte Beziehung zum Stammvater stellt das ganze Geschehen endgültig unter diese Problematik. 9 Um es gleich so einfach wie möglich zu sagen: der Stammvater ist ein Maler, der die ins Leben getretene gemalte Geliebte nicht nur umwirbt, sondern mit ihr sündhaften Umgang pflegt. Er zeugt einen Sohn und muß als Revenant umgehen, bis das kräftig verzweigte Geschlecht ausgestorben ist. Das heißt nach unsern Begriffen: die Rückverwandlung der Geliebten ins Bild ist durch die Nachkommenschaft verunmöglicht; erst Medardus als der letzte des Stammes kann stellvertretend für seinen Ahnherrn diesen Akt vollziehen. Es geschieht, wie wir wissen, im Finale des Romans, und zwar steht der Mönch dabei nicht nur seinem seelischen Erleben nach in einem ana-
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Der Vorgang der Vivifikation des Bildes stellt den Erfinder Hoffmann auch sonst auf harte Proben, und gerade vor solchen Aufgaben zeigt sich immer wieder sein erstaunlicher, über dem „Phantasten" allzuhäufig übersehener novellistischer Scharfsinn. 9 Das Geflecht von Ahnenfrevel, Erbfluch und Ahasverismus hat den Roman schon früh in Verruf gebracht; die These, er stehe dieser Motive wegen auf der Grenze zum „Trivialroman", ist fast durchwegs akzeptiert. Dabei übersieht man in einer merkwürdigen formalpoetischen Voreingenommenheit, daß die halb nazarenischen, halb schauerromantischen Veranstaltungen aus dem gleichen Stoff sind wie das Magier- und Feenwesen in den Märchen; beides sind verschieden tingierte, aber in Struktur und Funktion durchaus analoge ästhetische Bildungen. Es ist das ganz spezielle Renommee, das der Begriff „Märchen" seit den Anfängen der Germanistik genießt, das hier nach so verschiedenen Maßstäben werten läßt. In Wahrheit gehören die .Elixiere' und der ,Goldne T o p f einer Gattung an.
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logen Verhältnis zu seinem Vorfahr. Auch Aurelie stammt nämlich aus Francescos Geschlecht; sie trägt die Züge jener ersten Geliebten und führt gewissermaßen deren Existenz weiter. Die abenteuerliche Liebe der beiden wiederholt also genauestens das ursprüngliche Verhältnis. Indem dem Mönch die Transformation Aurelies zur „Rosalia", zum sublimen Traumbesitz gelingt, ist auch der physischen Fortdauer der Familie ein Ende gesetzt: der inkarnierte Frevel des Ahnherrn hört mit Medardus auf zu existieren. Die eingesprengte Vorgeschichte erscheint somit für den ganzen Roman von hohem Gewicht. Wir müssen nach dieser eher schematischen Skizze noch näher darauf eingehen. Jener erste Francesco war in jungen Tagen ein Maler von der idealsten möglichen Prägung, ein Liebling Leonardo da Vincis; er verschmähte weltliche Pracht und erklärte, daß „dagegen die Schöpfung des Malers die reine Abspiegelung des ihm innewohnenden göttlichen Geistes sei" (III. 229), - ein Glaubensbekenntnis (von präzise Hoffmannschem Zuschnitt), das ihn sogar um den väterlichen Fürstenthron bringt. Diese Ausgangssituation deckt sich nicht genau mit dem in Hoffmanns Künstlernovellen sonst üblichen Geschehen, wo der Held meist als Verblendeter oder Ahnungsloser beginnt. Aber Francesco muß, wie wir gleich sehen werden, aus wichtiger Ursache die künstlerische Vollendung grundsätzlich bereits besitzen. Der Dichter läßt ihn deshalb nicht in einer Fehlhaltung beginnen, sondern vom rechten Weg abkommen. Dies letztere allerdings geschieht gründlich. Schon bald verkörpert Francesco den „falschen Künstler" in des Autors strengstem Sinne. Er nimmt nämlich „von lebenden Modellen die Karnation, von den alten Marmorbildern aber Form und Bildung" (III. 230), - die radikale Umkehr der serapiontischen Methode, für die er selber eben noch eine erstaunlich genaue Definition gefunden hat. In dieser Verfassung, da das wahre Künstlertum übertüncht und vergessen in ihm ruht, erhält er den Auftrag eines Klosters, die heilige Rosalia zu malen. Er faßt den Entschluß, eine nackte Venusstatue zum Modell zu nehmen und das schlimme Werk den Mönchen als Heiligengemälde teuer zu verkaufen. Und hier wird die erzählerische Aufgabe für den Autor Hoffmann diffizil. Denn einerseits ist das nun entstehende Bild im Roman die höchste Verdichtung des den Sinnen zugänglichen Heiligen, anderseits aber nimmt sein Schöpfer die für einen Künstler schlimmstmögliche Haltung ein, welche sonst nur „tote Wachsbilder" zustande bringt (vgl. oben S. 17). Solche unlösbar scheinende Situationen ergeben sich auch sonst gelegentlich aus der strengen, so oft unterschätzten Konsequenz des Erzählers Hoffmann, und es gelingt ihm meistens, wenn auch nicht immer gleich überzeugend, sich aus der Schlinge zu ziehen. 61
In unserm Fall ist die Lösung nicht zuletzt durch die spürbare Anstrengung interessant, die sie den Dichter kostet. Hoffmann läßt den Maler nämlich in eine Art von psychischer Spaltung geraten. Wie er zu arbeiten beginnt, regt sich sein verschüttetes, fromm-wahrhaftiges Künstlertum: „ . . . siehe, da gestaltete sich alles anders, als er es in Sinn und Gedanken getragen, und ein mächtigerer Geist überwältigte den Geist der schnöden Lüge, der ihn beherrscht hatte. Das Gesicht eines Engels aus dem hohen Himmelreiche fing an, aus düstern Nebeln hervorzudämmern . . . " (III. 230). Dies ist von unserm vorhergehenden Kapitel aus ohne weiteres verständlich: der Raum der künstlerischen Präformation füllt sich durch spontane Tätigkeit der produzierenden Einbildungskraft; Francesco wird zum serapiontischen „Schauen" geradezu gezwungen; 10 das äußere Modell, die Venus, versinkt dahinter: „ . . . um den nackt gezeichneten Körper legten in anmutigen Falten sich züchtige Gewänder, ein dunkelblaues Kleid und ein azurblauer Mantel" (III. 230/31). Und wenn es nun sogar heißt: „Francesco war in sein Bild ganz und gar versunken, oder vielmehr das Bild war selbst der mächtige Geist worden, der ihn mit starken Armen umfaßte und emporhielt über das freveliche Weltleben" (III. 231), dann ist das die erwartete Bestätigung dafür, daß das „Geschaute", welches die geschickte Hand auf die Leinwand überträgt, nichts anderes ist als die Manifestation des gestaltlosen Absoluten in ihm. Nur weil tatsächlich sein Geist das Bild „ist", kann er glauben, das Bild sei zum „mächtigen Geist worden". Die höchste Erfüllung aber bleibt ihm dabei versagt: das Gesicht der Heiligen will nicht gelingen, obwohl es einmal „hervorzudämmern" begann. Er wird krank vor Verzweiflung. Wir kennen diese Phase von ähnlichen Fällen her. Das entwerfende Ich ist auf die Begegnung mit der irdisch-lebendigen Schönheit angewiesen, in der es als in einem Spiegel erst völlig zu sich selber findet. Was aber anderswo sehr einfach vor sich geht, wird hier, der Manier des ganzen Werks entsprechend, so kompliziert, daß man ohne die früheren Modellfälle wohl kaum die konstante Kurve zu erkennen vermöchte. Francesco trifft die Frau, die nun auftreten muß, nicht so schlichtweg an, sondern gerät zu ihr, ohne sie noch zu kennen, in ein telepathisches Verhältnis. 11 Er sieht sie deutlich und klar vor sich und glaubt, es sei „Frau Venus". 10
Dies ist nur möglich, weil Francesco bereits einmal ein wahrer gewesen ist; deshalb also die erwähnte Variation der Vorgeschichte.
11
Künstler
Das Elixier, das er vorher noch trinkt, hat hier, wie im ganzen R o m a n , nur einen verstärkenden E f f e k t . V o m Teufel als einer Realität kann ohnehin keine R e d e sein; er ist bloßes Genre-bedingtes Kolorit. Die Wirkung des Elixiers entspricht am ehesten derjenigen des Punsches in andern Werken H o f f m a n n s .
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U n d nun wiederholt sich der obige Malprozeß nochmals: er versucht, „ d e r F r a u Venus reizendes Angesicht ganz getreulich abzukonterfeien" ( I I I . 2 3 2 ) - also in unserapiontischem T u n - , aber „es w a r ihm so, als könne der feste Wille nicht gebieten der H a n d , denn immer glitt der Pinsel ab von den Nebeln, in denen der K o p f der heiligen Rosalia eingehüllt w a r [ . . . ] . U n d doch kam das himmlische Antlitz der Heiligen immer sichtbarlicher zum Vorschein, und blickte den Francesco plötzlich mit solchen lebendig strahlenden Augen an, daß er, wie von einem herabfahrenden Blitze tödlich getroffen, zu Boden stürzte" ( I I I . 2 3 3 ) . D i e kreative M a c h t seines Innern hat gegen sein Bewußtsein die E n t stehung des Bildes gelenkt, das nun z w a r jener Frau und vermeintlichen Venus ähnlich sieht, aber in sublimierter, ins Heilige geklärter Physiognomie. D a m i t hat H o f f m a n n das schwierigste erzählerische Problem des R o mans — nicht gerade spielend, aber doch ohne Verzicht auf die innere Folgerichtigkeit — gelöst. D e r weitere G a n g der Malergeschichte kann sich nun mit verstärkter Prägnanz vollziehen. Durch
die
Umstände
der Bild-Genese sind ja bereits auch die Anstalten getroffen, daß
das
Gemälde auf glaubhafte Weise lebendig zu werden vermag: die F r a u , die mit Francesco ohne dessen Wissen in telepathischem R a p p o r t stand, braucht nur persönlich aufzutreten. 1 2 18
Man muß sich immer wieder hüten, Telepathie, Magnetismus und ähnliches vorschnell in das Gebiet der spätromantischen Phantastik zu verweisen. H o f f mann verwendet hier - bei persönlicher Skepsis - durchaus ernsthafte Forschungsgegenstände der zeitgenössischen Medizin und Psychologie. Der beste Beleg d a f ü r ist Schopenhauers A u f s a t z in den Parerga und Paralipomena: V e r such über das Geistersehen und was damit zusammenhängt', w o er das ganze Gebiet zum Zwecke einer „idealistischen E r k l ä r u n g " (243) einer strengen U n tersuchung unterzieht und dabei unter anderm feststellt: „Wer heut zu Tage die Tatsachen des animalischen Magnetismus und seines Hellsehens bezweifelt, ist nicht ungläubig, sondern unwissend zu nennen" (243/44). E r ist sogar überzeugt, daß durch diese Phänomene (,Traum, somnambules Wahrnehmen, Hellsehen, Vision, Zweites Gesicht') „Kants Lehre gewissermaßen eine faktische Bestätigung erfahre" (281), die „Idealität des Raums und der Z e i t " (280) erneut belegt würde; auch seine eigene Philosophie erhalte „durch die nähere Untersuchung dieser Tatsachen eine wichtige Bestätigung" (283). Und schließlich kommt er zu der entschiedenen Aussage: „ D i e in Rede stehenden Phänomene aber sind, wenigstens v o m philosophischen Standpunkte aus, unter allen T a t sachen, welche die gesammte Erfahrung uns darbietet, ohne allen Vergleich, die wichtigsten" (284). Schopenhauer stützt sich dabei auf verschiedene Untersuchungen, die auch H o f f m a n n bekannt waren und die durchaus nicht alle den mystizistischen Einschlag G . H . Schuberts aufwiesen. Zahlreiche Dinge, die der Dichter mit handwerklicher Berechnung aus dem wissenschaftlichen Arsenal seiner Zeit übernommen hat, wurden ihm später sehr zu Unrecht als Produkte
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Bevor dies wenig später geschieht, gerät der Maler in einen kaum zu ertragenden Grenzzustand, in die Extremform einer der typologischen Grundverfassungen Hoffmannscher Protagonisten. Wir haben gesehen, daß am Ende des halb somnambulen Schaffens plötzlich das „himmlische Antlitz" vor dem erschütterten Künstler schwebte, das vollendete Bild der heiligen Rosalia. Wie er es nach dem jähen Schreck gefaßt und seiner selbst sicher wieder betrachtet, da ist es „nicht das Antlitz der heiligen Rosalia, sondern das geliebte Venusbild", das ihn „mit üppigem Liebesblick" anlacht (III. 233). Dies ist nun selbstverständlich weder mirakulos noch telepathisch; die Ähnlichkeit der Züge wird durch die Genese des Bildes erklärt, und daß ihm als Venus erscheint, was er vorher ebenso spontan als Heilige genommen hat, beruht darauf, daß er nun durch die Hoffmannsche Kapitalverfehlung den konkretisierten Lichtwurf des Innern nicht als solchen erkennt, sondern wie ein Naturhaft-Lebendiges anschaut und begehrt. „Er heulte vor wahnsinniger Begier", heißt es (III. 233). Im Unterschied zu den Figuren der jungen Werdenden aber begehrt er hier sein ganz und gar von ihm selbst gefertigtes Gebilde. Die Assoziation an Pygmalion, die sich bei unsern Ausführungen schon verschiedentlich aufgedrängt hat, wird damit geradezu zwingend, - auch f ü r den Autor selbst. Er fährt nämlich fort: „ . . . er gedachte des heidnischen Bildhauers Pygmalion, dessen Geschichte er gemalt, und flehte so wie er zu Frau Venus, daß sie seinem Bilde Leben einhauchen möge" (III. 233). Damit variiert Hoffmann, ohne zu wissen, in welcher Tradition er steht, einen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffenen Mythos. Emil Staiger hat in seinem Aufsatz über den ,Neuen Geist in Herders Frühwerk' 13 und in seinem großen Schiller-Buch 14 nachdrücklich auf das Motiv hingewiesen. Wichtig ist, daß Pygmalion, der für Aufklärung und Rokoko eine komische Figur darstellte, den exquisiten T y p eines Unvernünftigen, für die gemeineuropäische Bewegung der „Vorromantik", in Deutschland also des Sturm und Drang, plötzlich exemplarischen Sinn erhielt. Verallgemeinernd wird man sagen dürfen, daß seine Gestalt in dem Augenblick die Künstler zu faszinieren begann, da sie sich selbst nicht
seines „überhitzten Gehirns" angerechnet. (Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, hg. von Julius Frauenstädt. j . A u f l a g e , Leipzig 1888). 13 E m i l Staiger, Stilwandel. Studien zur Vorgeschichte der Goethezeit. Zürich 1 9 6 3 . V o n dieser Bemerkung Staigers geht Hermann Schlüter aus in seiner D i s sertation ,Das Pygmalion-Symbol bei Rousseau, H a m a n n , Schiller'. Zürich 1 9 6 8 . 14 E m i l Staiger, Friedrich Schiller. Zürich 1 9 6 7 , S. 1 0 4 $ . Der Verfasser deckt hier in dem Kapitel .Pygmalion' die zentrale Bedeutung dieses Mythos für den jungen Schiller mit überraschenden Ergebnissen auf.
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mehr als Nachahmer, sondern als Mitschaffende der Natur empfanden, da ihr Werk nicht mehr genau gefertigtes Gefüge von Stoff und Idee, sondern Organismus sein mußte: atmend, bewegt und aus liebenden Augen blickend. Darin gleicht das erwachte Elfenbeinmädchen andern bevorzugten Gestalten der Zeit: den Kindern des Prometheus und dem staunenden Adam. „ . . . und dann belebte er sie alle mit dem Hauch seines Geistes", sagt Goethe in der Rede ,Zum Schäkespears Tag' vom englischen Dramatiker als dem mit Prometheus gleichgesetzten Dichter schlechthin, wobei, wie aus dem Duktus des Satzes vernehmbar wird, auch die Vorstellung vom menschenbildenden Gott der Genesis hineinspielt. Ebenso, nur unter Verlust des Titanischen, könnte er hier Pygmalion anführen. Auch wenn sich Goethe später von diesem Mythos distanzierte (vgl. Schlüter, a.a.O. S.76), so bleibt doch vieles von dessen symbolischem Gehalt für ihn durchaus erfahrene Wahrheit. Ein Gedicht wie ,Amor als Landschaftsmaler', nimmt man es einmal als ästhetisches Programmstück, umspielt das Motiv deutlich genug. Es ist indessen unwichtig, wie sich die einzelnen Dichter im Detail dazu stellten. Fest steht, daß Pygmalion für eine ganze Generation programmatisches Denkbild war, - und daß er für Hoffmann den Inbegriff des falschen, ja frevelhaften Künstlers darstellt! Von diesem Befund her profilieren sich verschiedene unserer bisherigen Ausführungen, zum Beispiel der Hinweis, daß das Kunstwerk für Hoffmann in keiner Relation zum Naturding mehr steht. Vor allem aber spiegelt sich darin seine Überzeugung, das Opus als ein Gefertigtes, als Ergebnis des „mechanischen Geschäfts", sei nur ein bedingtes Ab-Bild der eigentlichen Existenz des Kunstwerks im Raum der Präformation, in der Sphäre des „Geschauten", und zwar sowohl für den Künstler selbst wie auch für den rezeptiven „Enthusiasten". Wir haben früher schon auf den mörderischen Goldschmied im ,Fräulein von Scuderi' verwiesen als auf einen Menschen, der die beiden Seinsweisen der Kunst nicht auseinanderhalten könne. Jetzt wissen wir ihn noch besser zu definieren: er ist Hoffmanns genialst entworfener Pygmalion. Für den Maler in den ,Elixieren' aber wird das Bild nun endlich lebendig: „ . . . es rauschte hinter ihm wie mit weiblichen Gewändern. Er drehte sich um und erblickte ein Weib, das er für das Original seines Bildes erkannte" (III. 233). Dieser Moment scheint auf den Dichter selbst die heftigste Faszination auszuüben; er kann sich kaum von der Schilderung trennen, als fürchte er, der Leser möchte die Szene übersehen oder unterschätzen: „Es wären ihm schier die Sinne vergangen, als er das Bild, welches er aus seinen innersten Gedanken nach einem Marmorbilde erschaffen, nun lebendig vor sich in aller nur erdenk-
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lichen Schönheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grauen an, wenn er das Gemälde ansah, das nun wie eine getreue Abspiegelung des fremden Weibes erschien" (III. 233). Besinnen wir uns rasch auf die an der Novelle ,Der Artushof' erarbeitete Ereigniskurve: Der Held begegnet dem Bild und verfällt dessen Magie; das Bild wird lebendig, tritt ihm als Mädchen entgegen, er verfolgt und begehrt sie; in einem entscheidenden Erkenntnisvorgang transformiert er sie wieder zum Bild, das nun aber nicht mehr repräsentativ steht für ihr menschlich vergängliches Dasein, sondern für ihre endlich begriffene Existenz in seinem Innern. Die ganze bisher nachgezeichnete Malergeschichte betrifft nur den ersten Teil dieses Prozesses. Zu Ende geführt wird er, wie gesagt, nicht vom Maler Francesco, sondern von dessen letztem Nachkommen, dem Mönch Medardus. Das ist der einfache Grundriß des scheinbar so chaotischen Romans. Ein Detail muß dabei noch erwähnt werden: der Tod der Malergeliebten. Sie stirbt an der Geburt des ersten Kindes, nachdem sie während der Schwangerschaft „immer herrlicher und herrlicher in leuchtender Schönheit" aufgeblüht ist. (III. 234). Ihr Ende kommt unverhofft, mit einem „entsetzlichen, durchdringenden Schrei". Als die Dienerinnen zu Hilfe eilen, fahren sie zurück: „ . . . denn das Weib war zu Tode erstarrt, Hals und Brust durch blaue, garstige Flecken verunstaltet, und statt des jungen schönen Gesichts erblickten sie ein gräßlich verzerrtes runzliches Gesicht mit offnen herausstarrenden Augen. [ . . . ] Ihre Schönheit war nur ein lügnerisches Trugbild verdammter Zauberei gewesen" (III. 235). Auch diese Passage ist nicht Selbstzweck, nicht grausig um des Grausigen willen, sondern steht in genauer Relation zum Bild als dem gespiegelten Traumbesitz. Mit dem Umschlag ins schlechthin Abscheuliche entlarvt sich die wahre Beschaffenheit alles Schönen, das nicht dem Innern, dem „Karfunkel", der produktiven Schau, entspringt, - entlarvt sich als entsetzliche Vergänglichkeit. Dabei ist der Begriff „Vergänglichkeit" noch unscharf; er impliziert einen zwar negativen, aber kontinuierlichen, von gelassenen Gesetzen bestimmten Vorgang. Die Hoffmannsche Zeitlichkeit aber ist, um es bewußt banal zu sagen, ihrem Wesen nach plötzlich. Deshalb ist alles, was nicht innen ist, dem Plötzlichen unterworfen und dessen Komplementärform, der totalen Starre. Wer diesen Autor unbekümmert liest, hat im Nachhinein unweigerlich die Erinnerung an Leute, die entweder losstürmen oder erstarren, die vom Veitstanz in die Katalepsie geraten und von der K a talepsie zum Veitstanz, immer von der gleichen Tarantel gestochen. Und dieser Eindruck, von dem aus oft fälschlicherweise auf Planlosigkeit geschlossen wird, beruht genau auf jener „Plötzlichkeit". Als das 66
Prinzip aller Hoffmannschen Motorik erweist sich so erneut der jähe Umschlag. Er prägt die Zeiterfahrung der Helden (und des sie begleitenden Lesers), und er prägt im letzten auch die Sprachgestalt der Erzählungen, die prasselnde D y n a m i k von Floskeln und Superlativen. Der schlagartige Pesttod der Geliebten, 1 5 der v o n der Konzeption des Romans aus in negativer Parallele zur Apotheose Rosalias gesehen werden muß, hat also nicht nur die Bedeutung der Zeitlichkeit im konstanten Strukturgefüge der Hoffmannschen Werke sichtbar gemacht, sondern zugleich auch ein Licht auf die Eigenart dieses temporalen Elements geworfen. D i e innerste Mitte des Menschen, das autistische εν, welches wesentlich nicht και πάν ist, w i r d dadurch als essentiell zeitlos charakterisiert, als einziger Ort, welcher dem Bereich der sprunghaften V e r gänglichkeit, der Sphäre von Starre und Umschlag, entzogen ist und ihr wandellos gegenüber steht. 1 ' Wenn wir behauptet haben, die Grundkurve des Geschehens in H o f f manns Werken laufe je und je auf den Moment der Selbsterkenntnis zu, den Augenblick der Erfahrung dieser ungeahnten Mitte, dann erweist sich nun der gleiche G a n g auch als der einzig mögliche W e g aus der totalen Geschichtlichkeit des Daseins. Im Vergleich mit der Bedeutung, welche den Geschehnissen um die gemalte Geliebte in den ,Elixieren' zukommt, scheint es auf den ersten Blick gewagt, die in den Kreisler-Roman eingelegte Geschichte v o m Maler Leonhard Ettlinger unmittelbar danebenzustellen. Diese w i r d auf kleinem Raum berichtet und später nur sporadisch wieder erwähnt, während jene sogar die Tektonik des Werks entscheidend bestimmen. Indessen gehört der Zusammenhang, in dem das Schicksal Ettlingers zur Sprache kommt, so sehr zur lebendigen Mitte des Romans, daß der quantitative Gesichtspunkt außer Betracht fallen muß. In jenem Maler erkennt Johannes Kreisler nämlich die gefährlichste Möglichkeit seines eigenen Daseins. Wenn ihn die Exaltation erfaßt, wird sein Spiegelbild zum Doppelgänger Ettlinger (III. 436); der Wahnsinn, den er ständig fürchtet, würde bei ihm nicht nur in einem ähnlichen Schicksal mit jenem bestehen, sondern, durch eine schreckliche Mutation des Selbstbewußtseins, in totaler Identifikation. V o m A u t o r aus gesehen, besagt dies, d a ß er seine vielleicht wichtigste, sicher berühmteste Figur erst mit Man schönen ka und Floh'. 16 Vgl. 15
beachte in diesem Zusammenhang auch die häufige Verbindung des Mädchens mit der häßlichen Alten in Hoffmanns Werken, ζ. B. Veronidie Rauerin im .Goldnen Topf' oder die beiden Alinen im ,Meister dazu unsere Ausführungen über den Urton im I. Kapitel.
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Hilfe dieser exemplarischen Parallel- und Kontrastgeschichte voll charakterisiert zu haben glaubt. Wir aber dürfen sagen, Hoffmann halte das Psychogramm Kreislers solange für unvollständig, als er den Kapellmeister nicht in eine präzise Relation zum Fundamentalprozeß um die gemalte Geliebte gebracht habe. Und das liegt beim Musiker Kreisler denn doch durchaus nicht auf der Hand. Es ist die Prinzessin Hedwiga, welche dem Kapellmeister die Geschichte erzählt und ihm so, ahnungslos oder in versteckter Absicht, den unheimlichen Spiegel in die Hand gibt. Sie darf als eine der differenziertesten Frauengestalten Hoffmanns gelten; auch innerhalb des Romans erscheint sie reicher strukturiert, unergründlicher als etwa ihre Freundin Julie, Kreislers geliebtes Ideal. Hedwiga steht in einem geheimen, ans Magnetistisch-Telepathische streifenden Rapport zum Kapellmeister, der sich für sie auf Grund der Ähnlichkeit zwischen ihm und Ettlinger ergeben hat. Der Bericht selbst ist äußerst knapp, ein Musterbeispiel für Hoffmanns anekdotische Prägnanz. Schon die ersten vier Sätze decken die entscheidenden Fakten auf: „An unserm Hofe befand sich ein Maler, Ettlinger geheißen, den Fürst und Fürstin sehr hoch hielten, da sein Talent wunderbar zu nennen. Sie finden auf der Galerie vortreffliche Gemälde von seiner Hand, auf allen erblicken sie die Fürstin, in dieser jener Gestalt, in der historischen Gruppe angebracht. Das schönste Gemälde, das die höchste Bewunderung aller Kenner erregt, hängt aber in dem Kabinett des Fürsten. Es ist das Porträt der Fürstin, die er, als sie in der höchsten Blüte der Jugend stand, ohne daß sie ihm jemals gesessen, so ähnlich malte, als habe er das Bild aus dem Spiegel gestohlen." (III. 428) Dies ist rückblickend und raffend erzählt, wie es der Perspektive der Prinzessin entspricht. Das genaue Nacheinander aber läßt sich durchaus entwickeln, und zwar von jenem Satz aus, der die Geschichte überhaupt erst als Hoffmannsches Spezifikum erkenntlich macht: „ . . . ohne daß sie ihm jemals gesessen." Das stellt den zwingenden Bezug zum Maler Francesco und zu Berthold in der ,Jesuiterkirche' her. Das erste und vollkommenste Bild von der Geliebten also muß, wie beim letzteren, nach einer streifenden, halb traumhaften Urbegegnung entstanden sein, wenn nicht sogar auf Grund eines telepathischen Kontakts, was von der Analogie Fürstin/Ettlinger - Prinzessin/Kreisler her denkbar wäre. Hoffmann läßt die Frage offen, weil ihn ein Abweichen von der distanzierten Knappheit hier sogleich zu umständlichen Erfindungen nötigen müßte. Wesentlich ist, daß Ettlinger jenes Gemälde, das nicht nur sein künstlerisches Spitzenwerk ist, sondern das auch die Fürstin im Augenblick der Akmé, der „höchsten Blüte der Jugend" darstellt, 68
ganz aus seinem - wie auch immer entflammten - Innern entworfen hat. Seine spätere Liebe zu dieser Frau erweist sich somit als Leidenschaft zum lebendig gewordenen Bild, Ettlinger selbst ist ein Pygmalion im Sinne Hoffmanns. Wie Francesco ist er nicht imstande, das geliebte Gesicht als die gespiegelte Projektion seines kreativen Ich zu erkennen, begehrt er, was er bereits besitzt und was er durch ebendieses Begehren verlieren muß. Den Endzustand solcher Verkehrung exemplarisch aufzudecken, ist offenbar das eigentliche Ziel der Geschichte. Hoffmann erreicht es durch einen souveränen erzählerischen Handgriff, mit dem er den zerstörten Ettlinger gleichsam in einer Momentaufnahme zeigen kann, grell und schauerlich beleuchtet. Die Prinzessin (ihre Mutter war jene gemalte Geliebte) hat den Maler in früher Kindheit gekannt und über alles verehrt; er war damals „ein milder und guter Mensch" (III. 428). Eines Tages ist er verschwunden; man sagt ihr, er sei gestorben. Sie glaubt es nicht; sie sehnt sich nach ihm, sucht ihn überall vergebens. Da stürzt er unverhofft in den Gängen des Schlosses auf sie zu, mit „wieherndem Gelächter", eine zerrissene Kette um den Leib, und redet zu ihr, die um „hübsche bunte Bilder" bittet: „ H a ha, kleine Prinzeß - bunte Bilder? - ja nun kann ich erst recht malen, malen - nun will ich dir ein Bild malen und deine schöne Mutter! nicht wahr, du hast eine schöne Mutter? - aber bitte sie, daß sie mich nicht wieder verwandelt — ich will nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein - der ist längst gestorben. Ich bin der rote Geier und kann malen, wenn ich Farbenstrahlen gespeist! — ja malen kann ich, wenn ich heißes Herzblut habe zum Firnis - und dein Herzblut brauche ich, kleine Prinzeß!" (III. 429) Er zieht ein Messer, faßt das Kind am Hals; man kommt dazu und schleppt ihn fort wie ein Tier. Es liegt auf der Hand, daß das Mädchen hier stellvertretend für seine Mutter steht, daß die Mordlust des einst „milden Menschen" dieser gilt, ähnlich wie Medardus vom Wunsch gepackt ist, Aurelie im Liebesakt zu erstechen. Wo die Rückverwandlung ins Bild nicht gelingt, steht als letzte Konsequenz der Mord als deren pervertierte Gegenform. E r entspringt aus der dumpfen Sehnsucht des Verblendeten nach der einzig möglichen Freiheit, die er durch erkennende Umkehr in sich selbst zu finden nicht imstande war. Daß Ettlinger nun „Herzblut" zum Malen braucht, ist ein drastisches Symbol für das im ersten Kapitel definierte falsche Künstlertum, das statt Innerem Äußeres abbildet. Und wie wir den Schlußvorgang des fundamentalen Prozesses als einen Akt der Selbst-Erkenntnis, ja der eigentlichen Selbst-Findung begriffen haben, so zeigt sich dessen Scheitern am Beispiel Ettlingers als Selbst-Verlust, als „Verwandlung" in den „roten Geier". Das vielleicht Unheimlichste an der vorliegenden Ge-
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schichte aber ist, daß dieser Umbruch der Identität als Glück erfahren wird: „ . . . ich will nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein". Auch wenn wir uns, wo immer möglich, hüten, von Figuren und Geschehnissen auf die Person Ε. T. A. Hoffmanns zurückzuschließen,17 an solchen Stellen denkt man doch mit Beklemmung daran, wie dieser Mann die conditio humana erfahren haben muß. Als jäh eingesprengtes Schrecknis steht die Szene mit dem Wahnsinnigen im Leben der Prinzessin; ganz ähnlich erscheint die Ettlinger-Geschichte im Bewußtsein Kreislers und letztlich auch im Ablauf des Romans. Daß sie dennoch für das ganze Werk von so großer Bedeutung sein kann, hängt mit dessen spezifischer Struktur zusammen. Die Kreisler-Partien in den ,Lebens-Ansichten des Katers Murr' sind ein gewissermaßen punktueller Roman, ein erzählerisches Gebilde, dem es nicht um einen Ablauf, sondern um einen Zustand zu tun ist und das deshalb alle fortlaufende, fortziehende Handlung ständig aufbricht. Aus dem perspektivisch gleitenden Nacheinander werden die Geschehnisse in eine Art von Omnipräsenz umgeschichtet. Obwohl, wie stets bei Hoffmann, viel passiert, komplizierte Ketten von Ereignissen und Schicksalen sichtbar werden, die sich bei genauer Betrachtung alle ineinanderschließen, erreicht der Dichter doch, daß der Leser die Begebenheiten gleichsam statisch erfaßt. Wenn sich die ,Elixiere' in der Erinnerung als eine flimmernde, heftig akzelerierte Folge von Unternehmungen und Abenteuern ausnehmen, so erscheint der Kreisler-Roman zuletzt trotz Vorgeschichte und Ahnung kommender Dinge als eine große, typologisch gefächerte Konstellation von Gestalten, wobei alle Handlung einzig dazu dient, diese Konstellation zu erhellen. Der fiktive Biograph spricht selber von diesem Strukturprinzip: „Aber solche schöne chronologische Ordnung kann gar nicht aufkommen, da dem unglücklichen Erzähler nur mündlich, brockenweis mitgeteilte Nachrichten zu Gebote stehen, die er, um nicht das Ganze aus dem Gedächtnis zu verlieren, sogleich verarbeiten muß." (III. 336) Damit erklärt der tatsächliche Erzähler Hoffmann ausdrücklich, daß ihm das präsentische „Ganze" durch eine „chronologische Ordnung" gefährdet schien.18 Nun wissen wir aber, bei wie17
Als Beispiel für eine völlig unbekümmerte Gleichsetzung der Äußerungen fiktiver Figuren mit den Überzeugungen des Dichters selbst kann das Buch von H . G . Werner gelten: E. T. A . Hoffmann, Darstellung und Deutung der Wirklichkeit in seinem Werk. Weimar 1962. 18 Von den verschiedenen Kunstgriffen, die diesen Zweck erreichen helfen, nur ein Beispiel: Im ersten Kreisler-Abschnitt wird das große Gartenfest geschildert („unerachtet es schon ziemlich lange her ist" III. 309); alle späteren Kapitel aber spielen vor diesem Fest, und der Roman endet mit dem Hinweis darauf als auf etwas Kommendes. (Hoffmann begeht nur den Lapsus, zuerst 70
vielen seiner Werke ebendiese chronologische Ordnung zusammenfällt mit dem Prozeß um die gemalte Geliebte, mit dem umständlichen und gefährlichen Weg des Helden zur finalen Erkenntnis. Wir müssen uns also fragen, ob diese grundsätzliche Veränderung der Tektonik in einer Beziehung stehe zur Konzeption der Hauptfigur, des Kapellmeisters. Tatsächlich entspricht die Aufhebung der zielstrebigen Handlungsfolge genau Kreislers Besonderheit. Was die übrigen Protagonisten Hoffmanns als Nacheinander erfahren, macht seine unverändert gegenwärtige Grundspannung aus. Konkret gesagt: er besitzt jene letzte Einsicht, um welche sich die vielen Traumläufer so stürmisch und unbewußt zugleich bemühen, und er steht dennoch als Liebender vor dem Mädchen Julie. Sie ist ihm durchaus „Traumbesitz" in der von uns beschriebenen Weise, aber dadurch wird sie als äußere Realität, als atmendes Gegenüber nicht aufgelöst, sondern behält eine durch ein drohendes Schicksal noch gesteigerte Gewalt. Der „Prozeß" ist damit gleichsam in einen Zirkel umgebogen, seine zeitlich gestaffelten Phasen erscheinen als gegenwärtige Polaritäten. Deshalb ist es unseres Erachtens auch sinnlos, Spekulationen über das „weitere Schicksal" Kreislers anzustellen (referiert bei H . G. Werner, a.a.O. S. 173), etwa: er werde zu einem bestimmten Zeitpunkt wahnsinnig, oder: er entdecke sich „zuletzt" als legitimer Thronfolger. Der Wahnsinn ist für Kreisler wichtig als latente Möglichkeit; in dieser Gestalt bildet er eine wesentliche Komponente der Figur. Aber Thesen zu setzen, was aus Kreisler wirklich geworden sei oder unter Bedingungen geworden wäre, ist methodisch nicht zu rechtfertigen. Nun dürfte auch die Art und Weise, wie die Geschichte um die gemalte Geliebte in diesem Roman erscheint, ohne weiteres verständlich sein. Das Schicksal Ettlingers liegt auf der Peripherie jenes erwähnten Zirkels, in
von einer Geburtstags-, dann v o n einer Namenstagsfeier zu sprechen.) Das gleiche Ereignis ist also für den Leser zu Beginn vergangen, am Ende zukünftig. D a z u kommt, daß am Schluß dieses Festes der Kater Murr als noch blindes Kätzchen gefunden w i r d ; von seinem parallel zum Kreislergeschehen geschilderten Leben aus ist dieses somit längst vergangen. Die letzte Seite des Romans meldet den T o d des Katers; die zweitletzte, wie gesagt, das kommende Fest, wo das Tierchen erst entdeckt werden wird. Zur Frage des Fragmentarischen dieses Werks ist zu sagen, daß H o f f m a n n z w a r in der ,Nachschrift des Herausgebers' einen dritten Band angekündigt hat, daß dieser aber nicht die bruchlose Weiterführung der ersten zwei hätte werden können. D a ß sich mit dem erwähnten Gartenfest ein Ring schließt, ist ohne weiteres ersichtlich; der Tod Murrs markiert eine noch deutlichere Zäsur. A u c h von der spezifischen Struktur her ist, wie wir zeigen, keine Fortsetzung nötig. Der dritte Band hätte also notwendigerweise neu konzipiert werden müssen. Mit andern Worten: wir dürfen das Werk, so wie es vorliegt, ruhig als ein Ganzes nehmen.
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dessen Mittelpunkt der Kapellmeister steht, und macht diesen Horizont konstanter Möglichkeiten zum Teil überhaupt erst sichtbar. Deshalb kann der Kapellmeister auch, je nach der Situation, zu Ettlinger ganz verschiedene Haltungen einnehmen. Dem Wahnsinn nahe, gerät er beispielsweise an die Grenze der Identifikation mit ihm: „er erbebte nun [ . . . ] vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken, daß er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen" (III. 430). Etwas distanzierter wiederum, aber dafür auch hartnäckiger ist die gleichsam bedingte Identifikation, wenn ihm sein Spiegelbild als der Doppelgänger Ettlinger vorkommt. Dieser schaut ihm zeitweilig aus jedem Teich entgegen, und völlig verschwindet er nur einmal, als der Kapellmeister im Kloster für wenige Tage ganz ruhig wird, „sanft und weich wie ein Kind". 1 9 Es geschieht in einer überreizten Rede an dieses Spiegelbild („hoho, bist du da, geliebter Doppeltgänger, wackerer Kumpan?" III. 436), daß Kreisler auf die entscheidende Differenz zwischen der lebendigen und der gemalten Geliebten zu sprechen kommt und damit einmal mehr die für ihn spezifische Gleichzeitigkeit von Einsicht und noch immer möglicher Verfehlung sichtbar macht. Er sagt nämlich: „Willst du aber, Kumpan, daß die Fürstin noch jetzt deinem Bilde gleiche, so mußt du es nachtun dem fürstlichen Dilettanten, der seine Porträts ausglich mit den zu Porträtierenden, durch geschicktes Anpinseln der letztern" (III. 437). Der Hohn, der in diesem Satz mitschwingt, ist aufschlußreich. Er ist nur möglich, wo Distanz und Gebundenheit in einem vorliegen, und eben dies ist bei Kreislers Verhältnis zu Ettlinger der Fall. Das Wissen um den Irrweg des Malers trennt ihn von ihm, die in der Liebe zu Julie angelegte Möglichkeit eines ähnlichen Schicksals hält ihn an den Unglücklichen, i. e. an dessen Phantasma, gefesselt. Jenes Wissen aber erweist sich auch hier wieder wesentlich als die Erfahrung der Zeitlichkeit. E r verspottet Ettlinger, weil die Frau, welche dieser einst „in der höchsten Blüte" (III. 428) malte und bis zum Wahnsinn liebte, heute alt und anders ist. Die Zeit hat die fundamentale Diskrepanz zwischen dem lebendigen und dem „geschauten" Gesicht aufgedeckt und damit den Maler, der in jenem dieses liebte und an die Identität beider glaubte, in Kreislers Augen zur tragikomischen Gestalt gemacht. So erstaunt es uns denn weiter nicht, daß der Kapellmeister gleich nach dem Bericht der Prinzessin und nach deren Bemerkung: „Jenem Un19 „Verschwunden w a r jener gespenstische Doppeltgänger, der emporgekeimt aus den Bluttropfen der zerrissenen Brust" ( I I I . 536).
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glücklichen sehen Sie ähnlich Kreisler, als wären Sie sein Bruder" (III. 429), auch auf die klarste nur mögliche Weise von der „Liebe des Künstlers" sprechen kann. Seine Ausführungen sind von Ironie durchschossen, die einerseits aus dem geheimen Spannungsverhältnis zu Hedwiga entspringt, anderseits aus der Anstrengung, die katalysierende Wirkung der Ettlinger-Vita auf sein Inneres zu bewältigen. In Anspielung auf einen Satz Brentanos teilt er dabei die Menschheit in „gute Leute" und „Musikanten" ein, Philister und Künstler also, eine Dichotomie, die bei Hoffmann zwar häufig, aber immer in satirischer Zuspitzung vorkommt und deren Relevanz für das Gesamtwerk man nicht überbewerten sollte. Wie so o f t dient sie auch im vorligenden Fall vor allem dazu, den Hoffmannschen Helden vor einem kräftigen Kontrastgrund zu profilieren. 20 Was Kreisler hier über die Begegnung der Liebenden sagt, bildet den genauen Gegenpol zur Leidenschaft Ettlingers und ist daher wie diese als die modellhafte Ausprägung einer konstanten Möglichkeit des Kapellmeisters zu betrachten. Seine Theorie der reinen Künstlerliebe liegt somit auf der Peripherie des gleichen oben erwähnten Zirkels. Für uns ist sie aber auch über das Einzelwerk hinaus wichtig, weil sie nicht nur das Ziel formuliert, welches Ettlinger hätte erreichen sollen, sondern gleichzeitig den Abschluß des Prozesses um die gemalte Geliebte gemeingültig beschreibt. Kreisler sagt: „Es begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis, schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren aus dem Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der Geist aus in brünstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt! - Und sie, sie selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete A h nung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet als Gesang - Bild Gedicht!" (III. 431) D a s literarische Thema der Künstler-Existenz erreicht in der deutschen Literatur einen letzten Höhepunkt mit dem W e r k Thomas Manns. V o n dessen besonderer Sehweise wird daher auch die Hoffmann-Forschung gelegentlich beeinflußt. D a z u kann man, etwas überspitzt, sagen, d a ß für den Hoffmannschen Künstler der Bürger, sofern er wirklich „Philister" und ohne Inneres ist, ein Ärgernis darstellt, aber kein Problem. Bei Thomas Mann ist es umgekehrt. Deshalb muß Tonio Kröger durchaus von Hans Hansen her definiert werden, Kreisler aber ebenso entschieden aus sich selbst oder aus seiner Gestalt gewordenen Möglichkeit, dem Doppelgänger Ettlinger. 20
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D a ß der Schluß des Zitats als weiterer Beleg für die schon anhand der Briefe festgestellte Gleichberechtigung der Kunstgattungen im theoretischen Denken Hoffmanns gelten kann, sei nur rasch erwähnt. Wichtig ist uns vor allem das Gewicht, das hier auf dem Thema der Erkenntnis liegt: mit der Bewegung fällt „urplötzlich der Flor", ein Zustand fundamentaler Blindheit reißt auf. Welches aber ist nun, ganz genau besehen, das Objekt der Erkenntnis? Hoffmann läßt keinen Zweifel offen: es ist „das Engelsbild, das schweigend ruhte in ihrer Brust", also ein seit je Besessenes, das vielleicht unbestimmt geahnt, aber nie geschaut und begriffen worden war. Mit andern Worten: im Gesicht der Geliebten erkennt der Held nur eines, sich selbst, und z w a r sich selbst als einen zum „Schauen" im Sinne Serapions Bestellten. In dem Augenblick, w o das schöne Mädchen lebendig vor ihm steht, entfaltet sich mit mächtigem Schein der Raum seines Innern, die Sphäre der Präformation, und in dessen bewegter Mitte ruht bereits jenes Mädchen als das erste „Geschaute", die früheste Schöpfung des kreativen Ich, das das Urbild aller ästhetischen Produktion. D a mag denn alles andere der Zeitlichkeit verfallen, nicht zuletzt die lebendigen Julien und Aurelien selbst. Es ist H o f f m a n n nur selten gelungen, dieses Herzstück seiner autistischen Daseinserfahrung mit so kompromißloser Deutlichkeit in Worte zu fassen, wie hier im Kreisler-Roman. Die Stelle wird höchstens noch vom Schlußabschnitt der Erzählung ,Die Fermate' übertroffen, der zur Verstärkung des Gesagten angeführt sei, vor allem, weil sich da auch der Begriff des Spiegels endlich findet. Es geht in diesem Stück um eine Künstlergenese, die Selbstfindung eines jungen Komponisten; die Frau, vor welcher „der Flor fällt", ist die reisende Italienerin Teresina. Die komödiantische Romanze lebt, mit unseren Begriffen gesagt, vor allem aus dem behaglich ausgespielten Prozeß des „Abschütteins der Geliebten" und aus dem erheiternden Effekt, den die Konfrontierung des ewigjungen Bildes im Innern des Künstlers mit der gealterten Frau bewirkt. Der Erzähler, der die Geschichte als seinen eigenen Werdegang berichtet, zieht am Schluß die überlegene Bilanz: „Glücklich ist der Komponist zu preisen, der niemals im irdischen Leben die wiederschaut, die mit geheimnisvoller K r a f t seine innere Musik zu entzünden wußte. Mag der Jüngling sich heftig bewegen in Liebesqual und Verzweiflung, wenn die holde Zauberin von ihm geschieden, ihre Gestalt wird ein himmelherrlicher Ton, und der lebt fort in ewiger Jugendfülle und Schönheit und aus ihm werden die Melodien geboren, die nur sie und wieder sie sind. Was ist sie denn nun aber anders als das höchste Ideal, das aus dem Innern heraus sich in der äußern fremden Gestalt spiegelte." (II. 74) Damit ist genau jener Zielzustand umrissen, den auch Kreisler skizziert,
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nur hat der Sprecher hier diese Befindlichkeit selbst erlangt, während der Kapellmeister - man kann es nicht genug betonen - ihr ebensofern und ebensonah steht wie der Passion Ettlingers, das heißt: das eine wie das andere mag jederzeit und plötzlich eintreten. Auch Kreisler identifiziert die Geliebte mit einem einzigen unendlichen Ton, dem akustischen Pendant zum wandellosen Bild im Innern der Maler, wobei er in einem seiner ironischen Anfälle die groteske Frage stellt, „ob es möglich sei, daß ein Ton dunkelblaue Augen haben könne" (III. 513). Das obenstehende Zitat, das diesem Ton „ewige Jugendfülle" zuschreibt, ist bei aller Ernsthaftigkeit von solcher Skurrilität gar nicht weit entfernt. Ähnliches haben wir früher schon bei der ,Prinzessin Blandina' festgestellt. Was dem Passus aus der Fermate nun aber das größte Gewicht verleiht, ist der abschließende Satz mit dem Begriff der „äußern fremden Gestalt". Hier liegt Hoffmanns konsequenteste Formel vor für die lebendige personale Geliebte. Und ebenso eindeutig wird deren Funktion bezeichnet: sie ist Spiegel, sonst nichts. Daß aber die sprachliche Präzision dort aufhört, wo das Gespiegelte benannt werden soll, ist uns seit längerem vertraut. Was Hoffmann hier „das höchste Ideal" heißt, dafür besitzt er zwar ein ganzes Arsenal von Termini, aber keinen unverwechselbar eindeutigen. Verfügte er über ihn, so müßte er sich - wie Kleist und Jean Paul — sogleich auch den Philosophen stellen und den großen Systemen seiner Zeit, die alle in seinem Werk als Energien, Ideensplitter oder terminologischer Wirrwarr wirksam sind. Aber dann verlöre er wohl auch bald die Kraft, aus der und zu deren Bewältigung er die große Folge seiner erzählenden Werke schaffen kann.
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III. KAPITEL
DIE AUGEN DER
OLIMPIA
Die lebendigen Puppen Konzeption und Varianten des Teraphims
Wir haben die gemalte Geliebte in den Erzählungen Hoffmanns vorgenommen als ein Motiv und dann festgestellt, daß dahinter viel mehr liegt, daß die Vorgänge um Bild, Modell und Maler in ihrer Grundform als eigentliches Konstitutivum der Erfindungswelt des Dichters betrachtet werden müssen. Dies wurde spätestens dort offensichtlich, wo sie sich für ganze Werke — viele Erzählungen und den Roman ,Die Elixiere des Teufels' - als strukturbildend erwiesen. Ein Prozeß mit bestimmten Gesetzmäßigkeiten wurde aufgedeckt, der die innere Folgerichtigkeit vieler Erscheinungen an den Tag legte, welche vorher allein auf der zufälligen Laune des Erzählers zu beruhen schienen. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Prozeß, in dem leidenschaftliche Anliegen Hoffmanns ihre schlüssige Gestalt finden, in verwandter Form nicht auch im Gefüge anderer Werke des Dichters aufgespürt werden kann, selbst wenn da weder von Malern noch von Gemälden die Rede sein sollte. Denn ein Konstitutivum, wenn wir den Ausdruck einmal brauchen wollen, muß in verschiedenster Gestalt erscheinen können, da es als ein Allgemeineres und auch Abstrakteres dem einzelnen Werk unterlegt ist und dessen Individualität als freies und einmaliges Spiel erst ermöglicht. In welch fundamentaler und damit für die Interpretation aufschlußreicher Weise das tatsächlich der Fall sein kann, zeigt ein Blick auf das berühmte Nachtstück ,Der Sandmann'. Um gleich das Entscheidende zu sagen: Olimpia, das schöne Automatenmädchen, entspricht in seiner Funktion innerhalb des zentralen Handlungskonnexes weitgehend dem gemalten Bild der Geliebten in den im vorigen Kapitel behandelten Geschichten. Mit dieser These wird nun allerdings stillschweigend vorausgesetzt, daß der Held der Erzählung durchaus analog zu sehen sei zu den Hauptfiguren jener andern Stücke. Bei denen aber handelte es sich durchwegs 76
um werdende Künstler, verstrickt in ihre spektakuläre Genese. Nathanael indessen scheint vor allem ein interessanter pathologischer Fall zu sein, ein faszinierender Wahnsinniger, wie er in spätromantischen .Nachtstücken' eben vorkommen darf. Daß er überdies ein mediokrer Dichter ist, wirkt unmittelbar nicht von Belang. Als viel gewichtigeres Moment erscheint die Figur eines objektiv Bösen in der Novelle, der offenbar eine jenseitig-fatale Macht vertritt. So zumindest wird der Advokat Coppelius (resp. der Wetterglashändler Coppola) in der Literatur meistens aufgefaßt. 1 Das scheint vor einem Vergleich etwa mit dem komödiantischen ,Artushof' und ähnlichen Produkten zu warnen. Anderseits haben wir, beispielsweise in den beiden Romanen, gesehen, daß der fragliche Geschehniskomplex auch ins schlechthin Heillose führen kann, zu Konsequenzen, welche sich von dem gräßlichen Schluß des .Sandmanns' in nichts unterscheiden, und wir haben dort trotzdem jegliches Dämonenwesen ausdrücklich und mit Gründen bestritten. Gerade von einer Geschichte wie dem Bericht über den Maler Ettlinger im ,Kater Murr' her läßt sich deshalb der ,Sandmann' am ehesten in vertraute Zusammenhänge rücken. Mit Ettlinger nämlich stimmt Nathanael sowohl in der schauerlichen Form des Wahnsinns wie auch in der Tendenz zu Mord und Bluttat überein. Vom Maler heißt es: „Man legte ihm die Ketten an, [ . . . ] man führte ihn fort, indem er entsetzliche Töne ausstieß wie ein gefesseltes wildes Tier" (III. 429); und vom Liebhaber der Olimpia, nachdem er diese als Puppe erkannt hat: „Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischem Gebrüll. So in gräßlicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhaus gebracht" (I. 359). Sowenig wie für das Unheil Ettlingers ist auch für das Nathanaels eine objektive dämonische Macht verantwortlich oder zur Erhellung nötig; die Ursache ihres Schicksals liegt bei beiden allein in ihrer unbegriffenen und unerlösten Liebe. Das ist allerdings ohne behutsames synoptisches Vorgehen nicht bis ins letzte klarzulegen; für sich allein genommen, kann gerade die Olimpia-Novelle sehr leicht zu den verschiedensten Zufalls-Deutungen verleiten. Die Parallele zur Schlüsselparabel des Kreisler-Romans ist nun aber so offensichtlich, daß sich die Verwandtschaft von Nathanaels Geschick mit dem Problem- und Aktionsgefüge um die gemalte Geliebte nicht bestreiten läßt. Der Unterschied zu den heiter-turbulenten Werken wie dem ,Artushof', ,Meister Martin' oder 1
V g l . L . K ö h n a.a.O. S. 1 0 3 , w o sich der Verfasser einem Satz von M a r g o t Kuttner anschließt, in dem sie in Coppelius „das absolut determinierende W a l ten einer höheren M a c h t " feststellt. - Vorsichtiger urteilt H . G . Werner (a.a.O S. 99), der das Problem als nicht gelöst betrachtet: „Letztlich bleibt aber doch die Frage nach der Existenz dämonischer Wesen ungeklärt."
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der .Fermate' liegt einzig darin, daß der überall gleiche Prozeß dort zu dem ihm wesentlichen Ende gelangt, während er hier - wie etwa auch im ,Malerbuch' der .Elixiere' - in seiner heikelsten Phase stockt und damit alles menschenmögliche Unglück freisetzt. Hat man das einmal eingesehen, treten zahlreiche weitere Entsprechungen von selbst ins Blickfeld. So stimmt die Figurenkonstellation mit der Exposition vieler Erziehungsnovellen überein; wie Traugott zwischen Christina und Felizitas, steht Nathanael zwischen Clara und Olimpia, und die Gestalt Coppelius/Coppola erscheint genau dort, wo in so manchen Erzählungen der Mentor auftritt. Das ganz Besondere dieser Novelle liegt nun darin, daß in ihr ein Vorgang auf großartige Weise Gestalt findet und das Werkganze prägt, der in den Künstlergeschichten oft nur mit angestrengten Konstruktionen bewältigt wird: das Lebendigwerden des Bildes. Es gibt wenige Themen, die den Dichter so unverhüllt faszinieren, wie dieser Akt; bei der Betrachtung des Malerbuchs hat sich das deutlich gezeigt (vgl. oben S. 6j), wie denn in den .Elixieren' überhaupt die ständigen Hinweise auf die übereinstimmende Gewandung von Aurelie und Rosalia dem ungescheuten Leser geradezu als eine Marotte des Autors vorkommen müssen. Aber während Hoffmann sonst meistens dem idolatrischen Jüngling das lebendige Modell vor Augen führt, wird im ,Sandmann' die Sache selbst schrittweise erweckt, auf eine Art, die einmal mehr die zwingende Assoziation zu Pygmalion schlägt. Dabei ist es allerdings nicht so, daß Nathanael zuerst von der Schönheit der noch reglosen Figur entflammt würde, wie dies bei den Porträts jeweils der Fall ist, und daß er dann der Lebendigwerdung eines bereits geliebten Wesens beiwohnte. So würden wir es, da wir nun einmal auf die Konstanz der Phänomene aus sind, eigentlich erwarten. Die erste Begegnung verläuft indessen genau gegenteilig. Nathanael sieht Olimpia durch den Gardinenspalt einer Glastür: „Selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Arme, die Hände zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Türe gegenüber, so, daß ich ihr engelschönes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken, und überhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe möchte ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offenen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort . . (I. 342). Er ist offensichtlich vorwiegend befremdet; von den wunderbaren Ahnungen, die etwa Traugott vor dem Wandgemälde des Artushofs erfassen, kann nicht die Rede sein.2 Das ist denn doch auffällig, 2
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Diese typologisch wesentlichen Regungen sind bei Nathanael
allerdings
da die Geschichte ja auf die Liebe Nathanaels zu Olimpia hin angelegt ist und eine gestufte Vorbereitung durchaus zu erwarten wäre. Aber dem steht ein unerbittliches Prinzip Hoffmanns entgegen: Olimpia ist kein Kunstwerk, kann und darf keines sein, ja sie müßte als eigentliches Urbild der falschen, i.e. nicht „geschauten", sondern äußerlich montierten Kreation gelten, wenn die Frage nach ihrer ästhetischen Qualität je gestellt würde. Somit kann sie den Studenten gar nicht auf Anhieb tiefer berühren, trotz des „engelschönen Gesichts". Die gemalte Rosalia, beispielshalber, ist ein wahrhaft „geschautes" Werk, strahlend von ästhetischen Energien im Sinne Hoffmanns; der Mönch, wenn er das Gemälde sieht, muß nichts hinzutun: es ist, so wie es da hängt, vollkommene und ganze Spiegelgestalt seines Innern. Nathanael aber hat alles selbst zu leisten; das Automatenmädchen ist nicht mehr als ein steifes Substrat seiner gnadenlosen Einbildungskraft. Wenn wir sagen „gnadenlos", so zielt das nicht auf die Tatsache, daß er diese Einbildungskraft überhaupt besitzt. Im Gegenteil, das macht ihn erst zu einem für Hoffmann ernstzunehmenden Menschen. Selbst wenn er ein unfertiger oder verkümmerter Dichter sein sollte (der Autor hält sein Urteil in der Schwebe), er ist doch ohne Zweifel aus solchem Zeug wie das zu Künstlern. Aber dieser seiner eigenen Beschaffenheit steht er völlig hilflos gegenüber; der Nathanael, der in tobender Verzweiflung vom Turm stürzt, hat keine Ahnung, daß die Einsicht in das Puppenwesen der Geliebten die glücklichste Erkenntnis seines Lebens sein könnte. So aber weiß er wahrhaft nicht, was er tut, genauer: was seine Augen treiben. Man staunt stets von neuem, mit welcher Präzision Hoffmann hier das zentrale Problem symbolisch konkretisiert und mit welcher Souveränität (der ,Sandmann' ist immerhin ein ziemlich frühes Werk) er eben dieses literarische Konkretum erzählerisch verwertet. Es wäre lohnend, abzuklären, ob vor dieser Geschichte je ein Leitmotiv in solcher Dichte, Vielseitigkeit und Stimmigkeit in der Literatur eingesetzt worden ist, wie hier die Augen (und, als deren Erweiterung, Brillen und Ferngläser). Was die Sache indessen kompliziert, ist die Tatsache, daß es nicht nur um die Augen Nathanaels geht, sondern auch um die Claras und im besondern noch Olimpias. Schon bevor er sich in das Automatenmädchen verliebt, schreibt der Student jenes längere Gedicht, wegen schon durch die Begegnung mit Coppola, in dem er den Kinderschreck Coppelius zu erkennen glaubt, auf nachhaltige Weise hervorgerufen worden: „Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden" (I. 346). Derartige Wirkungen der Mentorgestalt finden sich gelegentlich, wenn auch selten so intensiv.
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dessen es um ein H a a r zum Bruch mit der Verlobten und zum blutigen Zweikampf käme, da die Freunde das Werk als unsinnig ablehnen. Tatsächlich aber spricht er darin die ganze Problematik seiner Existenz und damit auch der Novelle aus, nur versteht er sein Poem selber nicht; es ist ihm gewissermaßen passiert, denn wie er es zum erstenmal durchliest, faßt ihn „wildes Entsetzen", und er schreit: „Wessen grauenvolle Stimme ist das?" (I. 348) Der Inhalt dieser Dichtung wird folgendermaßen wiedergegeben: „Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden [ . . . ] Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und berührt Claras holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppelius faßt ihn und w i r f t ihn in einen flammenden Feuerkreis [ . . . ] . Aber durch dies wilde Tosen hört er Claras Stimme: ,Kannst du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat dich getäuscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja glühende Tropfen deines eigenen Herzbluts - ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!' - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. - D a ist es, als faßt der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, daß er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getöse. Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut" (I. 348). Alles, was hier gesagt wird, ist Vordeutung auf kommendes Geschehen, aber mit dieser Feststellung ist die Passage noch nicht geklärt. V o r allem erweckt der unerwartete und seltsam irritierende Schlußsatz von den freundlichen Augen des Todes das Bedürfnis nach eindeutiger Interpretation. Zudem ist in dieser Verdichtung zukünftiger Ereignisse Olimpia nicht vorhanden, die doch später ganz ins Zentrum rückt; ja seltsamerweise geschieht hier mit Claras Augen, was nachher mit denen des Automats passiert: daß sie gegen oder in Nathanaels Brust geworfen werden. 8 Clara und Olimpia aber scheinen sich sonst in der ganzen Erzählung polar entgegenzustehen. Wenn denn also die Augen das Schlüsselmotiv des Werks sind und dieses Motiv in seiner seltsamsten Variante auf das lebendige und auf das mechanische Mädchen gleicherweise angewendet wird, so dürfen wir hier eine entscheidende Stelle vermuten. Der Wahnsinn Nathanaels wird im Gedicht dadurch ausgelöst, daß dieser sehen muß, wie Claras Augen brennend in seine Brust springen. Das heißt, die geliebte Braut wird auf schrecklichste Weise zerstört. H o f f Vgl. I. 3J9: „ N u n sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten H a n d und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. - D a packte ihn der W a h n sinn mit glühenden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein . . 3
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mann denkt gewiß schon hier auch an die „schwarzen Höhlen", wie sie später im Gesicht Olimpias sichtbar werden. Diese Verstümmelung des Mädchens durch eine seit frühesten Jahren gefürchtete teufelähnliche Gestalt reicht für den psychischen Kollaps zweifellos aus und würde auch zur Begründung von Nathanaels nachmaligem Geschick genügen. Nun aber korrigiert Hoffmann durch das Gedicht selber diese plausible Deutung (in welcher die Erzählung zur psychopathologischen case study würde) und gibt verhüllten Hinweis, wie auch alles andere zu verstehen sei. Er läßt nämlich Clara sagen: „Coppelius hat dich getäuscht". Das ist ein sehr wichtiger Satz; denn damit wird der „Böse" der Erzählung von einem Täter zu einem, der bestenfalls Einfluß nimmt; von einem, der mit physischer Gewalt das Mädchen blendet, zu einem, der den Studenten höchstens glauben macht, er täte es. Die Problematik von Terror und Bluttat enthüllt sich als eine Problematik von Täuschung und Ent-Täuschung, also von Erkenntnis. Worin aber besteht Nathanaels Fehlmeinung genau? Clara sagt: „Coppelius hat dich getäuscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja glühende Tropfen deines eigenen Herzbluts - ich habe ja meine Augen." Heißt das nun, daß überhaupt nichts passiert ist, nichts von Claras Gesicht „sengend" zu Nathanael übergesprungen ist? Das kann schwerlich der Fall sein, denn das jähe Brennen muß seine Ursache haben. Anderseits sagt Clara eindeutig: „ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!" Soll man also den absurden Schluß ziehen, daß das Mädchen zwei Augenpaare hat, wobei sie selber nur um das eine, Nathanael nur um das andere weiß? Es bleibt keine andere Wahl. Und im Hinblick auf den letzten Satz der zitierten Inhaltsangabe erscheint diese Folgerung zudem bedeutend weniger absurd. Wenn nämlich Nathanael, als sich der Wahnsinn durch Claras Zuruf gelegt hat, ihr glaubt, daß sie „ihre Augen" hat, und es dann „der Tod" ist, der „mit Claras Augen ihn freundlich anschaut", dann kann das ja wiederum nur verstanden werden unter der Annahme eines wie auch immer gearteten doppelten Augenpaars. Denn obschon sich für das Bewußtsein Claras selber nichts verändert hat, sieht Nathanael nicht mehr jene Augen vor sich, die er liebte und in denen ihm das Ziel seiner Sehnsucht lebendig und antwortend begegnete, sondern etwas ganz und gar Fremdes, das durch seine bloße Gegenwart den Untergang der geliebten Sterne bestätigt und ihm daher vorkommt als der Tod. Claras Satz: „das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten", ist somit nur von ihr aus richtig; denn die entscheidende Tatsache ist eben: daß Nathanael in den Augen der Geliebten wie in zwei Spiegeln das ungekannte Licht seines eigenen Innern sah; ihre Schönheit war die des „Karfunkels" in
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seiner Brust und damit durchaus Teil seines „eigenen Herzbluts". Seine Augen selbst warfen den Strahl, dessen Widerschein er für den Blick des Mädchens hielt, jenen Blick, um dessentwillen er sie liebte. Und wenn nun in seiner poetischen Vision die Augen Claras in seine Brust springen, dann ist das nichts anderes als die Aufdeckung ihrer tatsächlichen Seinsweise als strahlende Reflexe; der scheinbar gräßliche Vorgang verkörpert eine Wahrheit, die ihn erlösen könnte, wenn er sie nur zu fassen vermöchte. Wir dürfen nicht vergessen: das alles ist in Nathanaels eigenem Gedicht enthalten. Auch wenn er sich davor selber entsetzt, so heißt dies doch, daß er der Erkenntnis im Grunde nahekommt. Ja, wenn er nach Claras schroffer Ablehnung seines Werks das Mädchen in jäher Wut als „lebloses, verdammtes Automat" bezeichnet (1.348), so spricht er damit, so herzlos es sich ausnimmt, eine subjektive Wahrheit aus. Aber gerade weil diese Wahrheit herzlos ist, verdrängt er sie auch wieder und bereitet so das Feld für das fatale Maschinenmädchen. Damit liegt nun aber eine Folgerung nahe, die sich trotz allem seltsam ausnimmt: wenn das eben Gesagte zutrifft, dann steht Clara gar nicht im Gegensatz zu Olimpia, sondern eher parallel zu ihr. Das Automat müßte dann, von der Erfahrungskurve Nathanaels aus betrachtet, geradezu als die gesteigerte Allegorie der lebendigen Braut definiert werden. Wenn wir dies einmal akzeptieren, löst sich mindestens die eine Schwierigkeit: warum in Nathanaels Vision von seinem kommenden Schicksal das Automat nicht vorkommt und das, was später an Olimpia passiert, mit Clara geschieht. Noch gewichtiger aber ist die Tatsache, daß von dieser Deutung her die letzte Katastrophe auf dem Turm ohne weiteres verständlich wird, jene Szene nämlich, wo der geheilte und beruhigte Nathanael Clara zufällig durch das Perspektiv erblickt, mit dem er nach Olimpia zu schauen pflegte, daraufhin erneut von der Phrenesie gepackt wird und das Mädchen mit dem R u f : „Holzpüppchen dreh dich!" zu ermorden trachtet (I. 362). Es ist zweifellos Wahnsinn, was ihn hier umtreibt, aber der Wahnsinn besteht nicht darin, daß er Clara auch als „Holzpüppchen", als eine Olimpia sieht; vielmehr wird die Raserei von ebendieser mehrfach verdrängten und nun erneut aufgebrochenen Erkenntnis erst ausgelöst, und zwar deshalb, weil er mit der Wahrheit noch immer nicht zu Rande kommen kann. Anderseits haben wir oben selber von einem Gegensatz der beiden weiblichen Figuren gesprochen und gesagt, Nathanael stehe zwischen Clara und Olimpia wie jener Traugott des ,Artushofs' zwischen Christine und Felizitas. Aber gerade dieser Vergleich enthält auch die Erklärung: wohl hatte sich Traugott gegen Christine und für Felizitas zu entscheiden, 82
auf einer späteren Stufe indessen traten die opponierenden Figuren dennoch nebeneinander, dort nämlich, wo Traugott in den Ruf ausbrach: „Was habe ich mit der Kriminalrätin Mathesius zu schaffen!" (vgl. oben S. 49), das heißt, wo er das sehnsüchtig Gesuchte als den eigenen Traumbesitz erkannte. Auch Nathanael könnte sagen: „Was habe ich mit Clara, was mit Olimpia zu schaffen!", denn ihm dämmert dumpf, daß er an ihnen einzig die selber projizierte Schönheit liebte, daß er in ihren Augen nur die seinen sah; aber statt in Gelächter auszubrechen, springt er vom Turm und zerschmettert sich den Schädel. Sein letzter Schrei ist - was sonst? - : „Sköne Oke - sköne Oke!" (I· 362) Wenn man die Verse Goethes: „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen; Denn was innen, das ist außen"4 aus dem rein naturwissenschaftlichen Zusammenhang löst und, was zweifellos erlaubt ist, anthropologisch nimmt, kann man in ihnen unter anderem eine sehr genaue Formel für das Glück, den Zustand des Glücklich-Seins, sehen. Nur dort, wo die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, zwischen Phantasma und Objekt, Idee und Sache, Sehnsucht und Besitz sich aufhebt in einer freien Koinzidenz (oder eben: Gegenwart) ist Glück möglich; besser noch: dort ist immer und überall Glück. Deshalb spricht Lynkeus, der Türmer, von den „glücklichen Augen" (Faust II, V. 11300); denn in diesen vollzieht sich jene Koinzidenz in überragender Weise (mindestens für das immer auf dem Somatischen aufruhende Denken Goethes); die Augen sind die Organe des Glücks schlechthin. Dabei ist der Begriff des Organs genau zu nehmen; er meint ein ebensosehr Tätiges wie Rezeptives. Gottfried Kellers „liebe Fensterlein", beispielsweise, würden den Augen des Türmers, sosehr das „Abendlied" sonst an jenen Gesang erinnert, nicht ganz entsprechen; das Empfangen, das „Trinken" überwiegt zu sehr. Dennoch sind die Augen auch bei Keller wesentlich „glücklich", der festliche Schluß des Gedichts zeigt das deutlich genug, nur beruht hier die Kommunikation von Innen und Außen, aus welcher das Glück entspringt, nicht auf einem Hin und Wider, sondern auf dem ungebrochenen Einströmen des Weltlichts in das dunkle Menschliche. Auch Nathanael ist glücklich in der Gegenwart Olimpias, vor ihrem „Liebesblick, der zündend sein Inneres durchdrang" (I. 3 54)· Auch bei ihm geht es um „glückliche Augen", obschon in einem mehrfachen und unheimlichen Sinn. Wir wissen, daß Olimpia ihm zuerst völlig gleich4
Im Gedicht .Epirrhema' („Müsset im Naturbetrachten . . . " ) , das Goethe zuerst in seine Zeitschrift ,Zur Morphologie' einrückte und in der Anordnung der Ausgabe letzter Hand als Verbindungsstück zwischen die zwei .Metamorphosen' setzte. (Hamburger Ausgabe, Bd. I, 1 9 j 8 (4), S. 358).
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gültig war, ihm vorkam wie erstarrt. Erst als er sie durch das Fernglas sah, „war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert . . . " (I. 352). Und nur von ihren Augen her wird sie ganz liebenswert; denn als er ihre H a n d zum erstenmal berührt, drohen sich seine Gefühle zu verflüchtigen: „Eiskalt war Olimpias Hand, er fühlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick w a r es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Ströme zu glühen. Und auch in Nathanaels Innerm glühte höher auf die Liebeslust . . . " (I. 354). Und von da an trägt der unglückselige Freier „einen ganzen hellen strahlenden Himmel in der Brust" (I. 355). Wir können durchaus sagen, daß die Koinzidenz von Innen und Außen, die dieses Glück ausmacht, aus der Perspektive Nathanaels ganz in der Begegnung mit dem Augenpaar Olimpias liegt, das seinem Innern in einer bisher nicht für möglich gehaltenen Weise antwortet und so das Gefälle zwischen Ich und Welt mit einemmal aufhebt. Deshalb spricht er von ihr fast immer in pars-pro-toto-Wendungen, identifiziert sie ganz mit ihrem „Liebesblick" (1.356,358), und kann gleichzeitig nicht genug betonen, wie sehr er darin sich selber finde: „ N u r mir ging ihr Liebesblick auf [ . . . ] , nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder" (I. 356). Kaum nennt er sie einen „Strahl aus dem verheißenen Jenseits der Liebe" - wobei nur ihr Blick gemeint sein kann, denn er sieht ihr dabei „unverrückt ins Auge" - ergänzt er auch schon: „du tiefes Gemüt, in dem sich mein ganzes Sein spiegelt" (I. 355). Aber so real dieses Glück ist, von so böser Ironie sind doch gerade die Sätze, die der Autor seinen Helden sprechen läßt. Gewiß „spiegelt" sich hier etwas; aber wenn Nathanael das Verbum als Metapher für die personale Begegnung mit einem Tiefverwandten gebraucht, so weiß der Leser, daß es viel wörtlicher zu nehmen ist, daß hier wirklich nur von Wider-Schein die Rede sein kann, von geträumten Reflexen in polierten Gläsern. U n d H o f f m a n n sagt insgeheim noch mehr: indem er Nathanael an dieser Spiegelsäule den „Strahl aus dem verheißenen Jenseits der Liebe" preisen läßt, weist er auch auf den wahren Fokus solchen Lichtes hin, jenen namenlosen Punkt in der Brust des Helden selbst. Wer ist denn nun aber Olimpia? - Als das tote Substrat von Nathanaels unbegriffenem, aber durchaus serapiontisch-kreativem „Schauen" (mithin der grundierten Leinwand jener verrückten Maler verwandt), steht sie letztlich für die Außenwelt schlechthin. Wir haben bereits gesagt, daß sie als die Allegorie Claras betrachtet werden dürfe, und wir kön84
nen den Satz noch erweitern: wie sie die Allegorie der Geliebten ist, ist sie auch die Allegorie der Natur, der Gesellschaft, sogar der Sprache. Dialektisch redend, könnte man sie geradezu die gestaltgewordene Negation des romantischen Panpsychismus nennen, das bleiche Gespenst dessen, was Novalis einst den „magischen Idealismus" nannte. Denn wenn bei ihm vom kommenden Menschen gesagt wird: „Er wird seine Sinne zwingen ihm die Gestalt zu produzieren, die er verlangt - und im eigentlichsten Sinne in seiner Welt leben können", 5 dann ist dieses Postulat in Nathanael auf eine schneidende Weise erfüllt. Vor den glänzenden Augen des Automatenmädchens lebt er durchaus „im eigentlichsten Sinne in seiner Welt", aber, und hier liegt der Riß zu Novalis, diese seine Welt ist nicht mehr zum voraus identisch mit der Welt schlechthin oder mit deren „Geheimniszustand", um einen Lieblingsausdruck Hardenbergs zu gebrauchen. Olimpia lebt nur für ihn. Und damit wird sie zum Zeugnis dafür, daß es einen solchen Geheimniszustand der Welt gar nicht gibt, daß kein Lied in allen Dingen schläft, sondern nur eines im Innern des Menschen. Wenn die Welt dennoch zu singen anzuheben scheint, dann ist das nicht mehr als ein schönes Echo dieses Urtons aus der eigenen Brust, wie die Augen Olimpias ein schönes Echo des gleichgearteten Urlichts sind. Allerdings ist in diesem Raum zwischen Ton und Widerhall, zwischen Lichtquelle und Abglanz der oben zitierte Goethe-Vers tatsächlich erfüllt, schießen Drinnen und Draußen zusammen (und zwar in der von Novalis skizzierten äußersten Form), ist folglich auch Glück. Aber es ist nicht das realistische Glück des Türmers und auch nicht das idealistische jenes Lehrlings zu Sais, der den Vorhang hebt und sich selber findet, sondern das Glück des wahnsinnigen Einsiedlers Serapion im Zirkel seiner Projektionen. Auch er nimmt sich ja wie eine ungewollte Parodie auf den magischen Idealismus aus, - ungewollt, weil Hoffmann Novalis verehrte und wohl kaum ahnen konnte, wie sehr er dessen zukunftstrunkene Spekulation in böse gegenwärtige Aporien verwandelte, die totale Metaphysik auseinanderfallen ließ in Psychologie und ein autistisches Mythologem, - damit als einer der ersten eine Grundbewegung des Jahrhunderts vollziehend. Olimpia und das Glück, - die Problematik liegt wohl nicht unmittelbar nahe, vor allem wenn man den primären Effekt der Erzählung beachtet, der eindeutig Schreck und Grauen ist. Dennoch wäre ein Nathanael denkbar, der am Schluß lächelnd, ja mit einer gewissen nostalgischen Wehmut an die artifizielle Braut zurückdenkt. Wir können das behaupten, da Olimpia im Werk Hoffmanns eine Reihe von Geschwi-
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Novalis, Werke, hg. v. E. Wasmuth. Heidelberg 1957, Bd. 2, S. 443^
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stern hat, die man nur deshalb nicht gleich als solche erkennt, weil die entsprechenden Erzählungen immer wieder auf andere Grundtöne gestimmt sind. So gehört zur engsten Verwandtschaft des horriblen Automats eine der liebenswürdigsten Erfindungen des Dichters: der tapfere Nußknacker aus dem Märchen .Nußknacker und Mausekönig'. 6 Man darf eine Stelle dieser Geschichte geradezu als Hinweis Hoffmanns auf solche Veränderungen der emotionalen Tönung bei konstanter Problematik auffassen. Die Mutter der kleinen Protagonistin unterhält sich mit dem Paten Drosselmeier, der auffällig viele Züge des Dichters selbst trägt. Dabei heißt es in der reizvollen Diktion, die das ganze Werk kennzeichnet: „ ,Ich hoffe,' sprach die Medizinalrätin, ,ich hoffe, lieber Obergerichtsrat, daß Ihre Geschichte nicht so graulich sein wird, wie gewöhnlich alles ist, was Sie erzählen?' ,Mitnichten, teuerste Frau Medizinalrätin', erwiderte Drosselmeier, ,im Gegenteil ist das gar spaßhaft, was ich vorzutragen die Ehre haben werde' " (II. 219). Es geht wirklich alles prächtig aus in dieser Geschichte, und man liest mit Vergnügen den Schlußsatz, der berichtet, daß die siebenjährige Marie nun Königin eines Landes geworden sei, w o man „die allerherrlichsten wunderbarsten Dinge erblicken kann, wenn man nur darnach Augen hat" (II. 252). Das tönt so fraglos fröhlich, daß man über diesen „Augen" erst stutzt, wenn sich einem die Frage stellt, ob denn nicht auch der unselige Nathanael „darnach Augen" hatte, ob die „skönen Oken", denen seine letzten Wort galten, nicht von der grundsätzlich gleichen Beschaffenheit waren. Dem ist zweifellos so. Folglich, müssen wir auf Grund unserer bisherigen Ausführungen schließen, ist die kleine Marie irgendwann in der Geschichte zu einem Punkt der Reflexion, der Selbst-Erkenntnis gelangt, der sie, wie jene vielen Künstler, ihren eigenen Projektionen gegenüber frei gemacht und das glückliche Ende ermöglicht hat. Aber das ist nun auch wieder nicht der Fall. So bleibt nur noch eine Möglichkeit: ihr Glück ist dasjenige Serapions. Doch Serapion ist wahnsinnig, sein Friede ist aus der Raserei geboren (vgl. II. 19), während Marie ein sehr vernünftiges kleines Berlinermädchen ist. Gleichwohl gehören die beiden in der Tat zusammen, und es geht bei Marie eben nur deshalb mit rechten Dingen zu, weil sie ein Kind ist und ihre „geschaute" Wirklichkeit nicht mit der allgemeinen Menschenwelt zur Deckung bringen, die Diskordanz der beiden nicht auf irgendeine Weise austragen muß. Das hört sich banaler an, als es ist; man darf
Es ist vielleicht kein Zufall, daß Olimpia und N u ß k n a c k e r jene zwei G e schöpfe H o f f m a n n s sind, welche auf die Komponisten die größte Faszination ausgeübt haben. 6
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diese Situation nicht voreilig mit den zahllosen Kindergeschichten gleichsetzen, wo Abenteuer geträumt werden und kleine Leute mit lebhafter Phantasie sich allerlei Außerordentliches vorstellen. Die Sphäre, in der Marie zuletzt lebt, ist durchaus auf Kollision hin angelegt, nur ist diese vom Erzähler gewissermaßen tempiert, über den Schluß des Werks hinaus verschoben, als drohendes Ereignis aber deutlich zu erahnen. Ein ominöser Hinweis dieser Art findet sich etwa in dem Auftritt kurz vor dem Ende (vor der phantastischen Hochzeit Maries mit dem zum Prinzen erhöhten Nußknacker also!), wo der Vater sein Töchterchen zornig hernimmt: „Hör mal, Marie, laß nun einmal die Einbildungen und Possen, und wenn du noch einmal sprichst, daß der einfältige mißgestaltete Nußknacker der N e f f e des Herrn Obergerichtsrats sei, so werf ich nicht allein den Nußknacker, sondern auch alle deine übrigen Puppen, Mamsell Clärchen nicht ausgenommen, durchs Fenster" (II. 250). Diese alltägliche, wenn auch pädagogisch fragwürdige Reaktion eines irritierten Erziehers nimmt sich aus der Perspektive der Kleinen ganz anders aus: was hier angedroht wird, ist eine Szene, die, mit ihren Augen gesehen, durchaus neben die Zertrümmerung Olimpias vor den Augen Nathanaels zu stellen wäre. Denn die Lebendigwerdung des Nußknackers ist eben viel mehr als das, was in den erwähnten konventionellen Kindergeschichten vorzugehen pflegt, ist nicht ein Spiel mit Vorstellungen, sondern der sichtbare Ausbruch elementarer psychischer Energien. Entsprechend aufwendig sind denn auch die erzählerischen Veranstaltungen Hoffmanns, welche dem eigentlichen Erwachen vorausgehen, Veranstaltungen, die den Vergleich mit der Exposition Olimpias nicht zu scheuen brauchen. Eines der wichtigsten Elemente ist dabei die Kontrastierung Nußknackers zum automatischen Kunstwerk des Paten Drosselmeier. Das Ganze beginnt ja am Weihnachtsabend, wo die Kinder immer als besonders kostbares Geschenk eine mechanische Arbeit dieses Hausfreundes vorfinden. Die diesjährige Gabe ist ein ganzer Palast: „Auf einem grünen, mit bunten Blumen geschmückten Rasenplatz stand ein sehr herrliches Schloß mit vielen Spiegelfenstern und goldenen Türmen. Ein Glockenspiel ließ sich hören, Türen und Fenster gingen auf, und man sah, wie sehr kleine aber zierliche Herrn und Damen mit Federhüten und langen Schleppkleidern in den Sälen herumspazierten. In dem Mittelsaal, der ganz in Feuer zu stehen schien — so viel Lichterchen brannten an silbernen Kerzenleuchtern - tanzten Kinder in kurzen Wämschen und Röckchen nach dem Glockenspiel. Ein Herr in einem smaragdenen Mantel sah oft durch ein Fenster, winkte heraus und verschwand wieder, so wie auch Pate Drosselmeier selbst, aber kaum viel höher als Papas Daumen zuweilen
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unten an der Tür des Schlosses stand und wieder hineinging" (II. 202). Die Kinder sind zuerst entzückt, werden des winzigen Spektakels aber sehr rasch überdrüssig, besonders weil es immer auf die gleiche Weise abläuft, die tanzenden Kinder nie heraustreten und sie selber nicht hineingehen können. Mit dieser Ablehnung ärgern sie allerdings den kunstreichen Obergerichtsrat, der sein Werk verdrossen wieder einpacken will und sich erst durch ein geschicktes Vorgehen der Erwachsenen beschwichtigen läßt: „ . . . die Mutter trat hinzu und ließ sich den innern Bau und das wunderbare, sehr künstliche Räderwerk zeigen, wodurch die kleinen Püppchen in Bewegung gesetzt wurden. Der Rat nahm alles auseinander und setzte es wieder zusammen. Dabei war er wieder ganz heiter geworden . . ( I I . 203). Der Sinn dieses Vorspiels ist nicht unmittelbar einzusehen. Die spontane Annahme, es werde hier Mechanisches um des Lebendigen willen zurückgewiesen, kann schon deshalb nicht genau zutreffen, weil ja der Nußknacker, der gleich nachher von Marie als geliebter „Schützling" aufgenommen wird und so in betonter Opposition zu diesem Schloß steht, ebenfalls eine Puppe von mechanischer Bauart ist. Dazu kommt, daß der Autor den kleinen Palast mit unverhülltem Wohlgefallen beschreibt und dem Verdruß des Erbauers ein zwar ironisches, aber deutliches Verständnis entgegenbringt. D a ß sich schon beim ersten präzisen Angehen der Erzählung eine solche Schwierigkeit einstellt, ist bezeichnend für das ganze Werk, das hinter der schlichten Oberfläche eine ganze Reihe von ähnlichen Vertracktheiten aufweist; letztlich führen sie, wie auch hier, immer zur schillernden Figur Drosselmeiers, dessen autobiographische Züge für die Interpretation erst recht keine Erleichterung darstellen. 7 Worin besteht denn nun der Unterschied zwischen Schloß und Nußknacker, um dessentÄhnlich ist es mit der Tatsache, daß Anspielungen auf das von den Brüdern Grimm überlieferte Märchen .König Drosselbart' vorhanden sind, - in einer komplizierten Mischung von Analogie und direkten Umkehrungen. Marie lehnt Drosselmeiers schönes Schloß ab wie die Prinzessin den K ö n i g Drosselbart selber, aber während diese dafür den zerlumpten Spielmann heiraten muß, schließt Marie aus spontaner Liebe den häßlichen N u ß k n a c k e r in ihr H e r z . Hier wie dort entpuppt sich der Partner zuletzt als König. Nußknacker ist zudem der „ N e f f e " Drosselmeiers und residiert in einem ähnlichen Schloß wie das verschmähte „künstliche Werk" eines ist. D a s Hauptmerkmal Nußknackers ist naturgemäß das massive K i n n ; bei den Brüdern Grimm heißt es v o n der K ö nigstochter: „Besonders aber machte sie sich über einen guten K ö n i g lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. ,Ei', rief sie und lachte, ,der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel!' und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart". Der Verschmähung Drosselbarts entspricht bei H o f f m a n n die Verachtung der „künstlichen" Fähigkeiten Drosselmeiers. 7
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willen die beiden konfrontiert werden? Z w a r ist das eine wie das andere ein artifizielles Gebilde, und auch als Kunstwerk kann keines von beiden gelten (im Sinne der gemalten Geliebten), aber das glänzende, mit tausend „Lichterchen" funkelnde Schloß, wo sich alles zugleich regt, verunmöglicht jedes „Schauen" im Sinne Hoffmanns; gerade weil es schon so glänzt, kann es nicht mehr zum Träger und Reflektor jenes inneren Scheinens werden, auf das alles ankommt. Der Nußknacker hingegen wird gleich mit deutlicher Spitze als „still und bescheiden" charakterisiert, - „als erwarte er ruhig, wenn die Reihe an ihn kommen werde" (II. 203). Zudem ist er unpräsentabel, disproportioniert, Drosselmeier nennt ihn sogar einen „grundhäßlichen kleinen Kerl" (II. 206). Er ist zwar nicht wie die gemalte Geliebte direkte Offenbarung „geschauter Schönheit", aber durch seine stumm-groteske Individualität zum Objekt des kreativen Blicks in hohem Maße geeignet. Deshalb liebt ihn Marie ja auch gleich so heftig und weint, als er bei seiner Arbeit drei Zähne verliert. Noch ist diese Liebe nichts weiter als Puppenspielen, aber sie bereitet doch das weitere vor und, was für das Ganze wichtig ist, sie erweckt offenbar eine Art Eifersucht in Drosselmeier, welche sich zunächst in schnöden Bemerkungen über den kleinen hölzernen Mann äußert. Noch am gleichen Abend aber wird Nußknacker wirklich lebendig, als Marie allein in der Wohnstube zurückbleibt, wo - Hoffmann richtet die Situation mit wissenschaftlicher Genauigkeit ein! - die meisten Lichter gelöscht sind und nur eine Deckenlampe noch „ein sanftes anmutiges Licht" verbreitet (II. 207). Sie tröstet den verletzten Nußknacker; der Pate Drosselmeier werde ihn reparieren. „Aber nicht ausreden konnte Marie, denn indem sie den Namen Drosselmeier nannte, machte Freund Nußknacker ein ganz verdammt schiefes Maul, und aus seinen Augen fuhr es heraus, wie grünfunkelnde Stacheln. In dem Augenblick aber, daß Marie sich recht entsetzen wollte, war es ja wieder des ehrlichen Nußknackers wehmütig lächelndes Gesicht, welches sie anblickte, und sie wußte nun wohl, daß der von der Zugluft berührte schnell auflodernde Strahl der Lampe im Zimmer Nußknackers Gesicht so entstellt hatte" (II. 208). Wie bei Olimpia geht das Erwachen von den Augen aus. Die unerwartet zornige Miene Nußknackers aber ist wichtig, weil sie die Objektivität des Vorgangs für Marie zeigt, den fundamentalen Unterschied zum phantasievollen Spiel. Deshalb erschrickt sie ja auch, wehrt sich dagegen : „Bin ich nicht ein töricht Mädchen, [ . . . ] daß ich sogar glaube, das Holzpüppchen da könne mir Gesichter schneiden!" (II. 208). Die Gewalt des Wirklichen, welche diese Vivifikationen für die Helden Hoffmanns immer besitzen, darf nie unterschätzt werden, und der Autor selbst ist immer bemüht, verharm-
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losenden Auffassungen vorzubeugen. So fügt er etwa in der Mitte des Ganzen folgende Szene ein: „Indem die kluge Marie das alles so recht im Sinn erwägte, glaubte sie auch, daß Nußknacker und seine Vasallen in dem Augenblick, daß sie ihnen Leben und Bewegung zutraute, auch wirklich leben und sich bewegen müßten. Dem w a r aber nicht so, alles im Schrank blieb vielmehr starr und regungslos . . . " (II.233). Zu dieser späten Szene paßt die Tatsache, daß jetzt, da der Kleine erstmals ganz erwachen soll, Marie vorerst in eine A r t Dämmerzustand gerät, in dem sich die ohnehin bewegten Dinge verändern (Uhr und Mäuse), dann aber als weitere Stufe eine schwere Verletzung des Mädchens durch splitterndes Glas folgt. Erst der Blutverlust, die ernsthafte physische Schwächung, ermöglicht den vollen und dauernden medialen Zustand des Kindes, in dem denn auch endlich Nußknacker in sein Leben springt und die verhängnisvolle Schlacht gegen den Mäusekönig schlägt. Wie bei den Augen der Olimpia, die gegen Nathanaels Brust geworfen werden, wo ihr eigentlicher Ort ist, geht Hoffmann auch hier genau symbolisierend vor. Nußknacker liegt am Morgen „auf dem blutenden A r m " der ohnmächtigen Marie: ihr Blut hat ihn lebendig gemacht. Das wird viel später, nach der eingelegten Geschichte Drosselmeiers, ausdrücklich bestätigt. Dort nämlich wird der Held zum zweitenmal erweckt, nachdem Marie um seinetwillen den Mäusen alle ihre Schätze geopfert hat. Es heißt da: „ A l s die kleine Marie so jammerte und klagte, bemerkte sie, daß dem Nußknacker von jener N a c h t her ein großer Blutfleck am Halse sitzen geblieben war. Seit der Zeit, daß Marie wußte, wie ihr Nußknacker eigentlich der junge Drosselmeier, des Obergerichtsrats N e f f e sei, trug sie ihn nicht mehr auf dem Arm. [ . . . ] jetzt nahm sie ihn aber sehr behutsam aus dem Fache, und fing an, den Blutfleck am Halse mit ihrem Schnupftuch abzureiben. Aber wie ward ihr, als sie plötzlich fühlte, daß Nußknackerlein in ihrer H a n d erwärmte, und sich zu regen begann" (II. 238). Das ist nicht Magie, sondern Sinnbild; das Prinzip seines Lebens stammt aus ihrer innersten, schlagenden Mitte, der sie hier begegnet, und von der sie doch nichts weiß. So gipfelt denn das Ganze darin, daß Marie von ihrem Freund ins „Puppenreich" geführt wird, durch den Ärmel von Vaters Reisefuchspelz hindurch. Wir dürfen auch hier den Begriff des „Reichs" entschieden ernst nehmen, ihn analog setzen zu dem verbalen Fanal der ersten Romantikergeneration. Zwar mag es seltsam anmuten, den „ewigen Orient" 8 der Athenäums-Beiträger neben diese doch eher kindliche
Dieses eschatologische Stichwort, ein Synonym für „Reich", „Reich Gottes" u. ä., findet sich ζ. B. in Friedrich Schlegels Apostrophe , A n Novalis'. (Athe-
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Schilderung von Marzipanschlössern und Limonadeströmen gestellt zu sehen, doch gerade dieses Kindliche ist bezeichnend für die Mutation, welche die romantische Lehre vom heiligsten Organ des Menschen bei Hoffmann durchlaufen hat. Auch er weiß nichts Höheres als die freigesetzte, arbeitende Phantasie, auch ihm ist sie ein gesteigertes Auge, aber nicht eines, vor dem die ganze begegnende Welt diaphan wird, sondern eines, das die steinernen Wände alles Äußern zu Spiegeln macht und deren irreale Räume mit selbstgeschaffenen Gestalten füllt. Deshalb kann das „Reich" der kleinen Marie nicht kindlich genug sein, muß es sich in unsinniger Weise zusammensetzen aus Elementen ihrer Spielwelt, aus lebendig gewordenen Automaten und Zuckerfiguren, ein skurriles paradis artificiel für sie und niemand anders. Als solches jedoch erfüllt dieses „Puppenreich" nun wieder jene Forderung von Novalis, daß der Mensch zuletzt „im eigentlichsten Sinne in seiner Welt leben" solle, - nur erfüllt es sie eben auf Hoffmanns Weise. Hier stellt sich indessen immer dringlicher die Frage, wie denn das alles mit jenem „Prozeß" zusammenhange, den wir bei der Untersuchung der gemalten Geliebten aufgedeckt haben und in dessen Rahmen wir solche Erfindungen wie Olimpia oder den Nußknacker von vornherein gestellt sehen wollten. Wenn wir beim ,Sandmann* sagen konnten, der Vorgang, der zur Selbsterkenntnis, zur Einsicht in die Beschaffenheit des eigenen Innern (und damit notgedrungen auch der Welt) führen sollte, sei auf seinem heikelsten Punkte steckengeblieben; er habe mit der Selbstzerstörung Nathanaels geendet, weil dieser die Rückverwandlung der Geliebten ins Bild, genauer: in die mechanische Puppe, nicht zu leisten imstande gewesen sei, so müssen wir beim Märchen vom Nußknacker feststellen, daß das Bild, die Holzfigur lebendig wird — und nichts weiter! Das Puppenreich, in welches Marie vom Nußknacker geführt wird, ist die bloße Ausweitung oder Verstärkung dieses einen Geschehnisses. Auch das eingelegte Märchen Drosselmeiers hat keinen andern Zweck, als dem erwachten Nußknacker eine Vorgeschichte und eine Zukunft zu geben, die serapiontische Sphäre des Mädchens auszudehnen und so, vom Paten aus gesehen, die Blamage mit dem mechanischen Schloß dergestalt wettzumachen, daß das Kind doch noch ein „künstliches Werk" des Alten aufnimmt. Das so heiter erzählte Ende, das von der Hochzeit Maries mit Nußknacker berichtet und wie sie in jenem Puppenreich Königin werde, läßt an der Endgültigkeit dieser Situation nicht mehr zweifeln.
näum, ausgew. und bearb. von Curt Grützmacher Bd. II, S. i j 2 , Klassiker 1969).
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Damit aber gerät das ganze Werk in ein etwas unheimliches Licht. Denn H o f f m a n n tut ja nur so, als ob nun kein ungelöster Spannungskonnex mehr vorhanden v a r e . Gerade weil er sie verschweigt, wird die Diskordanz zwischen dem Glück Maries und ihrer Umwelt umso schärfer spürbar. Das K i n d ist wohl selig, aber zugleich „starr und still, tief in sich gekehrt" (II. 2 j i ) , - ein Zustand regloser Isolation, aus dem alles Mögliche werden kann. Das ist nicht als ein künstlerischer Einwand aufzufassen. Gerade die Konsequenz des Erzählers Hoffmann, die es nicht zuläßt, daß die um das Kind entfaltete schöne Welt mit dem lebendig gewordenen N u ß knacker als König in der Mitte nun auf irgendeine Weise von der sozialen Umwelt akzeptiert wird oder daß eine so geartete Versöhnung auch nur als kommende Möglichkeit sich abzeichnet, diese Konsequenz bewirkt auch, daß auf dem Ganzen ein gesteigertes Licht liegt.® Der Zustand kindlicher Verpuppung, wie er hier an Marie gezeigt wird, ist im Werk Hoffmanns verschiedentlich zu finden. Das wichtigste Beispiel ist wohl Peregrinus Tyss am A n f a n g des .Meister Floh', wo allerdings das, was im ,Nußknacker* Endzustand ist, als Exposition erscheint, als A u f t a k t zu einem turbulenten „Prozeß", an dessen Schluß der Held Kenntnis erhält von dem „Karfunkel" in seiner Brust. Und ein analoger Fall ist Nathanael im ,Sandmann', dessen Jugendgeschichte ja eingehend berichtet wird. Wir sind oben nicht darauf eingegangen; jetzt aber wird die Bedeutung jener großen Rückblenden unmittelbar verständlich. Sie zeigen den jungen Mann, der sich in Olimpia verlieben wird, als einen, der schon in früher Kindheit eingesponnen w a r in seine projizierende Phantasie und der diese Erfahrungen später nur verdrängt, unter dem Druck der Umwelt vor sich selbst verleugnet, ihre drohende Objektivität aber nicht durch die spezifische „Umkehr" im Sinne H o f f manns aufzuheben und als Produkt seiner selbst zu erkennen vermag. Wenn wir also für einmal die unwissenschaftliche Frage stellen wollten, wie es mit der kleinen Marie „nachher" weitergehe, dann müßten wir sehr gegensätzliche Möglichkeiten offenlassen. Das Unglück Nathanaels liegt für sie nicht weiter ab als das Glück des Peregrinus Tyss; und selbst ein Drittes - von H o f f m a n n aus gesehen wohl Schlimmstes -
Im Märchen ,Das fremde K i n d ' hat H o f f m a n n einen solchen Kompromiß, nicht eben z u m Vorteil des Werks, versucht, und z w a r deshalb, weil dem , N u ß knacker' mangelnde Kindlichkeit vorgeworfen wurde. Die Auseinandersetzung spiegelt sich noch in den Gesprächen der Serapionsbrüder. ,Das fremde Kind 1 erscheint durch ein gezwungenes Novalisieren innerlich brüchig. Auch der melodramatische Einschlag am Schluß weist darauf hin, daß der Autor hier ohne die übliche Freiheit arbeitete. 9
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kann noch eintreten: das schrittweise Vergessen der früh erfahrenen Schönheit bis zum völligen inneren Absterben, zur Philisterexistenz.10 Man sieht: so wie die ins Leben getretene gemalte Geliebte je nach dem Ausgang des Ganzen helle oder dunkle Züge trug, wie sie, mit den Worten des „reisenden Enthusiasten" in den ,Abenteuern der SilversterNacht', beides zugleich war: „Himmelsbild - Höllengeist - Entzücken und Qual - Sehnsucht und Verzweiflung" (1.283), so führt auch die erwachte Puppe bald ins Heil und bald ins Heillose, ja selbst das „Reich", das ihr so oft als ihre Heimat zugeordnet ist, ändert mit ihr die Färbung. Daraus ergeben sich für den acharnierten Erfinder und Erzähler Hoffmann fast unbegrenzte Möglichkeiten der Variation und der Einkleidung verwandten Geschehens in andere Stoffbereiche. Die Interpreten aber haben sich stets von neuem vor der Gefahr zu hüten, diese Werke primär von ihrer emotionalen Gestimmtheit aus anzugehen und das außerordentliche Raffinement perspektivischen Erzählens zu mißachten, über das Hoffmann verfügt. Die Gefahr ist deshalb so groß, weil dieser Autor es durchaus auf die Mystifizierung des Lesers abgesehen hat und ihn auf höchst berechnete Weise in ständigem Zweifel zu halten trachtet, mit welchen Augen die Dinge nun jeweils gesehen seien, mit denen des Helden oder des wissenden Erzählers. Denn im Grund versteht Ε. T. A . Hoffmann seine Werke selbst als Verwandte des Nußknackers und der Olimpia, als Gebilde, die erst durch die erweckten „skönen Oken" des Lesers lebendig werden. Wenn die Deutung, mit der die künstlichen Figuren in den Erzählungen ,Der Sandmann' und ,Nußknacker und Mausekönig' trotz ihres unterschiedlichen Milieus zueinander gestellt wurden, noch immer etwas angestrengt anmuten sollte, dann kann sie durch den genauen Blick auf das späte Stück ,Der Elementargeist' endgültig zur Evidenz gebracht werden. Die Novelle wird merkwürdigerweise von der Forschung wenig beachtet. Selbst Ernst von Schenck hat in seinem wahrlich voluminösen Werk nicht mehr als fünf Sätze dafür übrig; 11 und Hans Georg Werner zählt sie schlichtweg zu den „künstlerisch minderwertigsten Produkten, die Hoffmann jemals verfaßt hat". 1 2 Ebendieses minderwertige Pro10 Das historische Vorbild, die kleine Marie Hitzig, für die Hoffmann das Märchen schrieb und die er darin - wie auch sich selbst - porträtierte, starb im Januar 1822, wenige Monate vor Hoffmanns eigenem Tod. 11 Ernst von Schenck, Ε . T. A . Hoffmann - Ein Kampf um das Bild des Menschen. Berlin 1939, S. 634. 12 A.a.O. S. 106. Dabei muß man allerdings beachten, daß für Werner der künstlerische Wert aller Literatur proportional zur Annäherung an das zeitlose Ideal des sozialistischen Realismus wächst. Da kann es für Hoffmann begreiflicherweise nicht immer gut abgehen.
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dukt aber hat Hofmannsthal, dem man mangelndes Sensorium für künstlerische Qualitäten wohl zuletzt vorwerfen könnte, als einziges Werk Hoffmanns in seine Anthologie ,Deutsche Erzähler' aufgenommen, und die dergestalt bekundete Einschätzung hält denn auch jeder unvoreingenommenen Kritik stand.13 Uns geht es, neben der beiläufigen Ehrenrettung, vor allem um die minuziös ausgeführte Vivifikation einer Kunstfigur in diesem Werk, die zudem noch weit offensichtlicher als bisher die Verbindung erlaubt zum Motivkreis um die gemalte Geliebte. Eigentlicher Held des Geschehens ist der Obrist Viktor v. S., der indessen dem Leser, wie es bei Hoffmann häufig geschieht, zuerst indirekt, aus der Perspektive seines Freundes Albert vorgestellt wird. Die Wiederbegegnung der Freunde unmittelbar nach den Entscheidungsschlachten von 1 8 1 5 bildet eine Art Rahmengeschichte: Albert trifft Viktor auf einem einsamen Landgut, vor dessen Tor dieser gleich bei Beginn des Kriegszuges so unglücklich gestürzt ist, daß er während der ganzen Kampagne bei den Besitzern in Pflege bleiben mußte. Schon vorher war seine Gesundheit deutlich geschwächt: eine Tatsache, die für das weitere wichtig ist. In der Nacht, die auf diese Begegnung folgt, erzählt Viktor dem Freund jene Erlebnisse aus früherer Zeit, die den Kern des Ganzen ausmachen. Schon nach wenigen Sätzen wird es deutlich, daß Hoffmann einmal mehr auf vertrautem Muster arbeitet. Da sagt nämlich Viktor so nebenhin, beim Bericht über seine etwas ziellose Erziehung: „Man hat mir später die Ehre angetan, zu behaupten, es säße ein poetischer Geist in mir, den ich nur selbst nicht recht anerkennen wolle . . ( I V . 374). Damit ist er, als eine Gestalt Hoffmanns, anthropologisch bereits fixiert: wir wissen, daß er vor einem Fächer fester, wenn auch ungleich erstrebenswerter Möglichkeiten steht. Denn etwas anderes als eine Zugehörigkeit zu den mit ihrem kreativen Innern mehr oder weniger beschäftigten Jünglingen kann die Bemerkung vom „poetischen Geist" gar nicht meinen. Das heißt für einen einigermaßen gelernten Hoffmann-Leser aber auch, daß über kurz oder lang der „Prozeß" einsetzen wird. Seien wir genau: der HoffmannLeser kann dies auf Grund seiner Kenntnis von den Erzählgepflogenheiten des Dichters prognostizieren, er kann aber nicht (und das ist wichtig!) sagen: der „poetische Geist" — der „Karfunkel" - des jungen Mannes müsse diesen mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auf eine solche Entwicklungsbahn bringen. Denn es gibt in Hoffmanns Menschen13
,Deutsche Erzähler', hg. v o n H . v . Hofmannsthal, Leipzig 1 9 1 2 . In H o f mannsthals ,Reitergeschichte' finden sich eine Reihe von Reminiszenzen an diese Erzählung, in jener schwer erfaßbaren A r t des Anklingens und W i d e r tönens, wie sie für diesen Dichter bezeichnend ist.
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künde kein immanentes teleologisches Moment; der „Karfunkel", der mit nichts zu vergleichende göttliche Splitter in der Brust des Menschen, ist zwar als arbeitende Einbildungskraft durchaus dynamisch, aber er ist seinem Wesen nach nicht Entelechie. Das Daimonion, das für den Seelenbegriff Goethes und wohl auch noch Hardenbergs unabdingbar ist und in dem sich das Innere des Menschen mit der objektiven Zeit versöhnt, ist in der Anthropologie Hoffmanns schlechthin nicht vorhanden. Der Karfunkel ist ohne zeitliche Dimension. An die Stelle der Entelechie, eines inneren Leitenden, treten deshalb die zahllosen Mentor-Figuren, welche, so verschieden sie sind, alle die gleiche Aufgabe haben: den Helden in Bewegung zu versetzen, den „Prozeß" in Fahrt zu bringen, als primum movens den Übergang von der Exposition zur Handlung zu bewerkstelligen. Und hier sei gleich noch etwas beigefügt: wenn man diese „Mentoren", alle die Drosselmeier, Lindhorst und Coppelius, die dubiosen Revenants und Magier und Mechanici, nicht prinzipiell von dieser ihrer Funktion aus sieht und angeht, wird man sich immer in der Interpretation von Hoffmanns Erzählungen verhaspeln. Diese eine Funktion nämlich können sie ausüben, ob sie nun tiefe Seher, skurrile Spintisierer oder auch nur schlichte Spinner sind, weise Künstler oder bösartige Alchimisten, Dämonologen, Magnetiseure oder absurde Beschwörer von Elementargeistern; wichtig ist einzig, was sie im Helden anrichten. Und gerade deshalb, weil ihre jeweiligen Vorstellungswelten primär funktional und nicht an sich wichtig sind, kann sich Hoffmann bei deren Schilderung immer wieder die tollsten Dinge erlauben. Zweifellos kleidet er in pseudo-mythologische Veranstaltungen, wie sie sich etwa im ,Goldnen Topf' finden, des öftern Gedanken, die ihm selber teuer sind, oder er läßt novalisierende Greise wie den Bergmann in ,Falun* tiefsinnig reden, aber das darf uns nie dazu verleiten, den Schwerpunkt des jeweiligen Werks dort zu sehen. Die geistigen Bereiche, in denen die Mentoren hausen, sind immer und ausschließlich von ihrer Brechung im Gemüt des Helden her zu begreifen. Sobald eine Interpretation diesen Einsatz verfehlt, wird sie sich über kurz oder lang gezwungen sehen, den Autor zum Verkünder völlig widersprüchlicher Weltentwürfe zu machen und seinem Werk durchaus zu Unrecht eine ärgerliche Multilinearität zuzuschreiben. Die Mentor-Gestalt, die im ,Elementargeist' auftritt (genauer: in Viktors rückschauendem Lebensbericht), läßt dieses Prinzip einmal mehr als unabdingbar erscheinen; denn sie vereinigt einen skurrilen Glauben an Naturgeister mit den Zügen eines Teufelsbanners und mesmerianischmagnetistischen Praktiken: Dinge also, die schlechthin nicht zusammengehen (und deshalb zu dem oben zitierten Urteil H . G. Werners geführt 95
haben), die aber gerade dadurch im Helden jene eine und einheitliche Wirkung hervorrufen, welche den Nukleus der Erzählung ausmacht. Die fragliche Figur ist der irische Major O'Malley; Viktor lernt ihn kennen und ist schon bald Zeuge einer von ihm veranstalteten Geisterbeschwörung, durch welche ein schroffer Rationalist völlig und für immer aus der Fassung geworfen wird. Ob dieser O'Malley „in Wahrheit" ein bösartiger Phantast, ein Verrückter oder ein telepathisch begabter Scharlatan ist, bleibt offen (wie etwa im .Sandmann' die Identität von Coppelius/Coppola). Wichtig ist allein der Weg zur selbstgeschaffenen Geliebten, zu den strahlenden Augen der Olimpia. Einen ersten Schritt dazu bildet bereits die eben erwähnte Geisterbeschwörung. Sie findet nachts im Keller einer abgelegenen Ruine statt und ähnelt so sehr einer Szene aus Cazottes ,Le diable amoureux', daß ein Leser, der jenes Buch kennt, den Eindruck eines Plagiats wohl kaum abwehren kann. Genau das aber liegt in der Absicht des berechnenden Erzählers. Denn wenig später kommt das Buch in der Geschichte selbst vor als eine Lektüre, auf die Viktor zufällig stößt. Damit aber wird der eben noch ärgerliche Leser plötzlich vor die Frage gestellt, ob nicht etwa O'Malley seinerseits diesen Roman als Rezept zu seiner Veranstaltung benutzt habe und also ein eher läppischer Betrüger sei: ein vom Autor provozierter Verdacht, der als solcher, als Irritation und Zweifel, seinen Sinn hat und deshalb auch nicht entschieden wird. Welche Wirkung diese Lektüre zudem auf Viktor gerade wegen des analogen Ereignisses hat, wird gleich zu zeigen sein. Vorher aber muß noch erwähnt werden, wie die Szene im nächtlichen Kellergewölbe für ihn endet. Es gelingt dem Major, eine Atmosphäre von wachsendem Grauen zu erwecken, für die Viktor, seit er Schillers,Geisterseher' gelesen hat, besonders empfänglich ist. Das weitere wird so berichtet: „ ,Ich fühlte, wie kalter Schweiß auf meiner Stime tropfte; mit Gewalt errang ich Fassung - da pfiff ein schneidender Ton durch das Gewölbe, und dicht vor meinen Augen stand ein Etwas —' ,Wie*, rief Albert, ,ein Etwas, was meinst du Viktor? - eine entsetzliche Gestalt?' ,Es scheint', sprach Viktor weiter, ,es scheint heilloser Unsinn, wenn ich von einer gestaltlosen Gestalt sprechen wollte, und doch kann ich kein anderes Wort finden, um das gräßliche Etwas zu bezeichnen, das ich gewahrte'" (IV. 384). Das ist eine kostbare Stelle. Viktor, der damals vor Entsetzen gleich die Besinnung verlor, glaubt natürlich an die Apparition eines jenseitigen Wesens; seine Panik vor diesem Unfaßbaren ist verständlich genug. Für uns aber erweist sich das Geschehen als eine mit verblüffender Genauigkeit erfaßte Phase des „Prozesses": jene 96
Stufe, wo die kreative Einbildungskraft zu arbeiten beginnt, aber ziellos, im Leeren. Der projizierten Energie fehlt der Spiegel; sie findet kein Gebilde, welches durch sie lebendig würde. Das ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sich damit der Fundamentalvorgang in aufschlußreicher Weise nuanciert, sondern auch weil hier klargemacht wird, daß die vornehmsten Aktivitäten des Innern doch immer auf ein Äußeres angewiesen sind. Die Selbsterfahrung des energischen Ich ist nicht möglich ohne das stofflich-gegenständige Substrat, welches dann allerdings in der gegenläufigen Phase als solches entdeckt und verworfen werden muß. Folgerichtig bleibt das Erlebnis für Viktor vorderhand ohne Weiterungen. Er empfindet zwar eine heftige Erbitterung gegen O'Malley, aber die Bilder jener Nacht beginnen zu verblassen. Und nun stößt er, wie angekündigt, auf den „Diable amoureux" von Cazotte: 14 er liest das Buch und verfällt in eine heftige Leidenschaft zu der darin geschilderten Biondetta. Es ist die erste Liebe seines Lebens; „ich sah, ich hörte, ich empfand nichts, als die reizende Biondetta . . . " (IV. 386). Diese Wirkung ist ihm selbst „ganz unerklärlich"; tatsächlich liegt sie wohl darin begründet, daß jene Szene im Kellergewölbe fast identisch war mit dem Auftakt des Romans; daß er beim Lesen also etwas bereits Erlebtem begegnet, von dem aus nun auch der Rest des Buches, i. e. vor allem Biondetta, ihn unmittelbar anzugehen scheint. Er gesteht: „Halt es meinem Hange zum Wunderbaren, wohl aber auch dem Geheimnisvollen zugute, das ich erfahren, wenn Cazottes Märchen mir bald ein Zauberspiegel dünkte, in dem ich mein eignes Schicksal erblickte" (IV. 386/87). O'Malley aber identifiziert er gleichzeitig mit dem Teufelsbanner jenes Buches. Hoffmann beschreibt nun diese imaginäre Liebe mit allen superlativischen Vokabeln, die ihm für derlei zur Verfügung stehen, und er erklärt Viktors Sehnsucht als so stark, daß ihm alle Frauen Widerwillen erregt hätten: - „da die reizendste mir nur Biondettas Bild, das ich im Innern trug, zu verhöhnen schien" (IV. 387). Das Bild im Innern - unversehens stellen wir fest, daß dieser Zustand genau mit dem übereinstimmt, in welchem sich die jungen Maler nach der Begegnung mit der gemalten Geliebten befanden; daß Biondetta somit ein frappantes literarisches Gegenstück zu jenen Gemälden darstellt! Und auch hier wird die Kunstgestalt lebendig. Allerdings geschieht dies 14
Jacques Cazotte ( 1 7 1 9 - 9 2 ) beschreibt in diesem 1 7 7 2 erschienenen und 1780 erstmals ins Deutsche übertragenen Roman die Liebe eines Offiziers zum Teufel in Gestalt des reizenden Mädchens Biondetta. Vgl. die neue deutsche Ausgabe ,Biondetta - Der verliebte Teufel', übers, von Franz Blei. Heidenheim 1961.
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auf umständlichere Weise als bei den erwähnten Malern, die oft genug nur das Modell zu suchen brauchten. Gerade diese Umstände schlagen indessen die Verbindung vom Motiv der gemalten Geliebten zu dem der lebendigen Puppe und sind dabei von einer so präzisen Symbolik, daß sie als eine Kapitalstelle für Hoffmanns ganzes Werk bezeichnet werden dürfen. Viktor sucht und findet wieder Kontakt zu O'Malley, der ihm die gedichtete Geliebte (wie wir hier wohl sagen müssen) verschaffen soll. E r bekennt dem Major seinen Zustand, worauf dieser sagt: „Die besondere Konstellation, die über dich, mein guter Sohn, waltet, hat es nun einmal gefügt, daß ein albernes Buch dich auf dein eigentliches inneres Wesen aufmerksam machen sollte" (IV. 388). Das ist so grundsätzlich wahr, als wenn Hoffmann selbst plötzlich zu kommentieren anhöbe, aber wir erfahren gleich, daß O'Malley von diesem „eigentlichen inneren Wesen" seine besondere Auffassung hat und daß der Satz nur als doppeldeutiger einen direkten Wink des Autors enthält. Der Major erklärt nämlich dem staunenden Viktor, offensichtlich werbe ein Elementargeist um ihn, und trifft wenig später die Veranstaltungen, welche den direkten Umgang mit diesem Wesen ermöglichen sollen. Als hierzu nötig erklärt er vor allem eins: „das Etwas, das die jüdischen Kabbalisten: Teraphim nennen" (IV. 389). Dieser Teraphim kommt schon im Alten Testament vor als eine Puppe, die zu magisch-divinatorischen Zwecken verwendet wird, 1 5 und er bleibt ein wesentliches Element der hermetischen Tradition Europas. Hoffmann, der die einschlägige Literatur stets mit Eifer geplündert hat, übernimmt ihn aus den sog. „Unterredungen des Gabalis", 16 in denen vor allem auch die Lehre von den Elementargeistern gründlich entwickelt wird. Man ist geneigt, solche Themen und Motive im direkten Zusammenhang zu sehen mit der Wiederentdeckung und Neubewertung okkulter Überlieferungen durch die Frühromantik und, gesteigert noch, durch die folgenden Generationen. Der Dichter gerät dann meist neben G. H . Schubert, der einer der einflußreichsten Schriftsteller dieser schwermütig-synkretistischen Schule war und den er nachweislich sehr geschätzt hat. Gerade deshalb aber scheint es angezeigt, hier kurz und nachdrücklich auf jenes Werk hinzuweisen, wo er Gabalis und der ganzen kuriosen Fauna der Elementargeister zuerst und mit anhaltender Wirkung begegnet ist, Wielands .Geschichten des Prinzen Biribinker' in den ,Aben15
i . S a m . 1 9 , 1 3 ; Sacherja 1 0 , 2 ; 2 K ö n . 2 3 , 2 4 . V g l . auch den Abschnitt in H o f f m a n n s Erzählung ,Die Geheimnisse' ( I V . 188). " A b b é M o n t f a u c o n de Villars, , L e comte de Gabalis ou Entretiens sur les sciences sécrètes'. Amsterdam 1 7 1 $ .
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teuern des D o n Sylvio von Rosalva'. Ich würde nicht zögern, diesem Meistermärchen des jungen Wieland ebensoviel Bedeutung f ü r die K o n stituierung und Entwicklung des Schriftstellers Hoffmann zuzuschreiben wie den Schriften von Schubert und Novalis zusammen. Grundsätzlich belegt ist der direkte Einfluß im Brief an Kunz vom 19. August 1 8 1 3 , aus dem sich entnehmen läßt, daß der erste Ideenkomplex zum ,Goldnen T o p f ' aus dem ,Biribinker' herausgesponnen wurde. Wielands Geschichte ist unverblümt satirisch und setzt die Natur- und Elementenmythologie des Gabalis als reine Chinoiserie ein, so vernunftfreudig und mythenfeindlich, wie man sich nur denken kann. Und dies bezeichnet durchaus nicht etwa die Grenze, welche H o f f m a n n von Wieland trennt und über die hinweg er dann einige Anregungen übernommen hätte; gerade der spontan aufklärerische, säkularisierende Zug verbindet die beiden insgeheim und macht es überhaupt möglich, daß das brillante Rokoko-Stück im Werk des Spätromantikers bis zuletzt die deutlichsten Spuren hinterlassen hat. Schließlich weiß man bei H o f f m a n n oft genug nicht, ob das Entlarven subjektiv-heiligster Glaubensinhalte als phantastische Projektionen, das mit der Selbstfindung der Helden immer wieder zusammengeht, als Nachklang Wielands oder als Vorklang Feuerbachs zu nehmen sei. 17 N a c h dieser notwendigen Warnung vor einem unkritischen
Identifi-
zieren des Autors mit den von ihm geschilderten okkulten Veranstaltun17 Eine exemplarische Stelle dafür findet sich in der Schilderung des Puppenreichs im ,Nußknacker'. Die kleine Marie kommt dort in die „Hauptstadt", die ganz aus Zucker- und Kuchengebilden besteht und deren Bevölkerung von verwandter physischer Beschaffenheit ist. Unter diesen Leuten entsteht vor den Augen des Mädchens ein Radau, der folgendermaßen verläuft: „Toller und toller wurde der Lärm und man fing bereits an, sich zu stoßen und zu prügeln, als der Mann im brokatnen Schlafrock [ . . . ] auf den Baumkuchen kletterte, und nachdem eine sehr hell klingende Glocke dreimal angezogen worden, dreimal laut rief: .Konditor! Konditor! - Konditor!' - Sogleich legte sich der Tumult, ein jeder suchte sich zu behelfen wie er konnte [ . . . ] ,Was bedeutet das mit dem Konditor, guter Herr Drosselmeier', fragte Marie. ,Ach beste Demoiselle Stahlbaum', erwiderte Nußknacker, .Konditor wird hier eine unbekannte, aber sehr grauliche Macht genannt, von der man glaubt, daß sie aus dem Menschen machen könne was sie wolle; es ist das Verhängnis, welches über dies kleine lustige Volk regiert, und sie fürchten dieses so sehr, daß durch die bloße Nennung des Namens der größte Tumult gestillt werden kann. [ . . . ] Ein jeder denkt dann nicht mehr an Irdisches, an Rippenstöße und Kopfbeulen, sondern geht in sich und spricht: ,Was ist der Mensch und was kann aus ihm werden?' " (II. 264). Es ist schwer auszumachen, ob diese für den wahren H o f f mann so bezeichnende Stelle nun näher bei gewissen dogmen-feindlichen Parabeln des 18. Jahrhunderts oder bei Kellers Rose steht, für deren Bewußtsein „noch nie ein Gärtner gestorben" ist.
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gen, welche ja erst durch dieses Unterscheiden ihren funktionalen Gehalt freigeben, kann von der Erschaffung des Teraphims unbekümmert die Rede sein. Viktor wird von O'Malley in ein chemisches Labor geführt und muß dort seine Brust entblößen. Dann heißt es: „Kaum hatte ich dies getan, als der Major schnell, ehe ich's mir versah, mich mit einer Lanzette unter der linken Brust ritzte, und die wenigen Tropfen Bluts, die der leichten, kaum fühlbaren Wunde entquollen, in einer kleinen Phiole auffing. Dann nahm er eine hell, spiegelartig polierte Metallplatte, goß eine andere Phiole, die eine rote blutähnliche Feuchtigkeit enthielt, dann aber die mit meinem Blut gefüllte Phiole darauf aus, und brachte mittelst einer Zange die Platte dicht über das Kohlenfeuer. [ . . . ] Der Major befahl mir nun, mit fest fixiertem Sinn in das Feuer zu schauen. Ich tat es, und bald wurd es mir zumute, als sah ich, wie im Traum, verworrene Gestalten aus dem Metall, das der Magier noch immer über den Kohlen festhielt, durcheinanderblitzen. Doch plötzlich fühlte ich in der Brust, da wo der Magier meine Haut durchritzt, einen solchen stechenden, gewaltigen Schmerz, daß ich unwillkürlich laut aufschrie. ,Gewonnen, gewonnen', rief in demselben Augenblick O'Malley, erhob sich von seinem Sitze, und stellte ein kleines etwa zwei Zoll hohes Püppchen, zu dem sich der Metallspiegel geformt zu haben schien, vor mir hin, auf den Herd. ,Das', sprach der Major, ,ist Euer Teraphim!' « (IV. 389/90). Nochmals: was hier geschildert wird, ist einerseits das Treiben eines Verschrobenen, der vorgibt, Elementargeister beschwören zu können; anderseits ist es gerade durch seine Absurdität Teil eines realen und sehr ernsthaften Vorgangs: der schrittweisen Freisetzung von Viktors verschütteter imaginativer Energie. Und in Hinsicht auf diesen letzteren Wirkungszusammenhang erscheint das an sich unsinnige Geschehen gleichzeitig in hohem Maße symbolisch. Aus einem Spiegel und dem in Herzhöhe gewonnenen Blut wird diese Puppe geformt; sie zeigt dadurch, noch ehe sie die Augen aufschlägt, worauf ihre Vivifikation beruhen wird. Auch bei den früheren Teraphims hat sich Hoffmann um symbolische Winke bemüht - wir erinnern uns an das vielfach variierte Leitmotiv von Olimpias Augen und an das Blut am Hals des Nußknackers - , aber so verblüffend einfach wie hier vermochte er sonst nie zu werden. Dazu kommt, daß er uns mit dem Begriff des Teraphims sondern als unmittelbares Gegenüber. Und damit ist natürlich auch die auch noch den spezifischen Namen für all die vielen analogen Gebilde in seinen Erzählungen liefert, - für den wichtigsten Topos in seinem dichterischen Werk. Hier muß nun allerdings noch der Nachweis erbracht werden, daß auch 100
das weitere Geschehen um diesen Teraphim in Parallele steht zu Olimpia und Nußknacker. Einerseits liebt ja Viktor die von Cazotte beschriebene Biondetta, anderseits redet ihm O'Malley ein, ein schöner weiblicher Elementargeist, ein Salamander-Mädchen, werbe um ihn und der Teraphim sei ein bloßes Werkzeug zu deren Beschwörung. E r sieht sich also im Grunde mit drei verschiedenen Wesen oder Gebilden konfrontiert, wobei man erwarten dürfte, daß er Biondetta nun mit O'Malleys Salamander identifizierte und sie zu bannen suchte. Dem ist nun aber nicht so, im Gegenteil: „Vergessen war Teufel Amor, war Biondetta; ich dacht nur - an meinen Teraphim. Stundenlang konnte ich das Piippchen, vor mir auf den Tisch gestellt, anschauen und die Liebesglut, die in meinen Adern strömte, schien dann, gleich dem himmlischen Feuer des Prometheus, das Bildlein zu beleben, und in lüsterner Begier wuchs es empor. Doch ebenso schnell zerrann die Gestaltung, als ich sie dachte . . . " (IV. 391). Obwohl er O'Malleys Theorie vom Salamander-Mädchen glaubt, fasziniert ihn also in Wahrheit der Teraphim selbst, nicht als Instrument, „gedichtete Geliebte" ausgelöscht. Sie war - dies nun vom Erzähler aus gesehen — eine in Analogie zu den Malergeschichten gebildete HilfsHandlung, welche das Aufflammen von Viktors phantastischer Liebeskraft zu bewerkstelligen hatte, die Vorbedingung zur Verehrung und Erweckung des Teraphims. Dieser aber rückt jetzt eindeutig auf jenen zentralen Punkt, auf dem in den vorerwähnten Geschichten die Puppe Olimpia und die Holzfigur Nußknacker stehen. Und wie Hoffmann einst selber den Fundamentalvorgang mit der Pygmalion-Sage in Verbindung brachte, rückt er ihn hier mit dem Parallel-Mythos von Prometheus zusammen, eine Wendung, die wiederum deshalb wichtig ist, weil sie, genau betrachtet, den Umschlag eines Leitbildes des späten 18. Jahrhunderts in sein Gegenteil markiert: die liebende Belebung der Welt als selbstzersetzende Illusion. 18 Stufenweise, wie es bekannt ist, folgt nun die eigentliche Vivifikation; das im obigen Zitat Berichtete ist ja noch nichts weiter als ein Spiel der Vorstellungen, ähnlich Maries anfänglicher Beschäftigung mit dem Nußknacker. Auffällig ist dabei, daß Viktor schon jetzt von gegensätzlichen Anwandlungen gestreift wird: „ . . . zu der unnennbaren Qual, die mein Herz durchschnitt, gesellte sich ein seltsamer Zorn, der mich antrieb das Püpplein, ein lächerliches, armseliges Spielwerk von mir zu werfen. Aber indem ich es faßte, fuhr es durch alle meine Glieder, wie ein elektrischer 18
Vgl. auch das Prometheus-Thema in der Exposition der Jesuiterkirche in G.' (I.418). Zum Motiv: Oskar Walzel, Das Prometheussymbol von Shaftesbury zu Goethe. München 1968/3.
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Schlag, und es war mir, als müßte mich die Trennung von dem Talisman der Liebe selbst vernichten" (IV. 391). Da blitzt in flüchtigen Konturen Nathanaels Schicksal auf, die unheilvolle Erkenntnis der halben Wahrheit.. Doch das sind bloß momentane Regungen; sonst wird Viktor ganz von seiner schmerzhaften Sehnsucht beherrscht. In einem verzweifelten Ausweichversuch beginnt er schließlich eine Liebschaft mit einer vornehmen Kokotte und übergibt ihr sogar den Teraphim. Sie bittet ihn um Mitternacht in ihre Gemächer; eine Dienerin führt ihn hin. Das weitere berichtet Viktor so: „ ,Hier sollte ich die Gräfin erwarten. Halb betäubt von dem süßen Dufte des feinen Räucherwerks, der im Zimmer wallte, bebend vor Liebe und Verlangen, stand ich in des Zimmers Mitte; da traf, durchfuhr wie ein Blitzstrahl mein innerstes Wesen ein Blick —' ,Wie', rief Albert, ,ein Blick und keine Augen dazu? und du sahst nichts? - wohl wieder eine gestaltlose Gestalt!' ,Magst', sprach Viktor weiter, ,magst du das unbegreiflich finden, genug - keine Gestalt, nichts gewahrte ich, und doch fühlte ich den Blick tief in meiner Brust, und ein jäher Schmerz zuckte an der Stelle, die O'Malley verwundet. In demselben Augenblick gewahrte ich auf dem Simse des Kamins mein Bildlein, faßte es schnell, stürzte heraus . . . ' " (IV. 392) Wiederum also die Augen! Der Erzähler selber ruft dabei die Vorstufe in Erinnerung, die „gestaltlose Gestalt" in jener Höhle, als wollte er auf die Kontinuität des Geschehens aufmerksam machen. Mit dem Teraphim ist der Spiegel gefunden, der den Strahl von Viktors phantastischer Sehkraft auffängt und widerscheinend zum Gegenstand werden läßt. Vorerst existieren nur die Augen allein, wie auch Olimpia anfänglich bloß in den Augen lebte, dem „Strahl aus dem Jenseits". Aber damit ist der entscheidende Durchbruch geschehen; die schauende Gewalt strebt rasch auf Vollendung. Viktor kommt auf sein Zimmer: „Ich stellte mein liebes, wiedergewonnenes Bildlein auf den Tisch, und warf mich, da ich der Ermüdung nicht länger zu widerstehen vermochte, angekleidet auf mein Lager. Bald kam mir aber das träumerische Gefühl, als umflösse mich ein strahlender Glanz! - Ich erwachte, ich schlug die Augen auf: wirklich glänzte das Gemach in magischem Schimmer, - Aber - o Herr des Himmels! - an demselben Tische auf den ich das Püppchen gestellt, gewahrte ich ein weibliches Wesen, die den Kopf in die Hand gestützt, zu schlummern schien" (IV. 393). Sie ist hinreißend schön, rötlichen Haars und feuerfarben gekleidet, was für ihre salamandrische Natur spricht, reicht ihm die Hand, nennt sich die Seine. Aber wie er sie umfängt, „zerschmilzt" sie ihm in den Armen. Er berichtet darüber sehr genau: „Zerschmolz in meinen Armen; anders kann ich dir mein Gefühl 102
des unbegreiflichen Verschwindens jener Holden nicht beschreiben. Zugleich erlosch der Schimmer, und ich fiel, selbst weiß ich nicht wie, in tiefen Schlaf. Als ich erwachte, hielt ich das Piippchen in der Hand" (IV. 393/94). Damit ist, entgegen der weitergreifenden Hoffnung des Offiziers, der Grenzpunkt erreicht. Die phantastische Geburt des „poetischen Geistes in ihm" (IV. 374) hat sich vollzogen. Er sieht und liebt die Verdichtung der Schönheit schlechthin und hat mit ihr von nun ab täglichen Umgang. Dabei glaubt er fest, daß Aurora, wie er das Wesen nennt, ein Elementargeist sei. Und ebendiese Meinung ist es wohl vor allem, die ihn hindert, zu jener entscheidenden Umkehr vorzustoßen, welche nun, dem Grundmodell gemäß, an der Zeit wäre und in der er Aurora als ein strahlendes Phantasma begriffe, nicht im Sinne einer entlarvten Illusion, sondern als das durchaus reale Testimonium seiner eigenen ungeahnten Beschaffenheit. Die Erfahrung, die er hier macht, ist und bleibt die höchste Wirklichkeit seines Lebens; Illusion und Unsinn ist allein Auroras Salamander-Wesen. Könnte er einsehen, daß diese Schönheit sein Werk ist und daß er, der unentwickelte Dichter (vgl. S. 374), solchem Werk Vermehrung, Folge und Dauer zu geben' vermöchte, dann würde er zwar die Geliebte verlieren, deren physischen Besitz er verzweifelt und vergeblich sucht, (sie würde so oder anders wieder „zum Bild"), aber gleichzeitig bräche sein Leben durch in eine Bahn von Freiheit und Erfüllung. Eine Zeitlang scheint es sogar, als ob er sich diesem Ziel in rasch gesteigerter Krise näherte. Die vergessene Erinnerung an Biondetta, den diable amoureux, steigt nämlich wieder auf und zugleich nimmt Aurora dämonische Züge an. E r hört sie flüsternd seinen Verzicht auf die ewige Seligkeit fordern, genau wie es die schlimme Schöne im Roman von Cazotte macht (a.a.O.S. 185). Hier läge der erkennende Sprung zu Biondetta und Aurora als gleicherweise „geschauten", aus dem serapiontischen Urakt geborenen Wesen so nahe wie nie, aber der arme Unbeholfene wechselt bloß vom Salamander-Glauben zum Glauben an den Teufel: das geliebte Wesen ist ihm nun satanischen Stammes. Und da er denn in solchen Belangen doch seine Prinzipien hat, kommt es schließlich, unter Beihilfe eines absonderlichen Dieners, zur spektakulären Trennung: „Wie gewöhnlich weckte mich der magische Schimmer. Aurora, in vollem Glänze überirdischer Schönheit, stand vor mir, und streckte sehnsuchtsvoll die Arme nach mir aus. Doch wie Flammenschrift leuchteten in meiner Seele Pauls fromme Worte. ,Laß ab von mir, verführerische Ausgeburt der Hölle!' so rief ich . . . " (IV. 397). Da hat die Liebschaft verständlicherweise ein Ende, wobei noch darauf hinzuweisen ist, daß der unbekümmerte Leser, Hoffmanns Intentionen entspre103
chend, hier mit größter Wahrscheinlichkeit durchaus mitgeht und die Entlarvung Auroras als Teufelin für die Erzählwirklichkeit nimmt. Soweit führt der Bericht über das Längstvergangene, den Viktor auf dem abgelegenen Landgut nächtlicherweise seinem Freund erstattet. Die für die ganze Novelle entscheidende Pointe besteht nun aber darin, daß der scheinbar abgeklärte Sprecher zuletzt dem irritierten Freund mitteilt, er habe nun herausgefunden, daß die Herrin ebendieses Landgutes, wohin er zufällig geraten - die Baronesse, die „kleine, rundliche Hausfrau mit dem großen Schlüsselbunde" - , in Wahrheit Aurora sei! „In den schlaflosen Nächten des Krankenlagers, das ich hier überstand, erwachten alle Liebesträume jener herrlichsten und schrecklichsten Zeit meines Lebens. Es war meine glühende Sehnsucht selbst, die sich gestaltete - Aurora - sie erschien mir wieder verklärt, geläutert in dem Feuer des Himmels; kein teuflischer O'Malley hat mehr Macht über sie Aurora ist - die Baronesse!" (IV. 398). Mit der verblüffenden Souveränität des Glaubensfesten wird also das ganze Satanswesen wieder weggewischt und Autora erneut zum alten lieben Salamander-Mädchen erklärt. Das mag dem erwähnten „unbekümmerten Leser", der diesen Teufel für Hoffmanns bare Münze nahm, verwirrlich vorkommen und bezeichnend erscheinen für einen Autor, der den eigenen Einfällen nicht gewachsen gilt. Tatsächlich aber finden wir hier die genaueste Bestätigung der vorgehenden Analyse. Viktors pathetischer Exorzismus war ja nichts anderes als die Verdrängung seiner imaginativen Dynamik, die er nicht zu bestehen vermochte und die ihm deshalb unheimlich und (durchaus zu Recht) in höchstem Maße gefährlich erschien. Die lange Krankheit hat diese Kräfte jedoch wieder freigesetzt (man erinnert sich an die Krankheiten Nathanaels und Maries!), und da wird denn eine leicht frustrierte, aber tüchtige Hausfrau unversehens zum Teraphim! Es gelingt indessen dem treuen und niemals angefochtenen Freund, Viktor auf der Rückreise „ganz aus dem träumerischen Zustande zu reißen" und ihn soweit zu bringen, daß er „sein mystisches Abenteuer" für nichts weiter hält „als für einen langen, bösen Traum" (IV. 399). Als Krönung dieser K u r legt ihm der Besorgte schließlich noch die Heirat nahe. Mit Viktors Anwort schließt die ganze Erzählung: „ ,Nie kann jene Zeit wiederkehren, da ich die höchste irdische Lust empfand, da das Ideal meiner süßesten, entzückendsten Träume, die Liebe selbst, in meinen Armen lag. Dahin ist Liebe und Lust, seitdem ein entsetzliches Geheimnis mir die geraubt, die meinem innigsten Gemüte wirklich ein höheres Wesen war, wie ich es auf Erden nicht wiederfinde!' - Der Obrist blieb unvermählt. - " (IV. 399) Mit diesem knappen allerletzten Satz schlägt die Novelle eine über104
raschende Verbindung zu einem der bedeutendsten Typen in der Anthropologie des literarischen 19. Jahrhunderts. Der Obrist tritt in die Reihe jener bald rabiaten, bald herbstlich heiteren Zölibatäre, als deren ins Grandiose gesteigerte Urform wohl Stifters Hagestolz gelten darf, und die im Freiherrn von Risach ihre nobelste, im Landvogt von Greifensee ihre liebenswürdigste Ausprägung gefunden haben. 19 Allerdings kümmert unsern Autor dieser elegische Zustand als solcher wenig; von der schmerzlichen Poesie des vereinsamten und zukunftslosen Daseins, welche sich im sogenannten Realismus als fast unerschöpfliche Quelle der Inspiration erweist, ist hier nicht eben viel zu spüren. Hoffmann umreißt nur eine von verschiedenen Endmöglichkeiten des nicht zu seinem Idealziel gelangten „Prozesses", und zwar die wohl gnädigste, wenn man an den Selbstmord Nathanaels und an die völlige Versponnenheit der kleinen Marie denkt. Allerdings müssen wir annehmen, daß bei Viktor auch in Zukunft die Energien des Innern unversehens wieder aufbrechen können und ihm irgend ein Alltägliches zum Teraphim wird, aber solche Spekulationen sind weniger wichtig als die Tatsache, daß es eine einigermaßen befriedete Lebensform auch für die im Hoffmannschen Sinne Gescheiterten gibt. Das ist für eine typologische Gliederung seiner Menschenwelt von großer Bedeutung. Im ,Sandmann* im ,Nußknacker' im ,Elementargeist', drei Mal sind wir der lebendigen Puppe begegnet, dem Teraphim aus Spiegel und Herzblut, der den Strahl aus den schauenden Augen des Helden auffängt und zum Gegenstand macht. Drei Mal aber auch ist diese autistische Grenz- oder Gegenform des magischen Idealismus, die ja nur Phase eines Prozesses sein sollte, Zustand geblieben, bald verdrängt, bald von neuem erweckt. Die entscheidende Umkehr, jener Akt der jähen Selbsterkenntnis, wie wir ihn in einigen Geschichten um die gemalte Geliebte fassen konnten und wie er das Finale der großen Spätwerke ,Prinzessin Brambilla' und .Meister Floh' bildet, bleibt aus. Daran tragen die Helden selbst keine Schuld; es ist ihr zufälliges Unglück, wie es das zufällige Glück der andern ist. Giglio Fava in der ,Brambilla' ist so ungebärdig verstockt und schwer von Begriff als irgendein unerlöster Held H o f f manns, und doch darf er zuletzt mit seiner Braut von den Spiegel treten,
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V g l . dazu die gründliche Studie v o n H e r m a n M e y e r ,Der Sonderling in der deutschen Literatur', München 1 9 6 3 . Gegen das Kapitel über H o f f m a n n müßte man allerdings einwenden, daß die Mentor-Figuren darin zu wenig in ihrem funktionalen Bezug zum „ P r o z e ß " des Helden gesehen werden, wodurch es o f t zu unnötig scharfer Kritik kommt ( z . B . über die Figur O ' M a l l e y s S . i i j ) .
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und es heißt: „ . . . wie sie sich in dem See erblickten, da erkannten sie sich erst, schauten einander an, brachen in ein Lachen aus [ . . . ] und fielen dann im höchsten Entzücken einander in die Arme" (IV. 321). Peregrinus Tyss im .Meister Floh' ist anfangs nicht minder hermetisch verkapselt in die Welt seiner frühen Kindheit als ein Nathanael, aber während sich dieser vom Turm stürzt, heißt es von jenem: „Peregrinus erkannte sich selbst, er fühlte, daß der zum Leben entzündete Karfunkel glühe in seiner eigenen Brust" (IV. 809). Auch Don Juan ist in H o f f manns Interpretation (vgl. das gleichnamige Fantasiestück) wesentlich zu verstehen als einer, der die Umkehr nicht finden kann, den niemand zu dieser Umkehr führt, obwohl er den Karfunkel in herrlichster Weise besitzt: „ . . . eine Bildung, woraus der Funke hervorstrahlt, der, die Ahnungen des Höchsten entzündend, in die Brust fiel" (I. 75). Deshalb sucht er in jeder Frau das, „was bloß als himmlische Verheißung in unserer Brust wohnt" (1.75), und fühlt sich jedesmal betrogen. Daß seine Rettung identisch wäre mit Selbsterkenntnis, spricht Hoffmann dort offen aus, wo er sagt, daß Donna Anna eigentlich „dazu bestimmt" gewesen wäre, Don Juan „die ihm innewohnende göttliche Natur erkennen zu lassen" (I. 77). Dieser aber verachtet immer stärker „die Erscheinung, die, ihm als das Höchste im Leben geltend, so bitter ihn getäuscht hatte" (I. 74). Die „Erscheinung", - so wie der Ausdruck hier fällt, erinnert er unmittelbar an die Formel von der „äußern fremden Gestalt", die sich für die begegnende Geliebte in der ,Fermate' gefunden hat (vgl. oben S. 74/75). Und von den Ergebnissen des gegenwärtigen Kapitels her können wir geradezu sagen: Don Juans Schicksal liegt darin, daß ihm jede Frau zum Teraphim wird! Wie Nathanael auf die spiegelnde Olimpia, wirft er auf alle Frauen eben die Schönheit, um derentwillen er sie liebt, und zerstört sie erbarmungslos, sobald er die Diskrepanz zwischen „Bild" und Gesicht (dem doppelten Augenpaar Claras in N a thanaels Gedicht!) feststellt. Auch der Schluß des ,Elementargeists' hat ja gezeigt, daß die Rolle des Teraphims, der zum phantastischen Leben erweckten Puppe, durchaus auf einen lebendigen Menschen übergehen kann. Der personale Andere wird dabei zum reinen Substrat der Projektion und kommt dem Helden in Momenten der Wahrheit dann auch folgerichtig selbst als „lebloses Automat" (Nathanael zu Clara, I. 348), als „totes Wachsbild" mit „gläsernen Augen" (,Jesuiterkirche', 1.436) vor. Dieser Problemkomplex mit seinen unbegrenzten novellistischen Möglichkeiten bildet für den Schriftsteller Hoffmann eines der ganz großen und anhaltenden Faszinosa; für den Interpreten dieses Schriftstellers aber, hat er die Sache einmal grundsätzlich begriffen, liegt hier der Zugang zu einem bedeu106
tenden Teil des Werks. Es ist daher nötig, auf einige weitere Spielformen des Grundmusters hinzuweisen. Eine der schauerlichsten denkbaren Varianten findet sich im Nachtstück ,Das Gelübde'. Der Nukleus dieses perspektivisch virtuos versetzten und mit flatternder Rasanz berichteten Geschehens liegt im Faktum, daß, mit unseren Begriffen gesagt, für eine junge Frau ein ihr sonst gleichgültiger Mann unversehens zum Teraphim wird, zum phantastisch überformten Substrat; daß dieser seinerseits die Situation als Abenteuer nimmt und gründlich ausnützt; daß die Frau schwanger wird und an der Wahrheit zugrunde geht." Man hat die Erzählung als Abklatsch der ,Marquise von O.' bezeichnet und zum Beispiel für die fragwürdigen Seiten des Schriftsteller Hoffmann erklärt. 21 Der Einfluß Kleists ist leicht festzustellen; ebenso leicht, sollte man meinen, die freie Sicherheit, mit der Hoffmann das Motiv der unerklärlichen Schwangerschaft einem sehr eigenen Werk an verwandelt! Faszinierend ist vor allem die Genauigkeit, mit der sich die unglückselige Beziehung konstituiert. Die Hauptgestalt, die schöne Polin Hermenegilda, verstößt nach dem Zusammenbruch Polens ihren Bräutigam, den sie mit der Größe ihres Vaterlandes in seltsamer Weise identifiziert hat, und der mit der Niederlage für sie allen Glanz verloren zu haben scheint. E r zieht in fremde Dienste; kaum ist er weg, flammt sie erneut in einer an Wahnsinn grenzenden Liebe auf, lebt Tag und Nacht nur in Gedanken an diesen Stanislaus, in phantastischen Reden und Gesprächen mit ihm. Die ärztliche Hilfe nützt wenig; ruhigere Tage werden von Phasen heftigster Erregtheit abgelöst. Soweit die Exposition der Figur; der Beginn des fatalen Geschehens wird von Hoffmann in folgender Weise geschildert: „Ein eigenes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben den kleinen Ulanen, ein Püppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz gedrückt, dem sie die süßesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: .Podrosz twoia nam [ . . . ] etc.' Im Begriff, von dieser Expedition in ihr Zimmer zurückzukehren, befand sie sich auf dem Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr herschritt. Sie schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der französischen Jägergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und stürzte mit dem lauten R u f : Stanislaus, mein Stanislaus!' ihm ohnmächtig in die Arme." (I. j 7 0 / 7 1 ) Wie wir später dazu erfahren, ist sie schon längere Zeit mit
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Dies steht in unmittelbarer Nähe zu den .Elixieren des Teufels': zum Kind der gemalten Geliebten, mit dem der Geschlechterfluch anhebt. " So v. a. H . A . K o r f f , Geist der Goethezeit, T. 4, S. 6 1 1 - 6 1 5 .
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Puppen umgegangen, die ihr „den Geliebten vorstellen mußten" (1.57$). In ihrem halb wahnsinnigen, halb kindischen Zustand hat sie sich dabei zeitweise an ihre spielenden Vorstellungen verloren, diesmal aber in jähem Zorn über das stumme Wesen die Figur zerstört. Da fast im gleichen Moment, als sie sich von der brennenden Puppe abgewendet hat, der Offizier hinter ihr steht, muß ihr diese Tat als ahnungslos begangener magischer Akt vorkommen, der den Geliebten, den in der Puppe stellvertretend Geliebten, lebendig zum Erscheinen brachte. Der Irrtum stellt sich zwar gleich heraus: der vermeintliche Stanislaus ist ein Graf Xaver, mit jenem verwandt und daher von einiger äußerlicher Ähnlichkeit. Aber obwohl dies der entsetzten Frau völlig klar ist, gelingt es dem Grafen in der Folge doch, sich gewissermaßen an die Stelle der früheren Puppen zu schieben, indem er ihr stundenlang von ihrem Geliebten berichtet, sogar in dessen Namen zu ihr spricht und Liebesbekenntnisse stammelt. Endlich versucht er, sie zu umarmen, wird aber heftig zurückgestoßen: „Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit dumpfer Stimme: ,Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwärme an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!' " (I. 573) Das ist zwar eine Abweisung, gleichzeitig jedoch eine Bestätigung dafür, daß er die Funktion des „kleinen Ulanen" ganz übernommen hat. Mit bösem Instinkt führt er daher diesen Part weiter, bis er sie einmal in einem Zustand telepathischer Trance vorfindet, von der hilflos ihrem schauenden Innern Ausgelieferten bei der Hand genommen und zu einem geträumten Traualtar geführt wird, schließlich mit ihr eine unselig-phantastische Brautnacht feiert. Das weitere - ein schlimmes Ende für alle, auch das dergestalt gezeugte Kind - beschäftigt uns in diesem Zusammenhang nicht; zu zeigen war nur, wie der Kernvorgang um den Teraphim, das gefährliche Surrogat einer ersehnten Identität von Innen und Außen, in präzis gefaßter Variation das Zentrum, die „sich ereignete unerhörte Begebenheit" dieser Novelle ausmacht. Das kleine, wenig beachtete Spätwerk ,Haimatochare' wandelt das Thema ab zu einer drastischen Tragikomödie. Daß die Forschung auf das Stück bisher kaum eingegangen ist, läßt sich einigermaßen verstehen ; denn solange man nicht sieht, wie es mit Hoffmanns zentraler Problematik zusammenhängt, mutet es wohl zu harmlos an, eher wie eine etwas gedehnte Anekdote. Anderseits ist der Aufwand an erzählerischer Planung und die Sicherheit, mit der die leicht zum Grotesken angehobene Stillage durchgehalten wird, in jedem Falle sichtbar und verdient durchaus gewürdigt zu werden. Die kurze Briefnovelle handelt von zwei anfangs befreundeten Naturforschern, die auf einer Insel der Süd108
see um eine Insulanerin kämpfen, in deren Besitz für jeden der beiden das höchste und einzige Glück liegt; sie duellieren sich und erschießen einander; am Ende stellt sich heraus, daß die Geliebte ein winziges Insekt ist, die seltene Variante einer nicht sehr vornehmen Gattung. Eine Tragikomödie also um einen Teraphim eher skurriler Natur, wie denn das Ganze überhaupt an Karikatur grenzt; dennoch ist der Vorgang im Innern des Forschers Menzies, so wie Hoffmann ihn beschreibt, nicht einfach als Ironisierung einer verstiegenen Naturwissenschaft zu verstehen.22 Auch hier erwacht der „poetische Geist" in einem Mann, der ihm keineswegs gewachsen ist und sich ganz an das selbstgeschaffene Glück verliert. Wäre die Geschichte von Keller, was so ganz undenkbar nicht ist, wir hätten sie zu verstehen als erbarmungsloses Gericht über zwei, die sich schuldhaft aus der Wirklichkeit als der geprüften Übereinkunft der Verständigen und Erfahrenen absetzen. Ebendiesen Wirklichkeitsbegriff mit seinem entschlossenen sittlichen Anspruch aber dürfen wir bei Hoffmann nicht voraussetzen, sowenig wie einen Wirklichkeitsbegriff, der aus der Begegnung des Menschen mit der bergenden und zugleich Schranken setzenden Natur entspringt. Wenn der Forscher Menzies kurz vor seinem Tod schreibt: „Nie werd ich meine geliebte Haimatochare von mir lassen, alles, ja mein Leben, das nur durch sie sich zu gestalten vermag, geb ich freudig hin für Haimatochare!" (IV. i n ) , dann zielt Hoffmann damit wohl auf das schließliche Gelächter der Leser, von denen keiner die Liebe zum Südsee-Insekt nachvollziehen kann, gestattet aber ebendieses Gelächter erst ganz zuletzt, indem er durch ein strenges Einhalten der subjektiven Perspektiven die Leser bis dahin im Glauben hält, Haimatochare sei wirklich ein schönes Mädchen. Damit hat der Lachende die groteske Liebe vorgängig durchaus mitgefühlt. Auch wenn er das Objekt solcher Leidenschaft nun absurd findet, hat ihn doch die Leidenschaft selbst gestreift und mit ihr der Traum von höchster Schönheit, aus dem sie entsprungen ist. Dieser Traum, als ein solcher, ist die wirklichste Wirklichkeit. Hoffmann, wir haben es auch schon betont, muß nicht selten seinen ganzen berechnenden Scharfsinn aufwenden, um jene Vorgänge, in denen sich sein Welt- und Selbstverständnis unmittelbar symbolisch ausdrückt und die er daher immer wieder in verschiedenster Gestalt seinen Erzählungen zugrunde legt, auf der Realitätsebene des jeweiligen Werks zu einem plausiblen Ende zu führen. Wenn die Protagonisten im ,Sand82 S o sieht es der (verdienstvolle) Kommentator des Bandes .Späte Werke' der Winkler-Ausgabe, W u l f Segebrecht ( I V . 8 6 1 ) . E r betrachtet die Erzählung als „gegen die Unmenschlichkeit einer Wissenschaft gerichtet, in der nicht das E r gebnis zählt, sondern eifersüchtiger Egoismus und Eitelkeit herrschen".
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mann* und im ,Gelübde' eindeutig pathologische Fälle vorstellen, dann beruht dies nicht einfach auf seinem Interesse an psychischen Erkrankungen, am Abseitigen und Anomalen, sondern auf der Tatsache, daß er nur unter diesen Voraussetzungen das ihn faszinierende Geschehen sich abspielen lassen kann. Sobald er deshalb die stilistische Basis anders setzt, also wie etwa im ,Haimatochare' gegen die Burleske hin, braucht er sich um psychopathologische Details nicht mehr zu kümmern. Am freiesten allerdings ist er dort, wo er mit seinem Begriff des ,Märchens' arbeitet. Da kann er seine Helden in der alltäglichen Umwelt allen nur denkbaren Halluzinationen und projizierten Phantasmen aussetzen, kann sie durch paranoische Zustände und schizoide Turbulenzen schicken, es nimmt sich nur als fröhliches Abenteuer aus, jenseits psychiatrischer Kriterien 23 und von vornherein sanktioniert durch die formalpoetische Benennung. Wie sehr er dabei aber den tieferen Gesetzmäßigkeiten seines Schaffens treu bleibt, sein scheinbar ungebundenes Fabeln und Erfinden von ihnen her organisiert, zeigt, als Schluß dieses Kapitels, ein knapper Blick auf die Märchen ,Die Königsbraut' und .Klein Zaches*. ,Die Königsbraut', das von Baudelaire" hochgeschätzte Schlußstück der ,Serapionsbrüder', ist ein ausgesprochenes Teraphim-Märchen : die Geschichte von Liebe, Brautstand und glücklich verhinderter Hochzeit des Fräuleins Ännchen von Zabelthau mit dem Gemüsekönig Daucus Carota, genauer: mit einer zu phantastischem Leben erweckten Mohrrübe. Dabei hat allerdings der Weg, den die weibliche Hauptfigur durch den „Prozeß" geführt wird, eine etwas andere Tendenz als beispielsweise im ,Nußknacker'. Was sich dort als Initiation des Kindes in die Sphäre der freigesetzten Schau-Kraft ausnimmt, das hat hier eindeutig den Charakter eines Korrektivs, einer schmerzhaften Erfahrung zum Zweck der Heilung von schlimmer Philisterei. Denn Ännchen ist den Tugenden der Haus- und Gartenwirtschaft völlig verfallen und findet ihr tägliches Glück im ausschließlichen Umgang mit Agrarprodukten. Daneben aber hat sie einen astrologisch-kabbalistisch tätigen Vater, und bei diesem 23
M a n verstehe recht: der Leser sieht sich in diesen Fällen nirgends gezwungen, psychopathologische Diagnosen zu stellen. E t w a s ganz anderes ist die T a t sache, daß H o f f m a n n gerade in den Märchen Grundvorgänge der menschlichen Psyche modellartig zur Erscheinung bringt, welche der Psychologie seiner Zeit noch durchaus unbekannt waren und erst v o n den modernen Theorien des U n bewußten her ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt freigeben. Insofern, als Dokumente einer erstaunlichen psychologischen Einsicht, stehen sie natürlich nicht „jenseits psychiatrischer Kriterien". 24 V g l . das Z i t a t aus Baudelaires , D e l'essence du rire' bei W . Preisendanz, a.a.O. S. 2 9 4 .
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liegt w o h l die Ursache - sei es durch U m w e l t e i n f l u ß oder über die Erbmasse - , daß das kleine Fräulein nicht einfach, w i e so viele weibliche Gestalten H o f f m a n n s , in ihrem unreflektierten Philistertum versinkt, sondern eben durch die Liebe zur Mohrrübe und das anschließende Erschrecken darüber in wohltätiger Weise zur Besinnung gebracht wird. Mit einem modernen Begriff, der bei H o f f m a n n immer wieder naherückt, kann man sagen: ,Die Königsbraut' ist die Geschichte einer V e r drängung des „poetischen Geistes", des „ K a r f u n k e l s " , dessen K r a f t sodann in der projektiven V i v i f i k a t i o n des Rübenkönigs unbegriffen durchbricht und eine Zeitlang gefährliche Folgen fürchten läßt. Diese Deutung wird dadurch bestätigt, daß der Teraphim in dem Augenblick wieder seine Naturgestalt annimmt, als Ännchens Freund Amandus ihm ein eigenes Gedicht vorsingt: „Laut kreischte Daucus C a r o t a auf, schlüpfte zum kleinen, kleinen Mohrrübchen geworden, herab von Ännchens Schoß und in die Erde hinein, so d a ß er in einem Moment spurlos verschwunden" (II. 991). N u n ist dieses Gedicht z w a r ein völlig dilettantisches Produkt, und man stutzt beim Lesen tatsächlich, wenn man feststellt, daß durch ein so unbeholfenes Gebilde der Bann gelöst wird, aber es ist eben bei aller ästhetischen Fragwürdigkeit doch Manifestation des „poetischen Geistes";®5 mit andern W o r t e n : die Verdrängung des „ K a r f u n k e l s " wird damit aufgehoben und gleichzeitig auch deren Folge beseitigt. Der „ P r o z e ß " findet hier wieder einmal seinen wesensgemäßen Abschluß, und da nicht nur Ännchen ihn durchläuft, sondern auch Amandus (der den aufschlußreichen N a m e n v o n N e b e l stern trägt), sie beide also zu der in ihrem Innern konkretisierten W a h r heit vorstoßen, besteht für H o f f m a n n kein G r u n d , sie nicht in eine „vergnügte Ehe" (II. 993) zu entlassen. Durch die feste stilistische Spielfläche eines „Märchens" mit groteskem Einschlag wird dem A u t o r auch hier manches erleichtert. Während der Teraphim sonst o f t genug nach langen erzählerischen Umständen und in feinster Stufung lebendig, resp. überformt wird, kann H o f f m a n n seinen Daucus C a r o t a hier einfach in einer kleinen Kutsche vorfahren lassen. D e r Grundvorgang bleibt der gleiche, aber die formal-poetische Bestimmung erlaubt dem A u t o r - in stummer Absprache gleichsam mit dem Leser - etliche Staffeln z u überspringen und sich mit Winken zu So ist auch der Kater Murr durchaus nicht die Negation Kreislers, wie man immer wieder hört, nicht das Urbild des Philisters, sondern ein Dilettant, ein Narr, ein Naiver, einer der in jenem Zustand bleibt, den hier Amandus als Phase durchmacht, aber durchaus ein „Gerechter"; deshalb liebt ihn Hoffmann und liebt ihn der Leser, während die eigentlichen Philister, die innerlich toten, stets einem gnadenlosen Urteil verfallen. 85
III
begnügen, wo anderswo genaue Durchführung nötig wäre. Solche Winke allerdings setzt er vor dem Auftritt des Rübenkönigs etliche, so daß der aufmerksame Leser nie in die Gefahr kommt, das Geschehen als Märchen im landläufigen Sinn zu nehmen, als freie Erfindung skurriler Gestalten und Ereignisse, sondern stets im schwankenden Wissen bleibt, daß Ännchen selbst sich diese Fabeldinge ahnungslos bereitet.2® Der bedeutendste „Wink" dieser Art ist die Tatsache, daß das Mädchen zu Anfang an einer Mohrrübe einen Ring eingewachsen findet, den sie ansteckt und über den sie, teils unter Einwirkung ihres spintisierenden Vaters, in magnetistisch-mediale Zustände gerät. Über die ,Königsbraut' führt nun zweifellos auch der beste Zugang zum Märchen ,Klein Zaches genannt Zinnober', das allgemein zu den famosesten Dingen in Hoffmanns Oeuvre gerechnet wird. Der Autor betont im letzten Kapitel mit Nachdruck, daß er „zu der Geschichte aus dem Innern heraus unwiderstehlich angeregt" worden sei (IV. 97). Er muß sie als etwas besonders Eigenes und auch besonders Geratenes betrachtet haben, als eine Leistung von ausgeprägtem Repräsentationswert für seine ganze Erzählkunst. Und so wirkt sie denn auch zweifellos auf jeden einigermaßen beschlagenen Leser. Alle Spezifika von H o f f manns Erfinden und Beschreiben scheinen sich hier aufs ungezwungenste zueinander zu fügen. Trotzdem stoßen wir gerade als besonders beschlagene Leser, die wir uns einer Reihe von Konstanten im Werk des Dichters versichert haben und dafür in synoptischer Ausweitung noch einige weitere Belege suchen, auf irritierende Schwierigkeiten. Das Ensemble von Hauptfiguren und Statisten ist so klar umrissen und typologisch vertraut, wie man nur wünschen kann, und doch will sich im Verlauf der Handlung nichts mit den gewohnten Mustern decken. Der Student Balthasar entspricht in der Art, wie er exponiert wird, durchaus den Protagonisten anderer Erzählungen. Er ist ein verschämter Dichter und ein ebenso verschämter Liebhaber der hübschen Candida; auch kommt er schon bald in Beziehung zu einer geradezu klassischen Mentor-Gestalt, dem Doktor Prosper Alpanus. Aber während die aus solchem Stoff gefertigten Jünglinge sonst immer in eine rasche Folge imaginationsgeborener Abenteuer geraten und sich zu gutem oder bösem Ende in Liebschaften verwickeln, deren Reiz und Glanz und Farbenspiel aus unbekannten Sedimenten ihrer eigenen Seele stammt, besteht Balthasars Erlebnis gerade darin, daß er im Gegensatz zu seiner ganzen Umwelt 2
® Vgl. dazu W . Preisendanz über den ,Goldnen T o p f ' : „Kein Wunderbares und Zauberhaftes findet sich im ,Goldnen Topf', das nicht auf qualitative Potenzierung der Wirklichkeit durch die K r a f t der Imagination [ . . . ] reduziert werden könnte". (Humor als dichterische Einbildungskraft, a.a.O. S. 97).
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klaren Kopf behält und von dem seltsamen Zwang verschont bleibt, die bösartige Mißgeburt Zaches für den Inbegriff eines Künstlers, Weltmanns und Wissenschaftlers zu halten.Obwohl er allerlei Schmerzhaftes durchmachen muß, bevor er Candida heimführt, haben seine Erfahrungen nie den Charakter des „Prozesses", jener schwierigen Straße zur befreienden Selbst-Reflexion. Im Gegenteil, er hat eine solche Umkehr gar nicht nötig, weil er durchaus um den „Karfunkel" weiß und bereits ein zwar schüchterner, aber ausgeformter Dichter ist. Der verschrobene Herr Dapsul in der ,Königsbraut' sagt zu seiner Tochter über ihren Verlobten: „Dein Amandus ist einer, der da soll und muß, ich meine ein Gerundium" (II. j2), und findet damit die seltsamste, aber knappste Formel für die Ausgangsverfassung aller Hoffmannschen Helden. Demgegenüber müßte man Balthasar bezeichnen als „einen, der da ist". Das wird im Gang der Erzählung verschiedentlich bestätigt; dennoch ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt, das Ganze wirklich in Griff zu bekommen. Ja, es könnten sogar Zweifel an der behaupteten innern Konsequenz des Schriftstellers Hoffmann auftauchen: wird da nicht doch einfach eine Kollektion fixer Lieblingsmotive nach zufälliger Laune arrangiert und wie die Glassplitter eines Kaleidoskops durcheinander geschüttelt? - Es ist die Erinnerung an die ,Königsbraut' und an die besondere Funktion, die dort dem „Prozeß" zukommt, welche hier weiterhilft. Der durch Ännchens Philisterleben verdrängte „poetische Geist" rächt sich da, wie wir sahen, mit der Vivifikation der Mohrrübe; deren Entlarvung als ungestalter Teraphim aber wirkt für das Mädchen und seinen Freund durchaus nicht als ein so feierlicher Aktus hoher Selbst-Schau, wie wir ihn im Finale anderer Werke Hoffmanns finden, sondern eher als eine Art drastischer Korrektur: „Beider Sinn war auf eine seltsame Weise geändert" (II. 993). Man könnte da beinahe vom „Prozeß" als einer heilsamen Strafe sprechen, - und damit ist das Stichwort gefallen, welches zum Verständnis von ,Klein Zaches' führt. Der „Prozeß" als Strafe, als harte Züchtigung nicht eines Einzelnen, sondern eines Kollektivs - der gesamten Bevölkerung jenes Fürstentums - : das ist der konstituierende Gedanke des kleinen Werks, der ebensosehr dessen Originalität ausmacht wie dessen enge Verwandtschaft mit dem übrigen Schaffen Hoffmanns. Strafe aber wofür? Es ist, auf die Vielzahl ausgeweitet, das genau gleiche Vergehen, wessen sich auch Ännchen schuldig macht. Aber während dort zu Beginn nur die allzu hauswirtschaftliche Gesinnung des Mädchens gezeigt wird, schildert Hoffmann hier mit breiten Strichen den allegorisch vergegenständlichten Akt der Verdrängung selbst: die von der Regierung angeordnete unerbittliche Ausweisung der Feen. Vordem war das Ländchen von der angenehmsten
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Art: „Personen, die die volle Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schöne Gegend, ein mildes Klima liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wählen, als in dem Fürstentum, und so geschah es denn, daß unter andern auch verschiedene vortreffliche Feen von der guten Art, denen Wärme und Freiheit bekanntlich über alles geht, sich dort angesiedelt hatten" (IV. i j ) . Von den Bewohnern glaubte jeder „völlig an das Wunderbare". Da tritt eines Tages der Erste Minister vor den Fürsten mit der Forderung: „Sire! - führen Sie die Aufklärung ein!" (IV. IJ). Es geschieht mit Hilfe eines feierlichen Edikts und gipfelt in der gewaltsamen Aussiedlung der Feen. Nach Auffassung der Obrigkeit treiben diese nämlich „ein gefährliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie, ein heimliches Gift zu verbreiten . . . " (IV. 17). Nur eine, Rosabelverde, kann sich als Fräulein von Rosengrünschön illegal in ein Jungfernstift zurückziehen und dort in mäßiger Freiheit leben (IV. 19). Dieses Vorspiel, das an sich, von Details abgesehen, nicht besonders originell erscheint, ist für das weitere von größter Bedeutung. Denn es ist die bös karikierte Oberschicht des Fürstentums als ein kollektives Ganzes, welche die Vertreibung vollzieht - genauer gezeichnete Einzelfiguren wirken durchaus repräsentativ - , und als ein kollektives Ganzes begegnet sie nun auch ihrem Teraphim: Klein Zaches. Der affenhafte Cretin sprengt wie vom Schicksal geschossen in die Stadt, und der verschüttete Karfunkel in den Menschen, die gewaltsam verdrängte K r a f t der schaffenden Imagination - denn dies und nichts anderes symbolisiert das Exil der Feen - , erwacht zu einem pervertierten Treiben, indem sie alles Schöne und Wohlgeratene, das sich in Gegenwart des häßlichen Zwerges zeigt, als von diesem hervorgebracht erscheinen läßt. In diesem Vorgang liegt, verständlicherweise, das Faszinosum, welches die Geschichte für Hoffmann selbst so „unwiderstehlich" machte (IV. 97). Und nun wird auch plötzlich klar, warum der Student Balthasar einer sein muß, „der da ist". Da er den „wunderbaren Geist" in seiner Brust kennt und versteht (vgl. IV. 25), mithin an der kollektiven Verdrängung keinen Anteil hat, bleibt für ihn der Teraphim ein Teraphim: er sieht in Klein Zaches nie etwas anderes als den degoutanten, wenn auch mitleiderregenden Fehlwurf der Natur. Damit wird Balthasar schon rein erzähltechnisch wichtig; durch den Kontrast zwischen seinem Blick auf Zaches und der phantastisch überformenden Sehweise der andern gelangt das groteske Geschehen erst zu seiner vollen Wirkung. Ein repräsentativer Höhepunkt ist dabei die Szene, wo der Student Zeuge sein muß, wie seine geliebte Candida, der er sich bisher kaum zu nähern wagte, den abscheulichen Kleinen küßt, weil sie wie alle andern meint, Balthasars 114
Gedicht stamme von ihm: „ ,Wer ist's', rief nun wieder der Professor der Ästhetik in voller Begeisterung aus, ,wer ist's von euch Jungfrauen, der dem herrlichen Zinnober sein Gedicht, das das innigste Gefühl der reinsten Liebe ausspricht, lohnt durch einen Kuß?' - Da stand Candida auf, nahte sich, volle Glut auf den Wangen, dem Kleinen, kniete nieder und küßte ihn auf den garstigen Mund mit blauen Lippen" (IV. 38/39). Auf die weiteren Stufen und Umstände von Zaches/Zinnobers fulminanter Karriere brauchen wir hier nicht weiter einzugehen, und auch die Mitwirkung der Mentor-Figuren Prosper Alpanus und Rosabelverde an der Lancierung und dem schließlichen Entlarven des Cretins bedarf in diesem Zusammenhang keines näheren Kommentars. Wichtig aber ist die Tatsache, daß mit der Entmystifizierung des Teraphims eigentlich nur für Candida auch ein Wandel in Richtung auf die entscheidende Einsicht verbunden ist. Die andern, für welche der Professor Mosch Terpin stellvertretend gelten kann, werden zwar von unangenehmen Ahnungen gestreift, retten sich aber gleich wieder endgültig in ihre innere Öde (vgl. IV. 98). Der „Prozeß" macht sie wohl lächerlich, kann ihrer Stumpfheit jedoch weder im Guten noch im Schlimmen etwas anhaben. Von der endlichen Freiheit eines Giglio Fava sind sie ebenso weit entfernt wie vom tragischen Untergang Nathanaels. Ein Wort aber noch zu Zaches selbst. Man hat es verschiedentlich als merkwürdig empfunden, daß Hoffmann dieser Ungestalt anfangs und vor allem wieder nach dem Tod mit offenbarem Mitgefühl begegnet, daß er die Fee Rosabelverde „mit der weichen bebenden Stimme des tiefen Mitleids" (IV. 92) zum „kleinen verschrumpften Gesichtchen" sprechen läßt. Ernst von Schenck, für den Zaches „das Gespenst des Bürgers" ist, erklärt die Schwierigkeit so: „Hoffmann selber hatte den Bürger in sich schon längst den Weg in den .Goldenen Topf' gehen lassen [ . . . ] . Wozu braucht der Dichter die Rache, wenn das Gespenst gebannt (ist)" (a.a.O. S. 1 3 1 / 1 3 2 ) . " Das scheint plausibel, widerspricht aber der durchwegs feststellbaren Tatsache, daß Hoffmann dem radikalen Philister gegenüber unerbittlich ist, von harter, kompromißloser Verachtung, die nie und nirgends in verstehende Liebe umschlägt, so wie er denn auch gerade in dieser Geschichte den Mosch Terpin zuletzt in Infantilität und Alkoholismus verkommen läßt. Die Figur des Zaches aber kann man nicht verstehen ohne den Begriff des Teraphims in seiner spezifisch Hoffmannschen Bedeutung. Als solcher nämlich, als das groteske Spiegelgebilde, in dem sich die Imagination fängt und vergegen-
" Ähnlich Martini in seinem Aufsatz ,Dxe Märchendichtungen E . T. A . H o f f manns' a.a.O.
ständlicht, steht er außerhalb der Polarität Philister-Enthusiast. Wohl geht es hier um das „Gespenst des Bürgers", aber dafür hat Mosch Terpin und die ganze ihm verwandte Gesellschaft zu gelten; Zaches hingegen ist bei aller animalischen Bösartigkeit ein Bruder des Nußknackers, der Olimpia, des Rübenkönigs Daucus Carota. So sehr sich die diversen Teraphims auch unterscheiden, ein gewisses Wohlgefallen an ihnen kann der Autor nie unterdrücken; selbst der Südsee-Laus Haimatochare bereitet er ja noch ein militärisches Begräbnis mit Flaggen und Kanonenfeuer (IV. 114). Hier liegt ein weiteres gewichtiges Beispiel vor für die Notwendigkeit, die Figuren in Hoffmanns Erzählungen je und je von ihrer Funktion aus anzugehen, von ihrem spezifischen Ort im Handlungsdiagramm. Schon in Bezug auf die Mentorgestalten haben wir darauf mit bewußtem Nachdruck hingewiesen. Dieses Handlungsdiagramm aber erweist sich stets von neuem als bald heitere, bald tragikomische, bald tief erschütternde Variante jenes Geschehens, das wir als den „Prozeß" zu bezeichnen pflegen. Noch das letzte große Werk Hoffmanns, ,Meister Floh', ist ganz von daher organisiert, und auch dort wird man mit der Interpretation nie zu Rande kommen, wenn man die zentrale Figur der Dörtje/Gamaheh nicht in ihrer Teraphim-Funktion begreift.
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IV. KAPITEL
DER METALLISIERTE
B R Ä U T I G A M
Aporie - Erstarrung - Utopie
D e r Mensch ist frei nur als ein Schauender. A l s ein Schauender aber separiert er sich gleichzeitig von aller Menschengesellschaft und von aller Natur. Eines der widerstandsfähigsten A x i o m e des literarischen 19. Jahrhunderts ist: daß die N a t u r eine in sich ruhende Gegen-Welt darstellt zur Gesellschaft, z u m politischen Organismus; daß man aus der raschen geschichtlichen Sozietät aussteigen und sich in die N a t u r schlagen kann. D a ist dann die Zeit ungeheuer langsam und mütterlich. H o f f m a n n ist vielleicht der einzige deutsche Dichter seines Jahrhunderts, dem nie der Sinn darnach steht, sich in die N a t u r zu schlagen. N i c h t , weil es ihm in der geschichtlichen Sozietät behagte, w i e sich etwa Keller eine Zeitlang darin eingerichtet sieht. Er w ü r d e für keines von beiden auch nur die H a n d umdrehn. Dennoch bleibt er nicht außerhalb seiner Epoche. A u c h er will, was sie alle wollen: in Berührung kommen mit der aufgehobenen Zeit. Diese, bald am statuierten oder postulierten Ende der Geschichte, bald in der Tiefe einer W e l t als Wille, bald im abgerückten Locus amoenus der N a tur oder des in sich selber seligen Kunst-Dings angesiedelt, ist die letzte Sehnsucht der Generationen, welche die Säkularisation des christlich-barocken Begriffs einer objektiven „ E w i g k e i t " nicht geleistet, sondern als problematisches Resultat angetreten haben. H o f f m a n n s E n t w u r f einer Bewältigung geht über das Mythologem des „ K a r f u n k e l s " . Dieses ist, als ein solches, der metaphysischen In-FrageStellung entzogen. Es kann ihr einerseits nicht Stich halten, ist ihr anderseits als ein Geglaubtes und Erfahrenes überlegen. Deshalb gehen jene Versuche nie auf, die H o f f m a n n mit integrierenden Sparten der idealistischen Systeme zur Deckung bringen möchten. D a w i r d er stets tiefsinniger, als er ist, und zugleich harmloser. 1 Selbst so bedeutende Arbeiten wie die von Wolfgang Preisendanz (Humor als dichterische Einbildungskraft, a.a.O.) und von Ingrid Strohschneider-Kohrs 1
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Der „Karfunkel" also, nur er, ist zeitlos, ist abgetrennt, ganz und gar unabhängig von der objektiven Zeitlichkeit, welche als fundamentale Dimension von Natur, Geschichte und Individuum erfahren wird. Somit entdeckt sich das zentrale Paradoxon von Hoffmanns Menschenkunde, sein spezifischer „Dualismus", als das Faktum, daß der Einzelne, der Geschichtliche, sich in sich selber schlagen muß, wenn er aus der Zeit aussteigen will, daß er dazu aber letztlich nicht nur seine soziale, sondern auch seine leibhaftig-kreatürliche Existenz aufzuheben hätte. Dieser Paradoxon ist in seinen Konsequenzen tragikomisch, grotesk. Es ist dem Autor vielleicht nur einmal gelungen, das alles ganz einfach und ruhig in eine sinnbildliche Handlung zu fassen, in der Erzählung ,Die Bergwerke zu Falun'. Die Geschichte ist, auch von den Bearbeitungen Hebels und Hofmannsthals her, bekannt: der Bergmann Elis wird am Hochzeitsmorgen im tiefsten Schacht verschüttet und kommt Jahrzehnte später, vollkommen konserviert, wieder zum Vorschein, nur von einem uralten Mütterchen, seiner einstigen Braut, erkannt. Für H o f f mann, der sein Werk einmal mehr mit dem Argument rechtfertigt, es sei ihm „nun einmal gerade so aufgegangen" (II. 197), bot die Vorlage zwei fruchtbare Ansatzstellen: den Weg des Helden in sein Verhängnis und die symbolische Aussagekraft der Schlußszene. Das erstere, die eigentliche Vita des jungen Mannes, erschließt sich uns vom Modell der TeraphimGeschichten her sehr leicht, obwohl, genau genommen, gar kein Teraphim vorkommt. Aber die Kenntnis der Vorgänge um die lebendig werdenden Puppen und Bilder, ihres spezifischen Ziels und ihrer spezifischen Gefahr, bewahrt uns davor, über die Identität der „mächtigen Königin", die den Jungen in die Tiefe lockt, in Spekulationen zu geraten und sie als Naturgöttin, Mutter Erde oder etwas ähnlich Objektiv-Mythisches zu fassen, was für das Ganze nur Widersprüche und Inkonsequenzen ergäbe. Denn die Königin ist in Elis selbst und sonst nirgends. Wir sind zwar spontan geneigt, sie als Personalisierung des All-Einen zu nehmen, als kunstvolle Variante einer damals bereits verfügbaren literarischen Konvention. Aber auch ohne Berufung auf Hoffmanns sonstige totale Gleichgültigkeit gegen die lebendige Schöpfung und gegen das, was sie im Innersten zusammenhält, können wir das Inadäquate einer wie auch immer gearteten natur-mythischen Deutung allein aus der Erzählung selbst belegen. Was da nämlich an Natur oder besser: Naturregionen vorkommt,
(Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen i 9 6 0 ) vertrauen o f t zu sehr auf die Relevanz solcher Bezüge; in noch vermehrtem M a ß e M a r i a n ne Thalmanns,Zeichensprache der Romantik' (Heidelberg 1 9 6 7 ) . 118
ist unter sich völlig getrennt, besitzt nichts Durchgehend-Einheitliches, so sehr dies auch dem Denken der Epoche zuwiderzulaufen scheint. Das wird dort deutlich ausgesprochen, w o Elis zuerst die große Pinge, die Tagesöffnung der Erzgrube, sieht. Er erblickt eine „fürchterliche Zerstörung" : „Kein Baum, kein Grashalm sproßt in dem kahlen zerbröckelten Steingeklüft und in wunderlichen Gebilden, manchmal riesenhaften versteinerten Tieren, manchmal menschlichen Kolossen ähnlich, ragen die zackigen Felsmassen ringsumher empor. Im Abgrunde liegen in wilder Zerstörung durcheinander Steine, Schlacken - ausgebranntes Erz, und ein ewiger betäubender Schwefeldunst steigt aus der Tiefe, als würde unten der Höllensud gekocht, dessen Dämpfe alle grüne Lust der Natur vergiften" (II. 181). Nachdem sich der junge Mann einigermaßen gefaßt hat, ruft er aus: „ O Herr meines Lebens, was sind alle Schauer des Meeres gegen das Entsetzen was dort in dem öden Steingklüft wohnt! — Mag der Sturm toben, mögen die schwarzen Wolken hinabtauchen in die brausenden Wellen, bald siegt doch wieder die schöne herrliche Sonne und vor ihrem freundlichen Antlitz verstummt das wilde Getöse, aber nie dringt ihr Blick in jene schwarze Höhlen, und kein frischer Frühlingshauch erquickt dort unten jemals die Brust" (II. 182). Der Anklang an Schillers ,Taucher', der dem Autor hier unterläuft, hat bei aller Distanz der beiden Geister eine gewisse symptomatische Berechtigung. Für uns aber ist wichtig, daß Hoffmann den tobenden Orkan, den Inbegriff der maßlosen, zerstörerischen Natur, ebensosehr in Gegensatz stellt zum Innern des Bergwerks wie die „grüne Lust", das sanfte, wachsende Leben. Das wäre nicht möglich, wenn es um eine mythische Mitte ginge. Vielmehr scheint Hoffmann bemüht, die „ N a t u r " im landläufigen Sinn von etwas anderem zu trennen und dieses Andere als ein Besonderes und Inkommensurables darzustellen: als das höllenhaft Tote und Häßliche schlechthin. Zu welchem Zweck? - Er braucht es als das Substrat von Elis' großer Projektion. Dieser infernale Abgrund schlägt nachher die Augen auf und schaut ihn an mit dem „hohen Antlitz der mächtigen Königin". Die Pinge ist Hoffmanns vielleicht symbolstärkste Teraphim-Variante, 2 so wie denn auch die Schaukraft des jungen Elis mit derjenigen kaum eines jungen Helden zu vergleichen ist. In dieser Erzählung ist alles einfacher, strenger und größer. Das mag mit einem gewissen Ofterdingen-Ton zusammenhängen, den Hoffmann bei der Arbeit im Ohr hatte; es kann aber auch umgekehrt sein: die K r a f t der gefundenen Fabel selbst war so stark, daß er sich diesen Ton und den seltenen Verzicht auf alle Ironie leisten
2 Man vergleiche damit auch den Schlammpfuhl in der .Königsbraut', die wahre Heimat des Teraphims Daucus Carota (II. 983^).
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konnte. Deshalb ist es auch so aufschlußreich, wie die Gesellschaft in dieser Erzählung erscheint. Sie ist nicht etwa, nach dem Modell der ,Kreisleriana', des ,Klein Zaches' und vieler anderer Stücke, die bösartig-geistlose Philisterwelt, von der sich der zu seinem Glück oder Unglück begnadete Held abhebt; vielmehr werden hier zwei gegensätzliche Möglichkeiten der Gesellschaft gezeigt, die Elis beide hinter sich läßt. D a ist einmal der eigenständige Bereich des Hafens, der Kaufleute und Matrosen; er wird bestimmt vom Geld wie die Börse im ,Artushof', von lauten Wirtshäusern und käuflichen Mädchen. D a ß sich der Junge in solcher Umgebung fremd und freiwillig ausgeschlossen sieht, teilt er mit vielen verwandten Figuren in Hoffmanns Werk. Von hier weg aber kommt er zu den Bergleuten nach Falun, und da haben wir denn geradezu das Modell einer menschenwürdigen und menschenfreundlichen Gesellschaft vor uns. Es ist eben ein Fest im Gange, die Männer besuchen ihren Vorsteher: „Elis (betrachtete) die schönen und stattlichen Leute mit den freien, freundlichen Gesichtern [ . . . ] . Die helle Fröhlichkeit, die, als Pehrson Dahlsjö hinaustrat, wie aufs neue angefacht, durch den ganzen Kreis aufloderte, war wohl ganz anderer A r t als der wilde tobende Jubel der Seeleute beim Hönsning. - Dem stillen ernsten Elis ging die Art, wie sich diese Bergmänner freuten, recht tief ins Herz. Es wurde ihm unbeschreiblich wohl zumute, aber der Tränen könnt' er sich vor Rührung kaum enthalten, als einige der jungen Knappen ein altes Lied anstimmten, das in gar einfacher, in Seele und Gemüt dringender Melodie den Segen des Bergbaues pries. - Als das Lied geendet, öffnete Pehrson Dahlsjö die Türe seines Hauses, und alle Bergleute traten nacheinander hinein [ . . . ] . Ein tüchtiges Mahl stand auf einem Tisch bereitet. - N u n ging die hintere Türe dem Elis gegenüber auf, und eine holde, festlich geschmückte Jungfrau trat hinein . . . " (II. 183). Es ist Ulla, Elis* spätere Braut. Der Abschnitt ist hier deshalb so ausführlich zitiert, weil er die Fragwürdigkeit einer gelegentlich anzutreffenden These über Hoffmann deutlich macht. So stellt insbesondere Hans Mayer in seinem temperamentvollen Aufsatz ein geheimes, aber zunehmend wachsendes Hinneigen des Dichters zum „einfachen V o l k " fest: 8 „ I m Spätwerk des Dichters wird der atlantische Bereich immer stärker und versöhnender in die Alltagswirklichkeit zurückgeführt, die für den späten Hoffmann allerdings nicht eine Wirklichkeit der H ö f e und bürgerlichen Ästheten ist, sondern der einfachen Menschen im Volk." 4 Und über ,Des Vetters Eckfenster' schreibt er, es sei „ein einziges Hinstreben des (todkranken) Künstlers Zum Problem der Entwicklung H o f f m a n n s vgl. unsere Anmerkung oben z u S. 34. 4 Hans Mayer, Die Wirklichkeit Ε. T. A . H o f f m a n n s in: V o n Lessing bis 3
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zur Wirklichkeit des Lebens im Volke, unter einfachen Menschen".5 Da könnte man denn beinahe meinen, nur die unselige Krankheit habe es verhindert, daß der Verfasser der ,Brambilla' auf seine alten Tage noch ein Jeremias Gotthelf geworden wäre. Eine herzliche Zuneigung zu Leuten aus dem „einfachen Volk" wird zwar bei Hoffmann immer wieder und von seinen ersten Schriften an sichtbar; ein „Hinstreben" allerdings zu ihrer „Wirklichkeit" hatte er, der 1808 in einer Berliner Mietkammer um ein Haar verhungert wäre,* wohl kaum nötig. Mayer meint dies aber auch mehr im literarischen Sinn: das „einfache Volk" als erzählerischer Vorwurf. Genau das jedoch haben wir in den .Bergwerken zu Falun' auf so reine und eindeutige Weise vor uns, wie der Kritiker es sich nur wünschen kann. Die Schilderung ist zwar leicht novalisierend, basiert indessen, was mehr ins Gewicht fällt, auf eingehenden Studien des Autors über Sitten und Gebräuche in Skandinavien, 7 Studien, wie sie später dem Ethos solider realistischer Schriftstellerei entsprechen. Zugleich wird diese Welt freier und gelassener Arbeit durch den erwähnten pointierten Gegensatz zum Hafen mit seinen reichen Unternehmern und liederlichen Matrosen ins Idealische gesteigert. Und dennoch ist der Kern der Erzählung, das entscheidende novellistische Ereignis, der radikale Bruch mit dieser heimatlichen Welt.8 J a , die Kontrastierung der gesellschaftlichen Bereiche um den Hafen und um Falun erweist sich zuletzt nur als ein Mittel, die autistische Trennung von aller Sozietät verstärkt zum Ausdruck zu bringen, so wie die bedrohliche und die milde Natur zusammen in Opposition zum steinernen Abgrund gestellt wurden. Auch die liebliche Ulla, auf die nie ein Schimmer jenes bösen Lichtes fällt, mit dem der Autor die Mädchen so oft zu Philisterinnen degradiert, wenn der Held sich abwenden und doch die Sympathie des Lesers behalten soll, auch Ulla steht einerseits im Gegensatz zu der unglücklichen Prostituierten, der sich Elis am Hafen entzieht (II. 172t.), andererseits wird sie durch die totale Abkehr des Mannes gewissermaßen an deren Seite gerückt. Natur, Gesellschaft und Geliebte erscheinen zunächst alle in doppelter, scharf polarisierter Gestalt; diese Gegensätzlichkeit aber wird mit der Konstituierung des neuen Pols, der „Königin", aufgelöst und in das einheitliche Thomas Mann. Wandlungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland. P f u l lingen 1 9 5 9 . 5 Ebd. 6 V g l . den Brief an Hippel vom 7. M a i 1808. 7 V g l . den Brief an den Buchhändler K r a l o w s k y v o m 1 5 . Dezember 1 8 1 8 . 8
Gerade das Heimatliche, das Falun f ü r Elis hat, w i r d sehr betont: „ N u n sei er, sprach sie, ja nicht mehr fremd, sondern gehöre ins H a u s und nicht mehr das trügerische Meer, nein! - Falun mit seinen reichen Bergen sei seine H e i m a t ! "
(II. i8jf.).
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Widerlager des tieferen, des allein entscheidenden Spannungsbogens verwandelt." Der „Prozeß" des jungen Bergmanns soll hier nicht im einzelnen nachgewiesen werden; die Analogie zu den im vorigen Kapitel verfolgten Viten ist überall leicht ersichtlich. Uns geht es vielmehr um das außerordentliche Symbol, auf das die Erzählung zuläuft und in dem sie gipfelt: die totale Erstarrung, die zugleich die vollkommene und unbegrenzte Konservierung jugendlicher Schönheit ist. Hoffmann bereitet dieses Schlußgeschehen mit gewohntem Kunstverstand stufenweise vor. Auf eine Stelle sei dabei besonders hingewiesen. Elis hat in der Tiefe wiederum die Königin geschaut, diese hat ihn sogar erfaßt und an ihre Brust gedrückt (II. 191). Nun fühlt er sich vor seiner Braut auf die qualvollste Weise zerrissen: „Dem Elis wollte die Brust zerspringen. - Vergebens rang er darnach, der Geliebten von dem wunderbaren Gesicht, das sich ihm in der Teufe aufgetan, zu erzählen. Es war, als verschlösse ihm eine unbekannte Macht mit Gewalt den Mund, als schaue aus seinem Innern heraus das furchtbare Antlitz der Königin, und nenne er ihren Namen, so würde, wie bei dem Anblick des entsetzlichen Medusenhaupts, sich alles um ihn her versteinen zum düstern schwarzen Geklüft!" (II. i92f.). „Alles um ihn her" — das sind jene drei Dimensionen Natur, Gesellschaft und Geliebte, deren parallele Stellung innerhalb der Erzählung wir eben aufgezeigt haben und von denen allen er sich gleicherweise separiert fühlt. Und gerade weil er an dieser Erfahrung eben jetzt so schwer trägt, gerät er auch, ohne es zu merken, an die Grenze der Wahrheit, die er sonst bis zu seinem Tod nicht überschreitet: er fühlt die Königin in „seinem Innern". Aber er nimmt das nur als eine streifende Halluzination und zweifelt keinen Augenblick an ihrem objektiven Dasein in der Tiefe des Bergwerks. Und schließlich: auch wenn er die Wahrheit begriffe, was sollte er denn mit einer solchen Erkenntnis anfangen? Das ist eine der wichtigsten Fragen, auf die wir bei der Arbeit am Werk E. T. A. Hoffmanns überhaupt stoßen können. Sie beruht durchaus auf den bisher gewonnenen Einsichten in den Organismus der Erzählungen und scheint gleichzeitig diese Einsichten, die Theorie des „Prozesses", schroff zu relativieren. Wenn alles Unheil aus dem vorzeitig steckengebliebenen, alles Heil aus dem zu Ende geführten „Prozeß" kommt, was soll man denn davon halten, daß hier, in einem Werk mit so offensicht-
• Wir haben diesen Wandel der abstrakten Spannungsstruktur innerhalb des Erzählablaufs schon früher festgestellt, beispielsweise im ,Artushof und im , Sandmann'.
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lieh paradigmatischen Zügen, jenes imaginäre „gute Ende" seinerseits sinnlos, das heißt: in keiner Weise Zukunft-stiftend gedacht werden muß? Im Moment, wo ein Traugott (,Der Artushof') die Schönheit der Geliebten als das Geschöpf seiner eigenen, arbeitenden Imagination begreift, reißt vor ihm die weite Zukunft des Künstlerlebens auf ; Giglio Fava (,Prinzessin Brambilla') findet mit der Selbsterkenntnis vor dem Spiegel im Palast Pistoja zugleich zur erfüllten Tätigkeit auf der Commedia dell' arte-Bühne; selbst dem schrecklichen Pater Medardus (,Die Elixiere des Teufels') öffnet sich durch die endliche Identifikation von Aurelie und Rosalia der Blick auf befriedete Jahre lichter Meditation. Vom Bergmann Elis aber läßt sich beim besten Willen nicht sagen, was ihm die entsprechende Erfahrung, vermöchte er sie zu erlangen, fruchten, welchen Raum von Möglichkeiten sie erschließen könnte. Trotzdem erahnt er sie als das „höchste Glück", für das er alles einsetzt, und er kommt ihr auch, wenn wir seine letzten Worte beachten, äußerst nahe: „Am frühen Morgen des Hochzeitstages [ . . . ] klopfte Elis an die Kammer seiner Braut. Sie öffnete und fuhr erschrocken zurück, als sie den Elis erblickte schon in den Hochzeitskleidern, todbleich, dunkel sprühendes Feuer in den Augen. ,Ich will', sprach er mit leiser schwankender Stimme, ,ich will dir nur sagen, meine herzgeliebte Ulla, daß wir dicht an der Spitze des höchsten Glücks stehen, wie es nur dem Menschen hier auf Erden beschieden. Mir ist in dieser Nacht alles entdeckt worden. Unten in der Teufe liegt in Chlorit und Glimmer eingeschlossen der kirschrot funkelnde Almandin, auf den unsere Lebenstafel eingegraben, den mußt du von mir empfangen als Hochzeitsgabe. Er ist schöner als der herrlichste blutrote Karfunkel, und wenn wir in treuer Liebe verbunden hineinblicken in sein strahlendes Licht, können wir es deutlich erschauen, wie unser Inneres verwachsen ist mit dem wunderbaren Gezweige das aus dem Herzen der Königin im Mittelpunkt der Erde emporkeimt. Es ist nur nötig, daß ich diesen Stein hinauffördere zu Tage, und das will ich nunmehro tun. Gehab dich so lange wohl, meine herzgeliebte Ulla! — bald bin ich wieder hier.'" (II. 194). Da liegt eine merkwürdige Vermischung zentralster Motive vor. Der Schluß des ,Meister Floh' — „Peregrinus erkannte sich selbst, er fühlte, daß der zum Leben entzündete Karfunkel glühe in seiner eigenen Brust" (IV. 809) - und der Schluß der ,Prinzessin Brambilla' - wo das Liebespaar Seite an Seite in den Spiegel schaut scheinen sich hier zu überlagern; die „Königin" kommt noch als ein Drittes hinzu. Hoffmann häuft also richtiggehend jene symbolischen Veranstaltungen, mit denen er den Erkenntnisakt der Helden zu umgeben liebt, wobei Spiegel und Karfunkel (hier als „funkelnder Almandin") am deutlichsten hervortreten. Diese Kumulation entspringt aus der Notwen123
digkeit, Elis darzustellen als einen, der hart vor der ungeheuren Erfahrung steht, der aber diese Erfahrung nur ahnt und wittert. Sie wuchert ihm in verworrenen Bildern vor den Augen, und alle Bilder zielen auf das gleiche Unbegreifliche. Sicher ist für ihn - und den Leser - nur, daß jetzt gleich, in der unmittelbarsten Zukunft, sich etwas ganz Entscheidendes ereignet. Eine Klimax also beginnt, und wir nehmen an diesem Beginn teil in der Perspektive des Helden. Gleich nachher aber werden wir daraus jäh ausgeschlossen und gezwungen, die Sicht aller andern anzunehmen: es wird gemeldet, Elis sei in die Tiefe gefahren und von einem „fürchterlichen Bergfall" verschüttet worden. Damit zwingt uns der Erzähler, die mit so großem Aufwand begonnene Klimax imaginär zu vollenden. Doch was sollen wir uns da eigentlich denken? Elis an der Brust der Königin? Das wäre die spontane Deutung, von der sich der Bergmann selber im letzten Zitat bereits zu lösen schien. Oder Elis lachend vor dem Spiegel? Das wäre die dem geheimen Leitprinzip des Ganzen entsprechende Version, zu der wir viele Parallelen in andern Werken haben. Aber kennen wir nicht auch für die „spontane Deutung" Parallelen: die Liebe zur Königin als die Liebe zu Olimpia, zum erwachten Teraphim? Dann wäre Elis' Untergang wie der Todessturz Nathanaels in der Unfähigkeit zur Umkehr begründet; im Erdinnern vollzöge sich nicht die endliche Reflexion, sondern die Folge von deren Blockierung. Für eine Klärung können wir uns an zwei Punkte halten: an unsere eigene, früher gestellte Frage, was Elis denn mit seiner Erkenntnis anfangen sollte, und an das große Symbol, mit dem Hoffmann die Erzählung krönt: der Junge wird nach Jahrzehnten gefunden, Körper, Gewand („selbst die Blumen an der Brust") völlig erhalten. Das Symbol, der metallisierte Bräutigam, ist die Antwort. In ihm kommt zu schlüssiger Erscheinung: nicht eine Lösung, sondern eine Aporie. Es ist die Aporie, die aus Hoffmanns Menschenkunde notwendigerweise folgt, von der her diese überhaupt zu definieren wäre. Denken wir nochmals an die erwähnte Strukturverschiebung innerhalb der Erzählung. Elis gleitet aus den Polaritäten: schlimme/gute Natur, schlimme/gute Geliebte, schlimme/gute Gesellschaft über in die dominierende Polarität: Königin / Natur-Geliebte-Gesellschaft. Das ist solange ohne Schwierigkeiten möglich, als er die Königin für ein objektives und im objektiven Raum angesiedeltes Gegenüber hält, etwas, von dem man in begriffenem Abstand getrennt ist und zu dem man vorstoßen kann, wenn man den Mut hat, allem andern den Rücken zu kehren. Was aber geschieht mit dieser Polarität in dem Augenblick, wo sich die Königin als das Geschöpf der eigenen Schau-Kraft enthüllt, mehr noch, wo das Ich in ihr die reine, 124
den Sinnen zugängliche Erscheinungsform seiner selbst erkennt? Was ist da noch Ziel und Weg und Ausgangspunkt? Genau genommen, muß Elis zuletzt sagen : ich bin die Königin, die ich als einziges und mit allem Willen suche. Aber: wer sucht da wen? Wer sagt: ich? Man ist versucht, sich mit einer Brücke zu Hardenbergs Jüngling zu Sais aus der auch für den Interpreten seltsamen Situation zu retten, oder auf das „Kenne dich selbst" des gleichen Autors zurückzugreifen, wo es heißt: Glücklich, wer weise geworden und nicht die Welt mehr durchgrübelt, Wer von sich selber den Stein ewiger Weisheit begehrt [ . . . ] In ihm dampfet der heilige Kolben - der König ist in ihm - . . . 10 Aber da steht die erhabene Dialektik von Ich und All dahinter, das Identitätstheorem. Hardenbergs Ich ist ein ganz und gar metaphysisches und als solches abgesichert, von Anfang an mit allen Dingen verhängt und in allem Sichtbaren und Denkbaren zu Hause. Das Ich des Elis Fröbom aber ist ein einzelnes, ist nicht mehr metaphysisch gefaßt und faßlich, sondern psychologisch. Man tut ihm mit der Relation zu Novalis zu viel Ehre an, aber man verdeckt auch seine spezifische und unheilbare Problematik. Wie sehr nämlich unsere Frage, wer da wen suche und wer da „ich" sage, berechtigt ist, geht aus einer Andeutung in der Erzählung selbst hervor, aus jenem prophetischen Traum am Anfang, wo Elis die Königin erstmals sieht und wo es heißt: „So wie nun aber der Jüngling wieder hinabschaute in das starre Antlitz der mächtigen Frau, fühlte er, daß sein Ich zerfloß in dem glänzenden Gestein. E r kreischte auf in namenloser Angst . . . " (II. 179). Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß das höchste Grauen und die höchste Seligkeit bei Hoffmann je und je nur der gleichen einen und einzigen Ursache entspringen, dann wäre er von dieser Stelle aus und im Rahmen dieser Erzählung ein für allemal schlüssig zu führen. - Die Auflösung des Ich aber steht komplementär zur Metallisierung. Die Problemstellung: was passiert mit dem Bergmann zuletzt im Erdinnern, stößt er zur Erkenntnis vor, oder geht er an der Liebe zur eigenen Projektion zugrunde, diese Problemstellung ist also als solche falsch. Man 10 N o v a l i s , Schriften. Bd. I, D a s dichterische Werk, hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Stuttgart 1960, S. 4 0 4 . 11 Es ist wohl nicht zufällig, daß H o f f m a n n gerade im Gespräch der Serapionsbrüder über die .Bergwerke zu Falun' auf diesen Zusammenhang zu reden kommt: „ ,Mir hat,' nahm C y p r i a n das W o r t , .Theodors Erzählung doch im ganzen nicht so sehr mißfallen [ ] Ich habe Menschen gekannt, die sich plötzlich im ganzen Wesen veränderten, die entweder in sich hinein erstarrten oder wie von bösen Mächten rastlos verfolgt, in steter Unruhe umhergetrieben w u r den . . . " (II. i 7 9 f . ) .
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mag sich für die eine oder andere Möglichkeit erwärmen, aber damit spinnt man nur die Geschichte auf einer von Hoffmann nicht betretenen Ebene weiter, - ein altes Leservergnügen, auf das eine wissenschaftliche Betrachtungsweise Verzicht tun muß. Dadurch, daß der Dichter die Erlebnisperspektive des Helden unmittelbar vor dem Finale verläßt und nur noch aus dem allgemeinen Blickwinkel der Leute von Falun berichtet, macht er deutlich, daß es hier nicht um die subtilen, fatalitätshaltigen Modi des „Prozeßes" geht, sondern um das mächtige Bild des metallisierten Bräutigams, der in unberührter Schönheit mit seiner greisenhaft verwitterten Braut konfrontiert wird, jenes Bild, das ihn in Schuberts Bericht elektrisch geschlagen hat, weil er darin eine Chiffre seiner tiefsten Erfahrung sehen mußte. Der „Prozeß", den er Elis durchmachen läßt, ist nur das Mittel, diese Szene in ihrer ganzen symbolischen Radiation hinstellen zu können. Ihre Meinung aber ist: der aus der Zeit Gesprungene, der ganz dem „Karfunkel" Angehörige, der das einzige mögliche Glück und das einzige wahre Schöne entschlossen anfaßt, verliert im gleichen Moment die Identität mit seinem lebendigen Leib und erstarrt; er wird metallisiert, ein Petrefakt, eine Puppe, ein Maschinending. Das solipsistische Nein zur Natur, zur Gesellschaft, zur Geliebten bedingt in seiner Konsequenz auch ein Nein zur eigenen organischen Physis, die, da man bekanntlich nicht aus ihr fahren kann, eine fremde, harte Kapsel wird. Wenn das einmal festgestellt ist, entdeckt man in Hoffmanns Werk sogleich ein kaum absehbares Feld von Belegen und Motivparallelen, wobei vor allem wichtig ist, daß die Erstarrung und die Mechanisierung zusammengehören, die Katalepsie und der Veitstanz eine und dieselbe Bedeutung haben. 11 Die Katalepsie - Hoffmann nennt sie meistens den „automatischen Zustand", womit er Erstarrung und Mechanisierung gleichzeitig zum Ausdruck bringen kann - sie ist der morbus sacer seiner Helden; kaum einer, der ihr nicht so oder anders zeitweise verfiele. Ihre urbildliche, von der medizinisch-pathologischen Spähre gelöste Ausprägung ist eben der metallisierte Elis. Auf eine fast charmante Art erscheint sie als charakterisierendes und damit auf das Typische hin stilisiertes Ereignis in der Kindheitsgeschichte des Peregrinus Tyss: „Schon in der frühsten Zeit zeigte der Knabe Peregrinus eine ganz besondere Gemütsart. Denn nachdem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht ununterbrochen geschrieen, ohne daß irgend ein körperliches Übel zu entdecken, wurde er plötzlich still, und erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht des mindesten Eindrucks schien er fähig, nicht zum Lächeln, nicht zum Weinen verzog sich das kleine Antlitz, das einer leblosen Puppe anzugehö126
ren schien. Die Mutter [ . . . ] vergoß viele heiße Tränen über das kleine Automat. - Endlich geriet eine Frau Pate auf den glücklichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen sehr bunten und im Grunde genommen, häßlichen Harlekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten sich auf wunderbare Art, der Mund verzog sich zum sanften Lächeln, es griff nach der Puppe, und drückte sie zärtlich an sich . . . " (IV. 682). Daß die letzten zwei Sätze in nuce eine ganze Teraphim-Geschichte enthalten, bedarf wohl keines Hinweises. Der kurze Bericht hat innerhalb des ,Meister Floh' nur den Zweck, die Beschaffenheit des Helden exponierend klarzumachen, diesen vorzustellen als einen, der zum „Schauen" angelegt ist, indem gezeigt wird, wie er schon als Kind die conditio humana in ihrer schärfsten sinnbildlichen Verdichtung erfährt. Ähnlich, nur ins Schauderhafte gewendet, nimmt sich der Bericht des Goldschmieds Cardillac im ,Fräulein von Scuderi' aus, mit dem dieser seine mörderische Leidenschaft zu Gold und Juwelen zu erklären versucht. Er führt seinen Zwang auf ein pränatales Trauma zurück, auf ein Erlebnis, das seine Mutter in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft hatte. Sie knüpfte Beziehungen an zu einem schmuckbehängten K a v a lier, der sie „an einen einsamen Ort" zu locken verstand: „Dort schloß er sie brünstig in seine Arme, meine Mutter faßte nach der schönen Kette, aber in demselben Augenblick sank er nieder und riß meine Mutter mit sich zu Boden. Sei es, daß ihn der Schlag plötzlich getroffen, oder aus einer andern Ursache; genug, er war tot. Vergebens war das Mühen meiner Mutter, sich den im Todeskampf erstarrten Armen des Leichnams zu entwinden. Die hohlen Augen, deren Sehkraft erloschen, auf sie gerichtet, wälzte der Tote sich mit ihr auf dem Boden" (II. 692). Man hat diese Stelle, wie übrigens auch die Genealogien in den ,Elixieren', als Frühformen der vererbungswissenschaftlichen Erkenntnisse des späteren 19. Jahrhundert dargestellt, wie sie dann etwa Emile Zola verwendet hat. Das mag seine Richtigkeit haben; man darf aber dabei die Genauigkeit nicht übersehen, mit der hier ein Symbolnexus zum Hauptgeschehen geknüpft wird, der viel wichtiger ist als irgendwelche biologische Gesetzmäßigkeiten. Die junge Frau in den umklammernden Armen des erstarrten Liebhabers steht für die Existenz Cardillacs selbst, der ja als lebendiges Wesen bereits in ihr anwesend ist. Seine rasende Leidenschaft zu den Juwelen ist die unbegriffne Sehnsucht nach dem „Karfunkel" im eigenen Innern. Die Metapher, mit der Hoffmann so oft den namenlosen Kern des Menschen zu fassen sucht, wird hier konkretisiert, so wie in den Geschichten um die gemalte Geliebte das Mädchengesicht den Helden als das objektivierte Licht ihrer Imagination begegnet, als ein Äußeres, welches zuletzt lachend verworfen wird oder aber - in den ,Elixieren', in 127
der Jesuiterkirche', in der Ettlinger-Vita - den Mordzwang wachruft. Genauso ist Cardillac getrieben, die Träger der von ihm geschaffenen Juwelen zu ermorden, ihnen immer neu das zu entreißen, was er ahnungslos schon längst besitzt und zu dem in Wahrheit vorzustoßen ihn eben diese meuchlerischen Raubtaten hindern.1® Wie die Metallisierung den gleichnishaften Schlüssel zu Elis' Dasein abgibt, so entwirft die fürchterliche Anekdote das Muster, nach welchem das Schicksal des Goldschmieds gewoben wird. Allerdings wäre bei Cardillac, der Theorie nach, eine Erlösung möglich; denn während man sich in keiner Weise denken kann, was der Bergmann mit seiner Erkenntnis beginnen sollte, liegen dem Künstler Cardillac scheinbar alle Möglichkeiten offen. Doch das braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Wichtig ist allein, daß H o f f mann auch da das Thema der Erstarrung zur erzählerischen Definition der Hauptgestalt verwendet: Cardillac ist ein Mensch, der sich durch die blutigsten Verbrechen vergeblich aus den steinernen Armen einer toten Welt und seiner eigenen bürgerlichen Existenz darin zu befreien sucht. Das Prinzip, daß bei Hoffmann Natur, Geliebte und Gesellschaft je und je analog strukturiert sind, zeichnet sich hier erneut ab und würde in einer weitergehenden Analyse gerade der Sozietät in dieser Novelle, der von Giftmorden und Polizeiterror verseuchten Stadt Paris, noch bedeutend profiliert. Wenn wir dabei sind, in einer Folge von Exempeln das auszudeuten, was im Symbol des metallisierten Bräutigams unserer Einbildungskraft auf einmal mitgeteilt wird, so ist dies nicht im Sinne einer Aufzählung gemeint, die ihre Überzeugungskraft im Numerischen sucht; vielmehr geht es um den Nachweis, daß eine erstaunliche Reihe Hoffmannscher Denkbilder und Motive zum Schlußereignis der ,Bergwerke' wie zu einem strengen Prototyp in Beziehung steht. Daß der große Erfinder Hoffmann gerade diese Szene übernommen oder besser: vorgefunden und sich gänzlich angeeignet hat, kann dabei nur jene stören, die von den Gesetzmäßigkeiten der literarischen Produktion sehr vereinfachte Vorstellungen haben.1* In diesen Zusammenhang gehört nun auch die Analogie zwischen dem Menschen und einem musikalischen Instrument, mit der sich Hoffmann 12
Die Deutung Cardillacs als einer Pygmalion-Figur, wie wir sie früher skizziert haben, -widerspricht dem nicht, sondern kommt von einem andern Ansatz her, der Kunsttheorie, zum gleichen Ergebnis. Ebenso könnte man ihn auch zu Hoffmanns Don Juan-Interpretation in Verbindung bringen (vgl. oben S. 106). 18 Eine gute Ubersicht über die literarischen Bearbeitungen der Geschichte des Bergmanns zu Falun vor und nach Ε . T. A . Hoffmann findet sich auf knappem Raum bei Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 1962, S. γγί.
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schon sehr früh beschäftigte und die ihn nie zu faszinieren aufgehört hat. Er sah darin viel mehr als eine Attributions-Analogie oder eine bloße Metapher. Aus dem mechanisch gefertigten Ding hörte er jenen Ton, den einzelnen, angeschlagenen oder gestrichenen Ton, der ihm als solcher und noch vor aller Komposition Erscheinungsform des Höchsten w a r - m a n erinnert sich an die Theorie vom Urton im ersten K a p i t e l - u n d der sich genau gleich auch aus der menschlichen Brust, aus dem Mund der geliebten Mädchen lösen konnte. Hoffmann ist mit diesem Problem nie ganz zu Rande gekommen, er hat es nie theoretisch aufgelöst, und er konnte es auch nicht, weil es für ihn aufs engste verbunden war mit dem unablässig umkreisten Mythologem des „Karfunkels". Als Erzähler allerdings hat er es bewältigt, hat es als solches konkretisiert, zur Anschauung gebracht und so eine Lösung von höherer Gültigkeit gefunden, als wenn er zu irgendeinem schubertisierend-naturphilosophischen Schluß gelangt wäre. Auch der nicht sehr gründliche Kenner seiner Werke wird hier sogleich an die Geschichte vom Rat Krespel denken, die in das Vorspiel der ,Serapionsbrüder' eingelegt ist. Sie konstituiert sich ganz aus der bis in die merkwürdigsten Details durchgeführten Verwandtschaft zwischen einem Musikinstrument und der jungen Sängerin Antonie. Diese, sie ist die Tochter des Sonderlings Krespel, hat eine Stimme von unerklärlich wunderbarem Klang, „ganz eigentümlich und seltsam oft dem Hauch der Äolsharfe, oft dem Schmettern der Nachtigall gleichend. Die Töne schienen nicht Raum haben zu können in der menschlichen Brust" (II. 48). Die letztere Aussage, die nur den Eindruck auf den Zuhörer wiedergeben will, ist zugleich in unheimlicher Weise wörtlich wahr. Der Arzt sagt: „Mag es sein, daß es von zu früher Anstrengung im Singen herrührt, oder hat die Natur es verschuldet, genug Antonie leidet an einem organischen Fehler in der Brust, der eben ihrer Stimme die wundervolle K r a f t und den seltsamen, ich möchte sagen über die Sphäre des menschlichen Gesanges hinausströmenden Klang gibt. Aber auch ihr früher Tod ist die Folge davon, denn singt sie fort, so gebe ich ihr noch höchstens sechs Monate Zeit" (II. 48). Das ist, um bei unserem Begriff zu bleiben, der Schein des „Karfunkels" als ein tödliches Licht. Es ist aufschlußreich zu beobachten, wie Hoffmann sich bemüht, diesen Zustand, der ihm von seinen gründlichsten Erfahrungen her so völlig einleuchtend sein muß, auch nach allgemein anerkannten medizinisch-psychologischen K a tegorien zu belegen. Dazu gehört, daß er die eben zitierte Diagnose einem Arzt in den Mund legt - der sonst in der Geschichte nichts zu suchen hat - , als fürchte er den Zweifel des Lesers. Und wie im ,Fräulein von Scuderi' greift er überdies noch zum Mittel einer Schicksalsbegründung durch vorgeburtlichen Einfluß. Damit gelingt es ihm tatsächlich, die Be-
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Ziehung Instrument / Antonie für das damalige Verständnis plausibel zu machen." Antonies Mutter w a r eine italienische Sängerin, so schön wie launenhaft, und der junge Krepsel, der auf der Suche nach alten Violinen, seiner unbezwingbaren Leidenschaft, nach Venedig gekommen war, hatte sie dort, von Kunst und Erscheinung hingerissen, in kürzester Zeit geheiratet. Schon bald aber begann er unter ihrem Eigensinn zu leiden und zog sich mehr und mehr zu seinen Instrumenten zurück. Eines Tages, als er auf einer kostbaren Cremoneser Geige versunken fantasiert, tritt sie zu ihm in den Gartensaal. „Sie w a r gerade in der Laune, die zärtliche zu spielen, sie umarmte den Rat mit süßen, schmachtenden Blicken, sie legte das Köpfchen auf seine Schulter. Aber der Rat, in die Welt seiner Akkorde verstiegen, geigte fort, daß die Wände widerhallten, und es begab sich, daß er mit Arm und Bogen die Signora etwas unsanft berührte. Die sprang aber voller Furie zurück; .bestia tedesca', schrie sie auf, riß dem R a t die Geige aus der Hand, und zerschlug sie an dem Marmortisch in tausend Stücke. Der Rat blieb erstarrt zur Bildsäule vor ihr stehen, dann aber wie aus dem Traume erwacht, faßte er Signora mit Riesenstärke, warf sie durch das Fenster ihres eigenen Lusthauses, und floh, ohne sich weiter um etwas zu bekümmern, nach Venedig - nach Deutschland zurück" (II. 4 j ) . Man merkt leicht, daß bei diesem forciert burlesken Auftritt auch die Gesetzmäßigkeiten der Künstlerliebe hineinspielen, daß untergründig das fatale Kraftfeld wirksam ist, wie es etwa die Beziehung Berthold - Angiola in der Jesuiterkirche' bestimmt. Entscheidend aber ist, daß die Signora zu eben der Zeit mit Antonie im ersten Monat schwanger geht. Deren späteres Geschick, wie es das erwähnte Gutachten des Arztes beschreibt, beruht also auf dem psychosomatischen Schock, den sie in diesem Augenblick im Mutterschoß erleidet. G a n z zentral steht dabei die zersplitterte Geige. Krespel hat, dies wird in der Erzählung hinlänglich deutlich gemacht, die Grenzen seiner spezifischen Form von „Enthusiasmus", der Passion eines hochbegabten Musikers zu den kostbarsten Instrumenten, durch seine Heirat verhängnisvoll überschritten; genauer gesagt: er hat die Venezianerin als das schöne Gehäuse einer wunderbaren Stimme wie eine der alten Violinen in seinen Besitz gebracht, jenen Malern entfernt verwandt, die sich mit der ins Leben getretenen gemalten Geliebten verbanden. Die Zerschmetterung der Geige „in tausend Stücke", auf welche die plötzliche und dauernde Tren-
D i e A k t u a l i t ä t des Themas einer pränatalen Beeinflussung spiegelt sich exemplarisch in den sieben Jahre früher entstandenen W a h l v e r w a n d t s c h a f t e n ' Goethes. D a s vordem weitgehend im Bereich v o n Volksmeinung und Aberglaube angesiedelte Problem wurde in jenen Jahren zu einem ernsthaften Gegenstand der v o n Schelling und der Romantik beeinflußten Wissenschaft. 14
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nung von der Frau folgt, ist die sichtbare Konsequenz dieser spezifisch Hoffmannschen Hybris. Das Vergehen aber wird dadurch nicht rückgängig gemacht; es dauert leibhaftig fort in der Tochter Antonie, die nur im Gesang wahrhaft leben kann, und die doch sterben muß, wenn sie singt. Der Verlust der Identität von innerstem Ich und organischer Physis, den wir oben als die Formel für das schließliche Geschick des Bräutigams von Falun bezeichnet haben, ist das Wesensmerkmal ihrer Konstitution von Anfang an. Wir dürfen sie, in einem übertragenen Sinne, von Natur aus „metallisiert" nennen. Und es ist, wenn man das alles einmal begriffen hat, erschütternd zu sehen, wie der alte, scheinbar ganz absonderlich gewordene Rat Krespel von dem Augenblick an, da er seiner Tochter erstmals begegnet und zugleich vernimmt, wie es um sie bestellt ist, in die verzweifelte Manie fällt, die kostbarsten Geigen, die nie mehr zu übertreffenden Schöpfungen alter italienischer Meister, auseinanderzunehmen, um dem Geheimnis ihres Klangs als einem mechanisch feststellbaren Bauprinzip auf die Spur zu kommen. Ob er sich selber über die Methode dieses Wahnsinns im klaren ist, erfahren wir nicht die Erzählung ist einmal mehr perspektivisch raffiniert gefügt - , aber es ist offensichtlich, daß er fieberhaft das Mittel sucht, mit dem das geliebte Kind zu retten wäre. Das wird nicht nur dadurch bestätigt, daß er nach Antonies Tod keine Geigen mehr zerlegt oder baut, sondern vor allem auch durch die Begebenheiten um die eine, vor allen andern ausgezeichnete Violine, die er mit Blumen bekränzt an der Wand hängen hat. Es ist das einzige Spitzenwerk, das er nicht aufgebrochen, zerlegt und ausgemessen hat, trotz seiner Ahnung, gerade hier das lang gesuchte Gesetz zu finden. „Ganz überzeugt bin ich, daß in der innern Struktur etwas Besonderes liegt, und daß, wenn ich sie zerlegte, sich mir ein Geheimnis erschließen würde, dem ich längst nachspürte" (II. 37f.). So spricht er am Anfang der Erzählung zu seinem noch ahnungslosen Besucher. Später aber erfahren wir, daß ihn Antonie selbst von seinem ursprünglichen Vorhaben abgebracht hat: „Als der Rat jene wunderbare Geige [ . . . ] gekauft hatte und zerlegen wollte, blickte ihn Antonie sehr wehmütig an, und sprach leise bittend: ,Auch diese?' - Der Rat wußte selbst nicht, welche unbekannte Macht ihn nötigte, die Geige unzerschnitten zu lassen, und darauf zu spielen. Kaum hatte er die ersten Töne angestrichen, als Antonie laut und freudig rief: ,Ach das bin ja ich — ich singe ja wieder'. Wirklich hatten die silberhellen Glockentöne des Instruments etwas ganz Eigenes Wundervolles, sie schienen in der menschlichen Brust erzeugt" (II. 50). Von da an muß er dem Mädchen immer dann, wenn sie die Sehnsucht nach dem eigenen Gesang nicht mehr ertragen zu können glaubt, auf dieser Geige spielen. Es entspricht nun ganz dem
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anfänglich erwähnten Prinzip dieser Novelle, das Rätsel der Verbindung von „Karfunkel" oder „Urton" zum stofflich-mechanischen Bereich nicht diskursiv zu lösen, sondern als ein Phänomen vor Augen zu stellen, daß eben dieses Instrument, das Aufschluß verspricht wie keines vorher, unberührt bleibt. Ob Krespel insgeheim fürchtet, durch die Sektion der Violine seine Tochter in telepathischem Rapport zu töten, oder ob ihm gerade jetzt die prinzipielle Aussichtslosigkeit seines Tuns bewußt wird, läßt der Autor offen. Ziel des Ganzen ist letztlich nur, die unergründliche Analogie zwischen dem Mädchen und der Geige aufzuzeigen; und dies führt Hoffmann denn auch bis ins Detail durch. Antonie stirbt singend, an ihrem Gesang. Krespel berichtet darüber: „Als sie starb, zerbrach mit dröhnendem Krachen der Stimmstock in jener Geige, und der Resonanzboden riß sich auseinander. Die Getreue konnte nur mit ihr, in ihr leben; sie liegt bei ihr im Sarge, sie ist mit ihr begraben worden" (II. 42). Wie dort, wo wir nach dem „Sinn" des metallisierten Bräutigams gefragt haben, müssen wir auch hier feststellen, daß die mit der scharfsinnigsten Folgerichtigkeit geführte Erzählung hinläuft auf die Revelation einer Aporie. Auf welche Weise diese mit unsern vorhergehenden Ausführungen über den „Prozeß" und die an dessen Ende sich entfaltende Freiheit zusammengehen kann, wird am Schluß des Kapitels zu fragen sein. Der Kreis wesentlicher Exempel ist vorerst noch unvollständig. Nun wäre eigentlich unmittelbar von Kreisler zu reden, und zwar von dem Fragment ,Der Freund', das sich in Hitzigs Nachlaß fand und erst 1903 veröffentlicht worden ist. Es sei aber zunächst noch ein kurzer Blick auf ein wenig beachtetes Opusculum geworfen, auf die nicht ganz zwei Seiten füllende .Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen' (IV. 77of.), die ohne strenge Funktion in das Sechste Abenteuer des f e i ster Floh' eingelegt ist. Man kann es eine mit einer einzigen Handbewegung hingesetzte Groteske nennen, so drastisch, daß die erzählerische Meisterschaft ebenso leicht übersehen wird wie die symbolische Relevanz, welche das winzige Stück in eine verblüffende Parallele zur Sängerin Antonie stellt. Den altfränkischen Ton seiner geliebten Chroniken ironisch imitierend, berichtet Hoffmann vom „zarten frommen Schneiderlein", das an einem Sonntagmorgen „in der Kirche gar heftig gesungen" und darauf von seiner Frau die Erlaubnis erhält, sich in der Apotheke „ein erwärmendes Schnäpschen" zuzuführen. Irrtümlicherweise aber wird er dort aus einer Flasche bedient, „in der kein Magenelixier befindlich, wohl aber brennbare Luft, womit die Luftbälle gefüllt werden". Da wird es ihm „alsbald gar possierlich zumute". Er beginnt in der Apotheke „ellenhoch und immer höher" zu steigen und zu sinken. „,Ei 132
Jemine, Jemine', rief er, ,wie bin ich doch solch ein flinker Tänzer geworden!'" Ein Luftzug erfaßt den Schwebenden, reißt ihn zum Fenster hinaus und in alle Lüfte; er bleibt verschwunden. Und Hoffmann fährt fort: „Begab sich nach mehrerer Zeit, daß die Sachsenhäuser zur Abendzeit hoch in den Lüften eine Feuerkugel erblickten, die mit blendendem Glanz die ganze Gegend erleuchtete und dann verlöschend zur Erde hinabfiel. Wollten alle wissen, was zur Erde gefallen, liefen hin an den Ort, fanden aber nichts als ein kleines Klümpchen Asche; dabei aber den Dorn einer Schuhschnalle, ein Stückchen eiergelben Atlas mit bunten Blumen und ein schwarzes Ding, das beinahe anzusehen war, wie ein Stockknopf von schwarzem Horn [ . . . ] Da ist aber die Frau Liebste des entfahrnen Schneiderleins dazugekommen und als diese die gefundenen Sachen erblickt, hat sie die Hände gerungen, gar erbärmlich getan und geschrien: ,Ach Jammer, das ist meines Liebsten Schnallendorn; ach Jammer, das ist meines Liebsten Sonntagsweste, ach Jammer, das ist meines Liebsten Stockknopf !'" Der Auftritt nimmt sich aus wie eine Parodie Hoffmanns auf die Schlußszene der ,Bergwerke zu Falun'! Und kaum hat man dieser seltsamen Assoziation Raum gegeben, merkt man auch, daß der ganze Vorgang eine direkte Umkehrung von Elis' Fahrt in die Tiefe ist. Die Elemente sind vertauscht und die Dimensionen, aber selbst das Motiv der Erstarrung wird, wie der Schluß zeigt, beibehalten: „Hat aber ein großer Gelehrter erklärt, der Stockknopf sei kein Stockknopf, sondern ein Meteorstein oder ein mißratener Weltkörper. Ist nun aber auf diese Weise den Sachsenhäusern und aller Welt kund worden, daß das arme Schneiderlein [ . . . ] in den hohen Lüften verbrannt und heruntergesunken ist zur Erde als Meteorstein oder mißratener Weltkörper". Wir wollen das Werklein nicht zu sehr belasten. Es ist eine humoristische Volte Hoffmanns, der die Parallelität zu den,Bergwerken' in keiner Weise auch den Rang jener Erzählung verleiht. Aber gerade die freie Leichtigkeit, mit der es offenbar geschaffen wurde, hat auch die unverstellt und unverbogen Hoffmansche Struktur ermöglicht und die Transparenz bewirkt, die diese Struktur so deutlich sichtbar macht. Das Stück als solches ist ein Leichtgewicht, wenn auch ein sehr reizvolles, der Durchblick aber, den es gewährt, ist ernsthaft und von Bedeutung. Denn durch den Genuß der „brennbaren Luft" ist das Schneiderlein rein physikalisch in eben den Zustand versetzt, den so viele Helden aus höheren Ursachen erleiden. 1 ' Wenn bei dem Mädchen Antonie die starre Körperlich15
Vgl. dazu die Stelle aus dem .Kater Murr', w o Kreisler, unmittelbar nach seiner Theorie der Künstlerliebe, zur Prinzessin sagt: „Sie scheinen, Gnädigste, für Träume eben nicht sehr portiert, und doch sind es lediglich die Träume, in denen uns recht die Schmetterlingsflügel wachsen, so daß wir dem engsten 133
keit wie der Resonanzboden des gleichzeitig berstenden Instruments gesprengt wird, so erscheint diese in der Anekdote als die dünne Hülle, die der inneren Gewalt auf ihre Weise nicht gewachsen ist. Die exponierende Bemerkung, daß das Schneiderlein vorgängig „in der Kirche gar heftig gesungen", ist ein Fingerzeig Hoffmanns, der nicht übersehen werden darf, ebensowenig wie das seltsame Wort vom „mißratnen Weltkörper", mit dem die Geschichte endet. Ein winziger Privatmythos des Autors, wenn man das Wort wagen darf, ist hier mit flüchtig touchierendem Pinsel umrissen, und unsern Respekt verdient die Arbeit nicht zuletzt dadurch, daß sie die Perseveranz des Dichters einmal mehr und in origineller Weise belegt. Doch nun müssen wir uns, wie angekündigt, der Gestalt Johannes Kreislers zuwenden, genauer, dem erst 1903 veröffentlichten Fragment, das ,Der Freund' überschrieben und in der Form eines ,Briefes an Theodor' gehalten ist. Die Entstehungszeit wird vom Herausgeber der WinklerAusgabe, Friedrich Schnapp, mit guten Gründen auf den Sommer 1 8 1 4 angesetzt (vgl. V. 942), wobei er auch die Vermutung Hans von Müllers, dem der Erstdruck zu verdanken ist, als wahrscheinlich wiedergibt: daß es sich nämlich bei dem Prosastück um die Einleitung „der seit Anfang 1 8 1 2 geplanten ,Lichten Stunden eines wahnsinnigen Musikers'" handle, jenes Planes also, den Hoffmann nie wirklich in Angriff genommen, aber auch nie ganz aufgegeben hat. Das mag zutreffen, nur wissen wir von der tatsächlichen Konzeption dieses Vorhabens so wenig, daß aus der Feststellung, das Fragment gehöre wohl dazu, kein besonderer Aufschluß gewonnen wird. Sicher ist, daß sich für Hoffmann während der Arbeit an den ,Kreisleriana' die Gestalt des Kapellmeisters mehr und mehr objektivierte und immer stärker als das mögliche Zentrum größerer erzählerischer Kompositionen auswies. Das führte dann Jahre später zum ,Kater Murr'. Unser Text aber ist der Beleg für einen, wie immer gedachten, früheren Versuch der epischen Verselbständigung, den wir uns, im Rahmen von Hoffmanns Gesamtwerk, als Brücke zwischen den Kreisleriana und dem Roman denken dürfen, auch wenn die letzten Teile der Kreisleriana damals noch gar nicht abgeschlossen gewesen sein sollten. In diesem Stück nun, das im Grunde nur den wahnsinnigen Kreisler vorstellt, von ihm ein genaues Porträt aus dem Munde eines Außenstehenfestesten K e r k e r zu entfliehen, uns bunt und glänzend in die hohen, in die höchsten L ü f t e zu erheben vermögen. Jeder Mensch hat doch am E n d e einen angebornen H a n g zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt, die am späten A b e n d sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas, füllten um in der N a c h t , Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen zu können" (III. 432).
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den gibt, erscheinen Katalepsie und Instrumenten-Thematik an zentraler Stelle und untrennbar verbunden. Wer der fiktive Verfasser dieses .Briefes an Theodor' ist, wissen wir nicht; wir kennen weder seinen Namen noch seinen Beruf, sondern erfahren nur, daß er auf einem großen, eigenen Landgut lebt, das von einem weitläufigen Park mit Pavillons und Nebengebäuden umgeben ist. Wo dieser endet und der Wald beginnt, steht eine verfallene Kapelle. Die Topographie läßt alo bereits an diejenige des Romans denken, wobei hier wie dort Jean-Paul-Reminiszenzen spürbar sind. Kreisler selbst sehen wir nur aus der Perspektive des Briefschreibers, dem er vorher unbekannt ist. Die Geschichte beginnt damit, daß man nachts von der Parkgrenze her heulende Töne hört, „die so wenig menschlich doch nur von einem Menschen herrühren" können (V. 617), und daß bald darauf ein Bauer auf dem Weg zum Markt in der gleichen Gegend von einem einzelnen Mann angefallen wird, der ihm mit „riesenstarken Fäusten" Eier und Hühner entreißt und die Beute, wie später an den Spuren sichtbar wird, roh verzehrt. Man unternimmt eine große Suche und findet schließlich den Unbekannten gleich außerhalb der Gartenpforte völlig erstarrt auf der Erde ausgestreckt. E r stiert den Berichterstatter an „mit wilden gräßlichen Augen, die jedoch keine Sehkraft zu haben schienen". „Sein Gesicht hatte äußerst bedeutende charaktervolle Züge, nur durch den Ausdruck des höchsten Wahnsinns im Auge und durch die beinahe schwarze(n) wild verwachsene(n) K o p f - und Barthaare entstellt. E r schien ein Mann von höchstens achtunddreißig Jahren, von mittler(er) wohlproportionierter Gestalt. Sein Anzug hing in beschmutzten Lumpen um ihn her und war mit Schauer erregender Ironie aus antiken, modernen und fantastischen Kleidungsstücken zusammengesetzt" (V. 618). Diese Mischung der Tracht aus verschiedenen Epochen ist ein merkwürdiges, bei Hoffmann verschiedentlich auftauchendes Motiv. Meist findet es sich an besonders pittoresken Mentorgestalten. Hier nun, beim wahnsinnigen Kreisler, ist es mit auffälliger Detaillierung geschildert: „Zu einem ganz modernen Frack von sehr feinem schwarzen Tuch trug er eine Drap d'Argent mit blauen Rosen durchwebte Weste mit ganz ungeheuren Schößen, wie man sie im Jahre 1730 trug und unter der man kaum das grüne spanisch geschlitzte Beinkleid bemerken konnte, weißseidne Strümpfe und bunte Halbstiefel wie sie ehemals die römischen und griechischen Helden in der Tragödie trugen, jedoch Modeschnallen darauf gedrückt [ . . . ] Den Tituskopf konnte man noch gut unterscheiden, in dem linken Ohre trug er einen übergroßen goldnen Ring - " (V. 618f.). Dahinter steht, um es gleich zu sagen, der Versuch, aus der Geschichte, aus der Zeit schlechthin zu springen oder die erkannte Unmöglichkeit eines solchen Unter-
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fangens durch verzweifeltes Parodieren zu entschärfen. Deshalb bringt Hoffmann den Hinweis auf die „Schauer erregende Ironie" dieser Kleidung an; denn der harmlose Leser sieht daran höchstens das Karnevalshafte. Es ist in dieser Tracht aber in genauer Planung das 19., das 18. und das 17. Jahrhundert zusammen mit der Antike und einem durch den großen Ring im Ohr angedeuteten zeitlosen Barbarentum vertreten. Daß solches sonst vor allem bei Mentorgestalten vorkommt, etwa dem Goldschmied in der .Brautwahl'(vgl. II. 535), macht keinen Widerspruch aus. Denn diese geben sich vor den Augen der jeweiligen Helden bewußt als Revenants; ihre Kombination verschiedener Moden spiegelt sinnvollerweise die von ihnen in Anspruch genommene ahasverische Souveränität. Was bei ihnen aber-durch ihre Funktion im Rahmen des „Prozesses" bedingt - als selbstverständlicher Zustand gelten darf, ist für Kreisler ein unerreichbarer, utopischer Traum, den er mit seinem Äußern persifliert. Und daß der so Geschilderte nun gleichzeitig von der „Starrsucht" (V. 619) ergriffen ist, kann nach den bisherigen Ausführungen nicht überraschen. Die beiden Motive führen zum gleichen Ursprung zurück: zur Tatsache, daß der „Karfunkel" zeitlos ist, der lebendige Mensch aber zeitgetränkt, geschichtlich, einer unabsehbar rieselnden Vergänglichkeit ausgesetzt. Der also vorgefundene starre Kreisler wird aus Sicherheitsgründen noch gefesselt - ein durch seine Paradoxie merkwürdig bedrängendes Bild und in ein Turmzimmer gebracht, wo er sich langsam wieder zu regen und zu fassen beginnt. Er nimmt mit einfachen Blicken und Gebärden Kontakt mit seinem Betreuer auf, äußert aber nie ein Wort. „Den ganzen Tag hörte und sah man ihn mit gemessenen Schritten und mit über der Brust verschlungenen Armen still auf und ab gehen, nur des Nachts stieß er oft entsetzliche Töne des innersten Jammers, der hoffnungslosesten Qual aus, die uns alle aus dem Schlafe weckten und mit Furcht und Schauer erfüllten" (V. 621). Und da beginnt nun der zweite Teil des kurzen Fragments, der Versuch des wohlmeinenden Gastgebers, den Fremden, aus dessen Portefeuille er entnimmt, daß es sich um einen Musiker handeln müsse, durch Musik zu heilen: ein Thema, das innerhalb der Romantik eine epochentypische, seit ältesten Zeiten aber eine ästhetisch-anthropologische Tradition vorstellt. 1 ' Daß wir es so prägnant exponiert bei Hoffmann und dazu noch 16
E s sei hier nur auf das wenig bekannte Shakespeare-Stück .Pericles' hingewiesen, das nur in einer einzigen Szene, der ersten des V . Aktes, die unvergleichliche Höhe des Dichters erreicht: Marina heilt ihren v o m K u m m e r gefiihlund sprachlos gewordenen V a t e r durch ihre Musik. (William Shakespeare, T h e P l a y of Pericles, Prince of T y r e , ed. by G . Β. Harrison. H a r m o n d s w o r t h 1 9 5 8 , S. 9off.).
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am Beispiel Kreislers finden, ist zwar kein Zufall, aber, gerade auf dem Hintergrund der erwähnten Überlieferung, von ganz besonderem Interesse. „Ich baute darauf den Plan", schreibt der Berichterstatter, „durch seine Kunst den in sich gekehrten Geist wieder für äußere Erscheinungen zu beleben, und ließ daher den großen Wiener Flügel in mein Zimmer tragen, auf dem ich bei offnem Fenster fantasierte. Der Unbekannte schien es lange nicht zu bemerken, plötzlich stand er aber still und horchte mit seitwärts gebogenem Körper (und) nach dem Fenster geneigtem Haupte aufmerksam der Musik zu; ich freute mich meines Einfalls und fantasierte stärker, da stampfte er auf einmal mit dem Fuße und lachte mit hohler entsetzlicher Stimme, daß die Fenster dröhnten . . ( V . 621). Unsicher, wie er das zu deuten habe, gibt der redlich bemühte Pfleger noch nicht bei; er hört zwar mit seinem eigenen Spiel auf, stellt dem Gast jedoch selber ein kleines Klavier ins Zimmer. Damit wird, für uns, das Thema des Instruments und seiner spezifischen Symbolik wieder aktuell. Es passiert indessen das Merkwürdige, daß Kreisler, der Kapellmeister, der in den ,Kreisleriana' so oft an Flügeln und Spinetten vorgestellt wird, diesen Gegenstand gar nicht erkennt, sondern „für einen gewöhnlichen neuen Tisch" hält, auf dem er durch einen Wink das Mittagessen zu servieren bittet. Man darf die Bedeutung gerade solcher Einzelheiten nicht unterschätzen. Das gelassene Essen, spontanstes Sinnbild behaglicher Vitalität, ist offensichtlich nur möglich unter der Bedingung einer geradezu unglaublichen Verdrängung. Es wäre durchaus denkbar, daß sich in einer der bittersten Satiren der .Fantasiestücke', des ,Zaches' oder des,Kater Murr' das Instrument als Mittags- oder Teetisch zur Entlarvung der gnadenlos verdammten Philister eingesetzt fände. In unserem Fragment jedenfalls bekommt die erreichte Beruhigung Kreislers dadurch etwas unheimlich Ominöses, - und diese Ahnung wird denn auch gleich darauf erfüllt. Der Gastgeber treibt seine Methode mit fataler Konsequenz bis zur Krisis: „Der Gedanke, daß ein von ihm selbst zufällig erweckter Ton vielleicht die beabsichtigte Wirkung hervorbringen könne, brachte mich darauf, ihm eine Guitarre ins Zimmer legen zu lassen. Es geschah auch wirklich, daß er von ungefähr mit der Hand über die Saiten fuhr; der Ton schien sein Innerstes zu durchbeben, er ergriff die Guitarre und gab kräftig und rein den vollen C dur-Akkord an, dann aber stieß er einen fürchterlichen Schrei aus, sein Gesicht war [ . . . ] gräßlich verzerrt [ . . . ] ; er warf die Guitarre auf die Erde und zertrat sie in tausend Stücke. So wie man das zähe Leben eines schädlichen Tiers noch immer durch neue Streiche ertöten will, weil jedes Zucken neue Gefahr droht, so suchte er mit wildem Blick, in dem sich eine gräßliche Angst malte, noch jedes Stückchen der Guitarre und
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zermalmte es" (V. 622)." Darauf tobt er acht Tage lang in den qualvollsten Spasmen. Mit der Nachricht von deren langsamem Abklingen endet das Fragment. Auch hier ist es wieder der einzige Klang („der volle C dur-Akkord"), der den Ausschlag gibt: der Urton, der vor aller Musik und höher als alle Musik ist, der ins Akustische umgesetzte reine „Karfunkel". Von ihm spricht, wie früher erwähnt wurde, Amandus in der,Prinzessin Blandina* und identifiziert ihn in einem Akt mit seinem Ich, seiner Kunst und seiner Geliebten, wobei die Metaphorik gerade unsere Stelle in höchstem Maße angeht: „Seitdem ich durch sie - in ihr — mein wahres Sein [ . . . ] erkannt habe, weiß ich, daß der Gesang nicht außer mir wohnt, sondern ich selbst bin der Gesang und der ist unsterblich! - Zerschlägt Kilian das Instrument, so wird der darin wie in ein enges Gefängnis gebannte Ton frei und licht daherschweben und ich werde in ihr sie selbst sein. So wie sie die unaussprechliche Sehnsucht der Liebe ist, die wie der Atem des Lebens meine Brust hebt, so werde ich dann selbst das Lied sein, das emporquillt aus den Saiten, die ihre Schwanenhand berührt!" (I.736). Auch hinter dem Zusammenbruch Kreislers steht das Problem der Künstlerliebe, steht Julie; dazu bedürfte es des ausdrücklichen Hinweises gar nicht, daß unter den Habseligkeiten des Verstörten, „ein Sonett, das Liebesklagen enthält" (V. 620), vorhanden ist. Aber das macht die Tatsache erst recht merkwürdig, daß dieses Zitat aus,Blandina' mit seinem begeisterten Ausblick auf die Zerschlagung des „Instruments" ein deutliches Pendant zum obigen Kreisler-Porträt ist, ein Pendant allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Der Triumph, den das Singspiel meint, wird vom Fragment her als Illusion entlarvt. Denn diesen „Ton", von dem Amandus spricht, gibt es eben doch nur innerhalb des „Instruments". Er ist nicht die schwingende Weltseele, an der einer An-
17 Es ist bedenkenswert, daß H o f f m a n n mit dem in seinem W e r k ziemlich profiliert hervortretenden M o t i v v o n dem zerschlagenen Saitenspiel, ohne es zu wissen, einen T o p o s aus der Literatur des 1 7 . Jahrhunderts aufgreift. D o r t findet sich der V o r g a n g häufig als unmittelbares Zeichen des „ W e l t - A d i e u s " , des Aufbruchs eines Sängers in die geistliche Abgeschiedenheit auf G r u n d der jähen Einsicht in die Vanitas aller irdischen Schönheit. D i e klassische F o r m u lierung steht bei J a c o b Balde: „ C a n t a t u m satis est, frangito barbiton!" (vgl. M a x Wehrli im N a c h w o r t zu seiner Übersetzung: J a c o b Balde, Dichtungen, K ö l n und Oltcn 1 9 6 3 , S. io6f.). Bei Laurentius v o n Schniiffis heißt es später: „ S o geh zu trümmern dann / D u lieblicher T y r a n n " (vgl. hiezu Urs H e r z o g , Imitatio Mariae. Aspekte zur Marienlyrik des Laurentius von Schniiffis. Zuger Neujahrsblatt 1 9 7 0 , S. 20). A u c h wenn die Problematik bei H o f f m a n n anders gelagert und viel komplizierter ist, w ä r e eine Untersuchung über den W a n d e l des Themas, v . a. auch im 18. Jahrhundert (Hölty), nicht ohne Reiz.
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teil haben, in die er eines Tages einklingen kann, sondern das isolierte Zentrum einer solipsistischen Daseinserfahrung. Die Passage aus P r i n z e s sin Blandina' versucht im Grunde nur, jene Aporie mit schwärmerischen Gebärden zu überwinden, die aus dem Fragment ,Der Freund' so erschütternd hervorgeht. 18 Denn was kann die in „gräßlicher Angst" zerstampfte Gitarre anderes besagen? Kreisler erlebt hier den gleichen schrecklichen Moment, in dem der träumende Elis angesichts der „mächtigen F r a u " fühlte, „daß sein Ich zerfloß", und w o auch er „aufkreischte in namenloser Angst" ( I I I . 179), gestreift von der Erkenntnis jener Ausweglosigkeit, die in seiner Metallisierung schließlich das unübertreffliche Sinnbild fand. So merkwürdig es sich ausnimmt: H o f f mann, der Musiker unter den romantischen Schriftstellern, ist zugleich der einzige, der eine Heilung durch „die G e w a l t der Musik" im letzten nicht anerkennt und den angestellten Versuch ausdrücklich scheitern läßt. Das Zertreten der Gitarre ist ein suizidaler A k t ; der Kapellmeister vernichtet damit seine eigene menschenwürdige Existenz und läßt sich zurückfallen in ein stumpfes, animalisches Dasein, w o kein Unterschied mehr besteht zwischen einem kunstvollen Piano und einem hölzernen Tisch, ja, wo er wie ein streunendes Tier rohe Hühner verzehrt und nachts zum Himmel heult. Wir erinnern uns an das Motiv im ,Rat Krespel'. Mit der von der Mutter zerschmetterten Geige ist der T o d des noch ungeborenen Mädchens bereits vorweggenommen, und das splitternde Instrument bei deren w i r k lichem Sterben spiegelt nur jenes frühere Geschehen. Nicht anders verhält es sich mit dem Kreisler des Fragments, nur ist er, der Mann mit den „riesenstarken Fäusten", rein physisch zu robust, als daß sein Körper wie der der fragilen Antonie gleichsam von innen her aufgelöst würde. Von seiner biologischen Energie getragen, lebt er weiter, ein Leben, das seinen angemessenen Ausdruck entweder in der Starrsucht wie am A n f a n g des Textes oder aber im qualvollen Veitstanz wie an dessen Ende findet. Daß diese beiden Zustände der menschlichen Physis, die in H o f f m a n n s Werk an zahllosen Orten zu finden sind, einen und denselben Ursprung haben, bestätigt sich hier also erneut. D a muß nun aber die methodische Zwischenfrage gestellt werden, ob es denn angehe, diesem in der ,Nachlese' versteckten Prosastück eine Bedeutung beizumessen, als ob es an dominierender Stelle der ,Kreisleriana' oder des späteren Romans stünde. Wir glauben die Frage bejahen zu dür18 Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß das Singspiel in der Erstausgabe der ,Fantasiestücke' dem Kreislerianum .Kreislers musikalisch-poetischer K l u b ' eingelegt war, und z w a r w i r d es da dem v o n plötzlicher V e r z w e i f l u n g erfaßten Kapellmeister zur Beruhigung vorgetragen.
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fen, und zwar nicht nur wegen der literarischen Qualität dieser Seiten, sondern auf Grund der Strukturanalyse, die wir gegen Ende des zweiten Kapitels an den Kreisler-Partien des ,Kater Murr' vorgenommen haben. Im Roman wie in den ,Fantasiestücken' bemüht sich Hoffmann, vom Kapellmeister nicht eine Vita im Sinne eines sich entwickelnden Nach- und Auseinanders zu gehen, sondern ihn als Typus erscheinen zu lassen, der die verschiedenen, aus seinem anthropologischen Grundriß sich ergebenden Schicksalsmöglichkeiten simultan, wie von der Mitte eines Kreises aus erfährt. Es wurde damals gezeigt, daß der schlimmste denkbare Zustand, der ihm offensteht, im Roman durch die Geschichte des Hofmalers Ettlinger repräsentiert wird. Hier nun, im Fragment ,Der Freund', ist ebendies an Kreisler selbst durchgeführt, gewissermaßen versuchsweise, so als hätte Hoffmann diese Möglichkeit, deren ständig drohende Nähe so entschieden zum Wesen des Kapellmeisters der .Fantasiestücke' wie des Romans gehört, für einmal wie in einer Studie, auf einem separaten Blatt, ausarbeiten wollen.19 Unser Unbehagen gegenüber allen Rückschlüssen von der Beschaffenheit literarischer Figuren auf das Innenleben des Autors selbst, wie sie gerade bei Hoffmann so oft angestellt werden, haben wir früher deutlich genug betont, und gerade die hartnäckig behauptete Identität (nicht die Verwandtschaft) Hoffmanns mit Kreisler sei auch hier wieder entschieden bestritten; dennoch darf man wohl mit Gründen sagen, daß die imaginäre Gestalt des Kapellmeisters den Dichter spätestens seit der Bamberger Zeit dauernd begleitet hat und daß er ihm in der erwähnten simultanen Weise als der Liebende wie der Wahnsinnige, der Gutmütige wie der böse Satiriker, der geniale Komponist wie der Gelähmte ständig präsent war. Dies ist eine reine, durch Werk und Zeugnisse belegte Feststellung. Dazu fügt sich nun auch die Tatsache, daß Kreisler im späteren Roman unter Umständen eingeführt wird, die ganz mit dem bisher dargelegten Motivfeld verhängt sind. Wir können uns hier auf Hinweise beschränken, wie denn dieses Kapitel überhaupt den fraglichen Komplex nur exemplarisch abstecken will. Es sei also darauf aufmerksam gemacht, daß die erste Begegnung des Kapellmeisters mit den beiden Mädchen Julie und 19
D e r Vergleich mit einer Studie ist insofern besonders berechtigt, als die beste und wohl auch bekannteste Zeichnung, die H o f f m a n n je angefertigt hat und mit der er seine sonstigen, oft überschätzten Möglichkeiten als Graphiker deutlich übersteigt, bis in die Details der Kleidung hinein genau den wahnsinnigen Kreisler des Fragments wiedergibt (vgl. Abbildung 2 2 3 in: Ε . T . A . H o f f m a n n s Leben und W e r k in Daten und Bildern, hg. v o n Gabrielle Wittkop-Meinardeau. Frankfurt 1968).
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Hedwiga, deren Leben sich mit dem seinen später so heillos vernetzt, ganz und mit außerordentlichem Nachdruck vom Gitarrensymbol bestimmt wird (vgl. III. 337-344)· Gitarren-Akkorde, „stark und wild angeschlagen", führen die Mädchen zum Unbekannten; sie hören seinen Monolog an dieses Instrument („Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo rührt eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen?") (III. 338); sie beobachten, wie er den kostbaren Gegenstand mit jähem Hohn ins Gebüsch schleudert, nach den Worten Julies „wie eine zerbrochene Schachtel" (III. 339); sie suchen die Gitarre, Julie spielt, Kreisler erscheint wieder, als würde er hergebannt, und es kommt zu den ersten Gesprächen, immer um das Instrument, aber vieldeutig und mit Nebentönen. Selbst die Analogie zwischen der Gitarre und ihm selbst wird von Kreisler in der uns bekannten Weise erwähnt, wodurch unausgesprochen auch das vorgängige Wegwerfen ein ganz anderes Gewicht erhält. Einerseits klagt er: „Der wunderbare Geist des Wohllauts, der diesem kleinen seltsamen Dinge befreundet, wohnt auch in meiner Brust, aber eingepuppt, keiner freien Bewegung mächtig" (III. 342), andrerseits nimmt er das Instrument mit Zeichen der Erschütterung von Julie wieder an: „ ,Es ist wahr', sprach der Fremde indem er mit Heftigkeit die Gitarre ergriff und an seine Brust drückte, ,es ist wahr, ich warf es fort und empfange es geheiligt zurück: nie kommt es mehr aus meinen Händen'" (III. 343). Dazu muß man noch wissen (was erst viel später berichtet wird), daß Hedwiga, die dem Vorgang beinahe stumm zuschaut, seit dem ersten Blick auf Kreisler von Entsetzen gepackt ist, weil sie an ihm Züge jenes wahnsinnigen Malers Ettlinger zu erkennen glaubt, dessen Schicksal sie als Kind miterlebt und nie verwunden hat. (vgl. oben S. 68). Alle Dimensionen der Kapellmeister-Gestalt sind demnach in diesem kurzen Auftritt so oder anders präsent, zusammengehalten und zum Teil erst sichtbar gemacht durch das Musikinstrument und seine spezifische Symbolik. Auch auf die große Katalepsie Hedwigas in der Mitte des Romans, die ausgelöst wird mit dem Schuß auf Kreisler und nach Tagen wieder behoben durch jene unvergeßlich-schauderliche Szene, wo der debile Prinz einen Vogel exekutiert, auch darauf gehen wir hier nicht länger ein. Die Ergebnisse würden sich von denen des Fragments ,Der Freund' nicht wesentlich unterscheiden. Immerhin sei unterstrichen, daß es sich bei diesen Passagen (III. 488ff und 521 f f ) um die wohl intensivste Darstellung der psychosomatischen Starre in Hoffmanns Gesamtwerk handelt.20 20
V g l . dazu auch ,Die Elixiere des Teufels' (III. 200), w o dargelegt wird, daß die folgenschwere telepathische Urbegegnung des Mönchs mit Aurelie in einem Moment zustande kam, w o diese in Starrsucht lag.
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Es muß Einzelinterpretationen überlassen bleiben, die spezifische Bedeutung des Topos innerhalb des jeweiligen Sinnzusammenhanges herauszuarbeiten, Einzelinterpretationen allerdings, die von einer gründlichen Kenntnis des ganzen erzählerischen Schaffens ausgehen und nicht, wie es allzuoft vorkommt, die Motive irgendeiner Novelle mit ähnlichen Themen aus dem Arsenal der frühen und mittleren Romantik in Zusammenhang bringen. Das führt ja meistens nicht viel weiter als zur Konstatierung einer gewissen Verwandtschaft Hoffmanns mit gewissen Zeitgenossen, an der ohnehin niemand zweifelt. Nicht in den Gemeinsamkeiten mit der übrigen romantischen Generation liegen die ungelösten Probleme der Hoffmann-Forschung, sondern in den Differenzen, dort, wo er sich als ein Einzelner und Einmaliger erweist. So wäre es beispielsweise unschwer, das Thema der Körperstarre in der damaligen oder damals aktuellen Literatur zu verfolgen. Der Armenier in Schillers .Geisterseher' 21 wäre da neben Albanos Vater im ,Titan' 22 zu stellen und neben den Grafen vom Strahl im ,Käthchen von Heilbronn'; 23 ebenso wie vom Anfang des Klingsohr-Märchens im .Heinrich von Ofterdingen* könnte man von den Lebenden Bildern in den .Wahlverwandtschaften' reden, vom „Steinernen Bild der Mutter" in Brentanos ,Godwi' oder dem Automaten-Motiv in Büchners .Leonce und Lena'. Aber darüber verwischte sich Hoffmanns besondere Problematik mehr und mehr, und gewonnen wäre zuletzt nichts weiter als ein Epochenüberblick auf viel zu schmaler Basis. Wir verzichten daher bewußt auf solche Querverbindungen, wenn sie nicht ein klares Ergebnis im Sinne einer Differenzialdiagnose versprechen. Eine merkwürdige und höchst eindrückliche Versinnlichung seines fundamentalen Dilemmas gelingt Hoffmann in einer Szene der Erzählung ,Die Doppeltgänger', eines Werks, das hier im übrigen nicht zur Rede steht. Der fragliche Abschnitt ist ohnehin mit der Gesamthandlung nur lose verhängt und ragt auch qualitativ ganz entschieden über diese hinaus. Dem entspricht die Tatsache, daß der Autor das gleiche Geschehnis schon in den .Elixieren' einmal schilderte (II. 2jo). Offensichtlich hat ihn der Vorgang an sich fasziniert, unabhängig vom Handlungskonnex, und später zu einer erneuten Bearbeitung gereizt. Die Passage ist nicht nur deshalb beachtlich, weil sie den Reichtum an Erfindungen zeigt, über den Hoffmann zur Konkretisierung konstanter Themen verfügt, sondern auch weil sich von hier aus eine überraschende Beziehung zur früher 21 Schiller, sämtliche Werke, hg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. München 1967 (4), Bd. V, S. 78. 22 Jean Paul, Werke, a.a.O. Bd. III, S. 37. 23 II. Akt, 9. Auftritt.
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schon einmal angegangenen Novelle ,Das Gelübde' eröffnet. Berthold, ein Hoffmanscher Jüngling von üblichem Zuschnitt, trifft in einem Dorf auf ein Gauklerpaar, eine Zigeunerin und einen jungen Mann, die pfeifend und trommelnd ein Puppenspiel ankündigen. Der Bursche beeindruckt ihn auf unerwartete Weise, schon weil er, ganz ähnlich wie der Kreisler des Fragments, in Kleidern aus den verschiedensten Epochen daherkommt. Die Marionettenbühne wird aufgeschlagen, und die Vorstellung entwickelt sich „nach gewöhnlicher italienischer Art". Dann aber passiert etwas Seltsames. „Das Spiel schien geendet, als plötzlich der Puppenspieler sein, zur furchtbaren Fratze, verzerrtes Antlitz emporhob in den Raum der Puppen und mit todstarren Augen gerade hin in den Kreis blickte. Pulcinell von der einen Seite, der Doktor von der andern schienen über die Erscheinung des Riesenhaupts sehr erschrocken, dann erholten sie sich aber, beschauten sorglich mit Gläsern das Antlitz, betasteten Nase, Mund, die Stirn, zu der sie kaum hinauflangen konnten, und begannen einen sehr tiefsinnigen gelehrten Streit über die Beschaffenheit des Haupts und auf welchem Rumpf es sitzen könne oder ob überhaupt ein Rumpf als dazugehörig anzunehmen. Der Doktor stellte die aberwitzigsten Hypothesen auf [ . . . ] Pulcinell behauptete dagegen, daß das Haupt ein Unglücklicher sei, dem vor vielem Denken und tollen Gedanken der Rumpf abhanden gekommen und der nun bei dem gänzlichen Mangel an Fäusten sich gegen Ohrfeigen, Nasenstüber u. dgl. nicht anders wehren könne als durch Schimpfen. - Berthold merkte bald, daß hier nicht der Scherz galt, der ein schaulustiges Volk ergötzen kann, sondern daß der finstre Geist einer Ironie spuke, die dem mit sich selbst entzweiten Innern entsteigt. Das konnte sein frohes freundliches Gemüt nicht ertragen, er begab sich weg . . . " (IV.458). Was in diesem bedeutenden Prosaabschnitt passiert, muß als freiwillige Marionettisierung bezeichnet werden, als ein bewußtes und absichtliches Sich-zur-PuppeMachen. Wenn wir die Katalepsie den morbus sacer der Hoffmannschen Helden genannt haben, so liegt hier der Fall vor, daß sich einer willentlich in diese Verfassung stürzt. Die Vorgeschichte braucht dabei nicht beachtet zu werden, sie hält sich im Rahmen dessen, was den Protagonisten üblicherweise zu schaffen macht. Es sei nur soviel erwähnt, daß sich der Puppenspieler wenig später als der langvermißte Freund des Zuschauers Berthold erweist, ein junger, von unglücklicher Liebe umgetriebener Maler. Was nun aber diesen Vorgang von den verschiedenen Formen der Starre, denen wir bisher begegnet sind, unterscheidet, ist der Spielcharakter. Denn der Mann führt ja gleichzeitig mit jeder Hand eine der Marionetten, die über seinen, von den Größenverhältnissen der Bühne aus kolossalischen Kopf diskutieren. Er versucht also, durch einen
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dialektischen Sprung seine Ausweglosigkeit zu überwinden; er inszeniert seine „Metallisierung" selbst, um im Gelächter darüber zur Freiheit vorzustoßen. Indem er seinen Kopf durch das Spiel seiner zu Puppen gemachten Hände als einen riesigen und rätselhaften Gegenstand erscheinen läßt, mit dem er in keiner Weise identisch sein kann, fährt er für die Dauer der Aufführung tatsächlich aus seiner Haut. Aber eben nur auf so lange, und diese Begrenzung macht die grundsätzliche Aporie nur umso deutlicher. Von da aus öffnet sich nun, wie erwähnt, der Zugang zum letzten der Beispiele, mit denen die im metallisierten Bräutigam verdichtete Symbolik ausgefächert und in ihrer Schlüsselfunktion für das Gesamtwerk sichtbar gemacht werden soll. Wir meinen jenen Teil der Erzählung ,Das Gelübde', der zu dem Titel geführt hat. Im vorigen Kapitel wurde das Werk beigezogen als Beleg für eine wichtige Dimension des TeraphimKomplexes. Man erinnert sich: die Polin Hermenegilda nimmt ihre Puppe halb spielerisch, halb medial für ihren Geliebten; ein fremder Offizier schiebt sich mit böser Berechnung in diese Teraphim-Rolle; die Frau empfängt von ihm ein Kind, glaubt aber den in Trance „geschauten" fernen Geliebten als Vater. Wie sie die Wahrheit erfährt, leistet sie jenes Gelübde, nach welchem die Geschichte benannt ist. Wir geraten hier, indem wir diesen Erzählinhalt als solchen wiedergeben wollen, einmal mehr vor die Frage, ob die kunstvoll gewählten und durchgehaltenen Perspektiven, aus denen die Geschehnisse gesehen und berichtet werden, ohne weiteres aufgelöst und die Fakten so referiert werden dürfen, als ob sie von einem auktorialen Erzähler mitgeteilt wären. Denn die tief symbolische Tat, aus der das fragliche Gelübde besteht, erhält erst durch die raffiniert gesteigerte Spannung und die nur stückweise gegebene und immer wieder verzögerte Antwort, durch novellistische Kunstmittel also, ihr ganzes Gewicht. Bei einem nüchternen Berichten der Tatsachen in ihrer realen Chronologie nimmt sich das Versprechen nur wie ein Anhängsel zum Teraphim-Geschehen aus, zum unheimlichen Tausch der Bräutigame und zur Zeugung des Kindes; in der Novelle selbst hingegen, und deren innere Ordnung ist denn doch wohl die entscheidende Realität, steht von Anfang an alles unter dem Zeichen dieses Symbols und die seltsame Hochzeit wird erst nach dem erfolgten Tod der unglücklichen Frau rückblickend berichtet. Dem entspricht auch, daß das Werk eben ,Das Gelübde' heißt und mit Gründen heißen kann. Wir müssen also versuchen, die vom Autor gesetzten Akzente nicht zu verschieben. Die Heldin der Geschichte erscheint zuerst als eine tiefverschleierte Frau, die auf höheren Befehl beim Bürgermeister eines polnischen Grenzstädtchens absteigt und ein Zimmer bezieht, wobei die so neu144
gierige wie besorgte Hausfrau bald bemerkt, daß der stille Gast schwanger ist und nahe vor der Geburt steht. Sie kommt offensichtlich aus einem Kloster, eine Äbtissin hat sie herbegleitet, und sie richtet ihr kleines Zimmer gleich mit monastischer Strenge ein. Obwohl sich mit der Zeit eine gewisse wortkarge Vertraulichkeit zwischen ihr und den Frauen des Hauses ergibt, legt sie die mehrfachen Schleier Tag und Nacht nie ab. Und darauf legt der Autor nun ganz deutlich den Hauptakzent. Selbst die rätselhafte Schwangerschaft nimmt sich in seiner Erzählführung neben dieser Verschleierung als etwas Nebensächliches aus, das die Neugier weit minder erregt. Nur nach und nach und in überlegter Stufung wird der Blick hinter diese Tücher und Hüllen freigegeben. Eine erste Ahnung bekommen wir kurz nach der Ankunft. Der Gast nimmt, von Atemnot bedrängt, den äußersten Schleier, „den großen schwarzen Kreppflor" (I. 562), vorübergehend ab. Die Bürgermeisterin spricht darüber zu ihrem Mann. „ ,Nun was sahst du denn', fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Gespenster, in die Rede. ,Nein', sprach die Frau weiter, ,die Gesichtszüge konnte ich unter den dünnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Totenfarbe, ach die grauliche Totenfarbe'" (I. 562). Was in der Folge an der Tatsache dieser Verhüllung am meisten irritiert, ist, daß die Frau ohnehin niemandem im Hause bekannt sein kann, daß nicht ersichtlich ist, warum ein völlig fremdes Gesicht in völlig fremder Umgebung versteckt zu werden braucht: „Wozu also die Verhüllung? — Die geschäftige Fantasie der Weiber erfand bald ein grauliches Märchen. Ein fürchterliches Abzeichen (so lautete die Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden gräßlich verzerrt, und darum die dicken Schleier" (I. j64). Wenig später gelingt der Tochter des Bürgermeisters ein weiterer Blick: „Der Zufall wollte, daß eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom den Schleier erfaßte und aufhob; mit Blitzesschnelle wandte sich die Fremde, so daß sie sich in demselben Moment dem Blick des Mädchens entzog. Diese kam aber erblaßt und an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein totenbleiches, hatte sie ein marmorweißes Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhöhlen es seltsam hervorblitzte" (I. 564). Einige Tage darauf kommt die Unbekannte in die Wehen; sie liegt „in ihre Schleier gewickelt" auf dem Bett, und so bleibt sie auch während der Geburt. „Die Wehmutter hatte ihr schwören müssen, daß, trete ja ein Zustand der Bewußtlosigkeit ein, doch die Schleier nicht gelüpft werden sollten, außer von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todesgefahr" (I. j 6 j ) . Ein Knabe wird geboren; alles freut sich, und der Bürgermeister selbst bittet die Frau, nun doch die Hüllen zu entfernen, worauf sie „mit dump-
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fem feierlichen Ton" erwidert: „Nur im Tode fallen diese Schleier" (I. 565). Wir geben das alles so ausführlich wieder, weil der Aufwand, den Hoffmann mit dem schließlich zu berichtenden einfachen Faktum treibt, für dessen Verständnis und Ausdeutung entscheidend ist. - Diese Wahrheit tritt in einer schlimmen Szene an den Tag. Ein Offizier sprengt vors Haus (es ist der Vater des Kindes); er reißt der Frau den Säugling aus den Armen, stößt die Schreiende mit einem Fußtritt weg und jagt davon. Der dramatische Vorgang ist, genau betrachtet, als Glied der N o vellenhandlung weniger wichtig denn als ein Aktionssubstrat, das dem Autor ermöglicht, die Schleier endlich zu lüften. Der Kampf zwischen den seltsamen Eltern spielt sich in Gegenwart des Bürgermeisterpaars ab, mit dessen Augen auch der Leser alles sieht. Die erste Szene, die sie wahrnehmen, als sie hinzustürzen, nimmt sich aus wie ein Lebendes Bild, wie das Modell zu einer pathetischen Marmorgruppe: „Der Reiter [ . . . ] hatte den Knaben aus der Wiege gerissen und in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm genommen; den rechten hatte Cölestine*4 erfaßt, alle K r a f t aufbietend, den Räuber des Kindes zurückzuhalten." (I. $ 66). Aus diesem gleichsam erstarrten Moment, einer formsicher eingesetzten Minimalexposition, entwickelt sich nun mit zuckender Geschwindigkeit die brutale Katastrophe: „Im Ringen riß der Offizier den Schleier herab - ein todstarres marmorweißes Antlitz, von schwarzen Locken umschattet, blickte ihn an, glühende Strahlen aus den tiefen Augenhöhlen schießend, während schneidende Jammertöne aus den halbgeöffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, daß Cölestine eine weiße, dicht anschließende Maske trug" (I. $66). Hoffmann bemüht sich, uns dieses Bild, auf das es ihm so sehr ankommt, ganz und ausgeformt vor Augen zu stellen. Obwohl mit dem obigen Zitat das Rätsel gelöst ist, fürchtet er, daß der erregte Leser nur die Tatsache der Maske zur Kenntnis nehmen und die Szene nicht gründlich genug schauen könnte. Er setzt deshalb noch einmal an, beschreibt, wie die Frau die Knie des Offiziers umfaßt und man ihre Stimme vernimmt „mit dem Ausdruck des unsäglichsten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchschnitt" (I. $66); er zitiert auch ihre jammernden, wimmernden Worte, - alles um zuletzt sagen zu können: „Und bei diesen Jammertönen regte sich keine Muskel, regten sich nicht die Lippen des Totenantlitzes, so daß dem Alten, der Hausfrau - allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut in den Adern stockte!" (I. $66). Auf die Maske also, die „marmorweiße", das ganze Gesicht und sogar die Lippen deckende Maske läuft alles hinaus.
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Unter diesem Namen wird Hermenegilda bei den Hausleuten eingeführt; es ist auch ihr Klostername als Laienschwester (vgl. I. $8$).
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Sie bis zum Tod zu tragen, darin besteht das Gelübde, das die Frau getan hat, als sie die Wahrheit über ihre Hochzeitsnacht erfuhr. — Was aber sollen diese Schleier; was treibt den Erzähler zu solchen Umständen, w o er doch weiß, daß er seinen Lesern ebensogut von Anfang an die maskierte Frau zumuten könnte? Spannung und Wahrscheinlichkeit ließen sich dabei ohne Schwierigkeiten auf gleicher Höhe halten. Hoffmanns Beweggrund wird erst ersichtlich, wenn man sich überlegt, daß das Verschleiern einer Maske für das unmittelbare Empfinden, für unsere konventionelle Vorstellung von diesen Dingen, etwas entschieden Widersprüchliches hat. Eine Maske tragen heißt sich verhüllen, sein Gesicht auf Unerkennbarkeit hin überdecken. Das gleiche aber tun die mehrfachen, schweren Schleier. Eine Potenzierung also? - Das ist deshalb ausgeschlossen, weil die ganze nachgezeichnete Handlung auf das Fallen der Hüllen, auf die Demaskierung nicht des Gesichts, sondern eben der Maske zielt. Die Schleier können mithin nur eine Funktion haben: sie müssen verhindern, daß die Maske als Verkleidung des Gesichts erscheint; positiv sprechend: sie müssen die Maske als das Gesicht, die Identität beider, die vollzogene Transformation des Gesichts zur marmorweißen Schale erweisen. Darin liegt das vorerst unbestimmt Bedrängende der Geschichte, das man allzuschnell in Gefahr ist, als schauerromantischen E f fekt abzutun. U n d es ist denn auch nur folgerichtig, daß die Hausfrau, kaum ist der Reiter weg, diese Enthüllung wieder rückgängig macht: „Nicht vermögend den Anblick der Maske zu tragen, hing sie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen" (1.567). Die Verwandtschaft zum metallisierten Bräutigam entdeckt sich spontan. N u n haben wir aber im Verlauf des Kapitels festgestellt, daß kaum je von einem eigentlichen Wiederholen des zentralen Sinnbilds gesprochen werden kann, sondern vielmehr eine Art Ausfaltung in die auch untereinander stark differierenden Segmente eines Metaphernzirkels vorliegt. In ihnen tritt bald dieser, bald jener Aspekt, die andern überschattend, verstärkt ans Licht. So ist die am unversehrten Elis überwältigende Tatsache, daß er durch die Metallisierung den Moment körperlicher Vollendung, den sonst so rasch durchglittenen Kulminationspunkt zwischen Jugend und ersten Alterszeichen, in unbewegte Dauer umsetzt und dergestalt die wesenhafte Zeitlosigkeit des,Karfunkels' mit einer knappen Gebärde zeigt, aus keinem der verwandten Bilder direkt zu erschließen. Dennoch sind sie alle ohne das Wissen um diese Dimension nicht voll erfaßt, wie wir auch die Essenz der gemalten Geliebten erst da in ihren letzten Zusammenhängen begreifen konnten, als wir sie, im Malerbuch der .Elixiere', kontrastiert fanden mit dem jähen Pesttod der lebendigen Frau, mit der in einem einzigen Augenblick vollzogenen Seneszenz des
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makellosen Leibes zur verschrumpften Häßlichkeit (vgl. oben S. 66). Welches also ist die besondere Nuance, die im Rahmen des nun Bekannten an diesem Gelübde anschaulich wird? Man darf sagen, daß sie in der Freiwilligkeit und Radikalität des Aktes liegt. Hermenegilda entscheidet sich selbst zu ihrer dauernden Petrifizierung. 25 Die Nachricht davon wird ganz am Schluß der Novelle gegeben, und zwar heißt es ausdrücklich, daß die Frau damit nicht eine ewige Folter auf sich nimmt, sondern im Gegenteil erst durch dieses Tun „Trost" und „Ruhe" findet (I. 585). Eine gewisse Parallele zu jenem vorher erwähnten Puppenspieler liegt also vor, der sich zur Marionette macht, nur ist das, was dort eine wiederholte Geste ist, eine Kapriole mit ernsthaftem Hintergrund und zu ernsthaftem Zweck, hier mit unerbittlicher Konsequenz durchgeführt. Hermenegilda kommt unter dem Einfluß eines Mönchs zu ihrem Entschluß, und auch der Begriff des Gelübdes ist durchaus in Anlehnung an die bindende monastische Initiation gebraucht. W i r erwähnen das deshalb, weil man sagen muß, daß die „Abgeschiedenheit" der Helden Hoffmanns wenn das alte Wort der Mönche hier gebraucht werden darf - im letzten und gründlichsten eine Abgeschiedenheit aus dem eigenen lebendigen Körper ist, aus der biologischen Wesenheit, die nicht nur mit einer Hülle verglichen, sondern wörtlich und entschlossen zu einer harten Kapsel gemacht wird. Durch diese freiwillige T a t kann Hermenegilda überhaupt am Leben bleiben, das wird an der erwähnten Stelle deutlich genug. Und wenn wir eben die Welt des christlichen Anachoretentums gestreift haben, so müssen wir nun gleichzeitig betonen, daß die Maske nicht und niemals als Kastigation verstanden werden darf, obwohl der Pater Cyprianus, der die Frau dazu bewegt, berufsgemäß mit solchen Gedanken umgeht. Es gibt nur eine richtige Deutung: Hermenegilda spielt den Zustand, auf den sie seit dem Augenblick ihrer Einsicht in die totale Inkommensurabilität zwischen dem energetischen Kern des Innern und allem übrigen Begegnenden unausweichlich angelegt war, sie spielt ihn mit tiefstem Ernst und ohne das geringste Schwanken, und sie bewahrt sich so vor dem Schicksal des vertierten Kreisler am Anfang des Fragments, der entweder in der Starre liegt oder wölfisch durch die Wälder streicht. Wie genau dies zutrifft, wird durch das Faktum bewiesen, daß in dem Moment, w o das labile Gleichgewicht, in dem ihre Existenz dergestalt schwebt, gestört wird - vielleicht müßte man sogar sagen: w o es sich als Selbsttäuschung entlarvt? - die Katalepsie tatsächlich eintritt. Als der Reiter mit dem geraubten Kind verschwunden ist, heißt es: „Die Hausfrau
V g l . den mehrfachen Hinweis H o f f m a n n s auf die .Marmorweiße' der Maske, w o m i t auf Steinernes, Versteinertes deutlich angespielt wird. 25
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voll Herzensangst, wie es nun um Cölestinen stehen, und was nun mit ihr anzufangen sein würde, überwand ihr Grauen vor der entsetzlichen Totenmaske, und eilte herauf ihr beizustehen. Wie erstaunte sie, als sie Cölestinen mitten im Zimmer gleich einer Statue mit herabhängenden Armen lautlos stehend fand. Sie redete sie an, keine Antwort [ . . . ] kein Regen und Bewegen. Cölestine war in einen automatischen Zustand gesunken" (I. 567). So bleibt sie auch, als die Äbtissin sie abholt; sie läßt sich wie eine Puppe „starr und lautlos, ohne Zeichen eignen Willens und eigner Willkür, fortführen und in den Wagen setzen" (I. 5 67). Und der Autor gibt Grund zur Annahme, daß sie bis zu ihrem „bald darauf" eintretenden Tode so geblieben ist. Doch nun sind wir Rechenschaft schuldig! Zwei Kapitel lang haben wir die Theorie des „Prozesses" entwickelt als des Wegs der Hoffmanschen Helden zur Freiheit, zu einer seligen, über alle Schranken reißenden Begegnung mit dem ahnungslos besessenen Absolutum, mit der alterslosen, schaffenden Schönheit der imaginativen Mitte. Desgleichen haben wir auch gezeigt, daß dieser „Prozeß" in vielen Fällen scheitert, weil der Held die notwendige Umkehr vom schönen oder schrecklichen Projizierten zum Ursprung der Projektion nicht zu leisten vermag, und daß das Wunderbare und der Horror immer von einer und derselben Herkunft sind. In diesem vierten Kapitel aber wurde nun erklärt, belegt und bewiesen, daß der gleiche anthropologische Grundriß, auf dem der „Prozeß" basiert, von Hoffmann mit erschütternden Symbolen immer und immer wieder zur Anschauung gebracht wird als eine Aporie im ursprünglichen Wortsinn: einen Ort ohne Ausweg. Mit unserer Behauptung anläßlich der Interpretation der ,Bergwerke zu Falun', die Metallisierung des Helden dürfe nicht als Ausdruck eines gescheiterten „Prozesses" genommen werden, sondern sei die Versinnlichung der unausweichlichsten Konsequenz, haben wir uns bewußt dem Vorwurf widersprüchlicher Gedankenführung ausgesetzt. Zu beidem müssen wir stehen: zum erstarrten Elis als dem Zeichen letzter menschlicher Unerlösbarkeit und zum glücklichen Giglio Fava, der auf der römischen Commedia-Bühne ein auf alle Zeit befreites Dasein antritt. Und wir können auch dazu stehen, ohne den Schriftsteller Hoffmann der Widersinnigkeit anklagen zu müssen. Denn, um es gleich an Hand der eben erwähnten Gestalten zu sagen: der metallisierte Bräutigam erweist das Leben Giglio Favas als Utopie. Wo immer der „Prozeß" gelingt, mündet er in Wahrheit aus in einen utopischen Bereich, dessen Grenzen, ist man einmal aufmerksam geworden, deutlich erkennbar sind. Es ist eine spezifisch Hoffmansche Utopie, ohne jenes geheime Vertrauen 149
in die fortschreitende Geschichte, das solchen Entwürfen sonst so häufig eigen ist und das einer blinden Gegenwart die Augen öffnen möchte für die Möglichkeiten des Kommenden. Dieses „Land Nirgendwo" ist und bleibt außerhalb von Zeit und Geschichte; als „Atlantis" hat es der Dichter am Ende des ,Goldnen Topfs' zum erstenmal vorgestellt, und die Beschreibung behält ihre Gültigkeit für das ganze spätere Werk, für alle Helden, die in eine freie Zukunft entlassen werden. Auch wenn ihr Ziel scheinbar viel wirklicher ist, wenn es „Rom" heißt oder „Italien", es ist zuletzt doch immer eine im Leeren schwebende, lichtvolle Konstruktion, ein paradis artificiel mit wechselnden Namen. Die stereotype Formel, die Hoffmann jedesmal braucht, wenn einer seiner jungen Maler sich selbst gefunden hat und nach Süden zieht, in die heitere Gemeinschaft der Deutschrömer, ist: „das Land der Kunst". „Ihr nach ins Land der der Kunst", ruft Traugott im .Artushof' aus (II. 163); Edmund in der ,Brautwahl' gesteht: „Sosehr mein Inneres entbrannt ist in Liebe zu der holden Albertine, sosehr erfüllt mich doch die Sehnsucht nach dem Lande, das die Heimat meiner Kunst ist" (II. 577); und Reinhold im .Meister Martin' schließt sein Nürnberger Abenteuer mit den Worten: „Wie könnt ich auch nur der göttlichen Kunst abtrünnig werden! — bald werd ich mich wieder baden in deinen glühenden Düften, herrliches Land, du Heimat aller Kunst!" (II. 462). Wenn wir diese Sätze mit dem Schluß des ,Goldnen Topfs' vergleichen, wo berichtet wird, daß Anseimus „nun nach dem geheimnisvollen wunderbaren Reiche gezogen (sei), das er für die Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen erfüllte Brust schon so lange gesehnt" (1.250), dann sehen wir sogleich, daß dieses Atlantis und jenes Italien identisch sind: eine Idee, eine utopische Bühne, die es dem Dichter ermöglicht, seine Geschichten zu Ende zu bringen, ohne die Helden in Wahnsinn, Katalepsie oder Veitstanz zu stürzen. Deshalb hütet er sich auch mit sicherer Witterung vor dem detaillierten Ausmalen dieses „Landes" ; die Formel genügt; die Künstler verschwinden in dieser ihrer „Heimat" wie durch farbige Vorhänge hindurch, und der Leser hat an ihre dauernde Seligkeit zu glauben. In der Novelle ,Signor Formica', die, ebenfalls eine Malergeschichte, Rom selber zum Hintergrund hat, setzt er am Schluß zu dem entsprechenden Zweck durchaus folgerichtig Florenz ein, während Rom als ein Ort der Mißgunst, der Niedertracht, ja der mörderischen Verfolgung des Künstlers erscheint. Er braucht immer eine Region außerhalb des von der jeweiligen Erzählung abgesteckten Lebensbezirks; spielt diese in Deutschland, ist es ein monokolores „Italia" (II. 58); spielt sie in Rom, ein analog eingeführtes „Florenz". In dem letzteren Fall wird Hoffmann sogar noch ausführlicher, als wir es sonst gewohnt sind, und schlägt mit seiner Beschreibung
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der toskanischen Künstler-Utopia gleichzeitig eine Brücke zum „Atlantis" des jGoldnen Topfs', das die Urform all dieser Erfindungen ist und auf das wir bald noch näher eingehen müssen. Gegen Ende des ,Signor Formica' also heißt es: „Er begab sich, eingedenk der wiederholten Aufforderungen des Herzogs von Toskana, nach Florenz. Hier war es nun, w o dem gekränkten Salvator aller Verdruß, der ihm in Rom zugefügt worden war, reichlich vergütigt, wo ihm alle Ehre, aller Ruhm, seinem Verdienst gemäß, in reichlichem Maß gespendet wurde. Die Geschenke des Herzogs, die hohen Preise, die er für seine Gemälde erhielt, setzten ihn bald in den Stand, ein großes Haus zu beziehen und auf das prächtigste einzurichten. Da versammelten sich um ihn her die berühmtesten Dichter und Gelehrten der Zeit; es ist genug, den Evangelista Toricelli, den Valerio Chimentelli, den Battista Ricciardi, den Andrea Cavalcanti, den Pietro Salvati, den Filippo Apolloni, den Volumnio Bandeiii, den Francesco Rovai zu nennen, die sich darunter befanden. Man trieb Kunst und Wissenschaft im schönen Bunde vereinigt, und Salvator Rosa wußte den Zusammenkünften ein fantastisches Ansehen zu geben, das den Geist auf eigene Weise belebte und anfeuerte. So glich der Speisesaal einem schönen Lusthain mit duftenden Büschen und Blumen und plätschernden Springbrunnen, und selbst die Speisen, die von seltsam gekleideten Pagen aufgetragen wurden, sahen wunderbar aus, als kämen sie aus einem fernen Zauberlande" (II. 831). Die Stelle ist für die Arbeitsweise des Schriftstellers Hoffmann aufschlußreich. Wir sind nämlich über die Fachliteratur, die er benutzt hat, genau orientiert; sie ist so reichhaltig, daß man an die Methoden eines Thomas Mann erinnert wird. Der Kommentar der Winkler-Ausgabe zählt zehn Werke auf, die der Dichter von Bibliothekaren und Freunden „auf das dringlichste" (an Chamisso, 27. Jan. 1819) zu erhalten suchte, und dies sind nur die zufällig überlieferten Titel. Die hartnäckig tradierte Meinung, Hoffmann habe seine Erzählungen und Romane rauschhaft hingewühlt, muß sich vor solchen Tatsachen endgültig verflüchtigen, - wie wir denn auch nicht der Ansicht sind, daß sich bei der literarischen Produktion dieses Mannes der Jurist vom Dichter völlig habe abspalten müssen. Doch dies nur als Randbemerkung. Viel wichtiger ist es zu zeigen, wie in dem zitierten Abschnitt das dokumentarische Material - die Namen stammen alle aus Jagemanns,Magazin der Italienischen Litteratur und Künste' (Weimar 1780-85) - überformt wird zur Vision einer utopischen Künstlergesellschaft, zu einem „Atlantis", das als historische Realität vorgestellt wird. Wesentlich ist dabei vor allem die Tatsache, daß Hoffmann den ganzen „schönen Bund" (II. 831) zuletzt noch in eine artifizielle Natur hinein versetzt, in einen
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künstlichen Park im Innern des Hauses. Es ist dies nämlich eine Konstante seiner Erzählwelt, welcher der entschiedenste Symptom-Charakter zukommt: an den künstlichen Bäumen und Blumen erkennt man Atlantis! Als fürchte Hoffmann, die florentinische Ideal-Gesellschaft könnte vom Leser nicht in ihrer Bedeutung als das ganz andere, die nur zu träumende, aber nirgends zu findende Insel erfaßt werden, hängt er der sachlichen Deskription unvermittelt und mit einem einzigen Satz diesen privaten Topos an, obwohl dessen Aussagekraft sich nicht aus der Erzählung selber erschließt, sondern nur dem sorgsamen synoptischen Angehen des Gesamtwerks. Die schließliche Initiation der Helden in den großen Arbeiten ,Prinzessin Brambilla* und ,Meister Floh' spielt sich vor der gleichen surrealen Staffage ab. In dem ersteren Stück betritt Giglio Fava den Festsaal des Palastes Pistoja: „Aber herrlicher, viel herrlicher sah es jetzt in diesem Saal aus, als damals. Denn statt der einzigen Ampel, die den Saal erleuchtete, hingen jetzt wohl hundert ringsumher, so daß alles ganz und gar in Feuer zu stehen schien. Die Marmorsäulen, welche die hohe Kuppel trugen, waren mit üppigen Blumenkränzen umwunden [ . . . ] Und unter harmonischem Glockengetön, Harfen- und Posaunenklang, begann sich alles zu regen und wogte durcheinander. Die Kuppel stieg auf und wurde zum heitern Himmelsbogen, die Säulen wurden zu hohen Palmbäumen, der Goldstoff fiel nieder und wurde zum bunten gleißenden Blumengrund und der große Kristallspiegel zerfloß in einen hellen herrlichen See [ . . . ] Kühle balsamische Düfte wehten durch den unabsehbaren Zaubergarten voll der herrlichsten anmutigsten Büsche und Bäume und Blumen" (IV. 3i8ff). In dem zum See gewordenen Spiegel erkennen sich gleich darauf Giglio und Giacinta als Prinz und Prinzessin. Und es wird ausdrücklich gesagt, daß der artifizielle Garten als Gleichnis für ihre ganze spätere Existenz als Commedia-Spieler steht, genauer: für das Theater, auf dem und in dem sie leben und das als eine „kleine Welt" in die „große Welt" eingeschlossen sei (IV. 324F). Man mag einwenden, daß hier nicht von Utopie gesprochen werden könne, da die Commedia dell' arte schließlich eine allgemein bekannte historische Tatsache sei. Aber wie Hoffmann die florentinische Akademie, von der ihm seine Bücher berichteten, im ,Signor Formica' umgestaltet und gesteigert hat zum idealischen Schaubild, so tut er dies auch hier in noch viel nachdrücklicherer Weise. Als sich die beiden ein volles Jahr nach der Szene im Palast Pistoja daran erinnern, ruft Giglio aus: „Es liegt wie ein schöner Traum hinter mir, das Urdarland - der Urdarsee! - Aber nein! - es war kein Traum - wir haben uns erkannt!" Und Hoffmann berichtet weiter: „Und nun umarmten sie sich aufs neue und lachten laut auf und riefen durcheinander: ,Dort liegt Persien - dort Indien - aber hier Bergamo
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- hier Frascati - unsere Reiche grenzen — nein nein, es ist ein und dasselbe Reich in dem wir herrschen, ein mächtiges Fürstenpaar, es ist das schöne herrliche Urdarland selbst - Ha, welche Lust!' Und nun jauchzten sie im Zimmer umher und fielen sich wieder in die Arme und küßten sich und lachten. - " (IV. 323). Obwohl sie bei diesen geographischen Quersprüngen natürlich an die Gepflogenheiten der Commedia denken, wo die italienischen Lokaltypen an den Kaiserhöfen von Indien und China erscheinen, macht der ganze Duktus der Stelle doch deutlich genug, daß hier ein Triumph über die ganze reale Welt, über alles „Außen" gefeiert wird, der allein möglich ist auf einer imaginären Ebene, in dem objektivierten, zur leuchtenden Sphäre ausgeworfenen Utopia, das ein Johannes Kreisler nur als die sengenden Feuerspiele seines Innern erfährt. Daß Hoffmann dies in eine so überzeugende Verbindung mit dem römischen Narren- und Maskentheater zu bringen vermochte, darf als einer seiner glücklichsten Funde betrachtet werden. Denn so verblüffend unmittelbar ist es ihm sonst nie gelungen, dem künstlichen Zaubergarten augenscheinliche Dauer zu verleihen. Am Schluß des ,Meister Floh' jedenfalls, wo der Topos genau gleich eingesetzt wird, sieht er sich schon bald zu angestrengtem und anstrengendem Allegorisieren gezwungen, wie er denn überhaupt den Grundansatz dieses Werks, zwei Helden, Peregrinus und Pepusch, parallel und doch als gegensätzliche Typen ihren Weg zu führen, nicht ganz bewältigt hat. Doch brauchen wir uns hier um diese Frage nicht zu kümmern, wichtig ist nur die Hartnäckigkeit, mit der der Dichter auch da am Symbol der künstlichen Natur festhält. Wir zitieren die zentrale Passage: „Herr Peregrinus wollte sich ganz aus dem Schlafe ermuntern, doch plötzlich zuckten tausend feurige Blitze durch das Gemach, das bald von einem einzigen glühenden Feuerballe erfüllt schien [ . . . ] Peregrinus fand sich wieder iuf einem prächtigen Throne stehend, in den reichen Gewändern eines indischen Königs [ . . . ] Der Thron stand in einem unabsehbaren Saal errichtet, dessen tausen Säulen schlanke, himmelhohe Zedern waren. - Dazwischen erhoben aus dunklem Gesträuch die schönsten Rosen, so wie wundervolle süßduftende Blumen jeder Art, ihre Häupter empor, wie in dürstender Sehnsucht nach dem reinen Azur, das durch die verschlungenen Zweige der Zedern glänzend, wie mit liebenden Augen hinabblickte. - Peregrinus erkannte sich selbst . . ( I V . 809). Man beachte wohl: das „reine Azur" befindet sich in einem, wenn auch „unabsehbaren", Saal! Und dies ist das klassische Milieu, in welchem dem Hoffmanschen Helden das Höchste widerfährt, was ihm in seinem Leben möglich ist. Wenn man für einen Moment von Hoffmann wegtritt, diesen „Saal" aus seinen Sinnzusammenhängen löst und ihn beispielsweise in einem Werk Gottfried Kellers ansiedelt, dann
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kann man sich nur mit Schaudern vorstellen, welchem Gericht der Mensch dort verfallen müßte, der sich unterfinge, in solcher Art Natur zu „machen". 28 Es nähme sich aus als ein affenhaftes Treiben, dessen Dummheit hart gezüchtigt oder wenigstens vor den Augen der Vernünftigen in seiner ganzen Lächerlichkeit entlarvt würde. Hoffmann aber ist vom Gedanken an eine gemachte und erst von den Augen eines „Schauenden" zu bewegtem Leben erweckte Natur so fasziniert, daß er sie, seit der ersten Gestaltung im ,Goldnen Topf', immer wieder einsetzt als ein integrierendes Element jenes Reiches, das er mehr oder minder deutlich jedesmal postulieren muß, wenn er seine Geschichten zu einem fröhlichen Ende bringen will. Auch sonst findet sich das Motiv, in isolierten Splittern gleichsam, an zahlreichen Stellen seines Werks. So etwa in dem späten Stück ,Die Irrungen', wo vom seltsamen Alten Schnüspelpold berichtet wird: „Als ich den Spaziergang rühmte, fuhr er mich hart an, ich solle mir nicht törichterweise einbilden, daß das wirkliche Bäume, Büsche wären, daß das wirklich gewachsenes Gras, Feld, Wasser sei. Ich könne das ja schon an den stumpfen Farben sehen, daß alles nur in spaßhafter Kunst fabriziertes Zeug wäre [ . . . ] Wollte ich einmal ein bißchen wahrhafte Natur schauen, so würde er mich in das Theater führen, wo hierzulande allein was Ordentliches von dergleichen Dingen zu schauen. Beim Theater wären nämlich grundgeschickte Naturmeister angestellt, die Berg und Tal, Baum und Gebüsch, Wasser und Feuer keck zu handhaben wüßten" (IV. 122). Der Passus ist gerade durch die Unverfrorenheit wichtig, mit der hier Hof fmanns Non serriam! der ganzen lebendigen N a tur gegenüber formuliert, mit der die geleimte und genagelte Staffage über das allgemeine Wachsende gestellt wird. In diesen Zusammenhang gehört auch Monsieur Pickard Leberfink aus der sonst etwas verquer geratenen Erzählung .Meister Johannes Wacht', der zwar als eine skurrile Gestalt, aber doch mit spürbarer Hingabe geschildert wird und der das Handwerk eines gelernten „Lackierers und Vergolders" bei gesicherten finanziellen Verhältnissen vorwiegend dazu verwendet, die Obstbäume 26
D a ß der Vergleich nicht ganz aus der L u f t gegriffen ist, zeigt im kleinen das Märchen .Spiegel, das Kätzchen', w o Pineiss dem zu mästenden Kater ein künstliches J a g d g e f i l d e in die Stube setzt: „ E r baute daher f ü r Spiegel eine ordentliche L a n d s c h a f t in seiner Stube, indem er ein Wäldchen von Tannenbäumen aufstellte, kleine Hügel von Steinen und Moos errichtete und einen kleinen See anlegte. A u f die Bäumchen setzte er duftig gebratene Lerchen . . usw. - Entsprechend ist denn auch das schließliche Geschick Pineissens, der die künstlich verjüngte A l t e zu böser Brautnacht heimführen wird. ( G o t t fried Keller, Sämtliche Werke und ausgew. Briefe, hg. v o n C . Heselhaus. M ü n chen o. J . , Bd. 2, S. 2 1 9 ) . - Z u r Geschichte des M o t i v s v g l . auch Goethes . T r i umph der Empfindsamkeit'.
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seines winzigen Gartens „himmelblau, rosenrot und eigelb" zu lackieren, die Blumen in den zierlichen Rondellen zu vergolden und dergestalt, wie es heißt, „die Natur zu verschönern" (IV. $77). Die herzliche Zuneigung, mit der Hoffmann solche Gestalten schildert, rührt daher, daß sie in ihrem Treiben eine schwimmende Ahnung von der wahren Beschaffenheit des Menschen zum Ausdruck bringen, von dem ewig unerlösten Zustand, den die konstruierten Utopien des Dichters auch nur idealiter aufzureißen vermögen. D a ß es aber gerade die artifizielle Natur ist, mit der der Autor diese imaginären Bezirke umstellt, ist geistesgeschichtlich bedeutsam. Wir haben diesem Kapitel einige thesenähnliche Aussagen vorangestellt. Dazu gehörte der Satz: „Eines der widerstandsfähigsten Axiome des literarischen 19. Jahrhunderts ist: daß die Natur eine in sich ruhende Gegen-Welt darstellt zur Gesellschaft, zum politischen Organismus; daß man aus der raschen geschichtlichen Sozietät aussteigen und sich in die N a tur schlagen kann." Und wir haben weiter gesagt, daß sich Hoffmann gerade hierin von seinem Zeitalter scharf unterscheide. Davon brauchen wir nicht abzuweichen, es hat sich klar genug bestätigt. Wir können indessen sagen, daß Hoffmann in zahlreichen seiner spezifischen Utopien diese Gebärde, dieses Sich-in-die-Natur-Schlagen auf seine A r t nachvollzieht, indem er die einzige absolute Realität, den strahlenden „Karfunkel", zu einem Räume dehnt, der Natur-analog gestaltet ist, mit metallischen Bäumen, Büschen, Blumen und Vögeln, und der die paradoxe These, es bleibe dem Menschen keine andere Wahl, als sich um seiner Freiheit willen ganz in sich selber zu begeben, in überraschender, wenn auch höchst bedingter Weise möglich macht. Und nun können wir auch auf den ,Goldnen T o p f ' zu sprechen kommen, das Werk, an dem Hoffmann zum ersten Mal erfahren hat, daß er ohne den utopischen Entwurf nicht auskommt, und w o er ihn nicht nur durchgeführt, sondern gleichzeitig darüber referiert und das Dilemma dem Leser offen auf den Tisch gelegt hat. 27 Wir sind für einen Blick auf dieses berühmte ,Fantasiestück' nicht nur insofern vorbereitet, als der Symbolcharakter der artifiziellen Natur im Hausinnern, die sich jedem Leser als ein dominierendes Motiv einprägt, einigermaßen geklärt ist, sondern auch durch die Theorie der Erstarrung, den Metaphernkreis um den metallisierten Bräutigam, dessen Kenntnis für das Verstehen des Märchens wichtiger ist, als aus den bisher vorliegenden Deutungen hervorEs sei hier nachdrücklich auf die Interpretation verwiesen, die W o l f g a n g Preisendanz in seinem Buch ,Humor als dichterische Einbildungskraft' (a.a.O.) dem Finale des ,Goldnen Topfs' gewidmet hat und w o auch schon der Begriff der Utopie fällt. 27
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geht. Von diesem Aspekt her gehen wir denn auch an das Werk heran. Ganz zu Beginn des Märchens rennt der Held, der Student Anseimus, der noch keine Ahnung davon hat, daß er, nach den Worten aus der ,Königsbraut', einer ist, „der da soll und muß", in den Apfelkorb eines alten Händlerweibs hinein, die dem schäm voll Flüchtenden nachruft: „ J a renne renne nur zu, Satanskind - ins Kristall bald dein Fall - ins Kristall!" ( 1 . 1 7 9 ) . Der Autor unterstreicht die besondere Bedeutung, die diesem Ausspruch zukommt, mit dem Satz: „Die gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so daß die Spaziergänger verwundert stillstanden, und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einem Mal verstummte." Auch Anseimus selbst „fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen" (1.179). Und ein drittes Mal am gleichen Punkt ansetzend, fügt Hoffmann noch hinzu: „Auf ganz sonderbare Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben, so daß man dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah". Nun geht zwar, wie man weiß, die Prophezeiung durchaus in Erfüllung, indem Anseimus, als er in der Neunten Vigilie sein Schreiberamt beim Archivarius Lindhorst nachlässig erfüllt, in eine „wohlverstopfte Kristallflasche" (I. 239) gesperrt wird, aber es ist dem unverbildeten Leser doch nicht ganz ersichtlich, wieso gerade diese vorübergehende und etwas ausgefallene Bestrafung in der Exposition des Ganzen, wo jedes mitgeteilte Faktum ohnehin doppelt wiegt, mit solchem Nachdruck vorweggenommen, in ominösester Weise als Fatum beschworen wird. Entweder, so muß man schließen, hat sich Hoffmanns Konzeption im Verlauf der Arbeit gewandelt - es gibt Beispiele dafür in andern Werken - , oder aber der Aufenthalt in der Kristallflasche ist von weit höherer Bedeutung, als es bei einer unbekümmerten Lektüre den Anschein hat. Die Antwort kann nur über eine genaue Betrachtung der fraglichen Stellen gefunden werden, und da zeigt es sich denn tatsächlich, um das Resultat gleich vorwegzunehmen, daß dieser „Fall ins Kristall" nichts anderes ist als ein Pendant zur Metallisierung des Elis Fröbom und daß er ebenso endgültig bleiben müßte, wenn nicht zuletzt das verflüssigende, das alles lösende Ferment der Utopie hereinbräche und Atlantis aus den Fluten steigen ließe. Nun drängt sich allerdings die Frage auf, wie diese These in Ubereinstimmung zu bringen sei mit der Tatsache, daß der Einschluß ins gläserne Gefängnis im Handlungsablauf als eine pädagogische Kastigation durch Lindhorst erscheint, der dabei unmißverständlich ausruft: „Wahnsinniger! erleide nun die Strafe dafür, was du im frechen Frevel tatest!" (I. 239). Eine Analogie zum Schicksal Elis Fröboms müßte doch voraussetzen, daß die-
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se Kristallisierung die unerbittliche Konsequenz des von Anseimus eingeschlagenen Weges ist. Der kritische Punkt liegt offenbar dort, wo Lindhorst von einem „frechen Frevel" spricht. Auf der oberflächlichsten Ereignisebene meint das Wort natürlich den fatalen Klecks auf dem zu kopierenden Manuskript; dieser wird jedoch bewirkt durch die besondere Verfassung, in der sich der Student dabei befindet und die darin besteht, daß sein Glaube an Serpentina ins Schwanken geraten ist und er ihre geschauten Augen, die ihm bislang Unterpfand der höchsten Seligkeit waren, mit denen der gutmütigen Veronika identifiziert. Um konsequent zu sein, müßte Anseimus nun eigentlich Lindhorst, die Palmensäle und das ganze Salamanderwesen bleiben lassen und sich ganz seiner Philisterkarriere und der Werbung um das Bürgermädchen widmen, womit die Geschichte ein Ende hätte. Er geht aber gleichwohl in die phantastische Behausung des Archivarius, so wie Elis als Verlobter der Ulla in die tiefen Schächte fährt, und in dem Augenblick, wo diese negierte Welt für ihn doch wieder Realität wird, wo seine schauenden Energien von neuem erwachen - es geschieht, sobald er ob dem jähen Klecks erschrickt - , in dem Augenblick erfährt er zum ersten Mal die absolute Unvereinbarkeit von „Karfunkel" und Außenwelt, von Serpen tina, der unsäglichen Spiegelgestàlt seines schaffenden Ich, und von Natur, Gesellschaft, Geliebter. Und da zu dieser letzteren Trias, wie wir gesehen haben, konsequenterweise auch die eigene lebendige Körperlichkeit tritt, ist mit der Einsicht in die erwähnte Inkommensurabilität gleichzeitig die physische Erstarrung verbunden: er wird kristallisiert. Der pathetische Urteilsspruch des „gekrönten Salamanders", von dem das Märchen berichtet, ist nur die Allegorisierung einer spontanen, unausweichlichen Mutation. Und jetzt verstehen wir auch die Intensität, mit der Hoffmann diese Kristallisierung beschreibt, und die auffällige Mühe, mit der er sie vorbereitet und durch Orakelsprüche anzeigt. Die eigentliche Verwandlung geht so vor sich: „Die goldnen Stämme der Palmbäume wurden zu Riesenschlangen, die ihre gräßlichen Häupter in schneidendem Metallklange zusammenstießen und mit den geschuppten Leibern den Anselmus umwanden. [ . . . ] und nun sprühten ihre aufgesperrten Rachen Feuer-Katarakte auf den Anseimus, und es war als verdichteten sich die Feuerströme um seinen Körper und würden zur festen eiskalten Masse. Aber indem des Anseimus Glieder enger und enger sich zusammenziehend erstarrten, vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von einem glänzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich rühren, stieß" (I. 239). Es ist die artifizielle N a tur selbst, die ihn kristallisiert. Dabei muß man wissen, daß er kurz vor-
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her, als er das Haus betrat, diese Dinge so nüchtern wie noch nie angesehen hat: „Das blaue Zimmer kam ihm auch ganz anders vor, und er begriff nicht, wie ihm das grelle Blau und die unnatürlichen goldnen Stämme der Palmbäume mit den unförmlichen blinkenden Blättern nur einen Augenblick hatten gefallen können" (1.238). Das ist das tote, stoffliche Substrat, das seine Schau-Kraft kurz darauf lebendig macht und mit dem er sich selber, ohne es zu begreifen, versteint. Auch daran also bestätigt sich unsere Aussage, daß der Richterspruch des „gekrönten Salamanders" nur eine allegorisierende Objektivation, eine erzählerische Hilfskonstruktion sei. Anseimus hat keinen Frevel begangen, sondern den spontansten, menschenüblichsten Versuch unternommen, Veronika und Serpentina zu identifizieren, Innen und Außen in freier Kommunikation zu vereinen, und was er nun erfährt, ist nichts anderes als die Wahrheit über die conditio humana. Damit gerade hierüber Klarheit herrsche, fügt Hoffmann, ohne erzählerische Vorbereitung, den Bericht ein über einige andere Studenten, die Anseimus plötzlich neben sich, ebenfalls in Flaschen eingeschlossen, entdeckt, die jedoch von diesem ihrem Zustand keine Ahnung haben. Sie lachen ihn sogar aus: „Der Studiosus ist toll, er bildet sich ein in einer gläsernen Flasche zu sitzen . . . " (I. 241), worauf Anseimus den wesentlichen Satz ausspricht: „Ach, die schauten niemals die holde Serpentina, sie wissen nicht was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist, deshalb spüren sie nicht den Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander bannte [ . . . ] aber ich Unglücklicher werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich liebe, mich nicht rettet" (I. 241). Und mit diesem Wort: wenn sie mich nicht rettet, beginnt, als eine geglaubte Möglichkeit, die Hoffmannsche Utopie. Wir brauchen nur an den erstarrten Kreisler des Fragments zu denken, der sich erst wieder regen kann, als alle Musik in ihm abgewürgt ist, um zu ermessen, was hier postuliert wird. Auch an den Ausspruch des Kapellmeisters im Roman sei erinnert, mit dem er in einem einzigen Satz den fatalen Zirkel seines Daseins schlägt: „ . . . ein wüstes wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben außer mir selbst suche, da es doch in meinem eignen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer rätselhafter Traum von einem Paradies der höchsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung ängstigt mich mit den Qualen des Tantalus" (III. 3 5 jf)Es sind die Qualen des Anseimus im Kristall: „ - immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug die Lüftchen weg, die im engen Raum noch auf und nieder wallten - (die) Pulsadern schwellen auf, und von gräßlicher Angst durchschnitten zuckt jeder Nerv im Todeskampfe blutend . . . "
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(I. 240), aber während Kreislers N o t nie ein Ende hat, heißt es von dem Studenten schließlich: „Ein Blitz zuckte durch das Innere des Anseimus, der herrliche Dreiklang der Kristallglocken ertönte stärker und mächtiger, als er ihn je vernommen - seine Fibern und Nerven erbebten - aber immer mehr anschwellend dröhnte der A k k o r d durch das Zimmer, das Glas, welches den Anseimus umschlossen, zersprang und er stürzte in die Arme der holden lieblichen Serpentina" (1.24 j). Wir haben dieses Kapitel angefangen mit dem Satz, daß der Mensch nur frei sei als ein Schauender, daß er sich aber als ein Schauender zugleich separiere von aller Menschengesellschaft und von aller Natur. Und wir haben dann gezeigt, wie diese Separation konsequenterweise dazu führt, daß der Schauende in der Gesellschaft und in der Natur nur noch als ein Erstarrter, ein Petrefakt, ein Gliedermann anwesend sein kann. Die zwingende Notwendigkeit, mit der sich dies ergibt, hat uns aber gleichzeitig die Augen geöffnet für die spezifisch Hoffmannsche Utopie, mit deren Hilfe er den ausweglosen Kessel sprengt und - innerhalb der Erzählung, als literarisches Gebäu, als ein von ihm als Autor Geschautes vor dem Helden eine helle und fröhliche Welt entrollt, in welche dieser eintritt, als wäre sie von einer Wirklichkeit mit der bisherigen. Im ,Goldnen T o p f ' sind diese zwei Dimensionen, Erstarrung und Utopie, plastischer, augenscheinlicher herausgestellt, als es sonst meist der Fall ist, auch wenn der Leser - was dem Autor durchaus nicht gegen den Strich geht die Kristallisierung nur als vorübergehendes Malheur des Helden oder als eine pädagogisch notwendige Stufe nimmt, statt als den Endpunkt, von dem aus der Sprung auf eine andere Realitätsebene getan wird. Gerade das Wissen um Hoffmanns Kunst, den Eintritt in das Land Utopia listig zu verwischen, ist für die Interpretation vieler Werke von ausschlaggebender Bedeutung. Die Theorien, nach denen es bei diesem Schriftsteller eine fundamentale Entwicklung auf eine andere, „realistische" Welthaltung hin gebe, w o dann etwa die Künstler und Enthusiasten nicht mehr serapiontische Outlaws sein müßten sondern als zeugungsfreudige Ehemänner und mit allen braven Konventionen versöhnt ein tüchtiges Bürgerleben zu führen vermöchten, beruhen stets auf der Mißachtung oder voreiligen Geringschätzung wesentlicher Symptome. D a ß ein Traugott im ,Artushof' zuletzt das Römermädchen Dorina heiratet (vgl. oben S. j i ) , ist eben nur möglich, weil es im „Land der Kunst" geschieht, und auch die Ehe zwischen Friedrich und Rosa im »Meister Martin' muß vor dem Hintergrund dessen gesehen werden, was man den Nürnberg-Mythos nennen könnte: die schon bei Wackenroder zu findende Ideal-Vorstellung von der Dürer-Stadt „ w o Kunst und Handwerk sich in wackerm Treiben die Hände boten" (II. 416), und die für Hoffmann,
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der sie gleich zu Beginn eine „holde Traumgestalt" nennt (II. 416), unverkennbar eine Atlantis-Variation darstellt. Es ist die Aufgabe von Einzelinterpretationen, all das in den verschiedenen Werken nachzuweisen, wo der „Prozeß" sein heiteres Ende findet; die Voraussetzungen dazu sind grundsätzlich freigelegt.
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V. KAPITEL
ARCHIMECHANICUS
Die Augen des Lesers. Die Identität von Meister Abraham und Johannes Kreisler im Schriftsteller Hoffmann
Das mit allem Seienden schrankenlos kommunizierende Ich, das der spontanen Metaphysik Friedrich von Hardenbergs als energischer Gedanke zugrunde liegt, erscheint im Werk Ε. T. A. Hoffmanns wie in einer Parodie: als eine durchaus analoge Gebärde auf einem grundsätzlich anderen Plateau vollzogen und zu grundsätzlich anderen Effekten geführt. An die Stelle des metaphysischen Horizonts ist ein psychologischer Ansatz getreten; das Identitätstheorem schlägt um in eine autistische oder solipsistische Menschenkunde, die mit Leidenschaft bis zu ihrer letzten, paradoxen Konsequenz vorgetrieben wird. Als repräsentatives Beispiel dafür haben wir die Erzählung ,Die Bergwerke zu Falun' hingestellt, wo sich das arbeitende Ich als das alle Natur, alle Gesellschaft und alles personale Gegenüber schlechthin Verneinende manifestiert. Diese Verneinung um eines erst geahnten und dann ganz und rücksichtslos ergriffenen höheren Innern willen führt folgerichtig auch zu einer Transformation dessen, worin sich der Mensch selber als ein Äußeres erfährt, zu einer Erstarrung des lebendigen Körpers. Damit ist einerseits eine extreme Weiterung des genannten Ansatzes vollzogen, anderseits aber auch ein überragendes Symbol für das Ganze gefunden und gesetzt. Wenn indessen die Geschichte vom Bergmann Elis als die gestaltgewordene Lehre Hoffmanns von der Beschaffenheit des Menschen und seines Verhältnisses zur Welt gelten darf, dann ist die Frage nicht nur erlaubt, sondern geradezu unausweichlich: wo denn in dem antagonistischen Aufriß diese Geschichte selbst, als ein literarisches Gebilde, ein Sprach-Ding, anzusiedeln sei. Allgemeiner gefragt: bedingt die Verneinung von Natur, Gesellschaft und personalem Gegenüber nicht auch eine Verneinung der Sprache? Wenn dem nicht so ist, woher kommt der Sprache der besondere Rang zu? Wenn dem aber so ist, wie verträgt sich dies mit der TatIÍI
sache, daß sowohl die Verneinung wie deren positives Korrelat, die divine Imagination, erst in der Sprache, im literarischen Opus überhaupt zur Erscheinung kommen? Wir geraten nicht zum ersten Mal in den Umkreis dieses Problems. Schon im Anfangskapitel, wo die fundamentale Differenz zwischen dem Kunstwerk als Actus und als Opus, zwischen seiner im Raum der Präformation schwebenden „geschauten" Gestalt und dem durch das „mechanische Geschäft" diesem Bilde nachgeformten Gegenstand als ein eigener und konsequent vertretener Gedanke Hoffmanns dargestellt wurde, lag eine Untersuchung nahe, ob diese Theorie nicht ohne weiteres auf die eigenen Werke des Autors anwendbar sei. Wir haben uns dort aus methodischen Überlegungen zurückgehalten. Und tatsächlich läßt es sich nachweisen, daß zwar Hoffmanns Lehre von der Entstehung des Kunstwerks mit seiner Praxis als Schriftsteller in zahlreichen Punkten korrespondiert, daß aber diese Praxis von jenen Theorien her doch in ein verzerrendes Licht tritt und wichtige Aspekte überdeckt werden. Vor allem erscheinen Aufwand und Gesetzmäßigkeiten des „mechanischen Geschäfts", der eigentlichen Sprach-Werdung, immer wieder verharmlost, sogar ignoriert. Ein eminentes Beispiel dafür findet sich am Schluß des ,Goldnen Topfs', in der Zwölften Vigilie, wo der Autor persönlich in die Erzählwelt hineintritt und seine schriftstellerischen Schwierigkeiten selbst zum Thema macht. Er erklärt sich außerstande, das Glück seines Helden auf Atlantis zu schildern: „Aber vergebens blieb alles Streben, dir, günstiger Leser, all die Herrlichkeiten, von denen der Anseimus umgeben, auch nur einigermaßen in Worten anzudeuten. Mit Widerwillen gewahrte ich die Mattigkeit jedes Ausdrucks" (I. 250). Und er fügt die eindrückliche Bemerkung hinzu: „ . . . so oft ich mich zur Nachtzeit hinsetzte, um das Werk zu vollenden, war es, als hielten mir recht tückische Geister [ . . . ] ein glänzend poliertes Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blaß, übernächtig und melancholisch . . . " (I. 25 of). Dann aber meldet er das Eintreffen eines Briefes vom Archivarius Lindhorst und beschreibt, wie er vom Magier eingeladen wird, wie er im Palmenzimmer Punsch trinkt, wie sich dabei Atlantis mit den seligen Bewohnern Anseimus und Serpentina vor seinen Augen auftut. Und nach dieser Vision heißt es einfach: „ . . . und herrlich war es, daß ich sie (i. e. die Vision), als alles wie im Nebel verloschen, auf dem Papier, das auf dem violetten Tische lag, recht sauber und augenscheinlich von mir selbst aufgeschrieben fand" (I. 254). Da wird also das Machen, die handwerkliche Arbeit, schlankweg übersprungen. Wir wissen auch, weshalb dies geschieht: die Erzählung soll sich selbst als ganz und gar „geschaute" erweisen, als vollkommenes, frei geborenes Produkt der schaffenden Imagination, dem jede 162
Erinnerung an das Fügen und Wägen, an das novellistische Planen, Vorbereiten und Überraschen, an alles Technische nur abträglich sein kann. Die Vision von Atlantis muß als eine helle, im Raum der Präformation fließende Landschaft erscheinen, die widerstandslos auf das Papier des Schreibers gleitet. Man verstehe recht: Hoffmann überspringt das mechanische Geschäft nicht deshalb, weil er sich dessen schämte, sondern er verdeckt den Blick darauf, um die spezifisch serapiontische Qualität seines Werks, das einzige ästhetische Kriterium, zur Erscheinung zu bringen. Denn in Wahrheit liegt die Sache ja umgekehrt: die Aufgabe des Schreibers ist nicht, seine Visionen so frei und leicht wie möglich auf das Papier schwimmen zu lassen, sondern sie auf dem Papier mit Scharfsinn und berechnender Leidenschaft so zu konstruieren, daß sie von da aus ohne Widerstand in die imaginative Welt des Lesers eingehen. Mit den oben verwendeten Termini gesprochen: das Kunstwerk als Opus muß so beschaffen sein, daß es im Leser und durch die Tätigkeit des Lesers wieder zu einem Kunstwerk als Actus wird, als welches es ursprünglich beim Dichter im Raum der Präformation anwesend war. Das heißt aber für ein literarisches Produkt, welches nach den unbestrittensten Definitionen nur in der Sprache und durch die Sprache besteht, daß gerade dieses sein spezifisches Element, die Sprache, nach den Intentionen des Verfassers allein der Daseinsform als Opus zukommt, dem wesentlich vorläufigen, unfertigen, ganz und gar nicht in sich selber seligen Zustand, daß die Sprache, die aus Sprache geformte und begrenzte KunstSache, letztlich ein Teraphim für den Leser ist, eine Spiegel-Gestalt, ein Automaten-Mädchen, das den Lichtschein der Imagination aufweckt und in bezaubernder Brechung zurückwirft. Insofern darf man, um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, die Sprache in der Welt Ε. T. A. Hoffmanns durchaus parallel setzen zu der Art, wie die N a tur, die Geliebte, die Gesellschaft und der lebendige Menschenleib erscheinen. Allerdings muß dabei auch gleich ein Vorbehalt angemeldet werden. Es läge nahe, die radikalen Spracherfahrungen des 20. Jahrhunderts, wie sie in den 60er Jahren erneut auf breiter Ebene an den Tag getreten und für die Poeten Problem und Stimulus zugleich geworden sind, unmittelbar auf Hoffmann zu übertragen. D a würde er dann zu einem Dichter, der aus einer für seine Zeit sensationellen und deshalb auch unverstandenen Erfahrung heraus mit Formeln, Klischees und vorgefertigten Sprachteilen arbeitet und den Stereotypie-Charakter aller Sprache durch diese selbst entlarvt. Ganz unberechtigt wäre der Vergleich gewiß nicht, nur dürfte und darf eines nie vergessen werden: die mechanisierte oder besser, die als ein Mechanisches gebrauchte Sprache Hoffmanns 1 ist stets und von Anfang an auf etwas anderes hin ausgerichtet und steht mit die-
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sem in aktueller Korrespondenz. Das Wort ist bei ihm nicht ein versteinertes Ganzes wie vielerorts in der modernen Lyrik, sondern ein Halbes, das seinen Sinn und seine Erfüllung in dem Augenblick findet, wo es gelesen und von der Imagination entzündet wird. Es ist daher riskant, von „der Sprache" Hoffmanns so zu reden, wie man etwa von „der Sprache" Brentanos oder Mörikes, vom „'Wort" bei Trakl oder Celan spricht. Man löst damit von vornherein einen Zusammenhang auf, der, wenn dem Autor Recht geschehen soll, nicht aufgelöst werden darf. Das Wesen dieser Sprache besteht in ihrer Funktionalität. Sie ist nicht eine zweite Welt, sondern ein Komplex von Impulsen, Reizen und Irritationen, die eine zweite Welt bewirken, im Lesenden erwecken sollen. Und gerade weil sie in summa keine zweite Welt ist, trägt sie auch keinen durchgehenden Maßstab in sich. Das führt dann beispielsweise zu den vielbesprochenen Hoffmannschen Superlativen, dem Superlativischen seiner Texte überhaupt, führt zu der Tatsache, daß man ihn im eigentlichsten Sinne nicht „beim Wort" nehmen kann, weil dieses Wort nie von vornherein gewogen, auf keinen festen, bestehenden Kanon bezogen ist. Und hier liegt schließlich auch der Grund für das befremdliche Phänomen, daß unzählige Lieblingswendungen, ja ganze Sätze, mit denen der Dichter das ihm Heiligste auszudrücken pflegt, wörtlich vom Kater Murr gebraucht werden können, in einem massiv ironischen Sinne also, der nur aus dem Zusammenhang und in keiner Weise aus der sprachlichen Gebärde an sich hervorgeht. 2 Es mag interessant sein, die sogenannten K l i schees oder Formeln Hoffmanns gewissermaßen botanisierend zusammenzustellen und statistisch zu analysieren, aber man entgeht dabei nur schwer der Gefahr, das Halbe in dem oben erwähnten Sinn für das Ganze zu nehmen und die Funktion dieser Sprache, von der aus sie einzig definiert werden kann, außer acht zu lassen. Sie ist wesentlich Substrat, so wie die einzelne Erzählung als Ganzes Substrat der Einbildungskraft ist und erst in der Kommunikation mit dieser lebendig oder eben: zum Kunstwerk wird. Die ästhetische Selbstreflexion bildet, wie wir oft genug feststellen konnten, ein wichtiges Merkmal der Arbeiten Hoffmanns. Es kann daher nicht überraschen, daß er dieses Prinzip — daß nämlich das literarische Opus ein vom Leser ins Leben zu rufendes Bildnis sei - in der Rahmenkonstruktion vieler Erzählungen exemplifiziert und am entstehenden Werk selber den Prozeß durchführt, der sich zwischen diesem und dem Lesenden ereignen 1 V g l . dazu den Forschungsbericht bei Helmut Müller, Untersuchungen zum Problem der Formelhaftigkeit bei E. T . A . H o f f m a n n . Bern 1964. 2 V g l . dazu Herman Meyer, Das Zitat in der Erzählkunst. Zur Geschichte und Poetik des europäischen Romans. Stuttgart 1961, S. i i 4 f i .
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soll. Ein gutes Beispiel dafür stellt ,Die Fermate' dar, die erste unter einem selbständigen Titel stehende Erzählung der ,Serapionsbrüder', die mit dem großen dichtungstheoretischen Vorspiel und dem zuletzt, also unmittelbar vor dieser Geschichte, endgültig formulierten Serapiontischen Prinzip noch sehr eng zusammenhängt. Der Erzählende weist schon im präludierenden Gespräch der Freunde auf das für uns wichtige Strukturprinzip hin: „Ist es euch recht, so gebe ich euch eine kleine Erzählung zum besten, die ich vor einiger Zeit aufschrieb und zu der mich ein Bild anregte. Sowie ich nämlich dieses Bild anschaute, wurde mir eine Bedeutung klar, an die der Künstler gewiß nicht gedacht hatte, nicht hatte denken können, da Rückerinnerungen aus meinem früheren Leben auf seltsame Weise aufgingen und eben erst jene Bedeutung schufen" (II. j6f). Das ist, wenn auch scheinbar auf Grund eines biographischen Zufalls, genau jene polare Spannung zwischen Substrat und aktiver Imagination, von der eben die Rede war. Im Augenblick der Begegnung mit dem Bild wird etwas Neues geschaffen, das weder dem Gegenstand selbst noch der Einbildungskraft vorher zugehörig war. Symptomatisch ist dabei der Terminus „aufgehen"; er fällt immer wieder im Zusammenhang mit dem Serapiontischen Prinzip, so etwa keine zwei Seiten vorher in der bekannten Definition („... das Bild, das ihm im Innern aufgegangen, recht zu erfassen . . . " ) , und zielt direkt auf die Konstituierung des Kunstwerks im Raum der Präformation. Und wenn wir von einer scheinbaren biographischen Ursache dieses Geschehens reden, so hat das seine guten Gründe. Denn es ist zwar so, daß der Held in der Erzählung ausdrücklich mitteilt: „das Bild (stellt) getreu eine Szene aus meinem Leben mit völliger Poträtähnlichkeit dar" (II. 58), (worauf er die Geschichte, die zu dieser Szene führte und die die eigentliche Novelle ausmacht, zum besten gibt), aber die Frage, die sich da sogleich mit Nachdruck aufdrängt, wie so etwas möglich sei, wird nie beantwortet. Hoffmann, resp. der Erzähler Theodor, tut so, als sei es eine weiter nicht überraschende Sache, wenn einer in einer Berliner Kunstausstellung ein Gemälde vorfindet, das mit photographischer Präzision einen Auftritt wiedergibt, den er Jahre früher bei einem Ritt in der Umgebung von Rom in einem kleinen Wirtshaus erlebt hat, ja, auf dem er seine eigene Person im Hintergrund in genau der Stellung erblickt, die er damals für eine Sekunde eingenommen hat. Dabei könnte dieses Faktum oder besser: diese novellistische Trouvaille ohne weiteres zum Ausgangspunkt einer unheimlichen spätromantischen Geschichte um Doppelgängerei und Identitätsverlust werden, und Hoffmann ist gewiß nicht der Mann, der solches erfindet, ohne die potentiellen Weiterungen zu bemerken. Wenn er darauf nicht eintritt, so ist dies ein willentlicher, wenn nicht gar demonstrativer Akt, durch den
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zum Ausdruck kommt, daß ihn an der Erfindung nur die Möglichkeit interessierte — allerdings in höchstem Maß interessierte —, seine Geschichte als die unmittelbare Lebendigwerdung eines Bildes erscheinen zu lassen, und daß er um dieses Zieles willen sogar den Vorwurf eines eigentlichen künstlerischen Fehlers in Kauf nahm. Es ist nämlich in keiner Weise so, daß die Haupthandlung der Novelle, die Selbstfindung eines jungen Musikers über die kurze Liebe zu einer Sängerin (vgl. oben S. 74), von dem ganzen erzählerischen Aufwand um das Bild irgendwie abhängig wäre; sie ließe sich vielmehr völlig und ohne eine Spur von Gewaltsamkeit davon trennen. Anderseits aber kann man auch nicht von einer bloßen Einleitung sprechen, denn seit der präzisen Deskription von „Hümmels heitrem lebenskräftigem Bild" zu Beginn der Erzählung und der Mitteilung des Helden, dies sei eine von ihm real erlebte Szene, bleibt der Leser stets auf den Moment gespannt, wo sich der Lebensbericht mit dem gemalten Auftritt deckt und möglicherweise noch ein besonderes Geheimnis um den Maler an den Tag tritt. Wir werden sogar mitten drin wieder ausdrücklich an diese merkwürdige Exposition erinnert, und zwar vom Freund des Erzählenden: „,Aber', fiel Eduard ein, ,noch fand ich in allem was du erzähltest keinen Zusammenhang mit dem himmlischen Bilde . . ( I I . 71). Die fragliche Schilderung kommt schließlich, — und das Problem des Bildes wird mit dem einzigen Satz erledigt: „Übrigens siehst du, daß die Gesellschaft zu der ich trat, eben diejenige ist, welche Hummel malte . . ( I I . 72). Darauf wird von dem Gemälde überhaupt nicht mehr gehandelt. Die epische Sonderkonstruktion hat für den Autor offenbar ihren Sinn erfüllt, auch wenn dem aufmerksamen Leser eine respektable Frage unbeantwortet bleibt. - Doch wie soll man nun diese Sonderkonstruktion nennen? Es ist zweifellos ein Rahmen, also ein traditionsreiches Element der Novellenkunst, aber dieser Rahmen hat weder die Funktion, das Einzelwerk mit andern solchen zu einem großen geschlossenen Ganzen zu verbinden, noch die Absicht, die berichteten Ereignisse vor eine konstrastierende oder in subtilen Parallelen spielende Folie zu stellen. Nicht ein formales Phänomen liegt hier vor, sondern ein lehrhaftes: ein didaktischer Rahmen, der uns zugleich mit dem literarischen Werk die geistreich verkörperte Theorie vor Augen stellt, wie dieses aufgenommen werden soll. Die grundlegende Beziehung zwischen Substrat und geschauter Gestalt wird vorexerziert, und zwar so, daß die Erzählung, die wir als Lesende in unserm Innern mit unserer eigenen Imagination zum reichen Kunstwerk verlebendigen sollen, ihrerseits als eine aus einer äußern Vorlage erweckte Gestaltung dargestellt wird. Der in einer eigenständigen Spannungskurve durchgeführte Rahmen erscheint somit als die ästhetische Selbstdefinition des Werks, die verhindert, daß
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man die autonome Kreation der Einbildungskraft als einen Blick auf die objektive Welt mißversteht. Noch greiflicher herausmodelliert, findet sich dies in der Novelle ,Doge und Dogaresse' aus dem zweiten Band der .Serapionsbrüder'. Sie beginnt genau gleich wie die ,Fermate', auf einer Berliner Gemälde-Ausstellung. Nach dem Titel hebt der Autor an: „Mit diesem Namen war in dem Katalog der Kunstwerke, die die Akademie der Künste zu Berlin im September 1 8 1 6 ausstellte, ein Bild bezeichnet, das der wackre und tüchtige C. Kolbe, Mitglied der Akademie, gemalt hatte und das mit besonderm Zauber jeden anzog, so daß der Platz davor selten leer blieb. Ein Doge in reichen prächtigen Kleidern schreitet, die ebenso reich geschmückte Dogaresse an der Seite, auf einer Balustrade hervor . . . " (II. 355). Es folgt eine knappe und zugleich präzise Beschreibung des Bildes, wie am Anfang der ,Fermate', und auch hier werden gleich darauf zwei Freunde eingeführt, die davorstehen und sich über das Werk ihre Gedanken machen. Sie stoßen sich an andern Besuchern, welche da streiten, ob der Maler mit dem alten Dogen und der jungen Dogaresse ein bestimmtes historisches Geschehnis oder das gewissermaßen zeitlose Phänomen einer Mesalliance zwischen Greis und Mädchen habe darstellen wollen. Es ist, wie man leicht sieht, ein spezifisch Hoffmannscher Ärger über die grundsätzlich falsche Art, an ein Kunstwerk heranzugehen, nur bleibt den beiden die theoretische Basis ihres spontanen Empfindens unklar. Sie spüren nur, daß das, was sie an dem Gemälde als wesentlich fühlen, mit jener Fragestellung nichts zu tun hat. „,Ich weiß nicht', fing der eine an, ,wie man sich selbst allen Genuß verderben mag mit dem ewigen Deuteln und Deuteln. Außerdem, daß ich ja genau zu ahnen glaube, was es mit diesem Dogen, mit dieser Dogaressa für eine Bewandtnis hat im Leben, so ergreift mich auch auf ganz besondere Weise der Schimmer des Reichtums und der Macht, der über das Ganze verbreitet ist. Sieh diese Flagge mit dem geflügelten Löwen, wie sie der Welt gebietend in den Lüften flattert - O herrliches Venedig!' Er fing an Turandots Rätsel von dem adriatischen Löwen herzusagen: ,Dimmi, quai sia quella terribil fera'" (II. 356). Auch ohne die Anspielung auf Gozzi, Hoffmanns Poeten-Ideal schlechthin, würden wir den Ausruf: „O herrliches Venedig!" unmittelbar neben jene analogen Exklamationen stellen, in denen Rom, Florenz oder „Italia" als die in ein utopisches Licht getauchte „Heimat der Kunst" beschworen wird. Es ist die unreflektierte Sehnsucht nach Atlantis, die den jungen Mann das Turandot-Rätsel rezitieren läßt, und Hoffmann verleiht diesem Urlaut eines wahrhaften Enthusiasten eine seltsame, ans Wunderbare grenzende Wirkung. Die begeistert hingesagte Strophe wird nämlich sogleich beantwortet: „Kaum hatte er geendet, als eine wohl167
tönende Männerstimme mit K a l a f s Auflösung einfiel : ,Tu quadrupede fer a ' " (II. 3 $6). Ein Mann „von hohem edlen Ansehn" steht wie aus dem Boden gewachsen hinter ihnen, „das Bild mit funkelnden Augen betrachtend". Und dieser Fremde, dessen Identität nie aufgedeckt wird,® gibt den beiden nun zunächst eine kurze serapiontische Unterweisung, als sei ihm ihr unausgesprochenes Problem genauestens bekannt: „Es ist ein eignes Geheimnis, daß in dem Gemüt des Künstlers oft ein Bild aufgeht, dessen Gestalten, zuvor unkennbare körperlose im leeren Luftraum treibende Nebel, eben in dem Gemüt des Künstlers erst sich zum Leben formen und ihre Heimat zu finden scheinen" (II. 357). Das ist eine schöne Umschreibung für die Präformation des Kunstwerks. Auf den Fabrikationsakt, die Umsetzung in ein äußeres Dauerndes, geht er allerdings nicht ein; er nimmt ihn als Selbstverständlichkeit, in Anbetracht des vor Augen hangenden Gemäldes mit einem gewissen Recht. Erstaunlicher aber ist die Behauptung, die er gleich nachher tut: „Kolbe mag vielleicht selbst noch nicht wissen, daß er auf dem Bilde dort, niemand anders darstellte, als den Dogen Marino Falieri und seine Gattin Annunziata". Die spontan im erregten Innern des Künstlers entstandene Gestalt soll also, ohne daß dieser selbst davon eine Ahnung hat, zugleich sachgetreu einen bestimmten historischen Moment abbilden. Das überschreitet zwar die Grenze des zumutbaren Unwahrscheinlichen, aber einerseits legt Hoffmann die Aussage einer Mentorgestalt in den Mund, von denen man ohnehin nie weiß, sind es Spinner oder Propheten, und anderseits spielt ihm dieser kleine Unsinn einen großen Vorteil in die Hand. Er kann nun nämlich das Gemälde durchaus als wahres, geschautes Kunstwerk anerkennen und es dennoch gleichzeitig zum Substrat eines neuen schöpferischen Aktes machen, indem er den Fremden jetzt die Vor- und Nachgeschichte dieses vom Maler erfaßten und verewigten Augenblicks erzählen und so das Bild für die zwei Freunde verlebendigen läßt. Der Mann ruft aus: „Habt ihr Geduld, ihr neugierigen Herrn, so will ich euch auf der Stelle mit Falieris Geschichte die Erklärung des Bildes geben" (II. 3$7); und in Form einer Warnung legt er nochmals ein Hoffmannsches Credo ab: „Ich werde sehr umständlich sein, denn anders mag ich
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Es ist wesentlich für die Mentorfiguren, daß ihre Identität rätselhaft oder mindestens leicht schillernd ist und es auch bleibt. Für sie alle gilt, was der Goldschmied in der ,Brautwahl', ein klassischer Mentor, auf die entsprechende Frage antwortet: „Ei, mein liebes Kind, sehr schwer wird es mir zu sagen, wer ich eigentlich bin. Mir geht es so wie vielen, die weit besser wissen, wofür sie die Leute halten, als was sie eigentlich sind!" (II. j89). - Ihre Identität ist ihre Funktion innerhalb der Erzählung. 168
nicht von Dingen reden, die mir so lebendig vor Augen stehen, als habe ich sie selbst erschaut" (II. 357). Darauf wird die Geschichte als respektable historische Novelle in kräftigem Tempo und ohne viel Beiwerk bis zum traurigen Ende durchgeführt. Und kaum hat der Erzähler geschlossen, springt er auf und verschwindet „mit starken raschen Schritten", während die Freunde nochmals vor das Gemälde treten, das ihnen nun ganz anders „aufgeht". Wir haben hier nicht die Absicht, die im ersten Kapitel abgehandelte Theorie zu wiederholen, sondern die Mühe zu zeigen, mit der Hoffmann seinem Publikum die Ars legendi beizubringen sucht. Der didaktische Rahmen zielt nämlich auch diesmal wieder ganz auf die Erzählung selbst. Nur wenn der Autor versichert ist, daß die Leser das Geschilderte als ein frei Geschautes selber wieder schauen, kann er ungehindert schreiben. So paradox es tönt: der leidenschaftliche Erzähler, den der berühmte Falieri-Stoff schon aus purer Skriptorenlust reizt, muß das historische Sujet zuerst umständlich aus der Geschichte reißen, zu einer ahistorischen oder doch nur zufällig mit geschichtlichen Fakten sich deckenden Sache machen, bevor er seinem schaffenden Behagen Raum lassen kann. Dies ist sowohl für die These vom verkappten Realisten Hoffmann wie für die Geschichte der historischen Erzählung überhaupt höchst aufschlußreich. Durch den didaktischen Rahmen, der das Werk als die Vivifikation eines Bildes präsentiert, wird es auf der gleichen Ebene angesiedelt wie die phantastischsten Geburten des Autors und tritt für diesen und seinen idealen Leser unmittelbar neben eine so tumultuarische Schöpfung wie ,Prinzessin Brambilla*. Da nämlich hat Hoffmann die gleiche Veranstaltung auf viel einfachere Weise getroffen: er hat die Bilder, die im literarischen Produkt zum Leben erwachen, gleich als solche mitgegeben und vom Buchbinder in das Bändchen einschießen lassen. Es sind acht Radierungen des geliebten Jacques Callot, Commedia dell' arteSzenen, und jeder dieser Auftritte findet sich im Text bis ins Detail genau wieder. Es wäre grundsätzlich falsch, hier von Illustrationen zu sprechen. Den Bildern kommt nach dem Willen des Verfassers eine entscheidende Funktion zu; das sagt er im Vorwort selbst, unzweideutig und über die Möglichkeit einer verfehlten Rezeption spürbar bekümmert: „Den geneigten Leser f . . . ] bittet aber den Herausgeber demütiglich, doch ja die Basis des Ganzen, nämlich Callots fantastisch karikierte Blätter nicht aus dem Auge zu verlieren" (IV. 2 1 1 ) . Indem der „geneigte Leser" alle paar Seiten von neuem den Text mit der „Basis" in Verbindung zu bringen hat, macht er, ohne es zu merken, eine eigentliche serapiontische Schule durch, die es ihm, falls er hinreichend gelehrig ist, ermöglicht, das funkelnde, schwindlige Chaos in der Weise zu bestehen, daß er zuletzt 169
hinter allem Taumel die eigene arbeitende Imagination und ihre ungeahnte, freiheitschaffende Gewalt erkennt. Denn Hoffmann hat es schon in einem seiner frühsten Stücke, ,Don Juan', festgestellt: „Nur der Dichter versteht den Dichter; nur der poetisch exaltierte Geist (kann) das verstehen, was der Geweihte in der Begeisterung ausspricht" (1.74). Deshalb ist es immer auch die Aufgabe des Dichters, diese rezeptive Exaltation nicht nur zu erwecken, sondern auch vor Fehlgängen und irriger Ausrichtung zu bewahren, und man kann nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, wie ernsthaft und unverdrossen Hoffmann dieser Aufgabe sein ganzes Werk hindurch nachgekommen ist. So wie er seine liebenswürdigsten Helden zur unerhörten Einsicht führt und dann in blitzende Paradiese entläßt, möchte er auch seinen Lesern, und wäre es nur auf kurze Zeit, jene Augen öffnen, deren energisches Licht, wie er unerschütterlich glaubt, das einzige ist, um dessentwillen sich das Leben lohnt. Wenn man das Prinzip des didaktischen Rahmens einmal eingesehen hat, entdeckt man auf Schritt und Tritt entsprechende Vorkehren. So hat etwa der auffällige Kult mit alten, kuriosen Chroniken, der in den Gesprächen der Serapionsbrüder getrieben wird, durchaus nicht nur den Zweck, von einem Steckenpferd des Autors Zeugnis zu geben, sondern liefert immer wieder die Möglichkeit, die einzelnen Werke für Zuhörer und Leser in Relation zu einem genau benannten Substrat zu stellen und also zu verhindern, daß wir sie als „historische Erzählungen" im landläufigen Sinn des Wortes nehmen. Als Beispiel sei nur auf den .Kampf der Sänger' hingewiesen, wo Hoffmann, bevor er mit dem eigentlichen Bericht beginnt, fünf Seiten lang didaktische Umstände macht, die den Rahmen des Angemessenen entschieden überwuchern, eben dadurch aber zeigen, wie sehr das Anliegen den Autor bedrängt. Man könnte geradezu versucht sein, von einer kreatürlichen Angst Hoffmanns vor dem Faktisch-Geschichtlichen zu sprechen, die da ihren Ausdruck finde. Schon vor dem Titel läßt er den Serapionsbruder Cyprian ein erstes Mal das sagen, was ihm so heftig auf den Nägeln brennt: „ . . . ist's euch recht, so lese ich euch eine serapiontische Erzählung vor, zu der mich Wagenseils Nürnberger Chronik entzündet. Vergeßt nicht, daß ich keine antiquarische kritische Abhandlung jenes berühmten Kriegs von der Wartburg habe schreiben wollen, sondern nach meiner Weise jene Sache zur Erzählung, wie mir gerade alles hell in der Seele aufging, nutzte" (II. 274). Dieses „vergeßt nicht!" erinnert unmittelbar an die „demütigliche" Bitte im Vorwort zur ,Brambilla': Hier wie dort ist der Leser angesprochen, mit einem geheimen, fast flehentlichen Unterton. Und ebenso bezeichnend ist die Wendung, er habe „jene Sache genutzt", d. h. die Chronik, wie andern170
orts die Zeichnungen Callots, zur „Basis des Ganzen" genommen, zum poetischen Teraphim, und ja nicht etwa als Brücke in die tatsächliche Vergangenheit. Mit diesen Sätzen, so will es scheinen, wäre seiner Sorge eigentlich ausreichend Luft gemacht, aber in Wahrheit ist die lesepädagogische Aktion damit erst präludiert. Nun wird des längern geschildert, wie einer am Kaminfeuer Wagenseils Chronik liest, wie er darüber ins Sinnieren kommt und bald auch sein „inneres Auge" (II. 275) aufschlägt, wie er sich in einer amoenen Landschaft findet, schöne Ritter und Damen ziehen sieht und schließlich in die Frage ausbricht, wer denn die „herrlichen Menschen" seien. „Da sprach eine tiefe Stimme hinter ihm: ,Ei, lieber Herr, solltet ihr nicht die erkennen, die ihr fest in Sinn und Gedanken traget?' Er schaute um sich und gewahrte einen ernsten stattlichen Mann mit einer großen schwarzen Lockenperücke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art gekleidet, wie man sich ums Jahr eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph Wagenseil . . . " (II. 276). Diese Gestalt erscheint genau so, wie sie vorn in der Chronik auf einem prächtigen barocken Kupfer abgebildet ist, und die von Hoffmann erwähnte Jahrzahl ist das vom Stecher seiner Signatur mit feiner Schrift beigefügte Datum.4 Wagenseil führt den Träumer gleich darauf zu den Minnesängern und zeigt und beschreibt ihm jeden einzelnen. Also: Hoffmann stellt dem Leser als Vorspiel einen Raum vor Augen, wo Menschen verschiedenster Zeiten zugleich auftreten,5 und zwar im Sinne eines gezielten Kommentars zur folgenden historischen Novelle, die damit, wie ,Doge und Doga-
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V g l . J o h a n n Christof Wagenseils Buch v o n der Meister-Singer Holdseliger Kunst A n f a n g / Fortübung / Nutzbarkeiten / und Lehr-Sätzen. E s wird auch in der Vorrede von vermuchlicher H e r k u n f f t der Ziegeiner gehandelt' (ohne J a h r und O r t ; ? Nürnberg 1 6 9 7 ) . 5
E s handelt sich hier um eine Konstante des Autors, die sehr o f t in die C h a rakterisierung der Mentoren hineinspielt und schon in einer Aufzeichnung aus der frühen Bamberger Zeit dokumentiert ist, w o es heißt: „ E s müßte spaßhaft seyn Anekdoten zu erfinden und ihnen den Anstrich höchster Authentizität durch Citaten u. s. w . zu geben, die durch Zusammenstellung v o n Personen, die Jahrhunderte aus einander lebten oder ganz heterogener V o r f ä l l e gleich sich als gelogen auswiesen. - Denn mehrere würden übertölpelt werden und wenigstens einige Augenblicke an die Wahrheit glauben" ( V . 883). Hier liegt u. a. der Keim zum ,Ritter Gluck'. Die Begriffe „ s p a ß h a f t " und „übertölpeln" dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß H o f f m a n n da eines seiner großen Faszinosa f o r muliert. E r weiß z w a r noch wenig damit anzufangen, aber bereits,Ritter G l u c k ' f ü h r t weit über das „ S p a ß h a f t e " hinaus, und aus dem „Übertölpeln" w i r d später einmal das, was w i r als das Ziel der serapiontischen Schulung des Lesers erklärt haben. Ein imponierendes und allgemein unterschätztes Beispiel f ü r die hier angelegte Methode ist die späte Erzählung ,Die Räuber*.
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resse', als ahistorisch, ja letztlich antigeschichtlich deklariert wird. Wichtig ist nur das Verhältnis von Chronik und Erzählung als dasjenige von Substrat und Schau; die andere Relation, zwischen Chronik und mittelalterlicher Wirklichkeit, fällt völlig außer Betracht. Und wenn H o f f mann am Schluß dieser Ouvertüre schreibt: „Möchte der erzählte Traum in dir, geliebter Leser, ähnliche Empfindungen erregen" (II. 279), so macht er damit die Absicht des Unterfangens nochmals und endgültig deutlich. N u n ist es aber an der Zeit, ganz entschieden auf den Widerspruch hinzuweisen, der da vorliegt. Hoffmann insinuiert dem Leser hartnäckig die spontane Traumgeburt der jeweiligen Novelle, gebraucht dazu jedoch epische Hilfskonstruktionen, scharfsinnige Rahmen und eigens erfundene Erzähler, die gerade durch ihren offenbaren Gerüst-Charakter jener vorgespiegelten Beschaffenheit zuwiderlaufen. Ein ungewolltes Eingeständnis dieses Sachverhalts findet sich im Zusammenhang mit ,Doge und Dogaresse': da hat er, wie wir oben zeigten, eine Mentorgestalt erdacht, welche die Geschichte berichten muß, und zwar so, daß diese ganz und gar als ein im Innern „Aufgegangenes" erscheint, das wie von selbst nach außen tritt und fraglos unmittelbar zum kommunikativen Opus, zum Sprach-Gebild wird. A m Schluß aber, als die Geschichte fertig und der fiktive Erzähler „mit starken raschen Schritten" verschwunden ist, lassen die Serapionsbrüder noch ein paar wohlwollende Sätze darüber hören. Der erste fügt sich bruchlos ins Bild: „Die Freunde lobten die Erzählung und waren einstimmig im Urteil, daß Ottmar die wahre Geschichte des [ . . . ] Marino Falieri auf echt Serapion tische Weise benutzt habe" (II. 400). Demnach stimmt die Tätigkeit des schreibenden Serapionsbruders durchaus mit der des geschilderten Rahmenerzählers überein. Dann hingegen heißt es: „Ottmar [ . . . ] ließ es sich aber sauer werden, als er die Erzählung schrieb. Denn außerdem daß ihn das hübsche Bild unseres wackern Kolbe zu dem Ganzen begeistert, lag Le Brets Geschichte von Venedig immer aufgeschlagen auf dem Tische und das ganze Zimmer hatte er mit pittoresken Ansichten von den Straßen und Plätzen Venedigs geschmückt, die er Gott weiß w o überall aufgetrieben" (II. 400). Dieser Schriftsteller, den wir für einen Moment wie durch einen Vorhangspalt an der Arbeit sehen — ein kleines, aber kostbares Genrebild —, dieser Schriftsteller deckt sich nun ganz entschieden nicht mehr mit dem geheimnisvollen Erzähler in der Kunstausstellung, der das schöne Bild vor den Freunden lebendig werden läßt. Was im didaktischen Rahmen und ähnlichen, auf die Schulung des Lesers berechneten Veranstaltungen so o f t vertuscht, wenn nicht glatt geleugnet wird, daß es nämlich mit dem „Schauen", mit dem „Aufgehen des Bildes" nicht getan ist,
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sondern daß es sich einer auch noch „sauer werden lassen" muß, daß das mechanische Geschäft kein Ärmelschütteln, sondern umständliche, zeitraubende, auf alle möglichen Mittel und Instrumente angewiesene Arbeit ist, das gibt dieser Abschnitt unverhofft zu. Der Poetentypus, den „Ottmar" im Rahmen seiner Geschichte vorführt, wird damit vom Autor contre coeur als einseitig stilisiert entlarvt. Und diese Tatsache zeigt nichts anderes, als daß der Unterschied zwischen dem Kunstwerk als Actus und als Opus, resp. die tief in Hoffmanns Welterfahrung begründete Unfähigkeit, diese beiden Dimensionen der ästhetischen Tat in einer Einheit zu denken, mit starken Tinten auf die von ihm erfundenen Künstlergestalten abgefärbt hat. So wie er die Entstehung des Opus um des Actus willen überspringt oder unterschlägt, zeigt er uns auch den Künstler immer wieder als den großen „Schauenden", der zwar gelegentlich in eine Baisse gerät, aber nach deren Uberwindung das Geschaute erneut wie im Traum aufs Papier bringt. Und da sind wir dann richtiggehend verblüfft, wenn plötzlich einer vor unsern Augen an der Feder kaut. Woher kommt diese Hemmung? Was hindert Hoffmann, seine exemplarischen Dichter, Maler und Musiker auch bei der zeitraubenden Arbeit am Material zu zeigen, beim unverdroßnen Bemühen, das Geschaute in dem ihrer jeweiligen Kunst eigenen Stoff nachzuformen? Warum läßt er die Serapionsbrüder bis an den Rand des Überdrusses ihr Prinzip wiederholen, aber kaum ein Wort verlieren über die vielen erzähltechnischen Fragen, die sich aus den ganz verschieden konstruierten Novellen ergeben? Warum bleiben die atemraubendsten Kunststücke mit doppelten und dreifachen Rahmen, die virtuosen Perspektiven, die Vorberichte und Rückblenden, die gezielt eingesetzten Spannungsmittel, die unverhofften humoristischen Verfremdungen und Umschläge, warum bleibt die ganze subtile Mechanik unerörtert, obwohl den Dichter persönlich solche Dinge stets beschäftigt haben müssen? Denn an einer eigentlichen erzähldramaturgischen Leidenschaft Hoffmanns ist nicht zu zweifeln. Ein Werk wie ,Prinzessin Brambilla', dieses scharfsinnige, bis in den letzten Satz geplante und durchdachte Furioso, dessen labyrinthische Verknäuelung keiner auf Anhieb aufzulösen vermag und dessen außerordentlicher intellektueller Reiz doch gerade in diesem ständigen Vexierspiel besteht, ein solches Werk kann nur von einem Autor stammen, der das Schreiben nicht zuletzt als die Kunst einer hochartistischen Lesermystifikation begreift und zu diesem Zweck auch über ein stupendes Instrumentar verfügt. Aber davon sagt er kein Wort, sondern stellt das nazarenisch angehauchte Bildnis des milden Narren Serapion wie einen breiten Wandschirm vor sein klirrendes Laboratorium.
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Also nochmals: was hindert Hoffmann, diese seine tägliche Schreiber-Erfahrung, die zweifellos auch einen beträchtlichen Teil seines SchreiberVergnügens ausmacht, an den von ihm erfundenen Künstlern ebenfalls zur Anschauung zu bringen? - Offenbar fürchtet er etwas, und zwar aus einer Tiefe heraus, wo sich die Gefühle selbst begründen. Er fürchtet um den Karfunkel, das geglaubte Absolutum, das ebendiesen Absolutheitsanspruch verliert, sobald seine Tätigkeit zum Mittel wird. Und sie wird es in dem Moment, wo man das Kunstwerk wesentlich als das in Raum und Zeit gefertigte Gebilde begreift, als ein zu erringendes Äußeres. Genau diese Vorstellung aber muß der Dichter selbst dem Leser wohl oder übel insinuieren, wenn er einen Künstler im Kampf mit der Materie zeigt, feilend, verwerfend und verbessernd, wie es die Schaffenden selber sonst der Welt so gern als ihr heroisches Tun vor Augen rücken. Da verbietet sich ihm jedes Risiko, und selbst das erwähnte kleine Genrebild kann er nur rasch zwischenhinein anbringen, am Ende einer Erzählung, die uns die Differenz zwischen Substrat und Schau einmal mehr gründlich beigebracht hat. Eben diese Erkenntnis aber, daß und warum Hoffmann an seinen Künstlern einen von ihm persönlich aufs lebhafteste erfahrenen Aspekt der Arbeit systematisch unterschlägt, öffnet uns nun unverhofft den Zugang zu einem Figuren-Typus, der von jedem Leser als ein Spezifikum des Dichters empfunden wird und mit dem wir trotzdem bislang eigentlich wenig anfangen konnten: zum Mechanicus. Dieser nämlich ist die genaue Komplementärfigur zum serapiontischen Künstler. Er schlägt sich ex officio mit dem Stoff herum, er bastelt und konstruiert, er schraubt und hämmert und nietet, kurz: er verfertigt Opera, wo jener andere „schaut" und das Werk als Actus setzt. Und genau so, wie Hoffmann den Serapiontikern, den „wahren Künstlern", das mechanische Geschäft wider besseres Wissen abnimmt, hütet er sich umgekehrt bei den Mechanici in auffälliger Weise, von Künstlertum zu sprechen, auch wenn ihm die Sympathie zu ihnen in allen Fingern vibriert. Diese ausgeprägte Dichotomie ist der unmittelbare Ausdruck der Actus-Opus-Spannung im Rahmen der Künstler-Typologie. Und nun wird es vielleicht auch verständlich, warum wir uns immer so entschieden dagegen gewehrt haben, die Gestalt des serapiontischen Künstlers, des Kapellmeisters Kreisler beispielsweise, mit der historischen Person Hoffmanns schlankweg zu identifizieren. Er selber ist nämlich beides: Serapion und Mechanicus, ist es zugleich und untrennbar, auch wenn er in seinem ganzen Werk keine einzige Figur geschaffen hat, welche die zwei Dimensionen zu so bruchloser Einheit verbindet. Es ist der Mechanicus Hoffmann, der aus einer einfachen Fabel einen Komplex von spannenden und kunstvoll ineinander verschränkten 174
Erzähleinheiten macht; der die Helden in die verworrensten Situationen führt und dann die verblüffendsten Auswege findet; der in seinen beiden Romanen bei scheinbarem Durcheinander aller Verhältnisse eine erstaunliche Zahl paralleler Handlungsstränge ständig präsent und straff in Händen hält. Es ist der Mechanicus Hoffmann, der die Kunst des Fertigmachens - die crux fast aller seiner Zeitgenossen - in so bewundernswerter und noch ganz ungenügend gewürdigter Weise beherrscht. Und es ist schließlich der Mechanicus Hoffmann, der jene ausgeklügelten didaktischen Veranstaltungen trifft, welche dem Leser das Bild vom rein „schauenden", aller Planung und Berechnung abholden Künstler nahelegen sollen. Das einzige Absolutum ist für ihn die divine Imagination; aber eben deshalb behandelt er die Sprache als ein wesentlich mechanistisches Medium und treibt seine Erzählkunst wie ein Automatenbauer. Und jetzt, da wir dieses Prinzip einigermaßen klar formuliert haben, finden wir es in den Werken selber unübersehbar Gestalt geworden. Die im Autor innig verfügte Doppelheit Serapion / Mechanicus steht als das Freundespaar Kreisler / Abraham im Zentrum des Romans ,Kater Murr'. In dieser Form, als zwei einander herzlich zugetane Männer, hat H o f f mann seine eigene ästhetische Janusköpfigkeit zur genauesten ihm jemals möglichen Anschauung gebracht. Dabei muß hier gleich ein warnender Einwand vorgeschoben werden. Es gibt bei Hoffmann keine Mechanicus-Theorie, wie es eine Künstler-Theorie gibt. Die Konstrukteure und Maschinenmacher üben auf ihn seit frühster Zeit eine außerordentliche Faszination aus, aber es wird ihm bei dieser Zuneigung nie recht wohl. Er zeigt sich zwar über Kleists Marionetten-Aufsatz begeistert (vgl. an Hitzig, i . Juli 18x2), doch nicht, weil ihm die grandiose chiliastische Metapher als solche eingegangen wäre sie hätte ihm auch bei größerer Neigung zu streng philosophischem Denken fremd bleiben müssen - , sondern weil hier ein verehrter Autor jenes Thema als solches sanktioniert, an dem er mit schwankendem Gewissen ein so fragloses Wohlgefallen hat. Schon im Jahre 1803, zur Zeit seiner Verbannung nach Plock, als er versucht, sich von seiner jammervollen Abgeschiedenheit aus einen Namen als Künstler zu machen und fast gleichzeitig an den Zürcher Musikalienverleger Hans Georg Nägeli eine Komposition (c-Moll-Fantasie), an den Berliner ,Freimüthigen' eine musik- und literaturtheoretische Abhandlung (,Schreiben eines Klostergeistlichen') und an den Dramatiker Kotzebue das Lustspiel ,Der Preis' einsendet, findet sich im Tagebuch - neben Stoßseufzern über den „lyrischen Traum des wirksamen freien Künstlerlebens" (8. Okt.) — der bezeichnende Satz: „Mir vorgenommen einmal wenn die gute Zeit da sein wird zu Nutz und Frommen aller Verständigen die ich bei mir sehe ein Automat
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anzufertigen! - Quod deus bene vertat!" (2. Okt. 1803). Da haben wir durch einen glücklichen Zufall die Hoffmannsche Personalunion von Meister Abraham und Johannes Kreisler bereits aus· frühen Jahren dokumentiert, wobei von dem prinzipiellen Zweifel allerdings noch nichts zu spüren ist, den man später immer wieder feststellen kann. Für diese letztere Tatsache besonders aufschlußreich ist die Erzählung ,Die Automate' (das Wort ist als Pluralform zum Singular „das Automat" zu lesen). Obwohl das Werk heute im zweiten Band der ,Serapionsbrüder' steht, ist es bereits im Januar 1814 entstanden, i.e. in Dresden zur Zeit der ,Fantasiestücke'. Der Brief, mit dem Hoffmann es der .Allgemeinen Musikalischen Zeitschrift' zustellte, versucht, die Themenwahl und die Länge der Arbeit zu rechtfertigen, und dabei fällt der vielsagende Satz: „ . . . weil ich Gelegenheit gefunden mich über alles, was Automat heißt auszusprechen . . . " (an Rochlitz, 16. Jan. 1814). Das nimmt sich, von dem zwiespältigen Ergebnis her gesehen, eher euphemistisch aus; in Wahrheit müßte er nämlich schreiben : . . . weil ich Gelegenheit gesucht, mir über alles, was Automat heißt, klar zu werden. Denn das ist der offensichtliche Stimulus des Werks, und man kann bei der Lektüre dem ernstlichen, ja erregten Bemühen des Autors den Respekt nicht versagen. N u r : was zuletzt dasteht, ist die eklatanteste Konfusion. Seine Methode, mit einem Problem dadurch zu Rande zu kommen, daß er daraus eine Geschichte macht, dieses für den mühsamen Denker und souveränen Erfinder so bezeichnende Vorgehen, dem wir viele seiner besten Sachen verdanken, scheitert hier völlig. Er bringt zwar, dem Versprechen gemäß, beinahe alles zur Sprache, „was Automat heißt", und verknüpft es geschickt mit dem „Prozeß" eines jungen Enthusiasten - nebenbei: eine reizvolle Variation der gemalten Geliebten - , aber er zieht aus diesen richtigen und instinktsicher gesetzten Prämissen keine Folgerungen, weder als Erzähler noch als Theoretiker, sondern gerät in ein irritierendes Hin und Her von positiven und negativen Urteilen über die diversen Maschinenwesen, das bis zum Schluß entschieden widersprüchlich bleibt. Es gibt wohl keinen einigermaßen eingeschulten Hoffmann-Leser, der von dieser Arbeit nicht in ganz besonderer Weise enttäuscht würde; denn das echte Anliegen des Dichters ist durchwegs spürbar, und man erwartet fortwährend einen grundsätzlichen Aufschluß, der dann eben doch nicht kommt. Was aus dem Ansatz des Ganzen schließlich hervorgehen müßte, wäre die Lehre vom Teraphim und vom Teraphim-Charakter jedes gefertigten, in Raum und Zeit zu dauernder Gestalt gefügten Kunstwerks. Hoffmanns spontane Lust an den Automaten ließe sich dann rechtfertigen als das Vergnügen an der mechanischen Spiegelgestalt, die das Licht der Imagination weckt und reflektierend sichtbar macht. Und tat-
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sächlich streift der Dichter in einigen Abschnitten haarscharf an dieser Lösung vorbei, so etwa, wenn er über die Funktion des MechanischInstrumentalen in der Musik sagt: „Ist es denn nur allein der aus dem Munde strömende Hauch, der dem Blasinstrumente, sind es nur allein die gelenkigen geschmeidigen Finger, die dem Saiteninstrumente Töne entlocken, welche uns mit mächtigem Zauber ergreifen [ . . . ] ? Ist es nicht vielmehr das Gemüt, welches sich nur jener physischen Organe bedient, um das, was in seiner tiefsten Tiefe erklungen, in das rege Leben zu bringen, daß es andern [ . . . ] die gleichen Anklänge im Innern erweckt, welche dann im harmonischen Widerhall dem Geist das wundervolle Reich erschließen [ . . . ] ? " (II. 347). Da ist unüberhörbar von der Actus-Opus-Differenz die Rede, vom Opus als dem mechanistischen Medium, das den Actus des schaffenden Künstlers in der Einbildungskraft des Rezipierenden wiederum entstehen läßt. Auch das Verhältnis zwischen Ferdinand, dem Protagonisten der Erzählung, und dem „redenden Türken", dem von einem reisenden Mechanicus vorgeführten homme machine, läuft im Grunde auf dieses Prinzip hinaus (das Orakel der Kunstfigur ist das Echo dessen, was ungehört aus dem Innern des Fragenden tönt), weshalb wir oben gesagt haben, daß der novellistische Ansatz Hoffmanns eigentlich richtig und potentiell fruchtbar sei. Was ihn nun aber scheitern läßt und in den erwähnten Wirrwarr führt, ist nicht der Umstand, daß er das von uns eben prinzipiell Herausgestellte nur schwerfällig und in fahrigen Konturen zu formulieren vermag, sondern daß sich daraus unerhörte Folgerungen ergäben. Er schreckt ganz einfach vor dem Gedanken zurück, daß, sobald das Kunstwerk ausschließlich im kreativen Akt der durch ein mechanistisches Substrat erweckten Einbildungskraft besteht, dieses Substrat, das Opus, in letzter Konsequenz ebensogut eine Marionette wie die Madonna von Raffael sein kann, ebensogut eine Musikdose wie das Quartettspiel lebenlang geschulter Meister. Wir haben im ersten Kapitel gesehen, daß er diesen Schluß als reiner Erzähler, der sich von seinen Gestalten jederzeit distanzieren kann, tatsächlich zieht - man denke an die Geschichte des Barons von Β. (II. 743ff) —, aber der expliziten theoretischen Bewältigung, die zudem nicht beim Phänomen der Einbildungskraft, sondern beim Phänomen des Substrats beginnt, also rein methodisch den tückevollsten möglichen Weg einschlägt, dieser Bewältigung ist er nicht gewachsen. Es muß daher ausdrücklich davor gewarnt werden, einzelne Dikta dieser Schrift als (scheinbar autorisierte) Grundlage für Hoffmann-Interpretationen zu benutzen. Allerdings ist hier auch zu sagen, daß man sich zwar eine luzidere Abhandlung über „alles, was Automat heißt", denken kann, daß aber eine auf diskursivem Weg gewonnene, unanfechtbar schlüssige Lösung bei den 177
gegebenen Voraussetzungen in sich unmöglich ist. Hoffmann kapituliert zweifellos zu früh, er hätte jedoch in jedem Fall kapitulieren müssen. Denn an den Karfunkel, der als ein Absolutum der ganzen durch ihn bis zur Belanglosigkeit relativierten Außenwelt gegenübersteht, kann man wohl glauben, ein Traktat darüber, der sich allen Fragen der unbestechlichen Vernunft stellt und sie schrittweise zu erledigen unternimmt, würde hingegen notwendigerweise in den klaren Unsinn münden. Deshalb haben wir den Mythologem-Charakter von Hoffmanns Imaginationsbegriff so entschieden betont. Und diese Aporie steckt in unverminderter Schärfe auch hinter dem Axiom von der radikalen Actus-OpusDifferenz und tritt unerbittlich an den Tag, sobald versucht wird, ein Schlüsselphänomen wie die Automaten grundsätzlich zu behandeln. Nun hat aber gerade die Tatsache, daß Hoffmann diesen ihn aufs innigste faszinierenden Themenkreis um die Automaten und Mechanici auf keinen praktikablen Nenner zu bringen vermag, eine durchaus erfreuliche Folge. Denn was dem Theoretiker dabei entgeht, kommt vervielfacht dem Erzähler zugute. Für diesen behält der Komplex eine rätselhafte Magie. Er kommt sein ganzes Werk hindurch immer wieder darauf zurück, entwirft stets neue Figuren aus dieser Sphäre, und alle haben etwas erregend Zwiespältiges, Schillerndes, bald ins Unheimliche, bald ins Böse, bald ins bloß Skurrile Spielendes an sich, eine inkommensurable Dimension, die gerade bei einem zu Stereotypien neigenden Schriftsteller von größter künstlerischer Bedeutung ist. Wenn die jugendlichen Helden Hoffmanns allzu oft nach einem Muster geschneidert wirken, so weisen die Mechanici immer eine ganz eigene, unvertauschbare Physiognomie auf. Selbst dort, wo er sie als Beispiele für das falsche Selbst- und Weltverständnis einsetzt, das nichts vom Karfunkel weiß - etwa Swammerdamm und Leuwenhoek im .Meister Floh' - ,erschafft und schildert er sie mit einer erzählerischen Intensität, welche die Qualität des ganzen Werks wesentlich hebt. Oder man denke an den unvergleichlichen Anfang der ,Jesuiterkirche in G.', an die nächtliche Arbeit des Malers Berthold in dem leeren, von einer einzigen Fackel erhellten Gebäude! Auf ähnliche Art versucht, von der Interpretation in eine Laudatio abzugleiten, ist man angesichts der Figur des Paten Drosselmeier im ,Nußknacker', jenes Mechanicus, dem Hoffmann am meisten autobiographische Züge beigegeben hat und den er ebenfalls in einer so merkwürdigen Schwebe zwischen Sympathie und hintergründiger Graulichkeit hält. Drosselmeier ist zudem eine Gestalt, in welcher Mechanicus und Geschichtenerzähler pointiert identifiziert werden, ein Faktum, das für die Überlegungen dieses Kapitels von großem Gewicht ist. Daß Drosselmeier wiederum mit keiner andern Figur mehr gemeinsam hat als mit Coppelius / Coppola im
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,Sandmann', dem Konstrukteur des Automatenmädchens Olimpia, der dem unglücklichen Nathanael als die Verkörperung des Bösen schlechthin vorkommt, haben wir bereits früher festgestellt. Aber auch die königlichsten Mentorgestalten Hoffmanns, die überlegenen Magier vom Schlage des Archivarius Lindhorst und des Prosper Alpanus, entdecken sich stets zugleich als große Mechanici, die mit magistralen optischen und automatischen Veranstaltungen die Imagination der ahnungslosen Helden wecken, lenken und zuletzt vor den erlösenden Spiegel führen. Die ganze Spannweite, in der sich der Mechanicus-Typ bei Hoffmann bewegen kann, ist schon in der Schrift ,Die Automate' abgesteckt - wenn auch, um es nochmals zu sagen, weder theoretisch noch erzählerisch bewältigt - , und zwar an der Figur des „Professors X . " , der zuerst als ein dubioser Scharlatan vorgeführt wrid, mit „unangenehm stechenden" Augen und einer „höchst widrigen" Stimme, die „zu der marktschreierischen Art paßte, womit er seine Kunstwerke ankündigte" (II. 345), der den Freunden ein Konzert automatischer Musikanten vorführt, vor dem sie sich entsetzen, und der dann am Schluß doch wieder als ein geheimnisvoller Eingeweihter, ein souveräner Lenker aus der Ferne dasteht: „Sein geheimnisvolles Laboratorium sei ein schöner Garten bei der Stadt, und oft hätten schon Vorübergehende seltsame Klänge und Melodien ertönen gehört, als sei der Garten von Feen und Geistern bewohnt" (II. 353). Der Mechanicus: es ist der Mann, der den Teraphim baut. Wenn er diesen verwechselt mit dem wahren Kunstwerk, ist er eine schlimme Figur, Urbild des verkehrten Künstlers. Wenn er ihn, wissend und erfahren, als das Medium gebraucht, den Enthusiasten zur Begegnung mit sich selbst zu leiten, mit dem schaffenden Karfunkel, ist er der große, aller Verehrung werte Magier. Wenn der „Prozeß" des Enthusiasten aber scheitert, fällt auf ihn ein dämonisches Licht, und wir sehen ihn, mit-leidend mit dem Helden, als einen höhnischen Verführer. Und diese von uns etwas scholastisch aufgetrennten Funktionen greifen im konkreten Fall immer ineinander, überdecken sich teilweise und wandeln sich parallel zur Bewußtseinskurve des jeweiligen Protagonisten. Und noch etwas fällt auf: gerade an den Mechanici, die im Gegensatz zu den serapiontischen Künstlern in der Gesellschaft nicht als Gehetzte, sondern mit trotziger Sicherheit auftreten, wird stets wieder eine versteckte Melancholie sichtbar, etwas trauervoll Resigniertes, das Skurrilität und grimmige Ausbrüche nur unvollkommen verschleiern. Es ist nicht das jähe Auf und Ab von Exaltation und Verzweiflung, wie es jene andern charakterisiert, sondern eine gründlich eingelagerte Stimmung, an der nichts zu ändern ist. Sie tritt etwa im Verlauf der erwähnten Exposition der ,Jesuiterkirche in G.' am Maler Berthold schrittweise an den 179
Tag. Dieser kommt uns zuerst als gelassener und überlegter Kunst-Arbeiter vor, in jener Szene, wo es Hoffmann gelingt, einen Maler als reinen Mechanicus zu zeigen, der das Opus ohne den vorlaufenden Actus zustande bringt und doch nicht als ein übler Scharlatan verurteilt wird. Es ist ein Auftritt, der, wenn wir systematisch denken, in der genausten möglichen Opposition steht zu den im ersten Kapitel behandelten Malern vor der leeren Leinwand! Der Erzähler berichtet: „Als ich bei der Jesuiterkirche vorüberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, daß vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Näher gekommen bemerkte ich, daß vor der Blende ein Netz von Bindfaden aufgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau überzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte über den sinnreichen Einfall. Bist du, günstiger Leser, mit der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere Erklärung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold in die Blende hineinzeichnete, für eine Bewandtnis hat. Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Große zu übertragen, mußte er beides, den Entwurf und die Fläche, worauf der Entwurf ausgeführt werden sollte, dem gewöhnlichen Verfahren gemäß mit einem Netz überziehen. Nun war es aber keine Fläche, sondern eine halbrunde Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate, die die krummen Linien des Netzes auf der Höhlung bildeten, mit den geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen Verhältnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl hütete ich mich vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich, um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer, vielleicht war es nur die Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht war gerötet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen . . ( 1 . 4 i 6 f ) . Später zeigt es sich, daß er auch seine Farbtöpfe und die zu tingierenden Flächen zum voraus mit entsprechenden Zahlen beziffert hat und nun sein Werk in der Nacht vollkommen richtig kolorieren kann, obwohl er die Farben optisch nicht zu unterscheiden vermag und kaum mehr als Grau in Grau sieht. Wir wissen, mit welcher Schärfe Hoffmann über eine solche Kunst-Praxis richten könnte, die er hier mit unverkennbarer Anteilnahme beschreibt, und daß er das „innere Wohlbehagen" dieses Konstrukteurs als Symptom des übel-
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sten „Philistrismus" zu bezeichnen imstande wäre. Aber Bertholds „inneres Wohlbehagen" stammt eben nicht aus dem verkehrten Kunstverständnis eines Mannes, der nichts vom Karfunkel weiß, sondern es stellt sich nur gelegentlich ein, in den Augenblicken intensivster Hand-Arbeit, als die flüchtige Heiterkeit auf dem Fundus einer tiefen Melancholie. Diese tritt denn auch mit dem Ende des Werks und dem nahenden Tag immer stärker wieder in ihr Recht: „Der Morgen dämmerte, der Schein der Fackel verblaßte vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold malte eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne Laute zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepreßten Brust" (I. 420). Und der ganze Abschnitt endet mit dem Satz: „Die hellen Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblaß zerstörtes Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in das Innere des Kollegiums" (1.421). Es geht uns hier nicht um das Schicksal dieses Mannes, nicht um die Vorgeschichte und die Geheimnisse seiner Biographie, sondern um den Typus, den er, unabhängig vom Novellenkontext, verkörpert. So wie ein Kreisler angesichts der Aufgabe, seine „Schau" ins Materielle umzusetzen, verzagt und alles Aufgeschriebene gleich wieder verbrennt, leidet die komplementäre Figur, der Mechanicus, am Wissen, daß alles, was er baut und fertigt, leblos bleibt, wenn es nicht von einer serapiontischen Imagination erfaßt und überformt wird. Und gerade über die hat er keine Macht. So muß auch der Pate Drosselmeier im ,Nußknacker' mit zorniger Resignation zusehen, wie die Kinder sein wunderbares, von Klang und Lichtern erfülltes automatisches Schloß nach kurzer Zeit mit schnöden Worten ablehnen (wir haben die Szene oben S. 88 ausführlich dargestellt), wie sein Teraphim eine tote Puppe bleibt. Dabei geht es dort allerdings so weiter, daß Drosselmeier, in einem zweiten Anlauf, an die Stelle des Schlosses sein Märchen setzt und damit das Ziel doch noch erreicht: dieses Opus wird vor den schauenden Augen der kleinen Marie tatsächlich lebendig. Auch hier fällt uns wieder der Autor Hoffmann selbst ein, seine oben nachgewiesene Angst, die Leser könnten vor seinen Gebilden versagen und ihnen das farbige Leben vorenthalten, auf das hin er berechnet und gebaut hat und das eben nur im Strahl der rezipierenden Phantasie aufbricht. Aus dieser Angst heraus greift er immer wieder zu Mitteln, die ihm schon zu Lebzeiten den Vorwurf überreizter und künstlerisch fragwürdiger Effekte eingetragen haben, schlägt wirbelnde Tempi an, arbeitet mit krassen Umschlägen und unvorbereiteten Kontrasten und läßt Geheimnisse, mit denen er Neugierde und Hingabe des Lesers planmäßig gesteigert hat, zuletzt, nach Scheinerklärungen und neuen Illusionen, genau um so viel offen, daß die Vorstellungskraft nicht ganz zum Still181
stand kommt, sondern in einer nur halbwegs behaglichen Unruhe weiterschwingt. Es ist jene Wirkung, die er in der Vorrede zu den .Abenteuern der Silvester-Nacht' seinen Erfindungen wünscht: „ . . . daß du, ihrem wunderbarlichen Treiben ganz hingegeben, manchen kleinen Fieberschauer, den sie, stärker dich fassend, dir erregen könnten, willig ertragen mögest, darum bitte ich, günstiger Leser! recht von Herzen" (1.256). Denn was er hier Fieberschauer nennt, ist ja nichts anderes als die Wirkung des „Schauens", und in diesem „Schauen" wiederum wird der K a r funkel unmittelbares Ereignis, das rücksichtslos geglaubte Mythologem, die Axis seiner ganzen Häresie. Die künstlerischen Einwände aber, die wir eben erwähnten und um die auch die strenge Hoffmann-Forschung nie ganz herumkommt, hat er selber in einem Gespräch zwischen Meister Abraham und Johannes Kreisler im ,Kater Murr' präzis zur Sprache gebracht. D a ß der Schriftsteller H o f f m a n n hier mit dem Mechanicus Abraham viel entschiedener identifiziert wird als mit dem Kapellmeister, bestätigt nur unsere Ausführungen über seine Übereinstimmung mit beiden Figuren. Kreisler ist durch das zufällige Hineintreten in ein mechanisch-optisches Experiment Abrahams, das ihm seinen eigenen Doppelgänger scharf umrissen vor A u gen stellte, erschüttert und macht dem Meister Vorwürfe: „,Ich kann,' sprach Kreisler, ,ich kann nun einmal, Meister, Euren seltsamen Hang zu solchen Foppereien nicht begreifen. Ihr präpariert das Wunderbare wie ein geschickter Mundkoch, aus allerlei scharfen Ingredienzien, und meint, daß die Menschen, deren Fantasie, wie der Magen der Schlemmer, f l a u geworden, irritiert werden müssen durch solches Unwesen. Nichts ist abgeschmackter, als wenn man bei solchen vermaledeiten Kunststückchen, die einem die Brust zusammenschnüren, dahinterkommt, daß alles natürlich zugegangen.' - .Natürlich! - natürlich', rief Meister Abraham, ,als ein Mann von ziemlichem Verstände, solltet Ihr doch einsehen, daß nichts in der Welt natürlich zugeht, gar nichts! - Oder glaubt Ihr, werter Kapellmeister, daß deshalb, weil w i r mit uns zu Gebote stehenden Mitteln eine bestimmte Wirkung hervorzubringen vermögen, uns die aus dem geheimnisvollen Organismus strömende Ursache der Wirkung klar vor Augen liegt? — Ihr habt doch sonst vielen Respekt vor meinen Kunststücken gehabt . . . ' " (III. 439). Das ist ein merkwürdiges Gespräch. Kreisler macht dem Freund Vorwürfe wegen der „scharfen Ingredienzien" seiner Veranstaltungen, die ihm ein so tiefes Entsetzen hervorgerufen haben, und gesteht im gleichen Atemzug ein, daß ihn eigentlich nur die natürliche Ursache dieses Erlebnisses ärgert. Das heißt, er will nicht anerkennen, daß das, was er das „Wunderbare" nennt und wozu er (gut hoffmannisch) Gespenstisches und Beseligendes gleichermaßen
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zählt, über berechenbare äußere Mittel zustande kommt. Und wenn ihn ein solches Erlebnis noch so heftig durchfahren hat, er glaubt es als lügenhafte Täuschung verdammen zu müssen, sobald er feststellt, daß des Mechanicus „vermaledeite Kunststückchen" daran ursächlich beteiligt waren. Deshalb geht Abraham in seiner Antwort gar nicht auf die Frage der überscharfen Ingredienzien ein, sondern hält dem Freund nur eines vor Augen: daß die Kunststücke nicht die ganze Ursache der Wirkung im Innern Kreislers sind; daß sie nicht einfach ein Wunderbares vorspiegeln, sondern den gezielten Anstoß geben zu dessen selbsttätiger Entfaltung. Dies meint die etwas unklare Wendung von der „aus dem geheimnisvollen Organismus strömenden Ursache". Was hingegen besonders auffällt, ist die Tatsache, daß Hoffmann damit offenbar auch den Vorwurf der überreizten Ingredienzien für erledigt hält. Diese sind ihm fabrikatorische Mittel, die man nicht aus dem Gesamtvorgang herauslösen und isoliert betrachten darf, — wie nach unsern früheren Ausführungen die superlativische Sprache nicht nach dem Wort, sondern nach dem durch sie gezündeten imaginativen Färb- und Gestaltenspiel zu wägen ist. Als objektiv schlüssig kann die Überlegung allerdings nicht gelten. Der reine Medium-Charakter des gefertigten Opus erübrigt die Frage nach der Adäquatheit der eingesetzten Mittel nicht. Hoffmann tut nur so und verwischt den kritischen Ansatzpunkt mit einem Scheinschluß. Denn die spezifische Dynamik seiner Werke, die man so oft mit Begriffen wie: fieberhaft, hektisch, überhitzt und ähnlichen, in ihrem wertenden Unterton etwas voreiligen Termini zu erfassen sucht, stammt eben im letzten aus der erwähnten Melancholie des Mechanicus, der auf den erweckenden Blick des Lesers nur hoffen, seiner aber nie sicher sein kann, und der mit allen Mitteln versucht, das Höchstmaß an förderlichen Vorbedingungen zu schaffen. Wie diese Anstrengung, auf Grund der nie gelösten Skepsis, plötzlich wieder umschlagen kann in zwielichtige Selbstironie, zeigt beispielhaft die Szene, wo Meister Abraham in Gegenwart Julies vom Gedanken an seine verlorene Geliebte überwältigt wird und sich selber grimmig karikiert: „,Mein schönes Fräulein', sprach er mit dem grellen Ton, in dem aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen pflegen, ,mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die Ehre haben, Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu zeigen. (...) Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement!' - Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines Jünglings im Zimmer umher, zog die Maschinen an, ordnete die magischen Spiegel. Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig, die Automaten schritten daher und drehten die Köpfe und ein künstlicher Hahn schlug mit den Flügeln und 183
krähte, während Papageien gellend dazwischenkreischten und J u l i a selbst und der Meister standen draußen so gut wie im Zimmer" ( I I I . 63 γΐ). Es gibt den K a r f u n k e l , und es gibt das Automat. Sie schließen sich gegenseitig aus, und sie stehen dennoch zueinander in einer unabdingbaren Relation. A u f diesem von Energiefeldern umlagerten Paradoxon beruht die conditio poetae des Schriftstellers Ε . T. A . H o f f m a n n .
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LITERATURVERZEICHNIS
Zitiert wird nach der im Winkler-Verlag, München, 1960-1965 erschienenen Ausgabe der sämtlichen Werke in fünf Bänden. Die einzelnen Bände sind vom Verlag nicht beziffert. Die römischen Zahlen in unsern Angaben beziehen sich auf die folgende Anordnung: I
FANTASIE- UND NACHTSTÜCKE. Nach dem Text der Erstdrucke, unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellinger, hg. von Walter Müller-Seidel. Anmerkungen von Wolfgang Krön. 1961
II
DIE SERAPIONS-BRÜDER. Nach dem Text der Erstausgabe unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellinger. Anmerkungen von Wulf Segebrecht. 1963
III
IV
V
D I E E L I X I E R E DES TEUFELS. L E B E N S - A N S I C H T E N DES K A T E R S M U R R .
Nach
dem Text der Erstausgabe unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellinger. Anmerkungen von Wolfgang Korn. 1961 SPÄTE WERKE. Nach dem Text der Erstdrucke unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen, Georg Ellinger und Hans von Müller. Anmerkungen von Wulf Segebrecht. 196J SCHRIFTEN ZUR MUSIK. NACHLESE. N a c h dem T e x t der E r s t d r u c k e und
Handschriften hg. und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Schnapp. 1963.
Die arabischen Zahlen in den Zitatverweisen (zB. 1.219) beziehen sich auf die Seite des betreffenden Bandes. Obwohl es sich bei dieser Ausgabe nicht um eine historisch-kritische handelt (Carl Georg von Maassens Unternehmen einer solchen Edition ist fragmentarisch geblieben), sind die Zitate durchwegs in der von ihr vorgelegten orthographischen Form belassen. Für die Briefe und Tagebücher wurde benutzt: Dichtungen und Schriften sowie Briefe und Tagebücher. Gesamtausgabe in fünfzehn Bänden, hg. von Walter Harich, Bd. 14 und 1$, Weinmar 1924
Ε. T. A. Hoffmanns Briefwechsel, gesammelt und erläutert von Hans von Müller ( f ) und Friedrich Schnapp, hg. von Friedrich Schnapp, München (Winkler), 1967-1969 Die Hoffmann-Literatur ist in jüngster Zeit von Klaus Kanzog und Jürgen Voerster gründlich aufgearbeitet worden: I8J
Klaus Kanzog, Grundzüge der Ε. T. A. Hoffmann-Forschung seit 1945. Mit einer Bibliographie. In: Mitteilungen der Ε. T. A. HoffmannGesellschaft 9, Bamberg 1962 Klaus Kanzog, Ε. T. A. Hoffmann-Literatur 1962-196$. ebd. 1966 Jürgen Voerster, 160 Jahre Ε. T. A. Hoffmann-Forschung, Stuttgart 1967 Die folgende Liste führt nur jene Werke auf, die f ü r die vorliegende Schrift von besonderer Bedeutung sind. Bereits in den Anmerkungen zitierte Werke, die nicht zur eigentlichen Hoffmann-Literatur gehören, werden nicht mehr genannt. A r x , Bernhard von: Novellistisches Dasein. Spielraum einer Gattung in der Goethezeit. Zürich 1953 Béguin, Α . : L'âme romantique et le rêve. Essai sur le romantisme allemand et poésie française. Marseille 1937 Benz, R . : Die deutsche Romantik. Geschichte einer geistigen Bewegung. Leipzig 1937 Bergengruen, W.: E. T . A. Hoffmann. Stuttgart 1939 Brion, M.: L'Allemagne romantique, Paris 1963 Chapuis, Α . : Les automates dans les oeuvres d'imagination. Neuchâtel 1947 Cysarz, H . : Die Phantasie E. T. A. Hoffmanns. Ein weltliterarisches Phänomen. Ostdeutsche Monatshefte 27, 1961 Dahmen, H . : E. T. A. Hoffmanns Weltanschauung, Marburg 1929 Egli, G. : E. T. A. Hoffmann. Ewigkeit und Endlichkeit in seinem Werk. Zürich 1927 Ehinger, H . : E. T. A . Hoffmann als Musiker und Musikschriftsteller. Ölten 1954 Ellinger, G . : E. T. A. Hoffmann. Sein Leben und seine Werke. Hamburg 1894 Ernst, F.: Die romantische Ironie. Zürich 1915 Freud, S.: Das Unheimliche. In: Ges. Werke, Bd. 12, London 1947 Gloor, Α. : Ε. T. A. Hoffmann. Der Dichter der entwurzelten Geistigkeit. Zürich 1947 Goedeke, K . : Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Bd. 14 Berlin und Düsseldorf 195y, S. 352-490. (Bearbeitung: Klaus Kanzog und Wolfgang Krön) Häusler, R . : Das Bild Italiens in der deutschen Romantik. Bern 1939 Harich, W. : E. T. A. Hoffmann. Das Leben eines Künstlers. 2 Bde. Berlin 1920 Haupt, J . : Elementargeister bei Fouqué, Immermann und Hoffmann. Leipzig 1923 Heilborn, Ε.: Ε. T. A . Hoffmann. Der Künstler und die Kunst. Berlin 1926 Hewett-Thayer, Harvey W.: E. T. A. Hoffmann. Author of the Tales. Priceton 1948 Himmel, H . : Schuld und Sühne der Scuderi. In: Mitteilungen der Ε. T. Α. H.Ges. 7, Bamberg i960 Hitzig, J . E.: Aus Hoffmanns Leben und Nachlaß. Hg. von dem Verfasser des Lebens-Abrisses Zacharias Werners. Stuttgart (3) 1839 Hoffmann, E. F.: Zu Ε. T. A. Hoffmanns „Sandmann". In: Monatshefte für dt. Unterricht 54, 1962 Huch, R . : Die Romantik. Ausbreitung, Blütezeit und Verfall. Tübingen 1 9 J I 186
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Mitteilungen der Ε. T. Α. Hoffmann-Gesellschaft, Sitz in Bamberg. Hg. unter Mitwirkung namhafter Fachmänner. 3 Hefte 1938-1943, H e f t $ - 1 5 , 1 9 5 8 1969 Mülher, R . : Liebestod und Spiegelmythos in E. T . A. Hoffmanns Märchen „Der goldne T o p f " . Ztschr. für dt. Philologie 67, 1942 - Prinzessin Brambilla. Ein Beitrag zum Verständnis der Dichtung. Mitt. d. E . T . A . H.-Ges. 5, 1958 - Die Einheit der Künste und das Orphische bei E. T . A. Hoffmann. In: Stoffe, Formen, Strukturen. München 1962 - E . T. A . Hoffmann. Beiträge zu einer Motiv-Interpretation. Literaturw. Jahrbuch N F 4, 1963 - Zum Verständnis der Werke. In: H o f f m a n n : Nachtstücke, Hamburg 1964 Müller, Dieter: Zeit der Automate. Zum Automatenproblem bei Hoffmann. Mitt. d. E . T . A. H.-Ges. 12, 1966 Müller, Helmut: Untersuchungen zum Problem der Formelhaftigkeit bei E. T.A. Hoffmann. Bern 1964 Negus, Κ . G.: Ε. T. A . Hoffmann's Other World, The Romantic Author and his N e w Mythology. Philadelphia 1965 Nipperdey, O.: Wahnsinnsfiguren bei E . T. A. Hoffmann. Köln 1 9 J 7 Ochsner, Κ . : E. T. A. Hoffmann als Dichter des Unbewußten. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Romantik. Frauenfeld 1936 Ohl, H . : Der reisende Enthusiast. Studien zur Haltung des Erzählers in den Fantasiestücken E. T. A. Hoffmanns. Frankfurt 1955 (Diss. Mschr.) P f e i f f e r , J . : Die Geschichte von dem Bergmann zu Fahlun. In: Wege zur Erzählkunst, Hamburg 1953 Pfeiffer-Belli, W. : Mythos und Religion bei Ε. T. A. Hoffmann. Euphorion 34. 1933 Planta, U . O. von: Ε. T. A. Hoffmanns Märchen „Das fremde Kind". Bern 1958 Pongs, H . : Das Bild in der Dichtung. Marburg 1939 Preisendanz, W.: Humor als dichterische Einbildungskraft. München 1963 - Eines matt geschliffenen Spiegels dunkler Widerschein. Ε. T. A. Hoffmanns Erzählkunst. In: Festschrift Trier, Köln 1964 - Z u r Poetik der deutschen Romantik: Die Abkehr vom Grundsatz der Nachahmung. In: Die deutsche Romantik, Poetik, Formen und Motive. Hg. von Hans Steffen. Göttingen 1967 R a r a t y , M. M.: Hoffmann und die Ombres Chinoises. Mitt. d. Ε. T. A . H.-Ges. I i , 1964 Rehm, W.: Kierkegaard und der Verführer. München 1949 Requadt, P.: Norden und Süden in der Allegorik von Ε. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. In: Die Bildersprache der deutschen Italiendichtung von Goethe bis Benn. Bern 1962 Ricci, J . F. A. : E. T. A. Hoffmann, l'homme et l'oeuvre. Paris 1947 - Le fantastique dans l'oeuvre d' E. T. A. Hoffmann. Etudes Germaniques 6, 1951 Rosteutscher, J . : Das ästhetische Idol im Werk von Winckelmann, Novalis, Hoffmann, Goethe, George und Rilke. Bern 1956 Schenck, E. von: E. T. A. Hoffmann. Ein Kampf um das Bild des Menschen. Berlin 1939 Schnapp, F. : Der Seraphinenorden und die Serapionsbrüder E. T. A. H o f f manns. Literaturw. Jahrb. N F 3, 1962 188
- Selbstkritische Bemerkungen. Mitt. d. E. T. A . H.-Ges. ι ι , 1964 Schneider, K a r l Ludwig: Künstlerliebe und Philistertum im Werk Ε. T . A. Hoffmanns. In: Die deutsche Romantik, hg. von Hans Steffen, Göttingen 1967
Sdun, W.: E. T. A . Hoffmanns Prinzessin Brambilla. Analyse und Interpretation einer erzählten Komödie. Freiburg 1961 Segebrecht, W. : Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk Ε. T . A. Hoffmanns. Stuttgart 1967 Singer, H . : Kater Murr. In: Der dt. Roman. Vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. von Beno von Wiese. Düsseldorf 1963 Staiger, E.: Ludwig Tieck und der Ursprung der deutschen Romantik. In: Stilwandel. Studien zur Vorgeschichte der Goethezeit, Zürich 1963 Starobinski, J . : Ironie et mélancolie. La princesse Brambilla de E. T. A. H o f f mann. In: Critique 22, 1966 Strohschneider-Kohrs, I.: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung. Tübingen i960 Taylor, R . : Hoffmann. London 1963 Tecchi, Β.: Ε . T . A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. I n : Weltbewohner und Weimaraner. Festschrift Emst Beutler, hg. von Benno Reifenberg und Emil Staiger, Zürich i960 Thalmann, M.: Der Trivialroman des 18. Jahrhunderts und der romantische Roman. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Geheimbundsmystik. Berlin 1923 - E. T. A . Hoffmanns Fräulein von Scuderi. Monatshefte für dt. Unterricht, dt. Sprache und Literatur 41, 1949 - E. T. A. Hoffmanns Wirklichkeitsmärchen. Journal of English and Germanic Philology j ι , 1952 - Meisterschaft. Eine Studie zu E. T. A . Hoffmanns Genieproblem. In: Der Gesichtskreis. J . Drexel zum 60. Geburtstag. München 1956 - Das Ε. T. A. Hoffmann-Märchen. In: Das Märchen und die Moderne. Stuttgart 1961 - Romantik und Manierismus. Stuttgart 1963 - Romantiker entdecken die Stadt. München 196J - Zeichensprache der Romantik. Heidelberg 1967 Tretter, F. G. : Die Frage nach der Wirklichkeit bei Ε. T. A. Hoffmann. München 1961 Vordtriede, W.: Novalis und die französischen Symbolisten. Zur Entstehungsgeschichte des dichterischen Symbols. Stuttgart 1963 Werner, H. G . : Ε. T. A . Hoffmann. Darstellung und Deutung der Wirklichkeit (in seinem Werk) im dichterischen Werk. Weimar 1962 Willimczik, Κ . : Ε. T. A. Hoffmann. Die drei Reiche seiner Gestaltenwelt. Berlin 1939 Wirz, J . : Die Gestalt des Künstlers bei Ε . T. A . Hoffmann. Lörrach 1961 Wittkopp-Ménardeau, G . : E . T . A. Hoffmann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hamburg 1966 - (Hg.) : E. T. A . Hoffmanns Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt 1968
Wührl, P.-W. : Die poetische Wirklichkeit in E. T. A . Hoffmanns Kunstmärchen. Untersuchungen zu den Gestaltungsprinzipien. München 1963
189
WERKREGISTER Ahnungen aus dem Reiche der Töne 7 Alte und neue Kirchenmusik z6f. Cornaro. Memoiren des Grafen Julius von S. 12 Das Fräulein von Scuderi 36, 65, I27Í., 129 Das fremde Kind 92 Das Gelübde ιογί., n o , 143-149 Der Artushof 23, 31fr., 39-51, 53, 55. 66, γγί., 83f., 120, I22Í., 150, 1 J9 (Der Baron von B.) / f f . , 36, 177 (Der Einsiedler Serapion) 15fr., 2iff., 30, 3 j f . , 74, 86, 173 Der Elementargeist 93-105 Der Freund 132, 1 3 4 - 1 4 1 Der goldne Topf 23, 49, 60, 67, 95, 99, 1 1 2 , isof., 154, 155-160, 162L, τ79 Der Kampf der Sänger i7of. Der Musikfeind 25f. Der Preis 12, 175 Der Sandmann 35, 76-87, 89fr., 95f., i o i f . , io4f., 106, 109, i i 5 f . , 122,' 124, 178 Des Vetters Eckfenster 3iff., i2of. Die Abenteuer der Silvester-Nacht 93. 182 Die Automate if., 28f., 176fr. Die Bergwerke zu Falun 95, 1 1 8 - 1 2 8 , 1 3 1 , 133, 139, 147, 149, 156L, ι 6 ι Die Brautwahl 33, 49, 5iff., 57, 136, 150, 168 Die Doppeltgänger 142fr., 148 Die Elixiere des Teufels 12, 33, 45, 55-67, 68f., 76, 78f., 107, 123, 127, i 4 i f . , I47Í. Die Fermate 15, 74^, 78, 106, 165fr. Die Geheimnisse 98 Die Irrungen i54f. Die Jesuiterkirche in G. 3fr., 10, 17,
190
39. 44. 53. Í7. 1 0 1 , 106, 128, 130, 178fr. Die Königsbraut 1 1 0 - 1 1 3 , 1 1 6 , 1 1 9 Die Räuber 1 7 1 Die Serapionsbrüder 15, 20, 45, 176 Doge und Dogaresse 167fr., i 7 i f . Don Juan 106, 128, 170 Fantasiestücke 6ff., 12, 49, 137, i39f., 176 Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen 132fr. Haimatochare io8ff., 1 1 6 Johannes Kreislers Lehrbrief 7 Klein Zaches genannt Zinnober 1 1 0 , 1 1 2 - 1 1 6 , 120, 137, 179 Kreisleriana 6ff., 25f., 134, 137, 139 Kreislers musikalisch-poetischer Klub 139 Lebens-Ansichten des Katers Murr 77, i n , 128, i33f., 137, i4of., i58f., 1 6 1 , 164, 1 7 5 - 1 8 4 Meister Floh 17, 35, 92, i05f., 1 1 6 , 123, I26f., I52Í., 178 Meister Johannes Wacht i54f. Meister Martin der Küfner und seine Gesellen 5 3 f r . , 56f., 77, 150, 159^ Nussknacker und Mausekönig 86-93, 95. 99, i°4f., 178, 181 Ombra adorata 25 Prinzessin Blandina 2 3 f r . , 28, 75, I38f. Prinzessin Brambilla i8f., 22Í., 59, i05f., 1 1 5 , 1 2 1 , 123, 149, i52f., i69f., 173 (Rat Krespel) 15, 28, 1 2 9 - 1 3 2 Ritter Gluck I2f., 31fr., 1 7 1 Schreiben an den Herausgeber 35 Seltsame Leiden eines Theaterdirektors 9 f r . Signor Formica 150fr. Undine 12
PERSONENREGISTER Arnim, Achim von 16, 38 Balde Jacob 138 Baudelaire, Charles 1 1 0 Beethoven, Ludwig van 27 Brentano, Clemens 38, 73, 142, 164 Büchner, Georg 142 Callot, Jacques 169, 1 7 1 Cazotte, Jacques $6&., 1 0 1 , 103 Celan, Paul 164 Chamisso, Adelbert von 1 $ 1 Contessa, Karl Wilhelm 1 2 Eichendorff, Joseph von 2 Feuerbach, Ludwig 99 Fichte, Johann Gottlieb 39 Goethe, Johann Wolfgang 15, 39, 6 i> 83> 85, 95, 130, 142, 154 Gotthelf, Jeremias 1 2 1 Gozzi, Carlo 1 1 Grillparzer, Franz 9 Grimm, Brüder 88
Hamann, Johann Georg 31 Haydn, Joseph 27 Hebel, Johann Peter 1 1 8 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 19 Herzog, Urs 138 Hippel, Theodor Gottlieb 7, 22, 29 Hitzig, Eduar di7$ Hitzig, Eduard 17$ Hofmannsthal, Hugo von 94, 1 1 8 Hölderlin, Friedrich 19 Hölty, Ludwig 138 Jean Paul 18, 2of., 42, 49f., 75, 1 3 $ , 142
Keller, Gottfried 4, 1 3 , 42, 83, 99, 105, 109, 1 1 7 , I J 3 Í . Kleist, Heinrich von 47, 75, 107, 142, 175 Köhn, Lothar i j , 34, 59, 77 K o r f f , Hermann August 107 Kotzebue, August von 12, 175 Kunz, Carl Friedrich 50, 99 Kuttner, Margot 77 Mann, Thomas 73, i j i Marc, Julia 12, j o Martini, Fritz 34, 1 1 5 Mayer, Hans i2of. Meyer, Herman 105, 164 Mörike, Eduard 164 Mozart, Wolfgang Amadeus 6f., 27 Mülher, Robert 14 Müller, Hans von 134 Müller, Helmut 164 Nägeli, Hans Georg 175 Novalis 2, i8f., i l , 42, 8 j , 91, 95, 98, 125, 142, 161 Palestrina, Giovanni Pierluigi 26ff. Preisendanz, Wolfgang 18, 34, 1 1 0 , 112, 117, I J J Rosteutscher, Joachim 51 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 19. 39. 130 Schenck, Ernst von 93, 1 1 5 Schiller, Friedrich 96, 1 1 9 , 142 Schlegel, Friedrich 90 Schlüter, Hermann ¿>4f. Schnapp, Friedrich 134 Schneider, Karl Ludwig 51 Schnüffis, Laurentius von 138 Schopenhauer, Arthur 10, 63 191
Schubert, Gotthilf Heinrich iof., 28f. 63, 98f., 126 Segebrecht, Wulf 6, 109 Shakespeare, William 52,136 Staiger, Emil 64 Stifter, Adalbert 42, i o j Strohschneider-Kohrs, Ingrid 117
Villars, Abbé Montfaucon de 98 Wagenseil, Johann Christoph 171 Wehrli, Max 138 Werner, Hans Georg 7of., 77, 93, 95 Wieland, Christoph Martin 98f. Zola, Emile 127
Thalmann, Marianne 118 Trakl, Georg 164
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