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German Pages 399 [400] Year 2019
Schriften zum Steuerrecht Band 140
Die Aufklärung und Bewertung grenzüberschreitender Sachverhalte im Steuerrecht Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Betriebsprüfungen
Von
Till Valentin Meickmann
Duncker & Humblot · Berlin
TILL VALENTIN MEICKMANN
Die Aufklärung und Bewertung grenzüberschreitender Sachverhalte im Steuerrecht
S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 140
Die Aufklärung und Bewertung grenzüberschreitender Sachverhalte im Steuerrecht Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Betriebsprüfungen
Von
Till Valentin Meickmann
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern und meinem Bruder
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemster 2018 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen. Sie entstand gro¨ ßtenteils wa¨ hrend meiner Ta¨ tigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für Finanz- und Steuerrecht. Frau Professorin Dr. Heike Jochum, Mag. rer. publ. danke ich herzlich für die Betreuung dieser Arbeit und die darüberhinausgehende vielfältige Unterstützung. Gleichermaßen danke ich Herrn Professor Dr. Steffen Lampert für anregende Diskussionen und die Erstellung des Zweitgutachtens. Mein größter Dank jedoch gilt meinen Eltern und meinem Bruder. Sie haben mich immer großzügig und bedingungslos unterstützt. Ihres Zuspruchs und Rückhalts, vor allem aber ihrer Liebe kann ich mir stets gewiss sein. Ihnen widme ich diese Arbeit. Düsseldorf, im Oktober 2018
Till Valentin Meickmann
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
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A. Problemhorizont und Aktualität der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Erkenntnisziele der Untersuchung und bisheriger Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . 26 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Kapitel 2 Das Verhältnis von materiellem Steuerrecht und steuerlichem Verfahrensrecht 30 A. Verfassungsrechtlicher Rahmen des Besteuerungsverfahrens und insb. der Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Gesetzmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Gleichmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Das Besteuerungsverfahren als Medium zur Verwirklichung des materiellen Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Zunehmende Bedeutung der Auslegung bei abnehmender Präzision des gesetzlichen Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Finanzbehörden und Finanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Funktionale Bedeutung sowie normative Verankerung der Feststellung des Sachverhalts und Bestimmung rechtlicher Folgen im steuerlichen Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Vorstellung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . 43 a) Bedeutung und Prinzipien der Sachverhaltsermittlung bei der Verwirklichung des materiellen Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Angaben und Mitwirkung des Steuerpflichtigen als Ausgangspunkt der steuerlichen Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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Inhaltsverzeichnis cc) Ergänzendes Verifikationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (2) Gezielte Einzelermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der Steuerfahndung . . . . . . . . 54 dd) Beschränkungen der Ermittlungspflicht und äußere Grenzen des Ermittlungsspielraums in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . 56 (1) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Verfassungsrechtlicher Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . 58 (3) Absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung . . . . . 59 (4) Geeignetheit, Notwendigkeit, Möglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (5) Verwaltungsökonomische Grenzen der Ermittlungspflicht . . . . . . 61 (6) Tatsächliche Verständigung über steuerlich relevante Sachverhalte, verbindliche Auskunft und verbindliche Zusage als rechtsfolgenbestimmende Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (7) Einfachgesetzliche Grenzen der Ermittlungspflicht und -befugnis
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ee) Nicht feststellungsbedürftige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Bekannte, vermutete und fingierte Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Durch inländische Behörden oder Gerichte festgestellte Tatsachen 66 (3) Durch ausländische Behörden oder Gerichte festgestellte Tatsachen sowie gesetzliche Fiktionen und Vermutungen ausländischer Jurisdiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Verletzung des behördlichen Ermittlungsspielraums und Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Unterschreiten des Ermittlungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Überschreiten der Grenzen des Ermittlungsspielraums . . . . . . . . . . . . 70 (1) Einfache Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (2) Qualifizierte materielle Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Notwendige Beurteilungen des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Rechtliche Würdigung des Sachverhalts (Subsumtion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Ermessen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Kein Ermessen hinsichtlich des Steuerschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Ermessen im steuerlichen Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Rechtmäßige Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Reziproke Wirkung der Nichtvollziehbarkeit auf das materielle Steuerrecht . . . . . . . . 82 I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 3 Steuerrecht zwischen materieller Universalität und formeller Territorialität
86
A. Begrenzung der Rechtssetzungsgewalt und Rechtsdurchsetzungsgewalt im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Rechtssetzungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Rechtsdurchsetzungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 B. Materielle Universalität im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C. Formelle Territorialität im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Unbeschränkte Geltung der finanzbehördlichen Sachverhaltsaufklärungspflicht bei internationalen Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Folgen eines Verstoßes gegen die formelle Territorialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Formelle Territorialität als Stolperstein der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Voraussetzungen eines Vollzugsdefizits bei Sachverhalten mit Auslandsbezug 97 2. Materiell-rechtliche Vermeidung von Vollzugsdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts (Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer- Bemessungsgrundlage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Vorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Begleitendes verfahrensrechtliches Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Abgabe der Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Steuerprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Änderung der Steuerveranlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Zusammenfassung und Grenzen des Entwurfs für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Kapitel 4 Konventionelle Maßnahmen zur Aufklärung internationaler Steuersachverhalte und Lösung von Besteuerungskonflikten 111 A. Innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Stärkung der Steuerehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
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Inhaltsverzeichnis 2. Erweiterte Auskunfts-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Erweiterte Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Local-File . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (2) Master-File . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (3) Weitere Regelungen zu den Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (4) Folgen des Verstoßes gegen die Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Country-by-Country Reporting nach § 138a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (a) Primär mitteilungspflichtige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (b) Beauftragte mitteilungspflichtige Unternehmen . . . . . . . . . . . . 128 (c) Sekundär mitteilungspflichtige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 129 (d) Sonderregelung des § 138a Abs. 5 S. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . 132 (e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (2) Inhalt des länderbezogenen Konzernberichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (a) Verteilung der Geschäftstätigkeit des Konzerns . . . . . . . . . . . . 133 (b) Zugehörige Unternehmen und Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . 135 (c) Zusätzliche Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (3) Folgen des Verstoßes gegen die Vorlagepflicht des § 138a AO . . . 136 (4) Bedenken gegen das Country-by-Country Reporting . . . . . . . . . . . 136 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Übrige Pflichten des Steuerpflichtigen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Mitteilungspflichten Dritter über die Beziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Drittstaat-Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Anzeigepflicht zu Steuergestaltungsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Weitere Ausweitung von Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten . . . . . . 145 6. Völkerrechtliche Zulässigkeit der Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7. Wertende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
B. Internationaler Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Inhaltsverzeichnis
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II. Inanspruchnahme von Informationshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Gewährung von Informationshilfe auf Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Voraussetzungen eines Auskunftsersuchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Subsidiarität und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Verbot des Befugnis-Shoppings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 cc) Anhörung vor Übermittlung des Ersuchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Weitere Voraussetzungen und Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Verwertbarkeit bei Rechtsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Rechtsschutz gegen Auskunftsersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Gewährung von Informationshilfe ohne Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Gewährung von Informationshilfe durch deutsche Finanzbehörden . . . . . . . . . . 157 1. Anhörung vor Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Gewährung auf Grundlage von § 117 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Amtshilfeübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Abkommen über den automatischen Informationsaustausch von Finanzkontendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 e) Automatischer Informationsaustausch des Country-by-Country Reporting 166 f) Spontaner Informationsaustausch sog. Tax Rulings . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 g) EU-Amtshilfegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Informationsgewährung auf Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Spontanauskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Automatische Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 h) Ermittlungsmaßnahmen zur Gewährung von Informationshilfe . . . . . . . . . 171 aa) Beschaffungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Befugnisgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Außenprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 dd) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Gewährung auf Grundlage von § 117 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Rechtsschutz gegen die Gewährung von Informationshilfe . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Typischer Ablauf eines Informationsaustausches auf Ersuchen zum Zwecke der Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 C. Simultanprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Ablauf international koordinierter Außenprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Planungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Durchführungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Vereinbarungen zur Durchführung simultaner Betriebsprüfungen . . . . . . . . . 183
14
Inhaltsverzeichnis 2. EU-Amtshilferichtlinie und EUAHiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Amtshilfeübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Ohne spezifische Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 III. Grenzen von Simultanprüfungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Prüfungsbezogene Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Auskunftsbezogene Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
D. Weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Auswertung allgemein zugänglicher Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Informelle Informationsgewinnung durch Beamte im Ausland . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Informelle Informationsgewinnung unter Zuhilfenahme Privater . . . . . . . . . . . . 196 IV. Joint International Tax Shelter Information and Collaboration Network . . . . . . . 197 V. International Compliance Assurance Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VI. Steuerattachés . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen und ihre Beseitigung . . . . . . 199 I. Rechtsschutz vor den einzelstaatlichen Finanzgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Korrespondierende Gegenkorrektur im anderen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. Verständigungs- und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Verfahren nach Art. 25 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Unilaterale Abhilfe oder Einleitung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Durchführung des Verständigungsverfahrens i. e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Abschluss des Verständigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 e) Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 f) Konsultationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Maßnahme 14 des BEPS-Aktionsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Verständigungs- und Schiedsverfahren nach EU-Schiedsübereinkommen . . . 212 4. Verfahren nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Entwicklung zu einem internationalen Spruchkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Aufgabenübertragung an den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Einrichtung eines internationalen Steuergerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Antizipierte Vermeidung von Besteuerungskonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Inhaltsverzeichnis
15
Kapitel 5 Gemeinsame Betriebsprüfungen
226
A. Gemeinsame Außenprüfungen als kooperativer Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Gemeinsame Betriebsprüfungen im Kontext internationaler Diskussionen . . . . . 226 1. Joint Audit Report der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Vorschlag zur terminologischen Präzisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 II. Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Erwartungen der Verwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Erwartungen der Wirtschaft und Beraterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Funktionale Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 B. Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Grundrechtsbindung Bediensteter deutscher Behörden im Ausland . . . . . . 235 b) Grundrechtsbindung Bediensteter ausländischer Behörden im Inland . . . . 236 2. Zulässigkeit und Bedingungen der Einräumung von Ermittlungsbefugnissen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Einräumung von Hoheitsrechten ohne direkte Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Vorkonstitutionelle Hoheitsrechtsübertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Zusammenarbeit als zwischenstaatliche Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Ausweitung der Übertragungsmöglichkeiten durch Rückgriff auf allgemeine Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 dd) Unmittelbare Übertragung von Hoheitsrechten zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 ee) Delegation von Hoheitsbefugnissen bei zwischenstaatlichen Einrichtungen, insb. der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 ff) Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle zur Hoheitsrechtsübertragung 244 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Materielle Grenzen der Einräumung von Prüfungsbefugnissen . . . . . . . . . 246 aa) Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Erforderlichkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . 248 cc) Erforderlichkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . 249 dd) Grenzen der Delegation durch zwischenstaatliche Einrichtungen, insb. bei der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
16
Inhaltsverzeichnis 3. Zulässigkeit und Bedingungen der Ausübung von Ermittlungsbefugnissen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Rechtsprechung zu Prüfungen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Explizite Regelungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Deutsches Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Sonderfall Art. 26 DBA-NL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 5. Amtshilfeübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 6. EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 7. Richtlinienentwurf für eine gemeinsame konsolidierte KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 8. Heranziehung verschiedener Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 IV. Einräumung von Anwesenheitsrechten und Ermittlungsbefugnissen . . . . . . . . . 260 1. Ausländische Prüfer in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 aa) Passive Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Eigene Ermittlungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 cc) Gleichzeitige Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten 265 c) Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Regelungsgehalt der einzelnen Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (1) Abkommen mit Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (2) Abkommen mit Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (3) Vertrag mit Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Eignung der abkommensrechtlichen Bestimmungen für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 d) Amtshilfeübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 e) EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Art. 11 EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (1) Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (a) Zweck des Informationsaustausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (b) Gemeinsame Vereinbarung und Regelungen der Anwesenheit 273 (2) Ordnungsgemäß befugte Bedienstete der ersuchenden Behörde 274 (a) Umfang des Anwesenheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (aa) Begriff der Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Inhaltsverzeichnis (bb) Fehlender Zusammenhang mit dem Informationsgesuch
17 276
(cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (b) Aushändigung von Kopien der relevanten Dokumente . . . . . . 278 (3) Ermittlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (a) Befragungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (aa) Begriff der Einzelperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (bb) Inhalt und Umfang des Befragungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 280 (b) Prüfungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (aa) Begriff der Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (bb) Inhalt und Umfang des Prüfungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (c) Kein Zustimmungserfordernis des Steuerpflichtigen . . . . . . . . 282 (d) Keine Aufsichts- oder Weisungsfunktion der Bediensteten der ersuchten Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (e) Maßgebliches Verfahrensrecht bei der Ausübung der eingeräumten Ermittlungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (f) Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (4) Folgen der Mitwirkungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (a) Folgen im Staat der ersuchten Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (b) Folgen im Staat der ersuchenden Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (5) Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (6) Prüfung im Staat der ersuchenden Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (7) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) § 10 EUAHiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (1) Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (b) Keine weiterreichende Beschränkung des Informationsaustausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (2) Ermittlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (a) Weitere Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (aa) Beisein der inländischen Bediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (bb) Zustimmung des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (cc) Abweichende Voraussetzungen nach ausländischen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (b) Umfang der Ermittlungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (c) Bindung an nationales Verfahrensrecht und Beschränkung der Ermittlungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (d) Folgen der Weigerung zur Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 f) § 117 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
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Inhaltsverzeichnis 2. Deutsche Prüfer im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Abkommen über die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen . . . . . . . . . . . 297 d) Amtshilfeübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 e) EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Art. 11 EU-AHiRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) §§ 10, 11 EUAHiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 f) § 117 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Prüfungstätigkeit im In- und Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 V. Direkter Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 VI. Austausch über Rechtslagen und Bewertungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VII. Verständigung über Sachverhalt und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Prüfungsbegleitende Verständigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Separates Verständigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. Integriertes Verständigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4. Wirkung für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 VIII. Rechte und Schutz des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Prüfungseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Anhörung und Zustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Antragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Rechtsschutz gegen die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Prüfungsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Rechtsschutz gegen den Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Rechtsschutz gegen einzelne Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Prüfungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Förmliche Schlussbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Rechtsschutz gegen die Verwendung rechtswidrig erlangter Informationen 315 c) Rechtsschutz gegen Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen sowie Grenzen gemeinsamer Betriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 I. Praktische Umsetzung einer gemeinsamen Betriebsprüfung nach der deutschen Verwaltungspraxis im Status Quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Planungs- und Initiierungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Fallauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 aa) Initiierung durch deutsche Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 bb) Initiierung durch ausländische Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Inhaltsverzeichnis
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cc) Auswahlsitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 c) Zustimmung des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 d) Auftaktsitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 e) Zwischenstaatliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 f) Informationsersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 g) Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Prüfungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Feststellungs- und Verständigungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 4. Umsetzung nach Abschluss der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 1. Unterschiedliches materielles Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Koordinationsprobleme aufgrund unterschiedlicher Prüfungspraxis . . . . . . . . 330 3. Auseinanderfallen der Zuständigkeiten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Kompetenzverschiebung, zentrale Steuerung und die Rolle des Bundeszentralamts für Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 III. Tatsächliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 I. Verstärkte Integration bei gemeinsamen Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Bildung eines einheitlichen Prüferteams und Vereinheitlichung des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Verbindliche Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Integriertes Einigungsverfahren auf Prüfungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Automatische Einleitung eines Verständigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . 337 c) Unmittelbare Einleitung eines Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Bindungswirkung für gefundene Einigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 II. Neuer Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Europäische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Internationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 III. Grenzen gemeinsamer Betriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 IV. Ausblick auf europäische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Kapitel 6 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
348
A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
20
Inhaltsverzeichnis
B. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Kapitel 7 Anhänge
353
A. Umfang und Voraussetzungen des Art. 6 OECD-MA-InfoAust . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 I. Ausländische Prüfer in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Deutsche Prüfer im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Umfang und Voraussetzungen des Art. 9 AHiÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 I. Ausländische Prüfer in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 II. Deutsche Prüfer im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 C. Umfang und Voraussetzungen des Art. 11 EU-AHiRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 I. Ausländische Prüfer in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 II. Deutsche Prüfer im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 D. Umfang und Voraussetzungen der §§ 10, 11 EUAHiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I. Ausländische Prüfer in Deutschland (§ 10 EUAHiG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 II. Deutsche Prüfer im Ausland (§ 11 EUAHiG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 E. Vorschlag für eine Überarbeitung der Abgabenordnung (AO-V) . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 F. Vorschlag für eine Überarbeitung der EU-Amtshilferichtlinie (EUAHi-RL-V) . . . . . . 359 G. Vorschlag für eine Überarbeitung des Gesetzes über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EUAHiG-V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 H. Vorschlag für eine Überarbeitung des OECD-MA (OECD-MA-V) . . . . . . . . . . . . . . . 363 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
Kapitel 1
Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung A. Problemhorizont und Aktualität der Fragestellung Die internationale Verflechtung der Wirtschaft schreitet unermüdlich voran. Die Arbeitsteilung globalisiert sich, Unternehmensfusionen und Funktionsverlagerungen über nationale Grenzen hinweg nehmen zu.1 Sowohl die Zahl der ausländischen Direktinvestitionen als auch die Zahl der transnationalen Unternehmen steigt stetig. Unternehmen strukturieren ihre Produktionsprozesse und Dienstleistungsangebote global, um neben tatsächlichen und wirtschaftlichen auch von (steuer-)rechtlichen Vorteilen der heterogenen Rechts- und Wirtschaftsordnungen unterschiedlicher Staaten und Regionen zu profitieren.2 Während es gegen Ende der 1960er Jahre nur 10.000 transnationale Unternehmen gab, stieg die Zahl bis 1990 auf 35.000, im Jahr 2000 betrug die Anzahl schon 63.000 und im Jahr 2010 konnte wiederum ein Anstieg auf 82.000 transnationale Unternehmen verzeichnet werden.3 Zu diesen seit den 1980er Jahren massiv an Geschwindigkeit gewinnenden weltweiten Entwicklungen tritt mit der Digitalisierung der Wirtschaft seit Ende des letzten Jahrhunderts eine weitere Triebfeder der Internationalisierung wirtschaftlichen Handelns. Im digitalen Zeitalter entfällt die bis dato fast ausnahmslos erforderliche körperliche Präsenz des Wirtschaftstreibenden insb. bei der Erbringung von Dienstleistungen. Beispielhaft ist der Siegeszug der digitalen Dienstleistungen an den Unternehmenserfolgen von Amazon mit seinen Angeboten zum Musik- und Filmstreaming, dem iTunes Store von Apple oder den zur echten Konkurrenz von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk erwachsenden Streaming-Angeboten 1 Dies zeigen bspw. statistische Erhebungen zu Transaktionsvolumen grenzüberschreitender Mergers & Acquisitions, wobei eine zwischenzeitliche Abnahme der internationalen Unternehmensumstrukturierungen im Rahmen der Finanzkrise zu erkennen ist, vgl. United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report 2017, S. 230 f.; United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report 2012, S. 181 f.; United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report 2009, S. 270 f.; United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report 2006, S. 321 f. 2 Thomas Menck, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 1.2. 3 Rudolf Mellinghoff, in: DStJG, Band 36, S. 1; United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report 2010, XVIII.
22
Kap. 1: Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
wie Spotify oder Netflix abzulesen. Dabei geht die Digitalisierung zugleich über die bloße grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen hinaus: Abteilungen für Forschung und Entwicklung können dank moderner Kommunikationskanäle problemlos global aufgestellt werden. Zudem lassen sich Produktionsprozesse ohne zeitliche Verzögerung oder nennenswerte Kosten über staatliche Grenzen hinweg koordinieren und integrieren. Die moderne Industrieproduktion (langläufig unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ bekannt) ist gekennzeichnet durch starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer global eingegliederten hoch flexibilisierten Großserienproduktion. Gleichzeitig werden weltweit angesiedelte Kunden und Geschäftspartner in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse weitreichend integriert und die Produktion mit hochwertigen weltweit erbrachten Dienstleitungen verknüpft. Grds. ermöglichen die Erleichterungen des digitalen Zeitalters jedermann das einfache Überwinden von staatlichen Grenzen und damit die Teilnahme am internationalen Wirtschaftsleben.4 Dementsprechend ist auch eine Internationalisierung der Finanzinstrumente ebenso wie eine Globalisierung der Einkünfteerzielung durch Privatpersonen zu beobachten.5 Aufgrund der in einer immer enger zusammenrückenden ökonomischen Welt zunehmenden Möglichkeiten zur Auslagerung und Verschiebung von einzelnen Elementen der Wertschöpfungskette kann es Unternehmen attraktiv erscheinen, diese dementsprechend so zu strukturieren, dass die Gesamtsteuerlast unter Ausnutzung der internationalen Steuergefälle möglichst niedrig ausfällt.6 Dabei sind die Grenzen zwischen rechtlich erlaubten und illegalen Gestaltungen ohne Verbindung zu realwirtschaftlichen Vorgängen insb. in digitalen Geschäftsfeldern fließend.7 Internationalisierte Finanzierungsinstrumente, weltweite Privateinkünfte sowie globale Wertschöpfungsketten im Rahmen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung, transnationaler Produktionsprozesse und international integrierter Unternehmensstrukturen münden damit unmittelbar in der berechtigten Frage, in welchem Staat wie viel Wertschöpfung tatsächlich stattfindet und ob bzw. wie diese Wertschöpfung der jeweiligen nationalen Besteuerung unterliegt. Der Anspruch des Steuerstaates, seine vielfältigen Aufgaben durch Partizipation am ökonomischen Erfolg der in seinem Staatsgebiet tätigen Wirtschaftssubjekte zu finanzieren,8 hat indes auch in einer vernetzten und digitalisierten Wirtschaftswelt an Gültigkeit nichts verloren. Dabei ist es nach allgemein anerkanntem Völkerrecht grds. auch zulässig,
4 Mit einem anschaulichen Beispiel zur Komplexität moderner Wertschöpfungsketten Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (115 f.). 5 Vgl. Bernhard Schwarz, in: Schwarz/Pahlke, § 117 AO, Rn. 4. 6 Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (116); Andreas Musil/Jan Schulz, in: DStR 2013, 2205 (2205 f.); Christoph Spengel/Kathrin Stutzenberger, in: IStR 2018, 37 (44); Viktoria Wöhrer, in: TPI 2017, 22 (22). 7 Vgl. Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (115). 8 Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 1, Rn. 5.
A. Problemhorizont und Aktualität der Fragestellung
23
Verhältnisse außerhalb der eigenen territorialen Grenzen materiell in die Besteuerung einzubeziehen.9 Die allgemeine Steuerkompetenz eines Staates erschöpft sich allerdings nicht in dem Recht, Steuertatbestände zu normieren. Sie umfasst notwendigerweise – als Annexkompetenz zur Verwirklichung einer gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung – auch die Befugnis und den Auftrag, steuerrelevante Sachverhalte aufzuklären.10 Um diese Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten, hält die Abgabenordnung für die deutsche Steuerverwaltung – neben den allgemeinen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen – ein vielfältiges Ermittlungsinstrumentarium bereit. Im Wesentlichen handelt es sich bei den zur Verfügung stehenden Ermittlungsmitteln um hoheitliche Maßnahmen. Nach anerkanntem Völkergewohnheitsrecht darf ein Staat auf fremdem Staatsterritorium jedoch keine Hoheitsakte setzen.11 Eine Übertragung des zur Ermittlung innerstaatlicher Sachverhalte herangezogenen Instrumentariums auf (Teil-)Sachverhalte mit (teilweisem) Auslandsbezug scheidet damit aus.12 Hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung stoßen die nationalen Finanzverwaltungen mit ihren klassischen Ermittlungsinstrumenten also an ihre – durchaus im Wortsinne zu verstehenden – Grenzen. Die völkerrechtlich zulässige materielle Universalität des Steuerrechts wird durch die völkerrechtlich anerkannte formelle Territorialität begrenzt.13 Andererseits stehen auch die ökonomischen Akteure vor der Herausforderung, dass wegen fehlender Kongruenz der Sachverhaltsermittlung und -bewertung der verschiedenen an einem internationalen Sachverhalt beteiligten Staaten Doppelbesteuerungen auftreten können, obwohl diese durch ein engmaschiges Netz von Doppelbesteuerungsabkommen verhindert werden sollen. Wirksam können Doppelbesteuerung und doppelte Nichtbesteuerung allerdings nur verhindert werden, wenn die gleiche tatsächliche und rechtliche Bewertung eines Sachverhalts gewährleistet werden kann.14 Die Bedeutung der Erforschung, Bewertung und Beurteilung grenzüberschreitender Sachverhalte mithilfe eines geeigneten Instrumentariums gewinnt im Steuerrecht nicht nur aus der nationalen Perspektive der Fisci an Bedeutung. Vergegenwärtigt man sich zudem die weitreichende Entmaterialisierung und Entgrenzung 9 Knut Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 93; Thomas Menck, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 12.2; Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 13.1. Zur materiellen Universalität im Steuerrecht sodann auf S. 88 ff. 10 Ingo Kaiser, in: NStZ 2011, 383 (384). 11 Knut Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 6. 12 Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.1; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 1. 13 Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (591). 14 Im Übrigen betrifft das aber auch die gleichmäßige Auslesung der maßgeblichen Belastungsnormen, vgl. Michael Lang, in: Intertax 2014, 169 (169).
24
Kap. 1: Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
wirtschaftlichen Handelns inklusive der damit einhergehenden endgültigen Globalisierung fast ausnahmslos aller Märkte, wiegt der Befund, dass die regulierenden staatlichen Institutionen in ihrem Handeln nach wie vor auf ihre völkerrechtlichen Hoheitsgebiete beschränkt sind, besonders schwer. Aus diesem mehrpoligen Spannungsfeld ergibt sich die Notwendigkeit eines internationalen steuerlichen Verfahrensrechts. Weil ein weltweit einheitliches Verfahrensrecht aber ebenso wenig zu erwarten ist, wie die Abkehr vom hergebrachten Territorialitätsprinzip, lässt sich die Kernfrage des internationalen steuerlichen Verfahrensrechts – auf die deutsche Rechtslage herunter gebrochen – so formulieren: Wie können die innerstaatlichen Finanzbehörden trotz der Dissonanz von materieller Universalität und formeller Territorialität ihrem in § 85 Satz 1 AO normierten Auftrag nachkommen, für eine verfassungsrechtlich gebotene gesetzmäßige (Art. 20 Abs. 3 GG) und gleichmäßige (Art. 3 Abs. 1 GG) Besteuerung zu sorgen? Dafür sind die deutschen Behörden zunächst auf den betroffenen Steuerpflichtigen selbst als Informationsquelle angewiesen. Diesen treffen deshalb bei internationalen Sachverhalten erhöhte Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 S. 1, S. 2 AO.15 Ob diese Mitwirkungspflichten allein tatsächlich zur Aufklärung genügen, erscheint bereits vor dem Hintergrund der Interessenlage der Betroffenen fraglich. Überdies kann es kaum mit den verfassungsrechtlichen Fundamentalprinzipien der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sein, die Feststellung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen allein in die Hände des Steuerpflichtigen zu legen. Um ein drohendes Vollzugsdefizit abzuwenden, besteht auch für Sachverhalte mit internationalen Bezügen die Notwendigkeit einer Verifikation der in diesen Fällen weitreichenden Angaben des Steuerpflichtigen durch die Steuerverwaltung. Eine Möglichkeit extraterritoriale Sachverhalte unabhängig von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu ermitteln, stellt der zwischenstaatliche Informationsaustausch dar. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass der Austausch von Informationen langwierig ist, Folgefragen keine Berücksichtigung finden und häufig nicht zur zielgerichteten Aufklärung des fraglichen Sachverhalts ausreichen.16 Zudem sind die klassischen Formen des Informationsaustausches nicht geeignet, zwischen Steuerverwaltungen und multinationalen Konzernen strukturell bedingt bestehende Informationsasymmetrien17 zu beseitigen. Diese Defizite werden im Rahmen von gleichzeitig stattfindenden, international koordinierten Betriebsprüfungen durch die Abstimmung der am Verfahren beteiligten Steuerverwaltungen und einen parallel erfolgenden Informationsaustausch zwar teilweise abgemildert, aber nicht gänzlich vermieden. Auch andere bisher angewandte Instrumente des internationalen steu15
Thomas Menck, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 12.20. Vgl. Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (89). 17 Zum Bestehen von Informationsasymmetrien: Michael Puls/Semera Heravi, in: ISR 2015, 284 (287). 16
A. Problemhorizont und Aktualität der Fragestellung
25
erlichen Verfahrensrechts können die sich aus der formellen Territorialität ergebenden Verifikationslücken nicht umfassend füllen.18 Dass die bisherigen Methoden zur Sachverhaltsaufklärung und -bewertung regelmäßig nicht in der Lage sind, für die Fisci und die betroffenen Steuerpflichtigen befriedigende Ergebnisse zu liefern, lässt sich auch statistisch belegen. Während die Zahl der neu anhängigen Rechtsstreitigkeiten vor dem Bundefinanzhof zwischen 2006 und 2015 um fast 25 Prozent zurückgegangen ist,19 zeichnet sich bei den zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren ein gegenläufiger Trend ab. Die Anzahl der weltweit eingeleiteten Verständigungsverfahren ist im Vergleichszeitraum um fast 150 Prozent gestiegen.20 In Deutschland betrug die Steigerung im selben Zeitraum immerhin 70 Prozent.21 Die Zahl ungelöster grenzüberschreitender Besteuerungskonflikte nimmt also in erheblichem Maß zu.22 Um die noch immer bestehenden Grenzen der Aufklärung internationaler Steuersachverhalte zu überwinden sind neue Instrumente also zwingend erforderlich. Nur so kann der Internationalisierung und Digitalisierung des Wirtschaftslebens ausreichend Rechnung getragen werden. Im Bewusstsein um die skizzierten Defizite werden derzeit international und in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsame Betriebsprüfungen (international auch unter dem Terminus Joint Audits bekannt) als neuer Ansatz zur Aufklärung internationaler Steuersachverhalte diskutiert und erprobt.23 Im Rahmen solcher grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen schließen sich die am relevanten Sachverhalt beteiligten Staaten zusammen, um ein möglichst realitätsnahes Bild der steuererheblichen Umstände zu ermitteln und zu einer übereinstimmenden Bewertung desselben Sachverhalts zu gelangen. Mit gemeinsamen Prüfungen sollen zudem zwischenstaatliche Besteuerungskonflikte vermieden und damit die Notwendigkeit zur retrograden Beseitigung von Doppelbesteuerung reduziert werden. Hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und der Art ihrer konkreten Ausgestaltung sind jedoch noch viele Fragen offen.24 18
Vgl. zusammenfassend Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (592 f.) m.w.N. Konkret gab es 3386 Eingänge im Jahr 2006 und 2632 Eingänge im Jahr 2015; vgl. Jahresbericht des Bundesfinanzhofs 2006, S. 8; Jahresbericht des Bundesfinanzhofs 2016, S. 16. 20 Konkret gab es 1036 Eingänge im Jahr 2006 und 2509 Eingängen im Jahr 2015; vgl. OECD Mutual Agreement Procedure Statistics for 2015. 21 Konkret gab es 212 Eingänge im Jahr 2006 und 363 Eingängen im Jahr 2015; vgl. OECD Mutual Agreement Procedure Statistics for 2015. 22 Die Summe der weltweit anhängigen Verständigungsverfahren belief sich Ende 2015 auf die beträchtliche Zahl von 6.176; vgl. OECD Mutual Agreement Procedure Statistics for 2015. 23 Im Sommer 2018 wurde öffentlich, dass unter deutscher Beteiligugn zwischenzeitlich rund 70 koordinierte Prüfungen durchgeführt worden sind, vgl. Rolf Schreiber/Susanne Schäffkes/Stefan Fechner, in: DB 2018, 1624 (1630). 24 Diesen Befund bestätigt auch die Europäische Kommission, wenn sie in einer Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat, KOM (2015) 302 endg., formuliert: „Der Richtlinie über die Verwaltungszusammenarbeit zufolge sollen die Mitgliedstaaten bei Steuerprüfungen und Steuerkontrollen zusammenarbeiten, und die Steuerbehörden sind gehalten, bewährte 19
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Kap. 1: Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
B. Erkenntnisziele der Untersuchung und bisheriger Forschungsstand Die tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen herauszuarbeiten, sie mit anderen Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung und der Beseitigung von zwischenstaatlichen Besteuerungskonflikten in Bezug zu setzen und, wo nötig und möglich, Lösungswege vorzuschlagen, ist das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit. Ziel dieser Arbeit kann es hingegen nicht sein, zum untersuchten Themenkomplex eine endgültige Lösung zu präsentieren. Dies ist in Anbetracht der enormen Dynamik des internationalen Steuerrechts auch nicht möglich. Vielmehr will dieses Werk als gegenwartsbezogene Untersuchung verfahrensrechtliche Ansätze zur Überwindung der zuvor ergründeten Defizite aufzeigen. Dabei soll mit den Methoden der Rechtswissenschaft auf Basis der vorhandenen Regelungswerke (Völkerrecht, Unionsrecht, Verfassungsrecht, einfaches Recht) der einstweilen vielversprechendste Schlüssel für das identifizierte Problem der Sachverhaltsaufklärung und Streitbeilegung im internationalen Steuerrecht herausgearbeitet werden. Als Beitrag zur lebendigen Rechtsentwicklung werden zu den mit den Mitteln der Rechtswissenschaft lösbaren Problemen Vorschläge unterbreitet, deren Umsetzung dem Gesetzgeber und der Verwaltungspraxis anvertraut bleibt.25 Zudem werden die tatsächlichen Herausforderungen zur Umsetzung des Rechtsinstituts der gemeinsamen Betriebsprüfung identifiziert. Die praktische Eignung des hier skizzierten Wegs bleibt letztlich durch „Trial and Error“ festzustellen. Hier stößt die vorliegende Arbeit an die Grenzen rechtswissenschaftlicher Methodik. Das den Fond dieser Untersuchung bildende Motiv der Kollision von materieller Universalität und formeller Territorialität des Steuerrechts ist nicht neu. Verschiedene rechtswissenschaftliche Beiträge haben sich bereits mit unterschiedlichen Wegen zur Lösung der daraus resultierenden Probleme befasst. Insb. im Bereich der erweiterten Mitwirkungspflichten,26 des klassischen internationalen Informations-
Verfahren auszutauschen. Diese Instrumente werden jedoch noch nicht voll genutzt. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Steuerprüfung in den Mitgliedstaaten stehen im Widerspruch zu den ausgefeilten Steuergestaltungstechniken mancher Unternehmen. Die Kommission wird sich deshalb für eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich einsetzen. Sie wird im Rahmen der Plattform für verantwortungsvolles Handeln im Steuerwesen eine Diskussion mit den Mitgliedstaaten anregen, um zu einer einheitlicheren Strategie bei der Rechnungs- und Steuerprüfung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen zu kommen.“ 25 Die konkreten Vorschläge zu Anpassungen bestehender Rechtsnormen finden sich im Anhang dieser Arbeit. 26 Statt vieler sei hier verwiesen auf Roman Seer, in: EWS 2013, 257 (257 ff.) m.w.N.
C. Gang der Untersuchung
27
austausches27 und der Simultanprüfungen28 kann daher an weitreichende Vorarbeiten angeknüpft werden. Aufgrund der erst in jüngeren Jahren an Schwung gewinnenden und insb. durch den Joint Audit Report der OECD29 angestoßenen Entwicklungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen, ist die rechtswissenschaftliche Literatur zu diesem Komplex noch überschaubar. In der einschlägigen Kommentarliteratur zu Doppelbesteuerungsabkommen und Abgabenordnung finden sich Ausführungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen bis dato – wenn überhaupt – nur en passant. Teilweise enthalten Werke mit Bezug zu anderen Themen des internationalen Steuerrechts kurze Ausführungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen.30 Nichtsdestotrotz ist seit 2013 eine nicht unerhebliche Zahl von Zeitschriften- und Festschriftbeiträgen erschienen, die sich mit einzelnen Aspekten oder konkreten Fragen gemeinsamer Betriebsprüfungen befassen. Insb. die Beiträge von Christian Beckmann,31 Ernst Czakert,32 Klaus-Dieter Drüen33, Jörg Eimler34 und Thomas Eisgruber35 haben die gemeinsame Betriebsprüfung bereits aus rechtswissenschaftlicher Perspektive in den Blick genommen. Für den hier verfolgten Ansatz bietet sich also mehr als genügend Raum – insb. weil in der bereits kursorisch aufgeworfenen und sehr vielschichtigen Ausgangslage nur eine umfassendes Untersuchung in der Lage ist, die notwendigen Bezüge zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht, zwischen Völker-, Unions- und Verfassungsrecht sowie zwischen tatsächlichen und rechtlichen Herausforderungen bei der Implikation gemeinsamer Betriebsprüfungen herzustellen und für eine rechtswissenschaftliche Auswertung fruchtbar zu machen.
C. Gang der Untersuchung Den Erkenntniszielen dieser Arbeit dient die Untersuchung und Bewertung der verschiedenen Aspekte, die zur Erprobung gemeinsamer grenzüberschreitender Betriebsprüfungen geführt haben, eine Analyse der mit diesem Instrument ver27 Statt vieler sei hier verwiesen auf Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren. 28 Statt vieler sei hier auf Roman Seer, in: Tipke/Kruse, vor § 193 AO, Rn. 43 m.w.N. verwiesen. 29 OECD Joint Audit Report 2010. 30 Steffen Voll/Roland Pfeiffer/Paul Chao, in: Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, S. 383; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60. 31 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66; ders., in: IStR 2016, 627. 32 Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (601 ff.). 33 Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82. 34 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533. 35 Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89; ders., in: RIW 2017, 6 (7).
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Kap. 1: Einleitung, Erkenntnisziele und Gang der Untersuchung
bundenen rechtlichen und tatsächlichen Fragstellungen, der über die Informationsbeschaffung hinausgehenden Möglichkeiten sowie die Erörterung denkbarer Wege zur rechtlichen und praktischen Bewältigung der herausgearbeiteten kritischen Punkte. Einführend soll im zweiten Kapitel das Verhältnis des steuerlichen Verfahrensrechts (insb. des steuerlichen Ermittlungsverfahrens) zum materiellen Steuerrecht vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsrechts erörtert werden, um sowohl die Notwendigkeit als auch die Anforderungen der Sachverhaltsermittlung zu ergründen. Dabei wird insb. der Auftrag zur Sicherstellung der Gesetzmäßig- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beleuchtet. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der zunehmenden Bedeutung des steuerlichen Verfahrensrechts bei abnehmender Präzision materieller Steuerrechtsnormen sowie den Grundsätzen des steuerlichen Ermittlungsverfahrens. Im dritten Kapitel wird das völkerrechtliche Spannungsfeld zwischen materieller Universalität und formeller Territorialität untersucht und identifiziert, welche steuerlichen Sachverhalte mit internationaler Verknüpfung besonders der Aufklärung bedürfen, um auf Grundlage der so gewonnenen Sachverhaltserkenntnisse eine sachgerechte Aufteilung der Besteuerungsrechte bzw. des Besteuerungssubstrats zwischen den beteiligten Staaten zu gewährleisten. Letztlich werden auch die Möglichkeiten und bisherigen Initiativen der Europäisierung des materiellen und formellen Steuerrechts im Rahmen einer gemeinsamen (konsolidierten) Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage erörtert und ihre verfahrensrechtlichen Grenzen aufgezeigt. Daran anknüpfend werden im vierten Kapitel die derzeitigen Möglichkeiten zur Auslandssachverhaltsermittlung dargelegt und auf ihre Tauglichkeit untersucht. Einer besonderen Würdigung bedürfen dazu die erweiterten Mitwirkungspflichten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Einerseits werden dabei Gedanken der Enhanced Relationship als Ausformung der Kooperationsmaxime eingewoben, andererseits diesbezüglich bestehende Bedenken tatsächlicher und rechtlicher Natur herausgearbeitet und beleuchtet. In erforderlicher Ausführlichkeit, aber zugleich so präzise wie möglich, werden sodann die (neuen) Formen und (neuen) Rechtsgrundlagen des internationalen Informationsaustausches analysiert, wobei auch hier insb. rechtliche und tatsächliche Grenzen aufgedeckt werden. Kapitel fünf bildet den Nukleus der vorliegenden Untersuchung. Einleitend werden bisherige Initiativen wie Erwartungen analysiert und gemeinsame Betriebsprüfungen funktional eingeordnet. Die rechtlichen und tatsächlichen Herausforderungen die sich bei der Etablierung gemeinsamer Betriebsprüfungen als neuem Instrument der Aufklärung von Sachverhalten mit grenzüberschreitenden Bezügen stellen, werden herausgearbeitet. Dabei wird zunächst zwischen verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Anforderungen unterschieden, wobei hinsichtlich der sich ergebenden völkerrechtlichen Herausforderungen verschiedene Lösungswege diskutiert werden. Anschließend erfolgt eine Analyse der bisherigen rechtlichen
C. Gang der Untersuchung
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Implikationen auf nationaler, europäischer und bilateraler Ebene anhand des zuvor erarbeiteten rechtlichen Anforderungsprofils. Darauf aufbauend werden für die verschiedenen Rechtsrahmen Vorschläge für zukünftige Maßnahmen zur völker- und verfassungsrechtskonformen Etablierung gemeinsamer Betriebsprüfungen unter Berücksichtigung der zuvor in den Blick genommenen Lösungswege entwickelt. Im Kern wird eine behutsame Weiterentwicklung vorgeschlagen, die gemeinsame Betriebsprüfungen von überkommenen rechtlichen Einordnungen emanzipiert und sie rechtlich ihrer funktionalen Bedeutung auch als vorweggenommenes Verständigungsverfahren entsprechend einbettet. Kapitel sechs schließt letztlich die vorliegenden Untersuchungen ab. Hier werden die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und einer abschließenden Bewertung unterzogen.
Kapitel 2
Das Verhältnis von materiellem Steuerrecht und steuerlichem Verfahrensrecht „Ein Rechtssatz ,gilt‘ nur dann, wenn er in der überwiegenden Mehrzahl seiner Anwendungsfälle darauf rechnen kann, auch tatsächlich befolgt zu werden.“ (Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 12)
Gustav Radbruchs Aussage liegt ein simpler Gedanke zu Grunde: Das materielle Recht ist in seiner Wirkung von Natur aus abhängig von seinem Vollzug. Ohne Vollzug verliert ein Rechtssatz aber nicht nur an Wirkung; auch seine allgemeine Akzeptanz geht zurück. Spiegelbildlich gilt zugleich: Es kann nichts vollzogen werden, was keine materiell-rechtliche Grundlage hat. Das Fehlen einer Rechtsgrundlage oder ein Verstoß gegen materielles Recht führen nach den heutigen verwaltungsrechtlichen Maßstäben grds. zur endgültigen und nicht heilbaren Rechtswidrigkeit des (belastenden) Verwaltungshandelns. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist daher aufzuheben, wenn er den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.1 Rechtsetzung und Rechtsanwendung bedingen sich wechselseitig. Insofern kann ein Bild der Polarität von materiellem und formellem Verwaltungsrecht gezeichnet werden,2 das auch auf das Steuerrecht als Teilgebiet des öffentlichen Rechts übertragbar ist. Im Steuerrecht kommt dem materiellen Recht die Funktion zu, die Voraussetzungen für das Entstehen eines Besteuerungsanspruchs und dessen Höhe festzulegen. Der so begründete Besteuerungsanspruch wird mithilfe des Instrumentariums des steuerlichen Verfahrensrechts vollzogen (Besteuerungsverfahren). Es lässt sich mangels eigenständiger Definition in Anlehnung an die allgemeine Definition des § 9 VwVfG beschreiben als nach außen wirkende Tätigkeit der Finanzbehörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist.3 Das Besteuerungsverfahren zielt insb. auf die Ermittlung des steuerrechtlichen Sachverhalts als Voraussetzung für den korrekten Vollzug des Besteuerungsan-
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Vgl. bspw. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO oder § 100 Abs. 1 S. 1 FGO. Heike Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, S. 84. 3 Roman Seer, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 163, Rn. 1; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 78 AO, Rn. 16; Dieter Birk/Marc Desens/Henning Tappe, Steuerrecht, Rn. 370. 2
A. Verfassungsrechtlicher Rahmen des Besteuerungsverfahrens
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spruchs ab.4 Das Verfahrensrecht normiert die Bedingungen zur Durchsetzung der vom materiellen Steuerrecht begründeten Ansprüche durch die Finanzbehörde als Teil staatlicher Hoheitsgewalt.5 Das Besteuerungsverfahren ist funktional in verschiedene Teilbereiche gegliedert, die in der Abgabenordnung geregelt sind: Es normiert den Modus zur Ermittlung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen tatbestandlichen Voraussetzungen des materiellen Steuerrechts (Ermittlungsverfahren, §§ 85 ff. AO) auf Grundlage der vom Steuerpflichtigen abgegebenen Steuererklärung (§§ 149 ff. AO), die Herbeiführung der materiell-rechtlich angeordneten Rechtsfolge durch Festsetzung (Festsetzungsverfahren, §§ 155 ff. AO), die Form der Bekanntgabe gegenüber dem Steuerpflichtigen (Bekanntgabeverfahren, §§ 122, 124 AO), das Verfahren zur Erhebung der festgesetzten Steuer (Erhebungsverfahren, §§ 218 ff. AO) sowie die Möglichkeiten zur Vollstreckung wegen Geldforderungen (Vollstreckungsverfahren, §§ 249 ff. AO). Darüber hinaus sind das Verfahren zur Korrektur von bereits erlassenen Steuerverwaltungsakten (u. a. §§ 172 ff. AO) und das außergerichtliche Einspruchsverfahren als eigenständige Verwaltungsverfahren zu qualifizieren.6 Grob lässt sich das Besteuerungsverfahren in Elemente zur Steuerfestsetzung und solche zur Durchsetzung der Steueransprüche einteilen.7 Dogmatisch wird im jeweiligen Teilgebiet des steuerlichen Verfahrensrechts übereinstimmend zwischen Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften, ermessensdirigierenden, norminterpretierenden, normkonkretisierenden und Verwaltungsvorschriften zur Sachverhaltsermittlung unterschieden.8 Die Sachverhaltsermittlung und damit auch die Aufklärung internationaler Steuersachverhalte ist dem Ermittlungsverfahren zuzuordnen, sodass sich die nachfolgenden Untersuchungen in Anbetracht des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit insb. auf diesen Teil des Besteuerungsverfahrens beziehen.
A. Verfassungsrechtlicher Rahmen des Besteuerungsverfahrens und insb. der Sachverhaltsermittlung Das steuerliche Verfahrensrecht wird durch weitreichende verfassungsrechtliche Vorgaben geprägt. Einerseits ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Bedingungen des materiellen Steuerrechts die Notwendigkeit des steuerlichen Verfahrensrechts an sich, weil Steuerrecht kein self executing law ist. Andererseits betreffen die
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Klaus Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, S. 15. Thomas Große, in: Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Teil A, Rn. 3. Roman Seer, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 163, Rn. 1. Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, S. 7. Ralf Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 117 m.w.N.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
grundgesetzlichen Anforderungen unmittelbar die konkrete Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens als solches.9
I. Gesetzmäßigkeit der Besteuerung In vielen Verfassungen wird ein steuerrechtlicher Gesetzesvorbehalt expressis verbis angeordnet.10 Eine solche direkte Anordnung ist dem Grundgesetz hingegen fremd. Vielmehr ist in Art. 20 Abs. 3 GG, geschützt durch Art. 79 Abs. 3 GG, ganz allgemein geregelt, dass „die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung […] an Gesetz und Recht gebunden“ sind. Aus diesem Rechtsstaatsprinzip,11 ergänzt und präzisiert durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 GG,12 wird anerkanntermaßen das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (steuerrechtliches Legalitätsprinzip)13 abgeleitet, das einfachgesetzlich in § 85 S. 1 AO normiert ist.14 Dieser Grundsatz gilt für das gesamte steuerliche Verfahrensrecht als Teilgebiet des öffentlichen Rechts, also von der Erfassung des Steuerpflichtigen bis zum Rechtsbehelfsverfahren.15 Die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung enthält ein Abweichungsverbot (Vorrang des Gesetzes oder negative Gesetzmäßigkeit der Verwaltung16). Der Gesetzesvollzug durch die Finanzbehörden darf demnach nicht gegen die geltenden Gesetze verstoßen.17
9 Grundlegend unter anderem bereits Klaus Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, S. 13 ff. m.w.N. 10 Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 125 f. m.w.N. 11 Insb. das BVerfG stützt die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung unmittelbar auf das Rechtsstaatsprinzip: Vgl. BVerfG v. 10. Juni 1953, 1 BvF 1/53, BVerfGE 2, 307 (316); BVerfG v. 24. Januar 1962, 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318 (328); BVerfG v. 28. Februar 1973, 2 BvL 19/7034, BVerfGE 348 (365); BVerfG v. 27. Januar 1976, 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (259); BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (268). 12 Zur Bedeutung von Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 GG ausführlich Johanna Hey, in: Tipke/Lang, § 3, Rn. 232. 13 Umfassend zum Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung: Heike Jochum, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 149. 14 Nach überwiegender Auffassung kommt § 85 AO rein deklaratorische Bedeutung zu, statt vieler sei verwiesen auf Doris Wünsch, in: Koenig, § 85 AO, Rn. 1; Michael Schmitt, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 161, Rn. 14. 15 Doris Wünsch, in: Koenig, § 85 AO, Rn. 2. 16 Terminologie nach Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, § 20, IV 4. 17 Statt vieler Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 125.
A. Verfassungsrechtlicher Rahmen des Besteuerungsverfahrens
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Aus der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ergibt sich neben dem Abweichungsverbot aber auch ein Anwendungsgebot (Legalitätsprinzip).18 „Der Gesetzesvollzug steht nicht zur Disposition der [Finanz-]Verwaltung. Vielmehr besteht eine Ausführungspflicht.“19 Der im materiellen Steuerrecht zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers kann nur so in der Wirklichkeit umgesetzt werden, obgleich der mit der Verwirklichung des Tatbestandes entstehende Steueranspruch des Staates eine obligatio ex lege ist.20 Deshalb sind „Steuern nach Maßgabe der Gesetze und nicht nach Maßgabe einer (vertretbaren) Rechtsansicht des Steuerpflichtigen“21 festzusetzen und zu erheben.22 Um eine korrekte Feststellung und Geltendmachung der entstandenen Steueransprüche sicherzustellen, verpflichtet das Legalitätsprinzip die Finanzbehörden daher auch zur Sachverhaltsermittlung.23 Im Rahmen dieser Sachverhaltsermittlung kommt den Behörden hinsichtlich des „Ob“ der Ermittlung steuerlich relevanter Sachverhalte zwecks Festsetzung und Durchsetzung eines Steueranspruchs i.S.d. § 38 AO kein Entscheidungsspielraum zu; sie entscheiden lediglich über das „Wie“.24 Darüber hinaus greift die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung das Verbot staatlichen Handelns in grundrechtsrelevanten Bereichen ohne gesetzliche Grundlage auf (Vorbehalt des Gesetzes oder positive Gesetzmäßigkeit der Verwaltung).25 Dieser Eingriffsvorbehalt ist im Rahmen des steuerlichen Verfahrensrechts von besonderer Bedeutung, weil das Besteuerungsverfahren zur klassischen Eingriffsverwaltung gehört.26 Insb. betreffen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung regelmäßig zumindest das informationelle Selbstbestimmungsrecht27 des von der Aufklärungsmaßnahme Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).28 Darüber hinaus können aber auch andere Grundrechte ebenso betroffen sein, wie nicht unmittelbar 18 Hanno Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, S. 128; Johanna Hey, in: Tipke/ Lang, § 3, Rn. 232, Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 32; vgl. umfassend Lukas Widmer, Das Legalitätsprinzip im Abgaberecht. 19 Fritz Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 101, Rn. 5. 20 Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 127. 21 Carsten Pohl, in: FR 2009, 279 (282) m.w.N. 22 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 31; a.A. hingegen BFH v. 5. Juni 2007, I R 47/06, BStBl. II 2007, 818, BFHE 218, 221. 23 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 32. 24 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 32. 25 Zusammenfassend Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 6; grundlegend Bernd Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 111. 26 Dietrich Grashoff/Florian Kleinmanns, Aktuelles Steuerrecht 2015, Rn. 2; Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 6; Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 1, Rn. 27; Volker Weinreich, in: DStR 2002, 1925 (1929). 27 Grundlegend BVerfG v. 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1. 28 Vgl. dazu ausführlich Fritz von Hammerstein, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre im Steuerecht; die Besteuerung selbst kann grds. alle grundrechtlich geschützten Freiheiten beeinträchtigen, vgl. Christian Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, Berlin 2005, S. 101 m.w.N.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
im Mittelpunkt der Maßnahme stehende Dritte. Die Finanzverwaltung darf nicht jede beliebige oder denkbare Aufklärungsmaßnahme ergreifen, weil derartiges staatliches Handeln regelmäßig Eingriffswirkung hat und dann stets einer fundierten gesetzlichen Grundlage bedarf.29 Die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist mithin zugleich Schranke als auch Antrieb des Verwaltungshandelns der Finanzbehörden,30 auch bei Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung.
II. Gleichmäßigkeit der Besteuerung Gem. Art. 3 Abs. 1 GG sind „alle Menschen […] vor dem Gesetz gleich“. Für das Steuerrecht wird daraus der verfassungsrechtliche Auftrag abgeleitet, „dass die Steuerpflichtigen rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden“31 müssen. Bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes kommt dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein weitreichender Entscheidungsspielraum zu, der jedoch durch das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (in Form des Gebots der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und des Gebots der Folgerichtigkeit) als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG begrenzt wird.32 Nach den Gesetzen der formalen Logik müsste die gesetzmäßige und korrekte Anwendung verfassungskonformer, insb. an den oben genannten Prinzipien orientierter, Rechtsgrundlagen wie ein Automatismus in einer dem Ziel der Gleichmäßigkeit entsprechenden Besteuerung münden.33 Unter der Prämisse gleichheitsrechtskonformer Rechtsetzung wäre eine gleichheitswidrige tatsächliche Besteuerung ausgeschlossen. Diese These von der Egalität durch Legalität ist jedoch spätestens dann erschüttert, wenn der Verwaltung ein wie auch immer gearteter Handlungs- oder Wertungsspielraum eröffnet wird.34 Zudem erschweren die realen Bedingungen der Massenverwaltung die Verwirklichung der Gleichmäßigkeit in der Besteuerung durch bloße Rechtmäßigkeit, weil eine lückenlos rechtmäßige Besteuerung gerade 29 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 32; Klaus Tipke, Festschrift für Offerhaus, S. 819. 30 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO, Rn. 32. 31 BVerfG v. 27. Juli 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (268). 32 Zuletzt BVerfG v. 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (230). 33 Vgl. Steen Olaf Welding, in: ARSP 72 (1986), S. 53; Niklas Luhmann, Grundrechte als Institutionen, S. 187; in diese Richtung auch Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Anhang Art. 3 GG, Rn. 17 f. 34 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 482; Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 125, Rn. 16.
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nicht in jedem Einzelfall erreicht werden kann.35 Erst durch das Zusammenwirken von materiellem und formellem Recht wird eine am Gebot der Gleichmäßigkeit orientierte steuerliche Belastung möglich.36 Art. 3 Abs. 1 GG verlangt daher, dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, die ebenso wie die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung in § 85 S. 1 AO einfachgesetzlich normiert ist, durch die materiellen Steuergesetze (Rechtssetzungsgleichheit) und deren Vollzug (Rechtsanwendungsgleichheit) gesichert wird.37 Die Rechtsanwendungsgleichheit greift über den Vorrang des Gesetzes hinaus.38 Das steuerliche Verfahren muss sich also nicht nur an der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, sondern auch am Verfassungsgrundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ausrichten. Allerdings hat die Exekutive dabei die Zielvorstellungen, Wertungen und Differenzierungen des Gesetzgebers aufzunehmen und beim Vollzug im Einzelfall zur Wirkung zu bringen.39 Die Besteuerungsgleichheit setzt sich letztlich aus der Gleichheit in der normativen Steuerpflicht und der Gleichheit in der Steuererhebung zusammen.40 Die tatsächliche Gleichheit der Steuererhebung kann nur gelingen, wenn der Steuerverwaltung die der Besteuerung zu Grunde liegenden Sachverhalte bekannt sind. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung setzt für jeden Einzelfall die Kenntnis des steuerlich relevanten Sachverhalts voraus.41 Auch aus ihr ergibt sich also die Sachverhaltsermittlungspflicht der Steuerbehörden.
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundrechten wird der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Übermaßverbot)42 abgeleitet, der sowohl für das materielle als auch für das formelle Recht gilt.43 Das Übermaßverbot bindet gleichermaßen die gesetzgebende Gewalt bei der Normierung 35
Roman Seer, in: SteuerStud 2010, 369 (369). Klaus Tipke, in: Festschrift für Offerhaus, S. 819 (820). 37 Ulrich Koenig, in: Koenig, § 3 AO, Rn. 60; Heinz-Jürgen Pezzer, in: StuW 2007, 101 ff. m.w.N. 38 Vgl. Paul Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 125, Rn. 16. 39 Vgl. Paul Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 125, Rn. 18; ebenso Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 487; für eine noch weitreichendere Bindung der Exekutive an die Entscheidungen der Legislative und eine Reduzierung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs gesetzeskonformen Verwaltungshandeln auf die Willkürformel plädiert Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Anhang Art. 3 GG, Rn. 17 f. 40 BVerfG v. 27. Juli 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (268). Zur Wirkung des steuerlichen Verfahrenrechts auf die materielle Rechtsordnung sodann auf S. 82 ff. 41 Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2491). 42 Zum verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz statt vieler Michael Sachs, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 81 V. 43 Statt vieler Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 206. 36
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
grundrechtsbeschränkender Gesetze und die vollziehende Gewalt bei deren Anwendung im konkreten Einzelfall.44 Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung greifen regelmäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit, das allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG und insb. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein, häufig aber auch in spezielle Grundrechte wie den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) oder das Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG).45 Aufgrund dieses Charakters als Akte typischen Eingriffsverwaltungshandelns hat das Übermaßverbot im Besteuerungsverfahren eine zentrale Bedeutung. Die Finanzbehörden sind verfassungsrechtlich verpflichtet, im steuerlichen Verfahren die Interessen der Allgemeinheit an der vollständigen Durchsetzung des gesetzlich entstandenen Steueranspruchs und der dafür zuvor erforderlichen vollständigen Erfassung aller steuerlich relevanten Lebenssachverhalte zwecks Herstellung der Vollzugsgerechtigkeit als notwendige Bedingung der Funktionsfähigkeit des (Steuer-)Staates46 mit den rechtlich geschützten Interessen des Einzelnen zum Ausgleich zu bringen.47 Dazu müssen die Finanzbehörden, die mit der jeweiligen Maßnahme verbundenen Eingriffe in die Rechte des Steuerpflichtigen und Dritter mit dem Interesse der Allgemeinheit an der erforderlichen Feststellung des steuerlichen Sachverhalts als Sachaufklärungszweck im Wege einer dreistufigen Prüfung mit den Teilelementen Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit abwägen. Am Prüfungsmaßstab der Geeignetheit scheitern solche Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung, die dem Erreichen des verfolgten Ziels nicht dienlich sind.48 Die (geplante) Maßnahme muss aus der Ex-Ante-Perspektive heraus in irgendeiner Weise dazu beitragen können, einen steuerlich relevanten Sachverhalt zu ermitteln, der für die Durchführung einer gesetzmäßigen Besteuerung im konkreten Einzelfall benötigt wird.49 Dazu hat die Finanzbehörde eine Prognose50 über die erwartete Eignung zu erstellen.51 Eine Maßnahme der Sachverhaltsaufklärung wird nur dann als ungeeignet zu erachten sein, wenn sie von vornherein schlechterdings untauglich ist, 44
Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 291 m.w.N. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 288 m.w.N. 46 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 290 m.w.N. 47 Erwin Tartler, Festschrift für Kirchhof, Band II, § 155, Rn. 12; zum Gegensatz zwischen steuerlicher Vollzugsgerechtigkeit und Schonung der Rechts- und Privatsphäre: Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 9 ff. 48 Allgemein zum Maßstab der Geeignetheit statt vieler Bernd Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, Rn. 112. 49 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 292 m.w.N. 50 Vgl. zur Prognose bei der Prüfung der Geeignetheit Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 2 b). 51 Vgl. Fritz von Hammerstein, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre im Steuerecht, S. 166. 45
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dem Zweck der Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen zu dienen.52 Aufgrund der Begrenzung der Geeignetheitsprüfung auf unvertretbare Prognosen und eindeutig untaugliche Mittel wird eine Ermittlungsmaßnahme nur äußerst selten am Maßstab der verfassungsrechtlichen Geeignetheit scheitern.53 Durch das Prüfungsmerkmal der Erforderlichkeit soll sichergestellt werden, dass nur solche geeigneten Maßnahmen eingesetzt werden, die mit der geringstmöglichen Eingriffsintensität verbunden sind.54 Unter mehreren gleich geeigneten Maßnahmen können nur diejenigen den Anforderungen der Erforderlichkeit genügen, die den mildesten Eingriff darstellen.55 Da eine Bewertung, welche Maßnahme für den Betroffenen im Einzelnen weniger eingriffsintensiv sein wird, ex ante schwer zu treffen ist, wird es jedoch regelmäßig mehrere erforderliche Maßnahmen geben.56 Darum hat die Finanzbehörde bei der Frage der Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung grds. eine weitreichende Gestaltungsfreiheit.57 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bleibt es bei der Überprüfung der Erforderlichkeit daher bei einer bloßen Evidenzkontrolle.58 Letzlich werden auch am Erforderlichkeitskriterium nur wenige Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung scheitern. Die größte Bedeutung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgebots (Übermaßverbots) hat die Bestimmung der Angemessenheit (oder Verhältnismäßigkeit im engeren bzw. eigentlichen Sinne oder Proportionalität).59 Das Angemessenheits52
Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 292 m.w.N. Vgl. allgemein zur bloßen Evidenzkontrolle im Rahmen der Geeignetheit Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 2 c). 54 Vgl. Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 3. 55 Vgl. Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 3. 56 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 293 m.w.N.; Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 21 argumentiert hingegen, dass es jeweils nur ein erforderliches Mittel geben könne; Michael Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 66, meint spiegelbildlich, dass die Erforderlichkeit nicht zu prüfen sei, wenn nur ein geeignetes Mittel zur Verfügung stehe. 57 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 293; Rainer Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 53. 58 Vgl. BVerfG v. 13. Februar 1964, 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60, 1 BvR 128/61, BVerfGE 17, 232 (244 f.); BVerfG v. 18. Dezember 1968, 1 BvL 5/64, 1 BvL 14/64, 1 BvL 5/65, 1 BvL 11/ 65, 1 BvL 12/65, BVerfGE 25, 1 (19 f.); BVerfG v. 16. März 1971, 1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66, BVerfGE 30, 292 (319); BVerfG v. 05. März 1974, 1 BvL 27/72, BVerfGE 37, 1 (21); BVerfG v. 18. Dezember 1974, 1 BvR 430/65, 1 BvR 259/66, BVerfGE 38, 281 (302); BVerfG v. 19. 03. 1975, 1 BvL 20/73, 1 BvL 21/73, 1 BvL 22/73, 1 BvL 23/73, 1 BvL 24/73, BVerfGE 39, 210 (230); BVerfG v. 14. Oktober 1975 – 1 BvL 35/70, 1 BvR 307/71, 1 BvR 61/73, 1 BvR 255/73, 1 BvR 195/75, BVerfGE 40, 196 (223); BVerfG, 01. August 1978, 2 BvR 1013, 1019, 1034/77, BVerfGE 49, 24 (58); so auch Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 3 b). 59 Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 84, II 4. 53
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
prinzip schreibt die Abwägung der kollidierenden Interessen der mit der staatlichen Maßnahme verfolgten Zielsetzung mit dem Individualinteresse des von der Maßnahme Betroffenen vor.60 Durch dieses Abwägungsprinzip soll gewährleistet werden, dass auch als geeignet und erforderlich zu qualifizierenden Maßnahmen nicht zu den grundrechtlich geschützten Rechten des Betroffenen außer Verhältnis stehen – sie also angemessen sind. Dazu ist eine Güterabwägung zwischen dem Individualinteresse des Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an der Verfolgung des mit dem Mittel verfolgten Ziels vorzunehmen.61 Als Maßstäbe bei finanzbehördlichen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung sind einerseits die Eingriffsintensität sowie die Betroffenheit des Steuerpflichtigen oder Dritter und andererseits die Notwendigkeit der Ermittlung der in Rede stehenden Tatsachen zwecks Sicherung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu berücksichtigen. Besonderes Augenmerk verdient dabei die Ex-anteWahrscheinlichkeit der Feststellung von Tatsachen, die von den Angaben des Steuerpflichtigen abweichen.62 Wenn der Eingriff in die Grundrechte des von der Maßnahme Betroffenen keine nennenswerte Steigerung der Zuverlässigkeit der Sachverhaltsermittlung verspricht, werden die Anforderungen der Angemessenheit nicht erfüllt.63 Allerdings kommt der Finanzverwaltung auch bei dieser PrognoseEntscheidung über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Maßnahme ein weitreichender Einschätzungsspielraum zu.64 Deshalb unterliegen die Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung durch die Finanzbehörden hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Angemessenheit lediglich einer gerichtlichen Evidenzkontrolle. Nur wenn die Abwägung der maßgeblichen Interessen ergibt, dass Mittel und Zweck gänzlich außer Verhältnis stehen, liegt ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor.65
IV. Zusammenfassung Das steuerliche Verfahrensrecht ist von vielfältigen verfassungsrechtlichen Fundamentalprinzipien geprägt. Die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung ist in der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung verankert, wird aber zugleich durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt.
60 61 62 63 64 65
Rudolf Wendt, in: AöR 104 (1979), 414 (452 ff.). Rudolf Wendt, in: AöR 104 (1979), 414 (457 ff.). Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 295 m.w.N. Statt vieler Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 295 m.w.N. Statt vieler Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 295 m.w.N. Vgl. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 295.
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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B. Das Besteuerungsverfahren als Medium zur Verwirklichung des materiellen Steuerrechts Das materielle Steuerrecht wird erst durch das Besteuerungsverfahren verwirklicht.66 Es dient sowohl der Konkretisierung des objektiven materiellen Steuerrechts im Einzelfall67 als auch der Durchsetzung des festgestellten Besteuerungsanspruchs.68 Die Konkretisierung des materiellen Steuerrechts im Einzelfall erfolgt nach der Grundstruktur juristischer Entscheidungsfindung in Form des Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung in drei Schritten.69 Zunächst wird der Regelungsgehalt der maßgeblichen Norm des materiellen Steuerrechts durch Auslegung70 bestimmt, anschließend der fragliche Sachverhalt71 festgestellt und abschließend subsumiert.72 Hinsichtlich der Rechtsfolge kann der Behörde ein Ermessen eingeräumt sein.73
I. Zunehmende Bedeutung der Auslegung bei abnehmender Präzision des gesetzlichen Tatbestands Auch wenn bereits anhand des Umfangs des materiellen Steuerrechts abzulesen ist, dass der deutsche Gesetzgeber durchaus bemüht ist, steuerrechtliche Normen möglichst klar zu formulieren und umfassend jeder möglichen Gegebenheit Rechnung zu tragen, bleibt die präzise und erschöpfende normative Erfassung aller denkbaren Situationen aufgrund der nahezu endlosen Vielfältigkeit steuerlich relevanter Lebenssachverhalte objektiv unmöglich.74 Außerdem vermag kein Rechtssatz so eindeutig zu sein, dass es nur eine richtige Auslegung geben könnte.75 Der 66
Dazu bereits Kapitel 2 A. I. Vgl. ausführlich zum Verhältnis von materiellem Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht Heike Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, S. 82. 68 Einführend zur Durchsetzung des festgestellten Besteuerungsanspruchs Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 131. 69 Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 19. 70 Genauer zur Auslegung des Gesetzes sodann auf S. 41 ff. sowie umfassend Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 312 ff. 71 Genauer zur Feststellung des fraglichen Sachverhalts sodann auf S. 43 ff. sowie umfassend Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 278 ff. 72 Vgl. Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123. 73 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123. 74 In diese Richtung auch Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 486 f. BVerfG v. 14. März 1967, 1 BvR 334/61, BVerfGE 21, 209 (215): „[Der Gesetzgeber] braucht nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge vielfach auch gar nicht in der Lage.“ 75 Paul Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 125, Rn. 16. 67
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
landläufige Wunsch nach einer vollkommenen Bestimmtheit des Steuerrechts ist nicht nur unerfüllbar, sondern auch dogmatisch nicht begründbar.76 Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber darauf angewiesen, durch Generalisierung und interpretationsoffene Rechtsbegriffe ein flexibles Recht zu schaffen, was sich wiederum in der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe des materiellen Steuerrechts ausdrückt. 1. Verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe kann jedoch nicht grenzenlos erfolgen. Der Gesetzgeber ist insofern durch verfassungsrechtliche Vorgaben, insb. den allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz, eingeschränkt. Der – ungeschriebene – allgemeine Bestimmtheitsgrundsatz besteht neben den – geschriebenen – speziellen Bestimmtheitsgrundsätzen der Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Er kann aus verschiedenen verfassungsrechtlichen Prinzipien abgeleitet werden.77 Im Steuerrecht entfaltet der allgemeine Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund der Belastungswirkung, also des Eingriffscharakters von Steuern, besondere Geltung.78 Mit ihm werden die äußeren Grenzen der verfassungsrechtlich zulässigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gezogen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Anforderungen des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes im Steuerrecht kann mit Recht als zurückhaltend bezeichnet werden;79 hat das Gericht doch bisher (noch) kein Steuergesetz an den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots scheitern lassen.80 Nichtsdestoweniger zeigt eine Analyse, dass sich die Verfassungsgerichtsrechtsprechung immer wieder zwischen zwei Polen bewegt. Einer dieser Pole ist die Forderung, dass steuerrechtliche Normen so weitreichend bestimmt sein müssten, dass der juristische Laie in die Lage versetzt werde, seine konkrete Steuerschuld selbst zu berechnen.81 Den Gegenpol bildet die Feststellung, dass die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen im Allgemeinen unbedenklich sei.82
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Dazu ausführlich Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 305 ff. Ausführlich zum dogmatischen Fundament des ungeschriebenen allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, § 20, IV 4 f b) m.w.N.; mit Bezug zum Steuerrecht Christian Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, S. 56 ff. 78 Vgl. Peter Merz: Tatbestandsmäßigkeitsgrundsatz und Verwaltungsermessen im Steuerrecht, S. 107 ff. m.w.N. 79 So auch Christian Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, S. 49. 80 Dieser Befund trifft im Übrigen auf die gesamte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Bestimmtheitsgrundsatz zu. 81 BVerfG v. 14. Dezember 1965, 1 BvR 571/60, BVerfGE 19, 253 (267). 82 BVerfG v. 10. Oktober 1961, 2 BvL 1/59, BVerfGE 13, 153 (161 f., 164). 77
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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Im Kern wird hinsichtlich der Bestimmtheit steuerrechtlicher Normen gelten: Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe als solche ist verfassungsrechtlich grds. als zulässig zu erachten, wobei nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte und der jeweiligen Eingriffsintensität eruiert werden kann, in welchem Maße der Gesetzgeber unbestimmte Regelungen treffen darf.83 Als Grundsatz gilt insofern die Formel, dass die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit getroffen werden müssen.84 2. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Finanzbehörden und Finanzgerichte Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe gem. Art. 19 Abs. 4 GG vor allem Aufgabe der Gerichte.85 Sie haben die betroffenen Grundrechte zu wahren und zu diesem Zweck die Rechtsanwendung durch die Finanzbehörden uneingeschränkt zu überprüfen.86 Nur in Ausnahmefällen ist der rechtsanwendenden Behörde ein begrenzter Entscheidungsfreiraum zuzubilligen.87 In der Praxis erfolgt die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch weitreichend durch die Finanzverwaltung. Nur wenn Steuerpflichtige sich gerichtlich gegen Entscheidungen der Finanzbehörde wenden, wird die Finanzgerichtsbarkeit überhaupt in die Lage versetzt, die maßgebliche Norm auszulegen. In diesem Sinne ist die Finanzverwaltung Erstadressat der Steuergesetze.88 Die Aufgabe, bei der Gesetzesanwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auftauchende Zweifelsfragen durch Auslegung zu beantworten, obliegt in Wirklichkeit also im Rahmen des mehrstufigen und arbeitsteiligen Rechtsfindungssystems89 den Finanzbehörden ebenso wie den -gerichten.90 83 Christian Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, S. 166 ff. schlägt dafür ein Prüfungsmodell mit den Elementen Auslegungsstadium, Rechtfertigungsstadium, und Abwägungsvorgang vor. 84 Detailliert zum Meinungsstand hinsichtlich der abstrakten Anforderungen an die Bestimmtheit von steuerrechtlichen Normen im Übrigen Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 136 ff. 85 So BVerfG v. 17. April 1991, 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, BVerfGE 84, 34 (49 f.) zum prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum. 86 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 119. 87 So die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in Bezug auf solche Fälle, in denen der unbestimmte Rechtsbegriff aufgrund der hohen Komplexität und besonderen Dynamik der geregelten Materie besonders vage ist, BVerfG v. 17. April 1991, 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, BVerfGE 84, 34 (50). 88 Vgl. Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (301). 89 Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (301). 90 BVerfG v. 17. Mai 1960, 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60, BVerfGE 11, 126 (130); BVerfG v. 14. März 1967, 1 BvR 334/61, BVerfGE 21, 209 (215); vgl. auch Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 138.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
Die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe sowohl durch die Finanzverwaltung als auch durch die -gerichtsbarkeit erfolgt anhand des allgemeinen Auslegungskanons, also dem Wortlaut der Norm, der Systematik der Regelung, dem historischen Willen des Gesetzgebers, dem Sinn und Zweck des Gesetzes sowie der Verfassung, des Unionsrechts, des Völkerrechts und der Einheit der Rechtsordnung.91 Teleologisch hat sich die Auslegung steuerrechtlicher Normen am Belastungsgrund und an der Belastungsgleichheit zu orientieren.92 Als Rechtfertigung des mit der Steuerbelastung verbundenen Grundrechtseingriffs definiert der Gesetzgeber den steuerlichen Belastungsgrund, der seinerseits durch grammatische, logische, historische und systematische Auslegung ermittelt werden kann.93 Der so ermittelte, den Grundrechtseingriff rechtfertigende Belastungsgrund ist der konkrete Maßstab der teleologischen Auslegung.94 Die Finanzbehörden und die -gerichtsbarkeit sind verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, die Steuerschuldner rechtlich und tatsächlich gleich zu belasten.95 Bei der Auslegung der Steuergesetze muss dementsprechend die gleiche und verhältnismäßige Besteuerung als Maxime berücksichtigt werden.96 3. Zusammenfassende Bewertung Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die Steuergesetzgebung nicht alle denkbaren Lebenssachverhalte detailliert erfassen kann und außer Stande ist, diese im Sinne einer Einzelfallgerechtigkeit zu regeln. Es bedarf der Abstraktion.97 Die Steuergesetze sind deshalb interpretationsbedürftig, sie erfordern Konkretisierung und Rechtsfortbildung.98 Nehmen die Verbindlichkeit und Konkretheit des materiellen Steuerrechts ab, nimmt im Gegenzug die Bedeutung seiner Auslegung zu. Das Verhältnis des materiellen Steuerrechts zum steuerlichen Verfahrensrecht lässt sich also auch auf die Formel bringen, dass die Auslegung und damit zugleich die Verfahrensabhängigkeit immer stärker in den Vordergrund tritt, je weiter die Bestimmtheit des materiellen Steuerrechts abnimmt.99 In der Konsequenz verstärkt 91 Zur Auslegung und Fortbildung steuerrechtlicher Vorschriften anhand des klassischen Auslegungskanons und darüber hinaus ausführlich Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 75; Ralf Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 50 ff. 92 Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (295 ff.). 93 Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (295, 298). 94 Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (298). 95 Zur Geltung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Besteuerungsverfahren bereits S. 34 f. 96 Vgl. Paul Kirchhof, in: Festschrift für den Bundesfinanzhof, S. 285 (300). 97 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 34, 68. 98 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 302; Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 68. 99 Vgl. Heike Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, S. 83; Christian Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 GG, Rn. 164.
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die Abnahme der Präzision steuerlicher Belastungsnormen auch die verfassungsrechtliche Prägung des steuerlichen Verfahrensrechts.
II. Funktionale Bedeutung sowie normative Verankerung der Feststellung des Sachverhalts und Bestimmung rechtlicher Folgen im steuerlichen Verfahrensrecht Allein die Bestimmung des Inhalts steuerrechtlicher Normen lässt sie jedoch noch nicht zur Wirkung kommen. Damit die Rechtsfolge eines Rechtssatzes überhaupt eintreten kann, müssen die rechtlichen Voraussetzungen des Tatbestandes in der Wirklichkeit erfüllt sein. Das tatsächlich Geschehene und die rechtlichen Bedingungen der gesetzlichen Norm müssen sich entsprechen. Um eine solche Deckungsgleichheit zu untersuchen, muss der konkrete Lebenssachverhalt zunächst vorgestellt, dann in seinen tatsächlichen Gegebenheiten festgestellt und letztlich in einer Sprache artikuliert werden, die der des Gesetzes entspricht.100 1. Vorstellung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts Rechtliche Planungen und Entscheidungen stehen und fallen mit den konkretindividuellen Merkmalen des Sachverhalts, den es zu ermitteln, zu verifizieren und zu würdigen gilt.101 Der tatsächliche Lebenssachverhalt, auf den die steuerrechtliche Norm anzuwenden ist, bedarf im Ausgangspunkt der Wahrnehmung als Geschehenes. Aus der endlosen Fülle des Wahrnehmbaren muss dasjenige erkannt, benannt und geordnet werden, das eine rechtliche Erheblichkeit verspricht.102 Für die Verwirklichung des materiellen Steuerrechts sind solche Sachverhalte aufzuspüren, die eine Besteuerung auslösen (können). Die Herausforderung für den Steuerrechtsanwender besteht darin, das Geschehene zu erfassen, es hinsichtlich einer möglichen steuerlichen Erheblichkeit einzuschätzen und es anschließend in die Sprache des materiellen Steuerrechts zu übersetzen. Die Feststellung des Sachverhalts als quastio facti ist daher nicht Voraussetzung, sondern evident Gegenstand der juristischen Tätigkeit.103 Sie steht dabei aber keinesfalls allein, sondern im wechselseitigen Bezug zur Subsumtion.
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Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 278. Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 47. 102 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 278, Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 19. 103 Josef Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 55. 101
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
a) Bedeutung und Prinzipien der Sachverhaltsermittlung bei der Verwirklichung des materiellen Steuerrechts Die Festsetzung von Steuern obliegt den Finanzbehörden. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen ihnen die Sachverhalte, die die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Besteuerungstatbestandes erfüllen – denen das materielle Recht also eine Steuerschuld folgen lässt –104 bekannt sein.105 Der Ermittlung, Feststellung und Bewertung des Sachverhalts kommen für den Vollzug der materiellen Steuergesetze entsprechend zentrale Rollen zu.106 Weil eine Besteuerung ohne Sachverhaltskenntnis nicht sachgerecht möglich ist, kann die vollkommene Verwirklichung der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit nur bei lückenloser oder zumindest möglichst weitreichender Kenntnis der steuerlich relevanten Lebenssachverhalte im Einzelfall gelingen.107 Wegen der enormen Bedeutung der korrekten Sachverhaltsermittlung für die Ausführung des materiellen Steuerrechts liegt diese Aufgabe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nach dem Untersuchungsgrundsatz108 in der Hand der Steuerbehörden.109 Das steuerliche Verfahrensrecht enthält dezidierte Regelungen, nach denen das Ermittlungsverfahren, dem die in der vorliegenden Arbeit erörterten Herausforderungen bei der Aufklärung internationaler Steuersachverhalte zuzuordnen sind, durchgeführt wird. Es basiert auf mannigfaltigen Prinzipien, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen, zugleich aber auch beschränken; namentlich das Deklarations-, Kooperations- und Vertrauensvorschussprinzip der Untersuchungsgrundsatz und das Verifikationsprinzip. aa) Untersuchungsgrundsatz Den einfachgesetzlichen Ausgangspunkt des steuerlichen Ermittlungsverfahrens bildet der verfassungsrechtlich fundierte110 Untersuchungsgrundsatz nach § 88 AO.111 Dieser ist rechtsstaatlich begründet und dient der Verwirklichung der ver104 Zum Begriff der steuererheblichen Tatsache sei verwiesen auf Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 37. 105 Erwin Tartler, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 155, Rn. 7. 106 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 294. 107 Michael Schmitt, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 161, Rn. 16; Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2491), ausführlich zuvor auf S. 39 ff.; zu den materiell-rechtlichen Folgen strukturell mangelnder Feststellbarkeit steuerlich relevanter Sachverhalte sodann auf S. 83 ff. 108 Detailliert zum Untersuchungsgrundsatz sodann auf den folgenden Seiten. 109 Roman Seer, in: SteuerStud 2010, 369 (371). 110 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Untersuchungsgrundsatzes mit Blick auf das gesamte öffentliche Recht: Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 55 ff. 111 Grundlegend zum Untersuchungsgrundsatz: Christian von Pestalozza, in: Festschrift Boorberg Verlag, S. 185.
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fassungsmäßigen Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung.112 Dem Untersuchungsgrundsatz ist vor allem das negative Prinzip zu entnehmen,113 dass eine Abhängigkeit der Sachverhaltsaufklärung vom Parteivortrag negiert (§ 88 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 AO).114 Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde115 im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Maßnahmen zu ergreifen, ihr unbekannte Sachverhalte zu ermitteln.116 Als Aufklärungsmittel mit Eingriffscharakter kommen wegen des Vorbehalts des Gesetzes nur solche Maßnahmen in Betracht, zu denen die Finanzbehörden in der Abgabenordnung oder in den Einzelsteuergesetzen durch besondere Befugnisnormen ermächtigt werden.117 § 88 AO ist keine solche Befugnisnorm, sondern eine reine Aufgabennorm. Sachverhaltsermittlungsmaßnahmen mit Eingriffscharakter können daher nicht auf § 88 AO gestützt werden.118 Lediglich für Ermittlungsmaßnahmen ohne Eingriffscharakter bildet § 88 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage.119 Inwieweit eingriffsfreie Sachverhaltsaufklärungsmittel im Ausland ohne Zustimmung des betroffenen Staates eingesetzt werden dürfen und welche Folgen ein möglicher Völkerrechtsverstoß für die Beweisverwertbarkeit hat, wird zu erörtern sein.120 Die Finanzverwaltungsbehörden bestimmen sowohl Art als auch Umfang der Ermittlungen (§ 88 Abs. 1 S. 2 AO) und legen die Beweismittel fest, die sie zur Sachverhaltsermittlung für erforderlich halten (§ 92 S. 1 AO). Ihnen kommt bei der Sachverhaltsfeststellung im Rahmen der Gesetze also ein weitreichender Ermittlungsspielraum zu.121
112
Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Untersuchungsgrundsatzes und seiner systemprägenden Prinzipien im Verwaltungsrecht Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 55 ff.; in Bezug auf das steuerliche Verfahrensrecht sei verwiesen auf Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 11; zur Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung bereits S. 32 ff. 113 Christian von Pestalozza, in: Festschrift Boorberg Verlag, S. 185 (186); vgl. auch Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 122; zustimmend Roman Seer, in: SteuerStud 2010, 369 (371). 114 Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (12); Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 29. 115 Ausführlich zu den Ermessensvorschriften im steuerlichen Verfahrensrecht auf S. 79 ff. 116 Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (12). 117 Vgl. BFH v. 25. Mai 1976, VII R 59/75, BFHE 119, 34, BStBl. II 1977, 18 (19), vgl. auch Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 5. 118 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 90. 119 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 90; Roman Seer, in: Tipke/ Kruse, § 88 AO, Rn. 9; Beispiele für derartige eingriffsfreie Ermittlungsmaßnahmen sodann auf S. 54. 120 Dazu sodann auf S. 193 ff. 121 Ausführlich zum Ermittlungsspielraum der Finanzbehörden: Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 175 ff.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
bb) Angaben und Mitwirkung des Steuerpflichtigen als Ausgangspunkt der steuerlichen Sachverhaltsermittlung Weil die Finanzbehörden weder rechtlich122 noch tatsächlich123 in der Lage sind, alles Geschehene durch eigene Wahrnehmung zu erfahren oder zu verarbeiten – sie im Gegenteil durch eigene Wahrnehmung regelmäßig sogar kaum etwas zum Sachverhalt beitragen können –,124 sind sie bei der Ermittlung steuererheblicher Sachverhalte bereits im Ausgangspunkt auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen und Dritter angewiesen.125 Es ist darüber hinaus ein Gebot der Verhältnismäßigkeit,126 die Angaben der Beteiligten bei der Feststellung und Ermittlung des Sachverhalts (bspw. im Rahmen des sog. Deklarationsprinzips) an den Anfang der Untersuchung zu stellen. Die Ermittlung eines steuerlichen Sachverhalts ausgehend von dessen Angaben ist für den Bürger weit weniger belastend als eine umfassende Aufklärung im Rahmen staatlicher Erforschungstätigkeit.127 Negativ formuliert: Wo ein Sachverhalt durch einen Mitwirkungsbeitrag des Steuerpflichtigen (zutreffend) ermittelt werden kann, scheitern andere Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung am Maßstab der Erforderlichkeit.128 Dementsprechend sind die Beteiligten nach der Generalvorschrift129 des § 90 Abs. 1 S. 1 AO zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Der Steuerpflichtige darf sich nicht auf den Untersuchungsgrundsatz zurückziehen und sich rein passiv verhalten.130 Der allgemeinen Mitwirkungspflicht kommen die Steuerpflichtigen nach, wenn sie die zur Besteuerung erheblichen
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Rechtlich steht einer umfassenden Einsichtnahme in alles Geschehe in erster Linie das freiheitsschützende Übermaßverbot entgegen; zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits auf S. 35 ff. 123 Tatsächlich scheidet eine eigenständige Erfassung aller relevanter Sachverhalte insb. unter den Bedingungen der Massenverwaltung aus; vgl. statt vieler: Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7. 124 Mit diesem Befund übereinstimmend Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 110; Lerke Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume bei der Anwendung der Steuergesetze, S. 288; Wolfram Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 18; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 175; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, 4. Aufl., § 88 AO, Rn. 42. 125 Joachim Martens, in: JuS 1978, 99 (102); Michael Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 296 f.; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 8 ff.; ders., in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 163, Rn. 11. 126 Allgemein zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgebots vgl. S. 35 ff.; zur Verhältnismäßigkeit als Grenze der Ermittlungspflicht nach dem Untersuchungsgrundsatz vgl. unten S. 58 ff. 127 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 293. 128 Zur verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit von Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung bereits zuvor auf S. 37 und weiter sodann auf S. 44 ff. 129 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 6, Rn. 15. 130 Jürgen Melchior, in: Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Teil G, Rn. 1009.
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Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen.131 Die allgemeinen Mitwirkungspflichten werden durch eine Reihe spezieller Vorschriften der Abgabenordnung und der Einzelsteuergesetze132 konkretisiert, weil sich aus § 90 Abs. 1 S. 1 AO isoliert keine speziellen Mitwirkungspflichten, also insb. Aufzeichnungs-, Erläuterungs-, Vorlage- oder Aufbewahrungspflichten, ableiten lassen.133 Doch auch die in besonderen Rechtsgrundlagen enthaltenen konkreten Mitwirkungspflichten haben ihre Grenzen. Verfassungsrechtliche Schranken können sich insb. aus dem Übermaßverbot134 und dem Nemo-tenetur-Grundsatz ergeben.135 Bestehen aus Sicht der Finanzverwaltung keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen, gibt es grds. keinen Anlass für weitere Ermittlungen.136 Dieses Vertrauensvorschussprinzip, das einfachgesetzlich insb. in § 158 AO verankert ist, ist im Kern ebenfalls Ausdruck der Erforderlichkeit im Gefüge des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes.137 Bei der Beurteilung der Frage, ob Anhaltspunkte bestehen, die den Verdacht aufkommen lassen, dass die Angaben des Mitwirkungspflichtigen unrichtig oder unvollständig sind, kommt der Finanzverwaltung allerdings im Rahmen der hierfür erforderlichen Prognose-Entscheidung ein weitreichender Einschätzungsspielraum zu.138 131 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 37 f. mit weiteren Erläuterungen zur systematischen Einordnung der allgemeinen Mitwirkungspflicht. 132 Die Abgabenordnung kennt insb. folgende Mitwirkungspflichten der Beteiligten: Auskunftspflicht (§ 93 AO), Verpflichtung zur eidesstattlichen Versicherung (§ 95 AO),Vorlagepflicht für Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden (§ 97 AO), Duldungspflicht bei behördlichem Betreten von Grundstücken und Räumen (§§ 99, 210 AO), Vorlagepflicht für Wertsachen (§ 100 AO), Mitwirkungspflicht bei der Personenstands- und Betriebsaufnahme (§§ 134 ff. AO), Anzeigepflicht (§§ 137 ff. AO), Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140 ff. AO), Steuererklärungspflicht (§§ 149 ff. AO), Pflicht zur Berichtigung von Erklärungen (§ 153), Pflicht zur Kontenwahrheit (§ 154), Nachweispflicht bei fiduziarischen Rechtsverhältnissen (§ 159), Pflicht zur Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern (§ 160), Mitwirkungspflicht bei der Außenprüfung (§ 200), Pflichten bei der Steueraufsicht in besonderen Fällen (§§ 210 f.); außerhalb der Abgabenordnung finden sich Mitwirkungspflichten insb. in §§ 22a, 42 f Abs. 2, 68 Abs. 1 EStG, §§ 30, 33, 34 ErbStG, §§ 18, 19 GrEStG und § 22 UStG. 133 BFH v. 17. Oktober 2001, I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 11. August 1992, VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 3 ff.; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 15. 134 Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 21, Rn. 175; ausführlich dazu im Übrigen bereits zuvor auf S. 35 ff. 135 Arnold Müller, in: AO-StB 2008, 285 (289 f.); Hinrich Rüping/Thomas Kopp, in: NStZ 1997, 530 (532 f.). 136 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 73. 137 Vgl. BFH v. 17. April 1969, V R 21/66, BFHE 95, 484, BStBl. II 1969, 474; BMF v. 31. Januar 2014, IVA 3 – S 0062/14/10002, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 88, Tz. 2; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 186 ff., S. 294; ders., in: DStJG, Band 31, S. 7 (16). 138 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 144.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
cc) Ergänzendes Verifikationsprinzip Weil Steuerpflichtige i. d. R. andere – gar den Interessen der Finanzbehörden gegenläufige – Ziele verfolgen,139 behält der Untersuchungsgrundsatz auch bei Erfüllung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen seine volle Gültigkeit.140 Nach § 88 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 AO liegt es im Ermessen der Steuerbehörden, inwieweit sie den Angaben des Steuerpflichtigen vertrauen oder diese hinsichtlich ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen;141 sie dürfen ihren verfassungsrechtlichen Gesetzesvollzugsauftrag allerdings nicht derart vernachlässigen, dass sie auf eine Verifikation der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben strukturell verzichten.142 Eine einseitig von den Angaben des Bürgers abhängige Sachaufklärung würde nicht nur gegen den einfachgesetzlichen Untersuchungsgrundsatz verstoßen, sondern zugleich die verfassungsrechtlichen Fundamentalprinzipien der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung nahezu gänzlich ignorieren.143 Wenn die Finanzbehörden die Steuern nur nach dem vom Steuerpflichtigen angegebenen Sachverhalt erheben, „mutiert die Steuer zur Spende“.144 Ohne wirksame Kontrolle kann das Besteuerungsverfahren also nicht auskommen.145 Um den Steuervollzug strukturell zu sichern, bedarf das Deklarationsprinzip daher grds. der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip146 als Subprinzip des Untersuchungsgrundsatzes des § 88 Abs. 1 S. 1 AO.147 Diese Verifikation der Angaben des Mitwirkungspflichtigen erfolgt im Wesentlichen mit dem Instrument der Außenprüfung, gezielten Einzelermittlungsmaßnahmen und der Fahndung.148
139
Vgl. Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 322. Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 54. 141 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 110; Michael Schmitt, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 161, Rn. 19. 142 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 187; ders., in: DStJG, Band 31, S. 7 (16). 143 Vgl. dazu im Kern die wegweisende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Zinsbesteuerung, BVerfG vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239. Anderes gilt allerdings bei bestimmten Aufzeichnungs- und formbestimmten Nachweispflichten, die ihrerseits Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Steuerrechts sind, vgl. dazu Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 51 ff. 144 So im Wortlaut: Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (16). 145 Klaus-Dieter Drüen, in: FR 2011, 101 (106); Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (16). 146 Vgl. BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (273). 147 Vgl. Roman Seer, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 163, Rn. 10; ders., in: SteuerStud 2010, 369 (371); zustimmend: Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 55. 148 Statt vieler Reinhart Rüsken, in: DStJG, Band 31, S. 243 (244). 140
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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(1) Außenprüfung Die Außenprüfung149 ist das wichtigste Instrument der Finanzverwaltung zur Überprüfung von Steuererklärungen und -bilanzen der Steuerpflichtigen.150 Namensgebendes und zugleich wesentliches Element der Außenprüfung ist die Tatsache, dass sie nicht in den Räumlichkeiten der Finanzverwaltung durchgeführt wird, sondern beim Steuerpflichtigen selbst stattfindet. So werden den Bediensteten der Finanzbehörde weitreichende, unmittelbare Einblicke nicht nur in die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, sondern auch in die tatsächlichen Umstände seiner Tätigkeit ermöglicht.151 Sie dient der nachträglichen Überprüfung der richtigen Erfassung steuerlich relevanter Sachverhalte im Rahmen der Besteuerung.152 Ziel ist die Verifikation der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben nach der Veranlagung. Voraussetzungen und Wirkungen von Außenprüfungen sind in den §§ 193 - 203 AO geregelt. Einzelheiten zur Durchführung von Außenprüfungen enthält die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung (BpO). Die Zulässigkeit der Anordnung einer Außenprüfung richtet sich nach § 193 AO. Bei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften kann eine Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 1 AO voraussetzungslos angeordnet werden,153 während für Außenprüfungen bei anderen Steuerpflichtigen die zusätzlichen Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 AO erfüllt sein müssen. Die Anordnung der Prüfung selbst hat Verwaltungsaktqualität. Ob die Finanzverwaltung eine Prüfungsanordnung trifft, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.154 Neben sog. Anschlussprüfungen, bei denen ein Prüfungszeitraum lückenlos an den vorangegangenen Prüfungszeitraum anschließt, werden Außenprüfungen auch anlassbezogen oder nach dem Zufallsprinzip angeordnet.155 Ist eine Prüfungsanordnung aus formellen Gründen aufgehoben oder für nichtig erklärt worden, so kann die Finanzbehörde eine erneute Prüfungsanordnung unter 149 Für den Begriff Außenprüfung wird häufig der Begriff Betriebsprüfung als Synonym verwendet. Dabei unterscheiden sich die beiden Begriffe inhaltlich. Betriebsprüfungen erfassen ihrem Wortsinn nach Gewerbebetriebe, land- und forstwirtschaftliche Betriebe und Freiberufler (vgl. § 193 Abs. 1 AO); Außenprüfungen hingegen können sich auch auf die steuerlichen Verhältnisse von anderen Steuerpflichtigen (vgl. § 193 Abs. 2 AO) beziehen. 150 Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vorb. §§ 193 – 203 AO. 151 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 115. 152 Damit ist allerdings nicht die Überprüfung der Richtigkeit einer Steuererklärung gemeint. Die Zulässigkeit der Außenprüfung hängt grds. nicht von der vorherigen Abgabe einer Steuererklärung ab; vgl. Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 193 AO, Rn. 36 m.w.N. Zur Zulässigkeit von veranlagungsvorgreifenden Außenprüfungen, insb. auf Basis eines Steuererklärungsentwurfs (Osnabrücker Modell zur zeitnahen Betriebsprüfung) vgl. Klaus-Dieter Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfungen, S. 33 ff. 153 Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 193 AO, Rn. 42. Für die hier untersuchten Fälle grenzüberschreitend tätiger Unternehmen kann die Anordnung einer Betriebsprüfung damit ohne weiteres auf § 193 Abs. 1 AO gestützt werden. 154 Dabei kommt der BpO ermessensleitende Funktion zu; vgl. Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 116. 155 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 116.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
Vermeidung des Verfahrensfehlers erlassen (sog. Wiederholungsprüfung).156 Die Finanzbehörden dürfen aber auch für einen bereits abschließend geprüften Zeitraum eine erneute Außenprüfung anordnen (sog. Zweitprüfung).157 Dem kann § 173 Abs. 2 AO nicht entgegengehalten werden, weil damit die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Außenprüfung im Wege des Zirkelschlusses von ihrem Ergebnis abhängig gemacht würde.158 Unzulässig ist eine Prüfungsanordnung allerdings, wenn durch sie unzweifelhaft keine steuererheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind.159 Die Prüfung bezweckt gem. § 194 Abs. 1 S. 1 AO die Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Nach § 194 Abs. 1 S. 2 AO kann sie eine oder mehrere Steuerarten, einen Besteuerungszeitraum oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen oder sich auch auf bestimmte Sachverhalte beschränken. Innerhalb des durch die Prüfungsanordnung im Rahmen des § 4 BpO festgelegten Prüfungsumfangs bedürfen einzelne Prüfungsmaßnahmen keiner besonderen Rechtfertigung.160 Prüfungstiefe, -breite und -dichte liegen im Ermessen der Finanzbehörde. Die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Außenprüfung und die durch die Prüfungsanordnung konstituierte Duldungspflicht besitzen i. d. R. als Maßnahmen zur Vorbereitung der Steuerfestsetzung keinen eigenständigen Regelungscharakter, sodass ihnen keine Verwaltungsaktqualität zuzusprechen ist.161 Im Rahmen der Durchführung einer Außenprüfung treffen den Steuerpflichtigen besonders weitreichende Mitwirkungs- und Duldungspflichten.162 Er hat gem. § 200 AO bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. Insb. muss der Steuerpflichtige Auskünfte erteilen und Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere sowie andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorlegen, dazu Erläuterungen geben und der Finanzbehörde bei der Einsichtnahme in die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellten Unterlagen
156 BFH v. 20. Oktober 1988, IV R 104/86, BFHE 155, 4, BStBl. II 1989, 180; BFH v. 24. August 1989, IV R 65/88, BFHE 158, 114, BStBl. II 1990, 2; BMF v. 31. Januar 2014, IVA 3 – S 0062/14/10002, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 196 AO, Tz. 3. 157 BFH v. 24. Januar 1989, VII R 35/86, BFHE 156, 14, BStBl. II 1989, 440; BMF v. 31. Januar 2014, IVA 3 – S 0062/14/10002, BFH v. 8. Juli 2004, XI B 124/03, BFH/NV 2005, 6; Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 196 AO, Tz. 4; Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 193 AO, Rn. 40; Wolfgang Seibel, in; AO-StB 2002, 417 (420); Helmut Tormöhlen, in: AO-StB 2013, 279 (280). 158 Vgl. FG Münster v. 20. April 2012, 14 K 4222/11, EFG 2012, 1516; FG BadenWürttemberg v. 9. Dezember 2014, 4 K 181/13, EFG 2015, 1888; Wolfgang Seibel, in: AO-StB 2002, 417 (420); Helmut Tormöhlen, in: AO-StB 2013, 279 (280); a.A.: FG BW v. 23. März 1993 – 11 K 57/90. 159 Jens Intemann, in: Koenig, § 193 AO, Rn. 26; Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 117; vgl. auch Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 193 AO, Rn. 38. 160 Reinhard Rüsken, in: DStJG, Band 31, S. 243 (245). 161 BFH v. 10. November 1998, VII R 3/98, BFHE 187, 386, BStBl. II 1999, 199. 162 Reinhart Rüsken, in: Klein, § 193 AO, Rn. 1.
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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(§ 147 Abs. 6 AO) helfen.163 Die Anordnung einzelner Mitwirkungshandlungen stellt als Qualifikation des § 200 AO regelmäßig einen Verwaltungsakt dar.164 Gegenstand der Prüfung sind nur die Verhältnisse des Geprüften, sodass die Anordnung und Durchführung von Außenprüfungen zum Zwecke der Erforschung steuerlicher Verhältnisse Dritter unzulässig ist.165 Werden allerdings anlässlich einer Außenprüfung Verhältnisse Dritter bekannt, können diese Erkenntnisse bei der Besteuerung dieser Person berücksichtig werden, § 194 Abs. 3 AO. Dabei muss es sich um sog. Zufallsfunde handeln; gezielte Ermittlungen zur Aufdeckung steuerlicher Verhältnisse Dritter sind ebenso unzulässig166 wie die Suche nach derartigen Erkenntnissen ins Blaue hinein.167 Es ist jedoch vom Zufallsprinzip gedeckt, bestimmte Geschäftsbeziehungen zu Dritten systematisch aufzuarbeiten.168 Zum Zweck der steuerlichen Berücksichtigung können so gewonnene Erkenntnisse den für die Besteuerung der anderen Person zuständigen Finanzbehörden als sog. Kontrollmitteilungen zugeleitet werden.169 Inhalt einer Kontrollmitteilung können tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse sein, deren Kenntnis für die Besteuerung möglicherweise von Bedeutung sind.170 Eine substantielle gesetzliche Grundlage für die Übermittlung von Kontrollmitteilungen besteht nicht, ist aber auch nicht erforderlich.171 Bevor die Außenprüfung endet, ist gem. § 201 Abs. 1 AO eine Schlussbesprechung durchzuführen, wenn sich nach dem Ergebnis der Außenprüfung eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt und der Steuerpflichtige nicht auf die Besprechung verzichtet. In der Schlussbesprechung sollen nach § 201 Abs. 1 S. 2 AO insb. strittige Sachverhalte sowie die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen erörtert werden. Eine Erörterung ist jedoch keine einseitige Ergebnisbekanntgabe.172 Die Beteiligten – d.h. die Finanz163
Harald Schaumburg, in: DStR 2002, 829 (835). Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vorb. §§ 193 – 203 AO, Rn. 233. 165 BFH v. 18. Februar 1997, VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl. II 1997, 499. 166 BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227. 167 Reinhard Rüsken, in: DStJG, Band 31, S. 243 (246 f.). 168 Rolf Eckhoff, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 194 AO (Stand: September 2004), Rn. 221 f.; a.A.: Georg Wengert/Andreas Widmann, in: BB 1998, 724. 169 Vereinzelt wird im Schrifttum vorgebracht, Kontrollmitteilungen dürften aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur unter engsten Voraussetzungen erteilt werden, bspw. weil Anlass zur Annahme von Steuerunehrlichkeit des Dritten besteht; u. a. Matthias Leist, Verfassungsrechtliche Schranken des steuerlichen Auskunfts- und Informationsverkehrs, S. 288 ff. Diese Bedenken vermögen jedoch nicht generell durchzudringen; vgl. statt vieler BFH v. 2. April 1992, VIII B 129/91, BFHE 167, 149, BStBl. II 1992, 616; Reinhard Rüsken, in: DStJG, Band 31, S. 243 (247 ff.). 170 BFH v. 2. August 2001, VII B 290/99, BFHE 196, 4, BStBl. II 2001, 1474. 171 Reinhard Rüsken, in: Klein, § 194 AO, Rn. 28; Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 21, Rn. 266. 172 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 337. 164
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
behörde und der Steuerpflichtige – können ihre unterschiedlichen Auffassungen vortragen und versuchen die andere Seite von der Richtigkeit dieser Auffassungen zu überzeugen, mit dem Ziel, Einvernehmen herzustellen und so strittige Punkte zum Schluss der Außenprüfung zu erledigen.173 Das im Übrigen gänzlich in der Hand der Finanzbehörde liegende Verfahren der Außenprüfung öffnet sich und wird um ein diskursives Element der Verständigung ergänzt.174 Indes bleiben die Finanzbehörden dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verpflichtet, sodass jedenfalls ein bewusstes Abweichen vom materiellen Steuerrecht mit § 201 AO nicht gerechtfertigt werden kann.175 Den Abschluss der Außenprüfung bildet die Bekanntgabe des Prüfungsberichts. Darin dokumentiert die Prüfungsbehörde die Vorgänge im Prüfungsablauf, die später rechtliche Auswirkungen haben können und fasst die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammen.176 Auf dieser Grundlage ergehen weitere Entscheidungen der Finanzbehörden, wie die Änderung der Steuerfestsetzung, der Erlass oder die Stundung.177 Der Prüfungsbericht seinerseits hat jedoch keinen eigenen Regelungscharakter und ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt.178 Gegen die Außenprüfung kann Rechtsschutz durch Anfechtung der Prüfungsanordnung179 ersucht werden.180 Soweit einzelne Maßnahmen der Außenprüfung Verwaltungsaktscharakter haben, kann der Steuerpflichtige gegen diese ebenfalls im Wege der Anfechtung vorgehen. Fehlt es an einem Verwaltungsakt, kann Rechtsschutz durch allgemeine Leistungsklage mit dem Ziel des Unterlassens ersucht werden.
173
Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 201 AO, Rn. 12. Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 337. Umstritten ist, in welchem Umfang Vereinbarungen über Sach- und Rechtsfragen getroffen werden können; vgl. insb. zu den rechtsdogmatischen Grundlagen dieses Streits im Überblick: Roman Seer, Verständigung im Steuerverfahren, S: 128 ff. 175 BFH v. 11. Dezember 1984, VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BstBl. II 1985, 354; Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 201 AO, Rn. 12. 176 Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 202 AO, Rn. 11. 177 Ulrich Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 202 AO, Rn. 11. 178 BFH v. 17. Juli 1985, I R 214/82, BFHE 144, 333, BStBl. II 1986, 21. 179 Nach Abschluss der Außenprüfung ist die Prüfungsanordnung erledigt, sodass der Steuerpflichtige danach auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage verwiesen ist. Dies kann insb. angezeigt sein, um sich auf mögliche Verwertungsverbote infolge einer rechtswidrigen Prüfungsanordnung zu berufen. 180 Reinhart Rüsken, in: Klein, § 193 AO, Rn. 56. 174
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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(2) Gezielte Einzelermittlung181 Das steuerliche Verfahrensrecht lässt nachprüfende Ermittlungen in begrenztem Umfang auch außerhalb des zur Verifikation bestimmten intensiven und besonderen Rechtsinstituts der Außenprüfung zu. Soweit mit der Ermittlungsmaßnahme Eingriffe in die Rechte eines Beteiligten oder einer anderen Person verbunden sind,182 können die Finanzbehörden zur Verifikation unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit183 durch besondere Befugnisnormen gedeckte Ermittlungsmaßnahmen ergreifen. Derartige gezielte Ermittlungsmaßnahmen sind vor allem die in den §§ 93 – 100 AO normierten Beweismittel. Namentlich sind das Auskünfte der Beteiligten oder Dritter (§ 93 AO), inklusive eidlicher Vernehmungen (§ 94 AO) oder eidesstattlicher Versicherungen (§ 95 AO), Sachverständigengutachten (§ 96 AO), die Vorlage von Urkunden (§ 97 AO), die Inaugenscheinnahme (§ 98 AO), das Betreten von Grundstücken und Räumen (§ 99 AO) oder die Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO). Die genannten Ermittlungsformen weisen Verwaltungsaktqualität184 auf, sodass der Betroffene gegen sie durch Anfechtung vorgehen kann. Ebenfalls als Mittel der Sachverhaltsaufklärung kommen Auskunftsersuchen im Wege der zwischenstaatlichen Amtsund Rechtshilfe nach § 117 AO in Betracht, die mit einem Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen verbunden sein können.185 Ein derartiges Auskunftsersuchen hat jedoch mangels eigenständigen Regelungsgehalts keine Verwaltungsaktqualität186 und kann dementsprechend im Wege der allgemeinen Leistungsklage angegriffen werden. 181 Das besondere Instrument der Nachschau steht als eigenes Rechtsinsitut nur im Umsatz-, Zoll- und Verbrauchsteuerrecht zur Verfügung (§ 210 Abs. 1 AO, § 27b UStG) und kann daher für das Ertragsteuerrecht außer Acht gelassen werden. 182 Zum Vorbehalt des Gesetzes im steuerlichen Verfahrensrecht bereits zuvor auf S. 32. 183 Zur Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus verfassungsrechtlicher Perspektive bereits zuvor auf S. 35 ff. 184 Zu § 93 AO Bernd Rätke, in: Klein, § 93 AO, Rn. 22; zu § 94 AO; Bernd Rätke, in: Klein, § 94 AO, Rn. 3; zu § 95 AO Bernd Rätke, in: Klein, § 95 AO, Rn. 17; zu § 96 AO Silvia Schuster, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 AO, Rn. 11; zu § 97 AO Bernd Rätke, in: Klein, § 97 AO, Rn. 26; zu § 98 AO Silvia Schuster, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 98 AO, Rn. 8; zu § 99 AO Silvia Schuster, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 AO Silvia Schuster, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 AO, Rn. 23. 185 Die herrschende Literatur nimmt einen Eingriff nur ausnahmsweise an: Roman Seer/ Isabel Gabert, in: StuW 2010, 3 (19); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 113; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 82; Martin Förster, in: Koch/ Scholtz, § 117 AO, Rn. 7; Dieter Carl/Joachim Clos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 126. 186 Vgl. Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 126; Markus Gotzens, in: AO-StB 2005, 150 (154); Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 20.38; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 113; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 75, Rn. 82; § 112 AO, Rn. 130; a.A.: Roland Ismer/Norbert Sailer, in: IStR 2003, 622 (629); Lutz Lammers, in: EWS 2010, 121 (122 f.).
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
Daneben können sich die Finanzbehörden zur Sachverhaltsaufklärung jedes tauglichen Erkenntnismittels bedienen, soweit damit nicht ein Eingriff in die Rechte eines Beteiligten oder einer anderen Person verbunden ist. Für derartige Ermittlungsmaßnahmen ohne Eingriffscharakter bildet § 88 AO als Aufgabennorm eine ausreichende Rechtsgrundlage.187 Sonstige Ermittlungsmaßnahmen sind im Wesentlichen das Wissen aus der Bearbeitung anderer Steuererklärungen, Erkenntnisse aus im Wege der Amts- und Rechtshilfe erhaltener Mitteilungen,188 von Mitarbeitern privat erlangte Tatsachenerkenntnisse, freiwillig erteilte Auskünfte, von einem Angestellten der Finanzbehörde oder von berufsständischen Vertretungen erstellte Gutachten, Umfragen zur allgemeinen Verkehrsauffassung oder zu Handelsbräuchen, Kontrollmitteilungen, Selbstanzeigen, gerichtliche Strafakten sowie Ermittlungsergebnisse anderer Behörden.189 Auch der Einsatz dieser Mittel ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen.190 Sie haben allerdings keinen Verwaltungsaktcharakter, sodass Rechtsschutz gegen sie durch Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage zu ersuchen ist. (3) Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der Steuerfahndung Steuerliche Sachverhalte können auch im Rahmen der Steuerfahndung aufgeklärt werden. § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO bestimmt, dass die Fahndung Steuerstraftaten (§ 370 AO) sowie -ordnungswidrigkeiten (§ 377 AO) zu erforschen hat und in diesen Fällen zugleich nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO die Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagungsstelle mit ermitteln soll. Darüber hinaus gehört zu ihren Aufgaben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (sog. Vorfeldermittlungen). Die in § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 AO genannten Aufgaben der Steuerfahndung sind also bifunktional.191
187
Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 90. Dazu ausführlich ab S. 149. 189 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 90. 190 Vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 19. 191 So die ständige Rechtsprechung des BFH in BFH v. 2. Dezember 1976, IV R 2/76, BFHE 120, 571, BStBl. II 1977, 318 (320); BFH v. 29. Oktober 1986, I B 28/86, BFHE 147, 492, BStBl. II 1987, 440 (441); BFH v. 11. Dezember 1991, I R 66/90, BFHE 166, 490, BStBl. II 1992, 595 (597 f.); BFH v. 16. Dezember 1997, VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl. II 1998, 231 (234 f.); BFH v. 19. August 1998, XI R 37/97, BFHE 186, 506, BStBl. II 1999, 7 (9); BFH v. 25. Juli 2000, VII B 28/99, BFHE 192, 44, BStBl. II 2000, 643 (646); BFH v. 4. September 2000, I B 17/00, BFHE 192, 260, BStBl. II 2000, 648 (650); BFH v. 6. Februar 2001, VII B 277/ 00, BFHE 194, 26, BStBl. II 2001, 306 (308 f.); BFH v. 15. Juni 2001, VII B 11/00, BFHE 195, 40, BStBl. II 2001, 624 (628 f.) und der weit überwiegende Teil der Literatur: Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 14.; Matthias Martin Wendeborn, Das Recht der Steuerfahndung gemäß § 208, 404, S. 54 ff.; Peter Küffner, in: DStR 1979, 243; Heinz Mösbauer, in: DStZ 1986, 339 (341); Reinhard Rüsken, in: DStJG, Band 31, S. 243 (255). 188
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Sogar in ein und demselben Steuerfall soll sowohl ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren als auch ein Besteuerungsverfahren betrieben werden.192 Dabei besitzt die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 S. 2 AO neben den strafrechtlichen Ermittlungsbefugnissen der StPO (über die Verweisung des § 404 AO) die gleichen Ermittlungsbefugnisse, die den Finanzämtern zustehen.193 Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Steuerfahndung zur Effizienzsteigerung von steuerstrafverfahrensrechtlichen Befugnissen und Befugnissen des Besteuerungsverfahrens nach Belieben Gebrauch machen könnte.194 Im Gegenteil ist zwischen den Befugnissen, die der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren einerseits und im Strafverfahren andererseits zustehen auch im Rahmen der Steuerfahndung strikt zu trennen.195 Mittel des Strafverfahrens nach der StPO (wie z. B. Durchsuchungen oder Beschlagnahmen) stehen der Steuerfahndung gerade nicht für das Besteuerungsverfahren zur Verfügung.196 Die Steuerfahndung ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO auf die Ermittlungsbefugnisse des Besteuerungsverfahrens verwiesen.197 Allerdings gelten nach § 208 Abs. 1 S. 3 AO einige Besonderheiten. So muss die in §§ 93 Abs. 1 S. 3, 97 Abs. 2 AO vorgesehene Beweismittelreihenfolge im Fahndungsfall nicht eingehalten werden. Auch müssen Auskunftsersuchen abweichend von § 93 Abs. 2 S. 2 AO nicht schriftlich ergehen. Entgegen der Regelung des § 97 Abs. 3 AO bedarf es zur die Einsicht in Urkunden beim Vorlagepflichtigen nicht dessen Einverständnisses.198 Im Wesentlichen orientieren sich die Mitwirkungspflichten in der Fahndungsprüfung an denen in einer Außenprüfung im Sinne der §§ 193 ff. AO,199 wenngleich die Vorschriften der Außenprüfung nicht vorbehaltslos gelten.200 Insb. bedarf es für eine Fahndungsprüfung keiner Prüfungsanordnung.201 Beschränkend bestimmt § 393 Abs. 1 S. 2, S. 3 AO, dass Zwangsmittel nach § 328 AO gegen den Steuerpflichtigen für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unzulässig sind, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu belasten. Im Falle der Auskunftsverweigerung bleiben jedoch Schätzungen nach § 162 AO zulässig, die allerdings nicht von vornherein nachteilig oder verschärft 192 Dieses funktionale Nebeneinander von Steuerermittlung und Strafverfolgung steht insb. vor dem Hintergrund des § 393 Abs. 1 S. 1 AO, der die Trennung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren auch bei einem Nebeneinander beider Verfahren anordnet, in der Kritik; vgl. zu dieser Problematik insb. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 15; Karsten Randt, in: DStJG, Band 31, S. 263 ff., jeweils m.w.N. 193 Gerd Rose, Grundzüge des Besteuerungsverfahrens, S. 59. 194 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 113. 195 BFH v. 16. Dezember 1997, VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl. II 1998, 231. 196 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 25. 197 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 25. 198 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 115. 199 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 119. 200 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 114. 201 BFH v. 4. September 2000, I B 17/00, BFHE 192, 260, BStBl. II 2000, 648.
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ausfallen dürfen, sodass diese mittelbar doch zur Zwangsmaßnahme erstarken.202 In vollem Umfang gelten die Bestimmungen über die Außenprüfung nur in den Fällen, in denen die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO mit einer Außenprüfung beauftragt wird. Die Beschränkung der Ermittlungsbefugnisse im Rahmen der Aufgaben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO bedeutet aber nicht, dass die Finanzbehörden mit Erkenntnismitteln des Steuerstrafverfahrens rechtmäßig erlangtes Wissen nicht verwerten dürften.203 § 393 Abs. 3 S. 1 AO stellt insofern klar, dass Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, auch im Besteuerungsverfahren verwendet werden können.204 Entsprechend der Doppelfunktion der Steuerfahndung und der daraus folgenden Teilung der Ermittlungsbefugnisse ist auch der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Steuerfahndung gespalten.205 Nur Maßnahmen des Besteuerungsverfahrens können mit Einspruch nach §§ 347 ff. AO oder vor den Finanzgerichten angefochten werden, soweit es sich um Verwaltungshandlungen mit Verwaltungsaktqualität handelt. Ansonsten kann der von der Maßnahme betroffene gegen Ermittlungsmaßnahmen des Besteuerungsverfahrens im Wege einer Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage vor den Finanzgerichten vorgehen. Gegen strafrechtliche Maßnahmen der Steuerfahndung ist hingegen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. dd) Beschränkungen der Ermittlungspflicht und äußere Grenzen des Ermittlungsspielraums in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht Die materielle Wahrheitsfindung als Ziel des steuerlichen Verfahrens ist für die Finanzverwaltung indisponibel,206 sie ist grds. zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Sachverhaltsaufklärung verpflichtet.207 Diese Ermittlungspflicht nach dem Untersuchungsgrundsatz gilt dennoch nicht grenzenlos.208 Sie wird im Ausgangs202 Uwe Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 393 AO, Rn. 73 ff; vgl. auch Michael Streck, in: BB 1980, 1537. 203 Roman Seer, in: StuW 1991, 165 ff. 204 Dies gilt gem. § 393 Abs. 3 S. 2 AO sogar für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf. 205 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 208 AO, Rn. 138. 206 Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 16; vgl. auch Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 137. 207 Vgl. Michael Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 478. 208 Bernd Rätke, in: Klein, § 88 AO, Rn. 35; Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 16; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 139. Vgl. beispielhaft
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punkt bereits durch das in speziellen Verfahrensvorschriften zum Ausdruck kommende Vertrauensvorschussprinzip beschränkt.209 Weil die Ermittlungspflicht der Finanzbehörden nicht weiter reichen kann als ihre Ermittlungsbefugnisse,210 unterliegt der Untersuchungsgrundsatz aber zugleich auch den allgemeinen verfassungs- und verfahrensrechtlichen Schranken, die das Recht der Finanzbehörden zur Sachverhaltsaufklärung limitieren.211 Diesen Gedanken greift § 88 Abs. 1 S. 3 AO auf, indem er anordnet, dass sich der Umfang der Ermittlungspflicht nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Auch die §§ 88 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1, 92 S. 1 AO folgen diesem Grundsatz und legen es in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörden, Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung zu bestimmen und sich der Beweismittel zu bedienen, die sie dazu für erforderlich halten.212 Indes ist auch dieses Verfahrensermessen,213 das den Finanzbehörden einen weitreichenden Ermittlungsspielraum eröffnet, nicht grenzenlos, sondern wird bipolar begrenzt. Einerseits schreibt das Untermaßverbot214 ein Mindestmaß der Sachverhaltsaufklärung vor. Andererseits verbietet das Übermaßverbot korrelierend unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte der Betroffenen. Bildlich gesprochen sichert das Untermaßverbot die Ermittlungspflicht nach unten ab, sodass beim Unterschreiten dieser Grenze ein Ermittlungsdefizit vorliegt, während das Übermaßverbot nach oben eine Grenze zieht, um unverhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte zu unterbinden. Innerhalb dieser Grenzen sind die Fi-
auch zu den Grenzen der Ermittlungspflicht im Sozialrecht Gabriele Kania, Die Rentenversicherungsträger als arbeitsrechtliche Kontrollinstanz, S. 143. Zu den Grenzen der Ermittlungspflicht im allgemeinen Verwaltungsverfahren: Wolfgang Clausen, in: Knack, § 24 VwVfG, Rn. 10; Dieter Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 24 VwVfG Rn. 36; Ralf Marwinski, in: Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kapitel B., Rn. 154. Bedenken im Hinblick auf die Grenzen der Ermittlungspflicht im allgemeinen Verwaltungsverfahren formulieren Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 21, Nr. 2. 209 Dazu bereits vorab auf S. 47. 210 Dennoch sieht die Rechtsprechung vielfach in der Unzumutbarkeit die alleinige Grenze der Ermittlungspflicht der Finanzbehörden, BFH v. 19. Dezember 1952, V z 66/52, BFHE 57, 161, BStBl. III 1952, 63; BFH v. 7. Dezember 1955, V z 183/54 S, BFHE 62, 201, BStBl. III 1956, 75; BFH v. 12. Juli 1962, IV 124/58 U, BFHE 75, 700, BStBl. III 1962, 522; BFH v. 17. September 1964, V 265/61 U, BFHE 80, 266, BStBl. III 1964, 569; BFH v. 12. Juli 1974, III R 116/72, BFHE 113, 150, BStBl. II 1975, 25; vgl. ferner Hartmut Söhn, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 151, 153. 211 Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (38 f.); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 149. 212 Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (12). 213 Ausdruck nach Hermann Hill, in: NVwZ 1985, 449 (453), übernommen von Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (12). 214 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 23; Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (12); kritisch hinsichtlich der Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 144.
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nanzbehörden bei der Wahl der Aufklärungsmittel grds. frei,215 wobei im Rahmen der Ermessensausübung die Grundsätze der verwaltungsökonomischen Verhältnismäßigkeit und die Möglichkeiten zur Nutzung kooperativer Handlungsformen berücksichtigt werden. (1) Gesetzesvorbehalt Im Rechtsstaat darf es keine inquisitorische Sachverhaltsermittlung um jeden Preis geben.216 Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung bedürfen, wenn sie – was in aller Regel der Fall sein wird217 – mit einem Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte des von der Ermittlungsmaßnahme Betroffenen verbunden sind,218 einer verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage. Umgekehrt sind die Finanzbehörden zu Ermittlungsmaßnahmen, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind, und für die es keine verfassungskonforme Rechtsgrundlage gibt, weder berechtigt noch verpflichtet.219 Die verfassungsrechtlich gebotene Sachverhaltsermittlung wird also durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes beschränkt.220 Daraus folgt zugleich auch eine aufklärungspflichtreduzierende Wirkung des Gesetzesvorbehalts.221 (2) Verfassungsrechtlicher Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Soweit die Ermittlungstätigkeit der Finanzbehörde mit der Inanspruchnahme eines Beteiligten oder Dritter einhergeht, ist bei der Bestimmung des Umfangs der Ermittlungspflicht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.222 Die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen dürfen nicht außer Verhältnis stehen zu dem damit angestrebten Erfolg.223 Weil die Finanzbehörden zu unverhältnismäßigen
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Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 80. Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsverfahren, S. 70. 217 Zu den Ausnahmen bereits S. 53 f. 218 Als betroffene Grundrechte kommen neben der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die speziellen Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG (Ehe und Familie), Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum) in Betracht; vgl. statt vieler Jürgen Hoffmann, Der maßvolle Gesetzesvollzug im Steuerrecht, S. 187. 219 In Bezug auf gezielte Einzelermittlungsmaßnahmen bereits S. 53 f. 220 Nicht untersucht werden soll an dieser Stelle, inwiefern der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, die Finanzbehörden mit Ermittlungsbefugnissen auszustatten, die eine Erfüllung des Vollzugssicherungsauftrags befähigen. Dazu sodann auf S. 82 ff. 221 Vgl. Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (38 f.). 222 Dazu bereits aus verfassungsrechtlicher Perspektive zum Schutz des Betroffenen auf S. 35 ff.; vgl. auch Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 86. 223 BMF v. 31. Januar 2014, IV A 3 – S 0062/14/10002, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 88 AO, Tz. 1. 216
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Ermittlungsmaßnahmen nicht berechtigt sind, endet an der Verhältnismäßigkeitsgrenze für Grundrechtseingriffe auch die Ermittlungspflicht der Finanzbehörden.224 (3) Absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung Insb. der durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung (sog. Intimsphäre) ist bei mit Eingriffen verbundenen Ermittlungsmaßnahmen zu achten.225 Ein Eingriff in diesen Nucleus des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes unter keinen Umständen zu rechtfertigen.226 Die Rechtsprechung ordnet Lebenssachverhalte dem absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bisher jedoch nur mit äußerster Zurückhaltung zu.227 Nichtsdestoweniger ist der Kernbereich privater Lebensführung auch im Rahmen der steuerlichen Sachverhaltsaufklärung vor dem Zugriff durch die Finanzbehörden uneingeschränkt geschützt, sodass Ermittlungspflicht und Ermittlungsrecht der Finanzbehörden dort keinen Raum haben, wo Eingriffe in den persönlichen oder familiären Kernbereich der Lebensführung des Beteiligten notwendig werden.228 (4) Geeignetheit, Notwendigkeit, Möglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Sachverhaltsaufklärung Von der Ermittlungspflicht erfasst sind nur solche Maßnahmen, die zur Wahrheitsfindung überhaupt geeignet wie notwendig sind und deren Durchführung für die Finanzbehörde möglich, verhältnismäßig und zumutbar ist. Ungeeignet in diesem Sinne sind Maßnahmen, die der erwünschten Aufklärung des Sachverhalts nicht förderlich sind.229 Nicht notwendig sind solche Ermittlungstätigkeiten, die überflüssig sind, also nicht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung 224 Einfachgesetzlich Konkretisierungen finden sich im Bereich des Steuerrechts in § 30 AO (Steuergeheimnis), § 30a AO (Schutz von Bankkunden), § 136a StPO sowie den Verfahrensvorschriften der §§ 99 – 106 AO. 225 BVerfG v. 31. Juli 1973, 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 239; Udo Di Fabio, in: Maunz/ Dürig, Art. 2 GG, Rn. 158. 226 BVerfG v. 16. Januar 1957, 1 BvR 253/56; BVerfGE 6, 32 (41); BVerfG v. 10. Mai 1957, 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389 (433); BVerfG v. 15. Januar 1970, 1 BvR 13/68, BVerfGE 27, 344 (351); BVerfG v. 8. März 1972, 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373 (379); BVerfG v. 31. Januar 1973, 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238 (245); BVerfG v. 11. April 1973, 2 BvR 701/72, BVerfGE 35, 35 (39); BVerfG v. 15. Januar 1975, 2 BvR 65/74, BVerfGE 38, 316 (320); BVerfG v. 23. Mai 1980, 2 BvR 854/79, BVerfGE 54, 143 (146); BVerfG v. 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (46); BVerfG v. 14. September 1989, 2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367 (373); BVerfG v. 24. Juni 1993, 1 BvR 689/92, BVerfGE 89, 69 (83). 227 Vgl. dazu Udo Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 GG, Rn. 158 m.w.N. 228 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 202, der zurecht auch darauf hinweist, dass sich das Problem eines unzulässigen Eingriffs von vornherein nicht stellt, wenn der Beteiligte freiwillig steuerrelevante Tatsachen aus seiner Intimsphäre offenbart oder als Beweis anbietet. 229 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 156.
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beitragen können (insb. überflüssige, offenkundige oder feststehende Tatsachen230).231 Unmöglich ist den Finanzbehörden die Sachverhaltsermittlung, wenn sie dazu objektiv oder subjektiv nicht in der Lage sind.232 Die Grenze der Verhältnismäßigkeit ist überschritten, wenn der sachliche, personelle und zeitliche Verwaltungsaufwand zu der bezweckten Aufklärung einer steuererheblichen Tatsache erkennbar außer Verhältnis steht.233 Da die Finanzverwaltung im Einzelfall keine unverhältnismäßigen Anstrengungen zu unternehmen hat, um den fraglichen Sachverhalt zu ermitteln, steht die Ermittlungspflicht der Finanzverwaltung jedenfalls de facto234 in Wechselwirkung zu den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen.235 Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht, kann dies faktisch zur Einschränkung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörden führen, weil der Finanzverwaltung wegen der mangelnden Mitwirkung weniger Anhaltspunkte zur Verfügung stehen, um eine eigene Sachverhaltsaufklärung zu betreiben;236 wenngleich die Finanzbehörden die weitere Sachverhaltsaufklärung nur ausnahmsweise einstellen dürfen – bspw. weil der Steuerpflichtige der einzige Wissensträger ist (Fall der subjektiven Unmöglichkeit).237 Grds. obliegt es den Finanzbehörden die Verletzung der Mitwirkungspflichten im Rahmen der behördlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen, daraus gegebenenfalls negative Schlüsse zu ziehen und unter Umständen die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO zu schätzen.238 In Fällen, in denen die konkrete Mitwirkungspflicht eine subjektive Beweislast begründet, kann die Nichterbringung des Mitwirkungsbeitrags zum Erlöschen der Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörden führen.239 In diesen (Ausnahme-)Fällen bleibt von der Ermittlungspflicht als Ausprägung des Untersuchungsgrundsatzes nicht viel übrig.240
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Im Übrigen zu nicht feststellungsbedürftigen Tatsachen sodann auf S. 66 ff. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 158. 232 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 161. 233 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 165. 234 Eine de-jure-Beschränkung der Ermittlungspflicht aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten führte hingegen zu einer fast gänzlichen Aushöhlung des Untersuchungsgrundsatzes und ist daher abzulehnen, vgl. Peter Zaumseil, in: StBW 2010, 420 (421) m.w.N. 235 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 50; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 32; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 177 f. 236 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 50; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 14. 237 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 14. 238 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 15 m.w.N. 239 Vgl. ausführlich zum rechtlichen Zusammenhang zwischen Untersuchungsgrundsatz sowie bestimmten Aufzeichnungs- und Nachweispflichten Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 51 ff. 240 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 15 sieht insofern für die „Anwendung der Regeln der objektiven Beweislast wenig Raum“. 231
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Die Rechtsprechung stellt zur Bestimmung der finanzbehördlichen Ermittlungspflicht vielfach auf die engere (Un-)Zumutbarkeit als alleinige Grenze der behördlichen Ermittlungspflicht ab.241 Unzumutbarkeit soll gegeben sein, wenn Umstände vorliegen, die der Finanzbehörde die Ermittlung (einzelner) steuerrelevanter Tatsachen so außergewöhnlich erschweren, dass eine Aufklärung nicht erwartet werden kann242 – wobei die Grenzen der Zumutbarkeit im Einzelfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu bestimmen sei. Anders als die Verhältnismäßigkeit werden bei der Bestimmung der Zumutbarkeit behördlicher Ermittlungen Zweck und Mittel der Ermittlung nicht in Relation gesetzt.243 Zu nicht geeigneten, notwendigen, möglichen oder verhältnismäßigen Maßnahmen sind die Finanzbehörden nicht verpflichtet, wobei damit nicht zugleich eine Begrenzung ihrer Ermittlungsbefugnisse einhergeht;244 sie bleiben zu darüberhinausgehenden Maßnahmen grds. befugt.245 (5) Verwaltungsökonomische Grenzen der Ermittlungspflicht Die vollkommene Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Fundamentalgrundsätze der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung kann nur bei einer vollumfänglichen Sachverhaltsaufklärung im doppelten Sinne gelingen: in die Breite und in die Tiefe.246 Die Bedingungen der Massenveranlagung machen es der Finanzverwaltung aber offensichtlich unmöglich, alle Angaben zu jedem Sachver-
241 Vgl. z. B. BFH v. 19. Dezember 1952, V z 66/52 S, BFHE 57, 161, BStBl. III 1953, 63; BFH v. 7. Dezember 1955, V z 183/54 S, BFHE 62, 201 BStBl. III 1956, 75 (76); BFH v. 12. Juli 1962, IV 124/58 U, BFHE 75, 700, , BStBl. III 1962, 522 (523); BFH v. 17. September 1964, V 265/61 U, BFHE 80, 266, BStBl. III 1964, 569 (570); BFH v. 12. Juli 1974, III R 116/72, BFHE 113, 150, BStBl. II 1975, 25 (27); dabei bleibt die Rechtsprechung Maßstäbe zur genauen Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze weiter schuldig. 242 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 170. 243 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 170. 244 Dieses Ergebnis mutet gerade in Bezug auf die Geeignetheit zunächst paradox an: Weshalb sollen die Finanzbehörden zu ungeeigneten Maßnahmen berechtigt sein? Die Berechtigung zu derartigen Maßnahmen wird allerdings am Maßstab der Geeignetheit bei der auf S. 36 angesprochenen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit von Eingriffen scheitern. Entscheidend ist die unterschiedliche Schutzrichtung: Während die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Eingriffen in Grundrechte dem Schutz der grundrechtsberechtigten Person dient, dienen die hier genannten Punkte mutatis mutandis dem Verwaltungsschutz; vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 152. 245 Wolfgang Wittmann, in: StuW 1987, 35 (39); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO, Rn. 153, der zurecht darauf hinweist, dass sich Begrenzungen der Ermittlungsbefugnisse auch aus den Rechten von Beteiligten oder Dritten ergeben können. Allerdings verkennt Söhn (nur) in diesem Zusammenhang anscheinend, dass auch andere Gründe zur Beschränkung der Ermittlungsbefugnisse in Betracht kommen können. 246 Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, S. 230; Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 273 ff.
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halt restlos zu erforschen.247 Ganz praktisch können die Finanzbehörden weder finanziell noch personell so ausgestattet werden, dass sie alle anfallenden steuererheblichen Sachverhalte unterschiedslos vollständig und wahrheitsgemäß aufklären könnten, sodass die Ermittlungspflicht insofern an tatsächliche Grenzen stößt.248 In Anerkennung der limitierten Ressourcen eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen möglichst sorgfältiger und umfassender Sachaufklärung (qualitative Aufklärung) sowie der Anzahl der in den Blick genommenen Fälle (quantitative Aufklärung). Mit anderen Worten stehen sich die Verwirklichung größtmöglicher Gesetzmäßigkeit im Einzelfall und die Verwirklichung möglichst weitreichender Gesetzmäßigkeit im Gesamtvollzug gegenüber.249 Wie dieser Zielkonflikt gelöst werden soll, ist in der Literatur umstritten.250 Jedenfalls sind die Finanzbehörden nach inzwischen überwiegender Ansicht bei der Ausübung des Ermessens nach § 88 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 AO251 berechtigt und verpflichtet, Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte in ihrer Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen252 (§ 88 Abs. 2 S. 2 AO)253. Verfassungsrechtlich wird dieses ökonomische Prinzip durch Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG fundiert.254 Das Wirtschaftlichkeitsprinzip kann also als allgemeine Schranke den Untersuchungsgrundsatz limitieren. Diese Grenze greift – ebenso wie die Geeignetheit, Notwendigkeit, Möglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Sachverhaltsaufklärung – zwar für die Ermittlungspflicht der Finanzbehörden, nicht aber für ihre Ermittlungsrechte.255 Um die sich vermeintlich gegenüberstehenden Pole der möglichst breiten und tiefen Verwirklichung der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung unter den Bedingungen des beschränkten tatsächlichen Leistungsvermögens der Finanzverwaltungen in der Praxis miteinander zu versöhnen, setzen die Steuerbehörden verstärkt auf die Aus-
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Lothar Jansen, Das Besteuerungsverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 224 ff.; Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 12. 248 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 175, 194. 249 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 230; ders., in: DStJG, Band 31, S. 1 (6), S. 7 (11). 250 Hier sei verwiesen auf: Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 190 ff. m.w.N. 251 Die von Josef Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 155 f. vertretende Auffassung, dass ein gar ein „gesetzesfreie Entscheidungsspielraum“ bestehe, kann als überholt gelten. 252 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 33; Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (17). 253 Kritisch zur Einführung des § 88 Abs. 2 S. 2 AO Roman Seer, in: StuW 2015, 315 (319 f.). 254 Josef Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 163; Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 34; Roman Seer/Klaus-Dieter Dru¨ en, in: Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 108 GG, Rn. 31. 255 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 150, 153.
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wertung statistischer Daten und den Einsatz risikoorientierter Verfahren,256 mit denen eine gezielte Vorauswahl von Indikatoren für die weitere Überprüfung steuerlicher Sachverhalte getroffen werden soll.257 Nach dem dazu tretenden Stichprobenprinzip258 konzentriert sich die Finanzverwaltung bei der Überprüfung der Angaben von Steuerpflichtigen auf einzelne Punkte, aus deren Richtigkeit pars pro toto auf die Korrektheit der übrigen Angaben geschlossen werden kann (sog. Repräsentativstichprobe).259 Wenn im Rahmen der Plausibilitätskontrolle keine einzelfallbezogenen Anhaltspunkte konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen rechtfertigen, genießt dieser in der Praxis der Finanzverwaltungen einen weitreichenden Vertrauensvorschuss.260 Im Kern orientieren sich die Finanzbehörden also am feststellbaren Kontrollbedürfnis. Diese Verwaltungspraxis der Finanzbehörden wird sowohl von der Rechtsprechung261 als auch von der Literatur262 gebilligt. Letztlich ist das so verstandene Wirtschaftlichkeitsprinzips trotz seiner systembedingten Fehleranfälligkeit funktional der Verwirklichung der Gleichmäßigund Gesetzmäßigkeit der Besteuerung zu dienen geeignet.263 (6) Tatsächliche Verständigung über steuerlich relevante Sachverhalte, verbindliche Auskunft und verbindliche Zusage als rechtsfolgenbestimmende Rechtsinstitute Ist die Sachverhaltsermittlung erschwert, kommt zur Effektuierung des Besteuerungsverfahrens unter gewissen Voraussetzungen eine tatsächliche Verständigung als Einigung zwischen der Finanzbehörde und dem betroffenen Steuerpflichtigen über die verbindliche Annahme eines bestimmten Sachverhalts in Betracht.264 256 Zur gesetzlichen Verankerung finanzbehördlicher Risikomanagementsysteme sei verwiesen auf Franz Jürgen Marx, in: Ubg 2016, 358; zur risikoorientierten Fallauswahl im internationalen Vergleich: Stefanie Mertel/Elisabeth Scherr, in: Ubg 2016, 542. 257 Claus Möllenbeck, Das Verhältnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfällen, S. 10 ff.; Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 12; Michael Schmitt, in: Festschrift für Kirchhof, Band II, § 161, Rn. 21 ff. 258 Dazu grundlegend Josef Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 113 ff. 259 Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 187. 260 Lerke Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume bei der Anwendung der Steuergesetze, S. 290 ff.; Sabine Hauenhorst, in: DStR 2010, 2105 (2110); zum Vertrauensvorschussprinzip im Übrigen bereits zuvor auf S. 47. 261 BFH v. 17. April 1969, V R 21/66, BFHE 95, 484, BStBl. II 1969, 474; BFH v. 11. Juli 1978, VIII R 120/75, BFHE 125, 488, BStBl. II 1979, 57. 262 Mit unterschiedlichen Standpunkten hinsichtlich des Beweismaßdogmas von der vollen Überzeugung und dennoch im Ergebnis nahezu übereinstimmend: Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 190 und Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 146. 263 Zur dienenden Funktion des Wirtschaftlichkeitsprinzips: Roman Seer, in: StuW 2015, 315 (320 f.); zustimmend Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 196. 264 BFH v. 11. Dezember 1984, VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. 1985 II, 354; BMF v. 31. Januar 2014, IVA 3 – S 0062/14/10002, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO),
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Die dafür erforderliche hinreichende Erschwerung der Sachverhaltsermittlung liegt vor, wenn der steuerlich relevante Sachverhalt trotz Erfüllung der Mitwirkungspflichten265 durch den Steuerpflichtigen von der Finanzbehörde entweder gar nicht oder nur mit unzumutbar großem Aufwand ermittelt werden kann.266 Die tatsächliche Verständigung kann folglich als Ausfluss des Prinzips der verwaltungsökonomischen Verhältnismäßigkeit gesehen werden.267 Durch die tatsächliche Verständigung wird indes kein fiktiver Sachverhalt konstruiert, sondern konsensual ein mit Unsicherheiten behafteter Sachverhalt festgestellt.268 Tatsächliche Verständigungen sind daher auch mit dem Untersuchungsgrundsatz als Ausfluss des Prinzips der Gesetzund Gleichmäßigkeit der Besteuerung vereinbar269 und bilden keine eigenständige Beschränkung der behördlichen Ermittlungspflicht. Gem. § 89 Abs. 2 S. 1 AO können die Finanzbehörden auf Antrag auch verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Bereits dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich entnehmen, dass eine Bindungswirkung der erteilten Auskunft nur hinsichtlich des noch nicht verwirklichten aber genau bestimmten Sachverhalts in Betracht kommt. Eine vollständige Sachverhaltsidentität wird sich indes selten erreichen lassen. Dementsprechend präzisiert § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV, dass eine verbindliche Auskunft die Finanzbehörden im Falle wesentlicher Abweichungen des zu Grunde gelegten und des tatsächlich realisierten Sachverhalts nicht bindet. E contrario genügt also eine wesentliche Übereinstimmung. Unbedeutende Abweichungen können die Bindungswirkung gerade nicht entfallen lassen; dafür kommen nur Veränderungen in Betracht, die speziell den Regelungsbereich der erteilten Auskunft berühren.270 Eine verbindliche Zusage nach §§ 204 ff. AO hingegen bezieht sich auf die steuerrechtliche Behandlung eines in der Vergangenheit bereits realisierten, im zu § 88 AO, Tz. 1. Umstritten ist allerdings, aus welcher Rechtsgrundlage sich die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung ergeben soll. Die Rechtsprechung stellt insofern auf den Grundsatz von Treu und Glauben ab, während v. a. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 80 ff. einen öffentlich-rechtlichen Vertrag annimmt; vgl. auch Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 140 f. und Judith Lockmann, Verständigungen zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem, S. 16 ff. 265 Die Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen sein muss, damit eine zulässige tatsächliche Verständigung über Sachverhaltsfragen in Betracht kommt, determiniert eine de-facto-Wechselwirkung zwischen Ermittlungspflicht der Finanzbehörde und Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen. 266 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 140; Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2001, 190 (191). 267 So wohl auch Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 139 f. 268 Roman Seer, in: BB 2015, 214 (216); a.A.: Judith Lockmann, Verständigung zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem, pass. 269 Statt vieler Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 181 f. 270 Roman Seer, in: StbJb 2014/2015, S. 557 (569).
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Rahmen einer Außenprüfung geprüften und in der Zukunft weiter verwirklichten oder sich wiederholenden Sachverhalts.271 Sie kann nur im Anschluss an eine Außenprüfung erteilt werden. Gegenstand der antragsbedürftigen Zusage ist die verbindliche Entscheidung über die zukünftige Behandlung des festgestellten Sachverhalts.272 Während im Rahmen tatsächlicher Verständigung durchaus Sachverhaltsfeststellungen getroffen werden, erstreckt sich der Inhalt der verbindlichen Auskunft und Zusage im Ausgangspunkt273 lediglich auf die Rechtsfolgen eines (im Falle der Auskunft) vorab skizzierten, aber noch fiktiven, oder (im Falle der Zusage) bereits festgestellten Sachverhalts. Die Frage, ob der zu Grunde gelegte Sachverhalt tatsächlich realisiert wurde, ist gerade nicht Gegenstand von verbindlichen Auskünften. Dieses Verständnis wird bereits von der Chronologie der Ereignisse gedeckt: Ob ein Tatbestand realisiert wurde, kann naturgemäß nur festgestellt werden, wenn bereits Handlungen in der Wirklichkeit stattgefunden haben. Etwas anderes mag möglichweise für Fälle gelten, in denen die Feststellung eines Sachverhalts mit einer Beurteilung verbunden ist. Dann erstreckt sich die Auskunft gerade nicht nur auf die Rechtsfolge, sondern auch auf die Bewertung des zukünftigen Geschehens.274 Aber auch insofern betrifft die Zusage nicht die Verifizierung des Sachverhalts als solchen. Sie bleibt davon unberührt und die Verwirklichung des zugrunde gelegten Sachverhalts ist conditio sine qua non für die Wirkung der Auskunft. Umgekehrt verhält es sich bei der Zusage: Hier ist der Sachverhalt bereits realisiert und verifiziert. Soweit ein sich wiederholender Sachverhalt betroffen ist, wird im Rahmen der zukünftigen Verifikation zu überprüfen sein, ob tatsächlich eine Übereinstimmung mit dem zuvor im Rahmen der Außenprüfung festgestellten Tatsachen gegeben ist (§ 206 Abs. 1 AO). Weil die Aufklärung des tatsächlich realisierten Sachverhalts gerade nicht Gegenstand von verbindlicher Auskunft und verbindlicher Zusage ist, stehen die beiden Instrumente nicht in Widerspruch zum Untersuchungsgrundsatz. (7) Einfachgesetzliche Grenzen der Ermittlungspflicht und -befugnis Einfachgesetzliche Begrenzungen der Ermittlungsbefugnis und -pflicht von Finanzbehörden ergeben sich – zum Teil als Konkretisierung der oben genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben – vor allem aus dem Steuergeheimnis (§ 30 AO), dem Schutz vor verbotenen Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO) und den Verfahrensvorschriften der §§ 99 – 106 AO.275 271
Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2009, 15 (15). Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 204 AO, Rn. 18. 273 Nicht zu Unrecht wird kritisiert, dass eine strikte Trennung zwischen Sachverhalt und Rechtsfolge nicht immer möglich ist; vgl. statt vieler Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 139. 274 Vgl. Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2009, 15 (16). 275 Früher auch aus dem Schutz von Bankkunden (§ 30a AO), der durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften 272
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ee) Nicht feststellungsbedürftige Tatsachen Nicht alle Tatsachen sind für die Feststellung eines steuerlichen Sachverhalts aufklärungsbedürftig.276 Fehlt es an einer potentiellen steuerlichen Erheblichkeit, entfällt dessen Aufklärungsbedürftigkeit.277 Aber auch wenn Tatsachen eine steuerliche Erheblichkeit versprechen, bedarf es ihrer Aufklärung nicht, wenn sie allgemein bekannt oder amtskundig sind, sie gesetzlich vermutet oder fingiert werden oder verbindlich von anderen Behörden oder von einem Gericht festgestellt wurden.278 (1) Bekannte, vermutete und fingierte Tatsachen Allgemein bekannt ist eine Tatsache, wenn sie einer großen Anzahl von Personen bekannt ist, allgemeiner Wahrnehmung zugänglich ist oder allgemein verbreitet worden ist.279 Amtskundige Tatsachen sind dem Amtsträger (§ 7 AO) durch amtliche Tätigkeit bekanntgewordene Tatsachen.280 Privat von einem Steuerpflichtigen, durch Dritte oder zufällig erlangtes Wissen des Amtsträgers oder was dieser lediglich aus Anlass, aber nicht im Rahmen der amtlichen Tätigkeit erfährt, ist nicht amtskundig.281 Solche Tatsachen bedürfen für eine zulässige Verwertung der Aufklärung.282 Eine gesetzlich vermutete Tatsache liegt vor, wenn aufgrund tatbestandsfremder Umstände qua legem auf das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals geschlossen wird.283 Gesetzlich fingierte Tatsachen – auch in der Form von Pauschbeträgen – dienen dazu, Sachverhaltsaufklärung zu ersparen.284 (2) Durch inländische Behörden oder Gerichte festgestellte Tatsachen Von anderen Behörden oder Gerichten festgestellte Tatsachen sind nicht weiter aufklärungsbedürftig, wenn die behördlichen oder gerichtlichen Feststellungen für
(Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, StUmgBG) vom 23. Juni 2017 mit Wirkung zum 25. Juni 2017 weggefallen ist. 276 Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 12 f.; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 37; Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (37). 277 Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (37); vgl. zudem Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 8. 278 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 44; Roman Seer, in: Tipke/ Kruse, § 88 AO, Rn. 21. 279 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 81 FGO, Rn. 8a; Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 12; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 45. 280 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 48. 281 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 48; Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 12. 282 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 48. 283 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 51. 284 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 21.
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die Finanzbehörden Bindungswirkung haben.285 Dabei kann differenziert werden zwischen wirksamen rechtsgestaltenden Verwaltungsakten, die verbindlich zu beachtende Sachverhalte begründen (sog. Gestaltungswirkung), wirksamen Verwaltungsakten und justiziellen Akten, die tatbestandliche Voraussetzung für eine steuerliche Rechtsfolge sind und auch hinsichtlich der ihnen zugrundeliegenden Feststellungen bindend sind (sog. Tatbestandswirkung) sowie inhaltlichen Feststellungen von Gerichten oder Behörden (sog. Feststellungswirkung).286 Mangels Feststellungsbedürftigkeit müssen und dürfen Tatsachen in diesen Fällen grds. nicht aufgeklärt werden.287 (3) Durch ausländische Behörden oder Gerichte festgestellte Tatsachen sowie gesetzliche Fiktionen und Vermutungen ausländischer Jurisdiktionen Ob durch justizielle oder administrative Hoheitsakte288 ausländischer Finanzbehörden, anderer ausländischer Behörden oder ausländischer Gerichte festgestellte Tatsachen sowie durch fremde Jurisdiktionen gesetzlich fingierte oder vermutete Tatsachen die Feststellungsbedürftigkeit entfallen lassen, erscheint hingegen weniger klar. Steuern bemessen sich in der Bundesrepublik – und anderes kann nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gelten289 – nach dem deutschen materiellen Steuerrecht. Eine materielle Bindungswirkung gesetzlicher Fiktionen oder Vermutungen ausländischer Rechtsordnungen mit der Folge des Entfallens der Ermittlungspflicht deutscher Behörden scheidet deswegen i. d. R. aus. Was administrative oder justizielle ausländische Hoheitsakte anbelangt, kommt es wegen ihrer territorial auf das eigene Staatsgebiet beschränkten Wirkung290 zunächst darauf an, ob eine ausnahmsweise Einwirkung des Hoheitsakts auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überhaupt in Betracht kommt. Dabei kann zwi-
285
Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 57. Differenzierung nach Frank Roser, in: Beermann/Gosch, § 88 AO, Rn. 13. 287 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 44; Paul Kirchhof, in: NJW 1985, 2977 (2983); vgl. auch Christian von Pestalozza, in: Festschrift Boorberg Verlag, S. 185 (193). 288 Weder fremde administrative noch justizielle Hoheitsakte stimmen hinsichtlich ihrer Merkmale und Rechtswirkungen mit den in Deutschland bekannten Formen überein. Das gilt insb. für den Verwaltungsakt nach den Kriterien des § 35 VwVfG. In der Verwendung des allgemeinen Begriffs des Hoheitsakts bzw. der Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung soll zum Ausdruck kommen, dass es sich nicht um Entscheidungsformen deutscher Prägung handelt. 289 Beispielhaft sei die Regelung des § 34c EStG genannt, bei der es sich um eine materiellrechtliche Verweisung handelt. Hier ist die Verwirklichung bestimmter Merkmale fremden Rechts letztlich nur tatbestandliche Voraussetzung für den Eintritt einer sich allein nach innerstaatlichem Recht richtenden Rechtsfolge. 290 Zur formellen Territorialität sodann auf S. 92 ff. 286
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schen Achtung291 und Anerkennung unterschieden werden.292 Die Achtung ausländischer Hoheitsakte wird durch Völkergewohnheitsrechts vorgeschrieben und beschränkt sich inhaltlich auf die völkerrechtliche Unterlassungspflicht, die Rechtswirkung des Akts des ausländischen Staats nicht zu beeinträchtigen.293 Die Anerkennung hingegen ist auf die Einbindung eines fremden Hoheitsakts in die eigene Rechtsordnung angelegt.294 Im Unterschied zur unmittelbaren Anwendung fremden Rechts wird bei der Anerkennung eines ausländischen Hoheitsakts das Ergebnis des administrativen oder justiziellen Entscheidungsprozesses in die eigene Rechtssphäre übernommen.295 Die Anerkennung fremder Hoheitsakte erfolgt entweder abstraktantizipiert durch innerstaatliche gesetzliche Anordnung oder einzelfallbezogen durch gerichtliche oder behördliche Entscheidung,296 wobei sich auch eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung bspw. aus völkerrechtlichen Verträgen ergeben kann. Werden rechtsgestaltende oder feststellende Hoheitsakte297 in der Bundesrepublik anerkannt, greift die zuvor für inländische Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen skizzierte Gestaltungs- bzw. Feststellungswirkung ohne Einschränkungen.298 Ist eine Entscheidung tatbestandliche Voraussetzung für die in Deutschland eintretende steuerliche Rechtsfolge, kommt dem fremden Hoheitsakt ebenso Bindungswirkung zu (Tatbestandswirkung) – jedenfalls soweit der Hoheitsakt geachtet oder anerkannt wird. Führt man sich die tragenden Überlegungen für das Entfallen der Feststellungsbedürftigkeit in innerstaatlichen Fällen vor Augen – das ist insb. die Vermeidung abweichender Feststellungen hinsichtlich des gleichen Sachverhalts durch verschiedene Behörden innerhalb einer Rechtsordnung –, wird deutlich, dass die zunehmende Tendenz in der Überprüfung fremder Verwaltungsakte und justizieller Akte eher Zurückhaltung zu üben,299 für bereits anerkannte ausländische Hoheits291
Ebenso gebräuchlich scheinen die Begriffe Beachtung oder Respektierung zu sein; vgl. Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 295 ff.; Claus-Michael Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung von nationalen Verwaltungsakten, S. 28 ff.; Rudolf Heiz, Das fremde öffentliche Recht im internationalen Kollisionsrecht, S. 165 ff. 292 Vgl. Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 446 ff. 293 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 447; Claus-Michael Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung von nationalen Verwaltungsakten, S. 28. 294 Klaus König, Die Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte, S. 24. 295 Vgl. Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 455. 296 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 455. 297 Beispielhaft seien hier Eheschließungen oder -scheidungen genannt. 298 Hinsichtlich der Achtung bei feststellenden und gestaltenden Verwaltungsentscheidungen differenziert Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 450 ff. zutreffend zwischen grds. achtungspflichtigen Entscheidungen bei ausschließlicher Regelungsbefugnis und nicht-achtungspflichtigen Entscheidungen bei konkurrierenden Regelungsbefugnissen. 299 So Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 63.
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akte ebenfalls zu erwarten ist. Wegen des Fehlens eines solchen inländischen Anerkennungsakts unterscheidet sich die Situation bei kraft Gesetzes anzuerkennenden oder bloß zu achtenden Hoheitsakten hingegen grundlegend: In diesen Fällen ist es an den Finanzbehörden, zu überprüfen, ob die in Rede stehende fremde Entscheidung anzuerkennen ist. Unter Zugrundelegung des Gedankens der sachnahen Verteilung der Beweis- und Darlegungspflicht des deutschen Steuerrechts, können ausländische Hoheitsakte (z. B. Bescheinigungen ausländischer Behörden über Einkünfte oder Vermögen eines Steuerpflichtigen, die Bestätigung der Richtigkeit einer Buchführung oder anderer tatsächlicher Angaben des Steuerpflichtigen) jedenfalls eine höhere Überzeugungskraft gewinnen.300 Auch ohne eigene Ermittlungen der inländischen Finanzbehörden kommt ihnen durchaus Indizwirkung zu.301 In der Gesamtschau scheint zwar eine Beschränkung der Ermittlungspflicht denkbar. Eine Beschränkung der Ermittlungsbefugnisse, wie sie bei innerstaatlichen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen angenommen wird, kommt hingegen nur bei bereits durch innerstaatliche Einzelfallentscheidung anerkannten Hoheitsakten in Betracht. b) Verletzung des behördlichen Ermittlungsspielraums und Individualrechtsschutz Grds. sind bei der Sachverhaltsermittlung durch die Finanzbehörden zwei Fehlerarten zu unterscheiden: Auf der einen Seite das Unterschreiten der Ermittlungspflicht als Ermittlungsdefizit und andererseits ein Überschreiten der eingeräumten Ermittlungsbefugnisse.302 aa) Unterschreiten des Ermittlungsspielraums Wird die Ermittlungspflicht verletzt, weil nicht oder nicht ausreichend ermittelt wurde, stellt sich die Frage nach den aus diesem Ermittlungsdefizit resultierenden Rechtsfolgen. Ein Steuerverwaltungsakt, der ohne hinreichende Sachverhaltsermittlung erlassen wird, ist verfahrensfehlerbehaftet,303 aber nicht nach § 125 AO nichtig.304 Unter Beachtung des Regelungsgehalts des § 127 AO führt das Ermittlungsdefizit aber nur dann zur Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts und 300
Ekkehart Reimer, in: FR 2007, 217 (220). Vgl. Ekkehart Reimer, in: FR 2007, 217 (220). 302 Zur Begrenzung des Untersuchungsgrundsatzes durch die beiden Pole des Unter- und Übermaßverbots bereits vorab auf S. 57; vgl. Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 85. 303 Vgl. Hermann Hill, in: NVwZ 1985, 449 (454). 304 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 23; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO, Rn. 375; Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (39 f.). 301
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damit zur Möglichkeit seiner Aufhebung, wenn bei ermittlungspflichtkonformer Sachverhaltsaufklärung in der Sache tatsächlich eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können.305 Wegen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts306 ist ein Verstoß gegen die Ermittlungspflicht hingegen nicht gegeben, wenn die Finanzbehörden normativ gar nicht zu ausreichenden Ermittlungen befugt sind. Was die Finanzbehörden rechtlich nicht ermitteln können, kann ihnen nicht als Ermittlungspflicht aufgegeben sein.307 Das Vorliegen eines Ermittlungsdefizits ist insofern ausgeschlossen. bb) Überschreiten der Grenzen des Ermittlungsspielraums Wird die Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte von Verfassungs wegen oder durch einfaches Gesetz begrenzt, liegt ein Ermittlungsverbot vor.308 Ermittlungsmaßnahmen, die gegen Ermittlungsverbote verstoßen sind rechtswidrig. Damit ist indessen noch nichts über die Rechtmäßigkeit eines auf Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse erlassenen Verwaltungsakts gesagt. Diese hängt vielmehr vom Vorliegen eines Verwertungsverbots ab.309 Die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen rechtswidrig erlangte Tatsachen, Erkenntnisse oder beschaffte Beweismittel bei der Sachverhaltsfeststellung verwertetet werden dürfen oder wann – invers – ein Verwertungsverbot greift, ist bis heute umstritten.310 Jedenfalls kennt das Besteuerungsverfahren unstreitig – ebenso wie das Strafverfahren – kein allgemeines Beweisverwertungsverbot.311 Ein 305 Rolf Wittmann, in: StuW 1987, 35 (40); vgl. auch allgemein zum Verwaltungsrecht Hermann Hill, in: NVwZ 1985, 449 (454); Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 85; Christian von Pestalozza, in: Festschrift Boorberg Verlag, S. 185 (200) sieht in der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes hingegen einen „absoluten“ Aufhebungsgrund. 306 Zum Gesetzesvorbehalt zuvor auf S. 58. 307 Damit ist jedoch nichts über die Rechtsmäßigkeit der auf Grundlage unzureichender Sachverhaltsaufklärungsmöglichkeiten ergangenen Verwaltungsakte gesagt. Zu den Folgen eines strukturellen Vollzugsdefizits sodann auf S. 97 ff. 308 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 276. 309 Teilweise wird angenommen, die Rechtmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsakts bleibe unter Anwendung des § 127 AO von der verbotswidrigen Verwertung bloß formeller rechtswidriger Ermittlungshandlungen unberührt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich richtig sei; vgl. statt vieler Klaus Macht, Verwertungsverbote bei rechtswidriger Informationserlangung im Verwaltungsverfahren, S. 117. 310 Vgl. statt vieler Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 276. 311 Vgl. zuletzt BFH v. 25. März 2009, VIII R 210/08, BFH/NV 2009, 1396 (1397, m.w.N.); BFH v. 30. Mai 2008, V B 76/07, BFH/NV 2008, 1441 (1442); BFH vom 4. April 2007, II B 66/06, BFH/NV 2007, 1273; dennoch wollten einige Autoren und Finanzgerichte allein aus der rechtswidrigen Beweismittelbeschaffung ein -verwertungsverbot ableiten, u. a. FG Münster, EFG 1982, 601 (602); Helmut Schneider, in: DStZ 1982, 101; Michael Streck, in: BB 1980, 1537 (1541); Hinrich Rüping, Beweisverbote als Schranken der Aufklärung im Steuerrecht, S. 29.
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Grundsatz, dass die materielle Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsse, existiert gerade nicht.312 Das öffentliche Interesse an der möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung ist nicht immer und von vornherein vorrangig,313 und Grenzen der Wahrheitsfindung sind nicht (immer und von vornherein) unzulässig.314 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive steht das Fundamentalprinzip der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) den rechtlichen Gründen der jeweiligen Beschränkung des Untersuchungsgrundsatzes (z. B. den Grundrechten der betroffenen Person, dem Gesetzesvorbehalt oder dem Grundsatz der Gewaltenteilung) gegenüber. Auch wenn die Extrempositionen der ausnahmslosen Verwertbarkeit bzw. Nichtverwertbarkeit durch rechtswidrige Ermittlungsmaßnahmen erlangter Erkenntnisse – jedenfalls soweit ersichtlich – nicht mehr vertreten werden, ist das Meinungsspektrum heute nicht weniger bunt.315 Überzeugend erscheint die in der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs316 entwickelte Differenzierung zwischen einfachen Verwertungsverboten und qualifizierten materiell-rechtlichen Verwertungsverboten, die auch von der überwiegenden Literatur positiv rezipiert wird.317 (1) Einfache Verwertungsverbote Ein einfaches Verwertungsverbot liegt danach bei formellen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften vor, sofern die Ermittlungsmaßnahme erfolgreich angefochten,318 die Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme nach ihrer Beendigung festgestellt worden ist,319 es sich um eine nichtige Ermittlungsmaßnahme handelt320 312
Statt vieler Roman Seer, in: Tipke/Kruse, Vor. §§ 101 – 106 AO, Rn. 1. Die Ansicht, dass im Besteuerungsverfahren keine Verwertungsverbote greifen, wird heute nicht mehr vertreten, zuletzt wohl: Herbert Kalmes, in: DStZ 1981, 427 (429). 314 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 291. 315 Schon 1987 beklagte Axel Schmidt-Liebig, in: BB 1987, 2139 das zu dieser Frage vergossene „Meer von Tinte“. 316 Richtungsweisend sind insofern BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227; BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461. 317 Vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 26 ff. m.w.N., Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 295 ff. m.w.N., kritisch Rudolf Wendt, in: DStZ 1998, 145 (147) m.w.N. 318 Ob ein Verwertungsverbot nur greift, wenn der Steuerpflichtige erfolgreich gegen die Rechtswidrigkeit der betreffenden Prüfungsmaßnahme vorgegangen ist, ist in der Literatur nicht unbestritten, vgl. Matthias Leist, Verfassungsrechtliche Schranken des steuerlichen Auskunfts- und Informationsverkehrs, S. 342 m.w.N. 319 BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227; BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461. Beruht die Prüfungsmaßnahme indessen nicht auf einem eigenständigen anfechtbaren Verwaltungsakt, so kann die Rechtswidrigkeit gegebenenfalls unmittelbar im Verfahren gegen die auf den Ergebnissen der Prüfung beruhenden Steuerfest313
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oder die Ermittlungsmaßnahme einen rechtswidrigen Realakt darstellt, gegen den kein selbstständiger Angriff vorgesehen ist321 und die Finanzbehörde die Erkenntnisse nicht auch hätte legal erlangen können322 (sog. hypothetischer Ersatzeingriff).323 Gelingt die Beschaffung der Informationen aufgrund einer erneuten, rechtmäßigen Ermittlungsmaßnahme, dürfen die nunmehr auch legal erworbenen Erkenntnisse hingegen verwertet werden.324 Durch einfache Verwertungsverbote werden bloße Form- und Verfahrensfehler als Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) im Verhältnis zum Interesse an der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) dem Grundgedanken des § 127 AO folgend mindergewichtet. (2) Qualifizierte materielle Verwertungsverbote Ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot ist nach dieser Differenzierung hingegen gegeben, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt.325 Anders als bei bloß formellen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften scheidet eine Heilung durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen aus. Die ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar.326 Wenn das Grundgesetz den von einer Ermittlungsmaßnahme Betroffenen einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung einräumt, der jeder Einwirkung durch die öffentliche Gewalt entzogen ist (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)327 oder mit der Ermittlungsmaßnahme gegen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG), gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) oder ein sonstiges Grundrecht verstoßen bzw. unter Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in eine grundrechtlich geschützte Position des Steuerpflichtigen eingegriffen wird, dürfen dabei gewonnene
setzungen geltend gemacht werden, vgl. BFH v. 25. November 1997; VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461 m.w.N. 320 BFH v. 10. April 1987, III R 202/83, BFHE 150, 1, BStBl. II 1988, 165. 321 BFH v. 27. Juli 1983, I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl. II 1984, 285. 322 Vgl. BFH v. 10. Dezember 1971, III R 35/71, BFHE 104, 282, BStBl. II 1972, 331; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461 (465 f.). 323 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 32; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO, Rn. 297 m.w.N.; vgl. auch Johannes Urban, in: DB 1988, 575 (578); Axel Schmidt-Liebig, BB 1987, 2139 (2140). 324 BFH v. 7. November 1985, IV R 6/85, BStBl. II 1986, 435, BFHE 145, 23; BFH v. 21. April 1993, X R 112/91, BStBl. II 1993, 649, BFHE 171, 15. 325 BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227; BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461. 326 BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227; BFH v. 4. Oktober 2006, VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461. 327 Zu den Grundrechten der Beteiligten bereits zuvor auf S. 36.
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Erkenntnisse im Interesse des effektiven Grundrechtsschutzes nicht verwertet werden. Eine Sonderrolle kommt in diesem Zusammenhang dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu. Es stellt sich die in der steuerrechtlichen Literatur und Rechtsprechung noch immer kaum diskutierte Frage, ob in konsequenter Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht letztlich jedwede rechtswidrige Erhebung, Speicherung, Weitergabe oder Verarbeitung personenbezogener Informationen den Betroffenen in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt und diese Verletzung automatisch zu einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot führt.328 Unter dieser Prämisse würden alle unerlaubt erlangten Kenntnisse einer Verwertung für steuerliche Zwecke entzogen.329 Im Ergebnis entstünde ein absolutes Verwertungsverbot für jede rechtswidrig erlangte Information.330 Es ist daher erstaunlich, dass dieses Problemfeld in der steuerrechtlichen Literatur bisher – soweit ersichtlich – nur stiefmütterlich behandelt wird. Ohne dogmatisch kaum erträgliche Verwerfungen scheint eine Lösung auf der Ebene der möglichen Grundrechtsverletzung kaum denkbar. Weder finden sich Gründe, den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einzuengen, noch verspricht die Begründung eines spezifischen Eingriffsbegriffs Erfolg. Besonders schwerwiegenden dogmatischen Bedenken wären gar Überlegungen ausgesetzt, die an die Rechtfertigungsebene anknüpften, weil sie im Kern Hand an die Gewaltenteilung anlegen müssten. Führt man sich die Zweistufigkeit des Vorgangs vor Augen – namentlich die Ebene der illegalen Informationsgewinnung und die Ebene der in Frage stehenden Legalität der Informationsverwertung –, lässt sich erkennen, dass solche grundrechtsdogmatischen Verwerfungen letztlich nur dazu führten, dass bereits die Illegalität der Informationsgewinnung entfiele und damit die Frage nach einem Verwertungsverbot von vornherein gar nicht erst aufkäme. Ähnlichen Bedenken wäre die Überlegung ausgesetzt, das verfassungsrechtlich garan328 Vgl. zum Verwaltungsverfahren Carl-Eugen Eberle, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 351 (365); vgl. zum Steuerrecht Björn Kaiser, in: FR 1988, 121 (124), der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als umfassende Grundlage eines steuerrechtlichen Verwertungsverbots ausschließt, weil danach dem Individualrechtsschutz unbedingter Vorrang vor anderen Interessen eingeräumt würde; zustimmend Hinrich Rüping, in: FR 2000, 193 (196). 329 Vgl. Klaus Macht, Verwertungsverbote bei rechtswidriger Informationserlangung im Verwaltungsverfahren, S. 118. 330 Herbert Wenzig, in: FR 1981, 320 (349) wendet ganz grundlegend gegen die Maßgeblichkeit der Verletzung von Grundrechten ein, dass so alle von gesetzlichen Vorschriften abweichenden Handlungen bei Betriebsprüfungen zu einem Verwertungsverbot führen müssten. Dem widerspricht Hans-Peter Hüsch, Verwertungsverbote im Verwaltungsverfahren, S. 68 f. (in Fn. 215) auf Peter Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 142 verweisend und mit Blick auf die notwendige Differenzierung zwischen der Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht und einfachem Recht. Diese Bedenken können m. E. aber gerade nicht durchgreifen, wenn überhaupt keine Rechtsgrundlage für die Ermittlungsmaßnahme in Betracht kommt.
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tierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung pauschal als Grundlage für Verwertungsverbote im Steuerrecht auszuschließen,331 wenngleich beiden Lösungsansätzen zu Gute zu halten ist, dass sie die (etwas apodiktisch anmutende) Definition materiell qualifizierter Verwertungsverbote des Bundesfinanzhofs unberührt ließen. Zum Teil wird daher eine verfassungsrechtliche Auslegung der Rechtsgrundlage für das die rechtswidrig erlangte Information verwertende Verwaltungshandeln vorgeschlagen.332 Diese seien unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungskonform pauschal dahingehend auszulegen, dass die Verwertung rechtswidrig erlangter Informationen nach Maßgabe des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur dann zulässig sei, wenn die hypothetische Möglichkeit einer rechtmäßigen Erlangung der Erkenntnisse bestehe.333 Dieses Ergebnis vermag praktisch zu überzeugen und lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Was den Finanzbehörden aufgrund der Mitwirkung des Steuerpflichtigen hätte bekannt sein müssen, nunmehr aber nur rechtswidrig bekannt wurde, kann nicht grds. unverwertbar sein. Oder negativ formuliert: Nur was die Finanzbehörden nicht wissen dürfen, dürfen sie aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch nicht verwenden. Dieses Ergebnis entspricht im Kern den Voraussetzungen für das Vorliegen eines einfachen Verwertungsverbots.334 Letztlich lässt dieser Lösungsansatz auch die weitreichende Definition des qualifizierten materiellen Verwertungsverbots des Bundesfinanzhofs unberührt. Dennoch erscheint fragwürdig, die nachvollziehbaren und sinnvollen Überlegungen bei der Auslegung der Rechtsgrundlage des Verwaltungshandelns (i. d. R. ist das der Erlass eines Verwaltungsakts) zu verorten, weil die Definition des qualifizierten materiellen Verwertungsverbots an den Akt der Informationsgewinnung anknüpft und nicht an die anschließende Informationsverwertung. M. E. ist vielmehr eine Einschränkung der vom Bundesfinanzhof aufgestellten Devise, dass die Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Bereichs durch die Ermittlungsmaßnahmen ausnahmslos zu einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot 331
So wohl Björn Kaiser, in: FR 1988, 121 (124). Vgl. Klaus Macht, Verwertungsverbote bei rechtswidriger Informationserlangung im Verwaltungsverfahren, S. 160 f.; ähnlich wohl auch Friedhelm Hufen/Thorsten Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 111 ff. 333 Die hypothetische Möglichkeit wird sich regelmäßig aus den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (insb. § 90 Abs. 1 S. 2 AO) ergeben. Das erscheint sinnvoll, weil „der Grundrechtsverstoß die Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen unberührt lässt“, Christoph Trzaskalik, in: StuW 1981, 180; ähnliche Überlegungen lassen sich hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch Kontrollmitteilungen bei gleichzeitig bestehenden entsprechenden Erklärungspflichten bei Johanna Hey, in: Festschrift für Kruse, S. 269 (276) erkennen; Mathias Huber, Die Folgen rechtswidriger Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, S. 158 zieht hingegen den umgekehrten Schluss und will die Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO entfallen lassen, wenn ein Verwertungsverbot greift. 334 Dazu bereits auf S. 71 f. 332
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führt, angezeigt. Soweit die rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme unter Verstoß gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt, sollte dieser Verstoß nur dann zu einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot führen, wenn die Finanzbehörde auf anderem Wege rechtlich nicht zur Informationsgewinnung befugt gewesen wäre335 und deshalb ein Eingriff von erheblicher Intensität336 vorliegt. c) Zusammenfassung Die Finanzbehörden sind durch den Untersuchungsgrundsatz zur Ermittlung des steuerlich relevanten Sachverhalts unter Beachtung der einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Begrenzungen ihres Ermittlungsspielraums verpflichtet. Ausgangspunkt der Sachverhaltsermittlung sind regelmäßig die in Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht gemachten Angaben des Steuerpflichtigen. Die Mitwirkungspflicht des Beteiligten ist aber nur eines von mehreren Mitteln zur Sachverhaltsaufklärung durch die Finanzbehörden. Bleibt dieses Aufklärungsmittel erfolglos, weil der Beteiligte seine Mitwirkungsplicht verletzt, berührt das den Umfang der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde nicht, solange andere Ermittlungsmöglichkeiten gegeben sind und diese nicht aus anderen Gründen ausscheiden.337 Gleiches gilt aber auch, wenn ein mitwirkungspflichtiger Beteiligter seine Verpflichtung zur Unterstützung der Finanzbehörde bei der Sachverhaltsermittlung erfüllt.338 Werden die Mitwirkungspflichten nur unzureichend oder gar nicht erfüllt, erweitert sich der Ermittlungsspielraum der Finanzbehörden: Maßnahmen die zunächst in Anbetracht des möglichen Mitwirkungsbeitrags des Steuerpflichtigen unverhältnismäßig erschienen, können aufgrund der Verletzung erforderlich werden. Umgekehrt verengt sich der Ermittlungsspielraum der Finanzbehörden bei pflichtgemäßer Erfüllung der Mitwirkungspflichten. Missachten die Finanzbehörden bei ihren Ermittlungen die Grenzen des Untersuchungsgrundsatzes, indem sie den ihnen eingeräumten Ermittlungsspielraum über- oder unterschreiten, handeln sie rechts-
335 Ob man diese Einschränkung als Ausnahme von der Regel begreifen möchte oder unmittelbar als Voraussetzung für ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot, ist letztlich nur eine Frage der Perspektive und kann als persönliche Geschmacksfrage offen gelassen werden. Es ist jedenfalls festzustellen, dass mit dieser Lösung hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine gewisse Parallelität zu Definition des einfachen Verwertungsverbots hergestellt wird. 336 Damit wird aber mitnichten ein spezifischer verfassungsrechtlicher Eingriffsbegriff definiert, sondern lediglich eine bereichsspezifische Einschränkung der Definition qualifizierter Verwertungsverbote des Bundesfinanzhofs begründet. 337 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 99 m.w.N. 338 Vgl. Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 54.
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widrig. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit der darauf beruhenden Sachentscheidung. Wenngleich eine Wechselwirkung zwischen der finanzbehördlichen Untersuchungspflicht und den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen festzustellen ist,339 lassen sich die häufig gegenläufigen Interessen der involvierten Akteure nicht leugnen,340 sodass anerkanntermaßen zumindest die Letztverantwortung für die korrekte Sachverhaltsermittlung bei den Finanzbehörden liegt.341 Deswegen wäre es auch verfehlt von einer Verantwortungsgemeinschaft von Steuerbehörde und Steuerpflichtigem342 zu sprechen.343 2. Notwendige Beurteilungen des Sachverhalts Der in § 38 AO beschriebene Rechtsanwendungsvorgang lässt den Steueranspruch mit Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestands entstehen. Der Tatbestand der maßgeblichen Rechtsnorm ist verwirklicht, wenn der im Einzelfall zu beurteilende Lebenssachverhalt diesem entspricht.344 Festgestellt wird der Sachverhalt zunächst als „tatsächlich Geschehenes“, als solcher ist er jedoch zumeist nicht unmittelbar einer Subsumtion unter den Tatbestand der zuvor ausgelegten Gesetzesnorm zugänglich. Es bedarf vielmehr einer wertenden Zuordnung, um eine Aussage über den Sachverhalt zu treffen, die einen logischen Schluss überhaupt erst möglich macht.345 Die Prämissen müssen daher bereits bei ihrer Ermittlung aufeinander zugerichtet und auf eine Ebene gebracht werden.346 Die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts findet dementsprechend nicht ins Ungewisse hinein statt, sondern in Kenntnis der Tragweite der Norm als vorgenommenes Ausleseverfahren.347 Ein Sachverhalt bezieht sich in erster Linie auf tatsächliche Vorgänge oder Zustände, die menschlicher Wahrnehmung zugänglich sind.348 Erst durch Wertungen und Urteile wird dem Sachverhalt als Lebensvorgang entnommen, ob die im Tat339 Insb. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 177; ders., Der Einsatz von Prüfungsbeamten durch das Finanzgericht, S. 88 f. 340 Vgl. Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 322. 341 Vgl. Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 47; Roman Seer, in: StuW 2015, 315 (319). 342 So Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 176. 343 Differenzierend Klaus-Dieter Drüen, in: FR 2011, 101 ff. 344 Georg Crezelius, in: IStR 2002, 433 (434). 345 Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 104 ff.; zusammenfassend zur steuerrechtlichen Diskussion Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 285. 346 Georg Crezelius, in: IStR 2002, 433 (435). 347 Georg Crezelius, in: IStR 2002, 433 (435). 348 Vgl. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 104.
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bestand des Rechtssatzes genannten Merkmale vorhanden sind oder nicht.349 Anschaulich wird der notwendige Beurteilungsvorgang bspw. bei der Frage nach dem Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht: Wenngleich alle tatsächlichen Feststellungen getroffen sein mögen, bleibt diese Feststellung der Gewinnerzielungsabsicht von Wertungen und Urteilen abhängig.350 Neben tatsächlich Geschehenem können auch Rechtsverhältnisse Teil gesetzlicher Tatbestände sein,351 wie es im Steuerrecht mit der Anknüpfung an die zivilrechtlich organisierte und vorstrukturierte wirtschaftliche Wirklichkeit der Regelfall sein wird.352 Aber nur scheinbar liegen die Dinge hier einfacher. Erstens, weil die Rechtsverhältnisse sich selbst aus der Anwendung von Rechtssätzen ergeben, die ihrerseits tatbestandliche Voraussetzungen definieren.353 Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt wiederum von der Beurteilung des Geschehenen ab.354 Zweitens, weil steuerrechtfertigender Belastungsgrund nicht (nur) der förmliche zivilrechtliche Vorgang, sondern (auch) seine ökonomische Substanz ist.355 Dennoch kann es ohne gesetzliche Anordnung auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise – also den Blick auf die hinter der zivilrechtlichen Form liegenden ökonomischen Verhältnisse – nur ankommen, wenn ein übergeordnetes Prinzip, wie das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dies erfordert.356 Dieser Aspekt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist im Wesentlichen der Auslegung des Tatbestands der steuerrechtlichen Norm zuzuordnen.357 Daneben erlangt die wirtschaftliche Betrachtungsweise aber auch bei der Beurteilung von Sachverhalten als Wertungsprinzip eigenständige Bedeutung. Dabei ist der Sachverhalt mit Blick auf die Tatbestandsmerkmale der steuerrechtlichen Norm unabhängig von der formalen Bezeichnung einzuordnen,358 wenn dies aufgrund gesetzlicher Anordnung359 oder nach Gesetzesauslegung angezeigt ist. Gegenstand umfänglichen wissenschaftlichen Diskurses ist die Frage, ob eine typisierende Betrachtungsweise, bei der im Interesse der Verwaltungspraktikabilität Besonderheiten des Einzelfalls außer Acht gelassen werden, der Ebene der Sach349
Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 94. Vgl. dazu Klaus Vinzenz, in: DStR 1993, 550. 351 Vgl. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 105. 352 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 321. 353 Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 105. 354 Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 105. 355 Vgl. Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 321. 356 Vgl. Dorothee Hallerbach, in: DStR 1999, 2125 (2129). 357 Umstritten ist insofern, ob die wirtschaftliche Betrachtungsweise eine eigene Auslegungsmethode darstellt oder der teleologischen Auslegung zuzuordnen ist; vgl. dazu Dorothee Hallerbach, in: DStR 1999, 2125 (2129); Lothar Woerner, in: FR 1992, 226 (227 ff.). 358 Dorothee Hallerbach, in: DStR 1999, 2125 (2129). 359 Der Gesetzgeber hat allerdings nur wenige Tatbestände geschaffen, die eine wirtschaftliche Betrachtung bereits nach ihrem eindeutigen Wortlaut erfordern, bspw. §§ 39 ff. AO. 350
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verhaltsermittlung oder der Gesetzesauslegung zuzuordnen sind.360 Soweit die Sachverhaltsfeststellung betroffen ist, tritt ein (fingierter) typischer Sachverhalt an die Stelle des tatsächlich geschehenen Sachverhalts.361 In Anbetracht des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) erscheint es konsequent, diese Art der typisierenden Betrachtungsweise auszuschließen, wo sie nicht durch das Gesetz vorgesehen ist.362 Eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung ist die finanzbehördliche Schätzungsbefugnis nach § 162 AO.363 Steuerrechtlicher Tatbestand und Sachverhaltsfeststellung sind also derart miteinander verschränkt, dass sie vor der syllogischen Schlussziehung in derselben Sprache artikuliert werden müssen und sich einer isolierten Betrachtung entziehen. Dennoch darf der konkrete Sachverhalt umgekehrt keine Auswirkungen auf die Auslegung der Norm haben.364
3. Rechtliche Würdigung des Sachverhalts (Subsumtion) Ist eine Aussage über den Sachverhalt getroffen, die der Sprache des Obersatzes entspricht, folgt mit der Subsumtion der letzte Akt des syllogmatischen Schlussverfahrens. Wenn der Gehalt der Steuerrechtsnorm durch Auslegung erfasst ist und der fragliche Sachverhalt festgestellt, bewertet und in der Sprache des Gesetzes ausgedrückt ist, kann der abschließende Schritt der Rechtsfindung folgen, bei dem der Sachverhalt unter die jeweilige Norm subsumiert wird.365 Kehren sämtliche Merkmale des Tatbestandes in der über den Sachverhalt getroffenen Aussage wieder,366 ist festzustellen, dass die im Rechtssatz genannte Rechtsfolge eintritt,367 im materiellen Steuerrecht also eine Steuerschuld entsteht oder nicht. 360 Ausführlich dazu Ralf Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 131 ff.; Martin Strahl, Die typisierende Betrachtungsweise im Steuerrecht; Lerke Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume bei der Anwendung der Steuergesetze; Rainer Wernsmann, in: DStR-Beihefter 2011, 72. 361 Ralf Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 491. 362 So auch Rainer Wernsmann, in: DStR-Beihefter 2011, 72 (73 f.). 363 Monika Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, Berlin 1988, S. 188 f.; Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 120; Ralf Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 422; umfassend sei zu § 162 AO verwiesen auf Irene Gombert, Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung. 364 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 294. Solche „Rückkopplungen“ nach dem Schema „Sachverhalt ! Norm“ würden die Gewaltenteilung und die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verletzen. 365 Zur Subsumtion in der Methodendiskussion Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 119 ff. 366 Noch einmal ganz deutlich: Nicht Fakten werden subsumiert, sondern (wertende) Aussagen über einen Sachverhalt; vgl. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 94. 367 Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 94.
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III. Ermessen im Steuerrecht Sind der Ober- und Untersatz zutreffend definiert und ist mit den Mitteln der formalen Logik der gedankliche Schluss gezogen, folgt die Frage nach der sich daraus ergebenden Rechtsfolge.368 Probleme treten dann auf, wenn die Rechtsnorm nicht konditional eine bestimmte zwingende Rechtsfolge anordnet (gebundene Entscheidung), sondern einen Entscheidungsspielraum eröffnet (Ermessen).369 1. Kein Ermessen hinsichtlich des Steuerschuldverhältnisses Das materielle Steuerrecht, aus dem sich das Steuerschuldverhältnis ergibt, ist von konditionalen Rechtsnormen geprägt.370 Dass die an die Verwirklichung der Steuergesetze knüpfende Entstehung des Steueranspruchs nicht in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt wird, ist Ausdruck des Legalitätsprinzips.371 Der Verwaltung ist Ermessen dementsprechend nur außerhalb der materiellen Besteuerungsnormen eingeräumt, insb. im Verfahrensrecht, z. B. bei Billigkeitsmaßnahmen und der Haftung.372 2. Ermessen im steuerlichen Verfahrensrecht Anknüpfend an die gestufte Unterteilung des Besteuerungsverfahrens in Ermittlungs- und Festsetzungs- sowie Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren, lässt sich feststellen, dass die Festsetzung der Steuer von gebundenen Verwaltungsentscheidungen geprägt ist, wohingegen die übrigen Verfahren verschiedene Ermessensvorschriften enthalten.373 Der Finanzbehörde ist im Ermittlungsverfahren, das für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist, nach dem Untersuchungsgrundsatz zur Ermittlung steuererheblicher Sachverhalte verpflichtet; sie bestimmt gerade nicht nach ihrem Ermessen, ob sie einen Sachverhalt ermitteln will374 (kein Entschließungsermessen)375. Allerdings entscheiden die Finanzbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen, wie, also mit welchen Mitteln, sie einen Sachverhalt erforschen, 368
Vgl. Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123. Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123. 370 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123. 371 Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 123; Hans-Jürgen Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S.155 158 ff.; Rainer Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 137. 372 Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 41. 373 Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, S. 7. 374 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 137. 375 Umfassend zum Entschließungsermessen im Steuerrecht: Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 101. 369
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
§ 92 AO376 (Auswahlermessen)377. Sie können dazu unter anderem gem. § 93 Abs. 1 S. 3 AO Dritte heranziehen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (intendiertes Ermessen), gem. § 94 Abs. 1 S. 1 AO eine eidliche Vernehmung vornehmen, gem. § 95 Abs. 1 S. 2 AO eine Versicherungen an Eides statt verlangen, wenn andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind, zu keinem Ergebnis geführt haben oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern (intendiertes Ermessen), gem. § 96 Abs. 1 S. 1 einen Sachverständigen hinzuziehen, gem. § 97 Abs. 2 S. 1 AO die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung an Amtsstelle verlangen oder sie bei dem Vorlagepflichtigen einsehen sowie gem. § 98 Abs. 2 AO bei der Einnahme des Augenscheins Sachverständige hinzuziehen. Ebenso wie die Anordnung einer Außenprüfung (§ 169 AO) liegt auch die Inanspruchnahme internationaler Amtshilfe nach § 117 Abs. 1 AO im Ermessen der deutschen Finanzbehörde.378 § 86 S. 1 AO räumt den Finanzbehörden das Ermessen ein, zu entscheiden, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (Opportunitätsgrundsatz). Der Anwendungsbereich des Opportunitätsprinzips verengt sich allerdings durch die Einschränkungen des § 86 S. 2 AO auf wenige Einzelfälle.379 Bei der Festsetzung der Steuer bilden nur die seltenen Fälle der §§ 156 Abs. 2, 163 AO Ausnahmen vom Grundsatz der gebundenen Entscheidung.380 Anders als üblich kommt dem Steuerbescheid, durch den die Steuer festgesetzt wird, in diesen Fällen nicht nur rein deklaratorische sondern konstitutive Wirkung zu.381 Die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte gem. § 130 AO liegt ebenso im Ermessen wie der Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte nach § 131 AO. Weitere Ermessensvorschriften, die allerdings nicht näher betrachtet werden sollen, sind in den §§ 134, 140, 149, 193, 210, 249 Abs. 2, 328, 365 Abs. 1 AO zu finden.
3. Rechtmäßige Ermessensausübung Gem. § 5 AO sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.382 Es dürfen dementsprechend keine Ermessensfehler nach der in der Literatur üblichen 376
Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 80. Umfassend zum Auswahlermessen im Steuerrecht: Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 102. 378 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 4. 379 Siehe mit Beispielen Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 86 AO, Rn. 3. 380 Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, S. 7. 381 Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 6, Rn. 21. 382 Eigenständige Bedeutung über den Regelungsgehalt des Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) kommt dieser Regelung nur in Fällen zu, in denen die Verwaltung ohne gesetzliche Grundlage tätig werden darf; vgl. Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 24. 377
B. Verwirklichung des materiellen Steuerrechts
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Einteilung in Ermessensüberschreitung, -unterschreitung oder -fehlgebrauch vorliegen. Liegt ein solcher Ermessensfehler vor, ist das Handeln der Behörde rechtswidrig.383 Die Unzweckmäßigkeit behördlichen Handelns berührt die Rechtmäßigkeit hingegen grds. nicht.384 Mit Eingriffen in geschützte Rechtspositionen verbundene Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden müssen allerdings den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) genügen.385 Werden die Grenzen der Verhältnismäßigkeit bei der Ermessensausübung überschritten, liegt ein Fall des Ermessensfehlgebrauchs vor, der zur Rechtswidrigkeit des Ermessensverwaltungsakts führt.386 Auf tatbestandlicher Ebene einer Ermessensvorschrift werden die Voraussetzungen definiert, die erfüllt sein müssen, damit die Finanzbehörde zur Ausübung des Ermessens berechtigt ist. Sind die Voraussetzungen des Tatbestandes nicht gegeben, greift eine Ermessenssperre.387 Auch bei der Ausübung des Ermessens auf Rechtsfolgenseite hat die Finanzbehörde alle rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die ihr zum Zeitpunkt der Ermessensentscheidung bekannt sein konnten.388 Bei Ermessensvorschriften trifft die Finanzbehörde also in doppelter Hinsicht die Pflicht zur umfassenden und einwandfreien Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Eine unzureichende Sachverhaltsermittlung führt demgegenüber zur Rechtswidrigkeit der auf dieser Grundlage getroffenen Ermessensentscheidung.389 383
Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 151. Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 151. 385 BFH v. 29. Oktober 1986, VII R 82/85, BFHE 148, 108, BStBl. II 1988, 359; BFH v. 24. Oktober 1989, VII R 1/87, BFHE 158, 502, BStBl. II 1990, 198; BFH v. 23. Oktober 1990, VIII R 1/86, BFHE 162, 539, BStBl. II 1991, 277; BFH v. 18. Februar 1997, VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl. II 1997, 499; BFH v. 22. Februar 2000, VII R 73/98, BFHE 191, 211, BStBl. II 2000, 366; BFH v. 04. Oktober 2006, VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl. II 2007, 227; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 92 AO, Rn. 6. 386 So Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 207 mit dem kritischen Hinweis, dass Vorschriften, die Übermaß vermeiden sollen, zum Teil auf ein Untermaß hinauslaufen, indem sie eine effiziente Sachaufklärung behinderten, vgl. dazu auch Klaus Tipke, in: Festschrift für Offerhaus, S. 819; zum Übermaßverbot im Verfahrensrecht im Übrigen Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 288 ff. 387 Klaus-Dieter Drüen, in: Tipke/Lang, § 5, Rn. 37. 388 BFH v. 22. Oktober 1981, IV R 81/79, BFHE 134, 415, BStBl. II 1982, 446; BFH v. 23. Mai 1985, V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl. II 1985, 489; BFH v. 6. März 1996, II R 102/ 93, BFHE 180, 178, BStBl. II 1996, 396; BFH v. 27. September 2001, X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl. II 2002, 176; BFH v. 26. Juli 2007, VI R 68/04, BFHE 218, 35, BStBl. II 2009, 338; BFH v. 25. August 2010, X B 149/09, BFH/NV 2011, 266; BFH v. 28. September 2011, VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl. II 2012, 395; Klaus-Dieter Drüen, in: Tipke/Lang, § 5, Rn. 37; Rainer Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 5 AO, Rn. 122. 389 BFH v. 22. Februar 1972, VII R 80/69, BFHE 105, 220, BStBl. II 1972, 544; BFH v. 15. Juni 1983, I R 76/82, BFHE 139, 146, BStBl. II 1983, 672; BFH v. 23. Mai 1985, V R 124/ 79, BFHE 143, 512, BStBl. II 1985, 489; BFH v. 22. Juni 1990, III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl. II 1991, 864; BFH v. 27. September 2001, X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl. II 2002, 384
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
IV. Zusammenfassung Eine klare Trennung zwischen Entscheidungen über Rechts- und Tatsachenfragen ist nicht möglich.390 Die Ermittlung des Sachverhalts und die daraus resultierenden Rechtsfolgen bilden gewissermaßen eine Schicksalsgemeinschaft, die durch das Medium der Subsumtion eng miteinander verwoben sind. Die besondere Schwierigkeit der Gesetzesanwendung im Steuerrecht liegt nicht (nur) in der Auslegung der Steuergesetze oder der Subsumtion, sondern (auch) in der der Subsumtion vorangehenden Feststellung und Beurteilung der einzelnen Elemente des Sachverhalts als den im Tatbestand genannten Merkmalen entsprechend.391 Dem steuerlichen Verfahrensrecht und dabei insb. dem Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren kommt vor allem eine dienende Feststellungs- oder Verwirklichungsfunktion zu. Der verfassungsrechtliche Anspruch gleichmäßiger und gesetzmäßiger Besteuerung kann gerade nur durch ein wirkungsvolles steuerliches Verfahrensrecht gesichert werden.
C. Reziproke Wirkung der Nichtvollziehbarkeit auf das materielle Steuerrecht Die Finanzbehörden sind verfassungsrechtlich verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 GG).392 Sie sind verantwortlich für den gesetzmäßigen und gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze.393 Diesen Vollzugssicherungsauftrag können die Finanzbehörden allerdings nicht erfüllen, wenn ihnen keine ausreichende normative Ermächtigung zum Steuervollzug und dabei in erster Linie zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung steht. Wo das Ermittlungsverfahren an rechtliche Grenzen stößt und deshalb der gleichmäßige und gesetzmäßige Steuervollzug nicht mehr gesichert werden kann, läuft der vom materiellen Steuerrecht begründete Steueranspruch regelmäßig ins Leere.394
176; Klaus-Dieter Drüen, in: Tipke/Lang, § 5, Rn. 37; Hermann Pump/Wolfgang Leibner, in: StBp 2006, 37 (44). 390 So zutreffend Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, S. 206 ff. 391 Vgl. Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 283. 392 Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen bereits zuvor auf S. 31 ff. 393 Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III, S. 1455. 394 Vgl. Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (8).
C. Reziproke Wirkung der Nichtvollziehbarkeit
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I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Nach der anerkannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verlangt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden:395 Diesen Ansprüchen werde Genüge getan, wenn einerseits ein dem Gleichheitssatz entsprechendes materielles Steuerrecht gegeben sei und andererseits bei gleichen steuerlichen Verhältnissen auch der tatsächlich gleiche Belastungserfolg durch gleichmäßige Durchsetzung des materiellen Besteuerungsanspruchs gewährleistet werde.396 Wenn die verfassungsrechtlich gebotene Belastungsgleichheit nicht in Form eines gleichmäßigen Besteuerungserfolgs eintrete, weil dem materiellen Steuerrecht normativ ein verfahrensrechtliches Umfeld fehle, um die materiell vorgesehene Belastungsgleichheit prinzipiell auch tatsächlich zu verwirklichen, solle ein sogenanntes strukturelles Vollzugsdefizit vorliegen.397 Ein solches strukturelles Vollzugsdefizit führt nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernorm.398 Aber nicht in jedem Mangel des Steuervollzugs sei ein strukturelles Vollzugsdefizit zu erkennen, das zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuerrechts führe.399 Die empirische Feststellung, dass der Vollzug materiellen Steuerrechts fehlgehe, genüge gerade nicht, um ein strukturelles Vollzugsdefizit zu begründen; hinzutreten müsse vielmehr ein normatives Defizit in der Ausgestaltung der Erhebungsregeln, das dazu führt, dass ein gleichmäßiger Belastungserfolg prinzipiell verfehlt wird.400 Das Defizit in der Rechtsanwendung bzw. -durchsetzung muss dementsprechend „als Fehler im System“401 verankert sein. Die Verantwortlichkeit dafür müsse darüber hinaus dem Gesetzgeber anzulasten sein. Beruhe die Steuerbelastung wegen unzureichender gesetzlicher Verifikationsmöglichkeiten
395
Grundlegend sind die Urteile zur Zinsbesteuerung, BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 und zur Spekulationsteuer, BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94. 396 BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; Klaus Tipke, in: Festschrift für Offerhaus, S. 819 (820). 397 BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94. 398 BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94. 399 BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III, S. 1455 ff., 1461 ff. fordert hingegen eine Ausdehnung über in der Gesetzgebung angelegte Vollzugsdefizite hinaus auch auf rein tatsächliche Vollzugsdefizite der Finanzverwaltung; diesbezüglich zurecht kritisch Roman Seer, in: StuW 2015, 315 (319). 400 Vgl. BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; zustimmend Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 29. 401 Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 528.
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Kap. 2: Materielles Steuerrecht und steuerliches Verfahrensrecht
nahezu ausschließlich auf der Erklärungsbereitschaft und -ehrlichkeit des Steuerpflichtigen, werde ein gleichmäßiger Belastungserfolg strukturell verfehlt.402
II. Zusammenfassung Ihren strukturellen Vollzugssicherungsauftrag können die Finanzbehörden nur erfüllen, wenn sie durch das Verfahrensrecht in die Lage versetzt werden, eine gesetzes- und gleichmäßige Besteuerung zu gewährleisten. Maßgebliche Herausforderung ist dabei die Sachverhaltsaufklärung als Grundlage des steuerlichen Vollzugs. Weil ein auf fehlenden Mitteln zur Sachverhaltsermittlung oder -verifikation fußendes strukturelles Vollzugsdefizit zur Verfassungswidrigkeit der Belastungsnorm führt, wird der normative Rahmen der Sachverhaltsermittlung zur Achillesferse des materiellen Steuerrechts. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kommt der Ausgestaltung des steuerlichen Verfahrensrechts damit die gleiche Bedeutung zu wie der Ausgestaltung des materiellen Steuerrechts selbst. Um Wirksamkeit zu entfalten, ist das materielle Steuerrecht auf effiziente Vollzugsnormen angewiesen. Dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz wird erst Genüge getan, wenn neben der Rechtssetzungs- auch die Rechtsanwendungsgleichheit gewährleistet wird. Es besteht also eine Wechselbezüglichkeit zwischen materieller Norm und deren Vollzug.403 Umgekehrt kann ein Verstoß materiellen Steuerrechts gegen das Fundamentalprinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auch nicht durch eine effiziente Vollzugssicherung geheilt werden.404
D. Zwischenergebnis Als entscheidender Schritt auf dem Weg der Rechtsfindung und -anwendung ist die Sachverhaltsermittlung und -bewertung identifiziert; in ihr kommt zunächst die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens zum Ausdruck. Die Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und -bewertung bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung einerseits und den Grundrechten der Beteiligten sowie den Bedingungen der Massenverwaltung andererseits. Es ist die Aufgabe der Finanzverwaltung unter diesen multipolaren Bedingungen zwischen den möglicherweise divergierenden Rechtsgütern einen angemessenen Ausgleich im Sinne einer prakti-
402 403 404
BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94. Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (9). Klaus Tipke, in: Festschrift für Offerhaus, S. 819 (822).
D. Zwischenergebnis
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schen Konkordanz405 zu finden, sodass kein Rechtsgut auf Kosten eines anderen derart überproportional gewichtet wird, dass Letzteres praktisch geopfert wird.406 Darüber hinaus ist dem steuerlichen Verwaltungsverfahren – und dabei wiederum insb. der Sachverhaltsermittlung – normativ eine über die dem materiellen Recht dienende Funktion hinausgehende Bedeutung beizumessen: Die verfahrensrechtlich vorgeschriebene gesetzmäßige und gleichheitsgerechte Durchsetzbarkeit materieller Besteuerungsansprüche prägt auch die Ausgestaltung der materiellen Belastungsnorm ganz erheblich. Das materielle Steuerrecht muss so ausgestaltet sein, dass dessen gleichheitsrechtskonformer Vollzug überhaupt erst möglich ist.407
405 Zum Begriff der praktischen Konkordanz vgl. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72. 406 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 85 AO, Rn. 26. 407 Vgl. Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (8 f.).
Kapitel 3
Steuerrecht zwischen materieller Universalität und formeller Territorialität Die Aufklärung von Steuersachverhalten mit Auslandsbezug ist nur notwendig, wenn die Bundesrepublik den Teil des Sachverhalts, der fremdes Staatsgebiet berührt, zum Bezugspunkt der eigenen Besteuerung macht. Allein wenn eine solche materiell-rechtliche Anknüpfung an Auslandssachverhalte in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob eine Sachverhaltsaufklärung über die Grenze zulässig ist. Es fragt sich also, ob die Verknüpfung des innerstaatlichen Steuerrechts mit extraterritorialen Sachverhalten erlaubt und inwiefern solches Recht durchsetzbar ist.
A. Begrenzung der Rechtssetzungsgewalt und Rechtsdurchsetzungsgewalt im Völkerrecht Die staatliche Befugnis zur Rechtsetzung und -durchsetzung gilt nicht schrankenlos. Grenzen für den räumlichen Anwendungsbereich des staatlichen Rechts können sich grds. aus dem Verfassungsrecht und dem Völkerrecht ergeben.1 Nach einhelliger Auffassung kennt das Grundgesetz selbst jedoch keine zwingende Beschränkung der räumlichen Geltung von bundesdeutschen Gesetzen, sodass gegen Normen, die extraterritoriale Sachverhalte zum Anknüpfungspunkt haben, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.2 Allerdings sind die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nach Art. 25 S. 1 GG Bestandteil des Bundesrechts, wobei diesen Grundsätzen gem. Art. 25 S. 2 Halbs. 1 GG jedenfalls ein Rang zwischen einfachem Bundesrecht und Verfassungsrecht einzuräumen ist.3 Eine mögliche völkerrechtliche Beschränkung der territorialen Geltung des Rechts wirkt so mittelbar auch als Begrenzung einfachrechtlicher Gesetzgebungsbefugnisse. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts ist die staatliche Hoheitsgewalt als Befugnis zur Rechtsetzung (auch Zuständigkeitsbereich oder jurisdiction 1
Volker Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 75. Volker Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 75; Walter Rudolf, in: Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtsetzung, S. 7 (14 ff.). 3 Die Frage des Ranges der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in der Normhierachie ist hoch umstritten. Vgl. statt vieler Karl Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 173 ff.; Matthias Herdegen, in: Maunz/ Dürig, Art. 25, Rn. 78 m.w.N. 2
A. Begrenzung im Völkerrecht
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to prescribe) einerseits und als Befugnis zur Rechtsdurchsetzung (auch Rechtsanwendungsbereich oder jurisdiction to enforce) andererseits zu unterscheiden.4
I. Rechtssetzungsgewalt Bei der Reichweite der Rechtssetzungsgewalt geht es darum, ob ein Sachverhalt mit Auslandbezug völkerrechtlich überhaupt von der innerstaatlichen Rechtsordnung geregelt werden darf.5 Dass praktisch die Notwendigkeit besteht, der nationalen Rechtsordnung nicht nur Wirkung im eigenen Staatsgebiet zukommen zu lassen, sondern ihr auch darüber hinaus Geltung einzuräumen, lässt sich in Anbetracht der stetig fortschreitenden weltweiten Vernetzung des Waren-, Personen-, Finanz- und Dienstleistungsverkehrs nicht leugnen.6 Besonders offenbar wird diese raumgreifende Wirkung im Hinblick auf die sich rasant entwickelnde digitale Vernetzung und die daraus resultierenden mannigfaltigen Möglichkeiten des Zugriffs auf Informations- und Dienstleistungsangebote, die nicht in der eigenen Jurisdiktion liegen oder gar völlig entkörperlicht sind.7 Dennoch ist unumstritten, dass zwischen dem normierten Sachverhalt und dem normierenden Staat ein sinnvoller Anknüpfungspunkt (sog. Genuine Link, Sufficient Connection oder Reasonable Relation) bestehen muss.8 Diese Anknüpfungspunkte können Ausformungen des Territorialitäts-, des Personalitäts-, des Schutz- oder des Wirkungsprinzips sein.9 Nur ganz ausnahmsweise kommt jedem Staat die Rechtssetzungsgewalt ohne spezifischen Anknüpfungspunkt zu und zwar allein für Sachverhalte, deren Regelung im Gemeininteresse liegt (sog. Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip).10
II. Rechtsdurchsetzungsgewalt Die Möglichkeit zur Rechtsetzung auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug sagt jedoch noch nichts über ihre Durchsetzbarkeit aus; wobei umgekehrt die Durchsetzbarkeit auch nicht Voraussetzung ihrer völkerrechtlichen Zulässigkeit ist.11 4
Marten Breuer, in: Schöbener, S. 34. Marten Breuer, in: Schöbener, S. 34. 6 Vgl. Marten Breuer, in: Schöbener, S. 34. 7 Vgl. zur territorialen Reichweite der Grundrechte in einer digitalisierten Welt HansJürgen Papier, in: Digitalisierung im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Recht, Band II, S. 171 (180). 8 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, S. 778. 9 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, S. 779. 10 Vgl. Marten Breuer, in: Schöbener, S. 35. 11 Vgl. Marten Breuer, in: Schöbener, S. 35. 5
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
Die Befugnis zur Rechtsdurchsetzung kann jedenfalls nicht weiter gehen als die Befugnis zur Rechtsetzung selbst. Für die Rechtsdurchsetzung gilt im Völkerrecht das Prinzip der Achtung staatlicher Gebietshoheit (Territorial Supremacy oder Jurisdiction) und der territorialen Souveränität (Territorial Sovereignty), sog. formelles Territorialitätsprinzip.12 Hoheitsakte dürfen demnach grds. nur auf dem eigenen Staatsgebiet und mit Wirkung im eigenen Staatsgebiet erlassen werden.13 Ausnahmen vom Verbot extraterritorialer Hoheitsakte greifen allein aufgrund völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, völkerrechtlicher Verträge oder besonderer Gestattungen im Einzelfall.14 Völkerrechtlich gestattet sind hingegen inländische Hoheitsakte, die lediglich Sachverhalte mit Auslandsbezug zum Gegenstand haben.15
III. Zusammenfassung Nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts wird sowohl die Rechtssetzungsgewalt als auch die Rechtsdurchsetzungsgewalt für im Ausland verwirklichte Sachverhalte begrenzt, wobei die Befugnisse zur Rechtsetzung und Rechtdurchsetzung nur eingeschränkt aufeinander Bezug nehmen. Während bei der Rechtsetzung mannigfaltige Anknüpfungspunkte zur Begründung nationaler Normen mit extraterritorialer Wirkung in Betracht kommen, gilt für die Rechtsanwendung der Grundsatz der Achtung der Gebietshoheit nahezu unbedingt.
B. Materielle Universalität im Steuerrecht Dass im Inland verwirklichte Sachverhalte (Erwirtschaftung von Einkommen oder Belegenheit von Vermögen im Inland) dem völkerrechtlichen Territorialitäts12
Die Gebietshoheit ist Ausfluss der territorialen Souveränität, wobei beide nicht zusammenfallen müssen. Die Gebietshoheit steht zur Disposition des territorialen Souveräns, sodass die Gebietshoheit über ein Gebiet auch von einem anderen Staat ausgeübt werden kann; vgl. zum Begriff der formellen Territorialität Florian Becker, in: Handbuch des Staatsrechts, Band XI, § 230, Rn. 18; kritisch zum Territorialitätsprinzip und seiner Historie Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 13 ff. 13 Vgl. StIGH v. 10. Oktober 1927, PCIJ Series A No. 10, S. 18: „The first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that […] it may not exercise its power in any form in the territory of another State.“, vgl. auch Volker Epping/Christian Gloria, in: Ipsen, § 23, Rn. 69; Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 312; Bernhard Schlagheck, Sachverhaltsermittlung bei internationalen Besteuerungssachverhalten, S. 12. 14 Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, S. 323; dazu sodann im Bezug auf die Merkmale gemeinsamer Betriebsprüfungen auf S. 233. 15 Vgl. StIGH v. 10. Oktober 1927, PCIJ Series A No. 10, auszugsweise abgedruckt bei Oliver Dörr, Kompendium völkerrechtlicher Rechtsprechung, S. 55 ff.; vgl. auch Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, S. 325.
B. Materielle Universalität im Steuerrecht
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prinzip folgend regelmäßig der Besteuerung im Inland unterliegen (Quellenprinzip oder Ursprungsprinzip16),17 scheint insb. aus äquivalenztheoretischen Gesichtspunkten eingängig.18 Ein Blick in die Steuerrechtsordnungen der Welt zeigt aber, dass sich der Besteuerungsanspruch des materiellen Steuerrechts häufig nicht auf das Inland beschränkt und über die nationalen Grenzen hinausgreift.19 Auch im Ausland verwirklichte Lebenssachverhalte lösen regelmäßig Steuertatbestände im Inland – insb. im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Erbschaftsteuerrecht – aus. Völkerrechtlich gilt jedoch für jeden Staat das Verbot, die Steuerpflicht ohne Genuine Link zum zu regelnden Sachverhalt auszudehnen.20 Als sinnvolle Anknüpfungspunkte zur Besteuerung von Sachverhalten mit Auslandsbezug kommen nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts Ausformungen des Territorialitäts-, des Personalitäts-, des Schutz- oder des Wirkungsprinzips in Betracht. Unter dieser Maßgabe und unter Berücksichtigung der Vagheit des Begriffs des Genuine Link, sind daher unzählige tatsächliche Anknüpfungspunkte zur Besteuerung denkbar.21 Trotz vieler Unterschiede im Detail ist in der überwiegenden Zahl der Steuerjurisdiktionen eine Grundstruktur zu erkennen, die der globalen Konzeption des steuerlichen Welteinkommensprinzips (materielle Universalität, Universalitätsprinzip, Totalitätsprinzip oder Globalprinzip)22 folgt.23 Dabei wird an das Merkmal 16
Dazu gehören als weitere Subprinzipien das Belegenheitsprinzip, das Ta¨ tigkeitsprinzip, das Wirkungsprinzip und das Betriebssta¨ ttenprinzip. 17 Otto Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 6; vgl. auch Thomas Koblenzer, in: BB 1996, 933 (934); Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 2.5. 18 Zu den äquivalenztheoretischen Gesichtspunkten sei verwiesen auf Matthias Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 196 ff. 19 Nur wenige Staaten beschränken ihre Besteuerung nach dem strengen Territorialitätsprinzip auf die unmittelbar in ihrem Staatsgebiet erwirtschafteten Einkünfte. Zu den Gründen und Schwächen dieses Ansatzes ausführlich Matthias Valta, Das internationale Steuerrecht zwuschen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 200 ff. 20 BVerfG v. 22. März 1983, 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 14. Mai 1968, 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288 (309 f.); BFH v. 26. April 1963, III 237/58 U, BFHE 77, 258, BStBl. III 1963, 413; BFH v. 18. Dezember 1963, I 230/61 S, BFHE 79, 57, BStBl. III 1964, 253; Georg Crezelius, in: DB 1984, 530 (533); Volker Epping/Christian Gloria, in: Ipsen, § 23, Rn. 95 f.; Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 144; ders., in: DStR 1968, 427 ff. 21 Die Diskussion um eine hinreichend sinnvolle Verknüpfung des der Besteuerung unterworfenen Sachverhalts mit dem die entsprechende Belastungsnorm erlassenden Staat kann als steuerrechtswissenschaftlicher „Dauerbrenner“ bezeichnet werden und gewinnt in Anbetracht der mit der Digitalisierung einhergehenden Enträumlichung des Wirtschaftslebens in den letzten Jahren wieder an Bedeutung, was sich bspw. an den Diskussionen über die Einführung einer Digitalsteuer zeigt. Jedenfalls kann aber die Ansicht, dass dem Gesetzgeber schrankenlos die Freiheit zukomme, Sachverhalte mit Auslandsberührung der eigenen Besteuerung zu unterwerfen, inzwischen als überholt gelten; zuletzt in diesem Sinne wohl Giarncarlo Croxatto, in: StuW 1964, 879. 22 Die Begriffe materielle Universalität und Universalitätsprinzip können missverständlich sein, weil damit gerade nicht die universelle Erlaubnis zur unbeschränkten Steuererhebung
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
des Wohnsitzes, der Ansässigkeit oder der Nationalität des Steuersubjekts (Wohnsitz-, Ansässigkeits- und Nationalitätsprinzip als Ausdruck des völkerrechtlichen Personalitäts- und Territorialitätsprinzips24) angeknüpft und eine unbeschränkte Steuerpflicht ausgelöst, bei der der Steuerinländer mit seinem gesamten Welteinkommen der inländischen Steuerpflicht unterliegt. Letztlich sind die Anforderungen an die sinnvolle Anknüpfung für die Heranziehung zur Besteuerung (Genuine Link) wohl derart konturlos, dass jeder Staat fast völlig frei ist, (Steuer-)Ausländer innerhalb des eigenen Territoriums ebenso zu besteuern wie ausländische Einkünfte bzw. Vermögenswerte von Staatsangehörigen und (Steuer-)Inländern.25 Die Bundesrepublik Deutschland folgt dem internationalen Standard26 und besteuert nach dem Prinzip der materiellen Universalität im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 EStG bzw. § 1 Abs. 1 KStG das Welteinkommen des Steuerpflichtigen und erfasst damit auch extraterritoriale Sachverhalte,27 während im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 KStG nur inländische Einkünfte erfasst werden. Insb. das Zusammentreffen von beschränkter Steuerpflicht in einem Staat und unbeschränkter Steuerpflicht in einem anderen Staat löst potentiell Doppelbesteuerungen aus.28 Die Doppelbesteuerung ergibt sich quasi automatisch aus der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Anknüpfung mehrerer Steuerrechtsordnungen an denselben Steuersachverhalt und ist daher nicht per se völkerrechtswidrig.29 Diese systemimmanente Doppelbesteuerung wird durch die überwiegende Zahl der Staaten bereits durch nationales Recht im Rahmen der Wohnsitzbesteuerung vermieden, indem entweder die ausländische Steuer auf die eigene auf Auslandseinkünfte erhobene Steuer angerechnet wird (Anrechnungsmethode) oder die ausländischen Einkünfte steuerfrei gestellt werden (Freistellungsmethode).30 Daneben existiert ein ohne sinnvollen Anknüpfungspunkt gemeint ist und vor allem kein Bezug zum völkerrechtlichen Universalitätsprinzip besteht. 23 Otto Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 6; Thomas Koblenzer, in: BB 1996, 933 (934); Claus Staringer, in: DStJG, Band 31, S. 135 (136). 24 Ein Sachverhalt kann daher legitimerweise von zwei Staaten der Besteuerung unterworfen werden. Diese drohende Doppelbesteuerung wird regelmäßig mit Hilfe von Doppelbesteuerungsabkommen aufgelöst. 25 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 2.5; wenngleich natürlich äußere Grenzen bestehen, wie Klaus Vogel, in: DStR 1968, 427 (430) unter Zuhilfenahme eines Beispiels anschaulich darstellt. 26 Vgl. zum internationalen Standard Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 1.31. 27 Ausführlich zur Zulässigkeit des Welteinkommensprinzips im deutschen internationalen Einkommensteuerrecht Johannes Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, S. 22 ff, S. 67 ff. 28 Je weiter ein Staat seine Anknüpfungspunkte für die Besteuerung internationaler Sachverhalte wählt, desto größer wird die Gefahr, dass es zu Überschneidungen mit einem anderen Staat kommt; Volker Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 29. 29 Volker Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 82. 30 Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 1.32.
B. Materielle Universalität im Steuerrecht
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dichtes Netz von über 3000 Doppelbesteuerungsabkommen, das eine Auflösung der Doppelbesteuerung bzw. wirtschaftlichen Doppelbelastung31 durch Festlegung eines Vorrangs der konkurrierenden Besteuerungsansprüche der beteiligten Staaten bezweckt. 32 Trotz dieser umfangreichen gesetzlichen und völkervertraglichen Regelungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zeigt sich eine Vielzahl wirtschaftlicher Vorgänge – gerade bei international verbundenen Konzernstrukturen – für sie anfällig. Die Doppelbesteuerung kann durch unterschiedliche Auslegung der maßgeblichen abkommensrechtlichen Norm (Auslegungskonflikte) oder Definition (Definitionskonflikte), durch unterschiedliche Subsumtion (Subsumtionskonflikte) und durch abkommensrechtliche Verweisung oder Bezugnahme auf divergierendes innerstaatliches materielles Recht der Vertragsstaaten (Qualifikationskonflikte) ausgelöst werden.33 Bei auf unterschiedlicher Subsumtion basierender Doppelbesteuerung lässt sich weiter differenzieren zwischen Konflikten, die ihre Ursache in unterschiedlichen Vorstellungen vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts als tatsächlich Geschehenes (Sachverhaltsfeststellung als Tatsachenfrage) und solchen, die ihre Ursache in einer unterschiedlichen wertenden Zuordnung (Sachverhaltsbewertung als Rechtsfrage) haben.34 Divergierende Sachverhaltsfeststellungen und -bewertungen durch die Finanzbehörden können also zu materiell-rechtlich unterschiedlichen Ergebnissen und damit zu (abkommenswidriger) Doppelbesteuerung führen. Die Verhinderung bzw. Auflösung derartiger Doppelbesteuerung steht und fällt mit der Frage, ob eine einheitliche Feststellung, Bewertung und darauf fußende Subsumtion des fraglichen Sachverhalts unter die konfliktlösende Norm erreicht werden kann.35 Besonderes Augenmerk verdienen insofern Fragen hinsichtlich der Begründung einer Betriebsstätte und der Ansässigkeit eines Steuersubjekts, in aller
31 Weil der Begriff der Doppelbesteuerung nach hergebrachtem Verständnis die doppelte Erfassung desselben Steuerobjekts und -subjekts erfordert, bei internationalen Konzernen aber häufig zwei unterschiedliche Steuerpflichtige auftreten, wurde der Anwendungsbereich der Doppelbesteuerungsabkommen inbesondere durch die Ausbildung der Normen zur internationalen Gewinnabgrenzung (Art. 9 OECD-MA) und zum internationalen Schachtelprivileg (Art. 10 OECD-MA) auch auf Fälle der wirtschaftlichen Doppelbelastung erweitert. 32 Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 1.33 ff. 33 Zur (nicht ganz einheitlichen) Terminologie sei verwiesen auf Helmut Debatin, in: DB 1985, Beilage 23, 1 (7); ders., in: DStR-Beihefter 1992, 1 (8); Franz Hruschka, in: DStR 2010, 1357 (1362); Thomas Rohler, in: GmbH-StB 2010, 294 (298); Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.80; Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA, Rn. 48; kritisch Volker Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 683 ff. 34 Vgl. zu diesen beiden Komponeten der Subsumtion bei der Rechtsfindung im Steuerrecht bereits auf S. 76 ff. 35 Um eine deckungsgleiche Einschätzung desselben Sachverhalts zu erreichen, ist dementsprechend zweierlei erforderlich: Zunächst müssen die Steuerverwaltungen sich ein umfassendes, am besten vollständiges Bild des fraglichen Sachverhalts machen und darüber hinaus müssen sie aus diesem Gesamtbild die gleichen Schlüsse im Sinne einer übereinstimmenden rechtlichen Qualifikation ziehen; vgl. Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (592).
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
erster Linie aber Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen und die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten.36
C. Formelle Territorialität im Steuerrecht Durch das materielle Steuerrecht begründete Besteuerungsansprüche müssen durch Möglichkeiten ihrer Durchsetzung gesichert werden.37 Ansonsten bliebe das völkerrechtlich legitime Besteuerungsrecht der Staaten ein stumpfes Schwert. Wie bereits dargestellt, sind extraterritoriale Hoheitsakte nach Völkergewohnheitsrecht jedoch unzulässig.38 Für das Besteuerungsverfahren bedeutet das, dass deutsche Hoheitsakte zur Ermittlung, Festsetzung und Durchsetzung des Steueranspruchs auf fremden Territorium – vorbehaltlich der zuvor genannten Ausnahmen – völkerrechtlich verboten sind.39 Im Ausland entfallen damit Möglichkeiten zu Außen- oder Steuerfahndungsprüfungen, gezielten Einzelmaßnahmen wie Auskunfts- oder Vorlageersuchen aber auch zu tatsächlichem Handeln, wie der Einnahme des Augenscheins, und zu sonstigen hoheitliche Maßnahmen, wie der (förmlichen) Zustellung von Verwaltungsakten.40 Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Ausübung nicht-hoheitlicher Tätigkeiten auf fremdem Staatsgebiet ist hingegen weniger eindeutig zu beurteilen, weil die Ausübung nicht-hoheitlicher Tätigkeit auf dem Gebiet eines fremden Staates grds. keinen besonderen völkerrechtlichen Beschränkungen unterliegt.41 So ließe sich argumentieren, dass der ausländische Staat im Rahmen seiner Souveränität eine Rechtsordnung für private Tätigkeiten geschaffen habe, die auch für den nicht-hoheitlich agierenden fremden Staat maßgeblich sei. Soweit der ermittelnde Staat also unter Beachtung der Privatrechtsordnung des ausländischen Staates tätig werde, respektiere dieser die innere Ordnung und die politische Unabhängigkeit des be36 Vgl. Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); vgl. Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (82 f.); vgl. Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (591); vgl. Holger Peters/ Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (2 ff.); vgl. Pia Vollert/Carolin Eikel/Caren Sureth, in: StuW 2013, 367 (367). 37 Ohne Möglichkeiten zur Durchsetzung des materiellen Rechts wird es zum bloßen Paper Law, vgl. dazu bereits S. 82 ff. 38 Vgl. S. 87 f. 39 Claus Staringer, in: DStJG, Band 31, S. 135 (135); Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (785); Rudolf Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, S. 38. 40 Verena Glaser, Die datenschutzrechtlichen Grenzen bei der internationalen Informationshilfe durch deutsche Steuerbehörden innerhalb der Europäischen Union, S. 11; Thomas Menck, in: DStZ 1971, 57 (57); Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.1; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 3. 41 Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (784) unterscheidet hier zwischen dem jure imperii und dem jure gestionis agierenden Staat.
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treffenden Staates, sodass die nichthoheitliche Tätigkeit einer Behörde auf fremden Staatsgebiet keinen völkerrechtlichen Grenzen unterliege.42 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Adressaten des Privatrechts Private und nicht Hoheitsträger fremder Staaten sind, die im privaten Rechtskleid die Grenzen der formellen Territorialität zu umgehen versuchen. In diesen Fällen entspricht der Zweck der privatrechtlich eingekleideten Ermittlung dem einer hoheitlichen Ermittlung,43 weil sie der Vorbereitung des Erlasses eines Hoheitsaktes (im Inland) dienen. Die völkerrechtliche Zulässigkeit privater Handlungen auf fremdem Territorium endet dort, wo die konkrete Maßnahme der Vorbereitung eines Hoheitsaktes dient.44 Völkerrechtlich verboten ist also die Informationsbeschaffung durch Beamte auf einem fremden Staatsgebiet, die entweder als hoheitliche Maßnahme erfolgt oder hoheitlichen Zwecken unmittelbar dient.45 Das gilt auch für Ermittlungen durch dazu beauftragte Privatpersonen,46 Ermittlungen im privatrechtlichen Gewand47 sowie für andere zwangsfreie Ermittlungen, bspw. bei Zustimmung des Betroffenen.48 Als rein innerstaatliche Maßnahmen zu akzeptieren sind hingegen nicht-hoheitliche Tätigkeiten, die vom inländischen Territorium aus unternommen werden. Das kann bspw. die Übersendung von nicht zustellungsbedürftigen Mitteilungen auf normalem postalischen Wege (in Betracht kommen hier Erklärungsvordrucke, Auskunftsvorlagen oder ähnliches) oder die Einholung von Auskünften bei privaten Auskunfteien, der Bezug von Branchenbüchern oder ähnliches sein. Diese Maßnahmen sind nicht mit einer Verletzung der Gebietshoheit des fremden Staates verknüpft,49 sodass ihre Nutzung durch die Finanzbehörden keinen völkerrechtlichen Schranken unterliegt.50 42
So im Ergebnis wohl Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 211; Wilhelm Karl Geck, in: Wörterbuch des Völkerrechts, S. 795 (795); Hans Schlochauer, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, S. 68; Thomas Menck, in: DStZ 1971, 57 (57). 43 Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492). 44 Vgl. Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, S. 158; Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492 f.). 45 So übereinstimmend Eberhard Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, S. 57 ff., 61; Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492 f.); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 3. 46 Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (785); Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492). Wie hingegen die Situation zu beurteilen ist, wenn sich eine Privatperson ohne staatliche Veranlassung Daten beschafft hat und diese danach Behörden anbietet, wird in der Rechtsprechung und Literatur seit langem diskutiert und scheint noch keiner endgültigen Lösung zugeführt zu sein; zu diesem Themenfeld sodann auf S. 196. 47 Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 227; vgl. auch Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (785); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 117 AO, Rn. 3. 48 Das Territorialitätsprinzip steht nicht zu Disposition des Einzelnen, Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 3; vgl. auch Rainer Spatscheck/Jörg Alvermann, in: IStR 2001, 33 (33); a.A. hingegen wohl Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (785). 49 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 3. 50 Thomas Menck, in: DStZ 1971, 57 (57).
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Soweit hoheitliche oder unmittelbar hoheitlichen Zwecken dienende Handlungen auf fremdem Territorium nicht ausnahmsweise aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages erlaubt oder vom Völkergewohnheitsrecht gedeckt sind, bleiben die Finanzbehörden damit auf rein innerstaatliche Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung verwiesen.51
I. Unbeschränkte Geltung der finanzbehördlichen Sachverhaltsaufklärungspflicht bei internationalen Sachverhalten Fraglich erscheint allerdings, inwiefern das Diktum der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung bei Sachverhalten, die sich auf Vorgänge außerhalb der Bundesrepublik Deutschland beziehen, in Anbetracht der reduzierten Ermittlungsmöglichkeiten überhaupt aufrechterhalten werden kann. Sind die Finanzbehörden umfassend dazu verpflichtet, Auslandssachverhalte zu ermitteln, obwohl sie aufgrund völkerrechtlicher Limitation dazu womöglich gar nicht in der Lage sind? Unabhängig davon, ob ein zu besteuernder Sachverhalt einen Auslandsbezug aufweist oder nicht, sind die Finanzbehörden dem verfassungsrechtlich begründeten Untersuchungsgrundsatz des § 88 AO verpflichtet.52 An diesem Auftrag vermögen die beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der inländischen Steuerbehörden bei Auslandssachverhalten nichts zu ändern. Sie bleiben auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verpflichtet, alle der Sachverhaltsaufklärung dienlichen Maßnahmen zu ergreifen.53 Die Finanzbehörden haben im Rahmen ihrer Befugnisse eine möglichst weitreichende Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten, um ihrer Ermittlungspflicht nachzukommen. Kann die Finanzbehörde den Sachverhalt dennoch nicht feststellen, ist sie auf die Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO verwiesen.54 Letztlich lässt sich also festhalten, dass der verfassungsrechtliche Auftrag zur Aufklärung steuerlich relevanter Sachverhalte auch in Anbetracht reduzierter Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden seine volle Gültigkeit behält.55 51 Zu den Besonderheiten bei der rein innerstaatlichen Sachverhaltsermittlung grenzüberschreitender Sachverhalte sodann S. 111 ff. 52 Ekkehart Reimer, in: FR 2007, 217 (220); so auch Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 32. 53 Karl-Heinz Baranowski, in: DStZ 1975, 296 (298); Markus Heintzen, in: DStZ 2015, 265 (269). 54 Vgl. Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 35. 55 Karl-Heinz Baranowski, in: DStZ 1975, 296 (298); Thomas Menck, in: DStZ 1971, 57 (57); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 3; vgl. auch Wolf Wassermeyer, in: FR 2015, 149 (151).
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II. Folgen eines Verstoßes gegen die formelle Territorialität Ganz unabhängig von den Möglichkeiten zur Ermittlung im Ausland, stellt sich die Frage, ob Maßnahmen, die unter Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip – also insb. ohne Erlaubnis des betroffenen Staates – ergriffen werden, rechtswidrig sind und ob diese Rechtswidrigkeit auch zu einem Verwertungsverbot der erlangten Information führt. Das Grundgesetz ordnet die verfassungsunmittelbaren Transformation der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in innerstaatliches Recht an, sodass die deutsche Staatsgewalt grundgesetzlich an diese Regeln gebunden ist.56 Verstoßen also die Finanzbehörden mit ihren Ermittlungen gegen das völkerrechtliche Verbot hoheitlicher oder unmittelbar hoheitlichen Zwecken dienender Handlungen auf fremden Staatsgebiet, handeln sie rechtswidrig.57 Eo ipso ist damit allerdings noch nichts über die Frage der Verwertbarkeit der durch die rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen erlangten Erkenntnisse gesagt. Es erscheint sinnvoll, hierfür die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit ihrer Differenzierung zwischen einfachen Verwertungsverboten und qualifizierten materiellen Verwertungsverboten zu innerstaatlichen Fällen rechtswidriger Informationsgewinnung in den Blick zu nehmen.58 Trotz der herausragenden Bedeutung der Integration der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts im normativen Gefüge des Grundgesetzes, kann man eine Missachtung dieser Regeln zumindest als Verstoß gegen Verfahrensvorschriften betrachten, sodass daraus ein einfaches Verwertungsverbot folgen kann, wenn ausnahmsweise keine hypothetische Ersatzbeschaffung möglich ist.59 Anders sieht es jedoch in Bezug auf ein qualifiziertes materielles Beweisverwertungsverbot aus: Hier fragt sich, wo in dem völkerrechtswidrigen Akt ein Anknüpfungspunkt für eine Verletzung der Rechte des Beteiligten liegen soll. Dazu lässt sich überlegen, ob sich der Geltungsbereich verfahrensrechtlicher Normen auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt und damit Rechtsgrundlagen für staatliche Eingriffe in die Rechte des von der Ermittlungsmaßnahme Betroffenen fehlten, sodass ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot greifen könnte. Eine allgemeine Regel, der zufolge die Geltung deutscher Rechtsvorschriften territorial auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt wäre, gibt es aber gerade
56 Christian Hillgruber, in: Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 32, Rn. 113; deutlich zu unterscheiden hiervon ist die Frage, ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen an völkerrechtliche Verträge gebunden ist, dazu sei insb. mit Blick auf die jüngste Rechtsprechung des BVerfG zum Treaty Override statt vieler verwiesen auf Mehrdad Payandeh, in: NJW 2016, 1279 m.w.N. 57 Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492). 58 Vgl. zu dieser Rechtsprechung S. 70 ff. 59 Vgl. dazu bereits S. 72.
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nicht.60 Ob eine territoriale Begrenzung auf das deutsche Staatsgebiet vorliegt, ist vielmehr eine Frage der Auslegung.61 Vernünftige Gründe, warum die Finanzbehörden bei Ermittlungen im Ausland nicht an das deutsche steuerliche Verfahrensrecht gebunden sein sollten, also die Geltung der Verfahrensvorschriften auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen wäre, sind allerdings nicht ersichtlich. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass für mögliche, mit der Ermittlungsmaßnahme verbundene Eingriffe mit dem deutschen Verfahrensrecht auch eine Rechtsgrundlage außerhalb des eigenen Staatsterritoriums besteht. Ein Verstoß gegen das Prinzip der formellen Territorialität selbst bedingt somit weder ein einfaches noch ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot. Dieses Ergebnis wird gestützt von der Tatsache, dass in der Datenverwendung trotz möglicher Perpetuierung kein erneuter Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu erkennen ist. Auch die Schutzrichtung des Territorialitätsprinzips und der Zweck des Art. 25 GG decken diesen Befund: Ein inländischer Beteiligter hat kein subjektivöffentliches Recht auf ein völkerrechtskonformes Verhalten deutscher Behörden.62 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach aus einem Völkerrechtsverstoß nicht inzident ein Beweisverwertungsverbot folgt,63 ist daher zuzustimmen.64 Damit ein Verwertungsverbot greift, muss eine hypothetische Ersatzbeschaffung ausgeschlossen sein oder es treten über den Verstoß gegen das formelle Territorialitätsprinzip hinaus weitere Merkmale hinzu.65
60 Walter Rudolf, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 11 (1973), S. 7 (13 ff.); Klaus Vogel, Der ra¨ umliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 148 ff.; Christian Walter, in: Handbuch des Staatsrechts, § 237, Rn. 47. 61 Stefan Talmon, in: NZWehrR 1997, 221 (227 f.); Christian Walter, in: Handbuch des Staatsrechts, § 237, Rn. 47. 62 Die Regeln über die Achtung fremder Gebietshoheit entziehen sich als Regeln, die Staaten gerade als Inhaber von Hoheitsgewalt verpflichten, einer dem Anwendungsbereich des Art. 25 S. 2 Halbs. 2 GG und damit einer subjektiv-rechtlichen Umformung zum individuellen Recht des Betroffenen; vgl. Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 25 GG, Rn. 85 ff.; Matthias Valta, in: Tax Secrecy and Tax Transparancy, S. 443 (476 f.); vgl. im Bezug auf abkommenswidriges Handeln deutscher Behörden auch Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 140 m.w.N. 63 Vgl. BVerfG v. 9. November 2010, 2 BvR 2101/09, NJW 2011, 2417; mit Anmerkungen Henning Wenzel, in: StBW 2010, 1124. 64 Zustimmend auch mit Blick auf die Rspr. des IGH Christoph Coen, in: NStZ 2011, 433 (436); kritisch hingegen Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2494); Klaus Tipke, in: BB 1998, 241 (245). 65 In Betracht kommen hier dieselben Maßstäbe wie bei innerstaatlichen Ermittlungsmaßnahmen. Darüber hinaus kann sich ein Verwertungsverbot aber auch daraus ergeben, dass die Ermittlungsmaßnahmen gegen abkommensrechtliche Vorschriften verstoßen – jedenfalls soweit man diese als drittschützend erachtet; vgl. etwa BGH v. 8. April 1987, 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 bzgl. der Nichtverwertbarkeit einer auf dem „kurzen Dienstweg“ zur Verfügung gestellten ausländischen Vernehmungsniederschrift, wenn die zuständigen ausländischen Behörden später der Verwertung ausdrücklich widersprechen und auch keine Rechtshilfe leisten müssten.
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Ermittlungsmaßnahmen, die gegen das formelle Territorialitätsprinzip verstoßen, sind ob des Verstoßes gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts materiell rechtswidrig. Die sich aus diesen Maßnahmen ergebenden Erkenntnisse sind für das Besteuerungsverfahren indes nicht per se unverwertbar.66
III. Formelle Territorialität als Stolperstein der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung Bei Sachverhalten mit Auslandbezug scheitert die Sachaufklärung häufig am Prinzip der formellen Territorialität.67 Sie erweist sich damit als Impediment der verfassungsrechtlich gebotenen Verwirklichung gesetz- und gleichmäßiger Besteuerung von Sachverhalten mit Auslandsbezug, die vom materiellen Steuerrecht erfasst sind. Wenn aber der gesetz- und gleichmäßige Steuervollzug Voraussetzung der Verfassungskonformität des materiellen Steuerrechts ist und die Vollziehbarkeit an der formellen Territorialität scheitert, drängt sich die Frage auf, ob damit nicht jegliche extraterritoriale Besteuerung im Sinne der materiellen Universalität im Kern verfassungsrechtlich scheitern muss, weil ein normatives, strukturelles Vollzugsdefizit vorliegt. 1. Voraussetzungen eines Vollzugsdefizits bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Dem wegweisenden „Zinsurteil“68 des Bundesverfassungsgerichtes lässt sich zum Steuervollzug bei Auslandssachverhalten nur wenig entnehmen. Auch im „Spekulationsurteil“69 geht das Bundesverfassungsgericht nur am Rande auf Sachverhalte mit Auslandsbezug ein. Bei Einkünften aus Kapitalvermögen hätten die Finanzverwaltung insb. im Rahmen von Steuerfahndungsmaßnahmen nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen, um die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen im Ausland sicher zu stellen. Dass es sich insoweit um besondere Maßnahmen der Verifikation von Einkünften handelt, wiege dabei weniger schwer, weil die Finanzverwaltung – wie auch die Vorschrift des § 90 Abs. 2 AO zeige – bei Auslandssachverhalten generell auf eine erhöhte Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen sei und wegen der wenigen zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Ermittlungsinstrumente besondere Mittel zur Verifikation einsetzen müsse. Mit dieser Rechtsprechung scheint das Bundesverfassungsgericht also dazu zu tendieren, 66 Roman Seer, in: Tipke/Kurse, § 88 AO, Rn. 31 hingegen will anscheinend jedem Verstoß gegen die territoriale Integrität eines anderen Staates ein Beweisverwertungsverbot folgen lassen. 67 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld zwischen Verfassungs- und Europarecht, S. 288; Roman Seer, in: DStJG, Band 31, S. 7 (8). 68 BVerfG, v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239. 69 BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94.
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das Ermittlungsdefizit, das sich unmittelbar auf die Vollziehbarkeit des materiellen Steuerrechts auswirkt, nicht zurechnen zu wollen.70 Der Bundesfinanzhof geht in seiner Rechtsprechung deutlicher auf die Frage des Vorliegens eines strukturellen Vollzugsdefizits bei Auslandssachverhalten ein. Hinsichtlich im Ausland bezogener, im Inland steuerbarer Kapitalerträge hat er die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Nichtüberprüfbarkeit des Erklärungsverhaltens der Steuerpflichtigen wegen des Territorialitätsprinzips verneint.71 Die unbefriedigende Situation unzureichender Ermittlungsmöglichkeiten vermöge der deutsche Gesetzgeber nicht zu verändern.72 Der Gesetzgeber sei aus berechtigten gesamtwirtschaftlichen Gründen auch nicht verpflichtet, den Finanzbehörden den Zugriff auf Bankdaten über die Kapitalverlagerung ins Ausland zu verschaffen, um so die Schätzung von im Ausland bezogenen Kapitalerträgen zu ermöglichen.73 Deswegen könne ihm der Mangel an Ermittlungsbefugnissen nicht als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung angelastet werden, zumal sich die Bundesregierung seit Einführung der Zinsabschlagsteuer vor allem auf europäischer Ebene intensiv um eine Verbesserung des zwischenstaatlichen Auskunftswesens sowie um eine Harmonisierung der internationalen Zinsbesteuerung bemühe und sie diese Bestrebungen fortzusetzen gedenke.74 Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesfinanzhofs ist im Ergebnis bei steuerlichen Sachverhalten mit Auslandsbezug grds. kein strukturelles Vollzugsdefizit zu erkennen. Nichtsdestoweniger ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zur möglichst weitreichenden Vollzugssicherung auch bei Auslandssachverhalten verpflichtet. Wenngleich das Bundesverfassungsgericht bei seinen Ausführungen zu den „nicht unerheblichen Anstrengungen“75 zur Sicherung der Besteuerung auf die Tätigkeit der Finanzbehörden abstellt, lässt sich darin doch der Gedanke erkennen, dass es neben der formellen Territorialität auch darauf ankommt, welche Maßnahmen der Staat ergreift, um prinzipielle Beschränkungen – wenn schon nicht zu überwinden – so zumindest weitestgehend auszugleichen. Das gilt natürlich nicht nur für das Verhalten der Exekutive, sondern ebenso für die Legislative. Denn nur der Gesetzgeber kann einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen schaffen. Im Umkehrschluss ließe sich aus diesen Überlegungen ableiten, dass ein auf der formellen Territorialität gründendes Vollzugsdefizit dem Gesetzgeber angelastet werden kann, wenn dieser nicht zu erkennen gibt, er70 So Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld zwischen Verfassungs- und Europarecht, S. 289 f. 71 BFH v. 18. Februar 1997, VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl. II 1997, 499; BFH v. 7. September 2005, VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl. II 2006, 61. 72 BFH v. 15. Dezember 1998, VIII R 6/98, BFHE 187, 302, BStBl. II 1999, 138; BFH v. 7. September 2005, VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl. II 2006, 61. 73 BFH v. 15. Dezember 1998, VIII R 6/98, BFHE 187, 302, BStBl. II 1999, 138; BFH v. 7. September 2005, VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl. II 2006, 61. 74 BFH v. 18. Februar 1997, VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl. II 1997, 499. 75 BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (134).
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hebliche Anstrengungen zu unternehmen, die Besteuerung von Sachverhalten mit Auslandsbezug durch geeignete verfahrensrechtliche Maßnahmen zu sichern. Das entspricht auch den Ausführungen des Bundesfinanzhofs. Dieser hat bei Kapitalerträgen eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, den Finanzbehörden Zugriff auf Bankdaten über Kapitalverlagerungen ins Ausland zu verschaffen, nur aus anderen – gesamtwirtschaftlichen – Gründen verneint. Den Gesetzgeber trifft also auch bei Auslandssachverhalten ein verfassungsrechtlicher Vollzugssicherungsauftrag.76 Insb. hat er das Zustandekommen und die Umsetzung bi- und multilateraler Vereinbarungen zu forcieren, um die Defizite in der grenzüberschreitenden Sachverhaltsermittlung zum Zwecke der gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung abzubauen.77 Beispielhaft für die Verpflichtung zur möglichst weitreichenden Vollzugssicherung folgende Überlegung: Die Europäische Union erlässt eine Richtlinie, die weitreichende Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Sachverhaltsermittlung vorsieht, die Umsetzung der entsprechenden Vorschriften aber ins Belieben der Mitgliedstaaten stellt.78 Sieht der Gesetzgeber in einem solchen Fall von einer Umsetzung ab, fiele es schwer, ihn von der Verantwortung für das Vorliegen des Vollzugsdefizits freizusprechen. Der Grundsatz, dass dem Gesetzgeber Ermittlungsdefizite aufgrund der formellen Territorialität nicht zuzurechnen sind, bedarf insofern also einer Einschränkung: Wo der Gesetzgeber Möglichkeiten zur Überwindung des durch die formelle Territorialität bedingten Vollzugsdefizits ungenutzt lässt, kann ihm das Defizit zugerechnet werden. Daraus kann sogar die Verfassungswidrigkeit der an den Auslandssachverhalt anknüpfenden materiellen Steuernorm folgen.79 Dem Gesetzgeber obliegt verfassungsrechtlich deshalb die Vollzugsicherung auch bei Auslandssachverhalten. 2. Materiell-rechtliche Vermeidung von Vollzugsdefiziten Möglicherweise kann der Gesetzgeber diesem Auftrag nicht nur durch den Abbau der durch die formelle Territorialität begründeten Vollzugshemmnisse nachkommen, sondern auch durch eine differenzierende Ausgestaltung des materiellen Steuer76 In diese Richtung ebenfalls Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 89: „Der Gesetzgeber muss auch die materiellen Tatbestände des internationalen Steuerrechts in ein verfahrensrechtliches Gesamtkonzept integrieren, welches […] eine Belastungsgleichheit generell ermöglicht.“ 77 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 90; insofern eher zurückhaltend hingegen Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld zwischen Verfassungs- und Europarecht, S. 290, 292. 78 Dies ist bspw. bei Art. 11 Abs. 2 der aktuellen EU-Amtshilferichtlinie der Fall, in dem es heißt: „Sofern dies nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats zulässig ist, […]“. 79 Vgl. Ernst Czakert, in: Schönfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA, Rn. 2.
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
rechts. Jedenfalls ist festzustellen, dass im materiellen Steuerrecht weltweit häufig zwischen Inlands- und Auslandssachverhalten unterschieden wird – auch um Vollzugsdefiziten bei grenzüberschreitenden Steuersachverhalten vorzubeugen – bspw. durch höhere Steuersätze oder Beschränkungen von Abzugsmöglichkeiten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug im Vergleich zu reinen Inlandssachverhalten.80 Die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle wird vor dem EuGH sodann auch regelmäßig als Rechtfertigungsgrund geltend gemacht, bspw. bei der Nichtabzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf Auslandsbeteiligungen,81 der CFC-Gesetzgebung,82 der Wegzugsbesteuerung,83 der Nichtabzugsfähigkeit von Beiträgen an ausländische Pensionskassen84 oder der Verweigerung von Auslandsverlustverwertung im Konzern.85 Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH kann die Notwendigkeit wirksamer steuerlicher Kontrollen von Auslandssachverhalten jedoch nicht rechtfertigen, dass Mitgliedstaaten steuerliche Rechtsfolgen von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig machen, je nachdem, ob die Tatbestandsmerkmale im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat erfüllt sind.86 Mangelnde eigene Ermittlungsmöglichkeiten würden durch die Möglichkeiten der Kooperation im Rahmen der EUAmtshilferichtlinie87 hinreichend ausgeglichen.88 In Anwendung dieser Bestimmungen hätten die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Möglichkeit, die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats um alle Informationen zu bitten, die geeignet sind, den Sachverhalt zu ermitteln.89 Im Kern negiert der EuGH damit 80
Claus Staringer, in: DStJG, Band 31, S. 135 (147). Vgl. EuGH v. 29. März 2007, C-347/04, Rewe Zentralfinanz. 82 Vgl. EuGH v. 12. September 2006, C-196/04, Cadburry Schweppes. 83 Vgl. EuGH v. 7. September 2006, C-470/04, N. 84 Vgl. EuGH v. 28. Januar 1992, C-204/90, Bachmann; EuGH v. 3. Oktober 2002, C-136/ 00, Danner. 85 Vgl. EuGH v. 15. Mai 1997, C-250/95, Futura Participations/Singer. 86 Vgl. EuGH v. 29. März 2007, C-347/04, Rewe Zentralfinanz. 87 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/ EWG (Directive on Administrative Cooperation, abgek. DAC) geändert durch Richtlinie 2014/ 107/EU des Rates vom 9. Dezember 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 2), Richtlinie 2015/2376/EU des Rates vom 8. Dezember 2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 3), Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 4); ¨ nderung der Richtlinie 2011/ Richtlinie 2016/2258/EU des Rates vom 6. Dezember 2016 zur A 16/EU bezu¨ glich des Zugangs von Steuerbeho¨ rden zu Informationen zur Beka¨ mpfung der Geldwa¨ sche (sog. DAC 5); im Kurzüberblick bei Katharina Hafner/Marion Stiastny, in: SWI 2017, 133. 88 Vgl. EuGH v. 29. März 2007, C-347/04, Rewe Zentralfinanz. 89 Vgl. EuGH v. 29. März 2007, C-347/04, Rewe Zentralfinanz. 81
C. Formelle Territorialität im Steuerrecht
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überhaupt die Möglichkeit des Entstehens von Vollzugsdefiziten im Anwendungsbereich der EU-Amtshilferichtlinie.90 Für Sachverhalte mit Bezug zu anderen Mitgliedstaaten scheidet eine differenzierende Ausgestaltung des materiellen Steuerrechts zur Vermeidung von Vollzugsdefiziten dementsprechend grds. aus. Im Raum steht nunmehr die Frage, ob eine vorbeugende Differenzierung des materiellen Steuerrechts für Sachverhalte mit Drittstaatenbezug im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG mit dem daraus folgenden Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit91 aufgrund des Prinzips der formellen Territorialität92 zulässig ist.93 Kann also eine Ungleichbehandlung von Inlands- und Auslandssachverhalten mit einem drohenden Vollzugsdefizit gerechtfertigt werden? Im Grunde überzeugen die Überlegungen des EuGH im Hinblick auf Drittstaaten auch auf verfassungsrechtlicher Ebene: Wenn Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die denen im Inland ebenbürtig sind, droht kein Vollzugsdefizit, sodass das dahinterstehende Prinzip der formellen Territorialität auch nicht als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden kann. Wenn jedoch – was zurzeit eher die Regel sein wird – kein Ermittlungsinstrumentarium zur Verfügung steht, das eine ebenbürtige steuerliche Kontrolle ermöglicht, so kann das aufgrund der formellen Territorialität drohende Vollzugsdefizit die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Das gilt einerseits, weil das formelle Territorialitätsprinzip als Teil der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts zumindest über den einfachen Gesetzen steht94 und andererseits, weil ansonsten die Einheit der Verfassungsrechtsordnung nicht gewährleistet bliebe.95 90 Ob mit den Prämissen dieser Argumentation die tatsächlichen Verhältnisse des Auskunftsverkehrs zutreffend abgebildet werden, vermag an dieser Stelle dahinstehen, kritisch insofern Peter Fischer, in: FR 2009, 249 (250). 91 Allgemein zu den gleichheitsrechtlichen Grenzen der Besteuerung sei verwiesen auf Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 19 ff. 92 Einführend zum Verhältnis von Gleichheitssatz und den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts sei verwiesen auf Karl Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 187 ff. 93 Soweit ersichtlich, ist diese Frage bisher rechtswissenschaftlich (noch) nicht erörtert worden. Insgesamt ist „der europarechtliche Rechtfertigungsgrund der effektiven Steueraufsicht […] in der deutschen Literatur bislang am liebsten gar nicht und nur selten aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts diskutiert worden“, Peter Fischer, in: FR 2009, 249 (249). 94 Vgl. zum Rang der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts im bundesdeutschen Verfassungsgefüge Karl Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 173 ff.; Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 25, Rn. 78 m.w.N. 95 Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits Ermittlungen über die Grenze verfassungsrechtlich, weil nach völkerrechtlichen Grundsätzen, verboten würden, dieses Ermittlungsdefizit deswegen auch nicht dem Gesetzgeber zuzurechnen wäre, andererseits aber die völkerrechtlich bedingten Einschränkungen der Ermittlungsmöglichkeiten als Rechtferitgungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung von Inlands- und Auslandssachverhalten ausgeschlossen würden.
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
Weil es tatsächlich aber kaum Fälle geben dürfte, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten in Drittstaaten tatsächlich eine Sachverhaltsermittlung ermöglichen wie das für Inlandsfälle zur Verfügung stehenden Instrumentarium, kann eine unterschiedliche Behandlung von Inlands- und Drittstaatenfällen regelmäßig verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Dennoch muss in den (derzeit noch eher hypothetischen) Fällen vergleichbarer Ermittlungsmöglichkeiten gelten: Wo die aufgrund des Territorialitätsprinzips drohende Nichtvollziehbarkeit der einzige in Betracht kommende Rechtfertigungsgrund96 einer zwischen Inlands- und Auslandssachverhalten unterscheidenden Norm ist, muss die für Auslandssachverhalte abweichende Besteuerungsnorm dementsprechend einen Anwendungsvorbehalt enthalten. Allerdings wird dem Gesetzgeber hinsichtlich der Frage, ob aufgrund der völkerrechtlichen Territorialität ein Vollzugsdefizit droht, eine weitreichende Einschätzungsprärogative zuzugestehen sein. Wenn also aufgrund des Grundsatzes der formellen Territorialität keine hinreichenden Ermittlungsmöglichkeiten zur Verifikation von Auslandssachverhalten bestehen, kommt eine vorbeugende materielle Steuergesetzgebung zur Vermeidung von Vollzugsdefiziten in Betracht. Darin äußert sich eine deutliche verfassungsrechtliche Verschränkung von formeller Territorialität und materiellem Steuerrecht. Je weiter Vollzugsdefizite abgebaut werden (können), desto schwerer fällt die Rechtfertigung einer abweichenden materiell-rechtlichen Behandlung von Auslandssachverhalten. 3. Zusammenfassung Wenngleich dem Gesetzgeber aus der formellen Territorialität resultierende Vollzugsdefizite grds. nicht zugerechnet werden können, ist er zu ihrer Reduzierung verfassungsrechtlich verpflichtet, um die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu gewährleisten. Kommt er diesem Vollzugssicherungsauftrag nicht nach, kann ihm das Vollzugsdefizit ggf. zugerechnet werden. Umgekehrt ist er nicht daran gehindert, den Vollzug der Steuergesetze durch eine materiell-rechtliche Differenzierung zwischen Inlandssachverhalten und Sachverhalten mit Bezug zu Drittstaaten vorbeugend zu sichern. Nur wenn auch bei unterschiedslos geltenden Normen kein Vollzugsdefizit zu besorgen ist, kann eine derartige Differenzierung nicht gerechtfertigt werden.
Das Spannungsfeld zwischen materieller Universalität und formeller Territorialität wäre dann unlösbar. 96 Als andere Rechtfertigungsgründe kommen vor allem die Sicherung des deutschen Besteuerungssubstrats und die Missbrauchsbekämpfung in Betracht, vgl. dazu mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke Markus München/Norbert Mückl, in: DStR 2014, 1469 (1472 f.).
D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts
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D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts (Gemeinsame konsolidierte KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage) Dem Auseinanderfallen von materieller Universalität und formeller Territorialität könnte durch die Vereinheitlichung des materiellen Steuerrechts begegnet werden. Auf europäischer Ebene kann insb. auf den ersten und zweiten Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage97 verwiesen werden, mit der eine einheitliche Gewinnermittlung eingeführt werden soll, um eine umfassende Verlustverrechnung zu ermöglichen, Verrechnungspreisprobleme zu beseitigen, Doppelbesteuerung sowie doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden und die Kosten für Verwaltung und Steuerpflichtige zu senken.98 Anders als bei dem ersten Entwurf für eine GKKB setzt der neue Richtlinienentwurf die Umsetzung einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage als Zwischenschritt voraus.99
I. Vorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Der erste GKKB-Richtlinienentwurf sah für Unternehmen ein Optionsmodell vor, wonach diese entscheiden sollten, entweder nach den nationalen Steuergesetzen besteuert zu werden oder die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage anzuwenden (Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GKKB-E a.F.). Nach den neu aufgelegten Richtlinienentwürfen sollen die Regelungen der GKB bzw. GKKB für die größten Unternehmensgruppen in der EU obligatorisch sein (Art. 2 Abs. 1 GKBE, Art. 2 Abs. 1 GKKB-E n.F.). Damit sollen in erster Linie die Unternehmen erfasst werden, die große Steuerplanungskapazität besitzen. Das System der GKB bzw. GKKB bleibt nach dem 2016er Richtlinienentwürfen optional für die Unternehmen, die ihm nicht verpflichtend unterliegen (Art. 2 Abs. 3 GKB-E, Art. 2 Abs. 3 GKKBE n.F.). Fallen Unternehmen in den Anwendungsbereich des GKB-E bzw. des 97 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Ko¨ rperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (abgek. GKKB), KOM (2011) 121 endg. (GKKB-E a.F.); KOM (2016) 683 endg. (GKKB-E n.F.). Auch im deutschsprachigen Raum ist die englische Bezeichnung als Common Consolidated Corporate Tax Base (abgek. CCCTB) häufig anzutreffen. 98 Umfassend zur Zielsetzung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage Andreas Eggert, Die Gewinnermittlung nach dem Richtlinienvorschlag über eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, S. 69 ff.; Norbert Herzig, in: Festschrift für Frotscher, S. 203 (205 f.); Corinna Treisch, in: Kellersmann/ Treisch/Lampert/Heinemann, Band II, S. 146. 99 Vorschlag fu¨ r eine Richtlinie des Rates u¨ ber eine Gemeinsame Ko¨ rperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (abgek. GKB), KOM (2016) 685 endg. (GKB-E).
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
GKKB-E a.F., unterliegen sie einzig den Vorschriften der Richtlinie und nicht mehr den nationalen Regelungen der Besteuerung von Körperschaften (Art. 1 Abs. 2 GKB-E, Art. 7 GKKB-E a.F.). Die Gewinnermittlung erfolgt einheitlich nach den Artt. 9 ff. GKB-E (Artt. 9 ff. GKKB-E a.F.); nationale Unterschiede bei der Berechnung entfallen. Innerhalb eines Konzerns werden die so ermittelten Ergebnisse konsolidiert (Artt. 5 – 10 GKKB-E n.F.; Artt. 54 – 60 GKKB-E a.F.). Die auf Grundlage der Richtlinie ermittelte Steuerbemessungsgrundlage des Unternehmens wird nach einer speziellen Formel zwischen den Mitgliedstaaten aufgeteilt, in denen das Unternehmen tätig ist. Die vorgeschlagene Zerlegungsformel berücksichtigt die drei Faktoren Vermögenswerte, Lohnsumme und Umsatz.100 Nach der Zerlegung können die einzelnen Mitgliedstaaten ihren Anteil mit ihrem jeweiligen nationalen Steuersatz besteuern. Eine Angleichung ist nicht vorgesehen, die Mitgliedstaaten legen im Rahmen ihrer nationalen Souveränität weiterhin die anteilig anzuwendenden Körperschaftsteuersätze fest. Kennzeichnend für das System der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage ist, dass die Mitgliedstaaten eine Unternehmensgruppe wie ein einheitliches Unternehmen behandeln, sodass Abgrenzungsprobleme – insb. bei der Berechnung konzerninterner Verrechnungspreise – entfallen und durch eine pauschalisierende bzw. typisierende Zerlegung des Konzerngewinns ersetzt werden.101 Nach Art. 6 Abs. 1 GKKB-E n.F. (Art. 55 Abs. 1 GKKB-E a.F.) kann ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger eine solche Gruppe mit allen seinen in anderen Mitgliedstaaten belegenden Betriebsstätten, allen in einem Mitgliedstaat belegenden Betriebsstätten seiner in einem Drittland ansässigen qualifizierten Tochtergesellschaften, allen seinen qualifizierten Tochtergesellschaften, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten ansässig sind und anderen gebietsansässigen Steuerpflichtigen, welche qualifizierte Tochtergesellschaften einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft sind, bilden.
100 Einer der wesentlichen Gründe, weshalb der politische Wille zur Umsetzung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage bisher fehlt, mag vor allem in der Gestaltung der Zerlegung der konsolidierten Bemessungsgrundlage zwischen den Mitgliedstaaten zu suchen sein, vgl. Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (117); vgl. Norbert Herzig/Johannes Kuhr, in: DB 2011, 2053 (2053); Heinz Kußmaul/Christoph Niehren, in: StB 2011, 344 (349); Christoph Spengel/York Zo¨ llkau, Common Consolidated Corporate Tax Base (CC(C)TB) and the Determination of Taxable Income, S. 2; Johanna Hey, in: FR 2012, 994 (999); Holger Kahle/Sebastian Schulz, in: FR 2013, 49 (50); vgl. BT-Drs. 17/5606; BT-Drs. 17/ 5748. 101 Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (117).
D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts
105
II. Begleitendes verfahrensrechtliches Instrumentarium Weil die Umsetzung der gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage im Ausgangspunkt weiter eine rein nationale Gewinnermittlung vorsieht, sind spezifische administrative Regelungen nicht erforderlich. Dementsprechend sind im GKB-Richtlinienentwurf auch keine Verwaltungs- oder Verfahrensregeln enthalten. Findet jedoch eine europaweite Konsolidierung statt, wie es die GKKB-Richtlinienentwürfe vorsehen, bedarf es administrativer Regeln,102 die bestimmen, welche Behörde für das Besteuerungsverfahren zuständig ist und wie dieses Verfahren abläuft.103 Das ist ein wesentlicher Aspekt, damit eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für die Steuerpflichtigen kalkulierbar wird und sich die beteiligten Mitgliedstaaten darauf verlassen können, dass der ihnen gebührende Anteil des gemeinsamen Gewinns richtig ermittelt und festgesetzt werden kann.104 Um dieser zentralen Bedeutung der verfahrensrechtlichen Absicherung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Rechnung zu tragen, enthält der GKKB-E n.F. in Kapitel IX (Kapitel XVII des GKKB-E a.F.) eigene Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften. 1. Abgabe der Steuererklärung Grundlage für die Festsetzung der Steuerbemessungsgrundlage ist die Steuererklärung. Die der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage unterworfenen Unternehmen reichen ihre Steuererklärung einheitlich bei der zuständigen Behörde des Ansässigkeitsstaats ein. Im Fall einer Gruppe übernimmt dies der Hauptsteuerpflichtige, der die konsolidierte Steuererklärung für die gesamte Gruppe bei der für ihn zuständigen Hauptsteuerbehörde einreicht (Art. 109 Abs. 1 GKKB-E a.F., Art. 51 Abs. 1 GKKB-E n.F.). Der Begriff des Hauptsteuerpflichtigen ist in Art. 3 Abs. 11 GKKB-E n.F. (Art. 4 Abs. 6 GKKB-E a.F.)105 definiert, der der zuständigen Hauptsteuerbehörde in Art. 3 Abs. 27 GKKB-E n.F. 102
Corinna Treisch, in: Kellersmann/Treisch/Lampert/Heinemann, Band II, S. 156. Ernst Czakert, in: Schön/Schreiber/Spengel, S. 155 (155). 104 Vgl. Ernst Czakert, in: Schön/Schreiber/Spengel, S. 155 (155). 105 „Hauptsteuerpflichtiger“ bezeichnet a) einen gebietsansässiger Steuerpflichtigen, der mit seinen qualifizierten Tochtergesellschaften, einer oder mehreren seiner in anderen Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten oder einer oder mehr Betriebsstätten einer in einem Drittland ansässigen qualifizierten Tochtergesellschaft eine Gruppe bildet; oder b) einen von der Gruppe benannten gebietsansässigen Steuerpflichtigen, der nur aus zwei oder mehr gebietsansässigen Steuerpflichtigen besteht, die als Tochtergesellschaften einer in einem Drittland ansässigen Muttergesellschaft unmittelbar qualifiziert sind oder c) einen gebietsansässigen Steuerpflichtigen als qualifizierte Tochtergesellschaft einer in einem Drittland ansässigen Muttergesellschaft, wenn er nur mit einer oder mehreren Betriebsstätten seiner Muttergesellschaft eine Gruppe bildet oder d) eine von einem gebietsfremden Steuerpflichtigen benannte Betriebsstätte, die nur mit seinen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten eine Gruppe bildet. 103
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
(Art. 4 Abs. 22 GKKB-E a.F.)106. Die nationalen Steuerbehörden der anderen betroffenen Mitgliedstaaten sind bei der Abgabe der Steuererklärung nicht involviert.107 Damit soll das sog. One-Stop-Shop-Prinzip verwirklicht werden, bei dem für die steuerlichen Angelegenheiten der gesamten Gruppe nur ein Gruppenmitglied und nur eine mitgliedstaatliche Finanzverwaltung zuständig ist, um das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen.108 Für den Fall, dass der Hauptsteuerpflichtige keine konsolidierte Steuererklärung einreicht, sieht Art. 54 GKKB-E n.F. (Art. 112 GKKB-E a.F.) vor, dass die Hauptsteuerbehörde innerhalb von drei Monaten auf der Grundlage einer Schätzung eine Steuerveranlagung durchführt, bei der die verfügbaren Informationen berücksichtigt werden. Der GKKB-E n.F. enthält zudem Änderungsvorschriften sowie eigenständige Regelungen über finanzbehördliche und -gerichtliche Rechtsbehelfe (Art. 66 – 68 GKKB-E n.F., Art. 124 – 126 GKKB-E a.F.). 2. Steuerprüfungen Die Hauptsteuerbehörde kann gem. Art. 64 Abs. 1 Unterabs. 1 GKKB-E n.F. (Art. 122 Abs. 1 Unterabs. 1 GKKB-E a.F.) eine Steuerprüfung von Gruppenmitgliedern veranlassen und koordinieren. Sie kann auch auf Ersuchen einer zuständigen Behörde veranlasst werden. Gem. Art. 64 Abs. 2 S. 2 GKKB-E n.F. (Art. 4 Abs. 23 GKKB-E a.F.) werden mit Steuerprüfung Untersuchungen, Inspektionen oder Prüfungen jeglicher Art bezeichnet, die eine zuständige Behörde durchführt, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige der Richtlinie nachkommt. Die Hauptsteuerbehörde und die anderen betroffenen zuständigen Behörden bestimmen gemeinsam den Umfang und Inhalt der Steuerprüfung sowie die zu prüfenden Gruppenmitglieder (Art. 64 Abs. 1 Unterabs. 2 GKKB-E n.F., Art. 122 Abs. 1 Unterabs. 2 GKKB-E a.F.).109 Die Steuerprüfung wird im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorgenommen, in dem die Prüfung durchgeführt wird, und unterliegt solchen Anpassungen, die für eine ordnungsgemäße Anwendung dieser Richtlinie erforderlich sind (Art. 64 Abs. 2 S. 1 GKKB-E n.F., Art. 122 Abs. 2 GKKB-E a.F.). Für Außenprüfungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik gelten also die §§ 193 AOff. Gem. Art. 64 Abs. 3 GKKB-E n.F. (Art. 122 Abs. 3 GKKB-E a.F.) trägt die Hauptsteuerbehörde die Ergebnisse aller Steuerprüfungen zusammen. Al106 „Hauptsteuerbehörde“ bezeichnet die zusta¨ ndige Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Hauptsteuerpflichtige ansässig ist, oder im Falle der Betriebsstätte eines gebietsfremden Steuerpflichtigen, des Mitgliedstaats, in dem die Betriebsstätte belegen ist. 107 Martin Bünning/Christian Möser, in: BB 2011, 2647 (2652). 108 Daniel Fehling, in: Schaumburg/Englisch, Rn. 18.54; Krister Andersson, in: Schön/ Schreiber/Spengel, S. 94 (98). 109 Alessandro Roncarati, in: Günther/Tüchler, S. 503 (514) sieht in dem Richtlinienvorschlag daher eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Durchfürhung gemeinsamer grenzüberschreitender Betriebsprüfungen. Weshalb dieser Ansicht nicht zu folgen ist, soll sodann auf S. 258 f. erörtert werden.
D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts
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lerdings schließt das One-Stop-Shop-Prinzip nicht aus, dass Mitgliedstaaten unabhängig von der Hauptsteuerbehörde Steuerprüfungen initiieren.110 Auch eine Überprüfung der mitgeteilten Prüfungsergebnisse durch die Hauptsteuerbehörden ist im Richtlinienentwurf nicht vorgesehen.111 3. Änderung der Steuerveranlagung Gem. Art. 56 Abs. 2 Unterabs. 1 GKKB-E n.F. (Art. 114 Abs. 3 Unterabs. 1 GKKB-E a.F.) kann die Hauptsteuerbehörde spätestens drei Jahre nach dem letzten Termin für die Einreichung der konsolidierten Steuererklärung oder, wenn keine Steuererklärung vor diesem Termin eingereicht wurde, spätestens drei Jahre nach Ausstellung einer Steuerveranlagung gem. Art. 54 GKKB-E n.F. (Art. 112 GKKB-E a.F.) eine geänderte Steuerveranlagung ausstellen. Eine solche Änderung kann insb. auch durch Ergebnisse von Steuerprüfungen veranlasst sein. Vor der Ausstellung einer geänderten Steuerveranlagung konsultiert die Hauptsteuerbehörde die zuständigen Behörden des Mitgliedsstaats, in dem ein Gruppenmitglied ansässig oder niedergelassen ist und räumt diesen die Möglichkeit zur Stellungnahme ein (Art. 56 Abs. 5 Unterabs. 1 GKKB-E n.F., Art. 114 Abs. 6 Unterabs. 1 GKKB-E a.F.). Nach Art. 56 Abs. 5 Unterabs. 2 GKKB-E n.F. (Art. 114 Abs. 6 Unterabs. 2 GKKB-E a.F.) können auch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates, in dem ein Gruppenmitglied ansässig oder niedergelassen ist, die Hauptsteuerbehörde auffordern, eine geänderte Steuerveranlagung auszustellen. Ist die zuständige Behörde des Mitgliedstaates, in dem ein Gruppenmitglied ansässig oder niedergelassen ist, mit einer gem. Art. 56 Abs. 2, 4 oder 5 Unterabs. 2 GKKB-E n.F. (Art. 114 Abs. 3, 5 oder 6 Unterabs. 2 GKKB-E a.F.) getroffenen Entscheidung der Hauptsteuerbehörde über die Änderung der Steuerveranlagung nicht einverstanden, kann sie diese Entscheidung vor den Gerichten des Mitgliedstaates der Hauptsteuerbehörde innerhalb von drei Monaten anfechten (Art. 65 Abs. 1 GKKB-E n.F., Art. 123 Abs. 1 GKKB-E a.F.).
110 Commission Staff Working Document Impact Assessment Accompanying document to the Proposal for a Council Directive on a Common Consolidated Corporate Tax Base (CCCTB), SEC (2011) 315 final, S. 43, Fn. 71. 111 Zur Erforderlichkeit einer Aufsicht bei der Steuerprüfung Pedro Herrera/Antonio Montero, in: Common Consolidated Coporate Tax Base, S. 1069 (1086); kritisch zum Verhältnis der betroffenen Steuerbehörden untereinander und der Hauptsteuerbehörde Antony Ting, in: Australian Tax Forum 2010, 95 (107).
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
III. Zusammenfassung und Grenzen des Entwurfs für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage Mit der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage soll ein europaweit einheitliches Körperschaftsteuersystem geschaffen werden, bei dem zunächst eine einheitliche steuerliche Gewinnermittlung durchgeführt wird, auf deren Basis sodann eine Konsolidierung der zu einer Gruppe zusammengefassten Körperschaften erfolgt. Dieser Ansatz zur Europäisierung des Körperschaftsteuerrechts ist zu begrüßen, vor allem weil durch den Schritt der Konsolidierung der Bemessungsgrundlage wesentliche Unwägbarkeiten der Sachverhaltsermittlung vermieden werden können – insb. sei insofern auf die Thematik der Verrechnungspreise verwiesen.112 Als problematisch erweisen sich allerdings der eingeschränkte Adressatenkreis der Konsolidierungsvorschriften und der naturgemäß auf die Unionsebene eingeschränkte Wirkungsbereich. Außereuropäische Sachverhalte können mit dem Richtlinienvorschlag nur rudimentär erfasst werden, weil Gesellschaften und Betriebsstätten in Drittstaaten bei der Konsolidierung nicht berücksichtigt werden können. Der Entwurf für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vermag die aus der Divergenz von materieller Universalität und formeller Territorialität entstehenden Probleme nicht zu lösen. Die verfahrensrechtlichen Instrumente des Richtlinienentwurfs bleiben insgesamt deutlich hinter der materiell-rechtlichen Angleichung zurück.113 Die fehlende verfahrensrechtliche Einbettung der Konsolidierung der Bemessungsgrundlage kann gar zu Fehlanreizen für die mitgliedstaatlichen Steuerbehörden führen. Bereits im föderalen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland wird bei der Kontrolldichte und -intensität ein Race-To-The-Bottom beklagt, weil milde Betriebsprüfungsbedingungen als weicher Standortfaktor betrachtet werden und so Unternehmen angelockt oder zumindest im eigenen Bundesland gehalten werden sollen.114 Dieses Verhaltensmuster könnte sich bei einer entwurfskonformen Umsetzung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage auch auf europäischer Ebene etablieren. Allerdings kann ein noch viel verheerendes Ausmaß befürchtet werden, weil sich die wohlwollende (Nicht-)Prüfung eines 112
Norbert Herzig, in: Festschrift für Frotscher, S. 203 (206) m.w.N.; Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (116); zu den internationalen Aspekten Michael Lang, in: StuW 2012, 297. 113 Vorschläge für eine weitreichendere verfahrensrechtliche Integration liegen indes seit längerem auf dem Tisch. Insofern sei beispielhaft verwiesen auf Ernst Czakert, in: Schön/ Schreiber/Spengel, S. 155 und insb. mit Blick auf Betriebsprüfungen Klaus-Dieter Drüen, in: Common Consolidated Coporate Tax Base, S. 1029. 114 Alexandra Mack, in: AG 2007, 481 (481); vgl. zur Sitaution insb. im Freistaat Bayern Sarah Ehrmann, „Nur alle 250 Jahre eine Kontrolle“, in: Süddeutsche Zeitung v. 25. Juni 2012, online abrufbar unter www.sueddeutsche.de/bayern/zu-wenig-steuerfahnder-in-bayern-nuralle-jahre-eine-kontrolle-1.139209 (zuletzt abgerufen am 24. Oktober 2018).
D. Europäisierung des materiellen Steuerrechts
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Gruppenmitglieds aufgrund des europaweiten Konsolidierungsschrittes nur ex parte auf die Bemessungsgrundlage und damit auf den auf den prüfenden Staat entfallenden Steueranteil auswirkt,115 während der maßgebliche Aufteilungsfaktor durch geschickte Prüfungsgestaltung gar unberührt bleiben kann. Auch haben die übrigen Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, die Prüfungsergebnisse anderer Staaten wirksam zu überprüfen. Prüfungsbedingte Änderungen der Bemessungsgrundlage können sich so auf alle beteiligten Mitgliedstaaten auswirken, ohne dass diesen effektive Möglichkeiten zur Verfügung stünden, die zugrunde gelegten Prüfungsergebnisse zu verifizieren oder auf eine Änderung hinzuwirken. Weil ausländische Behörden so Entscheidungen treffen können, die sich auf die Besteuerung im Inland auswirken, könnte sogar eine Verschärfung der durch die formelle Territorialität verursachten Probleme angenommen werden. Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Absicherung erscheint der Ansatz des Richtlinienentwurfs daher trotz seines ambitionierten materiellen Regelungsanspruchs, seiner grds. Bedeutung und seiner erheblichen Reichweite halbherzig.116 Eine europaweite Überwindung der sich aus der formellen Territorialität ergebenden Verifikationshindernisse ließe sich nur durch eine europaweite Harmonisierung des steuerlichen Verfahrensrechts und Etablierung eines übergeordneten einheitlichen bzw. interadministrativen europäischen Kontrollsystems (Second Level Control oder Cross Control), vollständige zwischenstaatliche Integration der Verifikationsprozesse oder Schaffung einer für die gemeinsame konsolidierte KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage zuständigen europäischen Steuerverwaltung verwirklichen. Alle drei Modelle liefen letztlich auf eine teilweise, aber weitreichende Abschaffung der formellen Territorialität für das Besteuerungsverfahren innerhalb des Anwendungsbereichs der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage hinaus. In Anbetracht der Skepsis, die dem bisherigen Richtlinienentwurf von einigen Mitgliedstaaten entgegengebracht wird,117 verwundert es indes nicht, dass die Europäische Kommission einen solchen, nicht nur großen,118 sondern gar gewaltigen Wurf bisher – jedenfalls soweit ersichtlich – nicht einmal in Betracht gezogen hat.
115 Vgl. in diese Richtung auch Zusammenfassender Bericht über die Sitzung der Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (AG GKKB) vom 12. Dezember 2007 in Bru¨ ssel, CCCTB/WP/63/de, Rn. 18. 116 An dieser Stelle ist allerdings noch einmal festzuhalten, dass Ziel der Richtlinie die Harmonisierung der Körperschaftsteuer und nicht die Überwindung der durch die formelle Territorialität bedingten Ermittlungsdefizite ist. 117 Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (117); Roman Seer, in: GmbHR 2014, 505 (511). 118 Überwiegend wird der Europäischen Kommission für den Entwurf der Richtlinie Anerkennung entgegengebracht und der Richtlinienentwurf als „großer Wurf“ bezeichnet, vgl. Daniel Fehling, in: Schaumburg/Englisch, Rn. 18.77.
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Kap. 3: Materielle Universalität und formelle Territorialität
E. Zwischenergebnis Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts begrenzen die Rechtsetzungsgewalt auch außerhalb des eigenen Staatsterritoriums kaum, während die Rechtsdurchsetzungsgewalt im Wesentlichen auf das eigene Staatsgebiet beschränkt ist. Dieser Konzeption folgt das Steuerrecht mit dem Aufeinandertreffen von materieller Universalität und formeller Territorialität. Die Beschränkungen der Sachverhaltsermittlung über die Grenze führen dazu, dass Ermittlungsmaßnahmen, die dennoch auf fremden Staatsgebiet durchgeführt werden, nicht nur im Widerspruch zum Völkerrecht stehen, sondern die dabei gewonnenen Informationen zugleich regelmäßig einem Verwertungsverbot unterliegen. Dennoch entbinden die Einschränkungen durch die formelle Territorialität den Steuerstaat nicht von seinem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Verifikationsauftrag. Wo das materielle Steuerrecht an Auslandssachverhalte anknüpft, sind Legislative und Exekutive verfassungsrechtlich verpflichtet, möglichst weitreichende Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Information zu schaffen und zu nutzen. Wenn dies allerdings nicht möglich ist, darf der Gesetzgeber Vollzugsdefiziten durch materiell-rechtliche Abweichungen für Sachverhalte mit Auslandsbezug vorbeugen. Die mit dem Entwurf für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage vorangetriebene Europäisierung des materiellen Steuerrechts vermag zwar die wesentlichen Bewertungsprobleme bei grenzüberschreitenden Konzernstrukturen (Verrechnungspreise) zu überwinden; einen Ansatz zur strukturellen Überwindung von Ermittlungsbeschränkungen bei steuerlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung bietet der Richtlinienentwurf hingegen nicht.
Kapitel 4
Konventionelle Maßnahmen zur Aufklärung internationaler Steuersachverhalte und Lösung von Besteuerungskonflikten Das bei der Aufklärung von innerstaatlichen Sachverhalten zur Verfügung stehende verfahrensrechtliche Instrumentarium zur Durchsetzung des materiellen Besteuerungsanspruchs genügt bei extraterritorialen Sachverhalten nicht, weil entsprechende Ermittlungsmaßnahmen im Ausland wegen des Grundsatzes der formellen Territorialität nicht ergriffen werden dürfen. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, gewinnt sie im Zuge der fortschreitenden Globalisierung und Digitalisierung des Wirtschaftslebens immer mehr an Bedeutung. Um dem verfassungsrechtlich fundierten Verifikationsgebot Rechnung zu tragen, wurden sowohl in der Bundesrepublik als auch international bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts vielfältige verfahrensrechtliche Maßnahmen ergriffen, damit eine Sachverhaltsaufklärung auch über die Grenze möglich wird. Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich differenzieren als nationale oder internationale Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung. Nationale Maßnahmen sind allgemeine Maßnahmen zur Erhöhung der Steuerehrlichkeit (Tax Compliance und Enhanced Relationship), die Erweiterung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 2 AO, die Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO, die Erhebung des Country-by-Country Reportings nach § 138a AO sowie einseitige Maßnahmen, Informationen aus dem Ausland zu beschaffen, wie bspw. der Ankauf von Daten-CDs. Internationale Maßnahmen sind der internationale Informationsaustausch auf Ersuchen und ohne Ersuchen, international koordinierte Außenprüfungen und allgemeine Maßnahmen, wie die Verstärkung des Erfahrungsaustauschs. In gewissem Umfang können auch Verständigungs- und Schiedsverfahren sowie biund multilaterale Advance Pricing Agreements zur Sachverhaltsermittlung beitragen.
A. Innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Ermittlung steuerlicher Sachverhalte mit Auslandsbezug sind naheliegender Weise innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten,
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
also solche Instrumente der Sachverhaltsaufklärung, die ohne Tätigkeit im fremden Staat auskommen.
I. Mitwirkungspflichten Um ein eigenes Tätigwerden im fremden Staatsgebiet unabhängig von dessen Zulässigkeit von vornherein obsolet werden zu lassen, bedienen sich die meisten Staaten zunächst der Angaben des Steuerpflichtigen. Dabei kommt dessen Ehrlichkeit hinsichtlich der vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung aller steuerlichen Sachverhalte eine zentrale Bedeutung zu. Um möglichst zutreffende und umfassende Informationen zu Auslandssachverhalten zu gewinnen, geben die Steuerbehörden einerseits verhaltensbezogene Anreize für steuerehrliches Verhalten und bedienen sich andererseits erhöhter gesetzlicher Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten für extraterritoriale Sachverhalte.1 1. Stärkung der Steuerehrlichkeit Dem Steuerpflichtigen sind seine eigenen steuerrelevanten Sachverhalte diesund jenseits der Grenze von Natur aus bekannt, während die Finanzverwaltung dazu im Ausgangspunkt nur Vermutungen anstellen kann. Ebenso wie bei rein nationalen Fällen setzt der Steuervollzug deshalb die Mitwirkung der Steuerpflichtigen und die Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden voraus.2 Zutreffend heißt es in den OECDLeitsätzen für multinationale Unternehmen daher: „Zur Einhaltung der Steuervorschriften [durch die Unternehmen] gehört auch die Zusammenarbeit mit den Steuerbehörden […].“3 Weil aber die Interessen der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörden strukturell gegenläufig sind4 und die Verifikationsmöglichkeiten der Steuerverwaltungen gerade über die Grenze beschränkt bleiben, ist die Kooperationsbereitschaft grenzüberschreitend tätiger Unternehmen keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil ist in der konfrontativen Ausgangssituation und der zumindest interimistischen Informationsasymmetrie vielmehr ein Versteckspiel5 programmiert, bei dem Unternehmen versuchen, steuerrelevante Informationen zu verbergen und die Finanzbehörden versuchen, diese durch (hoheitliche) Ermittlungsmaßnahmen zu
1 Zu den internationalen Entwicklungstendenzen in diese Richtung sei verwiesen auf Stephen Phua, in: SJLS 2015, 77. 2 Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 12.1. 3 OECD, Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Abschnitt XI. Besteuerung, Rn. 101. 4 Vgl. Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 322. 5 International geläufig für dieses Verhalten ist der Begriff „hide and seek games“, vgl. International Fiscal Association, Initiative on the Enhanced Relationship, Key Issues Report 2012, S. 19 ff., 57.
A. Innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten
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entdecken.6 Um die Kooperation zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörden zu verbessern (sog. Enhanced Relationship oder Tax Compliance),7 muss die systemisch bedingte Konfrontationslage, wenn schon nicht aufgelöst, so zumindest entschärft werden, indem aus kooperativem Verhalten für beide Seiten Vorteile erwachsen.8 Um Steuerpflichtige zu mehr Steuerehrlichkeit im Sinne einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenbarung aller steuerrelevanten Daten zu motivieren, bedarf es aus Verwaltungssicht einer doppelten Strategie: Es müssen einerseits strukturelle Anreize für steuerehrliches Verhalten geschaffen werden,9 andererseits müssen Sanktionierungen unkooperativen Verhaltens drohen.10 Anreiz für intrinsisch motivierte – gar überobligatorische – Mitwirkungsbeiträge ist in erster Linie frühzeitigere Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen, bspw. durch zeitnähere, transparente und systemorientiertere Betriebsprüfungen.11 Ein solches Entgegenkommen bei Außenprüfungen kann entweder institutionalisiert erfolgen, wie es bei den Modellen der „Real Time Audit“ in den Vereinigten Staaten oder der „Horizontaal Toezicht“ in den Niederlanden der Fall ist, oder aber im Rahmen einer allgemeinen Verhaltensmaxime der Zurückhaltung bei Prüfungshandlungen. In der Bundesrepublik wurden zwar verschiedene Modelle für kooperative zeitnahe und veranlagungsbegleitende Betriebsprüfungen erprobt,12 mit der Einführung des § 4a BpO aber zumindest zum Teil verworfen,13 sodass ein institutioneller Rahmen fehlt und sich Tax Compliance unterstützendes Verhalten der Finanzbehörden auf weiche Anreize beschränken muss. Die Sanktionierung von non-compliant Verhalten kommt vor allem in der Gestalt der Schätzung der Besteuerungsgrundlage14 und durch eine erhöhte Kontrolldichte 6
Vgl. Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (84). Siehe dazu OECD, Compliance Risk Management and Improving Tax Compliance, Guide, 2004; OECD Forum on Tax Administration, Tax Compliance and Tax Accounting Systems, 2010. Kritisch hinsichtlich der in diesem Zusammenhang üblichen Verwendung englischsprachiger Begriffe Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III, S. 1474, 1479. 8 Aus dem „Räuber und Gendarm“ wird idealerweise ein „Geben und Nehmen“, vgl. Andreas Kaiser, in: StBp 2017, 3 (4). 9 Vgl. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 1 ff., 176 ff.; ders., in: Tipke/ Kruse, § 85 AO, Rn. 28. 10 Klaus-Dieter Drüen, in: Schön/Beck, S. 1 (19, 22); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (592); vgl. auch Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 456. 11 Zu den positiven Effekten, die sich bereits aus einem offenen Kommunikationsverhalten des Betriebsprüfers ergeben können Andreas Kaiser, in: StBp 2017, 3. 12 Umfassend zu den diskutierten Modellen Klaus-Dieter Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfungen; aus praktischer Sicht auch Christian Dorenkamp, in: StbJb 2015/2016, S. 585. 13 So wohl auch Klaus-Dieter Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfungen, S. 36; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, Vorb. §§ 193 – 203 AO, Rn. 16. 14 So auch Klaus-Dieter Drüen, in: FR 2011, 101 (105). 7
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
bspw. bei Außenprüfungen und einen allgemein kritischeren Blick gegenüber den Angaben des Steuerpflichtigen in Betracht. Voraussetzung für die Sanktionierung nicht-kooperativen – also vor allem steuerunehrlichen – Verhaltens ist allerdings, dass die Finanzbehörden dieses überhaupt identifizieren. Eine Schwäche des Ansatzes der Enhanced Relationship oder Tax Compliance kann bei internationalen Konstellationen vor allem darin gesehen werden, dass nur scheinbar kooperatives Verhalten des Steuerpflichtigen kaum zu entdecken ist, insb. wenn sich die Steuerverwaltungen insofern mangels eigener Ermittlungsmöglichkeiten lediglich auf die Angaben des Steuerpflichtigen stützen können.15 Bei allen Vorzügen, die ein kooperatives Verhältnis von Finanzbehörden und Steuerpflichtigen bieten kann, darf allerdings nicht übersehen werden, dass verfahrens- und verfassungsrechtliche Vorgaben sowohl für Anreize als auch für Sanktionen weiter ihre volle Gültigkeit behalten.16 Letztlich können Maßnahmen zur Steigerung der Steuerehrlichkeit die Notwendwendigkeit zur Verifikation der Angaben des Steuerpflichtigen nicht beseitigen. Im Gegenteil: Möglichkeiten zur wirksamen Kontrolle sind zwingende Voraussetzung dafür, dass nur diejenigen in den Genuss der Kooperationsbereitschaft der Finanzbehörden kommen, die ihrerseits auch tatsächlich kooperieren und damit bei den Steuerpflichtigen überhaupt Akzeptanz für die weitreichende Zusammenarbeit geschaffen werden kann. Dennoch ist die Entwicklung vom konfrontativen zum kooperativen Steuerstaat im Kern zu begrüßen, weil damit einerseits die Kosten der Steuererhebung für den Steuerpflichtigen und den Staat reduziert werden,17 während andererseits dem Verhältnismäßigkeitsgebot Genüge getan wird, weil Eingriffe in Grundrechte der Steuerpflichtigen minimiert werden können.18 2. Erweiterte Auskunfts-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Bei grenzüberschreitenden Aktivitäten stehen Unternehmen den Verfahrensanforderungen der unterschiedlichen beteiligten Fisci gegenüber; sie sollen den steuerlichen Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten aller betroffenen Staaten nachkommen.19 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen stellen entsprechend fest, dass die „Einhaltung der Steuervorschriften […] Maßnahmen wie die Übermittlung aktueller einschlägiger bzw. gesetzlich vorgeschriebener Informatio-
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Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (592). Dazu umfassend Klaus-Dieter Drüen, in: FR 2011, 101. 17 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Abschnitt XI. Besteuerung, Rn. 99. 18 So in Bezug auf die Ausrichtung der Prüfung am konkreten Kontrollbedürfnis KlausDieter Drüen, in: FR 2011, 101 (110). 19 Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 1.5. 16
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nen an die zuständigen Behörden [umfasst], damit diese die im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit anfallenden Steuern korrekt veranlagen können […]“.20 In der Bundesrepublik wird die allgemeine Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 1 AO durch besondere Auskunfts- und Mitwirkungspflichten für Sachverhalte mit Auslandsbezug ergänzt, um den Besonderheiten internationaler Geschäftstätigkeit Rechnung zu tragen.21 a) Erweiterte Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO Den Gedanken der Beweisnähe aufgreifend,22 erhöht § 90 Abs. 2 AO die allgemeinen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Natürliche und juristische Personen, die in Deutschland unbeschränkt oder beschränkt einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtig sind, also sowohl Steuerinländer mit Auslandsbeziehung als auch Steuerausländer mit Inlandsbeziehungen,23 sind gem. § 90 Abs. 2 S. 1 AO verpflichtet, den Auslandsbezug nicht nur offenzulegen, sondern sogar selbst aufzuklären. Im Rahmen dieser Aufklärungspflicht müssen die Beteiligten „eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße, durch die Finanzbehörden überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sachverhalts geben.“24 Das erfasst auch die Pflicht des Steuerpflichtigen, Unbekanntes zu ermitteln und der Steuerbehörde offenzulegen, wenn dies für seine Besteuerung von Bedeutung ist.25 Zugleich wird mit § 90 Abs. 2 S. 1 AO normiert, dass der Steuerpflichtige die notwendigen Beweismittel nicht nur zu benennen,26 sondern auch zu beschaffen hat (Beweismittelbeschaffungspflicht), weil sie den Finanzbehörden regelmäßig wegen ihrer Belegenheit im Ausland nicht zugänglich sind.27 Steuerpflichtige müssen die Beweismittel also nicht wie bei Inlandssachverhalten nur benennen, sondern die steuerrelevante Unterlagen so zur Verfügung stellen, dass die Finanzbehörde im Inland von ihnen Gebrauch machen kann.28 Eine Beweislastumkehr ist damit indes 20 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Abschnitt XI. Besteuerung, Rn. 1. 21 Im Wesentlichen § 90 Abs. 2 AO, § 90 Abs. 3 AO, § 138 Abs. 2 AO, § 160 AO, § 16 AStG, § 17 AStG. 22 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 20. 23 Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 12.15. 24 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 152. 25 Gerrit Frotscher, in: Forum der Internationalen Besteuerung, Band 23, S. 167 (172). 26 Im Rahmen der allgemeinen Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 1 AO trifft den Steuerpflichtigen lediglich eine solche Beweisbenennungspflicht; vgl. dazu Gerrit Frotscher, in: Forum der Internationalen Besteuerung, Band 23, S. 167 (171). 27 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 170. 28 Gerrit Frotscher, in: Forum der Internationalen Besteuerung, Band 23, S. 167 (172).
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nicht verbunden. Es bleibt auch im Anwendungsbereich des § 90 Abs. 2 AO vielmehr bei der Beurteilung nach der objektiven Beweis- bzw. Feststellungslast.29 § 90 Abs. 2 S. 2, S. 4 AO normieren für die Aufklärungs- und für die Beweismittelbeschaffungspflicht jeweils eine Aufklärungs- bzw. Beweisbeschaffungsvorsorgepflicht. Danach ist der Steuerpflichtige verpflichtet, Sorge dafür zu tragen, dass die Erfüllung seiner Auskunfts- und Beweismittelbeschaffungspflicht nicht am Verhalten eines Dritten scheitert, bspw. indem er entsprechende Abmachungen trifft, um den Eintritt der Nichterfüllbarkeit von vorneherein zu verhindern.30 Die erweiterten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen finden ihre Grenzen darin, dass die Pflichterfüllung möglich, geeignet, erforderlich, erfüllbar, verhältnismäßig und zumutbar sein muss.31 Kommt der Steuerpflichtige den Pflichten des § 90 Abs. 2 AO dennoch nicht nach, so kann die Finanzbehörde – wie bei den einfachen Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 1 AO – nachteilige Sachverhaltsannahmen, Bewertungen und Schätzungen (§ 162 Abs. 2 AO) treffen, soweit diese sich nicht sonstiger Erkenntnismittel bedienen kann, die ihr zugänglich sind und deren Verwendung ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich und zumutbar ist.32 Konkret heißt das, dass die fehlende Aufklärung aufklärungsbedürftiger Tatsachen, die in der alleinigen Verantwortungssphäre des Beteiligten liegen und die von den deutschen Finanzbehörden nicht aufklären werden können im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Lasten des Beteiligten geht, wenn der Steuerpflichtige nicht mitwirkt.33 b) Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise Neben die erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO treten die in §§ 90 Abs. 3, 138a AO normierten Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise, die bereits als wesentliche Herausforderung bei der Aufklärung und Bewertung auslandsbezogener Sachverhalte identifiziert wurden.34 Ihre jüngsten An-
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Thomas Menck, in: Mössner, Rn. 12.15. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 166, 178. 31 Michael Kempermann, in: FR 1990, 437 (438); Claus Möllenbeck, Das Verhältnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfällen, S. 90 f.; Arne Schnitger, in: BB 2002, 332 (333); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 34 ff. 32 Claus Möllenbeck, Das Verhältnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfällen, S. 110 f.; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 191 ff.; Christoph Uhländer, in: AO-StB 2002, 18 (19). 33 BFH v. 19. Juni 1985, 1 R 109/82, BFH/NV 1986, 249 (250); ebenso Gerrit Frotscher, in: Forum der Internationalen Besteuerung, Band 23, S. 167 (175); Michael Kempermann, in: FR 1990, 437 (440); Hartmur Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 157. 34 Zur Bedeutung der Verrechnungspreisgestaltung siehe S. 92 m.w.N. 30
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passungen35 dienen der Umsetzung der Maßnahme 13 des OECD-Aktionsplans gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (sog. „Base Erosion and Profit Shifting“, kurz „BEPS“)36 und der Umsetzung von Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie durch DAC 337 und DAC 438.39 Das in Maßnahme 13 vorgesehene Konzept sieht für die Verrechnungspreisdokumentation einen dreistufigen Aufbau vor, bestehend aus einem Master-File, einem Local-File sowie einem Country-by-Country Reporting. Das Master-File soll den Konzern übergreifend darstellen, ohne die Einzelheiten zu beschreiben, das Local-File soll den Hintergrund für die Verrechnungspreise der Konzerngesellschaften in einem bestimmten Land detaillierter erläutert, während mit dem CbCR Schlüsselzahlen pro Staat aufgeführt werden sollen, in denen ein Konzern durch Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten vertreten ist.40 Regelungen zu Master- und Local-File sind in der Bundesrepublik mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (sog. „Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz“)41 durch Änderung des § 90 Abs. 3 AO a.F. implementiert worden, die Verpflichtung zum Country-by-Country Reporting durch Schaffung des § 138a AO. aa) Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO Die zwecks Einführung des Master- und Local-File-Ansatzes geänderten Vorschriften der Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO sind gem. § 22 S. 4 EGAO42 erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2016 beginnen. 35 Abgabenordnung in der durch Artt. 1, 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000, geänderten Fassung. 36 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report. 37 Richtlinie 2015/2376/EU des Rates vom 8. Dezember 2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 3). 38 Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 4). 39 Vgl. Ernst Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 74, 77. 40 Vgl. Florian Oppel, in: SteuK 2016, 421 (422). 41 Gesetz zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000. 42 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung in der zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000, geänderten Fassung.
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(1) Local-File § 90 Abs. 3 S. 1, S. 2 AO enthalten die neuen Regelungen zum Local-File, also die Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation i. e.S. (landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation) und übernehmen dabei im Wesentlichen die Regelungen des § 90 Abs. 3 AO a.F., weil diese zusammen mit der GAufzV die von der OECD vorgesehenen Pflichten bereits enthielten.43 Die Pflicht zur Erstellung eines Local-Files erfasst gem. § 90 Abs. 3 S. 1 AO Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, die ein Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 AO unterhält.44 Zuvor waren von der Aufzeichnungspflicht gem. § 90 Abs. 3 S. 1 AO a.F. solche Sachverhalte erfasst, die Vorgänge mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG mit Auslandsbezug betrafen. Der Gesetzesbegründung zufolge handelt es sich bei der Neuformulierung des § 90 Abs. 3 S. 1 AO allerdings nur um eine redaktionelle Änderung zur Anpassung an zwischenzeitliche gesetzliche Änderungen des AStG, ohne dass sich daraus inhaltliche Veränderungen ergäben.45 Die Dokumentationspflicht betrifft nach § 90 Abs. 3 S. 1 AO Art und Inhalt der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG. Die Bezugnahme auf § 1 Abs. 4 AStG bewirkt, dass sowohl Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen und einer i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahe stehenden Person als auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (sog. „Dealings“)46 zwischen einem steuerpflichtigem Unternehmer und seiner in einem anderen Staat belegenen Betriebsstätte zu berücksichtigen sind.47 Der bisherigen gesonderten Adressierung grenzüberschreitender Betriebsstättenfälle des § 90 Abs. 3 S. 4 AO a.F. bedarf es daher nicht mehr. Die Dokumentationspflichten für das Local-File werden in § 90 Abs. 3 S. 2 AO präzisiert. Nach dessen Wortlaut wird nunmehr bereits gesetzlich zwischen der
43 Gerrit Adrian/Julian Fey/Christian Selzer, in: StuB 2016, 614 (615); Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1456). 44 In Anbetracht des § 1 Abs. 1 S. 2 AStG sind neben unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen auch Mitunternehmerschaften von den Aufzeichnungspflichten des § 90 Abs. 3 AO betroffen, vgl. Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (791). 45 BT-Drs. 18/9536, S. 34. Kritisch hinsichtlich einer denkbaren unbeabsichtigten Ausweitung der Dokumentationspflichten auf Geschäftsbeziehungen zu einer im Inland ansässigen nahestehenden Person hingegen Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (791), die in der Konsequenz eine Nachbesserung des Gesetzeswortlauts fordern. M. E. handelte es sich bei einer solchen Nachbesserung allerdings lediglich um eine gesetzgeberische Klarstellung, weil sowohl der Regelung des § 90 Abs. 3 S. 1 AO als auch des § 1 Abs. 4 AStG bereits nach ihrem Sinn und Zweck nur Sachverhalte mit Auslandsbezug erfassen. Insb. die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass eine Ausweitung der Dokumentationspflichten gerade nicht beabsichtigt ist. Deshalb scheint eine teleologische Reduktion des (nach dem Wortlaut möglicherweise) erweiterten Anwendungsbereichs des § 90 Abs. 3 S. 1 problemlos möglich; ähnlich wohl Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (339). 46 Vgl. Arne Schnitger, in: IStR 2016, 637 (637). 47 Kolja van Lück, in: IWB 2016, S. 478 (479).
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Sachverhalts- und der Angemessenheitsdokumentation unterschieden (zuvor § 1 GAufzV).48 Die Sachverhaltsdokumentation umfasst die deskriptive Darstellung der Geschäftsvorfälle und beinhaltet Aufzeichnungen über deren Art, Inhalt und Umfang.49 Eine bestimmte Form der Dokumentation (bspw. durch eine vorgegebene Gliederung) ist (noch) nicht vorgeschrieben.50 Die Dokumentation muss den Konzernaufbau, die geschäftlichen Vorgänge, die wesentlichen Verträge, die Standorte und deren Funktionen näher bezeichnen.51 Im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der GAufzV und der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren erscheint es möglich, dass die Sachverhaltsdokumentation auch die Beschreibung der lokalen Managementstruktur und der Berichtslinien sowie die Überleitung vom Einzelabschluss auf die der Verrechnungspreisanalyse zugrundeliegenden Finanzinformationen erfordern wird.52 Laut Gesetzesbegründung stellt die Angemessenheitsdokumentation eine Umsetzung der Empfehlungen der OECD dar.53 Sie umfasst die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insb. Preisen (Verrechnungspreisen), sowie Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung und zur verwendeten Verrechnungspreismethode. Dass der Steuerpflichtige nunmehr auch den Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung angeben muss, ist im Vergleich zu den bisherigen Regelungen des § 90 Abs. 3 AO a.F. und § 1 Abs. 1 S. 1 GAufzV neu.54 Der Mehrwert dieser Information erscheint allerdings ebenso fraglich wie eine daraus folgende Verpflichtung zur Verwendung eines bestimmten Ansatzes bei der Verrechnungspreisbestimmung.55 Zumindest kann durch diese neue Dokumentationspflicht bewirkt werden, dass der Steuerpflichtige sich bereits zum Zeitpunkt des
48 Gerrit Adrian/Julian Fey/Christian Selzer, in: StuB 2016, 614 (615); Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1457). 49 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792). 50 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 41. 51 Den Umfang der Sachverhaltsdokumentation bestimmen §§ 1 Abs. 2, 4 Nr. 1 – 3 GAufzV sowie BMF v. 12. April 2005, IV B 4 – S 1341/1/05, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), Tz. 3.4.11; Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 41. 52 Vgl. Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: DB 2016, 971 (976); Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792). 53 BT-Drs. 18/9536, S. 35. 54 Gerrit Adrian/Julian Fey/Christian Selzer, in: StuB 2016, 614 (615); Xaver Ditz/SvenEric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792). 55 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792); vgl. auch Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458).
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Geschäftsvorfalls Gedanken über die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes macht und nicht erst Jahre später im Rahmen einer Betriebsprüfung.56 Abgesehen von diesem Punkt entsprechen Anwendungsbereich sowie Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation den bisherigen Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO a.F. i.V.m. den Regelungen der GAufzV.57 (2) Master-File Mit dem neuen § 90 Abs. 3 S. 3 AO wird zwecks Umsetzung der OECD-Empfehlungen in Maßnahme 13 ergänzend zum Local-File des § 90 Abs. 3 S. 1, S. 2 AO eine Verpflichtung zur Erstellung eines Master-Files (Stammdokumentation) eingeführt. Im Gegensatz zu § 90 Abs. 3 S. 1, S. 2 AO findet § 90 Abs. 3 S. 3 AO in § 90 Abs. 3 AO a.F. keine Entsprechung und stellt ein Novum dar.58 Zur Erstellung des Master-Files werden Steuerpflichtige verpflichtet, die Aufzeichnungen für ein Unternehmen zu erstellen haben, das Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe ist, es sei denn der Umsatz des Unternehmens hat im vorangegangenen Wirtschaftsjahr weniger als 100 Millionen Euro betragen.59 Mit der Anknüpfung des persönlichen Anwendungsbereichs an die Frage, ob ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 S. 1 AO zu erstellen hat, zeigt sich, dass das Master-File eine Erweiterung landesspezifischer, unternehmensbezogener Dokumentationspflichten ist.60 Der Begriff der multinationalen Unternehmensgruppe wird in § 90 Abs. 3 S. 4 AO definiert. Eine solche besteht demnach aus in mindestens zwei verschiedenen Staaten ansässigen Unternehmen, die einander i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehen, oder aus mindestens einem Unternehmen mit mindestens einer Betriebstätte in einem anderen Staat. Unternehmen und Betriebsstätten rein inländischer Konzerne müssen daher kein Master-File erstellen.61 Die Pflicht zur Erstellung der Stammdokumentation entfällt gem. § 90 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 AO, wenn der Umsatz des Unternehmens im vorangegangenen Wirtschaftsjahr weniger als 100 Millionen Euro betrug. Weil im Ausland andere Schwellenwerte gelten
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So jedenfalls Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458). Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (339); Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (792); Stephan Rasch/ Susanne Tomson, in: IWB 2016, 483 (485). 58 Florian Oppel, in: SteuK 2016, 421 (422). 59 Aus der steuerberatenden Praxis wird vorgetragen, dass anstelle des Umsatzes sachgerechter die Höhe der konzerninternen Leistungen maßgeblich sein sollte; vgl. PwC, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 5. September 2016. 60 Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (339). 61 Die von Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (791) vorgebrachten Bedenken bezüglich des Anwendungsbereichs des § 90 Abs. 3 S. 1, S. 2 AO sind daher nicht auf § 90 Abs. 3 S. 3 AO übertragbar. 57
A. Innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten
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können, bedeutet ein Umsatz von weniger als 100 Millionen Euro aber nicht zwingend, dass kein Master-File zu erstellen ist.62 Das Master-File soll gem. § 90 Abs. 3 S. 3 AO aus einem Überblick über die Art der wesentlichen Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung bestehen. Damit ist ausweislich der Gesetzesbegründung insb. eine grafische Darstellung des Organisationsaufbaus und der geografischen Verteilung der Gesellschaften und Betriebsstätten, eine kurze Darstellung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, eine allgemeine Darstellung der Gesamtstrategie für die Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern in der Wertschöpfungskette (insb. hinsichtlich der Entwicklung, des Eigentums und der Verwertung) sowie eine allgemeine Beschreibung der Art und Weise der Finanzierung gemeint, wobei genauer Inhalt und Umfang der Stammdokumentation durch Rechtsverordnung nach § 90 Abs. 3 S. 11 AO geregelt werden sollen.63 Die Pflicht ein Master-File zu führen, wird in Einklang mit den Empfehlungen der OECD eingeführt, um den Finanzbehörden einen groben Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit und Systematik der Verrechnungspreisbestimmung innerhalb des multinationalen Konzerns zu geben.64 Diese Stammdokumentation liefert Anhaltspunkte zur sachgerechten Beurteilung der Verrechnungspreispolitik eines Unternehmens in ihrem wirtschaftlichen, rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Zusammenhang.65 Der Einschub des neuen S. 3 ist die erheblichste Änderung in der Novellierung des § 90 Abs. 3 AO a.F.66 (3) Weitere Regelungen zu den Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO Im Übrigen übernimmt § 90 Abs. 3 AO in den Sätzen 5 – 11 Bestimmungen, die bereits in der Vorgängerregelung bestanden, wobei redaktionelle Anpassungen, Präzisierungen und Neugliederungen erfolgen.67 Nach § 90 Abs. 3 S. 5 AO soll eine Vorlage der Dokumentation regelmäßig nur im Rahmen von Außenprüfungen verlangt werden. § 90 Abs. 3 S. 6 AO sieht dabei die Anwendung von § 97 AO (Vorlage von Urkunden) vor. Gem. § 90 Abs. 3 S. 7 AO hat die Vorlage der Aufzeichnungen im Regelfall unverändert innerhalb einer Frist von 60 Tagen nach Anforderung zu erfolgen. § 90 Abs. 3 S. 8 AO bestimmt, dass Aufzeichnungen für außergewöhnliche 62
Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (339). BT-Drs. 18/9536, S. 35; ausführlich zu den Inhalten des Master-Files Christian Engelen, in: ISR 2016, 239. 64 Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (339). 65 BT-Drs. 18/9536, S. 35. 66 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 789 (793). 67 § 90 Abs. 3 S. 6 AO a.F. wurde zu § 90 Abs. 3 S. 5 AO; § 90 Abs. 3 S. 7 AO a.F. wurde zu § 90 Abs. 3 S. 6 AO; § 90 Abs. 3 S. 8 AO a.F. wurde zu § 90 Abs. 3 S. 7 AO; § 90 Abs. 3 S. 3, S. 8 AO a.F. wurden in § 90 Abs. 3 S. 8 AO zusammengefasst; § 90 Abs. 3 S. 10 AO a.F. wurde zu § 90 Abs. 3 S. 9 AO; § 90 Abs. 3 S. 5 AO a.F. wurde zu § 90 Abs. 3 S. 11 AO. 63
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Geschäftsvorfälle zeitnah zu erstellen sind und dass diese Aufzeichnungen innerhalb einer Frist von 30 Tage nach Anforderung vorzulegen sind; Abweichungen sind in begründeten Einzelfällen gem. § 90 Abs. 3 S. 9 AO möglich. Die Definition des Begriffs „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ regelt § 3 Abs. 2 GAufzV. Nach § 90 Abs. 3 S. 10 AO sind vorgelegte Aufzeichnungen auf Aufforderung der Finanzbehörde zu ergänzen.68 Eine Ergänzung ist insb. dann notwendig, wenn sich aus Sicht der Finanzbehörde aufgrund der vorgelegten Aufzeichnungen Anhaltspunkte für weitere Nachfragen ergeben.69 (4) Folgen des Verstoßes gegen die Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten, weil er die nach § 90 Abs. 3 AO vorgeschriebenen Aufzeichnungen nicht vorlegt, die von ihm vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind70 oder festgestellt wird, dass er die Aufzeichnungen über einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall nicht zeitnah erstellt hat, wird gem. § 162 Abs. 3 S. 1 AO widerleglich vermutet, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Für den Fall, dass der Steuerpflichtige nicht darlegen kann, dass die von ihm angegebenen Verrechnungspreise einem Fremdvergleich standhalten können und ist der gewählte Verrechnungspreis auch tatsächlich nicht angemessen,71 ordnet § 162 Abs. 3 S. 2 AO die Schätzung an. Damit soll in Verrechnungspreisfällen eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Besteuerung gewährleistet werden.72 Können die Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insb. nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, dürfen die Finanzbehörden diesen Rahmen voll zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen, d. h. der steuerlich maßgebliche Verrechnungspreis 68 Zum Teil wurde vertreten, dass Steuerpflichtige nach der alten Regelung zu Erläuterungen oder Ergänzungen der Aufzeichnungen nicht verpflichtet seien, weil § 90 Abs. 3 AO a.F. lex speciales zu den erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO sei, sodass diese bei Erfüllung der Dokumentationspflicht nach § 90 Abs. 3 AO a.F. erlöschten, vgl. dazu Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1459). 69 BT-Drs. 18/9536, S. 36. 70 Für die Frage, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist, lassen sich die Maßstäbe für eine formell ordnungswidrige Buchführung sinngemäß anwenden; Roman Seer, in: IWB 2012, 350 (355). 71 Auch wenn der Steuerpflichtige den Verrechnungspreis nicht dokumentiert hat, kann dieser trotzdem angemessen sein; vgl. Stephan Schnorberger, in: DB 2003, 1241 (1245); Gerhard Bruschke, in: DStZ 2006, 575 (577). Besitzt die Finanzbehörde also keine Anhaltspunkte für die Unangemessenheit des Verrechnungspreises, ist die Unrichtigkeitsvermutung des § 162 Abs. 3 S. 1 AO als widerlegt zu betrachten, Roman Seer, in: IWB 2012, 350 (355); ders., in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 67. Indes werden insofern keine allzu hohen Anforderungen im Sinne eines Nachweises der Unangemessenheit der Verrechnungspreisgestaltung zu stellen sein. Dem Teleos des § 162 Abs. 3 AO werden nicht gänzlich abwegige Zweifel der Finanzbehörden genügen müssen. 72 Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2008, 244 (248).
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kann am oberen Rand der Preisspanne angesetzt werden.73 Neben der Schätzung nach § 162 Abs. 3 S. 1, S. 2 AO ist gem. § 162 Abs. 4 AO darüber hinaus ein Zuschlag festzusetzen. § 162 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 AO unterscheiden sich von § 162 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 AO a.F. nur insofern, als dass nunmehr durch den Einschub „über einen Geschäftsvorfall“ klargestellt wird, dass dessen Rechtsfolgen nur greifen, wenn sich die Verletzung von Mitwirkungspflichten auf die Aufzeichnungen über einzelne Geschäftsvorfälle bezieht.74 Diese Klarstellung wirft jedoch neue Fragen auf. So ließe sich der Gesetzestext dahingehend verstehen, dass bereits die Nichtvorlage bzw. Vorlage im Wesentlichen unverwertbarer Aufzeichnungen über einen einzelnen Geschäftsvorfall die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3, Abs. 4 AO für die gesamten Aufzeichnungen auslöst.75 Unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung, wonach diese Rechtsfolgen nur greifen sollen, wenn sich die Verletzung auf die Aufzeichnungen über einzelne Geschäftsvorfälle bezieht, sind die Vorschriften jedoch so auszulegen, dass unverwertbare Aufzeichnungen einzelner Geschäftsvorfälle erfasst werden, obwohl die Gesamtaufzeichnungen grds. verwertbar sind, eine Sanktionierung der Aufzeichnungen über die übrigen Geschäftsvorfälle allerdings nicht erfolgt.76 Wegen der eindeutigen Bezugnahme auf einzelne Geschäftsvorfälle wird das lediglich einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit einer multinationalen Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung gebende Master-File nach § 90 Abs. 3 S. 3, S. 4 AO nicht vom Anwendungsbereich des § 162 Abs. 3, Abs. 4 AO erfasst.77 Fraglich erscheint darüber hinaus, welche Folgen die Verletzung der neuen Pflicht zur Dokumentation des Zeitpunkts nach § 90 Abs. 3 S. 2 AO der Verrechnungspreisbestimmung hat.78 Ein Teil der Finanzverwaltung hat jedenfalls eine Sanktionierung der Nichtbeachtung durch Strafschätzung gefordert.79 Wird der Zeitpunkt nicht oder – eine entsprechende zukünftige Regelung vorausgesetzt – unzutreffend angegeben, werden die Aufzeichnungen über den maßgeblichen Geschäftsvorfall
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Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2008, 244 (248). Daneben wird der bisherige Verweis auf § 90 Abs. 3 S. 3 durch einen Verweis auf Satz 8 ersetzt; vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 43. 75 Vgl. Christian Engelen/Sven-Eric Bärsch/Xaver Ditz, in: IStR 2016, 789 (796). 76 Christian Engelen/Sven-Eric Bärsch/Xaver Ditz, in: IStR 2016, 789 (796), die eine dementsprechende Präzisierung des Gesetzeswortlauts fordern. 77 Ausführlich begründend Christian Engelen/Sven-Eric Bärsch/Xaver Ditz, in: IStR 2016, 789 (796); a.A. ohne nähere Begründung hingegen offenbar Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1461). 78 Vgl. Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458). 79 Vgl. Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458). 74
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
allerdings nicht unverwertbar, sodass eine Schätzung auf Grundlage des § 162 Abs. 3 S. 1 AO ausscheidet.80 § 162 Abs. 3 S. 3 AO ordnet die Rechtsfolgen der Sätze 1 und 2 auch dann an, wenn sich Zweifel an der Richtigkeit des ausgewiesenen Gewinns nicht ausräumen lassen, weil eine ausländische, dem Steuerpflichtigen nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO nicht erfüllt.81 Diese Regelung begegnet in vielerlei Hinsicht erheblichen Bedenken. Zunächst erscheint die Stellung in § 162 Abs. 3 AO fragwürdig, weil dessen Rechtsfolgen nicht an die Verletzung der Dokumentationspflichten des Steuerpflichtigen anknüpfen, sondern ihre pflichtgemäße Erfüllung sogar voraussetzen. § 162 Abs. 3 S. 3 AO knüpft stattdessen an die Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder der Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO durch einen ausländischen Dritten an.82 Dabei ist bereits fraglich, ob die von § 162 Abs. 3 S. 3 AO angesprochenen ausländischen Dritten gegenüber den deutschen Finanzbehörden überhaupt Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten treffen.83 Allerdings kann die Finanzverwaltung gem. § 90 Abs. 1 S. 3 AO subsidiär auch auf einen ausländische Dritten (also auch auf eine in § 162 Abs. 3 S. 3 AO angesprochenen nahestehende Person) zurückgreifen, indem dieser unter Beachtung des formellen Territorialitätsprinzips per einfachem Brief84 dazu aufgefordert wird. Nur dann treffen die nahe stehende Person die in § 162 Abs. 3 S. 3 AO vorausgesetzten Auskunftspflichten des § 93 Abs. 1 AO.85 Mitwirkungspflichten i.S.d. § 93 Abs. 2 AO könnten sie hingegen nur treffen, wenn sie selbst Beteiligte i.S.d. § 78 AO wäre.86 Weil nahestehende ausländische Personen aber keine Beteiligten i.d.S. sind, scheidet eine Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO von vornherein aus.87 In jedem Fall gilt, dass die Finanzbehörde die Pflichten wegen des Grundsatzes der formellen Territorialität im Ausland nicht durchsetzen kann.88 Andererseits ist nachvollziehbar, dass Steuerpflichtigen keine steuerlichen Vorteile dadurch erwachsen sollen, dass ausländische nahestehende Personen nicht ausreichend zur Sachverhaltsaufklärung beitragen.89 Die Existenzberechtigung der als „gesetzgeberische Missgeburt“90 attackierten Vorschrift liegt daher im Druck, den sie auf inländische Steuerpflichtige hinsichtlich ihrer Beweisvorsorgepflicht und auf aus80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
So im Ergbenis auch Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458). Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 84. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 71a. Vgl. dazu Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 90 AO, Rn. 45 m.w.N. Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Zustellung eines einfachen Briefes auf S. 92 ff. So auch Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 71a. Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rn. 8 f. Martin Wulf, in: DB 2007, 2280 (2285). Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2008, 244 (248). Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2008, 244 (248). Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 71b.
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ländische nahestehende Personen hinsichtlich ihrer Mitwirkungs- und Auskunftspflichten ausübt.91 Grds. gilt: Erfüllt der Steuerpflichtige seine Dokumentationspflichten, ist der angegebene Verrechnungspreis anzusetzen, wenn die Finanzbehörde dessen Unangemessenheit nicht nachweist.92 § 162 Abs. 3 AO enthält keine Beweismaßreduzierung zu Lasten des Steuerpflichtigen, sodass die Finanzbehörde nach den allgemeinen Regeln die Beweislast trägt.93 § 162 Abs. 4 S. 1 AO sieht als Sanktionierungsmaßnahme einen Zuschlag von 5.000 Euro vor, wenn über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO vorgelegt werden oder die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Der Wortlaut der Vorschrift ist missverständlich, weil nicht klar ist, ob die Anknüpfung an die Verletzung der Dokumentationspflicht hinsichtlich eines Geschäftsvorfalls sich darauf bezieht, dass der Zuschlag nur durch einen einzelnen Geschäftsvorfall ausgelöst wird oder je Geschäftsvorfall erhoben werden kann.94 (5) Zusammenfassung Damit Finanzbehörden überprüfen können, ob die Verrechnungspreise nach dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz so bemessen wurden, wie sie zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart worden wären, bedarf es ob der strukturell zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörden bestehenden Informationsasymmetrien einer spezifischen Pflicht zur Dokumentation der Festsetzung des tatsächlichen Verrechnungspreises. Zu diesem Zweck legt § 90 Abs. 3 AO einen dezidierten Rahmen fest. Anhand der zu erstellenden Unterlagen des Local- und des Master-Files werden die Finanzbehörden idealerweise in die Lage versetzt, die Bestimmung des Verrechnungspreises nachzuvollziehen und zu überprüfen. Mit der Überarbeitung des § 90 Abs. 3 AO wird erstmals eine Pflicht zur Erstellung eines Master-Files eingeführt, das eine grobe Übersicht der gesamten Unternehmensgruppe vermitteln soll. Damit wird die Pflicht zur Verrechnungspreisdokumentation auf eine Metaebene gehoben. War die Verrechnungspreisgestaltung bisher nur aus individueller Sicht des mitteilungsverpflichteten Unternehmens darzustellen, erhält die Dokumentationspflicht nunmehr eine globale Dimension.
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Vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 71b; Alexander von Wedelstädt, in: AO-StB 2008, 244 (248). 92 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 71. 93 Hubertus Baumhoff/Xaver Ditz/Markus Greinert, in: DStR 2004, 157 (163 f.); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO, Rn. 7; vgl. auch Martin Wulf, in: DB 2007, 2280 (2285). 94 Gerrit Adrian/Julian Fey/Christian Selzer, in: StuB 2016, 614 (615).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Weitere tiefgreifenden Änderungen zu den bisherigen Regelungen des § 90 Abs. 3 AO a.F. sind – insb. hinsichtlich des Local-Files -95 nicht zu erkennen. Die Dokumentationspflichten der Abgabenordnung waren bereits vor der BEPSDiskussion weitreichend, sodass erhebliche Anpassungen im Zuge der Umsetzung von Maßnahme 13 nicht nötig waren.96 Nichtsdestoweniger ist die angestrebte Vereinheitlichung aus Sicht der Unternehmen zu begrüßen, weil weltweit gleiche Dokumentationspflichten die Befolgungskosten senken werden.97 Die Erweiterung der Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 2 AO a.F. scheint angemessen. bb) Country-by-Country Reporting nach § 138a AO Maßnahme 13 des OECD-Aktionsplans gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung schlägt nicht nur konkrete Anforderungen für die Verrechnungspreisdokumentation vor, sondern empfiehlt darüber hinaus eine länderbezogene Berichterstattung für den Gesamtkonzern (sog. Country-by-Country Reporting, abgek. CbCR), die international zwischen den Finanzverwaltungen automatisiert ausgetauscht werden sollen.98 Das CbCR soll eine erste Einschätzung steuerlicher Risiken ermöglichen, die hinsichtlich der Bestimmung von Verrechnungspreisen in einer multinationalen Unternehmensgruppe bestehen.99 Darüber hinaus soll der länderbezogene Konzernbericht einer ersten Einschätzung auch anderer steuerlicher Risiken hinsichtlich Gewinnverlagerungen und Gewinnverkürzungen dienen, indem er Anhaltspunkte gibt, ob das Verhältnis von Gewinn und Substanz angemessen ist.100 Die im länderbezogenen Bericht enthaltenen Informationen sind als solche nicht dazu geeignet, die Unangemessenheit von Verrechnungspreisen zu belegen.101 Sie sind keine Be-
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Vgl. Chrisitan Engelen, in: ISR 2016, 239 (246). Anschaulich dargestellt werden die Abweichungen zwischen den bisherigen Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO a.F. un den OECD-Empfehlungen bei Rolf Schreiber, in: DB 2016, 1456 (1458). 97 Wegen der Auslegungsbedürftigkeit der Ausführungen der OECD kritisch zur Vergleichbarkeit der nationalen Dokumentationspflichten Christian Engelen, in: ISR 2016, 239 (247). 98 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, S. 29 ff. Zum automatischen Informationsaustausch im Rahmen des CbCR sodann auf S. 166 f. 99 BT-Drs. 18/9536, S. 37. 100 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report; Axel Nientimp/Stefan Stein/ Christian Schwarz, in: Ubg 2016, 399 (400). 101 BT-Drs. 18/9536, S. 37. 96
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weismittel und dürfen daher von den Finanzbehörden insb. nicht für eine globale formelhafte Gewinnaufteilung verwendet werden.102 Mit der nationalen Umsetzung des CbCR durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016103 wurde § 138a AO neu eingefügt. Dass § 138a AO trotz seiner inhaltlichen Nähe nicht in den § 90 AO integriert wurde, ist in Anbetracht der unterschiedlichen Zwecke der Regelungen nachvollziehbar. (1) Persönlicher Anwendungsbereich (a) Primär mitteilungspflichtige Unternehmen § 138a Abs. 1 AO bestimmt die primären Adressaten des CbCR. Nach § 138a Abs. 1 S. 1 AO sind zur Erstellung und Übermittlung eines länderbezogenen Konzernberichts inländische Unternehmen104 verpflichtet, die ihren Sitz (§ 11 AO) oder ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Inland haben (inländische Unternehmen) und einen Konzernabschluss aufstellen oder nach anderen als den Steuergesetzen aufzustellen haben (inländische Konzernobergesellschaft), wenn der Konzernabschluss mindestens ein ausländisches Unternehmen oder eine ausländische Betriebsstätte umfasst und die konsolidierten Konzernumsatzerlöse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres mindestens 750 Millionen Euro betragen. Wird das inländische Unternehmen jedoch selbst in den Konzernabschluss eines anderen Unternehmens einbezogen, entfällt die Verpflichtung zur Erstellung eines eigenen CbCR. Damit soll die Übermittlung von mehreren länderbezogenen Konzernberichten vermieden werden.105 Einen Konzernabschluss muss nach § 290 Abs. 1 HGB jedes sog. Mutterunternehmen aufstellen, das beherrschenden Einfluss auf (mindestens ein anderes) Tochterunternehmen ausübt. Ein beherrschender Einfluss ist nach § 290 Abs. 2 HGB insb. dann anzunehmen, wenn ein Unternehmen die Stimmrechtsmehrheit oder das Recht zur Bestellung bzw. Abberufung der Mehrheit der Mitglieder des die Finanzund Geschäftspolitik bestimmenden Organs besitzt und es gleichzeitig Gesellschafter ist.106 Während es sich bei dem Mutterunternehmen grds. um eine Kapi102 BT-Drs. 18/9536, S. 37; vielfach wird jedenfalls für andere Länder, an die im Rahmen des CbCR erhobenen Daten übermittelt werden, die Gefahr gesehen, dass anhand dieser Daten Verrechnungspreiskorrekturen vorgenommen werden; vgl. Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: DB 2016, 972 (980); Florian Oppel, in: SteuK 2016, 53 (59). 103 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000. 104 Unternehmen i.d.S. ist jedes selbständige gewerbliche oder berufliche Tätigwerden, das mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird; vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 37. 105 BT-Drs. 18/9536, S. 38. 106 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (841) m.w.N.
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talgesellschaft handeln muss, können die Tochterunternehmen auch andere Rechtsformen haben.107 Gem. § 264a HGB werden daneben auch Personengesellschaften ohne natürliche Personen als persönlich haftende Gesellschafter und über § 11 PublG bestimmte Großunternehmen anderer Rechtsformen als Mutterunternehmen zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet.108 Voraussetzung der Pflicht zur Mitteilung eines länderbezogenen Berichts ist, dass der Konzernabschluss der inländischen Konzernobergesellschaft mindestens ein Unternehmen mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland (ausländisches Unternehmen) oder eine ausländische Betriebsstätte umfasst und die im Konzernabschluss ausgewiesenen, konsolidierten Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Millionen Euro betragen.109 Damit werden vom CbCR in Einklang mit den Empfehlungen der EU110 und der OECD111 nur besonders große internationale Konzerne erfasst.112 Vorbehaltlich der Regelungen des § 138a Abs. 3, Abs. 4 AO sind inländische Unternehmen, die selbst in den Konzernabschluss eines anderen Unternehmens einbezogen sind, gem. § 138a Abs. 1 S. 2 AO von der Mitteilungspflicht ausgenommen. Mit dieser Einschränkung soll die Übermittlung von mehreren länderbezogenen Berichten für den selben international tätigen Konzern vermieden werden.113 (b) Beauftragte mitteilungspflichtige Unternehmen § 138a Abs. 3 AO verpflichtet ein inländisches Unternehmen, das Teil des Konzernabschlusses eines ausländischen Unternehmens ist, das als primär mitteilungspflichtiges Unternehmen zur Abgabe eines CbCR verpflichtet wäre, wenn es Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hätte (ausländische Konzernobergesellschaft), und von diesem zur Abgabe eines länderbezogenen Berichts für den Konzern beauftragt ist (beauftragte Gesellschaft oder Surrogate Parent Entity),114 zur Übermittlung ebendieses Berichts an das BZSt. 107
Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (841) m.w.N. Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (841) m.w.N. 109 Offen bleibt allerdings, wie die Umsatzerlöse definiert werden; vgl. dazu Xaver Ditz/ Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (841) m.w.N. 110 Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, Anhang III, Abschnitt I., 4. „Freigestellte Multinationale Unternehmensgruppe“. 111 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, Kapitel V, E.2.2., Rn. 52. 112 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (840); vgl. auch BTDrs. 18/9536, S. 37. 113 BT-Drs. 18/9536, S. 37. 114 Auch die Gesetzesbegrüdung verwendet den englischsprachigen Begriff der Surrogate Parent Entity, BT-Drs. 18/9536, S. 40. 108
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Nach der Gesetzesbegründung soll die Pflicht allerdings nur solche Unternehmen treffen, die dazu in der Lage sind, den länderbezogenen Bericht zu erstellen und zu übermitteln.115 Beauftragte Gesellschaft könne nur ein Unternehmen sein, das den länderbezogenen Bericht erstellen und übermitteln kann.116 Ditz, Bärsch und Engelen wenden dagegen jedoch ein, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift („für den Konzern […] zu übermitteln“) im Vergleich zum Wortlaut des § 138a Abs. 1 S. 1 AO („zu erstellen und […] zu übermitteln“) für die beauftragte Gesellschaft gar keine Pflicht zur Erstellung des länderbezogenen Berichts bestehe und es auf das Kriterium des Erstellen-Könnens dementsprechend nicht ankommen könne.117 Dem ist zuzustimmen: Ob der Bericht durch die einbezogene inländische Konzerngesellschaft oder die ausländische Konzernobergesellschaft erstellt wird bzw. werden kann, liegt ebenso in der Hand des Konzerns wie die Entscheidung, ob eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft mit der Abgabe des länderbezogenen Berichts beauftragt wird. Daher kann es für die Übermittlungspflicht nach § 138a Abs. 3 AO nicht darauf ankommen, ob die beauftragte Gesellschaft in der Lage ist, einen solchen Bericht zu erstellen. Maßgeblich ist allein, dass sie mit der Beauftragung zur Abgabe durch die ausländische Konzernobergesellschaft die Pflicht zur Übermittlung des länderbezogenen Berichts an das BZSt trifft.118 Im Übrigen ist § 138a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 2 AO zu entnehmen, dass eine einbezogene Konzerngesellschaft grds. nicht dazu verpflichtet ist, einen länderbezogenen Bericht an das BZSt zu übermitteln.119 Damit soll verhindert werden, dass ein länderbezogener Bericht von verschiedenen Unternehmen des Konzerns mehrfach an das BZSt übermittelt wird.120 (c) Sekundär mitteilungspflichtige Unternehmen Weil für die Bundesrepublik rechtlich und tatsächlich keine Möglichkeit besteht, die Übermittlung des länderbezogenen Berichts eines ausländischen Konzerns zu erzwingen, zugleich aber eine Gleichbehandlung von Konzernen mit inländischer Konzernobergesellschaft und Konzernen mit ausländischer Konzernobergesellschaft angezeigt ist, sieht § 138a Abs. 4 AO Rückausnahmen von der Befreiung des § 138a Abs. 1 S. 2 AO vor (sog. secondary mechanism).121 § 138a Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet eine einbezogene inländische Gesellschaft dazu, einen länderbezogenen Bericht an das BZSt zu übermitteln, wenn die ausländische Konzernobergesellschaft nach § 138a Abs. 1 AO zur Erstellung und Übermittlung des CbCR wäre, wenn sie 115
BT-Drs. 18/9536, S. 40. BT-Drs. 18/9536, S. 39 f. 117 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (842). 118 Anscheinend a.A. Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (341). 119 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 39. 120 Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: Der Konzern 2016, 338 (340). 121 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 39. 116
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hätte (sekundäre Mitteilungspflicht). Voraussetzung für die Übermittlungspflicht ist zudem, dass ein länderbezogener Bericht des betreffenden ausländischen Konzerns nicht an das BZSt übermittelt wurde.122 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll es nicht darauf ankommen, ob im Ansässigkeitsstaat einer ausländischen Konzernobergesellschaft i.S.d. § 138a Abs. 3 AO eine mit § 138a Abs. 1 AO und der internationalen Verabredung vergleichbare gesetzliche Verpflichtung besteht, ob mit dem ausländische Staat der ausländischen Konzernobergesellschaft i.S.d. § 138a Abs. 3 AO eine Vereinbarung über den Informationsaustausch besteht oder ob ein vereinbarter Informationsaustausch mit einem ausländischen Staat auch tatsächlich durchgeführt wird.123 Auf die Gründe für die fehlende Übermittlung kommt es also nicht an.124 Wenn aber die Gründe für die fehlende Übermittlung gerade auch außerhalb des Verantwortungsbereichs des Konzerns liegen können, bspw. weil der länderbezogene Bericht der ausländischen Konzernobergesellschaft von einem ausländischen Staat im Rahmen des Informationsaustausches tatsächlich nicht an das BZSt übermittelt wurde, erscheint fraglich, ob einbezogene inländische Konzerngesellschaften nicht grds. davon ausgehen dürfen, dass der länderbezogene Bericht übermittelt wird, wenn ihnen nicht ausnahmsweise Gründe dafür bekannt sind, dass eine Übermittlung nicht stattfindet. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll jede einbezogene inländische Konzerngesellschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherstellen, dass der länderbezogene Bericht für den Konzern innerhalb der Frist des § 138a Abs. 6 AO an das BZSt übermittelt wird.125 Dass sich die einbezogene inländische Konzerngesellschaft nicht ohne Weiteres darauf verlassen darf, dass eine Übermittlung an das BZSt erfolgt, ergibt sich zudem e contrario aus der Sonderregelung des § 138a Abs. 4 S. 4 AO. Einbezogene inländische Konzerngesellschaften haben daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten eigenverantwortlich sicherzustellen, dass eine Übermittlung des länderbezogenen Berichts an das BZSt erfolgt. Auch bei der Rückausnahme des § 138a Abs. 4 S. 1 AO gibt es keine Pflicht zur Erstellung,126 sondern lediglich zur Übermittlung des länderbezogenen Berichts. Ob
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In der Regelung des § 138a Abs. 4 S. 1 AO fehlt m. E. ein Hinweis auf den für das Entstehen der sekundären Mitteilungspflicht maßgeblichen Zeitpunkt. Wenngleich sich aus dem Gesamtzusammenhang und insb. aus § 138a Abs. 4 S. 3 AO entnehmen lässt, dass augenscheinlich die Frist des § 138a Abs. 6 S. 1 AO gelten soll, wäre eine gesetzgeberische Klarstellung wünschenswert. 123 BT-Drs. 18/9536, S. 39. 124 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (843). 125 BT-Drs. 18/9536, S. 40. Völlig unklar ist jedoch, inwiefern die inländische Konzerngesellschaft dadurch erreichen kann, „dass der automatische Informationsaustausch auf EUEbene […] zeitgerecht erfolgt“, wie es in der weiteren Gesetzesbegründung heißt. 126 Die Begründung des BT-Drs. 18/9536, S. 40, wonach § 138a Abs. 1 S. 1 AO zur Erstellung des länderbezogenen Berichts verpflichten soll, vermag nicht zu überzeugen.
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die einbezogene inländische Konzerngesellschaft den Bericht beschafft oder erstellt, obliegt dem Konzern.127 Die Übermittlung des länderbezogenen Berichts durch eine inländische einbezogene Konzerngesellschaft hat gem. § 138a Abs. 4 S. 2 AO befreiende Wirkung für die übrigen einbezogenen inländischen Gesellschaften. Allerdings ist mit dem Teleos des § 138a Abs. 4 AO eine Erweiterung auch auf Übermittlungen durch eingebundene ausländische Konzerngesellschaften zumindest erwägenswert.128 Die einbezogenen in- und ausländischen Konzerngesellschaften können sich dann abstimmen, welche von ihnen die Übermittlungspflicht erfüllt. Kann eine nach § 138a Abs. 4 S. 1 AO verpflichtete einbezogene inländische Konzerngesellschaft129 die fristgerechte Übermittlung des länderbezogenen Berichts nicht sicherstellen, insb., weil sie diesen weder beschaffen noch erstellen kann, so hat sie dies dem BZSt gem. § 138a Abs. 4 S. 3 AO mitzuteilen. Ein solcher Fall ergibt sich bspw., wenn sich die ausländische Konzernobergesellschaft weigert, den Bericht in ihrem Ansässigkeitsstaat abzugeben, ihn der betreffenden einbezogenen inländischen Konzerngesellschaft zu übermitteln oder der einbezogenen inländischen Konzerngesellschaft alle für die Erstellung notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen.130 Darüber hinaus hat die einbezogene inländische Konzerngesellschaft innerhalb der Frist des § 138a Abs. 6 S. 1 AO alle Angaben i.S.d. § 138a Abs. 2 AO zu machen, über die sie verfügt oder die sie beschaffen kann, falls sie den länderbe127
Bei § 138a Abs. 4 S. 1 AO wird dieser Befund durch den Wortlaut des § 138a Abs. 4 S. 3 AO gestützt: „Kann eine […] Konzerngesellschaft […] die Übermittlung […] nicht sicherstellen, […] weil sie den länderbezogenen Bericht weder beschaffen noch erstellen kann […].“ 128 Wenngleich die Übermittlung durch eine ausländische einbezogene Konzerngesellschaft vom Wortlaut der Vorschrift ausgehend keine befreiende Wirkung hat, so ist eine befreiende Wirkung jedoch mit dem Teleos des § 138a Abs. 4 AO anzunehmen. Dieser soll nicht in erster Linie die einbezogenen inländischen Konzerngesellschaften zur Erstellung und Übermittlung des länderbezogenen Berichts verpflichten, sondern lediglich ein sich aus der formellen Territorialität folgendes Rechtsdurchsetzungsdefizit beheben. Den einbezogenen inund ausländischen Konzerngesellschaften bleibt es so überlassen, sich abzustimmen, welche Gesellschaft den länderbezogenen Bericht (erstellt und) an das BZSt übermittelt. Dieses Ergebnis wird auch vom Wortlaut des § 138a Abs. 4 S. 1 AO getragen, weil es danach für die Verpflichtung der einbezogenen inländischen Konzerngesellschaft nicht darauf ankommt, durch wen der länderbezogene Bericht an das BZSt übermittelt wurde. Es ließe sich daher gar vorbringen, dass der Anwendungsbereich des § 138a Abs. 4 AO in einem solchen Fall überhaupt nicht eröffnet ist, wobei § 138a Abs. 4 S. 2 AO bei diesem Verständnis gar kein Regelungsgehalt mehr zukäme. Darin läge jedoch eine Tautologie, weil die Übermittlung durch eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft ihre eigene Verpflichtung entfallen lassen würde. Letztlich ist eine Änderung des Gesetzeswortlauts des § 138a Abs. 4 S. 2 AO wünschenswert. 129 Die Pflichten des § 138a Abs. 4 S. 3 AO betreffen alle eingebundenen inländischen Konzerngesellschaften, soweit ihre Übermittlungspflicht nicht nach § 138a Abs. 4 S. 2 AO entfallen ist. Die Gesetzesbegründung, wonach die Wirkung des § 138a Abs. 4 S. 2 AO auch insoweit gelten soll, vermag insb. unter Berücksichtigung des S. 4, der gerade nicht auf die Übermittlung durch die ausländische Konzernobergesellschaft abstellt, nicht zu überzeugen; a.A. wohl Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (843). 130 BT-Drs. 18/9536, S. 40.
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zogenen Bericht weder beschaffen noch erstellen kann. Wenn die sekundär mitteilungspflichtige Gesellschaft davon ausgehen konnte, dass der länderbezogene Bericht fristgerecht übermittelt wird,131 hat sie gem. § 138a Abs. 4 S. 4 AO ihre Pflichten binnen eines Monats132 nach Bekanntwerden der Nichtübermittlung zu erfüllen. Schließlich treffen die Pflichten des § 138a Abs. 4 AO gem. § 138a Abs. 4 S. 5 AO auch inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen, die als ausländische Konzernobergesellschaft oder als einbezogene ausländische Konzerngesellschaft in einen Konzernabschluss einbezogen werden. Durch die sekundäre Mitteilungspflicht wird ein Mechanismus implementiert, der inländische Konzerngesellschaften einer ausländischen Konzernobergesellschaft mit konsolidierten Umsatzerlösen von mehr als (umgerechnet) 750 Mio. Euro sowie entsprechende inländische Betriebsstätten dazu anhält, sicherzustellen, dass dem BZSt der länderbezogene Bericht übermittelt wird, sei es durch eine ausländische Behörde oder unmittelbar durch eine einbezogene Konzerngesellschaft bzw. Betriebsstätte des Konzerns.133 (d) Sonderregelung des § 138a Abs. 5 S. 3 AO Einbezogene inländische Konzerngesellschaften haben nach § 138a Abs. 5 S. 2 AO anzugeben, bei welcher Finanzbehörde und von welchem Unternehmen der länderbezogene Bericht des Konzerns abgegeben wird. Fehlt diese Angabe, wird die Gesellschaft bzw. Betriebsstätte (§ 138a Abs. 5 S. 4 AO) selbst zur fristgerechten Übermittlung des länderbezogenen Berichts verpflichtet.134 (e) Zusammenfassung Der Adressatenkreis der Regelungen zum Country-by-Country Reporting135 weicht damit von den zur Erstellung des Master- und Local-Files verpflichteten Personen ab: Während es bei § 90 Abs. 3 AO im Kern darauf ankommt, ob sich Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehen, bedarf es für die Verpflichtung zur 131 Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es dabei nicht darauf an, ob die einbezogene Konzerngesellschaft davon ausgehen konnte, dass die Übermittlung durch die ausländische Konzernobergesellschaft oder durch eine andere einbezogene inländische Konzerngesellschaft erfolgt. 132 Kritisch hinischtlich der Erfüllbarkeit dieser Monatsfrist PwC, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 5. September 2016. 133 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (843). 134 Obwohl sich aus teleologischen Gesichtspunkten begründen lässt, dass die Mitteilungspflicht des § 138a Abs. 5 S. 2 AO kaum weiter reichen kann als die des § 138a Abs. 4 AO erscheint eine Übernahme des § 138a Abs. 4 S. 3 AO in § 138a Abs. 5 AO als gesetzgeberische Klarstellung wünschenswert. 135 Ein anschauliches Schaubild zeigen Axel Nientimp/Stefan Stein/Christian Schwarz, in: Ubg 2016, 399 (401).
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Erstellung des länderbezogenen Konzernberichts verbundener Unternehmen i.S.d. § 290 HGB. (2) Inhalt des länderbezogenen Konzernberichts In § 138a Abs. 2 AO wird der Inhalt des länderbezogenen Berichts festgelegt. Dieser besteht danach aus drei Teilen: Einer nach Steuergebietshoheiten gegliederten Übersicht der Verteilung der Geschäftstätigkeit des Konzerns, einer Auflistung der konzernzugehörigen Unternehmen und Betriebsstätten sowie optional zusätzlichen Informationen. (a) Verteilung der Geschäftstätigkeit des Konzerns § 138a Abs. 2 Nr. 1 Bstb. a) – j) AO normieren die einzelnen Positionen, die die nach Steuergebietshoheiten gegliederte Übersicht der Verteilung der Geschäftstätigkeit des Konzerns des länderbezogenen Berichts enthalten sollen, namentlich: Die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Unternehmen sowie fremden Unternehmen, die Summe aus den Umsatzerlösen und sonstigen Erträgen, die im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragsteuern, die im Wirtschaftsjahr für dieses Wirtschaftsjahr gezahlten und zurückgestellten Ertragsteuern, das Jahresergebnis vor Ertragsteuern, das Eigenkapital, der einbehaltene Gewinn, die Zahl der Beschäftigten und die materiellen Vermögenswerte. Umsatzerlöse und sonstige Erträge (revenues) sind die Summe der Erlöse aller Unternehmen und Betriebsstätten, die in den Konzernabschluss einbezogen werden. Das umfasst auch die Erlöse aus dem Verkauf von Vorratsvermögen und von Liegenschaften, aus Dienstleistungen, aus Lizenzgebühren, aus Zinsen und aus Prämien sowie alle etwaigen sonstigen Beträge,136 jedoch nicht Dividenden.137 Die im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragssteuern (income tax paid) umfassen alle Steuern, unabhängig davon, für welches Besteuerungszeitraum sie gezahlt wurden.138 Eine Periodenabgrenzung findet nicht statt. Fraglich erscheint jedoch, in wie weit auch in- oder ausländische Quellensteuerabzüge zu berücksichtigen und ob diese beim Zahlenden oder beim Steuerschuldner auszuweisen sind.139 Bei den für das Wirtschaftsjahr gezahlten und zurückgestellten Ertragssteuern (income tax accrued) ist hingegen eine Periodenabgrenzung vorzunehmen, sodass diese ohne den
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BT-Drs. 18/9536, S. 38. Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (845). 138 Nach der Gesetzesbegründung sollen für alle Vorjahre gezahlte Ertragsteuer, nicht aber für kommende Jahre gezahlte Ertragsteuern berücksichtigt werden, vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 38. Für ein solches Verständnis finden sich aber weder grammatikalische noch teleologische Anhaltspunkte, sodass vielmehr alle gezahlten Steuern zu berücksichtigen sind. 139 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (845); vgl. zur OECD-Empfehlung auch Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen/Niklas Färber, in: DB 2016, 972 (980). 137
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Ausweis latenter Steuern anzugeben sind. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den beiden Positionen besteht aufgrund der unterschiedlichen Zeitbezüge nicht. Eine weitere Position des länderbezogenen Berichts bildet das Jahresergebnis vor Ertragssteuern (profit or loss before income tax). Nach § 138a Abs. 2 Nr. 1 Bstb. g) AO enthält die Übersicht auch das Eigenkapital. Unklar ist allerdings, was in diesem Zusammenhang mit dem Begriff des Eigenkapitals gemeint ist. Während das Eigenkapital nach § 266 Abs. 3 HGB aus dem gezeichneten Kapital, der Kapitalrücklage, der Gewinnrücklagen (gesetzliche Rücklage, Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen, satzungsmäßige Rücklagen und andere Gewinnrücklagen), dem Gewinn- bzw. Verlustvortrag und dem Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag besteht, verweist die Gesetzesbegründung140 ebenso wie die OECD-Empfehlungen und die EU-Amtshilferichtlinie auf das gezeichnete Kapital (stated capital) ohne Kapitalund Gewinnrücklagen, Gewinn- und Verlustvorträge oder Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag,141 sodass hier wohl auf diese Größe abzustellen ist. Darüber hinaus ist im länderbezogenen Bericht der einbehaltene Gewinn zum Jahresende (accumulated earnings) anzugeben. Anhand von vollzeitäquivalent Beschäftigten (full-time equivalent) ist die Anzahl der Beschäftigten zum Jahresende auszuweisen (number of employees). Zudem muss der Bericht die Summe des Nettobuchwerts der materiellen Vermögenswerte des Anlage- und Umlaufvermögens ohne flüssige Mittel, immaterielle Vermögenswerte oder Finanzwerte (tangible assets other than cash and cash equivalents) enthalten. Auf welcher Grundlage die Daten des § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO aggregiert werden sollen, bleibt offen. In Anbetracht des Wortlauts „ausgehend vom Konzernabschluss des Konzerns“ in § 138a Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 AO ließe sich vermuten, dass eine Entkonsolidierung vorzunehmen ist.142 Nach der Vorstellung der OECD und der EU ist es allerdings weder notwendig, Erträge, Gewinne und Steuern mit dem Konzernabschluss zu harmonisieren noch erforderlich, Anpassungsrechnungen bei unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards vorzunehmen.143 Sinnvollerweise ist die Auswahl der jeweiligen Datenquellen eine Entscheidung des berichtenden Un-
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BT-Drs. 18/9536, S. 38. Stephan Rasch/Susanne Tomson, in: IWB 2016, 483 (486); Stephan Rasch/Katharina Mank/Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 ( 427) zeigen sich überrascht, dass die OECD nicht an die Terminologie anerkannter Rechnungslegungsstandards orientiert hat. 142 Vgl. Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (845). 143 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, Kapitel V, Annex III, B., Source of data; Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, Anhang III, Abschnitt III, B., 4. Datenquellen. 141
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ternehmens, wobei eine konsistente Datenerhebung und Anwendung gewährleistet sein muss.144 (b) Zugehörige Unternehmen und Betriebsstätten Nach § 138a Abs. 2 Nr. 2 AO besteht der länderbezogene Bericht ferner aus einer nach Steuerhoheitsgebieten gegliederten Auflistung aller Unternehmen und Betriebsstätten, zu denen Angaben in der vorgenannten Übersicht erfasst sind. Dabei sind für alle Konzernunternehmen und -betriebsstätten Angaben zu deren wichtigsten Geschäftstätigkeiten zu machen. Nach der Gesetzesbegründung145 und dem Abschlussbericht der OECD146 umfassen diese Forschung und Entwicklung, Besitz oder Verwaltung von geistigem Eigentum, Einkauf oder Beschaffung, Verarbeitung oder Produktion, Verkauf, Marketing oder Vertrieb, Verwaltungs-, Managementoder Supportleistungen, Erbringung von Dienstleistungen für unverbundene Dritte, konzerninterne Finanzierung, Besitz von Aktien oder anderen Wertpapieren mit Beteiligungscharakter sowie eine ruhende Tätigkeit. (c) Zusätzliche Informationen Schließlich enthält der länderbezogene Bericht gem. § 138a Abs. 2 Nr. 3 AO einen ergänzenden Teil, der zusätzliche Informationen enthält, die nach Ansicht der inländischen Konzernobergesellschaft zum Verständnis des übrigen Berichts erforderlich sind. Diese Informationen können vor allem dazu dienen, etwaige Rückfragen von ausländischen Finanzbehörden, die den länderbezogenen Bericht im Rahmen des automatischen Informationsaustausches erhalten, zu vermeiden.147 Vor diesem Hintergrund ist es den mitteilungspflichtigen Unternehmen zudem zu empfehlen, neben einer deutschen auch eine englische Fassung der zusätzlichen Informationen abzugeben.148 Mit Blick auf den automatischen Informationsaustausch sollte das Unternehmen auch darauf hinweisen, welche Datensätze es für Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Geschäftsgeheimnisse i.S.d. Art. 21 Abs. 2
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Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (845). BT-Drs. 18/9536, S. 38. 146 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, Kapitel V, Annex III, C., Main Business Activity(ies). 147 Mit einem Anwendungsbeispiel OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Leitlinien zur Umsetzung der la¨ nderbezogenen Berichterstattung, Aktionspunkt 13 – Dezember 2016, S. 8. 148 § 87 Abs. 1 AO bestimmt Deutsch als Amtssprache, sodass ohne gesonderte Regelung nicht davon ausgegangen werden kann, dass lediglich englischsprachige zusätzliche Informationen den Anforderungen des § 138a Abs. 2 Nr. 3 genügen können. Till Zech, in: IWB 2015, 924 (929) fordert daher die Einführung eines § 87 Abs. 5 AO, der gestattet, die Verrechnungspreisdokumentation und den länderbezogenen Bericht ohne Antragstellung grds. auf Englisch einzureichen. 145
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Bstb. d) AHiÜ149 hält und die nicht ins Ausland übermittelt werden sollten.150 Die zusätzlichen Informationen können zudem transparent machen, welche Datenquellen die Grundlage des länderbezogenen Berichts bilden.151 (d) Zusammenfassung Während die ersten beiden Informationsbereiche in Übereinstimmung mit dem international vereinbarten Mindeststandard152 und den Anforderungen der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie153 eine allgemeine, überschlägige Einschätzung des Risikos von sachlich nicht gerechtfertigten Einkünfteverlagerungen multinationaler Unternehmensgruppen insb. durch Verrechnungspreise ermöglichen sollen,154 haben die Angaben des letzten Informationsbereichs lediglich erklärenden Charakter. (3) Folgen des Verstoßes gegen die Vorlagepflicht des § 138a AO Eine Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Erstellung des länderbezogenen Konzernberichts im Rahmen des § 162 AO scheidet in Anbetracht der Verortung in § 138a AO aus.155 Eine Verletzung der Pflichten zum CbCR wird allerdings durch die Bußgeldvorschriften des neu eingeführten § 379 Abs. 2 Nr. 1c AO sanktioniert. Ordnungswidrig handelt danach, wer vorsätzlich oder leichtfertig seinen Übermittlungs- oder Mitteilungspflichten nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt. (4) Bedenken gegen das Country-by-Country Reporting Gegen die Einführung des CbCR auf nationaler Ebene werden sowohl rechtliche als auch politische Bedenken vorgebracht.156 149 Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen; in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 16. Juli 2015. 150 Roman Seer, in: IWB 2016, 6 (13); Marisa Baltromejus, in: European Taxation 2017, 42; dazu auch auf S. 166 f. 151 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Christian Engelen, in: IStR 2016, 840 (845). 152 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, Kapitel V, Annex III. 153 Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 4). 154 BT-Drs. 18/9536, S. 38. 155 Axel Nientimp/Stefan Stein/Christian Schwarz, in: Ubg 2016, 399 (403); zur Anwendung des § 162 AO im Bereich der Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO siehe S. 123. 156 Für die Praxis sei auf die Ausführungen im Wortprotokoll der 91. Sitzung des Finanzausschusses am 19. Oktober 2016, Protokoll-Nr. 18/91 verwiesen.
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Aus verfassungsrechtlicher Perspektive steht vor allem die Frage im Raum, ob die neuen Dokumentationspflichten den Verhältnismäßigkeitsanforderungen gerecht werden können. Dem Steuerpflichtigen dürfen grds. nur solche Aufzeichnungspflichten auferlegt werden, die für die Steuererhebung, -kontrolle oder zur Verfolgung eines sonstigen legitimen steuerlichen Zwecks geeignet, erforderlich und in ihrer Belastungswirkung angemessen sind. Wenn aber OECD, Europäische Union und Gesetzgeber selbst davon ausgehen, dass die erhobenen Daten für den Fremdvergleich nicht benötigt werden, scheidet eine Rechtfertigung mit dem Erfordernis der steuerlichen Überprüfung von Verrechnungspreisen aus. Von der OECD wird angegeben, dass es sich beim CbCR vielmehr um ein zusätzliches Werkzeug zur Identifikation von Verrechnungspreisrisiken, zur Risikoeinschätzung von Gewinnkürzungen und -verlagerungen sowie zur statistischen und ökonomischen Analysezwecken handele.157 Obwohl der länderbezogene Bericht nicht für die Steuererhebung herangezogen wird, dient er der Verwirklichung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung, indem der Bericht jedenfalls zur im steuerlichen Massenverfahren erforderlichen Risikoeinschätzung158 und damit zur wirksamen Steuerkontrolle beitragen soll. Zugleich wird mit der Einführung des CbCR ein Lenkungszweck verfolgt. Die erhöhte Transparenz soll „für multinationale Unternehmensgruppen einen Anreiz schaffen, bestimmte Praktiken aufzugeben und ihren gerechten Anteil am Steueraufkommen in dem Land zu entrichten, in dem die Gewinne erzielt werden.“159 Was den „gerechten Anteil am Steueraufkommen“ von der mit den nationalen Besteuerungsbestimmungen in Einklang stehenden Steuerschuld unterscheiden soll, bleibt indes unklar. Weil damit aber offensichtlich nicht das Gleiche gemeint sein soll, kann die beabsichtigte Lenkung m. E. schon nicht dem Legitimitätserfordernis genügen. Die Aufgabe „bestimmter“160 durch das materielle Steuerrecht als rechtmäßig anerkannter Praktiken kann nicht legitimer Lenkungszweck der steuerlichen Verfahrensvorschriften sein. Eine derartige Dichotomie der Steuergesetzgebung ist zu verhindern. Ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck ist daher nur in der Schaffung eines Werkzeugs zur Identifikation von Verrechnungspreisrisiken und Risikoeinschätzung von Gewinnkürzungen und -verlagerungen zu erkennen. Mit Blick auf das Geeignetheitskriterium ist die Aussagekraft der anzugebenden Kennzahlen des länderbezogenen Berichts als Indikator für Verrechnungspreisrisi157 OECD, Base Erosion and Profit Shifting Project, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – 2015 Final Report, Kapitel V, Annex III, C., 3., Country-by-Country Reporting, Rn. 25; kritisch dazu Reimar Pinkernell, in: FR 2014, 964 (971). 158 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 2. 159 Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 4), Erwägungsgrund Nr. 4. 160 Die Verwendung des Begriffs „bestimmt“ sieht sich selbst insb. dem Vorwurf der eigenen Unbestimmtheit augesetzt.
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ken fraglich. Verrechnungspreise sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu bestimmen, der im Wesentlichen auf den Ort der Erzeugung eines Produkts oder einer Dienstleistung – also die Quelle der Wertschöpfung und damit qualitative Kriterien – abstellt. Die beim CbCR erhobenen quantitativen Kennzahlen wie Umsatz, gezahlte Steuern oder Zahl der Mitarbeiter (auch als Key Performance Indicator, abgek. KPI, bekannt) sind damit nicht sinnvoll in Zusammenhang zu bringen. Das CbCR lässt deshalb anerkanntermaßen keine Rückschlüsse auf einzelne Verrechnungspreisfälle zu.161 Es ist nicht ersichtlich, wie anhand dieser für die Ermittlung des Einzelfalls ungeeigneten Zahlen zugleich auf mögliche strukturelle Verrechnungspreisrisiken zu schließen sein soll. Die Kennzahlen des CbCR geben nicht im geringsten Hinweise auf den Ort der Quelle der Wertschöpfung; insb. bleiben die bei der Verrechnungspreisgestaltung regelmäßig in die Kritik geratenen immateriellen Wirtschaftsgüter ausdrücklich außer Betracht.162 Nur in Ausnahmefällen wird es daher anhand des CbCR gelingen, Risiken der Verrechnungspreisgestaltung zu identifizieren. Weil aber gerade Verrechnungspreisgestaltungen oft den Ausgangspunkt von Gewinnkürzungen oder -verlagerungen bilden, lässt sich auch nicht nachvollziehen, wie das CbCR insofern strukturell zur Entdeckung beitragen soll.163 Der rein quantitative Ansatz des CbCR ist daher grds. nicht zur Risikoidentifikation geeignet – weder bei Verrechnungspreisen noch bei Gewinnkürzungen und -verlagerungen. Die Legitimität des verfolgten Lenkungszwecks unterstellt, würden auch diesbezüglich die Geeignetheitskriterien nicht erfüllt. Der „gerechte Anteil am Steueraufkommen“ ergibt sich aus den Gewinnen, die sich aus der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ermitteln lassen. Andere Kennzahlen sind keine Kriterien für eine Ertragsbesteuerung nach dem geltenden Besteuerungssystem. Genau solche anderen Kennzahlen werden mit dem länderbezogenen Bericht allerdings aggregiert. Diese Zahlen geben keinen Aufschluss über die geschuldete Steuer. Lässt man die wenigen Ausnahmefälle, in denen das CbCR zur Bestimmung von Verrechnungspreisrisiken oder Gewinnkürzungen und -verlagerungen beitragen kann, für die Geeignetheit genügen und unterstellt, dass weniger eingriffsintensive, aber gleich geeignete Mittel nicht zur Verfügung stehen, scheiterte die Pflicht zur Erstellung des länderbezogenen Berichts jedenfalls an den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Angemessenheit. Ausnahmefälle vermögen die vorbehaltslose Auferlegung einer so weitreichenden Informationspflicht, wie sie durch das CbCR bestimmt wird, nicht zu begründen. Der erhebliche Aufwand zur Aggregation des
161 Insofern sei erneut darauf hingewiesen, dass OECD, Europäische Union und der Bundesgesetzgeber ebenfalls davon ausgehen, dass die im länderbezogenen Bericht enthaltenen Informationen als solche nicht dazu geeignet sind, die Unangemessenheit von Verrechnungspreisen zu belegen. 162 Reimar Pinkernell, in: FR 2014, 964 (971). 163 Reimar Pinkernell, in: FR 2014, 964 (971); ähnlich Stephan Rasch/Katharina Mank/ Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 (428).
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länderbezogenen Berichts164 steht einem äußerst geringen Informationswert gegenüber und ist letztlich unangemessen. Daher kann die Einführung des CbCR m. E. nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots genügen.165 Zudem wird den Kennzahlen des länderspezifischen Berichts auch eine nur ganz allgemeine Aussagekraft abgestritten, bspw., weil der Zusammenhang zwischen den in einer Steuerjurisdiktion gezahlten Steuern und dem Länderergebnis eines Geschäftsjahres an so vielen Stellen derart durchbrochen sei, dass diese beiden Größen nicht sinnvoll zueinander in Beziehung gesetzt werden können.166 Insb. die Vergleichbarkeit und damit auch die Nützlichkeit der Daten zu überhaupt irgendeinem Zwecke könne gar nicht gewährleistet werden, solange die Wahl der Quelle ins Ermessen des Steuerpflichtigen gestellt sei.167 Mit der zu befürchtenden national divergierenden Implementierung des Reportings, werde dieser Effekt noch weiter verstärkt.168 Letztlich stehe zu befürchten, dass die Einführung des CbCR gar zu weiteren Fällen der Doppelbesteuerung führe.169 Regelmäßig werden darüber hinaus erhebliche (steuer-)politische Bedenken geäußert. Weil die erhobenen Zahlen steuerlichen Zwecken nicht zu dienen vermögen, müssten andere Gründe die Triebfeder der vehementen Forderung nach mehr Transparenz seien. Insb. Entwicklungsländer würden wegen des rein quantitativen Ansatzes des länderbezogenen Berichts und der damit zu Tage tretenden vermeintlich ungerechten Verteilung des Steueraufkommens in Zukunft einen deutlich
164 Der Nationale Normenkontrollrat geht von einem jährlichen Erfüllungsaufwand von 536.000 Euro aus (BT-Drs. 18/9536, S. 63) während der Arbeitskreis „Verrechnungspreise“ der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. einen jährlichen Erfüllungsaufwand von bis zu 25 Millionen Euro berechnet hat (Stellungnahme von Werner Thumbs als Sachverständiger zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 14. Oktober 2016). 165 Angesichts dieser „Zweckverfehlung“ fragt Reimar Pinkernell in seiner Stellungnahme als Sachverständiger zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EUAmtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 13. Oktober 2016 gar, ob die Änderung der EU-Amtshilferichtlinie überhaupt auf einer ausreichenden unionsrechtlichen Rechtsgrundlage beruhe. Der in der Richtlinie (EU) 2016/881 herangezogene Art. 115 AEUV würde jedenfalls eine Stärkung des Vollzugs des in allen EUMitgliedstaaten geltenden Fremdvergleichsgrundsatzes erfordern, nicht aber die Aufstellung alternativer Zahlenwerke, die für den Vollzug der Steuergesetze weitgehend nutzlose Daten enthielten. 166 Vgl. Stephan Rasch/Katharina Mank/Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 (428). 167 Stephan Rasch/Katharina Mank/Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 (428). 168 Stephan Rasch/Katharina Mank/Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 (428). 169 Reimar Pinkernell, in: FR 2014, 964 (971); Stephan Rasch/Katharina Mank/Susanne Tomson, in: IStR 2015, 424 (428); so wohl auch der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Finanzausschuss des Bundesrates in ihrer Empfehlung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, BR-Drs. 658/1/16.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
größeren Teil vom Steueraufkommen verlangen.170 So können Länder, die deutsche Produkte importierten, einen höheren Anteil am Besteuerungssubstrat erwarten, wenn Konzerne die steuerlichen Gewinne pro Land berichten müssten.171 In diesem Zusammenhang wird bspw. auf den Volkswagen-Konzern verwiesen, der nur ca. 13 Prozent seiner Fahrzeuge in Deutschland verkaufe, aber 50 Prozent seiner Ertragsteuern hierzulande bezahle.172 Deshalb wird vor einer deutlichen Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen und volkswirtschaftlichen Schäden gewarnt.173 In der Konsequenz könne die Einführung den Abschied vom etablierten System der qualitativen geschäftsvorfallbezogenen Gewinnabgrenzung mithilfe von Verrechnungspreisen und die Einführung einer formelhaften Aufteilung der Konzerngewinne anhand quantitativer Größen einläuten.174 Tatsächlich ist zu erwarten, dass das CbCR den bereits laufenden Diskussionen über die gerechte Verteilung des Besteuerungssubstrats Vorschub leisten wird. (5) Zusammenfassung Anders als die Erweiterung der Dokumentationspflichten dient das CbCR nicht der Sachverhaltsermittlung im Einzelfall. Gerade aus diesem Grund wird dessen Einführung insb. von der steuerberatenden Praxis (zurecht) äußerst kritisch beäugt.175 Es wird vor allem befürchtet, dass die erhobenen Daten ein signifikantes Risiko neuer zwischenstaatlicher Verteilungskonflikte schaffen.176 Letztlich ist zu konstatieren, dass die Einführung des CbCR für die betroffenen Unternehmen einen erheblichen zusätzlichen Befolgungsaufwand bedeutet, derzeit aber nur in Einzelfällen ein Nutzen bei der Ermittlung steuerlicher Sachverhalte bringt und auch im Übrigen keinen nennenswerten steuerlichen Mehrwert erkennen lässt.
170
Vgl. Norbert Herzig, in: Festschrift für Gosch, S. 151 (158 f.), Detlev Piltz, in: IStR 2015, 529 (531); ders., in: IStR 2013, 681 (682); Christoph Watrin/Martin Thomsen/Falko Weiß, in: IStR 2016, 397 (400); zudem sei auf die Ausführungen von Reimar Pinkernell und Werner Thumbs im Finanzausschuss verwiesen, Wortprotokoll der 91. Sitzung des Finanzausschusses am 19. Oktober 2016, Protokoll-Nr. 18/91, S. 23, 25. 171 Christoph Watrin/Martin Thomsen/Falko Weiß, in: IStR 2016, 397 (400). 172 Vgl. Detlev Piltz, in: IStR 2015, 529 (531); weitere Beispiele finden sich im Wortprotokoll der 91. Sitzung des Finanzausschusses am 19. Oktober 2016, Protokoll-Nr. 18/91. 173 Christoph Watrin/Martin Thomsen/Falko Weiß, in: IStR 2016, 397 (400 f.). 174 Reimar Pinkernell und Werner Thumbs im Finanzausschuss, Wortprotokoll der 91. Sitzung des Finanzausschusses am 19. Oktober 2016, Protokoll-Nr. 18/91; Norbert Herzig, in: Festschrift für Gosch, S. 151 (159) befürchtet insofern eine Erosion des Fremdvergleichsgrundsatzes. 175 Beispielhaft sei auf die Ausführungen von Reimar Pinkernell und Werner Thumbs im Finanzausschuss verwiesen, Wortprotokoll der 91. Sitzung des Finanzausschusses am 19. Oktober 2016, Protokoll-Nr. 18/91. 176 BR-Drs. 658/1/16; Reimar Pinkernell, in: FR 2014, 964 (970).
A. Innerstaatliche Ermittlungsmöglichkeiten
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c) Übrige Pflichten des Steuerpflichtigen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Im Übrigen treffen den Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten weitere spezielle Auskunftspflichten, die der Sachverhaltsermittlung dienen. § 138 Abs. 2 S. 1 AO normiert eine Anzeigepflicht bestimmter Auslandssachverhalte. Inländische Steuerpflichtige haben nach dessen Satz 1 dem zuständigen Finanzamt innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis (§ 138 Abs. 4 AO) mitzuteilen: die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebstätten im Ausland (§ 138 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO); den Erwerb, die Aufgabe oder die Veränderung einer Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften (Nr. 2); den Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz und Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs der Abgabenordnung, wenn damit eine Beteiligung von mindestens zehn Prozent am Kapital oder am Vermögen der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse erreicht wird oder die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150.000 Euro beträgt (Nr. 3); die Tatsache, dass sie allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO ausüben können (Nr. 4); die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs, der Betriebstätte, der Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung, Vermögensmasse oder der Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO (Nr. 5). Dabei sind gem. § 138 Abs. 2 S. 2 AO unmittelbare und mittelbare Beteiligungen in den Fällen des § 138 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO zusammenzurechnen. Die Anzeigepflicht gilt damit unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige an dem Unternehmen formal beteiligt ist oder nicht. Es ist unerheblich, ob und ggf. in welchem Umfang die Gesellschaft nennenswerte wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet.177 Bei Verletzung dieser Mitteilungspflicht wird der Anlauf der steuerlichen Festsetzungsfrist und insoweit der Eintritt der Festsetzungsverjährung gehemmt (§ 170 Abs. 7 AO). Die Pflichtverletzung kann gem. § 379 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 AO zugleich mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro geahndet werden. Die Anzeigepflicht des § 138 Abs. 2 S. 1 AO soll den Finanzbehörden die Möglichkeit eröffnen, steuerrelevante Sachverhalte mit Auslandsbezug früher und besser zu erkennen,178 zugleich aber auch den Einsatz von sog. Briefkastenfirmen zur Steuerumgehung verhindern.179 In § 160 Abs. 1 AO wird der Steuerpflichtige darüber hinaus zur Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern von Schulden, anderen Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben verpflichtet, um deren steuerliche Berücksichtigung zu gewährleisten. Mit § 16 Abs. 1 AStG wird die Regelung des 177 178 179
Vgl. BT-Drs. 18/11132, S. 1; Karl-Heinz Günther, in: AO-StB 2017, 1 (1). Peter Bilsdorfer, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 1 (10 ff.). Vgl. BT-Drs. 18/11132, S. 1.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
§ 160 Abs. 1 AO für Geschäftsbeziehungen mit einer ausländischen Gesellschaft oder einer im Ausland ansässigen Person oder Personengesellschaft verschärft. Werden die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft oder einer im Ausland ansässigen Person oder Personengesellschaft, die in Zusammenhang mit den Geschäftsbeziehungen zu dem Steuerpflichtigen nicht oder nur unwesentlich besteuert, ist der Gläubiger oder Empfänger i.S.d. § 160 Abs. 1 AO erst dann genau bezeichnet, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und der Gesellschaft oder Person bestehen und bestanden haben. Im Unterschied zu § 160 Abs. 1 AO verlangt § 16 AStG also nicht nur Angaben zur Person des Gläubigers oder Zahlungsempfängers, sondern zu allen Umständen, die für die Beurteilung einer solchen Geschäftsbeziehung bedeutsam sein können.180 Insb. können das Angaben zur Rechtsform, Beteiligungsstruktur oder zu den wirtschaftlichen Aktivitäten und wesentlichen unternehmensbezogenen Verträgen sein.181 § 17 AStG regelt als besondere Ausprägung der §§ 90 ff. AO, insb. der § 90 Abs. 2 S. 1, S. 2 AO,182 Eigenarten bei der Durchführung der Besteuerung unter Beteiligung einer zwischengeschalteten Gesellschaft (§ 5 AStG), einer Zwischengesellschaft (§§ 7 – 14 AStG) oder einer Familienstiftung (§ 15 AStG). § 17 Abs. 1 S. 1 AStG ergänzt die Bestimmungen der Abgabenordnung. Danach haben Steuerpflichtige für sich selbst und im Zusammenwirken mit anderen die zur Anwendung der Vorschriften der §§ 5 – 7, 15 AStG notwendigen Auskünfte zu erteilen. § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG konkretisiert insb. die Pflicht zur Erteilung von Auskünften über Geschäftsbeziehungen zu einer Zwischengesellschaft und Nr. 2 die Pflicht zur Vorlage bestimmter Dokumente. § 17 Abs. 2 AStG ergänzt die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörden nach § 162 AO für Fälle von Ermittlungsdefiziten bei Einbindung von Zwischengesellschaften. Ist eine Schätzung vorzunehmen, stehen aber keine geeigneten Anhaltspunkte dafür zur Verfügung, ist von Zwischeneinkünften von mindestens 20 Prozent des gemeinen Werts der von den unbeschränkt Steuerpflichtigen gehaltenen Anteile auszugehen, wobei Zinsen und Nutzungsentgelte, die die Gesellschaft für überlassene Wirtschaftsgüter an die unbeschränkt Steuerpflichtigen zahlt, abzuziehen sind. 3. Mitteilungspflichten Dritter über die Beziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Drittstaat-Gesellschaften Als Reaktion auf die Veröffentlichung der so genannten „Panama Papers“ wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, abgek. StUm180
Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 160 AO, Rn. 26. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 160 AO, Rn. 26. 182 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.15; Roman Seer, in: Tipke/ Kruse, § 90 AO, Rn. 25. 181
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gBG)183 nicht nur das steuerliche Bankgeheimnis des § 30a AO aufgehoben, sondern auch die Möglichkeit von Sammelauskunftsersuchen ausgeweitet und insb. spezielle Meldepflichten für Finanzinstitute eingeführt. Diese (Verpflichtete i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 2a, 3 GWG) haben den Finanzbehörden nach § 138b AO von ihnen hergestellte oder vermittelte Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Drittstaaten-Gesellschaften i.S.d. § 138 Abs. 3 S. 2 AO mitzuteilen. Es ist unerheblich, ob die Gesellschaft eigene wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet oder nicht. Die Mitwirkungspflicht der Finanzinstitute knüpft tatbestandlich nicht an die steuerliche Beurteilung der wirtschaftlichen Aktivität der Gesellschaft an.184 Damit sind die Mitwirkungspflichten nicht auf Geschäftsbeziehungen zu Domizilgesellschaften beschränkt, sondern gelten für alle Drittstaat-Gesellschaften i.S.d. § 138 Abs. 3 S. 2 AO.185 Im Ergebnis wird die Datenbasis der Finanzbehörden zur Ermittlung von Geschäftsbeziehungen zu Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, signifikant erweitert. Wegen des damit verbundenen Entdeckungsrisikos soll in der Folge vor allem eine präventive Wirkung eintreten, die Steuerumgehungen mittels der Gründung und Nutzung von sog. Briefkastenfirmen verhindert.186 4. Anzeigepflicht zu Steuergestaltungsmodellen Maßnahme 12 des OECD-Aktionsplans gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung sieht eine Ausweitung der Mitteilungspflichten des Steuerpflichtigen bzw. seiner Berater durch Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle („Mandatory Disclosure Rules“) vor. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme, deren Umsetzung im Rahmen des BEPS-Projekts nach Auffassung der OECD zwar wünschenswert aber nicht verpflichtend ist.187
183
BGBl. I 2017, S. 1682. BT-Drs. 18/11132, S. 1 185 BT-Drs. 18/11132, S. 1 186 BT-Drs. 18/11132, S. 1. 187 Das BMF ließ die Möglichkeiten einer Umsetzung in Deutschland zunächst im Rahmen eines externen Gutachtens prüfen; vgl. Antwort der Bundesregierung v. 7. Januar 2016 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Auftragsvergabe an Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitute, BT-Drs. 18/7247, S. 2. Dennoch rechnten Sebastian Benz/Stephan Eilers, in: IStR-Beihefter 2016, 1 (16) für Deutschland nicht mit einer Umsetzung von Maßnahme 12; umfassend zu den Anforderungen an eine nationale Rechtgrundlage Hanna Hermenns/Matthias Modrzejewski/Lukas Münch/Gary Rüsch, in: IStR 2016, 803. Zum aktuellen Diskussionsstand sei verwiesen auf Hanna Hermenns/Lukas Münch, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen. 184
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Ende Juni 2017 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Einführung einer Anzeigepflicht von Steuergestaltungsmodellen vorgelegt.188 Am 5. Juni 2018 wurde die auf dem Vorschlag basierende Richtline veröffentlicht.189 Damit werden die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen bis zum 31. Dezember 2019 verpflichtet.190 Die Richtlinie sieht ein zweistufiges Verfahren vor, bei dessen ersten Schritt die Mitgliedstaaten durch entsprechende Maßnahmen sicherstellen müssen, dass Intermediäre innerhalb von fünf Tagen nach Weitergabe eines meldepflichtigen Steuerplanungsmodells an ihren Kunden dieses an die Finanzbehörden melden und dieser Mitgliedstaat im zweiten Schritt, die erhaltenen Informationen automatisch vierteljährlich über ein Zentralverzeichnis mit allen anderen Mitgliedstaaten teilt. Der Richtlinienvorschlag beschränkt sich auf potenziell aggressive Steuerplanungsmodelle, die eine grenzüberschreitende Komponente aufweisen. Der Anhang enthält eine Auflistung von Kennzeichen meldepflichtiger Modelle. Neben dem Modell sind auch Angaben zu den Intermediären und dem Steuerpflichtigen, einschließlich des Namens, der Steueransässigkeit und der Steueridentifikationsnummer (TIN) sowie gegebenenfalls solcher Personen, die als verbundene Unternehmen des Intermediärs oder des Steuerpflichtigen gelten, zu erheben bzw. zu ermitteln. Die nationalen Finanzbehörden sollen insgesamt in die Lage versetzt werden, zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken vorzugehen und Schlupflöcher durch Rechtsvorschriften oder durch geeignete Risikoabschätzungen und die Durchführung von Steuerprüfungen zu schließen. 191 Mit dieser Erwägung des Kommissionsvorschlags rückt die Aufklärung von konkreten steuerlich erheblichen Sachverhalten deutlich weiter in den Vordergrund. Bei bisherigen Modellen zu Anzeigepflichten ist eine veranlagungsunterstützende Funktion als bloßer Nebenzweck identifiziert worden.192 Zentrales Ziel bleibt aber auch bei dem Kommissionsvorschlag die Verfolgung eines rechtspolitischen Zwecks: Die Steuerverwaltungen sollen in die Lage versetzt werden, zu erkennen, ob neue Methoden zur Ausnutzung von Lücken im nationalen oder internationalen 188 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtline zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle, KOM (2017) 335 endg. 189 Richtlinie 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/ EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen (sog. DAC 6). 190 Umfassend zur Richtlinie Arne Schnitger/Thomas Brink/Timo Welling, in: IStR 2018, 513. 191 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtline zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle, KOM (2017) 335 endg., Erwägungsgrund Nr. 2. 192 Vgl. Caroline Heber, in: IStR 2017, 559 (560), Christine Osterloh-Konrad/Caroline Heber/Tobias Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergesaltungen in Deutschland, S. 15.
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Besteuerungssystem genutzt werden.193 Im Kern dient die Anzeigepflicht der frühzeitigen Kenntnisnahme von Steuergestaltungsmodellen, damit Gesetzgeber und Finanzverwaltung in die Lage versetzt werden, zeitnah auf unerwünschte Gestaltungen reagieren zu können.194 Die gegen das CbCR vorgebrachten Bedenken lassen sich sinngemäß auch gegen die Einführung einer Anzeigepflicht von Steuergestaltungsmodellen vorbringen. Die konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten. Die Vorschläge der Kommission lassen aber einen unreflektierten Aktionismus in Anbetracht des durch die Offshore Leaks (2013), die Luxembourg Leaks (2014), die Swiss Leaks (2015), die Panama Papers (2015) und Football Leaks (2016) steigenden öffentlichen Drucks erkennen. Dabei wäre gerade nach den jüngsten Entwicklungen Ruhe angemessen. Die Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie durch DAC 3 (2015) und DAC 4 (2016) sind in den meisten EU-Mitgliedstaaten erst zum Ende des Jahres 2016 bzw. durch DAC 5 erst zum Ende des Jahres 2017 umgesetzt worden und müssen noch erprobt werden. Erfahrungswerte über deren Funktionieren bestehen bisher nicht. M.E. wäre angezeigt gewesen, zunächst Erfahrungen über die neu implementierten Mechanismen zu sammeln und diese zu optimieren, bevor mit DAC 6 neue Instrumente geschaffen werden, die compliant Verhalten gar noch erschweren können. 5. Weitere Ausweitung von Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten Es ließe sich in Betracht ziehen, die Mitwirkungs-, Mitteilungs- und Dokumentationspflichten mit dem Trend noch weiter auszuweiten. Einem solchen Ansinnen ist jedoch bereits entgegenzuhalten, dass dem Kernproblem der mangelnden Verifizierbarkeit der Angaben durch eine Ausweitung der Mitwirkungspflichten nicht sinnvoll begegnet werden kann. Jede Ausweitung der Mitwirkungs-, Mitteilungsund Dokumentationspflichten steht zudem nicht nur unter dem Vorbehalt des Übermaßverbots, gleichzeitig müssen die gewonnenen Informationen auch für die Finanzbehörden handhabbar bleiben. So wäre keine weitere Transparenz gewonnen, wenn diese das Dickicht der erhobenen Informationen, Dokumentationen, Mitteilungen und sonstigen Mitwirkungsbeiträge des Steuerpflichtigen nicht mehr zu durchschauen vermögen. In Anbetracht der Ausweitung der Pflichten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Umsetzung der Maßnahme 13 des BEPS-Projekts sollten zunächst die daraus gewonnenen Erfahrungen hinsichtlich der Umsetzbarkeit, des 193
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtline zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle (sog. DAC 6), KOM (2017) 335 endg., Erwägungsgrund Nr. 2. 194 Caroline Heber, in: IStR 2017, 559 (560); Hanna Hermenns/Matthias Modrzejewski/ Lukas Münch/Gary Rüsch, in: IStR 2016, 803 (803).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Verwaltungsaufwands und des tatsächlichen Mehrwerts abgewartet werden, bevor neue Vorschläge zur Ausweitung von Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten gemacht werden. 6. Völkerrechtliche Zulässigkeit der Inanspruchnahme Der Inanspruchnahme des Beteiligten zur Mitwirkung bei der Aufklärung internationaler Sachverhalte findet ihre völkerrechtlichen Grenzen wegen des grenzüberschreitenden Bezugs sowohl in den Anforderungen der Rechtssetzungsgewalt (jurisdiction to prescribe) als auch der Rechtsdurchsetzungsgewalt (jurisdiction to enforce).195 Hinsichtlich der Rechtssetzungsgewalt ist den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts entsprechend ein sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Heranziehung des fraglichen Sachverhalts zur Besteuerung zu fordern. Nur wenn ein solcher Genuine Link besteht, kann eine gesetzlich angeordnete Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Auslandssachverhalts völkerrechtlich zulässig sein.196 Steht dem Staat bezüglich des fraglichen Sachverhalts keine Rechtssetzungsgewalt zu, ist die Anordnung erweiterter Mitwirkungspflichten hingegen unzulässig. Die Befugnis zur Rechtsdurchsetzung setzt dem ermittelnden Staat indes nur insofern Grenzen, als die Durchsetzung der Mitwirkungspflicht durch die Finanzbehörden auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt bleibt. Dass der Mitwirkungsverpflichtete im Ausland zu Zwecken der Sachverhaltsermittlung in einem inländischen Besteuerungsverfahren tätig wird, ist dabei unschädlich.197 Gegen die Anordnung erweiterter Mitwirkungspflichten bestehen also keine völkerrechtlichen Bedenken, soweit ein sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Besteuerung des Sachverhalts mit Auslandbezug besteht und die zwangsweise Durchsetzung auf das Inland beschränkt bleibt. Die hier betrachteten Mitwirkungsund Dokumentationspflichten sind nach diesen Maßstäben unproblematisch. 7. Wertende Betrachtung Die Aufklärung eines auslandsbezogenen Steuersachverhalts durch Mitwirkung und Dokumentation des Steuerpflichtigen sowie Kooperation zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde kann nur gelingen, wenn der Steuerpflichtige zutreffende, der Wirklichkeit entsprechende Angaben macht bzw. überhaupt machen kann. Deswegen gilt: Auch, wenn international tätige Unternehmen umfassende erweiterte Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei der Sachverhaltsaufklä-
195
Vgl. dazu bereits auf S. 87 f. Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 235. 197 Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 235; vgl. auch bereits zuvor zur Unterscheidung von extraterritorialen und auslandsgerichteten Hoheitsakten auf S. 88. 196
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rung treffen, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Fiskus die tatsächlichen Grundlagen für die Besteuerung von Amts wegen zu ermitteln hat, § 88 AO. Allerdings reduziert sich die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes je stärker der Steuerpflichtige die Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung trägt, weil Tatsachen oder Beweismittel der vom Steuerpflichtigen beherrschten Informationsoder Tätigkeitssphäre zuzuordnen sind (sog. Sphärenverantwortung).198 Das ist jedenfalls der Fall, wenn sich die übrigen Beweismittel der Finanzbehörden als unergiebig erweisen oder von vornherein keine weiteren Erkenntnismittel zu erwarten sind.199 Für typische Fälle hat der Gesetzgeber dieses Ermittlungsdefizit nachgezeichnet und nimmt den Steuerpflichtigen verstärkt für die Aufklärung – teils unter Sanktionsandrohung – in die Pflicht. Die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde, die sich insb. bei Auslandbezügen zeigt, kann durch erweiterte Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten dennoch nicht beseitigt werden. Die Finanzbehörden bleiben weitgehend von der Ehrlichkeit des Steuerpflichtigen abhängig. Insb. erweitern die skizzierten Regelungen die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden nicht. Nichtsdestoweniger ist anzuerkennen, dass durch die Erweiterung der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten (erstens) steuerunehrliches Verhalten erschwert wird, weil zur Verschleierung von steuererheblichen Sachverhalten im Vergleich zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten erheblich mehr Aufwand betrieben werden muss, (zweitens) sich unter Umständen die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes zu Lasten des Steuerpflichtigen reduzieren kann und (drittens) den Steuerbehörden auch bei unzureichender Erfüllung der genannten Pflichten mehr Anhaltspunkte für weitergehende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen.
II. Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung Gerade Auslandssachverhalte werden häufig erst in der Außenprüfung aufgegriffen.200 Die §§ 193 ff. AO setzen den Rechtsrahmen für die Durchführung von Außenprüfungen.201 § 200 Abs. 1 AO wiederholt, was sich bereits aus § 90 Abs. 1 AO ergibt.202 Weil es aber einer besonderen Bezugnahme auf allgemeine Verfahrensvorschriften nicht bedarf, gelten auch für die Außenprüfung die erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO, die Dokumentationspflichten des 198
Vgl. BFH v. 28. Februar 2007, II B 82/06, BFH/NV 2007, 284; Claus Möllenbeck, Das Verhältnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfällen, S. 111; Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 194 ff. 199 Vgl. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 195 f. 200 Peter Bilsdorfer, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 1 (11). 201 Zu den allgemeinen Bedingungen der Außenprüfung bereits auf S. 49 ff. 202 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 200 AO, Rn. 1.
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§ 90 Abs. 3 AO sowie die Vorschriften über das CbCR nach § 138a AO, die sogar ausdrücklich Bezug nehmen auf die Vorlage im Rahmen der Außenprüfung.203 Die Prüfer stützen sich im Rahmen der Außenprüfung bei ihren Ermittlungen im Wesentlichen auf diese Angaben, sodass auf die entsprechenden Ausführungen zu §§ 90 Abs. 2, Abs. 3, 138a AO verwiesen werden kann.204 Weitere besondere Vorschriften für Auslandssachverhalte in der nationalen Betriebsprüfung bestehen nicht – abgesehen von den Möglichkeiten zwischenstaatlicher Zusammenarbeit, die jedoch erst im nächsten Unterkapitel beleuchtet werden sollen.205 Gleiches gilt für die Steuerfahndungsprüfung, soweit es um die Aufgaben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO geht.206 In materieller Hinsicht bilden die Frage nach dem Vorliegen einer in- bzw. ausländischen Betriebsstätte sowie Verrechnungspreisgestaltungen im multinationalen Konzern Schwerpunkte der Betriebsprüfung internationaler Sachverhalte.207
III. Zusammenfassung Die Finanzbehörden sind bei der Ermittlung von Auslandssachverhalten wegen des Prinzips der formellen Territorialität grds. auf Sachverhaltsermittlungsmaßnahmen im Inland beschränkt. Dabei stehen den Behörden im Vergleich zu rein inländisch gelagerten Sachverhalten keine besonderen Ermittlungsinstrumente zur Verfügung. Allerdings treffen den Steuerpflichtigen erweiterte Mitwirkungs-, Mitteilungs- und Dokumentationspflichten, die das bestehende Ermittlungsdefizit der Ermittlungsbehörden reduzieren können. Eine Verifikation im ganzheitlichen Sinne, wie sie bei Inlandssachverhalten denkbar ist, wird damit jedoch nicht ermöglicht. Die strukturell zwischen Steuerpflichtigem und Steuerbehörde bestehende Informationsasymmetrie lässt sich nur durch erhöhte Mitwirkungsanteile und Dokumentationspflichten des Steuerpflichtigen nicht hinreichend kompensieren. Auf die Möglichkeit in Einzelfällen den Sachverhalt auch vor Ort zu ermitteln, kann deswegen nicht gänzlich verzichtet werden.208
203
Vgl. zu den erweiterten Mitwirkungspflichten Peter Bilsdorfer, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 1 (11), zu den erweiterten Mitwirkungspflichten und den Dokumentationspflichten Jan Schiffer, in: BB 2015, 343 (348); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 200 AO, Rn. 1. 204 Vgl. S. 114 ff. 205 Siehe S. 149 ff. 206 Siehe dazu bereits S. 54 ff. 207 Vgl. dazu Gerhard Ege, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 107 ff.; Harald Kuckhoff, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 129 ff.; Harald Kuckhoff/Rolf Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung. 208 So auch Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 55.
B. Internationaler Informationsaustausch
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B. Internationaler Informationsaustausch Über die letzten vier Jahrzehnte hat sich als Mittel zur Bewältigung der mangelnden Verifikationsmöglichkeiten auslandsbezogener Sachverhalte vor allem die internationale Informationshilfe etabliert.209 Sie soll helfen, die Divergenz zwischen materieller Universalität und formeller Territorialität des Steuerrechts zwecks Gewährleistung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung210 zu überwinden.211 Dem Staat, dem die Ermittlung vor Ort nicht möglich ist, werden klassischerweise allerdings keine eigenen Ermittlungsmöglichkeiten eingeräumt. Stattdessen ermittelt der Staat, in dem sich der fragliche Sachverhalt ereignet hat und übermittelt die Ergebnisse an die Finanzbehörden des anderen Staates. Der Bestand und die Wirkung der Beschränkung der Rechtsdurchsetzungsgewalt auf das eigene Staatsterritorium werden vom klassischen zwischenstaatlichen Informationsaustausch in Steuersachen also nicht tangiert.
I. Allgemeines Der internationale steuerliche Informationsaustausch lässt sich grundlegend hinsichtlich des Anlasses der Informationsübermittlung unterscheiden. Diese erfolgt aufgrund des entsprechenden Ersuchens eines anderen Staates (Auskunft auf Ersuchen), ohne ein solches Ersuchen und damit aus eigenem Antrieb der ermittelnden Finanzbehörden (Spontanauskunft) oder aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung (Automatischer Informationsaustausch). Zu unterscheiden sind ferner die Gewährung von Informationshilfe seitens deutscher Finanzbehörden und die Gewährung seitens eines anderen Staates, also die Inanspruchnahme der Informationshilfe durch deutsche Finanzbehörden. Die Rechtsgrundlagen des Informationsaustausches in Steuersachen sind vielfältig und inzwischen in eine gewisse Unübersichtlichkeit – gar Zersplitterung – erwachsen.212 Zugleich ist der internationale Informationsaustausch weltweit Gegenstand umfangreicher praktischer und wissenschaftlicher Untersuchungen.213 Aus diesen Gründen beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf eine möglichst kurze Analyse der maßgeblichen Rechtsgrundlagen. 209 Vgl. dazu Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 55 ff. mit beeindruckendem Zahlenmaterial. 210 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 6. 211 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.53. 212 Mit diesem Befund bereits Thomas Menck, in: DStZ 1971, 57 (58). 213 Beispielhaft seien hier nur erwähnt Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren; Michael Lang/Josef Schuch/Claus Staringer (Hrsg.), Internationale Amtshilfe in Steuersachen; Giuseppe Marino (Hrsg.), New Exchange of Information versus Tax Solutions of Equivalent Effect.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
II. Inanspruchnahme von Informationshilfe Deutsche Finanzbehörden können zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe gem. § 117 Abs. 1 AO nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen und die so erhaltenen Auskünfte zur Durchführung der Besteuerung heranziehen. Damit ist ihnen indes nur die Befugnis zugewiesen, Informationshilfe überhaupt in Anspruch nehmen zu dürfen. Ein Auskunftsanspruch gegenüber anderen Staaten erwächst daraus allerdings nicht. Diesen steht es nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts frei, andere Staaten bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben zu unterstützen.214 Eine Verpflichtung zur – und damit korrespondierend ein Anspruch auf – Unterstützung durch Auskunftserteilung kann sich jedoch aus Unionsrecht oder zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergeben.215 Einer solchen Grundlage bedarf es für die Inanspruchnahme von Informationshilfe durch die deutschen Behörden indes nicht. § 117 Abs. 1 AO begründet die generelle Befugnis, auch ohne weitere Rechtsgrundlagen zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Anspruch zu nehmen (sog. Kulanzauskünfte),216 auf die Gründe der Informationsgewährung kommt es dabei grds. nicht an.217 Die erhaltenen Informationen können die Finanzbehörden im Rahmen ihres Verfahrensermessens218 als eigenständiges, unbenanntes Beweismittel i.S.d. § 91 AO219 zur Aufklärung eines Sachverhalts heranziehen.220 1. Gewährung von Informationshilfe auf Ersuchen Ausgangspunkt einer Informationsgewährung durch andere Staaten bildet regelmäßig ein entsprechendes Auskunftsersuchen deutscher Behörden.221
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Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren. S. 122. Zu den einzelnen Rechtsgrundlagen sodann contraversim auf S. 158 ff. 216 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 358; so wohl auch Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 26. 217 Allerdings können sich aus den völkerrechtlichen oder unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen des Informationsaustausches bindende Vorgaben ergeben, vgl. zur Verwertbarkeit bei Rechtsverstößen nachfolgend S. 154 ff. 218 Vgl. Roman Seer, in: Tipke/Lang, § 21, Rn. 170; ders., in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 4. 219 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 71. 220 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 357 ff. 221 Elke Aumayr, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 47 (69); vgl. dazu auch mit entsprechenden Zahlen Heike Jochum/Till Meickmann, in: EATLP International Tax Series, Volume 13, S. 287 (295). 215
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a) Voraussetzungen eines Auskunftsersuchens aa) Subsidiarität und Erforderlichkeit Zweifelhaft erscheint zunächst das Verhältnis der internationalen Amtshilfe zur Sachverhaltsaufklärung mit rein inländischen Beweismitteln. Ein Teil der Literatur stellt insofern einen Ultima-Ratio-Vorbehalt auf. Wegen des mit der zwischenstaatlichen Hilfe stets verbundenen denkbar intensivsten Eingriffs in die Rechte des Steuerpflichtigen dürften Auskunftsersuchen nur gestellt werden, wenn zunächst alle zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Ermittlungsmöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft worden seien.222 Die Gegenposition will hingegen ein Primat der zwischenstaatlichen Kooperation erkennen und verlangt, dass dem Steuerpflichtigen die Erfüllung seiner erweiterten Mitwirkungspflicht erst abverlangt werden dürfe, wenn der Sachverhalt nicht mit Hilfe zwischenstaatlicher Kooperation aufgeklärt werden konnte.223 Zutreffend wird überwiegend eine vermittelnde Position eingenommen, wonach auf die Verhältnisse des Einzelfalls abzustellen sei.224 So könne über die Eingriffsintensität der Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Ersuchenshilfe keine abstrakt-generelle Aussage getroffen werden.225 Eine strenge Subsidiarität der Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Informationshilfe auf Ersuchen gibt es also ebenso wenig wie ein Primat gegenüber innerstaatlichen Ermittlungsmöglichkeiten. Auch zwischenstaatliche Amtshilfe nach § 117 AO ist Amtshilfe i.S.d. §§ 111 ff. AO, sodass für ihre Inanspruchnahme die Voraussetzungen der innerstaatlichen Amtshilfe gelten.226 Insb. müssen die ersuchten Auskünfte zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sein.227 Erforderlich sind Auskünfte dann, wenn diese für die Besteuerung rechtlich erheblich und vom ersuchenden Staat auch nach Ausschöpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind.228 D. h. aber nicht zwangsläufig, dass die ersuchende Finanzbehörde zunächst alle eigenen Erkenntnismittel ausnutzen müsste.229 Zwischenstaatliche Amtshilfe kommt auch in Betracht, wenn sie die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde, die Ermittlung für den Beteiligten weniger eingriffsintensiv ist oder, wenn sich das Beweismittel in der Einwirkungssphäre der 222 Wolfgang Ritter, in: DStZ/A 1974, 267 (274); ders., in: JbFfSt 1974/75, S. 244 (263); Rüdiger Brock, Der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr innerhalb der Europäischen Union, S. 38. 223 Rudolf Stahl, in: Kösdi 1993, 9373 (9373); Klaus Schwochert, in: RIW 1991, 407 (409). 224 Statt vieler Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 362 f. m.w.N. 225 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 362. 226 Ernst Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 19. 227 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 23 m.w.N. 228 Vgl. FG Köln v. 7. September 2015, 2 V 1375/15; Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.63; vgl. auch Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 23 ff. 229 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 363.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
ersuchten Behörde befindet.230 Nicht zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sind hingegen solche Informationen, die für die Subsumtion unter die maßgeblichen Besteuerungstatbestände nicht von Bedeutung sind.231 Darauf, ob die Information nach ihrer Übermittlung tatsächlich relevant ist, kommt es dagegen nicht an und macht das ursprüngliche Ersuchen nicht unzulässig.232 Außerdem muss ein Einzelfallbezug bestehen.233 Anfragen ins Blaue hinein oder sog. Fishing Expetitions sind daher ebenso unzulässig wie Ersuchen, die wahrscheinlich für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen unerheblich sind.234 Rechtswidrig sind dementsprechend auch Auskunftsersuchen, die der Vorbereitung einer Gesetzgebung dienen.235 bb) Verbot des Befugnis-Shoppings Die Befugnisse der Steuerbehörden weichen im internationalen Vergleich erheblich voneinander ab.236 Ermittlungsmöglichkeiten können in anderen Staaten deutlich über das den deutschen Finanzbehörden zur Verfügung stehende Ermittlungsinstrumentarium hinausgehen. Es drängt sich dann die Frage auf, ob es zulässig ist, wenn deutsche Finanzbehörden im Rahmen eines Auskunftsersuchens bewusst auf weitergehende Befugnisse ausländischer Finanzbehörde zurückgreifen (sog. Befugnis-Shopping). Sinn und Zweck der internationalen Informationshilfe insgesamt und des § 117 Abs. 1 AO im Speziellen ist aber nicht die generelle Erweiterung der Ermittlungsmöglichkeiten der nationalen Finanzbehörden, sondern die Überwindung der auf der formellen Territorialität fußenden Ermittlungsdefizite bei internationalen Steuersachverhalten zur Vermeidung struktureller Vollzugsdefizite.237 Ein Befugnis-Shopping ist mit dem Teleos der zwischenstaatlichen Amts- und Rechtshilfe nicht vereinbar.238
230 Vgl. Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 363; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 24 m.w.N. 231 Der Wortlaut des Art. 26 OECD-MA ist mit der Vewendung des Merkmals „voraussichtlich erheblich“ weiter als das Merkmal der Erforderlichkeit, Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 23; vgl. auch Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 29; vgl. Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 183 ff. 232 Vgl. Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 29; Ernst Czakert, in: Schönfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA, Rn. 55. 233 Vgl. Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 30. 234 Vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 27. 235 FG Köln v. 7. September 2015, 2 V 1375/15, Rn. 121; Martin Riegel/Michael Walke, in: BB 2015, 1814 (1816 ff.). 236 Vgl. bspw. Giuseppe Marino (Hrsg.), New Exchange of Information versus Tax Solutions of Equivalent Effect. 237 Zur formellen Territorialität siehe bereits S. 92 ff. 238 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 365.
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Auskunftsersuchen, die auf die Ausnutzung von Ermittlungsinstrumenten abzielen, die deutschen Finanzbehörden nach innerstaatlichem Recht nicht zustehen, sind daher missbräuchlich und nach deutschem Recht rechtswidrig. Allerdings muss die Ausnutzung der unterschiedlichen Befugnisse der Steuerbehörden mit dem Auskunftsersuchen gerade bezweckt werden. In concreto heißt das, dass von vornherein offensichtlich sein muss, dass die fragliche Information im ersuchten Staat nur mit Ermittlungsmaßnahmen beschafft werden, die den deutschen Behörden im Inland nicht zuständen. Wird die Information durch die ausländischen Behörden mit Maßnahmen beschafft, die deutschen Behörden im Inland nicht zuständen, die ausländischen Behörden sich aber auch solcher Maßnahmen hätten bedienen können, fällt es hingegen schwer ein Befugnis-Shopping deutscher Finanzbehörden anzunehmen, weil in diesen Fällen ein Befugnis-Shopping gerade nicht bezweckt wurde und die Information auch ohne Ausnutzung des Befugnis-Gefälles hätte erund übermittelt werden können. cc) Anhörung vor Übermittlung des Ersuchens Nach überzeugender herrschender Ansicht in der Literatur239 und soweit ersichtlich auch der Verwaltungspraxis entsprechend240 ist der Steuerpflichtige vor Übermittlung des Ersuchens an die ausländischen Behörden grds. anzuhören. Ausdrücklich ist die Anhörung nach § 117 Abs. 4 S. 3 AO nur für Zwecke der Gewährung zwischenstaatlicher Informationshilfe normiert. Mangels Verwaltungsaktqualität des Auskunftsersuchens241 folgt ein Anhörungsgebot auch nicht unmittelbar aus § 91 AO.242 Auch besteht kein allgemeiner Grundsatz, wonach die Finanzbehörden verpflichtet wären, die Beteiligten über Ermittlungsmaßnahmen jeglicher Art zu unterrichten.243 Weil aber ein Informationsersuchen grds. mit der Preisgabe personen- oder unternehmensbezogener Daten verbunden ist, ergibt sich aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und der verfah239 Nadya Bozza-Bodden, in: DStJG, Band 36, S. 133 (162); Siegfired Grotherr, in: ISR 2015, 193 (196 f.); Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 367; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 67; a.A. hingegen wohl Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 5 (35 f.); Bernd Runge, in: DB 1986, 191 (192); in diese Richtung wohl auch Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 74 ff.; differenzierend Stephen Hecht/Steffen Lampert/Kay Schulz, in: BB 2010, 2727 (2732). 240 Vgl. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.1.; Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 123. 241 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 126; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 113; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 75, Rn. 82; § 112 AO, Rn. 130. 242 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 124; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 75. 243 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 123.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
rensrechtlichen Dimension insb. des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Notwendigkeit eines vorgeschalteten Anhörungsverfahrens durch analoge Anwendung des § 117 Abs. 4 S. 3 AO (inkl. der in dessen Rahmen anerkannten Ausnahmen).244 dd) Weitere Voraussetzungen und Ermessen Nach § 117 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden zwischenstaatliche Rechtsund Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen. Aufgrund des Tatbestandsmerkmals „nach Maßgabe des deutschen Rechts“ ist darüber hinaus keine spezielle Rechtsgrundlage erforderlich.245 Die Zulässigkeit eines Auskunftsersuchens an sich ist einzig an den Bestimmungen des deutschen Verfahrensrechts und nicht an den unionsrechtlichen Bestimmungen oder völkerrechtlichen Vereinbarungen zu messen.246 Die dort formulierten Voraussetzungen betreffen nur die Frage, inwieweit der ersuchte Staat zur Auskunftserteilung verpflichtet ist.247 Sind in den maßgeblichen zwischenstaatlichen oder europäischen Rechtsgrundlagen zur Auskunftsgewährung weitere Voraussetzungen für die Auskunftserteilung vorgesehen, müssen diese durch das Ersuchen der deutschen Behörde erfüllt sein, um eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Erfüllung des Auskunftsersuchens durch den ersuchten Staat auszulösen. Liegen die Voraussetzungen für ein Auskunftsersuchen vor, entscheiden die Steuerbehörden nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ob und in welcher Weise ein Auskunftsersuchen gestellt wird.248 b) Verwertbarkeit bei Rechtsverstößen Hinsichtlich der Verwertbarkeit der im Rahmen der Inanspruchnahme der zwischenstaatlichen Amtshilfe erhaltenen Informationen ist auf die Maßstäbe des allgemeinen Steuerverfahrensrechts abzustellen.249 Verstöße gegen bloße Form- und Verfahrensvorschriften führen danach nur dann zu einem Verwertungsverbot, wenn 244 Ausführlich dazu überzeugend Michael Hendricks, Internationale Informaitonshilfe im Steuerverfahren, S. 342 ff., S. 367 f. m.w.N.; Siegfried Grotherr, in: ISR 2015, 193 (196 f.) m.w.N. 245 FG Köln v. 7. September 2015, 2 V 1375/15, Rn. 121; Michael Hendricks, in: Beermann/Gosch, § 117 AO, Rn. 60. 246 Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 246 m.w.N. 247 Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 246. 248 Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 250. 249 Extrempositionen, die bei jedem Rechtsverstoß ein Verwertungsverbot annehmen bzw. Verwertungsverbote im Zusammenhang mit der zwischenstaatlichen Informationshilfe grds. ablehnen, können inzwischen als überholt gelten, vgl. Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 370 mit entsprechenden Nachweisen.
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die Finanzbehörde die Erkenntnisse nicht auch hätte legal erlangen können (einfaches Verwertungsverbot).250 Wird hingegen ein verfassungsrechtlich geschützter Bereich des Steuerpflichtigen verletzt, liegt zwingend ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot vor. Mit einem Verstoß gegen die Erforderlichkeit der zwischenstaatlichen Amtshilfe könnte mehr als ein Verstoß gegen bloße Form- oder Verfahrensvorschriften anzunehmen sein, weil die Erforderlichkeit als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Schutz des Beteiligten vor Eingriffen auch – und vor allem – in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezweckt. Wird von den Finanzbehörden unter Verstoß gegen das Erforderlichkeitskriterium ein Auskunftsersuchen gestellt, könnte für die so gewonnenen Erkenntnisse also ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot greifen. Nach der hier vertretenen Ansicht liegt ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot mit Blick auf das Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aber nur vor, wenn die Finanzbehörde auf anderem Wege rechtlich nicht zur Informationsgewinnung befugt gewesen wäre.251 Umgekehrt kann das Erforderlichkeitskriterium aber gerade nur dann verletzt sein, wenn die fragliche Information auch anders zu beschaffen gewesen wäre. Ist das Auskunftsersuchen also nicht erforderlich, kann ein qualifiziertes Verwertungsverbot mit Blick auf das Verhältnismäßgkeitsgebot nicht aus dem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet werden. Ein Verstoß gegen die Erforderlichkeit führt also nur dann zu einem qualifizeriten materiellen Verwertungsverbot, wenn neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch andere verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Steuerpflichtigen verletzt werden. Der Missachtung der Anhörungspflicht allein folgt als bloßem Verfahrensfehler kein Verwertungsverbot.252 Praktisch wird die Anhörung regelmäßig gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz des finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt worden sein. Das Verbot des Befugnis-Shoppings ist letztlich Ausdruck der am Grundgesetz orientierten gesetzlichen Ausgestaltung des steuerlichen Verfahrensrechts als Ganzes. M. E. unterliegen Daten, die unter Verstoß gegen das Befugnis-Shopping-Verbot erlangt wurden wegen dieser verfassungsrechtlichen Dimension einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot. 250
Vgl. BFH v. 10. Dezember 1971, III R 35/71, BFHE 104, 282, BStBl. II 1972, 331; BFH v. 25. November 1997, VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl. II 1998, 461 (465 f.); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 27; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO, Rn. 297 m.w.N.; vgl. auch Johannes Urban, in: DB 1988, 575 (578); Axel Schmidt-Liebig, BB 1987, 2139 (2140). 251 Vgl. dazu bereits auf S. 72 ff. 252 Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 65; vgl. zu den Rechtsfolgen der Verletzung der Anhörungspflicht des § 91 AO Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91 AO, Rn. 188 ff.; zur Verletzung der Anhörungspflicht in Bezug auf § 30 AO sei verwiesen auf Christel Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 30 AO, Rn. 586.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Fraglich ist allerdings, wie Rechtsverstöße der ausländischen Behörden bei der Beschaffung der ersuchten Information zu bewerten sind, also ob eine Wechselwirkung zwischen dem Verhalten der ersuchten Behörde und der Verwertbarkeit der übermittelten Daten besteht.253 Für die Durchführung der Amtshilfemaßnahme ist gem. § 117 Abs. 1 AO i.V.m. § 114 Abs. 1 AO das geltende Recht der ersuchten Behörde maßgeblich. Im Fall der Inanspruchnahme ausländischer Informationshilfe heißt das, dass es für ein Verwertungsverbot grds. zunächst auf die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des ersuchten Staates ankommen muss. Es ist allerdings nicht ersichtlich, weshalb Informationen, die unter Missachtung ausländischen Rechts gewonnen wurden, nach deutschem Recht aber hätten erhoben werden dürfen, bei der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens nach dem deutschem Recht einem Verwertungsverbot unterliegen sollen. Die nach dem Recht der ersuchten Behörde rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme muss daher zugleich einen Rechtsverstoß begründen, der nach den zuvor skizzierten Maßstäben des deutschen Rechts mit einem einfachen oder qualifizierten materiellen Verwertungsverbot belegt ist.254 c) Rechtsschutz gegen Auskunftsersuchen Ein Ersuchen um zwischenstaatliche Informationshilfe stellt keinen Verwaltungsakt dar,255 sodass dem inländischen Beteiligten gegen ein Auskunftsersuchen im vorläufigen Rechtsschutz der gerichtliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO)256 sowie in der Hauptsache die vorbeugende Unterlassungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) beim Finanzgericht offensteht,257 mit der ein Auskunftsersuchen untersagt werden kann. Ist das Auskunftsersuchen bereits erfolgt, kommt eine Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO) in Betracht.258 Ein Unterlassenanspruch kann sich aus § 1004 BGB analog i.V.m. § 30 AO ergeben, weil § 30 AO grds. vor der unbefugten Offenbarung der Verhältnisse durch
253 Erstmals zu dieser Frage: Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 371. 254 So auch Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 371. 255 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 126; Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 20.38; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 113; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 75, Rn. 82; § 112 AO, Rn. 130; a.A.: Roland Ismer/Norbert Sailer, in: IStR 2003, 622 (629); Lutz Lammers, in: EWS 2010, 121 (122 f.). 256 Vgl. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.2.2. 257 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 82. 258 Vgl. BFH v. 29. April 2008, I R 79/07, BFH/NV 2008, 1807; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 82.
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einen Amtsträger schützt.259 Ist die Offenbarung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen hingegen nach § 30 Abs. 4 AO zulässig, scheidet das Bestehen eines Unterlassensanspruchs aus. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das Auskunftsersuchen ausdrücklich durch Gesetz zugelassen und der Betroffene deshalb zur Duldung verpflichtet ist,260 also ob hier die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 AO erfüllt sind. 2. Gewährung von Informationshilfe ohne Ersuchen Die Gewährung von Informationshilfe durch fremde Staaten setzt ein vorheriges Auskunftsersuchen nicht voraus. Normativ ist bei der Informationsgewährung ohne Ersuchen zwischen solchen aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung und aus Kulanz zu unterscheiden. Funktional kann die Auskunftsgewährung automatisch (also regelmäßig) oder einzelfallbezogen als Spontanauskunft erfolgen. Die Verwertbarkeit der ersuchensunabhängig übermittelten Information richtet sich – insb. bei Kulanzauskünften – nach deutschem Recht.
III. Gewährung von Informationshilfe durch deutsche Finanzbehörden Informationsgewährung durch deutsche Finanzbehörden kommt auf Grundlage von § 117 Abs. 2 AO oder auf Grundlage von § 117 Abs. 3 AO in Betracht. 1. Anhörung vor Datenübermittlung Weil die Gewährung zwischenstaatlicher Amtshilfe durch Informationsaustausch einen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des inländischen Beteiligten261 darstellen kann, ist dieser gem. § 117 Abs. 4 S. 3 AO vor Übermittlung von Auskünften oder Unterlagen entsprechend der Sollvorschrift des § 91 AO grds. anzuhören.262 Die Pflicht zur Anhörung entfällt, wenn eine Ausnahme nach § 91 259
Vgl. BFH v. 17. Mai 1995, I B 118/94, BFHE 177, 242, BStBl. II 1995, 497; BFH v. 15. Februar 2006, I B 87/05, BFHE 212, 4, BStBl. II 2006, 616; BFHE v. 17. September 2007, I B 30/07, BFH/NV 2008, 51; vgl. Andreas Herlinghaus, in: Festschrift für Herzig, S. 933 (937); vgl. Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 283. 260 FG Köln v. 7. September 2015, 2 V 1375/15. 261 Der Begriff des Beteiligten ist hier nicht im technischen Sinne des § 78 AO zu verstehen, sondern vielmehr als Betroffener, BFH v. 16. November 1999, VII R 95, 96/98, BFHE 190, 522; vgl. auch Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 129; Klaus Schwochert, in: RIW 1989, 810. 262 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.1.; Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 3 (35 ff.); zur verfassungsrechtlichen Dimension des Gebots der Anhörung Nadya Bozza-Bodden, in: DStJG, Band 36, S. 133 (162 f.); Roman Seer/Isabel Gabert, in: StuW 2010, 3 (20).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Abs. 2, Abs. 3 AO oder einer anderen Vorschrift vorliegt, die Anwendung des § 117 Abs. 4 S. 3 AO durch gesetzliche Anordnung suspendiert wird oder das Anhörungsinteresse des Beteiligten im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung ausnahmsweise unterzugewichten ist. Das kann bspw. der Fall sein, wenn die Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen (z. B. Zeitungsartikel, einfache Melderegisterauskünfte, öffentliche Telefonbücher) übermittelt werden sollen, bei Informationen, die auf tatsächlichen Angaben eines beschränkt oder unbeschränkt Steuerpflichtigen beruhen, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, bei der Weitergabe von Informationen über unbeschränkt Steuerpflichtige an Drittstaaten jedoch nur, soweit auf die Möglichkeit einer entsprechenden Informationsweitergabe an den anderen Staat bereits im entsprechenden Steuererklärungsoder Antragsvordruck hingewiesen worden ist und naturgemäß bei Fehlen eines inländischen Beteiligten.263 Unklar ist, welche Folgen sich aus einem Verstoß gegen eine Anhörungspflicht ergeben könnten. Anders als bei der Informationsgewährung durch ausländische Behörden264 wäre ein Verwertungsverbot im Empfängerstaat jedenfalls nicht durchsetzbar.265 Unberührt bleiben indes Rechtsfolgen, die der empfangende Staat selbst an das Unterbleiben einer Anhörung in Deutschland knüpft. Außerdem können sich in Deutschland aus der Verletzung der Rechte des inländischen Beteiligten Schadensersatzansprüche ergeben.266 2. Gewährung auf Grundlage von § 117 Abs. 2 AO Nach § 117 Abs. 2 AO können267 die Finanzbehörden zwischenstaatliche Rechtsund Amtshilfe auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union sowie des EU-Amtshilfegesetzes leisten. Soll also mit Blick auf § 117 Abs. 2 AO eine Auskunft erteilt werden, müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen der dort genannten Rechtsgrundlagen erfüllt sein. Als völkerrechtliche Vereinbarungen i.S.d. § 117 Abs. 2 AO kommen die in Doppelbesteuerungsabkommen oder Informationsaustauschabkommen enthaltenen Artikel zum Informationsaustausch (Art. 26 OECD-MA bzw. Art. 5 OECD-MAInfoAust), die entsprechenden Regelungen des Amtshilfeübereinkommens, des 263
BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.2. 264 Dazu bereits auf S. 154 ff. 265 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 163a. 266 Klaus Schwochert, in: RIW 1991, 843 (844); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 117 AO, Rn. 163a. 267 Dieses Können kann sich im Rahmen der genannten Regelungen zu einem Müssen verdichten, wenn sich die Bundesrepublik durch diese Regelungen zur Amtshilfe Informationsgewährung versprlichtet hat, statt vieler Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 5 (45).
B. Internationaler Informationsaustausch
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mehrseitigen Informationsaustauschabkommens sowie das FATCA-Abkommen und Umsetzungsakte des BEPS-Projekts, aber auch andere spezielle Abkommen in Betracht.268 a) Doppelbesteuerungsabkommen Art. 26 Abs. 1 OECD-MA enthält die Grundregel des abkommensrechtlichen Informationsaustausches und kann einen völkerrechtlichen Auskunftsanspruch begründen.269 Der Umfang des Anspruchs richtet sich nach der konkreten Ausgestaltung der Auskunftsklausel und muss sich nicht auf solche Informationen beschränken, die der Durchführung des Abkommens dienen (sog. große Auskunftsklausel).270 Traditionell ist der Auslöser einer zwischenstaatlichen Informationsgewährung ein Auskunftsersuchen eines der Vertragsstaaten. Neben einem formlosen Auskunftsersuchen sind die voraussichtliche Erheblichkeit der ersuchten Information für eine nicht-abkommenswidrige innerstaatliche Besteuerung,271 die Wahrung der Gegenseitigkeit des Informationsaustausches und das Fehlen eines Ausschlussgrundes nach Art. 26 Abs. 3 OECD-MA Voraussetzungen des völkerrechtlichen Hilfeleistungsanspruchs nach Art. 26 Abs. 1 OECD-MA. Das zentrale Merkmal der voraussichtlichen Erheblichkeit enthält im Wesentlich zwei Subprinzipien: Zum einen das Prinzip der strengen Subsidiarität und zum anderen das Verbot von Ersuchen zu Beweisausforschungszwecken.272 Nach dem Prinzip der strengen Subsidiarität ist Voraussetzung eines Amtshilfeanspruchs, dass vor dem zwischenstaatlichen Ersuchen alle Informationsquellen, die üblicherweise im innerstaatlichen Besteuerungsverfahren zur Verfügung stehen, ausgeschöpft wurden.273 Damit soll verhindert werden, dass ein Vertragsstaat seine Ermittlungslast auf den anderen Vertragsstaat ohne sachlichen Grund – wie insb. die Beschränkungen
268 Wolfgang Ritter, in: Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, S. 17 (33) beklagt in Anbetracht dieser Normfülle bereits 1987 einen „unverantwortlichen Rechtswirrwarr“. 269 Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 3. Besteht eine völkerrechtliche Auskunftspflicht, reduziert sich das Ermessen der deutschen Finanzbehörden im Rahmen des § 117 Abs. 2 AO auf null mit der Folge, dass auch innerstaatlich eine Hilfeleistungspflicht entsteht. Dazu Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 157 f., S. 327; ders., in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 12. 270 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 32. 271 Das gilt, wenn der Informationsaustausch nicht nur zur Durchführung des Abkommens (sog. „kleine Auskunftsklausel“), sondern auch zur Durchführung des innerstaatlichen Steuerrechts der Vertragsstaaten vorgesehen ist (sog. „große Auskunftsklausel“), vgl. Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 3. 272 Elke Aumayr, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 47 (59 ff.). 273 Kommentar zum OECD-MA 2005, Art. 26, Tz. 9. Bstb. a).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
der Ermittlungsmöglichkeiten aufgrund der formellen Territorialität – abwälzt.274 Durch das Verbot von Ersuchen zu Beweisausforschungszwecken sollen vor allem sog. Fishing Expeditions ausgeschlossen werden. Das Auskunftsersuchen soll nicht zufällig oder spekulativ sein, also nicht ins Blaue hinein erfolgen.275 Dem für die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe zentralen Prinzip der Gegenseitigkeit ist Genüge getan, wenn beide Vertragsstaaten unter vergleichbaren Umständen in vergleichbarem Umfang Auskünfte erteilen.276 Nach Art. 26 Abs. 3 OECD-MA besteht jedoch keine Verpflichtung, Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen, die von den Gesetzen und der Verwaltungspraxis eines der Vertragsstaaten abweichen, Informationen zu erteilen, die nach den Gesetzen oder im üblichen Verwaltungsverfahren eines der Vertragsstaaten nicht beschafft werden können oder Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würden oder deren Erteilung der öffentlichen Ordnung widerspräche. Greift ein solcher Ausschlussgrund, ist der ersuchte Vertragsstaat zur Verweigerung der ersuchten Informationsgewährung berechtigt, eine Auskunftspflicht besteht dann nicht weiter (völkerrechtliches Verweigerungsrecht).277 Informationshilfe auf Basis des Art. 26 OECD-MA kann aber nicht nur auf Ersuchen gewährt werden, sondern kommt ersuchensunabhängig auch in Form der Spontanauskunft und der automatischen Auskunftserteilung278 in Betracht.279 In Anbetracht der obligatorischen Formulierung des Art. 26 Abs. 1 OECD-MA („tauschen die Informationen aus“) wird zum Teil angenommen, dass auch eine völkerrechtliche Verpflichtung zur ersuchensunabhängigen Informationsgewährung bestehe, wenn die o.g. Kriterien erfüllt sind.280 Wegen der weitgehenden Konturlosigkeit des Begriffs der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ einerseits und des Fehlens einer spezifischen Regelung zu den Voraussetzungen von Spontanauskünften in Art. 26 Abs. 1 OECD-MA andererseits besteht richtigerweise jedoch nur
274
(84). 275
Pasquale Pistone/Martina Gruber, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 75
Kommentar zum OECD-MA 2005, Art. 26, Tz. 5.1, 5.2; Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 30. 276 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 34 m.w.N. 277 Grds. bleibt die ersuchte Amthilfe nach pflichtgemäßem Ermessen völkerrechtlich und innerstaatlich aber möglich, Andreas Herlinghaus, in: Festschrift für Herzig, S. 933 (949); Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 76; Steffen Lampert/Till Meickmann, in: ISR 2014, 305 (310). 278 Automatische Auskünfte für generell verfassungswidrig hält Karl-Heinrich Friauf, in: StbJb 1984/1985, S. 317 (339). 279 Elke Aumayr, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 47 (70 ff.). 280 Ernst Czakert, in: Schönfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA, Rn. 45.
B. Internationaler Informationsaustausch
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eine völkerrechtliche Pflicht zur ermessensfehlerfreien Entscheidung281 über die ersuchensunabhängige Gewährung einer Auskunft.282 Anders liegen die Dinge hingegen bei der automatischen, also regelmäßig wiederkehrenden über bestimmte Fallgruppen gleichartiger Sachverhalte erteilten Auskunft. Für einen automatischen Informationsaustausch bedarf es über Art. 26 Abs. 1 OECD-MA hinaus einer abstrakt-generellen Vereinbarung der beteiligten Staaten,283 die hinreichend genau zu bestimmen vermag, wann eine Auskunft zu erteilen ist. b) Informationsaustauschabkommen Nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust erteilt die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats auf schriftliches Ersuchen des anderen Vertragsstaats die ersuchten Informationen (völkerrechtliche Auskunftspflicht). Die Informationsaustauschabkommen erfassen Steuern, die von den Vertragsstaaten in einer Positivliste in Art. 3 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust festgelegt sind und differieren daher je nach Abkommen. Regelmäßig handelt es sich dabei um direkte Steuern.284 Im Unterschied zu Art. 26 OECD-MA ist der Informationsaustausch auf Basis eines dem OECD-MA-InfoAust entsprechenden Abkommens auf den ersuchensbedingten Informationsaustausch beschränkt. Der mit Art. 26 OECD-MA korrespondierende Vorbehalt der Gegenseitigkeit der Informationshilfe und der voraussichtlichen Erheblichkeit hingegen gilt auch für Auskunftsersuchen nach dem OECD-MA-InfoAust und ergibt sich aus Art. 1 OECD-MA-Info-Aust. Im Gegensatz zu Art. 26 OECD-MA enthält das OCED-MA-InfoAust aber in Art. 5 Abs. 5 dezidierte formelle Voraussetzungen für das Auskunftsersuchen. Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht nicht, wenn einer der Ausschlussgründe des Art. 7 OECD-MA-InfoAust einschlägig ist (völkerrechtliches Auskunftsverweigerungsrecht). Nach Art. 7 OECD-MA-InfoAust entfällt die Verpflichtung, wenn die ersuchte Information nach dem Steuerverfahrensrecht des ersuchenden Staates nicht beschafft werden könnte (Befugnis-Shopping), kein ordnungsgemäßes Ersuchen gestellt wurde oder mit der Auskunftsge281 Bei der Ausübung dieses völkerrechtlichen Ermessens ist insb. das steuerrechtliche Datenschutzniveau des Empfängerstaats zu berücksichtigen, vgl. dazu Steffen Lampert/Till Meickmann, in: ISR 2014, 305 (310); zustimmend wohl Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 70. 282 Nadya Bozza-Bodden, in: DStJG, Band 36, S. 133 (146); Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 43 f.; Steffen Lampert/Till Meickmann, in: ISR 2014, 305 (310); Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 70; ders.. in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 22, zuvor so wohl auch Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/ Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 117. 283 Elke Aumayr, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 47 (72); Ernst Czakert, in: Schönfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA, Rn. 47. 284 Roman Seer, in: Tipke/Kurse, § 117 AO, Rn. 43.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
währung ein Unternehmes- oder Berufsgeheimnis preisgegeben werden müsste bzw. gegen grundlegende Ordnungsvorstellungen des ersuchten Staates verstoßen würde.285 Deutschland hat neben Abkommen nach dem Vorbild des OECD-MA-InfoAust286 auch einige spezielle bilaterale Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen abgeschlossen, die einen vergleichbaren Informationsaustausch ermöglichen.287 c) Amtshilfeübereinkommen Nach Art. 1 Abs. 1 AHiÜ (Multilateral Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters)288 leisten die Vertragsstaaten einander Amtshilfe in Steuersachen, was gem. Art. 1 Abs. 2 Bstb. a) AHiÜ den Informationsaustausch (einschließlich gleichzeitiger Steuerprüfungen und der Teilnahme an Steuerprüfungen im Ausland) umfasst. Der sachliche Anwendungsbereich des Amtshilfeübereinkommens ist weit gefasst (Art. 2 AHiÜ) und beschränkt sich nicht auf direkte Steuern.289 Gem. Art. 4 Abs. 1 S. 1 AHiÜ ist die Voraussetzung für einen Informationsaustausch, dass die fraglichen Informationen voraussichtlich erheblich sind. Eine Verpflichtung zur Gewährung entsprechender Informationshilfe besteht gem. Art. 5 Abs. 1 AHiÜ bei einem Auskunftsersuchen eines Vertragsstaates. Gem. Art. 7 Abs. 1 Bstb. a), b) AHiÜ sind die Vertragsstaaten zudem zu Spontanauskünften angehalten, wenn Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in einem anderen Vertragsstaat bestehen oder ein Steuerpflichtiger eine Steuerermäßigung bzw. Steuerbefreiung erhält, die eine Steuererhöhung oder eine Besteuerung in einem anderen Vertragsstaat zur Folge haben würde. Spotanauskünfte sollen gem. Art. 7 Abs. 1 Bstb. c) AHiÜ auch erteilt werden bei Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen eines Vertragsstaats und einem Steuerpflichtigen eines anderen Vertragsstaats, die über ein oder mehrere weitere Länder in einer Weise geleitet werden, die in einer der beiden oder in beiden Vertragsstaaten zur 285 Zu alledem Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA-InfoAust, Rn. 2 ff. m.w.N. 286 Vgl. zum Stand der Informationsaustauschabkommen BMF v. 16. Januar 2016, IV B 2 – S 1301/07/10017 – 07. 287 Diese werden sodann auf S. 266 ff. näher beleuchtet und vor allem hinsichtlich ihrer Eignung als Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen untersucht. 288 Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen; in Deutschland innerstaatlich umgesetzt durch das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 16. Juli 2015, BGBl. II 2015, 966; Amtshilfeübereinkommen, abgek. AHiÜ. 289 Vgl. zu den Einzelheiten Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (848).
B. Internationaler Informationsaustausch
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Steuerersparnis führen kann. Das gleiche gilt gem. Art. 7 Abs. 1 Bstb. d), e) AHiÜ, wenn Gründe für die Vermutung einer Steuerersparnis durch künstliche Gewinnverlagerungen innerhalb eines Konzerns bestehen und wenn im Zusammenhang mit den übermittelten Informationen, die dem einen Vertragsstaat von dem anderen Vertragsstaat übermittelt worden sind, ein Sachverhalt ermittelt worden ist, der für die Steuerfestsetzung in dem anderen Vertragsstaat erheblich sein kann. Wenn ein Vertragsstaat von einem anderen Vertragsstaat Informationen über die steuerlichen Verhältnisse einer Person erhält, die nach ihrer Auffassung zu den ihr zur Verfügung stehenden Informationen in Widerspruch stehen, ist diese gem. Art. 10 AHiÜ zur Unterrichtung des anderen Vertragsstaats verpflichtet. Auch darin ist m. E. eine Verpflichtung zur Informationsübermittlung zu erkennen. Das Übereinkommen sieht in Art. 6 auch die Möglichkeit des automatischen Informationsaustausches in Steuersachen auf der Basis einvernehmlich festgelegter Fallkategorien und Verfahren vor.290 Grenzen der Verpflichtung zur Leistung von Informationshilfe sind in Artt. 19, 21 AHiÜ festgeschrieben. Nach Art. 19 AHiÜ ist der ersuchte Staat nicht verpflichtet, einem Ersuchen zu entsprechen, wenn der ersuchende Staat nicht alle in seinem eigenen Hoheitsgebiet zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hat, es sei denn, das Zurückgreifen auf diese Mittel würde unverhältnismäßig große Schwierigkeiten mit sich bringen. Damit wird die im Merkmal der voraussichtlichen Erheblichkeit enthaltene Subsidiarität der Amtshilfe einschränkend präzisiert. Nach Art. 21 Abs. 2 Bstb. a), b) AHiÜ entfällt die völkerrechtliche Informationsgewährungspflicht, wenn dafür Maßnahmen durchzuführen wären, die vom Recht oder der Verwaltungspraxis des ersuchenden oder ersuchten Staates abweichen oder nach Auffassung des ersuchten Staates der öffentlichen Ordnung oder seinen wesentlichen Interessen widersprächen. Sie entfällt gem. Art. 21 Abs. 2 Bstb. c), d) AHiÜ auch, wenn die ersuchte Information nach dem Steuerverfahrensrecht des ersuchenden Staates nicht beschafft werden könnte (Befugnis-Shopping) oder mit der Auskunftsgewährung ein Unternehmes- oder Berufsgeheimnis preisgegeben werden müsste bzw. gegen grundlegende Ordnungsvorstellungen des ersuchten Staates verstoßen würde. Nach Art. 21 Abs. 2 Bstb. e), f) AHiÜ ist ein ersuchter Staat zur Auskunftserteilung auch nicht verpflichtet, wenn die Besteuerung im ersuchenden Staat nach Auffassung des ersuchten Staats im Widerspruch steht zu allgemein anerkannten Besteuerungsgrundsätzen oder zwischenstaatlichen Abkommen oder durch die Amtshilfeleistung eine Ungleichbehandlung zwischen einem Staatsangehörigen des ersuchten Staates und Staatsangehörigen des ersuchenden Staates begründet würde.291
290
Ernst Czakert, in: DStR 2015, 2697 (2699). Ausführlich zu den jeweiligen Voraussetzungen Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (857 f.). 291
164
Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
d) Abkommen über den automatischen Informationsaustausch von Finanzkontendaten Ein besonderes Amtshilfeabkommen stellt das mit den Vereinigten Staaten abgeschlossene sog. FATCA292-Abkommen vom 31. Mai 2013293 dar, nach dessen Inhalt sich die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika zur Erhebung und zum automatischen Informationsaustausch von im jeweils anderen Vertragsstaat unterhaltenen Finanzkonten verpflichten.294 Gem. Art. 2 Abs. 1 FATCA-Abkommen findet der Informationsaustausch auf Basis des Art. 26 DBAUSA statt. Die FATCA-Abkommensinitiative hat zum Abschluss der Mehrseitigen Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen vom 29. Oktober 2014 (sog. Multilateral Competent Authority Agreement, abgek. CRS MCAA oder MCAA I)295 inklusive des Common Reporting Standards (CRS) geführt,296 in der sich die 87 Vertragsstaaten297 gem. § 2 Abs. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 CRS MCAA auf Grundlage des Art. 6 AHiÜ zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten verpflichten.298 Im Rahmen des FATCA-Abkommens und des CRS MCAA werden für den Wohnsitzstaat eines im Ausland ansässigen Konteninhabers bestimmte Kontodaten im anderen Staat erhoben und anschließend an den Wohnsitzstaat übermittelt, damit dieser die nach seinem nationalen Steuerrecht vom Konteninhaber geschuldeten Steuern festsetzen und erheben kann.299 Den normativen Rahmen der Informationserhebung bildet für FATCA § 117c AO i.V.m. der FATCA-USA-UmsV,300 FKAustG301 und für die CRS MCAA das neu geschaffene FKAustG. 292 Die Abkürzung FATCA steht für den US-amerikanischen „Foreign Account Tax Compliance Act“. 293 Innerstaatlich umgesetzt durch das Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen vom 10. Oktober 2013, BGBl. II 2013, 1362; zum Hintergrund des FATCA-Abkommens sei verwiesen auf Heike Jochum/Till Meickmann, in: EATLP International Tax Series, Volume 13, S. 287 (296 f.). 294 Umfassend zum FATCA-Abkommen: Norbert Mückl/Markus München, in: Intertax 2014, 551. 295 Innerstaatlich umgesetzt durch das Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zusta¨ ndigen Beho¨ rden u¨ ber den automatischen Austausch von Informationen u¨ ber Finanzkonten vom 21. Dezember 2015, BGBl. II 2015, 1630. 296 Vgl. Ernst Czakert, in: DStR 2015, 2697 (2699). 297 Die Liste der Vertragsstaaten kann online abgerufen werden unter: http://www.oecd.org/ tax/automatic-exchange/international-framework-for-the-crs/MCAA-Signatories.pdf. 298 Ernst Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 56 ff. 299 Zu CRS MCAA und FATCA Michael Marquardt/Michael Betzinger, in: BB 2014, 3033. 300 Verordnung zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der
B. Internationaler Informationsaustausch
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Bei der Anwendung des FATCA-Abkommens findet gem. § 117c Abs. 2 S. 1 AO i.V.m. FATCA-USA-UmsV keine Anhörung des von der automatischen Informationsübermittlung Betroffenen statt.302 Eine vergleichbare Regelung fehlt jedoch mit Blick auf das CRS MCAA und das FKAustG,303 sodass nach dem Grundsatz des § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 Abs. 1 AO regelmäßig eine Anhörung vorzunehmen wäre.304 Allerdings könnte sich eine Entbehrlichkeit der Anhörung aus § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 Abs. 2 Nr. 4 AO ergeben.305 Ohne Anhörung wird dem Betroffenen erschwert, Rechtsschutz gegen die automatisierte Informationsübermittlung zu ersuchen. Zwar scheint eine Anhörung oder Information auf den ersten Blick dem Wesen des automatischen Informationsaustausches entsprechend tatsächlich entbehrlich zu sein,306 weil die Informationsübermittlungspflicht sich im Idealfall aus klar umfassten Tatbestandsvoraussetzungen ergibt und damit für den Betroffenen vorhersehbar ist.307 Damit werden aber Fälle außer Acht gelassen, in denen eine Datenerfassung und -übermittlung stattfindet, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür gar nicht vorliegen, bspw. wegen eines Fehlers bei der DatenerSteuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen (FATCA-USA-Umsetzungsverordnung – FATCA-USA-UmsV) vom 23. Juli 2014, BGBl. I 2014, 1222. 301 Eingeführt durch das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. Dezember 2015, BGBl. II 2015, 2531. Das FKAustG gilt nach dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016, BGBl. I 2016, 3000, nunmehr gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 FKAustG auch für Drittstaaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch geschlossen hat, nach dem ein automatischer Austausch von Informationen vereinbart werden kann, worunter sich das FATCA-Abkommen subsumieren lässt. 302 Bernhard Schwarz, in: Schwarz/Pahlke, § 117c AO, Rn. 8. 303 Das verwundert insb., weil mit der Einführung des FKAustG zugleich eine Änderung des EUAHiG beschlossen wurde, wonach eine Anhörung für Fälle des Anwendungsbereichs des FKAustG abweichend von § 117 Abs. 4 S. 3 AO nicht erforderlich ist (§ 7 Abs. 2 EUAHiG), dazu sodann näher auf S. 169 ff. 304 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117c AO, Rn. 5 entnimmt dem FKAustG hingegen offenbar aber Begründung ebenfalls eine Regelung, wonach keine Auskunft stattfindet. 305 So jedenfalls BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.1.; Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 3 (35); Michael Marquardt/Michael Betzinger, in: BB 2014, 3033 (3037). 306 So Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117c AO, Rn. 5; ders., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 81 hält automatische Auskunftsverfahren gar für „strukturell anhörungsfeindlich“; vgl. auch ders., in: IWB 2014, 87 (95). 307 So auch die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 117c Abs. 2 AO, BT-Drs. 18/68, S. 79; kritisch dazu Bernd Rätke, in: Klein, § 117c AO, Rn. 8; vgl. im Übrigen auch Roman Seer, in: IWB 2014, 87 (95).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
hebung durch die verpflichteten Finanzinstitute. Erfolgt keine Anhörung, ist es der betroffenen Person mangels Kenntnis von der (beabsichtigten) Übermittlung sensibler Finanzdaten nicht möglich, Rechtsschutz vor den Finanzgerichten zu ersuchen. Findet eine Information oder Anhörung der betroffenen Person nicht statt, entsteht eine mit Art. 19 Abs. 4 GG schwerlich zu vereinbarende Rechtsschutzlücke. Dementsprechend räumt § 91 Abs. 2 Nr. 4 AO den Finanzbehörden bezüglich der Durchführung der Anhörung ein Ermessen ein. In dessen Rahmen wird einerseits zu berücksichtigen sein, dass die Übermittlung ins Ausland und nicht wie bei unmittelbarer Anwendung des § 91 AO ins Inland erfolgt, und andererseits, ob andere verfahrensrechtliche Mechanismen eine Absicherung der Rechte des Steuerpflichtigen gewährleisten. Im Rahmen des CRS MCAA sind die meldenden Finanzinstitute gem. § 6 Abs. 2 FKAustG vor der erstmaligen Übermittlung von Daten verpflichtet, die betroffene Person über die Datenübermittlung an das BZSt zu unterrichten. Mit diesem Verfahren wird gewährleistet, dass der Betroffene Rechtschutz auch gegen die spätere Informationsübermittlung im Rahmen des automatischen Informationsaustausches ersuchen kann, bevor die Daten ins Ausland gelangen, sodass eine vorherige Anhörung beim automatischen Informationsaustausch nach dem CRS MCAA letztlich entbehrlich ist. Dennoch bleibt die Regelung des § 117c Abs. 2 S. 1 AO m. E. für Dirttstaatenfälle ohne die Anhörung substituierende Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Betroffenen verfassungsrechtlich fragwürdig. e) Automatischer Informationsaustausch des Country-by-Country Reporting Entsprechend der Mehrseitigen Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen vom 27. Januar 2016 (sog. Multilateral Competent Authority Agreement, abgek. CbC MCAA oder MCAA II)308 haben sich 50 Vertragsstaaten309 untereinander zum automatischen Austausch der im Rahmen des Country-by-Country Reportings erhobenen Daten verpflichtet. Völkerrechtliche Basis dieses automatischen Informationsaustausches ist wiederum Art. 6 AHiÜ (§ 2 Abs. 1 CbC MCAA). Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, die automatische Übermittlung der erhaltenen länderbezogenen Berichte durch Implementierung des § 138a Abs. 7 S. 2 AO festzuschreiben, obwohl dazu bereits § 117 Abs. 2 AO i.V.m. dem CbC MCAA
308 Innerstaatlich umgesetzt durch das Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zusta¨ ndigen Beho¨ rden u¨ ber den Austausch la¨ nderbezogener Berichte vom 06. Mai 2016, BGBl. II 2016, 1178. 309 Die Liste der Vertragsstaaten kann online abgerufen werden unter: http://www.oecd.org/ tax/automatic-exchange/about-automatic-exchange/CbC-MCAA-Signatories.pdf.
B. Internationaler Informationsaustausch
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und Art. 6 AHiÜ genügen würde.310 Der Austausch findet entsprechend der internationalen Vereinbarung im CbC MCAA nur statt, wenn in dem länderbezogenen Bericht Angaben zu Unternehmenseinheiten in den jeweiligen Vertragsstaaten enthalten sind, denn andere Vertragsstaaten dürften im Regelfall an den Daten kaum ein sachlich begründetes Interesse haben. Die Weiterleitung der länderbezogenen Berichte inländischer Unternehmen erfolgt gem. § 117c Abs. 4 S. 2 AO ohne vorherige Anhörung der Beteiligten. Das Entfallen der Anhörung wird damit begründet, dass die Übermittlung durch die mitteilungspflichtigen Unternehmen ausdrücklich und erkennbar zum Zweck der Weiterleitung erfolgt.311 Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass der länderbezogene Bericht hochsensible und missbrauchsanfällige Informationen enthält,312 die im Einzelfall eine Anhörung erforderlich machen können,313 bspw. wenn der länderbezogene Bericht Geschäfts- oder Berufsgeheimnisse enthält. Den mitteilungspflichtigen Unternehmen bleibt indes unbenommen, bereits bei der ihrerseitigen Übermittlung des Berichts Bedenken zu äußern,314 z. B. weil andere Staaten den länderbezogenen Bericht zur formelhaften Gewinnaufteilung verwenden könnten.315 In diesem Fall kann von dem Informationsaustausch ebenso abgesehen werden,316 wie in Fällen, in denen konkrete Zweifel an der Geheimhaltung der Steuerdaten bestehen.317 f) Spontaner Informationsaustausch sog. Tax Rulings Auf Basis bestehender Rechtsgrundlagen für den spontanen Informationsaustausch sieht Maßnahme 5 des BEPS-Aktionsplans einen verpflichtenden Austausch von Informationen zu bestimmten grenzüberschreitenden Steuervorbescheiden (Advance Tax Rulings, abgek. ATR) und Vorabzusagen über Verrechnungspreise
310
Auch nach der Gesetzesbegründung „kann der Austausch auch auf Basis anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen, wie bspw. auf Grund von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie von Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement – TIEA), erfolgen, sofern die jeweilige Vereinbarung eine Rechtsgrundlage für den Austausch länderbezogener Berichte enthält.“; BT-Drs. 18/9536, S. 43. 311 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 43. 312 Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Chritian Engelen, in: IStR 2016, 840 (848). 313 In diese Richrung auch Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 83. 314 In Anbetracht dessen, dass eine Anhörung grds. nicht stattfindet ist den betroffenen Unternehmen dies auch zu empfehlen, vgl. Roman Seer, in: IWB 2016, 6 (13). 315 BT-Drs. 18/9536, S. 43; Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 83. 316 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 43. 317 So Roman Seer, in: IWB 2016, 6 (11, 13).
168
Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
(Advance Pricing Agreements, abgek. APA) vor (zusammen sog. Tax Rulings).318 Nach dem Vorschlag der OECD sollen nur Informationen zu Vorabentscheidungen ausgetauscht werden, die die Besteuerung von Einnahmen aus geografisch mobilen Tätigkeiten betreffen, im Zusammenhang mit einer Steuervergünstigung stehen, die dazu führt, dass die Einnahmen nicht oder nur gering besteuert werden oder sich auf grenzüberschreitende Verrechnungspreise oder andere grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen.319 Allein die grenzüberschreitende Bedeutung eines Vorabentscheids soll also noch nicht zum Informationsaustausch führen.320 Eine Anhörung scheint in diesen Fällen ebenfalls entbehrlich, insb. weil der Beteiligte bereits im Rahmen der Erteilung von Vorbescheiden und Vorabzusagen über Verrechnungspreise über die Informationsübermittlung in Kenntnis gesetzt werden kann und in diesem Verfahren auch Bedenken gegen die Informationsübermittlung vorbringen kann. g) EU-Amtshilfegesetz Durch das EU-Amtshilfegesetz werden die Regelungen der EU-Amtshilferichtlinie in deutsches Recht umgesetzt, naturgemäß befasst sich das EUAHiG dabei im Wesentlichen mit der von deutschen Finanzbehörden zu leistenden Amtshilfe.321 aa) Informationsgewährung auf Ersuchen § 4 EUAHiG normiert die Voraussetzungen unter denen seitens der deutschen Finanzbehörden Auskünfte auf Ersuchen gewährt werden. Die Formulierung des § 4 EUAHiG entspricht den zu Art. 26 OECD-MA entwickelten Grundsätzen des internationalen Informationsaustausches, sodass es sich wie bei Art. 26 Abs. 1 OECDMA um ein einzelfallbezogenes Ersuchen handeln muss und Auskunftsersuchen ins Blaue hinein ausgeschlossen sind.322 Auch eine Anhörung des Beteiligten findet gem. § 4 Abs. 1 S. 3 EUAHiG, § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 AO statt. Als 318
Nach deutschem Verständnis sind darunter verbindliche Auskünfte (§ 204 AO), verbindliche Zusagen (§ 89 Abs. 2 AO) und Vorabzusagen über Verrechnungspreise als sonstige Verwaltungsake zu vestehen; Ernst Czakert, in: IStR 2016, 985 (987); Siegfried Grotherr, in: RIW 2015, 179 (181); vgl. auch Roman Seer, in: Festschrift für Gosch, S. 387 (389 f.) m.w.N. Zu den Begrifflichkeiten vgl. im Übrigen Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 293 (294), Im Unterschied zum automatischen Informationsaustausch über Tax Rulings nach Art. 8a EUAHiRL kommt den Finanzbehörden bei der Übermittlung von Tax Rulings im Rahmen des spontanen Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA ein erheblicher Entscheidungsspielraum zu, vgl. Siegfried Grotherr, in: Festschrift für Gosch, S. 111 (113). 319 Siegfried Grotherr, in: Festschrift für Gosch, S. 111 (114 ff.); Alexander Werder/Achim Dannecker, in: BB 2015, 1687 (1694). 320 Alexander Werder/Achim Dannecker, in: BB 2015, 1687 (1694). 321 Mit diesem Befund auch Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 95. 322 Vgl. BT-Drs. 17/10000, S. 45; so auch Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 95.
B. Internationaler Informationsaustausch
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Verweigerungsgründe sind in § 4 Abs. 3 EUAHiG die Unzulässigkeit erforderlicher Ermittlungen oder die Beschaffung betreffenden Informationen nach deutschem Recht, die unzureichende Ausschöpfung der eigenen Ermittlungsmöglichkeiten des ersuchenden Staates, der Schutz von Handels-, Gewerbe- und Berufsgeheimnissen sowie der öffentlichen Ordnung festgehalten. bb) Spontanauskünfte Nach § 8 Abs. 1 EUAHiG können die Finanzbehörden Auskünfte auch ohne Ersuchen erteilen (Spontanauskünfte). § 8 Abs. 2 EUAHiG statuiert eine über dieses Ermessen hinausgehende Mitteilungspflicht für die spontane Übermittlung von Informationen an andere Mitgliedstaaten, wenn Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen oder ein Sachverhalt gegeben ist, auf Grund dessen eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung gewährt worden ist und die zu übermittelnden Informationen für den Steuerpflichtigen zu einer Besteuerung oder Steuererhöhung im anderen Mitgliedstaat führen könnten. Die Mitteilungspflicht greift auch, wenn Geschäftsbeziehungen zwischen einem in Deutschland Steuerpflichtigen und einem in einem anderen Mitgliedstaat Steuerpflichtigen über ein oder mehrere weitere Staaten in einer Weise geleitet werden, die in einem oder beiden Mitgliedstaaten zur Steuerersparnis führen kann. Auch wenn Gründe für die Vermutung vorliegen, dass durch künstliche Gewinnverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen eine Steuerersparnis eintritt, oder ein Sachverhalt, der im Zusammenhang mit der Informationserteilung eines anderen Mitgliedstaats ermittelt wurde, auch für die zutreffende Steuerfestsetzung in einem weiteren Mitgliedstaat erheblich sein könnte, wird die Mitteilungspflicht nach § 8 Abs. 2 EUAHiG ausgelöst. Auch wenn eine ausdrückliche Regelung wie in § 4 Abs. 1 S. 3 EUAHiG fehlt, ist der Betroffene gem. § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 AO vor der Auskunftserteilung grds. anzuhören.323 Das gilt auch für Fälle der Auskunftspflicht nach § 8 Abs. 2 EUAHiG. cc) Automatische Auskünfte Gem. § 7 Abs. 1 EUAHiG werden die verfügbaren Informationen über unselbständiges Einkommen, Vorstands- und Aufsichtsratsvergütungen, Lebensversicherungen, Pensionen, Renten und ähnliche Zahlungen sowie Vermietungs- und Verpachtungseinnahmen automatisch an den Mitgliedstaat übermittelt, in dem die betroffene Person ansässig ist.324 323
Ausführlicher dazu Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 109. Damit Umsetzung der Richtlinie 2015/2376/EU des Rates vom 8. Dezember 2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 3); vgl. dazu Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 293; Norbert Mückl/Markus München, in: BB 2015, 2775; zur Ent324
170
Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
§ 7 Abs. 2 EUAHiG normiert, dass Informationen über Finanzkonten gem. § 2 FKAustG ebenfalls automatisch an die anderen Mitgliedstaaten übermittelt werden.325 Die Regelungen des FKAustG greifen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 FKAustG auch im Anwendungsbereich der Amtshilferichtlinie, sodass für den automatischen Informationsaustausch auf Grundlage des CRS MCAA und aufgrund der EU-Amtshilferichtlinie die gleichen Bedingungen gelten. Unter den Voraussetzungen der § 7 Abs. 3 – Abs. 7 EUAHiG werden Informationen über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltungen (sog. Tax Rulings)326 automatisch an die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten übermittelt.327 Der automatische Austausch länderbezogener Berichte (CbCR) ist in § 7 Abs. 10 EUAHiG spiegelbildlich zu § 138a Abs. 7 S. 1 AO i.V.m. § 2 Abs. 1 CbC MCAA, Art. 6 AHiÜ geregelt.328 Über § 138 Abs. 7 S. 2 AO hinaus verpflichtet § 7 Abs. 11 EUAHiG zur Übermittlung, wenn eine Konzernobergesellschaft sich geweigert hat, die erforderlichen Informationen bereitzustellen, damit eine einbezogene Konzerngesellschaft den länderbezogenen Bericht erstellen und entsprechend übermitteln kann.329 Um den automatischen Auskunftsverkehr zu erleichtern, ist eine Anhörung i.S.d. § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 AO gem. § 7 Abs. 8 EUAHiG bei der Übermittlung von Informationen nach § 7 Abs. 1 – Abs. 5, Abs. 9 - Abs. 12 EUAHiG nicht erforderlich. Da für Informationen über Finanzkonten gem. § 6 Abs. 2 FKAustG eine Informationspflicht der Finanzinstitute gegenüber der betroffenen Person besteht, innerhalb der Europäischen Union ein weitreichend harmonisiertes Regelungsregime des Informationsaustausches gilt und über Art. 8 EU-GRCharta
wicklung des automatischen Informationsaustausches auf europäischer Ebene und insb. zum Einfluss des FATCA-Regimes vgl. Alicja Brodzka, in: European Taxation 2016, 26. 325 Damit Umsetzung der Richtlinie 2014/107/EU des Rates vom 9. Dezember 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 2), kritisch hinsichtlich der diesbezüglichen EU-Kompetenz Till Meickmann/Maria Reinert, in: SWI 2015, 459. 326 Vgl. dazu bereits S. 176 f.; zu Advance Pricing Agreements zudem S. 220 ff. 327 Detailliert dazu Ernst Czakert, in: IStR 2016, 985; Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 293; zum Hintergrund der Implementierung des automatischen Informationsaustausches von Tax Rulings sei verwiesen auf Evgenia Kokolia/Theodora Lzaretou, in: European Taxation 2016, 58 (60); vergleichend zum spontanen Informationsaustausch über grenzüberschreitende Steuervorbescheide und Vorabzusagen über Verrechnungspreise nach Maßnahme 5 des BEPSAktionsplans Siegfried Grotherr, in: Festschrift für Gosch, S. 111. 328 Umsetzung der Richtlinie 2016/881/EU des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 4). 329 Vgl. BT-Drs. 18/9536, S. 51.
B. Internationaler Informationsaustausch
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ein unionsweiter datenschutzrechtlicher Mindeststandard gewährleistet wird, ist die grds. Suspendierung der allgemeinen Anhörungspflicht m. E. unbedenklich.330 Insgesamt wird mit den Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und den entsprechenden Anpassungen des EUAHiG ein weitreichender automatischer Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union eingeführt, der die Datenbasis der Finanzbehörden zur Verifikation von Angaben der Steuerpflichtigen deutlich verbreitert. h) Ermittlungsmaßnahmen zur Gewährung von Informationshilfe aa) Beschaffungspflicht Besteht im Rahmen des § 117 Abs. 2 AO eine Auskunftspflicht, bezieht sich diese nicht nur auf die Übermittlung von bereits erhobenen bzw. vorhandenen Informationen, sondern begründet zugleich eine Beschaffungspflicht (insb. normiert in Art. 26 Abs. 3 Bstb. a), Abs. 4 OECD-MA, Art. 5 Abs. 2 OECD-MA-InfoAust, Art. 5 Abs. 2 AHiÜ, Art. 6 Abs. 1 EU-AHiRL , § 4 Abs. 1 S. 4 EUAHiG),331 wenn der ersuchte Staat die Übermittlung der ersuchten Information verlangen kann und soweit dem ersuchten Staat kein Verweigerungsrecht zusteht.332 Zwar hat die ersuchte Behörde ihre innerstaatlichen gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die ersuchte Auskunft zu gewähren, mitnichten folgt aus der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Informationsbeschaffung aber eine über innerstaatliche Möglichkeiten hinausgehende Befugnis zur Informationsbeschaffung.333 § 117 Abs. 4 S. 1 AO stellt insofern klar, dass sich die Befugnisse der Finanzbehörden sowie die Rechte und Pflichten der Beteiligten und anderer Personen bei der Durchführung der Rechts- und Amtshilfe nach den für Steuern i.S.d. § 1 Abs. 1 AO geltenden Vorschriften richten. Die deutschen Finanzbehörden haben daher (nur) ihr eigenes Ermittlungsintrumentarium in den Dienst des ersuchenden Staates zu stellen.334 Lediglich der Aufgabenkreis der ersuchten Behörde wird durch das Ersuchen um zwischenstaatliche Amtshilfe – wie auch bei der nationalen Amtshilfe – erweitert.335 Damit stehen zur Beschaffung der ersuchten Information insb. die Ermittlungsin-
330 Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 83 hält eine Anhörung zum Schutz von Unternehmensgeheimnissen aber in den (Einzel-)Fällen der automatischen Übermittlung von Tax Rulings für erforderlich; vgl. auch ders, in: IWB 2016, 6 (12); im Übrigen sei verwiesen auf Siegfried Grotherr, in: Festschrift für Gosch, S. 111 (120 f.). 331 Vgl. Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 124. 332 Vgl. Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 81. 333 Vgl. Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 124. 334 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA, Rn. 81; ders.: Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 328. 335 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 329.
172
Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
strumente der §§ 93 – 100 AO zur Verfügung.336 Grds. sind zum Zwecke der Erfüllung eines Auskunftsersuchens sogar Außenprüfungen und Steuerfahndungsprüfungen erlaubt.337 Welche Ermittlungsmaßnahme die Finanzbehörde ergreift, um die zu übermittelnde Information zu beschaffen, entscheidet sie nach pflichtgemäßem Ermessen.338 bb) Befugnisgrenzen Die Möglichkeiten, zur Auskunftserteilung Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen sind jedoch nicht grenzenlos. Trotz der Anordnung des § 117 Abs. 4 S. 1 AO kann sich für ersuchensbedingte Ermittlungsmaßnahmen eine besondere Befugnisgrenze aus dem Gegenseitigkeitsprinzip der Informationshilfe ergeben.339 Nur wenn der ersuchende Staat in der Lage und willens wäre, im umgekehrten Fall zur Erfüllung des Auskunftsersuchens die gleichen Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen, sind die Anforderungen des Gegenseitigkeitsprinzips erfüllt.340 Bevor einzelne Ermittlungsmaßnahmen zur Erfüllung des Auskunftsersuchens ergriffen werden, müssen die deutschen Finanzbehörden daher prüfen, ob der ersuchenden Behörde vergleichbare Instrumente zur Sachverhaltsermittlung zur Verfügung stünden und diese vice versa auch genutzt würden. Die Befugnisse zur Ermittlung reichen zudem nicht weiter als die völkerrechtliche Verpflichtung zur Informationserteilung und -beschaffung.341
336
Ausführlich im Einzlenen Michael Hendricks, in: Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 329 ff. 337 Mit abweichender Intonierung, aber im Ergebnis für eine Zulässigkeit BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.3; Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 144; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 332 f.; Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (59); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 152a; a.A.: Stephan Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, S. 84 ff.; Stephan Eilers/Markus Heintzen, in: RIW 1986, 619 (623); Matthias Werra, in: BB 1988, 1160 (1164). 338 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.1; dabei ist im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen, wenn die ersuchende Behörde eine bestimmte Ermittlugnsmaßnahme vorschlägt; so auch normiert in Art. 6 Abs. 2 EU-AHiRL. 339 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 144; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 337; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 135. 340 Ausführlich dazu: Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 337 f. 341 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 135.
B. Internationaler Informationsaustausch
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Im Rahmen der ersuchensbedingten Ermittlungsmaßnahmen herangezogene Personen sind regelmäßig andere Personen i.S.d. §§ 93 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 S. 1 AO, weil sie in einer fremden, ausländischen Steuersache mitwirken und eine Personenidentität (auch Subjektsidentität) zwischen dem Beteiligten des ausländischen Besteuerungsverfahrens und der im Inland herangezogenen Auskunftsperson üblicherweise nicht gegeben sein wird.342 Dementsprechend sind die Sondervorschriften über Mitwirkungspflichten des Beteiligten, z. B. die §§ 90, 93 Abs. 1 S. 3, 97 Abs. 2 S. 2, 200, 393 Abs. 1 S. 2 AO, regelmäßig nicht anwendbar. Maßnahmen, die nur gegenüber einem Beteiligten des Besteuerungsverfahrens ergriffen werden dürfen, sind unzulässig, wenn sie ausschließlich dem Zwecke der Erledigung eines Ersuchens dienen. cc) Außenprüfungen Zur Erledigung eines Ersuchens kann eine Außenprüfung unter den Voraussetzungen des § 193 AO deswegen nur bei einem am ausländischen Besteuerungsverfahren Beteiligten durchgeführt werden (ersuchensbedingte Außenprüfung), nicht aber bei einer anderen Person.343 In Fällen fehlender Subjektsidentität bleibt den Finanzbehörden allenfalls die Möglichkeit einer innerstaatlich motivierten Außenprüfung, die dem innerstaatlichen Besteuerungsverfahren dient.344 Bspw. ist eine Außenprüfung auch bei einer anderen Person zulässig, wenn sich aus dem Ersuchen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Sachverhalt bei der (inländischen) Besteuerung dieser Person unzutreffend behandelt wurde und die Außenprüfung damit zu Zwecken des inländischen Besteuerungsverfahrens erfolgt.345 Im Rahmen einer Außenprüfung, die nicht allein zum Zwecke der Auskunftserteilung durchgeführt wird, bleibt den Finanzbehörden zudem unbenommen unter den jeweiligen Voraussetzungen auch andere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.346 Im Rahmen für innerstaatliche Besteuerungszwecke durchgeführter Außenprüfungen gewonnene Erkenntnisse, die für ein ausländischen Besteuerungsverfahren von Bedeutung sein können, sind ihrerseits dem Auskunftsverkehr zugänglich.347 342
Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 177 AO, Rn. 154. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.3. 344 Zur Abgrenzung innerstaatlich motivierter Außenprüfungen und ersuchensbedingter Außenprüfungen sei verwiesen auf Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 377 ff. 345 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.3. 346 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.3. 347 A.A. wohl Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (59 ff.). 343
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe scheinen Außenprüfungen für den besonders relevanten Bereich der Überprüfung von Verrechnungspreisen nur eingeschränkt möglich. Keine Bedenken bestehen insofern bei Fällen, in denen den Finanzbehörden beiderseits der Grenze das gleiche Steuerrechtssubjekt gegenübersteht, also die Außenprüfung in der Bundesrepublik bspw. bei einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens erfolgt.348 Anderes gilt aber für Fälle fehlender Subjektsidentität, wenn den Finanzbehörden also beiderseits der Grenze unterschiedliche Steuersubjekte gegenüberstehen. Typischerweise ist das der Fall, wenn eine Betriebsprüfung bei der inländischen Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft oder umgekehrt durchgeführt werden soll. Dann ist nicht die inländische Tochter- oder Muttergesellschaft Beteiligte des ausländischen Besteuerungsverfahrens, sondern lediglich die ausländische Gesellschaft, um deren Einkünfte es bei dem Auskunftsersuchen der ausländischen Behörde ausschließlich gehen kann.349 Hier kommt eine Außenprüfung nur in Betracht, wenn (auch) ein eigenes Ermittlungsinteresse besteht, weil die Einkünfteabgrenzung der inländischen Gesellschaft für das deutsche Besteuerungsverfahren von Interesse ist.350 Bei dieser innerstaatlich motivierten Außenprüfung erlangte Erkenntnisse, die für die Besteuerung im Ausland von Interesse sind, können dann allerdings auch an die ausländischen Behörden übermittelt werden.351 dd) Rechtsschutz Gegen die Ermittlungshandlungen der deutschen Finanzbehörden kann der Betroffene mit den inländischen Rechtsbehelfen vorgehen, die ihm auch im Rahmen von Ermittlungen zu rein innerstaatlichen Zwecken zur Verfügung stehen.352 Davon unbenommen bleibt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, im ersuchenden Staat Rechtsschutz gegen die Verwendung der Daten oder die auf Basis der Informationen getroffenen behördlichen Entscheidungen (bspw. Steuerfestsetzungen) zu ersuchen. 3. Gewährung auf Grundlage von § 117 Abs. 3 AO Auch ohne eine unionsrechtliche oder völkervertragliche Rechtsgrundlage i.S.d. § 117 Abs. 2 AO oder wenn die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, 348
Dietmar Gosch, in: Beermann/Gosch, § 193 AO, Rn. 23; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 334; vgl. auch Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (59). 349 Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (59). 350 Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (60) erachtet allerdings die Übermittlung der in diesem Zusammenhang festgestellten Sachverhalte, die für das ausländische Besteuerungsverfahren relevant sind, für unzulässig, weil die inländische Konzerngesellschaft ihrerseits nicht Beteiligte des ausländischen Besteuerungsverfahrens ist. 351 Vgl. Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 387 f. 352 Vgl. Bernhard Schwarz, in: Schwarz/Pahlke, § 117 AO, Rn. 62.
B. Internationaler Informationsaustausch
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kann internationale Informationshilfe auf Ersuchen353 gewährt werden.354 § 117 Abs. 3 AO erfasst diese Fälle, in denen gar keine völkerrechtliche Amtshilfevereinbarung oder unionsrechtliche Rechtsgrundlage besteht oder, in denen zwar eine völkerrechtliche Amtshilfevereinbarung besteht, diese aber inhaltlich hinter § 117 Abs. 3 AO zurückbleibt.355 Tatbestandliche Voraussetzung für die Auskunftsgewährung im Kluanzwege ist, dass die Bedingungen der Gegenseitigkeit erfüllt sind (§ 117 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AO), die Verwendung für steuerliche Zwecke sichergestellt ist (§ 117 Abs. 3. S. 1 Nr. 2 AO), eine mögliche Doppelbesteuerung vermieden wird (§ 117 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AO) und die öffentliche Ordnung sowie der Geheimnisschutz gewahrt werden (§ 117 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AO). Liegen die Voraussetzungen des § 117 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – 4 AO in toto vor, steht es im Ermessen der Finanzbehörden, zu entscheiden, ob die Auskunft erteilt werden soll oder nicht (Entschließungsermessen),356 anderenfalls besteht ein innerstaatliches Auskunftsverbot.357 Bei der Ausübung des Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalls und die Wertungsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die in vergleichbaren für den internationalen Informationsaustausch maßgeblichen Rechtsgrundlagen zum Ausdruck kommen.358 Begrenzt wird das Ermessen in erster Linie durch den allgemeinen Gleichheitssatz und das Übermaßverbot.359 Dieses wird insb. verletzt, wenn Auskünfte erteilt werden, die für das Besteuerungsverfahren nicht erheblich oder nicht erforderlich sind. Gegenüber Staaten, mit denen kein völkerrechtliches Abkommen besteht, kommt eine Kulanzauskunft nur in besonderen Fällen in Betracht.360
353 Für die Erteilung von automatischen Auskünften oder Spontanauskünften kommt § 117 Abs. 3 AO hingegen nicht in Betracht, vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 119; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 199. 354 Vgl. BT-Drs. 7/4292, S. 26; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 279 f.; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 119; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 168. 355 So auch Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 50; Bernhard Schwarz, in: Schwarz/ Pahlke, § 117 AO, Rn. 67; offen gelassen von FG Köln v. 07. September 2015, 2 V 1375/15, EFG 15, 1769; differenzierend Guido Zöllner, in: Koenig, § 117 AO, Rn. 19; a.A. Helmut Becker, in: JbFfSt 80/81, S. 122 (135). 356 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 133. 357 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.107. 358 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.114 . 359 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 133. 360 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.3.5; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 133; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 197.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
4. Rechtsschutz gegen die Gewährung von Informationshilfe Die Entscheidung, Informationshilfe zu gewähren (oder nicht zu gewähren) und die Gewährung der Auskunft selbst sind keine Verwaltungsakte, sodass dem inländischen Beteiligten gegen ein Auskunftsersuchen im vorläufigen Rechtsschutz der gerichtliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) sowie in der Hauptsache die vorbeugende Unterlassungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) beim Finanzgericht offensteht, mit der ein Auskunftsersuchen untersagt werden kann. Ist die Auskunft bereits erteilt worden, kommt eine Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO) in Betracht. Maßgeblich kommt es darauf an, ob die Auskunftserteilung durch Gesetz zugelassen und der Betroffene deshalb zur Duldung verpflichtet ist,361 also ob hier die Voraussetzungen der o.g. Rechtsgrundlagen für eine Auskunftsgewährung durch deutsche Finanzbehörden erfüllt sind und ein möglicherweise bestehendes Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. Gegen Verwaltungsakte, die die deutschen Finanzbehörden im Rahmen der ersuchensbedingten Ermittlungen erlässt, ist Einspruch zu erheben (§ 347 AO), wobei insofern nicht nur Einwendungen gegen die Ermittlungsmaßnahme als solche, sondern auch gegen die Amtshilfe selbst geltend gemacht werden können.362 Gegen den Steueranspruch (der einem möglichen vorherigen Auskunftsersuchen des anderen Staates zugrunde liegt) steht dem Betroffenen nur der Rechtsweg in diesem Staat offen.363 Auch gegen das Auskunftsersuchen selbst kann der Betroffene im Staat der ersuchenden Behörde mit den vorgesehenen Mitteln vorgehen und so eine mögliche Auskunftserteilung durch die deutschen Finanzbehörden bereits im Ausgangspunkt verhindern.
IV. Typischer Ablauf eines Informationsaustausches auf Ersuchen zum Zwecke der Sachverhaltsermittlung Nachdem nunmehr die rechtlichen Rahmenbedingungen und Formen des Informationsaustausches beleuchtet wurden, soll daran anschließend erörtert werden, wie ein Informationsaustausch zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung praktisch abläuft. Zuständig für den Informationsaustausch ist in der Bundesrepublik das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt).364 Das BZSt versendet Auskunftsersuchen, 361
FG Köln v. 7. September 2015, 2 V 1375/15. Bernard Schwarz, in: Schwarz/Pahlke, § 117 AO, Rn 62. 363 Bernard Schwarz, in: Schwarz/Pahlke, § 117 AO, Rn 63a. 364 Die Zuständigkeit des BZSt ergibt sich für den Informationsaustausch auf Grundlage eines Doppelbesteuerungsabkommens aus Art. 3 Abs. 1 Bstb. f) OECD-MA i.V.m § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 FVG und bei der EU-AHiRL aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL i.V.m. § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 EUAHiG. Vgl. dazu auch BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/ 362
B. Internationaler Informationsaustausch
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Spontanauskünfte und automatische Auskünfte an die zuständigen Behörden des anderen Staates und empfängt diese in umgekehrter Richtung von anderen Staaten, um diese an die örtlichen deutschen Finanzbehörden auf dem Dienstweg weiterzuleiten.365 Von der Zuständigkeit für die Informationsübermittlung ist die Zuständigkeit für die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen zur Beschaffung der ersuchten Informationen zu unterscheiden. Diese richten sich entsprechend des Äquivalenzprinzips nach den Vorschriften des innerstaatlichen Verfahrensrechts.366 Dementsprechend hat das örtlich zuständige Finanzamt als örtliche Landesbehörde für die Verwaltung von Steuern die zur Beantwortung ausländischer Auskunftsersuchen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.367 Eine mit dem deutschen Verwaltungsaufbau vergleichbare Organisation der Finanzbehörden im Ausland vorausgesetzt, ergibt sich daraus typischerweise folgender Ablauf bei der Ermittlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mithilfe eines Auskunftsersuchens an ausländische Behörden: Auf der Seite des ersuchenden Staates entscheidet das für die Veranlagung oder Betriebsprüfung zuständige örtliche Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen und Anhörung des Beteiligten, dass im Rahmen eines konkreten Besteuerungsverfahrens vom Beweismittel der internationalen Ersuchensauskunft Gebrauch gemacht werden soll. Zu diesem Zweck übermittelt das Finanzamt ein entsprechendes Auskunftsersuchen an den betroffenen Staat auf dem Dienstweg über die Oberfinanzdirektion und die oberste Landesfinanzbehörde (Landesfinanzministerium) an das BZSt.368 Nach Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des Ersuchens369 wird dieses Ersuchen sodann vom BZSt als deutsche zuständige Behörde an die zuständige Behörde des ersuchten Staates übermittelt. Die ausländische zuständige Behörde ihrerseits übermittelt das Auskunftsersuchen – ggf. nach eigener Prüfung des Vorliegens der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Beantwortung des Ersuchens – auf dem Dienstweg an das örtlich zuständige Finanzamt, das die ersuchten Informationen – ggf. durch eigene Ermittlungstätigkeit – beschafft. Anschließend wird die ersuchte Information auf dem Dienstweg an die zuständige Behörde des ersuchten Staates übermittelt. Die zuständige Behörde des ersuchten Staates ihrerseits gibt die Information sodann – ggf. nach erneuter Prüfung – an das BZSt weiter, das 07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.5.1.1. 365 Vgl. Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 71. 366 Vgl. Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 73. 367 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 5.2.6; vgl. Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 73. 368 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.5.2; vgl. auch HorstDieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 102. 369 Vgl. Michael Hendricks, in: IStR 2009, 846 (851); zustimmend Roman Seer, in: Gosch/ Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 71; a.A. wohl BFH v. 21. Juli 2009, VII R 52/08, BStBl. II 2010, 51, BFHE 226, 102.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
dem örtlichen Finanzamt über den Dienstweg die Beantwortung des Auskunftsersuchens zukommen lässt. Ergeben sich sodann seitens des Finanzamts Rück- oder Anschlussfragen hinsichtlich der gewährten Information, ist weiterhin der Dienstweg einzuhalten. Gerade bei komplexen Sachverhalten kann sich so ein mehrfaches Auf und Ab innerhalb der Behördenhierarchie beiderseits der Grenze ergeben. Abkürzungen sind möglich, wenn sich die Landesfinanzverwaltungen aus dem Dienstweg für den Informationsaustausch herausnehmen.370 Außerdem kann das BZSt im Einzelfall die Auskunftserteilung durch die zuständige oberste Landesfinanzbehörde zulassen oder mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde die Befugnis zum Informationsaustausch mit den zuständigen ausländischen Finanzbehörden auf eine der obersten Landesfinanzbehörde nachgeordneten Behörden übertragen.371 Grds. verzögern lange Dienstwege den Auskunftsverkehr auf Ersuchen. Eine einzelfallbezogene, punktuelle Sachverhaltsermittlung bedarf eher kurzer Dienstwege, weshalb Auskunftsersuchen als Mittel der Sachverhaltsermittlung bspw. im Rahmen von Außenprüfungen bislang eher unattraktiv erscheinen.
V. Zusammenfassung Die internationale Staatengemeinschaft und die Europäische Union haben ein engmaschiges Netz verschiedener Rechtsgrundlagen für den Austausch steuerlich erheblicher Daten geschaffen. Neben dem bereits etablierten Informationsaustausch auf Ersuchen wird der automatische Informationsaustausch in vielen Bereichen auf Initiative der OECD und der Europäischen Union vorangetrieben. Insb. die Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie durch DAC 2 – 4 und die entsprechenden innerstaatlichen Umsetzungen im EUAHiG werden den Finanzbehörden weitreichende Informationsgrundlagen zu innereuropäischen Sachverhalten verschaffen, ohne dass dafür eigene Ermittlungen notwendig wären. Unabhängig von der Frage, wie die damit einhergehende Informationsflut praktisch überhaupt zu beherrschen ist, werden die durch die formelle Territorialität bedingten Ermittlungsdefizite zumindest teilweise überwunden. Allerdings bleiben die Finanzbehörden für die nicht vom automatischen Informationsaustausch erfassten Bereiche auch in Zukunft auf die Gewährung von Informationshilfe auf Ersuchen angewiesen. Das betrifft insb. Fragen bei Verrechnungspreisen, für die abseits des Bereichs der Tax Rulings keine automatisierte Auskunft vorgesehen ist, wobei festzuhalten ist, dass gerade in diesem Anwendungsfeld lange Dienstwege einem regen Informationsaustausch im Wege stehen. Auch hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auch aus einem perfekt funk370
Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 102. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.5.1.2. 371
C. Simultanprüfungen
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tionierenden, umfassenden Informationsaustausch nicht unbedingt ein realita¨ tsgetreueres Bild des fraglichen Sachverhalts ergibt.372 Einerseits, weil gerade bei unternehmerischen Tätigkeiten auch ein Einblick in die tatsächlichen Betriebsabläufe nicht durch bloße Informationsgewährung ersetzt werden kann und andererseits, weil von fremden Staaten er- und übermittelte Informationen – zumindest in gewissen Umfang – bereits durch die ersuchte Behörde einer rechtlichen Einordnung unter Maßgabe der innerstaatlichen Rechtspraxis und -ordnung unterzogen werden.
C. Simultanprüfungen Um den langen Verfahrensdauern des Informationsaustausches zu begegnen und den Informationsfluss zu effektuieren, werden seit über 40 Jahren ausgewählte Außenprüfungen international simultan durchgeführt.373 Bei solchen Simultanbetriebsprüfungen374 handelt es sich um eine Form der gegenseitigen Amtshilfe, die es zwei oder mehr Staaten ermöglicht, bei der Ermittlung steuerlicher Sachverhalte zusammenzuwirken.375 Die Prüfungen finden zum Zwecke des punktuellen oder umfassenden Informationsaustausches zwar zeitgleich und inhaltlich abgestimmt statt; es bleibt dabei aber bei zwei oder mehr getrennten Steuerprüfungen, die durch inländische Prüfer auf dem jeweiligen Staatsgebiet ausgeführt werden.376 Parallel zum Prüfungsgeschehen,377 insb. aber auch nach Abschluss der Außenprüfungen, findet ein zwischenstaatlicher Austausch der hierbei gewonnenen Erkenntnisse statt.378 Ein einheitliches Prüfungsteam wird nicht gebildet.379 Die Anwesenheit von Prüfern im anderen Staat ist bei Simultanprüfung nicht erforderlich.380 Auch Verständigungs- oder Konsultationsverfahren beinhalten simultane Betriebsprüfungen 372 Vgl. Steffen Voll/Roland Pfeiffer/Paul Chao, in: Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, S. 383 (414). 373 Erste international koordinierte Außenprüfungen mit Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland datieren auf das Jahr 1975; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 383; vgl. Hans Flick, in: DB 1975, 1727 (1727). 374 Gebräuchlich sind die Bezeichnung als „international koordinierte Außenprüfung“, „Simultanbetriebsprüfung“, „Gleichzeitige Prüfungen“, „Gleichzeitige Steuerprüfungen“, „zeitlich abgestimmte Betriebsprüfungen“ u. a. 375 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 4.77. 376 Vgl. Lisette van der Hel, Intra-Community Tax Audit, S. 56; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 384; Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (29). 377 Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (30). 378 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 384 m.w.N. 379 Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (2). 380 Seer hingegen sieht in der Anwesenheit ausländischer Prüfer ein Wesensmerkmal gleichzeitiger Prüfungen, Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 193 AO, Rn. 43; ähnlich Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (2); vgl. zur Terminologie auch später auf S. 228 ff.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
nicht.381 Richtigerweise sind international koordinierte Außenprüfungen daher funktional dem Auskunftsaustausch zuzuordnen.382
I. Ablauf international koordinierter Außenprüfungen Die praktische Umsetzung von koordinierten Außenprüfungen lässt sich im Wesentlichen in zwei Abschnitte unterteilen: In der ersten Planungsphase werden auf inner- und zwischenstaatlicher Ebene vorbereitende Maßnahmen für die Prüfungen getroffen, während in der darauffolgenden Durchführungsphase unilateral Prüfungen mit flankierendem zwischenstaatlichen Informationsaustausch durchgeführt werden.383 1. Planungsphase Die Koordination von simultanen Außenprüfungen bedarf intensiver Vorbereitung seitens der beteiligten Steuerverwaltungen. Ausgangspunkt für die Planungen ist der Vorschlag in- oder ausländischer Finanzbehörden, eine gleichzeitige Prüfung eines Steuerpflichtigen oder mehrerer Steuerpflichtiger vorzunehmen, um Doppelbesteuerungen bzw. -belastungen zu verhindern und grenzüberschreitende Sachverhalte durch Informationsaustausch aufzuklären.384 Vorschläge deutscher Finanzbehörden werden dem BZSt385 zugeleitet, das eine Vereinbarung mit der ihrerseits zuständigen ausländischen Finanzbehörde trifft, wenn die zuständige ausländische Finanzbehörde dem Vorschlag zur gleichzeitigen Prüfung zustimmt.386 Der Vorschlag enthält die erforderlichen Informationen über den oder die zu prüfenden Steuerpflichtigen und die in Betracht kommenden Prüfungsjahre sowie die relevanten Prüfungsfelder. Mit dem jeweiligen Vorschlag hängt 381 Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (29). Derartige Elemente erkennen will entgegen der Auffassung der OECD und der deutschen Finanzverwaltung Berndt Runge, in: Festschrift für Ritter, S. 475 (479), ders., in: NSt Nr. 18/1984, 1 (3); ders., in: Intertax 1980, 182. 382 Dieser Zuordnung entsprechend regeln die EU-Amtshilferichtlinie und das Amtshilfeübereinkommen simultane Betriebsprüfungen innerhalb des Regelungskomplexes des Informationsaustausches. 383 Dieses Verfahren entspricht dem von der OECD vorgelegten Musterverinbarung zur Durchführung simultaner Betriebsprüfungen. Auch ohne eine solche Absprache richtet sich der Ablauf international koordinierter Außenprüfungen nach dem hier skizzierten Schema. 384 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7. 385 Das Bundesministerium der Finanzen hat seine Zuständigkeit für die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuerfestsetzung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG durch Erlass vom 29. November 2004, IV B 6 – S 1304/2/04 auf das BZSt übertragen. 386 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7.
C. Simultanprüfungen
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daher untrennbar eine Auskunftserteilung im Vorfeld der gemeinsamen Prüfung zusammen. Soweit nicht anders bestimmt, ist die betroffene Person dementsprechend bereits vor Unterbreitung des Vorschlags anzuhören.387 Dabei kann der Steuerpflichtige anregen, weitere Themenkomplexe zum Prüfungsfeld der beabsichtigten Simultanprüfung hinzuzuziehen388 oder Bedenken gegen die Durchführung einer gleichzeitigen Betriebsprüfung vorbringen. Vorschläge ausländischer Finanzbehörden werden an das BZSt gerichtet, das die für die Prüfung zuständigen inländischen Finanzbehörden über das Prüfungsersuchen informiert. Die Finanzbehörden entscheiden nach grds. erforderlicher Anhörung des Steuerpflichtigen,389 ob sie an der gleichzeitigen Prüfung teilnehmen wollen und dem Vorschlag zustimmen. Liegt eine solche Zustimmung vor, trifft das BZSt mit der zuständigen ausländischen Finanzbehörde eine Vereinbarung über die Durchführung der gleichzeitigen Prüfung. Die zwischen den Finanzbehörden getroffene Vereinbarung benennt die zu prüfenden Steuerpflichtigen, den zeitlichen wie inhaltlichen Rahmen und den vorgesehenen Zeitpunkt der Prüfung (sog. Rahmenbedingungen).390 Sie kann zudem bereits konkrete Auskunftsersuchen enthalten. 2. Durchführungsphase Die Durchführungsphase koordinierter Betriebsprüfungen ihrerseits ist durch zwei Elemente geprägt: Die innerstaatlichen Prüfungsprozesse391 einerseits und die fortlaufende zwischenstaatliche Koordination auf Basis des flankierenden Informationsaustausches andererseits. Der Prüfungsablauf wird in den beteiligten Jurisdiktionen vom jeweiligen innerstaatlichen steuerlichen Verfahrensrecht bestimmt.392 Die nationalen Dienststellen führen die Prüfungen zu den im Vorfeld abgestimmten Prüfungszeiträumen und -feldern zeitgleich auf dem eigenen Staatsgebiet im eigenen Besteuerungsinteresse 387 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7; die bisherige Praxis der deutschen Steuerverwaltung, eine Simultanprüfung von der Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängig zu machen, hinterfragte bereits 1997 zurecht Berndt Runge, in: Festschrift für Ritter, S. 475 (480). 388 Vgl. Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (4), der diese Möglichkeit jedenfalls bei Abschluss der Prüfung einräumen will. 389 Vgl. hinsichtlich der Anhörungspflicht Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 20.34. Auch im Rahmen dieser Anhörung kann der Steuerpflichtige anregen, Sachverhalte zum Prüfungsfeld der beabsichtigten Simultanprüfung hinzuzuziehen oder Bedenken gegen die Durchführung der simultanen Prüfung vorbringen. 390 Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (5). 391 Günther Strunk, in: StBp 1993, 145 (149) bezeichnet dieses Element plastisch als „Informationssammelphase“. 392 Berndt Runge, in: Festschrift für Ritter, S. 475 (479).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
und in eigener Verantwortung durch.393 Soweit nach dem innerstaatlichen Recht zulässig, kann die jeweilige Prüfung aber auch weitere Prüfungszeiträumen und -inhalte umfassen.394 Trotz des inhaltlichen und zeitlichen Gleichlaufs der Außenprüfungen werden nicht alle gewonnenen Informationen ausgetauscht.395 Die Auskunftserteilung beschränkt sich vielmehr auf jene Daten, die für die Aufklärung der vereinbarten Prüfungsziele erforderlich sind.396 In Abstimmung mit den zuständigen Landesfinanzbehörden koordiniert das BZSt die Abwicklung der Prüfung, wobei das BZSt die Koordination der Simultanprüfung mit der Befugnis zum Auskunftsaustausch mit den beteiligten Finanzbehörden im Ausland auf die jeweils zuständigen Landesfinanzbehörden delegieren kann.397 Auch eine Übertragung der Befugnis auf eine der obersten Landesfinanzbehörde nachgeordnete Behörde ist mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesfinanzbehörden möglich.398 Um die mit der Simultanprüfung beabsichtige Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen, ist es aus praktischen Gesichtspunkten zu empfehlen, die Befugnis zum Informationsaustausch auf die prüfende Behörde zu übertragen, sodass es zu einem unmittelbaren grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen den beteiligten Prüfern kommt.399 Durch den fortlaufenden unmittelbaren gegenseitigen Informationsaustausch und den zuvor vereinbarten Zeitrahmen können die Prüfungsabläufe beiderseits der Grenze synchronisiert werden, sodass die eigene Prüfungstätigkeit mit den durch den Auskunftsaustausch erlangten Erkenntnissen verschränkt wird.
393 BMF v. 23. November 2015 – IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 385; Berndt Runge, in: StbJb 1987/ 1988, S. 429 (434). 394 Zu diesbezüglichen Beschränkungen nach dem deutschen steuerlichen Verfahrensrecht sodann im Folgenden auf S. 188 ff. 395 In diese Richtung hingegen wohl Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (29), der aber zumindest eine Einschränkung auf „alle relevanten Informationen“ vornimmt. 396 Zu den rechtlichen Grenzen des Informationsaustausches im Rahmen gleichzeitiger Außenprüfungen sodann auf S. 190 ff. 397 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7; Tz. 1.5.1.2. 398 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7; Tz. 5.2.4. 399 Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (30). Zur unbegründeten Kritik der deutschen Exportwirtschaft, dass ein Informationsaustausch außerhalb des „langen Dienstwegs“ zur Aufweichung der verfahrensmäßigen Vorkehrungen zum Schutz des Steuerpflichtigen führe, sei verwiesen auf Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 161 f.
C. Simultanprüfungen
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II. Rechtsrahmen Explizite Erwähnung finden Außenprüfungen in Abkommen zur Durchführung simultaner Betriebsprüfungen, aber auch in der EU-AHiRL bzw. dem EUAHiG, Informationsaustauschabkommen nach dem Vorbild des OECD-MA-InfoAust und dem Amtshilfeübereinkommen, nicht hingegen im OECD-MA. 1. Vereinbarungen zur Durchführung simultaner Betriebsprüfungen Die OECD hat 1992 eine Mustervereinbarung zur Durchführung zeitlich abgestimmter Betriebsprüfungen vorgelegt.400 Es handelt sich um ein Muster für Verwaltungsvereinbarungen, die Details über die Ziele, die Fallauswahl, den Ablauf der Planung, die Koordination und den Ablauf von Simultanprüfungen regeln. Nach der Mustervereinbarung liegt der Hauptzweck von gleichzeitigen Steuerprüfungen in der Feststellung der korrekten Steuerschuld des Steuerpflichtigen401 und der Erleichterung des Informationsaustausches zwischen den Steuerbehörden.402 Gleichzeitige Prüfungen kommen danach jedoch nicht als Ersatz für Verständigungsverfahren in Betracht.403 Auch die Anwesenheit ausländischer Prüfer ist grds. nicht vorgesehen.404 Gemeinsame Betriebsprüfungen adressiert die Vereinbarung ebenso wenig.405 Nachdem die zuständigen Behörden für gleichzeitige Betriebsprüfungen in Betracht kommende Fälle nach den in der Mustervereinbarung festgelegten Kriterien406 400 OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations; vgl. Empfehlung des Rates der OECD vom 23. Juli 1992, C(92)81/Final; zum Hintergrund sei verwiesen auf John Turro, in: Tax Notes International 1992, 759. 401 Das Augenmerk soll sich insofern auf Fälle richten, in denen Gewinnverlagerungen oder Verrechnungspreisfragen eine Rolle spielen. 402 Informationen sollen insb. über multinationale Geschäftspraktiken, komplexe Transaktionen, Prüfungsfragen und Non-Compliance Trends bestimmter Industrien sowie Industriegruppen, Kostenteilungsvereinbarungen und Methoden zur Gewinnverlagerung ausgetauscht werden. 403 Vgl. OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations, Chapter B. Objectives; John Turro, in: Tax Notes International 1992, 759 (759). 404 Vgl. OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations Chapter E. Personnel, wobei die Anwesenheit ausländischer Bediensteter zur Effizienzsteiegerung in Betracht kommen soll, soweit dafür ein rechtlicher Rahmen besteht. 405 John Turro, in: Tax Notes International 1992, 759. 406 In OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations Chapter D. Criteria for case selection werden als maßgebliche Kriterien vorgeschlagen: Hinweise auf erhebliche Verstöße gegen das Steuerrecht in in einem der teilnehmenden Staaten, Hinweise auf eine Manipulation der Verrechnungspreise in einem der teilnehmenden Staaten, Hinweise auf andere Formen der internationalen Steuerplanung, deren Beseitigung zu zusätzliche Steuereinnahmen in einem der teilnehmenden Staaten führen kann, wenn Angaben des Steuerpflichtigen über seine ökonomische Leistungsfähigkeit nicht den Erwartungen entsprechen, Hinweise über Geschäfte mit Steueroasen vorliegen sowie wenn eine Situationen
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
identifiziert haben, schlagen sie diese der zuständigen Behörde des anderen Staates vor und begründen ihre Fallauswahl bei gleichzeitiger Übermittlung der ihrer Auswahl zugrundeliegenden Informationen. Die ersuchte Behörde kann diesen Vorschlag ablehnen oder ihm zustimmen und ebenso wie die ersuchende Behörde einen für die Beaufsichtigung und die Koordinierung der Prüfung verantwortlichen Vertreter benennen. Diese Vertreter können, soweit erforderlich und rechtlich zulässig, auch im anderen Staat anwesend sein.407 Das in der Mustervereinbarung vorgeschlagene Verfahren entspricht damit dem zuvor skizzierten zweistufigen praktischen Vorgehen der deutschen Finanzbehörden. Eine Rechtsgrundlage für Simultanprüfungen können der OECD-Mustervereinbarung nachempfundene Abkommen als reine Verwaltungsvereinbarungen allerdings gerade nicht bieten.408 Das gilt auch für die vom BMF getroffenen Absprachen mit Dänemark409, Estland410, Frankreich411, Lettland412, Litauen413, den Niederlanden414, Tschechien415 und Ungarn416, die einen mit der OECD-Mustervereinbarung vergleichbaren Regelungsgehalt aufweisen. gegeben ist, in der die zuständigen Behörden davon ausgehen, dass es eine gleichzeitige Prüfung im Interesse der betroffenen Steuerverwaltungen liegt, weil sie die Compliance steigern kann. 407 Verfahren nach OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations Chapter C. Case selection and examiniation procedure. 408 OECD Model Agreement for the Undertaking of Simultaneous Tax Examinations Chapter A. Definition and legal basis stellt klar, dass Rechtsgrundlage insb. Doppelbesteuerungsabkommen und das Amtshilfeübereinkommen sein können. 409 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2005, 498. 410 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland über die gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2006, 355. 411 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Durchführung des Auskunftsaustauschs bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (direkte Steuern), BStBl. 2004 I, 1184. 412 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über die gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2006, 359. 413 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2005, 1008. 414 Vereinbarung zwischen den obersten Finanzbehörden der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über den Auskunftsaustausch auf steuerlichem Gebiet, BStBl. I 1997, 970. 415 Absprache zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und der zuständigen Behörde der Tschechischen Republik über die gegenseitige Amtshilfe; Delegation von Zuständigkeiten nach § 1a EG-Amtshilfe-Gesetz, BStBl. I 2005, 904; Absprache zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und der zuständigen Behörde der Tschechischen Republik über die gegenseitige Amtshilfe; Änderung Nummer 1 zu der Absprache zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und der zuständigen Behörde der Tschechischen Republik über die gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2006, 487. 416 Absprache zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über die gegenseitige Amtshilfe, BStBl. I 2006, 694.
C. Simultanprüfungen
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2. EU-Amtshilferichtlinie und EUAHiG Art. 12 EU-AHiRL trifft in Abs. 2 – 4 Regelungen zum Verfahren, nach dem zwei oder mehr Mitgliedstaaten vereinbaren können, jeweils in ihrem Hoheitsgebiet gleichzeitige Prüfungen einer oder mehrerer Personen von gemeinsamem oder ergänzendem Interesse durchzuführen, um die dabei erlangten Informationen auszutauschen. Konkret soll die zuständige Behörde eines Staates der zuständigen Behörde des anderen Staates einen begründeten Vorschlag zur Durchführung einer gleichzeitigen Prüfung machen und den Zeitraum für eine derartige Prüfung angeben (Art. 12 Abs. 2 EU-AHiRL). Die zuständige Behörde des ersuchten Staates kann diesen Vorschlag gem. Art. 12 Abs. 3 EU-AHiRL annehmen oder mit Begründung ablehnen. Nach Art. 12 Abs. 4 EU-AHiRL benennen die zuständigen Behörden jeweils einen für die Beaufsichtigung und die Koordinierung der Prüfung verantwortlichen Vertreter. Auch das Verfahren nach der EU-AHiRL entspricht damit dem skizzierten Vorgehen der deutschen Finanzverwaltung. Die Bundesrepublik Deutschland hat Art. 12 EU-AHiRL mit § 12 EUAHiG inhaltlich vollumfänglich umgesetzt. Hinsichtlich des grds. bestehenden Anhörungserfordernisses417, trifft § 12 Abs. 5 EUAHiG allerdings eine besondere Regelung. Demnach kann von der Anhörung des Steuerpflichtigen bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung abgesehen werden, wenn ansonsten der Prüfungserfolg gefährdet würde. 3. Informationsaustauschabkommen Informationsaustauschabkommen nach dem Vorbild des OECD-MA-InfoAust enthalten Regelungen zur Zusammenarbeit bei der Außenprüfung zwischen den Vertragsstaaten. Art. 6 OECD-MA-InfoAust sieht als Formen solcher Zusammenarbeit die Einreise ausländischer Prüfer, ihre Anwesenheit bei Prüfungshandlungen sowie die Vornahme eigener Prüfungshandlungen vor und trifft dezidierte Regelungen hinsichtlich des bei diesen Formen der Verwaltungszusammenarbeit anzuwendenden Verfahrens. Gleichzeitige Prüfungen i.S.d. hier vertretenen Aufassung werden vom OECD- MA-InfoAust allerdings nicht adressiert.418 Von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene Abkommen über die Amtsund Rechtshilfe, die nicht dem OECD-MA-InfoAust entsprechen,419 enthalten ebenso wenig explizite Angaben zu gleichzeitigen Prüfungen.
417
Zur Anhörung beim Informationsaustausch bereits auf S. 157 f. Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854) hingegen will Art. 6 OECD-MA-Infoaust anscheinend eine ausdrückliche Regelung zu simultanen Betriebsprüfungen entnehmen. 419 Das trifft zur Zeit auf alle Abkommen zu, vgl. BMF v. 10. November 2015, IV B 6 – S 1301/11/10002, Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement – TIEA), S. 5. 418
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
4. Amtshilfeübereinkommen Das Amtshilfeübereinkommen sieht in Art. 8 die Möglichkeit von simultanen Betriebsprüfungen zwischen den Vertragsstaaten vor. Nach Art. 8 Abs. 2 AHiÜ bestehen gleichzeitige Steuerprüfungen aus Prüfungen von zwei oder mehr Vertragsstaaten, die gleichzeitig im jeweils eigenen Hoheitsgebiet die steuerlichen Verhältnisse einer Person oder mehrerer Personen, an denen die Vertragsparteien ein gemeinsames oder ergänzendes Interesse haben, prüfen, um die auf diesem Weg gewonnenen Informationen auszutauschen. Gem. Art. 8 Abs. 1 AHiÜ beraten zwei oder mehr Vertragsstaaten gemeinsam auf Ersuchen eines der Staaten, um Fälle für gleichzeitige Steuerprüfungen festzulegen. Jeder betroffene Vertragsstaat entscheidet selbst, ob er an einer Simultanprüfung teilnehmen will. Das Verfahren zur Planung und Durchführung von gleichzeitigen Prüfungen sollen die betroffenen Vertragsstaaten im Rahmen einer Konsultation festlegen. 5. Ohne spezifische Rechtsgrundlage Hinsichtlich der Erforderlichkeit einer speziellen Rechtsgrundlage für koordinierte Betriebsprüfungen bzw. der Zulässigkeit koordinierter Betriebsprüfungen auf Grundlage des für den Informationsaustausch vorhandenen Rechtsrahmens besteht in der Literatur Uneinigkeit.420 Die Frage verliert zwar in Anbetracht der inzwischen vielfältig bestehenden eindeutig auf simultan stattfindende Außenprüfungen bezugnehmenden Abkommen und sonstiger Rechtsgrundlagen praktisch an Bedeutung, bleibt außerhalb dieses Anwendungsbereichs aber berechtigt. Tatsächlich fallen darunter Fälle, in denen als Basis für Simultanprüfungen nur eine Regelung nach Vorbild des Art. 26 OECD-MA bzw. Art. 5 OECD-MA-InfoAust421 in Frage kommt oder mangels abkommensrechtlicher Regelung auf § 117 Abs. 1, Abs. 3 AO zurückzugreifen ist. Vereinzelt wird vertreten, Art. 26 OECD-MA vermöge den Anforderungen an eine hinreichend konkrete innerstaatliche Rechtsgrundlage, auf deren Basis ver420 Die deutsche Finanzverwaltung ist der Auffassung, dass eine spezifische Rechtsgrundlage für gleichzeitige Betriebsprüfungen nicht erforderlich sei, s. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7. Gleiches gilt für die OECD, vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 4.83 ff. Auch der weit überwiegende Teil der Literatur geht von einer Zulässigkeit koordinierter Betriebsprüfungen auf Grundlage des Rechtsrahmens zum internationalen Informationsaustausch aus: Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (565); Michael Hendricks, in: Beermann/Gosch, § 117 AO Rn. 191; Horst-Dieter Höppner, in: Gosch/ Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 47; Katharina Mank/Stephan Rasch, in: Kroppen/ Rasch, OECD-Kap. IV, Rn. 309, Fn. 4; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 193 AO, Rn. 43; a.A. hingegen Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 ff.; Matthias Werra, in: BB 1988, 1160 (1162). 421 Art. 6 OECD-MA-InfoAust käme trotz seiner Bezugnahme auf Steuerprüfungen im Ausland nicht als eigenständige Rechtsgrundlage für die Durchführung gleichzeitiger Prüfungen in Betracht. Dafür ist vielmehr auf Art. 5 OECD-MA-InfoAust abzustellen, vgl. Kommentar zum OECD-MA-InfoAust 2002, Art. 5, Para. 1.
C. Simultanprüfungen
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waltungsseitig für den einzelnen Prüfungsfall eine bilaterale Vereinbarung über die Durchführung der Prüfung abgeschlossen werden könne, mangels verfassungsrechtlich gebotener Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu genügen.422 Darüber hinaus verletzten Simultanprüfungen, die sich einzig auf Art. 26 OECD-MA stützen könnten, das Steuergeheimnis, weil nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO eine Offenbarung von Verhältnissen eines Steuerpflichtigen nur zulässig sei, wenn auf eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung zurückgegriffen werden könne.423 Art. 26 OECD-MA sei eine entsprechende ausdrückliche Regelung jedoch nicht zu entnehmen.424 Die Vornahme von koordinierten Prüfungen lediglich auf Grundlage des Art. 26 OECD-MA erscheine daher aus deutscher Sicht rechtswidrig.425 Es ist allerdings fraglich, ob für international koordinierte Betriebsprüfungen eine spezifische Rechtsgrundlage, die über die für den zwischenstaatlichen Informationsaustausch zur Verfügung stehenden Regelungen hinausgeht, aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überhaupt erforderlich ist. Um sich dieser Frage zu nähern, ist es sinnvoll, sich vor Augen zu führen, dass gleichzeitige Prüfungen aus zwei de jure voneinander unabhängigen Vorgängen bestehen,426 dem innerstaatlichen Prüfungsgeschehen in den beteiligten Staaten einerseits und dem zwischenstaatlichen gegenseitigen, parallel zu den Prüfungen und im Anschluss stattfindenden, Informationsaustausch andererseits. Das gesamte Verfahren gleichzeitiger Prüfungen hindurch wird im Rahmen dieser beiden Teilelemente in die Rechte des Bürgers eingegriffen. Sowohl für die Vornahme von Außenprüfungen als auch für den zwischenstaatlichen Informationsaustausch bestehen detaillierte gesetzliche Regelungen, die ihrerseits keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind. Die intergouvernementalen Vereinbarungen hinsichtlich konkreter Prüfung sind bloße Absprachen zur zeitlichen und inhaltlichen Synchronisierung der nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht stattfindenden Prüfungen und der Übermittlung der dabei gewonnenen Informationen nach dem einschlägigen Abkommensrecht. Die Verwaltungsvereinbarungen sind gerade keine rechtliche Grundlage für einen weiterreichenden Informationsaustausch. Sie bilden vielmehr ein inhaltliches Scharnier zwischen Prüfung und Auskunftserteilung. Deshalb greifen die Absprachen nicht weiter in die Rechte des Steuerpflichtigen ein, als dies im Rahmen des klassischen Informationsaustausches der Fall ist, sodass dem Vorbehalt des Gesetzes durch die Rechtsgrundlage zum Informationsaustausch Genüge getan ist. Einer spezifischen Rechtsgrundlage für die Koordination bedarf es daher nicht. Aus dem gleichen Grund kann der Vorwurf mangelnder verfassungsrechtlicher 422
Siegfried Grotherr, IStR 2015, 845 (854). Siegfried Grotherr, IStR 2015, 845 (854). 424 Siegfried Grotherr, IStR 2015, 845 (854). 425 Siegfried Grotherr, IStR 2015, 845 (854). 426 Vgl. Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (567 f.); wohl a.A. Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 159 f., die hinsichtlich dieser Aufteilung in zwei einzelne Teilelemente von einer „Hilfskonstruktion“ sprechen. 423
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Bestimmtheit letztlich nicht überzeugen. Gleiches gilt für einen vermeintlichen Verstoß gegen § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO. Im Ergebnis ist also festzustellen, dass der bestehende Rechtsrahmen für Außenprüfungen (§§ 193 ff. AO und BpO) und Informationsaustausch (insb. Art. 26 OECD-MA und § 117 Abs. 1, Abs. 3 AO) mangels darüberhinausgehender Eingriffe als Rechtsgrundlage für international koordinierte Außenprüfungen genügen kann.427 Soweit die hier zuvor in den Blick genommenen Regelungen für simultane Betriebsprüfungen von den allgemeinen Regelungen zum Informationsaustausch abweichen, wie dies bspw. bei § 12 Abs. 5 EUAHiG der Fall ist, sind diese zu beachten.428 Für die Durchführung von international koordinierten Betriebsprüfungen mit mehr als zwei Staaten wird es regelmäßig eines multinationalen Abkommens bedürfen,429 da bei der ansonsten notwendigen parallelen Anwendung von mindestens drei verschiedenen bilateralen Abkommen erhebliche Rechtsunsicherheiten zu befürchten sind.430
III. Grenzen von Simultanprüfungen in Deutschland Tatsächlich begrenzen die Vorgaben der Abgabenordnung, der Betriebsprüfungsordnung, der EU-Amtshilferichtlinie, des Amtshilfeübereinkommens, der Informationsaustauschabkommen und Doppelbesteuerungsabkommen koordinierte Außenprüfungen in beiden ihrer Teilelemente. 1. Prüfungsbezogene Grenzen Auf der einen Seite sind auch bei Simultanprüfungen die Befugnisgrenzen für Außenprüfungen zu beachten. Gem. § 194 Abs. 1 S. 1 AO dient die Außenprüfung 427 Im Ergebnis übereinstimmend Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 189 f.; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 386; Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (57); Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602) sowie Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (2), der in international koordinierten Außenprüfungen auch Elemente eines Verständigungsverfahrens ausmacht und für dieses Teilelement zudem Art. 25 OECD-MA als Rechtsgrundlage heranziehen will. 428 Bis dato rein hypothetischer Natur ist allerdings die Frage, ob Regelungen zu gleichzeitigen Prüfungen bei strengeren Anforderungen an den Informationsaustausch abschließender Charakter zukommt. 429 So mit Bezug auf die Bedeutung des Amtshilfeübereinkommens Siegfried Grotherr, IStR 2015, 845 (854). 430 Runge lässt diesbezüglich keine Bedenken erkennen; multinational koordinierte Betriebsprüfungen seien auch im Rahmen eines DBA-Netzes möglich; Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (3).
C. Simultanprüfungen
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der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Außenprüfungen dürfen daher nicht durchgeführt werden, um (allein) die steuerlichen Verhältnisse Dritter zu erforschen.431 Ersuchensbedingte Außenprüfungen432 sind nur zulässig, wenn derjenige, dessen steuerliche Verhältnisse geprüft werden sollen, selbst Beteiligter des ausländischen Steuerverfahrens ist (Personen- oder Subjektsidentität).433 Die Ermittlungen dürfen bei solchen ersuchensbedingten Außenprüfungen allerdings nicht über das hinausgehen, was zur Beantwortung des Auskunftsersuchens der ausländischen Behörde erforderlich ist.434 Ist der für die Erteilung der ersuchten Auskunft zu Prüfende nicht Beteiligter des ausländischen Steuerverfahrens, kommt eine innerstaatlich motivierte Außenprüfung in Betracht. Solche Prüfungen dürfen allerdings nur für Zwecke der inländischen Besteuerung angeordnet werden. Damit sind Ermittlungsmaßnahmen ausgeschlossen, die ausschließlich der ausländischen Besteuerung dienen.435 Wenn die Prüfung gleichzeitig Zwecken der innerstaatlichen Besteuerung und der Besteuerung im Ausland dient sowie Personenidentität von ausländischem und inländischem Steuerpflichtigen gegeben ist, liegt eine bifunktionale Außenprüfung vor.436 In diesen Fällen dürfen Ermittlungsmaßnahmen für beide Zweckrichtungen (inländische wie ausländische Besteuerung) ergriffen werden. Fraglich erscheint nunmehr, ob unter diesen Rahmenbedingungen international koordinierte Betriebsprüfungen für den zentralen Bereich der Überprüfung von Verrechnungspreisen bei global verflochtenen Konzernstrukturen in Deutschland überhaupt zulässig sind. Soll sich die Betriebsprüfung in der Bundesrepublik auf die inländische Tochtergesellschaft eines ausländischen Mutterkonzerns erstrecken, kommt eine ersuchensbedingte und damit auch eine bifunktionale Außenprüfung nicht in Betracht, sodass Ermittlungsmaßnahmen ausgeschlossen sind, die ausschließlich der ausländischen Besteuerung dienen.437 Unberührt davon kann jedoch eine rein innerstaatlich motivierte Außenprüfung mit dem Zweck der Überprüfung der Verrechnungspreise bei der deutschen Tochter angeordnet werden.438 Grds. 431
BFH v. 18. Februar 1997, VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl. II 1997, 499. Terminologie nach Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 387; vgl. dazu auch bereits S. 173 f. 433 Ausführlich Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung Band 10, S. 51 (59 ff.); vgl. dazu auch bereits S. 173 f. 434 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 387. 435 Dazu bereits auf S. 173 f.; vgl. auch Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 387, 380. 436 Vgl. Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 381. 437 Eine ersuchensbedingte oder bifunktionale Außenprüfung bei der inländischen Tochter eines ausländischen Konzerns scheidet aus, weil die potentiell zur Prüfung herangezogene Tochter nicht Beteiligte des ausländischen Besteuerungsverfahrens ist (keine Personenidentität); so bereits auf S. 173 f.; vgl. auch Andreas Roth, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 51 (60). 438 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 387. 432
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
kommt auch die erneute Prüfung eines bereits abschließend geprüften Zeitraums in Betracht (sog. Zweitprüfung)439, wenn nicht von vornherein unzweifelhaft keinerlei Erkenntnisse für die inländische Besteuerung zu erwarten sind.440 Außerdem ist zu erwägen, dass eine Zweitprüfung der zuvor skizzierten Systematik widersprechen kann, wenn sie zwar als innerstaatlich motiviert deklariert wird, dem Grunde nach jedoch einzig ersuchensbedingt angeordnet wird. Eine bloß fremdmotivierte Zweitprüfung kann daher, selbst wenn Erkenntnisse für die inländische Besteuerung von vornherein nicht schlechterdings auszuschließen sind, als unverhältnismäßig441 und damit rechtswidrig zu qualifizieren sein.442 Losgelöst von der Überprüfung von Verrechnungspreisen lässt sich festhalten: Ist Personenidentität nicht gegeben, kann die deutsche Steuerverwaltung eine Außenprüfung für Zwecke der inländischen Besteuerung durchführen und dabei gewonnene Erkenntnisse nach Maßgabe des einschlägigen Rechtsrahmens im Wege der Amtshilfe an ausländische Finanzbehörden übermitteln. Dem geprüften Steuerpflichtigen stehen gegen die Anordnung der Außenprüfung und einzelne Prüfungsmaßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland die gleichen Rechtsbehelfe zur Verfügung, wie bei jeder anderen Außenprüfung.443 Der Rechtschutz bezüglich der im Ausland durchgeführten Außenprüfung richtet sich nach dem Recht dieses Staates.444 2. Auskunftsbezogene Grenzen Bei gleichzeitigen Steuerprüfungen sind aber auch die rechtlichen Grenzen des internationalen Auskunftsverkehrs zu beachten.445 Dabei gelten die allgemeinen
439 BFH v. 24. Januar 1989, VII R 35/86, BFHE 156, 14, BStBl. II 1989, 440; BMF v. 31. Januar 2014, IVA 3 – S 0062/14/10002, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 196 AO, Tz. 4. 440 Zur Unzulässigkeit einer Prüfungsanordnung in solchen Fällen bereits zuvor auf S. 173 f. 441 Vereinzelt werden bereits grds. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit von simultanen Betriebsprüfungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorgebracht: Stephan Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Informationsverkehrs, S: 84 ff.; ders., in: CR 1988, 901 (905). Stephan Eilers/Markus Heintzen, in: RIW 1986, 619 (623). 442 Praktisch ist den Finanzbehörden für diese Fälle eine längerfristige Abstimmung ihrer Prüfungszeiträume hin zur Synchronität zu empfehlen, sodass tatsächlich eine innerstaatlich motivierte Außenprüfung gegeben ist. 443 Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (3 f.). 444 Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (3 f.). 445 Eilers befürchtet gar, dass die Grenzen des Auskunftsverkehrs durch die Möglichkeiten der koordinierten Zusammenarbeit von Finanzbehörden unterlaufen würden. Eine solche Verfahrensweise sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Steuerpflichtigen; vgl. Stephan Eilers, CR 1988, 901 (905).
C. Simultanprüfungen
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Grundsätze der jeweiligen Rechtsgrundlage, die für die einzelne Auskunftserteilung herangezogen wird.446 Voraussetzung für eine Auskunftserteilung auf Ersuchen ist neben der weitreichenden Ausschöpfung aller anderen zur Verfügung stehenden Informationsquellen447 das Vorliegen eines konkreten Informationsersuchens. Ein derartig konkretes Ersuchen besteht noch nicht in der Verwaltungsvereinbarung, die zum Abschluss der Planungsphase von den Finanzbehörden geschlossen wurde – auch dann nicht, wenn die Behörden sich darin zum gegenseitigen Austausch der im Rahmen der Prüfung getroffenen Feststellungen verpflichtet haben.448 Es bedarf im Rahmen der Vereinbarung oder daneben vielmehr eines Auskunftsersuchens, das die erbetene Information hinreichend konkret eingrenzt.449 Solche konkreten Ersuchen können bereits im Rahmen der Planungsphase formuliert werden. Ebenso können konkrete Ersuchen auch im Verlauf des abgestimmten Prüfungsverlaufs gestellt werden. Formvorgaben für Auskunftsersuchen gibt es grds. nicht, sodass sie schriftlich, mündlich, fernmündlich und elektronisch gestellt werden können.450 Dementsprechend können Auskunftsersuchen bei gleichzeitigen Prüfungen auch fernmündlich direkt an die prüfende Behörde im Ausland gestellt werden, wenn dieser zuvor inländisch die Befugnis zum Informationsaustausch451 übertragen wurde.452 Allerdings sind die deutschen Finanzbehörden durch das BMF-Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen grds. an ein schriftliches Verfahren bei Auskunftsersuchen gebunden.453 Zur Effektuierung des Informationszuflusses bei Simultanprüfungen wäre eine Ausnahme von diesem Grundsatz zumindest zu diskutieren. Auskünfte können aber nicht nur erteilt werden, wenn eine Information von einem hinreichend konkreten Auskunftsersuchen erfasst wird. Wenn die Finanzbehörde bei der Prüfung Erkenntnisse gewinnt, die von einem Ersuchen nicht erfasst sind, steht es ggf. in ihrem Ermessen,454 eine ersuchensunabhängige Spontanauskunft zu erteilen.455 446
Zu den einzelnen Rechtsgrundlagen bereits zuvor auf S. 149 ff. Stephan Schnorberger, in: Tax Notes International 2016, 685 (685); vgl. zur Erforderlichkeit auch bereits die Ausführungen auf S. 151 f. 448 So Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 389; a.A. wohl: Berndt Runge, in: Blumers/Frick/Müller, C. Betriebsprüfungsgrundsätze, VII. Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden, Rn. 252. 449 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 389. 450 Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 68; Dieter Carl/Joachim Clos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 115. 451 Zur Übertragung der Zuständigkeit im Einzelfall zuvor auf S. 176 ff. 452 Vgl. Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 389. 453 BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 4.2.1. 454 Gem. § 8 Abs. 2 EUAHiG können Mitgliedstaaten zur spontanen Übermittlung von Informationen an andere Mitgliedstaaten auch verpflichtet sein. 447
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Sowohl bei ersuchensbedingten Auskunftserteilungen als auch bei ersuchensunabhängigen Spontanauskünften besteht grds.456 die Verpflichtung zur Anhörung des Betroffenen im Einzelfall jeder geplanten konkreten Informationsübermittlung auch im Rahmen einer Simultanprüfung.457 Ein allgemeiner Hinweis zu Beginn der Prüfung, dass nunmehr regelmäßig im Rahmen der Außenprüfung getroffene Feststellungen ins Ausland übermittelt würden, genügt dafür richtigerweise nicht.458 Wenn den deutschen Behörden, die von einem konkreten Auskunftsersuchen nicht erfasst sind (Spontanauskünfte), ein Ermessen bezüglich der Auskunftserteilung zusteht, sind die vom Beteiligten vorgebrachten Erwägungen bezüglich der beabsichtigten Informationsübermittlung besonders beachtlich. Dabei sind vor allem das steuerrechtliche Datenschutzniveau des Empfängerstaats und die Bedeutung der Information für das Unternehmen zu berücksichtigen.459 In Anbetracht der tatsächlichen Umstände einer Außenprüfung erscheint die Anhörung des Steuerpflichtigen in jedem Einzelfall der Informationsübermittlung ins Ausland für einen schnellen und unbürokratischen Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden dennoch praktisch unschädlich. Sie kann im Rahmen des Prüfungsgeschehens mündlich erfolgen, ist aber inklusive der Stellungnahme des Betroffenen aktenkundig zu machen.460 Bereits der erste Vorschlag über die Durchführung einer Simultanprüfung ist mit der Übermittlung personenbezogener Daten verbunden, sodass auch in der Planungsphase einer gleichzeitigen Betriebsprüfung bei der Informationsübermittlung besondere Zurückhaltung geboten und der Betroffene grds. anzuhören ist. Auch die übrigen Grenzen der für den jeweiligen Informationsaustausch einschlägigen Rechtsgrundlage gelten im Rahmen international koordinierter Betriebsprüfungen vollumfänglich.461 Hinsichtlich des beabsichtigen Auskunftsaustauschs kann der Steuerpflichtige von den Rechtsbehelfen Gebrauch machen, die ihm auch bezüglich des allgemeinen Auskunftsverkehrs zur Verfügung stehen.462
455
Zu den rechtlichen Bedingungen von Spontanauskünften zuvor auf S. 157 ff. Bspw. kann gem. § 12 Abs. 5 EUAHiG von der Anhörung des Steuerpflichtigen bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung abgesehen werden, wenn dadurch der Prüfungserfolg gefährdet würde. 457 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 390. 458 BMF v. 25. Mai 2012, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.1; Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 390. 459 Vgl. zu datenschutzrechtlichen Maßstäben des Ermessens bei Spontanauskünften an Drittstaaten Steffen Lampert/Till Meickmann, ISR 2014, 305 (310); Roman Seer, in: IWB 2016, 6 (13). 460 BMF v. 25. Mai 2012, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 3.1.3. 461 Bspw. sei auf den abschließenden Katalog der absoluten Auskunftsverbote des § 4 EUAHiG hingewiesen. 462 Berndt Runge, in: NSt Nr. 18/1984, 1 (4); vgl. S. 175 f. 456
D. Weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung
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IV. Zusammenfassung Die Koordinierung der Informationsgewinnung durch gleichzeitige Steuerprüfungen soll dazu dienen, die Trennung der nationalen Verwaltungsorganisationen im konkreten Fall zu überwinden463 und insb. internationale Besteuerungskonflikte zu vermeiden.464 Gerade weil Simultanprüfungen aber nicht über das hinausgehen können, was im Rahmen des klassischen Informationsaustausches möglich ist, können sie diesem Anspruch nur bedingt gerecht werden. Im Kern ist die mit der Koordinierung einhergehende Straffung der ansonsten langwierigen Verfahren dennoch zu begrüßen, wird damit letztlich ein wesentlicher Hemmschuh des zwischenstaatlichen Informationsaustausches beseitigt und tatsächlich ein intensiver Austausch von Informationen zur Effektuierung der steuerverfahrensrechtlichen Kontrollen in allen teilnehmenden Staaten ermöglicht.465 Es können die Kosten für die Befolgung steuerlicher Vorschriften gesenkt, die Lösung von Problemen beschleunigt und die Qualität der erhobenen Daten, die für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zu Grunde zu legen sind, erhöht werden.466 Andererseits besteht die Gefahr einer prüfungsveranlassten Doppelbesteuerung, wenn die Finanzbehörden die gewonnenen Informationen bei der getrennt und nicht abgestimmten Rechtsanwendung im jeweiligen Staat primär dazu nutzen, ihr nationales Steueraufkommen zu steigern.467 Anzuerkennen ist allerdings, dass simultane Betriebsprüfungen ein auf Antrag des Steuerpflichtigen folgendes Verständigungsverfahren vereinfachen können, weil der Fall den Beteiligten bereits umfänglich bekannt ist, was den zuständigen Behörden erlauben kann, leichter eine Einigung zu erzielen.468
D. Weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung Zur Informationsgewinnung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug kommen daneben weitere Ermittlungsmaßnahmen in Betracht, deren tatsächliche und rechtliche Bedeutung allerdings hinter dem bereits beleuchteten Instrumentarium zurückbleibt. 463
So Markus Glaser, Internationale Verwaltungsbeziehungen, S. 263. Roland Macho, in: Der Wirtschaftstreuhänder 2006, 28 (30). 465 Vgl. Armin Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, S. 90; Berndt Runge, in: Festschrift für Ritter, S. 475 (478); ders., in: Intertax 1980, 182 (183). 466 Berndt Runge, in: Festschrift für Ritter, 475 (479). 467 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 390; vgl. auch Günther Strunk, in: StBp 1993, 145. 468 OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2010, Tz. 4.89; ähnlich Ulf Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, S. 159. 464
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
I. Auswertung allgemein zugänglicher Quellen In- und ausländische Zeitung, Telefonbücher, Gelbe Seiten, Presseveröffentlichungen, Register und frei im Internet verfügbare Informationen wie bspw. auf Firmenhomepages oder in sozialen Netzwerken bieten den Finanzbehörden umfängliche Möglichkeiten, sich aus frei zugänglichen Quellen über Auslandstätigkeiten bestimmter Steuerpflichtiger zu informieren. Ermittlungsansätze in diesem Bereich scheinen gerade in Anbetracht der Möglichkeiten des Internets kaum Grenzen zu kennen.469 Allgemein zugänglichen Informationsquellen zu erschließen, stößt auf keine durchgreifenden völker- oder verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit sie vom Inland aus erschlossen werden,470 sodass auch die Verwertung daraus resultierender Erkenntnisse unbedenklich ist.471 Allerdings stellt sich aber gerade mit Blick auf Veröffentlichungen geleakter Daten472 die Frage, inwieweit die Finanzbehörden den öffentlich zugänglich gemachten Daten vertrauen können, immerhin sind weder die Herkunft und Originalität der Dokumente noch die daraus von Journalisten als steuerrechtlichen Laien gezogenen Schlüsse überprüfbar. Wenn auch die Beweiskraft so erlangter Daten unklar ist, dürften die Erkenntnisse aber unzweifelhaft Anlass bieten, im Rahmen der risikoorientierten Überprüfung grenzüberschreitender Sachverhalte mithilfe des rechtsstaatlichen Ermittlungsinstrumentariums bei den von Leaks betroffenen Unternehmen genauer hinzuschauen.
II. Informelle Informationsgewinnung durch Beamte im Ausland Bereits Ende der 1990er Jahre wurde vermutet, dass „deutsche Beamte auf luxemburgischen Bankparkplätzen deutsche Autonummern notieren und an Kollegen hinter der deutschen Grenze weitergeben“,473 weil deutsche Zoll- und Bundespolizeibeamte bei stichprobenartigen Kontrollen in der deutsch-luxemburgischen Grenzregion eine erstaunliche Treffsicherheit bewiesen, wenn es darum ging, Fahrzeuge mit unversteuerten Kapitalerträgen anzuhalten. Ob es sich dabei bloß um 469 In diese Richtung bereits, aber noch ohne Bezugnahme auf die Möglichkeiten des digitalen Raums Peter Bilsdorfer, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 1 (16). 470 Die Frage, ob Recherchen im Internet insofern problematisch sind, wenn dabei auf ausländische Server zugegriffen wird, kann in Anbetracht der inzwischen üblichen weltweiten Vernetzung der Datenströme als überholt gelten; zuletzt gegen die Zulässigkeit von Internetrecherchen wohl Rainer Spatscheck/Jörg Alvermann, in: IStR 2001, 33 (37). 471 Peter Bilsdorfer, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 1 (17). 472 In Erinnerung gerufen seien hier beispielhaft die Offshore Leaks (2013), die Luxembourg Leaks (2014), die Swiss Leaks (2015), die Panama Papers (2015), Football Leaks (2016) und zuletzt die Paradise Papers (2017). 473 Klaus Tipke, in: Festschrift für Offerhaus, S. 819 (834).
D. Weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung
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Gerüchte handelt oder Informationen über steuerlich relevante Lebenssachverhalte durch deutsche Beamte tatsächlich auch im Ausland systematisch ohne Genehmigung des betroffenen Staates erhoben werden, soll hier nicht weiter erörtert werden.474 Jedenfalls steht die Frage im Raum, wie derartiges Vorgehen rechtlich einzuordnen ist und welche Konsequenzen sich daraus für steuerrechtliche Verfahren in der Bundesrepublik ergeben. Ob die Observierung von öffentlichen Parkplätzen und die Weitergabe dabei gewonnener Daten (Kraftfahrzeugkennzeichen, Personenzahl, Ort, Uhrzeit und Datum des Aufenthalts) einen hoheitlichen Eingriff in die Rechte des Bürgers475 darstellen, kann zunächst dahinstehen, weil die Gebietshoheit der Staaten jede ungerechtfertigte Form fremder Ermittlung völkerrechtlich verbietet, wenn sie wie vorliegend der Vorbereitung eines Hoheitsaktes dient. Die völkerrechtliche Verpflichtung zur Achtung der territorialen Integrität fremder Staaten gebietet es nicht nur, auf fremdem Staatsgebiet keine Hoheitsakte zu setzen, sondern verbietet bereits vorbereitende Maßnahmen, soweit nicht eine entsprechende Regel, Vereinbarung oder ein besonderer Umstand dies erlauben.476 Das gilt auch für nichthoheitliche Maßnahmen, bei denen die Beamten ohne Ausübung oder Androhung von hoheitlicher Gewalt tatsächliche Ermittlungshandlungen vornehmen.477 Soweit Beamte mit Wissen und Wollen des entsendenden Staates in dessen Sinne handeln, agieren sie in hoheitlicher Funktion.478 Die damit einhergehende Verletzung der Gebietshoheit des Staates, in dem die Ermittlungsmaßnahmen stattfinden, kann auch nicht dadurch beseitigt werden, dass die Ermittlungen ohne die Kenntnis des fremden Staates erfolgen.479 Unerheblich ist auch die Nationalität der von der Handlung betroffenen Person, sodass selbst Akte gegen Staatsangehörige des handelnden Staats grds. Verstöße gegen die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats sind.480 Soweit die Handlungen auf fremdem Territorium nicht ausnahmsweise aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung erlaubt werden oder vom Völkergewohnheitsrecht gedeckt sind, wird mit dem skizzierten Vorgehen durch Missachtung der territorialen Integrität souveräner Staaten gegen Völkerrecht verstoßen. 474 Zumindest spricht vieles dafür, dass derartige Ermittlungsansätze keine Ausnahme bilden, vgl. mit umfangreichen Beispielen Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, S. 149 ff. 475 Hier kommt vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht. 476 Vgl. dazu bereits S. 92 ff.; Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 88; Wilhelm Karl Geck, in: Wörterbuch des Völkerrechts, S. 795 (795). 477 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 88; Thomas Groß, in: JZ 1994, 596 (599); Josef Isensee, in: Gedächtnisschrift für Blumenwitz, S. 929 (935 f.); a.A. Hans Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, S. 68. 478 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 88. 479 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 88 f.; Alfred Verdross/ Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, § 456. 480 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 89.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Ermittlungsmaßnahmen, die gegen das formelle Territorialitätsprinzip verstoßen, sind zwar materiell rechtswidrig, dem Teleos des völkerrechtlichen Gebots zur Wahrung der territorialen Integrität entsprechend ergibt sich daraus isoliert jedoch kein Verwertungsverbot,481 sodass es insofern auf die Frage der Fernwirkung von Verwertungsverboten482 gar nicht erst ankommt. Ein eigenständiges formelles oder materielles Verwertungsverbot scheidet mit Blick auf die Mitwirkungspflichten der Beteiligten aus.483
III. Informelle Informationsgewinnung unter Zuhilfenahme Privater Fraglich erscheint, ob sich an diesem Befund etwas ändert, wenn die Information unter Zuhilfenahme Privater beschafft wird. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich die Finanzbehörden bei der Ermittlung zweckgerichtet einer Privatperson (bspw. eines Privatdetektivs) bedienen, weil sich eine Behörde anerkanntermaßen nicht durch den Einsatz von Privatpersonen der Grenzen ihrer Eingriffsbefugnisse entledigen kann.484 Anders könnten die Dinge jedoch liegen, wenn eine Privatperson – (zunächst) ohne Veranlassung seitens der Finanzbehörden – Informationen beschafft und diese anschließend der Behörde anbietet oder zuleitet. Ein besonderes mediales Interesse haben insofern die Fälle angekaufter deliktisch erlangter CDs mit gewaltigen Bankdatensätzen hervorgerufen. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen Privatpersonen das steuerliche Gebaren eines (ehemaligen) Arbeitgebers offenlegen wollen und den Behörden die Daten ohne Gegenleistung überlassen. Ob die Einbindung eines eigenmotiviert handelnden Privaten eine unzulässige Umgehung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfeübereinkommen oder eine Verletzung der völkerrechtlichen Souveränitätsrechte darstellt,485 etwa weil der deutsche Staat durch Bezahlung des Informanten dessen rechtswidriges Verhalten anerkennt und sich dieses somit zurechnen lassen muss,486 kann letztlich dahinstehen. Die Völkerrechtswidrigkeit der Einschaltung des aus eigenen Motiven handelnden Privaten unterstellt, wäre die Verwertbarkeit im Besteuerungsverfahren nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht ausgeschlossen.487 481
Vgl. dazu bereits S. 95 ff. Vgl. allgemein zur Fernwirkung von qualifizierten materiellen Verwertungsverboten Michael Nieland, in: AO-StB 2007, 61. 483 Vgl. dazu bereits S. 71 ff. 484 Vgl. Chistoph Coen, in: NStZ 2011, 433 (433); Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2493). 485 So Bernd Schünemann, in: NStZ 2008, 305 (307). 486 So Rainer Spatscheck, in Festschrift für Volk, S. 771 (772 f.); Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2494). 487 Vgl. BVerfG v. 9. November 2010, 2 BvR 2101/09, NJW 2011, 2417; Chistoph Coen, in: NStZ 2011, 433 (436); Ingo Kaiser, in: NStZ 2011, 383 (390); a.A. Rudolf Wendt, in: DStZ 482
D. Weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung
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IV. Joint International Tax Shelter Information and Collaboration Network Das Joint International Taskforce on Shared Intelligence and Collaboration (abgek. JITSIC) des Forums on Tax Administration der OECD ist eine institutionalisierte, internationale, informelle Plattform zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Finanzverwaltungen der beteiligten Länder.488 Das JITSIC wurde mit dem Ziel geschaffen, bei der Bekämpfung des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs enger zusammenzuarbeiten.489 Zunächst in zentralen Büros in London und Washington treten die Steuerverwaltungen im Rahmen des JITSIC über einheitliche Ansprechpartner (Single Point of Contact, abgek. SPOC) nunmehr dezentral unmittelbar miteinander in Kontakt,490 um Erfahrungen auszutauschen, allgemeine Informationen zu teilen und Ansprechpartner zu benennen.491 Damit sollen insb. typische Gefahrenquellen und Risikofaktoren von missbräuchlichen grenzüberschreitenden Steuergestaltungen erkannt werden, denen durch die Erarbeitung gemeinsamer Strategien und den Austausch von Best Practice Modellen begegnet werden soll.492 Soweit es um die Übermittlung einzelfallbezogener Informationen geht, die für die Aufklärung eines steuerlichen Sachverhalts von Bedeutung sein können, bedienen sich die beteiligten Staaten der dafür insb. in Form von Doppelbesteuerungs- und Amtshilfeabkommen zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlagen.493
1998, 145 (150); Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2494), die sich allerdings mit der Begründung begnügt, dass „völkerrechtswidriges Handeln von Behörden […] Konsequenzen für das weitere Verwaltungsverfahren haben“ müsse. Vgl. dazu auch bereits die Ausführungen auf S. 95 ff., 194 ff. 488 Dezeit am JITSIC beteiligt sind Australien, Belgien, Chile, die Volksrepublik China, die Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Indien, Italien, Japan, Südkorea, Kanada, Luxemburg, Malaysia, Mexiko, Die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Portugal, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Südafrika, Spanien, die Türkei, das Veinigte Königreich und die Vereinigeten Staaten. 489 BMF v. 14. August 2015, Finanzbericht 2016, S. 65. 490 Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 2 (5); ders., in: Brexit und die juristischen Folgen, S. 177 (206). 491 Vgl. BMF v. 14. August 2015, Finanzbericht 2016, S. 65; vgl. auch Martin Kreienbaum/ Alexander Werder, in: IStR 2005, 721 (724). 492 BMF v. 14. August 2015, Finanzbericht 2016, S. 65. 493 Deswegen besteht für diese Form der Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland kein weitergehender Gesetzgebungsbedarf, vgl. BMF v. 14. August 2015, Finanzbericht 2016, S. 65.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
V. International Compliance Assurance Programme Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das International Compliance Assurance Programme (abgek. ICAP) des Forums on Tax Administration der OECD, das am 29. September 2017 angekündigt wurde. Im Rahmen des Programms, das als Pilotprojekt von acht OECD-Staaten getragen wird,494 soll eine multilaterale, kooperative steuerliche Risikobeurteilung von großen, grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in erster Linie auf Grundlage des Country-by-Country Reportings ermöglicht werden.495 Unter Beteiligung der betroffenen Unternehmen soll eine multilaterale Bewertung der für jedes Unternehmen identifizierten internationalen steuerlichen Risiken erfolgen.496 Ziel ist den systematischen Austausch zwischen multinational tätigen Unternehmen und den Steuerverwaltungen zu verstärken, bereits vorhandene Informationen effektiver zu nutzen und so der Zunahme von Verständigungsverfahren entgegenzuwirken.
VI. Steuerattachés Ein eher allgemeiner Informations- und Erfahrungsaustausch kann auch durch Steuerattachés initiiert werden. Die Funktion des Steuerattachés innerhalb der Botschaft ist als zentraler Kontaktpunkt in steuerlichen Fragen zu informieren und zu vermitteln. Steuerattachés kommt die Rolle des Vermittlers zwischen den Finanzverwaltungen beiderseits der Grenze zu, in Bezug auf Deutschland sowohl für den Bund als auch für die Länder. Zu den zentralen Aufgaben des Steuerattachés gehört vor allem die Intensivierung des Auskunftsaustauschs zwischen den Finanzverwaltungen der beiden Länder. Dazu informieren Steuerattachés über bestimmte Aspekte des Steuerrechts, geplante Reformen oder Entwicklungen der Rechtsprechung aber auch über die Finanzverwaltung, ihre Organisation und Strukturen oder ihre praktischen Erfahrungen in Außenprüfung und Rechtsbehelfsverfahren zur Förderung der Kenntnis beider Finanzverwaltungen über das Steuerrecht der Staaten vor allem durch die Organisation oder Beteiligung an verschiedenen Veranstaltungen. Denkbar ist auch eine beobachtende Teilnahme von Finanzattachés an Außenprüfungen.497
494 Das sind Australien, Italien, Japan, Kanada, Die Niederlande, Spanien, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat derzeit einen Beobachterstatus, vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken an einer Teilnahme BTDrs. 19/3842. 495 Georg Geberth, in: GmbHR 2018, R60. 496 Detailliert beschrieben wird das konkrete Vorgehen im International Compliance Assurance Programme Pilot Handbook; online abrufbar unter http://www.oecd.org/tax/forum-ontax-administration/publications-and-products/international-compliance-assurance-programmepilot-handbook.pdf (zuletzt abgerufen am 24. Oktober 2018). 497 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, S. 1089.
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen
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VII. Zusammenfassung Finanzbehörden müssen bei der Aufklärung von Sachverhalten mit Auslandsbezug vor allem auf die eigenen innerstaatlichen Ermittlungsmöglichkeiten zurückgreifen. Dafür stehen neben den auf erweiterten Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten des Steuerpflichtigen beruhenden Angaben zunehmend auch automatisch aus anderen Staaten übermittelte Informationen zur Verfügung. Unabhängig von ihrer äußeren Form kommen Ermittlungen auf fremden Staatsgebiet hingegen nur in Betracht, wenn der andere Staat diesen zugestimmt hat. Anderenfalls liegt ein – allerdings für die Beweisverwertung grds. unschädlicher Verstoß gegen Völkerrecht vor. Können die erforderlichen Informationen also innerstaatlich nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beschafft werden, sind die Behörden auf Möglichkeiten des klassischen Informationsaustausches – auch in der besonderen Form der simultanen Betriebsprüfung – angewiesen.
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen und ihre Beseitigung Selbst eine umfängliche Ermittlung führt indes nicht zu einer abgestimmten, übereinstimmenden tatsächlichen und rechtlichen Bewertung des ausgeleuchteten grenzüberschreitenden Sachverhalts durch die Finanzbehörden der beteiligten Staaten. Im Gegenteil: Insb. aus der Überprüfung der Verrechnungspreisgestaltung verbundener Unternehmen (v. a. im Rahmen von Außenprüfungen)498 können steuerliche Gewinnkorrekturen bspw. nach den Vorschriften über die verdeckte Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, über die verdeckte Einlage gem. § 8 Abs. 3 S. 3 KStG und über die Berichtigung von Einkünften gem. § 1 AStG (sog. Korrekturvorschriften) folgen, wenn die Finanzbehörde zu dem Ergebnis kommt, dass der im konkreten Geschäftsvorfall verwendete Verrechnungspreis nicht dem Fremdvergleichspreis entspricht. Fällt die Gewinnabgrenzung in den an dem Geschäftsvorfall beteiligten Staaten auseinander und werden einseitige oder gar abweichende Korrekturen der vom Steuerpflichtigen angesetzten Verrechnungspreise vorgenommen, ist regelmäßig eine wirtschaftliche Doppelbelastung die Folge.499 Eine Doppelbesteuerung kann sich aber auch aus anderen Subsumtionskonflikten ergeben.500 Weil Verrechnungspreisfälle gerade im multinationalen Konzern den wichtigsten Fall für das Entstehen einer Doppelbelastung bilden, fokussieren sich die nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen auf diese Fälle. 498 Vgl. dazu mit empirischen Daten Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Sven Kluge, in: IStR 2015, 819 (821); vgl. auch Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (107). 499 Statt vieler Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 17 f. m.w.N. 500 Siehe dazu bereits S. 88 ff.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Wenn eine abkommenswidrige Doppelbesteuerung oder Doppelbelastung ihren Ursprung in einer divergierenden rechtlichen oder tatsächlichen Sachverhaltsbewertung hat, erwächst für den Steuerpflichtigen das Bedürfnis, eine einheitliche Bewertung des zugrundeliegenden Sachverhalts beiderseits der Grenze des Geschäftsvorfalls zu erreichen. Dem Steuerpflichtigen stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, um die (drohende) Doppelbesteuerung zu vermeiden, Rechtsfrieden herzustellen und Planungssicherheit zu erlangen.501 Dazu kann er (ggfs. nach Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens) vor den einzelstaatlichen Gerichten Rechtsschutz gegen die steuerliche Beurteilung des Sachverhalts durch die inländischen Finanzbehörden ersuchen, ggfs. im anderen Staat eine korrespondierende Gegenkorrektur gem. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA anregen oder ein in Art. 25 Abs. 1, Abs. 2 OECD-MA vorgesehenes Verständigungsverfahren mit einer etwaigen Schiedsklausel gem. Art. 25 Abs. 5 OECD-MA bzw. ein Verständigungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen502 oder anderen Rechtsgrundlagen anstrengen.
I. Rechtsschutz vor den einzelstaatlichen Finanzgerichten Naheliegend erscheint zunächst, gegen die (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung in den einzelnen beteiligten Staaten vorzugehen. Dafür stehen dem Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik die regulären Rechtsmittel des Einspruchs und der Klage vor den Finanzgerichten zur Verfügung. Soweit ersichtlich, wird von dieser Möglichkeit gerade bei Verrechnungspreisfällen bisher aber nur relativ selten Gebrauch gemacht.503 Die Gründe dafür mögen darin zu finden sein, dass es sich bei der Suche nach dem korrekten Verrechnungspreis im Kern (auch) um eine betriebswirtschaftliche und nicht um eine (rein) rechtswissenschaftliche Frage handelt. Deswegen stünde gar zu überlegen, dass sich Verrechnungspreise der richterlichen Überprüfung gänzlich entzögen, was aber nicht der Fall ist.504 Ein Grund kann aber eine aufgrund niedriger Fallzahlen befürchtete geringe Vorhersehbarkeit finanzgerichtlicher Entscheidungen sein. Auch die aus rechtsstaatlicher Perspektive zumindest bedenkliche Praxis der deutschen Finanzbehörden, die Wirksamkeit einer zwischenstaatlichen Verständigung davon abhän501
Vgl. Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 38 f. Übereinkommen 90/436/EWG zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für den Fall der Gewinnberichtigung zwischen verbundenen Unternehmen, auch Schiedskonvention, Schiedabkommen oder Schiedsübereinkommen genannt, abgek. EU-SchÜ. 503 Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 39; Holger Peters/Lars Haverkamp, in: BB 2011, 1303 (1303); Christian Schoppe, in: BB 2014, 2199. 504 BFH v. 6. April 2005, I R 22/04, BFHE 209, 460, BStBl. II 2007, 658; BFH v. 17. Oktober 2001 – I R 103/00 -, BFHE 197, 68, BStBl. II 2004, 171; vgl. Heike Jochum, in: ZRP 2015, 115 (117); Christian Schoppe, in: BB 2014, 2199 ff.; Franz Wassermeyer, in: Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, S. 123 ff. 502
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen
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gig zu machen, dass der Steuerpflichtige einen Rechtsmittelverzicht für verständigungskonforme Steuerbescheide erklärt,505 spielt insofern natürlich eine große Rolle. Außerdem können in mehreren Staaten angestrengte nationale Rechtsschutzverfahren in widersprüchlichen Urteilen münden, die im jeweils anderen Staat keine Bindungswirkung entfalten und so die Doppelbesteuerung zementieren, weil sie bei Abschluss vor Beendigung eines Verständigungsverfahrens sogar zur Unzulässigkeit der Umsetzung eines im Rahmen dieses Verfahrens gefundenen Ergebnisses führen können.506 Dennoch gilt: Dem Steuerpflichtigen steht gegen den Steuerbescheid der Rechtsweg zu den Finanzgerichten offen, wobei auch die auf Vorschriften des materiellen Steuerrechts basierenden Verrechnungspreiskorrekturen (v. a. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, § 8 Abs. 3 S. 3 KStG, § 1 AStG) als Rechtsfragen der vollen richterlichen Überprüfbarkeit unterliegen.507
II. Korrespondierende Gegenkorrektur im anderen Staat Für Verrechnungspreise besteht daneben quasi spiegelbildlich die Möglichkeit, im anderen Staat eine unilaterale Gegenkorrektur (sog. corresponding adjustment) korrespondierend zur Erstkorrektur (sog. primary adjustment) eines Verrechnungspreises durchzuführen.508 Die Möglichkeit zur Gegenberichtigung seitens des anderen Staates ist in Art. 9 Abs. 2 OECD-MA509 und Art. 7 Abs. 3 OECD-MA510 vorgesehen, um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden, ohne dass es dafür eines Verständigungsverfahrens bedürfte.511 505 BMF v. 13. Juli 2006, IV B 6, S 1300 – 340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 4.2; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (64). 506 Noemi Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof, S. 211. 507 Vgl. zur Justitiabilität von Verrechnungspreisen instruktiv Franz Wassermeyer, in: Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, S. 123 ff. 508 Die Möglichkeit zur Gegenkorrektur besteht nicht für Fälle, in denen die Doppelbelastung nicht durch eine Berichtigung von Verrechnungspreisen ausgelöst wird, vgl. Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.317. 509 Dem Art. 9 Abs. 2 OECD-MA entsprechende Regelungen sind in den neuen Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik mit anderen Industriestaaten vorgesehen (bspw. im DBA-UK, DBA-NL, DBA-Ö); vgl. Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 81. 510 Die meisten neuern deutschen Doppelbesteuerungsabkommen folgen nicht dem Art. 7 Abs. 3 OECD-MA, sondern der in Ziff. 68 OECD-MK zu Art. 7 vorgezeichneten Formulierung, vgl. Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (68). 511 Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 4; Axel Eigelshoven, in: Vogel/ Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 159.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Art. 9 Abs. 2 OECD-MA setzt für die Gegenberichtigung voraus, dass die beiden Vertragsstaaten die Qualifikation des Leistungsentgelts als auch dessen angemessene Höhe einheitlich bewerten.512 Eine solche Einigkeit über Grund und Höhe der Verrechnungspreiskorrektur seitens des einen Vertragsstaates setzt ihrerseits voraus, dass beide Vertragsstaaten übereinstimmend einen Sachverhalt annehmen, der die Korrektur rechtfertigt.513 Art. 9 Abs. 2 OECD-MA bedeutet also keinen Automatismus dahingehend, dass der andere Staat allein durch die Erstkorrektur zu einer Gegenkorrektur gezwungen wäre,514 sondern vielmehr, dass nur dann eine Gegenkorrektur erfolgen muss, wenn beide Staaten für den konkreten Sachverhalt ein übereinstimmendes Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes zugrunde legen. Eine formelle Einigung der beiden Staaten ist indes nicht notwendig.515 Dennoch können die Staaten einander gem. Art. 9 Abs. 2 S. 2 OECD-MA konsultieren, um zu einem einheitlichen Verständnis zu gelangen und die Voraussetzungen für eine Gewinnkorrektur oder eine Gegenberichtigung zu ermitteln.516 Eines entsprechenden Antrags seitens des Steuerpflichtigen bedarf es dafür nicht, allerdings besteht auch kein Rechtsanspruch auf die Einleitung eines solchen Verfahrensschritts.517 Wenn auch Art. 9 Abs. 2 S. 2 OECD-MA den Begriff des Konsultierens verwendet, handelt es sich um ein Verständigungsverfahren in allen Formen des Art. 25 OECD-MA und nicht allein um ein Konsultationsverfahren i.S.d. Art. 25 Abs. 3 OECD-MA, sodass die Regeln für ein Verständigungsverfahren anzuwenden sind.518 Art. 9 OECD-MA wirkt allerdings nicht unmittelbar,519 sodass eine Gegenberichtigung nach Art. 9 Abs. 2 OECD-MA in Deutschland nur denkbar ist, soweit sie 512 Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 164b; vgl. auch Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 380. 513 Vgl. Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 164b. 514 Stephan Rasch, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 9 OECD-MA, Rn. 4; Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 8. 515 Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 380; Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 128; a.A.: Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 164bff. 516 Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 388. 517 Vgl. BFH v. 26. Mai 1982, 82, I R 16/78, BStBl. II 1982, 583, BFHE 136, 111; Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 380, 388; a.A. wohl Christian Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, S. 208 ff. 518 Kommentar zum OECD-MA 2005, Art. 25, Tz. 10; Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 132; Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 16a; a. A. Stephan Schmitz, in: Strunk/Kaminski/Köhler, Art. 25 OECD-MA, Rn. 6, der ein eigenständiges Konsultationsverfahren annimmt. Zum Verständigungsverfahren sodann anschließend auf S. 204 ff. 519 BFH v. 12. März 1980, I R 186/76, BStBl. II 1980, 531, BFHE 130, 296; BFH v. 21. Janaur 1981, I R 153/77, BStBl. II 1981, 517, BFHE 133, 33; BFH v. 11. Oktober 2012, I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046, BFHE 239, 242; Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 4; vgl. Harald Kuckhoff/Rolf Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, S. 11; vgl. zum Verhältnis von Korrekturvorschriften und Art. 9 OECD-MA ausführlich Julian Böhmer, in: FR 2016, 877 (877).
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen
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auch nach innerstaatlichem materiellen Steuerrecht und steuerlichen Verfahrensrecht erlaubt ist.520 Als materielle Vorschriften für eine Gegenkorrektur kommen die gleichen Vorschriften in Betracht, die auch für eine erstmalige Korrektur anzuwenden sind.521 Problematisch wird eine Gegenkorrektur, wenn eine innerstaatliche materielle Korrekturnorm fehlt, obwohl die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA vorliegen.522 In formeller Hinsicht muss die Änderung des Steuerbescheids möglich sein.523 Dafür kommen als Rechtsgrundlage zunächst § 164 Abs. 2 AO und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht. Auch die Billigkeitsvorschriften der §§ 163 ff., 227 AO, 34c Abs. 5 EStG können im Einzelfall zur Anwendung kommen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang aber § 175a AO, der eine Änderung eines Steuerbescheids ungeachtet der Bestandskraft zulässt, soweit dies zur Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung oder eines Schiedsspruchs geboten ist. Wurde auf Grundlage des Art. 9 Abs. 2 S. 2 OECD-MA faktisch eine Verständigungsvereinbarung getroffen, ist § 175a AO daher unmittelbar anwendbar.524 Für Fälle, in denen eine Verständigung nicht erforderlich war, kommt hingegen nur eine analoge Anwendung des § 175a AO in Betracht.525 Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung aufgrund einer Anpassung der Gewinne einer Betriebsstätte durch einen Vertragsstaat, die durch Art. 7 Abs. 2 OECDMA gedeckt ist, verpflichtet Art. 7 Abs. 3 OECD-MA den nicht korrigierenden Vertragsstaat zur Gegenberichtigung.526 Allerdings folgen deutsche Doppelbesteuerungsabkommen zumeist dem Alternativ-Wortlaut des Kommentars zum OECD-MA in Ziff. 68, der eine Verpflichtung zur korrespondierenden Gegenkor520
So Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (108, 114); Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 381; für eine materiell-rechtliche Self-Executing-Wirkung hingegen Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 18, 130; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (67); für eine verfahrensrechtliche Self-Executing-Wirkung hingegen Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 173. 521 Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 81, 382; vgl. dazu auch die beipsielhaften Ausführungen bei Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (108, 114). 522 Vgl. dazu mit Beispiel Axel Eigelshoven, in: Vogel/Lehner, Art. 9 OECD-MA, Rn. 177. 523 Vgl. Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 130. 524 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (67); so wohl auch Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 130; Stephan Rasch, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 9 OECD-MA, Rn. 235; Franz Wassermeyer, in: Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA, Rn. 397. 525 M.E. kann insofern eine planwidrige Regelungslücke ebenso angenommen werden wie eine vergleichbare Interessenlage. Wenn eine Änderung nach einer Einigung durch Konsultation möglich ist, muss dies erst Recht für Fälle gelten, in denen Einigkeit bereits ohne Konsultation besteht; ablehnend BFH v. 28. Februar 2002, V B 167/01, BFH/NV 2002, 1010; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (67); Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 130. 526 Alexander Hemmelrath, in: Vogel/Lehner, Art. 7 OECD-MA, Rn. 226.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
rektur nicht vorsieht.527 Stattdessen muss der korrigierende Staat zunächst die Zustimmung des anderen Vertragsstaates einholen. Sofern dieser eine Zustimmung nicht erteilt, ist ein Verständigungsverfahren einzuleiten, in dessen Rahmen beide Staaten (in Abweichung zum regulären Verfahren nach Art. 25 Abs. 1 und 2 OECDMA) verpflichtet sind, eine Verständigungsvereinbarung zu treffen. Eine unilaterale Gegenkorrektur ist grds. eine schnelle und einfache Möglichkeit, eine Doppelbesteuerung aufgrund einer einseitigen Verrechnungspreisanpassung zu vermeiden.528 Die Finanzbehörden sind im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes i.S.d. § 88 Abs. 1 AO dazu verpflichtet, Hinweise des deutschen Steuerpflichtigen auf ausländische Verrechnungspreiskorrekturen zu prüfen und steuerrechtlich zu würdigen.529 In der Praxis spielt die Gegenberichtigung indes kaum eine Rolle,530 weil zwischen den beteiligten Staaten selten Einigkeit im Hinblick auf die korrekte Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes besteht, sodass unilaterale Gegenkorrekturen auch dann nicht vorgenommen werden, wenn ihnen keine innerstaatlichen verfahrensrechtlichen oder materiellen Hindernisse im Wege stehen.531 Dann steht dem Steuerpflichtigen der Rechtsweg zu den Finanzgerichten offen, um eine Gegenkorrektur zu erreichen.
III. Verständigungs- und Schiedsverfahren Eine an Bedeutung gewinnende Möglichkeit zur Vermeidung von Besteuerungskonflikten ist die Durchführung von Konsultations- und Verständigungsverfahrens (Mutual Agreement Procedure, abgek. MAP) nach Art. 25 OECD-MA oder von Verständigungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen, ggf. mit anschließendem Schiedsverfahren (Arbitration).532 527 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (67); Alexander Hemmelrath, in: Vogel/Lehner, Art. 7 OECD-MA, Rn. 182. 528 So ebenfalls: Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (67); Susanne Tomson/Claas Buurmann, in: Verrechnungspreise, S. 15 (54). 529 Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (115). 530 Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (108, 114); Xaver Ditz, in: Schönfeld/ Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 4, 128; Susanne Tomson/Claas Buurmann, in: Verrechnungspreise, S. 15 (54). 531 Vgl. auch Xaver Ditz, in: Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA, Rn. 13, 128; Otto Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 757; Susanne Tomson/Claas Buurmann, in: Verrechnungspreise, S. 15 (54). 532 Diese Tendenz ist anhand der steig steigenden Zahl neuer Verständigungsverfahren abzulesen, vgl. Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 43; bereits 2006 wurde die steigende Bedeutung von Verständigungsverfahren erkannt, vgl. Alexander Vögele/Florence Forster, in: IStR 2006, 537 (537); vgl. auch die auf der Homepage der OECD veröffentlichten Statistiken zu weltweit eingeleiteten Verständigungsverfahren: www.oecd.org/ctp/dispute/ map-statistics-2015.htm.
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen
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1. Verfahren nach Art. 25 OECD-MA Eine Rechtsgrundlage für Verständigungsverfahren i. e.S. ist in den jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen mit einer nach dem Vorbild des Art. 25 OECD-MA nachempfundenen Regelung enthalten. a) Antragsbefugnis Diese sieht für den betroffenen Steuerpflichtigen eine Antragsbefugnis vor, eine abkommenswidrige Besteuerung geltend zu machen.533 Inhaltlich erfasst werden von Verständigungsverfahren alle Formen abkommenswidriger Doppelbesteuerung, also insb. die unterschiedliche Auslegung und Anwendung des Abkommensrechts, die falsche Anwendung innerstaatlichen Rechts, falls das Abkommensrecht auf dieses Bezug nimmt und die unterschiedliche Würdigung des Sachverhalts.534 Maßnahmen, die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung und zu einer Antragsbefugnis nach Art. 25 Abs. 1 OECD-MA führen, können nicht nur Handlungen der Finanzbehörden sein, sondern auch Legislativakte.535 Für Verrechnungspreisfälle ist die maßgebliche Handlung üblicherweise in dem Prüfungsbericht zu sehen, auf dessen Grundlage die Verrechnungspreiskorrektur erfolgt.536 Für eine Antragsbefugnis genügt in diesen Fällen bereits der mündliche Hinweis des Betriebsprüfers, dass eine entsprechende Korrektur beabsichtigt ist.537 Der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens kann in Deutschland unabhängig von anderen innerstaatlichen Rechtsmitteln gestellt werden.538 b) Unilaterale Abhilfe oder Einleitung des Verfahrens Ist der Antrag des Steuerpflichtigen begründet, wird dem Antrag des Steuerpflichtigen entweder – insb. bei eigener Verursachung der abkommenswidrigen Besteuerung – durch die inländische Steuerbehörde abgeholfen oder über den Dienstweg ein Verständigungsverfahren eingeleitet (Abhilfeverfahren).539 Wird die 533
Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.94. Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 54; Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.94. 535 Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (170). 536 Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (170). 537 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 2.4.2; Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (170). 538 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 2.1.5. 539 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom 534
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Einleitung eines Verständigungsverfahrens durch die Finanzbehörden abgelehnt,540 steht dem Antragssteller – ggf. nach erfolglosem Einspruch – der Rechtsweg zu den Finanzgerichten offen (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO).541 c) Durchführung des Verständigungsverfahrens i. e.S. Das Verständigungsverfahren unterliegt keinen förmlichen diplomatischen Regeln, sodass der völkerrechtlich vorgeschriebene diplomatische Weg über das Außenministerium nicht beschritten werden muss und die zuständigen Behörden unmittelbar miteinander verkehren können (Art. 25 Abs. 4 OECD-MA), um eine Einigung über Einzelfälle herbeizuführen, die die Besteuerung in Deutschland oder in einem anderen Staat betreffen.542 In Deutschland ist für die Durchführung von Verständigungs- und Schiedsverfahren nach den Doppelbesteuerungsabkommen gem. Art. 3 Abs. 1 Bstb. f) OECD-MA i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 FVG das BZSt zuständig. Der Ablauf des Verfahrens und die Kommunikation richten sich insgesamt nach den Verhältnissen des Einzelfalles und dem Gebot der Zweckmäßigkeit.543 Soweit erforderlich, wird der Sachverhalt von Amts wegen weiter ermittelt. Für die Sachverhaltsermittlung bleiben grds. die örtlichen Finanzämter zuständig, wobei zur Ermittlung des Sachverhalts das gesamte Instrumentarium innerstaatlicher Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden kann. Im Rahmen des Verständigungsverfahrens kann auch das Ergebnis der Ermittlung des Sachverhalts durch die Finanzbehörden des anderen Staates herangezogen werden. Das BZSt soll anhand der Angaben in den Prüfungsunterlagen und Akten dazu in der Lage sein, den Sachverhalt, die Rechtslage und die Begründung für die Berichtigung sowie die Höhe des Berichtigungsvolumens nachzuvollziehen. Im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde des anderen Staates können von der deutschen oder ausländischen Finanzverwaltung bestimmte Bedienstete beauftragt werden, einen gemeinsamen Bericht zu erstellen, der eine gemeinsame Sachverhaltsfeststellung enthält, den Sachverhalt gemeinsam bewertet und Eckwerte für
Vermögen, Tz. 2.4.1; Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 46, 51; Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.100. 540 Der Kommentar zum OECD-MA sieht als Grund für die Ablehnung von Anträgen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens unter anderem den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, ein rechtskräftiges Urteil im selben Fall und nationale entgegenstehende Rechtsvorschriften vor, vgl. Kommentar zum OECD-MA 2010, Art. 25, Tz. 26 ff. 541 Umstritten ist allerdings, ob hier eine allgemeine Leistungsklage oder eine Verpflichtungsklage statthaft ist, vgl. Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 15 (32) m.w.N. 542 Vgl. Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.92. 543 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (73).
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notwendige Schätzungen vorschlägt.544 Zur Ermittlung des Sachverhalts und zur Herbeiführung einer Verständigung kann zudem ein mündlicher Meinungsaustausch mit der zuständigen Behörde des anderen Staates durchgeführt werden, eine besondere Kommission aus Vertretern der zuständigen Behörden für einen solchen Meinungsaustausch gebildet werden oder eine aufgrund besonderer Erfahrung ausgewählte Person bestimmt werden, um die Einigung zu fördern, z. B. durch ein Sachverständigengutachten.545 Die Verfahrensbeteiligten des Verständigungsverfahrens sind allein die Vertragsstaaten, die durch die zuständigen Behörden vertreten werden. Dagegen ist der antragsstellende Steuerpflichtige keine Verfahrenspartei, sodass ihm auch keine Parteirechte zustehen.546 Allerdings ist es in Deutschland Praxis, dass der Steuerpflichtige über den Fortgang, Stand und das Ergebnis des Verfahrens unterrichtet wird und ggf. aufgefordert wird, seine Auffassung zu den in dem Verfahren behandelten Fragen schriftlich oder mündlich zu erläutern.547 d) Abschluss des Verständigungsverfahrens Endet das Verständigungsverfahren mit einer Einigung der Vertragsstaaten, werden die Ergebnisse üblicherweise in einer Verständigungsvereinbarung schriftlich fixiert. Die Verständigungsvereinbarung ihrerseits ist dann die Grundlage für die Umsetzung nach dem nationalen Recht der Vertragsstaaten.548 Die Umsetzung der Verständigungsvereinbarung durch Änderung des Steuerbescheids ist gem. § 175a AO unabhängig von dessen Bestandskraft auch möglich, wenn ein rechtskräftiges Urteil besteht.549 Die deutschen Finanzbehörden machen die Umsetzung der Verständigungsvereinbarung allerdings davon abhängig, dass der Antragssteller der Verständigungsvereinbarung zustimmt, schwebende Rechtsbehelfsverfahren ihre Erledigung finden 544 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 3.2.3. 545 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 3.2.5. 546 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (75); Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (178). 547 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 3.3.1. 548 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (75). 549 Vgl. BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 13.1.4; vgl. auch Helmut Krabbe, in: Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ, Rn. 15 a.E.; a.A. Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.103.
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und der Antragsteller nach Bekanntgabe des die Verständigungsvereinbarung umsetzenden Bescheides auf Rechtsbehelfe verzichtet, soweit mit diesem die Ergebnisse der Verständigungsvereinbarung zutreffend umgesetzt werden.550 Wird im Verständigungsverfahren keine Einigung erzielt, scheitert das Verfahren.551 e) Schiedsverfahren In diesen Fällen kann der Steuerpflichtige durch entsprechenden Antrag ggf. ein Schiedsverfahren einleiten, wenn das einschlägige Abkommen eine Regelung entsprechend Art. 25 Abs. 5 OECD-MA enthält.552 Bei dem Schiedsverfahren handelt es sich allerdings nicht um ein eigenständiges Verfahren. Vielmehr bildet es konzeptionell nach dem Verständigungsverfahren i. e.S. die zweite Stufe des Verständigungsverfahrens, wobei die Durchführung des Schiedsverfahrens kein Automatismus ist.553 Nach der Schiedsklausel des OECD-MA kann die betroffene Person die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens beantragen, wenn sich die Staaten nicht innerhalb von zwei Jahren554 auf eine Verständigungsvereinbarung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung einigen können.555 Im Übrigen müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die bereits für die Einleitung des Verständigungsverfahrens i. e.S. erforderlich waren.556 Gegenstand des Schiedsverfahrens ist nicht der gesamte dem Verständi550 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 4.2. Vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Verpflichtung, eine drohende oder eingetretene abkommenswidrige Besteuerung zu beheben, scheint dieses Vorgehen zweckmäßig, ist aber in der Literatur nicht unumstritten; vgl. Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (177) m.w.N. 551 Unbeschadet vom Verfehlen einer Einigung bleibt die Änderung des Steuerbescheids bspw. aus Billigkeitsgründen möglich, BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 8.2; vgl. Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.100; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (75). 552 Nur einige neuere deutsche Doppelbesteuerungsabkommen sehen ein solches Schiedsverfahren obligatorisch vor (bspw. Art. 25 Abs. 5, Abs. 6 DBA-USA und Art. 26 Abs. 5 DBA-UK). Allerdings gibt es einige Doppelbesteuerungsabkommen, die ein Schiedsverfahrens nach dem Ermessen der Vertragsstaaten vorsehen (bspw. Art. 41 Abs. 5 DBA-S). Zum aktuellen Stand sei verwiesen auf Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 250. 553 Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 72. 554 In einigen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen sind vom OECD-MA abweichende Zeiträume vorgesehen, vgl. Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 271. 555 Moris Lehner, in: Festschrift für Reiß, S. 671 ff. 556 Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 72.
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gungsverfahren i. e.S. zugrundeliegende Sachverhalt, sondern nur die ungelösten Streitfragen.557 Der praktische Ablauf eines Schiedsverfahrens wird in Art. 25 Abs. 5 OECD-MA nicht geregelt. Gem. Art. 25 Abs. 5 S. 4 OECD-MA ist es den Vertragsstaaten überlassen, den praktischen Ablauf des Schiedsverfahrens im Rahmen einer eigenen Verständigungsvereinbarung zu bestimmen. Im Anhang zu Art. 25 OECD-MA ist eine Musterverständigungsvereinbarung zur Durchführung des Art. 25 Abs. 5 OECD-MA enthalten. Diese Mustervereinbarung enthält detaillierte Regelungen über die Bestellung des Schiedsgerichts sowie den Ablauf und die Konditionen des Schiedsverfahrens. Das Schiedsverfahren wird durch den verbindlichen Schiedsspruch des Schiedsrichters beendet. Die zuständigen Behörden haben die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten eine vom Schiedsspruch abweichende Einigung zu finden. Gelingt den Behörden dies nicht, hängt es von der Zustimmung des Steuerpflichtigen und von der Rücknahme möglicher eingelegter nationaler Rechtsmittel ab,558 ob der Schiedsspruch für die Vertragsstaaten verbindlich wird. Zur innerstaatlichen Umsetzung der Einigung oder des Schiedsspruches kann wiederum auf § 175a AO zurückgegriffen werden.559 Die deutschen Finanzbehörden machen die Umsetzung von der Zustimmung des Antragsstellers, der Erledigung anhängiger Rechtsbehelfsverfahren und einem Teilrechtsbehelfsverzicht abhängig.560 f) Konsultationsverfahren Neben Verständigungs- und Schiedsverfahren sind nach Art. 25 Abs. 3 OECDMA auch Konsultationsverfahren möglich, die anders als Verständigungsverfahren i. e.S. ohne Bezug auf einen bestimmten Steuerpflichtigen allgemein der Beseitigung von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung und Anwendung der Abkommen oder allgemein der Schließung von Vertragslücken dienen.561 Dennoch kann auch ein Einzelfall Anlass für die Einleitung eines Konsultationsverfahrens bieten und neben einer Vielzahl von Fällen auch Gegenstand eines solchen sein.562 557
Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 72. Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (182). 559 Vgl. zuvor S. 207. 560 Vgl. bereits S. 207 f. 561 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.89. 562 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 1.2.1; Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 23, 155; Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 60. Im Unterschied zu einem Verständigungsverfahren i. e.S. genügen für die Einleitung eines Konsultationsverfahrens generelle Zweifel oder Schwierigkeiten bei der Abkommensanwendung, eine abkommenswidrige Besteuerung ist nicht erforderlich. Ein Konsultationsverfahren kann auch neben einem Verständigungsverfahren i. e.S. laufen, vgl. Lars Hummel, in: IStR 2011, 397 (397 f.). 558
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Bei erfolgreichem Abschluss eines Konsultationsverfahrens, wird zwischen den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten – insb. die Auslegung des Abkommens betreffend – eine Konsultationsvereinbarung getroffen. Solche Konsultationsvereinbarungen entfalten als einfache Verwaltungsabkommen563 zwar völkerrechtliche Bindungswirkung564, sind innerstaatlich aber nur für die abschließenden und nachgeordneten Behörden565 und nicht für den Steuerpflichtigen oder Gerichte bindend566. Wird eine Konsultationsvereinbarung hingegen gem. § 2 Abs. 2 S. 1 AO als Rechtsverordnung erlassen, ist der Verordnungsinhalt auch durch die Finanzgerichte bindend. Überschreitet die Vereinbarung jedoch die durch Abkommenswortlaut und -systematik gezogene Auslegungsgrenze, bindet auch eine Rechtsverordnung i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 AO die Gerichte nicht – ihnen kommt dabei eine umfängliche Prüfungskompetenz zu.567 2. Maßnahme 14 des BEPS-Aktionsplans In Maßnahme 14 des BEPS-Aktionsplans werden Hindernisse bei der Lösung von Besteuerungskonflikten im Rahmen von Verständigungsverfahren identifiziert und Lösungsansätze zur Verbesserung der Wirksamkeit unterbreitet. Dafür definiert der Final Report zu Maßnahme 14 einen Mindeststandard, ergänzt um mehrere BestPractice-Modelle. Es werden Anpassungen des Art. 25 Abs. 1 – 3 OECD-MA vorgeschlagen, wonach der Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens in beiden Vertragsstaaten gestellt werden kann und Ergebnisse von Verständigungsverfahren unabhängig von den Beschränkungen des nationalen Rechts umgesetzt werden. Von der Umsetzung dieser Anpassung kann allerdings abgesehen werden, wenn andere Maßnahmen ergriffen werden, um die dort genannten Ziele zu erreichen.
563 Dieter Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, S. 188 ff.; Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 166; Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.109. 564 Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 62; Christian Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, S. 176 ff. 565 Klaus-Dieter Drüen, in: IWB 2011, 360 (362); Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 62; Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 154, 166. 566 Vgl. BFH v. 2. September 2009, I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl. II 2010, 387; BFH v. 2. September 2010, I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl. II 2010, 394; BFH v. 1. Februar 1989, I R 74/86, BFHE 157, 39, BStBl. II 1990, 4; Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 62; Roland Ismer, in: IStR 2009, 366, Rosemarie Portner, in: IStR 2008, 584 (586); Harald Schaumburg, Internationales Steuerecht, Rn. 16.109; a.A.: Christian Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, S. 192. 567 Klaus-Dieter Drüen, in: IWB 2011, 360 (366 f.); Stephan Eilers, in: Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA, Rn. 67; für einen nur eingeschränkten Prüfungsumfang hingegegen Roland Ismer, in: IStR 2009, 366 (370).
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Daneben wird insb. die Einführung der Pflicht zur Gegenkorrektur bei Verrechnungspreiskorrekturen (entsprechend Art. 9 Abs. 2 OECD-MA) als Best Practice vorgeschlagen. Darüber hinaus sollen die Staaten im Rahmen von Best Practice Ergebnisse bisheriger Verständigungsverfahren veröffentlichen, für die Dauer von Verständigungsverfahren die Aussetzung der Vollziehung gewähren – zumindest in dem gleichen Umfang wie bei nationalen Verfahren, den Zugang zu Verständigungsverfahren auch in Fällen von durch den Steuerpflichtigen selbst gutgläubig durchgeführten Verrechnungspreisanpassungen gewähren und ihre bestehenden Verfahren, die zumeist bilateral angelegt sind, zu multilateralen Instrumenten weiterentwickeln. Ergänzend haben sich einige Staaten568 dazu verpflichtet, verbindliche Schiedsverfahren einzuführen, wenn ein Verständigungsverfahren nicht innerhalb von zwei Jahren zur Beseitigung der Doppelbesteuerung führt. Dazu soll dem Steuerpflichtigen das Recht gewährt werden, die Durchführung eines Schiedsverfahrens zu beantragen.569 Umgesetzt werden die Inhalte der BEPS-Maßnahmen 2, 6, 7 und 14 durch das multilaterale Instrument (abgek. MLI)570, das seinerseits Maßnahme 15 des BEPSAktionsplans bildet. Teil 6 (Artt. 16 – 26 MLI) sieht dabei die Bestimmungen zur Durchführung von Verständigungs- und Schiedsverfahren vor.571 Weil die Umsetzung der materiell-rechtlichen BEPS-Änderungen nach überwiegender Einschätzung zu einer Zunahme von Doppelbesteuerungskonflikten führen wird,572 ist die Entwicklung von Mindeststandards, die im Rahmen von Verständigungsverfahren nach Art. 25 OECD-MA die Auflösung von Doppelbesteuerungskonflikten erleichtern können, zu begrüßen.
568
Sog. Koalition der 20: Australien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Polen, Slowenien, Spanien, Schweiz, Vereinigtes Königreich und die Vereinigten Staaten. 569 Vgl. zu den Details Sebastian Benz/Julian Böhmer, in: ISR 2017, 27 (31). 570 Multilaterales Abkommen zur Implementierung von abkommensbezogener Maßnahmen zur Vermeidung von Gewinnverlagerungen und Gewinnverkürzungen, präsentiert am 24. November 2016. Am 8. Juni 2017 hat eine offizielle eine Unterzeichnungszeremonie in Paris stattgefunden, vgl. Stefan Bendlinger, in: SWI 2017, 2 (2). 571 Vgl. zu den einzelnen Artikeln des MLI und deren voraussichtlicher Auswirkung auf die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen im Überblick Christoph Gradl/Michael Kiesewetter, in: IStR 2018, 1 (8 ff.). 572 Siehe dazu Martin Kreienbaum, in: IStR 2017, 337 (337 f.).
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3. Verständigungs- und Schiedsverfahren nach EU-Schiedsübereinkommen In EU-Fällen573 kommt neben dem Verfahren nach Art. 25 OECD-MA auch ein Verfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen in Betracht.574 Wobei die beiden Verfahren nur alternativ zueinander betrieben werden können.575 Dem Steuerpflichtigen kommt insofern ein Wahlrecht zwischen beiden Verfahren zu.576 Das Verfahren nach der EU-Schiedsübereinkommen betrifft allerdings nur die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen und die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten.577 Für andere Fälle abkommenswidriger Doppelbesteuerung kommt das Verfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen daher nicht in Betracht. Dennoch ist das Verfahren des EU-Schiedsübereinkommens dem Art. 25 OECDMA nachgebildet, enthält neben dem Abhilfeverfahren, dem Verständigungsverfahren i. e.S. und dem Schiedsverfahren allerdings noch ein vorgelagertes Vorverfahren und ein nachgelagertes Einigungsverfahren. Das Vorverfahren ist in Art. 5 EU-SchÜ geregelt, wonach ein Vertragsstaat, der beabsichtigt, die Gewinne eines Unternehmens zu berichtigen, das Unternehmen rechtzeitig von der beabsichtigten Maßnahme zu unterrichten und ihm Gelegenheit zu bieten hat, das andere Unternehmen davon in Kenntnis zu setzen, damit dieses seinerseits Gelegenheit hat, den anderen Vertragsstaat zu unterrichten. Diese anderen Unternehmen haben dann die Möglichkeit, die Angelegenheit mit den für sie zuständigen Finanzbehörden zu erörtern, um eine Gegenberichtigung zu erreichen.578 Stimmen die Unternehmen und die Vertragsstaaten der Berichtigung bzw. Gegenberichtigung zu, bedarf es eines Verständigungsverfahren nicht, die Anwendung der entsprechenden Vorschriften des EU-Schiedsübereinkommens wird durch Art. 5 Abs. 3 EU- SchÜ ausgeschlossen. Dadurch kommt es im Unterschied zu den Regelungen des OECD-MA zu einer Vorverlagerung des zwischenstaatlichen Verfahrens. Dieses Vorverfahren zielt auf eine konsensuale Berichtigung und Gegen573 Zur Kongruenz von EU-Mitgliedstaaten und Vertragsstaaten des EU-Schiedsübereinkommens vgl. Helmut Krabbe, in: Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ, Rn. 2. 574 Vgl. Art. 15 EU-SchÜ; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (83); Helmut Krabbe, in: Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ, Rn. 10; Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 306; a.A. Andreas Kempf/Frederik Gelsdorf, in. IStR 2012, 329 (333). 575 Harald Schaumburg, in: Europäisches Steuerrecht, Rn. 16.4. 576 Holger Peters/Lars Haverkamp, in: BB 2011, 1303 (1305). 577 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 1.1.2; Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (83). 578 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 10.
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berichtigung zwecks Vermeidung eines sich abzeichnenden Verrechnungspreiskonfliktes ab. Wird im Vorverfahren keine Einigung erzielt, können die betroffenen Unternehmen nach Art. 6 SchÜ ein Verständigungsverfahren i. e.S. beantragen, wobei sich im Vergleich zum Antragsverfahren nach den Doppelbesteuerungsabkommen keine wesentlichen Unterschiede ergeben.579 Im Unterschied zum Verständigungsverfahren nach dem OECD-MA kommt den zuständigen Behörden hinsichtlich der Durchführung des Verständigungsverfahrens im Anwendungsbereich des EUSchiedsübereinkommens jedoch kein Ermessensspielraum zu. Liegen die Voraussetzungen eines Verständigungsverfahrens vor und gibt es keine Möglichkeit, den Besteuerungskonflikt unilateral im Abhilfewege zu beseitigen, ist ein Verständigungsverfahren mit dem anderen Staat einzuleiten.580 Im Übrigen orientiert sich die Durchführung des Verständigungsverfahrens i. e.S. am Verfahren gem. Art. 25 Abs. 1, Abs. 2 OECD-MA, wobei einzelne Schritte durch das EU-Schiedsübereinkommen deutlich formaler vorgegeben sind.581 Kommen die Vertragsstaaten innerhalb einer Frist von zwei Jahren582 nicht zu einem Einvernehmen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung, so setzen sie gem. Art. 7 Abs. 1 EU-SchÜ einen Beratenden Ausschuss mit dem Auftrag ein, binnen sechs Monaten eine Stellungnahme abzugeben, wie die Doppelbesteuerung beseitigt werden soll. Eines Antrags des Steuerpflichtigen bedarf es dazu im Gegensatz zu Art. 25 Abs. 5 OECD-MA nicht. Der praktische Ablauf dieses Schiedsverfahrens wird in den Artt. 7 – 13 EU-SchÜ anders als in Art. 25 Abs. 5 OECD-MA detailliert geregelt. Die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses ist zudem anders als der Schiedsspruch nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA keine verbindliche Regelung des Streitfalls. Vielmehr wird das Schiedsverfahren mit einem Einigungsverfahren beendet, das den beteiligten Vertragsstaaten sechs Monate Zeit gibt, die Doppelbesteuerung durch – ggf. von der Stellungnahme des Ausschusses abweichende – geeignete Maßnahmen im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1, Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 EU-SchÜ). Gelangen die zuständigen Behörden zu keinem Einvernehmen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung, sind sie gem. Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 EU-SchÜ verpflichtet, sich an die Stellungnahme des Be579
Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (84). 580 BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 10.4.4. 581 So Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (84); detailliert zum Verfahren BMF v. 13. Juli 2006, IV B6 – S 1300/340/06, Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, Tz. 12.2.1. 582 Im Einvernehmen mit den beteiligten Unternehmen können die zuständigen Behörden diese Frist verlängern, Art. 7 Abs. 4 EU-SchÜ.
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ratenden Ausschusses zu halten. Nur dann sind sie an die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses als Schiedsspruch gebunden. Die innerstaatliche Umsetzung einer Einigung oder der Stellungnahme kann auf Grundlage von § 175a AO erfolgen.583 Auch hier machen die deutschen Behörden die Umsetzung von der Zustimmung des Antragsstellers, der Erledigung anhängiger Rechtsbehelfsverfahren und einem Teilrechtsbehelfsverzicht abhängig.584 4. Verfahren nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie Ist das EU-Schiedsübereinkommen nicht anwendbar und ein Schiedsverfahren in dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen nicht vorgesehen, kann es dazu kommen, dass die Beseitigung einer Doppelbesteuerung – unabhängig von ihrer Abkommenswidrigkeit – verfehlt wird, weil kein Streitbeilegungsverfahren eingeleitet werden kann. Mit dem Ziel, für solche Fälle ein Instrumentarium zu schaffen, hat die Europäische Kommission Ende 2016 einen Vorschlag585 für eine Richtlinie über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union vorgelegt, der am 10. Oktober 2017 als Richtlinie 2017/1852/EU (Streitbeilegungsrichtlinie, abgek. EU-StreiBeiRL) vom Rat der Europäischen Union gebilligt wurde.586 Die Richtlinie zielt darauf ab, den Anwendungsbereich der bestehenden Verfahren und Mechanismen zu erweitern und sie zu verbessern, jedoch nicht zu ersetzen. Die Kommission argumentiert, damit könne sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten zum einen auf detailliertere Verfahrensvorschriften zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten zurückgreifen können, zum anderen aber flexibel genug bleiben, um sich auf ein Verfahren ihrer Wahl einigen zu können.587 Zudem soll die Richtlinie eine Ergänzung der geplanten Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage sein.588 Da die Konsolidierung erst in der zweiten Stufe des neuen Anlaufs zur Einführung der GKKB erfolgen soll, besteht nach Ansicht der Europäischen Kommission nach wie vor Bedarf an effektiven Streitbeilegungsverfahren.589 Darüber hinaus sei die GKKB zwar so kon583
Vgl. zuvor S. 207. Vgl. bereits S. 207 f. 585 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg. 586 Vgl. zum Inhalt der Richtlinie zusammenfassend: Katharina Hafner/Marion Stiastny, in: SWI 2017, 41; dies, in: SWI 2018, 12; Tim Zinowsky/Jens Schönfeld, in: ISR 2018, 7. 587 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg., S. 3. 588 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg., S. 3; zur GKKB vgl. S. 103 ff. 589 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg., S. 3. 584
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zipiert, dass sie nach ihrer vollständigen Umsetzung dafür sorge, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden, doch würden nicht alle Unternehmen zwingend unter die GKKB fallen.590 Deshalb sei damit zu rechnen, dass es auch danach noch zu einigen Doppelbesteuerungsstreitigkeiten kommen werde, für deren Beilegung es geeignete Verfahren geben müsse.591 Insgesamt orientiert sich die EU-Streitbeilegungsrichtlinie am EU-Schiedsübereinkommen, und teilt das Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in ein Beschwerdestadium (Artt. 3 – 5 EU-StreiBeiRL), ein Stadium des Verständigungsverfahrens (Art. 4 EU-StreiBeiRL) und ein Stadium der Streitbeilegung oder Schlichtung (Artt. 5 - 18 EU-StreiBeiRL) ein. Das gesamte Verfahren wird gem. Art. 3 Abs. 1 EU-StreiBeiRL durch Beschwerde592 des einer Doppelbesteuerung von Unternehmenseinkünften unterliegenden Steuerpflichtigen angestoßen.593 Ein Abhilfeverfahren ist in der EU-Streitbeilegungsrichtlinie nicht vorgesehen. Liegen die Voraussetzungen des Art. 3 EUStreiBeiRL vor und wird die Beschwerde von beiden Mitgliedstaaten zugelassen, beginnt das Verständigungsverfahren. Wird die Einleitung eines Verständigungsverfahrens durch eine der zuständigen Behörden abgelehnt, kann der Steuerpflichtige die Entscheidung gem. Art. 5 Abs. 3 EU-StreiBeiRL nach den nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats der ablehnenden zuständigen Behörde anfechten. Gem. Art. 4 Abs. 1 StreiBeiRL bemühen sich die zuständigen Behörden darum, die Doppelbesteuerung im Verständigungsverfahren innerhalb von zwei Jahren ab der letzten Mitteilung der Zulassung der Beschwerde durch einen der Mitgliedstaaten zu beseitigen. Die Beseitigung der Doppelbesteuerung kann erfolgen, indem entweder die der Doppelbesteuerung unterliegenden Einkünfte nur in einem Mitgliedstaat in die Berechnung der steuerpflichtigen Einkünfte einfließen oder die auf diese Einkünfte in einem Mitgliedstaat erhobene Steuer um den Betrag vermindert wird, der der in einem anderen betroffenen Mitgliedstaat erhobenen Steuer entspricht (Art. 4 Abs. 2 EU-StreiBeiRL). Kommt es im Verständigungsverfahren nicht zu einer Einigung, so wird automatisch das Streitbeilegungsverfahren nach Art. 6 EU-StreiBeiRL eingeleitet, das einem Schiedsverfahren nachempfunden ist und mit einer abschließenden ver590 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg., S. 3. 591 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, KOM (2016) 686 endg., S. 3. 592 Die Richtlinie findet gem. Art. 23 Unterabs. 2 EU-StreiBeiRL auf alle Beschwerden Anwendung, die ab dem 1. Juli 2019 zu Streitfragen im Zusammenhang mit Einkommen oder Vermögen eingereicht werden, die in einem Steuerjahr, das am oder nach dem 1. Januar 2018 beginnt, erwirtschaftet werden. Die zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten können jedoch vereinbaren, diese Richtlinie auf Beschwerden anzuwenden, die vor diesem Datum oder in Bezug auf frühere Steuerjahre eingereicht werden. 593 Damit werden alle Fälle der Doppelbesteuerung unabhängig von ihrer Abkommenswidrigkeit erfasst.
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
bindlichen Entscheidung der zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten endet. Die Richtlinie ist zu begrüßen und wird die Steuerpflichtigen unabhängig von entsprechenden Verfahren in den einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen und dem eingeschränkten Anwendungsbereich des EU-Schiedsübereinkommens in die Lage versetzen, Doppelbesteuerung losgelöst von ihrer Abkommenswidrigkeit wirksam entgegenzutreten. Insb. ist erfreulich, dass die EU-Streitbeilegungsrichtlinie zwingend die Beseitigung der Doppelbesteuerung vorsieht. Allerdings wird bemängelt, dass das dreistufige Verfahren nicht überschaubar genug ausgestaltet sei.594 Die Kritik, dass eine klarere Abgrenzung zu den Verfahren nach den Doppelbesteuerungsabkommen wünschenswert sei,595 ist jedoch verfehlt, weil dem Steuerpflichtigen grds. beide Verfahren offengehalten werden. M. E. wäre es dem Ziel des Richtlinienvorschlags jedoch dienlich, wenn das Verfahren ähnlich der Vorschriften des EU-Schiedsübereinkommens um ein Vorverfahren ergänzt würde, das die Entstehung von Doppelbesteuerung von vornherein verhindert. Letztlich ist der Ansatz, ein einheitliches europäisches Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten im Bereich der Unternehmensbesteuerung zu etablieren, jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. 5. Entwicklung zu einem internationalen Spruchkörper Zutreffend hat Michael Lang bereits 1992 festgestellt, dass Konflikte bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen „ihre Ursache letztlich darin [haben], daß es an einer Instanz, die den Verwaltungsbehörden und den Gerichten der beiden betroffenen Vertragsstaaten übergeordnet ist, fehlt. Solange eine derartige übergeordnete Instanz nicht existiert, sind Fälle der unterschiedlichen Auslegung ein- und derselben Abkommensvorschrift geradezu systemimmanent“596. Soll also das Auseinanderfallen der Auslegung nicht nur einzelfallbezogen, sondern strukturell bzw. systemisch behoben werden, bedarf es eines für die Streitbeilegung zuständigen institutionalisierten internationalen ständigen Spruchkörpers, der eine einheitliche, kontinuierliche und von nationalen Interessen losgelöste Rechtsfortbildung insb. bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen ermöglicht. a) Aufgabenübertragung an den EuGH Auf europäischer Ebene kommt zu diesem Zweck eine Delegation an den EuGH in Betracht. Art. 273 AEUV erlaubt es den Mitgliedstaaten, mit dem Gegenstand der Verträge in Zusammenhang stehende Streitigkeit zwischen Mitgliedstaaten aufgrund 594 595 596
(242).
BR-Drs. 658/1/116. BR-Drs. 658/1/116. Michael Lang, in: Österreichisches Steuerrecht und europäische Integration, S. 229
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eines Schiedsvertrags beim EuGH anhängig zu machen. Eine entsprechende Zuweisungsklausel in einem DBA stellt einen solchen Schiedsvertrag dar.597 Eine solche Regelung ist in Art. 25 Abs. 5 DBA-AT enthalten. Danach sind die Vertragsstaaten auf Antrag des Steuerpflichtigen verpflichtet, einen Doppelbesteuerungsfall im Rahmen eines Schiedsverfahrens entsprechend Art. 239 EGV (nunmehr Art. 273 AEUV) vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig zu machen, wenn Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommen entstehen, von den zuständigen Behörden nicht innerhalb einer Frist von drei Jahren im Verständigungsverfahren beseitigt werden. Das Verfahren vor dem EuGH richtet sich ebenso wie dessen Zusammensetzung nach der Satzung und Verfahrensordnung des EuGH.598 Eine Abweichung von diesen Regeln ist nicht zulässig.599 Ebenso wie im schiedsgerichtlichen Verfahren wird der Steuerpflichtige, der einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens vor dem EuGH stellt, nicht Partei des Verfahrens. Mit der Zuweisung an den EuGH haben die Mitgliedstaaten keine Einflussmöglichkeiten mehr auf den Ausgang einer Doppelbesteuerungsstreitigkeit, sodass sich in der Praxis eine Anreizwirkung zur Beseitigung des Konflikts im Rahmen des Verständigungsverfahrens beobachten lässt.600 Gegen eine Delegation an den EuGH ließe sich einwenden, dass doppelbesteuerungsrechtliche Fragen nicht von einem generalistischen Gericht, sondern einer Fachgerichtsbarkeit entschieden werden sollten. M.E. ist allerdings zu berücksichtigen, dass der EuGH bereits heute bei der Auslegung des Unionsrechts oft genug auch über steuerrechtliche Fragen entscheidet. Im Übrigen würde der EuGH auch in Zukunft gerade nicht über die Auslegung nationaler Besteuerungsvorschriften, sondern im Einklang mit der Aufgabenverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten über die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen entscheiden.601 Sollte es jedoch im Zuge der Einführung der GKKB zur Einrichtung eines europäischen Steuergerichtshof kommen,602 könnte diesem verständlicherweise auch die Zuständigkeit für doppelbesteuerungsrechtliche Auslegungsfragen übertragen werden. Insgesamt wäre es zu begrüßen, wenn die Mitgliedstaaten in Zukunft verstärkt von der Möglichkeit der Zuweisung an den EuGH Gebrauch machten und die 597
Michael Lang, in: Festschrift für Frotscher, S. 365 (379). Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (63). 599 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (63). 600 Erst Ende 2015 ist Art. 25 Abs. 5 DBA-AT erstmals zur Anwendung gekommen; vgl. EuGH C-648/15. 601 Zur Unzuständigkeit des EuGH bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen ohne Verweisung Michael Lang, in: Festschrift für Frotscher, S. 365 (367 ff.). 602 Vgl. Wolfgang Schön, in: European Taxation 2004, 426 (429). 598
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen mehr in die Hände des EuGH legten. Wünschenswert wäre eine Zuweisung an den EuGH auch durch die EU-Schiedskonvention. Die Begründung der Zuständigkeit des EuGH durch Richtlinie – insofern würde sich die Streitbeilegungsrichtlinie anbieten – kommt indes nicht ohne Änderung der Unionsverträge in Betracht. b) Einrichtung eines internationalen Steuergerichtshofs Für Fälle außerhalb der Europäischen Union müsste ein Spruchkörper zunächst noch geschaffen werden. Die bestehenden Internationalen Gerichtshöfe scheiden als Spruchkörper für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen entweder aus, weil sie eine andere fachspezifische Ausrichtung haben oder weil der Rechtsweg zu ihnen nur Staaten offensteht. Die Chancen für die Einrichtung eines internationalen Steuergerichtshofs mag vor zehn Jahren noch als gering einzuschätzen gewesen sein.603 Zu erkennen ist jedoch, dass die Diskussionen zu diesem Thema in Anbetracht der Entwicklungen im Zusammenhang mit dem BEPS-Projekt, durch das vielfach eine Zunahme von Doppelbesteuerungskonflikten befürchtet wird, gerade jüngst wieder an Fahrt gewonnen hat.604 Die Einrichtung eines internationalen Steuergerichtshofes wäre nicht nur aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen. Schließlich kann nur ein internationaler Steuergerichtshof eine weltweit einheitliche Auslegung von DBA entwickeln und so für mehr Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen ebenso wie für die Finanzbehörden sorgen.605 6. Zusammenfassung Vergleichbar zu den umfangreichen Möglichkeiten des internationalen Informationsaustausches, verdichtet sich das Netz der Instrumente zur Beseitigung bestehender oder drohender Doppelbesteuerungskonflikte zunehmend. Gemeinsam sind allen Verfahren indes undurchsichtige und schwierige Kommunikationswege, die zu Missverständnissen führen und Verständigungsverfahren in die Länge ziehen können. Angenommen es kommt betriebsprüfungsbedingt durch Gewinnkorrekturen in beiden Staaten zur Doppelbesteuerung und einem entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen zur Durchführung eines Verständigungsver603 Vgl. Markus Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, S. 309 ff. 604 Beispielhaft sei dazu auf die jüngste Dissertation zu diesem Thema mit konkreten Vorschlägen zur Etablierung eines Internationalen Steuergerichtshofs verwiesen Noemi Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof, S. 529 ff. 605 Vgl. Markus Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, S. 311.
E. Konsequenzen divergierender Sachverhaltsbewertungen
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fahrens, so ist durchaus denkbar, dass sich beide Staaten durch erneute Betriebsprüfungen und damit verbundene Informationssammlung für einen Kampf um das Besteuerungssubstrat rüsten. Dabei ist auch nicht auszuschließen, dass flankierend die Möglichkeiten des verpflichtenden Informationsaustauschs ausgeschöpft werden, wobei auch hier der Dienstweg auf beiden Seiten der Staaten zu beachten ist.606 Das Auseinanderfallen der innerstaatlichen Zuständigkeiten für die Durchführung des Verständigungsverfahrens mit dem anderen Vertragsstaat durch das BZSt einerseits und die Zuständigkeit für dazu ggf. erforderliche Sachverhaltsermittlung durch das örtliche Finanzamt andererseits, kann sich so neben möglicherweise zurückhaltender Einigungsbereitschaft als zusätzliches Hemmnis für eine schnelle Einigung erweisen. Besonders ernüchternd ist auch die Praxis, wonach Verständigungsvereinbarungen nicht individuell getroffen werden, sondern eine Vielzahl von Fällen zugleich verhandelt wird.607 Der einzelne Fall wird dann zur bloßen Verhandlungsmasse innerhalb einer in der fiskalischen Gesamtschau aller Fälle erstrebten „Verteilungsgerechtigkeit des Besteuerungssubstrats“ zwischen den beiden Staaten als Quid-proqou-Lösung.608 So kann das Ergebnis zwischenstaatlicher Verständigungsverfahren zuweilen mehr mit einem „Kuhhandel“ vergleichbar sein als einer Einigung anhand objektivier Kriterien. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint es fragwürdig, dass dem Steuerpflichtigen innerhalb des Verhandlungsprozesses keine aktiven Beteiligungsrechte eingeräumt werden. In der Europäischen Union werden dem Steuerpflichtigen zukünftig in vielen Fällen die Verfahren sowohl nach dem einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen, dem EU-Schiedsübereinkommen und der EU-Streitbeilegungsrichtlinie offenstehen. Noch ist dem Steuerpflichtigen – soweit möglich – ein Verfahren nach EU-Schiedsübereinkommen zu empfehlen, damit dieser sich der Beseitigung der Doppelbesteuerung sicher sein kann.609 Für die übrigen Fälle610 ist zu begrüßen, dass die Bundesrepublik in neuen Abkommen dazu übergeht, Regelungen nach dem Vorbild des Art. 25 Abs. 5 OECD umzusetzen, sodass Schiedsverfahren mit Einigungszwang verstärkt auch außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Schiedsübereinkommens möglich sind. Eine darüberhinausgehende Institutionalisierung der zwischenstaatlichen Streitbeilegung durch feste internationale Spruchkörper wie den EuGH oder einen internationalen Steuergerichtshof wäre als zukünftige Entwicklung zu begrüßen. 606
Vgl. zum langen Dienstweg beim Informationsaustausch auf Ersuchen bereits S. 176 ff. Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (74); Michael Hendricks, in: Wassermeyer/Baumhoff, Rn. 10.21. 608 Vgl. Michael Hendricks, in: Wassermeyer/Baumhoff, Rn. 10.21. 609 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 60 (88). 610 Nach Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie werden das vor allem Drittstaatenfälle sein. 607
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
IV. Antizipierte Vermeidung von Besteuerungskonflikten Zur Vermeidung von zukünftiger Doppelbesteuerung, zur Herstellung von Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen, für mehr Effizienz bei der Prüfung von grenzüberschreitenden Sachverhalten und zum Schutz vor Steuerzinsen und Strafzuschlägen bedarf es eines Instruments, das auf die antizipierte verbindliche Feststellung und Bewertung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts unter Einbeziehung der maßgeblichen Akteure – also der vom Sachverhalt betroffenen Staaten und Steuerpflichtigen – abzielt. In Deutschland bieten sich insofern die Instrumente der verbindlichen Auskunft (§ 204 AO), der verbindlichen Zusage (§ 89 Abs. 2 AO) oder der tatsächlichen Verständigung an.611 Weil unilaterale Maßnahmen zwar die Absicherung der zukünftigen steuerlichen Behandlung eines bestimmten Sachverhalts in einem Staat bewirken können, die Feststellungen und Bewertungen des anderen vom Sachverhalt betroffenen Staates davon aber grds. unberührt bleiben, eignen sich unilaterale Tax Rulings nur ausnahmsweise zum o.g. Zweck.612 Deshalb werden derartige unilaterale Maßnahmen in Deutschland grds. nicht ergriffen.613 Um eine Doppelbesteuerung des fraglichen Sachverhalts wirklich ausschließen zu können, müssen in die Absprache vielmehr alle beteiligten Staaten einbezogen werden. Für den Bereich der Verrechnungspreise kommt dafür das Instrument der bi- und multilateralen614 Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung (Advance Pricing Agreements, abgek. APA) in Betracht. Sie setzen eine Vorabverständigungsvereinbarung zwischen zwei oder mehreren Finanzbehörden verschiedener Staaten über die künftige Anwendung von Verrechnungspreismethoden für bestimmte definierte grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle eines oder mehrerer
611
Allgemein zur verbindlichen Auskunft und zur verbindlichen Zusage auf S. 63 ff. Ausnahmsweise kann eine unilateralte Maßnahme zielführend sein, etwa wenn nur in Deutschland eine strittige Rechtsfrage besteht, vgl. entsprechende Beispiele bei Siegfried Grotherr, in: BB 2005, 855 (857). In diesem Zusammenhang ist außerdem zu begrüßen, dass derartige unilaterale Tax Rulings seit dem 1. Januar 2017 dem automatischen Informationsaustausch nach der EU-Amtshilferichtlinie unterfallen, vgl. S. 170 ff. Auch dadurch kann zumindest potentiell eine Doppelbesteuerung verhindert werden, wenn der andere Staat aufgrund der unilateralen Maßnahme von einer eigentlich in Betracht kommenden Korrektur absieht. 613 Vgl. BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 1.2; vgl. auch Manfred Naumann, in: IStR 2011, 683 (684). 614 Auch unilaterale Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung sind möglich, vgl. Jörg-Dietrich Kramer, in: IStR 2007, 174 (176); Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 321; Alexander Vögele/Florence Vögele, in: IStR 2002, 641 (642). Diese beseitigen allerdings nicht die Gefahr einer Doppelbesteuerung, s. o. 612
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Steuerpflichtiger sowie deren steuerrechtliche Beurteilung bei Einhaltung festgelegter Bedingungen seitens dieses bzw. dieser Steuerpflichtigen voraus.615 Explizite Regelungen über die zwischenstaatliche Verständigung für ein APA gibt es nicht. Das zwischenstaatliche Vorabverständigungsverfahren (Mutual Agreement Procedure for Advance Pricing Agreements, abgek. MAP-APA) richtet sich daher nach den Vorschriften für ein retrogrades Verständigungsverfahren, also nach einer dem Art. 25 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschrift.616 Die von den zuständigen Behörden am Ende des Verfahrens getroffene Vorabverständigungsvereinbarung entfaltet jedoch nur zwischenstaatliche Bindungswirkung.617 Davon ist die Bindungswirkung gegenüber dem Steuerpflichtigen zu unterscheiden. Von der Finanzverwaltung wird eine gegenseitige innerstaatliche Bindungswirkung sowohl der Finanzbehörden als auch des Steuerpflichtigen ohne einen besonderen Rechtsgrund angenommen.618 Es ließe sich annehmen, dass es sich im Kern um eine einseitige verbindliche Auskunft619 i.S.d. § 89 Abs. 2 AO handelt.620 Ein solches Verständnis lässt jedoch unberücksichtigt, dass bei einem APA nicht nur Rechts- sondern auch Tatsachenfragen geregelt werden,621 die einer verbindlichen Auskunft grds. nicht zugänglich sind.622 Eine verbindliche Zusage623 gem. § 204 AO 615 Siegfried Grotherr, in: BB 2005, 855 (856); Matthias Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 448. Solche bi- oder multilateralen Vorabverständigungsvereinbarungen über die Verrechnungspreisgestaltung mit Drittländern werden vom Geltungsbereich des automatischen Informationsaustausches nach der EU-Amtshilferichtlinie ausgenommen, wenn das maßgebliche Abkommen eine Weitergabe an Dritte nicht erlaubt. Allerdings werden zumindest die Informationen ausgetauscht, die in dem Antrag des Steuerpflichtigen enthalten sind, der zum Erlass der Vorabverständigung geführt hat (Art. 8a Abs. 3 EU-AHiRL). Vgl. Ernst Czakert, in: IStR 2016, 985 (989). 616 Umstritten ist allerdings, welches Verfahren nach Art. 25 OECD-MA genau entsprechend heranzuziehen ist, also ob Art. 25 Abs. 1, Abs. 2 OECD-MA oder Art. 25 Abs. 3 OECDMA die Rechtsgrundlage bildet. Für letztere Möglichkeit sprechen sich die Verrechnungspreisrichtlinien der OECD (Tz. 4.140) und dem folgend Rosemarie Portner, in: Steuerthemen im Brennpunkt, Band 11, S. 13 (30) aus. Überzeugender erscheint es aber mit Blick auf die Funktion der APAs, eine anderweitig drohende Doppelbesteuerung zu vermeiden, die Rechtsgrundlage in Abs. 1 und 2 zu sehen; dafür auch Berndt Runge, in: Steuerthemen im Brennpunkt, Band 11, S. 43 (48); Christoph Urtz, in: SWI 1996, 476 (476 f.). 617 Ulrike Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 236. 618 Vgl. BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 6.3, 6.4. 619 Zur verbindlichen Auskunft bereits S. 63 ff. 620 So Jörg-Dietrich Kramer, in: IStR 2007, 174 (176 f.); Alexander Loh/Holger Peters, in: RIW 2007, 116 (117 f.); wohl auch Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 143. 621 Roman Seer, in: DStJG, Band 36, S. 337 (352). 622 Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 15 (15). 623 Dazu bereits S. 63 ff.
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scheidet als Rechtsgrundlage hingegen mangels des erforderlichen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit einer vorausgegangenen Außenprüfung624 aus.625 Auch die tatsächliche Verständigung626 kommt nicht als Rechtsgrundlage in Betracht, weil der in Rede stehende Sachverhalt die Vergangenheit betreffen müsste,627 was bei APA aber gerade nicht der Fall ist.628 Richtigerweise fußt die innerstaatliche Bindungswirkung daher auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag.629 Dem steht weder ein allgemeines Vertragsformverbot630 noch die Zukunftsgerichtetheit631 eines APA entgegen. Die deutschen Finanzbehörden erteilen die Vorabzusage allerdings nur, wenn der Steuerpflichtige zuvor seine Zustimmung zu der Verständigungsvereinbarung und einen Einspruchsverzicht i.S.d. § 354 Abs. 1a AO erklärt hat.632 Das APA-Verfahren ist antragsgebunden.633 Nimmt der Steuerpflichtige den Antrag zurück, wird das MAP-APA automatisch beendet.634 Die Beendigung des Vorabverständigungsverfahrens bedeutet indes nicht, dass die bis dato gewonnenen
624 BFH v. 13. Dezember 1995, XI R 43 – 45/89, BFHE 179, 353, BStBl. II 1996, 232; BMF v. 31. Januar 2014, Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), zu § 204 AO, Tz. 3. 625 Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 56 f. 626 Dazu bereits S. 63 ff. 627 BFH v. 28. Juni 2001, IV R 40/00, BFHE 196, 87, BStBl. II 2001, 714 (716); Roman Seer, in: BB 2015, 214 (214). 628 Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 57 f. 629 Ulrike Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 153 ff.; Klaus-Dieter Drüen, in: Tipke/Kruse, § 178a AO, Rn. 3; Ingo Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und im deutschen Steuerrecht, S. 199 ff.; Roman Seer, in: DStJG, Band 36, S. 337 (352); a.A.: Susann van der Ham/Steffen Voll/Norman Wingen, in: IStR 2013, 861 (863 f.); Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 376 f. 630 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, Vor § 118 AO, Rn. 16 ff. 631 Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kann sich durchaus auch auf Zukunftsfragen beziehen, vgl. Roman Seer, Verständigungen in Steuerverfahren. S. 63. 632 BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 4.6; die bi- oder multilaterale Verständigungsvereinbarung selbst steht insofern unter einem entsprechenden Vorbehalt, vgl. a.a.O., Tz. 4.5. 633 Zu den Voraussetzungen des Antrags sei verwiesen auf BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 3; Jörg-Dietrich Kramer, in: IStR 2007, 174; Stephan Schnorberger, in: ITPJ 2007, 109 (110 f.). 634 Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 333.
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Erkenntnisse für die Finanzbehörden nicht weiter verwertbar wären oder ein Informationsaustausch nicht weiter betrieben werden könnte.635 Weil das Vorabverständigungsverfahren ein Anwendungsfall des Verständigungsverfahrens i. e.S ist, ist der Steuerpflichtige auch bei dem zwischenstaatlichen MAP-APA nicht Partei des Verfahrens. Insb. hat er auch kein Recht darauf, bei den Verhandlungen anwesend zu sein.636 Der Sachverhalt ist im Unterschied zu einem vergangenheitsbezogenen Verständigungsverfahren nach Art. 25 OECD-MA noch nicht verwirklicht, sodass der Steuerpflichtige zumindest informell einen stärkeren Einfluss auf das Verfahren ausüben kann.637 Gem. § 178a AO beträgt die vom Steuerpflichtigen zu zahlende Grundgebühr für ein APA in Deutschland 20.000 Euro.638 Von Seiten der Wirtschaft wird neben diesen Kosten ein insgesamt unverhältnismäßiger Aufwand des Verfahrens beklagt.639 Auch wenn der rechtliche Rahmen der Vorabverständigung für Advance Pricing Agreements entwickelt wurde, kommt auch die antizipierte Vermeidung anderer Besteuerungskonflikte in Betracht, wenn diese durch ein klassisches Verständigungsverfahren retrospektiv gelöst werden könnten. Soweit ersichtlich, sind derartige Verfahren bisher allerdings noch nicht durchgeführt oder beantragt worden.
V. Zusammenfassung Um abkommenswidrige Doppelbesteuerung und abkommenswidrige wirtschaftliche Doppelbelastung (insb. durch Verrechnungspreiskorrekturen) zu vermeiden, Rechtssicherheit herzustellen und zumindest in eingeschränktem Maße auch Planungssicherheit für die Zukunft zu erlangen, können Steuerpflichtige verschiedene Maßnahmen (z. T. auch parallel) ergreifen. Dabei ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu fragen, welches Verfahren für den Steuerpflichtigen den meisten Erfolg verspricht.640 Der einfachste und schnellste Weg, bspw. durch einseitige Verrechnungspreiskorrekturen bedingte wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu beseitigen, ist eine korrespondierende Gegenkorrektur im anderen Staat. Diese wird aber nur in den 635
BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 7.2; Berndt Runge, in: Steuerthemen im Brennpunkt, Band 11, S. 43 (48). 636 Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 341. 637 Siegfried Grotherr, in: IStR 2005, S. 350 (352 f.); Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 341. 638 Kritisch Stefan Greil/Sven Kiesow, in: DStZ 2013, 389. 639 Holger Engelke, in: International Tax Audit Forum Munich 2014, S. 136 (137). 640 So auch Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (3).
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Kap. 4: Internationale Steuersachverhalte und Besteuerungskonflikte
seltensten Fällen leicht zu erreichen sein, sodass der Steuerpflichtige dann auf den Weg zu den Finanzgerichten oder ein Verständigungsverfahren verwiesen bleibt. Der Ausgang eines recht langwierigen Verständigungsverfahrens, das im Wesentlichen ohne die Beteiligung des Steuerpflichtigen durchgeführt wird, ist für den Steuerpflichtigen nur schwerlich abzusehen,641 wenngleich die vorliegenden Daten vermuten lassen, dass es zumeist zu einem für die Unternehmen erfolgreichen Ergebnis kommt.642 In Anbetracht der Langwierigkeit und des erheblichen Aufwands, mit dem Verständigungs- und Schiedsverfahren betrieben werden müssen, stellt sich allerdings die Frage, ob die Durchführung dieser Verfahren überhaupt immer sinnvoll bzw. erforderlich ist.643 So kann es empfehlenswert sein, von einem Verständigungsverfahren abzusehen, wenn nicht allein die Beseitigung der Doppelbesteuerung bezweckt wird, sondern eine bestimmtes Ergebnis erzielt werden soll. In diesen Fällen scheint das Vorgehen vor den nationalen Finanzgerichten zweckmäßiger. Zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung bietet sich für die meisten Fälle letztlich ein gestuftes Vorgehen an, an dessen Anfang die Möglichkeiten einer korrespondierenden Gegenkorrektur auszuloten sind. Wird hier kein Erfolg erreicht, kann der Steuerpflichtige zunächst im Staat der Erstkorrektur ein finanzgerichtliches Verfahren anstreben, um sodann ein Verständigungsverfahren einzuleiten, dieses ruhend stellen und den Ausgang des Gerichtsverfahrens abwarten.644 Unabhängig von ihren unterschiedlichen Erfolgsaussichten haben die Verfahren aber gemein, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse nur sehr selten auf andere Verfahren oder künftige Geschäftsvorfälle des Steuerpflichtigen übertragbar sind. Als retrograde Ansätze zur Lösung von Verrechnungspreiskonflikten sind sie konzeptionell und funktional auch nicht für eine solche (Mit-)Regelung von zukünftigen Fällen gedacht oder geeignet. In Einzelfällen können aus den Ergebnissen zwar Schlüsse für die Gestaltung zukünftiger Verrechnungspreisfälle gezogen werden; eine wirkliche Planungssicherheit schaffen sie jedoch nicht. Dafür bedarf es des Einsatzes anderer Instrumente, die bewusst den Blick auf zukünftige Fälle lenken. APAs bieten einen entsprechenden zukunftsgerichteten Ansatz, der zu einem kooperativen Zusammenwirken von Steuerbehörden und Steuerpflichtigen führen kann. Der konfrontativen mehrpoligen Auseinandersetzung wird ein kooperatives Verfahren entgegengesetzt. Damit gehen kürzere und dadurch für alle Beteiligten
641 Dieser langläufigen Meinung stellt sich Christian Schoppe, in: BB 2014, 2199 (2199) entgegen, der Verständigungsverfahren als „relativ günstig, schnell und sicher“ bezeichnet. 642 Vgl. dazu mit empirischen Daten Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Sven Kluge, in: IStR 2015, 819 (822); mit ähnlicher Bewertung bereits 1998 Berndt Runge, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 33 (34). 643 Hubertus Baumhoff/Sven Kluge, in: FR 2015, 107 (108). 644 Vgl. Katharina Becker, in: DStJG, Band 36, S. 167 (171); Christian Schoppe, in: BB 2014, 2199 (2199).
F. Zwischenergebnis
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weniger kostenintensive Betriebsprüfungen einher.645 Auch wenn die Rechtsgrundlagen des ursprünglich für die retrospektive Lösung von Besteuerungskonflikten konzipierten Verständigungsverfahrens herangezogen werden, ergibt sich allein aus der ex ante Perspektive von APA bereits ein anderer Mind Set. Gerade aus Sicht der Staaten ist eine lösungsorientierte Herangehensweise zu erwarten, weil es nicht um die Verteidigung eines bereits sicher geglaubten Stücks vom „Kuchen“ des Besteuerungssubstrats geht, sondern von vornherein die Interessen aller Parteien in den Blick genommen werden. Aus Perspektive der Steuerpflichtigen kann sich die Beantragung eines APA – unabhängig von den nicht unerheblichen Gebühren – nur dann als nachteilig herausstellen, wenn durch den Antrag die Aufmerksamkeit der Finanzbehörden erst auf einen bestimmten Sachverhalt gelenkt wird.
F. Zwischenergebnis Die skizzierten vielfältigen Maßnahmen können Defizite bei der Ermittlung grenzüberschreitender Steuersachverhalte in vielen Fällen bereits reduzieren. Zugleich besteht ein umfassendes Instrumentarium zur Beseitigung oder Verhinderung (abkommenswidriger) Doppelbesteuerung – insb. zugeschnitten auf Verrechnungspreiskonflikte. Im Vergleich zur praktischen Umsetzung des Verfahrens bei rein innerstaatlichen Sachverhalten werden allerdings erhebliche Nachteile offenbar: Alle Verfahren sind von hoher Komplexität geprägt, können sich über mehrere Jahre in die Länge ziehen und verursachen zumeist erhebliche (indirekte) Kosten für Finanzverwaltung und Steuerpflichtige. Insb. mit Blick auf den Informationsaustausch auf Ersuchen ist zudem zu erkennen, dass gewährte Informationen eigens gewonnene Erkenntnisse nicht zu ersetzen vermögen. Aus diesen Gründen werden die Mittel der internationalen Amtshilfe – trotz der zu erkennenden Steigerungen der letzten Jahre – noch immer zurückhaltend eingesetzt. Es ist daher zu konstatieren, dass es trotz der bisherigen Mittel zur grenzüberschreitenden Sachverhaltsermittlung bei Auslandssachverhalten erhebliche Defizite im gleichmäßigen und rechtzeitigen Vollzug gibt.646 Die Möglichkeiten reichen nicht immer aus, um die Lücke zwischen Verwaltungsauftrag und Verwaltungskönnen zu schließen.
645 646
Moris Lehner, in: Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA, Rn. 329. Werner Widmann, in: DStJG, Band 31, S. 295 (303).
Kapitel 5
Gemeinsame Betriebsprüfungen A. Gemeinsame Außenprüfungen als kooperativer Lösungsansatz Um den Nachteilen der klassischen Maßnahmen zur Überwindung der Defizite bei der Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhaltsaufklärung zu begegnen, gibt es vielfältige bi- und multilaterale Initiativen zur Erprobung von gemeinsamen Betriebsprüfungen als kooperativem Lösungsansatz.
I. Gemeinsame Betriebsprüfungen im Kontext internationaler Diskussionen Sowohl Industriestaaten als auch Entwicklungs- und Schwellenländer leisten sich seit Jahrzehnten einen zum Teil verbitterten Verteilungskampf um das Steueraufkommen international tätiger Unternehmen und Finanzinstitute. Im Wesentlichen konzentriert sich dieser Steuerwettbewerb auf Anreize im materiellen Steuerrecht, die bspw. zur Allokation immaterieller Wirtschaftsgüter in einzelnen Steuerjurisdiktionen führen. Solchen Verlagerungsanreizen begegnen andere Staaten wiederum mit Anti-Vermeidungsregeln des materiellen Steuerrechts. Um die Wirksamkeit der materiell-rechtlichen Gegenmaßnahmen zu sichern, kann es sogar zu völkerrechtswidrigen Ausforschungsmaßnahmen ausländischer Finanzverwaltungen auf fremdem Territorium kommen.1 Nach dem Bekanntwerden der Steuervermeidungs- und Umgehungsstrategien einiger großer multinationaler Konzerne reifte in der vergangenen Dekade allerdings bei vielen Staaten die Erkenntnis, dass auch der im einzelnen Verteilungskampf vermeintlich obsiegende Staat letztlich zur Gruppe der Verlierer gehört. Mit dem BEPS-Projekt hat die OECD die Initiative ergriffen, um Gewinnverkürzungen und -verlagerungen entgegenzutreten. Weil dabei vor allem die fehlende internationale Abstimmung der Regelungen des materiellen Steuerrecht als Triebfeder der als illegitim empfundenen Gewinnverkürzung und -verlagerung identifiziert wurde, verwundert es indes auch nicht weiter, dass elf der 15 Maßnahmen des BEPS-Aktionsplans materielles Steuerrecht betreffen und nur drei Maßnahmen verfahrens1
In diese Richtung bereits Stephan Eilers/Markus Heintzen, in: RIW 1986, 619 (620).
A. Gemeinsame Außenprüfungen als kooperativer Lösungsansatz
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rechtlichen Fragen in den Fokus nehmen, wobei nur ein einziger Aktionspunkt die Verbesserung der Zusammenarbeit der Steuerbehörden adressiert.2 Dem gesamten BEPS-Projekt wird auch deshalb – m.E. nicht zu Unrecht – vorgehalten, dass es den zugrundeliegenden Zielkonflikt, nämlich den internationalen Verteilungskampf um das Steuersubstrat, nicht strukturell aufzulösen vermag.3 Die Auflösung dieses Zielkonflikts wird in den meisten Fällen nur durch praxistaugliche verfahrensrechtliche Regelungen zur Streitlösung oder -vermeidung erreicht werden können.4 Sollen die BEPS-Maßnahmen also Wirkung entfalten und schädlicher Steuerwettbewerb wirksam bekämpft werden, bedarf es einer korrespondierenden Verstärkung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Finanzverwaltungen.5 Aus Unternehmensperspektive erhöht sich mit den BEPS-bedingten Änderungen des materiellen Steuerrechts zugleich das Risiko von Doppelbesteuerungen, weil ein abgestimmtes materielles Steuerrecht noch lange nicht auch eine abgestimmte Anwendung desselben bedeutet. In der Folge ist eine Zunahme der Verfahren zu deren Beseitigung zu erwarten.6 Gerade in Anbetracht der begrenzten Ressourcen der Finanzbehörden und -gerichte steht eine auf Jahre hinaus andauernde unsichere Rechtslage mit der Folge zu befürchten, dass Unternehmensplanungen erschwert werden. In dieser Ausgangssituation ist es für Unternehmen mit Auslandsberührung wichtiger denn je, auf möglichst effektive und effiziente Verfahren zur Vermeidung bzw. Beseitigung von Doppelbesteuerungen zurückgreifen zu können.7 Aus dem mehrpoligen Interessenkonglomerat (auf der einen Seite mindestens zwei Staaten, die auch in einer Post-BEPS-Welt mitnichten auf Besteuerungssubstrat verzichten wollen und auf der anderen Seite international tätige Unternehmen, die legitimer Weise frühzeitige Rechtssicherheit suchen) ergibt sich ein verstärktes Bedürfnis nach intensiverer Kooperation und Koordination statt der bisher eher anzutreffenden Konfrontation. 1. Joint Audit Report der OECD Bereits vor dem Beginn der BEPS-Initiative im Jahr 2013 hat das OECD Forum on Tax Administration 2006 wegen der stetig steigenden Zahl internationaler Steuersachverhalte die Notwendigkeit zur Verstärkung der Kooperation von Steuerbe2
Verfahrensrechtliche Fragestellungen berühren Aktionspunkt 12 (Entwicklung von Offenlegungsregelungen für aggressive Steuerplanungen), Aktionspunkt 13 (Verrechnungspreisdokumentation und Country-by-Country Reporting) und Aktionspunkt 14 (Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsverfahren). Aktionspunkt 15 (Multilaterales Instrument) nimmt insofern eine Sonderrolle ein und lässt sich weder den administrativen noch den materiellen Regelungen zuordnen. 3 Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (3). 4 Vgl. Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (3). 5 Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (157). 6 So bspw. Sebastian Benz/Stephan Eilers, in: IStR-Beihefter 2016, 1 (13 f.). 7 Vgl. Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (3).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
hörden erkannt und 2010 den Joint Audit Report vorgelegt.8 Bei international agierenden Unternehmen sei eine Intensivierung der Kooperation zwischen den Steuerverwaltungen erforderlich, um die Effektivität der Besteuerungsverfahren zu erhöhen, die korrekte Besteuerung internationaler Geschäftsvorfälle zu sichern und Steuerverkürzungen sowie Steuerbetrug zu vermeiden.9 Im Joint Audit Report werden gemeinsame Betriebsprüfungen dementsprechend als neue Form des koordinierten Vorgehens vorgeschlagen und als Außenprüfung definiert, – bei der zwei oder mehr Staaten zusammen ein einziges Prüfungsteam bilden, um Themen oder Transaktionen einer oder mehrerer verbundener steuerpflichtiger natürlicher oder juristischer Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeiten zu überprüfen, was auch grenzüberschreitende Transaktionen zugehöriger verbundener Unternehmen einschließen kann, die in den teilnehmenden Staaten organisiert sind, und an denen die teilnehmenden Staaten ein gemeinsames oder komplementäres Interesse haben; – der Steuerpflichtige gemeinsame Erklärungen vorlegt und Informationen mit den Staaten austauscht, und – das Prüfungsteam Vertreter der zuständigen Behörde, Prüfungsteamleiter und Prüfer aus jedem teilnehmenden Staat enthält.10
2. Vorschlag zur terminologischen Präzisierung Mit Blick auf die voranschreitende Verstärkung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Steuerbehörden ist für grenzüberschreitende Betriebsprüfungen inzwischen allerdings eine gewisse terminologische Verwirrung zu beklagen.11 Die Begriffe „Joint Audit“, „Multilateral Control“ „Gemeinsame Betriebsprüfung“, „Grenzüberschreitende Betriebsprüfung“, „Koordinierte Betriebsprüfung“ und „Internationale Betriebsprüfung“ werden häufig synonym, jedenfalls nur selten unter Zugrundelegung der Definition der OECD im Joint Audit Report und zumeist ohne hinreichende Differenzierung verwendet. Ein bloßer Rückgriff auf die OECD-Definition genügt also nicht, um alle unter der Sammelbezeichnung gemeinsame Betriebsprüfungen bekannten Erscheinungsformen der Zusammenarbeit von Steuerbehörden im Rahmen von Außenprüfungen zu erfassen. Der Versuch einer sprachlich präzisen Differenzierung wurde – soweit ersichtlich – noch nicht unternommen. 8
OECD Joint Audit Report 2010. OECD Joint Audit Participant Guide 2010, S. 7. 10 OECD Joint Audit Report 2010, S. 5, 7. 11 Vgl. zur Verwendung verschiedener Begriffe auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (534). Bei Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (627, 628) bspw. wird zu gemeinsamen Betriebsprüfungen zunächst definiert, dass „ein einziges Auditteam mit möglichst gleichrangig ermächtigten in- und ausländischen Prüfern“ handeln solle, später aber attestiert, dass es „kein gemeinschaftliches internationales Prüferteam geben“ werde. 9
A. Gemeinsame Außenprüfungen als kooperativer Lösungsansatz
229
M. E. sind Außenprüfungen mit ausländischen Steuerverwaltungen nach dem Grad der internationalen Koordination, Kooperation und Integration sowie nach ihrem funktionalen Schwerpunkt zu unterscheiden und dementsprechend begrifflich zu ordnen. Die erste Stufe bildet die gleichzeitige Prüfungsvornahme auf beiden Seiten der Grenze von getrennt operierenden rein nationalen Prüferteams und einen flankierenden zwischenstaatlichen Informationsaustausch. Diese Form der Koordination von Außenprüfungen lässt sich funktional eindeutig der Sachverhaltsaufklärung durch zwischenstaatlichen Informationsaustausch zuordnen.12 Hier ist der Begriff der Simultanprüfung zutreffend. Auf der folgenden zweiten Stufe tritt die Möglichkeit der Anwesenheit ausländischer Beamter im Inland und inländischer Beamter im Ausland hinzu. Bildlich gesprochen bekommen die getrennten nationalen Prüferteams „Besuch aus dem Ausland“. Auch ohne eigene Ermittlungsmöglichkeiten ist dieser „Besuch“ jedoch kein Selbstzweck. Er dient dazu, durch konkrete Hinweise sowie An- und Rückfragen über die inländischen Betriebsprüfer auf den Prüfungsverlauf und konkrete Prüfungshandlungen mittelbar Einfluss zu nehmen, damit eine Beschleunigung und Präzisierung des Informationsaustausches erreicht werden kann. Darin sind bereits Elemente des gemeinsamen Wirkens zu erkennen, wenngleich die Anwesenheit nichts an der funktionalen und rechtlichen Zuordnung zur Sachverhaltsaufklärung im Wege des Informationsaustauschs zu ändern vermag. Für diese Fälle des Zusammenwirkens verschiedener Steuerverwaltungen im Rahmen zeitlich abgestimmter Außenprüfungen ist bereits die Verwendung des Begriffs der gemeinsamen Betriebsprüfung möglich – auch wenn die Vorgaben der Joint-Audit-Definition der OECD nicht erfüllt sind. Präzisierend sollte m. E. für solche Fälle eher der Begriff grenzüberschreitende Betriebsprüfung, klarstellend um die Ergänzung „bei Anwesenheit ausländischer Bediensteter“ Verwendung finden. Auf der dritten Stufe werden ausländische Bedienstete zudem mit Ermittlungskompetenzen ausgestattet. Dennoch erfolgt die Außenprüfung nicht als Joint Audit i.S.d. Definition des Joint Audit Reports der OECD. Es bleibt weiter bei zwei oder mehr getrennten Prüfungsverfahren. Deshalb scheint auch hier der Begriff der grenzüberschreitenden Betriebsprüfung (unter Beteiligung ausländischer Bediensteter) präzise, wenngleich eine Bezeichnung als gemeinsame Betriebsprüfung nicht unzutreffend ist. Funktional wird auch in diesen Fällen weiter der Informationsaustausch zur Sachverhaltsaufklärung bezweckt. In allen hier unter dem Sammelbegriff „gemeinsame Betriebsprüfung“ gefassten finanzbehördlicher Kooperationen sind zwischen den Bediensteten zudem Verständigungen über Sach- und Rechtsfragen des Einzelfalls möglich. Ist das der Fall, treten neben den Sachverhaltsaufklärungszweck durch Informationsaustausch auch
12
Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (83).
230
Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Elemente eines Verständigungsverfahrens. Ob es sich dann sogar um ein vorweggenommenes Verständigungsverfahren handelt, wird zu erörtern sein.13 Auf der letzten Stufe denkbar sind zudem Betriebsprüfungen, bei denen die Finanzbehörden nicht nur zusammen prüfen, sondern unter Anwendung eines einheitlichen Verfahrensrechts gleichberechtigt sind und die Prüfung mit einem einheitlichen Prüfbericht beendet wird; die Prüfungsverfahren also fusioniert werden. Eigentlich lassen sich erst so weitreichend integrierte Betriebsprüfungen wirklich zutreffend und präzise unter den Begriff der gemeinsamen Betriebsprüfung fassen, in Abgrenzung zu den zuvor genannten Formen der grenzüberschreitenden Betriebsprüfung ist allerdings die Bezeichnung als voll integrierte internationale Betriebsprüfung vorzuziehen und der Begriff gemeinsame Betriebsprüfung als Sammelbegriff für alle hier dargestellten Formen der Zusammenarbeit beizubehalten. 3. Zusammenfassung Die Idee gemeinsamer Betriebsprüfungen ist in das Umfeld der Neujustierung der weltweiten Steuerrechtsordnung und den Abbau von Inkohärenzen des materiellen Steuerrechts eingebettet. Der Diskussionsgegenstand selbst kann dabei je nach Perspektive als facettenreich, schillernd oder konturlos beschrieben werden. Er reicht von einfachen Simultanprüfungen, die lediglich um die Anwesenheit ausländischer Bediensteter ergänzt werden bis zu voll integrierten internationalen Betriebsprüfungen. Ohne präzisierende Angaben hinsichtlich der genauen Form der Zusammenarbeit kann der Begriff der gemeinsamen Betriebsprüfung irreführend sein. Dennoch ist die Verwendung dieses Sammelbegriffs im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zielführend, weil gerade alle in Betracht kommenden Modalitäten der Kooperation beleuchtet werden. Wo präzisierende Angaben fehlen, ergibt sich aus dem Zusammenhang, welche Teilaspekte einer gemeinsamen Betriebsprüfung untersuchungsgegenständlich sind. In der Praxis sollte zwischen den Beteiligten immer klar kommuniziert werden, welcher Grad der Kooperation und Integration angestrebt wird, um Fehlvorstellungen und damit verbundene falsche Erwartungen zu vermeiden.
II. Erwartung So vieldeutig der Begriff der gemeinsamen Betriebsprüfung ist, so vielfältig sind auch die Erwartungen, die mit dieser Form der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verbunden werden.
13
Dazu sodann auf S. 304 ff.
A. Gemeinsame Außenprüfungen als kooperativer Lösungsansatz
231
1. Erwartungen der Verwaltungen Die Steuerverwaltungen erhoffen sich durch gemeinsame Betriebsprüfungen vielfältige positive Effekte. Insgesamt erwarten sie eine schnellere und zugleich umfassendere sowie zielgenauere Ermittlung grenzüberschreitender steuerlicher Sachverhalte.14 Aufgrund des direkten Kontakts sollen grenzüberschreitende Rechtsund Tatsachenfragen zwischen den involvierten Prüfern unmittelbar erörtert werden können, was zu einer besseren Sicht auf den steuerlichen Gesamtkomplex beiträgt.15 Das gilt insb. bei komplexen Konzernstrukturen, die verschiedene in- und ausländische Gesellschaftsformen beinhalten, deren rechtliche Einordnung besonders herausfordernd ist und bei denen eine Einschätzung der Geschäftsabläufe sowie der Funktions- und Risikoverteilung einen Gesamtblick erfordert. Maßnahmen, die bei klassischen Formen des Informationsaustausches erforderlich sind (wie die Gewinnung, Verbalisierung und Übermittlung von Auskunftsersuchen und umgekehrt von Ermittlungserkenntnissen) können zumindest teilweise unterbleiben.16 Auch damit verbundene Fehlerquellen wie Übermittlungs- und Übersetzungsfehler können minimiert werden.17 Mit gemeinsamen Betriebsprüfungen können die im klassischen internationalen Informationsaustausch bestehenden langen Dienstwege und die damit verbundenen, oft langwidrigen Unterbrechungen des Prüfvorgangs wegfallen.18 Durch die Zusammenarbeit sind unmittelbare Verständigungen nicht nur auf Tatsachenebene möglich, sondern können auch über die rechtliche Bewertung der ermittelten Sachverhalte erreicht werden. Daraus folgend bauen die Verwaltungen bei gemeinsamen Betriebsprüfungen auf größere Rechtsklarheit und frühere Rechtssicherheit.19 Im Ergebnis sollen „Rechtsbehelfs-, Gerichts- oder langwierige, teils über sechs Jahre andauernde internationale Verständigungsverfahren“ vermieden werden.20 Im Rahmen gemeinsamer Betriebsprüfungen soll es den Prüfern außerdem im direkten Kontakt mit ihren ausländischen Kollegen ermöglicht werden, die landesspezifischen Probleme, Rechtslagen und -auffassungen besser kennenzulernen und
14
Thomas Eisgruber, DStR-Beihefter 2013, 89 (90); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593); Rolf Schreiber/Susanne Schäffkes/Fechner, Stefan, in: DB 2018, 1624 (1624), StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 244 vom 23. Juli 2013; StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013. 15 Thomas Eisgruber, DStR-Beihefter 2013, 89 (91); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593). 16 Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (566). 17 Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (566). 18 StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013. 19 StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 244 vom 23. Juli 2013; StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013; vgl. auch Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593). 20 StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
ein entsprechendes Fachwissen aufzubauen,21 das auch bei nationalen Prüfungen internationaler Sachverhalte fruchtbar gemacht werden kann. Bei dauerhafter praktischer Verwaltungsübung mit gemeinsamen Betriebsprüfungen ist ferner zu erwarten, dass die internen Verfahrensabläufe beschleunigt sowie die Prüfungsdauern und der damit verbundene Personalaufwand reduziert werden können.22 Die „neue Qualität der gegenseitigen Information zwischen den Staaten“ soll letztlich den Steuerzugriff sichern und verbessern.23 Insgesamt rechnen die Steuerverwaltungen damit, dass gemeinsame Betriebsprüfungen helfen, „Steuerschlupflöcher [… zu] schließen und Doppelbesteuerung [… zu] vermeiden.“24 Die Steuerbehördenleiter in der EU erachten gemeinsame Betriebsprüfungen als „zentralen Lösungsansatz zur Vermeidung internationaler Besteuerungskonflikte.“25 2. Erwartungen der Wirtschaft und Beraterschaft Wirtschaft und Beraterschaft versprechen sich von gemeinsamen Betriebsprüfungen geringere Dokumentationskosten, schnellere Prüfungsabläufe, geringere Steuerrisiken, effizientere Kommunikation und frühere Rechtssicherheit.26 Zudem sollen Konflikte frühzeitig und ohne Verständigungsverfahren vermieden werden,27 wodurch letztlich Verfahrenskosten und Zinslasten gedrückt werden können.28 Die Verwirklichung der Hoffnungen kann mittelbar auch zu einer Stärkung des Wirtschaftsstandorts der an der gemeinsamen Betriebsprüfung beteiligten Staaten führen. Andererseits werden auch Bedenken geäußert. So sei nicht klar, ob ein hinreichender Datenschutz im Allgemeinen und insb. in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse gewährleistet werden könne.29 Gerade kleine und mittlere Unternehmen
21
StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013. StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013; vgl. auch Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593); zustimmend wohl auch Eva Oertel/Michael Merx/Ellen Reimann, in: ISR 2015, S. 153 (155). 23 StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013. 24 StMF Bayern, Pressemitteilung Nr. 292 vom 30. Juli 2013. 25 Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (157). 26 Vgl. PwC, „Emergence of New Examination Approach – Joint Audit“, 29. Juni 2011; PwC, „Joint Audit – a new approach to crossborder collaboration among tax authorities“, 8. Juli 2011; Till Meickmann, in: IStR 2014 591 (594). 27 Holger Engelke, in: International Tax Audit Forum Munich 2014, S. 136 (137). 28 Eva Oertel/Michael Merx/Ellen Reimann, in: ISR 2015, S. 153 (155). 29 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 146 m.w.N.; vgl. auch Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594). 22
B. Rechtsrahmen
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befürchten zudem, der Stärke zweier – gar kollusiv zusammenwirkender – Steuerverwaltungen nichts entgegenzusetzen zu haben.30 3. Funktionale Bedeutung Die Initiativen und Erwartungen zeigen, dass gemeinsame Betriebsprüfungen funktional nicht allein dem Informationsaustausch zugeordnet werden können. Soweit an sie der Anspruch formuliert wird, Besteuerungskonflikte zu vermeiden, müssen sie zwangsläufig auch Elemente der Verständigung enthalten und rücken so in die Nähe von klassischen Verständigungsverfahren.
B. Rechtsrahmen Die Möglichkeiten zur Durchführung gemeinsamer grenzüberschreitender Betriebsprüfungen werden vor allem durch den Rechtsrahmen bestimmt, der den umfangreichen Erwartungen und den nach Integrationsgrad zu differenzierenden Formen von grenzüberschreitenden Außenprüfungen Rechnung tragen muss. Neben den völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, die vor allem für die Entsendung von Bediensteten ins Ausland und der Einräumung von Hoheitsbefugnissen von Bedeutung sind, müssen dabei auch verfassungsrechtliche Vorgaben Beachtung finden. Vor allem aber sind die multi- und bilateralen sowie die europäischen und nationalen Rechtsgrundlagen dahingehend zu untersuchen, welche einzelnen Elemente von gemeinsamen Betriebsprüfungen sie zulassen und welche Elemente sich unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen (noch) nicht verwirklichen lassen.
I. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen Sollen Bedienstete der Finanzbehörden auf fremdem Staatsgebiet (also „Out-OfArea“) bei hoheitlichen Ermittlungen zugegen sein oder ihnen eigene Ermittlungsrechte eingeräumt werden, stellt sich zunächst die Frage, welche Voraussetzungen dafür aus völkerrechtlicher Perspektive erfüllt sein müssen. Ermittlungsmaßnahmen, die Hoheitsakte sind oder hoheitlichen Zwecken dienen, dürfen wegen des formellen Territorialitätsprinzips, also des Prinzips der Achtung staatlicher Gebietshoheit und der territorialen Souveränität, grds. nur auf dem eigenen Staatsgebiet und mit Wirkung im eigenen Staatsgebiet vorgenommen wer-
30 Gerd Rothmann hat insofern das Bild von zwei losgelassenen Kettenhunden gezeichnet, die den Steuerpflichten nunmehr gemeinsam in die Zange nähmen, vgl. Johannes Becker, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 172 (177).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
den.31 Völkerrechtlich verboten ist umgekehrt die Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet, die entweder als hoheitliche Maßnahme erfolgt oder hoheitlichen Zwecken unmittelbar dient.32 Die Vornahme eigener Prüfungshandlungen, wie die Befragung von Personen oder die Einsichtnahme bzw. Prüfung von Unterlagen, ist eindeutig eine hoheitliche Tätigkeit und damit grds. völkerrechtlich unzulässig.33 Auch die bloß passive Anwesenheit dient hoheitlichen Zwecken, sodass auch diese von der Beschränkung des Territorialitätsprinzips erfasst ist. Damit können Anwesenheitsoder Prüfungsrechte ausländischer Bediensteter nur ausnahmsweise aufgrund völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, völkerrechtlicher Verträge oder besonderer Gestattungen im Einzelfall zulässig sein.34 Weil das völkerrechtliche Prinzip der Territorialität nicht zur Disposition des Betroffenen steht, ist insofern ein mögliches Einverständnis der von einer fremden hoheitlichen Maßnahme betroffenen Person unbeachtlich und vermag keine völkerrechtliche Legitimität der Maßnahme zu begründen.35 Historisch gewachsene völkergewohnheitsrechtliche Ausnahmen – wie sie vor allem im See- und Luftraumrecht vorkommen36 – sind bereichsspezifische Besonderheiten und kommen für die Einräumung von Anwesenheits- oder Prüfungsrechten im Zusammenhang mit steuerlichen Außenprüfungen nicht in Betracht. Allerdings können Anwesenheits- und Prüfungsrechte abstrakt-generell durch völkerrechtliche Verträge eingeräumt werden. Sie können aber auch spezifische Bedingungen normieren, die erfüllt sein müssen, damit eine Rechteeinräumung überhaupt in Betracht kommt. So lassen sich Prüfungsbefugnisse auf fremdem Staatsgebiet von einer entsprechenden Vereinbarung im Einzelfall oder für bestimmte Gruppe, von der Zustimmung des Betroffenen oder der reziproken Einräumung entsprechender Befugnisse abhängig machen. Selbst ohne völkerrechtlichen Vertrag kann jeder Staat im konkreten Einzelfall als Akt der Courtoisie gestatten,37 dass Beamte eines fremden Staates hoheitliche Funktionen auf seinem Staatsgebiet ausüben.38 Auch wenn völkerrechtliche Verträge besondere Voraussetzungen normieren, ist es völkerrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der betroffene Staat davon abweichend eine 31
Vgl. Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 312; vgl. dazu auch bereits S. 87 f. So übereinstimmend Eberhard Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, S. 61; Bettina Spilker, in: DStR 2014, 2490 (2492 f.); Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 3. 33 Vgl. Rolfjosef Hamacher, in: RIW 1987, 458 (459). 34 Vgl. Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, S. 323. 35 Hagen Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, S. 228; Eberhard Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, S. 59; Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 3; vgl. auch Rainer Spatscheck/Jörg Alvermann, in: IStR 2001, 33 (33); a.A. hingegen wohl Walter Rudolf, in: Festschrift für Bärmann, S. 769 (785). 36 Vgl. dazu Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, S. 53 ff. 37 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, S. 636. 38 Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, S. 67. 32
B. Rechtsrahmen
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Gestattung einräumt. Den völkervertraglichen Bestimmungen kommt insofern keine abschließende Wirkung zu. Die besondere Gestattung im Einzelfall kann ausdrücklich, grds. aber auch konkludent oder durch widerspruchslose Duldung erfolgen.39 Letztlich ist jedwedes Tätigwerden von Betriebsprüfern, beginnend beim bloßen Zugegensein bei Prüfungen auf fremdem Hoheitsgebiet, völkerrechtlich nur zulässig, soweit der fremde Staat dem abstrakt-generell durch einen völkerrechtlichen Vertrag oder konkret-individuell im Einzelfall zugestimmt hat.
II. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen Unabhängig von ihrer völkerrechtlichen Zulässigkeit sind bei der Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten sowohl im In- als auch im Ausland verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten. Das betrifft einerseits ihre grds. Zulässigkeit und andererseits auch die Bedingungen der Einräumung dieser Rechte. 1. Grundrechtsbindung Aus verfassungsrechtlicher Perspektive drängt sich zu allererst in doppeltem Sinne die Frage nach der Reichweite des Geltungsanspruchs des Grundgesetzes auf. Erstens: Gilt das Grundgesetz räumlich auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und sind die Bediensteten deutscher Behörden deshalb auch bei Ermittlungen im Ausland an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden? Und zweitens: Bindet das Grundgesetz auch Bedienstete ausländischer Behörden, wenn diese zulässigerweise in der Bundesrepublik Deutschland Ermittlungen vornehmen oder bei diesen zugegen sind? a) Grundrechtsbindung Bediensteter deutscher Behörden im Ausland Den Ausgangspunkt jeder Überlegung, ob deutsche staatliche Gewalt auch dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn sie im Ausland handelt, bildet Art. 1 Abs. 3 GG. Danach binden die Grundrechte die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Art. 1 Abs. 3 GG differenziert nicht nach dem Ort der Vornahme oder Wirkung einer Handlung, nicht nach der Staatsangehörigkeit oder dem Aufenthaltsort des von der staatlichen Maßnahme Betroffenen und auch nicht nach der Art oder Form der Maßnahme.40 Eine Regelung, die bei Maßnahmen im Ausland von der Bindung an das Grundgesetz befreit, ist nicht in Sicht, sodass die vom Grundgesetz verfasste – also deutsche – staatliche Gewalt 39 Zu den verschiedenen Formen der Gestattung im Einzelfall sei verwiesen auf Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, S. 67 ff. 40 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 147.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG folgend vorbehaltslos grundrechtsgebunden ist.41 Diese umfassende und uneingeschränkte Bindung der deutschen Staatsgewalt bedeutet, dass Grundrechte auch bei Ermittlungsmaßnahmen im Ausland uneingeschränkt zu beachten sind, soweit dem nicht spezifische Besonderheiten des sachliches oder persönlichen Schutzbereichs eines Grundrechts entgegenstehen. b) Grundrechtsbindung Bediensteter ausländischer Behörden im Inland Ob die ausländischen Bediensteten bei Sachverhaltsermittlungen in der Bundesrepublik an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden sind, ist ebenfalls anhand von Art. 1 Abs. 3 GG zu bestimmen. Dieser benennt als grundrechtsgebundenes Subjekt die vom Grundgesetz verfasste deutsche staatliche Gewalt. Nichtdeutsche hoheitliche Gewalt wird in Art. 1 Abs. 3 GG nicht adressiert, sodass dieser eine Bindung fremder Staatsgewalt an die Grundrechte nicht zu begründen vermag. Auch andere Anhaltspunkte für eine Bindung ausländischer Hoheitsgewalt an deutsche Grundrechte finden sich in der deutschen Verfassung nicht.42 Fremde Hoheitsgewalt unterliegt daher auch bei Tätigkeit auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland keiner unmittelbaren Bindung an die Grundrechte des Grundgesetzes.43 Damit ist indes nichts darüber gesagt, ob die ausländische Hoheitsrechtausübung mittelbar über eine grundgesetzkonformekonforme Gestattung an Grundrechte gebunden ist.44 41
Vgl. BVerfG v. 21. März 1957, 1 BvR 65/54, BVerfGE 6, 290 (295); BVerfG v. 4. Mai 1971, 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58 (73); BVerfG v. 25. März 1981, 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9 (23); Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 148; Dieter Blumenwitz, in: Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 211, Rn. 15; Stephan Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Informationsverkehrs, S. 60; Karl-Heinrich Friauf, in: Europarecht und Grundgesetz, S. 11 (33 f.); Dirk Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grundund Menschenrechte, S. 171 f.; Hans-Jürgen Papier, in: Digitalisierung im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Recht, Band 2, S. 171 (180); Alexander Poretschkin, in: NZWehrr 2006, 123; Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, § 72, V 5; Christian Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), 7 (43); Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, S. 147; Angela Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 98 f. Diese Auffassung ist indes nicht unumstritten; zur Kritik sei zusammenfassend verwiesen auf Martin Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 230 f. m.w.N. 42 Vgl. Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 155. 43 Vgl. BVerfG v. 7. Juli 1975, 1 BvR 274/72, BVerfGE 40, 141 (166); BVerfG v. 13. Januar 1976, 1 BvR 631/69, BVerfGE 41, 126 (157 f.); BVerfG v. 21. Dezember 1976, 1 BvR 799/76; BVerfGE 43, 202 (209); BVerfG v. 25. März 1981, 2 BvR 1258/79; BVerfGE 57, 9 (23); Dieter Blumenwitz, in: Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 211, Rn. 15; Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (135); Karl-Heinrich Friauf, Bindung deutscher Vorfassungsorgane, in: Europarecht und Grundgesetz, S. 11 (34 f.); Josef Isensee, in: Festschrift für Stern, S. 1239 (1245); Klaus Stern, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, § 72, V 4. 44 Nochmals: Aus der Verfassung selbst ergibt sich keine Bindung ausländischer Staatsgewalt an deustche Grundrechte. Zur mittelbaren Bindung über den inländischen Gestattungsakt sodann auf S. 246 ff.
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2. Zulässigkeit und Bedingungen der Einräumung von Ermittlungsbefugnissen im Inland Von der Reichweite der Bindungswirkung des Grundgesetzes zu unterscheiden ist die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Einräumung von Hoheitsrechten nach dem Grundgesetz zulässig ist. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf deutschem Hoheitsgebiet ist dem Grundsatz nach – als Ausfluss aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG45 – ausschließlich Sache der deutschen Staatsorgane.46 Art. 24 Abs. 1 GG enthält eine spezifische Regelung zur Übertragung von Hoheitsrechten. Danach kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf einen oder mehrere andere Staaten wird jedoch nicht adressiert. Ausländische Staaten sind keine zwischenstaatlichen Einrichtungen, sodass Art. 24 Abs. 1 GG grds. nicht für die Übertragung von Hoheitsrechten auf Organe anderer Staaten in Betracht kommt. Das gleiche gilt für die Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG) oder auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen (Art. 24 Abs. la GG) zu übertragen. Weil andere Möglichkeiten zur Übertragung von Hoheitsrechten in der Verfassung nicht genannt werden, ließe sich nunmehr annehmen, dass die Einräumung von Anwesenheits- oder Prüfungsrechten ausländischer Bediensteter im Inland eine verfassungsrechtlich unzulässige Übertragung von Hoheitsrechten auf einen anderen Staat ist. Damit wären gemeinsame Betriebsprüfungen durch zwei oder mehr Staaten – soweit sie nicht auf Unionsrecht beruhen – wegen des Fehlens einer zwischenstaatlichen Einrichtung schon im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich unzulässig.47 Das Verdikt der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit greift aber nur, wenn die Einräumung der o.g. Rechte tatsächlich als Übertragung von Hoheitsrechten i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG erfolgt und keine Ausnahme zu Art. 24 Abs. 1 GG greift. a) Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG Damit steht zunächst in Frage, was unter einer Hoheitsrechtsübertragung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG überhaupt zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ermächtigt „Art. 24 GG […] nicht eigentlich zur Übertragung von Hoheitsrechten, sondern öffnet die nationale Rechtsordnung […] derart, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb des staatlichen
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Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 67 f. Matthias Niedobitek, Das Recht der grenzüberschreitenden Verträge, S. 422. So wohl Rolfjosef Hamacher, in: RIW 1987, 458 (461).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Herrschaftsbereichs Raum gelassen wird.“48 Dem Bedeutungsgehalt der Hoheitsrechtsübertragung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes lässt sich am besten nachspüren, indem der Begriff der Hoheitsrechtübertragung in seine Begriffsteile zerlegt wird. Hoheitsrechte sind nicht die Staatsgewalt als solche, sondern einzelne sachlich abgrenzbare Handlungsbefugnisse aus der Gesamtheit der umfassenden staatlichen Gewalt, unabhängig von ihrer funktionalen Einordnung als Legislative, Exekutive oder Judikative.49 Hoheitsrechte als Gegenstand des Übertragungsakts sind als Zuständigkeit und Befugnis zur Setzung von Recht zu begreifen.50 Weniger eindeutig lässt sich sagen, was unter dem Begriffsmerkmal der Übertragung zu verstehen ist. Weitgehende Einigkeit besteht insofern, dass damit die Rücknahme des Ausschließlichkeitsanspruchs der Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Organe des deutschen Staates gemeint ist.51 Zweckrichtung dieser Rücknahme ist die Öffnung der nationalen Rechtsordnung, um die Ausübung fremder Hoheitsgewalt im Bereich der eigenen staatlichen Gebietshoheit zu ermöglichen. Entscheidendes Kriterium ist, dass die Übertragung den Adressaten ermächtigt, den räumlichen Geltungsbereich seines Rechts auszudehnen, was vice versa die Verpflichtung des Übertragenden bedeutet, die eigene Rechtsordnung zurückzunehmen.52 Bei einer Übertragung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG werden von der Bundesrepublik Hoheitsrechte also nicht unmittelbar auf einen anderen Staat „übergeben“, damit dieser dann deutsche Hoheitsgewalt ausübt, sondern die Bundesrepublik zieht sich zurück53 und ermöglicht so, dass der andere Staat seine eigene 48 BVerfG v. 29. Mai 1974, 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271 (280); zustimmend BVerfG v. 23. Juni 1981, 2 BvR 1107, 1124/77, 195/79, BVerfGE 58, 1 (28); BverfG v. 10. November 1981, 2 BvR 1058/79, BVerfGE 59, 63 (90); BVerfG v. 18. Dezember 1984, 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1 (90); BverfG v. 22. Oktober 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (374); vgl. ausführlich zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und den in der Literatur vertretenen Ansätzen Thomas Flint, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 46 ff.; Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 25 ff.; zu den in der Literatur vertretenden Ansichten im Überlick auch Markus Glaser, Internationale Verwaltungsbeziehungen, S. 214 ff. 49 Vgl. Andreas Beck, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 81; Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 192; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 178; ähnlich auch Oliver Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, S. 91. 50 Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 178. 51 Céderic Chapuis, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organisationen, S. 132; Georg Erler, in: VVDStRL 18 (1960), 7 (19 f.); Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 193; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 179; Albrecht Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG, Rn. 55; Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 30 ff.; Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 174. 52 So Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 183. 53 Das heißt allerdings nicht, dass dieses Zurückziehen keinen materiellen Grenzen unterliegen würde, vgl. im Überblick Hans Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 24 GG, Rn. 9 ff.
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Hoheitsgewalt auf das Inland ausdehnen und sie dort ausüben kann.54 Darüber hinaus ist für eine Hoheitsrechtsübertragung nach der ganz h.M. eine sog. Durchgriffswirkung des Handelns des fremden Staates erforderlich.55 Die Hoheitsakte des fremden Staates müssen demnach ohne staatlichen Inkorporationsakt unmittelbar innerhalb des deutschen Hoheitsbereichs gelten und wirken.56 Ob die Einräumung von eigenen Befugnissen bei gemeinsamen Betriebsprüfungen eine Hoheitsrechtsübertragung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG ist, wird letztlich im Einzelfall anhand der genauen Ausgestaltung des völkerrechtlichen Rahmens zu bestimmen sein:57 Einerseits muss die Bundesrepublik ihren staatlichen Ausschließlichkeitsanspruch zurücknehmen und andererseits müssen ausländische Prüfer unabhängig von einem deutschen Anerkennungsakt unmittelbar in Deutschland geltendes und anwendbares Recht setzen können. b) Einräumung von Hoheitsrechten ohne direkte Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG Die Ausübung von Hoheitsgewalt durch ausländische Staaten kommt aber auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von Art. 24 Abs. 1 GG in Betracht.58 Ein solches hoheitliches Tätigwerden ausländischer Behörden im Inland wird in der Literatur zum Teil beschrieben als „Hoheitsrechtsübertragung zur Ausübung“, „Duldung der Ausübung fremder Staatsgewalt im Inland“, „unechte Hoheitsrechtsübertragung“, „Hoheitsrechtsbeschränkung“ oder „partielle Hoheitsrechtsübertragung“. So vielfältig die Bezeichnungen sind, so vielfältig sind auch die 54
Andreas Beck, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 80 f.; Georg Erler, in: VVDStRL 18 (1960), 7 (19 f.); Hans Joachim Glaesner, in: DÖV 1959, 653 (653); Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 193; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 189; a.A. wohl Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (132). 55 Claus Dieter Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 24 GG, Rn. 6; Hans Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 24 GG, Rn. 5; Doris König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, S. 51 ff.; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 182 f.; Albrecht Randelzhofer, in: Maunz/ Dürig, Art. 24 GG, Rn. 30; Ondolf Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 24 GG, Rn. 25; Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 174, 179; Christian Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 GG, Rn. 8. Das BVerfG hingegen verzichtet in seiner Rechtsprechung ausdrücklich auf das Krikerium der Durchgriffswirkung, vgl. BVerfG v. 18. Dezember 1984, 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1 (94). Zur Kritik daran sei verwiesen auf Andreas Beck, Übertragung von Hoheitsrechten, S. 87 ff. m.w.N. 56 Albrecht Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG, Rn. 57 ff.; Christian Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 GG, Rn. 8; Matthias Niedobitek, Das Recht der grenzüberschreitenden Verträge, S. 429. 57 Für die Frage, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt, für gemeinsame Betriebsprüfungen eigene Prüfungsbefugnisse der Gestalt einzuräumen, dass sie unterhalb der Schwelle zur Hoheitsrechtsübertragung liegen, sei verwiesen auf S. 244 ff. 58 Vgl. Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 505 ff.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Begründungsansätze. Dabei lassen sich verschiedene Strömungen erkennen, die zum Teil ohne genaue Abgrenzung gegenüber der Hoheitsrechtsübertragung nach Art. 24 Abs. 1 GG auskommen wollen. aa) Vorkonstitutionelle Hoheitsrechtsübertragungen So wird vertreten, dass Übertragungen von Hoheitsrechten, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes stattgefunden haben und dem Verfassungsgesetzgeber bekannt gewesen sein dürften, auch heute weiter verfassungsrechtlich zulässig sind.59 Im Grunde ist gegen diesen Ansatz nichts einzuwenden, wenngleich er entgegen der im Grundgesetz angelegten offenen Staatlichkeit zu einer Versteinerung der internationalen Kooperation führt.60 Für moderne Formen der Zusammenarbeit – wie gemeinsame Betriebsprüfungen – bietet dieser Begründungsansatz aber ohnehin kaum Raum.61 bb) Zusammenarbeit als zwischenstaatliche Einrichtung Ein weiterer Ansatz zielt darauf ab, jedwede zwischenstaatliche Kooperationen aufgrund völkerrechtlicher Verträge als Errichtung einer zwischenstaatlichen Einrichtung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG zu qualifizieren.62 Damit diese Annahme nicht auf eine bloße Fiktion zur Umgehung des Art. 24 Abs. 1 GG hinausläuft,63 bedarf es aber jedenfalls einer Institutionalisierung der zwischenstaatlichen Einrichtung,64 die in den meisten Fällen nicht gegeben sein wird.65 cc) Ausweitung der Übertragungsmöglichkeiten durch Rückgriff auf allgemeine Prinzipien Einige Stimmen in der Literatur argumentieren mit allgemeinen Verfassungsprinzipien wie der offenen Staatlichkeit und meinen, darin ungeschriebene Tatbe59
Mandfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 273 f.; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 188. 60 Claus Dieter Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 24 GG, Rn. 66; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 188. 61 Vgl. Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 188. 62 Matthias Ruffert, in: Die Verwaltung, 34 (2001), 453 (481 f.). 63 So Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 189, 198 f.; 249 f. 64 Auch Matthias Ruffert, in: Die Verwaltung, 34 (2001), 453 (482) fordert einen gewissen Insitutionalisierunggrad, will die zu überschreitende Schwelle aber wohl schon in der Kooperation als solcher erkennen. Das vermag nicht zu überzeugen, weil damit vom Begriff der Institutionalisierung letztlich nicht viel übrigbleibt. 65 Fraglich bleibt dabei indes auch, ob eine Delegation der übertragenen Hoheitsrechte auf einen Vertragstaat möglich ist. Vgl. dazu sodann auf S. 242 ff.
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stände für die Übertragung von Hoheitsrechten zu erkennen.66 Dem stünde auch der Art. 24 Abs. 1 GG nicht entgegen, weil dieser die internationale Kooperation lediglich erleichtern und nicht weitergehende Hoheitsrechtsübertragungen auf andere Staaten verhindern wolle.67 Es fragt sich aber, welche Funktion Art. 24 Abs. 1 GG dann noch haben soll, wenn die Zulässigkeit von Hoheitsrechtsübertragungen im Grundgesetz allgemein vorausgesetzt würde.68 Art. 24 Abs. 1 GG wäre dann gänzlich obsolet.69 Es wird auch argumentiert, eine Hoheitsrechtsübertragung sei a maiore ad minus wegen der nach allgemeiner Auffassung verfassungsrechtlich zulässigen Gebietszession70 auch zu Gunsten anderer Staaten generell zulässig.71 Dagegen ist aber vorzubringen, dass sich mit einer Gebietszession die völkerrechtliche Zuordnung des Gebietes zu einem Staat und damit auch der Geltungsanspruch der Verfassung ändert, während sich bei einer Hoheitsrechtsübertragung die Zuständigkeit für die Ausübung der Gebietshoheit ändert.72 Die Gebietsabtretung ist also nicht nur ein Mehr gegenüber einer Hoheitsrechtsübertragung, sondern ein rechtliches Aliud, sodass hier ein Erst-Recht-Schluss zu kurz greift.73 dd) Unmittelbare Übertragung von Hoheitsrechten zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Es ließe sich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union überlegen, dass eine horizontale Übertragung von Hoheitsrechten zwischen den Mitgliedstaaten auf Grundlage des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und der Unionsverträge möglich ist. Verfassungsrechtlich ist dem allerdings entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 23 GG die Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische 66 Einen solchen Versuch unternimmt insb. Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 246 ff. 67 Claus Dieter Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 24 GG; Rn. 65 f.; Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 276. 68 Ulrich Beyerlin, in: ZaöRV 54 (1994), 587 (607 f.); Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 196; Christoph Ohler, in: DVBl 2002, 880 (883). 69 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 196. 70 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Abtretung eigenen Staatsgebiets ist jedoch nicht unumstritten; vgl. statt vieler Wolfgang Graf Vitzthum, in: Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 18, Rn. 19 ff. 71 Lothar Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland, S. 62; Volker Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, S. 81; Karl Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 315 ff.; Dominik Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 168. 72 Markus Glaser, Internationale Verwaltungsbeziehungen, S. 213. 73 Markus Glaser, Internationale Verwaltungsbeziehungen, S. 213; Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 196; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 189.
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Ebene und nicht auf andere Mitgliedstaaten vor Augen hatte,74 sodass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union deswegen in Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten von Hoheitsrechtsübertragungen keinen Sonderstatus einnehmen.75 Es ist ebenso wenig ersichtlich, dass dem Primärrecht eine Grundlage für die unmittelbare Übertragung von Hoheitsrechten zwischen Mitgliedstaaten zu entnehmen wäre.76 Auch die Verträge der Europäischen Union zielen auf die Errichtung einer mit eigenen Hoheitsrechten ausgestatteten supranationalen Einrichtung ab und nicht auf die Verschiebung von Hoheitsrechten zwischen Mitgliedstaaten.77 ee) Delegation von Hoheitsbefugnissen bei zwischenstaatlichen Einrichtungen, insb. der Europäischen Union Möglich scheint allerdings, dass Hoheitsrechte zunächst auf eine zwischenstaatliche Einrichtung – insb. im Fall des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG auf die Europäische Union – übertragen und diese sodann von der zwischenstaatlichen Einrichtung auf einen anderen Vertrags- bzw. Mitgliedstaat delegiert werden. Da eine zwischenstaatliche Einrichtung auch von nur zwei Vertragsstaaten geschaffen werden kann, könnte mit Blick auf die abschließende Wirkung der Artt. 23 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1 GG zu befürchten sein, dass durch bewusste Vertragsgestaltung synthetisch zwischenstaatliche Einrichtungen geschaffen werden, die allein dem Zweck dienen, eine horizontale Hoheitsrechtsübertragung auf einen fremden Staat ohne die dafür eigentlich erforderliche Verfassungsänderung zu bewirken.78 Art. 24 Abs. 1 GG ist daher teleologisch so zu reduzieren, dass konkrete Umgehungsgestaltungen aus seinem Anwendungsbereich hinausfallen. Die Ausübung von aus einer Hoheitsrechtsübertragung auf zwischenstaatliche Einrichtungen abgeleiteten Befugnissen generell auszuschließen, vermögen diese Einwände indes nicht. Dass die bundesrepublikanische Verfassung einer Hoheitsrechtsübertragung via supranationaler Einrichtungen nicht generell entgegensteht, bestätigt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes für Fälle der Übertragung von Hoheitsrechten auf die NATO.79 Die Bundesrepublik Deutschland gestattete den Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Eigenschaft als NATO-Bündnispartner die Aufstellung von nuklear bestückten Mittelstreckenraketen und die Lagerung von 74
BT-Drs. 12/6000, S. 20 f. Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1239). 76 Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 180 ff. 77 Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 181 ff. 78 Auf die Europäische Union und Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ließen sich solche Befürchtungen schon strukturell nicht übertragen. 79 BVerfG v. 18. Dezember 1984, 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1; BVerfG v. 29. Oktober 1987, 2 BvR 624/83, BVerfGE 77, 170. 75
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chemischen Waffen auf deutschem Hoheitsgebiet. Im Rahmen der integrierten Kommandostruktur des Bündnisses wurde dem US-Präsidenten die Befugnis zur militärisch-operativen Einsatzfreigabe dieser Waffen eingeräumt. Die Bundesrepublik habe insofern ihren zuvor bestehenden, ausschließlichen rechtlichen Herrschaftsanspruch zugunsten nichtdeutscher Hoheitsgewalt zurückgenommen und mit dem Entscheidungsrecht über ihren Einsatz Hoheitsrechte auf die NATO als zwischenstaatliche Einrichtung aber nicht auf die Vereinigten Staaten von Amerika übertragen. Der US-Präsident sei ein besonderes Organ des Bündnisses und sein Handeln diesem völkerrechtlich zuzurechnen.80 Dass eine zwischenstaatliche Einrichtung die ihr übertragenen Hoheitsrechte nicht selbst ausübt, soll verfassungsrechtlich also unschädlich sein, wenn das Handeln eines einzelnen Staates ihr zugerechnet werden kann. Es erscheint aber fraglich, ob das Verhalten von ausländischen Betriebsprüfern bei gemeinsamen Betriebsprüfungen in ähnlicher Weise der Europäischen Union zugerechnet werden kann. An Betriebsprüfungen beteiligte Bedienstete fremder Mitgliedstaaten lassen sich jedenfalls kaum als Organe der Europäischen Union qualifizieren. Sie werden gerade nicht stellvertretend für die Europäische Union, sondern im Interesse des entsendenden Mitgliedstaats tätig.81 Allerdings verfügt die Europäische Union (auch im Bereich des Besteuerungsverfahrens)82 über keinen eigenen Verwaltungsunterbau, sodass umsetzungsbedürftige Richtlinien nur mittelbar durch die Mitgliedstaaten vollzogen werden können.83 Den nationalen Verwaltungen kommt beim Vollzug des Unionsrechts also eine besondere Rolle zu.84 Wenn die ausländischen Bediensteten bei gemeinsamen Prüfungen (auch mittelbar) Unionsrecht vollziehen,85 kann ihre Tätigkeit daher i.S.d. bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Europäischen Union zugerechnet werden.86 Der Europäischen Union können jedoch nicht Fälle zugerechnet werden, in denen die Ausübung von Hoheitsrechten darauf basiert, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Richtlinie über den umsetzungspflichtigen Inhalt hinausgeht.87 80
BVerfG v. 18. Dezember 1984, 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1 (92). Anders könnte es sich aber verhalten, wenn die Prüfer für eine europäische Steuerbehörde oder zumindest zwecks Vollziehung von Unionsrecht – bspw. der GKKB – prüften. 82 Vgl. Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 71. 83 Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 184. 84 Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 184. 85 In conctreto kann das die national umgesetzte EU-Amtshilferichtlinie sein. 86 Vgl. mit Blick auf das Bankenaufsichtsrecht Pascal Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, S. 87. 87 Vgl. Pascal Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, S. 89. Soweit das Sekundärrecht den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume lässt, bedeutet dies, dass das nationale Verfassungsrecht diese Spielräume einschränken kann, ohne dass dies unionsrechtlich bedenklich wäre. 81
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Soweit ersichtlich ist die auf der Umsetzung von zwingendem Sekundärrecht fußende Einräumung von eigenen Ermittlungsbefugnissen für ausländische Prüfer in der Bankenaufsicht88 bisher nicht als bedenklich eingestuft worden.89 Es ist von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer als Hoheitsrechtsübertragung zu qualifizierenden Einräumung von Prüfungsrechten bei gemeinsamen Betriebsprüfungen also dann auszugehen, wenn sich der Akt der Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union bezieht und die Ausübung der Prüfungsbefugnisse durch Bedienstete der Mitgliedstaaten auf der Umsetzung von zwingendem Unionsrecht90 beruht. ff) Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle zur Hoheitsrechtsübertragung Die Einräumung von Prüfungsbefugnissen bei gemeinsamen Betriebsprüfungen könnte allerdings auch derart ausgestaltet sein, dass sie gar nicht als Hoheitsrechtsübertragung erfolgt und Artt. 24 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 GG ihr nicht entgegenstehen. Die Schwelle zur Hoheitsrechtsübertragung wird nicht überschritten, wenn die Druchgriffswirkung des Handeln eines auswärtigen Staates ausgeschlossen ist, weil die Bundesrepublik ihre internationale Zuständigkeit weder völlig aufgibt noch auf ihre Ausübung verzichtet und ihr das hoheitliche Handeln ausländischer Hoheitsträger deswegen zugerechnet werden kann.91 Anders als bei der Hoheitsrechtsübertragung gibt der begünstigende Hoheitsträger den Geltungsanspruch seines Rechts nicht auf, umgekehrt fehlt dem begünstigten Hoheitsträger die Befugnis, eigenes Recht mit Geltung im Gebietsstaat zu setzen.92 Das ausländische Recht ist lediglich anwendbar, was seiner Durchsetzung aber grds. nicht entgegensteht, sofern völkerrechtlich eine Durchsetzungsbefugnis zugestanden wird.93 Umgekehrt wird 88 Die staatlichen Aufsichtsbehörden haben gem. § 44a KWG zu gestatten, dass auf Ersuchen einer für die Aufsicht über ein Unternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zuständigen Stelle, diese Stelle, ein Wirtschaftsprüfer oder ein Sachverständiger die Richtigkeit der von einem Unternehmen für die Aufsichtsstelle nach Maßgabe der Richtlinie 2013/36/EU, der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 oder der Richtlinie 2002/87/EG übermittelten Daten überprüft. Vgl. dazu allgemein Thomas Groß, in: JZ 1994, 596; Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse, S. 56 ff.; Silke Wittkopp, Sachverhaltsermittlung im Gemeinschaftsverwaltungsrecht, S. 203. 89 Vgl. Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 177 ff.; Pascal Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, S. 109. 90 Bei fakultativem Unionsrecht bleibt es hingegen bei der uneingeschränkten verfassungsrechtlichen Überprüfung, vgl. Steffen Lampert, Global Taxes, TLE-22 – 2017. 91 Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1241 ff.); Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 505 ff.; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 190 ff. 92 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 505 f.; Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 192. 93 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 505 f.; Christoph Ohler, in: DVBl 2002, 880 (887 f.).
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dadurch, dass die Bediensteten einer ausländischen Behörde bei der Ausübung keinen unmittelbaren Zwang anwenden können, die Durchgriffswirkung nicht ausgeschlossen, weil die Anordnungen auch ohne die Möglichkeit ihres zwangsweisen Vollzugs den Betroffenen gegenüber unmittelbar Rechtswirkung entfalten.94 Mit Blick auf das Durchgriffskriterium ist vielmehr entscheidend, dass das innerstaatliche Recht dem ausländischen Recht im Falle der Kollision vorgeht.95 Der Vorrang des innerstaatlichen Rechts muss allerdings eine erkennbare Verfestigung erfahren.96 Diese kann sich bspw. in einer völkerrechtlichen Vereinbarung widerspiegeln, mit der die Bindung der ausländischen Behörden an die innerstaatlichen Vorschriften angeordnet wird.97 Denkbar ist auch die funktionale Eingliederung der ausländischen Behörde in die deutsche Verwaltungsorganisation oder die Zwischenschaltung inländischer Behörden.98 Können Prüfungshandlungen nicht ohne Genehmigung des begünstigenden Staates vorgenommen werden, liegt bereits eine dafür ausreichende Zwischenschaltung vor.99 Durch die (vorherige) Genehmigung, die mit Bestimmungen und Beschränkungen versehen oder versagt werden kann, wird die Ausübung von Hoheitsrechten insoweit in den deutschen Verwaltungsvollzug eingebunden, dass sich die deutschen Behörden die fremde Hoheitsrechtsausübung zurechnen lassen müssen.100 Die Zurechnung scheidet auch nicht aus, weil die ausländischen Bediensteten mit Hoheitsbefugnissen bis hin zu Zwangsbefugnissen ausgestattet werden,101 allerdings wird mit zunehmender Hoheitsmacht eine stärkere Integration in den deutschen Hoheitsvollzug zu fordern sein.102 Werden ausländischen Bediensteten bei gemeinsamen Betriebsprüfungen also eigene Prüfungsrechte eingeräumt, die nur im Einklang mit deutschem Recht ausgeübt werden können, erfolgt eine Integration in den deutschen Verwaltungsapparat oder werden inländische Entscheidungsträger zwischengeschaltet, ist das Verhalten der ausländischen Prüfer der Bundesrepublik zuzurechnen, sodass keine Hoheits94 Vgl. Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 179. 95 Sabine Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen schweizerischer Polizisten auf dem deutschen Hoheitsgebiet, S. 31; Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 506, 531; zustimmend wohl auch Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 192. 96 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 506. 97 Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 506; Claus Dieter Classen, in: VVDStRL 67 (2007), 365 (404). 98 Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1242 ff.); Jan Hecker, in: AöR 127 (2002), 291 (301 ff.); Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 506; kritisch Klaus Kempfler, in: JURA 2004, 351 (357). 99 Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1243). 100 Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1243). 101 Vgl. Klaus Kempfler, in: JURA 2004, 351 (357); so wohl auch Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 192. 102 Christof Gramm, in: DVBl 1999, 1237 (1243); Klaus Kempfler, in: JURA 2004, 351 (357).
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rechtsübertragung vorliegt. Die Voraussetzungen der Artt. 24 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 GG müssen dann nicht beachtet werden. gg) Zwischenergebnis Die Einräumung von eigenen Ermittlungsrechten ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie in concreto auf der Umsetzung von zwingendem Unionsrecht basiert oder unterhalb der Schwelle zur Hoheitsrechtsübertragung stattfindet und daher nicht als Hoheitsrechtsübertragung i.S.d. Artt. 24 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 GG qualifiziert werden kann. Anderenfalls ist die Einräumung von Prüfungsbefugnissen durch das Grundgesetz verboten. c) Materielle Grenzen der Einräumung von Prüfungsbefugnissen Ist die Einräumung von eigenen Prüfungsbefugnissen zugunsten ausländischer Behörden nach dem o.g. Regime grds. zulässig, müssen darüber hinaus auch materielle Vorgaben des Grundgesetzes beachtet werden. Das gilt sowohl hinsichtlich der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen nach den Artt. 23 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1 GG als auch bei einer Einräumung von Prüfungsbefugnissen unterhalb der Schwelle der Hoheitsrechtsübertragung. aa) Grundrechtsschutz Auch wenn ausländische Behörden nicht an die Grundrechte gebunden sind,103 kann das Handeln fremder Hoheitsgewalt auf deutschem Staatsgebiet gleichwohl Grundrechtsrelevanz entfalten.104 Das ist der Fall, wenn das Handeln des fremden Staats sich als ein von der deutschen Staatsgewalt ausgehender Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts darstellt, weil das fremdstaatliche Handeln der Bundesrepublik zugerechnet werden kann.105 Damit rücken die Kriterien für die Zurechenbarkeit fremdstaatlichen Handelns auf deutschem Hoheitsgebiet ins Zentrum.106 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes soll ein fremdstaatliches Verhalten dann als Folge des eigenen Vorverhaltens der Bundesrepublik zugerechnet werden können, wenn sie „die Herrschaft über den Eintritt dieser Folge“ habe oder „durch Steuerung der als maßgebend erscheinenden Umstände Einfluss“
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Vgl. zuvor S. 236. Vgl. Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (135). 105 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 159; Hans-Joachim Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, S. 177 ff.; 255 ff. 106 Auführlich dazu Hans-Joachim Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, S. 177 ff. 104
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nehmen könne.107 Gibt Deutschland die Herrschaft über den Geschehensablauf aus der Hand, scheidet eine Zurechnung nach diesen Kriterien aus. Derartig enge Voraussetzungen für die Zurechenbarkeit fremden staatlichen Handelns stehen jedoch der Abwehrfunktion der Grundrechte entgegen.108 Allein das Auftreten oder genauer Dazwischentreten eines fremden Staates könnte auf eine Verkürzung des grundrechtlichen Schutzniveaus hinauslaufen. Durch ein möglichst weites Zurücknehmen der eigenen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten könnte die Bundesrepublik den Grundrechtsschutz letztlich weitgehend leerlaufen lassen. Geeigneter erscheint es daher bereits auf den deutschen Zustimmungsakt als Anknüpfungspunkt abzustellen.109 Mit der Zustimmung selbst wird zwar nicht unmittelbar in Grundrechte der Betroffenen eingegriffen – aber ähnlich einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage wird der Grundrechtsberechtigte zumindest implizit dazu verpflichtet, die Ausübung fremder Hoheitsgewalt zu dulden.110 Um einen möglichst weitreichenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten, ist daher der administrative Zustimmungsakt an grundrechtlichen Vorgaben zu messen.111 In der Konsequenz ist der Bundesrepublik die Einräumung von Hoheitsrechten verboten, wenn diese objektiv vorhersehbar einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff nach sich zieht.112 Um einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff zu verhindern, kann die deutsche Staatsgewalt der fremden Hoheitsgewalt bei der Einräumung von Hoheitsrechten einen grundrechtskonformen Handlungsrahmen stecken. Sie muss allerdings auch Sorge dafür tragen, dass die ausländische Gewalt den ihr gesteckten Rahmen nicht überschreitet.113 Fehlen der Bundesrepublik aus ex ante Perspektive die Mittel, eine zu erwartende Grundrechtsverletzung durch die ausländische Gewalt zu verhindern, ist ihr die Einräumung von Hoheitsrechten verboten.114 Bei der Einräumung von Prüfungsbefugnissen für gemeinsame Betriebsprüfungen müssen die Befugnisse im Einzelfall genau umrissen werden, sodass eine Grundrechtsverletzung durch die fremde Staatsgewalt de lege ausgeschlossen ist. Ist dies der Fall und 107 BVerfG v. 16. Dezember 1983, 2 BvR 1160/83, 2 BvR 1565/83, 2 BvR 1714/83, BVerfGE 66, 39 (62); Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 165; Hans-Joachim Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, S. 255 ff.; teilweise wird auch auf das Kritierium der Finalität abgestellt, vgl. insb. Michael Sachs, in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 78 III 3. Darauf kann m. E. aber aus den gleichen Gründen, aus denen ein Finalitätserfordernis bei Grundrechtseingriffen abzulehnen ist, nicht überzeugend zurückgegriffen werden, so auch Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 166. 108 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 166. 109 So auch Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 166; Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (135). 110 Vgl. Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (136). 111 Vgl. Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 169; Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (136). 112 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 170. 113 Vgl. Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (136). 114 Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 170.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
werden durch die Einräumung der Befugnisse dennoch grundrechtswidrige fremde Ermittlungen im eigenen Staatsgebiet verursacht, ist die Grundrechtsverletzung der deutschen Hoheitsgewalt nur ausnahmsweise zuzurechnen, bspw. weil vor der Einräumung bereits zu erwarten war, dass die ermächtigte ausländische Behörde die eingeräumten Befugnisse überschreiten wird. Anderes gilt jedoch, wenn die Einräumung von Hoheitsbefugnissen nicht im Ermessen der deutschen Behörden steht, entweder, weil die Einräumung nicht durch einen administrativen Zustimmungsakt, sondern allein abstrakt-generell im Wege einer Hoheitsrechtsübertragung nach Artt. 23 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1 GG erfolgt oder weil die Behörden durch ein Transformationsgesetz in ihrer Entscheidung gebunden sind.115 In diesen Fällen kann von der grundrechtlichen Zulässigkeit der Einräumung von Hoheitsrechten ausgegangen werden, wenn das Grundrechtsniveau des begünstigten Hoheitsrechtsträgers, „nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen“116 gleich kommt.117 bb) Erforderlichkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage Soweit staatliches Handeln mit einem Eingriff in Grundrechte verbunden ist, bedarf es gem. Art. 20 Abs. 3 GG einer gesetzlichen Grundlage.118 Bereits bei der passiven Anwesenheit ausländischer Prüfer lassen sich die Ermittlungsmaßnahmen der deutschen Finanzbeamten – anders als bei Simultanprüfungen – nicht von der Informationsübermittlung an den anderen Staat trennen. Die Anwesenheit von ausländischen Bediensteten führt dazu, dass die im Rahmen einer Außenprüfung offengelegten Daten nicht nur den deutschen Behörden, sondern im selben Vorgang automatisch auch den ausländischen Behörden bekannt werden.119 Diese unmittelbare Kenntniserlangung ausländischer Behörden stellt einen der deutschen Hoheitsgewalt zurechenbaren Eingriff zumindest in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung – ggf. auch in die Eigentums- oder Berufsfreiheit – dar.120 Für die Einräumung von Anwesenheitsrechten und erst Recht eigener Prüfungsbefugnisse ist daher entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG121 eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich,122 die insb. dem Gebot der Normenklarheit 115 Das ist bspw. bei § 44a KWG der Fall, wonach die deutsche staatliche Aufsichtsbehörde die Ausübung von Hoheitsrechten auf Eruschen zu gestatten hat. 116 BVerfG v. 22. Oktober 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (378). 117 Vgl. Pascal Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG, S. 93. 118 Dazu bereits S. 58; vgl. auch Heike Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 5. 119 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 177 ders., in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (567 f.); dazu auch bereits auf S. 179 ff. 120 Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 177. 121 BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (280) m.w.N. 122 Vgl. Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); Stefan Duhnkrack, Grenzüberschreitender Steuerdatenschutz, S. 270 f.; Helmut Krabbe, in: RIW 1986, 126 (129); zur Geltung des Gesetzesvorbehalts auch bei mittelbaren Grundrechtseingriffen bei grenzüberschreitenden
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und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,123 aber auch den übrigen SchrankenSchranken des Verfassungsrechts Rechnung trägt.124 Weil die ausländischen Bediensteten nicht eo ipso an die deutsche Verfassung gebunden sind, müssen sie ihre Prüfungshandlungen hingegen nicht auf eine deutsche, gesetzliche Rechtsgrundlage stützen können.125 cc) Erforderlichkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung Zum Teil wird in der Literatur vorgebracht, dass die Einräumung von Prüfungsbefugnissen ohne multi- oder bilaterale völkerrechtliche Vereinbarung per se völkerrechts- und verfassungswidrig sei.126 Richtig ist, dass inländische Rechtsgrundlagen regelmäßig auf den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung abstellen. Aber weder muss die völkerrechtskonforme Gestattung von Ermittlungshandlungen oder der Anwesenheit ausländischer Bediensteter zwingend als Vereinbarung erfolgen, noch muss eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage eine solche Vereinbarung voraussetzen. Völkerrechtliche Vereinbarungen sind damit weder aus völker- noch aus verfassungsrechtlicher Perspektive conditio sine qua non für die Durchführung gemeinsamer Betriebsprüfungen. dd) Grenzen der Delegation durch zwischenstaatliche Einrichtungen, insb. bei der Europäischen Union Erfolgt die Einräumung von Prüfungsbefugnissen als Hoheitsrechtsübertragung im Wege der Delegation von einer zwischenstaatlichen Einrichtung, muss dieser Vorgang von den maßgeblichen völkerrechtlichen Verträgen gedeckt sein. Im Unionsrecht muss die Ausübung von Hoheitsrechten im Wege der mitgliedstaatlichen Delegation dementsprechend vom Zustimmungsgesetz zur Übertragung von Ho-
Sachverhalten kann verwiesen werden auf Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 175 f. 123 Vgl. Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (136); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (545); Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 177; ders., in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (568); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594). 124 Auch bezüglich der Geltung der Schranken-Schranken bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sei verwiesen auf Manfred Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 177 f. 125 Vgl. zur Grundrechtsbindung ausländischer Bediensteter vorab S. 236. Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (569) hingegen fordert aus Sicht der ausländsichen Bediensteten eine Rechtsgrundlage, „auf die der Informationseingriff seitens der ausländischen Prüfer gestützt werden kann.“ 126 Dieter Carl/Joachim Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, S. 146; Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 156.
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heitsrechten auf die Europäische Union erfasst sein – die Unionsverträge müssen also die Kompetenz zum Erlass des umzusetzenden Sekundärrechtsakts enthalten.127 Im Bereich des Besteuerungsverfahrens sehen die Unionsverträge keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung vor.128 Verfahrensrechtliche Harmonisierungen können sich daher nur auf die gleichen Kompetenzen stützen, auf die sich auch materielle Harmonisierungen stützen können.129 Sie sind aber nicht zwingend an eine materielle Regelungskompetenz in dem betroffenen Bereich geknüpft.130 Für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsbefugnissen bei Betriebsprüfungen im Ausland kommt danach als Rechtsgrundlage bei direkten Steuern allein Art. 115 AEUV in Betracht.131 Art. 115 AEUV stellt auf die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarkts ab und sieht eine Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten vor, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken und eine solche Angleichung erforderlich machen. Die Ermittlung grenzüberschreitender steuerlicher Sachverhalte im Ausland gestalten sich ohne Ermittlungsmöglichkeiten im Ausland schwierig. Damit ist die Gefahr internationaler Steuerumgehung durch multinational tätige Unternehmen verbunden.132 Die aus dem Territorialitätsprinzip erwachsenden Ermittlungsschwierigkeiten und daraus resultierenden Unregelmäßigkeiten der Besteuerung sind einem funktionierenden Binnenmarkt offenkundig nicht zuträglich.133 Damit ist eine Beeinträchtigung des Binnenmarkts i.S.d. Art. 115 AEUV gegeben. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts müssen im Rahmen des Art. 115 AEUV zudem die Voraussetzungen der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) und der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 3 EUV) erfüllt sein.134 Aufgrund des Charakters gemeinsamer Betriebsprüfungen als Instrument bi- und multilateraler Zusammenarbeit ist nicht davon auszugehen, dass die Beseitigung der
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Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, S. 196. 128 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 71. 129 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 73; vgl. auch Werner Schroeder, in: AöR 129 (2004), 3 (12). 130 Lothar Jansen, Das Steuerverfahren im Spannungsfeld von Europa- und Verfassungsrecht, S. 73; a.A.: Tina Ehrke-Rabel, Gemeinschaftsrecht und österreichisches Abgabenverfahren, S. 25. 131 Vgl. Erwägungsgründe zu Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG; vgl. auch Christoph Gröpl, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrecht, Kap. J, Rn. 659. 132 Henning Tappe/Rainer Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, S. 207. 133 Vgl. Till Meickmann/Maria Reinert, in: SWI 2015, 459 (464). 134 Stefan Leible/Meinhard Schröder, in: Streinz, Art. 115 AEUV, Rn. 17.
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Beeinträchtigung des Binnenmarkts besser durch ein separates Handeln der Mitgliedstaaten zu erreichen wäre.135 d) Zusammenfassung Verfassungsrechtlich muss sich die Einräumung von Prüfungsrechten für gemeinsame Betriebsprüfungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor allem an Artt. 23 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1 GG messen lassen. Sollen die eigenen Prüfungsrechte der ausländischen Prüfer tatsächlich unabhängig und gleichberechtigt neben denen der deutschen Prüfer stehen, ist darin eine unzulässige Hoheitsrechtsübertragung auf einen anderen Staat zu erkennen, wenn die Einräumung nicht auf der Umsetzung von zwingendem sekundären Unionsrecht basiert. Im Übrigen kommt die Einräumung von eigenen Prüfungsbefugnissen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nur in Betracht, wenn das deutsche Recht dem des ausländischen Staates vorgeht. Auch dann bleiben aber die materiellen Grenzen zu beachten, die das Grundgesetz für die Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen auf deutschem Hoheitsgebiet zieht. Diese beziehen sich vor allem auf die Sicherung eines gewissen Grundrechtsschutzniveaus und das Erfordernis einer Rechtsgrundlage für die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen ausländischer Prüfer. Tatsächlich lassen sich die verfassungsrechtlichen Vorgaben am einfachsten erfüllen, wenn die Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen auf der Umsetzung von zwingendem Unionsrecht beruht. 3. Zulässigkeit und Bedingungen der Ausübung von Ermittlungsbefugnissen im Ausland Zumindest zum Teil anders liegen die Dinge bei Prüfungen im Ausland. Zunächst lässt sich in diesen Fällen auf die Rechtsprechung zu eigenständigen Prüfungshandlungen deutscher Betriebsprüfer im Ausland abstellen. a) Rechtsprechung zu Prüfungen im Ausland Nach der durch den BFH bestätigten Rechtsprechung des FG Rheinland-Pfalz sollen Außenprüfungen auf fremdem Hoheitsgebiet unter der Voraussetzung der Zustimmung des Steuerpflichtigen sowie der völkerrechtlichen Gestattung seitens
135 Vgl. allgemein mit Blick auf Art. 114 AEUV Stefan Leible/Meinhard Schröder, in: Streinz, Art. 114 AEUV, Rn. 67. Im Anwendungsbereich des Art. 115 AEUV hat das Subsidiaritätsprinzip wegen des Einstimmigkeitserfordernisses indes kaum praktische Bedeutung, vgl. Stefan Leible/Meinhard Schröder, in: Streinz, Art. 115 AEUV, Rn. 17.
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der betroffenen ausländischen Staatsgewalt zulässig sein.136 Die Tatsache, dass der ausländische Hoheitsträger Prüfungsmaßnahmen auf seinem Gebiet völkerrechtlich wirksam erlaube, führe jedoch noch nicht dazu, dass die deutschen Finanzbeamten auf fremdem Territorium über eigene Hoheitsbefugnisse verfügten.137 Vielmehr endeten die Möglichkeiten hoheitlichen Handelns weiterhin an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland.138 Daher sei die frei widerrufliche Zustimmung des Steuerpflichtigen zwingende Voraussetzung der Außenprüfung auf fremdem Staatsgebiet. Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. Anerkanntermaßen stellt das Völkerrecht keine allzu hohen Anforderungen an die Übertragung von Hoheitsrechten. Es genügt die Einräumung entsprechender Befugnisse durch völkergewohnheitsrechtliche Ausnahmen, völkerrechtliche Verträge oder Gestattung im Einzelfall.139 Weshalb die völkerrechtlich wirksame Gestattung, auf fremdem Territorium eigene Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen, „freilich“140 nicht dazu führen soll, dass den deutschen Behörden für den Einzelfall Hoheitsbefugnisse zukommen, ergibt sich aus der Rechtsprechung nicht. In Anbetracht des Art. 25 S. 1 GG muss daher vielmehr gelten: Die Zustimmung des Steuerpflichtigen ist für die völkerrechtliche und damit auch verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Hoheitsakten im Ausland weder hinreichende141 noch notwendige Bedingung.142 b) Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage Allerdings binden die Grundrechte die deutsche Hoheitsgewalt auch im Ausland.143 Mit Eingriffen in die Rechte des Betroffenen verbundene hoheitliche Prüfungshandlungen deutscher Bediensteter auf fremden Staatsgebiet, bedürfen also einer gesetzlichen Rechtsgrundlage.144 Weil die Regeln der Abgabenordnung nach der hier vertretenen Auffassung145 in ihrer Geltung territorial nicht auf das deutsche
136 FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127; BFH v. 19. Dezember 1996, V R 130/92, BFHE 182, 403, BStBl. II 1998, 279. 137 FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127. 138 FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127. 139 Dazu bereits auf S. 233 ff. 140 FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127. 141 Vgl. dazu S. 233 ff. 142 Wie sich folgend zeigen wird, ist die Zustimmung allerdings dann notwendige Bedingung, wenn keine Rechtsgrundlage zur Durchführung einer Betriebsprüfung im Ausland besteht. 143 Dazu auf S. 235 f. 144 Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (570); Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (628) will es bei gemeinsamen Betriebsprüfungen anscheinend allein auf die Rechtslage in dem Staat ankommen lassen, in dem die Prüfung stattfindet. 145 Dazu vorab auf S. 95 ff.
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Staatsgebiet begrenzt sind, können deren Regelungen angewandt werden, soweit die jeweiligen sachlichen und persönlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.146 Für alleinige Prüfungen im Ausland kommen als Rechtsgrundlage zunächst die §§ 193 ff. AO in Betracht. Nach § 193 AO sind Außenprüfungen bei Steuerpflichtigen zulässig. Steuerpflichtiger i.d.S. ist eine Person oder ein steuerrechtsfähiges Gebilde, das in Deutschland materiell eine Steuerschuld zu erfüllen hat, also Steuerschuldner i.S.d. § 33 AO i.V.m. § 43 AO ist, eine ihm durch Steuergesetz auferlegte Pflicht, wie etwa die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung, die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen, die Pflicht zur Erfüllung der Vorschriften für die Aufbewahrung von Aufzeichnungen und Unterlagen nach § 147a AO oder Anzeigepflichten (§§ 137 – 139 AO) zu erfüllen hat, für eine Steuer haftet oder eine Steuer zu entrichten, einzubehalten oder abzuführen hat oder zum Kreis der in §§ 34, 35 AO genannten Personen zählt.147 Kein Steuerpflichtiger i.S.d. § 193 AO ist nach § 33 Abs. 2 AO hingegen derjenige, der bestimmte Mitwirkungs- und Duldungspflichten nicht in eigener, sondern in fremder Steuersache zu erfüllen hat.148 In diesen Fällen kann eine autonome Außenprüfung im Ausland ebenso wenig wie im Inland auf die §§ 193 ff. AO gestützt werden. Insoweit kommen als Rechtsgrundlage allenfalls die Regelungen über die Amtshilfe in Betracht.149 Die grds. Anwendbarkeit der §§ 193 ff. AO bedeutet aber nicht, dass der deutsche Gesetzgeber nicht befugt wäre, eigene Bedingungen für die Ausübung von Hoheitsrechten im Ausland zu formulieren. Im Gegenteil kann er durch Rechtsetzung die extraterritorialen Befugnisse beschränken, bedingen, ausdehnen, konkretisieren oder gar ausschließen. Macht der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch, müssen die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen für die Prüfungstätigkeit im Ausland erfüllt sein.150 Können die Finanzbehörden ihre Tätigkeit im Ausland allerdings nicht auf eine deutsche Rechtsgrundlage stützen, ist neben der völkerrechtlichen Gestattung die Zustimmung des Betroffenen verfassungsrechtlich zwingend erforderlich. c) Zusammenfassung Diese Ergebnisse können auf gemeinsame Außenprüfungen übertragen werden. Sollen deutsche Prüfer im Ausland mit eigenen Prüfungsbefugnissen ausgestattet 146 Vgl. Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 150. 147 Ulrich Schallmoser, in: Hepp/Hübschmann/Spitaler, § 193 AO, Rn. 11. 148 Ulrich Schallmoser, in: Hepp/Hübschmann/Spitaler, § 193 AO, Rn. 12. 149 Diesbezüglich sei vor allem auf die Ausführungen auf S. 296 ff. verwiesen. 150 Für alleinige Außenprüfungen im Ausland gibt es eine solche Regelung bisher nicht. Bezüglich gemeinsamer Betriebsprüfungen sei auf die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel verwiesen.
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werden, bedarf es aus verfassungsrechtlicher Perspektive über die völkerrechtlich wirksame Gestattung seitens des fremden Staates hinaus einer Ermächtigungsgrundlage, auf die die deutschen Prüfer ihre Ermittlungstätigkeit im Ausland stützen können. Nur in den Fällen, in denen für die Ermittlungstätigkeit im Ausland eine gesetzliche Grundlage fehlt, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen die Zustimmung des Betroffenen zu fordern. Das ist vor allem der Fall, wenn die zur Prüfung herangezogene Person kein Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 AO ist. 4. Zwischenergebnis Sollen gemeinsame Betriebsprüfungen durchgeführt werden, bedarf es aus zweifacher Perspektive einer Rechtsgrundlage: Einerseits für die Anwesenheit und eigene Prüfungstätigkeit der an die Grundrechte gebundenen deutschen Behörden auf ausländischem Territorium und andererseits für den Einräumungsakt von Anwesenheits- und Prüfungsrechten ausländischer Behörden durch deutsche Behörden. Während die deutsche Staatsgewalt auch bei Ermittlungen im Ausland grundrechtsgebunden ist, werden Ermittlungsmaßnahmen ausländischer Behörden durch die Grundrechte nur mittelbar eingeschränkt.
III. Explizite Regelungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen Es ließe sich annehmen, dass im steuerlichen Verfahrensrecht ausdrücklich auf gemeinsame Betriebsprüfungen bezugnehmende Regelungen bestehen, die Voraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen dezidiert normieren und sich damit als einheitliche Rechtsgrundlage eignen könnten. 1. Deutsches Verfahrensrecht Weder die AO noch die BpO kennen den Begriff der gemeinsamen oder grenzüberschreitenden Betriebsprüfung. Beide enthalten dementsprechend auch keine expliziten Regelungen zu Voraussetzungen, Verfahren oder Rechtsfolgen gemeinsamer Prüfungen. 2. Doppelbesteuerungsabkommen Auch Doppelbesteuerungsabkommen mit Vorschriften nach dem Vorbild des Art. 26 OECD-MA adressieren gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfun-
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gen nicht ausdrücklich und können nicht als allumfassende Rechtsgrundlage für alle Elemente einer gemeinsamen Betriebsprüfung herangezogen werden.151 3. Sonderfall Art. 26 DBA-NL Eine Ausnahme stellt insofern allerdings Art. 26 Abs. 5 S. 3 DBA-NL dar, in dem gemeinsame Außenprüfungen unmittelbar angesprochen werden. Der ungewöhnliche Art. 26 DBA-NL gilt allerdings nur für Außenprüfungen in den grenzüberschreitenden Gewerbegebieten der Vertragsstaaten. Hat ein Unternehmen in einem solchen grenzüberschreitenden Gewerbegebiet eine feste Geschäftseinrichtung ganz oder teilweise in dem Hoheitsgebiet des Staates, dem das Besteuerungsrecht für die Gewinne dieses Unternehmens oder für die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit von für dieses Unternehmen tätigen Arbeitsnehmern nicht zusteht, darf der Staat, dem dieses Besteuerungsrecht zusteht, Außenprüfungen zur Ermittlung steuerlicher Verhältnisse in dieser Geschäftseinrichtung selbstständig durchführen, wobei der andere Staat berechtigt ist, an der Prüfung teilzunehmen (Art. 26 Abs. 1 DBA-NL). Gem. Art. 26 Abs. 2 DBA-NL ist der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Durchführung einer solchen Außenprüfung vorgesehen ist, durch den anderen Vertragsstaat mindestens zwei Wochen vor dem voraussichtlichen Prüfungsbeginn zu unterrichten. Für die Prüfung selbst gelten nach Art. 26 Abs. 3 S. 1 DBA-NL die Rechts- und Verfahrensvorschriften des die Prüfung durchführenden Staates. Rechtsschutz gegen Prüfungsmaßnahmen ist gem. Art. 26 Abs. 3 S. 2 DBA-NL bei der dafür zuständigen Instanz dieses Staates zu ersuchen. Daten Dritter, die dem die Prüfung durchführenden Staat im Rahmen dieser Prüfung bekannt werden, dürfen von diesem nur verwertet werden, nachdem sie an den anderen Staat übermittelt worden sind, der diese Daten nach seinen Rechtsvorschriften bearbeitet und verwertet und sie danach dem die Außenprüfung durchführenden Vertragsstaat zur Verfügung stellt und diesem Vertragsstaat genehmigt, diese Daten zu verwerten (Art. 26 Abs. 4 DBA-NL). Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt dem nicht-prüfenden Staat allerdings keine Möglichkeit zu, die Verwertung der gewonnen Daten zu verhindern. Die alleinige Verwendung der Konjunktion nachdem152 lässt eigentlich auf ein temporales und nicht auf ein konditionales Moment schließen. Erst aus dem Teleos erschließt sich, dass die Verwertung der Daten unter einem Genehmigungsvorbehalt durch den Staat, auf dessen Territorium die Prüfung stattfindet, steht.153 Auch bleibt unklar, welche Daten seitens 151 So im Bezug auf simultane Betriebsprüfungen der Befund von Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854); im Bezug auf gemeinsame Betriebsprüfungen Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594); zustimmend Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 85; letztlich wohl auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (545). 152 Auch die niederländische Fassung nadat lässt ein konditionales Verständnis kaum zu. 153 So im Ergebnis Thorsten Engers/Ton Stevens, in: Wassermeyer, Art. 26 Niederlande, Rn. 14; vgl. auch Norbert Tonner/Ansgar Duling/Jan Hartmann, in: IStR 2007, 497 (505).
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des prüfenden Staates verwendet werden dürfen: Der Wortlaut ist insofern unergiebig, weil im ersten Satzteil zwar eindeutig auf die im ersten Schritt erhobenen Daten, im zweiten Satzteil der Bezugspunkt „diese Daten“ aber uneindeutig ist und auch die bearbeiteten Daten gemeint sein können. Vom Teleos her – Gewährleistung des innerstaatlichen Datenschutzstandards – erscheint vorzugswürdig, eine Verwertung nur der bereits bearbeiteten Daten zuzulassen. Erst der abschließende Art. 26 Abs. 5 DBA-NL adressiert gemeinsame Außenprüfungen. Danach sollen Außenprüfungen auf fremdem Hoheitsgebiet innerhalb eines grenzüberschreitenden Gewerbegebiets durchgeführt werden, wenn der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Durchführung einer unilateralen Außenprüfung beabsichtigt ist, dieser widerspricht, weil der Außenprüfung nach dessen Auffassung die öffentliche Ordnung oder dessen wesentliche Interessen entgegenstehen. Bei einer solchen gemeinsamen Außenprüfung sind dann die Rechts- und Verfahrensvorschriften des Staates maßgeblich, auf dessen Hoheitsgebiet die gemeinsame Prüfung stattfindet (Art. 26 Abs. 5 S. 4 DBA-NL). Eine mit dem Art. 26 Abs. 3 S. 2 DBA-NL vergleichbare Anordnung hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen Prüfungsmaßnahmen findet sich in Art. 26 Abs. 5 DBA-NL jedoch nicht.154 Wie eine gemeinsame Prüfung i.S.d. Art. 26 Abs. 5 S. 4 DBA-NL erfolgen soll, bleibt ebenfalls völlig unklar. Sicher ist, dass es bei diesen Prüfungen gerade nicht um die Aufklärung eines grenzüberschreitenden Steuersachverhalts, sondern im Kern um eine Betriebsprüfung auf fremdem Hoheitsgebiet geht, der allerdings wegen des Entgegenstehens der öffentlichen Ordnung oder wesentlicher Interessen des anderen Staates widersprochen wurde. Sinn und Zweck der gemeinsamen Prüfung ist also nicht die gemeinsame Ermittlung und Bewertung eines für beide Staaten relevanten steuerlichen Sachverhalts, sondern die Aussöhnung des Prüfungsbedürfnisses des einen Staates, dem das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Unternehmens zukommt, mit der öffentlichen Ordnung oder wesentlichen Interessen des anderen Staates durch die von Art. 26 Abs. 3 S. 1 DBA-NL abweichende Anwendung der Rechts- und Verfahrensvorschriften des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet die gemeinsame Prüfung stattfindet. Während also der eine Staat von einem Verifikationsinteresse geleitet wird, will der andere Staat die öffentliche Ordnung oder seine (außersteuerlichen) wesentlichen Interessen schützen. Bereits in den Voraussetzungen für eine gemeinsame Prüfung nach Art. 26 Abs. 5 DBA-NL kommt dieser Interessengegensatz zum Ausdruck. Diese von anderen gemeinsamen Betriebsprüfungen – bei denen beide Staaten (zunächst) ein Verifikationsinteresse verfolgen – abweichende Ausgangslage, spricht dafür, dass bei Art. 26 Abs. 5 DBA-NL nur begrifflich gemeinsame Außenprüfungen vorliegen, im Grunde aber vielmehr eine Überwachungsfunktion der Prüfer des Staates auf dessen Hoheitsgebiet die Prüfung stattfindet, anzunehmen ist. Und das, obwohl dem überwachenden Staat nach dem DBA 154 Vieles spricht daher dafür, dass auch bei einer gemeinsamen Außenprüfung nach Art. 26 Abs. 5 DBA-NL Rechstschutz nur bei der dafür zuständigen Instanz des Staates zu ersuchen ist, dem hinischtlich des Unternehmens das Besteuerungsrecht zusteht.
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originär überhaupt kein Prüfungsrecht zukommt.155 Dieses Verständnis wird auch gestützt von der Tatsache, dass Rechtsschutz gegen Prüfungsmaßnahmen (wohl) allein in dem Staat zu ersuchen ist, dem das Besteuerungsrecht zusteht. Es ist nicht einmal erforderlich, dass überhaupt ein steuerlicher Bezug zu dem Staat besteht, auf dessen Hoheitsgebiet geprüft wird. Gemeinsame Prüfungen kommen also auch in Betracht, wenn dieser Staat an den steuerlichen Verhältnissen des Unternehmens gar kein Interesse hat. Deshalb sind eigene steuerliche Interessen auch gerade keine Voraussetzung des Art. 26 Abs. 5 DBA-NL. Diese Form der gemeinsamen Außenprüfung ist daher inhaltlich nicht mit gemeinsamen Betriebsprüfungen gleichzusetzen. Darüber hinaus ist jedenfalls nicht eindeutig zu bejahen, dass Art. 26 DBA-NL in der Gesamtschau mit dem verfassungsrechtlichen Regime der Zulässigkeit der Einräumung von Hoheitsbefugnissen zu vereinbaren ist. Bedenken kommen insb. wegen der weitreichenden Aufgabe des staatlichen Ausschließlichkeitsanspruchs auf. Eine Restauration des staatlichen Ausschließlichkeitsanspruchs wird nur unter den strengen Voraussetzungen des Entgegenstehens der öffentlichen Ordnung oder wesentlicher Interessen (Art. 26 Abs. 5 S. 2 DBA-NL) zugelassen. In Art. 26 DBANL ist daher eine Rücknahme des staatlichen Ausschließlichkeitskeitsanspruchs zu erkennen. Durch die Anwendung des Rechts des ausländischen Staates nach Art. 26 Abs. 3 S. 1 DBA-NL treten die Niederlande in den durch die Rücknahme freigewordenen Raum mit unmittelbarer innerstaatlicher Wirkung ein. M. E. erfüllt Art. 26 DBA-NL daher die Tatbestandsmerkmale einer Hoheitsrechtsübertragung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG, die nach der hier vertretenen Ansicht aber nur auf institutionalisierte zwischenstaatliche Einrichtungen zulässig ist. Für die Fälle, in denen der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht und eine Prüfung auf dem Hoheitsgebiet der Niederlande in Frage steht, können diese Bedenken hingegen nicht greifen. Zwar enthält Art. 26 Abs. 5 DBA-NL – soweit ersichtlich – als einziges deutsches Doppelbesteuerungsabkommen eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Begriff der gemeinsamen Außenprüfung. Damit ist aber gerade keine gemeinsame Betriebsprüfung zur Aufklärung oder Bewertung grenzüberschreitender Sachverhalte gemeint. Gemeinsame Betriebsprüfungen als Form der zwischenstaatlichen Kooperation von Steuerverwaltungen können sich daher nicht auf Art. 26 Abs. 5 DBA-NL stützen. 4. Informationsaustauschabkommen Auch das OECD-Musterabkommen zum Informationsaustausch kennt den Begriff der gemeinsamen Betriebsprüfungen nicht, adressiert aber zumindest Steuerprüfungen im Ausland. Gem. Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust kann ein Staat 155
Vgl. Norbert Tonner/Ansgar Duling/Jan Hartmann, in: IStR 2007, 497 (505).
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Vertretern der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaats die Einreise in ihr Gebiet zur Befragung natürlicher Personen und Prüfung von Unterlagen mit schriftlicher Einwilligung der betroffenen Personen gestatten. Über Zeitpunkt und Ort des geplanten Treffens mit den betroffenen natürlichen Personen ist die zuständige Behörde des die Gestattung erteilenden Staats zu unterrichten. Angesprochen sind also autonome Prüfungen im fremden Staatsgebiet. Für gemeinsame Betriebsprüfungen ist durch Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust nicht viel gewonnen. Auf Grundlage von Art. 6 Abs. 2 OECD-MA-InfoAust können zwar Anwesenheitsrechte bei Steuerprüfungen im Ausland eingeräumt werden, gemeinsame Betriebsprüfungen sind damit aber nicht umfassend geregelt, insb. stellt Art. 6 Abs. 3 S. 2 OECD-MA-InfoAust klar, dass alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Durchführung der Steuerprüfung von der die Prüfung durchführenden ersuchten Vertragspartei getroffen werden. 5. Amtshilfeübereinkommen Ähnlich verhält es sich bei dem multilateralen Amtshilfeübereinkommen. Die in Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 AHiÜ enthaltenen Regelungen entsprechen dem Regelungsgehalt von Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 OECD-MA-InfoAust. Sie beeinhalten keine ausdrücklichen Bestimmungen zu gemeinsamen Betriebsprüfungen. 6. EU-Amtshilferichtlinie Kaum anders liegen die Dinge bei der EU-Amtshilferichtlinie. Auch hier wird die Teilnahme ausländischer Bediensteter an behördlichen Ermittlungen als sonstige Form der Verwaltungszusammenarbeit in Art. 11 EU-AHiRL angesprochen. Eine umfassende Vorschrift zu gemeinsamen Betriebsprüfungen findet sich aber nicht. 7. Richtlinienentwurf für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage Auch der ursprüngliche Richtlinienentwurf für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage hätte de lege ferenda als Rechtsgrundlage für die Durchführung gemeinsamer grenzüberschreitender Betriebsprüfungen in Betracht kommen können.156 Dieser sieht in Art. 122 Abs. 1 Unterabs. 1 GKKB-E a.F. vor, dass die Hauptsteuerbehörde die Prüfung von Gruppenmitgliedern veranlassen und koordinieren kann. Die Hauptsteuerbehörde und die anderen betroffenen zuständigen Behörden bestimmen gemeinsam den Umfang und Inhalt der Steuerprüfung sowie die zu prüfenden Gruppenmitglieder.
156
So anscheinend Alessandro Roncarati, in: Günther/Tüchler, S. 503 (514).
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Allerdings enthält der Richtlinienentwurf keine Regelung dergestalt, dass die Prüfungen in den verschiedenen Jurisdiktionen zusammenlegt werden oder Prüfer ausländischer Behörden an inländischen Prüfungen teilnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass neben einer inhaltlichen und zeitlichen Abstimmung bzw. der Koordination durch die Hauptsteuerbehörde keine weiteren Elemente gemeinsamer grenzüberschreitender Betriebsprüfungen verwirklicht werden sollen. Insb. stellt Art. 122 Abs. 2 GKKB-E a.F. klar, dass Steuerprüfungen im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorgenommen werden, in dem die Prüfung stattfindet. Richtigerweise wurde in der Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ daher auch der Begriff der gemeinsam festgelegten Prüfung und nicht der gemeinsamen grenzüberschreitenden Prüfung verwendet.157 Die vorgesehene Form der Steuerprüfung ist funktional mit der international koordinierten Simultanprüfungen vergleichbar.158 Regelungen, die gemeinsame Betriebsprüfungen in dem hier vertretenen Wortsinn ansprechen, sind weder dem alten noch dem neuen Richtlinienvorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zu entnehmen.
8. Heranziehung verschiedener Rechtsgrundlagen In Ermangelung unmittelbar auf gemeinsame Betriebsprüfungen bezugnehmender Rechtsgrundlagen ist daher zu untersuchen, ob die Heranziehung bzw. Kombination verschiedener Rechtsgrundlagen für gemeinsame Betriebsprüfungen Erfolg verspricht. Entsprechend des differenzierten Integrationsgrads gemeinsamer Betriebsprüfung können dabei wesentliche Teilelemente unterschieden werden: Die körperliche Anwesenheit und eigene Ermittlungen von Bediensteten der Finanzbehörden auf dem Territorium des anderen Staates, der fortlaufende Informationsaustausch zwischen den beteiligten Prüfern, die einheitliche Sachverhaltsfeststellung sowie eine darauf aufbauende einheitliche rechtliche Beurteilung bzw. Wertfindung. Ob die einzelnen Elemente gemeinsamer Betriebsprüfungen durch die Heranziehung verschiedener Rechtsgrundlagen gedeckt werden können, soll daher im Folgenden erörtert werden. Wegen der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen ist hinsichtlich der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen für die Einräumung von Anwesenheitsrechten und eigenen Ermittlungsbefugnissen der Bediensteten ausländischer Behörden wiederum zu differenzieren zwischen Fällen, bei denen die konkrete Prüfung in Deutschland und solchen bei denen sie im Ausland erfolgt. 157
Zusammenfassender Bericht über die Sitzung der Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (AG GKKB) vom 10. und 11. Dezember 2007 in Bru¨ ssel, CCCTB/WP/64/de, Rn. 34. 158 Dazu bereits auf S. 179 ff.
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IV. Einräumung von Anwesenheitsrechten und Ermittlungsbefugnissen 1. Ausländische Prüfer in Deutschland Nach den bereits skizzierten Maßstäben ist für die Einräumung von Anwesenheitsrechten zugunsten ausländischer Prüfer in Deutschland wegen des Vorbehalts des Gesetzes eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu fordern. Verfassungsrechtlich unerheblich ist hingegen, dass ausländische Prüfer nicht Adressat der Abgabenordnung sind und sie sich deswegen bezüglich der Anwesenheit und Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland nicht (unmittelbar) auf deren Regelungen berufen können. Die in der Literatur anzutreffende Ansicht,159 dass es aus diesem Grund einer spezifischen Rechtsgrundlage bedürfe, vermag nicht zu überzeugen.160 Erstens ist fraglich, ob ausländische Bedienstete bei ihren Ermittlungen in Deutschland überhaupt eine deutsche Rechtsgrundlage heranziehen müssen, weil sie auch gerade keine Adressaten des Grundgesetzes sind.161 Zweitens ließe sich überlegen, dass durch die Einräumung der entsprechenden Befugnisse auch der Adressatenkreis der Abgabenordnung erweitert wird, sodass sich die ausländischen Bediensteten jedenfalls mittelbar auf deren Vorschriften berufen könnten. Drittens adressieren – wie sich zeigen wird – auch die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen außerhalb der Abgabenordnung nicht die ausländischen Finanzbehörden unmittelbar, sondern allein deutschen Behörden. Einer speziellen Rechtsgrundlage bedarf es also insb. weil die Einräumung von Anwesenheitsrechten und Prüfungsbefugnissen seitens des deutschen Gesetzgebers dem Gesetzesvorbehalt unterliegt und nicht allein deswegen, weil die ausländischen Prüfer sich nicht auf die Abgabenordnung berufen können. a) Doppelbesteuerungsabkommen Doppelbesteuerungsabkommen die dem Vorbild des Art. 26 OECD-MA folgen, enthalten nach ihrem Wortlaut keine Regelung zu Anwesenheits- oder Prüfungsrechten ausländischer Bediensteter. Art. 26 OECD-MA soll seinem Teleos nach den 159
Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (569). Das scheint auch das BMF so zu sehen, wenn es im Schreiben v. 9. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.5 feststellt: „Verfügt der ausländische Bedienstete nach den im entsendenen ausländischen EU-Mitgliedstaat oder Drittstaat geltenden gesetzlichen Regelungen über weitergehende Befugnisse, ergibt sich daraus keine Rechtsgrundlage für die Ermittlungen im Inland.“ Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten, dass die ausländischen Bediensteten sich bei ihren Ermittlungen auch in Deutschland auf die ausländische Rechtsgrundlage berufen sollen, soweit sich die ausländischen Bediensteten auf Ermittlungsmaßnahmen beschränken, die von der Einräumung durch die deutschen Behörden erfasst sind. Dieser Gedanke findet sich auch in Tz. 2.2.6. 161 Dazu bereits S. 236. 160
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internationalen Informationsaustausch allerdings nicht beschränken, sondern im Gegenteil einen möglichst weitreichenden Informationsaustausch ermöglichen,162 sodass teilweise vorgebracht wird, Art. 26 OECD-MA könne als Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen genügen.163 Maßgeblich scheint diese Auffassung vom Kommentar zum OECD-MA getragen, in dessen Tz. 9.1 zu Art. 26 OECDMA ausdrücklich auch Steuerprüfungen im Ausland164 als Möglichkeiten des Informationsaustausches definiert werden. Diese Auffassung stößt jedoch auf erhebliche (verfassungsrechtliche) Bedenken. Zunächst ist festzuhalten, dass der Kommentar zum OECD-Musterabkommen nicht Bestandteil des jeweiligen Abkommens ist165 und mangels Transformation in innerstaatliches Recht selbst keine hinreichende Rechtsgrundlage bieten kann. Der Musterkommentar dient lediglich als Auslegungshilfe des Abkommens bzw. des jeweiligen Transformationsgesetzes.166 Im Kern steht daher die Frage im Raum, ob sich gemeinsame Betriebsprüfungen mit den sie kennzeichnenden einzelnen Elementen – und dabei insb. die Einräumung eigener Prüfungsrechte – unter den Begriff des Informationsaustausches i.S.d. Art. 26 OECD-MA subsumieren lassen. Nach dem Wortlaut des Art. 26 OECD-MA „[tauschen] die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten […] Informationen aus“. Dieser Austausch von Informationen erfolgt grds. durch eine auf Gegenseitigkeit beruhende Auskunftserteilung. Ihrem Wesen nach setzen Auskünfte jedoch Erkenntnisse aus fremden Ermittlungen voraus, sodass Erkenntnisse aus eigenen Ermittlungsmaßnahmen keine Auskünfte i.S.d. Art. 26 OECD-MA sein können.167 Umgekehrt formuliert können eigene Ermittlungshandlungen im Rahmen einer (gemeinsamen) Betriebsprüfung keine Auskunft i.S.d. Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA sein. Auch die Musterkommentierung des OECD-MA scheint diesen Gedanken in Tz. 9.1. jedenfalls in Ansätzen nachzuzeichnen. Dass Bedienstete des ersuchenden Staates bei Steuerprüfungen im Ausland natürliche Personen befragen, Bücher und Aufzeichnungen einer Person prüfen oder bei solchen Befragungen oder Prüfungen, die durch die inländischen Steuerbehörden durchgeführt werden, zugegen sind, kommt demnach nur in Betracht, wenn das innerstaatliche Recht des Staates, in dem die Prüfungs162 Kommentar zum OECD-MA 2005, Art. 26, Tz. 9.1.; Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (66); zustimmend Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (548). 163 So jedenfalls eindeutig Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (87); Steffen Voll/Roland Pfeiffer/Paul Chao, in: Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, S. 383 (415); ähnlich, wenngleich im Detail differenzierter, wohl auch Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602). 164 In der englischsprachigen Originalfassung: „tax examinations abroad“. 165 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.78. 166 Ausführlich zur Bedeutung des OECD-Musterkommentars für die Abkommensauslegung Steffen Lampert, Doppelbesteuerung und Lastenausgleich, S. 78 ff. 167 FG Rheinland-Pfalz v. 17. 9. 1992, 4 K 1921/90; Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594); kritisch hinsichtlich dieser an der Wortbedeutung orientierten Auslegung Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (544).
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handlungen stattfinden, dies zulässt.168 Gemeinsame Betriebsprüfungen als Fall des Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA zu definieren, kann demnach selbst dann nicht gelingen, wenn der Auslegung nach dem Musterkommentar Vorrang gegenüber der Interpretation des Wortlauts eingeräumt würde. Dem lässt sich auch nicht pauschal entgegenhalten, dass eine solche Auslegung „zu eng“ sei, weil die Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem Auskunftsersuchen stehen.169 Will man den Wortlaut des Art. 26 OECD-MA so weit verstehen, dass sich darunter auch die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen ausländischer Bediensteter in Deutschland fassen ließe, kommen allerdings Zweifel auf, ob das maßgebliche Zustimmungsgesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standzuhalten vermag. Weil mit der Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten zumindest ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen verbunden ist, muss das Zustimmungsgesetz sich am Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen.170 Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung grds. bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden.171 Zwar ließe sich noch vertreten, dass Anlass und Zweck der Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsbefugnissen in Art. 26 OECD-MA zu erkennen sind; jedenfalls die Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten und Anwesenheitsrechte ausländischer Bediensteter bleiben aber völlig unklar. Zustimmungsgesetze die am Wortlaut des Art. 26 OECD-MA orientierte Doppelbesteuerungsabkommen umsetzen, können den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen bei einer solchen Auslegung nicht genügen.172
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In der englischsprachigen Originalfassung: „To the extent allowed by its domestic law, a Contracting State may permit authorised representatives of the other Contracting State to enter the first Contracting State to interview individuals or examine a person’s books and records – or to be present at such interviews or examinations carried out by the tax authorities of the first Contracting State – in accordance with procedures mutually agreed upon by the competent authorities.“ 169 So jedenfalls im Bezug auf die Durchführung bestimmter eigenständiger Ermittlungshandlungen auf fremden Hoheitsgebiet Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (544 f.). 170 Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (568). 171 BVerfG v. 13. Juni 2007, 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 (183), BStBl. II 2007, 896; vgl. auch BVerfG v. 14. Juli 1999, 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95, BVerfGE 100, 313 (359 f., 372); BVerfG v. 3. März 2004, 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33 (53); BVerfG v. 27. Juli 2005, 1 BvR 668/04, BVerfGE 113, 348 (375). 172 So im Ergebnis übereinstimmend Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (66); ders., in: IStR 2016, 627 (629); Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854 f.); Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (568); ders., Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 176 ff.; Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594); Roman Seer, in: Gosch/ Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 85; a.A. wohl Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); ders., in: Festschrift für Frotscher, S. 5 (28); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (544 ff.).
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Art. 26 OECD-MA nachgebildete Doppelbesteuerungsabkommen scheiden damit als Rechtsgrundlage für die mit gemeinsamen Betriebsprüfungen verbundene Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsbefugnissen ausländischer Bediensteter aus. b) Informationsaustauschabkommen Anders liegen die Dinge bei den von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen, die sich am OECD-MA-InfoAust orientieren.173 Das OECD-MA-InfoAust regelt in dessen Art. 6 unter der Überschrift „Steuerprüfungen im Ausland“ besondere Verfahren zum Informationsaustausch, die beim OECD-MA lediglich im Kommentar explizit angesprochen sind.174 aa) Passive Anwesenheit Art. 6 Abs. 2 OECD-MA-InfoAust legt fest, dass die Vertragsparteien auf Ersuchen die Anwesenheit ausländischer Bediensteter während einer in ihrem Hoheitsgebiet stattfindenden Steuerprüfung gestatten können. Voraussetzung dafür ist ein entsprechendes Ersuchen der nach dem OECD-MA-InfoAust zuständigen ausländischen Behörde. Dieses Ersuchen muss insb. den Anforderungen des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA-InfoAust genügen,175 sodass die Anwesenheit bei Prüfungen hier trotz der Entbehrlichkeit eines Übermittlungsaktes als besondere Form der Informationshilfe klassifiziert werden kann.176 Wenngleich der ersuchte Staat gem. Art. 5 OECD-MA völkerrechtlich zur Auskunftserteilung verpflichtet ist,177 begründet ein Ersuchen um die Möglichkeit zur Anwesenheit nach Art. 6 Abs. 2 OECD-MAInfoAust mitnichten einen völkerrechtlichen Anspruch auf die Einräumung von Anwesenheitsrechten. Die Anwesenheit ausländischer Prüfer kommt nicht in Betracht, wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates bereits über die ersuchte Information verfügt und damit eine auf die Informationsbeschaffung zielende Steuerprüfung von vornherein ausscheidet. Im Übrigen verbleibt die Gestattung im
173 Folgende Abkommen, die sich am Inhalt des OECD-TIEA orientieren, hat die Bundesrepublik derzeit geschlossen: Andorra, Anguilla, Antigua und Barbuda, Bahamas, Bermuda, Britische Jungferninseln, Cookinseln, Dänemark, Finnland, Gibraltar, Grenada, Guernsey, Insel Man, Jersey, Kaimanninseln, Liechtenstein, Monaco, Montserrat, San Marino, St. Lucia, St. Vincent und Grenadinen sowie Turks und Caicos Inseln. 174 Georg Kofler/Michael Tumpel, in: Internationale Amtshilfe in Steuersachen, S. 181 (193). 175 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (547); Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 21. 176 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 21; vgl. auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (551). 177 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA-InfoAust, Rn. 1; vgl. auch S. 161 f.
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Ermessen der zuständigen ersuchten Behörde.178 Die Anwesenheit ausländischer Bediensteter ist nach Art. 6 Abs. 2 OECD-MA-InfoAust auf den wesentlichen – also den die Beantwortung des Informationsersuchens betreffenden – Teil der Prüfung zu beschränken. Für die Einräumung von Anwesenheitsrechten bedarf es allerdings nicht der Zustimmung des Steuerpflichtigen.179 Art. 6 Abs. 3 OECD-MA-InfoAust bestimmt das für die Anwesenheit ausländischer Bediensteter maßgebliche Verfahren. Danach sind alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Durchführung der Steuerprüfung von der die Prüfung durchführenden Vertragspartei – also dem Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Prüfung stattfindet – zu treffen. Eine aktive Rolle kommt allein den Bediensteten des ersuchten Staates zu.180 Nur diese dürfen Unterlagen einsehen und Personen befragen. Die anwesenden Bediensteten der ausländischen Behörden bleiben darauf verwiesen, die inländische Prüftätigkeit zu beobachten – den inländischen Prüfern bildlich gesprochen über die Schulter zu schauen.181 Damit ist die Möglichkeit zur Wahrnehmung und Würdigung der Beweismittel nur auf Vermittlung des Staates möglich, auf dessen Hoheitsgebiet die Prüfung durchgeführt wird.182 Nur die zuständige Behörde des ersuchten Staats ist befugt, Maßnahmen zu ergreifen, die auf das Setzen von Rechtsfolgen gerichtet sind.183 Die Anwesenheitsrechte gehen damit zwar über ein reines Zugegensein hinaus, wobei den Bediensteten der zuständigen Behörde des ersuchten Staates kraft ihrer ausschließlichen Hoheitsgewalt die Befugnis zukommt, den Umfang der Anwesenheitsberechtigung zu bestimmen und auf die körperliche Präsenz zu beschränken. Die Ausübung eigener Ermittlungshandlungen ist vom Begriff des „Anwesendseins“ in keinem Fall erfasst. Die Einräumung von Ermittlungsbefugnissen zugunsten ausländischer Bediensteter kann demnach nicht auf Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 OECD-MA-InfoAust gestützt werden.184 bb) Eigene Ermittlungshandlungen Allerdings sind eigenständige Ermittlungshandlungen ausländischer Prüfer in Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust vorgesehen. Danach kann eine Vertragspartei gestatten, dass ausländische Bedienstete zur Befragung von natürlichen Personen 178
Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 22; Marta Pankiv, in: Exchange of Information for Tax Purposes, S. 153 (164). 179 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 21, Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (548); vgl. auch Marta Pankiv, in: Exchange of Information for Tax Purposes, S. 153 (164). 180 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 18. 181 Michael Hendricks, in: Festschrift für Wassermeyer, S. 656 (569); ders., Informationshilfe in Steuerverfahren, S. 175; vgl. auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (557). 182 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 25. 183 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 25. 184 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 25; vgl. Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (557).
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und zur Prüfung von Unterlagen mit schriftlicher Einwilligung der betroffenen Personen einreisen. Auch die Gestattung ausländischer Ermittlungshandlungen nach Art. 6 Abs. 1 OCED-MA-InfoAust ist eine Sonderform der Ersuchenshilfe, sodass diese von einem entsprechenden Ersuchen abhängig ist, wenngleich der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust dies im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 2 OECD-MAInfoAust nicht ausdrücklich bestimmt.185 Anders als bei der rein passiven Anwesenheit nach Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 OECDMA-InfoAust bedarf es für eigene Ermittlungsmaßnahmen gem. Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust der schriftlichen – wenn auch frei widerruflichen186 – Einwilligung der betroffenen Personen. Weitere Bedingungen formuliert Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust indes nicht. Den Behörden des Staates, in dem die Prüfungshandlungen stattfinden sollen, bleibt es jedoch unbenommen, in der völkerrechtlichen wirksamen Gestattung im Einzelfall weitere Bedingungen zu formulieren. Die Bundesrepublik erteilt eine Gestattung bspw. nur unter der Bedingung, dass inländische Bedienstete während der gesamten Dauer der Befragung und der Einsichtnahme der Unterlagen anwesend sind.187 cc) Gleichzeitige Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten Es ist zu prüfen, ob eine Kombination des Art. 6 Abs. 1 mit Abs. 2 OECD-MAInfoAust in Betracht kommt, sodass den Bediensteten der ersuchenden Behörde bei Ermittlungen der ersuchten Behörde auch eine aktive Rolle zukommen könnte.188 Es ließe sich überlegen, dass die Einschränkung des Art. 6 Abs. 3 S. 2 OECD-MAInfoAust einer gleichzeitigen Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten entgegensteht. Allerdings bezieht sich Art. 6 Abs. 3 OECD-MA-InfoAust ausdrücklich nur auf Abs. 2, sodass die Einräumung eigenständiger Befugnisse nach Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust im Zusammenhang mit einer Prüfung durch die inländischen Behörden, bei der die Anwesenheit ausländischer Bediensteter gestattet wurde, vom Abkommenstext nicht ausgeschlossen wird. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2
185 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 8; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (541); vgl. auch OECD-MK-InfoAust, Rn. 66, 69. 186 Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 25 mit Verweis auf FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127 (128). Gegen die unmittelbare Übertragbarkeit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich jedoch anführen, dass sich die Maßnahme im Fall des FG Rheinland-Pfalz nicht auf eine Abkommensnorm stützen konnte und Art. 6 OECD-MA-InfoAust selbst keine Hinweise zur Widerruflichkeit enthält. 187 BMF v. 10. November 2015, IV B 6 – S 1301/11/10002, Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement – TIEA), S. 5 f. 188 Ohne sich festzulegen stellt diese Frage auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (558).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
OECD-MA-InfoAust lassen sich also durchaus miteinander verbinden.189 Letztlich bilden Zustimmungsgesetze zu Art. 6 OECD-MA-InfoAust entsprechenden Informationsaustauschabkommen damit eine taugliche Rechtgrundlage für die kumulative Einräumung von Anwesenheit- und eigenen Prüfungsrechte ausländischer Bediensteter im Inland.190 Praktisch wird Art. 6 OECD-MA-InfoAust aus deutscher Perspektive dennoch nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil entsprechende Informationsaustauschabkommen bis dato überwiegend mit sog. Steueroasen abgeschlossen wurden, für die gemeinsame Betriebsprüfungen nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht kommen.191 c) Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen Neben den Informationsaustauschabkommen, die sich am OECD-MA-InfoAust orientieren, bestehen auch andere Abkommen spezifisch zur Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen: Das sind das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich192 und der Republik Finnland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen vom 25. September 1935 (AHA-FIN 1935)193, das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen vom 9. Juni 1938 (AHA-IT 1938)194, der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 4. Oktober 1954 (AHV-Ö 1954)195 sowie das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Schweden über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen vom 14. Mai 1935 (AHA-SE 1935)196. 189 Auch das BMF scheint dieser Ansicht zu sein, wenn es feststellt, dass die Anwesenheit ausländischer Bediensteter „darüber hinaus“ gestattet werden kann, vgl. BMF v. 10. November 2015, IV B 6 – S 1301/11/10002, Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement – TIEA), S. 6; im Ergebnis ist so wohl auch Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (570) zu verstehen. 190 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (66); ders., in: IStR 2016, 627 (628); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594); vgl. auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (543). 191 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (66); ders., in: IStR 2016, 627 (628); Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594); vgl. auch Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (543); 192 Zur Wiederanwendung völkerrechtlicher Vorkriegsverträge siehe Albert Bleckmann, ZaöRV 33 (1973), 607; Christoph Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, S. 76 f. 193 RGBl. II 1936, 37; Wiederanwendung bekanntgemacht in BGBl. II 1954, 740. 194 RGBl. II 1938, 124; Wiederanwendung bekanntgemacht in BGBl. II 1956, 2154. 195 BGBl. II 1955, 833. 196 RGBl. II 1935, 866; allerdings gem. Art. 46 Abs. 4 lit. c) i.V.m. Artt. 29 ff. 2 Abs. 1 lit. c) DBA-SE 1992, BGBl. II 1994, 686 weitgehend und insb. für die bei gemeinsamen Betriebsprüfungen relevanten Steuerarten außer Kraft getreten, sodass hier auf eine weitere Untersuchung dieses Abkommens verzichtet werden kann.
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aa) Regelungsgehalt der einzelnen Abkommen (1) Abkommen mit Finnland Der Anwendungsbereich des deutsch-finnischen Abkommens erfasst gem. Art. 1 AHA-FIN 1935 öffentliche Abgaben, soweit sie in der Bundesrepublik für den Bund197 und die Länder; in Finnland für den Staat erhoben werden. Zudem werden für Rechnung anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften erhobene Zuschläge oder Beiträge erfasst. Verbrauchsteuern und Zölle sind hingegen ausgeschlossen (die Umsatzsteuer gilt ausweislich des Art. 1 AHA-FIN 1935 nicht als Verbrauchsteuer). Gem. Art. 3 AHA-FIN 1935 verpflichten sich Deutschland und Finnland zur gegenseitigen Amts- und Rechtshilfe bei der Ermittlung und Festsetzung von Steuern und Sicherheiten sowie bei Rechtsmittelverfahren und bei der Beitreibung. Davon sind auch Informationsgesuche erfasst,198 die im AHA-FIN 1935 allerdings keine explizite Erwähnung finden. Mit Art. 8 Abs. 1 S. 1 AHA-FIN 1935 werden die Behörden des ersuchten Staates verpflichtet, dem Amtshilfeersuchen zu entsprechen und dabei dieselben (Zwangs-) Mittel anzuwenden, die bei innerstaatlichen Verfahren Anwendung finden. Wenn die ersuchende Behörde beantragt, nach einer besonderen Form zu verfahren, ist nach dieser zu verfahren, soweit ihr nicht die Gesetze des ersuchten Staates entgegenstehen (Art. 8 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 AHA-FIN 1935). Wenn allerdings der ersuchende Staat nicht in der Lage wäre, ein gleichartiges Zwangsmittel im eigenen Land anzuwenden, ist die Anwendung dieses Zwangsmittels im Gebiet des ersuchten Staates gem. Art. 8 Abs. 2 AHA-FIN 1935 ausgeschlossen. Gem. Art. 8 Abs. 3 S. 2 AHA-FIN 1935 sind die Beteiligten berechtigt, der auf das Ersuchen vorzunehmenden Handlung nach den allgemeinen, in dem Gebiet des ersuchten Staates maßgeblichen Vorschriften beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen. (2) Abkommen mit Italien Das deutsch-italienische Abkommen verweist hinsichtlich des Anwendungsbereichs in Art. 1 AHA-IT 1939 auf „die Steuern, die Gegenstand eines zwischen den Staaten bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens sind“. Durch die Verwendung des unbestimmten Artikels wird dynamisch199 auf das jeweils geltende Doppelbe-
197 Durch Staatensukzession ist die Bundesrepublik Deutschland an die Stelle des Deutsche Reiches getreten, sodass hier auf den Bund und nicht (wie im Abkommenstext) auf das Reich abzustellen ist. 198 Vgl. Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 73. 199 Gegen dynamische Verweisungen aufkommende (verfassungsrechtliche) Bedenken, können nicht durchdringen, weil die Bindungswirkung des Amtshilfeabkommens aufgrund der notwendigen Beteiligung bei einer Änderung des maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommens vorhersehbar ist; vgl. allgemein zu dynamischen Verweisungen BVerfG v. 1. März 1978,
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
steuerungsabkommen verwiesen200 – hier also das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 (DBA-IT)201. Damit unterfallen dem AHA-IT 1939 alle Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, die für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland oder der Republik Italien, eines der Länder dieser beiden Staaten oder einer ihrer Gebietskörperschaften erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 DBA-IT). Gem. Art. 2 AHA-IT 1939 verpflichten sich Deutschland und Italien auf Grundlage der Gegenseitigkeit zur Amts- und Rechtshilfe bei der Ermittlung und Festsetzung von Steuern und Sicherheiten sowie bei Rechtsmittelverfahren und bei der Beitreibung. Als Maßnahmen der Amtshilfe bei der Ermittlung von Steuern sind die Abkommensstaaten also auch zur Auskunftserteilung auf Ersuchen verpflichtet.202 Art. 7 AHA-IT 1939 entspricht inhaltlich Art. 8 AHA-FIN 1935. Gem. Art. 7 Abs. 3 S. 2 AHA-IT 1939 sind die Beteiligten berechtigt, der auf das Ersuchen vorzunehmenden Handlung nach den allgemeinen, in dem Gebiet des ersuchten Staates maßgeblichen Vorschriften beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen. (3) Vertrag mit Österreich Der einzige vom OECD-Musterabkommen zum Informationsaustausch abweichende noch wirksame Vertrag im Bereich des Informationsaustausches, der nicht von einem Rechtsvorgänger der Bundesrepublik geschlossen wurde, besteht mit der Republik Österreich. In den Anwendungsbereich dieses Vertrages fallen gem. Art. 1 AHV-Ö 1954 öffentliche Abgaben, soweit sie in den Vertragsstaaten für den Bund, die Länder, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände erhoben werden, wobei vom Bund verwaltete Verbrauchsteuern und Zölle sowie Monopolabgaben ausgeschlossen sind. Mit dem Vertrag verpflichten sich die beiden Staaten, in allen Abgabesachen, im Ermittlungs-, Feststellungs- und Rechtsmittelverfahren, im Sicherungs- und Vollstreckungsverfahren sowie im Verwaltungsstrafverfahren einander auf Grundlage der Gegenseitigkeit Rechtshilfe zu leisten (Art. 3 AHV-Ö 1954), was auch die Beantwortung von Auskunftsersuchen erfasst.203 1 BvR 786/70, 1 BvR 793/70, 1 BvR 168/71, 1 BvR 95/73, BVerfGE 47, 285 (311 ff.); Thomas Clemens, in: AöR 111 (1986), 63 (100 ff.). 200 Auch hinsichtlich der Verweisung greift der Grundsatz der Staatensukzession, sodass nicht auf das letzte zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen, sondern auf das jeweils geltende Doppelbesteuerungsabkommen Bezug genommen wird. 201 BGBl. II 1990, 742. 202 Vgl. Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 73. 203 Vgl. Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 74.
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Die Verpflichtung, dem Ersuchen zu entsprechen, ist in Art. 5 AHV-Ö 1954 normiert und entspricht inhaltlich den Art. 8 AHA-FIN 1935 und Art. 7 AHA-IT 1939. Eine Besonderheit des Vertrages besteht darin, dass Rechtshilfeersuchen gem. Art. 4 Abs. 1 AHV-Ö 1954 unmittelbar an das örtlich zuständige Finanzamt des ersuchten Staates gerichtet werden können, wobei die Übermittlung und die Entgegennahme grds. durch die Oberfinanzdirektionen (Deutschland) bzw. die Finanzlandesdirektionen (Österreich) erfolgen. Eine unmittelbare Übersendung an das ersuchte Finanzamt ist nach Art. 4 Abs. 2 AHV-Ö 1954 bei Zustellungsersuchen, Mitteilungen über den Vollzug von Rechtshilfeersuchen und über die Rücknahme oder Einschränkung vorgesehen. Auch nach dem deutsch-österreichischen Amtshilfevertrag sind die Beteiligten berechtigt, der auf das Ersuchen vorzunehmenden Handlung nach den allgemeinen, in dem Gebiet des ersuchten Staates maßgeblichen Vorschriften beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen (Art. 5 Abs. 3 S. 2 AHV-Ö 1954). bb) Eignung der abkommensrechtlichen Bestimmungen für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten Die Artt. 8 Abs. 3 S. 2 AHA-FIN 1935, 7 Abs. 3 S. 2 AHA-IT und Art. 5 Abs. 3 S. 2 AHV-Ö 1954 kommen potentiell als Rechtsgrundlage zur Einräumung entsprechender Anwesenheits- oder Ermittlungsbefugnisse bei gemeinsamen Betriebsprüfungen in Betracht. Der AHV-Ö 1954 wurde von den deutschen und österreichischen Finanzverwaltungen – jedenfalls bis zum Inkrafttreten der EUAmtshilferichtlinie – anscheinend auch als rechtliche Grundlage gemeinsamer Prüfungstätigkeit herangezogen.204 Zunächst erscheint fraglich, ob die ersuchende Behörde überhaupt vom Begriff der Beteiligten der eingangs genannten Artikel erfasst ist. Dieser ist in den Abkommen nicht definiert und wird auch nur in dem hier untersuchten Zusammenhang genannt. Einzig das deutsch-österreichische Abkommen nimmt begrifflich Bezug auf die Beteiligten: In Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 AHV-Ö 1954 in Form von „Personen, die nicht als Abgabenpflichtige beteiligt sind“ und in Art. 9 AHV-Ö 1954 mit den „beteiligten Behörden“. Gerade in Anbetracht des jeweiligen Abs. 3 S. 1 der untersuchten Abkommensartikel, die Rechte der ersuchenden Behörde betreffen, ist daher von einem offenen Beteiligtenbegriff auszugehen, der sowohl die Adressaten der maßgeblichen Handlung als auch die Bediensteten der beteiligten Behörden erfasst. Beide sind also berechtigt, der maßgeblichen Handlung beizuwohnen oder sich vertreten zu lassen. Begrifflich erfasst das Beiwohnen ein passives Zugegensein, die Anwesenheit oder das Miterleben, nicht aber eine aktive Teilnahme an der maß204 Vgl. Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (157) im Wortlaut: „Auf Basis der Amtshilfevereinbarung aus 1954 war der unverzügliche Beginn einiger gemeinsamer Prüfungsfälle zwischen der österreichischen und der bayrischen Finanzverwaltung möglich.“
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geblichen Handlung. Systematisch lässt sich allerdings vorbringen, dass bei einem solchen rein grammatikalischen Verständnis wenig Raum bleibt für die in Artt. 8 Abs. 3 S. 2 AHA-FIN 1935, 7 Abs. 3 S. 2 AHA-IT und Art. 5 Abs. 3 S. 2 AHV-Ö 1954 enthaltene Festlegung der maßgeblichen Vorschriften für die Beiwohnung durch Bedienstete der ersuchenden Behörde. Diese Festlegung soll insb. die Rechte der übrigen Beteiligten, d. h. der Adressaten der Handlung, sichern und den Umfang ihrer Rechte zur Beiwohnung bzw. Vertretung festlegen, auch wenn insofern bereits die Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 der jeweiligen Abkommensartikel eine Regelung enthalten. Im Übrigen erscheint es wenig sinnvoll, den hier erörterten Abs. 3 S. 2 der Artikel der Amtshilfeabkommen so auszulegen, dass sich daraus für die Bediensteten der ersuchten Behörde eigene Rechte ergäben, weil diese Rechte dann auch den übrigen Beteiligten einzuräumen wären – eine dichotome Auslegung scheidet aus. Es bleibt insofern also bei einem bloßen Anwesenheitsrecht. Art. 8 Abs. 3 S. 2 AHA-FIN 1935, Art. 7 Abs. 3 S. 2 AHA-IT 1939 und Art. 5 Abs. 3 S. 2 AHV-Ö 1954 bieten höchstens eine geeignete Rechtsgrundlage für die Anwesenheit bei Ermittlungsmaßnahmen inländischer Behörden, nicht aber für die Einräumung von Ermittlungsbefugnissen zugunsten ausländischer Bediensteter. Andere Bestimmungen der Abkommen kommen jedenfalls mangels verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der zu fordernden Bestimmtheit nicht als entsprechende Rechtsgrundlage in Betracht. cc) Zusammenfassung Die überwiegend noch aus der Zeit des Deutschen Reichs stammenden Abkommen sind bezüglich des Informationsaustausches durch die neueren Doppelbesteuerungsabkommen weitgehend überholt.205 Eine Aufhebung der Abkommen erfolgte bisher dennoch nicht.206 Daher stehen die Abkommen grds. auch weiterhin als alternative Rechtsgrundlage des Auskunftsverkehrs zur Verfügung207 und lassen die Anwesenheit von Bediensteten der ersuchenden Behörde bei Ermittlungshand-
205 Lars Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 423. 206 Allerdings wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich im Rahmen der Konsultationsvereinbarung zur Neugestaltung der verwaltungsbehördlichen Zusammenarbeit im Bereich des Informationsaustausches in Steuersachen vereinbart, dass der AHV-Ö 1954 nur noch in dringenden Fällen gem. Art. 4 Abs. 2 AHV-Ö 1954 auf Amtshilfekontakte zwischen den lokalen Finanzämtern Anwendung findet, sofern dieser Verkehr nicht die durch die Amtshilferichtlinie vorgesehenen elektronischen Verfahren betrifft. 207 Lars Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 423; Michael Engelschalk, in: Vogel/Lehner, Art. 26 OECD-MA, Rn. 73, 74; vgl. auch BFH v. 20. Februar 1979, VII R 16/78, BStBl. II 1979, 268; auch das Bundesministerium der Finanzen geht von einer Fortgeltung der genannten Abkommen aus, vgl. BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.3.3.
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lungen zu; als umfassende Rechtgrundlage für die Einräumung von Prüfungsbefugnissen können sie dennoch nicht herangezogen werden. d) Amtshilfeübereinkommen Das Amtshilfeübereinkommen sieht in dessen Art. 9 vor, dass die zuständige Steuerbehörde es im Einzelfall gestatten kann, dass Steuerbeamte eines anderen Staates während des relevanten Teils einer steuerlichen Betriebsprüfung im Inland anwesend sind. Die Regelungen des Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 AHiÜ entsprechen dem Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 OECD-MA-InfoAust fast wortgleich.208 So wie es im Rahmen des Art. 6 OECD-MA-InfoAust eines Ersuchens unter den Voraussetzungen des OECD-MA-InfoAust bedarf, bedarf es bei Art. 9 AHiÜ eines Ersuchens gem. Art. 5 AHiÜ.209 Die Anwesenheit der ausländischen Prüfer muss demnach der Beantwortung des Informationsersuchens dienen. Ist die Information bei der ersuchten Behörde bereits verfügbar, scheidet eine auf die Informationsbeschaffung zielende Steuerprüfung aus. Die Anwesenheit ausländischer Prüfer ist dann bereits denknotwendig ausgeschlossen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch im Zustimmungsgesetz zum Amtshilfeübereinkommen eine taugliche Rechtgrundlage für die Einräumung von passiven Anwesenheitsrechten ausländischer Bediensteter in Deutschland zu erkennen ist.210 Eine dem Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust entsprechende Regelung ist dem Art. 9 AHiÜ indes nicht zu entnehmen. Weil sich die Einräumung von eigenen Ermittlungsbefugnissen aber nicht unter den Begriff der Anwesenheit subsumieren lässt, fehlt es Art. 9 AHiÜ im Gegensatz zu Art. 6 OECD-MA-InfoAust an einer für die Einräumung von eigenen Ermittlungsrechten tauglichen Rechtsgrundlage.211 Eine besondere praktische Bedeutung des Art. 9 AHiÜ wird allerdings nicht erwartet, weil die Anwesenheit ausländischer Steuerprüfer zumeist auch nach anderen Rechtsgrundlagen zulässig ist.212 208 Unterschiede finden sich vor allem darin, dass Art. 9 AHiÜ die „zuständigen Behörden des ersuchten [bzw. ersuchenden] Staates“ adressiert, während Art. 6 OECD-MA-InfoAust die „zuständigen Behörden der anderen [bzw. der erstgenannten] Vertragspartei“ anspricht. Diese sprachliche Abweichung ist allerdings allein dem mulitlateralen Charakter des AHiÜ geschuldet, sodass sich daraus keine inhaltlichen Unterschiede ergeben. Vgl. zu Art. 6 OECDMA-InfoAust bereits vorab auf S. 263 ff. 209 AHiÜ-MK, Rn. 87; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (551); Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854). 210 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (554); Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854). 211 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.2; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (558 f.); a.A. wohl Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 117 AO, Rn. 83, der in Art. 9 AHiÜ pauschal eine Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen erkennt. 212 Siegfried Grotherr, in: IStR 2015, 845 (854).
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e) EU-Amtshilferichtlinie Abschnitt 4 der EU-Amtshilferichtlinie, die die Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachhaltig stärken soll,213 enthält Regelungen zu „sonstigen Formen der Verwaltungszusammenarbeit“, die im Vergleich zur Vorgängerrichtlinie214 wesentliche und beachtliche Neuerungen im europäischen Amtshilfeverkehr darstellen.215 Dieser Richtlinienabschnitt beinhaltet – ebenso wie die nationale Umsetzung durch das EUAHiG – Regelungen zu Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen ausländischer Prüfer bei steuerlichen Außenprüfungen im Inland. aa) Art. 11 EU-Amtshilferichtlinie So erlaubt Art. 11 EU-AHiRL die Anwesenheit von Amtsträgern ausländischer Behörden bei inländischen behördlichen Ermittlungen und enthält eine Regelung, die auch eigene Ermittlungsmaßnahmen ausländischer Bediensteter im Rahmen dieser Anwesenheit vorsieht. (1) Anwesenheit Nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a) EU-AHiRL können die um Informationen ersuchende und die darum ersuchte Behörde vereinbaren, dass Bedienstete der ersuchenden Behörde zum Zwecke des Informationsaustausches in den Amtsräumen, in denen die Verwaltungsbehörden des ersuchten Mitgliedstaats ihre Tätigkeit ausüben, zugegen sein dürfen. Gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. b) EU-AHiRL können Anwesenheitsrechte auch eingeräumt werden bei behördlichen Ermittlungen, die im Hoheitsgebiet des ersuchten Staats durchgeführt werden. (a) Zweck des Informationsaustausches Zweck der Anwesenheit muss gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL der Informationsaustausch i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL sein. In Art. 1 Abs. 1 EUAHiRL legt die Richtlinie (Verfahrens-)Regelungen fest, nach denen die Mitgliedstaaten untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die in Art. 2 EU-AHiRL genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind. Wegen der Verwendung des Begriffspaars „ersuchende Behörde“ und „ersuchte Behörde“ in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL kann Grundlage der Anwesenheit von Bediensteten der ausländischen Behörde schon begrifflich nur ein 213
Vgl. Erwägungsgründe der Richtlinie 2011/16/EU. Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien. 215 Isabel Gabert, in: FR 2013, 986 (990). 214
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Amtshilfeersuchen gem. Art. 5 EU-AHiRL sein.216 Bedingung für die Anwendbarkeit des Art. 11 EU-AHiRL ist also die Anwendbarkeit des Art. 5 EU-AHiRL und ein dementsprechendes konkretes Informationsgesuch.217 Die Anwesenheit in den Amtsräumen von Behörden und Teilnahme an behördlichen Ermittlungen kommen damit nicht auf Grundlage einer spontanen oder automatisierten Auskunftserteilung in Betracht.218 Im Übrigen ist der Austausch von Informationen jedenfalls dann Zweck der Anwesenheit, wenn die ausländischen Bediensteten die inländischen Bediensteten bei der Informationsgewinnung unterstützen können. Wegen der besonderen Kenntnisse der ausländischen Bediensteten über den dem Informationsgesuch zugrundeliegenden Einzelfall wird diese Voraussetzung regelmäßig bereits durch das Informationsersuchen indiziert. Auf eine Gegenseitigkeit des Informationsaustausches kommt es hingegen nicht an, wie sich e contrario aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 des Ursprungsvorschlags für die Amtshilferichtlinie,219 der noch den Zweck des gegenseitigen Informationsaustausches vorsah, ergibt. (b) Gemeinsame Vereinbarung und Regelungen der Anwesenheit Voraussetzung für die Berechtigung zur Anwesenheit ist allerdings eine entsprechende Vereinbarung zwischen ersuchter und ersuchender Behörde. Als ersuchende Behörde kommen nach Art. 3 Nr. 5 EU-AHiRL das zentrale Verbindungsbüro, eine Verbindungsstelle oder jeder zuständige Bedienstete eines Mitgliedstaats, der im Namen der zuständigen Behörde ein Amtshilfeersuchen stellt, in Betracht. Gem. Art. 3 Nr. 6 EU-AHiRL kann die ersuchte Behörde spiegelbildlich ebenfalls das zentrale Verbindungsbüro, eine Verbindungsstelle oder jeder zuständige Bedienstete eines Mitgliedstaats, der im Namen der zuständigen Behörde ein Amtshilfeersuchen entgegennimmt, sein. Durch die nationalen Umsetzungsakte der Richtlinie werden die oben genannten Behörden zu derartigen Vereinbarungen innerstaatlich ermächtigt.220 Abzugrenzen ist der Inhalt der gemeinsamen Vereinbarung von den einseitig durch die ersuchte Behörde festgelegten Regelungen nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL. Die EU-Amtshilferichtlinie gibt weder den Inhalt der Vereinbarung noch den Inhalt der von der ersuchten Behörde zu treffenden Regelungen vor. Die Vereinbarung kann sich daher auf die Festlegung beschränken, dass die Anwesenheit 216 Im Rahmen praktischer Überlegungen zu § 1 b EGAHiG kommt zum selben Ergebnis: Guido Zöllner, in: Pahlke/Koenig, § 117 AO, Rn. 42. Vgl. auch mit Blick auf § 10 EUAHiG ders., in: Koenig, § 117 AO, Rn. 64; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (555). 217 Hinsichtlich der Voraussetzungen des Informationsaustausches auf Ersuchen nach Art. 5 EU-AHiRL bzw. § 4 EUAHiG sei verwiesen auf S. 168 f. 218 Mit Blick auf § 1 b EGAHiG a.A.: Guido Zöllner, in: Pahlke/Koenig, § 117 AO, Rn. 42. 219 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, KOM (2009) 29 endg. 220 Zur Situation in Deutschland sodann S. 288 ff.
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nach Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL überhaupt erlaubt werden soll; ebenso kann die Vereinbarung aber auch weitreichende und detaillierte Regelungen enthalten. Beispielsweise können die genauen Modalitäten des Anwesenheitsrechts festgehalten werden. Dabei können die Amtsräume sowie die behördlichen Ermittlungsmaßnahmen, bei denen die ausländischen Bediensteten zugegen sein dürfen, genau benannt werden. Außerdem kann in der Vereinbarung geregelt werden, wie lange das Anwesenheitsrecht Bestand haben soll. Zugleich kann die Vereinbarung Bestimmungen über die maximale Anzahl der zur Anwesenheit berechtigten Bediensteten der ersuchenden Behörde enthalten – die berechtigten Bediensteten können sogar namentlich benannt werden. Dass die Vereinbarung über die bloße Übereinkunft, die Anwesenheit in den Amtsräumen und die Teilnahme an behördlichen Ermittlungen hinausgehen kann, ergibt sich auch aus der Systematik des Art. 11 EU-AHiRL: Dessen Abs. 2 Unterabs. 1 nimmt Bezug auf Abs. 1 und stellt klar, dass die Vereinbarung über die Einräumung der Rechte nach Abs. 1 hinausgehen kann. Für einseitige Regelungen seitens der ersuchten Behörde bleibt also nur Raum, soweit nicht bereits in der gemeinsamen Vereinbarung entsprechende Inhalte festgeschrieben wurden. Der gemeinsamen Vereinbarung widersprechende Regelungen festzulegen wäre widersprüchlich. Wegen des völkerrechtlichen Verpflichtungscharakters der gemeinsamen Vereinbarung wird der gemeinsamen Vereinbarung in diesen Fällen Vorrang gegenüber der entgegenstehenden einseitigen Regelung durch die ersuchte Behörde einzuräumen sein. Auch ergibt sich aus der Befugnis, Regelungen zu treffen kein Weisungsrecht gegenüber den Bediensteten der ersuchenden Behörde. Zudem dürfen die festgelegten Regelungen nicht den Umfang der in Art. 11 EU-AHiRL skizzierten Rechte der Bediensteten der teilnehmenden Behörde einengen. Während die gemeinsame Vereinbarung weitreichende Bestimmungen enthalten kann, ist der Raum für einseitig festgelegte Regelungen dementsprechend eng und beschränkt sich eher auf Detailfragen, die nicht bereits durch die gemeinsame Vereinbarung festgelegt wurden. (2) Ordnungsgemäß befugte Bedienstete der ersuchenden Behörde Das Anwesenheitsrecht gilt für die ordnungsgemäß befugten Bediensteten der ersuchenden Behörde (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL). Der Begriff des befugten Bediensteten wird in der EU-Amtshilferichtlinie nicht definiert. Weil ersuchende Behörde gem. Art. 3 Nr. 5 EU-AHiRL aber das zentrale Verbindungsbüro, eine Verbindungsstelle oder jeder zuständige Bedienstete eines Mitgliedstaats, der im Namen der zuständigen Behörde ein Amtshilfeersuchen stellt, sein kann, ist der Begriff des befugten Bediensteten nicht mit dem des zuständigen Bediensteten nach Art. 3 Nr. 4 EU-AHiRL gleichgestellt. Als befugte Bedienstete kommen also alle Bediensteten der durch die EU-Amtshilferichtlinie adressierten Behörden in Betracht, wenn die Befugnis durch eine der oben genannten Stellen erteilt worden ist.
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Die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an die Befugnis(-erteilung) richten sich daher nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats. Dem Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL kommt nur klarstellende Bedeutung zu, denn ohne ordnungsgemäße Befugniserteilung kann keine rechtliche Befugnis entstehen. (a) Umfang des Anwesenheitsrechts Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a) EU-AHiRL umfasst das Recht zur Anwesenheit in den Amtsräumen, in denen die Verwaltungsbehörden ihre Tätigkeit ausüben. Aus Praktikabilitätsgründen ist grds. von einem weiten Verständnis des Begriffs der Amtsräume auszugehen. Davon werden daher neben den unmittelbaren Tätigkeitsräumen der auf Seiten des ersuchten Staates tätigen Bediensteten alle weiteren (mittelbar) der Tätigkeit der Bediensteten dienenden Räume wie Archive, Lager, Bibliotheken und ähnliches erfasst sein. Allerdings ist es den ermittelnden Bediensteten des ersuchten Mitgliedstaats selbstverständlich möglich, das Anwesenheitsrecht auf die Räume zu beschränken, zu denen ein Zutritt erforderlich ist, um bei der Tätigkeit der Behörde im vom Informationsgesuch betroffenen individuellen Fall zugegen zu sein. Ebenfalls erfasst ist gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. b) EU-AHiRL das Recht zur Anwesenheit bei behördlichen Ermittlungen, die im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates stattfinden. Gem. Art. 3 Nr. 7 EU-AHiRL sind behördliche Ermittlungen alle von den Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Aufgaben vorgenommene Kontrollen, Nachprüfungen und anderen Handlungen mit dem Ziel, die ordnungsgemäße Anwendung der Steuervorschriften sicherzustellen. Insb. erfasst diese Definition in concreto die Außenprüfung als standardisiertes Verfahren zur Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, beschränkt sich aber nicht darauf.221 (aa) Begriff der Anwesenheit Klärungsbedürftig ist jedoch, welchen Umfang das Recht, in den oben genannten Fällen zugegen sein zu dürfen, haben soll. Eine rein physische Anwesenheit ohne jegliche Kenntnisnahme der Vorgänge, die sich zur Zeit des Zugegenseins ereignen, ist praktisch nicht möglich. Ein derartiges bloßes Dabeisein, um – im Falle des Auffindens der mit dem Gesuch erbetenen Information – den Weg der technischen Übermittlung der erbetenen Information zu verkürzen, kann vom Richtliniengeber kaum gewollt sein und rechtfertigte den dafür erforderlichen Aufwand wohl nicht. Teleos des Art. 11 EU-AHiRL ist vielmehr die Ausdehnung, Vereinfachung und Effektivierung des Auskunftsverkehrs zwischen den beteiligten europäischen Fi-
221
Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (555).
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nanzbehörden.222 Die Bediensteten der ersuchenden Behörde kennen das Informationsgesuch genau und können es in den Kontext der bisherigen (eigenen) Erkenntnisse einordnen. Um die inländischen Finanzbehörden bei der Bearbeitung des Informationsgesuchs zu unterstützen, soll im Rahmen der Anwesenheit der Bediensteten der ersuchenden Behörde deren diesbezügliche Sachkunde genutzt werden.223 Das Anwesenheitsrecht erfasst daher neben dem körperlichen Zugegensein sowohl die Beobachtung der stattfindenden Untersuchungen als auch den Zugang zu den Unterlagen, die von den mit der Ermittlungen beauftragten inländischen Finanzbeamten zum Zweck der Erfüllung des Informationsgesuchs gesichtet werden.224 Dieses Zugangsrecht umfasst insb. die Einsichtnahme der Unterlagen.225 Dafür machen die Bediensteten der ersuchten Behörde den Bediensteten der ersuchenden Behörde die entsprechenden Unterlagen zugänglich;226 ein originär-eigenes Recht zur Sichtung ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL hingegen nicht,227 wie insb. der Umkehrschluss aus Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL zeigt. (bb) Fehlender Zusammenhang mit dem Informationsgesuch Der Zweck des Informationsaustausches gem. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL ist tatbestandliche Voraussetzung für die Anwesenheit ausländischer Bediensteter nach Art. 11 EU-AHiRL,228 als rechtliche Folge könnte dieser Zweck zugleich aber auch den Umfang des Anwesenheitsrechts beschränken. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EUAHiRL ermöglicht den ausländischen Bediensteten nur den Zugang zu solchen Unterlagen, die in direktem Bezug zu den Ermittlungshandlungen stehen, die ihrerseits dem Informationsaustausch auf Basis des Gesuchs dienen sollen. Problematisch sind insofern Fälle, in denen die Bediensteten der ersuchenden Behörde im Rahmen ihrer Anwesenheit Kenntnisse aus Unterlagen erlangen, die zwar nicht vom ursprünglichen Informationsgesuch umfasst sind, aber im ersuchenden Staat für steuerliche Zwecke Verwendung finden können und deren Austausch grds. auch von einer (anderen) Rechtsgrundlage gedeckt wäre. In Anbetracht dessen, dass sich die inländischen Bediensteten bei ihren Ermittlungen gerade auch des Wissens der ausländischen Bediensteten bedienen sollen, können nur solche Unterlagen aus dem Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL herausfallen, die offensichtlich in keinerlei Zusammenhang mit dem Informationsgesuch stehen. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf nur solche Informationen, die zur Er222 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3, Nr. 7 der Richtlinie 2011/16/EU; vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 Rn. 282a. 223 Vgl. Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 Rn. 282a. 224 Vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68); vgl. Harald Schaumburg, in: DStR 2002, 829 (837); vgl. Guido Zöllner, in: Pahlke/König, § 117, Rn. 42. 225 Vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68). 226 Vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68). 227 Vgl. Guido Zöllner, in: Koenig, § 117 AO, Rn. 65. 228 Dazu bereits S. 272 f.
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füllung des zu Anfang der Verwaltungszusammenarbeit gestellten individuellen Informationsgesuchs erforderlich sind,229 ist daher abzulehnen. Schon praktisch erscheint eine Beurteilung der Erforderlichkeit für die inländischen Prüfer ex ante zumindest schwierig. Eine derartige Verengung des Zugangsrechts würde daher letztlich dazu führen, dass die inländischen Prüfer den anwesenden ausländischen Bediensteten – allein schon aus Gründen der Vorsicht – nur möglichst rudimentären Einblick in die Ermittlungen gewährten. Das allerdings liefe sowohl dem Teleos der Richtlinie, namentlich der Ausdehnung, Vereinfachung und Effektivierung des Auskunftsverkehrs als auch der Idee der Anwesenheit der Bediensteten der ersuchenden Behörde zuwider. Gestützt wird dieser Befund auch vom Nebenzweck, gerade auch bisher unbekannte Sachverhalte aufdecken zu können.230 Bei offensichtlich fehlendem Zusammenhang der erlangten Information mit dem ursprünglichen Informationsgesuch kann die Informationserlangung allerdings nicht auf Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL gestützt werden. Sollte sich der konkrete Informationsaustausch nicht auf eine andere (bilaterale) Rechtsgrundlage stützen lassen, ist die Informationsgewinnung selbst als rechtswidrig zu qualifizieren. Der Informationszufluss an sich ist jedoch irreversibel. Inwiefern sich bei einem offensichtlich fehlenden Zusammenhang mit dem Informationsgesuch Verwertungsverbote im steuerlichen Verfahren der ersuchenden Behörde ergeben können, richtet sich deswegen nach dem jeweiligen innerstaatlichen steuerlichen Verfahrensrecht. Ob die ersuchte Behörde dadurch, dass sie eine Kenntnisnahme seitens der Bediensteten der ersuchenden Behörde nicht verhindert, rechtswidrig handelt und welche Konsequenzen sich daraus möglicherweise – insb. den Rechtsschutz betreffend – ergeben, ist in der EU-Amtshilferichtlinie ebenfalls nicht geregelt. Dem Grunde nach fällt der Informationsfluss in solchen Fällen aus dem Anwendungsbereich der EU-Amtshilferichtlinie heraus. Die rechtlichen Konsequenzen im ersuchten Staat sind daher nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht des Staates der ersuchten Behörde zu beurteilen. (cc) Zusammenfassung Das Recht nach Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL, in den Amtsräumen bzw. bei behördlichen Ermittlungen zugegen zu sein (Anwesenheit),231 ist also weitreichend zu verstehen und schließt auch das Recht ein, bestimmte Unterlagen einzusehen. Gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL sind den zuständigen Bediensteten der ersuchenden Behörde Kopien der Unterlagen auszuhändigen, in denen die ersuchte 229
In diese Richtung hingegen Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68). Vgl. Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593). 231 Die Begriffe „Anwesenheit“ und „zugegen sein“ sind synonym zu verstehen, wie auch der Vergleich der deutsch- und englischsprachigen Fassung des Art. 11 EU-AHiRL und der dazugehörigen Überschrift unterstreicht. Während in der deutschen Fassung die Begriffe „zugegen sein“ und „Anwesenheit“ auftauchen, nutzt die englischsprachige Fassung das Begriffspaar „to be present“ und „Presence“. 230
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Information enthalten ist. Argumentum a maiore ad minus trifft die inländischen Bediensteten hinsichtlich der Unterlagen auch die Pflicht, den ausländischen Prüfern diese zunächst zur Inaugenscheinnahme zur Verfügung zu stellen. (b) Aushändigung von Kopien der relevanten Dokumente Neben dem Anwesenheitsrecht legt Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL fest, dass den Bediensteten der ersuchenden Behörde Kopien der Unterlagen auszuhändigen sind, in denen die erbetene Information enthalten ist. Ebenso wie die Formulierung „zum Zweck des Informationsaustausches“ in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL ist auch der Begriff der „erbetenen Information“ in Unterabs. 2 weit gefasst. Um dem Teleos des Art. 11 EU-AHiRL Rechnung zu tragen, Verfahrenshindernisse abzubauen und einen möglichst weitreichenden Informationsfluss zu gewährleisten, ist eine Beschränkung auf die, die speziell ersuchte Information enthaltenden, konkreten Unterlagen(teile) abzulehnen. Von Art. 11 Abs., 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL sind vielmehr Kopien der Unterlagen als Gesamtheit des dem Informationsgesuch zugrundeliegenden Sachverhalts erfasst. Die Originalunterlagen verbleiben im ersuchten Staat. Der Steuerpflichtige selbst wird nicht zur Anfertigung oder Aushändigung der Kopien verpflichtet, Adressat der Norm ist der Staat der ersuchten Behörde. (3) Ermittlungsrechte Nach Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL kann die Vereinbarung zwischen Mitgliedstaaten außerdem vorsehen, dass den Bediensteten der ersuchenden Behörde bei behördlichen Ermittlungen i.S.d. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb b) zudem ein Recht zur Befragung von Einzelpersonen sowie zur Prüfung von Aufzeichnungen eingeräumt wird. Der ursprüngliche Entwurf der EU-Amtshilferichtlinie232 sah in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL vor, dass Beamte der ersuchenden Behörde, die bei behördlichen Ermittlungen zugegen sind, die Prüfungsbefugnisse der Beamten der ersuchten Behörde ausüben können, sofern sie diese Befugnisse im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats ausüben. Diese eindeutige und weitreichende Regelung hat sich im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens jedoch nicht durchsetzen können.233 Stattdessen sieht Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL nunmehr vor, dass die zuständigen Behörden, sofern dies nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats zulässig ist, über die Anwesenheit hinaus vereinbaren können, dass Bediensteten der ersuchenden Behörde, die bei den Ermittlungen im Hoheitsgebiet des ersuchten Staats zugegen sind, eigene Ermittlungsbefugnisse eingeräumt werden: Namentlich erfasst ist die Befragung von 232 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, KOM (2009) 29 endg. 233 Vgl. Isabel Gabert, in: IWB 2011, 250 (255).
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Einzelpersonen sowie die Prüfung von Aufzeichnungen.234 Die Einräumung anderer Ermittlungsbefugnisse ist von Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL dagegen nicht gedeckt.235 Voraussetzung für eigene Ermittlungsrechte der anwesenden ausländischen Bediensteten ist zweierlei: Einerseits muss im ersuchten Mitgliedstaat eine Rechtsvorschrift bestehen,236 die es ermöglicht, ausländischen Bediensteten eigene Ermittlungsbefugnisse einzuräumen,237 andererseits muss die zwischenstaatliche Vereinbarung nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL einen entsprechenden Passus enthalten. Die Rechtsordnung des ersuchenden Staates muss ausweislich des Wortlauts des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL hingegen keine entsprechende Rechtsgrundlage aufweisen. (a) Befragungsrecht Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL sieht vor, dass die Bediensteten der ersuchenden Behörde unter den bereits erörterten Voraussetzungen238 auch Einzelpersonen befragen dürfen. Eine eindeutige Bestimmung der erfassten Einzelpersonen ist der EU-Amtshilferichtlinie ebenso wenig zu entnehmen wie der Inhalt oder Umfang des Befragungsrechts. (aa) Begriff der Einzelperson Jedenfalls ist der Begriff der Einzelperson ausweislich des Wortlauts in Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL vom Begriff der Person, gegen die ermittelt wird, zu unterscheiden. Während die Person, gegen die ermittelt wird, die juristische oder natürliche Person ist, die von der ersuchten Information steuerrechtlich betroffen ist (also regelmäßig der oder die Steuerpflichtige), können Einzelpersonen nur natürliche Personen sein, soweit sie im steuerlichen Verfahren zur Auskunft verpflichtet sind. Unter Einzelpersonen sind daher alle Personen zu verstehen, die im Rahmen der konkreten behördlichen Ermittlungen gegenüber den nationalen Steuerbehörden des ersuchten Staates aufgrund des jeweiligen innerstaatlichen Verfahrensrechts auskunftspflichtig sind.
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Till Meickmann, in: IStR 2014, 592 (594). Im Ergebnis so auch Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67). 236 Daraus ergibt sich, dass die Umsetzung des Art. 11 Abs. 2 EUAHiRL bloß fakultativ ist. Wäre die Umsetzung zwingend, bedürfte es der Einschränkung „soweit dies nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Mitgliedsaats zulässig ist“ nicht. 237 Die Situation in den Mitgliedstaaten stellt sich hinsichtlich der Existenz einer entsprechenden Rechtsgrundlage heterogen dar: Während bspw. Deutschland, die Niederlande (Art. 9 Wet op de internationale bijstandsverlening bij de heffing van belastingen) und Österreich (§ 10 EU-AHG) im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen haben, ordnet die belgische Umsetzung ausdrücklich an, dass Ermittlungsrechte durch Verwaltungsvereinbarung nicht eingeräumt werden können (§ 10 Wet houdende omzetting van richtlijn 2011/16/EU). 238 Dazu S. 272 ff. 235
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(bb) Inhalt und Umfang des Befragungsrechts Gleichzeitig wird der Inhalt und Umfang der Befragungsrechte der Bediensteten der Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats ebenfalls durch das innerstaatliche Verfahrensrecht des Staates, in dem die behördlichen Ermittlungen stattfinden, bestimmt. Allerdings kann eine ungehindert bestehende Bindung an das nationale (Verfassungs-)Recht des Entsendestaates die Befragungsrechte der Bediensteten der ersuchenden Behörde zusätzlich beschränken. (b) Prüfungsrecht Gem. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL kann den Bediensteten der ersuchenden Behörde unter den oben erläuterten Voraussetzungen zudem ein Recht zur Prüfung von Aufzeichnungen eingeräumt werden. (aa) Begriff der Aufzeichnungen Verbaliter unterscheidet sich der Begriff der Aufzeichnungen von dem in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL verwendeten Begriff der Unterlagen. Zur Auslegung der Begriffe ist es sinnvoll sie im jeweiligen Regelungszusammenhang zu betrachten. Das bei der Anwesenheit von Bediensteten der ersuchenden Behörde nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Amtshilferichtlinie bestehende Recht zur Einsichtnahme in Unterlagen und die für die inländischen Bediensteten nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-Amtshilferichtlinie bestehende Verpflichtung zur Aushändigung dieser Unterlagen betrifft sowohl Tätigkeiten in den Amtsräumen, in denen die Verwaltungsbehörden des ersuchten Mitgliedstaats ihre Tätigkeit ausüben, als auch behördliche Ermittlungen, die im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats durchgeführt werden. Der Begriff der Unterlagen ist weitreichend und schließt neben Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, zu denen die ersuchte Behörde Zugang hat insb. auch eigene Aufzeichnungen der ersuchten Behörde mit ein. Dementsprechend sind alle Dokumente erfasst, zu denen die Bediensteten der ersuchten Behörde Zugang haben. Im Gegensatz dazu beziehen sich die in Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL normierten Prüfungsbefugnisse (also das Recht zur Befraggung und zur Prüfung von Aufzeichnungen) nur auf behördliche Ermittlungen, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde stattfinden. Aus der Unterscheidung in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a) und Bstb. b) EU-AHiRL ergibt sich sodann, dass behördliche Ermittlungen i.S.d. Art. 11 EU-AHiRL gerade nicht in den Amtsräumen der ersuchten Behörde stattfinden. Argumentum e contrario beschränkt sich der Begriff der Aufzeichnungen also auf solche Dokumente, die außerhalb der Amtsräume der ersuchten Behörde zugänglich gemacht werden. Damit bezieht sich der Begriff der Aufzeichnungen nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL nur auf Dokumente des Adressaten der behördlichen Ermittlung.
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Der Begriff der Unterlagen i.S.d. Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL umfasst demnach auch die Aufzeichnungen der ersuchten Behörde, wohingegen sich der Begriff der Aufzeichnungen i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL auf die Aufzeichnungen des Adressaten der behördlichen Ermittlung, also in der Regel des Steuerpflichtigen, beschränkt. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL verschafft damit den Bediensteten der ersuchenden Behörde keine eigenständige Berechtigung, Aufzeichnungen der Finanzbehörden des ersuchten Staates selbstständig zu prüfen. (bb) Inhalt und Umfang des Prüfungsrechts Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL normiert nicht, welchen Inhalt oder Umfang bzw. welche Grenzen das im Rahmen der Vereinbarung vorgesehene Recht zur Prüfung von Aufzeichnungen hat. Das Anwesenheitsrecht nach Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL umfasst sowohl die Beobachtung der stattfindenden behördlichen Ermittlungen als auch den Zugang zu den dabei gesichteten Unterlagen. Dementsprechend muss das als noch weiterreichend konzipierte Prüfungsrecht nach Abs. 2 Unterabs. 1 darüber hinausgehen. Die Bediensteten der ersuchenden Behörde sind bei der Prüfung der Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen daher nicht auf die Zugänglichmachung seitens der inländischen Bediensteten angewiesen. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL konstatiert ein eigenes Recht der Bediensteten der ersuchenden Behörde zur Anforderung und Sichtung der Aufzeichnungen im Rahmen von behördlichen Ermittlungen ohne vorherige Beteiligung der inländischen Bediensteten. Sie dürfen die Prüfungstätigkeit selbst und unmittelbar ausüben. Dieses Ergebnis wird auch a fortiori von Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL gestützt, wonach jede Weigerung der Person, gegen die ermittelt wird, den Ermittlungsmaßnahmen der Bediensteten der ersuchenden Behörde zu entsprechen, wie eine Weigerung gegenüber den Bediensteten der inländischen Behörde zu behandeln ist. Analog zur Frage, ob die Verpflichtung zur Aushändigung von Kopien der maßgeblichen Unterlagen nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL das Recht der ausländischen Bediensteten erfasst, Zugang zu den fraglichen Unterlagen zu erhalten, ist bei Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL fraglich, ob das Prüfungsrecht auch die Anfertigung von Kopien der maßgeblichen Aufzeichnungen beinhaltet. Jedenfalls bleiben die Bediensteten der ersuchten Behörde gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL verpflichtet, den Bediensteten der ersuchenden Behörde Kopien derjenigen Aufzeichnungen auszuhändigen, die die erbetenen Informationen enthalten. Ob Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL ein eigenes Recht der Bediensteten der ersuchenden Behörde zur Anfertigung von Kopien enthält, ist also nur in denjenigen Fällen relevant, in denen der Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-AHiRL nicht eröffnet ist. Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL geht über die in Abs. 1 normierten Rechte zur Anwesenheit bei behördlichen Ermittlungen hinaus. Insofern vermag es nicht zu überzeugen, wegen der in Abs. 1 Unterabs. 2 expressis verbis aufgeführten Verpflichtung zur Aushändigung der maßgeblichen Unterlagen e
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contrario ein eigenes Recht zur Anfertigung von Kopien im Rahmen des Abs. 2 Unterabs. 1 abzulehnen. Im Gegenteil ist Argumentum a minori ad maius davon auszugehen, dass das Prüfungsrecht nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL – gerade weil eine Regelung hinsichtlich der Anfertigung von Kopien in diesem Absatz nicht enthalten ist – auch ein originäres Recht der Bediensteten der ersuchenden Behörde enthält, eigene Kopien aller im Rahmen ihrer Prüfungsbefugnisse herangezogenen Dokumente anzufertigen. Richtigerweise umfasst das Prüfungsrecht also auch die Möglichkeit zur Anfertigung von Kopien der geprüften Aufzeichnungen. Die ausländischen Bediensteten werden durch Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EUAHiRL aus der passiven Beobachterrolle des Abs. 1 Unterabs. 1 entlassen und können selbst aktiv den Prozess der Informationsgewinnung bei behördlichen Ermittlungen im Staat der ersuchten Behörde vorantreiben. Der genaue Inhalt und Umfang des Prüfungsrechts wird regelmäßig durch die gemeinsame Vereinbarung festgelegt, jedenfalls aber in doppelter Hinsicht – einerseits durch das nationale Verfahrensrecht des Staates der ersuchten Behörde und andererseits durch das nationale Recht des ersuchenden Staats – begrenzt. (c) Kein Zustimmungserfordernis des Steuerpflichtigen Beachtlich ist, dass nach der EU-Amtshilferichtlinie für die Einräumung der oben genannten Ermittlungsbefugnisse keine Zustimmung des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Weil die Integration einer Rechtsgrundlage zur Einräumung eigener Ermittlungsbefugnisse der Bediensteten der ersuchenden Behörde im Rahmen der Richtlinienumsetzung sua sponte erfolgt, steht es den Mitgliedstaaten allerdings frei, eine solche Zustimmung des Steuerpflichtigen zur conditio sine qua non für die Einräumung von eigenen Ermittlungsbefugnissen zu machen.239 (d) Keine Aufsichts- oder Weisungsfunktion der Bediensteten der ersuchten Behörde Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL konstatiert, dass den Bediensteten der ersuchenden Behörde eigene Ermittlungskompetenzen nur eingeräumt werden können, wenn diese bei behördlichen Ermittlungen der ersuchten Behörde zugegen sind. Die ausländischen Bediensteten dürfen ihre Ermittlungsbefugnisse daher nur ausüben, wenn die Bediensteten der ersuchten Behörde ebenfalls ermitteln. Gänzlich autonome Ermittlungen der Bediensteten der ersuchenden Behörde ohne Ermittlungstätigkeit der ersuchten Behörde sind daher von der Richtlinie nicht gedeckt.240 Sinn und Zweck der Beschränkung ist die logische Verknüpfung von Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 11 EU-AHiRL sowie die Verhinderung gänzlich eigener Ermittlungen ausländischer Bediensteter ohne Konnex zu innerstaatlichen behördlichen 239 So bspw. im Rahmen der deutschen Umsetzung des Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL durch § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG. 240 Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (628).
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Ermittlungen. Dieses Ergebnis wird zudem von der Überschrift des Art. 11 EUAHiRL („Teilnahme an behördlichen Ermittlungen“) gestützt. Die Aufnahme gänzlich eigener Ermittlungen soll von Art. 11 EU-AHiRL also gerade nicht gedeckt werden. Eine unmittelbare physische Anwesenheit der inländischen Bediensteten bei den einzelnen Ermittlungsakten der ausländischen Bediensteten wird i.S.d. effet utile dennoch nicht zu verlangen sein. Auch widerspräche es dem Richtlinienteleos, den Bediensteten der ersuchten Behörde ohne grammatischen Anhaltspunkt in Art. 11 EU-AHiRL gegenüber den Bediensteten der ersuchenden Behörde eine Aufsichts- oder Weisungsbefugnis einzuräumen. Dieser Befund wird e contrario auch von der Regelung des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL untermauert: Könnten die Bediensteten der ersuchenden Behörde die ihnen eingeräumten Ermittlungsbefugnisse in concreto nur unter Aufsicht oder nach Weisung der Bediensteten der ersuchten Behörde ausüben, wäre jede Weigerung, den Überprüfungsmaßnahmen der Bediensteten der ersuchenden Behörde zu entsprechen, zumindest mittelbar auch als Weigerung gegenüber den Bediensteten der ersuchten Behörde zu qualifizieren. Der Anordnung des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL bedürfte es dann gerade nicht. Die Bediensteten der ersuchenden Behörde dürfen im Ergebnis also keine völlig autonomen behördlichen Ermittlungen einleiten, unterliegen bei der Vornahme eigener Ermittlungsmaßnahmen aber nicht unmittelbar der Weisung oder Aufsicht der Bediensteten der ersuchten Behörde. (e) Maßgebliches Verfahrensrecht bei der Ausübung der eingeräumten Ermittlungsbefugnisse Aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL ergibt sich nicht, welches Verfahrensrecht für die Bediensteten der ersuchenden Behörde bei der Ausübung ihrer Ermittlungsbefugnisse auf dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staats maßgeblich sein soll. Der Kommissionsentwurf sah seinem Wortlaut nach noch eindeutig vor, dass die Bediensteten ihre nach dem Entwurf gar weitreichenderen Befugnisse nur im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaates ausübten. Naheliegend ließe sich nun argumentieren, dass der Richtliniengebern durch die Streichung des Konnex die Bindung an die nationalen Verfahrensvorschriften des ersuchten Staates entfallen lassen wollte und die Bediensteten der ausländischen Behörde e contrario an die Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihres Heimatstaates gebunden sind. Dafür lässt sich auch die dem materiellen Recht dienende Funktion des Verfahrensrechts anführen, weil die Bediensteten auch bei der Entsendung dem Vollzug des Steuerrechts ihres Entsendestaates verpflichtet bleiben.241 Zudem kennen die entsendeten Beamten das eigene Recht besser als das des Staates in dem die Prüfungshandlung stattfindet, sodass sich vorbringen lässt, dass 241
Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (73).
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die Anwendung des eigenen Rechts Verfahrensfehler reduzieren kann.242 Zum Teil ins Feld geführte legitimatorische Gesichtspunkte, die für eine Mitnahme des Heimatrechts sprechen sollen,243 können hingegen nicht überzeugen, weil nicht ersichtlich ist, wie Exekutivhandlungen durch fremdes Recht demokratisch stärker legitimiert sein sollen als durch das Recht des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet die Handlungen vorgenommen werden. Unabhängig davon spricht gegen die (alleinige) Maßgeblichkeit des Rechts des entsendenden Staates, dass die Richtlinie die Einräumung von eigenen Ermittlungsbefugnissen vom Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsgrundlage im ersuchten Staat sowie einer, über die Einräumung der bloßen Anwesenheit hinausgehenden, zwischenstaatlichen Vereinbarung abhängig macht. Außerdem ist einem historisch fundierten Umkehrschluss methodologisch entgegenzuhalten, dass der Entstehungshistorie bei der Auslegung von Richtlinien lediglich eine nachrangige, gar bloß flankierende Bedeutung zukommt.244 Darüber hinaus werden auch Inhalt, Umfang und Grenzen der Befragungs- und Prüfungsbefugnisse maßgeblich durch die Verfahrensvorschriften des ersuchten Staates bestimmt. Wenn bereits die Einräumung und der Umfang der Ermittlungsbefugnisse vom innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates abhängig sind, kann sich die konkrete Ausübung dieser Rechte Argumentum a fortiori nur ebenso nach den entsprechenden Verfahrensvorschriften des ersuchten Staates richten.245 Dieses Ergebnis wird ebenfalls von der Überlegung gestützt, dass den Bediensteten der ersuchenden Behörde im Einklang mit der Richtlinie zwar eigene Ermittlungsbefugnisse eingeräumt werden können, diese Befugnisse aber nur im Rahmen von Ermittlungen seitens der Bediensteten der ersuchten Behörde ausgeübt werden dürfen. Alleinige Ermittlungen seitens der Bediensteten der ersuchenden Behörde sind nach der Richtlinie nicht vorgesehen.246 Auch eine Deduktion des Regelungskerns des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL, wonach bei Weigerung der Person gegen die ermittelt wird, den Maßnahmen der Bediensteten der ersuchenden Behörde zu entsprechen, von der ersuchten Behörde wie eine Weigerung gegenüber ihren Bediensteten zu behandeln ist – also letztlich für die Folgen einer Weigerung das Recht des ersuchten Staates maßgeblich sein soll – spricht für ein solches Verständnis.247 Eine Dichotomie der anzuwenden Verfahrensvorschriften innerhalb 242
Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (73). So Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (73). 244 Vgl. Georg Kofler, in: ISR 2014, 126 (128); Wolfgang Schön, in: DStJG, Band 19, S. 167 (187); Daniela Heinemann, in: Kellersmann/Treisch/Lampert/Heinemann, Band I, S. 45. 245 Dem steht auch nicht entgegen, dass sich ausländischen Prüfer nicht unmittelbar auf die Vorschriften der Abgabenordnung berufen können, vgl. dazu S. 260. Ähnlich wie hier argumentiert auch Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (73 f.) – allerdings mit Blick auf die Regeln des allgemeinen Völkerrechts, wonach jede Rechtsdurchsetzung im Ausland der Zustimmung des Gaststaates bedarf. 246 Vgl. Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (628). 247 Ähnlich Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (275). 243
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einer Ermittlungsmaßnahme würde außerdem zu erheblicher Rechtsunsicherheit und weitreichenden Praktikabilitätsproblemen führen. Richtigerweise ist also davon auszugehen, dass bei der Befragung von Einzelpersonen und der Prüfung von Aufzeichnungen grds. das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die Prüfungstätigkeiten vorgenommen werden.248 Allerdings überlässt die Richtlinie es den Mitgliedstaaten zugleich, entweder bereits im Rahmen der Rechtsgrundlage präzisierend oder abweichend festzulegen, welche Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Bediensteten der ersuchenden Behörde im Einzelnen bei ihrer Tätigkeit im ersuchten Staat im Detail maßgeblich sein sollen. Denkbar erscheint auch ein gänzlich eigenes Regime für ausländische Prüfer, die an Prüfungen im Inland partizipieren.249 Ob eine Abweichung bzw. Präzisierung auch im Rahmen der zwischenbehördlichen Vereinbarung möglich ist, ist hingegen fraglich. Zwar kommen dagegen innerhalb der Systematik des Art. 11 der Richtlinie keine Bedenken auf. Doch sieht der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL vor, dass die Vereinbarung ein Anwesenheitsrecht unter den von der ersuchten Behörde „festgelegten Regelungen“ vorsehen kann; während ein entsprechender Passus hinsichtlich der Einräumung von Ermittlungsbefugnissen in dessen Abs. 2 fehlt. Grammatisch eröffnen sich daraus drei Auslegungsmöglichkeiten: Es ließe sich daraus schließen, dass keine Möglichkeit besteht, abweichende bzw. präzisierende Regelungen festzusetzen; die Regelungen inter pares vereinbart werden oder die Festsetzungen aus Abs. 1 Unterabs. 1 sich auch auf Abs. 2 beziehen und dementsprechend einseitig bestimmt werden. Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL ist also recht unergiebig. Da die im Rahmen des Abs. 2 eingeräumten Rechte weit über das in Abs. 1 vorgesehene Anwesenheitsrecht hinausgehen und die Umsetzung des Abs. 2 zudem in der Hand der Mitgliedstaaten liegt, ist m. E. ein Erst-Recht-Schluss zu ziehen, sodass auch in Bezug auf die Ausgestaltung der Ermittlungsmaßnahmen i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL detaillierte Regelungen einseitig von der ersuchten Behörde festgelegt werden können. Aber auch aus der Möglichkeit, abstrakt detaillierte Regelungen bei der Einräumung von Ermittlungsbefugnissen festzulegen, ergibt sich nicht eo ipso ein Weisungsrecht der Bediensteten der ersuchten Behörden gegenüber denen der ersuchenden Behörde. Unabhängig von der Maßgeblichkeit des Rechts des Staates der ersuchten Behörde und weiteren Präzisierungen oder Abweichungen können die Bediensteten der ersuchenden Behörde bei der Durchführung ihrer Ermittlungen aber gleichermaßen an das eigene Verfahrensrecht gebunden sein, wenn die nationale Rechtsordnung dies 248
Soweit im Ergebnis auch Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (275). Das kann bereits der Fall sein, wenn zwischenstaatliche Verträge die Rechtsgrundlage für das Tätigwerden ausländischer Beamter bilden und detaillierte Regelungen enthalten, wie dies jedenfalls zum Teil im transnationalen Poilzeirecht der Fall ist, vgl. Lothar Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland, S. 80; Christian Walter, in: Handbuch des Staatsrechts, § 237, Rn. 33. 249
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(verfassungsrechtlich) vorschreibt.250 Letztlich könnten die Bediensteten der ersuchenden Behörden auf dem Hoheitsgebiet der ersuchten Behörde regelmäßig nur in der Schnittmenge der nationalen Verfahrensrechte agieren, worin allerdings keineswegs eine Verschmelzung der Verfahrensrechte zu erkennen ist.251 (f) Zusammenfassendes Ergebnis Bei der Einräumung von eigenen Ermittlungsbefugnissen im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL ist hinsichtlich der Maßgeblichkeit der aufeinandertreffenden Rechtsordnungen letztlich zwischen der Einräumung, dem Inhalt und Umfang bzw. den Grenzen sowie der Art und Weise der Ausübung der Ermittlungsbefugnisse zu unterscheiden. Die Einräumung der Ermittlungsbefugnisse ist gem. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL vor allem vom Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Staat der ersuchten Behörde abhängig. Zudem bedarf es einer gemeinsamen Vereinbarung i.S.d. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL. Ob es einer korrespondierenden Rechtsgrundlage im Staat der ersuchenden Behörde bedarf, hängt hingegen von der jeweiligen Rechtsordnung dieses Staates ab.252 Der Inhalt und Umfang bzw. die Grenzen der Ermittlungsbefugnisse der Bediensteten der ersuchenden Behörde ist in erster Linie nach dem Wortlaut der Richtlinie auf die Befragung von Einzelpersonen und die Prüfung von Aufzeichnungen beschränkt und richtet sich im Übrigen grds. nach dem nationalen Verfahrensrecht des Staates in dem die Prüfungshandlungen vorgenommen werden sowie der gemeinsamen Vereinbarung beider Staaten. Die Teilnahme an behördlichen Ermittlungen in einem anderen Mitgliedstaat soll aber keine Ermittlungstätigkeiten ermöglichen, die nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden Staates nicht eingeräumt werden können. Den im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EUAHiRL eingeräumten Ermittlungsbefugnissen können insofern sowohl durch die Rechtsordnung des ersuchenden als auch des ersuchten Staates Grenzen gesetzt sein. Die verfahrensrechtlichen Details, also die Art und Weise der Vornahme von Ermittlungen, werden prinzipiell durch das nationale steuerliche Verfahrensrecht des ersuchten Staates festgelegt. Die gemeinsame Vereinbarung der beteiligten Behörden kann präzisierende Bestimmungen über die Details der Vornahme von Ermittlungshandlungen enthalten, die vom steuerlichen Verfahrensrecht des ersuchten Staates abweichen. Das Recht des Staates der ersuchenden Behörde entfaltet aller250 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/20016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.6; mit Blick auf § 10 EUAHiG negiert die Möglichkeit der Beschränkung durch das Verfahrensrecht des ersuchenden Staates: Thomas Eisgruber, in: RIW 2017, 6 (7). 251 So wohl auch Klaus-Dieter Düren, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (86); a.A. offenbar Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (274 f.). 252 Vgl. hinsichtlich der Erforderlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Ausführungen auf S. 251 ff.
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dings nur ausnahmsweise beschränkende Wirkung, wenn bspw. durch die Art und Weise der Ermittlungstätigkeit Rechtsgrundsätze des Staates der ersuchenden Behörde verletzt würden. Allen drei Ebenen ist gemeinsam, dass in erster Linie das nationale Verfahrensrecht des Staates der ersuchten Behörde maßgeblich bleibt, die gemeinsame Vereinbarung abweichende und präzisierende Regelungen enthalten darf, nicht aber ausweitend wirken kann und die Rechtsordnung des Staates der ersuchenden Behörde nur in Ausnahmefällen und ebenfalls nur beschränkend relevant wird. (4) Folgen der Mitwirkungsverweigerung Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL normiert, dass jede Weigerung der Person, gegen die ermittelt wird, den Überprüfungsmaßnahmen der Bediensteten der ersuchenden Behörde zu entsprechen, von der ersuchten Behörde wie eine Weigerung gegenüber Bediensteten der eigenen Behörde behandelt wird. (a) Folgen im Staat der ersuchten Behörde Liegen also die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL vor und weigert sich der von der Ermittlung Betroffene, die zu prüfenden Aufzeichnungen vorzulegen, die Befragung von Einzelpersonen zuzulassen oder weigert er sich in sonstiger Weise, den Überprüfungsmaßnahmen zu entsprechen, treten im Mitgliedstaat, in dem die Ermittlungen stattfinden, die gleichen Rechtsfolgen ein, die bei einer Weigerung gegenüber den Bediensteten der ersuchten Behörde einträten. Durch Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL wird die ersuchte Behörde also verpflichtet, an eine solche Weigerung zu knüpfende innerstaatliche Rechtsfolgen ebenso herbeizuführen, als wäre sie selbst von der Weigerung betroffen. (b) Folgen im Staat der ersuchenden Behörde Fraglich erscheint, ob die Weigerung auch im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde innerstaatliche Rechtsfolgen auslösen kann, die sich nach dem jeweiligen steuerlichen Verfahrensrecht des Mitgliedstaates der ersuchenden Behörde richteten. Der Richtlinie selbst ist dazu keine Aussage zu entnehmen. Insofern ist auf das grds. maßgebliche Verfahrensrecht des ersuchten Staates abzustellen. Aber auch wegen der drohenden doppelten Sanktionierung einer Weigerung zur Mitwirkung, ist eine Anwendbarkeit einer Rechtsfolge im ersuchenden Staat bei richtlinientreuer Umsetzung des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL grds. abzulehnen. (5) Vollmacht Die befugten Bediensteten der ersuchenden Behörde müssen, wenn sie sich im Rahmen einer Maßnahme nach Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, jederzeit eine schriftliche Vollmacht vorlegen können, aus der ihre Identität und dienstliche Stellung hervorgeht. Die Vollmacht kann im Verfahren
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der Vereinbarung nach Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL erteilt werden. Die Vollmacht muss schriftlich erteilt werden, weil sie sonst nicht vorgelegt werden kann. Die Vollmacht sollte zudem erkennen lassen, in welchem Umfang den Bediensteten Befugnisse i.S.d. Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 EU-AHiRL eingeräumt wurden.253 Kann der Bedienstete dem Betroffenen oder den inländischen Amtsträgern keine Vollmacht vorlegen, darf er weder anwesend sein, noch eigene Ermittlungen vornehmen. Auf die materielle Rechtslage allein kann es insofern nicht ankommen, weil Art. 11 Abs. 3 EU-AHiRL bei einem solchen Verständnis überflüssig wäre. (6) Prüfung im Staat der ersuchenden Behörde Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 11 EU-AHiRL ist die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten auf Maßnahmen im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates beschränkt, sodass eine Auslegung, dass vice versa auch Prüfungen auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates stattfinden können selbst unter der Prämisse des effet utile scheitern müssen. Eine weitergehende Auslegung scheitert im Übrigen daran, dass die Anwesenheit in den Amtsräumen von Behörden und die Teilnahme an behördlichen Ermittlungen nicht originär die Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen ermöglichen soll, sondern im Kern die Effektivierung der Beantwortung von Auskunftsersuchen bezweckt.254 (7) Zusammenfassung Art. 11 EU-AHiRL ermöglicht Amtsträgern ausländischer Behörden neben der Anwesenheit in den Amtsräumen ihrer inländischen Kollegen und bei behördlichen Ermittlungen auch, eigene Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen und kann insoweit als europäische Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen herangezogen werden.255 bb) § 10 EUAHiG Art. 11 EU-AHiRL wird in der Bundesrepublik durch § 10 EUAHiG in nationales Recht umgesetzt. Entsprechend kommt § 10 EUAHiG als innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Anwesenheit und eigene Ermittlungsbefugnisse von Betriebsprüfern aus anderen Mitgliedstaaten bei Außenprüfungen auf deutschem Hoheitsgebiet in Betracht.
253
Vgl. Guido Zöllner, in: Koenig, § 117 AO, Rn. 66. Vgl. Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (86). 255 Vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67); ders., in: IStR 2016, 627 (628); Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 5 (28); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (560); Thomas Eisgruber, in: RIW 2017, 6 (6); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595); Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (2). 254
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(1) Anwesenheit § 10 Abs. 1 EUAHiG enthält die Regelungen des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a) und Bstb. b) EU-AHiRL. (a) Voraussetzungen Gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EUAHiG kann das BZSt als zentrales Verbindungsbüro nach § 3 Abs. 2 S. 1 EUAHiG mit einem anderen Mitgliedstaat zum Zweck des Informationsaustausches vereinbaren, dass befugte Bedienstete dieses Mitgliedstaats in den Amtsräumen der deutschen Finanzbehörden (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EUAHiG) und bei behördlichen Ermittlungen auf deutschem Hoheitsgebiet (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 EUAHiG) zugegen sein dürfen. Behördliche Ermittlungen in diesem Sinne fußen auf hoheitlichen Befugnissen, erfasst sind also die Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO sowie sonstige (Einzel-)Ermittlungsmaßnahmen nach § 88 ff. AO. Die Voraussetzungen der Anwesenheit ausländischer Bediensteter werden gem. § 10 Abs. 1 EUAHiG von der jeweiligen beteiligten deutschen Finanzbehörde festgelegt. Hinsichtlich der Voraussetzungen der gemeinsamen Vereinbarung, des Zwecks des Informationsaustausches und des Umfangs des Anwesenheitsrechts sei daher auf die Ausführungen zur EU-Amtshilferichtlinie verwiesen.256 (b) Keine weiterreichende Beschränkung des Informationsaustausches § 10 Abs. 2 S. 1 EUAHiG beschränkt den Informationsaustausch im Rahmen der Anwesenheit ausländischer Bediensteter auf solche Informationen, die nach § 4 EUAHiG übermittelt werden dürfen. Die Vorschrift soll einem zu weitreichenden Informationsaustausch außerhalb des gesetzlichen Rahmens vorbeugen, um die Wahrung des Steuergeheimnisses sicherzustellen.257 Die Gesetzesbegründung stellt darauf ab, dass die ausgetauschten Informationen für die Festsetzung von Steuern voraussichtlich erheblich sein müssen und ihre Beschaffung durch behördliche Ermittlungen erfolgt, die nach den deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in vergleichbaren Fällen vorgesehen sind.258 Auch wenn § 10 Abs. 1 EUAHiG im Vergleich zu Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EUAHiRL offener ist („zum Zwecke des Informationsaustausches“ bzw. „zum Zwecke des Informationsaustausches gemäß Art. 1 Abs. 1“) kommt jedenfalls in § 10 Abs. 2 S. 1 EUAHiG zum Ausdruck, dass eine Anwesenheit nur im Rahmen eines von § 4 EUAHiG (bzw. Art. 5 EU-AHiRL) gedeckten Informationsgesuchs möglich ist. Damit würde ein Ausschluss des nach anderen Rechtsvorschriften legalen Informationsaustausches der Intention der EU-Amtshilferichtlinie und des EUAHiG, einen möglichst umfangreichen Informationsaustausch zu ermöglichen, zuwider-
256 257 258
Siehe S. 272 ff. BT-Drs. 17/10000, S. 48. BT-Drs. 17/10000, S. 48.
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laufen.259 Weshalb der Informationsaustausch im Rahmen der Anwesenheit der Bediensteten der ersuchenden Behörde potentiell beschränkt werden soll, erschließt sich nicht. Praktisch wäre in solchen Fällen ein Informationsaustausch weiter möglich – allerdings nur über den üblichen langen Dienstweg. Damit wäre in der Sache wenig gewonnen. Sollten Informationen daher nach einer anderen Vorschrift (insb. Doppelbesteuerungs- oder Informationsaustauschabkommen), nicht aber nach § 4 EUAHiG übermittelt werden dürfen, ist § 10 Abs. 2 S. 1 EUAHiG entsprechend teleologisch (und zugleich richtlinienfreundlich) dahingehend auszulegen, dass der Informationsaustausch auch im Rahmen der Anwesenheit ausländischer Bediensteter legal ist.260 (2) Ermittlungsrechte § 10 Abs. 3 EUAHiG schafft eine innerstaatliche Rechtsgrundlage i.S.d. Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL und lässt es zu, dass den ausländischen Bediensteten im Rahmen ihrer Anwesenheit durch die Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 EUAHiG die Befugnis eingeräumt werden kann, Personen zu befragen und Aufzeichnungen zu prüfen. Anders als bei Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL ist der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 3 EUAHiG nicht unmittelbar auf behördliche Ermittlungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 EUAHiG (bzw. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. b)) beschränkt. Auch im Übrigen ergeben sich von Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL Abweichungen in einigen anderen – nachfolgend erörterten – Punkten. (a) Weitere Voraussetzungen Neben den in Art. 11 EU-AHiRL normierten Voraussetzungen kennt § 10 Abs. 3 EUAHiG weitere Bedingungen für Ermittlungsbefugnisse der Bediensteten der ersuchenden Behörde. (aa) Beisein der inländischen Bediensteten Zunächst unterscheidet sich § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG von Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 EU-AHiRL durch die Anforderung, dass die ausländischen Bediensteten die eingeräumten Ermittlungsbefugnisse nur im Beisein inländischer Bediensteter ausüben dürfen. Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL macht die aktive Prüfung durch ausländische Bedienstete lediglich davon abhängig, „dass Bedienstete der ersuchenden Behörde […] bei behördlichen Ermittlungen zugegen sind.“261 Damit macht das EUAHiG die Ermittlungsbefugnisse im Vergleich zu Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL von strengeren Anforderungen abhängig.262 § 10 Abs. 3 EUAHiG 259 260 261 262
Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595). So im Ergebnis auch Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602). Vgl. auch S. 282 f. Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273).
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schafft allerdings erst die nach Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL für eigene Ermittlungsbefugnisse der ausländischen Bediensteten erforderliche mitgliedstaatliche Rechtsgrundlage. Den Mitgliedstaaten steht insofern frei, ob sie eine solche Rechtsgrundlage schaffen. Eine richtlinienkonforme Auslegung kommt bei der Umsetzung von fakultativen Sekundärrecht nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht,263 weil ansonsten der fakultative Charakter gänzlich unterlaufen würde. Daher liegt es auch in der Hand der umsetzenden Mitgliedstaaten, die Einräumung von Ermittlungsbefugnissen im Rahmen dieser Rechtsgrundlage von weiteren Erfordernissen abhängig zu machen. Die mit dem Erfordernis des Beiseins der inländischen Bediensteten verbundene Beschränkung der Ermittlungsrechte ausländischer Bediensteter ist also keinen europarechtlichen Bedenken ausgesetzt. Bedienstete ausländischer Behörden dürfen daher nur im Beisein deutscher Bediensteter Aufzeichnungen prüfen und Personen befragen.264 (bb) Zustimmung des Steuerpflichtigen Abweichend von Art. 11 Abs. 2 EU-AHiRL bedarf es gem. § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG für eigene Ermittlungsbefugnisse der ausländischen Bediensteten ferner der (idealerweise schriftlichen)265 Zustimmung der betroffenen Personen zur Befragung und Prüfung.266 Auf den ersten Blick erscheint fraglich, wessen Zustimmung in concreto benötigt wird. Beckmann geht ohne nähere Begründung davon aus, dass es insofern der Zustimmung sowohl des Steuerpflichtigen als auch der konkreten befragten Person bedürfe.267 Diese Auslegung ließe sich zunächst mit dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG begründen. Demnach ist erforderlich, dass „die Personen der Befragung und Prüfung zustimmen“. Sowohl die Verwendung des Plurals als auch der mögliche wörtliche Bezug zu § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG („Personen befragen“) erlauben ein solches Verständnis. Die Verwendung des Plurals stellt jedoch bereits sprachlich keine Festlegung auf die Notwendigkeit der Zustimmung von mehreren Personen dar, sondern umfasst als grammatisches Minus zugleich auch Fälle, in denen nur eine Einzelperson zuzustimmen hat. Unterstellte man, dass durch die Verwendung des Artikels die tatsächlich auf die zuvor in § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG genannten zu befragenden Einzelpersonen rekurriert werden sollte, so ließe sich zu Recht fragen, inwiefern dann noch die Zustimmung einer weiteren Person (scil. des Steuerpflichtigen) vom Wortlaut des S. 2 erfasst sein soll. Allein vom Wortlaut her wäre daher sogar vertretbar, auf ein Zustimmungserfordernis seitens des Steuer263 Vgl. Claus Dieter Classen, in: EuZW 1993, 83; Peter-Christian Müller-Graff, in: NJW 1993, 13; Martin Nettesheim, in: AöR 119 (1994), 261 (275); Jörg Weberndörfer, Rechtsvergleich Deutschland – Vereinigtes Königreich, S. 53. 264 Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273). 265 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/20016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.4. 266 Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (594 f.). 267 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67).
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pflichtigen zu verzichten und nur die Zustimmung des Befragten zu verlangen. Dieses absurde Ergebnis zeigt, dass der Wortlaut des § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG insofern wenig ergiebig ist. Ein Zustimmungserfordernis des konkret Befragten fügte sich außerdem nicht in die Systematik der behördlichen Ermittlungen nach deutschem Verfahrensrecht ein. Grds. können die vom Steuerpflichtigen als Auskunftspersonen benannten oder andere Betriebsangehörige gegenüber der Finanzverhaltung keine eigenen Rechte geltend machen. Sie werden vielmehr dem Steuerpflichtigen zugerechnet, dessen Auskunftspflicht sie erfüllen.268 Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb die Zustimmung des konkret Befragten bei der Befragung durch ausländische Bedienstete erforderlich sein soll, ist nicht ersichtlich. Gegen ein doppeltes Zustimmungserfordernis sprechen auch ganz praktische Erwägungen: Jeder Befragung müssten sowohl die einzelne Person als auch der Steuerpflichtige zustimmen, was dem Gesetzesmotiv einer möglichst einfachen und umfangreichen Kooperation widerspräche. Auch ist ein Zustimmungsbedürfnis aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht erforderlich,269 weil mit § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG gerade eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage für die Einräumung von Prüfungsbefugnissen besteht. Aus diesen Gründen wird richtigerweise nur die Zustimmung des Steuerpflichtigen zu fordern sein.270 Bedenken können überdies hinsichtlich der Bindungswirkung der Zustimmung aufkommen. Ginge man von einer freien Widerruflichkeit der Zustimmung aus,271 wie sie nach der Rechtsprechung zur alleinigen Prüfung im Ausland bestehen soll,272 so verbliebe für die Folgen der Verweigerung der Mitwirkung nach § 10 Abs. 3 S. 3 EUAHiG273 kein Raum.274 Er würde so ad absurdum geführt. Daher ist die einmalige
268
Vgl. Reinhart Rüsken, in: Klein, § 200 AO, Rn. 10. A.A. wohl Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (570) mit Verweis auf FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992 – 4 K 1921/90 – EFG 1993, 127 (128). Der Verweis greift m. E. allerdings zu kurz, weil die Entscheidung des FG erstens den Einsatz deutscher Prüfer im Ausland zum Gegenstand hat und zweitens ein Fall ohne spezifische Rechtsgrundlage zugrundeliegt. 270 So wohl auch Ernst Czakert, in: Festschrift für Frotscher, S. 5 (28); ders., in: Schönfeld/ Ditz, Anhang 1 EUAHiG Rn. 49; Holger Peters/Markus Kurcher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (5). 271 So BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/20016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.4.; Christian Beckmann, StBp 2014, 66 (67); ders., in: IStR 2016, 627 (628); Christiane Anger, in: IWB 2017, 204 (205). 272 Vgl. dazu S. 251 f. 273 Dazu S. 294 f. 274 Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 191. 269
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Zustimmung des Steuerpflichtigen eine für diesen bindende Entscheidung über eigene Ermittlungsbefugnisse der Bediensteten der ersuchenden Behörde.275 Damit die deutschen Finanzbehörden den Bediensteten ausländischer Behörden eigene Ermittlungsbefugnisse bei behördlichen Ermittlungen einräumen können, brauchen sie die auch nicht partiell widerrufliche Zustimmung allein des von der Prüfung Betroffenen, also des Steuerpflichtigen und nicht die der in concreto zu befragenden Personen. (cc) Abweichende Voraussetzungen nach ausländischen Normen Bedenkenswert erscheint, ob die in § 10 Abs. 3 EUAHiG festgelegten Voraussetzungen durch im anderen Mitgliedstaat abweichende, insb. weitergehende Bedingungen für die Zulässigkeit von eigenen Ermittlungsbefugnissen der eigenen (also insofern) inländischen Bediensteten im Ausland ergänzt werden. Formal ließe sich zunächst argumentieren, dass diese Erfordernisse für die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen nach § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG keine Bedeutung hätten. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass für eigene Ermittlungsbefugnisse nach § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG nur befugte Bedienstete i.S.d. Abs. 1 in Betracht kommen. Ob die Bediensteten befugt sind oder nicht, richtet sich aber nicht nach dem Recht des Staates, in den sie entsandt werden, sondern nach den jeweiligen innerstaatlichen Befugnisnormen des Entsendestaats.276 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man auch über den entsprechend anzuwendenden § 114 AO,277 wonach sich die Zulässigkeit einer Amtshilfemaßnahme nach dem für die ersuchende Finanzbehörde, die Durchführung der Amtshilfe nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht richtet. Hängt die Befugnis der Bediensteten des anderen Mitgliedstaats von weiteren Voraussetzungen ab, so müssen diese Bestimmungen folglich auch für die rechtmäßige Einräumung von Prüfungsbefugnissen nach § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG erfüllt sein. (b) Umfang der Ermittlungsbefugnisse Der Umfang der Ermittlungsbefugnisse der Bediensteten des anderen Mitgliedstaats wird durch § 10 Abs. 3 EUAHiG selbst, das maßgebliche deutsche steuerliche Verfahrensrecht278 und die von den Mitgliedstaaten im jeweiligen Fall getroffene Vereinbarung begrenzt. Ebenso wie Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL ist auch § 10 Abs. 3 EUAHiG so zu verstehen, dass sich der Umfang des Befragungsrechts nach den Vorschriften des Staates richtet, in dem die behördlichen Ermittlungen stattfinden. Wenn deutschen Bediensteten also Befragungsrechte zustehen, können sich auch die auslän275
Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 191. Vgl. dazu auch S. 274 ff. 277 Vgl. Thomas Eisgruber, in: RIW 2017, 6 (7). 278 Zur Maßgeblichkeit des jeweiligen innerstaatlichen Verfahrensrechts sei verwiesen auf S. 294. 276
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dischen Prüfer darauf berufen, soweit die o.g. Voraussetzungen erfüllt sind. Zu beachten ist außerdem, dass bei der Befragung auch deutsche Bedienstete zugegen sein müssen und die fortbestehende Bindung an das nationale (Verfassungs-)Recht des Entsendestaates die Befragungsrechte der Bediensteten der ausländischen Behörde zusätzlich beschränken kann. Dem begrifflichen Unterschied zwischen Einzelpersonen (Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-AHiRL) und Personen (§ 10 Abs. 3 EUAHiG) kommt indes keine Bedeutung zu. Der Begriff der Aufzeichnung ist weit zu verstehen und erfasst alle Unterlagen, die sich auch inländische Prüfer vorlegen lassen dürfen. Bei Außenprüfungen also entsprechend § 200 Abs. 1 S. 2 AO neben Aufzeichnungen i. e.S. des § 200 Abs. 1 S. 2 AO auch Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden des Steuerpflichtigen. (c) Bindung an nationales Verfahrensrecht und Beschränkung der Ermittlungsbefugnisse Für Prüfungshandlungen ausländischer Prüfer ist – den Ausführungen zu Art. 11 EU-AHiRL entsprechend279 – das deutsche Verfahrensrecht maßgeblich.280 Ein speziell auf die Einräumung von Prüfungsbefugnissen zugeschnittenes Regelungsregime kennt die Abgabenordnung nicht. Unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens der (über den Verweis des § 4 Abs. 1 EUAHiG) maßgeblichen §§ 117 Abs. 4, 114 Abs. 1 AO ist daher auf die Bestimmungen zu Außenprüfungen durch deutsche Finanzbehörden zurückzugreifen.281 Ihre Voraussetzungen und Einschränkungen gelten auch für die Maßnahmen, die die ausländischen Prüfer ergreifen. Einschränkungen im Vergleich zu den Ermittlungsbefugnissen der deutschen Finanzbehörden können sich aber aus der gemeinsamen Vereinbarung oder den seitens der deutschen Finanzbehörde festgesetzten Bedingungen nach § 10 Abs. 1 EUAHiG ergeben. Ein Weisungsrecht gegenüber den ausländischen Bediensteten haben die deutschen Finanzbeamten innerhalb der eingeräumten Befugnisse grds. nicht. Ob die Bediensteten der ausländischen Behörde daneben Vorgaben des eigenen Verfahrensrechts zu beachten haben und die Ermittlungsbefugnisse dadurch weiter beschränkt werden, hängt nicht von der deutschen Rechtsordnung ab, sondern von der des entsendenden Staates. (d) Folgen der Weigerung zur Mitwirkung § 10 Abs. 3 S. 3 EUAHiG ordnet an, dass die Verweigerung der Mitwirkung einem ausländischen Bediensteten gegenüber als Mitwirkungsverweigerung gegenüber einem inländischen Bediensteten gilt. § 10 Abs. 3. S. 3 EUAHiG betrifft nicht den Fall der Verweigerung der nach § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG erforderlichen 279 280 281
Vgl. dazu S. 294. Vgl. Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (275). Vgl. Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (275).
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Zustimmung.282 Systematisch ergibt eine reductio ad absurdum, dass nicht einerseits nach § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG die Zustimmung erforderlich sein kann und andererseits zugleich an die Verweigerung dieser Zustimmung negative Rechtsfolgen – wie die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörden – geknüpft werden. Dass die Verweigerung der Zustimmung nicht gemeint sein kann, ergibt auch ein Vergleich mit der EU-Amtshilferichtlinie. Diese ordnet die gleichen Rechtsfolgen an, kennt aber kein Zustimmungserfordernis. Die grammatischen Unterschiede zwischen EUAmtshilferichtlinie und EUAHiG stehen diesem Ergebnis wegen ihrer bloß sprachlichen Natur nicht entgegen. Im Ergebnis wird § 10 Abs. 3 S. 3 EUAHiG daher erst relevant, wenn die betroffene Person zwar zunächst § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG entsprechend zugestimmt hat, anschließend aber ihrer Mitwirkungspflicht nach § 90 AO nicht nachkommt.283 Bei einer Weigerung kann die Erfüllung der Mitwirkungspflichten gem. §§ 328, 329 AO erzwungen werden.284 Die Weigerung zur Mitwirkung stellt grds. aber auch einen Schätzungsanlass dar.285 Im (nationalen) Regelfall verzichten die Finanzbehörde (regelmäßig) auf die Durchsetzung ihres Mitwirkungsanspruchs und machen von § 162 AO Gebrauch.286 Dieser Grundsatz lässt sich aber nicht ohne weiteres auf die Situation der Verweigerung der Mitwirkung gegenüber ausländischen Bediensteten übertragen. In der Sache ist diesen nicht geholfen, wenn die deutschen Behörden von ihrer Schätzungsbefugnis Gebrauch machen. Praktisch wird daher vielmehr auf den Einsatz von Zwangsmitteln nach §§ 328, 329 AO zurückzugreifen sein. Der Regelung des § 10 Abs. 3 S. 3 EUAHiG wird vor diesem Hintergrund eine erhebliche verhaltenssteuernde Wirkung zukommen. cc) Zusammenfassung Die EU-Amtshilferichtlinie und ihre Umsetzung durch das EUAHiG ermöglichen die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten ausländischer Bediensteter als Teilelemente gemeinsamer Betriebsprüfungen innerhalb der Europäischen Union. Damit die deutschen Behörden zur Rechteeinräumung berechtigt sind, müssen auch die über den Art. 11 EU-AHiRL hinausgehenden Voraussetzungen des § 10 EUAHiG erfüllt sein. Die Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnisse richten sich in concreto nach den Bestimmungen der Abgabenordnung, der gemeinsamen Vereinbarung und den von den deutschen Finanzbehörden festgesetzten Voraussetzungen, können darüber hinaus aber auch durch das Verfahrensrecht des entsendenden Staates beschränkt sein. 282 283 284 285 286
Vgl. Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 191, 193. Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 193. Reinhart Rüsken, in: Klein, § 200 AO, Rn. 1a. Vgl. Gudio Zöllner, in: Koenig, § 117 AO, Rn. 65. Reinhart Rüsken, in: Klein, § 200 AO, Rn. 1a.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
f) § 117 Abs. 3 AO Ohne eigene zwischenstaatliche Rechtsgrundlage steht zur Einräumung von Anwesenheits- und eigenen Prüfungsrechten grds. auch die Anwendung der Vorschriften über die Amtshilfe aus Kulanz (§ 117 Abs. 3 AO) in Frage. Jede Form der Mitwirkung ausländischer Bediensteter an der innerstaatlichen Durchführung zwischenstaatlicher Auskunftsersuchen – und das ist bereits die Anwesenheit mit eigener Wahrnehmungsmöglichkeit – bedarf einer den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots genügenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.287 Gerade weil der Wortlaut des § 117 Abs. 3 AO mit dem Begriffspaar der „Rechts- und Amtshilfe“ noch offener als der Wortlaut der an Art. 26 OECD-MA orientierten Doppelbesteuerungsabkommen288 ist, sollte § 117 Abs. 3 AO restriktiv ausgelegt werden. Eine extensive Auslegung, die auch die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen zugunsten ausländischer Bediensteter erfasst, wird kaum mit den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen in Einklang zu bringen sein. Daher dürfen die Bediensteten der ersuchenden ausländischen Behörde auf Grundlage des § 117 Abs. 3 AO weder selbständig Ermittlungen im Inland durchführen, noch an innerstaatlichen Durchführungsmaßnahmen mitwirken bzw. teilnehmen oder Kontakte mit inländischen Betroffenen aufnehmen.289 g) Zusammenfassung Als Rechtsgrundlagen für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten sind die Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA-InfoAust und vor allem § 10 EUAHiG geeignet. Zumindest für die Einräumung von Anwesenheitsrechten kann auch Art. 9 AHiÜ herangezogen werden, insofern kommen auch die überwiegend noch aus der Zeit des Deutschen Reichs stammenden Abkommen zum Informationsaustausch in Betracht. 2. Deutsche Prüfer im Ausland Sollen deutsche Prüfer im Ausland tätig werden, muss auch dieses Tätigwerden von einer Rechtsgrundlage gedeckt sein, weil mit der Prüfung Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen verbunden sind.290 Wegen des mit der unmittelbaren Informationserlangung verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des von der Ermittlungsmaßnahme Betroffenen bezieht sich das nicht nur auf die eigenständige Vornahme von Prüfungshandlungen, sondern auch auf die bloß passive Anwesenheit bei Prüfungshandlungen durch die Bediensteten des 287
Dazu S. 252 f. Dazu S. 260 ff. 289 So im Ergebnis auch Hartmut Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 117 AO, Rn. 156. 290 Vgl. S. 251 ff.; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (545 f.); Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (570). 288
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Staates auf dessen Gebiet die Prüfung stattfindet. Aus dieser Perspektive erübrigt sich bei der Untersuchung der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen für die Anwesenheit und eigene Ermittlungen der Bediensteten deutscher Behörden im Ausland auch eine grundlegende Differenzierung zwischen diesen beiden einzelnen Elementen gemeinsamer Betriebsprüfungen. a) Doppelbesteuerungsabkommen Aus denselben Gründen wie bei der Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten Bediensteter ausländischer Behörden,291 scheiden Art. 26 OECD-MA nachempfundene Abkommensartikel mangels verfassungsrechtlicher Bestimmtheit als Rechtsgrundlage für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten Bediensteter deutscher Behörden aus. b) Informationsaustauschabkommen Eine spezielle Regelung sowohl für die Einräumung von Anwesenheits- als auch von Ermittlungsrechten enthalten hingegen die an Art. 6 OECD-MA-InfoAust292 angelehnten Informationsaustauschabkommen. Soweit zugunsten deutscher Bediensteter auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1, 3 OECD-MA-InfoAust Anwesenheitsund Ermittlungsrechte wirksam gestattet werden,293 bilden die Abkommensartikel aus deutscher Perspektive eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage sowohl für die Anwesenheit deutscher Bediensteter bei Ermittlungen der Finanzverwaltung des ersuchten Staates als auch für eigenständige oder begleitende Ermittlungen im nach Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust vorgesehenen Umfang.294 c) Abkommen über die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen Auch die in vom OECD-MA-InfoAust abweichenden Abkommen295 über die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen enthaltenen Bestimmungen zur Anwesenheit ausländischer Bediensteter können für die Entsendung deutscher Bediensteter in den anderen Vertragsstaat herangezogen werden. Wie bei den Abkommen nach dem Vorbild des OECD-MA-InfoAust können deutsche Prüfer ihre Anwesenheit bei Ermittlungen im anderen Vertragsstaat auf die entsprechenden Abkommensartikel
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Vgl. dazu ausführlich S. 260 ff. Vgl. ausführlich zu diesen Abkommen bereits S. 263 ff. 293 Insb. also ein Ersuchen an die zuständige Behörde des Staates gestellt wurde, in dem die Ermittlungen stattfinden sollen und die betroffene Person ihre schriftliche Einwilligung gibt. 294 Vgl. Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (541 ff.; 557 f.). 295 Vgl. zu diesen Abkommen bereits auf S. 266 ff. 292
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
stützen, soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind. Als Rechtsgrundlage für eigene Ermittlungshandlungen im Ausland sind die Abkommen indes nicht tauglich.296 d) Amtshilfeübereinkommen Auch der Inhalt des Art. 9 AHiÜ kann unter den dort normierten Voraussetzungen297 für die Entsendung deutscher Bediensteter in das Gebiet des anderen Vertragsstaats als Rechtsgrundlage für die mit der Entsendung verbundenen Eingriffe herangezogen werden. Die Reichweite des Art. 9 AHiÜ ist indes auf die passive Präsenz bei Prüfungshandlungen der ersuchten Behörde beschränkt und erfasst – im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 OECD-MA-InfoAust – keine Befugnisse zu eigenen Ermittlungsmaßnahmen. e) EU-Amtshilferichtlinie aa) Art. 11 EU-AHiRL Wie auch die bi- und multilateralen Abkommen ist Art. 11 EU-AHiRL298 offen formuliert, sodass die Voraussetzungen für die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten zugunsten ausländischer Bediensteter vice versa auch für die Einräumung zugunsten deutscher Bediensteter im EU-Ausland gelten. bb) §§ 10, 11 EUAHiG Anders verhält es sich jedoch bei dem richtlinienumsetzenden deutschen EUAmtshilfegesetz. Der Gesetzgeber hat sich gegen eine dem Art. 11 EU-AHiRL entsprechende offene Formulierung des § 10 EUAHiG entschieden und darin stattdessen ausdrücklich nur die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten Bediensteter anderer Mitgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland adressiert. Die inverse Situation wird in § 11 EUAHiG geregelt. § 11 S. 2 EUAHiG ordnet an, dass § 10 EUAHiG sinngemäß auch für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten inländischer Bediensteter in anderen Mitgliedstaaten gilt. Während die Artikel bi- und multilateraler Abkommen für alle Vertragsstaaten die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen normieren und weitergehende Bedingungen des innerstaatlichen Rechts nur dann die andere Behörde treffen, wenn die Bedingungen in den Tatbestandsvoraussetzungen der Abkommensvorschrift mittelbar (bspw. über das Erfordernis der Gestattung) inkorporiert sind, müssen wegen der sinngemäßen Geltung des § 10 EUAHiG die innerstaatlichen Voraussetzungen 296 297 298
Ausführlich dazu S. 269 f. Vgl. dazu bereits S. 271. Siehe dazu S. 272 ff.
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für eine Gestattung zugunsten eines Mitgliedstaats grds. auch im umgekehrten Fall erfüllt sein. Dieser auf den ersten Blick naheliegende Gleichlauf zwänge dem ersuchten Mitgliedstaat allerdings auf, im Rahmen der völkerrechtlichen Gestattung auch diejenigen Voraussetzungen des § 10 EUAHiG zu erfüllen, die in der eigenen Rechtsgrundlage nicht vorgesehen sind.299 Konkret müssten die ausländischen Behörden dann auch die Zustimmung des Steuerpflichtigen einholen (§ 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG),300 wenn die ausländische Rechtsordnung dies gar nicht erfordert. Das gleiche gilt für das Erfordernis des Beiseins der Bediensteten der inländischen Behörde bei Ermittlungstätigkeiten ausländischer Bediensteter.301 Im Anwendungsbereich des § 11 EUAHiG würden die Anforderungen für Ermittlungen auf dem Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaats letztlich höher ausfallen als in den Fällen, in denen eine bi- bzw. multilaterale oder gar keine Rechtsgrundlage zur Verfügung steht.302 Ein solches Aufzwingen innerstaatlicher Vorschriften, das die Durchführung von Prüfungshandlungen im Ausland dem Sinn und Zweck des EUAHiG widersprechend erschwert, kann jedoch vom Gesetzgeber kaum gewollt sein. Obgleich eine richtlinienkonforme Auslegung bei fakultativen Sekundärrecht nur eingeschränkt möglich ist,303 lässt sich nicht von der Hand weisen, dass eine wortgleiche Übertragung der Anforderungen des § 10 EUAHiG auf die umgekehrten Fälle dem Harmonisierungsziel der Amtshilferichtlinie massiv entgegenstünde. Diesen Bedenken lässt sich durch eine eingeschränkte Anwendung des § 10 EUAHiG im Anwendungsbereich des § 11 EUAHiG Rechnung tragen. Anknüpfungspunkt dafür kann unter Berücksichtigung auch der Erwägungen des Richtliniengebers sowohl eine systematisch-teleologische Auslegung des Normengefüges der §§ 10, 11 EUAHiG als auch des Begriffs „sinngemäß“ in § 11 S. 2 EUAHiG sein. Jedenfalls ist im Ergebnis Abstand zu nehmen von der Übertragung der innerstaatlichen Voraussetzungen auf Gestattungen seitens anderer Mitgliedstaaten, so dass es für die Beantwortung der Frage, inwieweit für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsbefugnissen im Ausland die Zustimmung des Steuer-
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Aus § 11 EUAHiG kann nicht geschlossen werden, dass in allen anderen Mitgliedstaaten eine dem § 10 Abs. 3 EUAHiG entsprechende Regelung besteht, Jörg Eimler, in: StbJb 2015/ 2016, S. 533 (560). 300 Eher fernliegend erscheint, die Zustimmung seitens des Steuerpflichtigen anstatt gegenüber den Behörden des anderen Mitgliedstaates gegenüber den deutschen Finanzbehörden zu fordern. Vgl. zur Auslegung des § 10 Abs. 3 S. 2 EUAHiG im Übrigen bereits S. 290 ff. 301 Vgl. zu diesem Unterschied zwischen der EUAHi-RL und dem EUAHiG bereits S. 290 ff. 302 Insofern sei verwiesen auf FG Rheinland-Pfalz v. 17. September 1992, 4 K 1921/90, EFG 1993, 127, vgl. auch S. 251 ff. 303 Vgl. Jörg Weberndörfer, Rechtsvergleich Deutschland – Vereinigtes Königreich, S. 53 ff. m.w.N.
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pflichtigen notwendig ist, allein auf das nationale Recht des anderen Mitgliedstaates ankommt.304 Ein weiterer Unterschied gegenüber der Prüfung im Ausland ergibt sich aus § 10 S. 1 EUAHiG. Demnach können deutsche Bedienstete nur dann in andere Mitgliedstaaten entsandt werden, wenn die Komplexität des zugrundeliegenden Ersuchens dies erfordert. Allzu hohe Anforderungen werden an den Begriff der Komplexität nicht zu stellen sein, um dem Sinn und Zweck der §§ 10, 11 EUAHiG nicht zuwiderzulaufen. Er kann daher nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu verstehen sein, sodass auch rechtlich einfache, aber umfangreiche Ersuchen für die Entsendung deutscher Bediensteter ins Ausland genügen. Komplexität ist jedenfalls dann gegeben, wenn ohne Anwesenheit des deutschen Bediensteten die Beantwortung des Ersuchens erschwert wird.305 Allerdings kommt eine Entsendung dann grds. nicht in Betracht, wenn das Ersuchen nur einen übersichtlichen und rechtlich einfachen Fall erfasst, der den mit der Entsendung verbundenen erheblichen Aufwand nicht zu rechtfertigen vermag. Obschon die deutschen Bediensteten sich bei Anwesenheit oder Ermittlungen im Ausland an das dort herrschende Verfahrensrecht halten müssen, ist zu beachten, dass sie sich keiner Ermittlungsmaßnahmen bedienen dürfen, die ihnen im Inland nicht zustünden (Verbot des Befugnis-Shoppings).306 f) § 117 Abs. 1 AO Sind die Voraussetzungen einer der zuvor skizzierten spezifischen Rechtsgrundlage nicht erfüllt, kommt ein Rückgriff auf § 117 AO in Betracht, weil die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe nach § 117 Abs. 1 AO tatbestandlich nicht an den Bestand einer weiteren Rechtsgrundlage anknüpft.307 Deutsche Finanzbehörden können Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts grds. auch dann in Anspruch nehmen, wenn diesbezüglich keine andere ausdrückliche Regelung – bspw. durch einen völkerrechtlichen Vertrag – besteht. Mit Blick auf die Gewährung von Anwesenheits- und insb. von Prüfungsbefugnissen ist allerdings zu überlegen, ob diese überhaupt noch vom Begriff der Amtshilfe i.S.d. § 117 Abs. 1 AO erfasst sind. Einerseits ließe sich vorbringen, dass der Wortlaut der Amtshilfe eine Hilfeleistung einer anderen Behörde voraussetzt, an der es bei eigenen Ermittlungsmaßnahmen, aber auch bei der bloß passiven Anwesenheit wegen der eigenen Wahrnehmung von Informationen fehlen könnte. Insofern ließen 304 So im Ergebnis wohl auch BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/20016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4. 305 Bernd Rätke, in: Klein, § 117 AO, Rn. 200. 306 Vgl. zum Befugnis-Shopping bereits auf S. 152 f. 307 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (546); Michael Hendricks, in: Beermann/ Gosch, § 117 AO, Rn. 60; ders., in: Festschrift für Wassermeyer, 565 (570).
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sich zum Begriff der Auskunft bei Art. 26 OECD-MA Parallelen ziehen. Allerdings ist bei der Auslegung des Begriffs der Amtshilfe i.S.d. § 117 Abs. 1 AO zu berücksichtigen, dass eine Hilfeleistung sprachlich fremde Ermittlungen nicht zwangsläufig voraussetzt. Eine Hilfeleistung kann vielmehr gerade auch in der Unterstützung eigener Bemühungen liegen. Hilfeleistung i.S.d. § 117 Abs. 1 AO kann daher auch die Einräumung von Anwesenheits- oder Prüfungsrechten zugunsten deutscher Bediensteter erfassen. Damit kann die Anwesenheit und Durchführung von Prüfungshandlungen deutscher Bediensteter im Ausland auch allein auf § 117 Abs. 1 AO gestützt werden,308 soweit die Einräumung der entsprechenden Befugnisse völkerrechtlich zulässig erfolgt. Aufgrund der Maßgeblichkeit deutschen Rechts müssen aber die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Halbs. 1 AO erfüllt sein, wonach sich die Zulässigkeit der Maßnahme, die durch die Amtshilfe verwirklicht werden soll, nach dem für die ersuchende Finanzbehörde geltenden Recht richtet. Für die deutschen Finanzbehörden richtet sich die Zulässigkeit von Außenprüfungen nach §§ 193 ff. AO.309 Die Geltung deutscher Rechtsvorschriften ist territorial grds. nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt.310 Ob eine territoriale Begrenzung auf das deutsche Staatsgebiet vorliegt, ist vielmehr eine Frage der Auslegung.311 Der Wortlaut des § 193 AO bietet jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass Außenprüfungen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschränken sind. Zwar wird der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 193 AO den Fall einer Außenprüfung im Inland vor Augen gehabt haben, eine grds. Beschränkung ergibt sich daraus dennoch nicht. Indes ist § 193 AO deswegen kaum teleologisch darauf zu reduzieren, dass Prüfungen im Ausland grds. ausgeschlossen wären. § 193 AO ist vielmehr so auszulegen, dass danach Außenprüfungen auf fremden Staatsgebiet auch dann erlaubt sind, wenn diese völkerrechtlich wirksam gestattet wurden. Weil solche Prüfungen auch gänzlich ohne die Beteiligung ausländischer Finanzbehörden zulässig sind,312 ist es nur konsequent, wenn deutsche Prüfer im Ausland auf der Grundlage des § 193 AO auch in die Prüfungsvorgänge der dortigen Finanzbehörden mit Anwesenheits- und Prüfungsrechten integriert werden können. Soweit also die Voraussetzungen des § 193 AO erfüllt sind, können Bedienstete deutscher Finanzbehörden mit völkerrechtlich wirksamer Gestattung bei Außenprüfungen im Ausland zugegen sein und selbst Prüfungshandlungen vornehmen. Die Ausübung der durch einen anderen Staat eingeräumten Anwesenheits- und Prü308 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (546); Michael Hendricks, in: Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA-InfoAust, Rn. 26; ders., in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (570). 309 Vgl. dazu bereits S. 49 ff., 252 f. 310 Walter Rudolf, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 11 (1973), S. 7 (13 ff.); Klaus Vogel, Der ra¨ umliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 148 ff.; Christian Walter, in: Handbuch des Staatsrechts, § 237, Rn. 47. 311 Stefan Talmon, in: NZWehrR 1997, 221 (227 f.); Christian Walter, in: Handbuch des Staatsrechts, § 237, Rn. 47. 312 Vgl. dazu bereits S. 251 ff.
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fungsbefugnisse kommt demnach aber nur bei in Deutschland steuerpflichtigen Personen in Betracht. Kein Steuerpflichtiger i.S.d. § 193 AO ist derjenige, der bestimmte Mitwirkungs- und Duldungspflichten nicht in eigener, sondern in fremder Steuersache zu erfüllen hat. Auf Grundlage des § 117 Abs. 1 AO kommt die Anwesenheit deutscher Prüfer bei Prüfungen im Ausland dann ebenso wenig in Betracht wie die Einräumung eigener Ermittlungsbefugnisse. In diesen Fällen bedarf es vielmehr über den § 117 Abs. 1 AO hinaus einer spezifischen Rechtsgrundlage, die den deutschen Bediensteten die Anwesenheit und Vornahme von Prüfungshandlungen bei Prüfungen im Ausland erlaubt. Letztlich ist § 117 Abs. 1 AO i.V.m. § 193 ff. AO immer dann als Rechtsgrundlage für die Einräumung von Ermittlungs- und Anwesenheitsrechten zugunsten Bediensteter deutscher Behörden geeignet, wenn nicht eine speziellere Rechtsgrundlage einschlägig ist und ein in Deutschland Steuerpflichtiger geprüft werden soll. In diesen Fällen kommen, anders als in der vice versa Situation einer Außenprüfung unter Beteiligung ausländischer Behörden in Deutschland, auch keine Bedenken hinsichtlich der erforderlichen Normenklarheit auf. In Deutschland Steuerpflichtige sind unabhängig von dem Ort ihrer Tätigkeit Adressaten der §§ 193 ff. AO. Dass eine Außenprüfung nur mit Gestattung des anderen Staates völker- und damit auch verfassungsrechtlich zulässig ist, vermag an diesem Befund nichts zu ändern.313 g) Zusammenfassung Ebenso wie bei alleinigen Außenprüfungen im Ausland kann für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten von Bediensteten deutscher Finanzbehörden auf § 117 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 193 ff. AO zurückgegriffen werden. Ist die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten im Ausland allerdings in einer speziellen Rechtsgrundlage geregelt, sind die darin enthaltenen Vorgaben zwingend zu beachten. 3. Prüfungstätigkeit im In- und Ausland Die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen ist bei allen untersuchten Rechtsgrundlagen als Sonderform der Informationshilfe von einem entsprechenden Ersuchen abhängig. Deshalb beschränken sich gemeinsame Prüfungstätigkeiten im Ausgangspunkt auf solche im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates. Sollen Prüfungen zu einem Themenkomplex oder Zeitabschnitt auch im ersuchenden Staat stattfinden, müssen dafür die Voraussetzungen der für den umgekehrten Fall zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlage vice versa erfüllt sein. Insb. bedarf es also eines Informationsersuchens auch seitens des anderen Staates. Der 313 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedingungen von Außenprüfungen im Ausland bereits S. 251 ff.
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ursprünglich ersuchte Staat muss also seinerseits ein Informationsgesuch an den ersuchenden Staat richten, wenn die gemeinsame Prüfungstätigkeit zugleich auf dessen Hoheitsgebiet stattfinden soll. Auch dieses Informationsgesuch muss die Voraussetzungen der jeweils herangezogenen Rechtsgrundlage und des übrigen innerstaatlichen Rechts erfüllen. Bei Auskunftsersuchen seitens deutscher Behörden müssen die ersuchten Auskünfte zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sein, was der Fall ist, wenn die deutschen Finanzbehörden die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde, wenn die Ermittlung im Inland für den Beteiligten weniger eingriffsintensiv ist oder, wenn sich das Beweismittel in der Einwirkungssphäre der ersuchten Behörde befindet.314 Diese Voraussetzungen werden allerdings für die besonders für gemeinsame Ermittlungen geeigneten Sachverhalte wie Verrechnungspreisfälle regelmäßig erfüllt sein, sodass in der Erforderlichkeit des Informationsersuchens selten ein Hindernis zu finden sein wird. In praktischer Hinsicht wird das Ersuchen möglichst weit zu fassen sein, um Probleme bei der Verwertbarkeit der erlangten Informationen gar nicht erst aufkommen zu lassen.315 Da es formalrechtlich bei zwei getrennten Betriebsprüfungen auf dem jeweiligen Hoheitsgebiet des Staates bleibt, bedarf es einer inhaltlichen und zeitlichen Koordination der beiden Prüfungen. Insofern kann, soweit überhaupt erforderlich,316 auf die Rechtsgrundlagen für Simultanprüfungen zurückgegriffen werden.
V. Direkter Informationsaustausch Neben der Möglichkeit, selbst unmittelbar Erkenntnisse durch Beobachtung fremder Ermittlungen oder eigene Ermittlungshandlungen beiderseits der Grenze zu gewinnen, ist der Austausch gewonnener Informationen zwischen den in- und ausländischen Bediensteten der prüfenden Behörden ein wesentlicher Bestandteil gemeinsamer Betriebsprüfungen.317 Damit dieser ohne Umwege direkt zwischen den beteiligten Prüfern stattfinden kann, müssen die an den Prüfungsvorgängen beteiligten Bediensteten der Finanzbehörden für den Zweck des Informationsaustausches jeweils mit dem Status der zuständigen Behörde i.S.d. konkret für den Informationsaustausch heranzuziehenden Rechtsgrundlage ausgestattet werden. In der Bundesrepublik kann das zuständige BZSt mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde die Befugnis zum Informationsaustausch mit den zuständigen ausländischen Finanzbehörden auf eine der obersten Landesfinanzbehörde nach-
314
Vgl. dazu bereits S. 151 ff. Vgl. dazu bereits S. 276 ff. 316 Vgl. zum Erfordernis einer spezifischen Rechtsgrundlage für die Koordination von Betriebsprüfungen S. 186 ff. 317 Vgl. Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (539). 315
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geordneten Behörde, letztlich also die am Prüfungsprozess unmittelbar beteiligten Finanzämter, übertragen.318 Die Möglichkeiten zum direkten Informationsaustausch sind – soweit den an der Prüfung beteiligten Prüfern beider Staaten die Ausübung der Funktion als zuständige Behörde eingeräumt wurde – indes nicht auf den Informationsaustausch auf Ersuchen beschränkt.319 Wenngleich ein Informationsersuchen bei den meisten Rechtsgrundlagen Voraussetzung und Zweck der Einräumung von Anwesenheits- oder Prüfungsrechten ist, ergeben sich daraus keine Beschränkungen hinsichtlich eines unmittelbaren Informationsaustausches zwischen den Beteiligten, der nicht zur „Erfüllung“ des der Rechteeinräumung zugrundeliegenden Ersuchens, sondern bei dessen Gelegenheit erfolgt. Der Informationsaustausch ist nicht auf den Zeitraum der Vornahme von Prüfungshandlungen beschränkt, sondern kann – soweit die Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsgrundlage dafür erfüllt sind – auch vor und nach den eigentlichen Prüfungen stattfinden.320
VI. Austausch über Rechtslagen und Bewertungsmaßstäbe Gemeinsame Betriebsprüfungen bieten aber auch über den Einzelfall hinaus die Möglichkeit, ein gegenseitiges Verständnis für verfahrensrechtliche und materiellrechtliche Unterschiede in den an der Prüfung beteiligten Staaten zu entwickeln. Die Prüfung muss also nicht mit der gemeinsamen Informationsbeschaffung und einem flankierenden Informationsaustausch enden. Sie kann vielmehr auch Raum bieten für den Austausch über die Rechtslagen und Bewertungsmaßstäbe der beteiligten Staaten. Vor allem aus dem unmittelbaren Kontakt in konkreten Arbeitseinsätzen können die beteiligten Prüfer ein tiefgreifendes Verständnis für die fremde Steuerrechtsordnung entwickeln.321 Soweit dieser Austausch zwar möglicherweise aus Anlass des konkreten Prüfungsfalls, aber nicht zu dessen Lösung (also zur Sachverhaltsbewertung im Einzelfall) stattfindet, werden die Rechte des Betroffenen nicht tangiert. Mangels grundrechtlicher Dimension bedarf ein solcher Austausch über Rechtslagen und Bewertungsmaßstäbe aus deutscher Perspektive keiner gesonderten Rechtsgrundlage.322
318 Matthias Gehm, in: IWB 2017, 229 (233); vgl. dazu auch S. 176 ff. und BMF v. 23. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/10004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 1.5.1.2. 319 Dazu, dass sich eine solche Beschränkung des Informationsaustausches auch im Anwendungsbereich der §§ 10, 11 EUAHiG nicht ergibt, vgl. bereits S. 289 f. 320 Vgl. Matthias Gehm, in: IWB 2017, 229 (233). 321 Vgl. Eva Oertel/Michael Merx/Ellen Reimann, in: ISR 2015, 153 (154). 322 Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595).
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VII. Verständigung über Sachverhalt und Rechtsfolgen Gemeinsame Betriebsprüfungen sollen nicht nur der wechselseitigen Informationsgewinnung und dem -austausch dienen, sondern auch dazu beitragen, dass die Besteuerung in den beteiligten Staaten aufeinander abgestimmt wird, um Doppelbesteuerung und doppelte Nichtbesteuerung zu verhindern.323 Zunächst bedarf es dafür der einvernehmlichen Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in allen beteiligten Steuerjurisdiktionen, aus denen die nationalen Finanzbehörden ihre rechtlichen Schlüsse anhand des eigenen nationalen Steuerrechts ziehen können.324 Indes ist das materielle Steuerrecht der Staaten nicht in jedem Fall derart aufeinander abgestimmt, dass (abkommenswidrige) Doppelbesteuerungen und doppelte Nichtbesteuerungen allein mit einer einheitlichen Sachverhaltsfeststellung ausgeschlossen werden könnten,325 sodass der Blick zugleich auf die Sachverhaltsbewertungs- oder Subsumtionsebene zu richten ist.326 Bei gemeinsamen Betriebsprüfungen sollten sich die Finanzbehörden daher bemühen, ein gemeinsames Ergebnis als Grundlage für eine beiderseits der Grenze abgestimmte steuerliche Behandlung des geprüften grenzüberschreitenden Sachverhalts zu erarbeiten,327 obschon ein Einigungszwang auf keiner der beiden Ebenen besteht.328 Dennoch erscheint insb. in Anbetracht der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung fraglich, in welchem Umfang Abstimmungen über Sachverhaltsfeststellungen und -bewertungen innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens erfolgen können. 1. Prüfungsbegleitende Verständigungen Bei der gemeinsamen Prüfungstätigkeit und dem flankierenden Informationsaustausch können sich die Bediensteten der Finanzbehörden jedenfalls auch über die nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung in Betracht kommenden tatsächlichen und rechtlichen Bewertungen des Sachverhalts austauschen. In der zwischen den 323
Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (600); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595). Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (629); Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (8). 325 Vgl. Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (283). 326 Vgl. dazu bereits vor 20 Jahren Berndt Runge, in: Forum der internationalen Besteuerung, Band 10, S. 85 (86 f.); vgl. auch Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (85); vgl. Matthias Gehm, in: IWB 2017, 229 (234); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595). 327 Vgl. Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (534); vgl. Roman Seer, in: Tipke/Kruse, Vorb. §§ 193 – 203 AO, Rn. 45; vgl. Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595). 328 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (572); Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (8); a.A. anscheinend Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57), die argumentieren, dass ein „Abschluss des Joint Audit […] nur möglich [ist], wenn eine solche Verständigung gefunden wird.“ 324
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
beteiligten Staaten vertieften freiwilligen Kooperation und der (jedenfalls bei Prüfungshandlungen in Deutschland) erteilten Zustimmung des Steuerpflichtigen kommt zumindest der Wille der Beteiligten zum Ausdruck, den Fall der gemeinsamen Betriebsprüfung kooperativ zu lösen,329 sodass grds. auch eine Diskussion über die rechtliche Bewertung des Falls zu erwarten ist.330 Auf Basis der ausgetauschten und gemeinsam ermittelten Informationen sowie der ersten rechtlichen Einordnung des Sachverhalts können gemeinsame Lösungsansätze in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht formuliert werden,331 die allerdings vom jeweiligen nationalen Steuerrecht332 und den einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen gedeckt sein müssen. Soweit der Austausch der Informationen von den für den Informationsaustausch zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlagen erfasst ist und die in Betracht gezogenen Lösungsansätze mit dem nationalen materiellen Steuerrecht vereinbar sind, ist nicht ersichtlich, weshalb es für diesen Weg der unmittelbaren Verständigung über die Sachverhaltsfeststellungen und deren Rechtsfolgen einer spezifischen Rechtsgrundlage bedürfen sollte.333 Praktisch kommt unter Beachtung des Steuergeheimnisses auch die Hinzuziehung eines externen Mediators in Betracht, der zwischen den beteiligten Finanzverwaltungen eine Vermittlerrolle einnehmen kann.334 In dieser Form der prüfungsbegleitenden Verständigung ist kein Verständigungsverfahren im technischen Sinne (insb. Art. 25 OECD-MA)335 zu sehen,336 sodass die erzielte Einigung in Bezug auf die ertragsteuerliche Behandlung im jeweiligen Staat keine rechtlich verbindliche Verständigung darstellt.337
329 Ein gemeinsames Ergebnis zur Behandlung des jeweiligen Sachverhalts soll auch ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 12 Abs. 5 EUAHiG angestrebt werden, BT-Drs. 17/ 10000, S. 49. 330 Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (629); Andreas Oestreicher, in: Gesammelte Positionen zu Advanced Pricing Agreements und Gemeinsamer Außenprüfung, S. 38. 331 Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (8). 332 Wegen des Prinzips der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung können jedenfalls in Deutschland keine von den Vorgaben des materiellen Steuerrechts abweichenden Vereinbarungen getroffen werden, vgl. Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (283). 333 Offenbar a.A. aber ohne nähere Erläuterung Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (629). 334 Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (283 f.). 335 Vgl. zu Verständigungsverfahren S. 204 ff. 336 Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57); a.A. wohl Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); zu den Möglichkeiten eines Einigungszwangs vgl. S. 336 ff. 337 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 1.1; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (579, Fn. 161).
B. Rechtsrahmen
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2. Separates Verständigungsverfahren Gelingt keine einheitliche Feststellung oder Bewertung auf Ebene der an der Prüfung beteiligten Bediensteten der Finanzbehörden,338 steht dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach den dafür einschlägigen Vorschriften ebenso offen wie die Einleitung innerstaatlicher Rechtsbehelfe.339 Nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung kommt ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens bei gemeinsamen Betriebsprüfungen besonders dann in Betracht, wenn sich im Verlauf der gemeinsamen Außenprüfung konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine aus der Sicht des Steuerpflichtigen abkommenswidrige Besteuerung droht oder die aus Sicht der beteiligten Finanzbehörden zutreffende Besteuerung aus Sicht des Steuerpflichtigen eine abkommenswidrige Besteuerung darstellt.340 Gleiches gilt, wenn die aus Sicht der beteiligten Finanzbehörden zutreffende Besteuerung aus Sicht des Steuerpflichtigen dem DBA entspricht, eine der beteiligten Verwaltungen dies aber nicht in Steuerbescheiden umsetzt oder es in den gemeinsamen steuerlichen Außenprüfungen schon nicht gelingt, den Sachverhalt einvernehmlich festzustellen.341 Ein Verständigungsverfahren kann auch in Betracht kommen, wenn in den gemeinsamen steuerlichen Außenprüfungen keine gemeinsame Sichtweise der beteiligten Prüfer erreicht wird, welche Besteuerung dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen entspricht.342 Wird der Steuerpflichtige seitens der Prüfer frühzeitig in Kenntnis gesetzt, kann dieser nach den einschlägigen Vorschriften noch während der gemeinsamen Betriebsprüfung ein Verständigungsverfahren beantragen, das sich (unmittelbar) an die Prüfung anschließen kann. Für den Steuerpflichtigen ergibt sich dabei allerdings der Nachteil, dass er an den Verhandlungen im Rahmen des Verständigungsverfahrens nicht teilnehmen kann, weil Steuerpflichtige im Verständigungsverfahren keine Verfahrensbeteiligten sind.343
338 Das scheint aus praktischer Sicht jedoch bisher die Ausnahme zu sein, vgl. Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (91). 339 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (572 f.); Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (8); zu Rechtsschutzmöglichkeiten im Übrigen S. 316. 340 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5. 341 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5. 342 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5. 343 Vgl. Erich Spensberger/Roland Macho/Lisbeth Erichsen, in: ISR 2017, 261 (267).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
3. Integriertes Verständigungsverfahren Wird ein Verständigungsverfahren bereits im Rahmen der gemeinsamen Außenprüfung beantragt, liegt es aber auch im Rahmen des Möglichen, dass die prüfenden Finanzbehörden, die bereits mit dem Status der für den Informationsaustausch zuständigen Behörde ausgestattet wurden, diesen Status auch für die Durchführung eines Verständigungsverfahrens erhalten.344 Dann kann das formelle Verständigungsverfahren bereits in die gemeinsame Betriebsprüfung integriert werden, so dass ggf. (unmittelbar) nach der gemeinsamen Prüfung ein Schiedsverfahren eingeleitet werden kann. Findet das Verständigungsverfahren parallel zur Betriebsprüfung statt, wird der Steuerpflichtige zwar formell nicht Verfahrensbeteiligter, informell kann mit ihm jedoch vereinfacht Rücksprache gehalten werden.345 Nach der derzeitigen Verwaltungspraxis in der Bundesrepublik ist die Ausstattung der Prüfungsbehörden mit dem Status der für das Verständigungsverfahren zuständigen Behörde allerdings nicht zu erwarten.346 4. Wirkung für die Zukunft Wird im Rahmen der Prüfung eine Einigung sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Ebene erzielt, steht vor allem aus Sicht des Steuerpflichtigen auch die Frage im Raum, welche Wirkung dieser Einigung für die Zukunft zugemessen werden kann und welche rechtlichen Bedingungen insofern gelten. Aus der interadministrativen Einigung selbst ergibt sich jedenfalls keine unmittelbare Bindungswirkung für die Zukunft.347 Dennoch ist wie bei rein nationalen Betriebsprüfungen zu erwarten, dass sich die Prüfungsbehörden auch für die Zukunft an ihre eigenen Feststellungen gebunden fühlen oder die gefundenen Ergebnisse zumindest auch in den kommenden Jahren zur Grundlage weiterführender Überlegungen machen.348 Ein rechtlicher Anspruch des Steuerpflichtigen oder der beteiligten Staaten ergibt sich daraus jedoch nicht.
344 Das wird heute bereits zum Teil angenommen, vgl. Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602); Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57). 345 Auch bei isolierten Verständigungsverfahren ist es üblich, dass der Steuerpflichtige über den Fortgang, Stand und das Ergebnis des Verfahrens unterrichtet wird und ggf. aufgefordert wird, seine Auffassung zu den in dem Verfahren behandelten Fragen schriftlich oder mündlich zu erläutern; vgl. dazu auch S. 216 f. 346 Vgl. dazu die Verwaltungspraxis nach BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 4. 347 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (582). 348 Kirsten Rösel erläuterte in diesem Zusammenhang bei dem ersten International Tax Audit Forum München 2014 für das BZSt, dass alle im Joint Audit getroffenen Feststellungen ,based on trust‘ seien; vgl. Johannes Becker, in: ISR 2015, 104 (107).
B. Rechtsrahmen
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Dem Steuerpflichtigen steht es deshalb frei, bereits während oder nach einer gemeinsamen Außenprüfung zu Verrechnungspreisfragen ein Advance Pricing Agreement zu beantragen, soweit dies nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen möglich ist.349 Auch hier ermöglicht der bestehende Rechtsrahmen, dass den örtlichen Finanzbehörden der Status der zuständigen Behörde verliehen wird, wenngleich dies jedenfalls in der deutschen Verwaltungspraxis nach derzeitigem Stand nicht zu erwarten ist. Es kann sein, dass für das Advance Pricing Agreements über die im Rahmen der gemeinsamen Prüfung bekannt gewordenen Informationen weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind.350 Allerdings werden die Anforderungen im Regelfall gering sein, wenn für den Prüfungszeitraum der gemeinsamen steuerlichen Außenprüfungen der Sachverhalt bereits umfassend aufgeklärt ist,351 die Angemessenheit der Verrechnungspreise bereits hinreichend dokumentiert ist und für den von der beantragten Vorabverständigung umfassten Zeitraum keine wesentliche Änderung zu erwarten ist.352 Auch im Übrigen sind Bedingungen zu erfüllen, die auch für prüfungsunabhängige Advance Pricing Agreements einschlägig sind. Insb. gelten auch bei Advance Pricing Agreements nach oder im Rahmen von gemeinsamen Betriebsprüfungen die in § 178a AO vorgesehenen Gebührenregelungen.353 Wird eine Vorabverständigungsvereinbarung getroffen, ist diese für Deutschland bindend und mit dem vereinbarten Inhalt umzusetzen.354 Die Umsetzung erfolgt durch eine Vorabzusage gegenüber dem Steuerpflichtigen und durch entsprechende Steuerbescheide. Unbenommen bleiben daneben auch Möglichkeiten, eine Zukunftswirkung der erzielten Einigung durch unilaterale Maßnahmen herbeizuführen.355 Weil diese aber nur den Staat bindet, in dem die Maßnahme ergriffen wurde, nicht aber den anderen 349 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 1.1; Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 84. 350 Vgl. im Einzelnen BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 3.5. 351 Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (283). 352 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5. 353 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 5. 354 BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 1.2. 355 Vgl. dazu bereits S. 220 ff.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Staat, kann eine Doppelbesteuerung damit nicht zuverlässig ausgeschlossen werden. Auch aus diesem Grund werden solche unilateralen Tax Rulings in Deutschland grds. nicht ergriffen.356 Immerhin kann der Steuerpflichtige aber auf das Instrument des Advance Pricing Agreements verwiesen werden, das auch aus Sicht der Finanzbehörden zeitnah nach Beendigung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung abgeschlossen und umgesetzt werden kann, sodass der Steuerpflichtige entlastet wird.357 Damit kann möglicherweise die Hürde gesenkt werden, überhaupt einen Antrag auf ein Vorabverständigungsverfahren zu stellen, weil die zur Durchführung erforderlichen Informationen bereits vorliegen und sich damit die zu erwartenden Verfahrensdauern erheblich verkürzen lassen.358
VIII. Rechte und Schutz des Steuerpflichtigen Nicht nur mit Blick auf die Bindungswirkung einer möglichen Einigung stellt sich die Frage, welche Rechte dem Steuerpflichtigen bei grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen zustehen und welche Möglichkeiten ihm zur Durchsetzung dieser Rechte zur Verfügung stehen. 1. Prüfungseinleitung Weil bereits die Planung einer gemeinsamen Betriebsprüfung in allen Formen wegen des dafür erforderlichen Informationsaustausches359 einen Eingriff in die Rechte der betroffene Steuerpflichtigen darstellt,360 müssen dem Steuerpflichtigen bereits vor der Durchführung der Prüfung Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden.
356 Vgl. BMF v. 5. Oktober 2006, IV B 4 – S 1341/38/06, Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), Tz. 1.2; vgl. auch Manfred Naumann, in: IStR 2011, 683 (684). 357 Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 86. 358 Stefan Greil, Advance Pricing Agreements, S. 86, der im Übrigen vorschlägt von der Erhebung der Gebühr gem. § 178a AO abzusehen oder zumindest eine reduzierte Gebühr für solche Sachverhalte im § 178a Abs. 2 AO zu integrieren (Außenprüfungsanschlussgebühr). 359 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 360 Insofern seien die Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen in Erinnerung gerufen, vgl. S. 235 ff.
B. Rechtsrahmen
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a) Anhörung und Zustimmungserfordernis Insb. steht dem Steuerpflichtigen rechtliches Gehör in Form der Anhörung zu.361 § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 AO normiert eine entsprechende Anhörungspflicht für Steuerpflichtige und alle weiteren von der Prüfung betroffenen inländischen Beteiligten, soweit die Rechts- und Amtshilfe Steuern betrifft, die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Im Rahmen der Anhörung haben diese die Möglichkeit, sich zu äußern und ggf. Einwände gegen die Prüfung an sich oder einzelne Prüfungszeiträume sowie -themen vorzubringen.362 Die Anhörungspflicht gilt gem. § 117 Abs. 4 S. 3 AO a.E. allerdings nicht, wenn der Informationsaustausch aufgrund des EUAHiG stattfinden soll oder eine Ausnahme nach § 91 Abs. 2, 3 AO vorliegt. Sind gleichzeitige Prüfungen beabsichtigt, geht die Finanzverwaltung dennoch davon aus, dass eine Anhörung der inländischen Beteiligten stets zu erfolgen hat.363 Allerdings kann jedenfalls bei gleichzeitigen Prüfungen mit anderen Mitgliedstaaten ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts des § 12 Abs. 5 EUAHiG von der Anhörung des Steuerpflichtigen bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung abgesehen werden, wenn ansonsten der Prüfungserfolg gefährdet werden würde. Obschon gemeinsame Außenprüfungen Elemente gleichzeitiger Prüfungen enthalten, greift die Sonderregelung des § 12 Abs. 5 EUAHiG nicht unmittelbar.364 Immerhin kann aber der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, dass von einer Anhörung des Steuerpflichtigen bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung abgesehen werden kann, wenn ansonsten der Prüfungserfolg gefährdet werden würde, im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 AO und den Vorschriften des EUAHiG herangezogen werden.365 Soll bei der gemeinsamen Prüfung gem. § 10 Abs. 3 EUAHiG vorgesehen werden, dass Bedienstete der anderen Mitgliedstaaten im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen dürfen, ist neben der 361 Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (86); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/ 2016, S. 533 (576 f.); dagegen wenden sich Rolf Schreiber/Susanne Schäffkes/Stefan Fechner, in: DB 2018, 1624 (1630). 362 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 363 BMF v. 11. November 2015, IV B 6 – S 1320/07/100004, Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 7. 364 Christian Beckmann, in: StBP 2014, 66 (67); Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578); offenbar a.A. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 365 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578); so wohl auch BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2; Christian Beckmann, in: StBP 2014, 66 (67) geht indes davon aus, dass eine Anhörung voraussichtlich erst mit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung erfolgen werde.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Anhörung die Zustimmung des Steuerpflichtigen einzuholen;366 die Zustimmung des (ausländischen) Steuerpflichtigen ist für die Vice-versa-Situation im Ausland nach den deutschen Vorschriften indes nicht erforderlich.367 b) Antragsrecht Ein formalisiertes Antragsverfahren, mit dem ein Steuerpflichtiger die Durchführung einer gemeinsamen Prüfung durchsetzen könnte, besteht nicht.368 Der Steuerpflichtige bleibt insofern darauf verwiesen, die Einleitung einer gemeinsamen Betriebsprüfung anzuregen,369 wobei auch diese Anregung nicht über die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen der Teilelemente einer gemeinsamen Außenprüfung hinwegzuhelfen vermag. Insb. bleibt es dabei, dass vor Einleitung einer gemeinsamen Außenprüfung überprüft werden muss, ob die Aufklärung des grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht mit innerstaatlichen Mitteln erfolgen kann.370 c) Rechtsschutz gegen die Einleitung Gegen die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung kann der Beteiligte im Wege der einstweiligen Anordnung vor den deutschen Gerichten vorgehen. Der Betroffene muss dann darlegen, weshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Durchführung der geplanten gemeinsamen Außenprüfung – insb. für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten ausländischer Bediensteter bzw. für die Ausübung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten im Ausland – nicht erfüllt sind. Anknüpfungspunkt kann insoweit insb. die Legalität des weitreichenden Auskunftsersuchens sein.371 Rechtsschutzmöglichkeiten im Ausland bleiben davon unberührt. Praktisch werden die betroffenen Steuerpflichtigen also in allen an der gemeinsamen Betriebsprüfung beteiligten Staaten Rechtschutz gegen die kooperative Prüfung ersuchen können. Mit der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit einer gemeinsamen Betriebsprüfung ist indes nichts über die Zulässigkeit einer unilateralen Prüfung gesagt.
366
Ausführlich dazu bereits S. 291 ff. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/20016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4; vgl. zur Situation vice versa auch S. 299 f. 368 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (580); Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (159). 369 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (580); Rolf Schreiber/Susanne Schäffkes/ Stefan Fechner, in: DB 2018, 1624 (1630); Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (159). 370 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (581). 371 Stephan Schnorberger, in: Tax Notes International 2016, 685. 367
B. Rechtsrahmen
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2. Prüfungsdurchführung Auch die Durchführung der gemeinsamen Prüfung ist mit Eingriffen in die Rechte der Betroffenen verbunden, weil unmittelbar Einzelpersonen befragt, Unterlagen eingesehen und Informationen ausgetauscht werden. a) Anhörung Wurden der zu prüfende Steuerpflichtige und andere Betroffene im Hinblick auf den beabsichtigten Informationsaustausch bereits im Zusammenhang mit der Einleitung der koordinierten Außenprüfungen angehört, so bedarf es regelmäßig keiner erneuten Anhörung, wenn im Zuge der gemeinsamen Außenprüfung konkret Informationen ausgetauscht oder offenbart werden sollen.372 Ausnahmsweise kann es einer erneuten Anhörung aber dann bedürfen, wenn die zu übermittelnde Information einen Prüfungszeitraum oder ein Prüfungsfeld betrifft, das nicht Gegenstand der Anhördung im Zusammenhang mit der Einleitung der gemeinsamen Außenprüfung war. b) Rechtsschutz gegen den Informationsaustausch Auch wenn keine Anhörungspflicht besteht, gibt es weiterhin die Möglichkeit, vor den Finanzgerichten Rechtsschutz gegen die Auskunftserteilung im Einzelfall zu ersuchen. Da der Informationsaustausch im Rahmen einer gemeinsamen Betriebsprüfung de lege lata in jedem Einzelfall von den Rechtsgrundlagen für ersuchensbedingte und ersuchensunabhängige Auskünfte gedeckt sein muss, können die Betroffenen mit den gegen das möglicherweise vorliegende Auskunftsersuchen oder die Auskunftserteilung zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen. In Deutschland kann gegen das Auskunftsersuchen und die -erteilung im vorläufigen Rechtsschutz mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) sowie in der Hauptsache mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) beim Finanzgericht vorgegangen werden.373 Dieser isolierte Rechtsschutz gegen einzelne Auskunftsersuchen bzw. -erteilungen kann angezeigt sein, wenn eine gemeinsame Betriebsprüfung seitens des Steuerpflichtigen insgesamt zwar erwünscht ist, einzelne Veranlagungszeiträume oder Prüfungsgegenstände aber nicht von der erteilten Zustimmung erfasst sind und die gemeinsame Prüfung den Anlass für einen über diesen Rahmen hinausgehenden Informationsaustausch bildet, während die Voraussetzungen für einen Informationsaustausch für diesen Zeitraum oder Gegenstand gerade nicht erfüllt sind. Insofern 372 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578). 373 Christiane Anger, in: IWB 2017, 204 (205); Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (58).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
kommen insb. Fälle in Betracht, in denen Informationen ausgetauscht werden sollen, mit denen ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgegeben würde oder die öffentliche Ordnung verletzt würde (u. a. § 4 Abs. 3 Nr. 3, Nr. 4 EUAHiG, Art. 26 Abs. 3 Bstb. c) OECD-MA; Art. 7 Abs. 2, Abs. 4 OECD-MA-InfoAust). c) Rechtsschutz gegen einzelne Ermittlungsmaßnahmen Was den Rechtsschutz gegen einzelne Ermittlungsmaßnahmen anbelangt, ist danach zu unterschieden, ob diese in Deutschland oder im Ausland (Out-of-Area) ergriffen werden und, ob ein inländischer oder ein ausländischer Bediensteter die konkrete Ermittlungsmaßnahme vorgenommen hat. Dass für solche Maßnahmen, die seitens deutscher Finanzbeamter auf deutschem Hoheitsgebiet ergriffen wurden, der Rechtsweg in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet ist, ergibt sich aus der Natur der Sache. Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen ausländische Bedienstete auf dem Hoheitsgebiet ihres Staates tätig werden. Was aber soll für solche Maßnahmen gelten, die durch ausländische Beamte auf deutschem Hoheitsgebiet ergriffen wurden? Es ist kaum anzunehmen, dass es im Interesse des entsendenden Staates liegt, die ausländischen Bediensteten der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Tatsächlich wären deutsche Gerichte nicht in der Lage, die ausländischen Bediensteten zu einer Handlung zu verpflichten. Wegen der Staatenimmunität ist der Rechtsschutz durch deutsche Gerichte ausgeschlossen.374 Die Betroffenen müssen grds. vor den Gerichten des entsendenden Staates Rechtsschutz ersuchen,375 weil dessen Amtsträger in einer Weise gehandelt hat, die in erster Linie diesem Staat zurechenbar ist.376 Ist der Rechtsverstoß des ausländischen Bediensteten der Bundesrepublik zurechenbar, was regelmäßig der Fall ist, wenn die inländischen Bediensteten den Rechtsverstoß nicht verhindert haben, obwohl ihnen dies möglich gewesen wäre, kommt wegen der Verantwortlichkeit für die Durchführung der Amtshilfe gem. § 114 Abs. 2 S. 2 AO – quasi auf Sekundärebene – auch eine gerichtliche Kontrolle in Deutschland in Betracht.377 Insb. können ggf. Amtshaftungsansprüche vor den deutschen Gerichten geltend gemacht werden.378 Werden die konkreten Ermittlungsmaßnahmen im Ausland vorgenommen, gilt dies spiegelbildlich.379
374 Vgl. Hans-Joachim Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), 103 (136); zustimmend Claus Dieter Classen, in: VVDStRL 67 (2007), 365 (404). 375 Thomas Eisgruber, in: RIW 2017, 6 (7). 376 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (58). 377 In diese Richtung auch Thomas Eisgruber, in: RIW 2017, 6 (7). 378 So wohl auch Claus Dieter Classen, in: VVDStRL 67 (2007), 365 (404 f.). 379 Vgl. Claus Dieter Classen, in: VVDStRL 67 (2007), 365 (405).
B. Rechtsrahmen
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3. Prüfungsergebnisse Auch in Bezug auf die Ergebnisse der Prüfung und die Verwertung der im Rahmen einer gemeinsamen Außenprüfung erlangten Erkenntnisse sind die Betroffenen nicht schutzlos gestellt. a) Förmliche Schlussbesprechung Zum Abschluss des auf deutschem Hoheitsgebiet stattfindenden Teils der gemeinsamen Außenprüfung, der sich nach §§ 193 ff. AO richtet, ist dem inländischen Steuerpflichtigen gem. § 201 Abs. 1 AO, § 11 BpO im Rahmen einer förmlichen Schlussbesprechung rechtliches Gehör zu gewähren,380 bei der sowohl Fragen des Sachverhalts als auch ihrer rechtlichen Bewertung zu erörtern sind.381 Soweit ähnliche Vorschriften auch im anderen Staat der gemeinsamen Außenprüfung vorgesehen sind, betreffen sie den in diesem Staat stattfindenden Teil der gemeinsamen Außenprüfung. Da der Schlussbesprechung nach den deutschen Vorschriften selbst keine Verwaltungsaktqualität zukommt,382 § 201 AO auch keine Regelung über den Ort der Schlussbesprechung383 oder darüber enthält, welche Bediensteten der Finanzverwaltung teilnehmen müssen bzw. dürfen384 und der Anwendungsbereich der Abgabenordnung territorial nicht auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist,385 kann die Schlussbesprechung i.S.d. § 201 Abs. 1 AO, § 11 BpO m. E. auch mit einer möglicherweise im Ausland stattfindenden Schlussbesprechung zusammengelegt werden. b) Rechtsschutz gegen die Verwendung rechtswidrig erlangter Informationen Sind Informationen seitens der deutschen Behörden rechtswidrig erlangt worden, können diese mit einem Verwertungsverbot belegt sein.386 Gegen die Verwertung im steuerlichen Verfahren kann der Steuerpflichtige mit Einspruch und Anfechtungsklage bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage vorgehen. Gegen eine erfolgte unbefugte Weitergabe von Informationen an den anderen Staat steht dem inländischen Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik die Feststellungsklage offen.387 Hinsichtlich der
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Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578). Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 201 AO, Rn. 5. 382 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 201 AO, Rn. 3. 383 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 201 AO, Rn. 10. 384 Roman Seer, in: Tipke/Kruse, § 201 AO, Rn. 9. 385 Vgl. zum Anwendungsbereich der Abgabenordnung S. 252 f. 386 Zur notwendigen Differenzierung von einfachen und qualifizeriten materiellen Verwertungsverboten sei verwiesen auf S. 70 ff. 387 Christiane Anger, in: IWB 2017, 204 (205). 381
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Verwendung der Information bleibt der Steuerpflichtige auf Rechtsschutzmöglichkeiten in dem anderen Staat verwiesen. c) Rechtsschutz gegen Doppelbesteuerung Kommt es trotz einer gemeinsamen Betriebsprüfung wegen unterschiedlicher Sachverhaltsfeststellungen, unterschiedlicher rechtlicher Bewertungen oder aufgrund divergierenden nationalen Rechts zu einer Doppelbesteuerung, liegt es im Interesse des Steuerpflichtigen, dieser entgegenzutreten. Auch hier stehen keine auf Fälle gemeinsamer Außenprüfungen abgestimmten Rechtsschutzinstrumente zur Verfügung. Der Steuerpflichtige kann einzig auf die im Einzelfall zur Verfügung stehenden allgemeinen Instrumente zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung zurückgreifen. Regelmäßig bleibt ihm damit nur die Einleitung eines Verständigungsverfahrens (ggf. mit Schiedsverfahren) und der Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten mit den damit verbundenen Nachteilen.388 Abgestimmte Rechtschutzmöglichkeiten gerade für diesen Bereich zu eröffnen, ist eine Herausforderung, der bei der weiteren Etablierung grenzüberschreitender Betriebsprüfungen zentrale Bedeutung zukommen wird.389
IX. Fazit Ein einheitlicher Rechtsrahmen für gemeinsame grenzüberschreitende Außenprüfungen besteht nicht. Der bereits hinsichtlich des Rechtsrahmens für den Informationsaustausch beklagte „Rechtswirrwarr“ wird damit noch verwirrender, weil für die sich als einheitlicher Lebensvorgang präsentierende gemeinsame Betriebsprüfung ein bunter Blumenstrauß verschiedener Normen des nationalen, bi- und multilateralen Rechts sowie des Unionsrechts herangezogen werden muss. Dieser Zustand wäre noch erträglich, wenn sich nicht aufgrund der im Einzelfall heranzuziehenden Normen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Rechte der Steuerpflichtigen und der Steuerprüfer ergeben würden. Es ist daher dringend angezeigt, umfassende Regelungen für gemeinsame Betriebsprüfungen zu schaffen – das gilt für die nationale Ebene ebenso wie für das Unionsrecht und das Netz der Doppelbesteuerungsabkommen. Es ist aber festzuhalten, dass bereits de lege lata weitreichende Möglichkeiten bestehen, getrennte Außenprüfungen miteinander zu koordinieren und zu verbinden, wenngleich Joint Audits i.S.d. Joint Audit Reports der
388
Vgl. dazu S. 199 ff. Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (75 f., 80); zur Idee eines gemeinsamen Spruchkörpers vgl. S. 216 ff. 389
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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OECD – also internationale Betriebsprüfungen mit einem fusionierten einheitlichen Verfahren und Prüfungsteam – rechtlich (noch) nicht möglich sind.390
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen sowie Grenzen gemeinsamer Betriebsprüfungen Nicht nur die Vielfalt der heranzuziehenden Rechtsgrundlagen bereitet Probleme bei der Umsetzung gemeinsamer Betriebsprüfungen. Daneben treten Herausforderungen, die allein mit einem rechtlichen Instrumentarium nicht bewältigt werden können, die aber für den Erfolg gemeinsamer Prüfungstätigkeit von mindestens ebenso zentraler Bedeutung sind und gemeinsamen Betriebsprüfungen ebenfalls Grenzen setzen können.
I. Praktische Umsetzung einer gemeinsamen Betriebsprüfung nach der deutschen Verwaltungspraxis im Status Quo Die praktische Umsetzung einer gemeinsamen Betriebsprüfung innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens lässt sich grob in drei Schritte einteilen, wobei sich ein rein innerstaatlicher vierter Umsetzungsschritt anschließt. 1. Planungs- und Initiierungsphase Bevor eine Prüfung beginnen kann, müssen die beteiligten Finanzbehörden sicherstellen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung in Einklang mit den bestehenden Vorschriften überhaupt gegeben sind. In dieser Planungsphase sind die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den konkreten Einzelfall zu ermitteln und zu erfüllen. a) Fallauswahl Zunächst sind aus der Fülle der Fälle mit internationaler Berührung diejenigen zu isolieren, die für eine gemeinsame steuerliche Außenprüfung überhaupt in Betracht kommen. Eine zentrale Datenbank, in der geeignete Fälle (grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit, ausländische Tochterunternehmen, Betriebsstätten im Ausland) gespeichert würden, besteht nicht.391 Vor allem die mit der nationalen 390
Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Evaluation des deutsch-niederländischen Pilotprojekts zu Joint Audits, vgl. OECD The Changing Tax Compliance Enviroment and the Role of Audit 2017, S. 85. 391 Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (91).
318
Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Außenprüfung betrauten Finanzämter haben einen Überblick über die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Fälle, die den erforderlichen komplexen internationalen Bezug aufweisen, der überhaupt einen Mehrwert durch gemeinsame Außenprüfung im Vergleich zur konventionellen Außenprüfung versprechen kann. Im Sinne eines Bottom-up-Ansatzes ist ihnen daher die Möglichkeit zuzusprechen, Fälle für gemeinsame Betriebsprüfungen (vor-)auszuwählen und vorzuschlagen. Auch wenn ein entsprechendes Antragsrecht nicht besteht, kommt aber auch in Betracht, dass Steuerpflichtige selbst die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung in den beteiligten Staaten vorschlagen. Tatsächlich ist auch festzustellen, dass sich die Fälle mehren, in denen Unternehmen und deren steuerliche Berater gemeinsame Betriebsprüfungen in Deutschland angeregt haben.392 aa) Initiierung durch deutsche Finanzbehörden Bei der Einleitung einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Außenprüfung durch die deutschen Finanzbehörden ist die bestehende Zuständigkeitsordnung zu beachten.393 Haben deutsche Finanzämter einen Fall für die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung im Blick, ist dieser Vorschlag nach Anhörung des betroffenen Steuerpflichtigen394 auf dem Dienstweg an das als zentrales Verbindungsbüro zuständige BZSt zu senden.395 Dem BZSt werden unter Verwendung des Formulars für Übersendungsschreiben zum Zwecke eines Auskunftsersuchens in Steuersachen an EU-Mitgliedstaaten nach dem EU-Amtshilfegesetz die ausländischen Staaten mitgeteilt, mit denen die gemeinsame Außenprüfung durchgeführt werden soll.396 Das Schreiben enthält auch die genaue Bezeichnung des im Ausland betroffenen Steuerpflichtigen, die Themenschwerpunkte der vorgeschlagenen Außenprüfung, eine eigene Einschätzung, warum sich eine gemeinsame steuerliche Außenprüfung besonders dazu eignet, die Aufklärung der Sachverhalte und deren steuerliche Würdigung vorzunehmen sowie die für die Prüfung in Frage kommenden Kalender- bzw. Wirtschaftsjahre und das Ergebnis der ersten Anhörung.397
392
Erich Spensberger/Roland Macho/Lisbeth Erichsen, in: ISR 2017, 261 (261). BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 394 Weil schon mit dem Ersuchen um die Durchführung einer gemeinsamen Außenprüfung zwischenstaatlich Informationen über den betroffenen Steuerpflichtigen ausgetauscht werden müssen, ist eine erste Anhörung bereits in diesem frühen Stadium durchzuführen, vgl. S. 311 f. 395 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 396 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 397 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 393
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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Das BZSt prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer gemeinsamen Außenprüfung erfüllt sind.398 Es entscheidet nach freiem Ermessen, ob es die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung für sinnvoll erachtet399 und leitet aus seiner Sicht geeignete Vorschläge den zuständigen Behörden des betroffenen Staates zu.400 Ggf. setzt das BZSt einen Prüfungskoordinator ein, der für den Einzelfall die Aufgabe des zentralen Verbindungsbüros übernimmt und die weiteren Abstimmungen mit den in- und ausländischen Behörden vornimmt.401 Wenn die zuständige Behörde des anderen Staates der Teilnahme an der gemeinsamen Betriebsprüfung zustimmt, überträgt das BZSt die Zuständigkeit für den internationalen Informationsaustausch auf die von den zuständigen Landesfinanzbehörden benannten Außenprüfer und die ggf. beteiligten Prüfer der Bundesbetriebsprüfung.402 Entscheidet sich das BZSt gegen die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung, muss das BZSt dem Land von dem die Initiative zur Durchführung ausging, die negative Entscheidung mitteilen und kann nach dem Grundsatz der Bundestreue verpflichtet sein, das Land noch einmal anzuhören.403 Dennoch hat das Land keinen Anspruch auf die Durchführung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung.404 bb) Initiierung durch ausländische Finanzbehörden Wird seitens ausländischer Finanzbehörden ein Vorschlag für die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung unterbreitet, nimmt das BZSt diesen Vorschlag als zuständiges zentrales Verbindungsbüro entgegen und prüft die rechtliche Zulässigkeit der Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung.405 Auch bei ausländischen Vorschlägen setzt das BZSt ggf. einen Prüfungskoordinator ein, der für den Einzelfall die Aufgabe des zentralen Verbindungsbüros übernimmt und die weiteren Abstimmungen mit den in- und ausländischen Behörden 398
BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 399 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (51). 400 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 401 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 402 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.5. 403 Vgl. Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (52) mit näheren Erläuterungen. 404 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (52). 405 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.6.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
vornimmt.406 Das BZSt leitet den Vorschlag der zuständigen Finanzbehörde des Landes zu, die nach eigenem Ermessen darüber entscheidet, ob sie an der Prüfung teilnehmen wird. Das zentrale Verbindungsbüro teilt dem anderen Mitgliedstaat das ihm auf dem Dienstweg übermittelte Einverständnis oder die begründete Ablehnung mit. Wenn die zuständige Finanzbehörde der Teilnahme an der gemeinsamen Betriebsprüfung zustimmt, überträgt das BZSt die Zuständigkeit für den internationalen Informationsaustausch auf die von den zuständigen Landesfinanzbehörden benannten Außenprüfer und die ggf. beteiligten Prüfer der Bundesbetriebsprüfung.407 Anders als im Fall der Initiierung durch inländische Finanzbehörden, treffen in diesen Fällen also die zuständigen Landesfinanzbehörden die Entscheidung über die Teilnahme an einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung.408 cc) Auswahlsitzungen Um Fälle für gemeinsame Außenprüfungen auszuwählen, können zwei oder mehr Staaten eine Auswahlsitzung durchführen, an der Vertreter der anderen Staaten, der zuständigen inländischen Finanzbehörden sowie des BZSt teilnehmen und bei der geklärt werden soll, unter welchen Umständen bei den vorgeschlagenen Fällen gemeinsame Betriebsprüfungen rechtlich zulässig und praktisch mit angemessenem Aufwand durchgeführt werden können.409 Während dieser Auswahlsitzung werden Informationen über die zur Diskussion stehenden Fälle ausgetauscht.410 Die Initiierung einer Auswahlsitzung kann durch formlose Mitteilung an das BZSt erfolgen.411 406 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.6. 407 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.6. 408 Vgl. dazu den Wortlaut des § 12 Abs. 3 EUAHiG; Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (52). Bei grenzüberschreitenden Betreibsprüfungen auf Grundlage eines Informationsaustauschabkommens fehlt es an einer dem § 12 Abs. 3 EUAHiG entsprechenden Regelung, sodass in diesen Fällen auch dem BZSt ein Entschließungsermessen hinsichtlich der Durchführung der grenzüberschreitenden Betriebsprüfung zukommt. Soweit ersichtlich sind auf Grundlage von Informationsaustauschabkommen aber noch keine Prüfungen durchgeführt worden, wie sich einerseits daraus ergibt, dass BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.2 den Art. 6 OECD-MA-InfoAust nicht anspricht und bei Tz. 3.6 augenscheinlich alleinig auf die Relgungen des EUAHiG abgestellt wird. 409 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.7. 410 Auch in diesem Rahmen müssen die Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen für den steuerlichen Informationsaustausch erfüllt sein. Das gilt insb. für das Erfordernis der vorherigen Anhörung des betroffenen Steuerpflichtigen. 411 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.7.
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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b) Anhörung Grds. ist der inländische Steuerpflichtige gem. § 117 Abs. 4 S. 3 AO i.V.m. § 91 AO bereits dann anzuhören, wenn mit anderen Behörden Informationen ausgetauscht werden sollen, um die Möglichkeit der Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung zu eruieren.412 Im Rahmen der Anhörung ist der inländische Steuerpflichtige auf die beabsichtigte Anwesenheit Bediensteter anderer Mitgliedstaaten im Inland und inländischer Bediensteter im anderen Mitgliedstaat hinzuweisen.413 Auch sollte auf den in diesem Rahmen beabsichtigten Informationsaustausch zwischen dem Inland und dem Mitgliedstaat sowie das Recht zur Befragung des vom anderen Mitgliedstaat geprüften Steuerpflichtigen vorbehaltlich der ggf. erforderlichen Zustimmung des ausländischen Steuerpflichtigen hingewiesen werden.414 Auch das Recht zur Prüfung von Aufzeichnungen des vom anderen Mitgliedstaat geprüften Steuerpflichtigen vorbehaltlich der gegebenenfalls erforderlichen Zustimmung des ausländischen Steuerpflichtigen sollte adressiert werden.415 Obschon beim klassischen Informationshilfeverfahren die betroffene Person nach Ermittlung der Daten und vor deren grenzüberschreitender Ermittlung einzelfallbezogen anzuhören ist, genügt bei gemeinsamen Außenprüfungen eine pauschale Anhörung im Vorfeld.416 Der erneuten Anhörung im Rahmen der Durchführung der gemeinsamen Außenprüfung bedarf es nicht, weil der Steuerpflichtige als inländischer Beteiligter im Hinblick auf den beabsichtigten Informationsaustausch bereits angehört wurde.417 Für die Anhörung ist das die Außenprüfung durchführende Finanzamt zuständig, wobei dieses das BZSt als zuständiges zentrales Verbindungsbüro über das Ergebnis der Anhörung oder die nach dokumentierter Ermessensausübung unterlassene Anhörung in Kenntnis setzt.418 c) Zustimmung des Steuerpflichtigen Soweit die Bediensteten des anderen Staates im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen sollen, ist gem. § 10 Abs. 3 S. 2 412
Vgl. dazu bereits S. 311 ff. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2; Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578). 414 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 415 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 416 Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (567). 417 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (578). 418 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 413
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
EUAHiG die Zustimmung des Steuerpflichtigen erforderlich.419 Die Zustimmung ist von dem für die Außenprüfung zuständigen Finanzamt einzuholen und sollte zwecks beweissicherer Dokumentation schriftlich erfolgen.420 Das zuständige Finanzamt informiert das BZSt als zentrales Verbindungsbüro sowohl über die Anforderung der Zustimmung als auch über die Zustimmungserteilung oder -ablehnung durch den Steuerpflichtigen.421 Die Zustimmung kann auch nur teilweise erfolgen und sich auf einzelne Prüfungsfelder, Ermittlungstätigkeiten oder -orte beschränken.422 Das BZSt übermittelt die Information über die Zustimmung des Steuerpflichtigen sodann an das zentrale Verbindungsbüro des anderen Mitgliedstaats. Wird eine Zustimmung seitens des Steuerpflichtigen nicht erteilt, stehen den ausländischen Bediensteten bei Prüfungen im Inland keine eigenständigen Frageund Prüfungsrechte zu.423 Damit hat es der Steuerpflichtige in der Hand, ob es überhaupt zur derzeit intensivsten Form der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Finanzbehörden kommt. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Anhörung in einem möglichst frühen Stadium durchzuführen und mit der Erteilung der Zustimmung zu verknüpfen, um nicht unnötig Behördenkapazitäten zu binden. Da von der Finanzverwaltung entgegen der hier vertretenen Auffassung424 angenommen wird, dass eine zuvor erteile Zustimmung auch nach Beginn der Prüfung frei widerruflich ist, gilt das zuvor Gesagte auch für den Fall eines solchen (partiellen) Widerrufs.425 Bis zum Widerruf erlangte Erkenntnisse bleiben jedoch uneingeschränkt verwertbar. d) Auftaktsitzung Vor Beginn der Prüfung wird zwischen den beteiligten Steuerverwaltungen im Rahmen einer Auftaktsitzung, die auch der Vorstellung des Prüfungsfalls dient, Einvernehmen über die Ziele und den Rahmen der gemeinsamen Betriebsprüfung
419
Vgl. dazu bereits S. 291 ff. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.4; Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67). 421 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.4. 422 Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67). 423 Unberührt bleibt indes die Möglichkeit der passiven Anwesenheit, bei der ausländische Bedienstete in den Amtsräumen und während der behördlichen Ermittlungen zugegen sein dürfen, wenn die zwischenstaatliche Vereinbarung dies vorsieht. 424 Vgl. dazu S. 292 f. 425 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.4. 420
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hergestellt.426 Dabei sollen sich die beteiligten Außenprüfer der beteiligten Staaten über Prüfungsschwerpunkte austauschen sowie die Prüfungsgesamtplanung und die Gestaltung der konkreten Zusammenarbeit diskutieren und entwickeln.427 Im Einzelnen sind die Namen der beteiligten Steuerpflichtigen im In- und Ausland, die Zielsetzung der gemeinsamen Außenprüfung inkl. einer Darstellung der zu klärenden Sachverhalte und Prüfungsfelder, die zu prüfenden Steuerarten, der Prüfungszeitraum, die gemeinsame Arbeitssprache, der Zeitplan und die Art der geplanten Prüfungstätigkeiten sowie die Kontaktinformationen der zuständigen Bediensteten festzustellen.428 e) Zwischenstaatliche Vereinbarung Für die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung müssen die beteiligten Behörden zwingend eine zwischenstaatliche Vereinbarung (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-AHiRL) schließen. Auf deutscher Seite ist gem. § 10 Abs. 1 S. 1 EUAHiG das zentrale Verbindungsbüro – also gem. § 3 Abs. 2 S. 1 EUAHiG regelmäßig das BZSt – zuständig. Die zwischenstaatliche Vereinbarung muss den Umfang der Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnissen bestimmen, um die ansonsten mangels Staatsgewalt rechtswidrige Maßnahme der Bediensteten der ausländischen Behörde völkerrechtlich zu legitimieren.429 Neben diesen insb. das Staats-Bürgerverhältnis betreffenden Angaben empfiehlt sich, dass in die zwischenstaatliche Vereinbarung auch die übrigen in der Auftaktsitzung bestimmten Inhalte aufgenommen werden.430 Die zwischenstaatliche Vereinbarung sollte im Interesse aller Beteiligten möglichst präzise Angaben enthalten, um den rechtstaatlichen und grundrechtlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Betriebsprüfungen umfassend Rechnung zu tragen und so ein Prüfungsumfeld zu schaffen, dass für die Beteiligten Sicherheit schafft und einen reibungslosen Prüfungsablauf zu gewährleisten vermag.431 Je weniger Fragen die Vereinbarung offen lässt, desto weniger Rückfragen und Konflikte sind im Rahmen der Prüfungsdurchführung zu erwarten. Eine spezielle Form der Vereinbarung ist nicht vorgesehen. Aus Beweisgründen und um Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt es sich jedoch, die Vereinbarung 426
BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.8; vgl. auch Michael Hendricks, in: Festgabe für Wassermeyer, S. 565 (571). 427 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.8. 428 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.8. 429 Vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (67). 430 Vgl. Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (71 f.); siehe zu den Inhalten der Auftaktsitzung auch zuvor ab S. 322. 431 Vgl. Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (72).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
in Schriftform abzuschließen. Auch eine Vorgabe zur Sprache, in der die Vereinbarung abgefasst werden soll, gibt es nicht, sodass sie auch in einer Fremdsprache oder bi- bzw. multilingual formuliert sein kann. f) Informationsersuchen Überdies ist zwingend ein Informationsersuchen erforderlich, weil die Vorschriften über die Anwesenheit von Bediensteten ausländischer Behörden ein solches voraussetzen.432 Sollen Anwesenheit- oder Prüfungsrechte in beiden Staaten eingeräumt werden, bedarf es korrespondierender Informationsersuchen. Praktisch steht die Formulierung des Informationsersuchens dabei in einem Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis eines möglichst weitreichenden Ersuchens, um die gemeinsame Prüfung auch auf möglichst viele Bereiche erstrecken zu können433 und möglichst weitreichender Präzision, um dem Vorbehalt der Erforderlichkeit zu entsprechen.434 Letztlich wird aber mit Blick auf den Einzelfall zu erkennen sein, dass eine kooperative Sachverhaltsermittlung die Möglichkeiten der unilateralen Ermittlung derart übersteigt, dass dem Erforderlichkeitskriterium bei den zur Diskussion stehenden Fällen in der Regel auch dann Genüge getan sein dürfte, wenn das Informationsgesuch sich auf alle in einen bestimmten Prüfungszeitraum oder ein bestimmtes Prüfungsfeld fallende Tatsachen bezieht. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßig, das Informationsgesuch möglichst weit zu fassen.435 g) Prüfungsanordnung Vor Beginn der Prüfung muss die deutsche Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung bestimmen und gem. § 196 AO in einer Prüfungsanordnung gegenüber dem Steuerpflichtigen bekanntgeben. Diese Bestimmung gilt nur für die Prüfung, die auf deutschem Staatsgebiet gegenüber einem inländischen Steuerpflichtigen erfolgt. In der Prüfungsanordnung ist anzugeben, dass die Prüfung als gemeinsame Prüfung unter Beteiligung von Bediensteten ausländischer Behörden stattfindet; namentlich zu benennen sind die ausländischen Prüfer aber nicht.436
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Siehe dazu S. 272 f. Anwesenheits- und Ermittlungsbefugnisse beschränken sich auf den Umfang des Informationsersuchens; sie sind nur zulässig, soweit sie im Zusammenhang mit Ermittlungsmaßnahmen stehen, die zur Erfüllung des Informationsersuchens erforderlich sind, vgl. Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68). 434 Siehe dazu S. 151 f. 435 So auch die Erwartung im Hinblick auf die Verwaltungspraxis bei Christian Beckmann, in: StBp 2014, 66 (68). 436 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 1.2. 433
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Die Prüfungsanordnung kann bereits mit der ersten Anhörung verbunden werden.437 Dieses Vorgehen erscheint insb. dann sinnvoll, wenn eine Betriebsprüfung unabhängig von der Beteiligung anderer Staaten durchgeführt werden soll oder eine Abstimmung des Prüfungszeitraums und der Prüfungsfelder nicht erforderlich ist. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn sich die geplante Prüfung an eine bereits durchgeführte gemeinsame Außenprüfung anschließen soll. 2. Prüfungsphase Gemeinsame Betriebsprüfungen finden in der Regel zeitgleich in den Gebieten der beteiligten Staaten statt und werden in enger Abstimmung mit der jeweils anderen Prüfung durchgeführt.438 Die Prüfungen sind im jeweiligen Hoheitsgebiet als eigenständige Außenprüfungen konzipiert und richten sich nach dem in diesem Gebiet geltenden nationalen Steuerverfahrensrecht.439 Während der für die Erfüllung des Informationsgesuchs relevanten Prüfungsteile sind inländische Bedienstete im anderen Mitgliedstaat sowie ausländische Bedienstete in Deutschland anwesend und führen, soweit die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, auch eigene Ermittlungen durch.440 Die entsandten Bediensteten sind im jeweils anderen Staat verpflichtet, jederzeit eine schriftliche Vollmacht vorlegen zu können, aus der ihre Identität und dienstliche Stellung hervorgeht. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung werden zu ausländischen Außenprüfungen entsandte Bedienstete auch dann im Rahmen der nach deutschem Recht angeordneten Außenprüfung tätig, wenn sie Prüfungshandlungen im Ausland vornehmen.441 Dem ist meines Erachtens zu widersprechen, weil im Ausland gerade keine Außenprüfung nach dem deutschen Recht angeordnet worden ist, sondern lediglich eine Außenprüfung nach dem Recht des Staates, in dem die jeweilige Außenprüfung stattfindet. Der entsendete deutsche Bedienstete ermittelt zwar auch im Ausland mit dem Auftrag, die Verhältnisse des deutschen Steuerpflichtigen zu prüfen.442 Die dafür erforderlichen Ermittlungen werden aber nach den Vorschriften des Staates durchgeführt, nach dessen Recht die Außenprüfung angeordnet wurde und in dessen Hoheitsgebiet die Prüfungshandlung stattfindet. Nichtsdestoweniger ist der entsendete Außenprüfer nicht nur an die Vorschriften dieses Staates gebunden, sondern auch an die Verfahrensvorschriften, die für Außenprüfungen in Deutschland 437 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.2. 438 Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273). 439 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4. 440 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2. 441 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4. 442 Vgl. Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
gelten. Sieht das ausländische Recht weitergehende Ermittlungsbefugnisse vor als sie dem deutschen Prüfer nach deutschem Recht zustünden (bspw. wegen entsprechender Auskunftsverweigerungs- oder Vorlageverweigerungspflichten), kann sich der entsendete Bedienstete dieser Informationsmöglichkeit nicht bedienen.443 In diesen Fällen kommt aber unter Beachtung des Verbots des Befugnis-Shoppings in Betracht, dass die Bediensteten des Staates, in dem die Prüfung stattfindet, die entsprechenden Informationen ermitteln und diese im Wege des Informationsaustausches an die deutschen Bediensteten weitergeben.444 Bei Prüfungshandlungen ausländischer Bediensteter im Inland ist gem. § 10 Abs. 3 S. 1 EUAHiG sicherzustellen, dass auch immer ein inländischer Beamter anwesend ist.445 Auch wenn es sich nicht um eine gemeinsame Prüfung eines einzigen Prüfungsteams der beiden Finanzbehörden handelt, treten die entsandten Bediensteten dem Steuerpflichtigen gegenüber praktisch in der gleichen Weise in Erscheinung wie inländische Bedienstete. Zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Prüfer aus dem Ausland entwickeln sich klassische Prüfungsgespräche.446 Der Steuerpflichtige legt den ausländischen Prüfern ebenso Unterlagen vor, wie er es bei inländischen Prüfern täte. Wenn die formal getrennten Prüfungen beiderseits der Grenze durch die gleichen Prüfer ausgeführt werden, können die Prüfungen dem Steuerpflichtigen de facto als eine durch ein einheitliches Prüferteam durchgeführte gemeinsame Außenprüfung erscheinen.447 Neben der Durchführung der Prüfungen in beiden Staaten findet ein fortlaufender Informationsaustausch statt, bei dem sich die Prüfer über die gewonnenen Erkenntnisse und den Stand der Prüfung austauschen und zugleich die daran nach den innerstaatlichen Vorschriften zu knüpfenden Besteuerungsfolgen ausloten. Der Informationsaustausch wird dabei nicht durch die der gemeinsamen Prüfung zugrundeliegenden Informationsgesuche beschränkt, sondern kann auch darüberhinausgehende Informationen erfassen, soweit die rechtlichen Voraussetzungen für 443 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4. 444 Vgl. BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.4. 445 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.5; Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273). 446 Vgl. Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (275). 447 Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass gemeinsame Betriebsprüfungen im Vergleich zu getrennten Prüfungen den schonenderen Eingriff in grundrechtliche geschützte Positionen darstellen. Im Gegenteil: Weil die beteiligten Staaten bei gemeinsamen Prüfungen unmittelbar weitreichendere Informationen sammeln können, als dies bei getrennten Prüfungen der Fall wäre, sind gemeinsame Betriebsprüfungen eingriffsintensiver. Die erhöhte Eingriffsintensität kann aber damit gerechtfertigt werden, dass Besteuerungskonflikte vermieden werden können oder zumindest ein folgendes Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren beschleunigt eingeleitet werden kann, vgl. dazu sodann auch S. 336 ff.
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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einen solchen Informationsaustausch erfüllt sind. Weil den inländischen Bediensteten der Status der für den zwischenstaatlichen Auskunftsaustausch zuständigen Behörde übertragen wurde, können sie dabei unmittelbar mit ihren ausländischen Kollegen kommunizieren. Sie erteilen den ausländischen Außenprüfern alle Auskünfte, die für die Festsetzung der Steuern im Entsendestaat voraussichtlich erheblich sind.448 3. Feststellungs- und Verständigungsphase Gemeinsame Betriebsprüfungen dienen der gemeinsamen Ermittlung und einheitlichen Behandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts.449 Ein übereinstimmendes Verständnis des Sachverhalts und eine daran anknüpfende kongruente steuerliche Behandlung kann nicht allein durch die gemeinsame, abgestimmte Informationsgewinnung und den damit verbundenen Informationsaustausch erreicht werden, sondern erfordert auch den Austausch über die nach den jeweiligen nationalen Besteuerungsvorschriften zu erwartenden Rechtsfolgen. Unter Berücksichtigung des nationalen materiellen Steuerrechts können sich die Prüfer so einem Verständnis des Sachverhalts annähern, das eine Doppelbesteuerung oder eine doppelte Nichtbesteuerung ausschließt. Die Besteuerungsfolgen selbst können dabei aus deutscher Sicht nicht verhandelt werden, sondern ausschließlich das Verständnis eines Sachverhalts als tatsächliches Geschehen.450 Diese Form der Sachverhaltserörterung und Folgenabschätzung kann naheliegender Weise bereits während der abgestimmten Durchführung der Außenprüfungen stattfinden. Sie erfolgt aber zugleich auch im Rahmen eines Abschlussgesprächs („Concluding Meeting“)451 der beteiligten Prüfer, bei dem sich die Prüfer nicht nur über die auf den Fall bezogenen Erkenntnisse austauschen, um gemeinsame Lösungsansätze für verbleibende Probleme zu erarbeiten,452 sondern auch über die praktischen Erfahrungen im Rahmen der gemeinsamen Zusammenarbeit. Das Abschlussgespräch kann unter Einbeziehung des Steuerpflichtigen und seiner Berater stattfinden.453 Zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist das Ergebnis der gemeinsamen 448 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.5; Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273). 449 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 2.2.5; Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (273); Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (595); Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57). 450 Vgl. Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (284). 451 OECD Joint Audit Report 2010, S. 18. 452 Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (160). 453 Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (160).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Sachverhaltsfeststellungen und -würdigungen mit dem inländischen Steuerpflichtigen zu besprechen,454 zumindest aber eine schriftliche Zusammenfassung zur Verfügung zu stellen.455 Um gerichtliche Auseinandersetzungen möglichst zu verhindern, ist es sinnvoll, die Zustimmung des Steuerpflichtigen zu den Prüfungsfeststellungen zu erreichen.456 Wird ein gemeinsamen Verständnis eines Sachverhalts im Sinne eines einheitlichen Ergebnisses gefunden, wird in der Praxis eine Prüfungsvereinbarung als abgestimmtes Ergebnisprotokoll über die gemeinsame Außenprüfung angefertigt.457 Eine Verpflichtung zur Einigung besteht indes nicht, so dass eine gemeinsame Außenprüfung auch ohne abgestimmtes Ergebnis enden kann.458 Aber auch dann ist ein abgestimmtes Ergebnisprotokoll zu fertigen, das sowohl die Punkte benennt, in denen die Prüfer Einigkeit erzielen konnten und zugleich die Punkte anspricht, in denen die Finanzbehörden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Ist bereits im Vorfeld des Abschlussgesprächs zu erkennen, dass sich Meinungsverschiedenheiten nicht im Rahmen der gemeinsamen Prüfungstätigkeit und des Abschlussgesprächs auflösen lassen, informieren die Prüfer den Steuerpflichtigen darüber, damit dieser die Möglichkeit hat, frühzeitig ein Verständigungsverfahren im technischen Sinne zu beantragen. Nach der deutschen Verwaltungspraxis erhalten die prüfenden Bediensteten kein Mandat zur Durchführung von Verständigungs- oder Vorabverständigungsverfahren.459 Eine rechtliche Bindungswirkung kann dem gemeinsamen Protokoll daher nicht zukommen, wobei auch nicht ersichtlich ist, wieso Finanzbehörden von den gemeinsamen Feststellungen (in Zukunft) abweichen sollten.460 454
Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (579). Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (160). 456 Vgl. Erich Spensberger/Gerhard Steiner, in: ISR 2015, 156 (160), die allerdings auf die Vermeidung von Verständigungsverfahren abzielen. Darum kann es bei der Einbeziehung des Steuerpflichtigen aber nicht gehen, wenn die beteiligten Staaten zu einheitlichen Prüfungsfeststellungen gelangen, weil es dann regelmäßig an der für die Eröffnung eines Verständigungsverfahren erforderlichen abkommenswidrigen Doppelbesteuerung fehlen wird. Anderes kann nur im erweiterten Anwendungsbereich der EU-Streitbeilegungsrichtlinie gelten, vgl. zum Anwendungsbereich der EU-Streitbeilegungsrichtlinie S. 214 ff. 457 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.9; Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (91); Thomas Eisgruber/Eva Oertel, in: ISR 2017, 270 (276); Till Meickmann, in: Taxing German-Dutch Cross-Border Business Activities, 393 (399); Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57). 458 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (579); Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57) meinen hingegen, dass „ein Abschluss des Joint Audits […] nur möglich [ist], wenn eine solche Verständigung gefunden wird.“ 459 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (582). 460 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57) stellen zurecht fest, dass es höchst unwahrscheinlich erscheint, „dass die Finanzbehörden von den gefundenen Ergebnissen abweichen, da ansonsten ein erneutes langwieriges Verständigungsverfahren mit dem anderen Staat droht.“ 455
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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4. Umsetzung nach Abschluss der Prüfung Die beteiligten Steuerverwaltungen ziehen nach Beendigung der kooperativen Sachverhaltsermittlung im Rahmen der gemeinsamen Prüfungstätigkeit unabhängig voneinander jeweils ihre steuerrechtlichen Schlussfolgerungen.461 Die weitere Umsetzung der im abgestimmten Ergebnisprotokoll fixierten gemeinsamen Prüfungsfeststellungen erfolgt nach den nationalen Vorschriften des jeweiligen Staates. Daher ist eine förmliche Schlussbesprechung mit dem Steuerpflichtigen, der Adressat der deutschen Prüfungsanordnung ist, zu führen (§ 201 AO, § 11 BpO). Das deutsche Finanzamt verfasst einen § 202 AO, § 12 BpO entsprechenden formellen Betriebsprüfungsbericht,462 der das Ergebnisprotokoll und die übrigen – also außerhalb der gemeinsamen Prüfungstätigkeit liegenden – Sachverhaltsfeststellungen aufnimmt.463 Einen Anspruch darauf, dass der der steuerlichen Veranlagung zugrundeliegende Betriebsprüfungsbericht dem abgestimmten Ergebnisprotokoll entspricht, hat der betroffene Steuerpflichtige allerdings nicht. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Ergebnissen eines förmlichen Verständigungsverfahren.464
II. Herausforderungen Es hat sich gezeigt, dass bereits ein Rechtsrahmen und eine praktische Übung bei der Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen besteht, die nach der hier vorgeschlagenen Terminologie als grenzüberschreitende Betriebsprüfung unter Beteiligung ausländischer Bediensteter bezeichnet werden können. Wenngleich sich diese Form der Prüfung in vielen Fällen für die betroffenen Steuerpflichtigen wie eine internationale Steuerprüfung (Joint Audit i.S.d. Definition der OECD) darstellt, verbleiben Herausforderungen, die entweder durch praktische Übung oder gesetzgeberische Maßnahmen gelöst werden können.
461 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 1.1. 462 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (573). 463 BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3.10. 464 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
1. Unterschiedliches materielles Steuerrecht Ein zentrales Problem bleibt, dass auch kooperatives Verwaltungshandeln nicht über divergierendes materielles Steuerrecht hinweghelfen kann.465 Werden an einen unstrittigen Sachverhalt unterschiedliche Besteuerungsfolgen geknüpft, weil das jeweilige materielle Steuerrecht dies (trotz Doppelbesteuerungsabkommen) so vorsieht, ist mit der Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht viel gewonnen. Die Möglichkeiten, steuerliche Folgen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit dem Steuerpflichtigen oder anderen Staaten auszuhandeln, wie sie in einigen anderen Staaten gegeben sind, sind in Deutschland wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht vorgesehen.466 Die Finanzbehörden können bei allen Bemühungen um Kooperation durch das materielle Steuerrecht verursachte Unstimmigkeiten nur bedingt beseitigen. Dieses Ergebnis entspricht den Bedingungen der Gewaltenteilung: Die Exekutive bleibt im Zweifel darauf verwiesen, den Gesetzgeber auf entsprechende Sachverhalte hinzuweisen und auf eine Anpassung des nationalen materiellen Steuerrechts zu drängen. 2. Koordinationsprobleme aufgrund unterschiedlicher Prüfungspraxis Bei der praktischen Durchführung von grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen zeigen sich im Detail erhebliche Schwierigkeiten, die auf fehlende Übung und unterschiedliche Konzepte von Außenprüfungen zurückzuführen sind. Der vermutlich weitreichendste Problembereich sind die unterschiedlichen nationalen Regelungen zur Durchführung von Betriebsprüfungen.467 Sie können eine grenzüberschreitende Prüfung im Einzelfall unmöglich machen. Beispielsweise liegen die gesetzlichen Prüfungszeiträume im weltweiten Vergleich weit auseinander. Die Spannbreite reicht von veranlagungsbezogenen Prüfungen über zeitnahe Prüfungen im Jahresturnus bis zu Prüfungen, die mehrere Veranlagungszeiträume umfassen. Soweit die gesetzlichen Regelungen Abweichungen zulassen, können sich kooperationswillige Staaten in der Praxis des jeweils in Betracht kommenden Falls 465 Vgl. dazu die Wortbeiträge von Gert Müller-Gatermann und Klaus-Dieter Drüen mit dem konkreten Beispiel der Funktionsverlagerung beim 11. Münchener Unternehmenssteuerforum, Maximilian Haag/Dorothea Jehle, in: DStR-Beihefter 2013, 79 (81). 466 Vgl. Stefan Greil/Stephan Rasch, in: Cahiers De Droit Fiscal International, Volume 101a, S. 263 (283). Sollte es zur Einführung einer GKKB kommen, entfallen die Probleme unabgestimmten materiellen Steuerrechts jedenfalls teilweise. Wegen möglicherweise zu befürchtender falscher Anreize bei der unilateralen Außenprüfung von einer GKKB unterfallenden multinationalen Konzernen erscheint die verbindliche Durchführung gemeinsamer Betriebsprüfungen als probates Mittel, diesen Fehlanreizen entgegenzutreten. 467 Vgl. die Untersuchungsergebnisse zur unterscheidlichen Prüfungspraxis bei Christoph Spengel/Martina Ortmann-Babel/Sebastian Matenaer, in: Ubg 2012, 466 (468).
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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mit ihrem Prüfungsturnus aneinander annähern,468 wobei insb. Verjährungsregeln der Flexibilität Grenzen setzen können. Ähnliches gilt für die Prüfungsdauer. Während in einigen Staaten lange Prüfungsdauern – bis hin zur ständigen Anwesenheit von Betriebsprüfern im Betrieb – nichts Ungewöhnliches sind, sehen andere Staaten starre Begrenzungen der maximal zulässigen Prüfungsdauer zu. Auch insofern wird es in erster Linie darauf ankommen, ob die beteiligten Finanzbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten die Bereitschaft aufbringen können, die Prüfungsdauer anzugleichen. Allerdings ist insofern zu beachten, dass es sich de lege weiter um zwei getrennte Außenprüfungen handelt, sodass eine abweichende Prüfungsdauer auf die Prüfung im anderen Staat üblicherweise keine unmittelbaren Auswirkungen hat. Eine Öffnung der deutschen Verwaltungspraxis bei Fragen des Prüfungszeitraums und der Prüfungsdauer wäre daher zu begrüßen,469 insb. ist m. E. vermehrt zu überlegen, ob die Durchführung einer Zweitprüfung470 in Betracht kommt. Soweit Prüfungsziele und -gegenstände auseinanderfallen, wird die zentrale Herausforderung für kooperationswillige Steuerverwaltungen darin bestehen, gemeinsame Interessen auszuloten. Jedenfalls in Bezug auf die für beide Staaten relevanten grenzüberschreitenden Sachverhalte sollte dies ohne große Hürden möglich sein. Weil sich die grenzüberschreitende Prüfungstätigkeit (regelmäßig) allein auf diese Sachverhalte bezieht, erscheint es naheliegend, dass die Finanzbehörden insofern in der Lage sind, gemeinsame Prüfungsziele und -gegenstände zu vereinbaren. Unabhängig von der Frage, ob in Zukunft ein Rechtsrahmen für die Erarbeitung eines gemeinsamen Prüfungsergebnisses bzw. -berichts entwickelt wird,471 ist die übereinstimmende Sachverhaltsfeststellung und -bewertung eine zentrale tatsächliche Herausforderung bei der konkreten Zusammenarbeit der beteiligten Prüfer.472 Zwischen diesen sollte daher von vornherein Einvernehmen darüber bestehen, dass eine gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfung nur mit einem einheitlichen Ergebnis hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen und deren rechtlicher Bewertung beendet werden soll.473 Unterschiedliche Interessen der beteiligten Prüfer können einer Einigung allerdings massiv im Wege stehen, bspw. weil die Einkommen von Prüfern nach Mehrergebnissen aus Betriebsprüfungen bemessen werden.474 468
Vgl. Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (90). Vgl. Klaus-Dieter Drüen beim 11. Münchener Unternehmenssteuerforum, Maximilian Haag/Dorothea Jehle, in: DStR-Beihefter 2013, 79 (80). 470 Vgl. zur Zulässigkeit von Zweitprüfungen bereits S. 50, 189 f. 471 Vgl. dazu bereits S. 304 ff. sowie die diesbezüglichen Vorschläge in Kapitel 7. 472 Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 15 (57); Christian Beckmann, in: IStR 2016, 627 (629 f.); vgl. auch Thomas Eisgruber, DStR-Beihefter 2013, 89 (91). 473 Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (602). 474 Christoph Spengel/Martina Ortmann-Babel/Sebastian Matenaer, in: Ubg 2012, 466 (475); vgl. auch Thomas Sieber beim 11. Münchener Unternehmenssteuerforum, Maximilian Haag/Dorothea Jehle, in: DStR-Beihefter 2013, 79 (80). 469
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Sowieso ergeben sich auch aus der Perspektive der beteiligten Prüfer ganz erhebliche praktische Schwierigkeiten. Das beginnt mit den unterschiedlichen Sprachen, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Außenprüfung eine Rolle spielen.475 Die Amtssprache für das Besteuerungsverfahren in Deutschland bleibt Deutsch, sodass die förmliche Schlussbesprechung und der Prüfungsbericht (auch) in dieser Sprache verfasst sein müssen. Die Befragung von Personen im anderen Staat wird häufig aber in der dort üblichen Landessprache oder auf Englisch erfolgen. Das gleiche gilt für die Kommunikation mit den Betriebsprüfern des anderen Staates. Es empfiehlt sich daher im Einvernehmen mit allen Beteiligten Englisch als Arbeitssprache festzulegen, soweit sich die Außenprüfung auf Elemente der grenzüberschreitenden Betriebsprüfung bezieht. Gerade aus Sicht multinationaler Unternehmen, die häufig selbst Englisch als Konzernsprache verwenden, dürfte darin kein Erschwernis zu sehen sein. Auch für die beteiligten Prüfer wird die Verständigung auf Englisch häufig leichter sein als eine bi- oder multilinguale Prüfung. Darüber hinaus stehen Prüfer im Ausland vor praktischen Fragen, die sich nur durch eine weitergehende Übung der grenzüberschreitenden Kooperation werden überwinden lassen: Sie haben im Ausland zumeist keine eigenen (elektronischen) Datensätze, auf die sie zugreifen könnten, sie kennen die beteiligten Kollegen kaum, haben keine Kenntnis der Behördenstruktur im Ausland und nur rudimentäres Wissen über das steuerliche Verfahrensrecht. 3. Auseinanderfallen der Zuständigkeiten in Deutschland Die Zuständigkeiten über die Entscheidung, ob Deutschland sich an der Durchführung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung beteiligt, fallen im Anwendungsbereich des EUAHiG auseinander. Bei der Initiierung einer gemeinsamen Betriebsprüfung durch eine deutsche Länderfinanzbehörde, entscheidet das BZSt nach Zuleitung auf dem regulären Dienstweg gem. § 12 Abs. 1 EUAHiG nach freiem Ermessen darüber, ob es mit dem ausländischen Staat eine gemeinsame Außenprüfung vereinbart. Bei Initiierung durch ausländische Behörden prüft das BZSt hingegen nur, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung vorliegen. Die Entscheidung über die Teilnahme an der gemeinsamen Betriebsprüfung liegt nach dem klaren Wortlaut des § 12 Abs. 3 EUAHiG im Ermessen der zuständigen Landesfinanzbehörde.476 Damit entscheidet die Landes-
475
Mit einem anschaulichen Beispiel aus der deutschen und italienischen Rechtssprache Thomas Eisgruber, DStR-Beihefter 2013, 89 (91); Steffen Voll/Roland Pfeiffer/Paul Chao, in: Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, S. 383 (415). 476 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (53), die darin zutreffend eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Kompetenzausübungsschranke und keine Kompetenzübertragung sehen.
C. Praktische Umsetzung und Herausforderungen
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finanzbehörde darüber, ob dem ausländischen Wunsch entsprochen wird und eine gemeinsame Betriebsprüfung durchgeführt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Gesetzgeber bei der Entscheidung zur Einführung des § 12 EUAHiG dieser Spaltung der Zuständigkeit bewusst gewesen ist. Jedenfalls können die örtlichen Finanzämter schon jetzt die Durchführung einer gemeinsamen Außenprüfung gegen den Willen des BZSt ermöglichen. Dazu müssen diese lediglich ihre Kollegen im ausländischen Staat überzeugen, eine grenzüberschreitende Prüfung zu initiieren, sodass das BZSt nur noch die rechtliche Zulässigkeit der Prüfung übernimmt.477 4. Kompetenzverschiebung, zentrale Steuerung und die Rolle des Bundeszentralamts für Steuern Mit der Etablierung grenzüberschreitender Betriebsprüfungen könnte eine Dezentralisierung des Knowhows und der Entscheidungskompetenz bei der Lösung grenzüberschreitender Besteuerungskonflikte mit der Folge einer Zersplitterung des Außenauftretens der Bundesrepublik befürchtet werden. Im Rahmen von Verständigungsverfahren ist das BZSt als Competent Authority maßgeblich verantwortlich. Wenngleich dieser Status (bisher) nicht an die Prüfer vor Ort delegiert wird, verliert das BZSt dennoch maßgeblich Steuerungs- und Angleichungsmöglichkeiten, weil „Deals“ der beteiligten Finanzbehörden zu verschiedenen Prüfungen auch im Rahmen gemeinsamer Betriebsprüfungen in Betracht kommen; ja geradezu wünschenswert sind. Andererseits kann dann ohne Implikation einer zentralen Steuerung im BZSt eine gleichmäßige Rechtspraxis wie bei Verständigungsverfahren nicht gewährleistet werden. Aufgrund der Außenkompetenz des Bundes wäre eine solche zentrale Bündelung der grenzüberschreitenden Abstimmungs- und Prüfungsprozesse beim Bund bei grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen durchaus möglich.478 Das BZSt ist bereits jetzt als zuständige Behörde bei allen Fällen grenzüberschreitender Betriebsprüfungen involviert. Die Bundesbetriebsprüfung kann gem. §§ 193 ff. AO, § 5 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 FVG und § 20 Abs. 1 BpO an den steuerlichen Außenprüfungen der Länder mitwirken und damit einen wesentlichen Beitrag zur Gleichmäßigkeit der Besteuerung leisten. Schon heute ist einer der Schwerpunkte der Mitwirkung die Prüfung von Auslandsbeziehungen. Nach § 19 Abs. 3 FVG kann die Bundesbetriebsprüfung im Einzelfall im Auftrag des Landes sogar Vollprüfungen durchführen. Das BZSt hat damit schon jetzt Möglichkeiten, auf einen einheitlichen Außenauftritt der Bundesrepublik hinzuwirken, von denen es 477
Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (53). 478 So auch Klaus-Dieter Drüen Funktionsverlagerung beim 11. Münchener Unternehmenssteuerforum, Maximilian Haag/Dorothea Jehle, in: DStR-Beihefter 2013, 79 (81).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
auch Gebraucht macht.479 Vor diesem Hintergrund erscheint ein weiterer Ausbau der Bundesbetriebsprüfung mit einer entsprechenden Personalausstattung beim BZSt angezeigt.480 Bei allen Überlegungen zum einheitlichen Außenauftritt ist allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen Betriebsprüfungen und Verständigungsverfahren zu beachten. Während Verständigungsverfahren der retrograden Beseitigung von – zumeist durch einzelstaatliche Außenprüfungen verursachte – Doppelbesteuerungen dienen, knüpfen gemeinsame Betriebsprüfungen bereits auf der Ebene der Prüfungsfeststellungen und -bewertung – also anterograd – an. Dieser Unterschied ist nicht nur theoretischer Natur, weil das BZSt auch bei der Prüfung von Auslandssachverhalten nur ausnahmsweise involviert ist. Die Ermittlung (internationaler) Steuersachverhalte liegt gerade nicht im originären Zuständigkeitsbereich des BZSt, sondern bei den Landesfinanzbehörden. Daraus, dass bei gemeinsamen Betriebsprüfungen auch ausländische Prüfer beteiligt sind und durch die gemeinsame Prüfung vor allem ein besserer Blick auf die Gesamtzusammenhänge ermöglicht wird, ergibt sich insofern gegenüber klassischen unilateralen Betriebsprüfungen kein wesentlicher Unterschied. Letztlich sollten die von den Länderfinanzverwaltungen ausgehenden Aktivitäten, gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfungen mit kurzen Kommunikationswegen zu etablieren, nicht durch Zustimmungsvorbehalte des BZSt ausgebremst werden, sondern verdienen im Gegenteil die Unterstützung des Bundes.481
III. Tatsächliche Grenzen Formalrechtlich sind de lege lata trotz der weitreichenden Möglichkeiten zur Integration nur getrennte Betriebsprüfungen möglich.482 Aus praktischer Sicht ist darin m. E. aber kein erheblicher Nachteil zu sehen. Inhaltlich ermöglicht der bestehende Rechtrahmen eine abgestimmte, integrierte Vorgehensweise, die den von der OECD skizzierten Maßstäben aus Perspektive der Steuerpflichtigen sehr nahekommt. Neben den bereits beim Informationsaustausch beklagten Rechtswirrwarr treten vor allem tatsächliche Herausforderungen, die letztlich nur durch eine weitere Übung der internationalen Kooperation überwunden werden können. Jedenfalls zeigt sich das deutsche Verfahrensrecht im Kern als flexibel genug, um eine gemeinsame
479
BMF v. 6. Januar 2017, IV B 6 – S 1315/16/10016, Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, Tz. 3. 480 Gert Müller-Gatermann beim 11. Münchener Unternehmenssteuerforum, Maximilian Haag/Dorothea Jehle, in: DStR-Beihefter 2013, 79 (81). 481 Roman Seer, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 26 OECD-MA, Rn. 74. 482 Jörg Eimler, in: StbJb 2015/2016, S. 533 (573).
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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Betriebsprüfung auch mit solchen Staaten zu ermöglichen, die über eine andere Prüfungskultur verfügen.
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen Der bestehende rechtliche Rahmen und die sich im Vergleich zur OECD-Definition von Joint Audits ergebenden Unterschiede sind herausgearbeitet. Daran anknüpfend ist zu beleuchten, ob eine Weiterentwicklung von grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen zu Joint Audits i.S.d. OECD-Reports sinnvoll und möglich ist.
I. Verstärkte Integration bei gemeinsamen Betriebsprüfung Eine vollständige Verfahrensfusion mit einem einheitlichen Prüferteam, Verfahrensrecht, Prüfungsergebnis und Veranlagungsverfahren erscheint – jedenfalls aus heutiger Sicht – schwer vorstellbar. Nichtsdestoweniger bleiben Felder, in denen ein höherer Integrationsgrad bei grenzüberschreitenden Prüfungen sinnvoll und ohne schwerwiegende Eingriffe in bestehende rechtliche Strukturen möglich ist. 1. Bildung eines einheitlichen Prüferteams und Vereinheitlichung des Verfahrensrechts Soll bei gemeinsamen Betriebsprüfungen ein einheitliches Team gebildet werden, bei dem die Prüfer in allen beteiligten Staaten mit den gleichen Befugnissen ausgestattet sind, bedürfte es eines vom Erlass der Prüfungsanordnung bis zum Rechtsschutz gegen den Prüfungsbericht einheitlichen Verfahrensrechts, das bei der Prüfungstätigkeit beiderseits der Grenze zur Anwendung käme. In Bezug auf Außenprüfungen ist die Entwicklung eines einheitlichen Verfahrensrechts vor dem Hintergrund der ganz unterschiedlichen Rechtskulturen, verfassungsrechtlichen Vorgaben und Verwaltungspraxis nicht zu realisieren. Zudem ist das Auseinanderfallen des Verfahrensrechts für Betriebsprüfungen bei Joint-Audit-Fällen und NichtJoint-Audit-Fällen zu vermeiden. Es wäre kaum nachvollziehbar, weshalb für gemeinsam geprüfte Fälle ein anderes Prüfungsregime greifen sollte als für bloß innerstaatlich geprüfte Fälle, obwohl beide Fälle dem gleichen materiellen Steuerrecht unterliegen. Das gilt auch dann, wenn die gemeinsame Prüfung lediglich neben eine isolierte innerstaatliche Prüfung tritt, was seinerseits aus verwaltungsökonomischen Gründen zu vermeiden ist. Die de lege Trennung der Prüfungen bedeutet aber nicht, dass die beteiligten Prüfer von den betroffenen Prüfungssubjekten nicht de facto geschlossen als einheitliches Team wahrgenommen werden, unabhängig davon, in welchem Staat die konkrete Ermittlungshandlung stattfindet.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
2. Verbindliche Einigung Bisher ist bei gemeinsamen Betriebsprüfungen die Erzielung einer Einigung hinsichtlich der Feststellung und Bewertung der geprüften Sachverhalte nicht verbindlich vorgegeben. Wenngleich die Steuerverwaltungen auf eine Verständigung hinwirken,483 können sie aus den gemeinsam ermittelten und untereinander ausgetauschten Informationen ganz unterschiedliche Schlüsse für die Sachverhaltsfeststellung und -bewertung ziehen. Gerade von Seiten der Unternehmer- und Beraterschaft wird allerdings eine Einigung über die tatsächlichen Feststellungen und die daran anknüpfende abgestimmte rechtliche Behandlung des Steuerfalls als zentraler Vorteil gemeinsamer Prüfungen gesehen. Es ist daher erwägenswert, verbindliche Verfahren zur Erzielung einer Einigung in gemeinsame Betriebsprüfungen zu implementieren, um die zum Teil gegen gemeinsame Betriebsprüfungen bestehenden Vorbehalte abzubauen.484 Auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist die Einführung eines verbindlichen Einigungsverfahrens angezeigt, weil die Durchführung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung für die betroffenen Steuerpflichtigen eingriffsintensiver wirkt als die Durchführung nicht nur rechtlich sondern auch tatsächlich getrennter Prüfungen. Ein Einigungsverfahren ließe sich auf Prüfungsebene integrieren oder aber als gestuftes Verfahren vorsehen, indem die Prüfung bei fehlender Einigkeit automatisch in einem Verständigungsverfahren oder einem Schiedsverfahren mündet. a) Integriertes Einigungsverfahren auf Prüfungsebene Ein Einigungsverfahren könnte in gemeinsame Betriebsprüfungen integriert werden, indem verbindlich festgelegt wird, dass eine Prüfung nur mit einem abgestimmten Prüfungsprotokoll ohne strittige Punkte beendet werden darf. Dazu könnte auch der Status als Competent-Authority für Verständigungsverfahren auf die prüfenden Bediensteten übertragen werden. In der Sache wäre mit beiden Schritten indes wenig gewonnen, weil unterschiedliche Überzeugungen allein aufgrund eines gesetzlichen Zwangs kaum zu überwinden sind, vor allem, weil die Betriebsprüfer weitgehend an ihr innerstaatliches Recht gebunden sind.485 Es ist sogar zu befürchten, dass Behörden die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Prüfung vorzeitig abbrechen, wenn für sie erkennbar ist, dass eine Einigung voraussichtlich nicht erzielt werden kann. Dann wird eine einvernehmliche Einigung auch im Rahmen eines separaten Verständigungsverfahrens kaum noch zu erreichen sein. Zudem steht zu befürchten, dass das Klima für eine zukünftige Zusammenarbeit ebenfalls vergiftet ist. Ein Einigungszwang ist daher abzulehnen. 483
Ernst Czakert, in: IStR 2013, 596 (600). Vgl. Holger Peters/Markus Kircher/Daniel Moll, in: IStR 2016, 2 (9). 485 Ekkehart Reimer/Johannes Becker, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 44 (57). 484
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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b) Automatische Einleitung eines Verständigungsverfahrens Diese Nachteile wären bei der automatischen verwaltungsseitigen Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht zu besorgen.486 Der jedenfalls in Deutschland mit der Durchführung eines Verständigungsverfahrens verbundene Devolutiveffekt führt dazu, dass die ursprünglich beteiligten Behörden nicht in ihrer konfrontativen Position beharren. Insb. können die beteiligten Bediensteten die kritischen Punkte herausarbeiten und den für Verständigungsverfahren zuständigen Behörden vorlegen. Allerdings treten in dieser Verfahrensform die bereits bekannten Nachteile von Verständigungsverfahren auf. Durch die automatische Einleitung des Verständigungsverfahrens wird allenfalls eine geringe Zeitersparnis erreicht. Andererseits werden die Handlungsalternativen des Steuerpflichtigen verkürzt: Nationale Rechtsschutzmöglichkeiten wird er vor Beendigung des Verständigungsverfahrens kaum ergreifen können. M. E. ergeben sich daraus gegenüber dem bisherigen Vorgehen der frühzeitigen Inkenntnissetzung der betroffenen Steuerpflichtigen keine nennenswerten Vorteile, sodass auch die automatische Einleitung eines Verständigungsverfahrens abzulehnen ist. c) Unmittelbare Einleitung eines Schiedsverfahrens Nach dem Scheitern einer Einigung im Rahmen der gemeinsamen Prüfungstätigkeit kann zudem ein Schiedsverfahren durchgeführt werden. Die unmittelbare Einleitung eines Schiedsverfahrens ist jedoch nicht möglich. Zunächst muss der erfolglose Ausgang des sich der Prüfung anschließenden Verständigungsverfahrens i. e.S. abgewartet werden. Regelmäßig beansprucht dieser Prozess mehrere Jahre,487 sodass der streitgegenständliche Besteuerungstatbestand nach der erfolglosen Durchführung über zehn Jahre in der Vergangenheit liegen kann. Es ist daher zu überlegen, ob bei Fällen gemeinsamer Betriebsprüfung nicht auf die Durchführung eines formellen Verständigungsverfahrens i. e.S. verzichtet werden kann. Wie sich bereits mehrfach gezeigt hat, kommt die Durchführung einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung funktional einem Verständigungsverfahren sehr nah, sodass es meines Erachtens weder für die Finanzbehörden noch für die Steuerpflichtigen einen Nachteil bedeutet, auf die Durchführung eines Verständigungsverfahrens zu verzichten und den Steuerpflichtigen zu ermöglichen, direkt die Durchführung eines Schiedsverfahrens zu beantragen. Die Finanzbehörden hatten bereits im Rahmen der gemeinsamen Prüfungstätigkeit die Möglichkeit, eine gemeinsame Lösung anzustreben, während die Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren ohnehin nicht mit eigenen Rechten ausgestattet sind und insofern durch die
486
Für eine automatische Einleitung eines Verständigungsverfahrens plädieren Michael Puls/Semera Heravi, in: ISR 2017, 301 (306) unter Verweis auf den OECD Joint Audit Report 2010, S. 5, 30. 487 Vgl. Xaver Ditz/Sven-Eric Bärsch/Sven Kluge, in: IStR 2015, 819 (822, Fn. 7).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
unmittelbare Durchführung eines Schiedsverfahrens keine Verkürzung ihrer eigenen Beteiligungsrechte in Kauf nehmen müssten. Auch ließe sich überlegen, automatisch die Einleitung eines Schiedsverfahrens für die Teile der gemeinsamen Prüfung vorzusehen, zu denen keine Einigkeit erzielt werden konnte. Meines Erachtens spricht aber nichts dagegen, die Entscheidung über die Einleitung eines Schiedsverfahrens in die Hände des Steuerpflichtigen zu legen, der selbst abwägen kann, ob er überhaupt solchen Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Finanzbehörden suchen will oder lieber den nationalstaatlichen Rechtsweg beschreitet. Hat eine grenzüberschreitende Betriebsprüfung stattgefunden, ohne dass eine Einigung für alle untersuchten Punkte erzielt werden konnte, ist de lege ferenda die unmittelbare Einleitung eines Schiedsverfahrens zu ermöglichen – bspw. indem die erfolglose Durchführung eines Verständigungsverfahrens fingiert wird. Diese Straffung kann die Verfahrensdauern um Jahre verkürzen. 3. Bindungswirkung für gefundene Einigungen Konnte im Rahmen der gemeinsamen Betriebsprüfung Einigkeit über die Feststellung und die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts erzielt werden, entfaltet das entsprechende Protokoll de lege lata keine rechtlich verbindliche Wirkung.488 Der Steuerpflichtige wird damit vor abweichenden nationalen Prüfungsergebnissen und daran anknüpfend vor abweichender Besteuerung schutzlos gestellt. Häufig ist die Zustimmung eines Steuerpflichtigen zur Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen von der Hoffnung getragen, dass die kooperierenden Finanzbehörden ein gemeinsames Ergebnis finden und die daran anknüpfende Besteuerung verbindliche, aber langwierige Verständigungsverfahren vermeiden kann. Fehlt es an der rechtlichen Bindungswirkung einer gefundenen Einigung, kann sich der Steuerpflichtige darauf nicht verlassen. Aber auch aus Sicht der beteiligten Staaten ist die Verbindlichkeit der Einigung wünschenswert. Im Rahmen der Prüfung nähern sich die beteiligten Finanzbehörden mit ihren Feststellungen häufig aneinander an und suchen Lösungen zur Beseitigung von Besteuerungskonflikten. Selten wird sich dabei eine Extremposition durchsetzen. Vielmehr sind die Verhandlungen von einem Geben und Nehmen geprägt. Ein solches Geben und Nehmen kann aber nur dann dauerhaft funktionieren, wenn sich die Staaten darauf verlassen können, dass die gefundene Einigung im anderen Staat auch umgesetzt wird. Um in dieser Frage Rechtssicherheit zu schaffen, empfiehlt es sich, für eine rechtliche Verbindlichkeit der gefundenen Einigung zu sorgen. Der Abschluss individueller bindender völkerrechtlicher Verträge scheidet dabei als Lösungsansatz wegen der kompetenzrechtlichen Hürden aus. Vielversprechender ist die Anpassung der Rechtsgrundlagen für grenzüberschreitende Außenprüfungen dahingehend, dass 488
Vgl. S. 304 ff., 329.
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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die gefundenen Einigungen zur Grundlage der steuerlichen Veranlagung in den beteiligten Staaten gemacht werden müssen. Um der gefundenen Einigung auch Wirkung für die Zukunft zukommen zu lassen, sollten die Steuerverwaltungen in geeigneten Verrechnungspreisfällen die Möglichkeit zur unmittelbaren Einleitung eines bi- oder multilateralen APA einführen.489 Dabei müssen die beteiligten Fiskalbeho¨ rden nicht auf einem weiteren Antragsformalismus bestehen, sondern können in pragmatischer Weise die Übertragung der gefundenen Ergebnisse im Rahmen eines sog. Anschluss-APA ermöglichen.490
II. Neuer Rechtsrahmen Die bisherigen Rechtsgrundlagen, die zur Durchführung grenzüberschreitender Betriebsprüfungen herangezogen werden, sind äußerst vielfältig. Die gemeinsame Prüfungstätigkeit ist derzeit rechtlich vor allem als Verkürzung der Informationswege beim zwischenstaatlichen Informationsaustausch impliziert. Gerade, weil gemeinsame Betriebsprüfungen aber schon heute ganz wesentlich auch Elemente eines vorweggenommenen Verständigungsverfahrens enthalten, müssen gemeinsame Betriebsprüfungen sich auch rechtlich als eigene Form der Amtshilfe von der zwischenstaatlichen Informationshilfe befreien können. Für eine derartige Emanzipation bedarf es der Erarbeitung eines diesem Gedanken folgenden neuen Rechtsrahmens, der zugleich die ausgemachten Probleme ausräumt und eine verstärkte Integration der gemeinsamen Prüfungstätigkeit ermöglicht. Konkrete Vorschläge finden sich im Kapitel 7 und werden im Folgenden erläutert. 1. Nationale Ebene Im deutschen steuerlichen Verfahrensrecht ist die Schaffung einer expliziten Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen angezeigt, die Bedingung und Folgen gemeinsamer Betriebsprüfungen präzisiert. Um gemeinsame Betriebsprüfungen von den Voraussetzungen der Amtshilfe i.S.d. § 117 AO zu lösen, kann eine zentrale Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen eingeführt werden. Mit § 117d Abs. 1 AO-V wird vorgeschlagen, klarzustellen, dass die Finanzbehörden mit anderen Staaten gemeinsame Außenprüfungen und andere gemeinsame behördliche Ermittlungen nach Maßgabe des deutschen Rechts durchführen können. § 117d Abs. 2 S. 1 AO-V regelt, dass ihre Durchführung auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union, des EUAmtshilfegesetzes oder anderer auf gemeinsame Außenprüfungen oder andere ge489 490
Michael Puls/Semera Heravi, in: ISR 2017, 301 (306). Michael Puls/Semera Heravi, in: ISR 2017, 301 (306).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
meinsame behördliche Ermittlungen bezugnehmender gesetzlicher Bestimmungen zulässig ist. § 117d Abs. 2 S. 2 AO-V stellt klar, dass die §§ 193 ff. AO gemeinsame Außenprüfungen und andere gemeinsame behördliche Ermittlungen entsprechend gelten, soweit nichts anders bestimmt ist. Wenn keine Rechtsgrundlage i.S.d. § 117d Abs. 2 S. 1 AO-V zur Verfügung steht, stellt § 117d Abs. 3 AO-V die Durchführung unter den dort genannten Voraussetzungen in das pflichtgemäßem Ermessen der Behörden. Soweit die gemeinsame Außenprüfung oder andere gemeinsame behördliche Ermittlung Steuern betrifft, die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, entscheidet gem. § 117d Abs. 3 S. 2 AO-V das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde über die Durchführung. Mit der Einführung eines neuen § 193 Abs. 3 AO-V sollte zudem ermöglicht werden, dass Außenprüfungen als gemeinsame Prüfungen – insb. im Anwendungsbereich des § 117d Abs. 3 AO-V – auch bei anderen Personen als den in § 193 Abs. 1, Abs. 2 AO-V bezeichneten Steuerpflichtigen zulässig sind.491 Um die Umsetzung der Ergebnisse gemeinsamer Betriebsprüfungen auch in Fällen sog. Zweitprüfungen sicherzustellen, ist eine Überarbeitung des § 173 AO angezeigt. Einerseits ist die Reichweite des § 173 Abs. 2 AO durch die Ergänzung eines neuen § 173 Abs. 3 AO-V einzuschränken, soweit die neuen Tatsachen oder Beweismittel steuerliche Verhältnisse mit Bezug zum Ausland betreffen und sie durch eine gemeinsame Außenprüfung i.S.d. § 117d Abs. 1 AO-V bekannt werden. Weil es auch im anderen Staat zu prüfungsbedingten Korrekturen kommen kann, ist andererseits erforderlich, dass diese in Deutschland nachvollzogen werden können, um eine prüfungsbedingte Doppelbesteuerung auszuschließen. Deswegen ist auch die Regelung des § 173 Abs. 2 Nr. 2 AO dahingehend durch § 173 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 Halbs. 2 AO-V zu ergänzen, dass es für Fälle des Bekanntwerdens von Tatsachen oder Beweismitteln im Rahmen gemeinsamer Außenprüfungen nicht auf das Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt. Die vorgeschlagenen Anpassungen und Ergänzungen der Abgabenordnung können zur Rechtssicherheit beitragen und machen die Durchführung ebenso wie die Folgen gemeinsamer Betriebsprüfungen für die beteiligten Akteure kalkulierbarer. 2. Europäische Ebene Der Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zieht gemeinsame Steuerprüfungen durch speziell ausgebildete Prüferteams als längerfristige Maßnahme in Betracht und deutet die Möglichkeit eines Kommissionsvorschlags für eine einheitliche euro-
491
Vgl. zu diesem Problem im derzeit gültigen Rechtsrahmen S. 301 f.
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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päische Rechtsgrundlage für gemeinsame Prüfungen an.492 Eine solche Rechtsgrundlage könnte durch eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Einführung gemeinsamer Betriebsprüfungen geschaffen werden. Es wird vorgeschlagen, mit Art. 11a EUAHi-RL-V in Ergänzung zum bestehenden Art. 11 EUAHi-RL konkrete Bedingungen für die Durchführung gemeinsamer behördlicher Ermittlungen zu definieren. Während Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EUAHi-RL noch an den Zweck des Informationsaustausches anknüpft, ist Art. 11a Abs. 1 S. 1 EUAHi-RL-V offen formuliert. Art. 11a Abs. 1 S. 2 EUAHi-RL-V legt die Überprüfung der Angaben eines oder mehrerer Steuerpflichtiger für einen bestimmten Zeitraum oder einen bestimmten Gegenstand der Besteuerung als Thema gemeinsamer behördlicher Ermittlungen fest. Gem. Art. 11a Abs. 1 S. 3 EUAHi-RLV richten die zuständigen Behörden zur Durchführung der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen eine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, deren Mitglieder gem. Art. 11a Abs. 2 S. 1 EUAHi-RL-V im Rahmen der vereinbarten gemeinsamen behördlichen Ermittlungen ermächtigt sind, bei allen Ermittlungsmaßnahmen zugegen zu sein, Prüfungshandlungen vorzunehmen, unmittelbar mit dem oder den Steuerpflichtigen und miteinander zu verkehren sowie Informationen unmittelbar miteinander auszutauschen, soweit dies nach den Vorschriften dieser Richtlinie zulässig ist. Mit Art. 11a Abs. 2 S. 2 EUAHi-RL-V wird fingiert, dass Informationen zum Zwecke der Gewinnung und des Austauschs als voraussichtlich erheblich i.S.d. Amtshilferichtlinie gelten. Die Beschränkung des Art. 17 Abs. 1 EUAHi-RL wird suspendiert. Damit wird eine möglichst weitreichende unmittelbare Informationsgewinnung aber auch ein weitreichender -austausch sichergestellt. Hindernisse und Unklarheiten, die sich noch bei der Anwendung des Art. 11 EUAHi-RL ergeben, sind damit weitgehend ausgeschlossen. Insb. hängt die Durchführung einer gemeinsamen Betriebsprüfung damit nicht davon ab, ob nicht schon rein nationale Maßnahmen geeignet wären, die fraglichen Informationen zu erhalten. Damit wird die Eingriffintensität gemeinsamer Betriebsprüfungen erhöht, die sich aber damit rechtfertigen lässt, dass die verfahrensrechtliche Vereinfachung auch für die betroffenen Steuerpflichtigen entlastend wirken kann, Besteuerungskonflikte leichter vermieden werden können oder zumindest ein folgendes Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren beschleunigt eingeleitet werden kann.493 Letztlich werden den Bediensteten beider Mitgliedstaaten mit Art. 11a Abs. 2 S. 3 EUAHi-RL-V die gleichen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung eingeräumt, allerdings unter Berücksichtigung der in ihrem Heimatstaat geltenden Beschränkungen (Art. 11a Abs. 2 S. 4 Alt. 1 EUAHi-RL-V). Gem. Art. 11a Abs. 2 S. 4 Var. 2 EUAHi-RL-V dürfen die inländischen Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe den ausländischen Mitglieder die Durchführung von Maßnahmen allerdings unter492 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, „Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung“, KOM (2012) 722 endg., S. 12; Till Meickmann, in: IStR 2014, 591 (593); Steffen Voll/Roland Pfeiffer/Paul Chao, in: Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, S. 383 (414). 493 Dazu sogleich ausführlich unter dieser Überschrift.
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
sagen, wenn die Übermittlung der mit der Maßnahme zu ermittelnden Information abgelehnt werden könnte, insb. wenn dies zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbeoder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens führen würde oder wenn die Preisgabe der betreffenden Information die öffentliche Ordnung verletzen würde (Art. 17 Abs. 4 EUAHi-RL). Damit kann verhindert werden, dass durch die ausländischen Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe Informationen ermittelt werden, die im Rahmen des Informationsaustausches nicht übermittelt werden dürften. So wird insb. den datenschutzrechtlichen Bedürfnissen der betroffenen Unternehmen Rechnung getragen, obwohl diese bereits durch den datenschutzrechtlichen Mindeststandard des Art. 8 EU-GRCharta weitreichenden Schutz genießen.494 Um die funktionale Nähe zum Verständigungsverfahren auch rechtlich zu konturieren, verpflichtet Art. 11a Abs. 3 S. 1 EUAHi-RL-V die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe, sich um eine einheitliche Feststellung und Bewertung der untersuchten Sachverhalte zu bemühen. Erfolgt keine einheitliche Feststellung und Bewertung der Sachverhalte, die Gegenstand der gemeinsamen behördlichen Ermittlung sind und kann die Besteuerung dieser strittigen Sachverhalte nach den nationalen Vorschriften deswegen eine Doppelbesteuerung auslösen, wird den betroffenen Personen nach Art. 11a Abs. 3 S. 2 EUAHi-RL-V die Möglichkeit eingeräumt, ein Streitbeilegungsverfahren nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie zu beantragen. Dabei gilt das in der EU-Streitbeilegungsrichtlinie vorgesehene Vorverfahren ebenso wie das Verständigungsverfahren gem. Art. 11a Abs. 3 S. 3 EUAHi-RL-V als erfolglos durchgeführt. Damit können die strittigen Punkte einer gemeinsamen behördlichen Ermittlung unmittelbar einem Schlichtungsverfahren zugeführt werden. Art. 11a Abs. 4 S. 1 EUAHi-RL-V soll normieren, dass die gemeinsamen behördlichen Ermittlungen mit einem Abschlussbericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe zu beenden sind, der den Steuerpflichtigen nach Abschluss der Ermittlungen bekanntzugeben ist und der die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen ebenso wie die wesentlichen Ergebnisse der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen zusammenfasst, wobei sowohl die Punkte, in denen Einigkeit über die Feststellung und Bewertung eines Sachverhalts erzielt werden konnte als auch die Punkte, in denen Uneinigkeit über die Feststellung oder Bewertung eines Sachverhalts besteht, aufzuführen sind (Art. 11a Abs. 4 S. 2, S. 3 EUAHi-RL-V). Soweit Einigkeit über die Feststellung und Bewertung des Sachverhalts besteht, bildet der Abschlussbericht gem. Art. 11a Abs. 4 S. 4 EUAHi-RL-V die Grundlage für weitere Maßnahmen der Besteuerung, die sich nach den nationalen Vorschriften richten. Der neue Art. 11a EUAHi-RL-V müsste im nationalen Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Für Deutschland wird für diesen Zweck eine Überarbeitung der §§ 10, 11, 12 EUAHiG-V vorgeschlagen. § 11 Abs. 1 S. 1 EUAHiG-V bestimmt, dass das zentrale Verbindungsbüro die Durchführung gemeinsamer Ermittlungen auf 494
Vgl. Steffen Lampert/Till Meickmann, in: ISR 2014, 305 (305 f.).
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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Vorschlag einer Landesfinanzbehörde oder eines anderen Mitgliedstaats unter der Voraussetzung der Zustimmung des jeweils anderen vereinbart. Entgegen der bisherigen Rechtslage wird damit das Auseinanderfallen der Entscheidungskompetenz495 über die Beteiligung an gemeinsamen Betriebsprüfungen aufgehoben und die Zuständigkeit für die Entscheidung komplett in die Hände der Landesfinanzbehörden gegeben. Soweit im Übrigen keine Abweichungen bestimmt sind, richtet sich das Verfahren nach § 12 EUAHiG-V, der im Vergleich zur bisherigen Regelung nur marginal angepasst wird. Im Weiteren übertragen die § 11 Abs. 2 – Abs. 3 EUAHiGV die Regelungen der Artt. 11a Abs. 2 – Abs. 4 EUAHi-RL-V in nationales Recht, nehmen dabei aber auch das Verhältnis des gemeinsamen Abschlussberichts zum Prüfungsbericht nach § 202 AO in Bezug. § 11 Abs. 5 EUAHiG-V übernimmt im Wesentlichen den bisherigen § 10 Abs. 4 EUAHiG, erweitert dessen Anwendungsbereich allerdings dahingehend, dass die Vorlagepflicht auch für deutsche Bedienstete im Ausland gilt. Die Regelungen der bisherigen § 10, 11 EUAHiG werden in § 10 EUAHiG-V zusammengefasst, wobei der Vorschlag den identifizierten Unklarheiten Rechnung trägt. § 12 EUAHiG-V regelt wie der bisherige § 12 EUAHiG die Durchführung von gleichzeitigen Betriebsprüfungen und ist gem. § 11 Abs. 1 S. 2 EUAHiG-V auch für die Durchführung gemeinsamer behördlicher Ermittlungen entsprechend anzuwenden. § 12 EUAHiG-V weicht insofern vom bisherigen § 12 EUAHiG ab, als vor allem das Auseinanderfallen der Zuständigkeit beendet wird. Gem. § 12 Abs. 1 S. 1 EUAHiG-V vereinbart das BZSt als zuständiges zentrales Verbindungsbüro auf Vorschlag einer Landesfinanzbehörde und mit Zustimmung des anderen Mitgliedstaats oder auf Vorschlag eines anderen Mitgliedstaats und mit Zustimmung der Landesfinanzbehörde die Durchführung von gleichzeitigen Prüfungen. Damit liegt es unabhängig davon, von welchem Mitgliedstaat die Initiative für eine gleichzeitige oder gemeinsame Außenprüfung ausgeht, in der Hand der Landesfinanzbehörden, zu entscheiden, ob diese durchgeführt wird. Das BZSt prüft einzig, ob die Voraussetzungen der Rechtsgrundlagen erfüllt sind; ein Ermessen kommt ihm nicht zu.
3. Internationale Ebene Um gemeinsame Betriebsprüfungen auch außerhalb des europäischen Rechtsrahmens als Medium der Verwaltungszusammenarbeit zu etablieren, müsste das OECD-MA im Rahmen einer zukünftigen Revision durch einen Art. 25a ergänzt werden.496 Ein solcher dezidiert auf gemeinsame Betriebsprüfungen zugeschnittener Abkommensartikel erscheint gegenüber einer Integration in den vorhandenen Artt. 495
Vgl. zum Auseinanderfallen der Zuständigkeiten in Deutschland S. 333 f. So auch Johannes Becker/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 254 (262); Johannes Becker/Gerrit Kimpel/Andreas Oestreicher/Ekkehart Reimer, in: Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 267 (269). 496
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
25, 26 OECD-MA vorzugswürdig, um die ohnehin schon komplexe Materie nicht zu überfrachten. Der hier unterbreitete Vorschlag für einen Art. 25a OECD-MA-V greift die gewonnenen Erkenntnisse auf und transferiert den Vorschlag für eine einheitliche europäische Rechtsgrundlage auf zwischenstaatliches Recht. Art. 25a Abs. 1 S. 1 OECD-MA-V legt fest, zu welchen Zwecken die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten gemeinsame Steuerprüfungen vereinbaren können. Auch Art. 25a Abs. 1 S. 2 OECD-MA-V sieht die Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vor, die unmittelbar mit dem oder den von der Steuerprüfung erfassten Steuerpflichtigen verkehrt. Art. 25a Abs. 2 S. 1 OECD-MA-V erlaubt den Mitgliedern der gemeinsamen Arbeitsgruppe beider Vertragsstaaten, bei allen Ermittlungshandlungen zugegen zu sein und eigenständig Prüfungshandlungen vorzunehmen, wobei sich das Verfahren gem. Art. 25a Abs. 2 S. 2 OECD-MA-V nach den Vorschriften des Vertragsstaates richtet, in dem die jeweilige Ermittlungshandlung durchgeführt wird. Auch bei Art. 25a OECD-MA-V werden die Ermittlungsmöglichkeiten insofern beschränkt, als die Durchführung auch nach den Vorschriften des Entsendestaats möglich sein muss (Art. 25a Abs. 2 S. 3 Var. 1 OECD-MA-V). Mit Art. 25a Abs. 2 S. 3 Var. 2 OECD-MA-V wird der zuständigen Behörde des Staates, auf dessen Territorium die Prüfungshandlung erfolgen soll, ermöglicht, die Vornahme einzelner Maßnahmen zu untersagen. Art. 25a Abs. 2 S.2, S. 3 Var. 2 OECD-MA-V sichern also den Vorrang des Rechts des Staates, auf dessen Territorium die konkrete Prüfungsmaßnahme durchgeführt wird.497 Gem. Art. 25a Abs. 3 S. 1 OECD-MA-V sollen sich die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe bemühen, die maßgeblichen Sachverhalte so festzustellen und zu bewerten, dass eine dem Abkommen widersprechende Besteuerung vermieden wird. Sie können allerdings auch über Sachverhalte beraten, die vom Doppelbesteuerungsabkommen nicht erfasst sind. Jedenfalls bilden die Ergebnisse der gemeinsamen Steuerprüfung die Grundlage für die weiteren Maßnahmen der Besteuerung, die sich nach dem Abkommen und den jeweiligen nationalen Vorschriften richten.
III. Grenzen gemeinsamer Betriebsprüfungen Wenngleich einige der derzeit bestehenden Grenzen gemeinsamer Betriebsprüfungen durch Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen und fortschreitende
497 Das Verhalten der ausländischen Prüfer kann daher dem inländischen Fiscus zugerechnet werden, sodass mit der Transformation eines Abkommens mit dem Inhalt des Art. 25a OECD-MA-V die Schwelle zur verfassungsrechtlich unzulässigen Hoheitsrechtsübertragung nicht überschritten wird, vgl. dazu S. 244 ff.
D. Die Zukunft gemeinsamer Betriebsprüfungen
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praktische Übung überwunden werden können, müssen auch die Grenzen der Integration von mehrstaatlichen Betriebsprüfungen im Blick behalten werden. Im Vergleich zu rein nationalen Prüfungen werden verlängerte Verfahrensdauern insb. in den Fällen nicht zu vermeiden sein, in denen eine Einigung über das Ergebnis der Prüfung nicht bereits auf Ebene der beteiligten Prüfer erreicht werden kann.498 Das gilt selbst dann, wenn die automatische Einleitung eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens vorgesehen ist. Allerdings ist zugleich zu bedenken, dass bisher jedenfalls die ganz überwiegende Zahl der gemeinsamen Betriebsprüfungen mit deutscher Beteiligung mit einem gemeinsamen Ergebnis beendet werden konnten499 und im Vergleich zum klassischen Ablauf von zwei getrennten nationalen Prüfungen über den Versuch der korrespondierenden Gegenkorrektur bis zur Durchführung eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens eine erhebliche Zeitersparnis zu erwarten ist. Dass unterschiedliche Ergebnisse überhaupt zu befürchten sind, liegt nicht nur an den divergierenden Fiscalinteressen der beteiligten Staaten, sondern auch an den Unterschieden im materiellen Steuerrecht. Defizite des internationalen materiellen Steuerrechts können gemeinsame Betriebsprüfungen jedoch nicht beheben.500 Wo der materiell-rechtliche Rahmen keine Spielräume lässt, kann das Verfahrensrecht nicht als Krücke zur Vermeidung steuerlicher Konflikte dienen. Trotz dieser Beschränkung kann das Verfahrensrecht zumindest auf Unionsebene bis zur Entwicklung eines konsolidierten europäischen Unternehmenssteuerrechts eine Brückenfunktion wahrnehmen.501
IV. Ausblick auf europäische Entwicklungen Gerade mit Blick auf die angestrebte Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage erscheinen noch weitreichendere bzw. engere Formen der Zusammenarbeit europäischer Finanzbehörden möglich. Beispielsweise durch gegenseitige Kontrollen (cross-conrtoll) oder übergeordnete Kontrollinstanzen (second-level-control).
498
Dem Vernehmen nach liegt die durchschnittliche Dauer einer koordinierten Prüfung derzeit bei 290 Tagen, was im Vergleich zu Verständigungs- und Gerichtsverfahren deutlich kürzer ist, vgl. Rolf Schreiber/Susanne Schäffkes/Stefan Fechner, in: DB 2018, 1624 (1630). 499 Vgl. Thomas Eisgruber, in: DStR-Beihefter 2013, 89 (91); vgl. OECD The Changing Tax Compliance Enviroment and the Role of Audit 2017, S. 86; vgl. Oana Popa, in: ET 2016, EU-13. 500 Vgl. zu den Grenzen materiell-rechtlicher Lösungsansätze Ekkehart Reimer, in: Tax Audit Forum Munich 2014, S. 69 (75 f.). 501 Wobei zugleich zu betonen ist, dass eine Harmonisierungen des materiellen Rechts ohne eine gleichzeitige (Mindest-)Harmonisierung des Verfahrensrechts ebenso wenig Sinn ergibt, vgl. Klaus-Dieter Drüen, in: DStR-Beihefter 2013, 82 (87).
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Kap. 5: Gemeinsame Betriebsprüfungen
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen steuerlichen Verfahrensrechts zwar nicht zu erwarten. Gerade in Anbetracht der zuletzt rasanten Entwicklung des internationalen Steuerrechts und der neuen Kooperationsfreude in Sachen Informationsaustausch scheinen Initiativen in diese Richtung aber nicht ausgeschlossen. Auch der Weg zu einer europäischen Steuerbehörde oder gar einer Weltsteuerorganisation ist nicht mehr per se undenkbar.502 Ob indes entsprechende politische Initiativen in absehbarer Zeit zu erwarten sind, kann heute kaum vorhergesehen werden. Vor dem Hintergrund der stetig voranschreitenden weltweiten Verflechtung der Wirtschaft, die insb. durch die Digitalisierung bestehende Denkmuster in ungeahntem Tempo zum Einsturz bringt, wären Gedankenexperimente in diese Richtung in jedem Fall wünschenswert.
E. Zwischenergebnis Wenngleich die Idee gemeinsamer Betriebsprüfungen nicht neu ist, sind sie erst in den vergangenen Jahren tatsächlich erprobt worden, wobei die bisherigen Erfahrungen mit grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen überwiegend als positiv beschrieben werden.503 Das mag auf den ersten Blick verwundern, wenn man sich die vielfältigen Erwartungen, die mit gemeinsamen Betriebsprüfungen verbunden werden und die zum Teil vorherrschenden Fehlvorstellungen über den Integrationsgrad der Zusammenarbeit vergegenwärtigt. Doch der zweite Blick offenbart, dass der mit gemeinsamen Betriebsprüfungen verbundene kooperative Ansatz zwischen den beteiligten Steuerpflichtigen und den Finanzverwaltungen zielgerichtete Lösungen für Probleme ermöglicht, bei denen das übrige verfahrensrechtliche Instrumentarium anderenfalls deutlich an seine Grenzen stößt, weil gemeinsame Betriebsprüfungen Elemente klassischer Betriebprüfungen mit solchen von Verständigungsverfahren verknüpfen können. Dabei bewegen sich gemeinsame Betriebsprüfungen noch immer auf einem rechtlich unsicheren Grund. Zwar stehen ihrer Durchführung trotz des Prinzips der formellen Territorialität keine grds. völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Dennoch zeigt die Analyse des bestehenden Rechtsrahmens, dass die Durchführung gemeinsamer Betriebsprüfungen keinesfalls unproblematisch möglich ist.
502 Matthias Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 617 ff. 503 Insbesondere sei auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hinischtlich des ICAP-Pilotprojekts der OECD verwiesen, in der die Bundesregierung auf die Erfolge der durchgeführten „Joint Audits“ verweist, BT-Drs. 19/3842, S. 3 f.; Erich Spensberger/Roland Macho/Lisbeth Erichsen, in: ISR 2017, 261 (267); Michael Puls/Semera Heravi, in: ISR 2017, 301 (306); vgl. auch anschaulich mit einer Case Study Roland Macho, in: TPI 2017, 29 (33).
E. Zwischenergebnis
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Probleme, die sich aus den rechtlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Betriebsprüfungen ergeben, werden bisher von dem „guten Willen“ aller Beteiligten kompensiert. Sollen die gemeinsamen Prüfungen in Zukunft jedoch eine stärkere Rolle spielen, ist die Anpassung des Rechtsrahmens vor allem in zwei Bereichen angezeigt: Einerseits, was die Verbindlichkeit gefundener Ergebnisse betrifft und andererseits, was die Verständigung im Falle divergierender Sachverhaltseinschätzungen anbelangt. Sind insofern klare Regeln definiert, können gemeinsame Betriebsprüfungen auch im Falle des Scheiterns einer vorweggenommenen Verständigung für alle Beteiligten Vorteile bieten. Bei aller Euphorie: Grenzüberschreitende Betriebsprüfungen werden innerstaatliche Außenprüfungen nicht (immer) ersetzen können. Das deutsche Außenprüfungsrecht erweist sich insofern als besonders flexibel, weil gemeinsame Betriebsprüfungen und rein nationale Prüfungen auch als Zweitprüfungen durchgeführt werden können. Ist allerdings eine Zusammenlegung regulärer innerstaatlicher Außenprüfung und gemeinsamer Außenprüfung möglich, verlangen die Gebote der Verhältnismäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Kapitel 6
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Steuerliche Rechtsfindung und -anwendung setzt voraus, dass der Sachverhalt, auf den eine steuerrechtliche Norm angewandt werden soll, klar ausgeleuchtet ist. Weil dabei der Belastete die erste Informationsquelle bildet, kommt der verifizierenden Sachverhaltsermittlung und -bewertung durch die Steuerverwaltung im Gefüge verfassungskonformer Besteuerung eine zentrale Rolle zu: Einerseits muss den Geboten der Gesetz- und Gleichmäßigkeit Genüge getan werden, andererseits muss sich die Sachverhaltsermittlung an den Grundrechten der Beteiligten sowie den Bedingungen der Massenverwaltung messen lassen. Dieser Balanceakt gestaltet sich bereits bei rein nationalen Fällen äußerst schwierig. Im internationalen Steuerrecht tritt eine grenzüberschreitende Komponente hinzu, bei der sich die Frage stellt, welche Vorgänge der nationalen Besteuerung unterliegen, wobei nach allgemein anerkanntem Völkerrecht grds. auch Verhältnisse außerhalb der eigenen territorialen Grenzen in die Besteuerung einbezogen werden können. Andererseits verbietet das Völkerrecht, Hoheitsakte auf fremden Staatsterritorium zu setzen, sodass die klassischen Ermittlungsinstrumente der Sachverhaltsaufklärung in diesen Fällen entfallen. Die völkerrechtlich zulässige materielle Universalität des Steuerrechts wird durch die völkerrechtlich anerkannte formelle Territorialität beschränkt. Die daraus resultierenden Probleme lassen sich durch unilaterale Maßnahmen kaum beseitigen. Dieser Herausforderung begegnen die meisten Staaten durch eine Ausweitung der Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen. Allerdings lassen verstärkte Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten das Verifikationsbedürfnis nicht obsolet werden. Auch bei internationalen Steuersachverhalten muss für non-compliant Verhalten ein Entdeckungsrisiko bestehen. Zu diesem Zweck hat sich im Wesentlichen ein weitreichender zwischenstaatlicher Informationsaustausch etabliert, der insb. in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik gewonnen hat. Obschon inzwischen vermehrt automatisierte Informationsaustauschverfahren Anwendung finden, bleibt für die Aufklärung der überwiegenden Zahl der Fälle der Informationsaustausch auf Ersuchen der Normalfall. Der ersuchensbedingte Informationsaustausch hat sich allerdings in vielen Fällen als träge erwiesen.
A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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Daneben tritt ein weiteres Problem: Knüpfen mehrere Staaten steuerliche Folgen an ein und denselben Sachverhalt, kann eine Doppelbesteuerung nur dann verhindert werden, wenn beide Staaten das gleiche Verständnis des Sachverhalts zugrunde legen. Klassischerweise werden divergierende Vorstellungen und daraus folgende Doppelbelastungen im Rahmen nationaler Rechtsschutzmöglichkeiten und mit zwischenstaatlichen Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren beseitigt. Aber auch diese Verfahren sehen sich Kritik ausgesetzt, weil sie durch lange Verfahrensdauern geprägt sind. Dem Bedürfnis nach einer weitreichenden Informationsbasis einerseits und der einheitlichen Feststellung und Bewertung eines Sachverhalts andererseits kann mit gemeinsamen Betriebsprüfungen begegnet werden, die zugleich auch eine Straffung langer Verfahren bewirken können. Gemeinsame Betriebsprüfungen können vielfältige Formen aufweisen, die sich durch den Grad der Zusammenarbeit der beteiligten Finanzbehörden unterscheiden. Die geringste Integrationsstufe stellen Simultanprüfungen dar, bei denen die beteiligten Finanzbehörden auf beiden Seiten der Grenze durch getrennt operierende rein nationale Prüferteams mit einem flankierenden zwischenstaatlichen Informationsaustausch zeitlich und inhaltlich abgestimmt nationale Betriebsprüfungen durchführen. Die maximale Integration ist erreicht, wenn die Prüfungsverfahren gänzlich fusioniert werden, die Finanzbehörden also ein gemeinsames Prüferteam bilden, ein einheitliches Verfahrensrecht anwenden und einen einheitlichen Prüfbericht verfassen. Während für die Durchführung von Simultanbetriebsprüfungen auf den Rechtsrahmen für den internationalen Informationsaustausch zurückgegriffen werden kann, müssen für die unmittelbare Beteiligung ausländischer Bediensteter besondere völker- und verfassungsrechtliche Anforderungen beachtet werden. Das Tätigwerden von Betriebsprüfern, beginnend beim bloßen Zugegensein bei Prüfungen auf fremden Hoheitsgebiet ist völkerrechtlich nur zulässig, wenn der fremde Staat dem zugestimmt hat; entweder abstrakt-generell durch einen völkerrechtlichen Vertrag oder konkret-individuell im Einzelfall. Verfassungsrechtlich darf die Einräumung von Rechten zugunsten von Bediensteten anderer Staaten nur unterhalb der Schwelle der Hoheitsrechtsübertragung erfolgen, es sei denn, sekundäres Unionsrecht schreibt dies vor. Zudem muss ein gewisses Grundrechtsschutzniveau gesichert sein und eine Rechtsgrundlage bestehen, einerseits für die Anwesenheit und eigene Prüfungstätigkeiten der an die Grundrechte gebundenen deutschen Bediensteten auf ausländischem Territorium und andererseits für den Einräumungsakt von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten ausländischer Bediensteter durch deutsche Behörden. Explizit auf gemeinsame Betriebsprüfungen bezugnehmende Rechtsgrundlagen bestehen – mit Ausnahme des Art. 26 Abs. 5 DBA-NL – nicht. Daher müssen für die einzelnen Teilelemente gemeinsamer Betriebsprüfungen verschiedene Rechtsgrundlagen herangezogen werden. Als taugliche Rechtsgrundlagen für die Einräumung von Anwesenheits- und Ermittlungsrechten zu Gunsten ausländischer Behörden konnten Art. 6 Abs. 1 und
350
Kap. 6: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Abs. 2 OECD-MA-InfoAust und § 10 EUAHiG identifiziert werden. Soweit nur die Einräumung von Anwesenheitsrechten bezweckt ist, kann auch Art. 9 AHiÜ herangezogen werden, insofern kommen auch die überwiegend noch aus der Zeit des Deutschen Reichs stammenden Abkommen zum Informationsaustausch in Betracht. Für die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten zugunsten von Bediensteten deutscher Finanzbehörden kann auf § 117 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 193 ff. AO zurückgegriffen werden. Ist die Einräumung von Anwesenheits- und Prüfungsrechten im Ausland indes in einer speziellen Rechtsgrundlage geregelt, müssen die darin enthaltenen Vorgaben zwingend eingehalten werden. Der fortlaufende Informationsaustausch, der die Durchführung der Ermittlungen flankiert, kann auf die für den klassischen Informationsaustausch bestehenden Rechtsgrundlagen gestützt werden. Einer spezifischen Rechtsgrundgrundlage für unmittelbare Verständigungen über die Sachverhaltsfeststellungen und deren Rechtsfolgen bedarf es ebenfalls nicht. Eine Einigung ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Die Verständigung kann auch als förmliches Verständigungsverfahren ausgestaltet werden, das in die Prüfung integriert wird oder sich dieser anschließt und ggf. in einem Schiedsverfahren mündet. Soweit kein förmliches Verständigungsverfahren durchgeführt wird, binden die gefundenen Ergebnisse die nationalen Steuerbehörden bei ihrer weiteren Veranlagung nicht. Ebenso wenig entfalten die gemeinsamen Ergebnisse Wirkung für die Zukunft, soweit nicht ein förmliches Advance Pricing Agreement beantragt wird. Innerhalb dieses Rechtsrahmens hat die deutsche Steuerverwaltung erste positive Erfahrungen mit gemeinsamen Betriebsprüfungen gemacht und ein Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete vorgelegt. Durch praktische Übung wird es möglich sein, tatsächliche Hindernisse, wie Sprachbarrieren, abzubauen. Freilich können nicht alle noch bestehenden Unklarheiten allein durch tatsächliche Übung überwunden werden. Um gemeinsame Betriebsprüfungen ihrem funktionalen Charakter als Mittel der Sachverhaltsaufklärung und Verständigung entsprechend auch rechtlich von den Voraussetzungen des zwischenstaatlichen Informationsaustausches zu emanzipieren, sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die hier vorgeschlagenen Änderungen in der Abgabenordnung, der EU-Amtshilferichtlinie (bzw. des EU-Amtshilfegesetzes) und des OECD-Musterabkommens adressieren die Defizite des bestehenden Rechts. Das betrifft vor allem die Anknüpfung an die Voraussetzung des Informationsaustausches, das Fehlen verbindlicher Streitbeilegungsmechanismen und die mangelnde Verbindlichkeit der gemeinsamen Sachverhaltsfeststellungen und -bewertungen. Diese Änderungen sind angezeigt, um den vielfältigen Erwartungen von Unternehmen, Beratern und Finanzbehörden gerecht zu werden. Zugleich leisten die Vorschläge einen Beitrag zur rechtssicheren Ausgestaltung grenzüberschreitender Betriebsprüfungen und verdichten das bestehende – zuweilen etwas undurchsichtig anmutende – Regelungswerk in zentralen Normen.
B. Schlussbetrachtung
351
B. Schlussbetrachtung Da eine weltweite Vereinheitlichung des materiellen Steuerrechts trotz des immer stärkeren Zusammenwachsens der digitalisierten Weltwirtschaft ebenso wenig abzusehen ist, wie die Gründung einer Weltsteuerbehörde oder die Einführung eines einheitlichen steuerlichen Verfahrensrechts, wird die Ermittlung von steuerlichen Auslandssachverhalten durch die Nationalstaaten auch in Zukunft ihre zentrale Rolle zur Verwirklichung grundlegender Besteuerungsprinzipien behalten. Die weitere Institutionalisierung der Kooperation von Finanzbehörden ist die logische Konsequenz ökonomischer Internationalisierung, weil auch eine Änderung der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts hinsichtlich des Bestands der formellen Territorialität nicht zu erwarten ist und nationale Maßnahmen der Aufklärung von Auslandssachverhalten in ihrer Wirksamkeit ausnahmslos beschränkt sind. Insb. mit Blick auf den für unerwünschte steuerliche Folgen sensiblen Bereich der Verrechnungspreise versprechen grenzüberschreitende Betriebsprüfungen nicht nur eine Verfahrensbeschleunigung sondern auch die effektive Vermeidung von Doppelbesteuerung und doppelter Nichtbesteuerung, weil sie anders als der konventionelle zwischenstaatliche Informationsaustausch auch steuerliche Rechtsfolgen in den Blick nehmen. Rechtlich ist der Boden für diese besondere Form der interadministrativen Kooperation weitgehend geebnet. Die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ermöglichen neben einem prüfungsbegleitenden Informationsaustausch auch die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen auf dem Hoheitsgebiet des anderen Staates. Durch den unmittelbaren Kontakt der Prüfer können Tatsachen- und Rechtsfragen zielgerichtet erörtert und geklärt werden. Der bestehende Rechtsrahmen ermöglicht indes keine gemeinsamen Betriebsprüfungen im Sinne der Definition des Joint Audit Reports der OECD, weil in Deutschland nur rechtlich getrennte Betriebsprüfungen möglich sind. Das heißt aber nicht, dass die seitens der OECD identifizierten Vorteile einer einheitlichen gemeinsamen Betriebsprüfung nicht auch im Rahmen de lege getrennter Außenprüfungen realisiert werden könnten. Weil die bestehenden nationalen und internationalen Regelungen außerordentlich vielschichtig sind und ein einheitliches Verständnis grenzüberschreitender Betriebsprüfungen bisher nicht entwickelt werden konnte, sind die Nationalstaaten im eigenen Interesse aber auch im Interesse der Wirtschaft dazu aufgefordert, durch Ergänzung der Doppelbesteuerungsabkommen und Anpassungen des nationalen Rechts einen Rechtsrahmen zu schaffen, der gemeinsame Betriebsprüfungen nicht nur ermöglicht, sondern diese zugleich für alle Beteiligten kalkulierbar und rechtssicher ausgestaltet. Entsprechende Vorschläge hat die vorliegende Arbeit gemacht. Die Empfehlungen zur Überarbeitung der bestehenden Rechtsgrundlagen enthalten insb. auch Ideen zur Effektuierung der einheitlichen Ergebnisfindung, mit denen sich gemeinsame Betriebsprüfungen funktional Verständigungsverfahren annähern. Bisher bleibt der rechtliche Rahmen gemeinsamer Betriebsprüfungen
352
Kap. 6: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
insofern in überkommenen Verfahrensstrukturen verfangen. In der Konsequenz wird bis dato auch eine Emanzipation grenzüberschreitender Betriebsprüfungen vom Institut des Informationsaustausches verhindert. Nicht nur die Präzisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Ergänzung um kalkulierbare Wege der Ergebnisfindung wird zu einer höheren Akzeptanz und Berechenbarkeit grenzüberschreitender Betriebsprüfungen führen. Vor allem wird auch die fortschreitende praktische Übung der Finanzbehörden dazu beitragen, gemeinsame Betriebsprüfungen zu einem anerkannten und gängigen Mittel der internationalen steuerlichen Sachverhaltsexploration und Konfliktvermeidung zu entwickeln, indem Erfahrungen vertieft und Vorbehalte abgebaut werden. Zudem ist eine Verkürzung der in den bisherigen Erprobungen langen Verfahrensdauern bei grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen zu erwarten, wenn die bei allen Beteiligten bestehenden Unsicherheiten mit diesem neuen Instrument der Zusammenarbeit nicht nur durch praktische Übung, sondern auch durch die vorgeschlagenen Konkretisierungen der Rechtsgrundlagen abnehmen. Damit geht die Möglichkeit einher, die von Finanzbehörden und Unternehmen wie Beratern beklagten hohen Kosten grenzüberschreitender Prüfungen zu reduzieren. Der ökonomische Nutzen tritt dann ebenso wie die Verbesserungen der Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung und Konfliktvermeidung stärker in den Vordergrund. Gerade in Anbetracht des durch die Umsetzung des BEPS-Projekts zu erwartenden Anstiegs internationaler Besteuerungskonflikte, können gemeinsame Betriebsprüfungen so eine befriedende Wirkung entfalten. Grenzüberschreitende Betriebsprüfungen werden in geeigneten Fällen rein nationale Außenprüfungen ergänzen; in Einzelfällen haben sie sogar das Potential, diese zu ersetzen. Die abgestuften Formen gemeinsamer Betriebsprüfungen können sich zu einem multifunktionalen Werkzeug der Ermittlung grenzüberschreitender Sachverhalte und Vermeidung von Besteuerungskonflikten entwickeln. Bei allen positiven Erfahrungen und Erwartungen ist indes nicht abzusehen, dass die Durchführung von gemeinsamen Betriebsprüfungen zum Regelfall der Aufklärung im internationalen Steuerrecht wird.
Kapitel 7
Anhänge A. Umfang und Voraussetzungen des Art. 6 OECD-MA-InfoAust I. Ausländische Prüfer in Deutschland Umfang
Voraussetzungen
Anwesenheit während des relevanten Teils einer Steuerprüfung (Abs. 2)
1. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MAInfoAust 2. Im deutschen Hoheitsgebiet stattfindende Steuerprüfung 3. Erlaubnis des deutschen Staates
Befragung von Einzelpersonen und Prüfung von Unterlagen (Abs. 1)
1. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MAInfoAust 2. Schriftliche Einwilligung der betroffenen Personen 3. Erlaubnis des deutschen Staates
II. Deutsche Prüfer im Ausland Umfang
Voraussetzungen
Anwesenheit während des relevanten Teils einer Steuerprüfung (Abs. 2)
1. Informationsersuchen des deutschen Staates nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MAInfoAust 2. Im Hoheitsgebiet des anderen Staates stattfindende Steuerprüfung 3. Erlaubnis des anderen Staates
Befragung von Einzelpersonen und Prüfung von Unterlagen (Abs. 1)
1. Informationsersuchen des deutschen Staates nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MAInfoAust
354
Kap. 7: Anhänge 2. Schriftliche Einwilligung der betroffenen Personen 3. Erlaubnis des anderen Staates
B. Umfang und Voraussetzungen des Art. 9 AHiÜ I. Ausländische Prüfer in Deutschland Umfang
Voraussetzungen
Anwesenheit während des relevanten Teils einer Steuerprüfung
1. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 AHiÜ 2. Im deutschen Hoheitsgebiet stattfindende Steuerprüfung 3. Erlaubnis des deutschen Staates
II. Deutsche Prüfer im Ausland Umfang
Voraussetzungen
Anwesenheit während des relevanten Teils einer Steuerprüfung
1. Informationsersuchen des deutschen Staates nach Art. 5 AHiÜ 2. Im Hoheitsgebiet des anderen Staates stattfindende Steuerprüfung 3. Erlaubnis des anderen Staates
C. Umfang und Voraussetzungen des Art. 11 EU-AHiRL I. Ausländische Prüfer in Deutschland Umfang
Voraussetzungen
Zugegensein in den Amtsräumen (Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a)) und bei behördlichen Ermittlungen (Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. b))
1. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 2. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 EU-AHiRL 3. Gemeinsame Vereinbarung der deutschen und der ersuchenden Behörde
D. Umfang und Voraussetzungen der §§ 10, 11 EUAHiG Befragung von Einzelpersonen und Prüfung von Aufzeichnungen bei behördlichen Ermittlungen (Abs. 2)
355
1. Zulässigkeit nach den deutschen Rechtsvorschriften 2. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 3. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 EU-AHiRL 4. Gemeinsame Vereinbarung der deutschen und der ersuchenden Behörde i.S.d. Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL
II. Deutsche Prüfer im Ausland Umfang
Voraussetzungen
Zugegensein in den Amtsräumen (Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. a)) und bei behördlichen Ermittlungen (Abs. 1 Unterabs. 1 Bstb. b))
1. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 2. Informationsersuchen der deutschen Behörden nach Art. 5 EU-AHiRL 3. Gemeinsame Vereinbarung der ersuchten und der deutschen Behörde
Befragung von Einzelpersonen und Prüfung von Aufzeichnungen bei behördlichen Ermittlungen (Abs. 2)
1. Zulässigkeit nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats 2. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 3. Informationsersuchen der deutschen Behörden nach Art. 5 EU-AHiRL 4. Gemeinsame Vereinbarung der ersuchten und der deutschen Behörde i.S.d. Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL
D. Umfang und Voraussetzungen der §§ 10, 11 EUAHiG I. Ausländische Prüfer in Deutschland (§ 10 EUAHiG) Umfang
Voraussetzungen
Zugegensein in den Amtsräumen (Abs. 1 Nr. 1) und bei behördlichen Ermittlungen (Abs. 1 Nr. 2)
1. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. § 4 EUAHiG
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Kap. 7: Anhänge 2. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 EU-AHiRL 3. Gemeinsame Vereinbarung der deutschen Behörde und der ersuchenden Behörde
Befragung von Personen und Prüfung von Aufzeichnungen Ermittlungen (Abs. 3)
1. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. § 4 EUAHiG 2. Informationsersuchen des anderen Staates nach Art. 5 EU-AHiRL 3. Gemeinsame Vereinbarung der deutschen und der ersuchenden Behörde i.S.d. Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL 4. Zustimmung des Steuerpflichtigen 5. Weitere Voraussetzungen nach dem Recht des ersuchenden Staates
II. Deutsche Prüfer im Ausland (§ 11 EUAHiG) Umfang
Voraussetzungen
Zugegensein in den Amtsräumen (i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1) und bei behördlichen Ermittlungen (i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2)
1. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 2. Informationsersuchen der deutschen Behörden nach Art. 5 EU-AHiRL 3. Gemeinsame Vereinbarung der ersuchten und der deutschen Behörde
Befragung von Einzelpersonen und Prüfung von Aufzeichnungen bei behördlichen Ermittlungen (i.V.m. § 10 Abs. 2)
1. Zulässigkeit nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats 2. Zweck des Informationsaustausches i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL 3. Informationsersuchen der deutschen Behörden nach Art. 5 EU-AHiRL 4. Erforderlichkeit wegen der Komplexität des Ersuchens 5. Gemeinsame Vereinbarung der ersuchten und der deutschen Behörde i.S.d. Art. 11 Abs. 1 EU-AHiRL
E. Vorschlag für eine Überarbeitung der Abgabenordnung (AO-V)
357
E. Vorschlag für eine Überarbeitung der Abgabenordnung (AO-V) § 117d Gemeinsame Außenprüfung (1) 1Die Finanzbehörden können nach Maßgabe des deutschen Rechts mit anderen Staaten gemeinsame Außenprüfungen und andere gemeinsame behördliche Ermittlungen durchführen. (2) 1Die Durchführung ist auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union, des EU-Amtshilfegesetzes oder anderer auf gemeinsame Außenprüfungen oder andere gemeinsame behördliche Ermittlungen bezugnehmender gesetzlicher Bestimmungen zulässig. 2Soweit nach der anwendbaren völkerrechtlichen Vereinbarung, dem innerstaatlich anwendbaren Rechtsakt der Europäischen Union, dem EUAmtshilfegesetz oder anderen auf gemeinsame Außenprüfungen bezugnehmenden gesetzlichen Bestimmung nicht anders bestimmt, gelten für gemeinsame Außenprüfungen und andere gemeinsame behördliche Ermittlungen §§ 193 ff. AO entsprechend. (3) 1Die Durchführung ist auch in anderen Fällen zulässig, wenn 1. die anderen an der gemeinsamen Außenprüfung oder anderen gemeinsamen behördlichen Ermittlung beteiligten Staaten gewährleisten, dass die im Rahmen der gemeinsamen Außenprüfung oder anderen gemeinsamen behördlichen Ermittlung erlangten Informationen nur für Zwecke ihres Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens (einschließlich Ordnungswidrigkeitenverfahren) verwendet werden, und dass die im Rahmen der gemeinsamen Außenprüfung ermittelten Informationen nur solchen Personen, Behörden oder Gerichten zugänglich gemacht werden, die mit der Bearbeitung der Steuersache oder Verfolgung der Steuerstraftat befasst sind, 2. die anderen an der gemeinsamen Außenprüfung oder anderen gemeinsamen behördlichen Ermittlung beteiligten Staaten zusichern, dass sie bereit sind, bei den Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen eine mögliche Doppelbesteuerung im Rahmen der gemeinsamen Außenprüfung durch eine sachgerechte Abgrenzung der Besteuerungsgrundlagen zu vermeiden und 3. durch die gemeinsame Außenprüfung oder andere gemeinsame behördliche Ermittlung die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen des Bundes oder seiner Gebietskörperschaften nicht beeinträchtigt werden und keine Gefahr besteht, dass dem inländischen Beteiligten ein mit dem Zweck der gemeinsamen Außenprüfung oder anderen gemeinsamen behördlichen Ermittlung nicht zu vereinbarender Schaden entsteht, falls ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren, das im Rahmen der gemeinsamen Außenprüfung oder anderen gemeinsamen behördlichen Ermittlung erlangt werden kann, preisgegeben wird.
358
Kap. 7: Anhänge
2
Soweit die gemeinsame Außenprüfung oder andere gemeinsame behördliche Ermittlung Steuern betreffen, die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, entscheidet das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde. 3Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) 1Über die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen und die wesentlichen Ergebnisse der behördlichen Ermittlungen ist mit den an der gemeinsamen Außenprüfung beteiligten Finanzbehörden ein gemeinsamer Abschlussbericht zu erstellen. 2 Der Prüfungsbericht nach § 202 Absatz 1 ist um den gemeinsamen Abschlussbericht zu ergänzen. 3§ 202 Absatz 2 gilt nicht, wenn die Gelegenheit, in angemessener Zeit Stellung zu nehmen, bereits bezüglich des Abschlussberichts gegeben wurde. § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (1) 1Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, 1. soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen, 2. soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. 2Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen oder soweit die Tatsachen oder Beweismittel steuerliche Verhältnisse mit Bezug zum Ausland betreffen und durch eine gemeinsame Außenprüfung nach § 117d Absatz 1 bekannt werden. (2) 1Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. 2Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Absatz 1 Satz 3 ergangen ist. (3) Absatz 2 gilt nicht, soweit die Tatsachen oder Beweismittel steuerliche Verhältnisse mit Bezug zum Ausland betreffen und durch eine gemeinsame Außenprüfung nach § 117d Absatz 1 bekannt werden. § 193 Zulässigkeit einer Außenprüfung (1) 1Eine Außenprüfung ist zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, die freiberuflich tätig sind und bei Steuerpflichtigen im Sinne des § 147a. (2) Bei anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Steuerpflichtigen ist eine Außenprüfung zulässig,
F. Vorschlag für eine Überarbeitung der EU-Amtshilferichtlinie
359
1. soweit sie die Verpflichtung dieser Steuerpflichtigen betrifft, für Rechnung eines anderen Steuern zu entrichten oder Steuern einzubehalten und abzuführen, 2. wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist oder 3. wenn ein Steuerpflichtiger seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 2 Satz 3 nicht nachkommt. (3) Soweit es sich um eine gemeinsame Außenprüfung nach § 117d Absatz 1 handelt, ist eine Außenprüfung auch bei anderen Personen als den in Absatz 1, Absatz 2 bezeichneten Steuerpflichtigen zulässig.
F. Vorschlag für eine Überarbeitung der EU-Amtshilferichtlinie (EUAHi-RL-V) Artikel 11a Gemeinsame behördliche Ermittlungen (1) 1Die zuständigen Behörden können vereinbaren, gemeinsame behördliche Ermittlungen durchzuführen. 2Gegenstand der gemeinsamen Ermittlungen ist die Überprüfung der Angaben eines oder mehrerer Steuerpflichtiger für einen bestimmten Zeitraum oder einen bestimmten Gegenstand der Besteuerung. 3Die zuständigen Behörden richten zur Durchführung der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen eine aus ihnen oder ihren Vertretern bestehende gemeinsame Arbeitsgruppe ein. (2) 1Im Rahmen gemeinsamer behördlicher Ermittlungen sind die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe ermächtigt, bei allen Ermittlungsmaßnahmen zugegen zu sein, Prüfungshandlungen vorzunehmen, unmittelbar mit dem oder den Steuerpflichtigen und miteinander zu verkehren sowie Informationen unmittelbar miteinander auszutauschen, soweit dies nach den Vorschriften dieser Richtlinie zulässig ist. 2Im Rahmen gemeinsamer behördlicher Ermittlungen gewonnene oder ausgetauschte Informationen gelten zu diesem Zweck als voraussichtlich erheblich im Sinne des Art. 1 Abs. 1; Art. 17 Abs. 1 gilt nicht. 3Das Verfahren richtet sich bei gemeinsamen Ermittlungen nach den allgemeinen Vorschriften des Staates, in dem die jeweilige Ermittlungsmaßnahme vorgenommen wird. 4Die Anwendung einer in diesem Staat zulässigen Maßnahme ist für die zuständigen Bediensteten der Behörde aus dem anderen Mitgliedstaat ausgeschlossen, soweit sie eine solche Maßnahme nach den Vorschriften ihres Staates bei Ermittlungen auf eigenem Staatsgebiet nicht vornehmen könnten oder die Maßnahme seitens der inländischen Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe untersagt wird, weil die Übermittlung der mit der
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Kap. 7: Anhänge
Maßnahme zu ermittelnden Information nach den Vorschriften dieser Richtlinie abgelehnt werden könnte. (3) 1Die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe bemühen sich, die Sachverhalte, die Gegenstand der gemeinsamen behördlichen Ermittlung sind, für die Festsetzung der Steuer nach den nationalen Vorschriften einheitlich festzustellen und zu bewerten, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 2Soweit keine Einigkeit über die Feststellung oder Bewertung eines Sachverhalts besteht und die Besteuerung nach den nationalen Vorschriften aufgrund der unterschiedlichen Feststellungen oder Bewertungen eine Doppelbesteuerung auslösen würde, können die betroffenen Personen in allen von der Doppelbesteuerung betroffenen Mitgliedstaaten binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe des Abschlussberichts im Sinne des Abs. 4 S. 1 ein Streitbeilegungsverfahren nach Art. 6 der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union beantragen. 3Das nach Art. 4 der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union vorgesehene Verständigungsverfahren gilt für diesen Zweck als erfolglos durchgeführt. 4Das weitere Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union. (4) 1Die gemeinsamen behördlichen Ermittlungen werden mit einem Abschlussbericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe beendet, der den Steuerpflichtigen nach Abschluss der Ermittlungen bekanntzugeben ist. 2In dem Abschlussbericht werden die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen und die wesentlichen Ergebnisse der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen zusammengefasst. 3Sowohl die Punkte in denen Einigkeit über die Feststellung und Bewertung eines Sachverhalts besteht als auch die Punkte in denen Uneinigkeit über die Feststellung oder Bewertung eines Sachverhalts besteht, werden in dem Abschlussbericht aufgeführt. 4 Soweit Einigkeit über die Feststellung und Bewertung des Sachverhalts besteht, bildet der Abschlussbericht die Grundlage für weitere Maßnahmen der Besteuerung, die sich nach den nationalen Vorschriften richten.
G. Vorschlag für eine Überarbeitung des Gesetzes über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EUAHiG-V) § 10 Anwesenheit von Bediensteten anderer Mitgliedstaaten im Inland und von inländischen Bediensteten in anderen Mitgliedstaaten
G. Vorschlag für eine Überarbeitung des EU-Amtshilfegesetzes
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(1) Das zentrale Verbindungsbüro kann zum Zweck des Informationsaustausches mit einem anderen Mitgliedstaat vereinbaren, dass unter den von der Finanzbehörde festgelegten Voraussetzungen befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats 1. in den Amtsräumen zugegen sein dürfen, in denen deutsche Finanzbehörden ihre Tätigkeit ausüben, sowie 2. bei den behördlichen Ermittlungen zugegen sein dürfen, die auf deutschem Hoheitsgebiet durchgeführt werden. (2) 1Bei dem Informationsaustausch gemäß Absatz 1 stellt die Finanzbehörde sicher, dass Bediensteten der anderen Mitgliedstaaten nur solche Informationen offenbart werden, die nach § 4 übermittelt werden dürfen. 2Sind die erbetenen Informationen in den Unterlagen enthalten, zu denen die Finanzbehörde Zugang hat, so werden den Bediensteten des anderen Mitgliedstaats Kopien dieser Unterlagen ausgehändigt. (3) 1Die Vereinbarung nach Absatz 1 kann vorsehen, dass Bedienstete der anderen Mitgliedstaaten im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen dürfen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Steuerpflichtige der Befragung und Prüfung zustimmt. 2Die einmal erteilte Zustimmung kann nicht zurückgenommen oder widerrufen werden. 3Verweigert eine Person die Mitwirkung, gilt diese Verweigerung wie eine Verweigerung gegenüber inländischen Bediensteten. (4) Befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats müssen, wenn sie sich nach Absatz 1 auf deutschem Hoheitsgebiet aufhalten, jederzeit eine schriftliche Vollmacht vorlegen können, aus der ihre Identität und dienstliche Stellung hervorgehen. (5) Für die Entsendung von bevollmächtigten inländischen Bediensteten in andere Mitgliedstaaten gelten die Absätze 1 bis 4 sinngemäß. § 11 Gemeinsame behördliche Ermittlungen (1) 1Auf Vorschlag der Finanzbehörde und mit Zustimmung des anderen Mitgliedstaats oder auf Vorschlag eines anderen Mitgliedstaats und mit Zustimmung der Finanzbehörde, vereinbart das zentrale Verbindungsbüro mit einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten die Durchführung gemeinsamer behördliche Ermittlungen. 2 Soweit nicht anders bestimmt, gilt § 12 für die Durchführung gemeinsamer behördlicher Ermittlungen entsprechend. 3Das zentrale Verbindungsbüro benennt die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe nach Art. 11a der Amtshilferichtlinie. (2) 1Im Rahmen gemeinsamer behördlicher Ermittlungen sind die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe ermächtigt, bei allen Ermittlungsmaßnahmen zugegen zu sein, Prüfungshandlungen vorzunehmen, unmittelbar mit dem oder den Steuerpflichtigen und miteinander zu verkehren sowie Informationen unmittelbar miteinander auszutauschen, soweit dies nach den Vorschriften dieser Richtlinie zulässig ist; § 4 Absatz 3 Nr. 2 gilt nicht. 2Im Rahmen gemeinsamer behördlicher Ermitt-
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Kap. 7: Anhänge
lungen gewonnene oder ausgetauschte Informationen gelten zu diesem Zweck als voraussichtlich erheblich im Sinne des § 1 Absatz 1. 3Das Verfahren richtet sich bei gemeinsamen Ermittlungen nach den allgemeinen Vorschriften des Staates, in dem die jeweilige Ermittlungsmaßnahme vorgenommen wird. 4Die Anwendung einer in diesem Staat zulässigen Maßnahme ist für die zuständigen Bediensteten der Behörde aus dem anderen Mitgliedstaat ausgeschlossen, soweit sie eine solche Maßnahme nach den Vorschriften ihres Staates bei Ermittlungen auf eigenem Staatsgebiet nicht vornehmen könnten oder die Maßnahme seitens der inländischen Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe untersagt wird, weil die Übermittlung der mit der Maßnahme zu ermittelnden Information nach § 4 Absatz 3 Nr. 3 und Nr. 4 abgelehnt werden könnte. (3) 1Die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe bemühen sich, die Sachverhalte, die Gegenstand der gemeinsamen behördlichen Ermittlung sind, für die Festsetzung der Steuer nach den nationalen Vorschriften einheitlich festzustellen und zu bewerten, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 2Soweit keine Einigkeit über die Feststellung oder Bewertung eines Sachverhalts besteht und die Besteuerung nach den nationalen Vorschriften aufgrund der unterschiedlichen Feststellungen oder Bewertungen eine Doppelbesteuerung auslösen würde, können die betroffenen Personen binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe des Abschlussberichts im Sinne des Absatz 4 Satz 1 ein Streitbeilegungsverfahren nach Art. 6 der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union beantragen. 3Das nach Art. 4 der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union vorgesehene Verständigungsverfahren gilt für diesen Zweck als erfolglos durchgeführt. 4Das weitere Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union. (4) 1Die gemeinsamen behördlichen Ermittlungen werden mit einem Abschlussbericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe beendet, mit dem der Prüfungsbericht nach § 202 Absatz 1 der Abgabenordnung zu ergänzen ist. 2In dem Abschlussbericht werden die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen und die wesentlichen Ergebnisse der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen zusammengefasst. 3Sowohl die Punkte in denen Einigkeit über die Feststellung und Bewertung eines Sachverhalts besteht als auch die Punkte in denen Uneinigkeit über die Feststellung oder Bewertung eines Sachverhalts besteht, werden in dem Abschlussbericht aufgeführt. 4Soweit Einigkeit über die Feststellung und Bewertung des Sachverhalts besteht, bildet der Abschlussbericht die Grundlage für Prüfungsbericht nach § 202 Absatz 1 der Abgabenordnung. 5Soweit die Voraussetzungen des Absatz 3 Satz 2 erfüllt sind, ist im Prüfungsbericht nach § 202 Absatz 1 der Abgabenordnung ausdrücklich darauf hinzuweisen. (5) Die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe müssen, wenn sie sich im Rahmen der gemeinsamen behördlichen Ermittlungen auf fremden Hoheitsgebiet
H. Vorschlag für eine Überarbeitung des OECD-MA
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aufhalten, jederzeit eine schriftliche Vollmacht vorlegen können, aus der ihre Identität und dienstliche Stellung hervorgehen. § 12 Gleichzeitige Prüfungen (1) 1Auf Vorschlag der Finanzbehörde und mit Zustimmung des anderen Mitgliedstaats oder auf Vorschlag eines anderen Mitgliedstaats und mit Zustimmung der Finanzbehörde, vereinbart das zentrale Verbindungsbüro mit einem oder mehreren Mitgliedstaaten, im jeweils eigenen Hoheitsgebiet eine gleichzeitige Prüfung einer oder mehrerer Personen von gemeinsamem oder ergänzendem Interesse durchzuführen. 2Soweit dies nach § 4 zulässig ist, sind die hierbei erlangten Informationen sowie die für die Vereinbarung der Prüfung im Vorfeld erforderlichen Kenntnisse auszutauschen. (2) 1Die Finanzbehörde bestimmt, welche Person oder welche Personen sie für eine gleichzeitige Prüfung vorschlägt. 2Das zentrale Verbindungsbüro unterrichtet die betroffenen Mitgliedstaaten darüber, begründet die Auswahl und gibt den Zeitraum an, in welchem die gleichzeitige Prüfung durchgeführt werden soll. (3) 1Schlägt ein anderer Mitgliedstaat eine gleichzeitige Prüfung vor, so entscheidet die Finanzbehörde, ob sie an der gleichzeitigen Prüfung teilnehmen wird. 2 Das zentrale Verbindungsbüro teilt dem anderen Mitgliedstaat das Einverständnis oder die begründete Ablehnung mit. (4) Das zentrale Verbindungsbüro benennt einen Bediensteten, der für die Beaufsichtigung und die Koordinierung der gleichzeitigen Prüfung verantwortlich ist. (5) Von der Anhörung des Steuerpflichtigen kann bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung abgesehen werden, wenn sonst der Prüfungserfolg gefährdet werden würde.
H. Vorschlag für eine Überarbeitung des OECD-MA (OECD-MA-V) Artikel 25a Gemeinsame Steuerprüfungen (1) 1Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten können vereinbaren, zum Zwecke der Vermeidung einer Besteuerung, die diesem Abkommen nicht entspricht, zum Zwecke des Informationsaustausches oder der Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach den Vorschriften dieses Abkommen oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen oder Rechtsakte in einem oder in beiden Vertragsstaaten gemeinsam Steuerprüfungen durchzuführen. 2Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verkehren im Rahmen einer gemeinsamen Steuerprüfung durch eine aus
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Kap. 7: Anhänge
ihnen oder ihren Vertretern bestehende gemeinsame Arbeitsgruppe unmittelbar mit dem oder den von der Steuerprüfung erfassten Steuerpflichtigen. (2) 1Die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe beider Vertragsstaaten werden ermächtigt, bei allen Ermittlungshandlungen zugegen zu sein und eigenständig Prüfungshandlungen vorzunehmen. 2Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des Vertragsstaates, in dem die jeweilige Ermittlungshandlung durchgeführt wird. 3Die Durchführung einer in diesem Gebiet zulässigen Ermittlungshandlung ist für die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats und ihre Vertreter ausgeschlossen, soweit die Vornahme einer solchen Handlung nach den Vorschriften des Vertragsstaates dieser zuständigen Behörde nicht möglich wäre oder die Maßnahme seitens zuständigen Behörde des Staates, auf dessen Territorium die Prüfungshandlung erfolgen soll, untersagt wird. (3) 1Die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe beider Vertragsstaaten bemühen sich, die maßgeblichen Sachverhalte so festzustellen und zu bewerten, dass eine diesem Abkommen widersprechenden Besteuerung vermieden wird. 2Sie können auch gemeinsam darüber beraten, wie eine Doppelbesteuerung in Fällen vermieden werden kann, die in diesem Abkommen nicht behandelt sind. 3Die Ergebnisse der gemeinsamen Steuerprüfung bilden die Grundlage für die weiteren Maßnahmen der Besteuerung, die sich nach diesem Abkommen und den nationalen Vorschriften richten. 4Wenn die gemeinsame Arbeitsgruppe nicht in der Lage ist, bei der gemeinsamen Steuerprüfung eine diesem Abkommen widersprechenden Besteuerung zu vermeiden, werden alle ungelösten Fragen des Prüfungsfalles auf Antrag des oder der betroffenen Steuerpflichtigen dem Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 unterworfen.
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Sachverzeichnis Advance Pricing Agreement 220 f. Amtshilfeübereinkommen 162 ff. Angemessenheit 37 f. Anzeigepflicht für Steuergestaltungen 143 ff. Auslegung 39 ff. Außenprüfung – Anordnung 49, 324 – Bifunktionale 189 – Duldungspflichten 50 – Ersuchensbedingte 173 f., 189 – Gemeinsame siehe Joint Audit – Mitwirkungspflichten siehe Mitwirkungspflichten – Prüfungsbericht 52, 329 – Schlussbesprechung 51, 315 ff., 329, 332 – Simultane siehe Simultanprüfung – Voraussetzungen 49 ff. – Wiederholungsprüfung 50 – Zeitnahe 113 – Zufallsfunde 51 – Zweitprüfung 50, 189 f., 331, 340, 347 Befugnis-Shopping 152, 155, 161, 163 Betriebsprüfung siehe Außenprüfung Beweismittelbeschaffungspflicht 115 Compliance 112 ff. Country-by-Country Reporting 126 ff. – Bedenken gegen das 136 ff. – Informationsaustausch 166 f. – Inhalt 133 – Persönlicher Anwendungsbereich 127 ff. CRS 164 ff. Deklarationsprinzip 46 Digitalisierung 21 Doppelbesteuerung 90 Enhanced Relationship Erforderlichkeit
112 ff.
Ermessen 48 – Verfahrensermessen 57 Ermittlungsdefizit 57, 69 Ermittlungspflicht 35 Ermittlungsverbot 70 FATCA 164 Fishing-Expeditions 152, 160 Formelle Territorialität 23 f. Fremde Hoheitsakte – Achtung 68 – Anerkennung 68 Geeignetheit 36 Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage 103 ff. Genuine Link 89 Gesetzmäßigkeit der Besteuerung 24, 32 ff., 58 Gleichmäßigkeit der Besteuerung 24, 34 ff. Globalisierung 21, 24 Hoheitsrechte 238 Hoheitsrechtsübertragung 237 ff. – Vorkonstitutionelle 240 – Zusammenarbeit ohne 244 ff. – Zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union 241 f. ICAP 198 Industrie 4.0 22 Informationsasymmetrie 24 Informationsaustausch – Allgemein 149 ff. – Automatischer – Country-by-Country Reporting siehe Country-by-Country Reporting – Inanspruchnahme von Informationshilfe auf Ersuchen 150 ff. – Inanspruchnahme von Informationshilfe ohne Ersuchen 157
Sachverzeichnis – Internationaler – Kulanzauskunft 150 – Spontaner 149, 157, 160, 162, 169, 191 f. JITSIC 197 Joint Audit 25, 226 ff. – Anwesenheit und Ermittlungsrechte ausländischer Prüfer im Inland 260 ff., 353 ff. – Anwesenheit und Ermittlungsrechte inländischer Prüfer im Ausland 296 ff. 353 ff. – Erwartungen 230 ff. – Grenzen 334 f., 345 – Herausforderungen 329 ff. – Praktische Umsetzung 317 ff. – Rechte und Schutz des Steuerpflichtigen 310 ff. – Report der OECD 227 f. – Terminologie 228 ff. – Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen 235 ff. – Verständigungen im Rahmen von 304 ff., 336 ff. – Völkerrechtliche Rahmenbedingungen 233 ff. Konsultationsverfahren
209 f.
Länderbezogene Berichterstattung siehe Country-by-Country Reporting Legalitätsprinzip 32 f. Materielle Universalität 23 f., 88 ff. Mitwirkungspflichten 24 – Allgemeine 47 – Erweiterte 114 ff. – Im Rahmen von Außenprüfungen 50 f. Mutual Agreement Procedure 221 Rechtsanwendungsgleichheit 35 Rechtsdurchsetzungsgewalt 87 f., 146 Rechtssetzungsgewalt 87, 146 Rechtssetzungsgleichheit 35 Rechtsstaatsprinzip 32
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Schiedsverfahren 208 f. Simultanprüfung 179 ff. – Durchführungsphase 181 f. – Planungsphase 180 f. Steuerfahndung 54 ff. Steuerstaat 22 Stichprobenprinzip 63 Strukturelles Vollzugsdefizit siehe Vollzugsdefizit Subsumtion 39 Tatsachen – Bekannte 66 – Bereits festgestellte 67 – Fingierte 66 – Im Ausland festgestellte 67 ff. – Nicht feststellungsbedürftige 66 ff. – Vermutete 66 Tax Compliance siehe Compliance Territorialitätsprinzip siehe formelle Territorialität Übermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeit Untermaßverbot 57 Untersuchungsgrundsatz 44 ff., 47 f., 56, 94 Verhältnismäßigkeit 35 ff., 47, 58 f. Verifikationsprinzip 48 Verrechnungspreisdokumentation 117 ff. – Angemessenheitsdokumentation 119 – Sachverhaltsdokumentation 119 – Stammdokumentation 120 Verständigungsverfahren – Prüfungsbegleitend 305 – Statistik 25 Vertrauensvorschussprinzip 47 Verwertungsverbot – Einfaches 71 ff. – Qualifiziert materielles 72 Vollzugsdefizit 24, 83, 87 ff. Vollzugssicherungsauftrag 99 Voraussichtliche Erheblichkeit 159 f. Zeitnahe Betriebsprüfung siehe Außenprüfung, zeitnahe