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German Pages 49 [52] Year 1914
die
Millesferse tnglanös )lus öem Englischen überseht unK eingeleitet von
Theodor Schiemann
Verlin 1914 druck und Verlag von Georg Reimer
Alle Rechte, insbesondere das der Über, sehnng in fremde Sprachen, vorbehalten.
Vorwort e der merkwürdigsten und wohl folgenreichsten Erschein nungen des Weltkrieges, in dem wirstehen,ist das Wiederlebendigwerden von Problemen, die ihre endgültige Lösung bereits gefunden zu haben schienen. Wer hat noch an dem Niedergang der Türkei gezweifelt, nachdem die von Rußland, England und Frankreich ins Leben gerufene Koalition der Balkanvölker bis hart an die Tore Konsiantinopels vorgedrungen war, und wie alle Welt glaubte, es nur noch eines energischen russischen Vorstoßes bedurfte, um Bosporus und Dardanellen der vordringenden Macht Rußlands zu über, liefern? Die Türkei hatte, den honigsüßen Verheißungen Englands trauend, diesem heimlichen Verbündeten Rußlands, man hätte es nicht für möglich halten sollen, ihre Flotte zur Ausbildung überliefert, und erwartete aus England die Schlachtschiffe, die den Zugang zu Konsiantinopel verteidigen sollten. Nicht volle zwei Jahre sind seither hingegangen, und heute hat England jene bereits bezahlten Schiffe als Beute für sich behalten und den Admiral Limpus nebst den englischen Insiruktoren nach Sewastopol geschickt, um den Russen die schwachen Punkte an der Befestigung der Meerengen zu verraten. I n Persien setzt England, Hand in Hand mit Rußland,
das trügerische Spiel fort, das 1907 begonnen wurde, und das neutrale Ägypten ist bereits jetzt tatsächlich in das Ver, hältnis einer englischen Kronkolonie versetzt worden. Und trotz alledem ist die Türkei wieder lebendig geworden und im Begriff, sich die verlorene Großmachtsiellung zurück, zuerobern. Sie ist schon jetzt wieder die Vormacht des Islam geworden, und wenn, was nicht mehr fern liegt, der Sultan die grüne Fahne des Propheten erhebt, dann wird auch die scheinbar zu Englands Gunsten entschiedene ägyptische Frage wieder lebendig werden. Für völlig zu Englands Gunsten entschieden hielt man, so weit die englische Zunge herrschte, die indische Frage. Die Glacis von Indien, wie Lord Curzon es nannte, d. h. alles asiatische Land westlich vom Indus und östlich vom Persischen Golf, vom Plateau von Pamir bis zu den Ausläufern des Kaukasus, gehorchte englischem Gebot, und seit 1857 die große Erhebung Nana Sahibs blutig erstickt worden war und Eng, land die systematische Entmannung Indiens nicht mehr der Kompagnie überließ, sondern in die eigene Hand genommen hatte, war nichts weniger wahrscheinlich, als daß je wieder die kunstvoll organisierte Fesselung Indiens durchbrochen werden könne. Und doch stehen wir heute, da England ge, nötigt ist, ängstlich sein Gesicht der Nordsee zuzuwenden und was es an Mannschaft aufbringen kann, auf den Schlachtfeldern Belgiens und Frankreichs zu opfern, vor einem Wiederaufleben der indischen Frage. Das Wunderbare ist geschehen, daß Hindu und Mohammedaner einander die Hände reichen, und in der Ge, wißheit, daß England sich am Kampf gegen Deutschland oer, blutet, ist der Bevölkerung Indiens die treugenährte Hoffnung
wieder lebendig geworden, daß die Stunde der Befreiung nun endlich geschlagen habe. Über alle Fährlichkeiten der Zukunft hinaus glaubten die Engländer ihre alle Meere der Welt beherrschende Überlegenheit gesichert zu haben, und um sie zu behaupten haben sie ein Bündnis mit den säkularen Feinden ihrer Weltsiellung, Frankreich und Rußland, geschlossen und ihnen die gelbe Hyäne beigesellt, die sie schon einmal ins Feld riefen, und die nun im Begriff ist das Erbe Englands im Stillen Ozean anzutreten. Japan wird aber ebenso scheitern, wie die anderen Genossen Großbritanniens, denn der Weltkrieg, den England heraufbeschworen hat, kann eben ein anderes Ende nicht finden als durch die Begründung eines neuen Völkerrechts für die Ozeane, das gleiches Recht allen seefahrenden Nationen und die Führung derjenigen zuweist, die dieses Recht der Gesamtheit zu sichern vermag. Engverbunden mit diesem wiederaufgelebten Problem der Freiheit der Meere, die seit den Tagen der Navigationsakte nicht mehr bestand, ist nun dasjenige Problem, auf welches wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken wollen. Trotz aller Versuche dieses Problem zu lösen, und diese Versuche sind zeitweilig sehr ernst gewesen, ist es heute noch so ernst, wie es von jeher war: Die Achillesferse der englischen Großmacht, das irische Problem. Was wir unseren Lesern vorführen ist eine Formulierung irischer Patrioten und wir wollen nicht verhehlen, daß von ihnen die negative Seite, d. h. die Darlegung der Sünden Englands Irland gegenüber und die Darlegung der Bedeutung Irlands für die Weltsiellung Englands in erster
Linie beweiskräftig zur Geltung gebracht wird. Weniger zwingend ist die positive, welche die Möglichkeit einer Befreiung Irlands von der englischen Oberherrschaft und die Wahrscheinlichkeit nachzuweisen sucht, daß Irland als selbständiger Staat neben einem geschwächten und seiner Seeherrschaft verlustigen England sich zu eigenem Recht behaupten könne. Die Voraussetzung, auf welche diese Thesen aufgebaut werden, ist die Beherrschung der Irischen See durch eine deutsche Flotte. Schon das ergibt, daß es sich dabei nur um ein abschließendes Stadium des heutigen Weltkonfiikts handeln könnte, und wir sind fern davon diese Möglichkeit abzuweisen; als unbedingt notwendig und ganz unerläßlich erscheint uns aber eine andere Voraussetzung, daß nämlich, in währendem Kampfe zwischen England und Deutschland, eine Erhebung Irlands gegen die englische Herrschaft stattfindet. Auch hier gilt das Wort, helfen kann man nur dem, der sich selbst zu helfen weiß. Ein Irland, das sich durch die Politik seiner heutigen parla, mentarischen Führer, speziell durch Redmond leiten läßt, wird niemals selbständig werden. Damit wird auch die Politik Deutschlands rechnen müssen.
3rlanö, deutschlanü unü üie Kreiheit öer Meere die Nleere frei machen, heißt Irland befteien. Die folgenden Artikel wurden 1911 unter dem Titel: „Irland, Deutschland und der nächste Krieg" begonnen und waren nur bestimmt, unter wenigen verständnisvollen Freun, den beider Länder vertraulich verbreitet zu werden. Teil 1 wurde im August 1911 geschrieben und ist hier genau in seiner ursprünglichen Fassung wiedergegeben. Die Teile II—VI wurden zu verschiedenen Zeiten, zwischen Ende 1912 und November 1913, verfaßt und sind nur zum Teil übersetzt. Das Ganze dieser Abschnitte bietet im Abriß das Material für eine deutschnrische Allianz, wie sie dem Geist des Autors vorschwebte, als die Welt noch im Frieden lebte. Es war die Absicht des Verfassers, in den aufeinander, folgenden Kapiteln zu zeigen, wie die Lebensinteressen des europäischen Friedens, der Freiheit Europas auf den Meeren und des nationalen Lebens und Gedeihens von Irland, unlösbar verbunden sind mit der Sache Deutschlands in dem Kampf, der so deutlich zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien sich vorbereitete. Der Krieg ist früher ausgebrochen als erwartet wurde. Was von des Schreibers Aufgabe übrig geblieben ist, muß
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nicht mit seiner Feder, sondern mit der Waffe irischer Frei, williger geschrieben werden. Als ein Beitrag zur Sache der irischen Freiheit wird diese Darlegung der Sache Deutschlands, das Freund von Irland und Feind von England ist, veröffentlicht. Die Voraussetzung war, daß der Krieg zwischen Deutsch, land und Großbritannien lokalisiert bleiben könne. Gewiß war dies unwahrscheinlich; aber um die irische Sache deutlicher zur Geltung zu bringen, wurde der Konflikt in dieser Skizze auf die beiden großen Protagonisten begrenzt — auf England, das kämpft um sich die Beherrschung der Meere zu sichern und ganz Europa nötigt, ein bewaffnetes Lager zu bilden, und auf Deutschland, das für die Freiheit der Meere kämpft und den Wald der Bajonette durchbrechen wUl, den England aufgerichtet hat um die Beherrschung der Ozeane zu behaupten. Ist erst die entscheidende Tatsache, um die der Kampf geht, erfaßt, daß nämlich die Meere englisch bleiben und der Welthandel von England beherrscht werden soll, so ergibt sich, daß die Sache Deutschlands die Sache Europas und der Zivilisation überhaupt wird. Deutschland schlägt die Schlachten Europas, des freien Handels und der für alle Welt freien Meere. Ein Triumph Deutschlands wird allen gleichen Vorteil bringen, die den Ozean durchfurchen, und um die neu gewonnene Freiheit zu sichern, muß Irland, der Hüter des Meeres für Großbritannien, zum Hüter der Meere für die Welt werden. Dies ist das Ziel Deutschlands; dies, was Irland und die seefahrenden Nationen erwarten und hoffen können, wenn Deutschland siegt.
Ein deutscher Sieg muß als eine der sichersten Bürg, schaften künftigen Friedens und freier Seefahrt für alle Irland wieder für Europa herstellen und unter internationaler Garantie einen souveränen Staat daraus machen. England kämpft als Feind Europas und als Feind europäischer Zivilisation. Um deutsche Schiffahrt, deutschen Handel, deutsche Industrie zu zerstören, hat es die Verschwörung, die wir jetzt am Werk sehen, bewußt angezettelt. Der Krieg von 1914 ist Englands Krieg. Seit Jahren hat England erwogen, wie es ohne eigene Gefahr die friedliche Drohung deutschen Gedeihens zerstören könne. Noch einige Jahre friedlicher Entfaltung Deutschlands, und die Aussichten auf Erfolg minderten sich oder schwanden ganz. Seit August 1911 war das einzige Ziel der britischen Politik, Deutschland in eine falsche Lage zu bringen und die Vorbereitungen zu treffen, um durch andere — gedungene Hände — den Schlag zu führen. Heute sehen wir den Triumph der britischen Diplomatie: Rußland und Frankreich sind für die Aufgabe aufgehetzt worden. Das Schwert gegen Deutschland ist aus der Scheide gezogen, und England voll Zuversicht, daß es unter allen Umständen sein Ziel erreichen wird — Zerstörung der deut, schen Seemacht, der deutschen Schiffahrt und des deutschen Handels. Es zieht fröhlich in einen Kampf, der niemals die englischen Küsten berühren oder auch nur die Mahlzeit eines Engländers unterbrechen, geschweige denn mindern, dagegen Deutschland verwüsten und das einzige europäische Volt vernichten soll, das sich fähig gezeigt hat, ernstlich in den
Friedenskünsien des Handels und der Industrie mit ihm zu wetteifern. Um dies Verbrechen durchzuführen, ist England bereit, Europa den Russen auszuliefern. Selbst eine nicht--euro, päische Macht, würde es mit Beifall Europa in Händen einer asiatischen Macht sehen, wenn es nur den deutschen Handel aus den Meeren verjagt und die stete Drohung der friedlichen Entfaltung Deutschlands zerstört. Nie ist ein größeres Verbrechen gegen die Zivilisation geplant worden. I n der Zuversicht, unter dem Schutz des Meeres und des „unbesiegbaren" Ringes seiner Dreadnoughts zu stehen, ohne je die Greuel einer Invasion und die Leiden eines Krieges kennen gelernt zu haben, hat England einen Krieg geplant und zustande gebracht, der unsagbare Schrecken und Verwüstungen außerhalb seiner Grenzen heraufbeschwört und als dessen Beute es den zerstörten deutschen Welthandel zu gewinnen hofft. I n diesem Kriege ficht Deutschland nicht nur für seine eigene Existenz, es kämpft für die Freiheit der Meere und, wenn es siegt, für ein freies Irland. I n diesem Kriege hat Irland nur einen Feind. Mag jedes irische Herz, jede irische Hand, jeder irische penn? für Deutschland sein. Iren in Amerika, haltet Euch bereit! Der Tag, da Deutsch, land zur See siegt, läutet die englische Tyrannei auf dem Meere und die englische Herrschaft in Irland zu Grabe. Iren Amerikas, haltet Euch in Bereitschaft, waffnet Euch! Die deutschen Geschütze, die zum Untergang britischer Dreadnoughts donnern, rufen Irlands verstreute Söhne zum Kampfe auf.
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Die Schlacht mag auf den Meeren geschlagen werden, aber das Schicksal wird sich auf einer Insel vollenden. Das Scheitern der britischen Flotte wird eine vereinigte deutsch, irische Invasion Irlands bedeuten, und jeder Ire, der fähig ist sich der Befreiungsarmee anzuschließen, muß heute in Bereitschaft stehen.
I. Schon im Jahre 1870 hat ein Ire es ausgesprochen, daß die Zeit für eine Verständigung zwischen dem britischen und deutschen Volke auf immer vorbei sein würde, wenn die englische Preßkampagne nicht aufhöre, welche schon damals Vorurteil und Verdächtigung gegen Deutschland schürte. Der scharfsinnige Beobachter, der so urteilte, war der bekannte Romanschriftsteller Charles Lever. I n einem Briefe vom 29. August 1870 schrieb er an John Blackwood: „Seien Sie versichert, der „Standard" begeht einen großen Fehler mit seiner Deutschfeindlichkeit. Die öffentliche Meinung Englands wird jetzt noch in Deutschland wertgeschätzt. Damit wird es aber für alle Zeiten vorbei sein, wenn wir den Deutschen einmal gründlich verleidet worden sind." Lever bewahrte sich zeitlebens durch alle seine offiziellen Beziehungen zu Großbritannien hindurch genug von der Eigenart des Irländers, um die beiden Seiten einer Frage zu sehen und auch den entgegengesetzten Standpunkt zu wür, digen. Was er hier während der ersten Phase des französisch, deutschen Krieges ausgesprochen hat, ist längst zur Tatsache geworden. Die gesamte britische Presse vertritt jetzt den Stand, punkt, den damals das eine Blatt, der „Standard", einnahm. Nur hie und da vernimmt man die schwache Stimme eines
ohnmächtigen liberalen Predigers in der Wüste. England ist Deutschland in der Tat gründlich verleidet worden, und die Stunde der Aussöhnung ist längst dahin. Zu Levers Zeit hieß es „jetzt oder nie"; die damals nicht genützte Gelegenheit kehrt nie wieder, und die englische Presse von heute istsichdarüber klar, daß es jetzt zu spät ist. Heute verlangen die Bedenken, die sie noch anfechten, eine andere Formulierung. Jetzt heißt es: „Ist es noch zu früh?" Daß die anwachsende deutsche Flotte vernichtet werden muß, davon ist die ganze englische Presse überzeugt. Nur das Wann und Wie ist nicht so klar. Indessen ist die Lage noch nicht ganz unerträglich, und so hält die altbeliebte Neigung des Briten zu Kompromissen und das Vertrauen auf gutes Glück ihn noch zurück, obwohl viele einem sofortigen Angriff das Wort reden, ehe der Feind zu stark wird. Für ein Aufschieben der Entscheidung spricht die Erwägung, daß ein Bündnis mit Amerika noch zustande kommen könnte. Die Entente mit Frankreich, die schon jetzt von großem Vorteil ist, kann noch weiter im antideutschen Sinne ausgebildet werden, und sollten die freundschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu einer gegen, seitigen Verständigung beider Mächte über eine gemeinsame auswärtige Politik führen, dann würde vielleicht der Raub, zug gegen Deutschland überflüssig werden: man könnte es dann auch so lahm legen. Niemand, der die britische Sinnesart kennt, wird über die feste Richtung ihrer Absichten im unklaren sein. Diese Absichten lassensichin einem Satze zusammenfassen. Deutsches Wachstum und deutsche Ausdehnung dürfen nicht geduldet werden. Sie bedeuten eine Bedrohung britischer I n ,
teressen, auf deren Kosten sie stattfinden. Da diese Interessen weltumfassend sind, das Meer zu ihrem Sitz und die Erde zu ihrem Schemel haben, so stellt sich Deutschland, wohin es sich auch wenden mag um einen Ausweg zu suchen, überall das britische Machtwort: „Hier nicht!" entgegen. Britische Intern essen verbieten die alte Welt; die Monroe-Doktrin, angeblich durch die Suprematie der britischen Flotte aufrecht erhalten, verschließt die neue. Man lasse Deutschland auf irgend einer fremden Küste eine Kohlensiation erwerben, ein Sanatorium, oder nur den Grund und Boden für ein Hotel, sofort sind „britische Interessen" gefährdet, die englische Eifersucht erwacht. Auf die Frage, wie lange dieser Zustand der Spannung dauern, kann ohne zu einem Bruche zu führen, geben vielleicht die deutschen Schiffswerften die beste Antwort. Es leuchtet ein, daß 70 Millionen des hochgebildeten Volkes der Welt, ein körperlich starker, geistig stärkerer, einheitlicher, in hohem Maße ausgebildeter und tüchtiger Menschenschlag, unternehmungslustig und einer Disziplin gehorsam, die auf einer hohen Auffassung des Patriotismus beruht und aus ihr entspringt, daß solch ein Volksichnicht andauernd auf ein genau begrenztes Gebiet einengen läßt durch eine minder zahlreiche, weniger gebildete, geistig und körperlich weniger kräftige und auf jeden Fall weniger ausgebildete und disziplinierte Nation. So formuliert, läßt das Problem eine einfache Antwort zu; und gäbe es keinen andern Faktor, der die Lage beherrscht, so wäre diese Antwort längst gegeben. Die wahre Ursache der herrschenden Weltsiellung Englands ist nicht die Überlegenheit seines Volkes, sondern viel-
mehr die günstige geographische Lage, die es in den Stand gesetzt hat, seine Expansionspolitik zu entwickeln und zu leiten. I n der Hauptsache hat England den Sieg durch seine Lage davongetragen. Die Eigenschaften des Volkes haben ohne Zweifel das ihrige getan, aber seine unvergleichliche Lage im Schöße des Atlantischen Ozeans, wodurch es die Seewege des mittleren und nordöstlichen Europas sperren konnte, hat eine noch größere Rolle gespielt. Mit diesem Schlüssel hat es sich selbst die Welt eröffnet und sie seinen Nebenbuhlern verschlossen. Die langjährigen Kriege mit Frankreich, welche durch die Zerstörung der einzigen damals mit England rivalisierenden Flotte ihren Abschluß fanden, haben diese Position noch ver, stärkt. Ein Europa ohne Flotten, ohne Schiffahrt, wurde für England bloß zu einem westlichen Ausläufer Asiens, dessen kriegerische Völker es stets gegeneinander aufhetzen und in Kämpfe um dynastische Ehre verwickeln konnte, wäl), rend essichselber die Weltmärkte aneignete. So haben ihm fast ein Jahrhundert lang die Meere und Küsten der ganzen Welt offen gelegen zur Ausbreitung seines Handels, seiner Kolonisten, seiner Finanz, bis anscheinend außerhalb Amerikas nichts übrig blieb, worauf es sich lohnte die Hand zu legen. Aber diese hochbegünsiigte maritime Lage beruht auf einem Faktor, der nie genannt wird, dessen unbeanstandeter Besitz und Genuß das wahre Fundament der britischen WeltMachtstellung ist. Ohne Irland würde es heute kein britisches Weltreich geben. Jeder britische Staatsmann nimmt die Bedeutung Irlands für England, die einer Lebensfrage
gleichkommt,stillschweigendan. Es wird kein Wort darüber verloren. Seit den Tagen Heinrichs v m . ist es das bewußte Ziel jeder englischen Regierung, diese Insel des Westens, welche den Ozean verschließt, zu unterjochen, ihre Hilfsquellen, ihre Bevölkerung und vor allem ihre Lage zu dem alleinigen Vorteil Englands auszubeuten. Kein einziger Staatsmann des europäischen Festlandes hat die vitale Bedeutung Irlands für Europa je erkannt. I n ihren Augen ist Irland keine euro, päische Insel, kein wesentliches und notwendiges Element in der Entwicklung Europas, sondern ein bloßes Anhängsel Englands, eine Insel hinter einer anderen, nichts als ein geographischer Begriff in der Liste der Titel des Eroberers. Unter den europäischen Herrschern hat vielleicht Ludwig X I V . am besten die Bedeutung Irlands in dem Konflikt europäischer Interessen gewürdigt, als er versuchte, Jakob II. als Rivalen des großbritannischen Monarchen auf dem Thron Irlands zu befestigen und so in den westlichen Meeren ein Gegengewicht gegen die britische Herrschaft zu schaffen. Und von französischen Schriftstellern hat Montesquieu allein die Wichtigkeit Irlands in den Welthändeln seiner Zeit begriffen. Er tadelt das Schwanken Ludwigs x i v . , der es unterließ, seine ganze Macht aufzubieten, um Jakob II. auf dem Throne Irlands zu befestigen und durch eine erfolgreiche endgültige Trennung der Insel von Großbritannien den Nachbarn zu schwächen (atlaidlir le voisin). Auch Napoleon erkannte (auf St. Helena) zu spät seinen Irrtum, da er sagte: „Wäre ich anstatt nach Ägypten nach Irland gegangen, so war es aus mit dem britischen Reich." Abgesehen von diesen beiden Äußerungen des franzö>
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fischen Schriftstellers und des französischen Herrschers hat die Staatskunsi des Kontinents bis auf den heutigen Tag die Beziehungen Irlands zu den Angelegenheiten Europas unbeachtet und ungenutzt gelassen. Es gibt heute wohl niemand in Europa, der den übermächtigen Einfluß Großbritanniens in den Welthändeln und die verhältnismäßige Unterordnung europäischer Ansprüche unter die angeblichen Interessen dieser kleinen Insel zu der andern kleineren Insel jenseits seiner Küsten in Beziehung bringt. Und doch liegt dort der Schlüssel zur britischen Machtstellung. Der einzige Europäer aus neuerer Zeit, der das wahre Verhältnis Irlands zu Großbritannien durchschaut hat, war Niebuhr. „Sollte England", sagte er, „sein Verhalten Irland gegenüber nicht ändern, so mag das Land noch eine lange Zeitperiode hindurch ihm gehören, nicht aber für immer; und der Verlust Irlands ist der Todestag, nicht nur der Größe, sondern der Existenz Englands." Indem ich mir diese so überraschende Behauptung zu eigen mache, möchte ich so kurz wie möglich ausführen, daß die Loslösung Irlands von England die Grundbedingung für jeden erfolgreichen Versuch Europas sein muß, die Fesseln zu zerbrechen, welche jetzt jedes Volk des Kontinents in Bande schlagen, das sich durchzusetzen und seine den britischen Interessen entgegensiehenden Ideale über die Grenzen Europas hinauszutragen bestrebt ist. Zunächst wird es zweckmäßig sein, den Ausdruck „britische Interessen" zu definieren und den Nachweis zu führen, daß sie nicht notwendig gleichbedeutend mit europäischen Interessen sind. Englands AchMesfelse.
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Britische Interessen sind vor allem die völlige militärische und kommerzielle Beherrschung der Meere der ganzen Welt. Bleibt diese unbestritten, dann ist Friede; sie ernstlich in Frage zu stellen bedeutet Krieg. II. Schon jetzt (1912) befindensichEngland und Deutschland im Kriegszustand, wenn auch nur, was die Ziele und Pläne der beiden Nationen anbetrifft. Das reiche blühende England, welches alles, was es überhaupt assimilieren kann, schon in Händen hält, begehrt einen Frieden, der die unbedingte Anerkennung seiner beherrschenden Weltmachtsiellung zur Voraussetzung hat. Nicht nur sein gegenwärtiger Besitz soll unangetastet bleiben, sondern keine andere Großmacht soll durch Erlangung von Kolonien oder Ausdehnung ihrer Bevölkerung und Institutionen auf Nachbargebiete in irgend welcher Weise die Weiterentwicklung der schon besiehenden britischen Staatenwelt schmälern. Denn England sieht Gleich, siellung als eine Beleidigung an, und die Macht, welche ahn, liche Erfolge zu verzeichnen hat oder gar einen Wettbewerb betreibt, hat schon eine unverzeihliche Sünde begangen. Schon i797 sagte Curran in seiner Verteidigungsrede des irischen „Rebellen" Hamilton Rowan: „England zeichnet sich durch angeborene Sucht nach Freiheit aus, die es geizig für sich allein beansprucht und aufspeichert, die es aber andern nicht zugestehen will; ob nun aus irgend einer Notwendigkeit seiner Politik oder aus Schwäche oder aus Stolz, wage ich nicht zu entscheiden."
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Dadurch wird England, wenn es zum Angriff gegen Deutschland schreitet, was wahrscheinlich ist, von vornherein im Nachteil sein. Denn es befindet sich in der Defensive. Wenn es auch vermutlich aus strategischen Gründen der Angreifer sein wird, folgt es doch einer sparsamen Politik der Verteidigung und nicht des Angriffs. Sein Hauptinteresse wird nicht Vordringen und Erobern sein, sondern Festhalten. I m besten Falle könnte es durch den Krieg keinen neuen lohnenden Gewinn erlangen. Sein Sieg würde nur bedeuten, daß es eine weitere Periode der Ruhe gewönne, in der es seine Macht kräftigen und das Gute, das ihm beschieden ist, genießen könnte. Deutschland dagegen wird in ganz anderer Absicht kämpfen, und das wird eine weit kräftigere Anstrengung verlangen und hervorrufen. Es wird nicht nur um die Erhaltung seines Besitzes kämpfen, sondern vor allem, um sich aus einer unerträglichen und unverdienten untergeordneten Stellung zu befreien, die nicht in dersittlichenoder geistigen Überlegenheit seines Gegners oder in eigenen Mängeln begründet ist, sondern in der geographischen Lage des Gegners, der schon früh die entschieden vorteilhaften Stellungen in Besitz genommen hat. Deutschland wird nicht nur mit militärischen Mitteln kämpfen. Es wird mit höchster geistiger Anspannung einen Kampf für weitere und höhere Freiheit führen, für das Weltbürgerrecht, das England fürsichallein in Anspruch nimmt und allen andern verweigert. England ist wie ein Mann, der in einem bequemen Hause mit einer weiten und schönen Aussicht wohnt und es dem weniger gut situierten Nachbarn verwehren will,
ihm durch einen Anbau die Aussicht zu verderben. Deutschland muß nicht nur darum kämpfen, sich Luft zu verschaffen und an die Sonne zu gelangen, sondern sich einen stattlicheren und geräumigeren Bau zu verschaffen, ein geeignetes Haus für eine zahlreiche und stets wachsende Nachkommenschaft. Wer könnte daran zweifeln, daß ein größerer Patriotismus und einstärkererTrieb den Mann beseelen muß, der um Licht, Luft und Freiheit kämpft, als denjenigen, dessen einziger Gedanke ist, daß er allein so günstige Bedingungen genießen soll? Auch die Hilfsmittel, welche jeder der beiden Gegner für den Kampf bereit hält, müssen am Ende für Deutschland den Ausschlag geben. Es existiert da ungefähr dieselbe Ungleichheit der Mittel wie einst zwischen Rom und Karthago. England verläßt sich auf Geld, Deutschland auf Männer. Und ebenso wie römische Männer die karthagischen Söldner schlugen, so muß die Blüte der deutschen Jugend und Mann, heit über britische Finanz den Sieg davontragen. Gerade wie sich Karthago in der Stunde des letzten Zusammenstoßes mit den auf ihre Götter bauenden Römern auf sein Gold verließ, wie es vor dem Volke des geeinigten Italiens unterlag, so wird das mächtigere Karthago der nördlichen Meere trotz Handel, Schiffahrt, Kolonien, Macht des Geldes und gedungener fremder Söldner (Iren, Inder und Afrikaner) vor der Manneskraft eines einigen Deutschlands zu Fall kommen. Wenn nun aber der Sieg Deutschlands auch wahrscheinlich ist, so kann die endgültige Sicherung und Sicherheit deutscher Kultur nur durch eine Staatskunsi herbeigeführt werden, welche die Fehler Ludwigs X I V . und Napoleons
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vermeidet. Die Niederwerfung Englands durch Deutschland ist eine durchaus mögliche Waffentat; um aber die ökonomischen und politischen Früchte dieses Sieges zu ernten, muß Irland von dem britischen Reiche losgelöst werden. Ein besiegtes England im vollen Besitz Irlands zu lassen, wäre nicht Lösung der Frage von Deutschlands Gleichberechtigung zur See und in den Angelegenheiten der Welt, sondern hieße diese Lösung auf einen zweiten und vielleicht größeren Zu, sammensioß verschieben. Es wäre, als ob Rom nach dem ersten punischen Kriege den Karthagern Sizilien gelassen hätte. Aber Irland ist England weit nötiger als Sizilien den Karthagern war, und spielt eine weit größere Rolle in der Zukunft Europas auf dem Ozean als je der Besitz Siziliens in der Zukunft des Mittelmeers gespielt hat. Wenn Deutsch, land auf die Dauer von einer Besiegung Englands Nutzen ziehen will, so muß es die Seeengen nicht nur durch eine Niederlage der existierenden britischen Flotte befreien, sondern Vorkehrungen treffen, daß diese Meere nicht wieder von zu, künftigen britischen Flotten gesperrt werden. Der deutsche Ausgang nach einem freien Atlantischen Ozean kann nur durch ein freies Irland gesichert werden. Denn gerade wie unter den jetzigen Bedingungen, welche Irland von dem übrigen Europa abtrennen, der englische Kanal nach Belieben durch England gesperrt werden kann, so sieht, wenn Irland nicht länger an England gebunden ist, dieser Kanal der Welt offen. Der Schlüssel zur freien Bewegung europäischer Schiffahrt liegt nicht bei Dover, sondern an der Südwesiküsie Irlands, bei Berehaven. Wenn Berehaven englischen Händen entrissen ist, so mag England immerhin noch den Kanal sperren, Irland
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aber könnte den Atlantischen Ozean sperren. Schon Richard Cox hat dies in seinem Wilhelm i n . und der Königin Mary gewidmeten Buche: „Die Geschichte Irlands von den ältesten Zeiten an" (1689) merkwürdig, aber richtig ausgedrückt: „Keine Kosten können zu groß sein, wo der Preis des Sieges von so großem Werte ist, und wer die Lage, die Häfen, den Reichtum und alle anderen Vorteile Irlands erwägt, der wird eingestehen, daß es um jeden Preis festgehalten werden muß. Denn käme es in die Hände des Feindes, so könnte England unmöglich gedeihen und vielleicht kaum existieren. Um diese Behauptung zu beweisen, genügt es zu sagen, daß Irland auf einer Welthandelssiraße liegt, und daß alle englischen Schiffe, die nach Osten, Westen und Süden fahren, gleichsam zwischen den Häfen von Brest und Baltimore Spießruten laufen müssen. Ich könnte hinzufügen, daß die Ausfuhr irischer Wolle sehr bald die englische Konfektion ruinieren würde. Das ist es, weshalb alle Vorgänger Eurer Majestät den Grundsatz befolgt haben, Irland unauft löslich mit der englischen Krone vereint zu halten." Die ausschließliche Aneignung Irlands und all seiner Hilfsquellen ist in der Tat, seitdem diese Worte geschrieben wurden, der Hauptpfeiler britischer Größe gewesen. Erst gestern las ich: „Wenige Leute wissen, daß der Handel Irlands mit Großbritannien dem Handel Englands mit Indien gleichkommt, um 6 13000000 größer ist als der mit Deutschland und um L 40000000 den ganzen Handel mit den Vereinigten Staaten übersteigt. Wie drückend England seine Hand auf alle irischen Erzeugnisse gelegt hat, geht aus einer Veröffentlichung hervor, welche Chamberlains » l
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" gegen das Ende von 1912 herausgegeben hat. Dieses Schriftstück, welches den Titel führt „Die wirtschaftliche Lage Irlands und ihr Verhältnis zur Tarif-Reform", blldet in der Tat ein Manifest, das laut nach der Erlösung Irlands von dem ausschließlichen Druck Großbritanniens schreit. So erfahren wir z. B., daß Irland im Jahre 1910 L 63400000 einheimischer Produkte ausführte. Davon erhielt Großbritannien L 52600000, während L 10800000 entweder ins Ausland oder in die britischen Kolonien, davon über L 4 00a 000 an die Vereinigten Staaten gingen. Von diesen 11 Millionen wurden nur L 700 ooo direkt aus irischen Häfen verschifft. Der Rest, mehr als L 10000000, mußte nach Großbritannien verschifft werden, obgleich die Märkte meist im Westen lagen, und hatte einen starken Durchgangs, zoll zu zahlen. Dann wurde es in britischen Häfen in britische Schiffe umgeladen, um an den irischen Häfen, die es eben verlassen hatte, vorbei in die Welt hinausgeschickt zu werden. So ist Irland, obwohl es mitten auf einer großen Handelsroute liegt, künstlich seines eigenen Handels und der Stellung beraubt worden, welche ihm durch die Natur in dem Welthandel zugewiesen war. Aber England hat sich nicht nur des Handels und Reichtums Irlands zu seiner eigenen Bereicherung bemächtigt, sondern es benutzt auch die Blüte der irischen Jugend zu seinen eigenen Zwecken. Schon im Jahre 1613 finden wir in den englischen Staatspapieren das Geständnis, daß die Iren bessere Feldsoldaten seien als die Engländer. „Der nächste Aufstand", heißt es da, „bedeutet eine größere Gefahr für den Staat als je zuvor, da uns noch die Städte treu ergeben waren, 1. weil die Irländer körperlich noch die-
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selben sind, die sie stets waren, und uns darin überlegen sind; 2. weil sie von Kindheit an im Gebrauch der Waffen geübt sind; 3. weil wegen des langen Friedens das Land voll junger Leute ist; 4. weil sie jetzt bessere Soldaten sind als vormals, was sich durch ihre beständige Verwendung in den Kriegen des Kontinents erklärt. Auch wissen sie selbst, daß ihre Leute tüchtiger sind als die unsrigen." Die physische Überlegenheit der Irländer wird auch vom Grafen Esser, der 1599 mit der bis dahin größten Truppenmacht (18 c>c>c> Mann) nach Irland gesandt worden war, als Grund für seinen Mißerfolg angegeben. Er schreibt an die Königin Elisabeth: „Die Zahl dieser Rebellen ist größer als die des Heeres Eurer Majestät, und sie haben, obgleich ich es ungern zugestehe,stärkereLeiber und gebrauchen ihre Waffen besser." Auch heute noch, trotz alles Elends und kümmerlicher Nahrung, trotz der großen Hungersnot von 1845, trotz der ununterbrochenen Auswanderung seiner kräftigsten und gesundesten Söhne weist Irland einen männlichen Typus auf, der dem englischen Physisch, geistig und moralisch überlegen ist. I m Burenkriege mußte sich England hauptsächlich auf irische Soldaten und Offiziere verlassen, und es ist keine Übertreibung zu sagen, daß, wenn alle Iren in der englischen Armee ausgeschaltet worden wären, eine nur aus britischen Elementen zusammengesetzte Streitmacht den Krieg nicht hätte beenden können und die Buren noch heute Herren Südafrikas wären. Es war ein unrühmliches Geschick für Irland, an jenen berüchtigten „metkoäs «t darbariLm" der Kriegsführung in Südafrika teilnehmen zu müssen. Es war fürwahr ein Unglück für die Menschheit wie für sein eigenes Geschick und
seine Ehre, daß Irland gezwungen wurde seinem Bedrücker zu helfen, die Freiheit eines anderen tapferen Volles zu vernichten. Daß diese physischen Eigenschaften der Irländer selbst jetzt, da die Bevölkerung nur ein Zehntel von der Großbritanniens beträgt, dem britischen Reich unentbehrlich sind, zeigt deutlich Churchills Rede über die Home Rule-Vorlage (Februar 1913). Wir hören da, daß der erste Lord der Admiralität beschlossen hat, ein neues Übungsgeschwader mit der Basis in Queenstown aufzustellen, wo man durch den Köder von Home Rule die Jugend Corks und Munsters wieder wie in den Tagen Nelsons für die Bemannung der englischen Flotte zu gewinnen hofft. Karthago bezog seine Soldaten aus Spanien, seine Seeleute von den balearischen Inseln und der Küste von Afrika, sein Geld aus dem Welthandel. Aber Rom erlaubte dem besiegten Karthago nicht, weiterhin Menschentribut zu erheben. Deutschland muß dafür kämpfen, nicht nur die heutige britische Flotte zu besiegen, sondern die Flotte von morgen zu neutralisieren, und darum darf es Irland nicht bei Großbritannien belassen. Eine der Friedensbedingungen, und zwar aus diesem Grunde die wichtigste, welche ein siegreiches Deutschland seinem geschlagenen Gegner auferlegen muß, ist die, daß Irland zu einem unabhängigen Staat abgetrennt werden muß. England würde sich natürlich einer solchen Bedingung bis zum äußersten widersetzen, aber das äußerste muß schon geschehen sein, ehe England überhaupt einem Frieden zustimmt, den es nicht selbst diktiert hat.
Ein geschlagenes England ist ein ausgehungertes Eng, land. Es würde jegliche Bedingung annehmen müssen, die der Sieger ihm stellt, so lange solche Bedingung nicht die Intervention anderer Mächte zugunsten Englands hervorruft. Der Siegespreis Deutschlands wird nicht so sehr die Annexion britischen Gebiets oder eine schwere Kriegsentschädigung sein, als die Freiheit seiner Entwicklung durch die ganze Welt unter gleichen Bedingungen mit England. Darum zu kämpfen ist der Mühe wert. Denn wenn dies erreicht ist, folgt alles andere von selbst. Wenn deutsche Kultur aus den Banden der unebenbürtigen Stellung befreit ist, in welche England sie zu drängen und fesseln gesucht hat, so wird sie sich von selbst den Weg an die Front bahnen und notwendig die günstigste Lage zu ihrer Weiterentwicklung gewinnen. „Die Bedeutung des deutschen Machtwillens", sagt der Amerikaner Ernst Richard (Niztol? ol kerman Nvili-Htion, Columbia UnivelÄt?, New Volk), „verlangt dies: Sicherung gegen jede Einmischung in seine individuelle und nationale Entwickelung. Den Nationen, die im friedlichen Wettstreit des menschlichen Fortschritts nicht zurückstehen wollen, bleibt nur eines übrig: es Deutschland gleich zu tun in unermüdlichem Fleiß, in wissenschaftlicher Gründlichkeit, in Pflichtgefühl, in geduldigem Ausharren, in einsichtiger freiwilliger Unterordnung unter die Organisation." Hat erst einmal Deutschland Großbritannien zu einem friedlichen Wettbewerb gezwungen, so werdensichder deutschen Unternehmungslust viele Gebiete eröffnen, die ihr jetzt ver-
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schlössen sind, ohne daß es nötig wäre große überseeische Gebiete anzugreifen. Eine Niederlage der britischen Flotte würde eine Landung deutscher Truppen in Australien, Süd, afrika oder Neuseeland keineswegs sehr erleichtern. Ein Er, oberungskrieg nach jenen fernen Regionen würde für Deutsch, land eine unmögliche und törichte Aufgabe sein. Ein geschlagenes England könnte keine dieser Besitzungen abtreten; denn sie werden von freien Völkern bewohnt, die alle, so sehr sie eine Einnahme Londons durch die Deutschen bedauern würden, in keiner Weise durch irgend welches Ab, kommen einer andern Herrschaft unterworfen werden könnten. Um daher diese britischen Besitzungen zu gewinnen, müßte Deutschland nicht nur England besiegen, sondern danach einen neuen Krieg anfangen oder eine Reihe neuer Kriege an den Enden der Erde mit erschöpften Hilfsmitteln und einer wahrscheinlich stark reduzierten Flotte führen. Die einzigen Gebiete, welche England abtreten könnte, wären solche, die an sich nicht zur Kolonisierung durch die weiße Rasse geeignet sind. An diesen würde Deutschland sich ohne Zweifel schadlos halten. Es gibt Punkte im tropischen Afrika, im Osten, auf dem Ozeangebiete, über welche heute die britische Flagge weht, die ein siegreiches Deutschland mit Nutzen erwerben könnte. Aber all dies würde Deutsch, land noch nicht die ruhige Ausdehnung und den friedlichen Wettbewerb sichern, um dessentwillen der Krieg geführt worden ist. England würde bis zu einem gewissen Grade geschwächt sein, aber sein Hauptsiützpunkt, sein wertvollster Besitz würde ihm noch verbleiben — seine geographische Lage. Man ent, reiße ihm die Goldküsie, den Niger, Gibraltar, selbst Ägypten,
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man lege ihm eine schwere Kriegsentschädigung auf, so hätte es in Wahrheit so gut wie nichts verloren, und nach io Jahren würde Deutschland wieder vor einem Europa stehen, das über das Meer hin nach wie vor von den Briten beherrscht wird. Ein zweiter punischer Krieg müßte geführt werden mit diesem Nachteil, daß das atlantische Sizilien noch immer in den Händen des atlantischen Karthagos sein und gegen das nordische Rom ausgespielt werden würde. Das Interesse Deutschlands verlangt gebieterisch, daß die Freiheit der Meere nicht wieder gefährdet wird. Ich weiß nur einen Weg die Meere frei zu machen: Irland muß endgültig von britischer Herrschaft erlöst werden. Die Argumente für einen solchen Vorschlag würden bald von einem allgemein europäischen Gesichtspunkt aus so überzeugend sein, daß sich ihm außer England und seinen geschlagenen Verbündeten keine Macht widersetzen würde. Erwägungen der Zweckmäßigkeit nicht weniger als ethische und kaufmännische Ansprüche würden laut für Deutschland und ein freies Irland reden. Denn ein freies Irland, das nicht länger von England zu seinem alleinigen Nutzen ausgesogen würde, sondern seine selbständige Stellung innerhalb Europas einnähme, dessen Häfen zum Zwecke allgemeiner Schiffahrt von britischer Kontrolle befreit wären, würde bald von der allerhöchsten Bedeutung im Leben Europas sein, so daß die Menschheit staunen würde, daß man diese höchst, begünstigte aller europäischen Inseln 500 Jahre lang dem alleinigen Gebrauch und dem selbstischen Mißbrauch einer einzigen Nation überlassen hat. Irland würde befreit werden, nicht weil es die Freiheit
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verdiente oder sie verlangte, nicht weil die englische Herrschaft eine Tyrannei, ein Fehlgriff, eine Torheit und ein Verbrechen war, nicht weil Deutschland sich etwas aus ihm machte, sondern weil seine Befreiung aus britischer Kontrolle ein not, wendiger Schritt im internationalen Verkehr ist und einen Fortschritt deutscher und europäischer Entwickelung be, deutet. Wäre Irland aus dem Kerker, in den England es ein, geschlossen hält, befreit, so würde es bald ein volkreicher Staat von etwa 10 bis 12 Millionen Bewohnern werden, ein Land, welches eine einzigartige Stellung zwischen der alten und neuen Welt innehat, und wahrscheinlich ein geistiger und sittlicher Gewinn von hoher Bedeutung. Auf jeden Fall würde es die Gewähr leisten, daß das Meer frei würde und nicht länger von der Gnade und Willkür eines einzigen Mitgliedes der europäischen Völkerfamilie abhinge, und zwar gerade dem, jenigen, welches das geringste Interesse an der allgemeinen Wohlfahrt Europas nimmt. Je mehr aber ein freies Irland erstarkt, um so sicherer würde die angemaßte Rolle Englands, Schiedsrichter über Krieg und Frieden zu sein, aufhören, und das Gleichgewicht der Macht würde fortan nicht auf falscher Wage ruhen, sondern auf gerechtes Gewicht und Maß gestellt sein. An zweiter Stelle in der Reihe der britischen Interessen sieht das Vorkaufsrecht aufalle gesunden, fruchtbaren, unbeschlag, «ahmten Gebiete des Erdballs, soweitsienicht schon im Besitze einer Nation sind, die einen Eingriff ernstlich zurückweisen kann, zugleich mit dem Anspruch auf Eintausch anderer Gebiete, diesichvon Zeit zu Zeit als kommerziell oder finanziell
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ergiebig herausstellen mögen, ob sie nun zu britischer Koloni, sierung tauglich sind oder nicht. Kurz gesagt, die britischen Interessen erheischen für die Zukunft der Welt eine englisch redende Zukunft. Zwar müssen, das ist klar, die sogenannten britischen Kolonien früher oder später sich zu gesonderten Nationalitäten entwickeln; das Band einer gemeinsamen Krone kann sie nicht auf alle Zeiten binden. Aber, wie Sir Wilfted Laurier kürzlich auf der Reichs, konferenz gesagt hat, „wir bringen euch britische Institutionen", d. h. die englische Sprache, englisches Gesetz, englischen Handel, in einem Worte englische Suprematie — das ist das der Menschheit vorgehaltene Ideal, das sich in die Worte „britische Interessen" zusammenfassen läßt. Wohin mansichauch wendet, überall sind diese Interessen gleichbedeutend mit tatsächlicher Besitznahme; und ob es sich nun um Madeira, Teneriffa, Agadir, Tahiti oder Bagdad handelt, schließt die britische Flagge, selbst wo sie nicht sichtbar ist, den nichtbritischen Eindringling wirksamer aus als die sichtbare Standarte des augenblicklichen Scheinbesitzers. Denn England ist der Herr und Eigentümer der Zivilisation, alle Menschen sind seine Pächter, und die Erde ist sein Landgut. Ist diese Definition der britischen Interessen nicht stark über, trieben, so sieht Europa vor einem sehr ernsten Problem, wenn seine Kulturideale, so weitsievon denen Großbritanniens verschieden sind, für ihre endgültige Durchsetzung in irgend einer von der Sonne begünstigten Region Spielraum finden sollen. Der augenblickliche Konflikt europäischer Interessen in Marokko ist ein trefflicher Beleg für die englische Methode.
I n der Vergangenheit war Frankreich der Hauptgegner, aber seit es nicht mehr imstande ist, die britische Ausbeutung der überseeischen Welt ernstlich zu bestreiten, wird es in dem Kampfe verwendet (und belohnt), der jetzt darauf ausgeht, Deutschland um jeden Preis vom Kampfplatz auszuschließen. Wäre Frankreich noch gefährlich, so hätte man es nie nach Algeciras oder von Algeciras nach Fez gehen lassen. I n dem deutschfeindlichen Wettkampf kann es aber gut gebraucht werden, und so ist Marokko ihm Sold und Lohn. Daß Deutsch, land es gewagt hat, sich in den Handel zu mischen oder einen Anteil bei der Abrechnung zu beanspruchen, hat in Groß, britannien tiefe Entrüstung hervorgerufen, deren grollender Widerhall von der Guildhall bis nach Gaboon und vom Kongo bis nach Tahiti ertönt. Schon das Gerücht, daß Frankreich Tahiti gegen Deutschlands Wohlwollen austauschen könnte, hat die Welt der britischen Presse mit mehr als irdischem Groll erfüllt. Daß Frankreich es wagte, als teilweise Abtragung der in Algeciras übernommenen Verpflichtungen eine französische Insel im Stillen Ozean anzubieten und Deutschland nicht anstand sie anzunehmen, war eine Bedrohung britischer Interessen. Tahiti im Besitze einer dekadenten Republik, der größten wenn man will, aber doch einer absterbenden Nation, das ließ sich ertragen. Aber Tahiti in deutschen Händen wird sofort eine Herausforderung und Drohung. Weder Frankreich noch Deutschland dürfen bei einem Abkommen freie Hand haben, welches, so wesentlich es auch für ihre eigenen Interessen sein mag, den Weltkreis britischer Interessen auch nur wie ein Schatten, der auf die See fällt, trübt. Diese Interessen sind jetzt auf einen solchen Grad der
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Entwickelung gelangt, daß alle ausländischen Staaten, die nicht als Werkzeuge zu gebrauchen sind oder als Agenturen angesehen werden können, als Feinde behandelt werden müssen. Deutschland mit seiner zunehmenden Bevölkerung, seiner immer stärker anwachsenden Industrie, seiner hohen Handelstüchtigkeit und seiner sich stets vergrößernden Flotte ist der Feind der Zivilisation par excellence geworden. Viel zu stark, um zu Lande offen angegriffen zu werden, muß es um jeden Preis in Mitteleuropa eingeengt werden, und zwar durch einen eisernen Ring von bewaffneten Koalitionen, der sein weiteres Wachstum hemmt und hindert. Denn wenn es sich ungehindert entwickelt, so würde es ein gefährlicher Rival jener britischen Institutionen und jener Weltsprache werden, die in allem Ernste und salbungsreich als die vorher, bestimmte Zukunft der Menschheit hingestellt werden. Denn die englische Geistesverfassung ist derart, daß alles, was England tut, gottgewollt ist, und ob es nun ein ganzes Volk vernichtet oder nur ein Schiff versenkt, so lautet der Lobgesang, der die Tat begleitet: „Näher, mein Gott, zu dir!" Es ist noch nicht lange her, da beglückwünschte eine Abordnung religiöser Körperschaften den König Georg v . zu der dritten Jahrhundertfeier der englischen Bibelüber, setzung. Sowohl die Ansprache der Untertanen, hervorragender frommer und gebildeter Männer, als die Antwort des Königs waren in hohem Grade bezeichnend für den Geisteszustand dieses außerordentlichen Volkes. Es ging daraus hervor, daß die Bibel „das größte Besitztum der englischen Rasse" ist. „Die britische Bibel" ist die erste und größte aller britischen Kapitalanlagen und auf die ethischen Dividenden ihres
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Besitzes gründet sich die Weltgröße dieses Inselreichs. Daß auch andere Völker die Bibel besitzen und sie schon früher als England übersetzt haben, wurde nicht einmal angedeutet. Kein Wort davon, daß die Bibel ihrem Ursprünge nach griechisch und hebräisch ist. Sie beginnt und endet mit der englischen „autorisierten Übersetzung". Nur die „britische Bibel" zählt. Das isi die Bibel, über die die Sonne nie untergeht, die Bibel, welche indische Meuterer in den fünfziger Jahren von Kanonenrohren in die Luft geblasen hat und heute bereit sieht, alle anderen Meuterer, Deutsche oder Türken, aufs Korn zu nehmen, wenn sie es wagen sollten, die Ver, heißung strittig zu machen, daß die Sanftmütigen das Erb, reich besitzen sollen. Die salbungsvolle Selbsigerechtigkeit, welche das Gottes, wort in eine Kanonenladung umwandelt, isi in der Tat ein gefährlicher Gegner, wie Cromwell bewiesen hat. Die englische Suprematie herauszufordern, wird nicht nur eine Friedens, bedrohung, sondern ein Sakrilegium. Und dennoch beruht dies weltumfassende Reich, gegründet auf die britische Bibel und die englische Flotte, und aufrechterhalten durch eine unerschütterliche Auslegung der einen und eine geschickte Handhabung der andern, auf einem unsichtbaren Fundament, welches älter isi als beides und dereinsi beides zum Scheitern bringen wird. Das britische Weltreich gründet sich nicht auf die britische Bibel noch auf den britischen Dreadnought, sondern auf Irland. Diese Weltherrschaft hat ihren Anfang auf einer verwüsteten und geplünderten Insel genommen und wird auf dieser Insel ihr Ende nehmen, einer Insel, von der Spencer englonds ÄchMlsfelse.
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34 sagte: „Ob es nun der eeniuL loci ist oder der Einfluß der Gestirne, oder der Umstand, daß der allmächtige Gott die Zeit ihrer Umwandlung noch nicht bestimmt hat, oder daß er sie geheimnisvoll in diesem ruhelosen Zustande erhält als eine künftige Zuchtrute für England, das ist schwer zu wissen, aber doch sehr zu befürchten." So schrieb vor 340 Jahren der Dichter Edmund Spencer, dessen Muse durch irischen Grundbesitz belohnt worden war und der als Dichter die Gabe besaß, zu erkennen, daß ein Tag der Wiedervergeltung kommen werde. Das von den Tudors Heinrich und Elisabeth in Irland begründete Reich hat sich zu großen Dingen ent, wickelt. Irlands beraubt, nimmt England wieder seine natürlichen Dimensionen an, die eines mächtigen Königreiches; im Besitze Irlands wird es immer ein Weltreich bleiben. Denn ebenso wie Großbritannien die Toröffnungen des nördlichen und westlichen Mitteleuropa versperrt und nach Gutdünken den Handel und die Häfen jeder Küste vom Baltischen Meer bis zum Busen von Biscaya blockiert, so liegt Irland zwischen Britannien und den größeren westlichen Meeren und versperrt ihm die Heerstraßen des Ozeans. Ein starkes, unabhängiges und in sich selbst geschlossenes Irland als ein Glied der europäischen Völkerfamilie, würde die sicherste Garantie für die gesunde EntWickelung europäischer Interessen in all den Ländern bieten, wo sie heute durch die europafeindliche Politik Englands unterbunden ist. Das Verhältnis Irlands zu Großbritannien ist auf dem Kontinent keineswegs bekannt und verstanden. Die Politik Englands ist es seit Jahrhunderten, die wahre Quelle seiner Hilfsmittel zu verheimlichen. Die englische Diplomatie wie
35 die englische Geschichtsfälschung hat Irland stets als eine armselige, von einer unruhigen und unwissenden Menschen, rasse bewohnte Insel hingestellt, die es immer wieder mit vergeblicher Mühe zu zivilisieren, in die Höhe zu bringen und zu erziehen versucht hat. I n Wahrheit jedoch ist esstetsdie geheime, aber entschlossene Politik Englands gewesen, Irland zu zwingen, nur mit ihm Handel zu treiben, jede direkte Verbindung zwischen Europa und dieser zweitgrößten Insel abzuschneiden, sie in der elendesten politischen und wirtschaftlichen Knechtung zu erhalten, die je ein Volk dem andern aufgezwungen hat, ihre sämtlichen Hilfsquellen, das Land selbst, die Häfen, das Volk, seinen Reichtum, ja selbst seine Religion zu dem alleinigen Vorteil und Frommen Englands auszubeuten. Wir haben jüngst viel von der Fronknechtschaft der Tagelöhner in Mexiko zu lesen bekommen: wie ein Volk in rechtlose Sklaverei hinabgedrückt werden kann, wie man sein Land enteignet, seine Arbeit konfisziert, seinen Leib in Sklaven, fesseln schlägt und wie der ganze Zusammenhang dieses be, trügerischen Verhältnisses zurückgeht auf die Fälschung einer Abrechnung. Der Hacenäaäc) bemächtigt sich des peon, des Tagelöhners, durch eine Schuldverschreibung. Der Palast des Grundherrn in Meriko-City oder auf den Agavefeldern Mucatans ist erbaut aus dem gestohlenen Ertrag der Arbeit eines Volkes, dessen Schuldverschreibung auf eine Lüge ge, gründet ist. Der N2cenä2äo führt die Bücher und berechnet dem Sklaven als Schuld die Kosten der Geißel, die ihn ins Feld peitscht. Irland ist der penn Englands, der große peon des briti, schen Reiches. Bücher und Paläste liegen in London, aber
36 Arbeit und Reichtum kommen von den fronenden Iren. Die Armeen, die Napoleon gestürzt haben, die Flotte, welche die Schiffe Frankreichs und Spaniens aus den Meeren weg, fegte, rekrutierten sich aus den Reihen der Fronsklaven englischer Zivilisation. Während der letzten hundert Jahre sind wahrscheinlich zwei Millionen Iren in die englischen Flotten und Armeen eingereiht worden, und das aus einem Lande, das absichtlich seiner Nahrung beraubt wurde. Reich, lich ebensoviele haben, durch Hungersnöte aus ihrer Heimat vertrieben, England billige Arbeiter geliefert, seine Groß, indusirie aufgebaut, seine Schiffe bemannt, in seinen Berg, werken gegraben und Englands Häfen und Eisenbahnen fertiggestellt, während Irlands Häfen verödeten und Irlands Faktoreien geschlossen wurden. Während England durch das Korn und die Masiochsen Irlands fett wurde, hungerte Irland auf seinen grünen Wiesen und die Irländer magerten ab im Kampf für das englische Weltreich. Während eine Million Iren auf den fruchtbarsten Ebenen Europas verhungerte, zog der englische Imperialismus über tausend Millionen Pfund Sterling zur Begründung seiner Weltpolitik aus einer Insel, die der Welt als so arm geschildert wurde, daß sie nicht einmal ihre eigenen Toten begraben könne. Was England aus Irland gezogen hat, kann nicht in Angaben über Handel, Finanzen oder Abgaben berechnet werden und übersteigt bei weitem die Schätzung Lord Mac Donnels, der jüngst in Belfast auf L 320 ooo 000 berechnete, was er geradezu „Bußgeld für ein Königreich" („an Lmpire'5 r2N8om") nannte. Aber nicht um ein Bußgeld handelt es sich, sondern um
37 Beitreibung der Kosien für Gründung und Vollendung des Imperiums, und heute darum, das wesentlichste Band für seinen Fortbestand zu sichern. Man trenne Irland von der Karte des britischen Reiches und schließe es der Karte Europas an, so wird von diesem Tage ab England zu seinen natürlichen Verhältnissen zurückgeführt sein und Europa die ihm zukommende Rolle im Reich der Welt wiedergewinnen. Irland kann dem Strom eure, päischen Lebens, von dem es so lange absichtlich fern gehalten worden ist, erst durch eine Tat Europas zurückgegeben werden. Was Napoleon zu spät erkannte, kann heute ins Werk gesetzt werden. Ich behaupte, daß Irland für Europa notwendig und wesentlich ist, während es heute durch eine Kombination von Elementen lahm gelegt wird, die Europa feindselig sind und sich seinem Einfluß in der Welt entgegenstellen. Die strategische Bedeutung Irlands, die ein Faktor von höchstem Gewicht ist, wird so in antienropäischem Interesse ausgebeutet. Das lllbitrium muncii, das England beansprucht und ganz gewiß ausübt, wird aufrechterhalten durch die britische Flotte, und bevor diese Macht wirtsam überwunden ist und in Schach gehalten wird, ist es töricht, von einem Einfluß Europas über gewisse engkontinentale Grenzen hinaus zu reden. Die Macht der britischen Flotte kann aber niemals dauernd eingeschränkt werden, es sei denn, daß Irland wieder an Europa angeschlossen wird. Die Logik der Tatsachen hat dahin geführt, daß Deutschland der Vorkämpfer der Interessen Europas werden mußte, die im Gegensatz zur Weltherrschaft
Englands und der englisch redenden Völker stehen. England schließt heute wie durch einen Damm ein großes Reservoir, das sich schnell mit menschlicher Lebenskraft füllt und früher oder später einen Ausfluß finden muß. Statt durch weise Anlage von Kanälen der Überflutung diesen Ausgang zu schaffen, hat England wie Pharao sein Herz verhärtet, es will ihn verhindern oder den Strom so ablenken, daß er sich ver, liert oder im durstigen Sande eines sich stets ausbreitenden Angelsachsentums versiegt. Deutsches Recht, deutsche Sprache, deutsche Zivilisation sollen lein Bett finden, das sie ausfüllen, keinen Boden, den sie fruchtbar und reich machen können. Ich glaube, daß dies nicht nur die feststehende Politik Englands ist, sondern sich aus den Grundlagen des Temperaments im Charakter der Engländer ergibt, und daß dieses Volk, selbst wenn es wollte, sich davon nicht frei machen kann. Die Schranken sind aufgerichtet. Geistesanlage und Selbstgefühl der Engländer sind so beschaffen, daß es für sie eine Not, wendigkeit ist, dem Einfluß Deutschlands in aller Welt ent, gegenzutreten. Sie bekämpfen ihn aus Instinkt, gegen alle Gründe, welche die gesunde Vernunft vorbringt, sie werden es blindlings weiterhin tun, auf alle Gefahr und alle Kosten hin, und sie werden es tun bis zum bitteren Ende. Ihre Argumente, wenn Argumente überhaupt mit, spielen, wo der Instinkt entscheidet, könnten etwa folgender, maßen zusammengefaßt werden: „Der Einfluß Deutschlands kann den britischen Interessen nicht anders als feindselig sein. Beide Völker sind einander zu ähnlich. Die Eigenschaften, die England großgemacht haben, besitzen die Deutschen in noch höherem Grade. Unter gleichen Verhältnissen müssen sie uns
39 schließlich überwinden. Sie werden uns aus jedem Markt der Welt verdrängen, und wir werden schließlich auf eine Stellung beschränkt sein, wie sie Frankreich heute einnimmt. Da ist es besser, den Kampf aufzunehmen, solange wir noch die Stärkeren sind, und Deutschland zu lähmen, ehe es zu spät ist. Wir haben unsere Gegner in früheren Zeiten durch Hinausziehen der Entscheidung, durch Geld und durch Allianzen eingeengt und vernichtet. Die Rivalität Deutschlands dulden, heißt ein deutsches Weltreich begründen und unser eigenes zerstören." So armselige Argumente beherrschen halb un, bewußt die Erwägungen des Engländers, wenn er die wachsende Größe des deutschen Volkes ins Auge faßt. Ein Gefühl bitterer Mißgunst, im Grunde Furcht, ein hastiges Hämmern von Bolzen und Klammern am Gurt neuer Dreadnoughts und ebenso emsiges, aber dumpfes Hämmern am Bau des amerikanischen Bündnisses, das ist der wahre Dreadnought, dessen Kiel vor 16 Jahren gelegt wurde und dessen langsamer und geheimer Bau verlangte, daß mancher Lieblingswunsch der Engländer unausgesprochen bleiben mußte. Der englische Liberalismus möchte in anderer Weise mit Deutschland abrechnen, aber der englische Liberalismus ist selbst ein Produkt des englischen Temperaments, und so sehr einzelne Individuen nach einer besseren Verständigung zwischen beiden Völkern seufzen mögen, für die Gesamtheit ist die Abrechnung mit Deutschland ein Teil der nationalen Aufgabe, eine Erscheinungsform des nationalen Geistes. Sie werden mit elementarer Kraft gedrängt, ihre Dreadnoughts zu bauen, und was ein Dreadnought von noch weit größerer Macht ist, die angelsächsische Allianz zu begründen. Es kann
4" nicht zweifelhaft sein, schon jetzt gibt es eine Flottenpolitik und Pläne für einen Krieg, der auf dem Meer ausgefochten werden muß, dessen Ausgang aber eine Insel bestimmen wird. Das britische Weltreich ist auf einer Insel erwachsen, es hatsichmit Wind und Wellen ausgebreitet bis an die fernsten Küsten, es wird kämpfen und bekämpft werden auf den Ozeanen und wird enden, wo es begann, auf einer Insel. Diese Insel, so glaube ich, wird Irland und nicht Eng, land sein. VI. Geschrieben im November und Dezember 191Z.
Es wäre müßig, den Versuch zu machen, die Einzelheiten eines Kampfes zwischen Deutschland und England voraus, zusehen. Das ist die Aufgabe der Generalsiäbe beider Staaten. Ich beschränke mich darauf hervorzuheben, daß dieser Krieg unvermeidlich ist, und anzudeuten, welches mir die entscheidenden Faktoren in diesem Kampf zu sein scheinen, und daß einer derselben, der ohne jeden Zweifel der bedeutsamste ist, Irland, von fast jedem Vorläufer Deutschlands im Bestreben das Meer zu befreien übersehen worden ist. Die Spanier in den Tagen Elisabeths, die Franzosen zur Zeit Ludwigs x i v . und des Direktoriums, haben allerdings einige Maßregeln ergriffen Englands Herrschaft in Irland zu brechen, aber statt ihre Kraft auf diesen Punkt zu konzentrieren, haben sie die Wucht ihres Angriffs in isolierten Unternehmungen ver, zettelt, und ihn niemals auf den einen Punkt gerichtet, der
unzweifelhaft der Schlüssel für die Gesamtlage war. Wenn England in einer der Perioden der letzten drei Jahrhunderte Irland verloren hätte, so wäre es, wenn nicht auf Gnade und Ungnade dem Angreifer verfallen, so dochsicherlichohn, mächtig an den eigenen Gestaden geworden. Aber weU Eng, land erkannte, welchen Wert ihm Irland bedeutete, wußte es die Tatsache zu schätzen, daß dieser wertvolle Besitz, versteckt vor den Augen Europas, an seiner rechten Seite lag. „Will jemand behaupten", sagte Gladsione, „daß wir gewagt hätten Irland zu behandeln, wie wir es getan haben, wenn es nicht zwischen uns und dem Ozean, sondern zwischen uns und dem Kontinent gelegen hätte?" Und während der Körper Englands zu ungeheueren Dimensionen anschwoll durch den Gewinn, den es aus Irland, dem Opfer, zog, dessen Anblick es Europa verbarg, wurden die kontinentalen Gegner selbst Opfer jener sonderbaren psychologischen Verirrung, die man eine Kollektivillusion nennt. Alle Welt sah was in Wirklichkeit nicht existierte. Die Größe Englands, die ihnen imposant, mächtig und triumphierend erschien, ruhte nicht auf dem Felsengrunde, den sie zu sehen glaubten, sondern auf jenem versteckten, verarmten und ausgeplünderten Boden, den sie niemals sahen. So ist es noch heute. Das britische Reich ist die große Illusion. Es erinnert in vielem an das heilige römische Reich, es ist nicht britisch, nicht ein Reich und gewiß nicht heilig. Es lebt vom Herzblut und den Leiden der einen, vom Dulden und der gegenseitigen Eifersucht anderer und von der feststehenden Illusion aller. Vielmehr ist England eine große Bettelansialt. Statt, wie John Mitchell einst definierte, „von Pol zu Pol zu rauben", bettelt England
42 heute von Pol zu Pol bei jedermann um Hilfe, damit es be, Haupte« könne, was es geraubt hat. Chins, Gorkhas, Sikhs, Malayen, Iren, Chinesen, südafrikanische Holländer, Australier, Maoris, Kanadier, Japaner und schließlich auch „Onkel Sam", das sind die künstlich von London aus verwobenen Elemente, die die Farben für den weltweiten englischen Teppich liefern. Sehen wir von Indien, Ägypten und den andern farbigen Rassen ab, so bleibt eine weiße Bevölkerung übrig, die viel geringer ist als die Deutschlands und die, statt kompakt und ein unteilbares Ganzes zu sein, aus weit verstreuten und getrennten Gemeinwesen besieht, deren jedes von besonderen Aufgaben völlig in Anspruch genommen wird und von denen mehrere weder ihrer Rasse, noch ihrer Sprache, noch gar ihren Neigungen nach britisch sind. Dazu kommt, wenn wir unseren Blick den farbigen Rassen zuwenden, daß die große Masse der Untertanen dieses Reiches weniger Rechte innerhalb als außerhalb seiner Grenzen besitzt und eine niedrigere Stellung einnimmt als die ist, die den meisten Fremden gewährt wird. Das Volk von Indien übertrifft an Zahl bei weitem die aller übrigen Bürger des britischen Reiches zusammengenommen, und doch sehen wir — um nur eines anzuführen —, daß die in Kanada lebenden britischen Inder 191a vergeblich bei der Reichsregierung darum einkamen, daß ihnen die Einwanderung in diese britische Besitzung unter den Bedingungen gestattet werde, deren sich die Japaner erfreuen. Sie wiesen darauf hin, daß ein Japaner kanadischen Boden betreten dürfe, wenn er den Besitz von 6 bis 10 Pfund nachweisen könne, daß aber kein britischer Indier landen könne, wenn er nicht 40 Pfund besitze und
43 direkt aus Indien komme, — was physisch unmöglich ist, da es keine direkten Verbindungen gibt.... Abgesehen von den europäischen Rassen, gibt es also offenbar kein gleiches Bürgerrecht im Empire. Die ganze weiße Bevölkerung dieser heterogenen Masse bestand 1911 aus etwa 59 Millionen Seelen verschiedener Nationen und Rassen, gegen 66 Millionen Weißer im Deutschen Reich, deren ungeheuere Mehrzahl germanischen Geblüts ist. Und während die letzteren ein diszipliniertes, in sich abgeschlossenes, sich gegenseitig stützendes und verteidigendes Ganzes bilden, gehören zu den ersieren Iren, französische Kanadier und holländische Südafrikaner, die nach Sir R. Edgcumbe zu den „Farbigen" gezählt werden
müssen. Es ist leicht, die Karte rot zu färben, man muß aber die Gewißheit haben, daß die Farbe hält und der Vorrat nicht ausgeht. Abgesehen von anderen Schwierigkeiten muß England jetzt mit dieser Möglichkeit rechnen. Großbritannien kann nicht mehr auf Irland zählen, das die kinderreichste Quelle war, aus der Armee, Marine und die Kraft der Industrie in den letzten hundert Jahren ihren Ersatz bezog, und infolge der verminderten Einwanderung der kinderreicheren und männlicheren Iren sieht England vor einer abnehmenden Geburtenziffer, und während die eigene Volksvermehrung sinkt, vermindert sich noch mehr die Fähigkeit die jetzige Generation festzuhalten. Die Auswanderung droht den Überschuß der Geburten über die Todesfälle zu beseitigen. Solange es nur die Bevölkerung Irlands war, die ab, nahm (sie sank von 8^4 Million im Jahre 1846 auf 4 Millionen 370 ooa im Jahre 1911), war Großbritannien nicht nur nicht
44 beunruhigt, es freute sich vielmehr, da mit der Abnahme ihrer Kopfzahl die Iren sich leichter regieren ließen und weil immer noch so viel hungrige Iren übrig blieben, um einen hübschen Überschuß der Armee, Flotte und der Industrie Groß, britanniens zu liefern. Nun da die Auswanderung über, Hand genommen hat, sehen die Engländer ein, daß die Rache, gedanlen doch sicher zurückgeblieben sind und daß gerade in dem Aufschwung der Industrie, den sie mit ihren hungernden Leibern und ihren nackten Gliedern herbeigeführt haben, die Saat für eine große Vergeltung liege. „Seit der Frei, Handel unseren Ackerbau zugrunde gerichtet hat, besieht unsere Armee aus hungerndem, städtischem Gesindel, das, wie die Deutschen sagen, besser schreien als fechten kann. Deutsche Generale haben hervorgehoben, daß im südafrikanischen Kriege unsere regulären und Hilfstruppen oft die weiße Flagge erhoben und sich ohne Not ergaben, zuweilen wenigen Buren, und es könnte geschehen, daß sie dasselbe einer deutschen Invasionsarmee gegenüber tun. Der Freihandel, der den Kon, sumenten und das Kapital begünstigt, hat unglücklicherweise durch Zerstörung unseres Ackerbaus und dadurch, daß er die ganze Bevölkerung Großbritanniens tatsächlich in die Städte drängte, die Mannheit der Nation zerstört." (^uäern kernen? p. 251, d? Mll8 variier, ursprünglich Elzbacher, 1907). Eine Armee von hungerndem Großsiadtgesindel ist ein schlechtes Fundament, um darauf eine dauernde Weltherrschaft zu bauen. Während die Marine eine imposante Aufstellung neuer Schlachtschiffe und Kreuzer für 191z zeigt und, wie man uns sagt, einen Rekord im Schiffsbau der Welt aufstellt, braucht
4? man, um Staaten zusammen zu schweißen, Blut und Eisen. Schlachtschiffe sind, wie es mit der russischen Flotte bei Tsushima geschah, nur schlechtes Eisen, wenn die Männer hinter den Geschützen es an Schneid und an Durchbildung fehlen lassen. Wir hören außerdem, daß nicht nur das „hungernde Gesindel" versagt, sondern daß man auch, um dem Mangel an Offizieren abzuhelfen, zahlreiche Versetzungen aus der Handelsflotte in die königliche Marine vornehmen will. Auch muß in Betracht gezogen werden, daß die großen Kolonien Mannschaft und Offiziere zur Bemannung ihrer besonderen Flotten verlangen. Da die vitalen Hilfsquellen Englands immer weniger geeignet werden der Drohung zu begegnen, welche die Seemacht und die moralische Kraft Deutschlands darstellt, wendet es seine Blicke auf Irland, und wir erfahren vom Londoner Daily Telegraph, daß M r . Churchill zu seinem Queenstowner Rekrutierungsplan beglückwünscht werden könne, da irische Burschen vortreffliche Blaujacken abgeben würden, die bei ihrem glücklichen Naturell der Disziplin zugänglich und außerordentlich gewandt und anstellig seien. Ich kann an einen Artikel erinnern, der ebenfalls im DaUy Telegraph erschien und während des Burenkrieges geschrieben war, in welchem Irland mit einer Schlange verglichen wurde, der man den Kopf zertreten müsse. Das heutige Lob des DaUy Telegraph sollte den irischen Burschen höchst gleichgültig sein und sie nicht veranlassen, die terra Krma aufzugeben. Es gibt noch eine andere Seite des wachsenden Stroms britischer Auswanderung. „Der Tod beseitigt die Schwa-
46 chen, die Auswanderung die Starken. Kanada, Neuseeland, Australien und Südafrika haben keine Verwendung für Kranke und Krüppel oder für solche, die infolge Alters oder wegen ihrer Jugend unfähig sind zu arbeiten. Sie brauchen Arbeiter und bekommen sie. Diejenigen, die das Vereinigte Königreich 1912 verlassen haben, sind nicht der Abschaum unserer Inseln, sondern ihr Mark. Und es bleibt als schwieriges Problem für unsere Politiker ein größerer Überschuß von Frauen, Kindern oder Unfähigen zurück, als je vor, her bestanden hat" (London Magazine). Dieser Überschuß der Frauen über die Männer, der schon jetzt ein so merkliches Zeichen von Englands Niedergang ist, tritt von Jahr zu Jahr mehr hervor und ist ohne Zweifel einer der Gründe, die dazu geführt haben, daß man so angestrengt bemüht ist, irische Burschen für die britische Armee und Flotte einzufangen. Bei einer Bevölkerung, die geringer ist als 2/3 der deutschen, hat Großbritannien einen doppelt so großen Überschuß an Frauen als Deutschland, und dieses Mißverhältnis der Geschlechter hat die Tendenz mit jedem neuen Jahr zu wachsen. Irland kann aber noch 100 000 bis 150000 Männer für die bewaffnete Macht Englands abgeben, ohne in ein ungesunderes Verhältnis der Geschlechter zu geraten, als es in Schottland und England besieht. Von welchem Standpunkt aus man es auch ansehen mag, immer ergibt sich die Tatsache, daß das Imperium Englands im Grunde auf Irland ruht, dessen dauernde Ausbeutung notwendig ist, um gutzumachen, wo England versagt. Die Dominien liegen weit ab, und wenn sie auch Schlachtschiffe geben, mangeln Männer. Irland liegt nahe
47 bei — es gibt alles und nimmt nichts. Männer, Talent, Nahrung, Geld — das alles hat es durch Jahrhunderte gegeben, und darauf und auf dem unbeschränkten Beitreiben dieser vier Dinge aus dieser reichen Mine menschlicher Fruchtbarkeit und Reichtums ist das britische Imperium begründet und aufrecht erhalten worden. Sich heute den guten Willen und die Mitwirkung der irischen Rasse in der Fremde sowohl wie in Irland zu sichern und damit die Allianz und die Unterstützung der Vereinigten Staaten zu gewinnen, ist der leitende Gesichtspunkt der britischen Staatskunsi geworden. I M knüpft sich hieran eine scharfe Kritik der Home RulePolitik des Kabinetts und namentlich Redmonds, der sich in einer Rede, die er am 17. März 1913 in London hielt, dahin ausgesprochen hatte, daß es die Aufgabe und der Ehrgeiz Irlands sei, Heer und Flotte Englands durch die starken Arme und die tapferen Herzen irischer Soldaten zu stärken, um die Überlieferung irischer Tapferkeit in jedem Hafen der Welt aufrecht zu erhalten. Aber ein Home Rule, das sich dieses Ziel stelle, wäre ein Fluch und ein Verbrechen.) Der Ire, welcher glaubt, daß Home Rule gekommen ist oder daß irgend eine Maßregel von Home Rule, die das englische Parlament bieten kann, ein Ersatz für die Freiheit des Landes wäre, und sich der englischen Armee oder Flotte anschließt, ist ein freiwilliger Verräter seines Vaterlandes. Seine Aufgabe ist, sich für das Kommen der Deutschen vorzubereiten. Seine Aufgabe ist, dafür Sorge zu tragen, daß, wenn ein siegreiches Deutschland erscheint, um Irland von seinem Erbausbeuter zu befreien, die Schwierigkeiten der Durchführung des Unternehmens entschlossen ins Auge
48 gefaßt werden von einem Volke, das den festen Willen hat, die ihm verliehene Freiheit zu rechtfertigen. Selbst wenn die Deutschen so schlecht wären, wie die Engländer sie malen und Irland nur den Herren tauschen würde, könnte dieser Tausch für Irland nur wohltätig sein. Deutschland nahm den Franzosen 1870 gewaltsam Elsaß, Lothringen und hat diese Provinzen 40 Jahre lang mit „brutaler Gewalt", wie man es nennt, und gegen den Willen der Majorität beherrscht. Und doch haben 40 Jahre dieser deutschen „Tyrannei" außer, ordentliches Gedeihen zur Folge gehabt. Straßburg, eine armselige enge Garnisonsiadt unter französischem Regiment, ist eine große und schöne Stadt geworden, und die Bevölkerung des gesamten annektierten Landes ist in dieser Periode ge, waltig angewachsen. I n diesen selben 40 Jahren englischer Zivilisation hat Irland nahezu ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren. Sein Prozentsatz an Armen, Irrsinnigen, vor allem an Kranken, stieg stetig. Die Lebenskraft ist im Sinken. Bis auf einen liegen die Häfen verödet, die Flüsse sind ver, einsamt. Jeder Weg hinaus führt durch und über Britannien. Alles was Irland produziert oder konsumiert, muß durch England gehen oder ausschließlich aus England kommen und dem englischen Handel einen Durchgangszoll oder eine Schiffstaxe entrichten. Die englische Presse hat sich jüngst darüber entrüstet, daß Österreich den Serben einen Hafen an der Adria ver, weigerte und uns gesagt, Serbien werde, wenn es ohne Hafen bleibe, in ökonomische Sklaverei geraten, und Freiheit ohne freien Ausgang zum Meer sei illusorisch. Wie sieht es aber mit Irland? Es hat nicht nur einen, sondern 40 der
49 schönsten Häfen Europas, und sie alle liegen öde und ungenutzt. Mit über iooo Meilen Meeresküste, die dem Westen zugewandt sind und den Seeweg zwischen Europa und Amerika beherrschen, ist Irland in den Klauen Englands in einen Zustand ökonomischer Sklaverei versetzt worden, für den es keine Parallele in zivilisierten Staaten gibt. Und an diese Insel, an dieses Volk ergeht jetzt der Ruf Deutschland zu mißtrauen und denen zu helfen, die uns in Sklaverei niederhalten! Weit besser, wenn dies der einzige Ausweg wäre, das Schicksal Elsaß-Lothringens, das sein Home Rule-Parlament seit Jahren besitzt, als die Freundschaft Englands. Wir haben den offenen Haß, die dauernde Knechtschaft, jahrhundertlange Ausraubung durch England überlebt, und jetzt, da England lächelt, uns Home Rule mit einer Hand bietet, um es mit der anderen zurückzunehmen, sollten wir die Erlebnisse unserer Vorväter vergessen? Ein mittelalterliches Sprichwort aus Connaught sagt: „Vor drei Dingen hat man sich zu hüten: vor den Hufen des Pferdes, den Hörnern des Stiers und vor dem Lächeln des Engländers." Daß Irland in jeden Krieg verwickelt wird, den England führt, liegt auf der Hand, daß wir uns aber freiwillig der falschen Seite zuwenden, um eine britische Niederlage zu verhindern, ist der Rat von Verrätern oder von Narren. Unsere Haltung mag zunächst eine passive sein, sie sollte es nicht bleiben, denn der Tag, da ein deutsches Geschwader die Irische See beherrscht und die Verbindung mit England abgeschnitten ist, dieser Tag wird der erste Tag irischer Freiheit sein und der erste Tag der Freiheit der Ozeane für Europa. England« Achllksfelse.
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