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German Pages 36 Year 1953
BERICHTE ÜBER D I E VERHANDLUNGEN D E R SÄCHSISCHEN A K A D E M I E D E R WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische Band
Klasse
99 • Heft
MARTIN
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JAHN
DIE ABGRENZUNG VON K U L T U R G R U P P E N U N D VÖLKERN IN DER VORGESCHICHTE
1952 AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische Band
Klasse
99 • Heft
MARTIN
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JAHN
DIE ABGRENZUNG VON K U L T U R G R U P P E N U N D VÖLKERN IN DER VORGESCHICHTE Mit 4 Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln
1952 AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
Vorgetragen in der Sitzung vom 19. März 1951 Manuskript eingeliefert am 29. Mai 1951 Druckfertig erklärt am 3. September 1952
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH,, Berlin NW 7, S c h i f f b a u e r d a m m 19 Veröffentlicht
UDter
der Lizenznummer 1217 des Amtes für Literatur und Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik K a r t e n b e i l a g c n : M d l der DDR Nr. 567/K 11
Satz und Druck der Druckerei „Thomas Müntzer'* W e r k Langensalza Bestell- und Verlagsnummer 2026/99/;! Preis: DM 3,60 P r i n t e d i n Germany
Solange sich der menschliche Forschergeist mit vorgeschichtlichen Altertümern beschäftigt hat, ist er auch bestrebt gewesen, zu erkunden, welchen Menschengruppen, welchen Völkern oder Stämmen diese Beste von Kulturen aus vorgeschichtlicher Zeit zuzuschreiben sind. Die historische Einstellung zu den Quellen der Vorzeit tritt in den letzten Jahrhunderten, in denen man sich eingehender mit Bodenfunden abgegeben hat, immer wieder zu Tage, mag sie auch zeitweise von anderen Gesichtspunkten etwas zurückgedrängt worden sein, wie etwa im ausgehenden 17. Jahrhundert und beginnenden 18. Jahrhundert durch Fragen nach der Religion der Vorzeitmenschen und nach ihren Bestattungssitten oder in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch naturwissenschaftliche und technologische Fragestellungen. Immer wieder stellte der Wissensdurst des Ausgräbers und Forschers vor allem die Frage, was für Menschen waren es, deren Gräber und Siedelungsreste in der Erde gefunden und ausgegraben worden sind. Dabei war man sich der Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe, die noch heute die schwerste, aber auch schönste Aufgabe der Vorgeschichtsforschung darstellt, meist gar nicht bewußt und ging sie früher vielfach mit naiver Unbekümmertheit an. Am eifrigsten wurde die historische Einstellung zu den Bodenaltertümern am Beginn des 19. Jahrhunderts gepflegt, zur Zeit der Romantik, als menschlicher Forschergeist in erstaunlichem und ungestümem Ausdehnungsdrang die bisherigen Grenzen wissenschaftlicher Tätigkeit allenthalben zu sprengen und wissenschaftliches Neuland zu gewinnen suchte. In dieser schöpferischen Epoche, als u. a. F R A N Z B O P P den 1*
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Grundstein zum Gebäude der vergleichenden Sprachwissenschaft legte, als die große Quellensammlung der Momimenta Germaniae Histórica begonnen wurde und die Gebrüder G R I M M mit der Sammlung und Auswertung des deutschen Sagenschatzes die erste Blüte einer Volkskundeforschung herbeiführten, begann man auch planmäßig die Bodenaltertümer zu sammeln, um sie historisch auszuwerten. Damals erkannte der Breslauer Universitätsprofessor J O H A N N G O T T L I E B B Ü S C H I N G die Bedeutung der Bodenfunde als Geschichtsquelle und zeigte den Weg zu ihrer Ausschöpfung. Aber dieser beachtenswerte Vorstoß in neue Forschungsbereiche während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts führte zu keiner planmäßigen Fortentwicklung der neuen Wissenschaftszweige. Stagnation und Bückschläge stellten sich in den folgenden Jahrzehnten ein, und als die Beschäftigung mit vorgeschichtlichen Altertümern wieder lebendiger wurde, traten weniger historische als naturwissenschaftliche Probleme in den Vordergrund, weil in dieser Entwicklungsstufe der Vorgeschichtsforschung besonders Naturwissenschaftler und Mediziner wie E Ü D O L E V I E C H O W die Hauptträger der Forschung waren. Aber deren exakte Tatsachenforschung und Quellensammlung bereiteten aufs beste das Fortschreiten zu einer Vorgeschichtswissenschaft mit selbständigen und methodischen Arbeitsweisen vor. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Grundstock zu einer methodisch gefestigten Vorgeschichtswissenschaft gelegt. Nicht ohne Grund hat man das Jahr 1 8 8 5 , in dem O S O A B M O N T E L I U S seine typologische Methode bekanntgab 1 ), als das Geburtsjahr der Vorgeschichtswissenschaft bezeichnet; denn diese geistige Leistung des großen schwedischen Gelehrten hat die Entwicklung der Vorgeschichtsforschung in entscheidender Weise gefördert und OSCAR MONTELIUS, Om tidsbestämning inom bronsalderen medsärskildt afseende pá Skandinavien. Erschienen in Kgl. Vitterhete Historie och Antiquitets Akademiens Handlingar. Stockholm 1885.
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bestimmt. Freilich ist es ja stets etwas willkürlich, den allmählichen Gang einer Entwicklung durch Einschnitte zu zerreißen, so wichtig und notwendig eine Gliederung des Geschehens auch sein mag. Auf alleFälle soll durch die Heraushebung der Forschertat von M O N T E L I U S das Schaffen der vor ihm Tätigen nicht zurückgesetzt werden. Denn auch MONT E L I U S konnte ja nur zu seinem System kommen, in dem er es auf den Erkenntnissen der von ihm Schaffenden aufbaute. Die Grundsätze und Regeln der typologischen Methode sind von M O N T E L I U S in so klassischer Weise dargelegt worden2), daß sie Allgemeingut der Wissenschaft geworden sind. Auch die ebenso auffällige wie wichtige These, daß nicht nur der Mensch selbst wie alle Lebewesen in seiner Fortbildung einem Entwicklungsgesetz unterworfen ist, sondern daß auch die Erzeugnisse des Menschen bei ihrer Entstehung bestimmten Regeln folgen, hat allgemeine Anerkennung gefunden. Der Forscher, der diese Entwicklungsregeln kennt, ist daher in der Lage, die Fortbildung menschlicher Geräte, menschlichen Schmucks, menschlicher Kunst in vorgeschichtlicher Zeit in wissenschaftlich einwandfreier Weise wieder aufzuzeigen, das Nacheinander der Fundobjekte klar zu stellen und damit eine zeitliche Gliederung und Ordnung des Fundnachlasses der Menschheit zu erreichen. Und hierin liegt der große Gewinn der typologischen Methode von M O N T E L I U S für die Vorgeschichtswissenschaft, daß mit dieser Methode der gewaltige Quellenstoff der Vorgeschichte in ein vielgliedriges chronologisches System aufgeteilt werden kann und dadurch für eine geschichtliche Betrachtungsweise aufgeschlossen wird. Aus diesem Grunde wird die Forschung auf die Anwendung der typologischen Methode nie verzichten können, wenn diese Methode allein auch keineswegs zum Endziel der Vorgeschichtswissenschaft führt, sondern ihre Anwendung nur eine —freilich wichtige — Vorarbeit der Forschung sein kann. 2 ) OSCAR MONTELIUS, Die typologische Methode. In: Die älteren Kulturperioden im Orient und in Europa. Stockholm 1903.
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Zur geschichtlichen Auswertung der vorgeschichtlichen Quellenbedarfes noch einer zweiten Arbeitsmethode, die hauptsächlich der deutsche Gelehrte G U S T A F K O S S I N N A gefördert hat. 1 8 9 5 trat K O S S I N N A zum ersten Male mit seiner Methode an die Öffentlichkeit 3 ), also 10 Jahre nach der eben erwähnten Schaffung einer wissenschaftlichen Yorgeschichtsforschung durch M O N T E L I T J S , auf den sich K O S S I N N A in starkem Maße stützte. K O S S I N N A hat es leider nicht vermocht, seine Methode so ausführlich und überzeugend darzustellen, wie es M O N T E L I U S mit der typologischen Methode getan hat. K O S S I N N A suchte vielmehr seine Arbeitsweise an bestimmten Beispielen zu erläutern, insbesondere durch Erforschung und Darlegung der Entstehung und Entwicklung der germanischen Kultur 4 ), die ihn, da er von der Germanistik zur Vorgeschichte kam, vor allem anzog. Dabei wäre eine ausführlichere Behandlung der Methode K O S S I N N A S für die Forschung von größtem Nutzen gewesen, weil sie in ihrer Anwendungsart und ihren Erkenntnismöglichkeiten nicht so ohne weiteres und so eindeutig erkennbar ist wie die typologische Methode. Die Anwendung der Methode K O S S I N N A S gehört zu den schwierigsten, aber auch wertvollsten Aufgaben, die sich ein Yorgeschichtsforscher stellen kann, und es ist eine empfindliche Lücke in unserem Schrifttum, daß eine eingehende Darstellung der von K O S S I N N A angewandten Forschungsweise bis heute noch nicht vorliegt. So ist es verständlich, daß über die Erfordernisse, die Tragweite, ja über die Zuverlässigkeit dieser Methode noch vielfache Unklarheit besteht, nicht nur bei Vertretern der Nachbarwissenschaften, sondern gerade 3 ) GUSTAF KOSSINNA, Über die vorhistorische Ausbreitung der Germanen. Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte X X V I , 1895, S. 109ff. — D e r s e l b e , Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1896, S. l f f . 4 ) GUSTAF KOSSINNA, Die Herkunft der Germanen. Zur Methode der Siedlungsarchäologie. Mannusbibliothek Bd. 6, Würzburg 1911. 2. Auflage Leipzig 1920.
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auch bei Vorgeschichtsforschern selbst 6 ). Nur zu oft ist die Methode falsch angewandt worden, was zur Folge hatte, daß viele glaubten, die Methode selbst ablehnen zu sollen. Dabei wird das Ziel der Methode K O S S I N N A S mehr oder weniger bewußt immer wieder und von allen ernsthaften Forschern angestrebt, da dieses Zielunabweislichist, nämlich die Erkenntnis der Entwicklung der Stämme und Völker in vorgeschichtlicher Zeit und damit die Erweiterung unseres Wissens von der Geschichte der Völker über die Grenze hinaus, die mit dem Vorhandensein von schriftlicher Überlieferung bisher der geschichtlichenForschunggesetztwar.MitKossiKNAsMethode gelingt es menschlichem Forschergeist, die Völker nicht nur bis zu der Stufe ihrer Entwicklung zurückzuverfolgen, von der geschriebene Quellen berichten, sondern darüber hinaus bis zu den Anfängen der Völker und Stämme, bis zu den Wurzeln ihres Seins. Damit erhält die Forschung zum ersten Mal nicht bloße Einblicke in einen Teil der geschichtlichen Entwicklung, sondern einen Gesamtüberblick über die vollständige Entwicklung der Völker von ihren ersten Keimzellen an bis zu ihrer Vollendung. In dieser Erweiterung des Blickfeldes, von dem aus ganz neue Gesichtspunkte gewonnen, neue Zusammenhänge erkannt und neue Probleme aufgeworfenwerden können, liegt die Bedeutung der Vorgeschichte f ü r die allgemeine Wissenschaft und liegt der Wert und die Notwendigkeit der von K O S S I N N A geförderten Methode. K O S S I N N A nannte seine Forschungsart die siedelungsarchäologische Methode, eine Benennung, die mir wenig treffend zu sein scheint, die zu Mißverständnissen führen kann und auch geführt hat. Denn nicht Siedelungen der Vorzeit sind 6 ) Aus dem einschlägigen Schrifttum erwähne ich nur die wichtigste, neuere kritische Stellungnahme von E R N S T W A H L E , Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen. Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis I. Sitzungsbericht der Heidelberger Akademie derWissenschaften. Heidelberg 1 9 4 1 . — Dazu M A R T I N J A H N , Die deutsche Vorgeschichtsforschung in einer Sackgasse ? Nachrichtenblatt für Deutsche Vorzeit 1941 S. 73ff.
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das Untersuchungsobjekt dieser Forschung, sondern Kossikna sucht mit seiner Methode die Verbreitungsgebiete der Stämme und Völker zu erkunden, den Umfang der von diesen Gemeinschaften besiedelten Eäume zu erfassen. Diesen Sinn wird man hinter der KossiNNAschen Benennung nicht ohne weiteres vermuten. Was Kossinna zu dieser Namensform bestimmt hat, die den Kern seiner Methode so wenig verdeutlicht, ist mir unbekannt. Ich habe vorgeschlagen, seine Methode die völkergeschichtliche zu nennen, da es ihr Ziel ist, die Entwicklung und Geschichte der Völker auf Grund der Bodenfunde zu erforschen. Auf welchem Wege sucht nun die völkergeschichtliche Methode Kossinnas ihr Ziel zu erreichen ? Ich will versuchen, entsprechend dem mir hier zur Verfügung stehenden B a u m eine Antwort auf diese Frage in ganz knappen Zügen zu geben. Untersucht man den Fundnachlaß, der uns aus der Vorzeit erhalten ist, auf seine Formengebung hin, so fallen einem bald deutliche Unterschiede an Gegenständen auf, die demselben Zweck gedient haben, die daher auf Grund ihrer gleichen Verwendung an sich auch in gleicher Weise hätten gestaltet werden können. Diese Formenunterschiede können auf einem verschiedenen Alter der Fundstücke beruhen. Weist uns doch, wie erwähnt, die typologische Methode von Montelius nach, daß sich die Erzeugnisse des Menschen mit der Zeit ändern und fortentwickeln, so daß wir Älteres von Jüngerem, Mutterformen von Tochterformen scheiden können. Diese zeitlich bedingten Unterschiede müssen wir nun bei Anwendung der KossiNNAschen Methode ausschalten, indem wir für unsere vergleichende Untersuchung nur gleichalte Bodenaltertümer heranziehen. Die chronologische Gliederung des Fundstoffes durch die typologische Methode, von der ich vorhin sprach, maß demnach bereits durchgeführt sein, wenn wir die KossiNNAsche Forschungsweise anwenden wollen. Wir wählen also nur die Fundstücke aus, die ein und derselben Zeitstufe angehören. Begrenzen wir demnach den
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Zeitraum, aus dem unser Untersuchungsmaterial stammt, möglichst eng, sagen wir auf ein Jahrhundert, so fassen wir im Gegensatz dazu den Raum, aus dem die gleichalten Funde genommen werden, möglichst weit, sagen wir etwa Mitteleuropa oder besser ein noch größerer Teil von Europa, je größer desto besser. Bei einem Vergleiche dieser ausgewählten Fundstücke treffen wir, obwohl die zeitlich bedingten Verschiedenheiten ausgeschaltet sind, trotzdem auf Formenunterschiede. Tragen wir nun die Fundorte der ausgewählten Bodenaltertümer auf einer Karte ein und zwar so, daß wir den besonderen Formen einer Geräteart auch besondere Zeichen geben, dann erkennen wir, daß eine bestimmte Form etwa einer Gewandnadel in einem örtlich begrenzten Eaum am häufigsten vorkommt, daß ein anderer Gewandnadeltyp dagegen in einem anderen Eaum am stärksten vertreten ist, ein dritter Typ in einem dritten Eaum und so fort. Wir erhalten also eine Verbreitungskarte der verschiedenen gleichalten Formen der Gewandnadel. Tragen wir nun ebenso die Verbreitung anderer Fundarten wie Waffen, Tongefäße, Schmucksachen, Ornamentmotive u. a., nach ihren Sondertypen durch besondere Zeichen geschieden, ein, so kann sich herausstellen, daß eine Gruppe von Sonderformen der verschiedensten Fundarten immer wieder in dem gleichen Gebiet — nennen wir es Gebiet A — vorherrscht, eine andere Gruppe in einem anderen geschlossenen Eaum B verbreitet ist, eine dritte in einem weiteren Eaum C usf. Decken sich die Verbreitungsgebiete einer ganzen Eeihe von Sonderformen und beschränken sich in der Hauptsache auf diesen Eaum A, so beherbergt dieser Eaum A eine besondere Kulturgruppe A, so bildet dieser Eaum in der untersuchten Zeitstufe nach der Definition von K O S S I N N A eine „Kulturprovinz". Die auf gleiche Weise erschlossenen Kulturgruppen B und C sind benachbarte Kulturprovinzen dieser Zeitstufe. Untersucht man den Fundnachlaß der folgenden vorgeschichtlichen Perioden auf dieselbe Art, stellt für jedes
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folgende Jahrhundert gesondert Verbreitungskarten der Fundtypen her und legt so die Ausdehnung der verschiedenen Kulturprovinzen in den aufeinanderfolgenden Jahrhunderten fest, so erkennt man, daß die Kulturprovinzen nicht an einen B a u m fest gebunden zu sein brauchen, sondern daß sie sich ausdehnen, verlagern oder verkleinern können, daß ihnen gewissermaßen Leben innewohnt, daß sie wachsen, blühen und verdorren. Ja, es läßt sich ein Wechsel- und Kräftespiel zwischen benachbarten Kulturprovinzen aufweisen. Eine Kulturprovinz kann sich auf Kosten einer anderen ausdehnen, es können zwischen den Kulturprovinzen Kämpfe um ihre Verbreitung entstehen, als ob es sich um lebendige Wesen handelt. • Nun ist zwar eine Kulturprovinz kein selbstständiges Lebewesen: sie ist aber das Produkt einer Menschengruppe, die in geschlossenem Verbände als eine Gemeinschaft lebt, die ihre Geräte und Schmucksachen in einer dieser Menschengruppe eigentümlchen Sonderart gestaltet. Die Kulturprovinz veranschaulicht also in ihrem Fundstoff die kulturelle Eigenart einer größeren Menschengemeinschaft, die nach Kossinna einem Stamm oder einem Volke entspricht. Die Ausdehnung einer Kulturprovinz ist gleichzusetzen mit dem Siedlungsraum eines Stammes oder Volkes, das der Träger dieser Kulturprovinz ist, und das Aufblühen und Vergehen einer Kulturprovinz spiegelt die Lebensschicksale eines Volkes oder Stammes wider. Mit der Herausarbeitung von Kulturprovinzen in ihren Entwicklungsphasen erfassen wir also die vorgeschichtliche Entwicklung von Völkern, treiben wir Völkergeschichte. Da die Vorgeschichte sich nicht auf eine schriftliche Überlieferung stützen kann, vermag sie auch nicht aus eigener K r a f t die von ihr mit der völkergeschichtlichen Methode erschlossenen Stämme und Völker mit deren Namen zu bezeichnen. Sie muß sich helfen, indem sie besonders kennzeichnende Eigenheiten einer Kulturgruppe zur Benennung heranzieht. Wir sprechen daher in der jüngeren Steinzeit
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Mitteleuropas z.B. von Bandkeramikern, Schnurkeramikern, Glockenbecherleuten, u m die Träger der bandkeramischen, schnurkeramischen oder Glockenbecher-Kulturgruppe des 3. Jahrtausends v. Chr. knapp und eindeutig zu bezeichnen. Das ist aber nur ein Notbehelf. Die Vorgeschichte muß nach Möglichkeit bemüht sein, ihre Kulturgruppen mit den historisch bezeugten Völkern in Verbindung zu bringen, u m so erst den Gesamtablauf der Entwicklung der Völker aufzudecken. Dazu ist sie auch in der Lage, wenn sie ihre Kulturgruppenuntersuchung, wie ich sie kurz umrissen habe, durch die J a h r h u n d e r t e hindurch fortsetzt bis in die friihgeschichtliche Zeit hinein, aus der bereits geschriebene Quellen vorliegen und damit Namen und Ausdehnung von Völkern und Stämmen mehr oder weniger genau überliefert sind. Die frühgeschichtliche Zeit, in der sich die Arbeitsgebiete von Geschichte und Vorgeschichte überschneiden und decken, bildet also die wichtige Brücke, die beide Wissenschaftszweige verbindet. Die Frühgeschichte schweißt beide Disziplinen zu einer großen historischen Arbeitsgemeinschaft zusammen, die mit verschiedenem Quellenmaterial und dem zufolge mit verschiedenen Forschungsmethoden dem gleichen Ziel zustrebt, der Aufhellung der menschlichen Vergangenheit. Die frühgeschichtliche Zeit bietet zugleich eine erwünschte und wertvolle Kontrolle, ob die Ergebnisse der völkergeschichtlichen Methode auch wirklich eimvandfrei und zuverlässig sind. Denn in dieser Epoche muß es sich herausstellen, ob die Kulturprovinzen der Vorgeschichtsforschung sich tatsächlich mit historisch bezeugten Siedlungsgebieten von Völkern und Stämmen in Deckung bringen lassen oder nicht. Trotz der Jugend der Vorgeschichtswissenschaft, die erst ein halbes J a h r h u n d e r t lang die völkergeschichtliche Methode anwendet, und dies häufig noch recht unsicher und mit unzulänglichen Mitteln, hat die Vorgeschichte diese Probe auf ihre Zuverlässigkeit bestanden. I n Mittel- und Nordeuropa z. B., die am besten mit der völkergeschichtlichen
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Methode erforscht sind, entsprechen die erschlossenen Kulturprovinzen durchaus den durch schriftliche Zeugnisse über lieferten Lebensräumen der Kelten und Germanen, sowie ihrer größeren Teilstämme. Ja, die Yorgeschichtsforschung kann nach der Feststellung dieser Übereinstimmung die Grenzen der Siedelungsgebiete der Kelten und Germanen in der frühgeschichtlichen Zeit viel genauer festlegen, als es dem Historiker auf Grund der oft recht unklaren und unzureichenden Mitteilungen antiker Historiker und Geographen möglich ist. K O S S I N N A hat daher nach dieser Bewährungsprobe seiner Forschungsart den methodischen Lehrsatz aufgestellt: „Scharf umgrenzte archäologische Kulturprov i n z e n d e c k e n sich zu a l l e n Z e i t e n mit ganz bes t i m m t e n V ö l k e r n oder V ö l k e r s t ä m m e n . " 6 ) K O S S I N N A sucht also den seit Jahrhunderten gehegten Wunsch menschlichen Forschergeistes, aus den Bodenaltertümern die Volkszugehörigkeit ihrer Verfertiger zu erkennen, mit methodischen Grundsätzen wissenschaftlich einwandfrei zu erfüllen. Man hätte daher meinen sollen, daß K O S S I N N A S Arbeitsweise mit Begeisterung aufgenommen und ausgebaut worden wäre. In der Tat hat K O S S I N N A S Methode die Vorgeschichtswissenschaft in immer steigendem Maße bewegt, sie hat viel Zustimmung, aber auch viel zweifelnde oder ablehnende Stellungnahmen gefunden. Es ist mir an dieser Stelle unmöglich, näher auf die Diskussion über die KossiNNASche Methode einzugehen5). Nur soviel sei gesagt, daß infolge des Ausbleibens einer ausreichenden Darstellung der Methode, diese Forschungsweise in ihren Erfordernissen, Arbeitsbedingungen und Anwendungsmöglichkeiten von vielen nicht erkannt worden ist, daß nur wenige sich der außerordentlich umfangreichen und zeitraubenden Sammel- und Ordnungsarbeiten bedient haben, die für eine ') G. KOSSINNA, Die Herkunft der Germanen, Mannusbibliothek 6, Würzburg 1911. S. 3.
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ersprießliche Anwendung der Forschungsmethode unbedingt erforderlich sind, daß man häufig auf Grund der Vergleiche weniger Funde schon Schlüsse zu ziehen versuchte, die nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nur bei dem Vorliegen eines zahlreichen Quellenmaterials möglich sind und die desto sicherer werden, je größer der Fundstoff ist, auf den man sich stützt. Man wandte die Methode falsch an und erklärte, als man zu keinem befriedigenden Ergebnis kam, daraufhin die Methode selbst als unzulänglich. Als Schüler von K O S S I N N A weiß ich, wie dieser Forscher sich zu seinen Ergebnissen meist erst nach der außerordentlich mühseligen und langwierigen Zusammentragung des gesamten einschlägigen Fundstoffes durchrang und wie er bestürzt war über die Verkennung der bei dieser Methode notwendigen Arbeitsleistung durch andere. Besonders mußte er erfahren, daß man sich die Herausarbeitung und den Nachweis einer Kulturprovinz vielfach viel zu leicht machte und daher irre ging. Und gerade die gewissenhafte Herausarbeitung einer Kulturprovinz ist unbedingt erforderlich, weil der Forscher sonst gar zu leicht Gefahr läuft, kulturelle Einwirkungen eines Volkstums auf ein anders, Folgen von Handelsverbindungen und andere Kulturübertragungen und -ähnlichkeiten fälschlich als Beweise einer Volksgemeinschaft zu werten. Nur zu oft ist der Vorgeschichtsforschung vorgeworfen worden, sie könne zwischen der eigenwüchsigen, bodenständigenSonderprägung der Kultur eines Volkes und Kultureinflüssen eines Volkes auf ein anderes nicht unterscheiden und ihre Methode gebe keine Gewähr dafür, daß die von ihr aufgestellten Kulturprovinzen wirklich Siedelungsräume von Völkern oder Stämmen und nicht vielmehr nur Folgen solcher Kulturbeeinflussungen zwischen Völkern seien. Vorwürfe dieser Art können natürlich durch falsche oder flüchtige Anwendung der völkergeschichtlichen Methode genährt werden. Sie sind aber tatsächlich unberechtigt, da eine gewissenhafte und
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richtige Anwendung dieser Methode — bei ausreichendem Quellenstoff — wohl kulturelle Einflüsse von eigenständiger Kulturgestaltung deutlich zu unterscheiden vermag. Dies erkennt mit voller Klarheit eigentlich nur der Forscher, dei sich selbst der zeitraubenden Methode mit vollem Ernste widmet und der nicht müde wird, die entsagungsvollen Forschungsleistungen, welche diese Methode erfordert, auf sich zu nehmen. Er findet dann aber auch eine beglückende Belohnung seiner Bemühungen in der Aufdeckung wichtiger völkergeschichtlicher Zusammenhänge. Um der Unterschätzung der Schwierigkeiten bei der Anwendung seiner Methode und einem zu leichtfertigen Vorgehen beim Aufstellen einer Kulturprovinz zu begegnen, entschloß sich K O S S I N N A 1 9 2 6 , seinen methodischen Lehrsatz, den ich soeben anführte, in einer erweiterten Fassung zu veröffentlichen und damit die Forderungen, die bei der Aufstellung einer Kulturprovinz erhoben werden müssen, zu verdeutlichen und zu verschärfen.Der verbesserteLeitsatzKOSSINNASlautet: , , S t r e n g u m r i s s e n e , s c h a r f sich h e r a u s h e b e n d e , geschlossene archäologische Kulturprovinzen fallen u n b e d i n g t mit b e s t i m m t e n Völker- und Stammesgebieten zusammen"7) Dreifach sind die Bedingungen, die nach K O S S I N N A erfüllt sein müssen, ehe man von einer Kulturprovinz sprechen darf. Sie muß auf der Verbreitungskarte, welche die Eeihe sich deckender Sondertypen aufnimmt, als ein geschlossenes Gebiet erscheinen, das sich scharf von den Nachbargebieten heraushebt und streng umrissene Grenzen aufweist. Leider ist K O S S I N N A nicht mehr dazu gekommen, die lange von ihm geplante ausführlichere Darstellung geiner Methode nieder7 ) G. KOSSINNA, Ursprung und Verbreitung der Germanen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Berlin 1926, S. 21. Unter demselben Titel später als Ersatz der in Anmerkung 6 erwähnten Schrift KOSSINNAS in der Mannusbibliothek 6 in mehreren Neuauflagen mit derselben erweiterten Fassung des Lehrsatzes auf S. 21 erschienen.
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zuschreiben und zu veröffentlichen. So blieb die Ungewißheit über seine Arbeitsweise weiter bestehen, und selbst die erweiterte Fassung seines Lehrsatzes blieb fast unbeachtet. Wenn ich dank der näheren Kenntnis der Arbeitsweise K O S S I N N A S , die ich als sein Schüler im unmittelbaren Verkehr mit ihm erlangen durfte, und wenn ich auf Grund eigener jahrzehntelanger Forschungen zu einer durchaus positiven Einstellung zur völkergeschichtlichen Methode K O S S I N N A S gekommen bin, so bleibe ich mir doch vollkommen bewußt, welche Grenzen dieser Forschungsweise gezogen sind, wie abhängig sie von der Zahl des vorliegenden Quellenstoffes ist und wie außerordentlich schwierig ihre richtigeAnwendung und Durchführung ist. Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß K O S S I N N A manche Schwierigkeiten, die seiner Arbeitsweise entgegenstehen, noch nicht in vollem Maße überschaut hat und daß er seine Ergebnisse oft mit zu großer Bestimmtheit vorgetragen hat. Damit will ich aber das große Verdienst, das sich K O S S I N N A um die Entwicklung der Vorgeschichtswissenschaft erworben hat, in keiner Weise schmälern. Denn es ist klar, daß ein Pionier der Forschung, der sich tatkräftig einen ersten Weg durch unbekanntes und unwegsames Gelände bahnt, nicht sofort, ohne abzuirren, die nächste und bestmögliche Eoute einschlagen wird. K O S S I N N A hat der Vorgeschichtswissenschaft den Grundstock zu einem Forschungsbau geschaffen, den auszubauen und einzurichten die Aufgabe der lebenden und kommenden Forschergenerationen ist. Was K O S S I N N A in genialem Entwurf vorgezeichnet hat, das im Einzelenn zu überprüfen und auszugestalten, liegt der zukünftigen Forschung ob. Heute möchte ich aus dem umfangreichen Fragenkomplex, der mit der völkergeschichtlichen Methode verknüpft ist, nur einen Punkt herausgreifen, bei dem der seit dem Tode K O S S I N N A S starkangewachsene Fundstoff und unsere erweiterten Kenntnisse es ermöglichen, über den V O U K O S S I N N A eingenommenen Standpunkt hinauszugehen. K O S S I N N A
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nahm nach dem ihm vorliegenden Quellenmaterial an, daß die Grenzen der vor- und frühgeschichtlichen Kulturprovinzen gewöhnlich in klaren und scharfen Linien aus den Verbreitungskarten der Sonderformen abzulesen seien, ja daß die Schärfe ihrer Grenzen ein wichtiges Merkmal der Kulturprovinzen ausmacht. Sein Lehrsatz der älteren Fassung charakterisiert den Begriff Kulturprovinz allein durch das Adjektiv,, scharf umgrenzt" und in der erweiterten Fassung des Satzes setzte K O S S I N N A die Eigenschaft „streng umrissen" an die Spitze der drei Erfordernisse, die seiner Meinung nach für die Aufstellung einer Kulturprovinz notwendig sind. Nun hat es auch in der Vorzeit sicher schon klare Abgrenzungen der Siedelungsgebiete von Völkern und Stämmen gegeben, besonders dort, wo natürliche Grenzen wie Gebirge die Völker deutlich schieden, aber wir dürfen unsere Vorstellungen über Grenzziehung, die sich auf die genaue Festlegung politischer Grenzen in geschichtlicher Zeit aufbauen, nicht ohne weiteres auf vorgeschichtliche Zustände übertragen. Dazu kommt, daß wir die Ausdehnung der Kulturprovinzen nach der Verbreitung von eigentümlichen Formen ihres Kulturnachlasses bestimmen. Diese Sonderformen können wir zwar bis zur äußersten Linie ihrer geschlossenen Verbreitung verfolgen, aber diese Linie braucht nicht genau mit der Grenze des betreffenden Volkes oder Stammes übereinzustimmen: denn wenn man die Ausbreitung der benachbarten Kulturprovinz an derselben Grenze kartiert, dann wird man häufig feststellen können, daß Sonderformen dieser zweiten Kulturprovinz noch etwas in das Gebiet der ersten Kulturprovinz hineinreichen, daß also die beiden Kulturprovinzen sich an der gemeinsamen Grenze überschneiden, daß sie ineinander verfranst sind. Wir kommen also dann nicht zu einer scharfen Grenze, sondern zu einer Grenzzone, in der sich die Sonderformen beider benachbarter Kulturprovinzen mischen. Dies ist auch ganz verständlich, da die Grenze die beiden Volksgruppen nicht
Tafel I
A b b . 1. IVOSSINXAS K a r t e : G e r m a n i s c h e und keltische Gräberfelder der f r ü h e n Eisenzeit in M i t t e l d e u t s c h l a n d
Tafel II
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Abb. 2. K a r t e von SCHWARZ mit einer erweiterten Darstellung der gleichen Besiedelungsverhältnisse in der f r ü h e n Eisenzeit Mitteldeutschlands
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völlig von einander abschloß, sondern der Grenzverkehr die sich berührenden Teile zweier Völker oder Stämme mit einander verband. Es konnten daher an den Grenzen Zwischenund Mischzonen entstehen, die tatsächlich bei der ständigen Vermehrung unseres Quellenstoffes immer häufiger und klarer in Erscheinung treten, während anfangs das spärlichere Fundmaterial scharfe Kulturgrenzen anzuzeigen schien. K O S S I N N A rechnete daher nur mit solchen scharfen Völkergrenzen. Als er auf eine deutliche Mischung zweier Kulturprovinzen, einer germanischen und einer keltischen, in der frühen Eisenzeit Mitteldeutschlands stieß, die er kartographisch festlegte (Abb. 1), glaubte er sie nur mit einem keltischen Vorstoß ins germanische Gebiet erklären zu können, in dem er 1926 schrieb :8) „Während diese germanischen Friedhöfe (Mitteldeutschlands) bis um 500 v. Chr. oder vielleicht noch etwas weiter andauern, dringt seit etwa 600 v. Chr. plötzlich eine keltische Bevölkerung recht merklich in das nordthüringische Grenzland der Germanen ein und breitet sich ostwärts bis an die Elster und nordwärts bis an den Süd- und Ostharz aus. Es leidet keinen Zweifel, daß diese keltischen Eindringlinge nicht nur die weitere Ausbreitung der Germanen hier kurze Zeit aufgehalten, sondern vorübergehend hier auch die politische Herrschaft an sich gerissen haben müssen. Doch erfolgte schwerlich eine völkische Vermischung zwischen Kelten und Germanen." KOSSINNAS Karte zeigt in der Tat früheisenzeitliche Skelettgräber, die er den Kelten zuschreibt, im Süden des Kartenbildes in ziemlich geschlossener Verbreitung bis zu einer Linie, die vom Ostende des Harzes etwa zum Mündungsgebiet der Elster in die Saale südlich von Halle verläuft. Seine Deutung der Bevölkerungsverhältnisse erklärt aber weder die germanischen Brandgräberfunde im unteren Unstrutgebiet inmitten der keltischen Skelettgräber,noch die in den germanischen Siedelungsraum nördlich und nordöst8)
G. KOSSINNA, Ursprung und Verbreitung der Germanen, 1926, S. 38.
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lieh des Harzes eingestreuten Skelettgräber. Inzwischen hat sich die Zahl der Funde stark vermehrt, wie eine neuere Karte von K. SCHWARZ 9 ) (Abb. 2) erweist, und sich ergeben, daß die mitteldeutschen Skelettgräber keineswegs alle den Kelten zugeschrieben werden können, daß im Gegensatz zu K O S S I N N A S Annahme damals eine starke Mischung verschiedener Völkergruppen im mitteldeutschen Raum stattgefunden haben muß und daß ein keltischer Vorstoß und eine politische Herrschaft der Kelten nördlich der Unstrut nicht zu erweisen sind. Eine systematische Behandlung solcher Misch- und Zwischenzonen zwischen Kulturprovinzen erscheint mir methodisch von Bedeutung zu sein. Wenn die Vorgeschichtsforschung mehr als bisher mit dem Vorhandensein von Grenzzonen rechnet, so löst sie sich zwar von den einfachen und klaren Kartenbildern vor- und frühgeschichtlicher Kulturen und setzt an ihre Stelle Karten von verwickelterem und weniger scharfem Aufbau. Aber dies ist meiner Meinung nach kein Fehler und kein Abgleiten der Forschung vom richtigen Wege. Vielmehr ist es bei noch jungen Wissenschaften meist so, daß sie die Verhältnisse erst zu einfach sehen und auf ihrem Forschungswege weiter zu sein glauben, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Erst die fortschreitende Entwicklung ihrer Disziplin zeigt ihnen mit der Vermehrung ihrer Erkenntnisse, daß die Verhältnisse viel schwieriger gelagert sind, als zuerst angenommen wurde, und daß der Forschungsweg viel sorgfältiger und mannigfaltiger gefestigt und gesichert werden muß, als man es anfangs tun konnte, um den fernen Höchstzielen der Wissenschaft mit Erfolg zustreben zu können. Ich möchte heute nur auf zwei verschiedene Arten von Grenzzonen hinweisen, um damit den Umfang dieses Problems in großen Zügen zu umreißen, und wähle als Unter*) K. SCHWARZ, Warum brauchen wir eine Bodendenkmalpflege ? Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte Bd. 33, 1949, S. 35, Abb. 7.
Die Abgrenzung der Kulturgruppen
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läge für meine Ausführungen eine Karte K O S S I N N A S (Abb.4), die in der Geschichte der Vorgeschichtsforschung eine grundlegende Bedeutung erlangt hat. K O S S I N I T A hat sie zum erstenmal 1912 veröffentlicht, und seitdem ist sie immer wieder von ihm und anderen abgebildet oder als Unterlage für weitere Kartendarstellungen benutzt worden. Sie zeigt die Verbreitung der drei Hauptkulturgruppen in Mittel- und Nordeuropa während der zweiten Periode der Bronzezeit, also um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Es ist klar, daß die Forschung die Karte heute, rund 4 Jahrzehnte nach ihrer Herstellung, in vielen Punkten anders gestalten könnte und würde. Es ist nicht meine Absicht, das Kartenbild im einzelnen mit dem jetzigen Stand der Forschung in Einklang zu bringen, sondern nur auf die Dinge einzugehen, die für unsere Frage der Grenzzonen von Belang sind. K O S S I N N A läßt die südöstliche Kulturgruppe, als deren Träger er die JSTordillyrier bezeichnet, zwischen Oder und Weichsel nordwärts bis zur Ostseeküste reichen. Dies hat sich durch weitere Funde und Untersuchungen als unrichtig herausgestellt. Die nordillyrische Kulturgruppe bildete sich südlicher im Oder- und Warthegebiet heraus (Abb. 3) und stand während der 2. Periode der Bronzezeit noch an keiner Stelle in unmittelbarer Berührung mit dem germanischen Kulturgebiet in iforddeutschland und Skandinavien 10 ). Die großen 10
) Entsprechend dem methodischen Ziel dieser Studie habe ich die auf der Karte Abb. 4 wiedergegebenen Besiedlungsverhältnisse Mitteleuropas in vereinfachter und schematisierter Form gebracht. Im Allgemeinen sind bei der Darstellung die Funde der 3. Periode der Bronzezeit zugrunde gelegt worden, nur im Westen des Kartenbildes sind gemäß dem augenblicklichen Stand der Aufbereitung des Quellenstoffes im starken Maße auch die Funde der 2. Periode der Bronzezeit herangezogen worden. Bei der Herstellung der Karte habe ich mich u. a. gestützt auf: E R N S T W A H L E , Deutsche Vorzeit, Leipzig 1 9 3 2 , Karte 3 ; GUSTAV SCHWANTES, Die Vorgeschichte Schleswig-Holsteins, Neumünster 1 9 3 9 , S. 3 9 0 Abb. 5 4 9 (Karte von K . K E R S T E N ) ; CARL E N G E L und WOLFGANG L A B A U M E , Kulturen und Völker der Frühzeit im Preußenlande,
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MAETIX J A H N
Abb. 3. Kulturprovinzen der älteren und mittleren Bronzezeit Mitteleuropas mit Hervorhebung der Zwischenzonen zwischen den Kulturprovinzen
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