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German Pages 204 Year 2017
Monika Sauter Devoted! Frauen in der evangelikalen Populärkultur der USA
Präsenz und implizites Wissen | Band 6
Monika Sauter ist Amerikanistin und lebt in München. Sie war Stipendiatin des interdisziplinären DFG-Graduiertenkollegs »Präsenz und implizites Wissen« an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Monika Sauter
Devoted! Frauen in der evangelikalen Populärkultur der USA
Originaltitel der Dissertation: »›He was with me in a way I’d never felt before‹: Konstruktionen von Weiblichkeit in zeitgenössischer evangelikaler Populärkultur der USA«
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Inhalt
Danksagung | 7 1
Einleitung | 9
2
Die evangelikale Populärkultur | 27 2.1 Evangelikalismus: Eine kulturhistorische Einordnung | 27 2.2 Die evangelikale Populärkultur: Eine kulturtheoretische Einordnung | 33 2.3 (Göttliche) Präsenz, implizites Wissen und evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit | 44 2.4 Religiöses Public Feeling | 56
3
»Against the Tide«: Evangelikale ›Keuschheit‹ | 65 3.1 Der Konsum von ›Keuschheit‹ und (Zivil-)Religion | 68 3.2 Die Sensation der ›Keuschheit‹ | 80 3.3 Sensationalistische Romantik, religiöser Kapitalismus und Manifest Virgintiy | 93
4
»Women are falling in love«: Christliche Chick und Sistah Lit | 97 4.1 Exkurs: Ein Date mit Jesus | 102 4.2 The Whitney Chronicles | 104 4.3 He’s Fine But Is He Saved? | 110
4.4 4.5
Serialität und die christliche »Romance Industry« | 116 Corresponding Formulas | 119
5
»[T]o get more of the Word of God into us!«: Devotionale Ratgeber | 123 5.1 Die Verkörperung der Konversion | 128 5.2 Die Visualisierung der Konversion | 134 5.3 Die Alltäglichkeit der Konversion | 136 5.4 ›Ich fühle, also glaube ich‹ | 139
6
»How to Lobby From Your Kitchen Table«: (Zivil-)Religiöser Aktivismus | 143 6.1 Die Politik der Konversion | 146 6.2 Die Erfahrung von (Zivil-)Religion | 156 6.3 ›Das Politische ist (zivil-)religiös‹ | 170
7
Schluss | 173
8
Literatur | 181
Autorin | 203
Danksagung
Mein Dank gilt den folgenden Personen und Institutionen: Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift mit dem Titel: »›He was with me in a way I’d never felt before‹: Konstruktionen von Weiblichkeit in zeitgenössischer evangelikaler Populärkultur der USA«. Meine Betreuerin Heike Paul hat mich von Anfang bis Ende des Vorhabens an mit ausnahmslosen Engagement begleitet. Ihr wertvolles Feedback und andauernder Einsatz in allen Belangen des akademischen Arbeitens waren unentbehrlich und haben das Buch erst ermöglicht. Auch meine Zweitbetreuerin Antje Kley hat das Dissertationsprojekt mit ihrem ermutigenden Interesse kontinuierlich bestärkt und unterstützt. Die Dissertation wurde im Kontext des interdisziplinären DFG-Graduiertenkolleg 1718 »Präsenz und implizites Wissen« an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg geschrieben. Neben der unentbehrlichen Finanzierung war der regelmäßige Austausch mit den beteiligten Professor_innen, Post-Doktorand_innen und Doktorand_innen von großer Bedeutung. Die International Summer Academy der Bayerischen Amerika-Akademie (BAA) hat mir wiederholt die Chance gegeben, mein Projekt den Wissenschaftler_innen und Teilnehmer_innen von deutschen und USamerikanischen Universitäten vorzustellen und weiterzuentwickeln. Michael Hochgeschwender hat es mir zweimal ermöglicht, meine Fallstudien in seinem Oberseminar vorzustellen und mit ihm und seinen Studierenden fundiert zu besprechen. Insbesondere die gemeinsame Arbeit im amerikanistischen Forschungskolloquium von Heike Paul war eine unverzichtbare Hilfe. Dort hatte ich die Gelegenheit, mein Projekt mit den Teilnehmer_innen von der ersten Idee bis zur Fertigstellung immer wieder kritisch aufzuarbeiten. Katharina Gerund hat nicht nur immer wieder Feedback zu verschiedenen Versionen von Aufsätzen, Vorträgen und Kapiteln gegeben, sondern auch wichtige Vorschläge für die Überarbeitung des von ihr gelesenen Buchmanuskripts gegeben. Mit Cedric Essi und Stephen Koetzing habe ich nicht nur
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mein Projekt und das akademische Leben besprechen können, sondern auch das PGF 2013 in Erlangen ausgerichtet. Heinz Kaiser hat das Buchmanuskript sorgfältig Korrektur gelesen. Meine Eltern und meine Geschwister haben mich in der Zeit der Dissertation und der Vorbereitung des Buches auf viele verschiedene Weisen unterstützt, wofür ich allen sehr dankbar bin. Jorge Israel Bernal Romero und Aaron Bernal Sauter, Euch danke ich für die uneingeschränkte Hilfe und die unglaubliche Geduld mit mir.
1 Einleitung
Long ago, in a wonderful castle on a mountain of splendor, a beautiful princess was born. Her parents were the king and queen of the mountain and all the green valley below. The king and queen loved the little princess even before she was born. On the day she came into the world, the royal couple gave their daughter a very special gift from God – her first kiss. While the princess was growing up, the king and queen kept this precious gift safe in their care. When the princess was finally grown, the king and queen called her to their side. »We have something very special to give you,« said the queen. Up, up, the royal family went to a secret room in a tower of the castle. On an elegant table in the center of the room was the same gift given to the princess long ago. . . the kiss. »God gave this kiss to you on the day you were born,« said the queen, »because He loves you so dearly.« »And now,« continued the king, »this kiss is yours to keep. . . or to give away, as you see fit.« The princess stared in amazement. She had never before received such a wonderful present. »But use wisdom, my daughter,« warned the king, »and save your kiss for the man you will marry. Never part with it for the sake of a stranger.« The wise little princess took her father’s words to heart and kept the kiss safe in the castle tower. But there were many days when she went to gaze at her precious possession. She wondered how she could ever give it up. (n. pag.)
Die Handlung des evangelikalen Märchens The Princess and the Kiss: A Story of God’s Gift of Purity (1999) folgt formelhaft der Suche nach dem ›idealen Ehemann‹ für die Prinzessin. Nachdem die Prinzessin unzählige Freier abgelehnt hat, zweifelt sie, ob sie jemals ›den Richtigen‹ finden werde. Die Königin beruhigt sie: »›Oh, yes, my dear. I think God will bring a husband to you. But, if He does not, the kiss will be yours to treasure forever.‹ The princess took comfort in that thought, for she knew that God could be trusted and she cherished the kiss with all that she was.« Schließlich kommt ein Mann zum Schloss, der von der Jungfräulichkeit der Prinzessin – »[which] sparkled like diamonds« – überwältigt ist. Er bietet ihr seinen ›ersten Kuss‹, der, ebenfalls als sparkle, visuell den symbolischen Platz des Verlobungsrings bei ei-
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nem Heiratsantrag übernimmt. Das unvermeidliche Ende – »[t]he prince and princess lived happily ever after« – macht die visuell und narrativ als herausgehoben markierte Erfahrung romantischer Liebe vermeintlich dauerhaft und fungiert gleichzeitig als Affirmation der christlichen Deutungsschemata des Märchens: »Soon God gave them a child of their very own. And on the day of the precious baby’s birth, the wise prince and princess received for their child a very special gift from God... ›Love...comes from a pure heart and a good conscience and a sincere faith‹ (1 Timothy 1:5 NIV)«. Die Sequentialisierung des Märchens – ›Keuschheit‹, Glaubensgewissheit und Gottvertrauen, Liebesheirat – diskursiviert die Erfahrung romantischer Liebe als ›göttliche Präsenz‹,1 d.h. als herausgehobene Erfahrung des Göttlichen, wobei die Erfahrungsbereiche der romantischen Liebe und des Göttlichen aus der evangelikalen Binnenperspektive von The Princess and the Kiss uneinholbar miteinander vermischt sind. Die pädagogischen und missionarischen Beweggründe des evangelikalen Märchens sind nicht schwer zu verstehen: Der Kuss steht für die sexuelle Enthaltsamkeit der Prinzessin vor der Ehe und fungiert als aufgeschobenes Versprechen für die ›bessere Liebe‹ in der christlichen Paargemeinschaft. Die dominante Rezeptionslinie basiert dabei hauptsächlich auf dem archetypischen Muster der romance, welches die Utopie der romantischen Liebe in der populären und scheinbar zeitlosen Formel des Märchens idealisiert und junge Mädchen als Prinzessinnen interpelliert. Die diskursive Artikulation von (göttlicher) Präsenz übernimmt dabei die Funktion einer doppelt kodierten Sinnstiftung, die an sich überlagernde, oft implizite oder nicht bruchlos explizierbare Wissensformationen anknüpft. Zum einen affirmiert das Märchen aus der evangelikalen Binnenperspektive die Gewissheit um göttliche Präsenz als Gefühl des Vertrauens: »[F]or she knew that God could be trusted«. Zum anderen verknüpft The Princess and the Kiss dieses religiöse Gefühl mit einer hegemonialen Vorstellung von Weiblichkeit und einer heteronormativen Geschlechter- und Familienideologie, die nicht explizit genannt werden müssen, um ihre kulturelle Bedeutung zu entfalten.
1 | Die Klammern in der Verwendung des Begriffs (göttliche) Präsenz soll visuell die Dopplung der Erfahrungsbereiche der romantischen Liebe und des Göttlichen markieren. Die Form der Kenntlichmachung der Überlagerung verschiedener Erfahrungsdimensionen zieht sich durch die gesamte Arbeit. ›Präsenz‹ zeichnet sich im Phänomenbereich der Studie allgemein darüber aus, dass diskursive Artikulationen von (intensiver) Erfahrung im Rückgriff auf Ökonomien der Präsenz markiert werden und scheinbar über ein bedeutungs- und sinnstiftendes Verständnis hinausgehen. In Kapitel 2.3 wird die Begriffsverwendung detailliert besprochen.
Einleitung | 11
Eine übergeordnete Zielsetzung des vorliegenden Bandes ist es nun, präsentisch kodierte Erfahrungsgehalte in der evangelikalen Populärkultur2 in ihrer Verschränkung mit Konstruktionen von Weiblichkeit zu analysieren. Diskursivierungen von Präsenz des Göttlichen und der Liebe und/oder, wie zu zeigen sein wird, der Konversion, der körperlichen Erfahrung, der Zivilreligion sind von meist impliziten Wissensbeständen strukturiert, welche jenseits einer binären Opposition von religiös/säkular die Erfahrung und Rezeption evangelikaler Weiblichkeit und damit verhandelter kultureller Deutungsmuster ordnen und sozial intelligibel bereitstellen. Denn eine einfache Setzung von ›evangelikal‹ als distinkt von ›säkular‹ ist für einen differenzierten Blick auf das evangelikale US-Amerika und seine Warenwelt problematisch; auch wenn es sich, wie im Falle des Märchens exemplarisch verdeutlicht, um scheinbar eindeutig evangelikal markierte Produkte handelt. Die Kulturkritikerinnen Janet Jacobsen und Ann Pellegrini schreiben entsprechend: »We wonder about ›religion‹ and what it might mean to ›get religion‹ in a number of ways. [. . . ] We also wonder about religion in the ever popular ›public sphere‹«. Und fragen weiter: »[W]hat does it mean to take on religion as an ›object‹ of cultural study? This is not the same question as, ›What is religion?‹« (»Getting Religion« 260). Für den US-amerikanischen Kontext bemerken sie: »Fundamentalism [. . . ] appears as the exemplary instance of American religion and in its parenthetical reference as that which is set off from the American public (and hence most in need of explanation by the scholar)«. Allerdings problematisieren sie die nicht hinterfragten Vorannahmen dieser Herangehensweise und konstatieren als methodischen Gegenentwurf: »[W]e turned not to religion per se and especially not to fundamentalism so-called but rather to the secular (and in particular the liberal middle); and we ›got religion‹«. Gewiss beschäftigt sich der vorliegende Band nicht mit der säkular kodierten, sondern mit der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart. Dennoch argumentiere ich in ähnlicher Konsequenz, dass die evangelikale Populärkultur nicht distinkt von nominell säkularer Kultur rezipierbar ist. Zentral für meine Argumentationslinie ist dabei das Konzept der corresponding feelings, welches zwei Charakteristika der USamerikanischen, evangelikalen Populärkultur betonen soll. Zum einen konkretisiert es den Umstand, dass evangelikal kodierte Erfahrungskonstitutionen »in constant conversation (or correspondence)« (Yochim 4) mit nominell säkularen Erfahrungen inszeniert sind und auf ähnliche implizite und emotionale Wissensbestände zurückgreifen. Zum anderen pointiert der Begriff die kulturelle Wirkmächtigkeit von Gefühl,
2 | Zum Phänomen evangelikaler und religiöser Populärkultur verweise ich auf die Studien von Jason Bivins, Lynn Clark, Linda Kintz und Julia Lesage, Heather Hendershot, Colleen McDannell und Lynn Neal.
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Affekt und Emotion in der evangelikalen Populärkultur. Ich fasse die untersuchten Phänomene als Manifestationen einer kulturspezifischen Gefühlsformation, die ich als religiöses public feeling3 bezeichne. Als »passionate symbolic cohesion« (Kintz, Between Jesus 4) prägt diese die evangelikale Keuschheitskultur, christliche chick und sistah lit, massenkulturell bereitgestellte und devotionale Körperpraktiken sowie Formen des (zivil-)religiösen Aktivismus’ evangelikaler Frauen im gesellschaftlichen Allgemeinwesen. Der Band untersucht Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz und damit verbundene Konstruktionen von ›gottgefälliger‹ Weiblichkeit in der hauptsächlich weißen, evangelikalen Populärkultur. Dabei richtet sich der Fokus auf symbolische Abgrenzungsmechanismen evangelikaler Identität(en) sowie auf kulturelle, mediale und ideologische Austausch- und Rückkopplungsprozesse zwischen nominell evangelikalen und nominell säkularen Diskursen. Ohne Zweifel ist ›evangelikal‹ »a broad, somewhat amorphous category« (Hendershot 2), deren Bedeutungsebenen in vielfältigen Diskursen der populären und akademischen Fremd- und Selbstbeschreibung bestimmt werden. Die National Association of Evangelicals (NAE) konstatiert etwa aus einer Binnenperspektive: »Evangelicals take the Bible seriously and believe in Jesus Christ as Savior and Lord« (»What is an Evangelical«).4 Populäre, meist säkular kodierte Diskurse in den USA und in Deutschland verwenden evangelikal dagegen oft allgemein für orthodoxe Christen mit einer sozialkonservativen Einstellung.5 Evangelikal in diesem Sinne ist ein »me-
3 | Ich übernehme den Begriff public feeling von Wissenschaftler_innen wie Lauren Berlant, Ann Cvetkovitch, Deborah Gould und anderen, um zu bezeichnen, wie Gefühle, Affekte und Emotionen kulturell und historisch konstruiert sowie in gesellschaftlichen Bereichen wirkmächtig sind, die allgemein als öffentlich imaginiert werden. Für eine detaillierte Aufarbeitung s. Kapitel 2.4. 4 | Die Selbstbeschreibung der NAE soll hier als ein paradigmatisches Beispiel verstanden werden. US-amerikanische Evangelikale beschreiben sich oft als bible-believing oder einfach als Christian. Sie verwenden dies als exklusive Bezeichnung, die Protestanten der mainlineTraditionen und Katholiken nicht miteinbezieht (s. auch Hendershot 2). Laut des Berichts »America’s Changing Religious Landscape« des Pew Research Centers sind 25,4% der USamerikanischen Bevölkerung Mitglied einer evangelikalen Kirche oder Tradition. 76% davon sind weiß (4-5). 5 | In deutschen Diskursen wird immer wieder die vermeintlich starke Religiosität der USA diskutiert, allerdings ist es nicht »in erster Linie die Tatsache, daß US-Amerikaner mehrheitlich religiöser sind als West- und Nordeuropäer, die für Verstimmung und allerlei Trübsal sorgt, sondern die spezifische Form dieser genuin amerikanischen Religiosität und Spiritualität – wenigstens mit Blick auf deren mediale Vermittlung« (Hochgeschwender 12).
Einleitung | 13
dia buzzword [whose] specific historical and cultural meanings are often misunderstood or ignored« (Elisha 10).6 Mit Blick auf die übergeordnete These der Arbeit, dass evangelikal kodierte kulturelle Muster und populärkulturelle Produkte nicht ausschließlich der vermeintlich binären Opposition evangelikal/säkular folgen, sondern die oft stereotypen Zuschreibungen und identitären Deutungsschemata in der evangelikalen Populärkultur immer wieder überschritten werden, verwende ich evangelikal primär, um auf »evangelicalism [. . . ] [as] a cultural system, a set of symbols that act as a rubric for ordering life and providing meaning« zu verweisen (Ingersoll 16). Seit etwa den 1970er Jahren finden besonders populärkulturelle, evangelikale Produkte, Praktiken und Diskursformationen vermehrt in der nominell säkularen Öffentlichkeit Beachtung. The The Princess and the Kiss ist dabei nur ein Beispiel für »the vast industry of books, films, videos, and magazines that have targeted the conservative evangelical American middle class since the seventies« (Hendershot 2). In der wissenschaftlichen Betrachtung wird zunehmend die Produktion, Rezeption und Anziehungskraft der evangelikalen Populärkultur ins Auge gefasst. Diese wird in einem »much broader growth in the sales of religious-themed cultural products in the United States, ranging from books on New Age spirituality and Jewish dating to Christian T-Shirts and Hindi lunch boxes« eingeordnet (McAlister 774). Darüber hinaus werden evangelikale Produkte als kulturelle Produktionen gelesen, die sowohl eine gesellschaftliche Agenda als auch eine Form der spirituellen Missionierung verfolgen. Melani McAlister spricht in diesem Sinne von einem »remarkable mainstreaming of evangelical pop culture, one in which nonevangelicals seem to be willing to read overtly proselytizing messages, as long as they are represented in a readable genre« (775). Marnie Jones sieht die populärkulturellen Kommodifizierungen des amerikanischen Fundamentalismus, insbesondere in Bezug auf das populäre Left Behind-Franchise7 als den Versuch kommerzieller Missionierung: »These products turn scripture to their most commercial advantage by dramatizing a vision of eschatology that most Christian churches reject as unbiblical [. . . ]« (2). Eine besonders differen-
6 | Für eine kulturhistorische und theoretische Einordnung des US-amerikanischen Evangelikalismus mit einem Schwerpunkt auf die Entwicklung im 20. Jahrhundert verweise ich auf die Kapitel 2.1 und 2.2. 7 | Die Left Behind-Bücher popularisieren ihre Version evangelikaler Eschatologie im Genre des populären Abenteuerromans und waren ein kommerzieller Erfolg auf dem evangelikalen und dem säkularen Marktplatz der USA. Ab dem siebten Buch The Indwelling waren die Fortsetzungen etwa regelmäßig auf nationalen Bestsellerlisten. Das Exzerpt einer Rezension, das im Klappentext des ersten Bandes veröffentlicht ist, meint dahingehend: »Tim LaHaye and Jerry B. Jenkins ... are doing for Christian fiction what John Grisham did for courtroom thrillers«.
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zierte Auseinandersetzung mit der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart hat die Medienwissenschaftlerin Heather Hendershot mit ihrer Studie Shaking the World for Jesus vorgelegt. Darin lenkt sie den Blick auf das gesamte Spektrum der Unterhaltungsmedien, die speziell für den evangelikalen Markt konzipiert sind und erweitert die Diskussion um die Analyse der »spiritual, political, or cultural agendas« der religiös motivierten Waren (1). Sie untersucht evangelikale Produkte als kommerzielle Konsumalternative für evangelikale Mittelklasseamerikaner, deren Funktion zwischen religiöser Mission und der Idee einer subtilen Einflussnahme qua positivem Beispiel pendele. Dabei betont sie: »[T]he wider the desired audience, the more carefully tempered the evangelical message will be« (13).8 Evangelikale Produkte reichen von Christian Candy zu Biblezines (Bibelausgaben im Magazinformat),9 vom überaus erfolgreichen christlichen Buchmarkt bis hin zum noch erfolgreicheren christlichen Musikmarkt (vgl. speziell dazu Harju). GodTube.com, eine christliche Version von YouTube.com sichert ›familienfreundliche‹ Inhalte zu und Online-Partnerschaftsbörsen, wie ChristianMingle.com versprechen ein Kennenlernen mit christlicher Einstellung sowie die Gewissheit religiöser Zugehörigkeit. Als Forschungsgegenstand ist die evangelikale Populärkultur daher schon allein auf Grund der Zentralität und Verbreitung religiös kodierter Produkte im alltäglichen Leben evangelikaler US-Amerikaner ein wichtiges Phänomen. Des Weiteren bestreiten evangelikale Produkte, die oft in nationalen Supermarktketten wie Wal-Mart angeboten werden und teilweise von einem nicht-evangelikalen Publikum rezipiert werden, »basic assumptions about the division between religious and secular marketplaces and about American popular culture more broadly« (Frykholm 7). Bestes Beispiel dafür ist etwa die Popularität der Left Behind-Reihe, die mit über 65 Millionen verkauften Exemplaren auf säkularen Bestsellerlisten stand sowie in säkularisierter Form als HBO-Serie einem internationalen Publikum bereitgestellt wird.10 Andrew Strombeck argumentiert in Hinblick auf die Bücher: »Although the novels, with their seemingly antimodern fundamentalism, seem to occupy the margins of a
8 | Das Phänomen evangelikaler Populärkultur ist darüber hinaus ohne Zweifel die Konstruktion einer christlichen, amerikanischen Mittelklasse. Hendershot spricht in diesem Sinne von einer »Search for Middle-Class Respectability« (28). 9 | Ein Beispiel dafür ist die Bibel für junge Mädchen Revolve »[which] had been designed to look more like a fashion magazine than the small-print, leather-bound, gilt-edged that is familiar to most people« (Clark 1). Eine religionswissenschaftliche Analyse bietet Hillary Kaell, »Christian Teens and Biblezines«. 10 | Weitere säkulare Aneignungen der Serie sind etwa Tom Perrotas Roman The Leftovers und Terry Bissons Satire The Left Left Behind.
Einleitung | 15
certain America, in their devotion to free-market capitalism they occupy the center« (161-2). Das Keuschheitsmärchen vom Beginn der Einleitung lässt sich in diesem Sinne als Teil der ›evangelikalen Kulturindustrie‹11 einordnen, die sich populärer Genres und Formate bedient, um die eigenen theologischen, moralischen und gesellschaftspolitischen Ansichten zu verkaufen. Um die vermeintlich gegensätzlichen Logiken des Religiösen und des nominell Säkularen analytisch erfassen zu können, fordert der Amerikanist Klaus Milich eine »religious-secular matrix as a long-neglected paradigm of literary and cultural studies« (»Oh, God« 409). Auch der Kulturhistoriker R. Laurence Moore untersucht in Selling God, wie sich Religion und Konsumverhalten historisch gegenseitig bedingen: [R]eligion is pervasive [...]. [M]uch of what we usually mean by speaking of secularization has to do not with the disappearance of religion but its commodification, the ways in which churches have grown by participation in the market, or more specifically how religious influences established themselves in the forms of commercial culture that emerged in the nineteenth century, turning the United States into a flowering Eden of leisure industries by the middle of the twentieth. (5)
Evangelikale Produkte verdeutlichen somit »the symphonic way in which consumption and religion are categories not in opposition to each other but rather in collaboration« (Lofton 10) und sind als konstitutiver Teil des »jigsaw puzzle that is American popular culture« (Hendershot 176) nicht als Randerscheinungen und Ausnahmephänomene populärkultureller Märkte und Diskurse der USA einzuordnen. Jedoch inszenieren sich Evangelikale in der US-amerikanischen Öffentlichkeit immer wieder als religiöse Minderheit in einem vermeintlich andauernden Kulturkampf und werden als stereotyp gezeichnete religiöse Subkultur belächelt. Sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe ist dabei nur eine Forderung, welche in Politik, Gesellschaft, Medien und Populärkultur emotional diskutiert wird. In diesem Kontext gele-
11 | Ich verwende den Begriff der evangelikalen Kulturindustrie diskursanalytisch und weitgehend analog zur US-amerikanischen Kulturindustrie im Sinne von Theodore Adorno und Max Horkheimer. Es soll damit nicht impliziert werden, dass sich auf Ebene des Feldes keine evangelikale Personengruppen finden lassen, die sich im Sinne einer (konservativen) Kulturkritik auf verschiedenen Ebenen subversiv und kritisch mit den populären Angeboten auseinandersetzen. Darüber hinaus ist der Fokus auf die »Christian cultural products industry« auch als Gegennarrativ zu stereotypen Vorstellungen über Evangelikale als anti-modern und anti-technologisch zu verstehen (Hendershot 2).
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sen ist das Keuschheitsmärchen als evangelikale Erziehungsalternative zur vermeintlich liberalen Sexualmoral der Mehrheitskultur positioniert. So heißt es etwa auf der Website der Autorin: »PurityWorks provides materials to help parents teach children that sexual purity starts with the heart« (PurityWorks.com). Aus dieser Perspektive fungiert ›Keuschheit‹ als Distinktionsmerkmal einer religiösen Subkultur beziehungsweise einer politisch motivierten Gegenkultur, die in Kulturkampflogiken auf massenkulturelle und sozial intelligible Formen zurückgreift, um ihre Position bezüglich der vermeintlich ›richtigen‹ Sexualität und Moral zu behaupten. Doch wie schon angedeutet, zeigt sich das Märchen gerade über die Aneignung der Sprache romantischer Intimität als anschlussfähig an hegemoniale Diskurse des nominell säkularen Mainstreams. Um diese vermeintlich gegensätzlichen Positionen analytisch fassbar und beschreibbar zu machen, wird die evangelikale Populärkultur in der vorliegenden Arbeit als Nexus gefasst, an dem komplexe Austausch- und Rückkopplungsprozesse zwischen einem nominell evangelikalen und einem nominell säkularen US-Amerika ausgehandelt werden, im Besonderen, wie die Studie argumentieren wird, über die Konstruktionen von Weiblichkeit.12 Ein Zusammenhang zwischen dem US-amerikanischen Evangelikalismus, seinen kulturellen und theologischen Setzungen sowie der Rolle der Frau ist historisch schon belegt. Margaret Bendroth deutet in ihrer Studie Fundamentalism and Gender
12 | Die Rolle religiöser Frauen und die damit verbundenen Machtstrukturen wurde jüngst auch vom ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter diskutiert. Carter, der sich selbst als born-again bezeichnet, nennt in A Call to Action (2014) religiös legitimierte Deutungsschemata als den fundierenden Grund für die systematische Diskriminierung von Frauen auf der ganzen Welt: »This system is based on the presumption that men and boys are superior to women and girls, and it is supported by some male religious leaders who distort the Holy Bible, the Koran, and other sacred texts to perpetuate their claim that females are, in some basic ways, inferior to them, unqualified to serve God on equal terms. Many men disagree but remain quiet in order to enjoy the benefits of their dominant status. This false premise provides a justification for sexual discrimination in almost every realm of secular and religious life« (1-2). Beispielhaft bezieht er sich auf seine eigene religiöse Sozialisation als Südstaaten-Baptist und die Southern Baptist Convention im Jahr 2010, auf welcher Bibelverse herausgestellt wurden, die in der Interpretation des Verbands beweisen sollten, dass Frauen Männern gegenüber submissive sein müssten (21). Der Verband entschied zu diesem Zeitpunkt, dass Frauen im Klerus keine Führungsrolle übernehmen dürfen. Ingersoll ordnet diesen Beschluss sowohl als inner-baptistische Grundsatzentscheidung zwischen Konservativen und Moderaten ein, als auch als »representative of the way in which views on gender issues have become symbolic of the ideological and cultural divide within conservative American Protestantism more generally« (47).
Einleitung | 17
das Aufkommen des US-amerikanischen Fundamentalismus Anfang des 20. Jahrhunderts überzeugend als eine Reaktion auf sich ändernde Geschlechterrollen und eine vermeintlich feminisierte Religion: »[F]undamentalism was born in an era of anxiety over gender roles« (6).13 Die Autorin stellt so heraus, dass die christliche Bewegung eben nicht nur auf theologisch-liberale Herausforderungen reagierte, sondern gleichermaßen auf sich in Veränderung befindende Frauenbilder. Auch Betty DeBerg betont in Ungodly Women die besondere Rolle neuer Identitätsentwürfe für Frauen und Männer in der Entstehungsgeschichte des Fundamentalismus: »The fundamentalists began their crusade during a time in the United States when the gender roles and ideology of the Victorian middle class were giving way to new configurations, when the norms for acceptable behavior for, and actual behavior of, women and men began to change rapidly« (vii). Beide markieren damit die herausgehobene Bedeutung der Kategorie Geschlecht als Markierung fundamentalistischer Identifikationsangebote, die auf gesellschaftliche Änderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten. Auch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts werden aus historischer Perspektive die verschiedenen Emanzipationsbewegungen, die Legalisierung von Abtreibung im Jahr 1973 sowie gesellschaftlich veränderte Vorstellungen von Geschlecht und Weiblichkeit als Gründe genannt, anhand derer sich erneut ein vermeintlicher Kulturkampf entspinne (vgl. etwa Marsden, Hochgeschwender, Krämer). In populären Diskursen ist dadurch oftmals ein von Kampfrhetorik geprägtes Verständnis von evangelikaler Weiblichkeit verbreitet, das in stereotypen Darstellungen evangelikaler Frauen als unterwürfig kulminiert.14 Als wissenschaftliche Kommentierung beschäftigen sich einige Studien mit der Rolle der Frau in evangelikalen Gruppierungen. Marie Griffith untersucht in God’s Daughters, wie evangelikale Frauen »bend the rules, negotiate the disciplines, and subvert the expectations and requirements of the group in various ways«. Darüber hinaus erkennt sie »expansive, if ambivalent, forms of resistance« (16) gegenüber säkularen Formen der Vergemeinschaftung und kulturellen Praktiken, die von evan-
13 | Zum Diskurs der Feminisierung von Religion im 19. Jahrhundert vgl. die wegweisende Studie von Ann Douglas, The Feminization of American Culture sowie Gallagher (24-28). 14 | Mein Fokus bezieht sich nur auf die Konstruktionen ›gottgefälliger‹ Weiblichkeit, womit ich auf Ebene der Zusammenstellung der Analysen der essentialisierenden, evangelikalen Konstruktion von Weiblichkeit folge. Allerdings interessieren mich diese eben ganz besonders bezüglich ihrer komplexen, kulturellen Arbeit in evangelikalen und nominell nicht evangelikalen Diskursen, die sie, so das Argument des Bandes, trotz oder gerade wegen ihres Essenzialismus entwickeln. Für eine evangelikale Perspektive auf ›gottgegebene‹ Geschlechterrollen vgl. John Piper und Wayne Grudem, Recovering Biblical Manhood and Womanhood.
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gelikalen Frauen als hegemonial empfunden werden. Brenda Brasher argumentiert in Godly Women »that to Christian fundamentalist women, the restrictive religious identity they embrace improves their ability to direct the course of their lives and empowers them in their relationship with others« (4). Griffith und Brasher betonen somit die rhetorische Beschaffenheit des stereotyp gezeichneten Diskurses weiblicher Unterwerfung und fokussieren auf subversive Praktiken evangelikaler Frauen. Julie Ingersoll wendet dagegen ein, dass diese Blickweisen diejenigen religiösen Frauen ausblendeten »who find it difficult to reconcile what they are taught about the Bible with what they believe to be true about their own identities and challenges« (5). Sie argumentiert in Evangelical Christian Women erweiternd: First, gender is a central organizing principle and a core symbolic system in this subculture. Second, the interpretation and control of that system is not fixed and permanent but, on the contrary, is a result of an ongoing process of construction (production), which entails a tremendous degree of negotiation. Third, at least in the case of gender issues in the evangelical subculture, the dialectical process of symbolizing meaning is essentially characterized by conflict. (16)
Weitere Studien nehmen den Einfluss der zweiten Frauenbewegung auf evangelikale und konservative Frauen in den Blick. In Women of the New Right beschäftigt sich Rebecca Klatch mit der politischen Teilhabe von Frauen »opposed to the goals and values at the core of feminism« (3). Sie bemerkt: »Thus, during the same time in which thousands of women mobilized to place feminist issues on the political agenda and to secure women’s place within the public realm, groups of women on the right joined together to promote a return to traditional ways, endorsing women’s role within the family« (3-4).15 Pamela Cochrans Evangelical Feminism sowie Rebecca Groothuis’ Women Caught in the Conflict zeichnen die Geschichte des Einflusses des US-amerikanischen Feminismus auf den Evangelikalismus historisch nach und ermöglichen es, einen differenzierten Blick auf die Rolle der Frau in evangelikalen Gruppierungen und auf die Teilnahme evangelikaler Frauen an feministischen Diskursen zu bekommen.
15 | Darüber hinaus stellt Klatch fest: »Right-wing women are not a monolithic group nor is the New Right a cohesive movement that shares a single set of beliefs and values. While one part of the New Right is concerned, above all, with social issues and does consider feminism a fundamental threat, there is a whole other constituency within the New Right that actually shares part of the feminist vision and that is primarily concerned with issues related to the economy and defense« (4).
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Die hauptsächlich auf Feldforschungen basierenden Studien beschäftigen sich allerdings nicht mit den komplexen Konstruktionen von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart. Damit wird ausgeblendet, dass solche nicht ausschließlich als stereotype Repräsentationen fungieren, sondern komplexe kulturelle Verhandlungsprozesse in Gang setzen. The Princess and the Kiss verdeutlicht eben besonders, wie die Differenzkategorie Geschlecht als herausgehobene Markierung für moralische und gesellschaftspolitische Setzungen fungiert. So idealisiert das Märchen die sexuelle Abstinenz der Prinzessin und interpelliert die Leser_innen über den Konsum der Romantik (Eva Illouz) als gute Tochter, Ehefrau und Mutter. Die Religionssoziologin Sally Gallagher bestimmt die von eindeutigen Geschlechterrollen geprägte Kernfamilie als »central metaphor for evangelical identity« (xi). Beispielsweise fungiert die Familie – »one of the most widely invoked words today« (Peterson 112) – in zivilreligiös-konservativen Slogans, wie Sarah Palins Buchüberschrift America by Heart: Reflections on Family, Faith, and Flag, als Bindeglied zwischen transzendenter Macht und patriotischem Selbstverständnis und eröffnet eine metaphorische Deutung von Gott als Vater der Nation sowie der Nation als christlicher Familie. In der Studie Between Jesus erweitert die Literaturwissenschaftlerin Linda Kintz den religiös-konservativen Dreischritt und spricht von einem »closed set of concentric circles stacked one on top of the other and ascending heavenward: God, property, womb, family, church, free market, nation, global mission, God. Their symmetrical relation is glued together both by the symbolic figure of the proper woman and by her activism [. . . ]« (6).16 Ich lese ihr Bild als Betonung der affektiven Wirkmächtigkeit der Figur der evangelikalen Frau auf verschiedenen, symbolisch miteinander verschränkten Ebenen; sie selber ist in ihren Analysen allerdings vage, wie solche Zusammenhänge formalästhetisch, epistemologisch und kulturspezifisch konstruiert sind, und wie die evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit, Intimität, Körper, Konsum und Nation ideologiekritisch aufgearbeitet werden können. Diese Leerstelle schließt der vorliegende Band. Der Titel der vorliegenden Studie Devoted! drückt dahingehend neben der offensichtlichen religiösen Konnotation des Begriffs der Hingabe auch die Konstruktion von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur als hingebungsvoll, liebend, ergeben und aufopfernd in Bezug auf damit korrespondierende Dimensionen aus: als Hingabe an die nukleare Kernfamilie, das Patriarchat und seine komplizitären Ideale von Weiblichkeit, die Optimierung des
16 | Allerdings blendet Kintz’ Sichtweise aus, dass solche Emotionen nicht nur in Right-Wing America (Teil des Untertitels) wirkmächtig sind, sondern hegemoniale, nicht bruchlos explizierbare Wissensformationen evozieren und affirmieren, die in weiten Gesellschaftsbereichen kulturell wirkmächtig, sozial intelligibel und politisch anschlussfähig sind.
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eigenen Selbst, die US-amerikanische Konsumkultur und den Kapitalismus sowie die US-amerikanische Nation. Die affektive Hingabe an die genannten Aspekte der evangelikalen Kulturindustrie zeigt in diesem Sinne auch die ideologische Übereinkunft vermeintlich distinkter und nominell säkularer Praktiken und Diskurse. In der Konstruktion evangelikaler Frauen als devoted drückt sich darüber hinaus die verkörperte und sinnliche Interpellationsstruktur der evangelikalen Populärkultur aus. In Sensational Devotion spricht Jill Stevenson von dramaturgischen Strategien in der evangelikalen Populärkultur, »[which] serve as forces de-signed to direct people toward/into certain emotional responses and ideologies« (42). Der Phänomenbereich bekommt seine affektive Wirkmächtigkeit dahingehend insbesondere auch in der Überlagerung evangelikaler und ›postfeministischer‹ Diskurse, die eine angebliche Ermächtigung für christliche Frauen versprechen. Die kulturell wirkmächtige Kopplung und Überlagerung der scheinbar diversen Konstruktionen von Weiblichkeit als hingebungsvoll, liebend, ergeben, aufopfernd und gleichzeitig ermächtigt ist der Fokus der Studie. Dabei wird der Blick insbesondere darauf gerichtet wird, wie die religiös motivierte und populärkulturell bereitgestellte Gefühlsformation über kulturspezifische Diskursivierungen von Präsenz und damit verschränkter impliziter Wissensbereiche naturalisiert wird und unaussprechbar bleibt. Das Märchen The Princess and the Kiss zeichnet die Prinzessin als ›keusch‹ und naturalisiert diese Konstruktion über Bezüge auf (göttliche) Präsenz. Der Objektbereich dieser Studie ist in vielerlei Hinsicht geprägt von kulturspezifischen Diskursivierungen von Präsenz. So gibt es unzählige Verweise, diskursive Artikulationen und Bezugnahmen auf die Präsenz des Göttlichen, der Liebe, der Konversion, der körperlichen Erfahrung und/oder der Zivilreligion. (Göttliche) Präsenz fungiert dabei vor allem als Bezugspunkt, welcher die eigene vergeschlechtliche Dimension naturalisiert, evangelikal vereindeutigt und sich der kritischen Einholung auf Ebene des Diskurses entzieht. In diesem Sinne ist meine Fragstellung nicht: Was ist (göttliche) Präsenz oder gar gibt es diese? Sondern: Welche ideologischen Funktionen übernehmen Diskursivierungen einer intensiven Erfahrung (des Göttlichen, der Liebe, der Konversion, des Körpers und/oder der Zivilreligion) in der Konstruktion von Weiblichkeit und Intimität in der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart? Welche ›kulturelle Arbeit‹ übernehmen Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz (Jane Tompkins)?17 Bezugnahmen auf Präsenz überschreiben darüber hinaus die komplizitären Funktionen evangelikaler Konstruktionen von Weiblichkeit in gesellschafts- und macht-
17 | Der Begriff ist aus Jane Tompkins Klassiker Sensational Designs. Sie beschreibt darin sentimentale Romane »as attempts to redefine the social order«, welche die Funktion erfüllten »to win the belief and influence the behavior of the widest possible audience« (xi).
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politischen Kontexten. Aus dieser Perspektive wird die Präsenz der ›Keuschheit‹ als Insignie royaler Macht und als (Vor-)Bedingung für die Konstituierung einer christlichen Nation erkennbar, die sich über eine heteronormative Familienideologie reproduziert. Hier deuten sich hegemoniale Vorstellungen von Weiblichkeit und die heterosexuelle Kernfamilie an, die über einen religiösen Verständigungsprozess hinaus Identitätsangebote an nicht-evangelikale Rezipient_innen machen und auf implizite Wissensbestände verweisen, welche die evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit sozial intelligibel, intrakulturell wirkmächtig und politisch anschlussfähig werden lassen. Als Kurzdefinition für die Studie möchte ich in den Worten der Soziologin Alexis Shotwell implizites Wissen als zusätzliche Wissensdimension zum klassischen, propositionalen Wissen ausweisen: »We also know otherwise – we understand things that cannot be or are not spoken, and we may suspect that this form of understanding is important« (ix). Mit Shotwell gehe ich dabei von Wissensformen aus, die von starkem Körperwissen über Affekte und Emotionen zu scheinbar nicht markierten schwachen Konzeptionen von Wissen als Common Sense reichen sowie kulturell wirkmächtige Vorstellungen von Geschlecht, race und anderer Differenzkategorien aufrufen und festschreiben. Solche nicht bruchlos explizierbaren Wissensbestände übernehmen in der evangelikalen Populärkultur die Funktion, sozial geteilte Verständigungen um Weiblichkeit, die US-amerikanische Nation und einen (christlichen) Exzeptionalismus zu evozieren, die dabei nicht expliziert werden müssen, um ihre kulturelle Bedeutung zu entfalten. Dadurch wird für ein evangelikales Publikum zum einen Erfahrung und Rezeption in kultur- und gruppenspezifischer Art und Weise geordnet. Zum anderen fungieren implizite Wissensbestände als Form der intrakulturellen Kommunikation und haben eine kohärenzbildende Funktion in Bezug auf die Affirmation und Naturalisierung der Rolle der Frau in der nuklearen Familie sowie ihrer politischen Agenda in der Nation. Die Gendersoziologin Minoo Moallem positioniert religiös-fundamentalistische Strömungen und einen westlich-egalitär ausgerichteten Feminismus als Bearbeitungen ähnlicher Erfahrungen in der Moderne: Both feminism and fundamentalism are major factors responsible for and responding to the »crisis of rationality« as well as the crisis of »masculinity« and »femininity.« Both arose inside the problematic of modernity as it deals with relations between men and women with respect to the universal and the particular, public and private, family and state, and individual and community. (321)
Als Manifestationen eines religiösen public feelings sind evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit so auch als Modus der Sinnstiftung zwischen dem Privaten
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und dem Öffentlichen, der Familie und der Nation sowie dem Individuum und der Gemeinschaft fassbar. Eine Reihe von Wissenschaftler_innen, wie Lauren Berlant, Ann Cvetkovitch, Deborah Gould und andere haben mit ihrer Begriffsprägung public feeling insbesondere auf die Reziprozität der vermeintlich klaren binären Oppositionen privat/öffentlich und persönlich/politisch sowie deren geschlechtsspezifischen und heteronormativen Konnotationen verwiesen und die Relevanz von Gefühlen in der Öffentlichkeit attestiert. Darauf aufbauend argumentiert der vorliegende Band, dass die evangelikale Populärkultur ein religiöses public feeling manifestiert, welches an der symbolischen Schnittstelle der binären Unterscheidung zwischen evangelikal/säkular, regional/national und intim/öffentlich eine affektive Kohärenz zwischen ›gottgefälliger‹ Weiblichkeit, der US-amerikanischen Familie, (zivil-)religiösem Patriotismus, massenkulturellen Formen des pleasures sowie (religiösen) Praktiken des Konsums herstellt. Die Studie richtet sich auf zeitgenössische evangelikale Repertoires, die als paradigmatische Formationen der evangelikaler Präsenzkultur ein religiöses public feeling manifestieren. Mein Projekt ist in dem weitläufigen Forschungsfeld zum US-amerikanischen Evangelikalismus eine amerikanistisch, kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konstruktionen von Weiblichkeit.18 Die Studie basiert, neben der kulturhistorischen und theoretischen Verortung des Phänomenbereichs und der Begriffsarbeit in Kapitel zwei, auf vier Fallstudien, in denen unterschiedliche Primärmaterialien untersucht werden. So bezieht sich der Oberbegriff ›die evangelikale Populärkultur‹ auf formelhafte Narrative wie Konversionserzählungen, chick und sistah lit-Romane, Ratgeberformate, Visualisierungen wie ›Reality-TV‹ und politische Dokumentationen, diskursive Formationen wie ›Keuschheit‹ und ›konservativer Feminismus‹ sowie kulturelle Praktiken wie christliche motivierte Keuschheitsrituale und Fitnessübungen. In den Analysen werden die besprochenen Phänomene in ihrer spezifischen kulturhistorischen Genese verortet: etwa als evangelikale Appropriation und (Re-)Sakralisierung der chick und sistah lit-Formeln im Register ›postfeministischer‹ Konsumkultur (s. Kapitel 4) oder als konservative Revision des US-amerikanischen Feminismus (s. Kapitel 6). Mein Argument ist, dass die evangelikale Gefühlsformation ihre naturalisierende Wirkmächtigkeit in diversen populärkulturellen Registern, kulturellen Repertoires, Texten und Erfahrungskonstitutionen entfaltet. Die Religionswissenschaftlerin Kathryn Lofton bemerkt treffend: »Whatever story you want to tell about religion in the
18 | Diese Perspektive ermöglicht es u.a. »to connect e.g. political science to literature, art history to sociology, or history to economics and geography, and to integrate these various disciplinary perspectives into an American studies framework« (Paul, Myths 26).
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last quarter of the twentieth century, it will not be neat« (52). Entsprechend ist der Gegenstandsbereich ohne Zweifel sehr breit und auch methodisch nur schwer zu erfassen, da er sich nicht ausschließlich über einen weiten Textbegriff definieren lässt. Deshalb trage ich als übergeordneten Analyserahmen zweitens meine Überlegungen zu Präsenz, implizitem Wissen und religiösem public feeling an die Analysebeispiele heran. Neben dem Fokus auf die Ideologiekritik der kommodifizierten Gefühlsformationen ist allen Analysen dabei das Augenmerk auf die Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit gemein. Dieses orientiert sich an einem weiten Kulturbegriff, der sowohl die US-amerikanische Kulturspezifik als auch intrakulturelle Differenzen wie Religion, Geschlecht, race, Klasse und Alter in den Blick nimmt. Neben den kapitellangen Engführungen auf die Primärmaterialien richtet sich das Interesse genau darauf, verschiedene und auf den ersten Blick diverse Phänomene gleichzeitig in den Blick zu nehmen. In der Dissertation geht es also weniger um eine Bestandsaufnahme evangelikaler Konstruktionen von Weiblichkeit in der zeitgenössischen evangelikalen Populärkultur, als um komplexe Bedeutungs- und Sinnstiftungszusammenhänge, die auf ihre, mehr oder weniger offensichtliche, ideologische und affektive Kohärenz untersucht werden. Deshalb sind die gewählten Fallstudien nicht als ausschließlich zu verstehen, sondern als populärkulturelle Formationen, welche die Wirkungsweisen des religiösen public feelings paradigmatisch verdeutlichen. Kapitel zwei sondiert die kulturhistorische Verortung des Phänomenbereichs und die theoretischen Überlegungen der Arbeit. Nach einer kulturhistorischen Verortung des weißen Evangelikalismus im 20. Jahrhundert (Kapitel 2.1) schlage ich den Begriff der »corresponding culture« (Yochim 4) als Beschreibungsmoment für die evangelikale Populärkultur vor und setze diesen in Beziehung zu den Begriffen der ›evangelikalen Subkultur‹, ›Gegenkultur‹, und ›Populärkultur‹ (Kapitel 2.2). Dann werden die Begriffe der Präsenz und des impliziten Wissens aufgearbeitet und in Bezug zu Differenzkategorien wie Geschlecht und race gesetzt (Kapitel 2.3). Im letzten Teil (Kapitel 2.4) erarbeite ich dann das Bezugssystem public feeling als theoretischen Referenzpunkt, der erfassen kann, wie gerade das kulturelle Repertoire der Intimität Formen des religiösen Gefühls evoziert, welches als Scharnier zwischen präsentisch kodierten Erfahrungsmomenten und impliziten Wissensbeständen fungiert. Kapitel drei beschäftigt sich mit der evangelikalen Keuschheitskultur und untersucht zum einen die kulturelle Logik der Organisation True Love Waits und zum anderen die kulturelle Arbeit der ›Reality-TV‹ Preachers’ Daughters (Lifetime, 2013). Beide Beispiele greifen auf ein kulturspezifisches Repertoire romantischer Liebe zurück und verhandeln, naturalisieren und plausibilisieren ›keusche‹ Teenager-Weiblichkeit am Schnittpunkt eines religiös motivierten Kapitalismus, einer heteronormativen Familien- und Geschlechterideologie, hegemonialen Vorstellungen von whiteness so-
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wie eines (zivil-)religiösen mapping der USA. Da es sich bei True Love Waits um ein Südstaaten-Baptisten Unternehmen handelt, deckt die Lesart insbesondere auch die Kategorie der Region als komplexen nationalen Selbstverständigungsdiskurs der evangelikalen Gefühlsformation auf. In Kapitel vier zeige ich, dass christliche chick und sistah lit-Romane evangelikale Weiblichkeit am Schnittpunkt ›postfeministischer‹ Diskurse und der Präsenz (göttlicher) Liebe konstruieren. Die Analysen der Romane The Whitney Chronicles (2004) und He’s Fine But Is He Saved? (2004) stellen zum einen heraus, wie der evangelikale Markt schwarze und weiße, evangelikale Weiblichkeit ausdifferenziert und kommodifiziert sowie zum anderen, wie die Formeln trotz intrakultureller Unterschiede einen quasi-universellen Erfahrungsraum anbieten, der die angeblich binäre Opposition christlich/nicht christlich über die Verführung romantisch-göttlicher Liebe letztendlich als überwindbar präsentiert. In Kapitel fünf untersuche ich beispielhafte Manifestationen devotionaler Fitnessund Ratgeberkultur und deren Konstruktionen von selbstoptimierter, christlicher Weiblichkeit. Ich argumentiere, wie die Ratgeberformate Basic Steps to Godly Fitness (2005), Body Gospel (gesch. 2010) und Reshaping It All (2011) die ideologische Einübung von Weiblichkeit in den Körper verschieben und die diskursive Artikulation der Körpererfahrung (des Göttlichen, der Selbstoptimierung in Ehe, Familie und Beruf sowie der körperlichen Transformation) vorgibt, ›gottgefällige‹ Weiblichkeit erfahrbar und fühlbar zu machen. Dabei zeigt sich, wie die Erfahrung von selbstoptimierter Mutterschaft und deren Wirken in und außerhalb der privaten Sphäre auf populären Sichtweisen der Nicht-Explizierbarkeit von Erfahrung und Gefühl basieren und gleichzeitig die strukturierenden Wissensbestände um (evangelikale) Weiblichkeit aus der expliziten in die implizite Verständigung gerückt werden. Kapitel sechs analysiert politische Diskurse als (zivil-)religiös motivierte Mitsprache an gesellschaftspolitischen Aushandlungsprozessen. In der ›Autobiographie‹ Unplanned (2010) wird die Wiedergeburt zum erweckten Christentum als Motivation für den eigenen sog. pro-life-Lobbyismus gedeutet. Gleichzeitig inszeniert das Konversionsnarrativ Affekte und Emotionen als ausschließliche Deutungsschemata in der Diskussion um die Legalität von Abtreibung, indem Frauen als ›fühlende Mütter‹ interpelliert werden. In der ›Dokumentation‹ Fire from the Heartland (2010, Dir. Stephen Bannon) wird eine idealisierte Version des ›ländlichen Amerikas‹ und die Metapher des ›Mama Grizzly Bears‹ evoziert. Der Film imaginiert eine Genealogie konservativer, politischer Frauen in den USA und proklamiert öffentliche Figuren wie Phyllis Schlafly und Michele Bachmann als Vertreterinnen eines ›konservativen Feminismus‹. Dadurch konstruiert der Film eine (zivil-)religiöse Gegenkultur am Ne-
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xus von Religion und kulturell wirkmächtiger Vorstellungen politischer Identität für Frauen. In den folgenden Kapiteln werden nun die komplexen Funktionen, die kulturelle Arbeit sowie die Affektökonomien der Konstruktionen von Weiblichkeit am Schnittpunkt von Religion, Konsum und Kapitalismus, hegemonialer Familienideologie, konservativer Politik und (zivil-)religiösem Patriotismus paradigmatisch erarbeitet und analysiert. So lassen sich symbolische Abgrenzungsdiskurse identifizieren, die sowohl die Funktion von Aushandlungsprozessen im Rahmen der internen evangelikalen Selbstverständigung, als auch die Funktion von Missionierung, Bekehrung und Verführung übernehmen. Dabei erzeugt insbesondere die Verflechtung von (göttlicher) Präsenz und religiösem public feeling eine Form der ideologischen Kohärenz für ein größtmögliches Publikum: als massenkulturelle Bereitstellung von ›keuscher‹ Weiblichkeit in Diskursen um romantische Liebe, als Einschreibung von (göttlicher) Intimität in Frauenkörper und deren sinnliche Erfahrungsdimensionen sowie als Evokationen essentialisierender Geschlechterrollen, die ihr affektives Kapital in (zivil)religiös kodierten gesellschaftspolitischen Kontexten entwickeln.
2 Die evangelikale Populärkultur
2.1 E VANGELIKALISMUS : E INE KULTURHISTORISCHE E INORDNUNG Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen Evangelikalismus ist in ihrer Begriffsbestimmung nicht eindeutig. Die Religionswissenschaftlerin Lynn Neal bemerkt dazu, dass »for scholars the term evangelicalism continues to elude easy definition« (9). Die Traditionen und Bewegungen, die im akademischen Kontext als evangelikal bezeichnet werden, folgen verschiedenen Erkenntnisinteressen, seien sie auf die Bestimmung soziologischer Merkmale evangelikaler Gruppierungen, theologischer Glaubenssätze, historischer Genealogien oder politischer Zugehörigkeiten gerichtet. Als generischer Ausgangspunkt für eine Annäherung eignet sich die Definition des Religionshistorikers Michael Hochgeschwender: Evangelikalismus ist ein Gattungsbegriff, der eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Phänomene beschreiben kann. Das Wort selber stammt vom englischen evangelical und meint vordergründig nichts anderes als das deutsche evangelisch, also eine an der Autorität des Evangeliums ausgerichtete christliche Frömmigkeit. (23)
Dem Historiker David Bebbington zufolge sind es vier Hauptcharakteristika, die evangelikale Gruppierungen theologisch prägen: Die Konversion (»conversionism«), die Betonung der Unfehlbarkeit der Bibel (»biblicism«), ein Fokus auf die Figur Jesus Christus als persönlicher Retter (»crucicentrism«) sowie die Praktik der Beglaubigung (»activism«) (3). Religionshistorisch bezeichnet Mark Noll evangelikal als »the best word available to describe the fairly discrete network of Protestant Christi-
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an movements arising during the eighteenth century in Great Britain and its colonies« (13). Das gängige Narrativ des weißen US-amerikanischen Evangelikalismus folgt einer übersichtlichen Genealogie, die bezüglich der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert die kulturhistorische Rahmung des Phänomenbereichs andeutet. So wird die USamerikanische Variante des Evangelikalismus’ im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert als Erbe des kontinentaleuropäischen Pietismus, des schottisch-irischen Presbyterianismus und des anglo-amerikanischen Puritanismus eingeordnet (Kidd xiv). Vor allem wiederkehrende Erweckungsbewegungen werden als Merkmal evangelikaler Gruppen genannt: »Early American evangelicalism was distinguished from earlier forms of Protestantism by dramatically increased emphases on seasons of revival, or outpourings of the Holy Spirit, and on converted sinners experiencing God’s love personally« (Kidd xiv). Die sog. Great Awakenings (ca. 1735-1750 und ca. 18101835) gelten als Jahrzehnte der religiösen Neu-und Umstrukturierungen des USamerikanischen Protestantismus, in welchen charismatische Erweckungsprediger für ein spirituell erneuertes Christentum warben, das als Gegensatz zu institutionalisierten Formen des protestantischen Glaubens verkündet wurde (Hochgeschwender 6976). Hochgeschwender ordnet die Bedeutung der Erweckungstheologien so ein: »Mit dem Gedanken der spirituellen Wiedergeburt griffen die Erweckungsprediger nicht nur die conversion narrative der Puritaner wieder auf, sondern gaben allen folgenden Erweckungsbewegungen Nordamerikas ihr zentrales Thema« (71-2). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist es die Kontroverse zwischen sog. Modernisten und Fundamentalisten, welche die gängige Genealogie prägt. In Folge des Einflusses des German Higher Biblicism, des Darwinismus und anderen Entwicklungen in Natur- und Sozialwissenschaften kam es zu einer Spaltung in der evangelikalen Tradition. Die Bezeichnung für die theologisch-konservativen Fundamentalisten leitet sich dabei von einer Reihe an Pamphleten mit dem Titel The Fundamentals: A Testimony to the Truth ab, welche zwischen 1919 und 1925 vom Bible Institute of Los Angeles veröffentlicht wurden (Balmer xi). Zum einen bekräftigten die Pamphlete bestimmte Glaubenssätze: die Unfehlbarkeit der Bibel, die Jungfräulichkeit der Mutter Gottes, die göttliche Sühne für die Menschen durch den Tod Jesu, die Auferstehung sowie die kurz bevorstehende Wiederkunft Gottes (Meredith 183-4). Zum anderen propagierten sie strikte moralische Regeln, wie etwa Tanz- und Alkoholverbote. Das Aufkommen der fundamentalistischen Bewegung wurde deshalb als »militantly antimodernist Protestant evangelicalism« eingeordnet (Marsden 4).1 Den wohl berühm-
1 | Entgegen dieser kulturhistorischen und protestantischen Prägung wird ›fundamental‹ im heutigen Sprachgebrauch als Bezeichnung für orthodoxe Gruppen des Christentums, Islams,
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testen Ausdruck fand die Kontroverse in den Scopes Trials von 1925. In dem national verfolgten Gerichtsfall wurde ein Lehrer angeklagt, weil er die Evolutionstheorie unterrichtete, was auf Grund der Butler Act von 1925 gegen die Gesetze des Staates Tennessee war. Die Scopes Trials gelten als Schauprozess, in dem sowohl Befürworter als auch Gegner der Evolutionstheorie für ihre Weltanschauung warben und dabei versuchten den jeweiligen Gegner zu diskreditieren (Hochgeschwender 156-63). Ein kulturell wirkmächtiges Ergebnis des Prozesses ist es daher, dass »evangelicals acquired an ›antimodern‹ reputation; supposedly, these were people opposed to scientific progress, mass media, and new technologies« (Hendershot 4). Das Scheitern fundamentalistischer Gruppen in den 1920er Jahren, kulturelle Hegemonie wiederzuerlangen, führte zunächst zum Rückzug evangelikaler Bemühungen auf nationaler Bühne. Aber wie der Religionshistoriker Joel Carpenter nachzeichnet, bedeutete dies keinen Niedergang, sondern eine Um- und Neustrukturierung der fundamentalistischen Bewegung in den 1930er Jahren und – »if not a national religious revival, a popular resurgence of fundamentalism and other kinds of evangelicalism after World War II« (3). Ab diesem Zeitpunkt prägten eine Reihe sog. Neoevangelikaler das populäre Verständnis des Evangelikalismus’, welche in der Öffentlichkeit für die andauernde Bedeutung des evangelikalen Christentums in den USA eintraten. Bekanntester Vertreter Mitte des 20. Jahrhunderts ist wohl der Prediger Billy Graham: »For a time a convenient rule of thumb was that an evangelical was anyone who identified with Billy Graham« (Marsden 234).2 Graham ist vor allem bekannt für seine groß angelegten evangelistischen crusades, auf denen er, neben der Notwendigkeit für eine spirituelle Erneuerung seiner Zuhörerschaft, die gesamtgesellschaftliche Erneuerung der USA propagierte. Darüber hinaus präsentierte er seine religiösen und gesellschaftlichen Ansichten in unzähligen national verbreiteten Radio- und Fernsehformaten und prägte den US-amerikanischen Evangelikalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur bezüglich seiner Theologie, sondern auch bezüglich seiner medialen und gesellschaftlichen Beteiligung. In Republi-
Judentums, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus verwendet (Armstrong ix). Dazu bemerkt Janet Jakobsen: »The term ›fundamentalism,‹ [...] does the work of positing some ›religions‹ as reasonable and others as threatening« (Keywords 204). 2 | In Reaktion auf die Neoevangelikalen der 1940er, 50er und 60er Jahre spaltete sich die Bewegung erneut: »[O]ther heirs to the original fundamentalist movement moved in a strict separatist and more purely ›fundamentalist‹ direction. [...] By the late 1950s strict fundamentalists split with Graham and the new evangelicals, insisting that complete separation from any alliance with doctrinal impurity should be a test of true faith« (Marsden 233).
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can Theology ordnet Benjamin Lynerd den Einfluss Grahams in Rückgriff auf die sog. großen Erweckungswellen ein: Graham’s mission was always twofold: from the late 1940s onward Graham stood at the headwaters of two distinct revivals in American religion. One was a revival of evangelicalism in the style of the First Great Awakening [. . . ], a revival that saw millions of individuals commit themselves to personal faith in Jesus Christ, hundreds of thousands alone at Billy Graham’s rallies over the decades. The other was a revival of American civil religion, a nonsectarian recovery of private morality as a public concern, more in line with the Second Great Awakening [. . . ]. (2)
Damit bindet er den Evangelikalismus des 20. Jahrhunderts nicht nur religions- und kulturhistorisch an die gängige Genealogie der Erweckungen, sondern verweist spezifisch auf die gesellschaftspolitischen Ansprüche des religiösen Musters der Erweckung und Wiedergeburt. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird in der Sekundärliteratur verschiedenster Fachprovenienzen und in populären Diskursen divergent eingeordnet: Als »evangelical empowerment in the United States since the 1970s« (Cortiel et. al xi), als neofundamentalistische Erweckungswelle, als Aufstieg einer politisch motivierten, religiösen Rechten und einer verstärkten Bedeutung religiöser Zugehörigkeit in politischen Prozessen,3 als wertekonservativer Rückschlag gegen gesellschaftliche Änderungen und/oder als Kulturkampf der, wie schon zu Beginn des Jahrhunderts, als Reaktion auf den angeblichen Verlust der Deutungsmacht des Religiösen eingeordnet wird. Historische und soziologische Auseinandersetzungen beschäftigen sich auf diese Weise mit der Frage, wie das vermeintliche Erstarken konservativer christlicher Gruppierungen im 20. Jahrhundert der USA zu erklären sei.4 So sieht Carpenter den US-amerikanischen Evangelikalismus als »[a] religious
3 | Politikwissenschaftliche Studien fokussieren oftmals die Übereinkunft religiöser und politischer Einstellung in nationalen und internationalen Kontexten: vgl. beispielsweise Monika Toft, Daniel Philpott, und Samuel Timothy, God’s Century: Resurgent Religion and Global Politics sowie David Campbell und Robert Putnam, American Grace: How Religion Divides and Unites Us. 4 | Gleichzeitig wird die gängige kulturhistorische Verortung des Ursprungs des USamerikanischen Fundamentalismus überdacht. Sandeen argumentiert, dass der Fundamentalismus nicht exklusiv als Reaktion gegen die Moderne verstanden werden könne, sondern »partly if not largely as one aspect of the history of millenarianism« (xix). Marsden betont die Ursprünge des Fundamentalismus in der Tradition der Erweckungen, des Pietismus, der Heiligungsbewegung sowie der Common Sense Philosophie (7). Allerdings interpretiert David Hall dieses
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persuasion that has repeatedly adapted to the changing tone and rhythms of modernity« (234), Christian Smith et al. beschreiben evangelikale Gruppierungen als »a religious movement [that] is thriving [. . . ] very much because of and not in spite of its confrontation with modern pluralism« (xi), Hochgeschwender spricht von einer »kulturspezifische[n] Form der selektiven beziehungsweise sektoralen Modernität« (21), welche evangelikale Kultur auszeichne, und Milich konstatiert in Erweiterung von Habermas’ drei Attacken auf die Moderne, der christliche Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten sei »a fourth offense against modernity« (»Fundamentalism« 97). Nicht zuletzt fungieren solche Einschätzungen als Versuche, die nicht gänzlich erfolgte Säkularisierung der USA in der Moderne zu erklären. Kurz zusammengefasst behauptet die Säkularisierungstheorie, dass Religion in industrialisierten Gesellschaften graduell im Verschwinden sei, wobei sich in US-amerikanischen Gesellschaftsund Funktionsbereichen eben zeigt, dass religiöse Deutungsschemata weiterhin erfolgreich sind.5 Die gängige Genealogie von Erweckungswellen bis zum politisch motivierten Evangelikalismus im 20. und 21. Jahrhundert ist als Geschichte des weißen Evangelikalismus in den USA konstruiert, die Binnendifferenzierungen wie race und Ethnizität in distinktive Narrative verlegt. Hochgeschwender bezeichnet die black church allgemein als »Ansammlung recht heterogener, aber durchweg evangelikal oder pentekostal ausgerichteter Denominationen« (215). Den Unterschied zu den weißen, evangelikalen Kirchen markiert er folgendermaßen: »Was sie von diesen im erheblichen Maße unterscheidet und immer unterschieden hat, ist der aus ihrer Geschichte her verständliche ganz andere Schwerpunkt ihres Biblizismus und ihre divergierende sozialkulturelle Struktur« (216). Neben voneinander abweichenden, theologischen Schwerpunkten erkennt er politische Divergenzen und bemerkt, dass die »black church einen maßgeblichen Anteil daran hatte, daß der schwarze Protest gegen die schwerwiegenden Ungerechtigkeiten der amerikanischen Gesellschaft sich durchgehend in friedlichen Bahnen vollzog« (217). Darüber hinaus erkennt er aber auch eine schwarze, evangelikale Mittelklasse mit sozialkonservativer Identität:
wissenschaftliche Interesse als ein »ongoing, dynamic, and complicated rewriting [...], the efforts to differentiate evangelicalism from Fundamentalism and to overcome the stigma of antiintellectualism«. Dieses klassifiziert er als den Versuch die Auswirkungen des Scopes Trials und der »the specific issues that gave rise to the term ›Fundamentals‹« herunterzuspielen (110, 111). 5 | Unter Titeln wie Post-Secular Society (Nynäs et al.) und The Post-Secular in Question wird der Begriff des Post-Säkularen, als ein »shift in scholarly thinking about religion and secularism« diskutiert (Gorski et al. 1).
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Ungeachtet des generellen Fehlschlags der liberalen Wohlfahrtspolitik hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten eine schwarze Mittelklasse gebildet, die nun wie die Weißen in den Vororten lebt und politisch in wachsendem Maße konservativ eingestellt ist. Diese neue schwarze Mittelklasse wählt republikanisch und lehnt die welfare-state-Ideologie der black church mitunter rundweg ab. Häufig teilt sie die Ideen der weißen Rechtsevangelikalen und Neofundamentalisten über individuelles Glücksstreben, Wettbewerbskapitalismus und Marktkonformität, weswegen viele dieser Schwarzen inzwischen Mitglieder weißer Gemeinden geworden sind. (231)
Im Aufsatz »The Rise of African-American Evangelicalism in American Culture« konzentriert sich der Religionswissenschaftler Albert Miller auf den schwarzen Evangelikalismus in den USA, welcher »[c]ontrary to popular belief« nicht in »stereotypical categories of historic black denominational life« falle (259). Als paradigmatische Vertretung für diese Formation des schwarzen Christentums in den USA nennt er die 1963 gegründete National Black Evangelical Association (NBEA) und betont die »historical connections [...] between this movement and its larger white evangelical counterpart« (259). Er bemerkt, wie der schwarze Evangelikalismus theologisch mit dem weißen Evangelikalismus zusammenfiel (259), die rassistische Geschichte der USA diese Gemeinsamkeiten allerdings distinkt werden ließ (264-5).6 Der schwarze Evangelikalismus in den USA bringe die wissenschaftliche Unsicherheit zum Vorschein »[to] adequately [define] black Evangelicalism, identifying its origins, and making a clear differentiation between it and the historic black church tradition« (259). Auch Einwanderungsgruppen erweitern das Narrativ des weißen Evangelikalismus der USA. So zeigt etwa die Studie »America’s Changing Religious Landscape« des Pew Research Center von 2015, dass insbesondere die Zahl der Lateinamerikaner_innen in evangelikalen Religionsgruppen wächst (5). Eine evangelikale Organisation, die sich in diesem Kontext nennen lässt, ist etwa das National Hispanic Christian Leadership Council, welches, wie dessen Webseite verspricht, von säkularen Medien als »America’s Largest Hispanic Christian Evangelical Organization« bezeichnet wird und politisch sowie theologisch dem weißen Evangelikalismus zuzuordnen ist. Als Erweiterung des gängigen Narrativs des US-amerikanischen Evange-
6 | Für die Anfangszeit des afroamerikanischen Evangelikalismus betont er die Bedeutung von »certain leaders of the black Christian Brethren and Christian and Missionary Alliance Churches, and the involvement of various black Pentecostal church leaders in the broader black evangelical movement« (262).
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likalismus verweisen die NBEA und NHCLC auf mehrere wichtige Aspekte. Denn die Organisationen zeigen, wie gängige Selbst- und Fremdbeschreibungen des Evangelikalismus’ eine wirkmächtige Konstruktion von whiteness darstellen und bewirken, kulturelle Diversität in distinkte Narrative zu verschieben. Dadurch werden theologische und gesellschaftspolitische Übereinstimmungen scheinbar distinkter Gruppen ausgeblendet, die ihre Relevanz insbesondere in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen zu entfalten vermögen. Für einen möglichst differenzierten Blick auf den US-amerikanischen Evangelikalismus der Gegenwart bietet die vorliegende Studie eine ideologiekritische Perspektive auf die evangelikale Populärkultur als »imagined community« (Benedikt Anderson), deren Konstruktion von whiteness intersektional zu den Konstruktionen von Weiblichkeit verstanden werden muss. Die evangelikale Populärkultur bindet, wie die Analysen immer wieder zeigen werden, normative Vorstellungen von evangelikaler Weiblichkeit an ihre Konstruktion von whiteness und kreiert dadurch eine ideologische Kohärenz für ein größtmögliches Publikum.
2.2 D IE EVANGELIKALE P OPULÄRKULTUR : E INE KULTURTHEORETISCHE E INORDNUNG Nichtsdestotrotz wird der US-amerikanische Evangelikalismus und seine Warenwelt in säkularen Diskursen der USA, aber auch in Deutschland, immer wieder als Ausnahmephänomen besprochen, das wirkmächtigen Vorstellungen von fortschreitender Säkularisierung, einer pluralistischen Moderne sowie rationalen Deutungsschemata scheinbar diametral entgegensteht. Und zumindest implizit zeigt sich dies zeigt auch in Versuchen, die evangelikale Populärkultur als weit verbreitetes Alltagsphänomen der Gegenwart einzuordnen. Klaus Milich nennt die evangelikale Populärkultur eine »parallel world of entertainment« (»Fundamentalism« 112). Der Journalist Daniel Radosh versieht sein Buch Rapture Ready! mit dem Untertitel Adventures in the Parallel Universe of Christian Pop Culture. Beide Formulierungen betonen den Bestand ähnlicher, aber distinkter Produkte sowie Verkaufsplätze und implizieren damit die Besonderheit der evangelikalen Populärkultur und ihrer Warenwelt. Dabei zeigen schon wenige Beispiele der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den crossover appeal evangelikaler Produkte im nominell säkularen Mainstream: Hal Lindseys und Carole Clarksons Buch The Late Great Planet Earth – »a runaway best-seller that sold more than 20 million copies and was named by the New York Times as the best-selling nonfiction book of the 1970s« (Forbes 10) – etwa brachte die breite Öffentlichkeit
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in Kontakt mit einer evangelikalen Deutung des Endes der Welt.7 Der Song Kiss Me, 1998 als Single veröffentlicht, brachte der evangelikalen Band Sixpence None The Richer nicht nur einen nationalen Bekanntheitsgrad, sondern wurde als Teil der Filmmusik des Teenie-Films She Is All That auch außerhalb der USA bekannt. Paradebeispiel für den Erfolg evangelikaler Produkte im nominell säkularen Mainstream ist weiter Tim La Hayes und Jerry Jenkins Left Behind-Serie, welche die evangelikale Eschatologie der Entrückung in der Formel des Abenteuerromans popularisierte. Die zwölfteilige Romanreihe ist dabei, wie Amy Frykholm schreibt, »credited with attracting a significant ›crossover‹ audience – an audience outside of evangelicalism« (25) und war mit über 65 Millionen verkauften Exemplaren mehrfach auf nationalen Bestsellerlisten. Infolge des kommerziellen Erfolgs der Bücher im Besonderen wird teilweise argumentiert, dass evangelikale Deutungsschemata den säkularen Mainstream beeinflussten oder gar, dass bekannte Endzeitromane demonstrierten, wie »conservative evangelicals have moved from subculture to counterculture to cultural dominance« (Gribben 11). Lässt sich also gar davon ausgehen, dass populäre, evangelikale Phänomene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beweisen, dass die ›evangelikale Subkultur‹ kulturelle Dominanz erreicht hat und den Mainstream darstellt? Sicherlich nicht. Schon die Frage ist auf Grund der Gleichsetzung von Popularität und kultureller Dominanz für eine kulturtheoretische Einordnung der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart ohne Zweifel grob vereinfachend. Dennoch zeigen allein die wenigen Beispiele, dass die Popularität und Rezeption evangelikaler Produkte simplifizierende Differenzierungen sowie Annahmen über distinkte, evangelikale und säkulare Marktplätze in der US-amerikanischen Kultur in Frage stellen. Im vorliegenden Kapitel dienen sie deshalb als Ausgangspunkt, um die Begriffe der ›Subkultur‹, ›Gegenkultur‹ und ›Populärkultur‹ als kulturtheoretische Beschreibungsmomente für den historischen Zuschnitt der Studie zu konkretisieren. Sowohl in wissenschaftlichen als auch in journalistischen Auseinandersetzungen wurde der Evangelikalismus der USA wiederholt als Subkultur8 beziehungsweise
7 | U.a. die Staatsgründung Israels im Jahr 1948 wurde als Zeichen für die Unmittelbarkeit der Endzeit interpretiert. The Late Great Planet Earth ist ein populäres Beispiel für prämillenniale Endzeittheologie und prophezeite, dass die sog. Entrückung (rapture) und eine Zeit der Trübsal und Bedrängnis in den 1980er bevorstünden. Bruce Forbes argumentiert, dass das Buch »the particular view of the end times that included a rapture and a tribulation« beförderte und der Eindruck zurückblieb, dass diese Interpretation »the only biblical view« wäre (10). 8 | Sarah Thornton definiert Subkulturen allgemein als »groups of people that have something in common with each other (i.e. they share a problem, an interest, a practice) which distin-
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als gesellschaftliches Phänomen mit subkulturellen Charakteristika bezeichnet: Exemplarisch lassen sich nennen: Randall Balmers Studie Mine Eyes Have Seen the Glory: A Journey into the Evangelical Subculture in America, Lauren Sandlers journalistisches Sachbuch Righteous: Dispatches from the Evangelical Youth Movement oder implizit der journalistische Verweis auf den »evangelical Christian macrocosm« (Welch 2). Allerdings ist es nicht immer klar, welche Gemeinsamkeiten in Beschreibungen des Evangelikalismus’ als quasi-distinktive Subkultur angelegt werden, seien es theologische Glaubenssätze, religionshistorische Genealogien oder politische Zugehörigkeiten. Hendershot schreibt etwa: Who exactly are evangelicals? Often referred to as born-agains, evangelicals are hard to pin down as a discrete subculture. They don’t go to conventions. They don’t have membership cards. Most don’t see themselves as part of a political movement, although many do believe that there is a spiritual revival occurring in the United States and that God’s power is driving it. (2)
Konstitutiver Teil ihrer Definition ist in diesem Sinne die Betonung der Schwierigkeit, evangelikale Christen in den USA als distinkte soziale Gruppe zu definieren. Aus soziologischer Sicht stellen Christian Smith et al. eine »›Subcultural Identity‹ Theory of Religious Strength« (89) auf und theoretisieren die subkulturelle Identität evangelikaler Gruppierungen als Merkmal der sozialen Distinktion: American evangelicalism [...] is strong not because it is shielded against, but because it is – or at least perceives itself to be – embattled with forces that seem to oppose or threaten it. Indeed, evangelicalism [...] thrives on distinction, engagement, tension, conflict, and threat. Without these, evangelicalism would lose its identity and purpose and grow languid and aimless. Thus
guishes them in a significant way from the members of other social groups« (1). Subkulturelle Ansätze beobachten intrakulturelle Unterschiede einer Gesellschaft und erlauben die Anerkennung der »diversity of cultures within a society« (Edgar, »Subculture« 386). Allerdings impliziere die Vorsilbe ›Sub‹ immer auch, dass Subkulturen der Mehrheitsgesellschaft auf irgendeine Art unterlegen seien (Thornton 4). Andrew Edgar greift in seiner Definition auf den Begriff der Minderheit zurück: »The concept of a ›subculture‹, at its simplest, refers to the values, beliefs, attitudes and life-style of a minority (or ›sub-‹) group within society« (»Subculture« 386). Das Konzept der Subkultur beinhalte theoretisch den impliziten Verweis auf eine Mehrheitskultur und die hierarchisierenden Bedingungslogiken für verschiedene Gruppen innerhalb einer Gesellschaft. In diesem Sinne sei das Verhältnis zwischen Subkulturen und dominanter Kultur relational mit signifikanten Unterschieden (386).
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[...] the evangelical movement’s vitality is not a product of its protected isolation from, but of its vigorous engagement with pluralistic modernity. (89)
Damit argumentieren sie, dass insbesondere Formen und Praktiken der symbolischen Abgrenzung dazu führten, dass der Evangelikalismus überhaupt als religiöses Identifikationsangebot erfolgreich sei. Dabei entspringe die subkulturelle Identität evangelikaler Gruppierungen aus einem Gefühl der vermeintlichen Krise in der pluralistischen Moderne.9 Gerade hinsichtlich eines solchen Krisennarrativs schwingen in der Beschäftigung mit evangelikaler Identität nicht zuletzt Beobachtungen mit, dass der USamerikanische Evangelikalismus ab den 1970er Jahren eine politisch-motivierte Gegenkultur10 sei. Marsden definiert etwa Fundamentalisten ab den 1970er Jahren als »evangelical[s] who [...] [are] angry about something« (235) und pointiert damit die 9 | Die Gleichsetzung von kulturtheoretischem Beschreibungsmoment und Fremd- und Selbstbeschreibungen als Subkultur sorgt allerdings für definitorische Ungenauigkeit. So gibt es in den USA aus meist säkularer Perspektive einen Diskurs über die vermeintlich distinkte evangelikale Subkultur, wie etwa Welchs’ (wohlwollende) journalistische Auseinandersetzung In the Land of Believers, aber auch die von Hendershot problematisierte, akademische Ungewissheit, was die evangelikale Subkultur der USA tatsächlich auszeichne. Thornton schreibt über das Problem akademischer Zuschreibung: »[T]he problem at the root of which is about how scholars imagine and make sense of people, not as individuals, but as members of discrete populations or social groups. Studies of subcultures are attempts to map the social world and, as such, they are exercises in representation. In attempting to depict the social world or translate it into sociology (or cultural studies or any of the other disciplines that are active in this field), we are unavoidably involved in a process of construction.« (1) 10 | Nahe am Begriff der Subkultur ist der Begriff der Gegenkultur. Thornton betont allgemein für den Begriff der Subkultur: »It is also often assumed that there is something innately oppositional in the word ›subculture‹« (2). Für den US-amerikanischen Kontext wurde der Begriff der Gegenkultur von Theodore Roszak in The Making of a Counter Culture aufgearbeitet. Darin postuliert er, dass die US-amerikanische Jugendbewegung der 1950er und 60er einer kulturellen Konstellation entspringe, welche »radically diverges from values and assumptions that have been in the mainstream of our society at least since the Scientific Revolution of the seventeenth century« (xii). Er schreibt: »For better or worse, most of what is presently happening that is new, provocative, and engaging in politics, education, the arts, social relations (love, courtship, family, community), is the creation either of youth who are profoundly, even fanatically, alienated from the parental generation, or of those who address themselves primarily to the young« (2). Edgar erweitert diese kulturhistorische Definition wie folgt: »In general, the concept of counterculture may now be extended to the values, beliefs and attitudes of any minority group
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oppositionelle Haltung vieler Evangelikaler gegen gesellschaftliche Umbrüche, die sich in der sog. zweiten Frauenbewegung, LGBT-Aktivismus und der Akzeptanz von außerehelicher Sexualität ausdrückten. Hochgeschwender argumentiert, dass diese Veränderungen bei konservativen Evangelikalen das Gefühl der Unsicherheit auslösten: »Insgesamt wurde die Situation im Vergleich mit den immer öfter idealisierten fünfziger Jahren, welche das 19. Jahrhundert als geistigen Referenzrahmen konservativer Kreise ablösten, deutlich vielschichtiger, die Gesellschaft wirkte unübersichtlicher und unsicherer« (175). Mehrere Grundsatzentscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA intensivierten die evangelikale Interpretation, dass die Deutungsmacht des Religiösen verloren ging. Im Jahr 1962 verbot der Supreme Court das Schulgebet im öffentlichen Schulsystem (Engel v. Vitale) und bediente sich damit einer für Evangelikale unerwarteten Auslegung des ersten Verfassungszusatzes. Im Gegensatz zum evangelikalen Verständnis, dass das Amendement ein Bollwerk gegen staatliche Interventionen in religiösen Fragen sei, bedeutete die Interpretation des Supreme Courts, dass der Verfassungszusatz staatliche Institutionen vor dem Einfluss spezifischer religiöser Grundsätze schütze. Im Fall Roe v. Wade von 1973 wurde Bundesgesetz über die Gesetze der einzelnen Staaten erhoben und das Recht auf Privatheit auf das Recht zur Abtreibung erweitert, eine Entscheidung, die sich gesellschaftlich als konstitutiver Diskurs konservativer Politik erwiesen hat (vgl. Hochgeschwender 183-8). Die Gerichtsentscheidungen veranlassten den Juristen Robert Bork sogar dazu, auf einer Versammlung der Christian Coalition im Jahr 1995 zu behaupten: »A large part of our cultural confusion can be laid at the doorsteps of the Supreme Court. . . . We must take back our culture from the courts« (zitiert in Kintz, Between Jesus 58). In diesem historischen Kontext entstand eine politische Bewegung, dessen bekanntestes Label das der sog. religiösen Rechten ist. Eine breite Koalition aus konservativen Katholiken, Mormonen, Juden und Protestanten ließen sich als sog. value voters mit Themen wie Abtreibung, Homosexualität, oder Pornographie politisch mobilisieren (vgl. etwa Marsden 239-43, Hochgeschwender 166-214).11 Dieser neuen politischen Formation wurde ab etwa der zweiten Hälfte der 1970er Jahre Einfluss auf die nationale Politik nachgesagt. Infolge der Wahl von Jimmy Carter veröffent-
that opposes the dominant culture, but more precisely, does so in a relatively articulate and reflective manner (»Counterculture« 90).« 11 | Der protestantische Teil der politischen Bewegung ist dabei nicht homogen und setzt sich aus verschiedenen Traditionen zusammen (s. Marsden 232-35). Zusätzlich ist es problematisch, die politischen Mobilisierungstendenzen als alleiniges Merkmal evangelikaler Kultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verstehen.
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lichte das Magazin Newsweek gar eine Titelgeschichte, in welcher das Jahr 1976 »The Year of the Evangelical« genannt wurde, und implizierte damit den als immer größer empfundenen Einfluss religiöser Gruppen auf nationalstaatliche Politik. Die bekannteste Lobbygruppe der religiösen Rechten war wohl die Moral Majority, die 1979 vom evangelikalen Prediger Jerry Falwell u.a. gegründet wurde, und deren Ziel es war, evangelikale und andere sozialkonservative Wähler für konservative Politik und republikanische Präsidentschaftskandidat_innen zu bündeln. In Moral Leaders argumentiert der Historiker Felix Krämer, dass der politisch ausgerichtete Evangelikalismus der 1970er und 1980er Jahre dabei »selbst im Gewande einer Emanzipationsbewegung« aufgetreten sei und hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeit als »Subjekt der obsessiv beklagten Krise« inszenierte (9). Neben öffentlich und medial viel diskutierter männlicher Repräsentanten wie Jerry Falwell und Ronald Reagan organisierten sich auch sozialkonservative, oft evangelikale Frauen. Exemplarisch für eine evangelikale Organisation kann hier die Lobbygruppe Concerned Women for America genannt werden, die sich auf ihrer Internetseite als »the nation’s largest public policy women’s organization with a rich history of over 30 years of helping our members across the country bring Biblical principles into all levels of public policy« bezeichnet. Die sieben Leitthemen der CWA veranschaulichen die enge Verknüpfung religiös und politisch kodierter Deutungsschemata sowie die herausgehobene Bedeutung von Frauen in religiösen und politischen Fragen: »the family, the sanctity of human life, religious liberty, education, sexual exploitation, national sovereignty, and support for Israel« (»Who We Are«). In Culture Wars beschreibt der Soziologe James Hunter die gesellschaftlichen Strömungen in den USA der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als einen Kulturkampf zwischen orthodoxen und progressiven Kräften, der auf einer »political and social hostility rooted in different systems of moral understanding« beruhe (42). Auch in evangelikalen Selbstverständigungsdiskursen wird die Rede von einem Kulturkampf immer wieder aufgerufen. Beispielsweise schreiben Tim und Beverly LaHaye im Erziehungsratgeber Against the Tide: »For about the last ninety years there has been a cultural war going on in this country between the entertainment industry and the church. Sexual permissiveness has been at the core of that cultural war« (15). Die These einer konservativen Gegenkultur, d.h. ein Verständnis des zeitgenössischen Evangelikalismus als konservative Gegenbewegung ist weitverbreitet und sowohl als evangelikale Ermächtigung gegen vermeintlich dominante, progressive Deutungsschemata als auch in nominell säkularen Reden über einen konservativen backlash kulturell wirkmächtig. In Countercultural Conservatives akzentuiert der Historiker Axel Schäfer den Begriff der Gegenkultur als Beschreibungsmoment für evangelikale Politik und gesell-
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schaftspolitische Bemühungen neu. Er betont, dass der gegenkulturelle Anschein der evangelikalen Bewegung daher stamme, dass diese Praktiken und Rhetoriken der Gegenkultur der 1950 und 1960er aufnahm und somit als Nachfolger derjenigen gesellschaftlichen Gruppierungen gelten könne, deren kulturelle und politische Agenda sie ablehnte:12 [T]he organizational strength, cultural attractiveness, and political efficacy of the New Christian Right was predicated less upon resentment against the cultural changes of the 1960s than upon the ability to merge the insurgent styles and rhetoric of the period with a forceful and unambiguous embrace of the dominant liberal capitalist order. (6)
Darüber hinaus verweist er auf die strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Evangelikalismus der zweiten Hälfte des 20. Jh. und den gesellschaftlichen Bewegungen der 1960er Jahre und bricht damit die beinahe naturalisierte These auf, dass religiöse Orthodoxie immer mit politischem Konservatismus zusammenfalle und das gesellschaftspolitische Auftreten des US-amerikanische Evangelikalismus ausschließlich als kultureller backlash zu verstehen sei (1). Am Beispiel des Jesus Movements, das sich zum großen Teil aus ehemaligen Hippies zusammensetzte, zeigen sich die ideologischen Ähnlichkeiten und Angleichungen auch personell (97-101). Weiter bemerkt er eine wohl kulturspezifische Kontinuität, wenn er schreibt, dass [e]pistemologically, evangelical revivalism, with its reliance on the immediacy of the divine, faith in intuitive knowledge, pursuit of self-purification and holy living, and desire for a profound conversion experience, resembled closely the spiritual aspirations of the sixties movements. Rooted in transcendentalist and romantic conceptions of knowledge, countercultural thinking regarded truth as the result of intense, unmediated, and pre-rational experiences that dissolved the rationally constructed dualism of subject and object and revealed the unity behind fragmented existence. (94)
12 | Indem Schäfer den Fokus erweitert – »toward the period of neo-evangelical organizing in the 1940s and 1950s, the rise of leftwing and liberal evangelicalism in the 1960s and 1970s, and the internal fragmentation and purges that preceded the dominance of the conservative wing since the late 1970s« (6) – zeigt er darüber hinaus, dass der Evangelikalismus der USA keine monolithische und politisch einheitliche Formation ist. Die Dominanz der religiösen Rechten ab den 1970er Jahren erkennt er als das Ergebnis eines politischen Prozesses, in dem ideologische Positionen innerhalb evangelikaler Gruppierungen ausgehandelt und Verbindungen zu anderen, konservativen Gruppen geschaffen wurden.
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Der kurze historische Aufriss zeigt, dass sich der US-amerikanische Evangelikalismus sowohl über die Aneignung gegenkultureller Praktiken als auch die Ablehnung und den Widerstand gegen gewisse gesellschaftliche Änderungen als politische Subund Gegenkultur verstehen lässt. Dabei waren es oft populärkulturelle Formate,13 die in verschiedenen Registern bestimmte moralische und politische Positionen behaupteten: Paradigmatische Beispiele sind etwa Folklegende Anita Byran, die lautstark gegen Homosexualität eintrat, Tim La Hayes Buch The Unhappy Gays (1976) und der pro-life-Film The Silent Scream (1984). Im Vorwort der konservativen Mediengeschichte America’s Right Turn schreibt der evangelikale Autor und Mitbegründer der Moral Majority Tim LaHaye wohlwollend über den Zusammenfall von politischer Agenda und »alternative media«: Now Richard A. Viguerie and David Franke have lit another candle with this book, revealing how conservatives used new and alternative media to rise to power. Indeed, this is the first book to show the direct correlation between two revolutions that have transformed America in the past half century – the conservative political revolution and the alternative media revolution. (vii)
Damit verknüpft er konservative, mediale Formate mit der politischen Bewegung und impliziert die Wirkmächtigkeit der konservativen Populärkultur als Form des politischen Widerstands. Auch Hendershot definiert die Wirkungsweisen der evangelika-
13 | Begriffsgeschichtlich wurde ›Populärkultur‹ auf unterschiedliche, meist wertende Weise verwendet. Laut Raymond Williams kann sich der erste Teil der Komposition auf die folgenden Dimensionen beziehen. Erstens: Populär bedeute »well like by many people« und verweise auf eine breite Rezeption. Zweitens: Populär bezeichne »inferior kinds of work«, die den Gegenpart einer angeblichen Hochkultur bildeten. Drittens: Populär beschreibe »work deliberately setting out to win favour« und impliziere die kulturelle Arbeit der Produkte und Texte. Viertens: Populär bezeichne »culture actually made by people for themselves« und sei einer profitgierigen Industrie gegenüber idealisiert (Keywords 237). Diese alternativen Auslegungen verweisen auf die Schwierigkeit einer einfachen Definition. John Storey meint dahingehend konsequenterweise, Populärkultur sei eine »empty conceptual category« (1), die je nach Kontext und Gebrauch mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt wird. Das Augenmerk der Studie auf Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur der USA orientiert sich an einem weiten Kulturbegriff, der aus kulturhermeneutischer Perspektive sowohl die US-amerikanische Kulturspezifik als auch intrakulturelle Differenzen wie Religion, Geschlecht, und race in den Blick nimmt.
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len Populärkultur auf ähnliche Art und Weise und schreibt ihr mit der Frage »what it would mean to ›resist‹ mainstream culture from a conservative political position« (14) implizit die Möglichkeit der Subversion zu. 14 Christopher Gair macht jedoch schon für die Gegenkultur der 1950er und 1960er Jahre auf die Problematik einer vereinfachten Gleichsetzung von Populärkultur und Subversion aufmerksam, wenn er schreibt, dass »there is a slippery and often uneasy relationship between the ›mainstream‹ and the ›marginal‹« (2). Er betont: »[A] great deal of the music, literature, art and film that challenged mainstream values was a product of, rather than a reaction against, the material wealth enjoyed by much of the nation« (4). In The Rebel Sell: How the Counterculture Became Consumer Culture gehen Joseph Heath und Andrew Potter noch einen Schritt weiter: There simply never was any tension between the countercultural ideas that informed the ‘60s rebellion and the ideological requirements of the capitalist system. While there is no doubt that a cultural conflict developed between the members of the counterculture and the defenders of the establishment, there never was any tension between the values of the counterculture and the functional requirements of the capitalist economic system. The counterculture was, from its very inception, intensely entrepreneurial. It reflected, [. . . ], the most authentic spirit of capitalism. (5)
Im Gegensatz zur Vorstellung einer genuin subversiven Dimension von Populärkultur betonen sie so, dass diese niemals außerhalb kapitalistischer Prozesse und massenkultureller Verbreitung zu denken ist.
14 | Inbesondere in Studien des Centre of Contemporary Cultural Studies der Universität Birmingham lag seit den 1960er Jahren das Interesse auf der Analyse populärkultureller Praktiken, Jugendkulturen und der englischen Arbeiterklasse. Dabei wurden gruppenspezifische Musikstile, Kleidung und Lebensweisen als Widerstand gegen dominante Deutungsschemata gedeutet. Auch die US-amerikanische Gegenkultur der 1950er und 60er ist von Populärkultur geprägt: Musiker_innen wie Jimi Hendrix und Janis Joplin, sog. Hippies, Dichter_innen wie die Beatniks und andere drückten über Musik, alternative Lebensstile und experimentelle Literatur ihr Unbehagen mit der Elterngeneration aus. Solchen populärkulturellen Formen wird tendenziell die Möglichkeit zugeschrieben, sich subversiv mit der dominanten Massenkultur auseinanderzusetzen. Hendershot definiert die evangelikale Populärkultur in dieser Tradition: »Evangelical negotiation of mainstream culture is in some ways a textbook example of how scholars [. . . ] have described the mechanics of popular culture: as a process of appropriation, of poaching on the terrain of the mass-culture industry« (13).
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Die enge Verbindung und teilweise begriffliche Gleichsetzung von Massenkultur und Populärkultur wurde in unterschiedlichen Kontexten diskutiert und meist negativ bewertet. Aus Perspektive der kritischen Theorie ist wohl Theodor Adornos und Max Horkheimers Schrift »Kulturindustrie: Aufklärung als Massenbetrug« die weitreichendste Kritik massenkultureller Produktionsformen. Diese seien homogen und folgten alle demselben Muster: »Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit« (144). Populärkultur ist in dieser Konzeption ein inhärenter Teil des kapitalistischen Systems, führt zur immer wiederkehrenden Affirmation desselben und interpelliert seine Konsumenten als passiv: »Für den Konsumenten gibt es nichts mehr zu klassifizieren, was nicht selbst im Schematismus der Produktion vorweggenommen wäre« (149). Hinsichtlich der breiten Rezeption und Verbreitung evangelikaler Populärkultur kann man sicherlich von einer evangelikalen Kulturindustrie sprechen, die ein konstitutiver Teil der US-amerikanischen Kulturindustrie ist. Hier ist etwa der Umstand zu nennen, dass evangelikale Produkte in nationalen Supermarktketten wie Wal-Mart sowie dem World Wide Web einem evangelikalen sowie einem nicht-evangelikalen Publikum offeriert werden. Des Weiteren führen populäre Formeln wie die Liebesgeschichte die Differenz ›religiös‹ als Verkaufsargument ein. In Skate Life analysiert Yochim mediale und ideologische Austauschprozesse zwischen der Jugend-Skate Kultur und dem US-amerikanischen Mainstream. Damit macht sie eben gerade darauf aufmerksam, dass die oft ökonomisch motivierten Austauschprozesse zwischen beiden Kulturen von der Dichotomie Subkultur/Mainstream nicht fassbar sind. Als begriffliche Weiterentwicklung schlägt sie vor: By referring to skateboarders as a corresponding culture, I am defining them as a culture that both is in constant conversation (or correspondence) with a wide array of mainstream, niche, and local media forms and finds various affinities (or corresponds) with these forms’ ideologies. Continuously in motion, a corresponding culture is a group organized around a particular lifestyle or activity that interacts with various levels of media – niche, mainstream, and local – and variously agrees or disagrees with those media’s espoused ideas. (4)
Yochims Begriff der »corresponding culture« beinhaltet auch, dass vermeintlich distinkte Subkulturen nicht statisch sind, sondern sich im Austausch mit anderen Kulturen verändern, weshalb ich die vielfältigen Phänomene der evangelikalen Populärkultur als corresponding cultures verstehe, da sich nominell evangelikale und nominell säkulare Kulturen ständig in einem Austauschprozess befinden. Die vorliegende Studie untersucht eben gerade die fließenden Übergänge zwischen identifikatorischen Selbstbeschreibungen sowie formalästhetischen und thematischen Aneignungen, Austausch- und Rückkopplungsprozessen. Ich frage deshalb einerseits, wie die evangelikale Populärkultur sub- und gegenkulturelle Positionen inszeniert, anderer-
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seits wie dabei auf massenkulturelle Formate zurückgegriffen wird. Damit gehe ich davon aus, dass die evangelikale Populärkultur ein Schnittpunkt ist, an dem politische Positionierungen, identitäre Grenzziehungen und kulturelle Austauschprozesse ausgehandelt werden. Die evangelikale Populärkultur wird also nicht auf ihre vermeintlich affirmativen oder subversiven Dimensionen analysiert, sondern es wird die Polysemie des Gegenstands in den Blick gerückt und auf die jeweilige kulturelle Arbeit, das politische Investment und ideologischen Grundannahmen untersucht. Der Kulturwissenschaftler John Storey merkt an, dass der Ideologiebegriff konzeptuell für denselben Bereich wie der Begriff der Populärkultur verwendet wird. Ideologie wird dabei u.a. als »a systematic body of ideas articulated by a particular group« oder als »false consciousness« der Konsument_innen bezeichnet (2, 3). Sara Ahmed beschreibt die kollektive Dimension eines falschen Bewusstseins und dessen naturalisierende Funktion: »It is not that an individual person suffers from false consciousness but that we inherit a certain false consciousness when we learn to see and not to see things in a certain way« (Promise 84). In Bezug auf die Arbeiten von Stuart Hall betont Storey die politische Dimension populärkultureller Formationen und Produktion, die »competing ideological significations of the way the world is or should be« bereitstellen (4). Louis Althusser unterscheidet mit seinem marxistisch geprägten Ideologiebegriff die Superstruktur theoretisch in den »Repressiven Staatsapparat« und mehrere »ideologische Staatsapparate« (n. pag.), die kapitalistische Produktionsverhältnisse in (Alltags-)Ideologien reproduzieren. Als Beispiele für ideologische Staatsapparate nennt er Schulen, die Familie, Religion und eben die Kulturindustrie, welche ihren jeweils eigenen ideologischen Strukturen entsprechend, Subjekte als zukünftige Arbeiter_innen in kapitalistischen Produktionsverhältnissen, Familienmitglieder, Gläubige oder Konsument_innen anrufen. Auf der Basis dieser Ideologiebegriffe verstehe ich die Konstruktionen von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur als intrakultureller Kommunikationsprozess, der, wie die Analysen zeigen werden, in seiner jeweiligen ideologischen Positionierung vielschichtige, politische und kulturelle Arbeit leistet und komplexe Austausch- und Rückkopplungsprozesse sowie Konvergenzen zwischen evangelikalen und säkularen Deutungsschemata manifestiert.
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2.3 (G ÖTTLICHE ) P RÄSENZ , IMPLIZITES W ISSEN UND EVANGELIKALE KONSTRUKTIONEN VON W EIBLICHKEIT Besonders kulturspezifische Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz und nicht bruchlos explizierbare Wissensbereiche übernehmen in der evangelikalen Populärkultur die Funktion, ideologische Konvergenzen zu ermöglichen sowie evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit für den nominell säkularen Mainstream sozial intelligibel und politisch anschlussfähig anzubieten. Meine Grundthese dazu lautet: Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz sind strukturiert von Formen des impliziten Wissens und konstruieren in ihrer Interdependenz Weiblichkeit an der Schnittstelle evangelikaler und nominell säkularer Diskursformationen sowie populärer und massenkompatibler Genrespezifika. Über Bezüge auf eine (intensive) Erfahrung (des Göttlichen) sowie Evokationen (vermeintlich) nicht gänzlich explizierbarer Wissensbestände werden diese Konstruktionen als nicht hinterfragbar affirmiert und ermöglichen komplexe Prozesse der intrakulturellen Kommunikation.15 Die Relevanz von Präsenzphänomenen als Gegenstand von Kultur-, Literatur- und Sozialwissenschaften wurde oft diskutiert, sowohl mit direktem Bezug auf den Begriff der Präsenz als auch mit Bezug auf ähnliche Konzepte. Beispiele sind etwa Betrachtungen des Ästhetischen als Aura oder Epiphanie,16 die Vorstellung von Exzess als Überschussphänomen sowie Beschreibungen von Transzendenz in Natur, Literatur und religiösen Formationen.17 Allen gemein ist der Verweis auf Modi intensiver Erfahrung, die scheinbar über ein bedeutungs- und sinnstiftendes Verständnis solcher Phänomene hinausgehen. Die (sprachliche) Beschreibung solcher Erfahrungen zeichnet sich meist über den Rückgriff auf Ökonomien der Präsenz aus. Dabei wird die Unmittelbarkeit und Plötzlichkeit der Erfahrung betont, der Unsagbarkeitstopos bemüht
15 | Die Studie ist im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs 1718 »Präsenz und implizites Wissen« entstanden. Sie leistet einen Beitrag zur Aufarbeitung der Interdependenz zwischen Präsenz und implizitem Wissen, indem kulturspezifische Formen und Funktionen von Diskursivierungen von Präsenz in der evangelikalen Populärkultur analysiert und die Differenzkategorie Geschlecht, damit verschränkte Differenzkategorien sowie deren impliziten Wissensbestände fokussiert werden. 16 | Zum Begriff der Aura vgl. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduktion. Zum Begriff der Epiphanie im Kontext neuerer Diskussionen um Präsenz vgl. Hans Ulrich Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik (111 ff.). 17 | In der Zusammenschau von Präsenzphänomenen spiegelt sich die eurozentrische Genealogie der theoretischen Überlegungen zu Präsenz. In An Aesthetic Education bietet Gayatri Spivak eine kreative Umdeutung des Begriffs des Ästhetischen.
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und eben gerade die Unzulänglichkeit hervorgehoben, die Erfahrungsgehalte in analytischen und rationalen Diskursen wiederzugeben. Eine prominente Stimme der jüngeren Debatte um Präsenz ist der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, der in Diesseits der Hermeneutik ein Verständnis von Präsenz entwickelt, welches auf ästhetisches und radikal subjektives Erleben gerichtet ist; auf Erfahrungen, die er als »Momente der Intensität« bezeichnet (118). Diese sieht er nicht in Zeichensystemen repräsentierbar. Er richtet seine Überlegungen zu Präsenz gegen die theoretischen Interpretationsmittel der Sinnkultur, wie die Hermeneutik und die Dekonstruktion. Diese seien nicht geeignet, um Präsenzeffekten in Literatur, Kunst, Sport und dem Alltag gerecht zu werden. Theoriepolitisch ist sein Programm als Gegenrede zum wohl einflussreichsten Kritiker metaphysischer Präsenz, dem Philosophen Jacques Derrida, einzuordnen. Dieser sieht Präsenz aus dekonstruktivistischer Sicht immer nur als Spur: »[D]ie Präsenz eines Elements ist stets eine bezeichnende und stellvertretende Referenz, die in einem System von und in der Bewegung einer Kette eingeschrieben ist« (Die Schrift 440). Gumbrecht dagegen sieht seine Kritik im Einklang mit einer von ihm postulierten Sehnsucht nach Präsenz in zeitgenössischer Kultur, die »in einer dermaßen mit Sinn gesättigten Welt fehlt« (Diesseits der Hermeneutik 126). In der vorliegenden Arbeit verwende ich Präsenz nicht, um auf die metaphysische Tradition des Begriffs zu verweisen – Theo Kobusch schreibt etwa, dass Präsenz philosophiegeschichtlich »zunächst die besondere Anwesenheitsweise Gottes in der Welt bezeichnet« (1259) – noch gehe ich von einer vermeintlichen Neukonturierung quasi-universeller Präsenz im Sinne von Gumbrecht aus.18 Vielmehr verwende ich Präsenz als Bezeichnung für kulturspezifische Diskursivierungen einer oftmals intensiver Erfahrung (des Göttlichen), welche, und darauf wird noch genauer Bezug genommen, in ihrer Verschränktheit mit Formen des impliziten Wissens analysiert werden. Präsenz fungiert in der evangelikalen Populärkultur als Dimension bestimmter kulturspezifischer Muster, die eine Erfahrung des Göttlichen diskursivieren und/oder explizit beschreiben: I felt the presence of God – felt the connection I’d been longing for over the past few years. I knew I was in the presence of Almighty God, and once again the tears flowed – more deep, cleansing tears. [...] I’d never experienced such an outpouring of personal, dynamic prayer. (Johnson 233-34)
18 | Mit der Analyse von diskursiven Artikulationen qualitativer Erfahrung beschäftige ich mich nicht mit ›Erfahrung an sich‹, noch gehe ich, wie John Dewey in »Qualitatives Denken« von einer Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärerfahrung aus.
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Die Protagonistin des Konversionsnarrativ Unplanned, das in Kapitel sechs detailliert analysiert wird, thematisiert die Präsenz des Göttlichen und beschreibt den Moment als herausgehobene Erfahrung, die von ihr als Moment der Wiedergeburt zur ›wahren‹ Christin und im Kontext des politischen Narrativs zur pro-life-Aktivistin gedeutet wird. In protestantischen Deutungsmustern und Theologien des 18. und 19. Jahrhunderts tauchen Beschreibungen religiöser Erfahrung als Präsenz immer wieder auf. So schreibt etwa Friedrich Schleiermacher in Über die Religion von 1799 aus erfahrungstheologischer Perspektive, dass die Religion in ihrem Wesen »weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl« sei und sich von »unmittelbaren Einflüssen [...] in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen« lasse (49). Er beschreibt Religion weiter als »Begierde«, »unmittelbare Wahrnehmung« und »Heftigkeit« (52, 54, 59). Rudolf Otto benennt in Das Heilige von 1918 den »Gegensatz von Rationalismus und tieferer Religion« als einen »eigentümlichen Qualitätsunter$ied (sic) in der Stimmung und dem Gefühlsgehalte des Frommseins selber« (3). Er beschreibt das Numinose als »einen Moment starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit« und stellt fest, »[w]er das nicht kann oder solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten, nicht weiter zu lesen« (8). Paul Tillich spricht in Wesen und Wandel des Glaubens von 1961 von Glaube als »Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht« (9). Der Psychologe William James beschreibt Religion als »the feelings, acts, and experiences of individual men in their solitude, so far as they apprehend themselves to stand in relation to whatever they may consider the divine« (31). Natürlich ist diese Aufreihung von Schlagworten kein differenzierter Umgang mit den aufgerufenen Werken, die religionshistorisch und theologisch in ihrer jeweiligen Spezifik betrachtet werden müssten.19 Für meine kulturwissenschaftliche Argumentationslinie genügt es allerdings, darauf aufmerksam zu machen, wie die Autor_innen in ihrer Beschreibung von Religion und Glauben durchgängig eben gerade auf die Nicht-Explizierbarkeit der Erfahrung von Transzendenz hinweisen und diese so präsentisch ausweisen. Andreas Nehring hat jüngst die dogmatischen Zuschreibungen diskutiert, die ein normatives Verständnis von Religion in der religionswissenschaftlichen Forschung kulturhermeneutisch und methodisch hervorbringt. Dabei betont er: »Meine These lautet nun, dass Präsenzerfahrungen, die als religiöse Erfahrungen gerahmt werden, als Diskursivierungen oder performative Setzungen von Präsenz beschreibbar sind« (344). Damit lenkt er den Blick weg von universalistischen
19 | Aus der protestantischen Binnenperspektive ist der Diskurs wohl Teil der theologischen Kodierung von Präsenzdiskursen. In »Von Gottes Gegenwart und der Ontologie der Präsenz« bietet Wolfgang Schoberth eine theologische Auseinandersetzung mit dem Präsenzbegriff.
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und erfahrungstheologisch begründeten Auffassungen religiöser Erfahrung und hin zu der diskursiven Verfasstheit von Erfahrungsbeschreibungen religiös konnotierter Transzendenz. Darüber hinaus fungiert Präsenz als ein »heuristischer Referenzbegriff für eine Vielzahl von Diskursen zu Präsenzphänomenen und Präsenzerfahrungen«, welcher »individuelle und kollektive Erfahrungen sowie Diskursivierungen und auch Inszenierungen« umfasst (Lösch und Paul 153). Der evangelikale Phänomenbereich ist in vielerlei Hinsicht überformt von kulturspezifischen Diskursivierungen von Präsenz als »Präsentifikation[en] im Sinne eines In-Szene-Setzens« (Ernst und Paul 12). Göttliche Präsenz ist dabei wie im obigen Beispiel zum einen thematisch, zum anderen wird sie, auf verschiedene Präsenzgenealogien aufbauend, diskursiv erzeugt. Neben der oben kurz nachgezeichneten, protestantischen Genealogie religiöser Präsenzerfahrung lassen sich auch kulturspezifische Bezugnahmen auf romantische Liebe als eine solche Genealogie verstehen (vgl. Lösch und Paul 167-72). Die Kultursoziologin Eva Illouz setzt die Erfahrung der Liebe und des Heiligen darüber hinaus in einen Zusammenhang, wenn sie in Bezug auf Durkheims religionssoziologische Überlegungen schreibt: [D]ie Sehnsucht nach einer Utopie, die den Kern romantischer Liebe bildet, weist tief reichende Affinitäten zur Erfahrung des Heiligen auf. Wie Durkheim gezeigt hat, ist diese Erfahrung nicht aus den säkularen Gesellschaften verschwunden, sondern hat sich aus der Sphäre der Religion auf andere kulturelle Bereiche verlagert. Einer dieser Bereiche ist die romantische Liebe. (Konsum der Romantik 34)
Im evangelikal konnotierten Diskursen doppeln und überlagern sich Inszenierungen der Präsenz der Liebe und des Göttlichen und anderer Erfahrungsbereiche. Fragen, die meine Analysen leiten, sind deshalb: Wie wird (göttliche) Präsenz in kulturellen Registern der evangelikalen Populärkultur diskursiviert und beschrieben? Wie wird (göttliche) Präsenz formal-ästhetisch inszeniert? Welche Erfahrungsbereiche plausibilisieren religiöse Erfahrung und wie sind beide Bezugnahmen miteinander vermischt? Wie werden Bezüge auf (göttliche) Präsenz in verschiedenen kulturellen Registern umkodiert? Beispielsweise werden herausgehobene sowie alltägliche Erfahrungsmomente häufig in Semantiken der Wiedergeburt und der romantischen Liebe diskursiviert. Bezüge auf die Präsenz der Liebe plausibilisieren dabei allerdings nicht nur religiöse Erfahrung und andersherum, sondern auch die Erfahrung von (evangelikaler) Weiblichkeit. Diese geschlechtsspezifische, implizite Strukturierung lässt sich schon in der
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theoretischen Auseinandersetzungen mit Präsenz erkennen. In seiner Aufzählung von Präsenzmomenten heißt es bei Gumbrecht etwa lapidar: Ich möchte es erreichen, daß die Studenten jenen Moment der Bewunderung (und vielleicht auch der Verzweiflung des alternden Mannes) durchleben oder wenigstens imaginieren, der mich ergreift, wenn ich den schönen Körper einer jungen Frau sehe, die neben mir vor einem jener Computer steht, die Zugang zu unserem Bibliothekskatalog verschaffen. (Diesseits der Hermeneutik 118)
Der Professor beschreibt so ein Präsenzerlebnis beim Anblick einer Frau, die als Benutzerin des Universitätskopierers, als Studentin oder jüngere Mitarbeiterin markiert ist.20 Gumbrechts Bezug auf Intensität mag ihn ergreifen, allerdings ruft er damit von ihm implizit gehaltene essentialisierende Differenzen auf, naturalisiert diese und schreibt sie letztendlich als nicht hintergehbar fort. Seine wissenschaftsprogrammatische Forderung, quasi-universalistische Präsenz als qualitativen Erfahrungsbegriff zu etablieren, der sich der theoretischen Interpretation entzieht, verdrängt die hegemoniale Wirkmächtigkeit intersektional zu denkender Vorstellungen von Alter, Status, Geschlecht und anderen Differenzkategorien sowie einer damit verbundenen Praktik des (lüsternen) Blickes, welche der Präsenzerfahrung vorausgeht und diese implizit begründet. Aus ideologiekritischer Perspektive muss daher gefragt werden, welche Formen des ›Otherings‹ in Diskursivierungen von Präsenz unausgesprochen bleiben. Die Religionswissenschaftlerin Elizabeth Castelli bemerkt zu Bezugsnahmen auf das Göttliche: »As soon as the divine is analogized to the human realm, gender emerges as a problem of both difference and power. Once that analogy has been mobilized, the two realms seem to oscillate endlessly back and forth, each reflecting and reinscribing the other’s claims« (4).21 Noch spezifischer bedeutet das also für meine Fragestellung: Wie konstruieren Bezüge auf Präsenz, die als transzendent und universal
20 | Gumbrecht schreibt weiter: »Übrigens ist dieser Moment nicht sonderlich verschieden von der Freude, die ich empfinde, wenn der Quarterback meiner Football-Lieblingsmannschaft (natürlich Stanford Cardinal) seine vollkommen geformten Arme ausstreckt, um einen Touchdown-Paß zu zelebrieren« (Diesseits der Hermeneutik 118). Dass Gumbrecht eine Präsenzerfahrung beim Anblick eines Quarterbacks beschreibt, erscheint mir als der unglückliche Versuch der Political Correctness, um dem Vorwurf des Sexismus zu entgehen. Allerdings wird die Benutzerin des Universitätskopierers aufgrund ihrer ›passiven Schönheit‹ als Beispiel genommen, der Quarterback wird für seine ›aktive sportliche Könnerschaft‹ bewundert. 21 | Für einen Einblick in genderwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Religion vgl. Ursula King.
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diskursiviert sind, Weiblichkeit und welche kulturelle, politische und ideologische Arbeit übernehmen diese Konstruktionen von Weiblichkeit? Um die kulturelle Arbeit von Präsenz in den populärkulturellen Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit differenziert beschreiben zu können, verfolge ich einen wissenstheoretischen Ansatz, der Präsenz und implizites Wissen in ihrer »epistemologischen Interdependenz« und in ihrem »wechselseitige[n] Abhängigkeitsverhältnis« betrachtet (Ernst und Paul 15). Ernst und Paul argumentieren, dass die »implizite Verfasstheit von Präsenz« darauf verweist, »dass Erfahrungen und Phänomene der Präsenz auf der Ebene einer impliziten Zugänglichkeit gegeben sind«. Gleichzeitig fungiert »implizites Wissen einerseits als Voraussetzung für Präsenzerfahrungen« konstituiert »andererseits aber die Realisierungsformen von implizitem Wissen als ›Präsentifikationen‹ die soziokulturelle Gestalt von Präsenzphänomenen«. In die andere Richtung gedacht, zeugt »die präsentische Verfasstheit von implizitem Wissen«, wie implizite Wissensbestände »in einem ›stummen‹ Sinne ›präsent‹« gedacht werden können und Präsenz »deshalb zugleich als eine Voraussetzung und als ein qualitativer Begriff zur Differenzierung dieser Realisierungsformen von implizitem Wissen angesehen werden« muss (15). Implizites Wissen wird meist als Dimension von Wissen charakterisiert, die in philosophischen Abhandlungen zu propositionalem Wissen, d.h. Wissen, das verbal explizierbar und auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfbar ist, bisher kaum oder nicht berücksichtigt wurde (Wieland 224-26, Ryle 225). In der begriffsbildenden Studie Implizites Wissen fasst Michael Polanyi seine Überlegungen in der bekannten Formulierung »daß wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen« zusammen (14). Aus wissenschaftssoziologischer Sicht kritisiert Polanyi dabei vor allem positivistische Vorstellungen von Wissenschaft und eine vermeintliche Objektivität des Wissens (31). Sein berühmtestes Beispiel ist aber wohl die Fähigkeit des Fahrradfahrens, das auf anschauliche Weise klarmacht, dass er implizites Wissen als praktische Könnerschaft fasst und ihm eine ermächtigende Funktion zuschreibt (Personal Knowledge 49-50). Polanyi bezieht sich damit auch auf die Unterscheidung zwischen einem knowing how und einem knowing that des Philosophen Gilbert Ryle. Dieser betont die Eigenständigkeit und Vorgängigkeit des Könnens: »knowledge-how cannot be defined in terms of knowledge-that and further, [. . . ] knowledge-how is a concept logically prior to the concept of knowledge-that« (225). Als Beispiel nennt er das Schachspielen, das in seiner Argumentation nicht nur auf zu lernenden Maximen beruht, sondern gerade darauf, diese in der Situation des Spiels gekonnt anzuwenden (225-6). Polanyi und
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Ryle weisen implizites Wissen so als eine Wissensform aus, welche konventionelle Konzeptualisierungen von propositionalem Wissen überschreitet und erweitert.22 In der vorliegenden Arbeit verwende ich implizites Wissen als Bezeichnung für kulturspezifische und sozial geteilte implizite Wissensbestände, die sich von eher starken Formen wie Körperwissen, Affekte und Emotionen bis zu eher schwachen Konzeptionen impliziten Wissens als Common Sense reichen. Dabei orientiere ich mich hauptsächlich an der Typologie der Soziologin Alexis Shotwell, die sich in feministischer Tradition mit »knowledge as a situated and invested category« beschäftigt (xv). In Knowing Otherwise bezieht sie sich ausdrücklich auf »other spheres than the words we say and the propositions we formulate« (ix). Sie verleiht damit der Idee Gewicht, dass implizite Formen des Wissens ein Teil jeder sozialen Erfahrung sind (ix-x) und subsumiert diverse philosophische Theorien, die sich auf das Implizite beziehen, mit ihrem Überbegriff »implicit understanding«: I distinguish among four different sorts of implicit understanding: practical, skill-based knowledge; somatic or bodily knowing; potentially propositional but currently implicit knowledge; and affective or emotional understanding. [. . . ] Although I distinguish the differences among these four kinds of understanding, I don’t think it is possible to think about them as though they were not intimately and necessarily connected. (xi)
Mit ihren vier Kategorien deckt sie sowohl Polanyis Kategorie der Könnerschaft als »skill-based knowledge« als auch eine Unterscheidung in starke und schwache Wissensformen ab. Allerdings macht sie wiederholt auf die wechselseitige Bedingungslogik impliziter Verständigungsprozesse aufmerksam. Sie beschreibt in diesem Sinne die Praktik der Fahrradreparatur zunächst als klassisches Beispiel für Können, das nicht allein propositional zu lernen ist, sondern nur über die eigene Praxis erworben und weitergegeben werden kann. Dann fügt sie hinzu, »[s]ocially situated embodiment is also complexly involved« (xiii) und verweist auf kulturhistorisch spezifische
22 | Auch neuere Auseinandersetzungen arbeiten mit dem Begriff des impliziten Wissens. Beispielsweise stellt Harry Collins in Tacit and Explicit Knowledge eine Typologie des impliziten Wissens auf. Neben »relational tacit knowledge« und »somatic tacit knowledge« (x) bietet er mit der Kategorie des »knowledge ›embodied‹ in society« (2) sowohl einen Anschluss an die soziale Teilbarkeit impliziter Wissensbestände als auch einen metaphorischen Verweis auf die Bedeutung des Körpers in Theorien des impliziten Wissens. Für einen Überblick zum Begriff und seine theoretischen Anschlüsse in verschiedenen Disziplinen vgl. die Sammelbände: Christoph Ernst und Heike Paul, Präsenz und Implizites Wissen sowie Frank Adloff, Katharina Gerund und David Kaldewey, Revealing Tacit Knowledge: Embodiment and Explication.
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Einschreibungen von Geschlecht, auf Grund derer Frauen normalerweise nicht in den Gebrauch von Werkzeug eingewiesen werden (xiii). Damit betont sie die immer schon verknüpfte Wirkungsweise nur konzeptuell zu trennender, starker und schwacher impliziter sowie expliziter Wissensformen und zeigt, dass eine rigide Trennung die Wirksamkeit impliziter Verständigungsprozesse in ihrer komplexen Alltäglichkeit nicht erfassen kann. Mit ihrer zweiten Kategorie des »knowledge people have at the intersection of their bodily and conceptual systems« bezieht sich Shotwell auf körperlich-sensorische Dimensionen sozialer Verständigung (xiii). Sie betont vor allem die politische Bedeutung inkorporierten, vergeschlechtlichten Wissens: This sort of somatic knowledge is bodily and social, and thus it is always political. Being gendered, for example, is intensely somatic while also complexly social and relational; feeling like a girl, a boy, or some genders we don’t have words for involves our corporeal sensorium and also a social uptake of our bodily ways of being in the world. While it may be tempting to think of bodily knowledge as somehow pre-social, pure, or free from enculturation, it is more precise to see how our felt experience of embodiment constellates social worlds with material realities. (xii)
»[F]elt experience of embodiment« (xii) ist somit immer Teil eines »enmeshed and thoroughly incorporated cultural understanding« (14), das nur in seiner kulturhistorischen spezifischen Bedingtheit und sozialen Teilbarkeit zu verstehen ist. Shotwells Überlegungen zu Verkörperung beziehen sich u.a. auf Bourdieus sozialkritische Theorie der Praxis. Bourdieu bestimmt die Praxis als den »Ort der Dialektik von opus operatum und modus operandi, von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Praxis, von Strukturen und Habitusformen« (Sozialer Sinn 98), wobei [d]ie Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, [...] die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen [erzeugen], die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungsund Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen [...].
Seine praxeologischen Überlegungen zum Habitus erfassen damit, wie inkorporierte Verhaltensmuster und Praktiken in kultur- und milieuspezifischen Gruppen erzeugt und reproduziert werden. Das Konzept des Habitus verwischt dabei konzeptuelle Grenzen zwischen Verkörperung und Diskurs, da sich Habitusformen in verschiedenen Registern sozialer Vergemeinschaftung reproduzieren, etwa als explizites Wissen über ›Hochkultur‹ oder als körperlich empfundener Geschmack. Im Gegensatz zur ermächtigenden Version des impliziten Wissens bei Polanyi zeigt sich am Beispiel des
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Habitus’ »the role of tacit knowledge in stabilizing and affirming, for instance, possibly oppressive social, political, and cultural hierarchies« (Paul, »Tacit Knowledge« 198). Shotwell bezieht den Modus verkörperter Erfahrung auf die Analyse sozialer Bewegungen: If we take seriously the idea that experiences are always embodied, that embodiment is always social, and thus that sensuousness is important to social movements, we might also begin to be able to address a range of ecstatic and socially created collective spaces. I am thinking of how bodily ecstasy in fundamentalist Christian spaces today can calcify a politically retrograde affective state – like Marxism, sensuousness is without guarantees. (148)
Damit rückt sie die Bedeutung verkörperter Wissensformen für konservative Formen der politischen Vergemeinschaftung in den Blickpunkt, im Speziellen die Bedeutung von verkörperter Erfahrung, Affekt und sensousness für christlich-fundamentale Gruppierungen. Auch aus Sicht der Performance Studies wird eine hierarchische Unterscheidung von sprachlich-schriftlichem Wissen sowie verkörperten Praktiken und anderen impliziten Wissensformen problematisiert. Als Kritik an einem eurozentrischen, kolonialistischen Wissensbegriff schreibt Diane Taylor in The Archive and the Repertoire: »The rift, I submit, does not lie between the written and spoken word, but between the archive of supposedly enduring materials (i.e., texts, documents, buildings, bones) and the so-called ephemeral repertoire of embodied practice/knowledge (i.e., spoken language, dance, sports, ritual)« (19). Sie bemerkt zur Wissensweitergabe in Registern kultureller Repertoires: »The repertoire requires presence: people participate in the production and reproduction of knowledge by ›being there,‹ being a part of the transmission« (25). Jill Stevenson beteuert eine solche Einsicht für den US-amerikanischen Evangelikalismus im Besonderen und betont die Bedeutung der Analyse von »strategies that evangelical performative media employ to reconfigure aesthetic information in ways that will support certain evangelical epistemologies« (3). Sie argumentiert: Like all dramaturgical systems, evangelical dramaturgy assumes certain interpretations of representation, realism, enactment, spectatorship, and presence, in order to achieve particular aesthetic, ideological, and experiential effects. Moreover, I contend that evangelical genres that utilize this dramaturgy do not merely represent theological concepts and depict biblical stories; rather, they confront users with vivid, sensual, and rhythmic experiences designed to foster embodied beliefs that respond to specific devotional needs and priorities. (4)
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Die performative Bedeutungsebene von Präsenz als performative Anwesenheit erweitert den Präsenzbegriff der Diskursivierung von qualitativer Erfahrung (des Göttlichen) und setzt ihn als Voraussetzung für die Weitergabe evangelikaler Wissensbestände. Als dritte Kategorie benennt Shotwell »potentially propositional but currently implicit knowledge« als »common sense« (30). Damit meint sie Verständigungen, die trotz komplexer Prozesse von racialization und gendering nicht hinterfragt werden und somit als von kultureller Differenz unmarkiert gelten (29-30). Trotz der Möglichkeit einer teilweisen sprachlichen Artikulation von Einschreibungen kulturhistorisch spezifischer Differenzen schreibt sie, »[i]n sometimes benign and sometimes troubling ways, this form of understanding goes without saying or is contingently unspeakable« (xii). Sie betont, dass gerade die Kategorie des Common Sense »delineates implicit epistemic frameworks, which turn out also to be the grounds for ideology’s connections to culture« (30). Stuart Hall und Alan O’Shea setzen implizite Formen des Wissens in einen genuin politischen Kontext, wenn sie schreiben: »The battle over common sense is a central part of our political life«. Common Sense sehen sie dabei ideologisch wirksam erstens als »form of ›everyday thinking‹ which offers us frameworks of meaning with which to make sense of the world« sowie zweitens als »form of popular, easily-available knowledge« (»Common-Sense« 8). Dadurch ergebe sich die Illusion, dass sich solche Gewissheiten scheinbar intuitiv und ohne Reflektion einstellten sowie direkt aus der Erfahrung sprängen. Shotwell theorisiert mit ihrer vierten Kategorie des »affective and emotional understanding« (xi) Affekte und Gefühle als Formen impliziter Verständigung. [T]he category of affect and feeling can be understood as a kind of implicit understanding, not fully or generally propositional or considered a kind of knowledge. »Affect« is increasingly coming to name a previously under-theorized dimension of racial formation, queerness, gendered norms, and class delineations. I understand affect and its relations – emotions and sensibilities among other labels – to name nonpropositional but energetic and moving feelings that texture and tone our experience. Sometimes these feelings have conventionally accessible labels like »happy« or »sad« and sometimes they are inchoate and slippery, suffusing or torquing our experience. (xii)
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Damit rückt u.a. die implizite Gewissheit der Unmarkiertheit von Weißsein in den Fokus.23 Sie durchdenkt dadurch, die Möglichkeit über negative Affekte wie white shame politische Transformationen in Gang zu setzen. Auch Paul wendet Affekte als Form von implizitem Wissen auf die kulturspezifische Konstitution von Rassismus und rassistischer Praktiken in den USA an. Sie betont insbesondere die Signifikanz einer Form von Ideologiekritik, welche die epistemologischen, impliziten Strukturierungen hegemonial wirkmächtiger racial formations in den Blick nimmt: In the context of critical race studies, the category of tacit knowing enables us to address ›race‹ and racism beyond – or rather beneath – the logic of representation, but to do so calls for a thorough consideration of the specific cultural framework that pre-structures racializing social practices. (»›Race,‹ Racism« 268)
Ihr Rahmenbegriff eines kulturspezifischen, impliziten Wissens betont darüber hinaus die Wirkmächtigkeit sinnlicher und affektiver Gewissheiten heraus, wenn sie schreibt, dass Rassismus und rassistische Praktiken »[are] more than skin deep« (»›Race,‹ Racism« 282). Auch aus soziologischer Perspektive wird auf die enge Verknüpfung des emotionalen Wissens und des Körperwissens sowie die nicht-reflexive, nichtsprachliche Zugänglichkeit dieser impliziten Verständigung und Dispositionen verwiesen. In diesem Sinne bindet Illouz die Wirkmächtigkeit von Emotionen wiederum an den Habitusbegriff von Bourdieu. Sie beschreibt »[e]motionale Felder« sowie den darin als Kapital wirkenden »emotionale[n] Habitus« wie folgt (Gefühle 97): Mehr noch als traditionelle Formen des kulturellen Kapitals – etwa die Weinprobe oder die Vertrautheit mit Hochkultur – scheint das emotionale Kapital die am wenigsten reflexiven Züge des Habitus zu mobilisieren. Es existiert in »Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus« und ist der am stärksten »körpergebundene« Teil des inkorporierten Kulturkapitals. (Gefühle 98)
Auch wenn ich mich in der Arbeit primär auf evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit beziehe, sind implizite Wissensbestände um Geschlecht immer schon mit Differenzkategorien wie race und Klasse verschränkt und als affektives und inkorporiertes Kapital in gesellschaftspolitischen Strukturen wirkmächtig.
23 | Ruth Frankenberg verweist auf die implizit wirkmächtigen Dimensionen von whiteness, wenn sie Weißsein als »a set of cultural practices that are usually unmarked and unnamed« bezeichnet (1).
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Wenn also die evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit von impliziten Wissensbeständen strukturiert sind, stellt sich darüber hinaus auch die Frage, wie religiös kodierte implizite Wissensbestände analytisch erfasst werden können: Nehring schreibt dazu: »Implizites religiöses Wissen ist daher nicht in seinen möglichen Explikationen (Texte, Aussagen, Dogmen) zugänglich, sondern nur indirekt durch seine Wirkungen und in performativen Akten, in denen es sichtbar wird« (363). In seinen beispielhaften Ausführungen zur »Christian Religious Ideology« (n. pag.) beschreibt Althusser das Ritual der Verbeugung als körperliche Interpellation eines devotionalen Subjekts. In diesem Sinne schreibt sich die Ideologie der Religion in den Körper ein und wird als implizites religiöses Wissen um die richtige Körperhaltung in devotionalen Akten wirksam. Darauf aufbauend lässt sich ein ideologiekritischer Zugang auf die evangelikale Populärkultur formulieren, der zu zeigen vermag, dass die kulturellen Praktiken und diskursiven Formationen repressive Formen der ideologischen Interpellation an Konstruktionen von Weiblichkeit anbinden. Der Anschluss an Althussers Ideologiebegriff bietet auch die Möglichkeit zu erfassen, wie der religiöse Körper der Frau seine kulturelle Wirkmächtigkeit in jeweils verschiedenen ideologischen Staatsapparaten als Tochter, Mutter, Konsumentin und body politic entfaltet. Konstruktionen von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur werden epistemologisch intelligibel und anschlussfähig über kulturspezifische und sozial geteilte Formen des impliziten Wissens. Ich gehe dabei von Wissensformen aus, die von Körperwissen über Affekte und Emotionen zu scheinbar nicht markierten Konzeptionen von Common Sense reichen. Die verschiedenen Wissensbestände bekommen ihre Wirksamkeit über ihre nicht bruchlos explizierbare Durchdringung und komplexe Verhandlung von Geschlecht, race sowie anderer Differenzkategorien. In diesem Sinne übernehmen implizite Wissensbestände in der evangelikalen Populärkultur die Funktion, geteilte Verständigungen um normative Weiblichkeit, die Nation und den US-amerikanischen Exzeptionalismus zu evozieren, die nicht expliziert werden müssen, um ihre kulturelle Bedeutung zu entfalten, beziehungsweise deren ideologische Grundannahmen, mit Shotwell gesprochen, unaussprechbar sind. Dabei wird Erfahrung und Rezeption in kultur- und gruppenspezifischer Art und Weise geordnet, was einerseits die Funktion intrakultureller Kommunikation übernimmt, andererseits eine ideologische und affektive Kohärenz entwickelt. In Bezug auf den Kulturbegriff der Arbeit verweisen implizite Wissensbereiche somit auf Momente der correspondence, verstanden als Übereinstimmung, Ähnlichkeit oder Moment des intrakulturellen Wissensaustausches. In Rückgriff auf meine vorhergehenden Überlegungen zu Präsenz, beruhen dabei eben gerade die Präsentifikationen intensiver Erfahrungsdimensionen (des Göttlichen) auf Formen des impliziten Wissens sowie konstruieren Weiblichkeit an der Schnittstelle kulturspezifisch und intrakulturell teilbaren Diskursformationen
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und Genrespezifika. Wie sich zeigen wird, sind es im Besonderen nicht bruchlos explizierbare affektive Wissensbestände um die Nation, normative Geschlechterrollen und hegemoniale Konstruktionen von whiteness, welche die kulturellen, medialen und ideologischen Austausch- und Rückkopplungsprozesse zwischen einem ›evangelikalen‹ und einem nominell säkularen US-Amerika ermöglichen. Um also insbesondere die affektiven Wirkungsweisen der evangelikalen Populärkultur analysieren zu können, beschäftige ich mich im nächsten Teilkapitel mit dem Begriff des religiösen public feelings. Ich schlage vor, dass es gerade Präsentifikationen (religiöser) Gefühle sind, welche die soziale, kulturelle und politische Wirkmächtigkeit impliziter Verständigungsprozesse affirmieren, immer wieder naturalisieren und als wiederholte Artikulationen einer Präsenz (des Göttlichen) unmarkiert bleiben.
2.4 R ELIGIÖSES P UBLIC F EELING In Untersuchungen des US-amerikanischen Evangelikalismus sind immer wieder auf die fließenden Übergänge zwischen religiöser Erfahrung und öffentlicher Bekundung hingewiesen worden. Die beinah konstitutive Konversion zum Beispiel, welche als eine persönliche Gotteserfahrung beschrieben wird, wird über die Praktik der Beglaubigung in verschiedenen Formen von Vergemeinschaftung inszeniert; man kann hier an Wiedergeburtsbekundungen in Kirchengemeinden, Konversionsnarrative in Zeitschriften und Büchern sowie an die Praktik des witnessing u. ä. denken. Auch für die Konstellation der evangelikalen Familie als Ort der religiösen und gesellschaftlichen Sozialisation schreibt Sally Gallagher: »Although a family’s experience may feel private, the organization of employment, education, and government all affect and are affected by what we do and think about in this private sphere« (4). Beispielsweise wird im Ehe- und Sexratgeber The Act of Marriage von Beverly und Tim LaHaye sexuelle Intimität in der Ehe als »sacred« beschrieben (19). Gleichzeitig erhält der Ratgeber seine kulturelle Bedeutung im ausgerufenen Kulturkampf, da er, als Antwort auf angebliche säkulare Angriffe auf die Institution der Ehe, Sexualität in der christlichen Ehe als einzige legitime Version von Intimität proklamiert. Linda Kintz bemerkt, dass eine vermeintlich rationale, säkulare Perspektive die politische Wirkmächtigkeit christlicher Konstruktionen von Gefühl und Intimität nicht erfassen könne: In part because of secular analyses that too often coded feeling and spirituality as irrational and feminized, religious conservatism and its understanding of media have been able to appropriate feeling in the interests of masculine privilege in a way that often leaves secular critics unable
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to understand quite what happened. Part of what happened is that absolutist Christianity has situated meaning in the heart of Christ rather than the head of Men, continuing a rhetorical tradition that has long been a part of American religious discourse. (Between Jesus 18)
Sie spricht weiter von der »construction of feelings of sacred intimacy« (17), um die besondere Rolle konservativer Frauen in Bestrebungen gegen das Abtreibungsrecht, LGBT-Aktivismus und Sexualerziehung zu erfassen. Dies nennt sie eine »pedagogy of familiarity« (19), die evoziert sei »through affect, through the strong emotions and feelings that are experienced as enigmatic and inarticulable« (17-8). Sie verwendet weiter die Metapher der Resonanz und bezeichnet damit »the intensification of political passion in which people with very different interests are linked together by feelings aroused and organized to saturate the most public, even global, issues« (6). Auch Ann Pellegrini erkennt die herausgehobene Wirkmächtigkeit von Gefühlen in evangelikalen Diskursformationen. In Bezug auf Williams Begriff der »structures of feelings«24 spricht sie von »Structures of Religious Feeling« (911) und bezieht sich auf das, was sie als »religious affect and the politics of feeling in the contemporary United States« (911) benennt. In einer dichten Analyse von hell houses spricht sie davon, dass evangelikale Spukhäuser »can actually give us insight into the way Hell House’s structures of religious feeling meet up with – find resonances with – the larger feeling culture not just of evangelicals but of the U.S. public square more broadly« (919). Mit Kintz und Pellegrini gesprochen lässt sich also attestieren: evangelikales feeling matters, um die ideologischen Strukturierungen und Konstruktionen von religiöser Intimität und Weiblichkeit in populärkulturellen Verhandlungen von Religion, romantischer Liebe, der Familie und der Nation zu verstehen. In dem berühmtem Aufsatz »Civil Religion in America« beschreibt der Soziologe Robert Bellah den ersten Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung wie folgt: »The principle of separation of church and state guarantees the freedom of religious belief and association, but at the same time clearly segregates the religious sphere, which is considered to be essentially private, from the political one« (2). Indem Bellah so die vermeintlich klare Trennung zwischen privater Religion und politischer Öffentlichkeit bemüht, bereitet er seine einflussreiche Überlegung zur US-
24 | Mit »structures of feeling« bezeichnet Williams »meanings and values as they are actively lived and felt« sowie »characteristic elements of impulse, restraint, and tone; specifically affective elements of consciousness of a present kind, in a living and interrelating continuity« (132). Darüber hinaus betont er insbesondere für scheinbar abgeschlossene Formate wie Literatur und Kunst, dass die »idea of a structure of feeling [...] is a way of defining forms and conventions in art and literature as inalienable elements of a social process« (133).
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amerikanischen Zivilreligion (civil religion) als »religious dimension for the whole fabric of American life, including the political sphere« vor (3). Er attestiert für ein bestimmtes »set of beliefs, symbols, and rituals« eine Bindekraft für die Gesellschaft (3), welche, jenseits konfessioneller Gottesvorstellungen, quasi-religiöse Bezüge auf die Nation ermöglicht. Diese öffentlich inszenierten »religious sentiments« beruhten auf »deep-seated values and commitments that are not made explicit in the course of everyday life« (5, 2). Sein Verweis auf die implizite Verfasstheit solcher »values and commitments« fasst zivilreligiöse Vergegenwärtigungen der Nation somit zum einen als Präsentifikationen impliziter Wissensbestände, die nicht sprachlich expliziert werden müssen, um als Kohärenzfiktion der US-amerikanischen Nation wirksam zu werden. Zum anderen eröffnet die Beschreibung von Zivilreligion als religious sentiment den Anschluss an affekttheoretische Überlegungen. Paul betont die Überschneidung von individueller Erfahrung und sozial verständlichen Erklärungsmustern in zivilreligiösen Ausdrucksformen »that create within a group (i.e., the ›nation‹) a semiconscious yet deeply affective bond [...] which can be experienced and articulated as a kind of public feeling« (»Tacit Knowledge« 211). Der Begriff public feeling wurde im Rahmen affekttheoretischer Arbeiten von Wissenschaftler_innen wie Sara Ahmed, Lauren Berlant, Ann Cvetkovitch, Deborah Gould, Ann Pellegrini, Kathleen Stewart und anderen geprägt. Das Bezugssystem kennzeichnet sich dabei durch eine Dopplung. Es nimmt zum einen in den Blick, wie sich ›etwas anfühlt‹ (»how it feels«); zum anderen wie Emotionen, Gefühle und Affekte in sozialen und kulturellen Zusammenhängen erzeugt werden (»how [. . . ] feelings are produced by social forces«) (Cvetkovitch, Depression 14).25 Public feeling kennzeichnet dabei auf der Ebene des Phänomenbereichs die Wirkmächtigkeit von Gefühlen, Affekten und Emotionen jenseits einer engen Auffassung von Privatheit und bietet auf der Ebene der Analyse theoretische Bezüge für eine ideologiekritische Perspektive auf evangelikale Gefühlsformationen. Cvetkovitch und Pellegrini benennen allgemein die Zentralität von Gefühlen in gesellschaftlichen Zusammenhängen folgendermaßen:
25 | Im Rückgriff auf Cvetkovitch verwende ich »affect in a generic sense, rather than in the more specific Deleuzian sense, as a category that encompasses affect, emotion, and feeling, and that includes impulses, desires, and feelings that get historically constructed in a range of ways [. . . ]« (Depression 4). Mit Illouz gehe ich davon aus, dass Emotionen »zutiefst internalisierte, nicht-reflexive Aspekte des Handelns [sind], aber nicht, weil sie nicht genug Kultur oder Gesellschaft in sich enthalten, sondern weil sie zuviel davon in sich tragen« (Gefühle 11).
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The construction of personal life within modern culture has been accompanied by a conception of emotion as central to what it means to have a private life. The keywords of this special issue might thus strike some as an unusual, even oxymoronic, coupling. In joining »public« to »sentiments,« however, we aim to challenge the idea that feelings, emotions, or affects properly and only belong to the domain of private life and to the intimacies of family, love, and friendship. The essays gathered here rather call attention to the range of ways in which feelings are central to public life, from the deployment of affect to produce national patriotism, to the rallying of audiences on behalf of social forms of oppression and violence, to passionate calls for activism. (n. pag.)
Die Zusammenschau auf vermeintlich privat empfundene Gefühle und Formen des öffentlichen Ausdrucks stellt dabei die binären Oppositionen privat/öffentlich sowie emotional/rational in Frage. Auch die impliziten geschlechtsspezifischen Zuschreibungen von Weiblichkeit an Emotionen und die private Sphäre sowie Männlichkeit an die Öffentlichkeit und Politik werden dabei kritisch hinterfragt. So thematisieren die Autor_innen »a long association between emotions and ›the feminine‹« (n. pag.) und setzen feministische Forschungen als einen zentralen Bezugspunkt ihrer Überlegungen. Die queer-feministisch geprägte Theoriebildung des public feeling-Paradigmas baut weiter teilweise auf Jürgen Habermas’ Habilitationsschrift Strukturwandel der Öffentlichkeit auf. Darin beschäftigt sich Habermas bekanntermaßen mit der Herausbildung eines Idealtypus der bürgerlichen Öffentlichkeit in europäischen Staaten der frühen Moderne. Er beschreibt die bürgerliche Öffentlichkeit als einen kommunikativen Raum, der geprägt ist von rational-kritischer Beratung zwischen Privatleuten, die trotz Standesunterschieden als ebenbürtige Teilnehmer über gemeinsame Anliegen diskutieren, um zu einem Konsens zu gelangen. Als eine der Hauptfunktionen der bürgerlichen Öffentlichkeit beschreibt Habermas Formen der Publizität, welche idealiter den Staat dazu veranlassen, der Gesellschaft gegenüber haftbar zu bleiben. Die Politologin Nancy Fraser verdeutlicht die Grundannahmen der bürgerlichen Öffentlichkeit mit der Metapher des Theaters und betont Habermas’ klare Unterscheidung von bürgerlicher Öffentlichkeit, Staat und wirtschaftlicher Sphäre (110-1). In Aufarbeitung revisionistischer Geschichtsschreibung betont Fraser die Exklusionsmechanismen von Habermas’ Konzeption der bürgerlichen Öffentlichkeit, die zum einen zeitgleiche »competing public spheres« nicht beachtet (115), zum anderen normative Konstruktionen von Gender, race und Klasse mitträgt: »There is a remarkable irony here, one that Habermas’s account of the rise of the public sphere fails fully to appreciate. A discourse of publicity touting accessibility, rationality, and the sus-
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pension of status hierarchies is itself deployed as a strategy of distinction« (115). Habermas’ bürgerliche Öffentlichkeit exkludiert somit zum einen Frauen, besonders nicht-bürgerliche sowie nicht-weiße Frauen und Männer und setzt Rationalität, trotz eurozentristischer und maskuliner Zuschreibungen, als universelle Form der Kommunikation.26 Dagegen bezeichnet die Kulturtheoretikerin Berlant in ihrem mehrteiligen »national sentimentality« Projekt das Aufkommen der US-amerikanischen politischen Sphäre als »affective space« (Female Complaint x) und konzeptualisiert Öffentlichkeiten als intim: »What makes a public sphere intimate is an expectation that the consumers of its particular stuff already share a worldview and emotional knowledge that they have derived from a broadly common historical experience« (Female Complaint viii). Damit betont sie die affektive Dimension sowie die Gleichzeitigkeit verschiedener Öffentlichkeiten, welche bezüglich ihres hegemonialen Status entweder als dominante Öffentlichkeit oder als counterpublics zu verstehen sind. Ausgehend von ihrem ersten Band The Anatomy of National Fantasy27 durchdenkt sie in The Female Complaint, wie sich seit den 1830er Jahren die »intimate public sphere of femininity« als »the first subcultural, mass-mediated, market population of relatively politically disenfranchised people in the United States« konstituierte (xii). Sie interessiert sich dabei insbesondere für die anhaltende Wirkmächtigkeit sentimentaler Diskurse im Ausdruck hegemonialer Weiblichkeitskonstruktionen. In The Queen of America Goes to Washington überträgt sie die Überlegungen auf die US-amerikanische Nationalkultur und entlarvt intime Diskurse über »pornography, abortion, sexuality, and reproduction; marriage, personal morality, and family values« als ideologische Kohärenzdebatten in der zeitgenössischen »world of public intimacy« der USA (1).
26 | In der Einführung seiner Habilitationsschrift in der Ausgabe von 1990 geht Habermas auf die Kritik ein und schreibt in Bezug auf feministische Kritik an den Exklusionsmechanismen seines Begriffs der bürgerlichen Öffentlichkeit: »Daran zeigt sich, daß die Exklusion der Frauen für die politische Öffentlichkeit auch in dem Sinne konstitutiv gewesen ist, daß diese nicht nur kontingenterweise von Männern beherrscht wurde, sondern in ihrer Struktur und in ihrem Verhältnis zur Privatsphäre geschlechtsspezifisch bestimmt gewesen ist. Anders als der Ausschluß der unterprivilegierten Männer hatte die Exklusion der Frauen eine strukturbildende Kraft« (19). 27 | In The Anatomy of National Fantasy beschreibt Berlant den politischen Raum der USA als »National Symbolic« (5). Damit fasst sie die kollektiven und unmarkierten Symbole, welche es »national subjects [that] share not just a history, or a political allegiance, but a set of forms and the affect that makes these forms meaningful« ermöglichten, die Literatur von Nathaniel Hawthorne zu rezipieren (4).
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Kritik an Habermas’ klassischer Arbeit zur Öffentlichkeit konturiert sich auch entlang seiner »insufficient attention to religion« (Mendieta und Vanantwerpen 3). So macht Craig Calhoun auf Habermas’ »neglect of religion« und seine »antireligious assumptions« aufmerksam (35, 36); einen Umstand, den er auf Habermas’ aufklärerisch geprägte Vorstellung von fortschreitender Säkularisierung als Begründungsmodus für Rationalität rückbezieht (35-6).28 Auch einflussreichen Definitionen von Religion ist eine Trennung zwischen individuellem Gefühl und kollektiver Öffentlichkeit eingeschrieben. Wie schon im Kapitel zu Präsenz aufgerufen, beschreibt James Religion als »the feelings, acts, and experiences of individual men in their solitude, so far as they apprehend themselves to stand in relation to whatever they may consider the divine« (31). James verortet religiöses Gefühl so in der individuellen subjektiven Erfahrung und prägt eine normative »distinction, which has had repercussions in the study of religion up to the present, [and which] reaffirms the Cartesian split between body and mind« (Meyer 159). Die Anthropologin Birgit Meyer problematisiert die Trennung anhand der vermeintlichen Trennlinie privat und öffentlich: »[I]n James’s perspective religious feelings and experiences are by definition private, subjective, and primary, whereas religious organizations such as churches and their doctrines and practices are regarded as secondary« (159). In Abgrenzung dazu betont sie, dass »the disposition of the lonely individual in search of God is part and parcel of a discursive, and hence shared, cultural construction« (159).29 Damit macht sie auf die soziale Teilbarkeit religiöser Gefühle aufmerksam und beschreibt die Weitergabe, analog zur Wissensweitergabe kultureller Repertoires, in kollektiven Ritualen. So überschneidet sich auch in religiösen Gefühlen die Erfahrung eines individuellen Gefühls mit sozial intelligiblen Deutungsmustern. Gefühle, Affekte und Emotionen prägen insbesondere populärkulturelle Formationen. Cvetkovitch und Pellegrini designieren populäre Massenkultur dahingehend ganz allgemein als »an arena in which feeling has been especially visible, a corner-
28 | Im Band The Power of Religion in the Public Sphere nennt Habermas den Begriff des Politischen eine »Questionable Inheritance of Political Theology« (15) und diskutiert »whether we can give a rational meaning to the ambivalent concept of ›the political‹« (17). 29 | Meyer führt den Begriff der »sensational forms« ein und betont die zweifache Bedeutung der Sensation: »[F]eeling and the inducement of a particular kind of excitement« (160). Weiter schreibt sie, dass sensational forms »subject to social construction and power structures« seien und »transmitted and shared; they involve religious practitioners in particular practices of worship and play a central role in forming religious subjects. Collective rituals are a prime examples of sensational forms in that they address and involve participants in a specific manner and induce particular feelings« (160).
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stone of mechanisms for entertaining, shocking, and moving audiences« (n. pag.). Aber auch über die Bedeutung von Gefühl als Form des populärkulturellen pleasures hinaus zeigt sich die enge Verbindung zwischen Gefühlen und kapitalistischen Prozessen. Illouz benennt die Kultur des »emotionalen Kapitalismus« (Gefühle 13) als konstitutiv für die soziologische Erzählung der Moderne. In dieser formten sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig [...], um so jene breite Bewegung hervorzubringen, die Affekt einerseits zu einem wesentlichen Bestandteil ökonomischen Verhaltens macht, andererseits aber auch das emotionale Leben – vor allem das der Mittelschichten – der Logik ökonomischer Beziehungen und Austauschprozesse unterwirft. (Gefühle 13)
Auch kulturspezifisch für den US-amerikanischen Kontext lässt sich eine Genealogie zwischen Vorstellungen von Konsum, Weiblichkeit und Massenkultur ziehen. In der wegweisenden Studie The Feminization of American Culture interpretiert Ann Douglas viktorianische Frauenkultur als Vorreiter der modernen Massenkultur und zeigt auf, wie sich weiße, protestantische Mittelklassefrauen als »religious force« verstanden. Dabei erkennt sie diese als Konsumentinnen und Autorinnen und betont »they were as involved with the method of consumption as with the article consumed« (9). Die Historikerin Bethany Moreton zeigt eine solche enge Übereinkunft von geschlechtsspezifisch kodiertem Konsum, evangelikaler Kultur und Kapitalismus in der Gegenwart. Sie spricht in To Serve God and Wal-Mart von der »Wal-Mart Mom« (1), die sie am Schnittpunkt von christlicher Einstellung, politisch-konservativer Identität und ökonomisch-liberaler Marktwirtschaft als tragend für den Erfolg des Unternehmens positioniert. Darüber hinaus zeichnet sie die Entwicklung des Großsupermarkts historisch nach und schreibt, »[f]or the emerging Wal-Mart constituency, faith in God and faith in the market grew in tandem, aided by a generous government and an organized, corporate-funded grassroots movement for Christian free enterprise« (5). In diesem Sinne naturalisieren Bezüge auf religiöses Gefühl nicht nur die evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit, sondern auch die Praktik des Konsums als Praktik des Glaubens. Wenn der vorliegende Band also grundsätzlich die Frage danach stellt, wie die evangelikale Kulturindustrie als religiöses public feeling fungiert, stellt sich auch die Frage danach, wie die evangelikale Kulturindustrie Konsument_innen über die Praktik des Konsums als religiös interpelliert. In ihrer Arbeit zur sozialen Pathologisierung von Depression fragt Cvetkovitch »How does capitalism feel?« (Depression 5) und denkt darüber nach, wie Depression im Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Strukturen steht. Für die vorliegende Arbeit lässt sich in Erweiterung dieser Frage überlegen: How does religious capitalism feel? Und wie hängt der
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Schnittpunkt von Konsum und Kapitalismus, Religion und Emotion zusammen mit den evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit, öffentlicher Intimität und der Nation? In der vorliegenden Arbeit übernehme ich den Begriff public feeling also, um zu analysieren, wie populärkulturelle Inszenierungen religiöser Gefühle in der evangelikalen Populärkultur kulturell wirkmächtig, sozial intelligibel und politisch anschlussfähig werden. Die evangelikalen Gefühlsformationen kristallisieren sich anhand verschiedener Dimensionen und auf verschiedenen Ebenen heraus. So manifestiert sich religiöses public feeling besonders im kulturellen Repertoire von (göttlicher) Intimität und wird evangelikal vereindeutigt über die Konstruktionen von Weiblichkeit als hingebungsvoll, liebend, ergeben und aufopfernd sowie ermächtigt. In seiner populärkulturellen Bereitstellung wird das religiöse Gefühl darüber hinaus verkauft und konsumbierbar bereitgestellt. Aus ideologiekritischer Perspektive verweist religiöses public feeling auf kulturell wirkmächtige Ängste um normative Weiblichkeit und fungiert dabei als affektive Anrufung, Weiblichkeit zu naturalisieren und zu disziplinieren. Der Dreischritt – Präsenz, implizites Wissen und religiöses public feeling – bietet die Möglichkeit paradigmatisch einen Lesemodus aufzuspannen, der sich auf komplexe Austausch- und Rückkopplungsprozesse zwischen Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz und impliziten Wissensbeständen um Geschlecht, Religion und anderer Differenzkategorien fokussiert. Public feeling »appears as a paradigmatic instance of the presentification of tacit knowledge and as a culturally specific, socially intelligible way of expressing emotions that creates an intersubjective realm in which these feelings appear to be naturally shared and exchanged« (Paul, »Tacit Knowledge« 198). Im evangelikalen Repertoire von (göttlicher) Intimität plausibilisieren, intensivieren und transzendieren Diskursivierungen von Präsenz die damit verschränkten – oft implizit wirkenden, implizit verhandelten und/oder implizit gefühlten – Wissensbestände um Weiblichkeit und Intimität. Manifestationen von religiösem public feeling behaupten dabei – in Erweiterung eines Blickes auf die evangelikale Populärkultur als Abgrenzungs- und Selbstverständigungsdiskurs – ideologische Kontinuitäten von hegemonialen Konstruktionen von Weiblichkeit und werden in Form von corresponding feelings mit der Funktion von Missionierung, Bekehrung und Verführung auch außerhalb der religiösen Zugehörigkeit wirkmächtig.
3 »Against the Tide«: Evangelikale ›Keuschheit‹
Im Ratgeberbuch Against the Tide: Raising Sexually Pure Kids in an »AnythingGoes« World beklagen Beverly und Tim LaHaye eine vermeintliche Kultur sexueller Freizügigkeit in den USA und bieten aus einer evangelikalen Perspektive Abhilfe für »this nearly universal concern parents have for their children’s well-being« (19).1 Sie behaupten: Since the sex drive is so powerful in all of us, particularly between the ages of fourteen and twenty-four, it is often a parent’s greatest worry. Several times after performing weddings, I have heard the mothers of the brides say, »Thank God they are married; now I can relax!« It is obvious what they were afraid of – that their daughters might succumb to sexual temptation and either ruin their lives or start their marriage off with much harmful and unneeded baggage. (19)
Auch an anderen Stellen des Ratgebers artikulieren sie die angeblich ›universelle‹ Sorge, dass Jugendliche bis zur Eheschließung nicht sexuell enthaltsam blieben und plausibilisieren diese über den als natürlich gesetzten Sexualtrieb im jugendlichen Alter. Dieses kurze Beispiel soll verdeutlichen, wie religiös motivierte voreheliche, sexuelle Abstinenz über Bezüge auf vermeintlich ›natürliche‹ Gefühle verhandelt wird. Against the Tide beginnt mit einem allgemeinen Teil und bietet am Ende in verschie-
1 | Die LaHayes sind aus einer Reihe an Kontexten bekannt, beispielsweise als gemeinsame Autor_innen des Bestsellers The Act of Marriage (1978). Tim war zudem Mitglied des ersten Ausschusses der sog. Moral Majority und Ko-Autor der populären Left Behind-Bücher. Beverly ist Mitbegründerin von Concerned Women for America, einer konservativen Frauenorganisation, die der sog. pro-family-Lobbyarbeit gewidmet ist.
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denen Kapiteln Gesprächsvorlagen für die sexuelle Aufklärung von Mädchen und Jungen. Schon die scheinbar alltägliche Anekdote, dass Mütter am Tag der Hochzeit ihrer Töchter vor allem Erleichterung verspürten, zeigt allerdings, wie sich die evangelikale Gefühlsformation insbesondere an der ›Keuschheit‹ junger Frauen konturiert. Seit den 1990er Jahren wird die Frage nach sexueller Abstinenz vor der Ehe wieder vermehrt in der US-amerikanischen Öffentlichkeit diskutiert und populärkulturell aufgearbeitet. So wird auf lokaler Ebene über Sexualerziehung in Schulen gestritten, es gibt politische und finanzielle Unterstützung für abstinence only-Lehrpläne im öffentlichen Schulsystem sowie populärwissenschaftliche Abhandlungen über angebliche medizinische Vorteile sexueller Abstinenz vor der Ehe.2 Popstars wie Britney Spears, Miley Cyrus, The Jonas Brothers und Justin Bieber verkündeten – wenn auch nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Karriere – die medienwirksame Entscheidung, vor der Ehe sexuell enthaltsam bleiben zu wollen. Die populäre Vampirromanze Twilight und ihre Nachfolgeromane betten den Subtext der sexuellen Abstinenz in ein Narrativ der supernatürlichen und ›besseren‹ Liebe ein und verbuchen, auch mit der fünfteiligen Verfilmung, seit 2005 Erfolge weit über die USA hinaus.3 Der zeitgenössische Diskurs der sexuellen Enthaltsamkeit vor der Ehe wird kulturhistorisch als Reaktion auf die ›sexuelle Revolution‹ der 1960er Jahre kontextualisiert. In Talk About Sex zeigt die Soziologin Janice Irvine auf, wie die Forderung nach außerehelicher, sexueller Abstinenz hauptsächlich von konservativen Evangelikalen und Katholiken vorangetrieben wurde, wodurch, wie sie argumentiert, zeitgenössische »ways of talking« (10) über Sexualität rhetorisch und emotional geprägt wurden (3-12). Sie ordnet den Diskurs der Sexualerziehung außerdem in die Formation des Konservatismus der Gegenwart ein: »[I]ssues related to sexuality have been at the center of political battles. Opposition to sex education was a bridge issue between the Old Right and the new Right« (7). In Against the Tide beschreiben die LaHayes diesen kulturhistorischen Kontext in evangelikaler Kulturkampfrhetorik: »For about the last ninety years there has been a cultural war going on in this country between the entertainment industry and the church. Sexual permissiveness has been at the core of
2 | Politische und finanzielle Unterstützung gab es sowohl unter den Regierungen von Bill Clinton als auch George W. Bush. Ausführliche Studien zu den zeitgenössischen Diskursen der sexuellen Abstinenz vor der Ehe finden sich bei Jessica Fields, Alesha Doan und Jean Williams, Gardner, Claire Greslé-Favier sowie Kristin Luker. 3 | Für eine Diskussion des Abstinenzdiskurses in Twilight vgl. Ann Bliss, »Abstinence, American Style«. Christine Seifert nennt die Bücher »abstinence porn« und schreibt: »Twilight actually convinces us that self-denial is hot«.
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that cultural war« (15). Die Soziologin Christine Gardner widerlegt allerdings solche zu kurz greifenden Reden über einen angeblichen Kulturkampf zwischen Unterhaltungsindustrie und Kirche und analysiert in Making Chastity Sexy die konsumaffinen Rhetoriken und Praktiken bekannter evangelikaler Abstinenzkampagnen: »Evangelicals are using sex to ›sell‹ abstinence, shifting from a negative focus on ›just say no‹ to sex before marriage to a positive focus on ›just say yes‹ to great sex within marriage« (13). Das evangelikale Marktsegment richtet sich mit differenzierenden Angeboten, Medien und Formaten an die jugendliche Zielgruppe. Dazu gehören beispielsweise das bereits in der Einleitung analysierte Märchen The Princess and the Kiss als Angebot für junge Mädchen und ihre Eltern, Ratgeberliteratur für Jugendliche wie I Kissed Dating Goodbye (Harris) und pro-abstinence-Artikel, die sich in Überschriften wie »Good Sex Comes to Those who Wait« (Reissig) und »Teach, Pray, Love« (Hill) populäre Slogans aneignen. Evangelikale Organisationen wie True Love Waits, The Silver Ring Thing und Pure Freedom vermarkten Keuschheitsringe, Unterrichtsmaterialien und veranstalten Events, auf denen Jugendliche Keuschheitsgelübde in einer Atmosphäre ablegen können, die an Rockkonzerte erinnern (vgl. Gardner 1-10, 46).4 In einem anderen Register werden sog. purity balls als »Christ-centered evening[s] that encourage[. . . ] biblical values and strengthen[. . . ] the bond between fathers and daughters« beworben (»Purity Ball for Fathers and Daughters«).5 Als Formen eines »intimate training« (Kintz, Between Jesus 68) konstruieren solche populärkulturellen Angebote jugendliche ›Keuschheit‹ am Knotenpunkt von evangelikaler Ideologie, Konsum und heteronormativen Geschlechterrollen. Im Folgenden analysiere ich die Konstruktion ›keuscher‹ Teenager-Weiblichkeit am Beispiel von zwei Phänomenen der (evangelikalen) Keuschheitskultur: Erstens anhand der Selbstinszenierung der Organisation True Love Waits und zweitens anhand der ersten Staffel der Fernsehshow Preachers’ Daughters (Lifetime 2013). Ich
4 | Im Selbstverständnis evangelikaler Rhetorik ›Keuschheit‹ eine Reihe von Konnotationen: »This purity goes beyond sexual purity. While physical purity is very important, God also wants us to pursue purity and blamelessness in our motives, our minds, and our emotions« (Harris 22). 5 | Lisa und Randy Wilson, Mitglieder der Generations of Light Church in Colorado, beanspruchen es, die ersten Keuschheitsbälle ausgerichtet zu haben. Diese erlangten über ausgedehnte Medienpräsenz nationale Bekanntheit: S. etwa die Fotoserie der New York Times (Moloney). Von evangelikaler Seite gibt es auch Kritik an dem patriarchalen Ritual. Beispielsweise heißt es auf der Website der Christians for Biblical Equality: »Generations of Light view women as objects to be managed by men: first by fathers then by husbands« (»The Image of God and Sexuality«).
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setze die Bezeichnung evangelikal an dieser Stelle aus zwei Gründen in Klammern. Erstens zeigt das Kapitel, wie True Love Waits’ Präsentifikation von ›Keuschheit‹ auf komplexe Art und Weise zivilreligiöse und exzeptionalistische Vergegenwärtigungen der US-amerikanischen Nation aufruft und damit auf einen Sinnstiftungszusammenhang zurückgreift, der eine größtmögliches Publikum erreichen soll und das national kodierte Identifikationsangebot evangelikal vereindeutigt. Zweitens ist Preachers’ Daughters – im Gegensatz zum Ratgeber der LaHayes etwa – nicht eindeutig evangelikal markiert und verhandelt die ›Keuschheit‹ seiner Protagonist_innen am Schnittpunkt evangelikaler Deutungsschemata und nominell säkularer Konventionen des ›Reality-TV‹. Eben diese Übergänge zeigen die fließenden, ideologischen und medialen Übergänge und Übereinstimmungen, dass die evangelikale Populärkultur eine corresponding culture ist, die corresponding feelings evoziert. True Love Waits und Preachers’ Daughters manifestieren sensationalistische Ängste um die Sexualität und Geschlechterrollen junger Frauen. ›Keuschheit‹ entfaltet dadurch, wie das Kapitel zeigen wird, seine kulturelle Bedeutung am Schnittpunkt der evangelikalen Diskursformation, der Utopie romantischer Liebe, (religiöser) Praktiken des Konsums, (zivil-)religiöser Gefühle um eine christliche Nation sowie einem »affective and emotional understanding« um weiße Weiblichkeit als Norm (Shotwell xi).
3.1 D ER KONSUM VON ›K EUSCHHEIT ‹ (Z IVIL -)R ELIGION
UND
True Love Waits ist wohl die bekannteste Organisation der evangelikalen Keuschheitsbewegung der Gegenwart. Es handelt sich um eine weltweite Kampagne der Südstaaten-Baptisten,6 die 1993 von den Pastoren Jimmy Hester und Richard Ross gegründet wurde (vgl. Gardner 6-8). Gardner schreibt: »True Love Waits is widely credited with launching the contemporary evangelical sexual abstinence movement. It is perhaps most known for its stadium-filled rallies and public displays of signed abstinence pledge cards« (6). Nach der Hochphase der Popularität in den 1990er Jahren nennt sich die Organisation heute das True Love Waits Project (s. King und King) und wirbt als Teil des ministry-Verbunds Life Way mit Keuschheitsringen und -bekleidung, Lehrmaterial für Bibelgesprächsgruppen über christlich motivierte und biblisch legitimierte sexuelle Abstinenz, sog. testimony videos sowie der Geschichte
6 | Ob Südstaaten-Baptisten kulturhistorisch und theologisch als evangelikal bezeichnet werden können, wird diskutiert (s. Ingersoll 48-9).
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des Projekts als nationale Bewegung für die angebliche Notwendigkeit evangelikaler ›Keuschheit‹ und die Praktik eines religiös motivierten Konsums und Kapitalismus. Im Internet sind eine Reihe von Kundenreferenzen zu den Keuschheitsringen zu finden, die von der Organisation beworben werden. So heißt es beispielsweise: »Karla of Kentucky wrote: ›I got a ring from here and i LOVE it.‹ [. . . ] Jerry C of Texas wrote: ›Thank you guys so much. I bought a purity ring for my love, and she loves it so much. Keep it up with this great ministry. Thank you so much, and God bless you all!=)‹ (sic)« (»Customer Testimonials«). Aus soziologischer Perspektive ordnet Gardner die Funktion der Keuschheitsringe wie folgt ein: »The purity ring functions as a material manifestation of the abstinence commitment and the gift of one’s virginity to one’s future spouse« (54). Darüber hinaus lassen die Beispiele von Karla und Jerry bereits auf die offenkundige patriarchale Ordnung und die Konsumorientierung der Genderlogik religiös motivierter ›Keuschheit‹ schließen: Während Jerry den Ring wohl als vorausgehende und temporär verlängernde Kenntlichmachung der Verlobung und Zusage seiner späteren Ehefrau kauft, bezieht sich Karlas Liebesbekundung »i LOVE it« nicht ausschließlich auf die symbolische Bedeutung des Rings für die heterosexuelle Paarbeziehung, sondern manifestiert eine vergeschlechtlichte romance of consumption. Diese richtet sich neben der in Aussicht gestellten romantischen Beziehung und deren religiösen Normierung auch auf die Konsumware des Rings. In diesem Sinne veranschaulichen die Werbezeugnisse von Karla und Jerry beispielhaft, wie religiös motivierte ›Keuschheit‹ sowie die Vermarktung, der Konsum und die Konstruktion ›keuscher‹ Teenager-Weiblichkeit inszeniert und strukturiert ist. Insgesamt legt True Love Waits ein sehr spezifisches Protokoll vor, wie Keuschheitsringe in der Präsentifikation sexueller Enthaltsamkeit von Teenager_innen vermeintlich effektiv eingesetzt und affektiv besetzt werden. In der Anleitung für eine Ringzeremonie, die als kostenloser Download auf der Webseite der Organisation angeboten wird, wird ein sog. Commitment Service vorgeschlagen: A True Love Waits ring ceremony is a special way to demonstrate a student’s commitment to the lifelong pursuit of purity. The ceremony typically takes place during a True Love Waits Commitment Service. Many of these services have encouraged parent participation, allowing a parent to present a ring to his or her student to wear as a symbol of that student’s commitment to purity. It is a special occasion capable of affecting the lives of students and families for generations. (»True Love Waits«, meine Hervorhebung)
Indem Eltern ihren Kindern einen Keuschheitsring überreichen, der als manifestes Zeichen für das Versprechen sexueller Abstinenz vor der Ehe fungieren soll, wird der
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Anlass als herausgehobenes Ereignis gerahmt. Dieser habe das Potential, eine affektive Wirkung zu entfalten, welche das Leben der Teilnehmenden über Generationen zu verändern vermag. Dadurch wird die Präsenz des herausgehobenen Moments als Affekt verstärkt, eine wirkmächtige Dopplung, die sich noch deutlicher im Vorschlag für die weitere Ausgestaltung der Zeremonie zeigt, für die das folgende Gebet empfohlen wird: Begin the ring ceremony with prayer. A sample prayer follows, which you can either read or use as a guideline. »Lord, more than anything in this world we want an intimate, pure relationship with You. We want to glorify You in every aspect of our lives. We are Your body. We are the bride. You are the Groom. Before we can seek to be pure before each other, we must be pure before You. Thank You, Father that purity is attainable through the gift of Jesus on the cross. Teach us what it means to allow the gospel of your Son to define our purity and how the gospel is able to enable us to live sacrificial lives pleasing to you. In Jesus’ name, Amen.« (»True Love Waits«)
Der Text beschreibt die Zeremonie offensichtlich als quasi-Hochzeitsritual mit »parent and child in the roles of bride and groom« (Gardner 53). Lösch und Paul argumentieren, dass US-amerikanische Hochzeitskultur romantische Liebe, allgemein beschrieben als scheinbar unaussprechbare, präsentische Erfahrung, in einem sozial verständlichen Ritual in Szene setzt (169). Um religiöse ›Keuschheit‹ sozial intelligibel zu machen, überschreibt das Gebet die Verpflichtung der sexuellen Abstinenz mit dem Repertoire romantischer Intimität und inszeniert über die Hochzeitsmetapher und -rituale eine auf andere Weise vermeintlich nicht ausdrückbare Erfahrung göttlicher Präsenz, die als Affekt kulturspezifisch vereindeutigt und sozial intelligibel wird. Eine solche Dopplung von Präsenz und (göttlicher) Intimität wird in der Rhetorik der Keuschheitsbewegung als eine notwendigerweise vorhergehende Erfahrung für das aufgeschobene und überhöhte sexuelle Begehren im Kontext der christlichen Ehe verstanden. Joshua Harris – Bestsellerautor von I Kissed Dating Goodbye – überschreibt sein zweites Kapitel in dieser Logik zum Beispiel: »The Joy of Intimacy is the Reward of Commitment« (25). Die quasi-eheliche Figuration von Eltern und Kindern fungiert in dieser Hinsicht als Disziplinierung jugendlicher Sexualität und als ideologische Einübung für die spätere heterosexuelle, christliche Ehe. Schon der Name der Organisation expliziert dabei, dass diese Form der Intimität als exklusive Möglichkeit zu verstehen sei, ›echte Liebe‹, sprich True Love, zu erfahren. Auch wenn die Zeremonien, Events und Ringe von True Love Waits sowohl an junge Frauen als auch Männer gerichtet sind, sind die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen
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des aufgeschobenen Glücksversprechens klar erkennbar. Denn zum einen feminisiert das Gebet über die Metapher der Ehe junge Frauen und Männer als Empfänger_innen der Ringe allgemein als Bräute und überlagert die religiös motivierte Verpflichtung zum anderen mit den geschlechtsspezifischen Praktiken der Verlobung. Sara Ahmed fasst in Living a Feminist Life den Genderfatalismus romantischer Liebe und Heirat treffend zusammen: Some things, more than others, are assumed to lead to happiness. A path might be cleared by the very expectation that happiness is what you should reach. Maybe these are the very points that Mrs. Dalloway experiences as having reached: marrying, having children, now. For example, the child might be asked to imagine happiness by imagining certain events in the future, such as the wedding day. The wedding day is imagined as the »happiest day of your life,« before it happens. Maybe this before is also ho wand why: how the day happens; why the day happens. How quickly we learn. For the child, especially the girl child, her happiest day will be the moment of marrying. What I have called gender fatalism is tied to happiness: Girls will be girls; girls will be happiest when they get married. Maybe that »will be« can also be heard not only as prediction but as moral instruction: not only will she do this, but she will do this happily. (48)
Die Tatsache, dass insbesondere junge Frauen das Glücksversprechen über das Tragen von Keuschheits- und Verlobungsringen temporär zur Schau stellen sowie die symbolische Feminisierung der Teenager_innen im obigen Gebet deutet darauf hin, dass die evangelikale Keuschheitskultur vor allem eine Konstruktion von Weiblichkeit darstellt und das kulturelle Repertoire von (göttlicher) Intimität insbesondere die Funktion übernimmt, weibliche Sexualität zu disziplinieren und religiös zu überhöhen.7 Allerdings bedienen sich evangelikale Abstinenzkampagnen einer Rhetorik der Ermächtigung, vor allem über die Appropriation des feministischen Slogans ›my body, my choice‹ (Gardner 14). Gardner behauptet dahingehend: »Because of their positions as counterpublics, American feminists and American evangelicals provide a useful, if unusual, comparison: both have crafted a public stance of opposition or victimization from which they have attempted to liberate private concerns into the public« (14).8 Die etwas pauschale Gleichsetzung macht die Ähnlichkeiten einer
7 | Für eine queere Lesart der Bibel, s. Gerard Loughlin, Hrsg, Queer Theology. 8 | Gardner argumentiert, dass auch die feministische Rhetorik historisch als Appropriation evangelikaler Wahlrhetorik hinsichtlich des persönlichen Erlösungsstatus und dementsprechend als »subsequent circulation of choice rhetoric of feminists and evangelicals« angesehen werden könne (204).
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Rhetorik der Wahl als Ermächtigungsstrategie deutlich. Allerdings ist ohne Zweifel klar, dass der evangelikale Diskurs ›Keuschheit‹ als binäre Opposition zu ›säkularer Promiskuität‹ ausweist und die Wahl der Keuschheit an die heterosexuelle, christliche Ehe bindet. Ähnlich, wie ›postfeministische‹ Diskurse der Wahl bindet der evangelikale Diskurs somit die angebliche Ermächtigung über den eigenen Körper ausschließlich an die Wahl der religiös motivierten ›Keuschheit‹ und markiert diese als gegenkulturelle Praktik. Eine ideologiekritische Perspektive richtet sich also weniger auf die rhetorischen Ähnlichkeiten feministischer und evangelikaler Ermächtigungsdiskurse als auf die kulturelle Arbeit des evangelikalen Aufrufs zur ›Keuschheit‹ aus angeblich minoritärer Perspektive. In The Hippies macht Stuart Hall darauf aufmerksam, wie die Aneignung minoritärer Lebensweisen immer nur als »symbolic gesture of withdrawal« fungiert. Am Beispiel des Lifestyle von Hippies aus der weißen Mittelklasse, und deren Versuche sich mit dem »wider circle of so-called ›deviants‹« (149) emotional zu identifizieren zeigt er, dass dies nicht als tatsächliche Abkehr hegemonialer Strukturen fungierte, sondern gerade eben als den Versuch sich ideologisch zu entlasten, die eigene kulturelle Dominanz zu verschleiern und im Endeffekt wieder zu affirmieren. Auf die kulturelle Arbeit des Ermächtigungsdiskurses religiös motivierter sexueller Abstinenz vor der Ehe übertragen, proklamiert die evangelikale Keuschheitskultur – ganz im Sinne des plakativen Against the Tide – in Kulturkampfrhetoriken so eine sub- und gegenkulturelle Position, die über den scheinbar minoritären Status den Anspruch der religiösen und gesellschaftlichen Ermächtigung inszeniert und die Form der sexuellen Disziplinierung darüber legitimiert. Gleichzeitig und letztendlich austauschbar fungiert der Ermächtigungsdiskurs als Plausibilisierungsstrategie des religiös motivierten Konsumverhaltens. Unter der Rubrik »Jewelry & Apparel« bietet der Internetauftritt von True Love Waits eine Verkaufsplattform für Keuschheitsringe und andere Keuschheitsprodukte. Die Firma Bob Siemons Designs bewirbt ihre Ware etwa so: »We provides (sic) purity rings and pendants that inspire young people and serve as a daily reminder of their commitment to remain sexually pure. They offer many different items in sterling silver and 14K gold.« (»Jewelry and Apparel«). Es gibt Ringe in verschiedenen Designs, vorgefertigte oder individualisierte Gravuren sowie weitere Keuschheitsprodukte wie Armbänder und Kleidungsstücke. Insgesamt bietet der Internetverkaufsplatz eine beachtliche Auswahl und Bandbreite an Wahlmöglichkeiten für den eigenen Keuschheitsring. Die beispielhaften Werbebekenntnisse von Karla und Jerry, die in ihren Käufer_innenreferenzen das Liebesgefühl nicht nur auf den Körper des Anderen in der heterosexuellen Paarbeziehung lenken, kanalisieren in diesem Sinne das angebliche und nominell säkulare Begehren nach ›sexueller Freizügigkeit‹ auf das Konsumprodukt des Rings. Indem also True Love Waits einen Ermächtigungsdiskurs nicht nur
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über den eigenen Körper, sondern auch die eigene Kaufentscheidung inszeniert, wird die Wahl der ›Keuschheit‹ zu einer religiös legitimierten Praktik des Konsums und interpelliert Jugendliche als ermächtigte Käufer_innen. Die Strategien der Bewerbung und die Bezüge auf romantische Liebe – etwa Karlas visuell überschwänglich markiertes »i LOVE it« – manifestieren in diesem Sinne eine evangelikale romance of consumption. Mehr noch: Karlas und Jerrys Aussagen sind auf einer Internetseite veröffentlicht, die sie als »happy-customers« verlinkt. Ahmed bemerkt »how happiness is associated with some life choices and not others, how happiness is imagined as being what follows being a certain kind of being« (Promise 2). Ahmeds ideologiekritische Überlegungen zeigen auf, wie das vermeintlich ›universell‹ positiv kodierte Glück implizit an einen heterosexuellen, weißen Subjektstatus gebunden ist.9 Weiter argumentiert sie »how happiness is used to redescribe social norms as social goods« (Promise 2). In diesem Sinne bietet True Love Waits die heterosexuelle Norm der ›Keuschheit‹ als soziale und affektive Ware an. Indem True Love Waits Teenager_innen, die wie Karla und Jerry Keuschheitsprodukte kaufen, als glücklich und keusch interpelliert, affirmiert die Organisation einen heteronormativen Lebensstil und ein hegemoniales Konsumverhalten und naturalisiert diese über die Evokation der vermeintlich universell gültigen und rezipierbaren Gefühle der Liebe und des Glücks. Der Konsum evangelikaler Abstinenz, etwa das Kaufen und Tragen eines Keuschheitsringes, materialisiert somit das romantisierte Versprechen göttlicher Intimität und überdeckt über die Utopie der (göttlichen) Liebe diffuse Ängste um weibliche Sexualität. Wenn der vorliegende Band also grundsätzlich die Frage danach stellt, wie die evangelikale Kulturindustrie als religiöses public feeling fungiert, zeigt das Beispiel der Organisation True Love Waits die verschiedenen Ebenen und Dimensionen der evangelikalen Gefühlsformation. ›Keuschheit‹ konstruiert die Disziplinierung der hegemonialen Geschlechterideologie so als Form der weiblichen devotion und verbindet diese mit einer religiösen Praktik des Konsums und des geschlechtsspezifisch kodierten Kaufverhaltens. Darüber hinaus verweist die Selbstinszenierung von True Love Waits hinaus auf ein (zivil-)religiöses mapping, dessen Grundlage die (implizite) Figuration eines Südstaaten-Evangelikalismus ist. Die oben angeführten Zitate von »Karla of Kentucky« und »Jerry C of Texas« sind daher auch gewählt, um diese Konstruktion beispielhaft zu benennen und zu fragen, wie die Vorstellung eines ›evangelikalen
9 | Ahmed entlarvt die Ideologie des Glücks u.a., indem sie nachzeichnet, wie »feminist killjoys«, »unhappy queers« sowie »melancholy migrants« in dominanten Diskursen als ›nichtglücklich‹ gezeichnet werden.
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Südens‹ mit der Vermarktung jugendlicher ›Keuschheit‹ verbunden ist.10 Ein einführender Text auf der Internetseite von True Love Waits lautet: Twenty years ago a small group of students in the Nashville area committed themselves to Christ in the pursuit of purity. Little did they know that shortly thereafter there were going to be thousands of additional students join them in what came to be known as the movement of True Love Waits. Over the years True Love Waits has witnessed hundreds of thousands of young people commit their sexual purity to God, while at the same time offering the promise of hope and restoration in Christ for all who have sinned sexually. It has been a tremendous movement, orchestrated by God, to further spread the biblical message of sex and purity to a younger generation. (»Reintroducing True Love Waits.«)
Auch dieses Statement zeigt, wie True Love Waits die Entscheidung zur ›Keuschheit‹ als Praktik des gegenkulturellen Widerstands proklamiert, indem sich die Organisation die Sprache von Graswurzel- und Student_innenbewegungen aneignet. Dabei impliziert der Titel »Reintroducing True Love Waits«, dass ein solches Unterfangen noch nicht beendet sei, sondern nur die Basis für eine ›keusche‹ Generation darstelle, die sich im Entstehen befinde. In Erweiterung des vermeintlichen Ermächtigungsdiskurses über den eigenen Körper lenkt die Missionsaussage die spirituelle und politische Ermächtigung von jugendlichen (Frauen-)Körpern auf die Konstruktion eines evangelikalen body politic, – im obigen Gebet als »we are Your body« angedeutet – der am Schnittpunkt von Religion, Emotion sowie dem Regionalen als Pars pro Toto für die Nation präfiguriert wird. Der Textabschnitt verstetigt den Impetus des spirituellen Neubeginns in ein Narrativ des regionalen Ursprungs. So verortet das Südstaatenunternehmen den Beginn der Bewegung in der Stadt Nashville und ruft auf diese Weise die Vorstellung eines ›evangelikalen Südens‹ auf, wodurch, wie ich im Folgenden argumentieren werde, der evangelikalen Keuschheitsbewegung zivilreligiöse Bedeutung zugeschrieben wird. Das Narrativ reiht sich damit in eine Vielzahl von Konstruktionen einer vermeintlich distinkten religiösen Region ein, die regionale Identität konstruieren, diese
10 | Das Argument hat sich im Kontext der International Summer Academy der Bayerischen Amerika-Akademie mit dem Thema »American Studies in a Transatlantic Perspective: Critical Regionalism in Politics and Culture« (2013, 2014) entwickelt. Ich verstehe das Framework des critical regionalism als Anregung, um die Kategorie der Region zu de-essentialisieren, auf ihre mythische und emotionale Dimension sowie als Pars pro Toto für die Nation zu analysieren. Auch Kintz bemerkt »the emotional resonance of regional identifications and differences« (Between Jesus 4).
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überschreiten und auf komplexe Art und Weise an nationalen Selbstverständigungsdiskursen teilnehmen. Zwar verweist das Ursprungsnarrativ der Südstaaten-Baptisten Organisation auf die vielfältigen Binnendifferenzierungen des US-amerikanischen Protestantismus und auf ein regional markiertes Verständnis religiöser Identität, allerdings zeugen schon kulturhistorische Entwicklungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts von der gegenseitigen Durchdringung regionaler Identität und nationalem Selbstverständnis. Der Historiker Andrew Manis beschreibt in dieser Hinsicht, wie zahlreiche konfessionelle Debatten im Süden der USA auf einer »historical interpretation of the United States as a Christian nation« aufbauten (62). Darüber hinaus argumentiert er, dass zeitgenössische Reden eines Kulturkampfes als eine historische Fortführung solcher Diskurse verstanden werden müssten (56, 61-76).11 Auch heute werden konservative Evangelikale, die im Süden der USA leben, immer wieder als scheinbar einheitliche Stimme im sog. Kulturkampf und in politischen Vorgängen interpretiert. Schon in den 1920er Jahren prägte der Journalist H.L. Mencken den Begriff des Bibelgürtels, um auf »areas of the United States dominated by Protestant orthodoxy, strict morality, and belief in the literal interpretation of the Bible« im Süden der USA zu verweisen (Wilson, »Bible Belt« 117). Der Religionshistoriker Charles Wilson bemerkt darüber in der Encyclopedia of Religion in the South: The use of the term coincided with the rising perception in American culture of the South and Midwest as areas of religious intensity and even primitiveness. It became part of the legend of the South, certainly, as a benighted region, with the national culture interpreting the Fundamentalist movement of the early 20th century as a major expression of this attitude. (»Bible Belt« 117)
Populäre, stereotype Zuschreibungen entwerfen den sog. Bibelgürtel auch in zeitgenössischen Diskursen als rückwärtsgewandt, primitiv und sozialkonservativ. In eher humoristischer Weise wird diese Vorstellung visuell auf die USA als politische Entität kartographiert. Nordamerika (ohne Mexiko) wird nicht als Kanada und USA dargestellt, sondern als »The United States of Canada« und »Jesusland«, wobei sich das erste auf die nördlichen Bundesstaaten und Kanada und das zweite auf die republikanisch wählenden Bundesstaaten im Süden sowie Alaska bezieht (Adams 6).
11 | Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurde auch als »gesamtgesellschaftliche[...][r] Einflußgewinn des Südens« beschrieben (Hochgeschwender 171). Vgl. auch die Sammelbände: William Lindsey und Mark Silk, Hrsg, Religion and Public Life in the Southern Crossroads sowie Charles Wilson und Silk, Hrsg, Religion and Public Life in the South.
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Für denselben zeitlichen Kontext drückt der politische Kommentator Michael Lind seine Einschätzung über das Zusammentreffen von Religion und nationalstaatlicher Politik folgendermaßen aus: »[T]he southern fundamentalism [. . . ] has come to dominate the thinking of President Bush, the Republican Party, and the national political scene« (zitiert in Manis 55). Diese Stellungnahme interpretiert nationalstaatliche Politik als quasi vom Regional-Religiösen verdorben. Neben solchen Fremdbeschreibungen, die eine regionale Verteilung des Evangelikalismus’ scheinbar bezeugen und reproduzieren,12 bedienen sich auch religiöse Selbstbeschreibungen regionaler Deutungsmuster, nicht zuletzt wird das im Namen der Südstaaten-Baptisten oder eben im Ursprungsnarrativ von True Love Waits ersichtlich. Auch wenn es sich sicherlich um unterschiedliche Imaginationen eines ›evangelikalen Südens‹ handelt, affirmieren solche Selbst- und Fremdbeschreibungen eine scheinbar säkulare Nation vis-à-vis eines scheinbar homogenen Bibelgürtels. Allerdings sind in der evangelikalen Keuschheitskultur intrakulturell wirkmächtige Konstruktionen nationaler Identität erkennbar, die sich insbesondere an einer affektiven Dimension konturieren, und die zivilreligiöse Fundierung und deren wiederholte Aktualisierung der US-amerikanischen Nation evangelikal vereindeutigen. True Love Waits verschränkt ›Keuschheit‹ auf komplexe Art und Weise mit Selbstverständigungsdiskursen der USA. Im Juli 1994 veranstaltete die Organisation eine Kundgebung auf der national mall in Washington, D.C., die angeblich von 25.000 Jugendlichen besucht und auf der 210.000 »abstinence pledge cards« ausgestellt wurden (»A History of True Love Waits.«). Inmitten zivilreligiöser Vergegenwärtigungen der US-amerikanischen Republik bekommt religiös motivierte ›Keuschheit‹ eine nicht übersehbare nationale Bedeutungsdimension, in der sich die Vorstellung scheinbar privater, sexueller Intimität mit zivilreligiösen Räumen und Praktiken verschränkt. Dabei überlagern sich religiöse Deutungsschemata und die zivilreligiösen Bezugnahmen auf die Nation dahingehend, dass dem zivilreligiösen Raum der national mall auf der einen Seite die Möglichkeit zugeschrieben wird, gesellschaftliches Einvernehmen über die vermeintlichen Vorteile sexueller Abstinenz vor der Ehe zu erzeugen. Auf der anderen Seite wird religiöse ›Keuschheit‹ über die Evokation zivilreligiöser Empfindungen und affektiver Wissensbestände um die Nation als nationales Projekt emotionalisiert und somit der politischen Diskussion entzogen. Im Jahr 1999 sprach der
12 | Als Ausdruck dafür, dass der sog. Bibelgürtel nicht die ausschließliche Örtlichkeit für evangelikale Religiosität ist, bemerkt Hochgeschwender für den Beginn des 21. Jahrhunderts: »Selbst in einer so säkularen Stadt wie New York, also weit vom bible belt im Süden und Westen entfernt, fanden sich um 2000 allein 7000 fundamentalistische, evangelikale oder pentekostale Gemeinden« (16).
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damalige Gouverneur von Texas George W. Bush vor mehr als 2,500 (baptistischen) Jugendlichen über die angeblichen medizinischen Vorteile sexueller Abstinenz. Die öffentliche Versammlung fand vor dem Kapitol in Austin, Texas statt (s. Martin). Über die räumliche Nähe zum texanischen Kapitol, auf dessen Grundstück ein Memorial mit den zehn Geboten steht, zeigt der Auftritt des Politikers, trotz des regionalen Schauplatzes eine zivilreligiöse Dimension, welche implizit die quasi-nationale Bestimmung religiös motivierter ›Keuschheit‹ emotional vorkonturiert. Weniger offensichtlich ist ein zivilreligiöser Bezug auf die Nation in dem Ursprungsnarrativ der Organisation vergegenwärtigt. Es heißt: »Twenty years ago a small group of students in the Nashville area committed themselves to Christ in the pursuit of purity« (meine Hervorhebung). Über die implizite Referenz auf die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung schreibt sich die Organisation in ein kohärenzbildendes, nationales Paradigma ein. Paul schreibt über die affektive Dimension des Gründungsdokuments: »[T]he pursuit of happiness is declared to be a fundamental right« (»Tacit Knowledge« 197). Damit macht sie darauf aufmerksam, wie das individuelle Glücksstreben als politisches Gefühl wirksam wird. Dieses ist »very much lined to discourses of nation-building and to a hegemonic discourse of expressive individualism – note that the pursuit of happiness [and purity, M. S.] signals desire, deferral and quest, initiative and struggle« (»Tacit Knowledge« 209). Das Streben nach ›Keuschheit‹, als Appropriation und Erweiterung des individuellen Glückstrebens greift damit auf die politischen Gefühle der frühen Republik zurück und imaginiert über den Mythos des Neubeginns eine ›keusche‹, christliche Nation.13 Die Evokation des (zivil-)religiösen pursuits of purity verweist somit auf die quasi-nationale Bestimmung von True Love Waits’ Präsentifikation religiös motivierter ›Keuschheit‹.14
13 | Paul diskutiert den Mythos des Neubeginns als fundierend für das Selbstverständnis der USA (Myths 197-255). Sie erwähnt auch die evangelikale Appropriation des Mythos am Beispiel von Tim LaHayes Faith of Our Founding Fathers: »In many ways, LaHaye offers a counter-narrative to secularization and the Enlightenment by (mis)reading a civil religious discourse as religious (more specifically, Christian) and thus by projecting religion back onto the newly emergent revolutionary civil religion« (240). 14 | Allein die anfangs ausgeführten gesellschaftspolitischen und populärkulturellen Diskurse der ›Keuschheit‹ beweisen, dass es sich um ein nationales public feeling handelt, welches vielfältige Reaktionen in säkularen und evangelikalen Diskursen auslöst.
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True Love Waits agiert auch international, etwa in der deutschen Version von Wahre Liebe wartet.15 Die deutsche Version aktualisierte ihren Blog so am 23. Mai 2014 mit einem Artikel, der den Beginn der angeblich internationalen Keuschheitsbewegung im Süden der USA aufruft und damit True Love Waits’ Version der religiös motivierten ›Keuschheit‹ als Identifikations- und Konsumangebot auch außerhalb der USA verfügbar macht:16 Auf deren Webseite heißt es: »Wahre Liebe wartet« ist eine internationale Initiative, in der die zeitlose Überzeugung »Kein Sex vor der Ehe« vertreten wird. Das geschieht in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung, die junge Leute als Ausdruck ihrer Überzeugung unterschreiben können. »Wahre Liebe wartet« möchte die guten Gründe des Wartens wieder bekanntmachen und dazu anregen, den Umgang mir (sic) der eigenen Sexualität zu überdenken. Ihren Ursprung hat die Initiative in den USA. Dort wurde sie 1992 von den Südbaptisten initiiert und wurde durch das mediale Interesse Millionen von jungen Menschen in verschiedenen Ländern und Erdteilen in kurzer Zeit bekannt. Unabhängig von den amerikanischen Ideengebern wird die Initiative mittlerweile in über 100 Ländern weitergegeben. Wir glauben, dass es wichtig ist, das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität immer wieder neu zu wecken. Sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe ist eine christliche Tugend, die sich auf viele Teile des Lebens positiv auswirkt. Eine Überzeugung, die eben nie alt wird! (»Eine Überzeugung, die nie alt wird«)
Hochgeschwender macht darauf aufmerksam, dass für den US-amerikanischen Protestantismus im Gesamten gilt, »daß es keineswegs ein Widerspruch ist, wenn man
15 | Evangelikale Keuschheitspolitik wird ohne Zweifel auch außerhalb der USA als christliche Mission und gesellschaftspolitisches Engagement genutzt (vgl. Gardner 143-67). 16 | Das US-amerikanische Phänomen der ›Keuschheit‹ wurde in Deutschland vor allem über die Keuschheitsbälle rezipiert. So hat etwa Spiegel Online einen Schwerpunkt zu Keuschheitsbällen in den USA und bietet seinen Leser_innen einen Dokumentationsfilm über die 11-jährige Nathalie aus New Albany, Indiana (Kein Sex vor der Ehe); ein Interview mit dem schwedischen Fotografen David Magnusson (Magnusson) sowie eine Fotostrecke mit dessen Fotos von Töchtern und Vätern, aufgemacht für den jeweiligen Keuschheitsball (»Keuschheitsschwur von Teenagern: Lieber Vater ich gelobe«). Die journalistische Auseinandersetzung mit ›Keuschheit‹ in den USA verweist dabei auf dominante Prozesse des kulturellen ›Otherings‹ und wird aus repräsentationslogischer Sicht insbesondere über eine sensationalistische Politik des Blickes auf junge Mädchen kulturell wirkmächtig. Das Beispiel der Keuschheitskultur bietet somit auch die Möglichkeit darauf hinzuweisen, wie die evangelikale Inszenierung von (göttlicher) Intimität komplexe corresponding feelings um Weiblichkeit ausdrückt und evoziert, die über einen engen, nationalstaatlichen Fokus wirkmächtig sind.
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gleichzeitig nach seiner national-identitären Funktion und seiner globalen transnationalen Verflechtung fragt. Beides gehört untrennbar miteinander zusammen [...]« (Hochgeschwender 20). Die Selbstrepräsentation von True Love Waits vergegenwärtigt so auch eine Kulturspezifik, die religiös motivierte ›Keuschheit‹ als Form der Mission von ihrem regionalen Ursprung in die Welt imaginiert. Der Religionshistoriker Martin Marty meint: »[O]ne might write a book titled Righteous Empire: The Evangelical Experience in Recent America«.17 Damit bekundet er, dass »imperial aspirations today emerge only from one wing of Protestantism, which usually chooses to identify itself in semi-isolation from its old kin under the name ›Evangelical‹ or Southern Baptists« (»Righteous Empire Revisited« 39).18 In diesem Sinne fungiert das Ursprungsnarrativ von True Love Waits als ein zivilreligiöses »evangelical mapping« (McAlister 776), welches über die Kategorie der Region nicht nur implizite Ängste um jugendliche Sexualität zum Ausdruck bringt, sondern über die Evokation (zivil-)religiöser Gefühle eine christliche Nation entwirft.19 Die zivilreligiöse Fundierung der Selbstrepräsentation von True Love Waits drückt dahingehend eine Kulturspezifik aus, die religiös motivierte ›Keuschheit‹ und Mission eng mit einer evangelikalen Aktualisierung und Vereindeutigung des US-amerikanischen Exzeptionalismus und dessen imperialen Dimension verbindet. Die Amerikanistin Amy Kaplan entlarvt in ihrem einflussreichen Aufsatz »Manifest Domesticity« Entwürfe von Häuslichkeit des 19. Jahrhunderts nicht ausschließlich als binäre Opposition zum Fremden, sondern immer auch als ein Prozess der Domestizierung des Fremden, wodurch die Komplizität von weißen Frauen in Prozessen des nation buildings in den Blick rückt:
17 | Marty gibt seinem Standardwerk Protestantism in the United States den Untertitel Righteous Empire, um darauf aufmerksam zu machen, wie die weißen protestantischen Einwanderer mit ihrer Landbesetzung »set out to attract the allegiance of all the people, to develop a spiritual kingdom, and to shape the nation’s ethos, mores, manners, and often its laws« (v). 18 | Auch andere Studien verweisen auf die intime Kopplung von Religion und deren imperialen Ansprüchen in den USA. Vgl. etwa John Pahl, Rosemary Ruether, Vincent Rougeau, Mark Taylor und Cornel West. Allerdings sind imperiale Bestrebungen ohne Zweifel kein genuin evangelikales Projekt (s. Kaplan, »Violent Belongings«). 19 | McAlister spricht von einem »evangelical mapping«, wenn sie sich die politischen Entwürfe des sog. Nahen Ostens in den Left Behind-Büchern anschaut: »The novels do their cultural work as part of a larger project of evangelical mapping – that is, they aim to place evangelicals on the U.S. political map, as a modernized and mainstreamed political force who have moved far beyond the subcultural status that marginalized them even in the heyday of the Moral Majority« (776).
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This deconstruction of separate spheres, however, leaves another structural opposition intact: the domestic in intimate opposition to the foreign. In this context domestic has a double meaning that not only links the familial household to the nation but also imagines both in opposition to everything outside the geographical and conceptual home. (581)
Die scheinbare Paradoxie privater sexueller Enthaltsamkeit als regionale, religiöse Selbstverständigung in nationalen und internationalen Bedeutungszusammenhängen lässt sich, frei mit Amy Kaplan gesprochen, als manifest virginity bezeichnen. Die Körper ›keuscher‹ Teenager_innen werden so zum offenbaren Manifest eines heilsgeschichtlichen Sendungsbewusstseins, das seine Dimension einer hegemonialen »Vorstellung der gottgegebenen Aufgabe und Verpflichtung der U.S.-amerikanischen Nation« (Hebel 313) mit einer affektiv und kulturell wirkmächtigen Konstruktion von Weiblichkeit überschreibt und dadurch ins Unsagbare rückt. ›Keuschheit‹ fungiert in diesem Sinne zum einen als Distinktionsmerkmal in evangelikalen Reden eines Kulturkampfes und wird zum anderen als Alleinstellungsmerkmal einer christlichen, nationalen Identität imaginiert. Gleichzeitig wird ›Keuschheit‹ als emotional mobilisierendes Mittel der religiösen Mission und der sexuellen (Selbst-)Disziplinierung kulturelle Bedeutung zugeschrieben. Die verschiedenen Bedeutungsebenen machen auch fassbar, wie auf der einen Seite die evangelikale Keuschheitskultur als Disziplinierung weiblicher Sexualität fungiert und wie auf der anderen Seite ›keusche‹ Weiblichkeit komplizitär mit Prozessen des evangelikalen nation buildings ist. True Love Waits nimmt an hegemonialen US-amerikanischen Selbstverständigungsprozessen teil und konstruiert evangelikale Weiblichkeit als emotionalisierte Vergegenwärtigung eines nationalstaatlichen Exzeptionalismus. Die Selbstinszenierung von True Love Waits als ein religiöses Projekt, das seinen Ursprung in den Südstaaten hat, fungiert somit nicht ausschließlich als Selbstbeschreibung, die eine konfessionelle und regionale Identität ausdrückt, sondern inszeniert und evoziert ein (zivil-)religiöses public feeling, welches ›keusche‹ Teenager-Weiblichkeit als politisches Ideal imaginiert, das ein sich immer schon im Entstehen befindendes, christliches US-Amerika figuriert.
3.2 D IE S ENSATION
DER
›K EUSCHHEIT ‹
Auch die erste Staffel der TV-Show Preachers’ Daughters imaginiert die USA als christliche Nation und verteilt die jeweiligen Handlungsorte der Staffel geographisch über mehrere Bundesstaaten: So leben die drei Familien (wobei ein Elternteil getrennt
Evangelikale ›Keuschheit‹ | 81
lebt) in Kannapolis, NC; Spring Hill, TN; Oceano, CA; und Joliet, IL. In Erweiterung der Argumentationslinie des vorherigen Teilkapitels bindet die Serie damit eine nationale Geographie der ›Keuschheit‹ – im Sinne einer manifest virginity – zurück an häusliche, religiöse und familiäre Räume und verhandelt jugendliche, sexuelle Abstinenz vor der Ehe in einem sensationalistischen Format. Denn: Die 10-folgige erste Staffel der Fernsehserie wird unverblümt als ein »behind-the-altar look at what happens at home after the sermon« beworben und inszeniert die ›Sorge‹ um die sexuelle Abstinenz der jungen Protagonistinnen in den Konventionen des ›Reality-TV‹.20 Die Serie zeigt »personal history as spectacle« und gibt vor »to portray the real lives of ordinary people rather than scripted performance« (Godderis und Sears 182). Inhaltlich schildert Preachers’ Daughters so scheinbar das alltägliche Leben dreier christlicher Familien. Dabei wird besonders die Beziehung zwischen den Eltern – hauptsächlich repräsentiert über die Figur des Vaters, der gleichzeitig Prediger in der jeweiligen Kirchengemeinde ist – und den jugendlichen Töchtern in den Mittelpunkt gerückt.21 Der projizierte Konflikt entspinnt sich dabei an den unterschiedlichen Auffassungen über den ›anständig‹ gelebten Alltag der jungen Frauen. So wollen die Eltern, dass ihre Töchter eine Vorbildfunktion in der jeweiligen Kirchengemeinde übernehmen und auch sonst am familiär und religiös geprägten Leben der (Kirchen-)Familie teilnehmen. Die Show fokussiert jedoch auf die rebellisch dargestellten Töchter und stellt ihre als exzessiv gezeichneten Erfahrungen jenseits religiös und häuslich kodierter Räume in den Mittelpunkt der Serie. Preachers’ Daughters ist nicht ausschließlich in evangelikalen Diskursen zu positionieren. Zwar stellt die Serie auf der einen Seite ganz offensichtlich evangelikale Kultur über die Rede von Konversion, die Hervorhebung eines an biblischer Autorität ausgerichtetem Lebensstil und religiösen Keuschheitsritualen dar. Auf der anderen Seite aber zeichnen die Konventionen des ›Reality-TV‹ Weiblichkeit im Rückgriff auf die weitverbreitete Sex Sells-Strategie sowie einer damit verbundenen, auch als exotisierend zu verstehenden Darstellung des Evangelikalismus’ als eine vermeintlich
20 | Preachers’ Daughters wurde ab März 2013 mit zehn Episoden auf dem Sender Lifetime ausgestrahlt. Im März 2014 wurde die Show – mit teilweise geänderter Rollenbesetzung – in einer zweiten und dritten Staffel fortgeführt. Eine ähnliche mediale Figuration religiös motivierter ›Keuschheit‹ zeigt sich auch in der Reality-Show 19 Kids and Counting (TCL, 2008-2015). 21 | In der Koloff Familie arbeitet auch die Mutter als Predigerin. Allerdings wird Kolbys Vater – der ehemalige Wrestler Nikita, der sein Konversionsnarrativ in Wrestling with God veröffentlichte – als Kolbys körperlicher Beschützer gezeichnet, weshalb ich trotzdem argumentiere, dass sich das sensationalistische Verlangen der Serie um die Figurenkonstellation Gott/Vater/Tochter dreht.
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distinktive, sozialkonservative Kultur der USA. Das Teilkapitel wird zeigen, dass die Show, trotz dieser scheinbar gegensätzlichen Logiken, ein (religiöses) public feeling ausdrückt und evoziert, das geschlechtsspezifische Vorstellungen des Erwachsenwerdens sowie die kulturelle Praktik der sexuellen Abstinenz vor der Ehe auf die Figuren der Pfarrerstöchter überträgt und eine Version ›reiner‹ weißer Weiblichkeit in den Normen hegemonial wirksamer (evangelikaler) Familien- und Geschlechterideologien konstruiert. Damit zeichnet sich die Show über eine emotionale und ideologische Kohärenz aus, die sich jenseits rein identitärer Deutungsschemata entfaltet. Die Serie ist überformt von diskursiven Artikulationen evangelikaler Präsenzökonomien. Erstens inszeniert sie über klare Familiennormen eine scheinbar alltägliche Erfahrung des Göttlichen im Leben der Koloffs, der Perrys und der Colemans, nur um die Aufmerksamkeit der Zuschauer _innen darauf zu richten, wie die Töchter diese vermeintlich überschreiten. Zweitens wird infolgedessen die Intimität des FamiliärReligiösen über bestimmte präsentisch kodierte Momente und Rituale, die mehr oder weniger offensichtlich disziplinarisch sind, wiederhergestellt. Die Analyse zeigt, wie die TV-Show alltägliche Präsenz (des Göttlichen) über die Ästhetik des ›Reality-TV‹ sowie am Beispiel einer Keuschheitszeremonie außeralltägliche oder herausgehobene Präsenz in Szene setzt. Dabei fokussiere ich nicht nur darauf, wie evangelikale Präsenzökonomien diskursiv evoziert werden, sondern auch wie dadurch eine zyklische Logik der Notwendigkeit eines ›keuschen‹ Lebensstils für junge Frauen präsentiert wird. Gleichzeitig werden im Sinne einer construction of whiteness implizite Verständigungen um race evoziert, welche die hegemoniale Wirkmächtigkeit ›keuscher‹ Weiblichkeit naturalisieren und der expliziten Verständigung entziehen.22 Preachers’ Daughters manifestiert in diesem Sinne ein religiöses public feeling, welches Weiblichkeit emotional und erfahrungslogisch an Jungfräulichkeit bindet. Wie in Kapitel 2.3 aufgearbeitet fungiert der Begriff des religiösen public feelings für die Arbeit als zweifache Analysekategorie, welche sich sowohl darauf bezieht, wie bestimmte Gefühlsökonomien kulturell wirksam sind, als auch darauf, wie solche Gefühle sozial und kulturell konstruiert sind (vgl. hierzu noch einmal Cvetkovitch, Depression 14). Auf dieser Basis lässt sich die oben angedeutete kulturelle Polysemie der Show erfassen: Auf der einen Seite proklamiert und evoziert die Show die Wichtigkeit von (göttlicher) Präsenz und religiöser Intimität im alltäglichen Familienleben. Auf der anderen Seite sind diese diskursiven Artikulationen göttlicher Erfahrung und
22 | Über die Figur des Vaters/Predigers fungiert die Show auch als Konstruktion ›hypermaskuliner‹ Vaterschaft. Eine soziologische Perspektive auf US-amerikanische, evangelikale Vaterschaft bietet W. Bradford Wilcox in Soft Patriarchs, New Men.
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die damit hervorgerufenen Gefühle im voyeuristischen und sensationalistischen Kontext des TV-Formats konstruiert. In einem Werbespot etwa pointiert Preachers’ Daughters die konflikthaft dargestellte Beziehung zwischen Vätern und Töchtern auf scheinbar spielerische Weise. Das Video zeigt ein gemeinsames Gebet, in dem Kolby, Olivia und Taylor sowie die jeweiligen Väter vor ihren Betten knien. Der Bildschirm ist dabei in zwei Hälften geteilt, das Bett jedes Vaters trifft auf das Bett der jeweiligen Tochter, wodurch die Betten wie ein Ehebett erscheinen. Die 16-jährige Kolby sagt während des Gebets: »Help me in my struggle to stay pure.« Ihre Bitte nach Hilfe ist somit sowohl an die Präsenz des Göttlichen im Ritual des Gebets als auch an die visuelle Präsenz des Vaters gerichtet. Dadurch wird das Beten mit Sexualität, Geschlechterrollen, möglicher Transgression und familiärer Intimität verknüpft und fungiert als eine Konstruktion ›keuscher‹ Weiblichkeit als devoted.23 Die Szene betont in ihrem überspitzten Format besonders deutlich »the complicated role that religion has played in identity formations, social relations, and power structures« (Castelli 5); sowohl hinsichtlich der sensationalistischen Konstruktion von Geschlecht, als auch hinsichtlich intersektional wirkender Differenzkategorien wie race und Alter. Sie kodiert die Beziehung zwischen Töchtern und Vätern als romantische Intimität und verschränkt damit die Evokation göttlicher Präsenz mit Gefühlen (romantischer) Liebe und den damit aufgerufenen inzestuösen und patriarchalen Strukturen, die der Show, wie ich argumentieren werde, ihre spezifischen Sensationalismus und appeal verleihen. Am Ende des Werbespots ›verstoßen‹ Olivia, Taylor und Kolby vermeintlich gegen die elterlichen Verhaltensregeln und schleichen sich aus ihren Zimmern. Oberflächlich lässt sich das als scheinbar ironische Missachtung rigider Familienregeln seitens der Töchter lesen. Allerdings rückt die Szene die Sexualität der jungen Frauen – zurechtgemacht fürs abendliche Ausgehen – in den Vordergrund und affirmiert damit visuell Kolbys vorgängige Aussage, welche die jungen Frauen als »in [. . . ] struggle to stay pure« vokalisiert. Darüber hinaus greift die Szene auf implizite Verständigungen um race als Signifikant vermeintlich ›keuscher‹ und ›nicht-keuscher‹ Tochterschaft zurück, da die Afroamerikanerin Taylor die erste ist, die sich ›auszieht‹ und über das Fenster ihres Zimmers hinausschleicht. Die Gegenüberstellung des sexualisierten, visuellen Levels mit der Missachtung der Verhaltensregeln der Väter
23 | Die inzestuöse Dimension der Szene wird in der nachfolgenden Analyse detailliert besprochen. Zu beachten ist außerdem, dass der Werbefilm einer anderen Ästhetik folgt, wie die jeweiligen Episoden der Serie. Er ist ein Werbefilm, wohingegen die einzelnen Folgen den Konventionen von ›Reality-TV‹ wie Teen Mom (MTV) folgen.
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weist somit nicht auf eine vermeintlich geglückte Rebellion der Töchter hin, sondern besonders auf den voyeuristischen und sensationalistischen appeal der TV-Show. Denn nur oberflächlich betrachtet konstruiert Preachers’ Daughters ›keusche‹ Weiblichkeit am Knotenpunkt von privater Religion und (familiärer) Intimität. Schon die Konventionen des ›Reality-TV‹ als »Inszenierungen von Privatheit« (Bleicher 16) erschweren vermeintlich klare Unterscheidungen zwischen privat, intim, religiös und öffentlich sowie dem ›Realen‹ und seiner Vermittlung im Fernsehen. Die Medienwissenschaftlerin Misha Kavka macht sehr deutlich, dass gerade ›Reality-TV‹ die Linien zwischen »[TV’s] promise of information with its penchant for entertainment« verschwimmen lässt (94): Offering a kind of ›best of the worst‹ showcase of television as apparatus, ›reality‹ TV programmes produce a sense of ›reality‹ as an effect of seemingly direct transmission: They are thus sites of ›constructed unmediation‹, where the technology involved in both production and post-production shapes a final product that comes across as unmediated, or real. (94)
Darüber hinaus argumentiert sie überzeugend, dass gerade Inszenierungen von Liebe passend für das Format des ›Reality-TV‹ sind: »[T]he confirmation of both – the ›reality‹ of the televisual world and the ›reality‹ of being in love – comes down to a matter of feeling« (93). Preachers’ Daughters konstruiert jugendliche Weiblichkeit am Schnittpunkt religiöser Sprache sowie intim kodierter Praktiken und Diskurse. Dabei plausibilisiert das etablierte kulturelle Repertoire der (romantischen) Intimität diskursive Artikulationen göttlicher Präsenz. Reziprok verstärken präsentisch kodierte Momente die in der Fernsehserie verhandelten Emotionen und überhöhen sie in der Logik einer evangelikal kodierten Diskursformation. Über Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz evoziert und ›authentifiziert‹ Preachers’ Daughters Konstruktion von Geschlecht somit ein »affective and emotional understanding« jugendlicher Weiblichkeit (Shotwell xi). Die Präsentifikation von (weißer) ›Jungfräulichkeit‹ Die 18-jährige Olivia bezieht sich explizit auf die Präsenz des Göttlichen während eines gemeinsamen Gebets mit ihrer Familie und lädt ihr Date Frankie ein, an der Erfahrung teilzuhaben: »When we are worshipping, if you. . . sometimes like if you just put your hands out like you’re receiving a gift or something. Like God’s presence totally comes over you. Yeah. I think it would be awesome if you could, like, experience that« (»Turning Water to Wine«). Die Bemerkung ist durch die Unverblümtheit informeller Jugendsprache markiert und kann vom Fernsehpublikum nur
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›gehört‹ werden, indem ihr Geflüster mit Hilfe von Untertiteln auf dem Bildschirm visualisiert wird. Damit wird einerseits die vermeintliche ›Authentizität‹ der Situation ästhetisch umgesetzt und andererseits scheinbar Olivias Gewissheit über die Präsenz des Göttlichen in der missionarischen Gebetssituation betont. Preachers’ Daughters audio-visualisiert eine Gewissheit über die Präsenz des Göttlichen auch jenseits spezifischer Bezugnahmen und inszeniert einen Erfahrungsraum, der eine umfassende göttliche Präsenz im alltäglichen Leben der Perrys, Colemans und Koloffs beteuert. Dies zeigt sich am deutlichsten an zwei ästhetischen Strategien. Erstens: Jede einzelne Episode wird von distinkten Bibelversen gerahmt, welche die entsprechenden Handlungsstränge adressieren. Der visuelle Einschub ist dabei akustisch über Glockengeläut und das Rauschen von Wind betont, was eine scheinbar entfernte und quasi-transzendente Atmosphäre schafft. Der erste Vers der Episode »Daddy’s Little Angels« lautet: »God has not called us to an unclean life but to one of purity. Thessalonians 4:3-7«. Die Bibelpassage bestimmt und entfaltet das überspannende Thema der Show. Dadurch wird eine Referenz gegeben, die darauf abzielt, den Fokus auf die ›Keuschheit‹ der jungen Frauen biblisch zu legitimieren. Das ästhetische Mittel, wiederholt Bibelverse einzuspielen, hat darüber hinaus den Zweck göttliche Präsenz in das alltägliche Leben der Colemans, Perrys und Koloffs einzubauen. Zweitens: In den einzelnen Episoden wird jeder Familienschauplatz über gleichbleibende Einspieler (establishing shots) eingeführt. Diese zeigen die Töchter vor der jeweiligen Kirche, bevor die Sequenzen »behind the pulpit« beginnen. Des Weiteren fokussiert die Show oft auf devotionale Situationen der Familien, wie zum Beispiel das Familiengebet, wodurch dargestellt wird, wie der Glaube das alltägliche Leben der Familien leitet und regelt. Damit überschreibt die Show religiöse und familiäre Räume mit der Präsenz des Göttlichen. Diese Verschränkung von Frömmigkeit und Häuslichkeit greift zurück auf die Ideologie des »Cult of True Womanhood«, welche die Historikerin Barbara Welter für das 19. Jahrhunderts herausgearbeitet hat. Welter beschreibt das ideologische Investment des religiösen Weiblichkeitsentwurfs so: »One reason religion was valued was that it did not take a woman away from her ›proper sphere,‹ her home« (153). In quasi-modernisierter Version suggerieren die räumlichen Logiken von Preachers’ Daughters und ihre geschlechtsspezifischen Zuschreibungen auf diese Weise, dass göttliche Präsenz für Kolby, Olivia und Taylor nur in den Grenzen des Privaten erlebbar ist. Wie der besprochene Trailer schon andeutet, fokussiert die Show aber darauf, wie die vermeintlich lebensweltlichen Erfahrungen von Olivia, Taylor und Kolby als junge Frauen mit diesen räumlichen Grenzen nicht in Einklang zu bringen sind. Die erste Episode (»Daddy’s Little Angel«) gibt dahingehend den Ton an: Kolby will
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ihren Vater bei einem Essen überreden, mit einem Jungen ausgehen zu dürfen. Sie meint etwas fragend: »I think 16 is the appropriate age for dating«. Olivia eröffnet ihren Eltern, dass sie nicht sicher sei, wer der Vater ihrer Tochter ist: »There is something I need to tell you guys. [. . . ] You not gonna like it«. Taylor beklagt die strengen Regeln ihres Vaters in einem Gespräch mit ihrer Schwester und stellt sich dabei vor, was sie machen würde, wenn sie nicht die Tochter eines Predigers wäre: »I mean I did one time think about being a porn star«. Die unverfängliche Aussage wird in der Show als angeblicher Beweis für Taylors ›exzessive‹ Sexualität weiter in Szene gesetzt. Nachdem sich Taylor in ihrem ersten ›Reality-TV‹-confessional vorstellt, wird ein ›selbstgedrehtes‹ Video eingeschnitten, in welchem sie sagt: Everybody expects that I’m this girl who is always in her bible but I am not like this. I like boys and I like being around them and they like being around me. The reason why my alter ego is kind of why I wanna be a porn star is because it’s all the attention and it feels like you are free. You are really free. And I wanna be free. I’m tired of being in this little safe sheltered life.
Ihre Bemerkung ist visuell über den Einschub ›selbst gemachter‹ Fotos unterstützt, von denen einige sie in hoch-sexualisierten Posen zeigen. Indem solche scheinbar lebensähnlichen Dialoge und Praktiken in den Eröffnungsszenen gezeigt werden, setzt »Daddy’s Little Angel« den Rahmen für die Darstellung rebellischer TeenagerWeiblichkeit in einer vermeintlichen Dialektik zwischen ›Keuschheit‹ und ›Hypersexualität‹ und markiert sie als alltägliche Störung im Leben der drei Familien. Gerade über die confessionals zeigt sich die enge Verknüpfung intim kodierter öffentlicher Praktiken und evangelikaler Logiken in den USA. Lofton spricht in Oprah: The Gospel of an Icon, wie »[e]xposure is therefore a necessary component of the make-over process. Such disclosing testimony defines talk show television [and ›Reality-TV‹, M. S.] and is, as many observers have argued a variety of »evangelical disclosure« (89). Die Show bestätigt solche Offenlegungen über die Konventionen der ›Reality-TV‹confessionals, scheinbar zufällig aufgezeichneter Dialoge, des Einschubs visuellen Materials, das vermeintlich von Laien gemacht ist, und inszeniert somit die ›Authentizität‹ des Verhaltens von Olivia, Kolby und Taylor. Besonders die Repräsentation von Taylor ist dabei paradigmatisch für die sensationalistische und voyeuristische ›Sorge‹ um die Sexualität der jungen Frauen und die damit verschränkte Fremdheitskonstruktion. So wird ihre vermeintliche Enthüllung über die Reaktion der Eltern als emotionale Fassungslosigkeit wiederholt in den Fokus gerückt. Ihre Mutter fragt Taylor »what’s this about some porno« und die Zuschauer_innen wohnen Prediger Coleman in einem scheinbar persönlichen Moment des Gebets bei: »Please Lord, don’t ever let my daughter become a porn star«. Tay-
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lors Repräsentation als ›hypersexuell‹ wird dadurch weiter vorangetrieben und übernimmt die Funktion, ihre vermeintliche Transgression und Rebellion zu affirmieren. In diesem Sinne überschreitet sie die Regeln ihrer Eltern während der gesamten ersten Staffel: In der ersten Episode küsst sie einen Jungen im Schwimmbad (»Daddy’s Little Angels«); in der Episode »Lead Us Not Into Temptation« stiehlt sie sich heimlich aus dem Haus, um mit ihren Freundinnen auf eine Party zu gehen; in der Episode »Dancing with the Devil« lässt sie sich für das CD-Cover eines Freundes fotografieren. Diese wiederkehrende Obsession mit der Bemerkung über die Porno-Industrie im Besonderen und ihre weitere Repräsentation im Allgemeinen imaginieren Taylor als ›sexuell ausschweifend‹. Die Kulturkritikerin bell hooks betont in ihrem einflussreichen Buch Ain’t I a Woman?, dass die stereotype Übersexualisierung afroamerikanischer Weiblichkeit hegemoniale Formen des ›Otherings‹ sind, die seit der Sklaverei bestehen. Sie schreibt: [A] devaluation of black womanhood [. . . ] permeated the psyches of all Americans and shaped the social status of all black women once slavery ended. One has only to look at American television twenty-four hours a day for an entire week to learn the way in which black women are perceived in American society – the predominant image is that of the »fallen« woman, the whore, the slut, the prostitute. (52)
Preachers’ Daughters Darstellung von Taylor reproduziert und affirmiert solche rassistischen Stereotype und setzt sie in den Kontext sensationalistisch dargestellter, religiöser ›Keuschheit‹. Das zeigt sich besonders deutlich in Relation zu der Darstellung von Kolby und Olivia. So dreht sich Kolbys Handlungsstrang hauptsächlich um ihren Wunsch, auf ein erstes Date mit Micah, einem Pastorensohn zu gehen. In einer anderen Szene beginnt sie zu weinen, als sie erfährt, dass ihre verheiratete Schwester mit ihrem Ehemann Sex vor dem Tag ihrer Hochzeit hatte. Ihre emotionalen Reaktionen auf Fragen romantischer und sexueller Intimität zeichnen Kolby so quasi als Vorbild ›keuscher‹ jugendlicher Weiblichkeit. Auch Olivia übernimmt eine solche Funktion. Obwohl sie schon eine kleine Tochter hat, verkörpert sie das Konzept der »second virginity« (Gardner 32). Gardner beschreibt die Wirksamkeit solcher Beispiele in der Keuschheitsbewegung als »embodied argument in support of abstinence« (57). Olivia übernimmt auf diese Weise symbolisch die Figur der ›Muttergottes‹. Zwar zweifelt sie ständig an der Entscheidung, ohne Party, Alkohol und Drogen zu leben, allerdings sind ihre angeblichen Überschreitungen immer in Anwesenheit ihrer Schwestern und somit an einen familiären Kontext gebunden. So nimmt sie etwa ohne vorherige Erlaubnis an einem Fotoshooting einer christlichen Modelinie teil. In einer anderen Epi-
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sode (»Saint or Sinners«) entscheidet sie sich mit ihrer Tochter Halloween zu feiern, einen Feiertag, den ihre Eltern wegen seiner nicht-christlichen Herkunft ablehnen. Ihre vermeintlich rebellischen Transgressionen sind damit nie außerhalb anerkannter Verhaltensmuster positioniert, seien es die christliche Modeindustrie oder dominante Festtraditionen der Mehrheitsgesellschaft. Auf diese Weise verkörpern Kolby, Taylor und Olivia drei mögliche Rollenbilder für junge Frauen, die auf implizit wirkende Zuschreibungen von race zurückgreifen. Diese verbinden implizit Weißsein mit der Praktik der ›Jungfräulichkeit‹ sowie Mutterschaft und Schwarzsein mit ›Hypersexualität‹. Wie schon im vorherigen Kapitel angeklungen, interpelliert die vermeintliche und unaussprechbare ›Sorge‹ um die Sexualität junger Frauen damit implizit ›keusche‹ Frauen als weiß und affirmiert damit eine »familiar and troubling idealization of white women’s virginity« (Fields 6). Die Dialektik zwischen Taylors vermeintlicher ›Hypersexualität‹ und Olivias und Kolbys (wiedergefundener) sexueller ›Keuschheit‹ fungiert damit als televisuelle Verkörperung einer white womanhood als implizite Norm. Die (räumliche) Transgression der alltäglichen Präsenz des Göttlichen und ihre strukturierenden racial constructions werden in Preachers’ Daughters über herausgehobene Erfahrungskonstitutionen diszipliniert: In der Episode »Naughty and Nice« muss Taylor die »purity and passion«-Klasse ihrer Kirchengemeinde besuchen. An diesem Beispiel zeigt sich, wie der ›struggle to stay pure‹ über herausgehobene und somit außerordentliche Momente der Präsenz performativ umgesetzt und sensationalistisch ins Bild gerückt wird. Die Serie zeigt einen festlichen Vater-TochterTanzabend, auf dem sog. Keuschheitsgelübde zum ersten Mal geleistet oder aufgefrischt werden. Es handelt sich also um eine, im Format des ›Reality-TV‹ inszenierte, Umsetzung von Keuschheitsschwüren, die ähnlichen kulturellen Logiken folgt wie die im vorherigen Teilkapitel besprochene True Love Waits-Zeremonie. Die televisuelle ›Realisierung‹ ist dabei wie folgt: Wenige Augenblicke bevor Taylor bei dieser Veranstaltung ihr Versprechen der Jungfräulichkeit erneuern soll, wird ein confessional eingeschnitten. Darin unterbreitet sie dem Publikum erneut ihre Zweifel und beschreibt die Situation als einen Moment der Intensität: »My heart is beating really fast, and I am thinking oh my God I do not wanna do this [. . . ] Standing in front of all of these people, from the church and everywhere else, my Dad is looking at me dead in my eyes, my Mom is looking at me and I don’t know if I can do it«. Nach dieser vermeintlichen ›Enthüllung‹ wird der folgende Bibelvers eingespielt: »For God is not a God of confusion but of peace. Corinthians 14:33.« Darauf folgend entscheidet Taylor: »Ultimately this is my commitment between me and God, so I’m gonna make the commitment that I know I can keep. I’m willing to commit to not having sexual intercourse.« Im Anschluss daran bezeugen die Zuschauer_innen
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Taylors Beschluss in einer ›Reality-TV‹-Sequenz im Moment der tatsächlichen Ringzeremonie. Der Moment wird so als persönliche und intensive Erfahrung des Göttlichen inszeniert und folgt dem Muster der (christlichen) Konversion. Die Erfahrung der Wiedergeburt ist bekanntermaßen im evangelikalen Kontext eine entscheidende Situation der Umkehr und des Neubeginns und wird immer wieder als Moment (intensiver göttlicher Erfahrung) beschrieben, der als göttliche Präsenz diskursiviert und geteilt wird. Taylors Rebellion gegen die Regeln ihrer Familie, ihr Schwur, der als persönliche Gotteserfahrung dargestellt wird, verknüpft damit die Erfahrungskonstitution (des Göttlichen) eng mit der Voraussetzung eines keuschen Lebensstils. Auf diese Weise imaginiert die Show ihre Performanz sexuell abstinenter Weiblichkeit als das Ergebnis der Präsenz des Göttlichen in der Keuschheitszeremonie. Als Höhepunkt des Konflikts zwischen Taylor und ihrem Vater zeichnet sich die Sequenz weiter scheinbar über eine Triangulation von Autorität zwischen Vaterfigur, Gottesfigur und Tochter aus. So löst sich Taylors Rebellion in ihrer persönlichen Verpflichtung »between me and God« auf. Der biblische Referenzrahmen, Korinther 14:33, fungiert nicht länger als ein Widerspruch, sondern leitet ihre Appropriation von ›Keuschheit‹ an. Prediger Coleman eröffnet den Abend in der Kirche so: »It is a wonderful event and it is to honor our daughters. And it’s for us fathers to make a commitment to our daughters and our daughters to make a commitment to the Lord« (»Naughty and Nice«). Seine Worte markieren die Veranstaltung als eine besondere Feier und umschließen in ihrer Rhetorik Töchter zwischen Vätern und »the Lord«. Damit zeigt sich allerdings, dass die Autorität über ›Keuschheit‹ in der Gott/Prediger/Vater-Figur verdreifacht wird. Taylor spricht ihrem Vater nach: »Today I commit myself to the Lord until the day that I marry. In Jesus’ name, Amen«. Danach erhalten sie und die anderen Teilnehmerinnen einen Ring von ihren Vätern. Wie die Analyse von True Love Waits schon gezeigt hat, bedienen sich Keuschheitszeremonien bestimmter Hochzeitsrituale und evozieren dadurch die vermeintlich nicht ausdrückbare Erfahrung göttlicher Liebe. Auch die Zeremonie in Preachers’ Daughters inszeniert diese Logik in den Konventionen des TV-Formats und fungiert gleichzeitig als Versöhnung zwischen Taylor und ihrem Vater. So übt Taylors Keuschheitsschwur in der Logik der Show die Funktion aus, (göttliche) Präsenz zu inszenieren und zu affirmieren. Damit übersetzt Preachers’ Daughters Darstellung von Rebellion, väterlicher Zuneigung und Familienwerten den Bibelvers »God has not called us to an unclean life but to one of purity. Thessalonians 4:3-7« in das Repertoire von (göttlicher) Intimität und implementiert so ein scheinbar lebensähnliches und erfolgreiches Verständnis biblischer Führung in der Familie von Taylor. Trotz evangelikaler Diskurse der Intimität ist der inzestuöse Unterton, Töchter an Gott und ihre Väter zu verheiraten, nicht auszublenden. Die Appropriation dominan-
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ter Hochzeitsrituale entwickelt dabei eine sensationalistische Qualität, die im Format der Show instrumentalisiert wird. Hendershot identifiziert in konservativ christlichen Keuschheitsmedien allgemein eine klare ödipale Dimension und schreibt: Even if the official prochastity line is that sex is beautiful, natural, and healthy, Christian media have ways of making it seem rather unpleasant, even infusing it with Oedipal overtones. Magazines, videos, and advice books urge sexually aroused teens to stymie sexual feelings by picturing the faces of all their relatives, as well as Jesus. Although the intention may be simply to make kids feel guilty, there is also a creepy Oedipal dimension to picturing your mother’s or father’s face whenever you are sexually aroused. Boys and girls are encouraged to imagine dates as siblings and to »date« their parents. (95)
Die Inszenierung von (ehelicher) Intimität im oben analysierten Werbespot, Taylors Keuschheitsschwur im Rückgriff auf Hochzeitsrituale sowie unzählige andere Szenen, in denen die Interaktionen zwischen Vätern und Töchtern dargestellt werden, präsentieren das christliche Leben der drei Familien beinahe exklusiv auf das Verhältnis Gott/Vater und Tochter ausgerichtet und evozieren scheinbar eine ödipale Dimension.24 Allerdings invertiert Preachers’ Daughters ein ödipales oder ElektraBegehren.25 Dies wird über die Konstruktionen von visuellem Begehren deutlich, insbesondere über den offensichtlich auf die Mädchen gerichteten Voyeurismus. So ist Taylors Keuschheitszeremonie aus ideologiekritischer Perspektive weder ein Zeugnis väterlicher Zuwendung, noch handelt es sich um eine Verschiebung sexuellen Begehrens der Töchter auf die Väter. Sondern die Szene, und etliche andere auch, fungieren als Sexualisierung der Figuration Gott/Vater und Tochter, die über die Evokation inzestuöser Diskurse patriarchale Autorität festschreibt. Der sensationalistische Modus
24 | Dieser obsessive Fokus ist über die auffällige Absenz von mütterlicher Autorität und Brüdern noch weiter betont. Zwar sind die Mütter ein Teil der Show und übernehmen, am offensichtlichsten im Fall von Kolbys Priester-Mutter, scheinbar auch Teil der religiösen Erziehungsarbeit. Allerdings fungieren die Repräsentationen wohl eher als der Versuch, die patriarchalen Familienstrukturen zu verbergen sowie von der inzestuösen Figuration Gott/Vater/Tochter abzulenken. 25 | Aus psychoanalytischer Sicht verschränkt die Paarung Gott/Vater/Tochter (göttliche) Präsenz mit der Autorität des Über-Ichs, das in der Figur des Vaters/Priesters verkörpert wird. In dieser Dynamik kann Taylors Bemühung um ›Keuschheit‹ als eine evangelikal vereindeutigte, geschlechtsspezifische Version der Freudianischen Unterscheidung zwischen Es/Ich/ÜberIch verstanden werden. Ihre Appropriation der ›Keuschheit‹ wird damit zum Signifikanten für ›gottgefälliges‹ Erwachsenwerden.
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der Show Preachers’ Daughters lenkt damit das sexuelle Begehren der Väter – und in Ausweitung des Publikums – auf die Mädchen, wobei die Formen des racial ›Otherings‹ den Fokus besonders auf Taylor richten. Allerdings könnte man die Serie aufgrund dieses obsessiven Fokus auf Sexualität auch einfach als exotisierende Darstellung evangelikaler Kultur verstehen. Eine solch simple Deutung ignoriert allerdings die implizit wirksamen Gefühle, sexuelle Abstinenz als die einzige und richtige Wahl für junge Frauen zu proklamieren. Das wird am Ende der vorletzten Episode am deutlichsten. Olivia macht darin ihre Entscheidung, ein gläubiges Leben zu führen, im Ritual der Taufe öffentlich. Die Taufe ist der kathartische Moment der ersten Staffel und zeigt ihr interpretatives Ende auf. Die Szene bringt die erste Staffel der Serie in Bezug auf ihre narrative und performative Inszenierung der Notwendigkeit von ›Keuschheit‹ für jungen Frauen zum Abschluss und ›authentifiziert‹ diese gesellschaftspolitische Einstellung, indem das Ritual als präsentisch kodierter Moment der hervorgehobenen und besonderen Erfahrung inszeniert wird. Über diese Strategie entwickelt Preachers’ Daughters sexuelle Abstinenz und ›keusche‹ Weiblichkeit als die ›richtige‹ Wahl für die jungen Frauen. Die darin implizierte scheinbare Reife, sich richtig zu entscheiden, verknüpft den Prozess des Erwachsenwerdens mit einer normativen Vorstellung von jugendlicher Weiblichkeit: So darf Taylor am Ende der Staffel auf ein Date gehen, Olivia wird getauft und Kolbys Eltern versöhnen sich scheinbar nach Jahren der ehelichen Trennung. Das Ende der ersten Staffel hebt allerdings die kontinuierliche und (disziplinarische) Präsenz der Gott/Prediger/Vater-Figur hervor und zeigt diese beim Predigen. Dadurch werden weiterhin das disziplinarische Moment und der invertierte ödipale Blick betont. ›Reality-TV‹ und die Inszenierung religiöser Privatheit Das Ritual der Jungfräulichkeit zeigt darüber hinaus die verschiedenen Nuancen und religiösen Überhöhungen von Privatheit sowie die damit verschränkten Konstruktionen von Weiblichkeit. Das Fernsehformat des ›Reality-TV‹ inszeniert hierbei verschiedenen Ebenen einer Ideologie der Privatheit und verweist paradigmatisch auf wichtige Aspekte der Praktik der ›Keuschheit‹ zwischen angeblich persönlichem Glaubensbekenntnis und öffentlicher Inszenierung. Auf intradiegetischer Ebene des Fernsehformats wohnen Taylors Familie und die anderen Kirchenmitglieder dem Keuschheitsritual bei und bezeugen somit Taylors Keuschheitsschwur. Um noch einmal Diane Taylor zu bemühen: »The repertoire requires presence: people participate in the production and reproduction of knowledge by ›being there,‹ being a part of the transmission« (25). Ihr Argument ist an dieser Stelle in zweifacher Weise aufschlussreich: Einmal führt die Szene paradigmatisch eine geteilte Gewissheit über
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die Präsenz des Göttlichen in der Kirchengemeinde vor und macht dadurch Taylors scheinbar privat empfundene Präsenzerfahrung öffentlich. Gleichzeitig dient die Anwesenheit der Kongregation als disziplinarisches Mittel, eine normative Darbietung von Weiblichkeit zu reproduzieren. Indem man die Zeremonie als eine »production und reproduction« um ein (normatives) ›Wissen um Frausein‹ versteht, wird ›keusche‹ jugendliche Weiblichkeit als gemeinsame Erwartung und geteiltes Wissen inszeniert. Auf der extradiegetischen Ebene teilt das Format der Serie die Präsentifikation des Göttlichen und die damit verschränkten Konstruktionen von Weiblichkeit mit dem Fernsehpublikum. Dabei übernimmt das Format der Show die Funktion, eine vermeintlich familiäre Privatheit zu etablieren, die die Häuslichkeit der Serie auf das jeweilige Wohnzimmer des Publikums erweitert und das implizite Wissen um religiös motivierte ›Keuschheit‹ und Weiblichkeit an die Zuschauer weitergibt. Damit manifestiert die Serie die gesellschaftspolitische Diskussion um sexuelle Abstinenz als sensationelle Praktik, die als Form des pleasures für das Fernsehpublikum dargestellt wird. Ohne Zweifel ist klar, dass der Übergang von intradiegetischer Ebene auf extradiegetische Ebene nicht bruchlos vorübergeht und Formen der Identifikation des Publikums komplex sind. Kavka beschreibt das Paradox der Konstruiertheit von ›Reality-TV‹ wie folgt: »To accept both – that viewers know that it is set-up and yet the level of actuality in these shows is important – would be to understand that the appeal of ›reality‹ TV lies precisely in its performance of ›reality‹ in a way that matters« (94). In Bezug auf Preachers’ Daughters’ Darstellung von Gefühlen über ›Keuschheit‹ und Weiblichkeit, dreht sich die Frage also nicht um die offensichtliche Konstruiertheit der Fernsehshow. Gleichgültig ob das Fernsehpublikum die konstruierte ›Realität‹ der Show als solche aufdeckt; Preachers’ Daughters konstruiert, evoziert, authentifiziert Empfindungen um (familiäre) Liebe und Glauben als ›real‹. In diesem Sinne präsentifiziert Taylors Keuschheit jugendliche Weiblichkeit als devoted und fungiert als mögliche Schließung für Taylors Familie und in Erweiterung für das Fernsehpublikum im Ganzen. Hier zeigen sich ganz deutlich die verschiedenen analytischen Ebenen des public feeling-Paradigmas. Die Frage, die sich also in Bezug auf den affektiven appeal der Show stellen lässt ist, was den Sensationalismus genau hervorruft und für wen? Obwohl die Show vermeintlich positiv konnotierte Gefühle um Weiblichkeit aufspannt, zeigt sich aus ideologiekritischer Sicht, dass die damit hervorgerufenen Emotionen auf vergeschlechtlichten und rassifizierten impliziten Wissensbeständen beruhen, die als diffuse Ängste um (schwarze) Weiblichkeit sensationalistisch und stereotyp wirken. Preachers’ Daughters (räumlich kodierte) Präsentifikationen des Göttlichen evozieren einen rassifizierten Common Sense und emotionales Wissen und affizieren ein
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Publikum, dessen Vorstellungen von Geschlecht und race quer zu religiös und säkular kodierten Diskursen liegen. Die Präsentifikationen (des Göttlichen) und ihre strukturierenden impliziten Wissensbestände inszenieren damit ›keusches Weißsein‹ als (religiös) erfahrbar, wodurch ›Keuschheit‹ als Konstruktion von whiteness unmarkiert bleibt. Der ›Wahrheitsgehalt‹ dieser impliziten Verständigungsprozesse um junge Frauen und ›Keuschheit‹ wird weiter beteuert. So bekommt Taylor nach ihrem Keuschheitsschwur etwa einen persönlichen Stripteasetanz zu ihrer Geburtstagsparty (»Hallelujah«). Die serielle Ästhetik inszeniert den Generationenkonflikt in diesem Sinne als immer wiederkehrend und garantiert für die ›Realität‹ dieser Darstellung mit dem promise of authenticity des ›Reality-TV‹. Die erste Staffel der Serie endet mit dem Hinweis »To Be Continued« (»Hallelujah«). Die visuelle Ankündigung entspricht dabei ästhetisch den eingespielten Bibelversen und etabliert einen engen Zusammenhang zwischen der Proklamation biblischer Legitimität und den Konventionen des seriellen Formats. Die Zirkularität von Preachers’ Daughtersinszeniert in diesem Sinne ein scheinbar gerechtfertigtes religiöses public feeling über die Gegenüberstellung rebellischer, sexualisierter Weiblichkeit mit göttlicher Intimität.
3.3 S ENSATIONALISTISCHE R OMANTIK , RELIGIÖSER K APITALISMUS UND M ANIFEST V IRGINTIY In Mary Millers Roman The Last Days of California (2014) befindet sich die Erzählerin Jess mit ihrer Schwester und ihren Eltern auf dem Weg von Alabama nach Kalifornien, um von der pazifischen Zeitzone aus die angeblich kurz bevorstehende Entrückung in Echtzeit mitzuerleben. Neben Szenen, in denen Jess religiöse Pamphlete verteilt und mit Fremden über deren Erlösungsstatus spricht, erzählt der Roman, wie Jess auf der Reise nach Westen ihre ›Jungfräulichkeit verliert‹. So sinniert sie am Ende des Romans: »It was strange how you could be something and then not be that something so easily. Last night, I’d been a virgin. Elise had been a vegetarian. Last night, not being those things had seemed impossible« (232-3). In einer Mischung aus road narrative und coming of age-Erzählung verhandelt der Roman die evangelikale Gefühlsformation der ›Keuschheit‹ so als vermeintlich normale, emotionale ›Sorge‹ im Leben der jungen Frau und berichtet von Jess’ sexueller Erweckung.26 Zwar spricht der Roman damit einem ›keuschen‹ Lebensstil für junge Frauen scheinbar ab,
26 | Auch auf Ebene des Feldes zeigt sich, dass für viele Jugendliche der Keuschheitsring eher wie »a souvenir, like a T-shirt from a rock concert« fungiert (Gardner 54).
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allerdings zeigen sie im Muster der Erweckung und der Beglaubigung dennoch die kulturelle und affektive Wirkmächtigkeit evangelikaler Muster in der Gefühlsformation der ›Keuschheit‹. Die Evangelikale Keuschheitskultur inszeniert und evoziert ein religiöses public feeling am Nexus von sensationalistischer Romantik, religiösem Kapitalismus und der Imagination eines christlichen US-Amerikas. Besonders diskursive Artikulationen von (göttlicher) Präsenz übernehmen dabei die Funktion, Weiblichkeit am Knotenpunkt von evangelikalen Diskursen und nominell säkularen Diskursen zu konstruieren. True Love Waits und Preachers’ Daughters sind geprägt von diskursiven Artikulationen von (göttlicher) Präsenz, die im Besonderen über Bezüge auf (sensationalistische) romantische Diskurse sozial intelligibel bereitgestellt werden. (Göttliche) Präsenz ist damit doppelt kodiert und verschränkt die Erfahrungsdimensionen des Göttlichen und der Liebe nahezu uneinholbar miteinander, da die Utopie der Liebe auch in nominell säkularen Diskursen als Erfahrung gilt, die nicht erklärt werden kann. Aus ideologiekritischer Perspektive übernimmt (göttliche) Präsenz in diesem Sinne die Funktion, ›keusche‹ jugendliche Weiblichkeit zu naturalisieren und der (politischen) Auseinandersetzung auf Ebene des Diskurses zu entziehen. True Love Waits koppelt darüber hinaus (göttliche) Präsenz eng an Gefühle eines religiösen Kapitalismus und die Einübung normativer Geschlechterrollen. So wird die ›keusche‹ junge Frau über allerlei Keuschheitsprodukte und Keuschheitsrituale als glücklich und in der religiösen Diskursformation als herausgehoben gezeichnet. Darüber hinaus proklamiert die evangelikale Populärkultur das Konsumverhalten als christliche Ermächtigung. Präsenz übernimmt hier die Funktion, kapitalistische Prozesse vermeintlich zu transzendieren und interpelliert Käufer_innen damit als religiöse und gefühlsorientierte Amerikaner_innen. Darüber hinaus emotionalisiert ›Keuschheit‹ die Konstruktion eines ›evangelikalen Südens‹ als Präsentifikation einer (zivil-)religiösen Nation. Dahingehend verschränkt True Love Waits den (zivil-)religiösen Patriotismus mit dem christlich-missionarischen Glauben als scheinbare ›Sorge‹ um Teenager_innen. Darüber hinaus fungiert die Keuschheitskultur als Aufschub diffuser Ängste um weibliche Sexualität am Schnittpunkt von Religion, heteronormativer Geschlechterideologie und deren strukturierenden rassifizierten Wissensbeständen. Hendershot beschreibt das »›center‹ of conservative evangelical culture« als »middle-class, mostly white Christians who can afford to buy into the ›Christian lifestyle‹ market« (10) und verweist auf die relative Absenz nicht-weißer Charaktere in evangelikalen Medien und deren Funktion als Sidekicks. Sie liest die wenigen Versuche, nicht-weiße evangelikale Identitäten zu repräsentieren als »tokenism [that] indicates an attempt to ›reach out‹ to people of color« (10). Auch wenn sie die altersierenden Konstruk-
Evangelikale ›Keuschheit‹ | 95
tionen nicht-weißer Charaktere in einer Episode der Veggie Tales27 kurz aufarbeitet, scheint sie deren Abwesenheit hauptsächlich als Folge neoliberaler Marktlogiken zu verstehen und nicht als damit verschränkte Konstruktion einer evangelikalen »imagined community« (Benedikt Anderson) als weiß. Die evangelikale Keuschheitskultur bindet normative Vorstellungen von Weiblichkeit an eine hegemoniale Konstruktion von whiteness und kreiert dadurch eine implizite ideologische Kohärenz für eine größtmögliche Anzahl an Rezipient_innen. Preachers’ Daughters sensationalisiert ›Keuschheit‹ über hegemoniale implizite Wissensbestände, die Schwarzsein als ›Hypersexualität‹ und Weißsein als ›Keuschheit‹ scheinbar affirmieren und evoziert damit diffuse Ängste um weiße Weiblichkeit. Die implizite Strukturierung von Keuschheitskultur im Allgemeinen und Preachers’ Daughters im Speziellen verdeutlicht, dass es sich dabei um implizite Wissensbestände um Geschlecht und race handelt, die quer zum vermeintlich distinkten Identifikationspotential der Religion liegen und somit weite Teile der US-amerikanischen Gesellschaft zu affizieren vermögen. Auch wenn die evangelikale Keuschheitskultur eine politisch minoritäre Position inszeniert, die sexuelle ›Keuschheit‹ vor der Ehe als gegenkulturelle Praktik behauptet, bietet sie dennoch – als Manifestation eines religiösen public feelings – auf zwei miteinander verschränkten Ebenen kulturelle Bedeutung für ein evangelikales Publikum sowie den nominell säkularen Mainstream. Zum einen fungieren romantisierte (göttliche) Präsenz und zivilreligiöse Empfindungen als Formen der Missionierung und Bekehrung. Zum anderen evoziert und bringt es intrakulturell wirkmächtige corresponding feelings um Weißsein, jugendliche Weiblichkeit, Konsum und die Nation zum Ausdruck. Die untersuchten Phänomene sind deshalb auch paradigmatische Beispiele für den affekttheoretisch gewendeten Kulturbegriff der vorliegenden Arbeit. Wenn ich das Kapitel mit dem Dreischritt sensationalistische Romantik, religiöser Kapitalismus und manifest virginity überschrieben habe, dann auch deshalb, weil die kulturelle Logiken der Kapitel erarbeiteten corresponding feelings um Weiblichkeit, Konsum und die Nation im den weiteren Analysen relevant bleiben. So zeigen sich etwa die Dopplung von (göttlicher) Präsenz und romantischer Liebe in den Formeln der christlichen chick und sitah lit, religiöse Gefühle überformen den Konsum dieser populären Frauenromane und Ratgeberformate, christlich motivierte Selbsthilfeformate visualisieren eine Konversion zur whiteness und Formen des Aktivismus evangelikaler Frauen werden als Manifestationen des evangelikalen nation buildings
27 | Bei den Veggie Tales handelt es sich um eine evangelikale Comicserie für Kinder. Hendershot nimmt die Serie als ein Beispiel, um zu argumentieren, wie christliche Medien »different levels of evangelical intensity« aufzeigten. Sie schreibt weiter: »[They] are produced by evangelicals but are only gently ›religious,‹ promoting an ecumenical belief in God« (7).
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einer größtmöglichen Anzahl an Rezipient_innen kulturell wirkmächtig und politisch anschlussfähig bereitgestellt.
4 »Women are falling in love«: Christliche Chick und Sistah Lit
»Women are falling in love with Christian chick lit« behauptet die Autorin christlicher Liebesromane Mary Eason in einem Internetbeitrag über »[t]he Difficulty of Keeping the Faith in the Romance Industry«. Ihre überschwängliche Einschätzung dient hier als Ausgangspunkt, um auszuarbeiten, wie christliche chick und sistah lit Weiblichkeit am Schnittpunkt ›postfeministischer‹ Diskurse sowie der Präsenz von romantischer und göttlicher Liebe konstruiert. Nachdem der erste Teil des Kapitels das Phänomen der christlichen chick und sistah lit-Romane kulturhistorisch und theoretisch verortet, folgen im zweiten Teil die Analysen von Judy Baers the Whitney Chronicles: Life, Faith and Getting it Right (2004) und Kimberley Brooks He’s Fine But Is He Saved? (2004).1 Meine Lektüren veranschaulichen, wie die Romane über die Appropriation der Formel des zeitgenössischen, populären Liebesromans einen christlichen ›Mehrwert‹ behaupten. Die Analysen berücksichtigen kulturelle Spezifika weißer chick lit und schwarzer sistah lit und fokussieren darüber hinaus auf die Funktionen intrakultureller Ausdifferenzierung und Kommodifizierung von Differenz im Kontext des evangelikalen Marktangebots. Darüber hinaus argumentiere ich, dass die Romane über Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz eine religiös-intime Öffentlichkeit in Szene setzen, in der Religion und Weiblichkeit im Register ›postfeministischer‹ Konsumkultur uneinholbar miteinander verknüpft sind. Die Formeln christlicher chick und sistah lit imaginieren dabei einen scheinbar universellen, christlichen
1 | Weitere exemplarische Titel sind Angela Bensons Awakening Mercy (2000), Kristin Billerbecks Ashley Stockingdale-Reihe What a Girl Wants (2004), She’s Out of Control (2004), und With this Ring, I’m Confused (2005) sowie Neta Jacksons The Yada Yada Prayer Group (2003) und Robin Gunns Sisterchicks on the Loose! (2003).
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Erfahrungsraum von und für Frauen, welcher die Differenz christlich/nicht-christlich zwar klar markiert, aber über die Verführung romantisch-göttlicher Liebe als überwindbar präsentiert. Im letzten Teil des Kapitels arbeite ich heraus, wie die religiöse Gefühlsformation der Romane außerhalb der Diegese kulturell wirksam ist und sowohl die serielle Dimension des Genres als auch hegemoniale Vorstellungen von weiblichem pleasure überformt und naturalisiert. In Adventure, Mystery, and Romance analysiert John Cawelti »popular story formulas, those narratives and dramatic structures that form such a large part of the cultural diet of the majority of readers, television viewers, and film audiences« (2). Aus strukturalistischer Perspektive beschreibt er formelhafte Literatur als »combination or synthesis of a number of specific cultural conventions with a more universal story form or archetype« (6). Er skizziert eine Typologie wirkmächtiger literarischer Formeln »to arrive at some understanding of the general story types that underlie the diversity of formulaic constructions« (37). Dabei macht er »five primary moral fantasies« aus (39), von denen eine die Liebesgeschichte ist. In Bezug auf die Formelhaftigkeit der romance behauptet er: There seems little doubt that most modern romance formulas are essentially affirmations of the ideals of monogamous marriage and feminine domesticity. No doubt the coming age of women’s liberation will invent significantly new formulas for romance, if it does not lead to a total rejection of the moral fantasy of love triumphant. (42)
Entgegen der Vermutung Caweltis, dass die Utopie der Liebe obsolet werde, lässt sich seit den 1990er Jahren die Popularität sogenannter chick lit beobachten. Dabei handelt es sich um eine literarische Formel von und für Frauen, welche im Rückgriff auf Caweltis Konzeption formelhafter Literatur als Verbindung ›postfeministischer‹ Konsumkultur und dem Archetypus der Liebesgeschichte verstanden werden kann (vgl. Harzewski 24 und Paul, »Feminist Chicks?« 71). Die klassische Formel der chick lit schildert das Leben weißer, heterosexueller Singlefrauen in der Großstadt und deren Erfahrungen mit romantischen Beziehungen, Karriere, Freundschaft, Konsum sowie Körper- und Schönheitsidealen. Die folgenden Charakteristika werden wiederholt genannt, um chick lit als Genre auszuzeichnen. Erstens bedient sich chick lit im Rückgriff auf Konfessionsliteratur meist einer weiblichen Erzählerin in der ersten Person. Zweitens wird die Formel als Aktualisierung und Fortschreibung älterer romantischer Formeln eingeordnet: »Chick lit parodies and modifies the latter [the Harlequin, M. S.] through greater realism, a picaresque relation to money, and a vast diminishment of the hero« (Harzewski 18). Drittens wird der ironische Ton der Romane hervorgehoben, welcher vermeintlich
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die Empfindung der Leser_innen evoziere, dass die Romane das Leben junger Frauen am Ende des 20. Jahrhunderts ›realistisch‹ darstellten. Viertens greift chick lit auf diverse, populäre und literarische Vorgängertexte zurück: etwa Hochglanzmagazine für Frauen oder Romane wie Jane Austens Pride and Prejudice und Erica Jongs Fear of Flying (vgl. z.B. Ferriss und Young, Ganser, Harzewski, Paul, »Feminist Chicks?«).2 Das Aufkommen populärer chick lit provozierte etliche Reaktionen. Susanne Ferris und Mallory Young fassen dahingehend zusammen: »On (sic) one hand chick lit attracts the unquestioning adoration of fans; on the other it attracts the unmitigated disdain of critics« (1). Einige Schriftstellerinnen monierten die Uniformität und Allgegenwärtigkeit der Formel auf dem Buchmarkt, da dies den Eindruck verschaffe, dass chick lit das einzige (kommerziell) erfolgreiche, literarische Unterfangen zeitgenössischer Autorinnen sei.3 In einem größeren Kontext entspann sich u.a. an chick lit-Romanen eine Debatte über die gesellschaftspolitische Relevanz feministischer Diskurse in den USA. Grob zusammengefasst identifizierte dabei ein populärer, medialer Diskurs bestimmte Figuren, etwa die Protagonistinnen der Serie Sex and the City, als ›postfeministisch‹ und behauptete, dass feministische Ziele erreicht seien. Feministinnen der sog. zweiten Frauenbewegung und jüngere Aktivist_innen dagegen enthüllten die Annahme einer bereits erfolgten feministischen Ermächtigung als ideologischen Trick und kulturell wirkmächtigen backlash.4 Des Weiteren wurde die Tatsache, dass die Repräsentation des Lebens hauptsächlich weißer Frauen eine ›postfeministische‹ Ära beweise, als vereinfachend entlarvt. Insbesondere afroamerikanische, feministische Perspektiven haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die rassistische Geschichte und Gegenwart der USA die Ermächtigung von Frauen verhindert. Sie setzen zum einen die Erfahrungen nicht-weißer Frauen als Bezugspunkt, der aufzeigt, dass rassistische und patriarchale Strukturen weiterhin effektiv sind und sich gegenseitig bedingen. Zum anderen erkennen sie die rassifizierten Logiken des
2 | Die ›klassische‹ Formel wurde für eine Reihe von Zielgruppen konkretisiert: Appropriationen reichen von sog. mommy lit, lad lit, bride lit und chica lit zu christlicher chick und sistah lit (s. Paul, »Feminist Chicks?« 71 und Hedrick). 3 | Elisabeth Merricks This Is Not Chick Lit ist eine paradigmatische Veröffentlichung für diese Art der Kritik. 4 | ›Postfeminismus‹ wird oftmals mit dem sog. third-wave feminism gleichgesetzt. Für meine Zwecke verstehe ich ›Postfeminismus‹ allerdings als ein Phänomen, das in einer Reihe von kulturellen und medialen Texten relevant wird, die nicht explizit einen politisch-aktivistischen Fokus haben (s. auch J. Butler 41). Einen Überblick zu ›postfeministischen‹ Genderdebatten bietet Paul, »Feminist Chicks?«.
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Ermächtigungs- und Solidaritätsdiskurses des weißen Feminismus.5 Unter Berücksichtigung der impliziten Politiken ›postfeministischer‹ Texte erklären Yvonne Tasker und Diane Negra deshalb: »Postfeminism is white and middle class by default, anchored in consumption as a strategy (and leisure as a site) for the production of the self. It is thus also a strategy by which other kinds of social difference are glossed over« (2).6 Mit dem Ziel die oft gegensätzlichen Definitionen der Bezeichnung ›Postfeminismus‹ zu überwinden, betont Rosalind Gill »the entanglement of both feminist and anti-feminist themes« (149) und identifiziert spezifische Charakteristika ›postfeministischer‹ Mediendiskurse. Diese konturierten sich anhand eines obsessiven Fokus auf die Selbstoptimierung weiblicher Körper, der Rede über »individualism, choice and empowerment« (149) bis zu daran gekoppelter Prozesse der Kommodifizierung, Sexualisierung und Exklusion in Bezug auf Differenzkategorien wie »race and ethnicity, class, age, sexuality and disability – as well as gender« (149). Sie argumentiert: »[P]ostfeminism is understood best neither as an epistemological perspective nor as an historical shift, nor (simply) as a backlash in which its meanings are pre-specified. Rather, postfeminism should be conceived of as a sensibility« (148). Ihre Verwendung des Affektbegriffs sensibility designiert ›postfeministische‹ Texte und Diskurse als »critical object« (148) und ermöglicht eine ideologiekritische Perspektive auf die kulturelle Arbeit christlicher chick und sistah lit, verstanden als »Structures of Religious Feeling« (Pellegrini 911). Williams spricht von »structures of feeling« und bezeichnet damit »meanings and values as they are actively lived and felt« und »characteristic elements of impulse, restraint, and tone; specifically affective elements of consciousness of a present kind, in a living and interrelating continuity« (»Structures of Feeling« 132). Darüber hinaus betont er: The idea of a structure of feeling [...] is a way of defining forms and conventions in art and literature as inalienable elements of a social process: not by derivation from other social forms and pre-forms, but as social formation of a specific kind which may in turn be seen as the articulation (often the only fully available articulation) of structures of feeling which as living processes are much more widely experienced. (133)
5 | Neben Klassikern des schwarzen Feminismus, die diese Kritik immer wieder formuliert haben, gibt Jess Butlers »For White Girls Only?« einen guten Überblick zu den Debatten um race und ›Postfeminismus‹. 6 | Ohne Zweifel gibt es nicht-weiße Texte, die in ›postfeministischen‹ Diskursen situiert werden: Terry McMillans Waiting to Exhale (1992) gilt etwa als Begründungstext schwarzer sistah lit (Guerrero).
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Berlant identifiziert US-amerikanische Frauenkultur als »one of many flourishing intimate publics in the United States« (Female Complaint 5) und schreibt u.a. über chick lit: The works of »women’s culture« enact a fantasy that my life is not just mine, but an experience understood by other women, even when it is not shared by many or any. Commodified genres of intimacy, such as Oprahesque chat shows and »chick lit,« circulate among strangers, enabling insider self-help talk such as »girl talk« to flourish in an intimate public. These genres claim to reflect a kernel of common experience and provide frames for encountering the impacts of living as a woman in the world. (x)
Sie beschreibt die kulturelle Wirkmächtigkeit sentimentaler Diskurse in der Imagination und Fortschreibung normativer Konstruktionen von Weiblichkeit weiter als eine »market domain where a set of problems associated with managing femininity is expressed and worked through incessantly« (5). US-amerikanische Frauenkultur beanspruche dabei »a certain emotional generality among women« und blende historische und kulturelle Spezifika »especially of class and race« aus (5). Christliche chick und sistah lit-Romane stellen eine religiös-intime Öffentlichkeit dar und fungieren über die Vorstellung emotionaler Teilbarkeit und Teilhabe als Identifikationsangebot für evangelikale und nicht-evangelikale Leser_innen. Darüber hinaus konstruieren und evozieren christliche chick und sistah lit-Romane eine ›postfeministische‹ Empfindsamkeit, welche die romantisch-religiösen Erfahrungen der Protagonistinnen in zweierlei Hinsicht als emotionales Identifikationsangebot wirken lässt; zum einen über die Konventionen der chick lit als »genre[. . . ] of intimacy« (Berlant, Female Complaint x), zum anderen über die Inszenierung der romantischen Präsenz des Göttlichen. Die Religionswissenschaftlerin Lynn Neal macht auf die enge Koppelung von Liebesgeschichte, Religion und Weiblichkeit in US-amerikanischer Kultur allgemein aufmerksam, wenn sie über evangelikale Liebesgeschichten schreibt: »Not only is the genre written and read by women, but it also utilizes a fictional formula and a sentimental piety designated as feminine« (39). Evangelikale romantische Frauenromane sind somit in doppelter Hinsicht von einem geschlechtsspezifischen Verständnis von Genre und einer Ideologie des Gefühls strukturiert.7
7 | Christliche chick lit und Vorgängertexte zeigen die Überlagerung und Gleichzeitigkeit nominell evangelikaler und nominell säkularer Genres populärer Frauenliteratur. So eröffnet sich kulturhistorisch eine spezifische Genealogie US-amerikanischer Frauenliteratur, die von christlicher chick lit über Grace Livingston Hills evangelikale Liebesromane bis zu Harriet BeecherStowes (evangelikalem) Bestseller Uncle Tom’s Cabin reicht (vgl. Neal 15-41).
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Insbesondere Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz lassen die Kopplung von evangelikalen Diskursen, dem Genre der Liebesgeschichte und damit verbundenen Konstruktionen von Weiblichkeit als evangelikale Gefühlsformation wirkmächtig werden. Die zu analysierenden christlichen Formel-Romane heben bestimme Szenen als intensive Erfahrungen des Göttlichen hervor und bedienen sich des kulturellen Repertoires romantischer Liebe. Ich werde zeigen, dass die ideologische Einübung der (ironischen) Wirrungen romantischer Liebe (göttliche) Präsenz plausibilisiert. Im Rückgriff auf hegemoniale Diskurse romantischer Liebe vermischen sich die beiden Erfahrungsbereiche dabei auf eine solche Weise, dass die ›postfeministische‹ und scheinbar ermächtigte Verhandlung von romantischer Liebe als göttliche Liebe (re-)sakralisiert wird. Dadurch präsentieren christliche chick und sistah lit göttliche Liebe als die ›bessere‹ Liebe, während die Protagonistinnen als selbstbewusste Frauen dargestellt werden. Bevor ich die Romanen The Whitney Chronicles und He’s Fine But Is He Saved? analysiere, möchte ich mit dem Fallbeispiel eines Films paradigmatisch ersichtlich machen, wie die evangelikale Populärkultur die Utopie der Liebe als göttlicher Präsenz in Szene setzt, evangelikal vereindeutigt und ihre Wirkmächtigkeit über diese kulturspezifische Form der Konvergenz romantischer Verführung und evangelikaler Mission entfaltet.
4.1 E XKURS : E IN DATE
MIT
J ESUS
Im Film The Perfect Stranger (2009) wird die Dopplung der Präsenz des Göttlichen und der Liebe paradigmatisch ersichtlich und gibt erste Hinweise auf deren strukturierende implizite Wissensbestände. Die Handlung ist rasch nacherzählt: Nikki Cominsky, »a successful attorney – troubled by the fact that her life isn’t perfect« (DVD) bekommt eines Tages eine Einladung:8 »You are Invited to Dinner with Jesus Christ.« Überzeugt davon, dass es sich um einen Scherz handelt, erwartet Nikki ein versöhnliches Abendessen mit ihrem entfremdeten Ehemann. Sie trifft allerdings, wie der Titel schon verrät, einen Perfect Stranger, welcher sich ihr als Jesus vorstellt. Nikki will dies zu Beginn nicht glauben, erkennt jedoch in dem Gespräch, dass sie sich tatsächlich auf einem Date mit Jesus befindet. Der Film bestätigt die Gewissheit über die leibhaftige, göttliche Präsenz, als Nikki die Wundmale des Mannes entdeckt und er am Ende des Treffens in einem langen und weißen Gewand als vermeintlich
8 | Der Film basiert auf dem Roman Dinner with a Perfect Stranger von David Gregory (2005). Im deutschen Kontext gibt es den Roman Jesus Liebt Mich (Safier) sowie dessen Verfilmung, der in einer ähnlichen Figuration eine Gottesbegegnung in Szene setzt.
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›historisch-authentischer‹ Jesus weggeht. The Perfect Stranger inszeniert die präsentische Herausgehobenheit des Dates über den Handlungsort des teuren Restaurants, audiovisuelle Markierungen wie leise Hintergrundmusik sowie den Fokus der Kamera auf den Restauranttisch in der Mitte des Raumes. Diese Inszenierung öffentlicher Zweisamkeit lässt auf den quasi-romantischen Bedeutungszusammenhang schließen und markiert das Treffen im Rückgriff auf kulturspezifische Vorstellungen von Paarbeziehungen, die »ihre außerordentliche Wertschätzung entsprechend den Diskursen um die romantische Liebe als (letzte) Utopie« beziehen (Lösch und Paul 167). In der Dreiteilung – Zweifel, persönliche Gotteserfahrung, Gewissheit – folgt der Film dem Muster der Konversion und zeigt die persönliche, hier sogar personifizierte Begegnung mit Jesus im Register der romantischen Liebesbeziehung. So überschreibt der Film die Präsentifikation des Göttlichen mit der sozial intelligiblen Praktik des ersten Dates. Lösch und Paul verstehen Liebesrituale als Bearbeitung interpersonaler Fremdheit, um »eine von wechselseitiger Fremdheit möglichst freie dyadische Beziehung zu etablieren und gegen die Verunsicherung durch interne Fremdheitserfahrungen abzuschotten« (168). Das blind date visualisiert damit die vorher nicht erfahrene Gottesliebe in der Figur des Jesus und nivelliert scheinbar die Fremdheit des Göttlichen über die Darstellung romantischer Liebe als »kollektive Utopie, die quer zu allen sozialen Teilungen verläuft und diese transzendiert« (Illouz, Konsum der Romantik 26).9 The Perfect Stranger affirmiert damit das implizite Wissen um den Mythos der romantischen Liebe (vgl. Lösch und Paul 170). Gleichzeitig plausibilisiert das Date mit dem weißen Jesus heterosexuelle Intimität und reproduziert einen scheinbaren Common Sense um Geschlechterrollen und whiteness als religiöse Gewissheiten. Nicht zuletzt ist Nikkis, vormals als nicht-perfekt gezeichnetes Familienleben bei ih-
9 | In Seeing and Believing beschreibt Margaret Miles die Bedeutung des »visual to religion« und verbindet das mit filmtheoretischen Überlegungen zu »images [which] have been used to produce emotion, to strengthen attachment, and to encourage imitation« (3). David Morgan betont die besondere Funktion von »popular religious imagery as part of a visual piety« (1) und nennt Werner Sallmans Head of Christ als das paradigmatische Beispiel für die USA. Colleen McDannell stellt die materielle Komponente der weitverbreiteten Repräsentation und argumentiert: »Religious prints have an impact on Christians not merely because they promote personal relationships with Jesus or because the eyes direct the viewer to God the Father. Letter writers explain that the Sallman print hung for many years in their homes or churches. Many remembered it fondly from their childhoods. Prints are treasured because they are associated with significant events in believers lives. Frequently prints are given as wedding or going away presents« (30).
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rer Rückkehr vergessen und ihre romantisch-religiöse Präsenzerfahrung wird in der Logik des Films als Voraussetzung für ›gottgefällige‹ Weiblichkeit als idealisierte Version evangelikaler, weißer Weiblichkeit deutbar.10 Der Film zeigt so in stark kondensierter Form mehrere Dimensionen der Anliegen, die auch in populären christlichen Frauenromanen verhandelt werden: die kulturspezifische Dopplung religiöser und romantischer Liebe, die patriarchale Strukturierung von (göttlicher) Präsenz in der Anwesenheit des romantischen Partners sowie die implizite Strukturierung evangelikaler Weiblichkeit als weiß. Während eine solche Konstruktion von whiteness in christlicher chick lit erhalten bleibt, manifestiert sich in christlicher sistah lit gerade in der Repräsentation schwarzer, evangelikaler Frauen auch ein Ermächtigungsdiskurs.
4.2 T HE W HITNEY C HRONICLES My name is Whitney Blake and not only is today my birthday, but it’s also the day I outgrew my fat pants. [...] Kim told me – and she had it from a good source, Oprah maybe – that keeping a journal is an important part of knowing oneself. She says it will be especially good for me, because, at thirty, I’m unmarried and currently stuck somewhere between death and puberty. It is also proof that I’m actually learning and maturing over the course of my life. (11-2)
Judy Baers The Whitney Chronicles beginnt mit einem Tagebucheintrag vom 14. September. Whitney ist eine erfolgreiche Patentanwältin, die im Silicon Valley lebt und als christliche und ›keusche‹ Singlefrau auf der Suche nach dem passenden Ehemann ist. Ganz im Stile der Formel der chick lit schildert der Roman Whitneys Leben zwischen Beruf und ihrem Chef Matt, Kirchensinglegruppe und Bachelor Seth, Shopping-Sucht und scheinbaren Gewichtsproblemen sowie der angeblichen Schwierigkeit, ihre religiöse Einstellung mit ihren lebensweltlichen Erfahrungen zu vereinbaren. Auf ihrer Suche nach ›dem Richtigen‹ zeigen gleich drei Männer Interesse an Whitney: »From no men to too many men – no wonder I was losing my mind!« (107).
10 | The Perfect Stranger hat einen Fortsetzungsfilm, Another Perfect Stranger: The Conversation Continues..., in dem auch Nikkis Tochter Sarah auf »the Almighty« trifft. Aus evangelikaltheologischer Perspektive wird damit die Notwendigkeit der Wiedergeburt eines jeden einzelnen betont, schreibt gleichzeitig aber auch ›gottgefällige‹ Weiblichkeit als Interpretationsangebot für verschiedene Generationen fest. Die Romantik des noblen Dates der Mutter wird dabei im kulturellen Register jugendlicher Unabhängigkeit wiederholt; die Tochter ist auf dem Weg an die Westküste, um dort zu studieren.
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Nach mehreren erfolglosen Dates, romantischen Fehleinschätzungen und Missverständnissen endet der Roman mit der Ausblick auf Whitneys Hochzeit: »It’s full. I’ve used up all the pages in my Whitney Chronicles. Kim has promised to get me another. I hope she hurries. Chase and I have a big date tomorrow night that I may want to record. I think he’ll ask me to marry him« (329). Chase erweist sich als ›der Eine‹ für Whitney, allerdings erst nachdem ihnen klar wird, dass sie beide Christen sind: »The thing on top of my mind bubbled out. »Chase, are you a Christian?« »Yes, I am.« Simple, clear, delivered without a moment’s hesitation« (244). Das Ende des Romans verknüpft so die Aussicht auf die ›wahre‹ Liebe mit der Gewissheit um den gemeinsamen Glauben. Judy Baer, die Autorin des Romans, wird im Artikel »Keeping the Faith – The Difficulty of Keeping the Faith in the Romance Industry« folgendermaßen zitiert: I believe readers are responding to these new, sassier Christian women because they see themselves in the heroines, who are quirky, struggling, faithful, joyous, vulnerable, witty ... so human and so real. While chick-lit heroines aren’t perfect, they’ve always got their eye on their goal – to honor God with their lives. (n. pag.)
Ihre Beschreibung der Protagonistinnen christlicher Formelromane lässt sich als Identiikationsangebot und Konstruktion ›gottgefälliger‹Weiblichkeit verstehen, die sich am Schnittpunkt vermeintlicher ›Authentizität‹, ›postfeministischer‹ Diskurse der ermächtigten Selbstoptimierung und des religiösen Selbstverständnisses »to honor God with their lives« konturiert. Paul zeigt, wie ›postfeministische‹ Diskurse des self-improvements im Allgemeinen auf die US-amerikanische Ratgeberkultur rekurrieren, wenn auch mit einem ironischen Unterton. Die ironische Brechung wird dabei über das ständige Scheitern der Protagonistin repräsentiert, die versprochene Verbesserung des eigenen Selbst jemals vollständig zu erreichen. Sie versteht diese Strategie als die Aneignung des prototypisch männlichen Diskurses des self-improvements (»Feminist Chicks?« 64). Über die Gegenüberstellung von Benjamin Franklins bekannter Aufgabenliste und der Todo-Liste in Bridget Jones’s Diary argumentiert sie, dass chick lit-Texte eben gerade die »genussvolle Überschreitung genau dieser fremd und selbst gesetzten Normen« darstellten (»Feminist Chicks?« 66). The Whitney Chronicles appropriiert die Ideologie der Selbstverbesserung beziehungsweise deren ironische Brechung als Inszenierung eines christlichen Überschusses. Gleich im ersten Tagebucheintrag erfahren die impliziten Leser_innen: »I didn’t reach a single goal I’d set for myself. ›Lose ten pounds‹ turned into ›lose fifteen.‹ ›Exercise daily‹ became ›exercise monthly.‹ And ›meet a nice Christian man‹ should have been ›meet a breathing one‹« (12). Der
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Text proklamiert darüber hinaus allerdings einen ausschlaggebenden Unterschied zu nominell säkularer chick lit, der sich in seiner Kodierung wiederum nur geringfügig vom Erfolgsversprechen à la Franklin unterscheidet. Während Franklin sich die Norm setzt, Jesus und Sokrates als Vorbild zu nehmen – »Imitate Jesus and Socrates« – beschreibt The Whitney Chronicles die Norm, das eigene Leben christlich auszurichten. Whitney sinniert im starken Straßenverkehr: I’m a Christian. What does that mean in my everyday life? If I believe it, I have to live it. Every choice I make, every word I speak, needs to be done through that filter of faith. So here’s my question. What is it with rude drivers? [...] That’s one thing I’ve learned since I found God and He found me. Its easy to talk Christianity, but not so easy to walk it. [. . . ] (Oh, Lord, keep that nutcase off the streets.... Just kidding!!!). (22-3)
Die Normen der Selbstoptimierung sowie deren ironischen Überschreitungen in säkularer chick lit werden aus der christlichen Binnenperspektive über den Bezug auf das Göttliche umgedeutet. Die Genrekonvention der Ironie wird allerdings nicht aufgegeben, sondern auf Whitneys ständiges Bemühen verschoben, christliche Deutungsschemata im Alltag umzusetzen, etwa während des Autofahrens. Das übernimmt die Funktion, Whitneys Reflexion über ihren Glauben als moderne, junge Frau vermeintlich ›realistisch‹ darzustellen. Zusätzlich zum Impuls ›Jesus zu imitieren‹, wird die wechselseitige Inszenierung von Weiblichkeit und evangelikaler Deutungsschemata betont. Der Roman enthält immer wieder Bibelverse, wobei der folgende Vers als Epigraph des Romans fungiert: »So be very careful how you live. Do not live like those who are not wise. Live wisely. I mean that you should use every chance you have for doing good, because these are evil times. So do not be foolish with your lives, but learn what the Lord wants you to do. – Ephesians 5:15-17.« Der Roman setzt den biblischen Referenzrahmen damit als Bezugspunkt, der Whitneys Verhalten als Ergebnis christlicher Normen affirmiert. Der dadurch inszenierte ›Mehrwert‹ des Romans ersetzt den säkularen Selbsthilfediskurs mit der Konstruktion von ›gottgefälliger‹ Weiblichkeit als angeblich ermächtigtes Identifikationsangebot und christliche Norm. Besonders die chick lit-Konvention des Tagebuchformats – »chick lit typically uses first [person], with numerous texts self-classifying themselves as semifictional diaries« (Harzewski 5) – inszeniert einen vermeintlich unmittelbaren Einblick in Whitneys Leben, ihr emotionales Wohlergehen sowie ihre religiösen Praktiken. Whitneys Tagebuch beinhaltet eine Reihe von Einträgen, die als Gebete verfasst sind und visuell vom Rest des Textes abgesetzt sind. So schreibt Whitney etwa nachdem sie von der Brustkrebserkrankung ihrer besten Freundin erfährt:
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Lord, thank you for good health – my own and that of my family. And forgive me for not being grateful when things are going well. Why does it always take a trauma to make me realize how good I have it? Give me a grateful heart every day, Lord, not just when I really see how really wrong things can go. Awestruck, Whitney. (108)
Dadurch dass das ungezwungene Format und die Wortwahl das Gebet als Praktik des Tagebuchschreibens kodiert, markiert der Roman Whitneys Verhältnis mit »[the] Lord« so als intim. Lisa Guerrero stellt in Bezug auf die Praktik des Tagebuchschreibens in chick lit fest, dass »the diary form makes the personal life public, infusing the situations of the novel with the palpable feeling of exposure« (92). Paul erkennt darin die Strategie, eine intime Beziehung als Form des female bonding zwischen der Protagonistin und den Leser_innen aufzubauen (Paul, »Feminist Chicks?« 64). The Whitney Chronicles erweitert das intime Verhältnis zwischen impliziten Leser_innen und Whitney um eine quasi-direkte persönliche Beziehung zum Göttlichen erweitert. Gleichzeitig beinhaltet das therapeutische Versprechen des Schreibens – »keeping a journal is an important part of knowing oneself« (11) – in diesem Sinne ein Wissen um das Göttliche. Als Evokation vermeintlich wohlbekannter privater Lebenssituationen in dem Leben der jungen Frau, fungiert der Einblick in Whitneys Tagebuch deshalb als ein Modus der missionarischen Einbeziehung, der die Konstruktion evangelikaler Weiblichkeit am Schnittpunkt von scheinbarer Ermächtigung und religiösem Identifikationsangebot besonders greifbar werden lässt. Darüber hinaus lässt insbesondere (göttliche) Präsenz die Konstruktion von Weiblichkeit sozial intelligibel werden, denn die Präsenz des Göttlichen und der romantischen Liebe plausibilisiert Whitneys Suche nach ›Mr. Right‹ als Form der christlichen Ermächtigung. In einer der eindringlichsten Szenen des Romans schildert Whitney ein romantisches Missverständnis mit ihrem Geschäftspartner. Sie schreibt in ihr Tagebuch: Yes, indeed, this was a night to remember. And there was more to come.... After waving the bride and groom off in their rented limo, we said our goodbyes and walked to Matt’s car. We drove directly to my place, but when he opened my car door, he said, »Can we walk? The park is beautiful under the stars.« Moonlight kissed the area like a gentle lover. The air held only a whisper of breeze, enough to make a faint rustling in the topmost branches. The water, smooth and silvery as a giant looking glass, made only the barest slapping sound against the beach. (192)
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Über die Beschreibung der Kulisse sowie die poetische Sprache zeichnet Whitney die Situation im Repertoire romantischer Intimität, das als Versprechen fungiert – »there was more to come« (192): And in the midst of all that romance and beauty, I found myself praying. »Thank you, thank you, thank you, Lord, for the beauty around me. I feel You out here tonight, as if You’re walking with me. . . . It was true. He was with me in a way I’d never felt before, present, tangible, comforting. My relationship with God contains a quality of friendship and support, a »knowing« that comes over me sometimes. I don’t always understand it at the moment, but later, looking back, I realize that He’s held me up, cheered me on or kept me from falling even though I hadn’t even recognized His presence at the time. And He was here tonight, keeping me safe. As Matt led me to a park bench nested under a canopy of trees, a new prayer came into my mind. »He’s going to propose! He is. I feel it. This is it! Is he the one for me, Lord? Show me! It feels so right. Is it Your plan, too, Lord? If it is, make it so. It seemed an almost extraneous prayer, because I knew, just knew, that my answer would be yes. (192-3)
Der Erzählmodus des Romans überlagert hier Whitneys Gebete – kursiv gedruckt und im einfachen Präsens verfasst – mit der romantisch kodierten Situation und markiert die Szene als religiöse Präsenzerfahrung. Allerdings stellt sich die Präsentifikation romantischer Liebe nur als Schein heraus. Matt fragt Whitney nicht, ob sie ihn heiraten, sondern ob sie für ihn arbeiten möchte: »Whitney, name your price. I want you as my right hand in Lambert Industries« (193). Formelhaft inszeniert The Whitney Chronicles hier scheinbar die ironische Brechung romantischer Liebe und entlarvt die Situation als Trugschluss. Auch wenn Matt sich als ›der Falsche‹ und die Erfahrung romantischer Liebe als Test für Whitney herausstellt, affirmiert der Roman dennoch die (göttliche) Präsenz und affirmiert dadurch die intime Dopplung der Präsenz des Göttlichen und der Präsenz der Romantik. Whitney schreibt in der Sprache religiöser Gewissheit: »He was with me in a way I’d never felt before, present, tangible, comforting. My relationship with God contains a quality of friendship and support, a ›knowing‹ that comes over me sometimes« (192). Die implizite Dopplung des »He’s going to propose«, scheinbar als Vermutung Whitneys, dass sie von Matt einen Heiratsantrag bekommen wird, imaginiert folglich auch die Präsenz des Göttlichen als Ersatz in der Figuration romantischer Intimität. Nicht zuletzt schreibt Whitney schon im Vorausgang des Missverständnisses: »I don’t always understand it at the moment, but later, looking back, I realize that He’s held me up, cheered me on or kept me from falling even though I hadn’t even recognized His presence at the time« (192). Whitneys Ausspruch »He was with me in a way I’d never felt before« (192) verschränkt dahingehend in
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stark verdichteter Form mehrere, wichtige Funktionen evangelikaler chick lit. Das Zitat kann als Musterbeispiel für die kulturspezifische Diskursivierung von (göttlicher) Präsenz in christlicher chick lit gelten. Die Protagonistin beschreibt nicht nur die Präsenz des Göttlichen als eine »relationship with God« (192), sondern doppelt diese in der Formel der christlichen chick lit mit der Suche nach romantischer Liebe und dem ›perfekten Mann‹. Das Personalpronomen »He« steht für die Überlagerung der göttlichen und romantischen Präsenzerfahrung in der Anwesenheit des romantischen Helden und überhöht damit die patriarchale Strukturierung romantischer Liebe im Register christlich motivierter ›postfeministischer‹ Populärkultur. Darüber hinaus drückt sich in der Formulierung »I’d never felt before« eine affektive Dimension aus, die als Scharnier zwischen der evangelikalen Präsenzökonomie göttlich-romantischer Liebe und deren strukturierenden impliziten Wissensbeständen fungiert. Denn es drückt sich darin ein nicht bruchlos explizierbares emotionales Wissen aus, das in der diskursiven Verschränkung mit Präsenz die Erfahrung von Weiblichkeit, romantischer Liebe und religiöser Sinnstiftungszusammenhänge als scheinbar ›universelle‹ Gewissheiten sozial intelligibel und intrakulturell teilbar bereitstellt. Trotz der formelhaften Inszenierung des romantischen Scheiterns, affirmiert der Roman die Gewissheit romantischer Liebe. Diese wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern quasi ironisch suspendiert und evangelikal vereindeutigt. Whitney beschwichtigt in einem Brief: »Like I told You before, I’m leaving this whole dating/romance/marriage thing in Your hands. But, if the guy You’ve got picked out for me is really ugly, could he at least have a great personality? Just kidding. With her sense of humor coming back, Whitney« (199). Göttliche Präsenz bleibt als Grundvoraussetzung für die Erfahrung von Whitney’s »dating/romance/marriage thing« verbindlich. Darüber hinaus fungiert das Missverständnis für Whitney als eine Erinnerung, ihren Glauben an erste Stelle zu setzen und immer wieder zu affirmieren. In dieser Stimmung betont Whitneys Tagebucheintrag vom 1. Dezember, dass ihr Glaube romantischer Liebe zwingend vorausgeht: »I’m hanging on to 2 Corinthians 5:17, my verse for the upcoming year. A new life has begun! My life is two chapters – before I accepted Christ and after I accepted Him. I love knowing that the life I led before accepting Him is behind me« (203). Die Affirmation des evangelikalen Repertoires des Neubeginns ist auch mit dem formalen Aufbau des Romans verbunden, denn Whitneys vermeintlich neues Leben, verbunden mit der Aussicht auf eine neue romantische Beziehung, beginnt etwa in der Mitte des Romans. Indem der Roman die Suche nach romantischer Liebe als religiös motivierten Neubeginn präsentifiziert, fungiert das Missverständnis mit Matt also keinesfalls als Misserfolg, da Whitney dadurch in ihrem Glauben gefestigt wird und es schlussendlich schafft, ihr Liebesleben mit ihren Glaubensgewissheiten zu verschränken. In einem idealtypischen chick lit-Ende
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schließt das ›neue Lebenskapitel‹ mit der Aussicht auf den christlichen Ehemann. Chase präsentifiziert und plausibilisiert als Whitneys ›Mr. Right‹ damit die Erfahrung des Göttlichen. Der Roman stellt die Gültigkeit romantischer Liebe daher nicht in Frage, sondern präsentiert göttlich-romantische Liebe als die ›bessere‹ Liebe. Der vermeintliche Realismus der Gattung chick lit, der über den formelhaften Fokus des Misserfolgs von Romantik konstruiert ist, entlarvt nicht nur das Versprechen säkularer Liebe als Irreführung, sondern konstruiert evangelikale Weiblichkeit am Nexus christlicher Ermächtigung und einem Wissen um göttlich-romantische Liebe. Christliche chick lit erweitert die Evokation eines »emotional knowledge« (Berlant, Female Complaint viii) über die teilbare und scheinbar ›universelle‹ Erfahrungen von Weiblichkeit und romantischer Liebe mit einem, in den Worten von Whitney, »knowing« über göttliche Präsenz (192). Diese Dopplung ist in wenigstens zweierlei Hinsicht kulturell und ideologisch wirksam. Einmal plausibilisiert, d.h. naturalisiert sie die (evangelikale) Konstruktion von Weiblichkeit über Bezüge auf vermeintlich nicht hintergehbare Präsenzerfahrungen. Zum zweiten dient sie als Mittel der Erbauung und Bekehrung, da die religiös-romantischen Erfahrungen von Whitney – »understood by all women« (Berlant, Female Complaint x) – nicht nur zur Liebe, sondern auch zum Glauben verführen, beziehungsweise ihr verführerisches Potential genau durch die nicht hinterfragbare Überlagerung beider Erfahrungsdimensionen inszeniert.
4.3 H E ’ S F INE B UT I S H E S AVED ? In Romancing God konstatiert Neal nur am Rande, dass »[e]vangelical romance, as well as evangelical popular culture as a whole, is predominantly white« und spekuliert über die geringe Resonanz evangelikaler Liebesromane unter afroamerikanischen Leser_innen: »[T]he genre’s emphasis on success and triumph, as well as its covers featuring white heroes and heroines, may simply be too unrealistic, too divergent from their experiences« (40). Die vorhergehenden Kapitel der Studie haben gezeigt, dass die evangelikale Keuschheitskultur ihre idealisierte Konstruktion von Weiblichkeit an eine hegemoniale Konstruktion von whiteness bindet und ›weiße Keuschheit‹ einer sensationalistischen Inszenierung ›schwarzer Hypersexualität‹ gegenüberstellt. Und auch das vorherige Teilkapitel zu christlicher chick lit lässt sich in diese construction of whiteness als Norm für evangelikale Weiblichkeit einordnen. Der Fokus der Studie auf die hauptsächlich weiße, evangelikale Populärkultur als Konstruktion einer weißen »imagined community« (Anderson) soll in diesem Teilkapitel um die Analyse von Kimberley Brooks Roman He’s Fine But Is He Saved? als »faith-based
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version[. . . ] of [. . . ] African-American lit« erweitert werden (Ferris und Young 6).11 Ich lese den afroamerikanischen sistah lit-Roman, in Erweiterung der stereotypen Repräsentation der Afroamerikanerin Taylor in der Fernsehserie Preachers’ Daughters, ganz bewusst auch als Selbstrepräsentation. Susanne Dietzel moniert zurecht: Much cultural studies scholarship has focused on the representation or misrepresentation of African Americans in the popular culture at large, and little attention has been paid to the ways in which African Americans have represented themselves in popular genres or in literatures that are written primarily for the entertainment of a black reading public. (156-7)
Auch bezüglich einer afroamerikanischen, ›postfeministischen‹ Medien- und Konsumkultur knüpft He’s Fine an andere Begründungstexte als die weiße chick lit-Formel an. Guerrero zeichnet im Aufsatz »Sistahs Are Doin’ It for Themselves« die Unterschiede zwischen Helen Fieldings Bridget Jones’s Diary und Terry McMillans Waiting to Exhale nach. Neben thematischen Ähnlichkeiten betont sie, dass sistah lit nicht »chick lit in blackface« ist und »race socially, politically, and historically informs the ways in which these two powerhouse genres and their heroines diverge, especially in their attitudes toward and relationship to men, marriage, and the struggle for worth, fulfillment, and respect« (88). Das Teilkapitel dient also zur Analyse der kulturellen und ideologischen Funktionen romantisch-göttlicher Liebe, zum einen bezüglich der Repräsentation schwarzer evangelikaler Weiblichkeit in den USA nach der Bürgerrechtsbewegung,12 zum anderen in Erweiterung der Argumentation des
11 | Der Fokus auf weiße chick und schwarze sistah lit ist sicherlich auch problematisch, da dadurch eine exklusive Perspektive auf die christlich kodierte Formel in der binären Logik schwarz/weiß eingenommen wird, die etwa christliche Asian American chick lit nicht miteinbezieht. Beispiele für Asian American chick lit sind Camy Tangs Romane Sushi for One und Single Sashimi. 12 | In einer Analyse der Rolle schwarzer Frauen in der Denomination The Church of Christ argumentiert Anthea Butler: »Making use of a traditional role, motherhood, the women of COGIC carved a niche of spiritual and temporal power for themselves within a black patriarchy that continues to assert its leadership and authority over women by denying them ordination, yet allows them to have tremendous power and authority« (2). Das Bemühen sog. church mothers nach »spiritual empowerment by means of the ›sanctified life‹« (3) ermöglichte ihnen dabei, bis in die 1970er Jahren Mitsprache innerhalb und außerhalb der Religionsgemeinschaft zu erlangen und diese für zivile Teilhabe und politisches Engagement zu nutzen. Für die Zeit danach schreibt Butler: »The project of sanctifying the world through civic engagement was lost in the
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letzten Teilkapitels bezüglich der Inszenierung eines evangelikalen Erfahrungsraums als Norm für junge Frauen, der intrakulturelle Unterschiede scheinbar transzendiert. Der Buchdeckel bewirbt den Roman so: Sandy attracts men who are only interested in sex. Now that she is saved, will she ever meet the right one? Michelle once dated Pierre Dupree, her church’s finest and most eligible bachelor. She just knew he was »The One,« but could she be wrong? Liz hasn’t dated in over two years. She is too busy taming her single mother who is forty-five going on twenty-five. Will Liz ever have time for a man, or does she even want one? Three Single Girlfriends[,] Three Separate Issues with Men[, and] One Lord and Savior of All.
Auch das Buchcover visualisiert diese Figurenkonstellation. Rechts unten sind drei junge Frauen abgebildet, deren Blick jeweils nach links gerichtet ist. Auf der linken Seite des Covers, im Blickfeld der Protagonistinnen, ist die etwa dreimal so große Figur eines Mannes, der ein Kreuz um den Hals trägt und eine Bibel in der Hand hält, als Silhouette in den Hintergrund gerückt. Den Blick auf die Erscheinung des Mannes gerichtet, ›steht‹ die vermeintlich interessierte Sandy im Zusammenschnitt des Covers auf dem Männerkörper, während ihre Freundinnen Michelle und Liz etwas belächelnd und skeptisch weiter entfernt sind. Die physische Distanz und die Gesichtsausdrücke der Frauen entsprechen so scheinbar der jeweiligen Einstellung gegenüber Männern, die den Frauen nicht nur gefallen, sondern auch christlich sein müssen; eine Abstufung, die bereits in der Konjunktion des Romantitels expliziert ist: He’s Fine But Is He Saved? Trotz dieser kausalen Sequentialisierung impliziert das Cover allerdings schon die visuelle Dopplung von romantischem Helden und »One Lord and Savior of All«, wodurch die Hervorgehobenheit der einzelnen männlichen Figur die Suche nach göttlicher Präsenz vereinnahmt.13 Das Cover bindet dadurch
1970s and beyond [...] because of COGIC’s preoccupation with internal issues and a refocusing on its interior life« (163) sowie einem gesellschaftlichen backlash gegen Frauenrechte (165). 13 | Im Gegensatz zur Visualisierung eines weißen Jesus in The Perfect Stranger bringt die Dopplung der männlichen Silhouette mit »One Lord and Savior of All« auch die Vorstellungen eines Black Christs zum Ausdruck. Kelly Brown Douglas schreibt: »From the political arena to the religious arena, [Afro-Americans] [...] demanded new symbols that would be uncompromising representations of a contagious spirit of Black identity. They called for secular and sacred images that would unambiguously assert the Black community’s independence from White control and authority« (9). Aus eher theologischer Sicht identifiziert sie zwei wichtige Aspekte: Die Figur des schwarzen Christus »must at least involve both Christ’s color and relationship to the Black struggle for freedom« (10).
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die Suche nach romantischer Liebe eng an die persönliche Glaubenssuche der Frauen. Zwar scheint die visuell sichtbare Skepsis von Liz eine kritische Brechung der Überlagerung der männlichen Figur mit dem Göttlichen zu versprechen, doch auf für sie inszeniert der Roman eine Konversion zur romantischen Liebe, was die patriarchale Logik des Genres religiös vereindeutigt. He’s Fine beginnt mit einer Szene in einem Restaurant, in welchem die drei Frauen nach dem Gottesdienst gemeinsam essen. Es heißt: »We single ladies are celebrating the fact that we’re ›big girls now.‹ Were all in our early-to-late twenties, graduated from different colleges, and have fairly decent jobs. We can afford to splurge once in a while« (1). Der formelhafte Verweis auf den Single-Status der Figuren, ihr Alter und Ausbildungsniveau sowie das bewusste Konsumverhalten markiert den Anfang des Romans als sistah lit. Als christlich kodierte Version der Formel handelt der Roman von den Komplikationen der Suche nach einem christlichen Partner und einem damit verbundenen Aushandlungsprozess bezüglich des Status der Religion – alle Protagonistinnen sind sog. reborn Christians – im alltäglichen Leben der jungen Frauen. Formal ähnlich aufgebaut wie Waiting to Exhale, folgt der christliche Roman kapitelweise den Ereignissen im Leben von Michelle, Sandy und Liz; wobei Michelle als Ich-Erzählerin eine herausgehobene Perspektive und Rolle als Vermittlerin bekommt. Michelle beschreibt die erst kurz zurückliegende Konversion von Sandy am Anfang des Romans auf folgende Weise: That following Sunday, dressed in four inch heels and a short and tight jean dress with rhinestones, Sandy responded to the altar call. I walked down the aisle with her and she, in tears, got saved. I haven’t been able to get rid of Sandy since that day. Now the Lord has given me a spiritual assignment to be her spiritual guide and friend. (2)
He’s Fine beschreibt Sandys Konversion dadurch auch als »spiritual assignment« für Michelle, was im Laufe der Handlung bedeutet, Sandy von den falschen Männern fern zu halten, beziehungsweise sie auf der Suche nach einem christlichen Verehrer zu unterstützen. Sandys Suche nach dem vermeintlich ›Richtigen‹ nimmt in He’s Fine einen herausgehobenen Stellenwert ein und ist formal und narrativ an die romantischen Erfahrungen der anderen Frauen gebunden, die gemeinsam ständig die Titelfrage des Romans im Auge behalten: Is He Saved? In einem der ersten Kapitel des Romans, betitelt The One, begegnet Sandy dem Anwalt Carter. Die Beschreibung der ersten Begegnung rekurriert auf den Topos der Liebe auf den ersten Blick und markiert den Effekt der Begegnung, über die kursive Schriftart auch visuell, als herausgehobenes (Lese-)Ereignis:
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Carter pulled out a business card, kissed it, gave it to her, and then seemed to disappear in thin air as he left the store. Sandy stood in a daze. What just happened here? The finest thing in the whole world just waltzed in here and gave me his phone number. This man is fine, has mucho dinero, is a lawyer, drives a Benz, and is saved. He got to be the one! Meeting and talking to Carter Maxwell was a definite ego-booster for Sandy. Lately she had felt like no guy wanted to talk to her since no man at church had approached her in the four months that she had been saved. (75)
Trotz aller Warnungen von Michelle und Liz, vorsichtig zu sein – »[t]he girl just got saved and here she is trying to get a man« (84) – trifft sie Carter nur wenige Tage später in einem noblen Restaurant. Es heißt im Kapitel The Perfect Date: »The atmosphere was totally divine. Dim blue lights and a live band made the occasion even more special« (155). Die Beschreibung bestimmt das Date im Rückgriff auf Ökonomien der Präsenz und unterstreicht die vermeintliche Unsagbarkeit der romantischen Gefühle wie folgt: »Sandy had never had any man make her feel as special as Carter did. She felt as if she was in some dream that she never wanted to wake up from« (157). Während er ihr ein Liebeslied singt, betont der Roman die emotionale Intensität der Situation, indem er Sandys körperlichen Reaktionen beschreibt: »[a] tear trickled from Sandy’s right eye« (157). Allerdings ist Carter, wie der Klappentext schon voraussagt, »only interested in sex« und der Schein der Romantik stellt sich als Trugschluss heraus. Während The Whitney Chronicles romantische Intensität ohne gleichzeitige Präsenz des Göttlichen ironisch bricht, expliziert He’s Fine die Täuschung von Sandy im Rückgriff auf das Muster der novel of seduction. Auf einer Party von Carter wird sie unter Alkohol und Drogen gesetzt und entkommt nur mit Hilfe von Michelle und Liz im letzten Augenblick einer Vergewaltigung. Obwohl der Roman damit eine problematische Sicht auf das Geschehnis als eine vermeintlich ›missglückte‹ Vergewaltigung präsentiert, inszeniert He’s Fine dadurch einen signifikanten Unterschied zum klassischen Narrativ der »verlorenen Unschuld und ihren Folgen« des sentimentalen Romans des 18. Jahrhunderts (Breinig und Opfermann 56). In klar didaktischen Zügen proklamiert He’s Fine die Notwendigkeit, sich der Verführung nicht hinzugeben und proklamiert damit Sandys ›Jungfräulichkeit‹ als höchstes Gut. Sandys Gewalterfahrung wird damit als quasi-zweite Konversion bedeutsam und überschreibt und transzendiert das Muster der Verführung mit dem Muster des Neubeginns: God wants that very same relationship that you crave in a man. He wants for it to be the way you feel about Him. [. . . ] God wants to be with you all the time. He wants you to seek His face
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every day and every night so He can tell you how fine and beautiful you are to Him. He wants to tell you He loves you over, and over, and over again. God wants to be your lover, your best friend, your everything. (310)
Die versprochene Beziehung von Sandy mit dem Göttlichen wird, im Gegensatz zu ihrem Desaster mit Carter, in der Sprache der Romantik als überlegene Präsenz romantischer Liebe und göttlicher Intimität kodiert. Göttlich-romantische Intimität strukturiert auch die romantischen Überlegungen der anderen Frauen. So sinniert Michelle: »I guess Sandy’s accident made all of us change a lot of things« (302). Auf diese Weise verbindet der Roman die romantische Suche nach ›dem Richtigen‹ mit der Erfahrung der Präsenz des Göttlichen und sequentialisiert damit die Erfahrungsdimensionen des Göttlichen und des Romantischen. He’s Fine markiert damit auch eine klare Trennung zwischen ›guten‹ und ›schlechten‹ Männern, denn die nichtchristlichen ›Verführer‹ stehen im direkten Kontrast zu den christlichen Männern, welche die Freundinnen in ihrem gläubigen Lebensstil affirmieren. Aus ideologiekritischer Perspektive wird die Präsenz des christlichen Mannes so als Belohnung dafür inszeniert, ein Leben als christliche Frau zu führen. Trotz einer solchen Disziplinierung von Sexualität lässt sich die dramatische Zuspitzung auf Sandys ›Keuschheit‹ auch als eine politische Aussage lesen. Guerrero betont die politischen Implikationen populärer sistah lit-Romane für schwarze Frauen und fasst die Repräsentationen als »herculean move toward naturalizing a distinctly different vision of black womanhood« (90). In He’s Fine bekommt so gerade die religiös konnotierte ›Keuschheit‹ kulturelle Bedeutung als Moment der Desexualisierung in der Repräsentation schwarzer Weiblichkeit. Somit lässt sich romantisch-göttliche Liebe auch als Ermächtigungsdiskurs lesen, denn die Repräsentation der ›Keuschheit‹ schwarzer Frauen bietet ein gegensätzliches Interpretationsangebot zu anderen zeitgenössischen afroamerikanischen, populären Formel-Romanen und fungiert als »Symbolic Rupture« der Darstellung schwarzer Weiblichkeit (Molina-Guzman 14).14 He’s Fine markiert afroamerikanische, evangelikale Identität über die Dopplung von schwarzer Männlichkeit und der Figur des Black Christ bereits auf dem Cover und handelt diegetisch ausschließlich von Lebenswelt der afroamerikanischen Protagonistinnen in einer schwarzen Kirchengemeinde in Detroit. So imaginiert der Roman einen afroamerikanischen Evangelikalismus, der christlich/nicht-christlich als distinktives Merkmal für die eigene Identität festschreibt und repräsentationspolitisch
14 | Als afroamerikanischen Gegendiskurs könnte man etwa Deja Kings The Bitch Series nennen, in denen die Protagonistinnen vorherrschend in Diskursen um Illegalität und Sexualität repräsentiert werden.
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göttliche Präsenz als Ermächtigung für evangelikale, afroamerikanischer Weiblichkeit in Szene setzt. Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz inszenieren in evangelikaler sistah lit somit sowohl die patriarchalen Logiken einer schwarzen, sozialkonservativen evangelikalen Mittelklasse als auch einen Ermächtigungsdiskurs für afroamerikanische Frauen. Über die Ausdifferenzierung des Genres in Bezug auf Differenzkategorien wie race greift das christliche Genre auf intrakulturelle Unterschiede zwischen christlicher chick und sistah lit zurück. Als Teil der evangelikalen Kulturindustrie und einer ›postfeministischen‹ Konsumkultur fungiert die Appropriation intrakultureller Differenzen aber auch als neoliberale Strategie, die den Erfahrungsraum serieller Liebe nach hegemonialen Differenzkategorien aufteilt, um spezifische Zielgruppen zu konstruieren und als Konsument_innen einer scheinbar distinkten, evangelikalen Identität zu interpellieren. Gleichzeitig positioniert He’s Fine romantisch-göttliche Liebe als christliche Ermächtigung und inszeniert damit einen quasi-universellen, emotionalen Erfahrungsraum für seine Leser_innen. Aus dieser Perspektive präsentiert christliche sistah lit göttlich-romantische Liebe als die ›bessere‹ Liebe und naturalisiert die Konstruktion evangelikaler, schwarzer Weiblichkeit als ›keusch‹, konsumorientiert und ermächtigt.
4.4 S ERIALITÄT UND DIE CHRISTLICHE »R OMANCE I NDUSTRY « Wenn ich das Kapitel mit dem Verweis auf den kommerziellen Charakter der christlichen »Romance Industry« begonnen habe, dann zum Teil deshalb, weil die Diskursivierungen romantisch-göttlicher Liebe nicht nur auf Ebene der Handlung der Romane relevant sind.15 In Popular Fiction definiert Ken Gelder populäre Literatur als einen »distinctive but heterogeneous body of writing« und unterscheidet sie von »literary fiction or Literature« (1). Er interessiert sich jedoch nicht für angebliche Hierarchien beider Felder, sondern nimmt die Schlagwörter »industry and entertainment « als Hauptcharakteristika populärer Literatur in den Blick (1). Er schreibt: »The field of popular fiction is therefore quite literally a culture industry« (1). Dabei markiert die Verwendung des Begriffs der Kulturindustrie – im Gegensatz zu Adornos und Hork-
15 | Der US-amerikanische Marktplatz bietet eine Reihe christlich motivierter Romanreihen. So gibt es eigene Produktlinien bei den christlichen Verlagshäuser, aber auch Harlequin bietet mit Steeple Hill Café eine Reihe für sog. inspirational novels.
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heimers Begriffsbestimmung – »the actual diversity of the field (formulaic as some aspects of it may be), as well as its cheerful affirmation of features that certain other forms of cultural production (like Literature) might either repress or envy, or both« (1). Für Gelder ist »[p]opular fiction [. . . ], essentially, genre fiction«, die »culturally and industrially« ohne die gattungsspezifischen Konventionen nicht denkbar seien (1, 2). Diesen Gedankengang weiterführend, betont er: After all, popular fiction is not just a matter of texts-in-themselves, but of an entire apparatus of production, distribution (including promotion and advertising) and consumption – or what I call, more broadly, processing. Generic identities flow through these realms in all kinds of ways: determining not just what is inside the actual novel, but who publishes it, how and through what venues it is marketed, who consumes and evaluates it, and how this is done. (2)
Eine generische Konvention populärer Formelromane gemeinhin ist ihr serieller Charakter. Der Begriff der Serialität wurde in verschiedenen Kontexten diskutiert. Etwa »als die Freiheit zum Immergleichen« (Adorno und Horkheimer 195), d. h. als entfremdende Logik der kapitalistischen Kulturindustrie, die reduzierend wirkt: »So reduziert sie Liebe auf romance« (165). Des Weiteren als Maßstab für einen engen Ästhetik- und Literaturbegriff, oft gepaart mit Kritik an populärer Frauenliteratur, die in einem evangelikalen Kontext als Besorgnis über die vermeintliche Spannung von Fiktion und und Wahrheitsanspruch von Religion verstärkt wird: »Fears about fiction also reflected doubts about women« (Neal 19).16 Darüber hinaus sind Serialität und Wiederholung auch als Gegenbegriffe zu (naiven) Konzeptionen von Präsenz zu verorten, die, wie Gumbrecht, Präsenz (nur) als intensive Momente begreifen, die aus dem Alltag herausgehoben sind. Allerdings wird Serialität auch als kulturschaffende Form und konstitutiver Modus der kulturellen Erzählung verstanden: »Fortsetzen, abwandeln, weitermachen: Die Existenz von Erzählungen, von Kultur überhaupt, wäre ohne variierende Wiederholung kaum denkbar« (Kelleter 11). He’s Fine und The Whitney Chronicles rekurrieren in jeder Hinsicht auf gattungsspezifische Konventionen populärer Frauenromane und zeichnen sich u.a. durch Formen der Serialität aus, die göttliche Präsenz und romantisch-göttliche Liebe als konsumierbare Form des pleasures in Szene setzen. Der serielle Charakter der christli-
16 | Im Aufsatz »No Longer Left Behind« gibt Paul Gutjahr einen Überblick zum konservativen Protestantismus und dessen Verhältnis mit fiktionalen Romanen. Er intendiert »to correct the long-held view that Protestant opposition to the novel all but ended in the late nineteenth century« (210). Candy Browns The Word in the World beschäftigt sich mit evangelikalen Praktiken des Schreibens, Veröffentlichens und Lesens von 1789-1880.
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chen Formeln zeigt sich dabei auf verschiedenen Ebenen und wird auf verschiedene Art und Weisen kulturell wirkmächtig, wenngleich diese nicht immer scharf trennbar sind: »Generic identities flow through these realms in all kinds of ways« (Gelder 2). Am Ende von The Whitney Chronicles schreibt Whitney in ihrem Tagebuch schreibt: »Kim has promised to get me another [diary]« (329). Damit antizipiert der Roman die Fortsetzung intradiegetisch. Im Fortsetzungsroman The Baby Chronicles schreibt Whitney, wieder im Tagebuchformat, über ihre Erfahrung des Mutterwerdens. Auf He’s Fine erscheint der Nachfolgeroman He’s Saved But Is He For Real?, in dem Sandy, Michelle und Liz aufs Neue mit der Unsicherheit auf der Suche nach einem christlichen Mann konfrontiert sind. Die fiktionale Darstellung des Lebens der christlichen Frauen geht in Serie. In Erweiterung der obigen Begriffsbestimmungen von Serialität lässt sich der serielle Charakter der Romane wie folgt verstehen. Neben der Funktion des seriellen Erzählens, die Handlungsstränge fortzusetzen und weiter zu differenzieren, ermöglicht die Genrekonvention der Serie auch das evangelikal vereindeutigte Gefühl romantisch-göttlicher Liebe nicht nur intradiegetisch zu evozieren, sondern an die Prozesse des Kaufens und des Konsums, an Strategien der Werbung, Momente des pleasures und der Unterhaltung sowie an die genrespezifische Konstruktion von Weiblichkeit zu binden. Der Internetauftritt von Autorin Kimberley Brooks vermarktet beispielsweise ein tägliches, d.h. serielles Angebot: The Single Heart Daily Devotional wird per E-Mail an interessierte Abonnent_innen verschickt (»Free Daily Devotional for Single Women«) und überformt als Daily Encouragement for Single Women in Love with God and their Future Husband das Leben der Leser_innen jeden Tag aufs Neue. Die Utopie romantisch-göttlicher Liebe evoziert den von den Romanen repräsentierten emotionalen Erfahrungsraum so auch außerhalb der fiktionalen Handlungsstränge. Die evangelikale Appropriation der Formel intimisiert so auch die industrielle Komponente, d.h. das Gefühl der Liebe wird über Prozesse des Verkaufs und der formelspezifischen Serialität verstärkt, ideologisch eingeübt und vermarktbar. Im Anschluss an die durchgehende Frage nach der Bedeutung von Gefühlen, Affekten und Emotionen in der evangelikalen Kulturindustrie, zeigt sich so auch auf Ebene des christlichen Formelangebots, wie die Romane zum Zwecke des Verkaufens und des Bewerbens mit Diskursen romantisch-göttlicher Liebe verbunden werden. Die serielle Wiederholung der Präsenz der Liebe und des Göttlichen fungiert in Abgrenzung naiver Präsenzkonzepte als »Joy in Repetition« (Sielke 383). Aus diesem Blickwinkel steht Serialität nicht in Spannung zu den Präsenzökonomien der Liebe und der Religion, sondern kann als eine wohltuende Gewissheit für die Leser_innen verstanden werden, das generische Ende christlicher chick und sistah lit-Romane und dessen sich immer wiederholende Affirmation der Ideologien der romantische
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Liebe und der Religion im Voraus zu ahnen und implizit schon zu wissen.17 Serielle (göttliche) Präsenz fungiert somit als massenkulturelle Form des pleasures. Über das Format der Serialität des populären evangelikal kodierten Genres wird dabei insbesondere das verführerisch-missionarische Potential romantisch-göttlicher Intimität wiederholt und wiederholbar bereitgestellt. Berlant sieht Frauenkultur allgemein strukturiert von einer »certain circularity« (Female Complaint 5). Diese ließe Frauen davon ausgehen, mit anderen Frauen einen gemeinsamen und angeblich ›universellen‹ Erfahrungshorizont zu teilen, while also shaping its conventions of belonging; and, expressing the sensational, embodied experience of living as a certain kind of being in the world, it promises also to provide a better experience of social belonging – partly through participation in the relevant commodity culture, and partly because of its revelations about how people can live. (Female Complaint 5)
Der serielle Charakter der christlichen Formelromane greift in diesem Sinne auf ein genrespezifisches Verständnis von Weiblichkeit zurück, übt dieses wiederholt ein und inszeniert die fiktionale Konstruktion von Weiblichkeit als das dominante Gefühl über (religiöse) Weiblichkeit. Die seriell bereitgestellten, zirkulären Deutungsschemata der christlich geprägten Formelromane evoziert, überhöht und naturalisiert somit nicht nur die Präsenz des Göttlichen und der Liebe, sondern vereindeutigt dominante, affektive Wissensbestände um Weiblichkeit, Single-Dasein und Konsumkultur als evangelikale Identitäten und Sinnstiftungen.
4.5 C ORRESPONDING F ORMULAS Trotz der Popularität christlich geprägter chick lit und sistah lit schreiben Susanne Ferriss und Mallory Young schreiben etwas verwundert zum diesem literarischen Phänomen: »Perhaps even more surprising [...] has been the development of Christian chick lit, or ›church lit‹ [...] [and] »faith-based versions of adolescent chick lit, mom-
17 | Wichtige Arbeiten von Tania Modleski und Janice Radway haben darauf hingewiesen, wie Liebesromane im Leben der Leser_innen relevant sein und diese konsequenterweise nicht nur als passive Konsument_innen verstanden werden können. Für die Rolle evangelikaler Liebesromane als »fictional devotion« verweise ich auf Neals Romancing God (40). Sie beschreibt zum einen die komplexen Aushandlungsprozesse zwischen formelhaftem Text und religiösen Frauen, zum anderen wie ihre »consultants are both devoted to and through the genre in ways that reflect and configure the contours of their conservative Christian piety« (12).
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my lit, southern lit, and African-American lit« (6). Ihre unglückliche Frage »[d]oes the genre’s emphasis on consumerism and sexual escapades necessarily clash with Christian values?« (6) verkennt, wie das Kapitel der vorliegenden Studie gezeigt hat, allerdings die enge Verknüpfung von Konsum und Religion in der evangelikalen Populärkultur im Allgemeinen und das Tranformationspotential der christlichen Formelromane im Besonderen. Christliche chick und sistah lit-Romane korrespondieren mit den säkular kodierten Formeln und bieten aus der Binnenperspektive einen christlichen Mehrwert, indem das Leben der jungen Frauen in einem christlichen geprägten Umfeld und Glaubenshorizont repräsentiert wird. Die evangelikalen Formeln sind somit corresponding formulas, die immer auch als »evangelistic medium« fungieren (Neal 17). Denn indem sie den evangelikalen Erfahrungsraum über die Inszenierung romantischer Liebe imaginieren, wird der religiöses Missionsgedanken als romantischen Diskurs überschrieben und evangelikale und nicht-evangelikale Frauen werden als Zielgruppe in den Blick genommen.18 Insbesondere Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz als Suche nach romantischer Liebe stehen im Mittelpunkt der Romane, präsentieren die Notwendigkeit von Konversion und affirmieren evangelikale Deutungsschemata via der ironischen Brechung ›bloßer‹ säkularer Liebe im Falle von Whitney oder der dramatischen Zuspitzung im Falle von Sandy. Präsenz verhandelt, plausibilisiert und serialisiert die evangelikal vereindeutigten Konstruktionen ›postfeministischer‹ Weiblichkeit über das kulturelle Repertoire romantischer Liebe und imaginiert einen gemeinsamen Erfahrungsraum für Frauen, der die Opposition christlich/nicht-christlich als überwindbar verspricht. Christliche Formelromane naturalisieren auf diese Weise die Konstruktion von Weiblichkeit auf der Suche nach romantischer Liebe im scheinbar alltäglichem, ›gottgefälligen‹ Leben. Die Romane dadurch über ein besonderes Verführungspotential gekennzeichnet, das romantische Liebe als Verführung zum Glauben (re-)sakralisiert. Die Formeln christlich kodierter chick und sistah lit-Romane inszenieren anhand einer solchen Logik eine religiös-intime Öffentlichkeit und appropriieren einen ›postfeministischen‹ Diskurs, welcher die Vorstellung von Gottesliebe in einem Ermächtigungsdiskurs sozial intelligibel zur Verfügung stellt. Indem Gottesliebe als ›postfeministisches‹ Gefühl ausgedrückt wird, (re-)sakralisieren die Romane die Utopie der Liebe als einen Modus von göttlicher Erfahrung und präsentieren ihre Protago-
18 | Neil schreibt in ähnlicher Absicht: »Drawing on domestic ideology, which touted the power of women’s pious influence in the home and in the world, and an evangelical aesthetic, which legitimated fiction through its faith-based message, nineteenth-century women like Stowe and Warner forged simultaneous literary careers and Christian ministries« (20).
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nistinnen in einem christlichen Ermächtigungsdiskurs als moderne und unabhängige Frauen. Auf diese Weise setzen die christlichen Frauenromane die inszenierte Dopplung von romantischer Liebe und göttlicher Liebe ins Zentrum evangelikaler Weiblichkeit und markieren die Gewissheit darüber scheinbar jenseits von intrakultureller Differenz, aber nicht jenseits der christlichen Zugehörigkeit und Identität. Indem die intimen Begründungszusammenhänge zwischen Religion und scheinbar ermächtigter Weiblichkeit betont werden, präsentiert der Roman eine Reihe von Strategien, die als intim, persönlich und bekennend kodiert sind und damit komplexe Formen der Identifikation ermöglichen und hervorrufen. Christliche Formelromane sind paradigmatisch für die Überlegungen der Studie zu Phänomenen der evangelikalen Populärkultur als corresponding cultures, die komplexe corresponding feelings evozieren. Dem lässt sich sowohl über die Traditionslinie von US-amerikanischer (evangelikaler) Frauenliteratur nachspüren, als auch in der Verwendung spezifischer Gefühlsmodi als öffentliche Gefühle um Weiblichkeit und Religion; d. h. als kulturell und ideologisch doppelt wirksame Einbettung evangelikal-romantischer Frauenromane in Vorstellungen über religiöse und geschlechtsspezifische Gefühle. Dabei verwischt besonders die Präsenzökonomie der romantisch-göttlichen Liebe distinkte Identitätsentwürfe und verführt zur ›gottgefälligen‹ Weiblichkeit. Während in den populären Frauenromanen Bezüge auf (göttliche) Präsenz fiktional repräsentiert werden, wird im nächsten Kapitel das Augenmerk auf die diskursive Artikulation intensiver Erfahrungsmomente (des Göttlichen) in christlicher Ratgeberkultur gelegt. Die ideologische Einübung evangelikaler Weiblichkeit bekommt hier eine spezifisch körperliche Dimension und verhandelt das in chick und sistah lit dargestellte Verlangen nach einem christlich motivierten Leben und einem ›perfekten‹ Körper in der ›authentifizierenden‹ Version populärer Selbsthilfeformate. Damit zeigt sich noch einmal, dass die evangelikale Populärkultur (göttliche) Präsenz jenseits von Logiken wie fiktional und nicht-fiktional inszeniert und diverse, populärkulturelle Register nutzt, um das evangelikale Repertoire von (göttlicher) Intimität einem breiten Publikum anzubieten.
5 »[T]o get more of the Word of God into us!«: Devotionale Ratgeber
In Basic Steps to Godly Fitness einem Fitness- und Diätratgeber für Frauen heißt es: »Whenever I have asked a woman if she would be willing to take ten minutes to pray for her family, she said she would be gladly do so. ›Now, combine that with a walk,‹ I suggest« (Willis 78). Der Ratschlag drückt bereits in dichter Form die Grundidee des Programms aus: die Kombination devotionaler Verehrung mit körperlicher Betätigung. Griffith schreibt in Bezug auf religiös motivierte Diät- und Fitnesskultur: »What marks religious diet culture as devotional is the addition of expressive relationships with sacred figures such as God or Jesus, accompanied by the belief that the human body’s fitness affects such relationships in direct and indirect ways« (Born Again Bodies 5). In diesem Kapitel untersuche ich beispielhaft ausgewählte, devotionale (Fitness-)Ratgeber und deren Konstruktion religiöser und gleichzeitig selbstoptimierter Weiblichkeit. Kurz zusammengefasst argumentiere ich, dass die Ratgeberformate Basic Steps to Godly Fitness (2005), Body Gospel (gesch. 2010) und Reshaping It All (2011) visuell, narrativ und diskursiv in Szene gesetzte Transformationsprozesse von (Frauen-)Körpern als Gotteserfahrung beschreiben und Ökonomien von (göttlicher) Präsenz an ritualisierte Körperpraktiken binden. Dabei rückt insbesondere das Muster der Konversion als evangelikale Vereindeutigung und ideologische Überlagerung der ›postfeministischen‹ Praktik des make-overs in den Blick. Um die Leitbegriffe der vorliegenden Studie als Analyserahmen für die evangelikalen Körperideologien sowie deren geschlechtsspezifischen Einschreibungen, Kommodifizierungen und religiöse Deutungsschemata anzuwenden, frage ich im Speziellen das Folgende: Wie konstruieren diskursive Artikulationen von (göttlicher) Präsenz Weiblichkeit am Schnittpunkt körperlicher Selbstoptimierung, (religiöser) Praktiken des Konsums und Formen der evangelikalen Mission? Wie reproduzieren christliche Ratgeber damit implizite Wissensbestände um ›Schönheit‹, Weißsein und Weiblichkeit
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und welche Prozesse der intrakulturellen Anrufung werden dadurch evoziert? Wie werden solche Vorstellungen verkörpert, visualisiert und als alltäglich imaginiert? Christliche Ratgeberformate machen einen nicht unerheblichen Anteil der Ratgeberkultur der USA aus – »Christian life and spirituality make up about 40 percent of all self-help books« (Griffith, Born Again Bodies 2) – und sind daher schon allein auf Grund ihrer weiten Verbreitung ein bedeutsames, populärkulturelles Phänomen. Es gibt u.a. Diät- und Fitnessratgeber, Tipps fürs erste Date, Empfehlungen für die Ehe und die eheliche Sexualität; parental advice sowie Ratgeber zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wenige Beispiele sind die Ratgeber der LaHayes Against the Tide und The Act of Marriage ([1976] 1994), Harris’ I Kissed Dating Goodbye (2004) und Carolyn McCulleys’ The Measure of Success (2014). Allgemein werden Ratgeber als ein formativer Teil sog. therapeutischer Kulturen eingeordnet. Der Soziologe Philip Rieff prognostizierte in The Triumph of the Therapeutic einen Kulturwandel von der christlich zu der therapeutisch geprägten Kultur. Diesen ordnet er historisch als Konsequenz der »deconversion« (2) seit der französischen Revolution sowie der schwindenden Rolle der christlichen Religion als Sinn- und Identitätsstiftung in Folge der zunehmenden Popularisierung psychoanalytischer Ansätze von Sigmund Freud ein. Die Subjektpositionen der religiösen und therapeutischen Kultur fasst er folgendermaßen zusammen: Religious man was born to be saved; psychological man is born to be pleased. The difference was established long ago, when »I believe,« the cry of the ascetic, lost precedence to »one feels,« the caveat of the therapeutic. And if the therapeutic is to win out, then surely the psychotherapist will be his secular spiritual guide. (24-5)
Den kulturellen Triumph des Therapeutischen erkennt er u.a. darin, dass der »psychological man« vorrangig mit dem eigenen Wohlbefinden und der emotionalen Selbstbearbeitung beschäftig sei – »permanently engaged in the task of achieving a gorgeous variety of satisfactions« (241), die Verpflichtungen religiöser Institutionen ablehne und deren Sinnstiftungen dadurch obsolet mache. Auch neuere, akademischen Auseinandersetzungen mit Emotionen und Gefühlen werden therapeutische Formate zentral gesetzt. Der Soziologe Frank Furedi etwa fasst diese als sichtbaren Ausdruck für die bedeutungsstiftende Funktion von Emotionen im Alltagsleben (1) sowie deren Interpretationskraft und Autorität in verschiedenen Funktionsbereichen der Gesellschaft: »[T]he system of therapy is not confined to a distinct and functionally specific
Devotionale Ratgeber | 125
role, it has merged with wider cultural institutions and has an impact on all institutions of society« (17).1 In Die Errettung der Modernen Seele beschäftigt sich Illouz mit den Fragen, wie therapeutische Kulturen »zu dem wurden, was sie sind, und warum sie als das, was sie sind, für die Menschen ›etwas leisten‹« (14) sowie »wie und warum das geschah« (15). Dabei zeigt sie u.a. auf, wie sich »[d]ie emotionale Kompetenz [...] als eine neue Form von Kapital verstehen [lässt], mit der man soziale Güter in der Sphäre der Arbeit und in der Sphäre der Intimbeziehungen erlangen kann« (396). In ihrer Studie über Oprah Winfrey macht sie darüber hinaus aufmerksam, wie die international wirkmächtige Populärkultur der USA »[is] inspired by the language of therapy, to manage and change the self [...] [and] that well-being and happiness depend on successful self-management« (Oprah 5). Andere feministische Arbeiten nehmen insbesondere die impliziten Strukturierungen therapeutischer Diskurse in den Blick und entlarven die Bedeutung von Emotionen als Form der Naturalisierung kulturell wirkmächtiger Ideologien. Ahmed etwa beschreibt therapeutische Kulturen als besonders wirkmächtige Dimension des hegemonialen Glücksversprechens (Promise 3). Berlant betont speziell für die USA die kulturelle Arbeit des Therapeutischen in der Evokation eines »mass-mediated sense of intimacy« (»Intimacy« 282), welches inszenatorisch und performativ zeitgenössische Diskurse und populärkulturelle Formate präge: »At present, in the U.S., therapy saturates the scene of intimacy, from psychoanalysis and twelve-step groups to girl talk, talk shows, and other witnessing genres« (»Intimacy« 281-82). Nicht nur Berlants Verweis auf »witnessing genres« deutet auf Prozesse des Austauschs und der Rückkopplung zwischen nominell säkularen, therapeutischen und evangelikalen Diskursen und Praktiken; die evangelikale Praktik des witnessing als Form der Beglaubigung und Missionierung kann reziprok auch als therapeutische Praktik verstanden werden. Lofton geht so weit, populäre Enthüllungspraktiken in Talk-Shows und anderen therapeutischen Formaten als »evangelical disclosure« zu identifizieren (89). Es zeigen sich nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten therapeutischer und evangelikaler Praktiken, sondern es deutet sich eine intime Kopplung der Deutungsschemata Religion und Gefühl in nominell säkularer Ratgeberkultur im Allge-
1 | Furedi bemerkt weiter: »The invasion of the therapeutic ethos into other professions and forms of authority is particularly striking in relation to its former competitor – religious institutions« (17). Ähnlich wie Rieff präsentiert er damit eine vermeintlich diachrone Genealogie der religiösen und therapeutischen Deutungsmuster, wohingegen das Kapitel zeigen wird, dass devotionale Körperpraktiken die Deutungsmuster des Religiösen und des Therapeutischen uneinholbar zueinander in Beziehung setzen.
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meinen und in christlich motivierter Selbsthilfekultur im Speziellen an. Das Potential der kulturellen Arbeit christlicher Körperkultur entfaltet sich eben gerade am Nexus therapeutischer Selbstoptimierung und religiöser Deutungsschemata, indem evangelikale Ratgeber scheinbar säkulare Diskurse des Therapeutischen (re-)sakralisieren. Evangelikale Ratgeberformate der Gegenwart heben Rieffs diachrone Unterscheidung zwischen einem asketischen »I believe« und einem therapeutischen »one feels« auf und drücken aus einer religiösen Binnenperspektive die Gewissheit der Präsenz des Göttlichen als ein Körpergefühl aus. Dementsprechend folgt die ideologische Anrufung christlicher Ratgeberkultur dem Muster: ›Ich fühle, also glaube ich‹. Kulturhistorisch lässt sich die Übereinkunft zwischen nominell säkularen Körperidealen und religiösen Praktiken nachzeichnen. In Born Again Bodies analysiert Griffith devotionale Körperpraktiken als Momente der Konvergenz zwischen religiösen Praktiken sowie historisch spezifischen Körperidealen und betont »Christianity’s powerful role in the shaping of American bodies and varied forms of embodiment« (xi). Sie konstatiert, dass populäre Fitnesspraktiken des 20. und 21. Jahrhunderts und deren »pursuit of health and thinness« (6) an der Grenzstelle zu weißen, protestantischen Körperpraktiken entstanden sind und korrigiert damit die verbreitete Auffassung, dass evangelikale Fitnesspraktiken der Gegenwart reine Appropriationen säkularer Formate seien.2 Sie betont im Besonderen die intime Kopplung der religiösen devotion mit kulturspezifischen Vorstellungen von ›Schönheit‹, Fitness und Gesundheit und zeichnet historisch die folgende Linie: Fitness has taken different forms over the course of American history, and the contours of divine-human intimacy have been equally variable; but one link among [...] seemingly disparate American groups is a general conviction about the devotional logic of physical discipline. Fit bodies ostensibly signify fitter souls, whose prayers appear particularly, perhaps exclusively, suffused with wonder-working power. An appreciation of the emotional as well as the political intricacy of these coveted connections is vital if we are to discern why so many Americans have literally made a devotion out of the pursuit of health and thinness. (5-6)
Darüber hinaus betont sie die geschlechtsnormierende Funktion US-amerikanischer Fitnesskultur und benennt sie als kulturell wirkmächtiges Mittel »by which conceptualizations of maleness and femaleness, femininity and masculinity, have been pro-
2 | Griffith schreibt: »Christian exercise programs also took the country by storm, beginning in 1981 with Body and Soul Ministries (founded by Jeanne and Roy Blocher) and expanding into programs such as Believercise, Word-a-Cise, Cross Training, Jehobics, Praise Aerobics, and more« (Born Again Bodies 178).
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duced over time« (8). Auch die Soziologin Lynne Gerber deutet die Körpernormierungen für Frauen an und stellt bezüglich christlicher weight-loss culture der Gegenwart fest: »Originally popular mostly with housewives, evangelical women used these books and programs to engage with a highly salient cultural concern – body size – from a subculturally specific perspective« (63). Die Beispiele des Kapitels eignen sich die subkulturelle Perspektive auf verschiedene Weise als Verkaufsargument an. So positioniert sich Willis’ Basic Steps to Godly Fitness, welcher Teil des Geschäftsmodells Praise Moves ist, als »Christian Alternative to Yoga« (Buchcover) und damit als scheinbar subkulturelle Alternative zu Yogapraktiken des Mainstreams (vgl. Ghandi). Bereits das Programm Body Gospel zeigt aber explizit die fließenden Übergänge zwischen dem vermeintlich Religiös-Subkulturellen und massenkulturellen Ratgeberformaten. Denn das Programm bewirbt auf der offiziellen Internetseite: »The Oprah Winfrey Show chose her [Donna Richardson Joyner, M. S.] as one of the ›Top 5 Fitness Video Instructors‹« (»Body Gospel Workout«). Auch Candace Cameron Bures Fitnessbuch Reshaping It All ist, wie das Cover verspricht, ein »New York Times Bestseller«. Bure, die vor allem als D.J. Tanner aus der Sitcom Full House bekannt ist, stellt ihren christlich motivierten Ratgeber darin den vermeintlich oberflächlichen Idealen der US-amerikanischen Kulturindustrie entgegen und konstruiert damit wiederum eine scheinbar christlich-subkulturelle Perspektive. Schon die kurzen Schlaglichter der Programme zeugen so deutlich von Momenten der identitären Abgrenzung, von den fließenden Übergängen zwischen religiös und nicht-religiös motivierten Fitnessratgebern, deren Funktion »to compete in the market for religious books and media« sowie der »therapeutic role of contemporary religion« (Hendershot 89). Hendershot bemerkt: »In the 1950s, evangelicals began to lessen their opposition to psychology and to present Christian versions of it. By the 1960s and 1970s, many evangelicals seemed to have fully embraced Christianized psychology, and a significant body of popular evangelical therapeutic literature emerged« (89). Auf dem US-amerikanischen Selbsthilfemarkt positioniert sich der christliche Diskurs dabei als Korrektiv zu säkular kodierter Selbsthilfekultur und proklamiert die Präsenz des Göttlichen in mehr oder weniger offensichtlicher Art und Weise als Bewältigungsstrategie für vermeintlich ›universelle‹ Probleme der emotionalen Selbstbearbeitung. Als evangelikale Vereindeutigung des therapeutischen »sense of intimacy« (Berlant »Intimacy« 282) konstruieren und evozieren evangelikale Ratgeber ein religiöses Gefühl, welches (göttliche) Präsenz und damit verbundene Konstruktionen von Weiblichkeit als Körpererfahrung sozial intelligibel werden lässt. Das Genre ›authentisiert‹ die körperliche Einübung von Weiblichkeit über die bezeugende Rede des Rates. Dabei übernehmen besonders miteinander verschränkte Erfahrungsdimensionen des Göttlichen und der körperlichen Selbstoptimierung die Funktion, ›gottgefälli-
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ge‹ Weiblichkeit angeblich erfahrbar und fühlbar in Szene zu setzen. Präsenz fungiert dementsprechend als eine kulturell wirkmächtige Form der Naturalisierung scheinbarer Körpertransformationen und konstruiert evangelikale Weiblichkeit am Schnittpunkt eines therapeutischen Diskurses des well-beings, US-amerikanischer Körperideologien sowie derer strukturierenden, impliziten Wissensbestände.
5.1 D IE V ERKÖRPERUNG
DER
KONVERSION
Laurette Willis’ Ratgeberbuch Basic Steps to Godly Fitness folgt den inhaltlichen und formalästhetischen Gepflogenheiten von Ratgeberkultur im Allgemeinen, positioniert sich allerdings als christliche Alternative scheinbar säkularer und massenkultureller Yogaprogramme. Nach einem kurzen, bezeugenden Prolog folgt die Einleitung und die anleitendenden Kapitel für die Sportübungen sowie ein Schlusskapitel mit Ratschlägen für das ›richtige‹ Essen, (Fitness-)Gebeten und weiterführenden Literaturtipps und Verweisen. Der Ratgeber entfaltet seine spezifische kulturelle Wirkmächtigkeit insbesondere dadurch, dass Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz an die Bewerbung selbstoptimierter Frauenkörper gebunden werden. Direkt zu Anfang beschreibt Willis unter der Überschrift Bad News, Good News ihre eigene Lebens- und Fitnessgeschichte als Konversion zum erweckten Christentum: I’d like to share with you part of my journey of recovery from compulsive overeating, alcoholism, smoking, self-hatred, and the deception of the New Age movement to health and victory by following the BASIC Steps I’ll share with you in this book. Then together we’ll embark on a journey of recovery together step-by-step. I believe that with each small step, you’ll experience for yourself the Lord leading you to victory. (Willis 8)
Als kulturelles Muster rekurriert der Erfahrungsbericht dabei auf die kulturspezifische Formel des Ratgebers. Lösch und Paul weisen US-amerikanische Ratgeberkultur als prominentes Beispiel für eine »(semi)säkularisierte« (174) Variante des Musters der Konversion und als kulturspezifische Diskursivierung von Präsenz aus:3 Eine Säkularisierung der Präsenzerfahrung einer Konversion zeigt sich beispielsweise in der (ebenfalls kulturspezifischen) Ratgeberliteratur und -kultur, etwa in der sogenannten make-
3 | Sandra Dolby beschreibt die Formel auch als »a suggestion that something is wrong with us, or with our information about the world (lack); and second, a suggestion what might be done to correct this problem (lack liquidated) (4).
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over formula, die gleichfalls auf die Differenz zwischen einem ›vorher‹ und einem ›nachher‹ rekurriert und die in der zeitgenössischen Populärkultur häufig an die Stelle der ›klassischen‹ Konversion tritt. (176)
Willis bewirbt ihr Programm auf dem Buchdeckel als »21-Day Makeover Program« und plakatiert damit Fitness als religiöse Praktik, welche die rein körperliche Fitness mit einer religiösen Erfahrungsdimension verbindet und ein Ergebnis »[f]or your body [...] [f]or your soul [...] [and] [f]or your spirit (in Christ)« ermögliche (13). Als Konversion zum Glauben und zur ›Schönheit‹ resakralisiert Basic Steps to Godly Fitness das somit das nominell säkulare Muster des Ratgebers.4 Im Sinne eines ›come feel with me‹, sind ihre Good News darüber hinaus missionarisch prägt. Dies wird am Ende der Einleitung gänzlich explizit: If you have not asked Jesus Christ to come into your heart and give you a new life, or if you haven’t been enjoying a heart-to-heart relationship with the Lord who made you, I invite you to turn to page 221. If you are unsure whether or not that means you, it does. I’ll be right here waiting for you when you get back. (13)
Auf Seite 221 des Ratgebers bieten ein vorgedrucktes »Prayer to Receive Jesus Christ as Your Savior« (221) sowie zu füllende Textzeilen den Leser_innen an, die Konversionen über das Einfügen der eigenen Unterschrift und des Datums schriftlich festzuhalten. Basic Steps to Godly Fitness schreibt damit Fitness die Möglichkeit zu, das Göttliche zu präsentifizieren und inszeniert einen vermeintlich sichtbaren und fühlbaren Vorher-Nachher-Effekt als körperliche Präsenz. Diese Präsenz des Göttlichen und der Körpertransformation entfaltet sich an der Schnittstelle der evangelikalen Diskursformation, des Musters der christlichen Konversionserzählung und der Bereitstellung im kommodifizierten Ratgebergenre. Die Überlagerung der nominell religiösen und der nominell säkularen Dimension bezeugt dabei sowohl Willis Erfahrung der Erweckung als auch die Erfahrung der körperlichen »recovery« und doppelt somit das Muster der Konversion mit der säkular kodierten Präsenzerfahrung der sog. ›Verschönerung‹. In What a Girl Wants analysiert Diane Negra ›postfeministische‹ Populärkultur und sieht diese geprägt von »a cultural climate strongly marked by the political empowerment of fundamentalist Christianity and regnant paradigms of commerciali-
4 | Griffith erkennt das Muster schon in der Autobiographie des im 16. Jahrhundert lebenden Italieners Luigi Cornaro und nennt es das »›I once was fat but now am thin genre‹« (Born Again Bodies 41).
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zed family values« (6). Sie ordnet populäre Selbstfürsorgediskurse als prominenten Teil dieser Konsumkultur ein und macht auf die geschlechtsnormierenden Funktionen ubiquitärer Körperdiskurse und -praktiken aufmerksam: »[T]he body is relentlessly owned, claimed, and managed but it is simultaneously as fragmented and ruled by social norms as it has ever been« (117). Zur populären Formel der ›Verschönerung‹ schreibt sie im Besonderen: »In a postfeminist consumer culture the makeover is a key ritual of female coming into being« (123). Willis Ratgeber ist nicht nur über die visuelle Aufmachung als »21-Day Makeover Program« für Frauen markiert, sondern spricht als Diät- und Fitnessratgeber explizit Frauen als Übende an und interpelliert diese als christliche, selbstoptimierte Mütter. Im Kapitel Exercise as to the Lord rät sie, das Training in den Familienalltag einzubauen: One of the secrets I’ve discovered to making exercise a daily habit is combining activity with a spiritual discipline I’m already doing on a regular basis, such as praying or speaking scriptural affirmations. [. . . ] Whenever I have asked a woman if she would be willing to take ten minutes to pray for her family, she said she would be gladly do so. »Now, combine that with a walk,« I suggest. »Walk away from your house for five minutes while praying for your family. After five minutes, turn around and come back praising God for answering your prayers and blessing each family member.« She will often exclaim, »Wow! I can do that!«. (78)
Zusätzlich zur geschlechtsspezifischen Zuschreibung der Körperpraktik an die christliche Frau macht die Designation des Programms als make-over zudem deutlich, dass Basic Steps to Godly Fitness (göttliche) Präsenz als wiederholbares Ritual inszeniert. Durch die vermeintlich ohne großen Aufwand in den Tagesablauf einbaubaren Übungen wird somit die Präsenz des Göttlichen als alltägliche Erfahrung in Aussicht gestellt. Gleichwohl schreibt Basic Steps to Godly Fitness der alltäglichen Fitness eine herausgehobene Erfahrungsqualität zu. So behauptet eine Rezipientin, deren Lob auf dem Buchinnendeckel abgedruckt ist: »The combination of a worshipful attitude and physical activity turn the mundane into the marvelous«. Die sportliche Betätigung wird somit als religiöser Mehrwert aufgewertet und als Überschreitung des Alltags der (christlichen) Frau vermarktet. In diesem Sinne affirmiert das Programm die Notwendigkeit für ›gottgefälliger‹ Frauen, das Ritual täglich zu wiederholen und naturalisiert diese ›postfeministische‹ Disziplinierung von Frauenkörpern über das Versprechen wiederholbarer und herausgehobener Körpererfahrungen (des Göttlichen). Die vermeintliche Dringlichkeit, die tägliche Fitness als Zusatz zur täglichen spirituellen Gewohnheit – etwa das Zusammenlegen des Gebets für die Familie mit einem sportlichen Spaziergang – einzubauen, bezieht sich allerdings nicht nur auf den zeitlichen Tagesablauf der Frau, sondern auch auf vermeintlich distinkte Lebenssi-
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tuationen. Negra spricht dahingehend von einer »postfeminist temporality«, um zu bezeichnen, wie »time is reconceived as something which is seldom linear or sustained and is broadly categorized as a threat« (47). Die christliche Frau ist angerufen, ihren Glauben zur gleichen Zeit wie die Familie und die sportliche Betätigung zu managen. Die zeitliche Interpellation bezieht sich reziprok auf die soziale Rolle als Mutter in der Familie und auf die Praktik der religiös motivierten Selbstoptimierung und wird letztendlich austauschbar. Darüber hinaus vermarktet Willis’ Franchise DVDs für Einsteiger und Fortgeschrittene, ein Programm für Kinder (»Praise Moves for Children«) sowie ein Format, welches als »Christian Alternative to Zumba« beworben wird (»Mira! Christian Fitness with a Latin Beat!«).5 Das Programm stellt die körperliche Präsenzerfahrung somit immer wieder aufs Neue bereit und diskursiviert damit die (herausgehobene) Präsenz des Göttlichen in Serie, in vermeintlich distinkten Lebenssituationen und in verschiedenen kulturellen Registern. Als körperliche Einschreibung eines religiösen Kapitalismus – How does religious capitalism feel? – vermarket das Sportprogramm die christliche Körperkonversion in der Logik des therapeutischen Diskurses des Wohlbefindens sowie des selbstoptimierenden Konsums und proklamiert die Präsenz des Göttlichen als religiöses (Körper-)Gefühl. Indem (göttliche) Präsenz konsumierbar bereitgestellt wird, übernehmen die Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz zum einen die Funktion, die vermeintlich alltägliche und hegemoniale Praktik des Konsums zu transzendieren, zum anderen die Funktion, die geschlechts- und altersspezifischen Zu- und Einschreibungen zu verschleiern. Die seriell bereitgestellte Präsenzerfahrung nimmt im kommodifizierten Genre des Ratgeberformats eine verkörperte Form der devotion an. In Kapitel drei habe ich Formen der ›gottgefälligen‹ Hingabe als Romantisierung der Vater-Tochter-Figur und in Kapitel vier als romantische Paarbeziehung in christlicher chick lit besprochen. Dabei hat sich gezeigt, wie die evangelikalen Konstruktionen von Weiblichkeit als hingebungsvoll, liebend, ergeben und aufopfernd auf komplexe Verhandlungen von Konsum, Verführung, Weiblichkeit und nationaler Identität verweisen. Dieses Kapitel zeigt daran anschließend, dass christlich motivierte Fitnessprogramme ihre Form der religiösen Hingabe an Praktiken der Selbstoptimierung und die vermeintliche Privatheit von Frauenkörpern bindet. In Basic Steps to Godly Fitness zeigt sich das folgendermaßen. Willis schreibt, wie die Fitnessübungen auf ausgewählten Passagen der christlichen Bibel basieren:
5 | Um noch einmal die Kategorie der Klasse explizit zu benennen, handelt es sich ohne Zweifel immer auch um die Konstruktion einer christlichen Mittelklasse, die im Falle der Körperdiskurse auch auf dominante, implizite Verständigungen um fatness einzuordnen sind. Zur Kategorie der Klasse in evangelikaler Diätkultur s. speziell Gerber, »Fat Christians and Fit Elites«.
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Praise Moves postures are integrated with corresponding Bible scriptures. For example, during a posture named »The Altar« [. . . ], we consider the scripture from Romans 12:1: »I beseech you therefore, brethren, by the mercies of God, that you present your bodies a living sacrifice, holy, acceptable to God, which is your reasonable service. (»Why a Christian ALTERNATIVE to Yoga?« 12)
Die Übung als performative Verkörperung des Bibelverses verweist somit noch einmal im Besonderen auf die spezifische Präsentifikation des Göttlichen. Denn die Lektüre der Bibel wird an die Bewegung angebunden, mit ihr vermischt und letztendlich verkörpert. Die christliche Frau in der Übung »The Altar« fungiert als Resonanzkörper für das Bibellesen, wodurch die körperliche und räumliche Präsenz der Übenden als Altar in einem devotionalen Raum zum Teil der (göttlichen) Präsenzerfahrung werden. Aus der evangelikalen Binnenperspektive erreicht ein solches verkörpertes Bibellesen »to get more of the Word of God into us!« (»Why a Christian ALTERNATIVE to Yoga?« 15). Der Frauenkörper internalisiert dabei allerdings offensichtlich nicht nur die Praktik des Bibellesens, sondern wird zum Identifikationsangebot für religiöser Weiblichkeit und die damit verbundenen Normen christlicher und selbstoptimierter Mutterschaft. Aus ideologiekritischer Perspektive zeigt sich dadurch – ähnlich wie in Althussers Ausführungen zum Ritual der Verbeugung als körperliche Interpellation eines devotionalen Subjekts – wie die religiös motivierte Körperpraktik als implizites Wissen um den ›richtigen Körper‹, die ›gottgefällige‹ Hingabe und die geschlechtsspezifischen Kodierungen wirksam wird. Die Übung »The Altar« positioniert den Körper der Übenden nicht nur als »a living sacrifice«, sondern ist ein Paradebeispiel für die bis in den Körper reichenden, korrespondierenden impliziten Wissensbestände evangelikaler Körperpraktiken. Die LaHayes beschreiben in The Act of Marriage die eheliche Sexualität über den Bezug auf eine herausgehobene Präsenzerfahrung und beschreiben diese als ein intimes Wissen: What better way is there to describe the sublime, intimate interlocking of mind, heart, emotions, and body in a passionately eruptive climax that engulfs the participants in a wave of innocent relaxation that thoroughly expresses their love? The experience is a mutual knowledge of each other that is sacred, personal, and intimate. (26)
Kintz bezieht sich in ihrer kurzen Analyse des Ratgebers auf die beschriebene scheinbare Aufhebung des mind-body-splits und meint: »The metaphysical binary that opposes mind to body is here under intense cultural revision for it is clear that mind and
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body cannot be separated in this version of knowing« (Between Jesus 63-4). Bezüge auf göttliche Präsenz sowie ein damit ausgedrücktes intimes »knowledge« werden dadurch an den Körper gebunden. Der Religionswissenschaftler John Pahl bemerkt, wie »religious discourses and practices, often in secular guise, [. . . ] place sacrifices on altars constructed of social conventions concerning age, race, and gender« (4). Auch Brenda Weber weist auf die impliziten Bedeutungszuschreibungen von »beauty, desire, social power, modes of gender, and pleasurable narratives« in medialen Formeln der ›Verschönerung‹ hin. Darüber hinaus argumentiert sie, dass insbesondere Körperdiskurse kulturell geteilte Gefühle verdichten »[s]ince the body evokes our collective desires and anxieties« (n. pag.).6 Evangelikale Körperpraktiken als Präsentifikationen impliziter Wissensbestände evozieren und affirmieren somit ein religiöses public feeling um Weiblichkeit, ›Schönheit‹ und christliche Wiedergeburt. Dieses ist intrakulturell anschlussfähig als quasi-naturalisierte und naturalisierende »felt experiences of embodiment« (Shotwell xi), welche die strukturierenden Wissensbestände bezüglich einer hegemonial wirkmächtigen und idealisierten Weiblichkeit aus der expliziten in die implizite Verständigung verschiebt.7 Dabei überschreiben insbesondere die Bezüge auf die herausgehobene Präsenzerfahrung (des Göttlichen) wirkmächtige Ideologien der ›Schönheit‹ und der Weiblichkeit und rückt diese als christliche Version eines intimen Körperwissens ins scheinbar Unsagbare. Aus wissenstheoretischer Sicht ist die Proklamation devotionaler Fitness strukturiert von impliziten Verständigungsmomenten, die sich an Machtkonstellationen um Geschlecht, fatness, race, Alter und anderer Differenzkategorien festmachen lassen. Als Präsentifikation der Hingabe evangelikaler Frauen übernehmen devotionale Ratgeber allerdings die Funktion, die Konstruktion selbstoptimierter Weiblichkeit zu transzendieren, evangelikal zu vereindeutigen und scheinbar natürlich und fühlbar, und, wie im nächsten Teilkapitel aufgezeigt wird, visuell intelligibel werden zu lassen.
6 | Intim kodiertes Körperwissen ist ohne Zweifel eine starke Form des impliziten Wissens. Dies deutet sich metaphorisch schon in Collins Konzeption des starken impliziten Wissens als »knowledge ›embodied‹ in society« an (Tacit and Explicit Knowledge 2). 7 | Bezugnahmen auf ›den Körper‹, die sich durch einen vermeintlichen Universalismus auszeichnen, sind ubiquitär in der US-amerikanischen Öffentlichkeit und populärkulturellen Registern. Im Unterhaltungsfernsehen wird etwa im Format des make-overs der Fokus speziell auf die scheinbare Optimierung vermeintlich ›nicht-konformer‹ Körper gerichtet. Bekannte Transformationsshows sind The Swan (Fox), Extreme Makeover (ABC) und The Biggest Loser (NBC).
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5.2 D IE V ISUALISIERUNG
DER
KONVERSION
I love using the Body Gospel workout, especially following the journal. It has helped me keep perspective, mind, body and soul. I was going through a very painful marital breakup at the time I started the workouts, and the Body Gospel Program has literally been a life-saver for me, as God has been present in transforming me both physically and spiritually. I greatly enjoy each of the workouts, and have seen results. Thank you Donna for a wonderful workout program. (»Reviews«)
Das kurze Zeugnis auf der Internetseite des Fitnessprogramms Body Gospel beschreibt die körperliche Betätigung der Nutzer_in REVPC als die körperlich erfahrbare, göttliche Präsenz der Konversion für »mind, body, and soul«. Neben solchen Werbetexten werden auf der Internetseite des Programms in einer Reihe sog. journeys die Geschichten schon ›erfolgreicher‹ Kunden quasi-dokumentarisch in Szene gesetzt (»Body Gospel«). Diese sind etwa überschrieben mit: »Wendy R. lost 31 LBS. Watch Wendy’s Body Gospel Journey«. In dem Kurzfilm beschreibt Wendy R. eine gescheiterte Beziehung sowie die göttlich inspirierte Entdeckung des Programms, welches es ihr ermöglichte, ihr Leben in angeblich ›besserer‹ körperlicher Konstitution neu zu beginnen. So überlagert auch ihr Narrativ körperliche Fitness als make-over mit der Präsenz des Göttlichen. Zusätzlich beginnt und endet das kurze Video mit einem fotografischen Zusammenschnitt, auf dem Wendy R. zweimal abgebildet ist. Während sie auf der linken Abbildung als vermeintlich ›dicke‹ Frau von der Seite dargestellt ist, sieht man auf der rechten Seite ihr ›erfolgreiches, neues‹ Selbst nach dem Abnehmen. Auf diesem Körperbild ist ihr Kopf zum Beobachter gerichtet und sie lacht in die Kamera, während sie ihre nun zu großen Kleidungsstücke präsentiert. Die Komposition der Bilder in der Abfolge von links nach rechts lenkt den Blick der potentiellen Kund_innen dadurch direkt auf den Körper von Wendy und proklamiert dessen scheinbare Veränderung als Erfolgsversprechen. In der Bereitstellung der vermeintlich objektiven Vorher-Nachher-Fotografien visualisieren die Bilder die körperliche Erfahrung des Göttlichen und der ›Schönheit‹ so im bekannten Muster der Konversion. Visuelle Präsenz setzt sich dabei aus mindestens zwei Dimensionen zusammen. Zum einen beschreiben Lösch und Paul den ersten Blickkontakt mit dem ›neuen Ich‹ in der TV-Show The Swan als eine Präsenzerfahrung, die ihre »epiphanische Qualität« in der »spontanen misrecognition der eigenen Person im Spiegel« entfalte (176). Zum anderen evoziert die Präsenz der im Kurzfilm photographisch und narrativ in Szene gesetzte Schönheitsideologie ein visuelles Wohlgefallen bei den Betrachtenden,
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welches seine kulturelle Bedeutung nur in den zur Schau gestellten binären Oppositionen schlank/dick/, schön/hässlich, christlich/nicht-christlich erhält. Die Präsenz der scheinbaren visuellen Veränderung fungiert so als eine Form des evangelikalen ›Otherings‹, die einer hegemoniale Politik des Blickes entspringt. »Watch Wendy’s Body Gospel Journey« präsentifiziert das Muster der Konversion so immer auch als »Spectacle of the Other« (S. Hall, Representation 223). Aus einer evangelikalen Binnenperspektive manifestiert sich in der Visualisierung der Konversion, wie die angeblichen ›Abnehmerfolge‹ in die Transzendenz verschoben werden. ›Wahrer Glaube‹ wird an christlichen Körpern vermeintlich ablesbar und eine nicht erfolgte körperliche Transformation als Versagen im Glauben deutbar. Willis setzt dies religiös plausibilisierte Logik in Basic Steps to Godly Fitness in das Narrativ ›Gut gegen Böse‹ und schreibt über den »devil’s plan« (74), der diejenigen, die nicht im Glauben gefestigt sind, vom Abnehmerfolg abhalte. Gerber beschreibt einen solchen Zusammenhang in evangelikalen Diätgruppen, die schlanke Körper als ein Glaubenszeugnis für Gott in der Welt verstehen. Dies führt soweit, dass nicht-schlanken Priestern spirituelle Legitimität und Führungsqualitäten abgesprochen werden. Sie schreibt über Diätratgeber sowie über ihre soziologischen Interviews: »In these depictions, fat Christian leaders shame all Christians and their cause in the world by failing to reflect the values to which true Christians should aspire« (76). Gleichzeitig und uneinholbar mit einem evangelikalen Diskurs über den eigenen und den fremden Erlösungsstatus vermischt, affirmiert der Kurzfilm hegemoniale Vorstellungen, die Körper als naturalisierte Bedeutungsträger vermeintlich objektiv ausdrücken. Die Amerikanistin Susann Neuenfeldt betont, dass »Sehtechniken, Konzepte von Schönheit und hegemonialer Weiblichkeit in einem direkten Zusammenhang stehen« (16). Dass der Blick eine Formation männlicher Macht ist, zeigt die Filmtheoretikerin Laura Mulvey in ihrer Analyse der männlich hegemonialen Blickkonstitutionen im Hollywoodfilm und betont, wie »ways of seeing and pleasure in looking« geschlechtsspezifisch strukturiert sind (7). Diese geschlechtsspezifische Normierung wird in evangelikaler Fitnesskultur weiter implizit als weiß kodiert. Zwar wird beworben, dass bei dem Programm Body Gospel zu »uplifting gospel music«geübt wird und die testimonials zeigen nicht ausschließlich weiße Frauen, sondern eine scheinbar diverse Gruppe an Kund_innen. Aber schon der erwähnte Bezug zu Oprah Winfrey verweist auf Formen der hegemonialen Aneignung afroamerikanischer Kultur für ein weißes Publikum. Und auch Griffith betont die kulturell wirkmächtige Funktion US-amerikanischer Fitnesskultur »in restoring and sustaining the powerful ideology of whiteness, a sociocultural system that intermixes suspicions about both race and class« (Born Again Bodies 9). Indem auch die journeys von Di-
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on L., Eddy V., Heather L., Ron M., Frank W., Kerri P. sowie eben Wendy R. ihre Protagonist_innen repetitiv in der Ideologie des Vorher-Nachher-Vergleichs darstellen, schreibt die Formel des make-overs die herausgehobene Präsenzerfahrung des Göttlichen und des Körpers in eine visuelle »economy of sameness« ein und gleicht die Körper der Nutzer_innen über den naturalisierenden Bezug auf die Präsenz des Göttlichen und der Körpertransformation als »perpetual overwriting of race and class signifiers« aneinander an (B. Weber n. pag). Mit den Worten des Theologen Willie Jennings lässt sich in diesem Sinne von der »Ordinary Presence of Whiteness« sprechen, deren visuelle Idealisierung vermeintlich ›schöner‹ Körper immer auch whiteness als implizite Norm proklamiert. Der Kulturtheoretiker Walter Mignolo betont, dass in westlichen Epistemologien der Blick und allgemein Visualität privilegiert seien. Sein Beispiel ist etwa der angeblich allumfassende Begriff world-view, der ausdrücke, dass sich über Bezüge auf Visualität ein vermeintlich universell gültiges und objektives Wissen offengelegt werde (xi). Ein ebensolches visuelles und scheinbar allgemein gültiges Wissen ist in der Vorher-Nachher-Logik des Programms Body Gospel doppelt kodiert. Einmal wird darin eine implizite Gewissheit um normierte und normierende weiße ›Schönheit‹ ausgedrückt und in einer »economy of sameness« sozial intelligibel bereitgestellt, zum zweiten das Wissen um den eigenen und den fremden religiösen Auserwähltheitsstatus bestätigt. Die visuelle Kodierung des Vorher-Nachher-Vergleichs bezeugt so scheinbar allgemein gültige implizite Wissensformationen und verknüpft den evangelikale Diskurs des eigenen Erlösungsstatus mit einem intimen Wissen um den ›schlanken‹ Körper als Norm für hegemoniale Weiblichkeit.
5.3 D IE A LLTÄGLICHKEIT
DER
KONVERSION
Evangelikale, therapeutische Kultur übernimmt die Funktion, kulturelle Differenzen in die Transzendenz zu verschieben und ihre implizite Norm heteronormativer Weiblichkeit als weiß und als alltäglich zu naturalisieren und zu normalisieren. Das erste Kapitel des Fitnessratgebers Reshaping It All überschreibt Candace Bure mit »A Full House of My Own«. Neben der Referenz zu ihrer Fernsehrolle in der Sitcom Full House beschreibt sie ihren hektischen Alltag und merkt an: »Life can be glamorous at times when I’m traveling to far-off places, shooting a movie, or meeting fellow celebrities, but behind the scenes I live what most would consider an ordinary life« (2). In Ordinary Affect schreibt Kathleen Stewart über das scheinbar Gewöhnliche: »The ordinary is a shifting assemblage of practices and practical knowledges, a scene of both liveness and exhaustion, a dream of escape or of the simple life« (1). Stewart kon-
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zeptualisiert das Gewöhnliche weiter als Affekt und öffentliches Gefühl: »Ordinary affects are public feelings that begin and end in broad circulation, but they’re also the stuff that seemingly intimate lives are made of« (2). Indem Bure so ihr vermeintlich intimes Leben »behind the scenes« als alltäglich und gewöhnlich beschreibt, konstruiert sie einen Wiedererkennungswert als Form der emotionalen Teilhabe für ihre Leser_innen und markiert, schon in der Gegenüberstellung der nur scheinbar glamourösen Verpflichtungen als Fernsehstar dieses Gewöhnliche als ›besser‹. Dass es sich bei ihrem alltäglichen Leben um das bessere Leben handele, wird darüber hinaus über Bezüge auf göttliche Präsenz affirmiert. Bure schreibt etwa, »God has changed me in ways that words cannot describe« (7) und bedient sich damit des Unsagbarkeitstopos. Darüber hinaus proklamiert sie über den Bezug auf die Präsenz des Göttlichen ihr gewöhnliches Leben wieder als außergewöhnlich: »Yes, in many ways my life is ordinary, but it’s also EXTRAordinary (sic) because of my relationship with the Most High God« (3). In der evangelikalen Diskursformation wird das Gewöhnliche dadurch wieder als herausgehoben markiert, Bures scheinbar gewöhnlicher Alltag und dessen Strukturierung über die Präsenz des Göttlichen bekommen ihre Bedeutung in den Worten von Stewart über »the intensities they build and in what thoughts and feelings they make possible« (3). Bures Leben als ›gewöhnlichaußergewöhnlich‹ bezieht seine Bedeutung weiter vor allem über die Inszenierung ihrer quasi-privaten Rolle als Mutter, eine Erfahrung, die sie als Lebenswandel proklamiert: »Marrying an NHL hockey star and having three kids will change anyone’s life, and it changed mine immensely. Suddenly I went from being a television star living in Hollywood to starring in my own role as a wife and mother at home with my kids« (4). Die präsentische Überformung des Alltäglichen diskursiviert somit nicht nur ihre Erfahrung des Göttlichen, sondern plausibilisiert auch ihre Erfahrung als Mutter und Ehefrau. Die Bereitstellung des Fitnessbuchs und die Empfehlung, Fitness und die richtige Diät in den Alltag der Familie einzubauen, knüpft die Präsenzerfahrung (des Göttlichen, des Frauseins und der Selbstoptimierung) darüber hinaus an das Häusliche. Wie schon im Kapitel 3.3 ausgearbeitet fungiert (göttliche) Präsenz somit als Form der räumlichen Disziplinierung und legt nahe, dass (göttliche) Präsenz für Frauen nur im Privaten erlebbar und fühlbar sei. Bure schreibt über ihren eigenen Erfolg: »Finally getting it right, I’m twenty-five pounds lighter than I was on Full House, I have a full house of my own, and I feel better than I ever did!« (9). Als religiöses public feeling übernimmt das Buch in diesem Sinne die kulturelle Arbeit eines ›come feel with me!‹ und proklamiert Fitness und Muttersein als »dream of escape or of the simple life« (Stewart 1). Allerdings wird die scheinbare Alltäglichkeit des Häuslich-Göttlichen über die Visualisierung des Starkörpers wieder aufgehoben. Denn das Cover visualisiert die
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Präsenz des Starkörpers und proklamiert als Werbebild für das Buch »the promise of the exceptional« (B. Weber). Darauf abgebildet sieht man Bure, wie sie lächelnd und ganz in weiß gekleidet wahrscheinlich vor dem Eingang ihres Grundstücks steht und damit Motivation for Physical and Spiritual Fitness bietet. Mulvey bemerkt, dass Hollywood-Filme »the spectator an illusion of looking in on a private world« geben (9) und, dass solche Einblicke eine »satisfying manipulation of visual pleasure« entstehen ließen (8). Unter dem Titel »A Slice of Advice« druckt das Buch die Beobachtung eines Fans: »Dear Candace, I’ve seen photos of your family, and you’re all beautiful. Your daughter is looking like a miniature you. So cute! You all look so radiant it’s amazing.« (33). Das kurze Zeugnis bindet somit Präsenz, »[y]ou all look so radiant«, an einen »complex process of likeness and difference (the glamorous impersonates the ordinary)« (Mulvey 10). Bures Diät- und Fitnessratgeber inszeniert in diesem Sinne einen ›authentischen‹ Blick in das religiöse Privatleben der Schauspielerin. Bure personifiziert somit die selbstoptimierte christliche Mutter, deren Leben diametral entgegengesetzt zu der inszenierten Privatheit der Fernsehserie im Speziellen und der Kulturindustrie im Allgemeinen ist. Zwar beschreibt der Ratgeber auch Bures Beruf als erfolgreiche Schauspielerin und erweitert damit scheinbar ein distinktes, geschlechtsspezifisches Sphärenmodell allerdings machen schon die narrative Überlagerung mit der Familiensitcom Full House sowie Bures Rat aus ihrer Perspektive als Mutter und Ehefrau klar, dass Reshaping It All die Rolle der Frau weiter an die symbolische Ordnung des Häuslichen bindet. Als scheinbar privater Blick in das Zuhause von Bure inszeniert der Ratgeber für die Leser_innen damit die Notwendigkeit, das eigene Full House zu optimieren. Denn die präsentische Überhöhung des Alltäglichen und des Starkörpers von Bure impliziert, dass ein Eintritt in die Öffentlichkeit nur selbstoptimierten christlichen Frauen wie Bure zur Verfügung steht, wodurch das Häuslich-Religiöse das Öffentliche überformt.8 Aus ideologiekritischer Perspektive zeigt sich dadurch eine christliche Revision der US-amerikanischen Öffentlichkeit, die Frauen zwar jenseits der symbolischen Ordnung der Häuslichkeit positioniert, allerdings immer nur als Aufschub fungiert.
8 | Im Ratgeber The Measure of Success (2014) zeigt allein der Dreischritt des Untertitels Women, Work, and the Home, dass Work von der symbolischen Ordnung des Häuslichen und des Weiblichen umschlossen wird. Auch Kathleen McHugh erkennt in American Domesticity Selbsthilfeliteratur als dominanter Form der Konstruktion von US-amerikanischer Häuslichkeit.
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5.4 ›I CH
FÜHLE , ALSO GLAUBE ICH ‹
Devotionale Ratgeberformate sind ein konstitutiver Teil zeitgenössischer Kulturen des Therapeutischen, in denen die Inszenierung kommodifizierter Körper als Form der christlich motivierten Selbstbearbeitung angeboten werden. Sie fungieren in diesem Sinne als kommodifizierte Normierung und evangelikale Positionierung des weiblichen Körpers in Lebenspraktiken des Alltäglichen. Besonders die Leitbegriffe der Arbeit haben gezeigt, dass Basic Steps to Godly Fitness, Body Gospel und Reshaping It All auf Momente der Appropriation, Konvergenz und Übersetzung zwischen evangelikal und säkular kodierten US-amerikanischen Köperdiskursen verweisen. Die Programme beschreiben körperliche Fitness als Gotteserfahrung und inszenieren diese Erfahrungskonstitution in Rückgriff auf Ökonomien der Präsenz. Diese wird über das Ritual des kommodifizierten make-overs bereitgestellt und dadurch quasi gedoppelt. Zum einen wird die Formel des make-overs als religiöse Erfahrung, zum anderen die Präsenz des Göttlichen als körperliche Erfahrung inszeniert und sozial intelligibel bereitgestellt. Christlich motivierte Fitnessprogramme schreiben also religiöse und semi-religiöse Präsenzerfahrungen in die Körper der Übenden ein. Aufgrund der Gleichzeitigkeit und nur partiellen Unterscheidbarkeit christlicher und nominell säkularer Fitnessangebote lassen sich die Programme als Identifikationsangebot sowohl für evangelikale als auch für nicht-evangelikale Frauen deuten und fungieren immer auch als Mittel zur Bekehrung. Die einen finden zum Glauben und zur ›Schönheit‹, die anderen rezipieren den Diskurs um Fitness und können in einer Bekehrungslogik den christlichen Mehrwert (mit)erleben. Besonders Visualisierungen der Konversion und die Politik des Blickes konvertieren und disziplinieren damit die Übenden und deren Betrachter_innen zur ›Schönheit‹ und zum Glauben und zu deren impliziten Strukturierungen des Weißseins als Norm. Die Suche und das vermeintliche Finden von Glaube und ›Schönheit‹ verweisen auf kulturspezifische Evokationen eines intim kodierten Körperwissens. Um noch einmal mit Shotwell zu sprechen: »The kind of knowledge expressed in the body’s knowing is paradigmatically tacit – it is enmeshed and thoroughly incorporated cultural understanding« (14). Der Körper und seine Affektökonomien zeigen ihre intrakulturelle Wirkmächtigkeit dabei besonders dahingehend, dass sie quer zu vermeintlich identitären Grenzziehungen liegen. Denn das intime Körperwissen, das die christlichen Programme evozieren und affirmieren, interpelliert die Frauen nicht nur als gläubig, sondern auch als ›schön‹ und selbstoptimiert. Darüber hinaus liegt die implizite Verständigung quer zu verschiedenen populärkulturellen Formaten, denn sie wird als visueller, narrativer und performativer Wissensbestand aufgerufen und reproduziert. Basic Steps to Godly Fitness, Body Gospel und Reshaping It All mani-
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festieren damit die gegenseitige Durchdringung geschlechtsspezifisch kodierter visueller Wissensformationen, einen Common Sense bezüglich US-amerikanischer Ideologien um ›Schönheit‹ und whiteness sowie aus der evangelikalen Binnenperspektive die Gewissheit um den eigenen und den fremden Erlösungsstatus. Dadurch werden religiös und säkular kodierte Formen des Körperwissens gedoppelt und letztendlich austauschbar. Aus ideologiekritischer Perspektive zeigt sich dabei wie Inszenierungen ›selbstoptimierter Mutterschaft‹ auf populären Sichtweisen der NichtExplizierbarkeit von Erfahrung und vermeintlich ›authentischem‹ Körpergefühl basieren und dadurch strukturierende Wissensbestände um (evangelikale) Weiblichkeit aus der expliziten in die implizite Verständigung gerückt werden. Im Muster eines ›Ich fühle, also glaube ich‹ und eines missionarischen come feel with me! sind evangelikale Ratgeberformate somit ein paradigmatisches Beispiel für eine kulturspezifische Manifestation des in der Arbeit ausgearbeiteten religiösen public feelings, welches sich bis in den Körper einschreibt, aber seine kulturelle Wirkmächtigkeit weit darüber hinaus entfaltet. Gesellschaftspolitisch zeigt sich der Nexus zwischen Evangelikalismus, körperlicher Selbstoptimierung, Konsum und Geschlecht nicht nur in den impliziten, politischen Dimensionen von jugendlicher ›Keuschheit‹ und der Disziplinierung und Normierung von Frauenkörpern. Kulturhistorisch manifestiert sich der Zusammenhang zwischen evangelikaler Körperkultur und politischer Sphäre explizit: Since the turn of the twenty-first century, there has been a notable resurgence of interest in weight loss, fitness, and health on the part of male evangelical leaders [. . . ]. In the last ten years, leaders like Haggard, Charles Stanley, Pat Robertson, and T. D. Jakes – men with a great deal of influence in both the evangelical world and the conservative political world – have authored weight-loss books or endorsed weight-loss products or both. (Gerber 63)
Die Ratgeberprodukte solcher zentralen Figuren des US-amerikanischen Evangelikalismus weisen damit implizit auf die Funktionen der Konstruktionen von Männlichkeit und Selbstoptimierung für zeitgenössische konservative Politik hin. Und auch für die besprochenen Konstruktionen von Weiblichkeit ist ein solcher Zusammenhang zu konstatieren. So veröffentlicht Willis unter ihrer Onlinerubrik »Some Wonderful Endorsements« den folgenden Brief mit einem nebenstehenden Bild der ehemaligen First Lady Laura Bush: »Thank you for your kind gift and caring words of support and prayers. I am pleased that you would think of me in such a special way, and I appreciate your generosity. – With warm wishes, Laura Bush, The First Lady, The White House [..]« (Praisemoves.com). Als Werbestrategie impliziert das, dass Laura Bush eine Benutzerin des evangelikal motivierten Trainingsprogramms sei und in-
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szeniert einen anekdotischen und lokalen Zusammenhang zwischen selbstoptimierter Weiblichkeit und US-amerikanischer Politik. Implizit wird damit die Ideologie der christlichen Selbstoptimierung der Frau an das gebunden, was gemeinhin als politische Sphäre bezeichnet wird. Dieser Nexus zwischen selbstoptimierter Weiblichkeit und Politik ist auch in anderen Beispiel zentral. Griffith schreibt in einem Onlinekommentar über »The New Evangelical Feminism of Bachmann and Palin«: The more interesting phenomenon here is to see how surprised so many pundits continue to be at the fact that so many American women and men actually LIKE newfangled evangelical feminists such as Bachmann and Palin. Of course they do! These women embody that combination of conventional beauty (with a wink of sex appeal), earnestness, piety, accessibility and steely certitude of their own godliness that comprises the highest ideal of white conservative evangelical womanhood today.
Auch diese Feststellung rückt den Frauenkörper somit in die Sphäre der Politik. Die angebliche ›Schönheit‹ von Palin und Bachmann ist damit zwar scheinbar auf das vermeintlich Private, bzw. ihren Körper bezogen. Als »highest ideal of white conservative evangelical womanhood« drückt sie darin aber eben auch Palins und Bachmanns politischer Stellenwert in der Gesellschaft aus. Der Verweis auf die konventionelle ›Schönheit‹ ›evangelikaler Feministinnen‹ wie Bachmann und Palin ist somit auch ein Hinweis auf eine Angleichung des »bodily space with social space« (Ahmed, »Affective Economies« 117) und ein symbolisches Verbindungsglied zwischen individuell wahrgenommenen Körpern und Formen der affektiven, nationalen Vergemeinschaftung. Denn über den politischen Körper der Frau wird ein (evangelikaler) body politic intim verkörpert und sozial intelligibel bereitgestellt sowie die Nation über die evangelikale, politische Frau präfiguriert. Der politische Aktivismus evangelikaler Frauen als Ausdruck des christlichen nation buildings steht im Mittelpunkt des nächsten Kapitels.
6 »How to Lobby From Your Kitchen Table«: (Zivil-)Religiöser Aktivismus
Since 1979, Concerned Women for America (CWA) has been working to protect and promote Biblical values among all citizens – first through prayer, then education and finally by influencing our society – thereby reversing the decline in moral values in our nation. But that work requires the involvement of many concerned citizens like you. As a Christian, you are in a strategic position to help return this nation to sound moral principles. How? By lobbying from your own home, or even your kitchen table. (»How to Lobby from Your Kitchen Table« n. pag.)
Im Flyer »How To Lobby From Your Kitchen Table« setzt die evangelikale Organisation Concerned Women for America »biblical values« und »concerned citizens« in einen direkten Zusammenhang und beschreibt den Lobbyaktivismus sog. ›besorgter Bürger_innen‹ als notwendiges Korrektiv für einen angeblichen, moralischen Verfall der US-amerikanischen Gesellschaft. Der Aufruf, gesellschaftliche Änderungen vom eigenen Küchentisch zu bewirken, verräumlicht die Figuration der religiös motivierten Bürger_innen darüber hinaus in geschlechtsspezifischen Sphären. Jedoch ist der Flyer nicht nur geprägt von der symbolischen Verschränkung des vermeintlich Privaten und Weiblichen – dem eigenen Küchentisch – mit dem Politischen und Gesellschaftlichen, sondern kollabiert in nur einem Absatz, was der erste Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung erklärt: Die Trennung von Nationalstaat und einer spezifischen Religion. Es heißt bekanntermaßen: »Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof« (US Const. amend. I, sec. 1). In der dominanten Lesart erklärt die establishment clause eine offizielle Religion, Begünstigungen einer bestimmten Konfession seitens des Staates sowie die Diskriminierung religiöser Überzeugungen als nicht konform mit
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den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der USA.1 Kulturhistorisch wurde das first amendment aus evangelikaler Perspektive allerdings des Öfteren nur als Schutz vor staatlichen Interventionen in religiösen Fragen interpretiert. In der Überlagerung des Privaten und des Politischen mit dem Religiösen manifestiert der Flyer der CWA eine spezifisch evangelikale Kodierung der politischen Intimisierung und Domestizierung der US-amerikanischen Nation und setzt die herausgehobene Rolle religiöser Frauen in solchen Formen des christlichen nation buildings in den Vordergrund. Historiker_innen wie Michelle Nickerson und Lisa McGirr haben Relevanz sozialkonservativer, oft religiöser Frauen in kommunalen und nationalen gesellschaftspolitischen Kontexten herausgearbeitet. Nickerson zeichnet in Mothers of Conservatism den Einfluss konservativer Frauen in den 1950-Jahren als »new female political sensibility, one that might usefully be called ›housewife populism‹« (xiv) nach und beschreibt diese Form des politischen Aktivismus folgendermaßen: »These female activists on the right made the domestic ideology guiding their family, social, and civic lives into political careers by translating widespread cultural assumptions about female intuition into a basis for asserting authority in local affairs« (xiii). McGirr beschreibt in Suburban Warriors »kitchen-table activists« (6) als grundlegend für den republikanischen Vorwahlkampf von Barry Goldwater im Jahr 1964 und stellt exemplarisch aktivistische Graswurzelpraktiken in Wahlbereichen wie Orange County als grundlegend für die Wirkmächtigkeit konservativer Graswurzelorganisation in der Formation konservativer Politik der Gegenwart heraus. Schon der Verweis auf »widespread cultural assumptions about female intuition« sowie die jeweilige, vergeschlechtlichte Markierung der Aktivist_innen als Mothers und »kitchen-table activists« rekurrieren auf nicht bruchlos explizierbare Formen des Wissens, die dem Aktivismus religiös und sozialkonservativ motivierter Frauen kulturelle Bedeutung geben, beziehungsweise die damit verbundenen Affektökonomien politisch anschlussfähig werden lassen. Das, was Nickerson als Intuition benennt, wird aus ideologiekritischer Perspektive als vermeintlich allgemein gültiges implizites Wissen erkennbar, das an essentialisierende Geschlechterrollen und deren kulturelle Wirkmächtigkeit in der Evokation und Naturalisierung des politischen Aktivismus’ von Frauen gebunden ist und somit auf Ebene des Diskurses vermeintlich keine Explikation benötigt.
1 | Kulturhistorisch wurde der erste Verfassungszusatz aus evangelikaler Perspektive allerdings des Öfteren nur als Schutz vor staatlichen Interventionen in religiösen Fragen angesehen. Die wohl bekannteste Auseinandersetzung, die sich aus den unterschiedlichen Interpretationen ergab, ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Gebets im öffentlichen Schulsystem. Dieses wurde im Fall Engel v. Vitale 1962 vom obersten Gerichtshof verboten (s. Hochgeschwender 183-8).
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In Erweiterung der historisch spezifischen Narrative über Frauen und ihren Beitrag zur Herausbildung des US-amerikanischen Konservatismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeite ich im Folgenden die kulturelle Arbeit zweier paradigmatische Beispiele aus dem Jahr 2010 heraus. Doch wie lässt sich der Schnittpunkt von Religion, Emotion und Präsenz als Form der impliziten, politischen Verständigung erfassen? Janet Staiger, Ann Cvetkovich und Ann Reynolds betiteln eine gemeinsame Veröffentlichung mit Political Emotions, um zu benennen, wie »the study of discourses, rhetoric, or framing of emotion contribute to understanding the public sphere, civil society and the political« (1). Auch Deborah Gould beginnt ihre Studie zu Aids, Aktivismus und Emotion mit der Feststellung, dass feeling and emotion are fundamental to political life, not in the sense that they overtake reason and interfere with deliberative processes, as they are sometimes disparagingly construed to do, but in the sense that there is an affective dimension to the processes and practices that make up »the political,« broadly defined. (3)
Die Logik des eingangs zitierten Flyers, als ›besorgte Frau‹ die US-amerikanische Gesellschaft »first through prayer, then education« zu verbessern, ist ein paradigmatisches Beispiel für das in der Arbeit in den Blick gerückte (zivil-)religiöse public feeling in der Form einer politischen Emotion. Denn der evangelikale Phänomenbereich bietet eben im Besonderen auch Anschlussmöglichkeiten und kulturelle Deutungsmuster in dem Gesellschaftsbereich, der allgemein als politische Sphäre bezeichnet wird. Im Hinblick auf die wissenstheoretischen Überlegungen der Arbeit betont dieses Kapitel damit in offensichtlicher Weise die politische Dimension impliziter Wissensformationen. Auf die politische Dimension impliziter Wissensbestände sowie auf die Schwierigkeit, dass politische Transformationen nur über die Veränderung implizit wirkender Verständigungen möglich sind wurde v.a. aus einer antirassistischen Perspektive hingewiesen (s. etwa Shotwell). Darauf aufbauend, aber aus gegensätzlicher Blickrichtung deckt das vorliegende Kapitel insbesondere die kulturelle Wirkmächtigkeit impliziter Wissensbestände in der Affirmation und Erhaltung hegemonialer Formen politischer Macht auf. Die Analysen des vorliegenden Kapitels zeigen die kulturelle Bedeutung impliziter Wissensbestände am Schnittpunkt mit sensuell kodierter Erfahrungsdimensionen für die Konstruktion und den Erhalt der komplizitären Rolle konservativer Frauen in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen. In den Mittelpunkt rücken dabei im Besonderen affektive und emotionale Formen des Wissens, welche die Konstruktion von evangelikaler, politischer Weiblichkeit an dominante Vorstellungen von (republikanischer) Mutterschaft binden und damit nationale Zugehörigkeit als politischen
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Ausdruck der religiösen und patriotischen Hingabe imaginieren. Dadurch wird nicht nur ein »evangelical body politic« (Welch 4) affektiv angerufen, sondern das Politische als gemeinschaftlicher Erfahrungsraum imaginiert, der ›Mutterschaft‹ und die Nation (zivil-)religiös vergegenwärtigt und als christliche Kohärenzfiktion der USA für eine größtmögliche Anzahl an Rezipient_innen kulturell und sozial intelligibel ist. Kurz zusammengefasst argumentiere ich, dass Evokationen des (zivil-)religiösen Aktivismus’ evangelikaler Frauen das National-Politische am Nexus von Religion und Emotion aufspannen. Evangelikal vereindeutigter Politik wird dadurch eine herausgehobene Relevanz zugeschrieben, die sich im Besonderen dadurch auszeichnet, dass gesellschaftliche Aushandlungsprozesse der politischen Diskussion entzogen werden und als sinnliche Präsenzerfahrung (des Göttlichen und der (Zivil-)Religion) inszeniert werden. Im Konversionsnarrativ Unplanned (2010) wird die Konversionserfahrung zum erweckten Christentum als Begründung für die eigene pro-life-Lobbyarbeit gedeutet. Diese Präsentifikation des Göttlichen wird über Bezüge auf vermeintlich für alle Frauen rezipierbare Gefühle über Mutterschaft plausibilisiert und als affektives Deutungsmuster für den religiös motivierten ›Kampf gegen Abtreibung‹ sozial intelligibel bereitgestellt. Indem besonders die sinnlichen Dimensionen (sensuousness) göttlicher Präsenz inszeniert werden, werden Frauen als ›fühlende Mütter‹ interpelliert. Im Dokumentationsfilm Fire from the Heartland (2010) wird eine idealisierte Version des ›ländlichen Amerikas‹ und die Figur des ›Mama Grizzly Bears‹ quasidokumentarisch in Szene gesetzt. Dadurch imaginiert der Film eine Genealogie konservativer, aktivistischer Frauen in den USA und präsentiert eine vermeintlich kontinuierliche Gegenkultur, die ihre Sozialkritik am Nexus (zivil-)religiöser Sinnstiftungen und sozialkonservativer Verhandlungen US-amerikanischer, politischer und kultureller Identität formuliert. Die Dokumentation unterscheidet sich vom Konversionsnarrativ dabei in einem für die Argumentationslinie zentralen Punkt hinsichtlich der Diskursivierung von (göttlicher) Präsenz. Während in Unplanned direkte und explizite Bezüge auf die Präsenz des Göttlichen vorhanden sind, sind Bezüge auf herausgehobene Erfahrungsmomente (des Göttlichen) in Fire from the Heartland eingebettet in visuelle und narrative Evokationen zivilreligiöser Erfahrung.
6.1 D IE P OLITIK
DER
KONVERSION
Dass die Frage um die Legalität von Abtreibung in den USA ein Politikum ist, zeigt sich in gesellschaftspolitischen Debatten und Prozessen der Gegenwart sehr deutlich. Exemplarisch für einen genuin politischen Kontext ist zu nennen: Der Vorwahlkampf
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der republikanischen Präsidentschaftskandidat_innen ist geprägt von repetitiven Bekundungen der eigenen sog. pro-life-Überzeugung. Auch bekommt die 45. Präsidentschaft ihre besondere Relevanz u.a. über die erneute Debatte um Roe v. Wade, die Aufhebung der sog. Mexico City Police, die Nominierung des konservativen Richters Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtshof, wiederholte Bezüge auf einen ›Sieg des Lebens‹ des Vizepräsidenten sowie geplante Einschränkungen der nationalstaatlichen Finanzierung von Planned Parenthood. Die wenigen Beispiele zeigen, wie die Frage nach der Legalität von Abtreibung konservative und nationalstaatliche Politik beeinflusst und prägt. Berlant setzt dies zentral in ihren kulturkritischen Überlegungen nationaler Diskurse der Gegenwart: Now everywhere in the United States intimate things flash in people’s faces: pornography, abortion, sexuality, and reproduction; marriage, personal morality, and family values. These issues do not arise as private concerns: they are key to debates about what »America« stands for, and are deemed vital to defining how citizens should act. In the process of collapsing the political and the personal into a world of public intimacy, a nation made for adult citizens has been replaced by one imagined for fetuses and children. (Queen 1)
Das Buch Unplanned präsentifiziert und emotionalisiert eine sog. pro-life-Position in der Form eines Konversionsnarrativs zum erweckten Christentum. Als Manifestation und Affirmation eines vermeintlich allgemein gültigen und ›authentischen‹ politischen Gefühls beteuern dabei insbesondere die Inszenierungen von Mutterschaft ein affektives Kapital in gesellschaftspolitischen Kontexten, das der politischen Aushandlung entzogen ist. Der Inhalt des autobiographisch kodierten Narrativs ist schnell nacherzählt. In 24 Kapiteln beschreibt Abby Johnson retrospektiv ihre Arbeit als Leiterin einer Planned Parenthood-Klinik in Texas und ihren angeblich zwingenden Entschluss, sich der pro-life-Bewegung anzuschließen. Sie nennt ihre ehemaligen Beweggründe, bei der Organisation zu arbeiten, beschreibt prägende Situationen aus dem Arbeitsalltag in der Klinik, die vormalige Konfrontation und die spätere Freundschaft mit demonstrierenden Abtreibungsgegnern vor der Klinik, ihre Kündigung und den darauffolgenden Gerichtsprozess sowie letztendlich ihre aktivistische Mission auf Seiten der Abtreibungsgegner. Die Veröffentlichung ihres Buches wurde von verschiedenen Onlineportalen in einer von Kulturkampfrhetorik geprägten Sprache thematisiert: So stellt beispielsweise Salon.com Johnsons öffentliches Bekenntnis spöttisch als »[t]rue transformation or right-wing propaganda?« in Frage (Clark-Flory), wohingegen FoxNews.com Johnson eher wohlwollend als »Planned Parenthood Whistleblower« bezeichnet (»Anti-Abortion Group Hires Planned Parenthood Whistleblower«). Nicht
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zuletzt zeigen die Berichterstattungen, dass Johnsons Geschichte eine wie auch immer geartete, emotionale Reaktion hervorruft.2 Um ganz deutlich zu sein: Die folgende Analyse beschäftigt sich nicht mit der Frage nach der vermeintlichen ›Authentizität‹ von Johnsons Geschichte, sondern zeichnet nach, wie das Narrativ Formen der emotionalen Anrufung konstruiert, die in ihrer politischen Wirkmächtigkeit der kritischen Einholung teilweise entzogen sind und damit die Funktion erfüllen, ein breites Publikum affektiv anzurufen und politisch zu mobilisieren. Die Kulturwissenschaftlerin Carol Mason beschreibt apokalyptisch kodierte prolife-Narrative als »transformative and productive as well as descriptive or illustrative« (7). In Rückgriff auf Althusser spricht auch sie dabei von Prozessen der Interpellation: »By interpellate, I mean the process in which a reader of a narrative – or a social situation – comes not only to sympathize but also to identify with what he is taking in and reacts to it in a way that gives him a new social role or even identity« (7). Damit betont sie die kulturelle Arbeit der Narrative, Leser_innen als pro-life zu identifizieren und in dieser sozialen Rolle auf den Diskurs Bezug zu nehmen.3 Auch Unplanned übernimmt die Funktion, das Lesepublikum als Gegner des Rechts auf Abtreibung gesellschaftspolitisch einzubeziehen und zu mobilisieren. Dabei bedient sich das Narrativ des wirkmächtigen Resonanzrahmens der Liebe, den Johnson so aufruft: »I was loved from one side onto the other. My hope is that many more thousands will be loved into truth as well« (Johnson 11). Damit rückt Liebe, hier als Utopie der Wahrheit, als ›authentische‹ Form des Wissens und emotionales Anrufungsmuster in den Vordergrund. Die folgenden Fragen leiten meine Analyse: Wie werden Bezüge auf Emotion, Affekt und Gefühl im Narrativ konstruiert und was ist die emotional kodierte Machtkonstitution? Und in welchen sozialen Rollen ruft das Konversionsnarrativ seine Leser_innen an? Die Form der spirituellen Erzählung der Konversion ist bekanntermaßen ein etabliertes narratives Muster. In The Puritan Conversion Narrative arbeitet die Historikerin Patricia Caldwell die Relevanz der Narrative für die puritanischen Kolonien in Neuengland sowie deren Formelhaftigkeit heraus:
2 | Johnsons Autobiographie gibt es auch in einer sog. catholic edition. Dies spiegelt zum einen die politische Allianz von Katholiken und konservativen Evangelikalen in der Abtreibungsdebatte der USA wieder, zum anderen zeigt es die fließenden Grenzen der evangelikalen Kulturindustrie. 3 | Sie diskutiert u.a. das Paradox, welches sich in ihrem Titel Killing for Life spiegelt: Wieso werden manche Abtreibungsgegner zu Terroristen und ›töten, um Leben zu retten‹?
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In short, a preliminary dissection [of an exemplary conversion narrative, M. S.] reveals [...] a skeletal structure that looks indistinguishable from that of any other conversion story. Here is the expectable sequence of sin, preparation, and assurance; conviction, compunction, and submission; fear, sorrow, and faith. (2)
Neben der sozialen Funktion der religiösen Erweckungserzählungen, die Zugehörigkeit zur puritanischen Gemeinde beweisen zu können (1), bezeichnet Caldwell Konversionsnarrative als The Beginnings of American Expression. Als »[a]ll-American conversion narrative« (Lösch und Paul 173) in historisch und intrakulturell divergierenden Kontexten der USA fungiert die weite Verbreitung als »soziale Affirmation des in der Narration zu einer herausgehobenen, zeitlich verdichteten epiphanischen Präsenzerfahrung stilisierten Identitätswechsels« und lässt das »sinnstiftende Potenzial der Formel ›Konversion‹« erkennbar werden (176).4 Damit ist »die US-amerikanische conversion narrative ein prominentes kulturspezifisches Genre der Diskursivierung von Präsenz« (174). Johnson positioniert ihre eigene Lebensgeschichte von Beginn an explizit im viel beschworenen Kulturkampf. Die Erzählung beginnt mit den Worten: My story is not a comfortable one to read. I think it’s only fair to warn you of that up front. Not comfortable, but honest and true. As you are about to discover, I’ve spent years on the front lines of the face-off between pro-choice and pro-life advocates. Which side? Both sides. You are about to enter my journey from naive college girl to director of a Planned Parenthood clinic to advocate for families in crisis, including unborn members of those families. (9)
Die Metapher der Reise antizipiert dabei ihre Konversion zum erweckten Christentum, die ihrer wechselnden Identifikation von der ›pro-choice-Christin‹ zur ›pro-lifeChristin‹ religiöse und politische Bedeutung zukommen lässt. Das Buch steht damit in der Traditionslinie der Roe No More Ministry von Norma McCorvey, welche als Jane Roe als Klägerin und Namensgebern der pro-choice-Seite bei der Supreme Court Entscheidung Roe v. Wade fungierte (s. Mason 7-8). In ihrem Pfarramt und der Autobiographie Won By Love artikuliert und positioniert McCorvey genau wie
4 | Lösch und Paul nennen captivity narratives der frühen Literatur, die politische Autobiographien von Malcom X und George W. Bush sowie populärkulturelle Formen wie Ratgeberliteratur als paradigmatische Beispiele für die kulturelle Wirkmächtigkeit der Formel. Lofton interpretiert das kulturelle Muster der Konversion in der The Oprah Winfrey Show als »Diverting Conversions« (82).
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Johnson ihre christliche Erweckung als politische Motivation, aktivistisch in der sog. pro-life-Bewegung tätig zu sein. Die Form der Konversionserzählung rekurriert damit als konservative (Re-)Appropriation auf »conversion narratives [that] have helped shape the ways women have told ›out of church,‹ or secular, stories [. . . ] – tales of radical personal transformation to feminism, lesbianism, women’s studies, and health, and happiness« (Brereton xii).5 Der Literaturwissenschaftler Wayne Booth impliziert Ökonomien der Präsenz, wenn er protestantische Konversionsnarrative als »dramatic, sudden, shattering, moving from depravity to a sudden inflowing of grace« kennzeichnet (390). In Unplanned bezieht sich Johnson explizit auf die Präsenz des Göttlichen: »I felt the presence of God – felt the connection I’d been longing for over the past few years. I knew I was in the presence of Almighty God, and once again the tears flowed – more deep, cleansing tears. [...] I’d never experienced such an outpouring of personal, dynamic prayer« (233-4). Die Beschreibung des Moments herausgehobener Präsenz übernimmt innerhalb der Autobiographie mehrere Funktionen. Zum einen legitimiert die Erzählung der Gotteserfahrung Johnson als ›authentische‹ Stimme in der evangelikalen Diskursformation und fungiert als Form der Beglaubigung. Zum zweiten beschreibt sie damit ihre politische Position als das Ergebnis einer nicht-hinterfragbaren religiösen Erfahrung, wobei das bekannte Muster der Konversionserzählung auch die Funktion übernimmt, ihren vermeintlich abrupten Identitätsund Positionswechsel sozial intelligibel zu machen. Die evangelikal kodierte Überformung von Johnsons Lebensgeschichte als christliche Erweckung ist allerdings nur eine Dimension des Präsenzdiskurses von Unplanned. Die Autobiographie verknüpft die religiöse Erfahrungsdimension mit der Erfahrung politisierter Weiblichkeit und emotionalisiert diese Konstruktion der politischen Erweckung und Ermächtigung über die Inszenierung und Evokation visueller und taktiler Präsenz. Im ersten Kapitel des Buches beschreibt Johnson, wie sie die Ultraschalluntersuchung bei einer Abtreibung durchführt. Die Szene ist für das Narrativ als emotional wirkmächtigste Diskursivierung von Präsenz bedeutsam und strukturiert die im zweiten Drittel des Buches thematisch werdende Gotteserfahrung von Johnson emotional vor. Sie beginnt die Erzählung so: »I could not have imagined how the next ten minutes would shake the foundation of my values and change the course of my life« (16). Damit markiert sie die Situation als lebensänderndes Ereignis und drückt bereits ihr Unwohlsein, bei dem Eingriff dabei zu sein, in der rhetorischen Frage aus: »So why did they need me« (14)? Weiter beschreibt sie den Moment als
5 | Ein weiteres Beispiel für eine politische Konversionserzählung ist Rosaria Butterfield, The Secret Thoughts of an Unlikely Convert: An English Professor’s Journey into Christian Faith.
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körperlich fühlbar und vergleicht ihre Beobachterrolle im Rückgriff auf Ökonomien der Präsenz mit dem sensationalistischen Blick auf Verkehrsunfälle: My heart sped up. Time slowed. I didn’t want to look, but I didn’t want to stop looking either. I couldn’t not watch. I was horrified, but fascinated at the same time, like a gawker slowing as he drives past some horrific automobile wreck – not wanting to see a mangled body, but looking all the same. (18)
Die Beschreibung setzt so zum einen die Abtreibung mit dem »horrific automobile wreck« gleich und konstruiert über den bezeugenden Charakter der Autobiographie zum anderen einen sensationalistischen Blick auf die Situation der Abtreibung. Der Religionswissenschaftler Jason Bivins beschreibt in Religion of Fear populärkulturelle Formationen des Horrors als Ausdruck einer evangelikalen »religio-political pedagogy« und bezeichnet diese als »a mode of social criticism and a political sensibility« (4, 5).6 Er bezieht sich u.a. auf sog. hell houses, in denen oft eine Abtreibungsszene aufgeführt wird. Als »Evangelical Theatre of Horror« (Bivins 129) fungieren diese als eine Pädagogik der Abschreckung, die missionarisch wirken soll (129-168). Auch Pellegrini erkennt eine solche Pädagogik in der Inszenierung evangelikaler Spukhäuser: »In a typical Hell House, demon tour guides take the audience though (sic) a series of bloody staged tableaux depicting sinners whose bad behavior – homosexuality, abortion, suicide, and, above all, rejection of Christ’s saving grace – leads them straight to hell« (912). Allerdings betont sie die affektive Dimension der vermeintlich religiös legitimierten Repräsentationen: It is a matter rather of affective congruences. Hell House performances witness to their audiences. The process of conviction may engage preexisting beliefs – such as the notion that homosexuality is wrong, abortion is evil, or Satan is real – but for conviction to take hold something more is required. The participant is invested (or reinvested) in a deeper structure of religious feeling that can tie together disparate, even contradictory, experiences, bodily sensations, feelings, and thoughts. (918)
Unplanned diskursiviert das Anschauen der Abtreibung so als Präsenzerfahrung und interpelliert die Leser_innen als Mitschauende (»gawker[s]«). Als scheinbar objektive Präsenz, die es im Rückgriff auf religiöse Gefühle vermag Widersprüche zu tran-
6 | Das Konversionsnarrativ ist somit sicherlich Teil einer populärkulturellen, evangelikalen Formation, die ihre religiös-politische Pädagogik in verschiedenen Registern ausdrückt, etwa in sog. shockumentaries wie The Silent Scream (1984) und evangelikalen Spukhäusern.
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szendieren, wird Johnsons Beschreibung auch als quasi-natürlicher, d.h. naturalisierter Modus der Sozialkritik wirksam. Die Hervorgehobenheit des Sehens ist der politischen Konversionserzählung überdies schon im Untertitel eingeschrieben: The Dramatic True Story of a Former Planned Parenthood Leader’s Eye-opening Journey Across the Life Line. Johnson bedient sich auch über den Titel hinaus der Metapher des Sehens, wenn sie schlussendlich über die Abtreibung schreibt: God is a great choreographer, isn’t He? As I take a hard look now at the fateful day of the ultrasound-guided abortion – that horrible, crushing, startling, eye-opening day – I see how perfectly He had positioned me so that when my eyes were pried open by His fingers, I’d have the clearest possible view. And I don’t just mean the view of that precious unborn child violently sacrificed on the table that day. I mean the view of the Planned Parenthood trap into which I’d fallen. (186)
Die Journalistin Kellee Terrell schreibt über die Erzählungen auf einer sog. pro-lifeKonferenz: Mirroring the born-again experience, they’re more or less an anti-abortion version of the oldest Christian story: once was blind, now I see. [. . . ] [F]aith had presented them with a divine ultimatum: Either continue »murdering babies« and go to hell, or do right by God and walk away. These conversion stories reinforce the bedrock Christian notion that God’s love can make anyone see the light, even those who have worked for the enemy. And the stories were moving. (n. pag.)
Sie weist die dort erzählten Zeugnisse als visuell kodierte Konversionsnarrative aus: »[O]nce was blind, now I see«. Indem Johnson also den Blick auf die Abtreibung beschreibt, bekommt ihr Zeugnis über die Präsenz des Sehens als scheinbar nichthinterfragbare Erfahrung Bedeutung für ihren religiösen Neubeginn sowie für die Entscheidung, ihren Job bei Planned Parenthoodaufzugeben und in der sog. pro-lifeBewegung politisch aktiv zu werden. Nicht zuletzt bezeichnet sie sich als Anwalt für »unborn members of [...] families« (9). Die visuelle Kodierung der Präsenz der Abtreibung evoziert dabei insbesondere auch eine »religious and emotional urgency« (Bivins 4-5). Johnson schreibt: I was expecting to see what I had seen in past ultrasounds. Usually, depending on how far along the pregnancy was and how the fetus was turned, I’d first see a leg, or the head, or some partial image of the torso, and would need to maneuver a bit to get the best possible image. But this time, the image was complete. I could see the entire, perfect profile of a baby. Just like Grace at
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twelve weeks, I thought, surprised, remembering my very first peek at my daughter, three years before, snuggled securely inside my womb. The image now before me looked the same, only clearer, sharper. The detail startled me. I could clearly see the profile of the head, both arms, legs, and even tiny fingers and toes. Perfect. (16-7)
Johnsons setzt damit das Bild des »entire, perfect profile of a baby« gleich mit der Erinnerung an ihre ungeborene Tochter. Die Medienwissenschaftlerin Michelle White bemerkt in der Analyse sog. reborn dolls, die auf Internetseiten wie eBay visuell zum Verkauf angeboten werden, wie die Puppen »encourage viewers to become attached to reborn babies by conveying the sensations of physically touching and emotionally feeling them« (66). Auch Radosh erwähnt Momente der emotionalen und taktilen Anrufung in seiner Beschreibung evangelikaler Keuschheitsprodukte: The human fetus replicas, I was told, were meant to make girls aware that sex will get them pregnant. »I like this one because if you feel it, it’s soft,« said the young woman at the True Love Waits table, proffering a thirteen-week model. »A lot of them are hard plastic. This one feels like a baby.« (251)
Johnsons visuelles Zeugnis übernimmt somit nicht nur die Funktion, den vermeintlichen Horror der Abtreibung zu präsentifizieren, sondern übermittelt gleichzeitig affektive Sinneseindrücke, die die visuelle Präsenz als ›positive‹ Emotion aufladen. Die Präsenz des Sehens und des Göttlichen naturalisiert damit auf der einen Seite Johnsons emotionale Involviertheit und interpelliert auf der anderen Seite Leser_innen als ›gottgefällige‹ Mütter. Aus ideologiekritischer Perspektive auf die so dargestellte pro-life-Position, konstruiert die Präsenz des Blicks auf den Ultraschall allerdings nicht die »spiritual purity or innocence” des Fötus’, sondern naturalisiert auch die vermeintliche »racial purity of the unborn« (Mason 5-6).7 Gleichzeitig evoziert der Blick auf das Ultraschallbild ein Angstgefühl bei Johnson: »And just that quickly, the flutter of the warm memory of Grace was replaced with a surge of anxiety. What am I about to see? My stomach tightened. I don’t want to watch what is about to happen« (17). Johnson beschreibt ihre Augenzeugschaft wie folgt weiter und wird vermeintlich zum eindeutigen Beweis für ihr ›ungutes Gefühl‹: The next movement was the sudden jerk of a tiny foot as the baby started kicking, as if trying to move away from the probing invader. As the cannula pressed in, the baby began struggling
7 | Mason diskutiert diese Konstruktion der whiteness anhand der Gegenüberstellung des Diskurses um sog. crack babies und sog. pro-life-Positionen in den 1990er Jahren (72-98).
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to turn and twist away. It seemed clear to me that the fetus could feel the cannula and did not like the feeling. (19)
White schreibt: »Reborn viewers are [. . . ] hailed and constituted as mothers by the gestures and textures of reborn babies. Children lift their hands and reach for the responding flesh and caress of mothers« (70). Durch die Bewegung des »sudden jerk of a tiny foot as the baby started kicking, as if trying to move away from the probing invader« werden Leser_innen angerufen, an Stelle des Fötus gegen die Legalität von Abtreibung politisch aktiv zu werden.8 Die Autobiographie dramatisiert Abtreibungen als Machine in the Womb, die als vergeschlechtlichte Umkodierung der Machine in the Garden (Marx) deutbar wird: »I was now convinced that it was an abortion machine in the business of killing unborn babies and meeting revenue goals. And my hands, my words, my energy, and my passion – all had been tools of this machine« (196-7). Auch das Cover rekurriert auf dieses kulturelle Muster und visualisiert ein pastorales Ideal mit dem Profilbild von Johnson in Juxtaposition des vermeintlich technisierten und umzäunten Grundstücks von Planned Parenthood. Johnsons vormalige Arbeit als Leiterin der Klinik steht damit dem naturalisierten Gefühl von Mutterschaft diametral entgegen und fungiert als politische Erweckung gegen die medizinische Praktik des Ultraschalls, die Kanüle im Mutterleib und dem angeblichen Abtreibungskomplex. Shotwell nennt »embodiment« und »sensuousness« als grundlegend für ein Verstehen politischer Bewegungen jeglicher Couleur, als Beispiel nennt sie aber explizit deren Relevanz für »fundamentalist Christian spaces als »affective state[s]« (148). Stevenson verweist auf die sinnliche, körperliche Dimension von Erfahrung, wenn sie die Signifikanz von »vivid, sensual, and rhythmic experiences designed to foster embodied beliefs« für evangelikale Epistemologien hervorhebt (4). Die Bewegungen des Fötus’, die Johnson beschreibt, interpellieren sie und in Erweiterung die Leser_innen somit als sinnlich berührte und emotional ›bewegte‹ Mütter. Der beschriebene Blick auf die Abtreibung und die damit implizierten sensuell kodierten Gefühle übernehmen daher die kulturelle Arbeit, eine möglichst breite Leserschaft zu politisieren.
8 | Johnsons Konversionserzählung wird somit auch über das Muster des Pastoralen kulturell deutbar, indem ihr angeblicher Neubeginn als eine metaphorische Abkehr von scheinbar zu komplexer und technologisierter Zivilisation kodiert ist (vgl. Marx Machine 3-11). Wie im nächsten Kapitel detailliert aufgearbeitet wird, fungiert dieses als Aneignung einer minoritären, politischen Position, die ein pastorales Ideal als vermeintlich natürlichen Urzustand dem moralischen Verfall der US-amerikanischen Gesellschaft im Gesamten und hier im Speziellen der ›Abtreibungsmaschine‹ der Klinik entgegenstellt.
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Der immer wiederkehrende, naturalisierende Bezug auf Mutterschaft und damit evozierter Gefühle übernimmt darüber hinaus die Funktion, eine scheinbar emotionale Kohärenz zu inszenieren. Johnson betont übergreifende Formen der Intimität als gemeinsamen Nenner und setzt damit politische Positionen in der Abtreibungsdebatte scheinbar außer Kraft. Sie schreibt: »To this day I have friends on both sides of this polarizing debate« (11). Darüber hinaus bezieht sie sich immer wieder auf einen vermeintlich ›universellen‹ Erfahrungsraum von Frauen: I’d been working in a world of women for five years at this point. I believed I understood the bond that women shared with one another. But I was about to be initiated into a far deeper fellowship than I’d ever known. Motherhood is a powerful bonding force, and before I knew it, I was mysteriously woven into the fabric of this bond. (117)
Damit überhöht sie ihre Erfahrung der Mutterschaft als angeblich allgemein gültige und spezifisch weibliche Erfahrung, die sich ihr »mysteriously« einschreibe. Kurz danach beschwört Johnson diesen Erfahrungsraum gar als eine »sisterhood unlike anything I’d known before« (117). Die Kulturwissenschaftlerin Katharina Gerund erkennt ein »implizite[s] und »emotionale[s] Wissen um Schwesterlichkeit« (185) in feministischen und populärkulturellen Diskursen und schreibt, dass sich »sisterhood – und die darüber proklamierte und evozierte Solidarität – zumindest teilweise der direkten Explikation« entzieht (185). Die in Johnsons Narrativ beschworene Teilhabe an der sog. pro-life-Position auf Grund von Mutterschaft in Bezug auf ›ungeborene Babys‹ sowie auf Grund von Schwesterlichkeit in Bezug auf andere Frauen verschiebt die politische Diskussion um Abtreibung so ins scheinbar Unsagbare. Leser_innen werden nicht als pro-choice oder pro-life, sondern als »pro-family« angerufen (Johnson 31). Aus ideologiekritischer Perspektive auf solche affektiven und emotionalen Wissensbestände wird deutlich, dass das Konversionsnarrativ Leser_innen über das allgegenwärtige und kulturell wirkmächtige Bezugssystem der Familie als Mütter und Schwestern interpelliert, was eben genau die Funktion hat, sie als sog. pro-life-Aktivist_innen zu mobilisieren und emotional zu involvieren. Die emotionale Involvierung und Anrufung funktioniert dabei unabhängig davon, welche politische Position Leser_innen in der Diskussion um Abtreibung einnehmen. Mason führt ein ähnliches Argument an, wenn sie schreibt: »[P]ro-life narrative forces people to react in relation to – and therefore as a part of or, conversely, as a deviant resistor to – the pro-life social order« (7). Der Resonanzrahmen der Familie fungiert somit als der vermeintlich ›universelle‹ Bezugspunkt jenseits vermeintlich distinkter, politischer Positionen. Leser_innen werden entweder angerufen, sich im Abtreibungsdiskurs als Familienmitglied zu verhalten oder aber plausibel zu machen,
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warum diese scheinbar natürliche Gefühlsformation der familiären Intimität in Bezug auf die Diskussion um Abtreibung nicht bedeutsam sein solle. Da Familienbezüge implizite Wissensbestände hervorrufen, die sich der bruchlosen, sprachlichen Explikation entziehen, ist dies auf Ebene des Abtreibungsdiskurses nicht möglich. Als eine Evokation und Manifestation von religiösem public feeling, das reziprok zwischen dem vermeintlich Privaten und dem vermeintlich Politischen Bedeutungszusammenhänge evangelikal vereindeutigt, affirmiert Unplanend eine vermeintlich ›authentische‹ Form der sinnlich aufgeladenen Politik, die über ein evangelikales Bezugssystem hinausweist sowie ideologische Übereinstimmungen zwischen religiösen und säkularen Diskursen kohärent erscheinen lässt. Es sind nämlich gerade eben diese »affective congruences« (Pellegrini 918), welche die kulturelle Arbeit der (göttlichen) Präsenz im politisch kodierten Diskurs um Abtreibung vorstrukturieren. Unplanned lässt sich so als evangelikal-konservative Konfiguration sinnlicher und emotionaler Wissensbestände verstehen, die in dem kulturspezifischen Kontext der USamerikanischen Debatte um Abtreibung ihre politische Wirksamkeit entfalten und als Form des christlichen nation buildings verstanden werden können.
6.2 D IE E RFAHRUNG
VON
(Z IVIL -)R ELIGION
»Evangelical women rise as new ›feminists‹« titelt Lisa Miller einen Web-Kommentar für die Washington Post vom Juli 2011 und merkt an, wie »some conservative Christian women are tentatively claiming the feminist label for themselves.«9 Spätestens seit ihrer Anwartschaft auf die Vizepräsidentschaft 2008 ist wohl Sarah Palin, die ehemalige Gouverneurin des Bundesstaates Alaska, eine der bekanntesten konservativen Frauen der USA.10 Und indem sie sich im Jahr 2010 auf einer Veranstaltung des Susan B. Anthony-List Kandidatenfonds als ›Mama Grizzly Bear‹ bezeichnete,11 prägte
9 | Das Teilkapitel ist in ähnlicher Form und englischer Sprache bereits veröffentlicht (Sauter). 10 | Ich verwende ›konservativ‹, um die kulturspezifische Verhandlung des fiskalen, religiösen und sozialkonservativen Konservatismus zu benennen, welche die Dokumentation Fire from the Heartland und der verwandte politische Diskurs als die einzige und allumfassende Version von Konservatismus präsentieren. Gillian Peele gibt einen guten Überblick zu den verschiedenen Strängen des US-amerikanischen Konservatismus (»American Conservatism in Historical Perspective«. 11 | Der Susan B. Anthony-List Kandidatenfonds ist ein Political Action Committee, das Lobbyarbeit gegen das Recht auf Abtreibung betreibt und Geld für sog. pro-life-Kandidat_innen sammelt.
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sie eine Metapher für ihren politischen Aktivismus, der sowohl US-amerikanische Medien beschäftigte als auch als Selbstbezeichnung von einer Reihe konservativer Frauen übernommen wurde. Im Dokumentarfilm Fire from the Heartland: The Awakening of the Conservative Woman (2010) verwendet die konservative Meinungsmacherin Ann Coulter die Bezeichnung wie folgt: »The assault is so arrogant, is so extreme that that’s when you get the angry Mama Grizzly Bear.« Ihre Bemerkung, die nur einen Moment später über das Bild eines angreifenden Bärs visualisiert wird, präsentiert die Figur des ›Mama Grizzly Bears‹ somit als Verkörperung einer mutigen Sozialkritik und markiert sie als natürliche, d.h. naturalisierte Reaktion auf angebliche Überschreitungen der US-amerikanischen Gesellschaft nach der Wahl des Präsidenten Barack Obama. Fire from the Heartland ist eine Produktion von Citizens United Productions und wurde 2010 mit weiteren Filmen wie America at Risk und Generation Zero herausgebracht.12 Laut der offiziellen Facebook-Seite des Films wurde er auf einer Reihe politischer Events beworben und gezeigt; etwa auf der Conservative Political Action Conference im Jahr 2011, dem Smart Girl Summit im gleichen Jahr sowie auf politischen Wahlkampfveranstaltungen der Präsidentschaftskampagne von Michele Bachmann (Fire from the Heartland (Facebook Profile)). Die Produktionsfirma ist Teil von Citizens United, einer politisch rechts stehenden Organisation, deren Internetauftritt verspricht »[to] reassert traditional American values of limited government, freedom of enterprise, strong families, and national sovereignty and security« (Citizens United). Auf der Rückseite des DVD-Covers wird Fire from the Heartland als «[t]he first-ever film to tell the entire story of the conservative woman in her own words« proklamiert, der »[a]ctivists, politicians and commentators« wie u.a. Phyllis Schlafly, Coulter, Bachmann, Sonnie Johnson sowie Jenny Beth Martin porträtiert.13 Damit fokussiert die Dokumentation auf maßgebliche Figuren einer »increasingly prominent political identity: the conservative woman« (Lindsey 22) und fasst die vermeintlich diversen Stimmen mehrerer Generationen in ein Interviewformat, das sie als Erzäh-
12 | Citizens United ist vor allem als Klägerpartei des vor dem Obersten Gerichtshof verhandelten Falls Citizens United v. Federal Election Commission (2010) bekannt, bei dem Regeln für Wahlkampfspenden von gewinnorientierten Organisationen dereguliert wurden. Stephen Bannon ist spätestens seit der Wahl des 45. Präsidenten international als ehemaliger Chef des rechtspopulistischen Breitbart News Network sowie als Berater der Regierung bekannt. 13 | Der Film zeigt Michele Bachmann in der Hauptrolle und präsentiert sie als die wichtigste Vertreterin der konservativen Bewegung im US-amerikanischen Kongress. Nachdem sie in einem Internetvideo vom 29. Mai 2013 ihren Rücktritt als Kongressabgeordnete angekündigt hat, ist es abzuwarten, ob und wie sie ihre politischen Aktivitäten fortsetzen wird (Bachmann).
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lerinnen eines bruchlosen Narrativs fasst.14 Auf diese Weise integriert der Film die Figur des ›Mama Grizzly Bears‹ in den größeren Kontext eines angeblichen Awakening of the Conservative Woman und verknüpft das Bild der USA als konservatives, tugendhaftes heartland mit einer entsprechenden Vorstellung von Weiblichkeit.15 Die Dokumentation betont damit die Bedeutung des politischen Aktivismus’ konservativer Frauen, welcher im Besonderen über die spezifische Inszenierung von USamerikanischer Femininität und Ruralität in den Blick gerückt und in der Rhetorik der ›American Jeremiad‹ (Bercovitch) verhandelt wird. Der Film vergegenwärtigt eine lineare Tradition konservativer Frauen from the Heartland, indem kulturelle Skripte des Pastoralen, des Ruralen und des Agrarischen16 evoziert werden. Die Weiblichkeitskonstruktion des Filmes oszilliert zwischen einer Rhetorik getrennter Einflusssphäre (separate spheres) auf der einen Seite sowie einer Rhetorik der Ermächtigung auf der anderen Seite und präsentiert damit eine konservative Revision des USamerikanischen Feminismus. Dabei bezieht der Film seine kulturelle Wirkmächtigkeit und politische Überzeugungskraft über die narrative und performative Aneignung der Jeremiade als habitualisiertes Ritual der Sozialkritik sowie geschlechtsspezifisch kodierte implizite Verständigungsmomente über (republikanische) Mutterschaft, (politische) Häuslichkeit und nation building. Der Film bietet Identifikationsmöglichkeiten für ein breites Publikum, das sich zusammensetzt aus religiös und sozial Konservativen, Tea-Party Anhängern sowie allen anderen, die im Film als ›echte‹ Amerikaner_innen imaginiert werden. Damit bekräftigt der Film die politische Identifikation
14 | In der Ästhetik des Films wechseln sich die Repräsentationen der konservativen Frauen mit kurzen Einspielern ab, die etwa politische Auftritte Obamas, Versammlungen von Tea-PartyAnhänger_innen und idealisierte Bilder US-amerikanischer Ländlichkeit darstellen. Darüber hinaus gibt es sonderliche Szenen, die verbrennendes Geld zeigen, was wohl insbesondere die vermeintliche Dekadenz und Verantwortungslosigkeit der Obama-Regierung darstellen soll. 15 | Ronnee Schreiber bescheinigt die politische Relevanz konservativer Frauen für »the future of conservative and gender politics broadly speaking« (»Pro-Woman« 129). 16 | Im Rückgriff auf Leo Marx verwende ich ›pastoral‹ als die Bezeichnung für einen Modus US-amerikanischer Mythologie, der (metaphorisch) neue Anfänge als Gegenüberstellung von komplex gezeichneter ›Zivilisation‹ und ›einfacher Natur‹ verhandelt (Machine 3-9). Im Rückgriff auf Richard Hofstadter, verwende ich ›agrarisch‹ und ›rural‹, um auf politische und sentimentale Investments zu verweisen, welche die US-amerikanische Demokratie als »born in the country« imaginieren (23). Ich habe mich dazu entschlossen, die Begriffe pastoral, agrarisch und rural meistens im Zusammenschluss zu verwenden, um zu kennzeichnen, wie die Dokumentation das sog. heartland als mythischen Raum US-amerikanischer Demokratie imaginiert und dieser Vorstellungen quasi-regionale Zuschreibungen beifügt.
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für leidenschaftliche Patriot_innen, gläubige Christ_innen und ›Mama Grizzly Bears‹ mit der konservativen Frauenbewegung und ruralen Gemeinschaften. Ländliche Patriot_innen und ›Mama Grizzly Bears‹ Mythen über die USA als rural und agrarisch (cf. Hofstadter), die Idee eines pastoralen Modus, der eine explizit US-amerikanische Erfahrung beschreibt »to withdraw from the great world and begin a new life in a fresh, green landscape« (Marx, Machine 3) und die Jeremiade als Fortschreibung politischer Predigten der Puritaner (cf. P. Miller, Bercovitch) sind seit jeher ein wesentliches Forschungsanliegen der American Studies.17 In diesem Teilkapitel verstehe ich diese kulturellen Muster, Skripte und Metaphern als Ausdrucksformen von impliziten Wissensbeständen. Dabei schlage ich vor, dass das Muster der Jeremiade sowie die symbolischen Zusammenstellungen des Pastoralen, des Ruralen und des Agrarischen implizit geteilte Wissensbestände über die USA als ›auserwählte Nation‹ evozieren, welche nicht explizit werden müssen, um ihre jeweilige kulturelle Bedeutung entfalten zu können und deren ideologische Setzungen unaussprechbar bleiben (müssen). Sie fungieren als implizite Wissensformationen, welche die (zivil-)religiöse Inszenierung und Rezeption des Filmes kultur- und gruppenspezifisch wirken lässt und ermöglichen einen Prozess der intrakulturellen Kommunikation, der ein (zivil-)religiöses Gefühl nationaler Kohärenz manifestiert. Über die spezifische Inszenierung von US-amerikanischer Weiblichkeit verknüpft Fire from the Heartland solche Vorstellungen gleichzeitig mit affektiven und emotionalen Wissensbeständen, die über den (zivil-)religiösen Aktivismus konservativer Frauen evoziert werden, beziehungsweise diesem zugeschrieben sind. Die Metapher des ›Mama Grizzly Bears‹ ist dabei wohl die eingängigste Figur für diese weiblich kodierte patriotische Hingabe und zeigt noch einmal, dass Grenzen zwischen getrennt konzipierten, impliziten Wissensbeständen nur schwer zu ziehen sind. So affirmiert die Metapher einen Common Sense über normative Vorstellungen von Mutterschaft und ruft gleichzeitig emotionale Wissensbestände um
17 | Die akademische Auseinandersetzung kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden: Zuerst versuchten Mitglieder der Myth and Symbol School eine kohärente Bedeutung von ›Amerika‹ über den Fokus auf wiederkehrende Mythen und Symbole, Muster und Metaphern zu erlangen (s. z.B. H. Smith). Danach und in kritischer Auseinandersetzung wurden diese Mythen und Symbole auf die ideologischen Annahmen solcher kultureller Archetypen untersucht (s. z.B. Kolodny). Darauf aufbauend zeigte etwa Donald Pease, wie solche Deutungsmuster während des Kalten Krieges verwendet wurden, um den Diskurs um US-amerikanisches Auserwähltheitsdenken akademisch zu legitimieren (»Exceptionalism« 108-110).
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emotionale, familiäre und nationale Zugehörigkeiten auf. Über die Verknüpfungen (zivil-)religiöser Gefühle mit Weiblichkeit entwirft der Film die US-amerikanische Nation als eine (christliche) Öffentlichkeit und greift auf komplexe Austausch- und Anschlussmöglichkeiten intrakultureller Verständigungsmomente im kulturellen Repertoire von (göttlicher) Intimität zurück. Dabei präsentiert Fire from the Heartland ideologische Aneignungen impliziter Wissensformen als vermeintlich ermächtigend und essentialisiert damit Vorstellungen US-amerikanischer Weiblichkeit und hegemonialer Diskurse, welche die USA als ländlich und auserwählt ausrufen. Die Dokumentation verschränkt die Konstruktion von Weiblichkeit eng mit der Vorstellung eines ruralen US-Amerikas. Auf prominente Art und Weise zeigt so das Cover der DVD und die Internetseite von Fire from the Heartland ein ikonisches Bild US-amerikanischer Ruralität: Eine rote Holzhütte steht inmitten von goldgelbem Getreide, während vor blauem Himmel die Sonne am Horizont aufgeht (»Official Website and Trailer, Fire from the Heartland«). Auf der offiziellen Website ist am unteren rechten Rand ein Profilbild von Michele Bachmann platziert. Dadurch wird visuell The Awakening of the Conservative Woman verknüpft mit der »incarnation of the simple, honest, independent, healthy, happy human being« (Hofstadter 24) – dem jeffersonischen Ideal des yeoman farmer, der in diesem Fall eine Frau ist. Das Bild greift erkennbar den Mythos des Agrarischen auf, den der Historiker Richard Hofstadter als prominentes kulturelles Muster identifiziert, das seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirksam ist (23-25). Hofstadter beschreibt den Mythos als ein »sentimental attachment to rural living«, wodurch sich die Idee ausdrücke, dass der yeoman farmer der »ideal man and the ideal citizen« (24) sei und Ruralität und US-amerikanische Demokratie untrennbar miteinander verbunden seien. In diesem Sinne idealisiert die Dokumentation die USA durchgängig als ländlich, rural und pastoral und lädt diese Darstellungen mit zivilreligiöser Bildlichkeit auf. Besonders der Prolog des Films ist in dieser Hinsicht paradigmatisch: Begleitet von Musik, die scheinbar eine patriotische Stimmung erzeugen und bekräftigen soll, werden u.a. Landschaftsaufnahmen mit der im Winde wehenden US-amerikanischen Flagge gezeigt. Begleitend spricht Bachmann im Hintergrundkommentar: Liberty is beautiful. It is actually a beautiful image. We have taken it for granted for so long. And now I think what we have seen in the last 18 months is nothing short of stunning. When you look at what the federal government has done to impinge upon our individual liberties. When the Founders set up this country they decided that government wouldn’t have maximum power, it would have the least amount of power that they could get away with.
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Das Zusammenspiel der idealisierten Visualisierung des Ländlichen und der Ablehnung angeblich unverhältnismäßiger Staatsinterventionen vergegenwärtigen somit eine Jeffersonian Democracy, die angeblich in Gefahr ist; ein Thema, das den gesamten Film prägt. Die Dokumentation ist dreiteilig und appropriiert mit der Verkündung der ›Auserwähltheit‹, der Sozialkritik und der prophetischen Vision konservativer Frauen narrativ die Struktur der ›amerikanischen Jeremiade‹ (Bercovitch). Jeremiaden leiten ihren Namen vom alttestamentarischen Propheten Jeremiah ab und wurden im Kontext der puritanischen Kolonien in Neuengland als Predigten eingesetzt, welche auf die moralische und spirituelle Verfassung der Einwanderer fokussierten und göttlichen Zorn als Konsequenz für den befundenen, spirituellen Niedergang vorhersahen (vgl. P. Miller und Bercovitch). Perry Miller versteht das Genre als religiöse Einsicht, dass im Neuengland-Projekt etwas falsch gelaufen sei: »something has gone wrong« (2). Sacvan Bercovitch dagegen betont den affirmativen Modus der politischen Predigten (6-7): Rhetoric functions within a culture. It reflects and affects a set of particular psychic, social, and historical needs. This is conspicuously true of the American jeremiad, a mode of public exhortation that originated in the European pulpit, was transformed in both form and content by the New England Puritans, persisted through the eighteenth century, and helped sustain a national dream through two hundred years of turbulence and change. The American jeremiad was a ritual designed to join social criticism to spiritual renewal, public to private identity, the shifting »signs of the times« to certain traditional metaphors, themes, and symbols. (xi)
Seit den puritanischen Ursprüngen lässt sich das Muster der Jeremiade so in diversen Texten und Produkten identifizieren, seien sie religiös, zivilreligiös oder säkular konnotiert: etwa in Whig Tracts des Unabhängigkeitskriegs (Bercovitch 132), der I Have a Dream-Rede von Martin Luther King als spezifisch afroamerikanische Version (Howard-Pitney 1-3) und populärkulturellen Phänomenen wie »social novels, moral dramas, nature religions, hip-hop, apocalyptic and dystopian fiction« (Cobb 220). Die Bandbreite kultureller und historischer Kontexte und Genres lässt darauf schließen, dass das Muster jedoch nicht als Weiterführung der puritanischen Predigten erkannt werden muss, um seine jeweilige kulturelle Bedeutung zu entfalten. Kelton Cobb schreibt etwa, dass die flexible Form der Jeremiade »as the fount of a long tradition of American exceptionalism and the mix of moral crusades, appeals to founding principles, imperialistic ventures, and counter-cultural protests that are associated with it« fungiere (216-17). In Erweiterung dieser These argumentiere ich, dass das Muster der Jeremiade Teil eines impliziten Wissens über die USA ist, welches zur gleichen Zeit säkulare und (zivil-)religiöse Interpretationen einer Nation in
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einem vermeintlich immerwährenden Prozess der Erneuerung anbietet und das Verständnis reiteriert, dass die mythischen Versprechen des US-amerikanischen Traums zwar in Verzug, aber in greifbarer Nähe seien. Es ist das Muster der Jeremiade, welches das Thema »America at Risk«18 und gleichzeitig den (zivil-)religiösen Diskurs der Auserwähltheit kontinuierlich aufrechterhält. Das erste Kapitel des Film – The Salt of the Earth – stellt die Protagonistinnen der Dokumentation vor und setzt ausgesuchte Lebensgeschichten mit einer exklusiven und revisionistischen Version US-amerikanischer Geschichte in Beziehung. Dementsprechend zeigt der Film in der Rhetorik des melting pots europäische Einwanderung im 19. Jahrhundert, macht auf die Teilnahme von Frauen an der USamerikanischen Revolution aufmerksam und stellt arme Kindheiten Seite an Seite mit stereotyp gezeichneten afroamerikanischen Existenzkämpfen und der Immigration aus den Philippinen im Jahr 1970. Gleichzeitig propagiert er eine rags-to-richesIdeologie und lässt damit die ungleichen Lebensgeschichten und Anekdoten als emblematische Beispiele für die Wirkmächtigkeit und das Versprechen des sog. American Dreams bedeutsam werden. Über die Anrufung der Gründerväter fokussiert der Film dann auf die Genese der Verfassung und erhöht die USA als diejenige Nation, die auf gottgegebenen Prinzipien beruhe. Nach diesem (zivil-)religiösen Rückgriff verweist die Dokumentation auf ein jüngeres, fundierendes Skript, das die Prominenz von Frauen in der Formation US-amerikanischer Identität betonen soll. Fire from the Heartland stellt Pionier-Frauen als die ersten self-made women der USA dar und zeichnet sie in ihrem Bemühen, die frontier zu ›kultivieren‹ als weibliche Vorbilder. Die Medienwissenschaftlerin Michelle Rodino-Colocina identifiziert diesen Diskurs in den politischen Kampagnen von Sarah Palin und schreibt: »[Palin] describes her brand of feminism as one that harks back to the (›muscular‹) pioneering spirit of American frontierswomen« (»›Feminism‹ as Ideology« 466). Die visuelle Politik der Dokumentation und die direkten Verweise auf frontier-Mythologie verknüpfen Geschlechterrollen somit eng mit der symbolischen Zusammenstellung des Pastoralen, des Ruralen und des Agrarischen. In der Logik der Jeremiade ähnelt der erste Teil des Films strukturell der puritanischen Verkündung der (spirituellen) ›Auserwähltheit‹. Damit affirmiert er eine vermeintlich bessere und überhöhte Vergangenheit als »communal norm[...] (Bercovitch 16), markiert Pionier-Frauen als paradigmatische Beispiele für »an existence ›closer to nature‹« (Marx, Machine 6) und schreibt deren (rurale) Bemühungen als normative Tugenden für US-amerikanische Weiblichkeit fest.
18 | Der Film ist auf einer DVD erhältlich, deren Datenträger den Namen »America at Risk« trägt.
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Der zweite Teil des Films – The American Crisis – befasst sich mit einem scheinbar allumfassenden Szenario der Bedrohung, welches in drei Register geteilt wird: The Cultural, The Political und The Financial. Hier beklagen die interviewten Frauen einen angeblichen, sozialen Verfall der US-amerikanischen Gesellschaft: Sie lamentieren über sich im Verschwinden befindende, christliche Werte und Moralvorstellungen; ein Vorgang, der über »outlets like the New York Times, MSNBC, the Washington Post [which] are actively trying to tell you that the Judeo-Christian values that this country was founded on no longer matter« (S.E. Cupp) ausgelöst werde.19 Sie äußern Ängste vor einem big government und dem angeblich sozialistischen Präsidenten Obama, dessen Politik sie als Angriff auf das fundamentale Recht der Freiheit und als Auslöser der finanzwirtschaftlichen Krise entlarven. Darüber hinaus beklagen sie kulturelle und gesellschaftspolitische Entwicklungen, wie etwa die »liberal ideology of feminism« (Dana Loesch), das Recht auf Abtreibung, die Filmindustrie Hollywoods und einen »cradle to grave lifestyle« (Bachmann), der die Gesellschaft infantilisiere. Es ist dieser Teil des Films, der am offensichtlichsten auf das Muster der Jeremiade zurückgreift, da er in seinem Modus der Sozialkritik den puritanischen Predigten ähnelt, die Bercovitch als Klagen über »[f]alse dealing with God, betrayal of covenant promises, the degeneracy of the young, the lure of profits and pleasures [. . . ]« zusammenfasst (4). Indem die Dokumentation gesellschaftliche Missstände from the Heartland ausruft, eignet sie sich den Standpunkt einer »dissident mentality« an, welche Leo Marx aus der US-amerikanischen Version des Pastoralen herausarbeitet und als ideologischePerspektive sowohl in kanonischer Literatur als auch in der Gegenkultur der 1960er ausmacht (»Pastoralism« 37, 38). Er charakterisiert diese Form des Widerstands als ein »desire, in the face of the growing power and complexity of organized society, to disengage from the dominant culture and to seek out the basis for a simpler, more satisfying mode of life in a realm ›closer,‹ as we say, to nature« (»Pastoralism« 54).20 Die Dokumentation führt das Bestreben nach einer Abtrennung von der angeblich verdorbenen Mehrheitskultur durchgängig vor und präsentiert es als wirksame Außenseiterperspektive, die es zu allererst einmal ermögliche, sich kritisch mit angeblichen Überschreitungen US-amerikanischer Gesellschaft und Kul-
19 | Wenn die Interviewpartnerinnen des Films nicht im Fließtext genannt sind, setzte ich ihre Namen nach den Zitaten in Klammern. 20 | Marx schreibt: »The manifest continuity [between Henry Thoreau and countercultural student rhetoric] turned out to be the mere surface expression of a much deeper ideological continuity between our nineteenth-century pastoralism and the radical movement (or counterculture) of the 1960s« (»Pastoralism« 38).
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tur auseinanderzusetzen. Cupp – Autorin von Losing Our Religion, das als Enthüllungsbuch über die vermeintliche liberale Voreingenommenheit US-amerikanischer Mainstream-Medien beworben wird – beschreibt explizit die Vorstellung einer politischen Opposition, wenn sie in der Dokumentation sagt: »In a country that’s 80 percent Christian, Christianity has become this sort of rebellious subculture because Hollywood hates it, the liberal media hates it, the political left hates it. So Christians have really been forced to the fringes«.21 Ich verstehe ihre Aussage in zweierlei Hinsicht: Zum einen konstruiert sie Christen damit als unterdrückte Gruppe in den USA und bedient sich damit paradoxerweise eines Minoritätendiskurses, der die ganze Dokumentation prägt. Zum anderen drückt sie scheinbar eine Form der politischen Beweiskraft aus, die aus der vermeintlich minoritären Erfahrung US-von Christ _innen entstehe. In Rebels All! arbeitet der Historiker Kevin Mattson die Verbindung konservativer Ideen mit »the spirit of rebellion born during the sixties« heraus (3). Er benennt diese als wichtiges Merkmal des Conservative Mind in Postwar America und als einen der Hauptaspekte, um die quasi-gegenkulturelle Anziehungskraft der Republikanischen Partei und des zeitgenössischen US-amerikanischen Konservatismus’ zu verstehen (3-6). Fire from the Heartland paart die angebliche Außenseiterperspektive mit Skripten und Visualisierungen US-amerikanischer Ruralität und entwirft so einen populistischen Impuls, der es angeblich ermögliche, gegen die projizierte, dominante Elite zu rebellieren. Trotz dieser rebellischen Haltung bekräftigt der Film das US-amerikanische Auserwähltheitsdenken und bedient sich als Jeremiade der zweifachen Funktion der Klage und Affirmation (Bercovitch 6). Das Ritual der Sozialkritik bietet dadurch die Lösung für Überschreitungen der zeitgenössischen Gesellschaft an und stellt einen »ideological consensus« in Bezug auf die Nation wieder her (Bercovitch xii). In diesem Sinne eröffnet der dritte Teil der Dokumentation – The Fire – »[the] prophetic vision that unveils the promises, announces the good things to come, and explains away the gap between fact and ideal« (Bercovitch 16). In der Vision des Films sind die »good things to come« als (Graswurzel-)Aktivismus konservativer Frauen klar identifiziert.22 Als Fortführung aktivistischer Frauen an der sog. frontier nennt der Film die Politikerinnen Clare Booth Luce, Margaret Thatcher und Phyllis Schlafly. Insbesondere Schlafly wird als Ikone des US-amerikanischen, konservativen Frauenakti-
21 | Cupp beansprucht die Rolle der neutralen Beobachterin, indem sie sich auf dem Klappentext des Buches als Atheistin identifiziert. 22 | Hofstadter schreibt zur Metapher der Graswurzel: »The American tradition of democracy was formed on the farm and in small villages, and its central ideas were founded in rural sentiments and on rural metaphors (we still speak of ›grass-roots democracy‹)« (7).
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vismus’ in Szene gesetzt und für ihre Kampagne für Barry Goldwater im Jahr 1964 sowie ihre rigorose und langjährige Lobby-Arbeit gegen das Equal Rights Amendment gefeiert.23 Die Dokumentation inszeniert damit Bachmann, Coulter und Co. als Schlaflys direkte Erbinnen, die stolz erklären, ihrem aktivistischen Beispiel zu folgen. Darüber hinaus erfüllt das Muster der Jeremiade die kulturelle Funktion, partikulare Sichtweisen auf das US-amerikanische Auserwähltheitsdenken zu evozieren und Sinn für vermeintlich distinkte, soziale Gruppen zu stiften. Die Anthropologin Susan Harding kennzeichnet die Predigten des Pastors und Teleevangelisten Jerry Fallwell in den 1980er Jahren als Jeremiaden (161). Sie argumentiert, dass seine Predigten als Performance für seine fundamentalistischen und evangelikalen Zuhörer_innen fungierten, die demonstrierten, dass die USA »in the throes of a spiritual rebirth« seien (157). Diese Sichtweise betont die religiös kodierte Dimension der Jeremiade und verweist weiter darauf, dass die Interpretation in einem zeitgenössischen, konservativ-christlichen Kontext etabliert ist. Auch der Trailer der Dokumentation weist auf diese religiöse Interpretation hin, indem der textuelle Hinweis eingeschoben wird, dass konservative Frauen »a reborn conservative movement« führten (»Official Website und Trailer, Fire from the Heartland«). Der Film evoziert aber zugleich auch die zivilreligiös kodierte, politische Bedeutung der Jeremiade. Das ermöglicht die Rezeption sowohl einer religiösen als auch einer zivilreligiösen Perspektive, indem verschiedene implizite Verständnisse des US-amerikanischen Auserwähltheitsdenkens hervorgerufen werden, welche die Sozialkritik konservativer Frauen als die einzig mögliche Lösung präsentieren, zu ›traditionellen‹ Werten zurückzukehren. Die konservative Revision des US-amerikanischen Feminismus Über das Interviewformat inszeniert der Film die herausgehobene Bedeutung von Frauen für den evozierten US-amerikanischen Konservatismus. Coulter merkt an: »It really is stunning how much of the passion of the conservative movement comes from the women.« Die ehemalige Kongressabgeordnete Michele Bachmann löst dieses ›Rätsel‹ und bedient sich dabei essentialisierender Geschlechterdifferenzen: »It isn’t that men aren’t seeing what’s going on, they are. But the difference is, women feel it. We feel it in our gut, in our heart. And that sense is coming over us, that
23 | Phyllis Schlafly ist Verfasserin des Kampagnen-Buches A Choice Not an Echo (1964) für Barry Goldwater. Sie ist weiter die Gründerin der Organisation Eagle Forum (1972). Zu Schlaflys politischem Werdegang gibt Donald Critchlow einen quasi-biographischen, historischen Überblick, der bezeichnenderweise als A Woman’s Crusade untertitelt ist. In Righting Feminism gibt Schreiber eine gute Übersicht zum politischen Aktivismus konservativer Frauen.
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something is terribly wrong.« Über solche Aussagen schreibt der Film Frauen ein emotionales Wissen zu, das im Film als Inszenierung eines »authentic feminism« (Dannenfelser) politisch wirksam gedacht wird.24 Als Folge des Minoritätendiskurses des Films lässt sich der Fokus auf Schlaflys politische Lobbyarbeit als revisionistische Sichtbarmachung einer ›alternativen‹ Geschichte des US-amerikanischen Feminismus lesen.25 Der Film konstruiert die historische Kohäsion einer konservativen Frauenbewegung, die als politisches Gegenangebot zur zweiten Frauenbewegung identifiziert wird. In The Power of the Positive Woman (1977) markiert Schlafly ihre politischen Interessen als die kulturelle und soziale Norm und stellt sie dem »cry of ›women’s liberation‹ [that] leaps out from the ›lifestyle‹ sections of newspapers and the pages of slick magazines, from radio speakers and television screens« direkt entgegen (9). Ihr Buch enthüllt damit die Agenda der sog. zweiten Welle des Feminismus’ als vermeintliche Entfremdung und Täuschung, die Frauen über Formate der Kulturindustrie verführten. Fire from the Heartland übernimmt diese Strategie, indem Ikonen der zeitgenössischen Populärkultur, wie Sängerin und Performerin Lady Gaga und TV-Shows wie Sex and the City als massenkulturelle Beispiele benannt werden »[which] take everything that makes women so strong away from them, their femininity, their morality« (Coulter). Die Dokumentation deutet Schlaflys expliziten Antifeminismus somit um und bezeichnet sie als »the American feminine role-model« (Michelle Malkin). Ihre politische Vorbildfunktion wird wie folgt beschrieben: »She was active, but not abandoning her role as mother, educator, and grandmother.« Diese Zuschreibung bewertet und überhöht Schlafly in der Rhetorik der ›Republican Motherhood‹. Der Begriff, der von Linda Kerber für die Rolle der Frau in der frühen Republik geprägt ist, beschreibt Mutterschaft als konstitutiv für die US-amerikanische Nation und ideologisiert sie für einen politischen Zweck:
24 | Die Präsidentin des Susan B. Anthony-List Kandidatenfonds Marjorie Dannenfelser definiert ›authentic feminism‹ als »pro-equality, pro-woman, pro-opportunity and pro-life«. 25 | Darüber hinaus verdeutlicht ihr Aktivismus »the transformation of the Republican Party into a voice of conservatism« (Critchlow 2), die von einem wachsenden Stellenwert von Graswurzel-Aktivismus begleitet war (6).
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Her political task was accomplished within the confines of her family. The model republican woman was a mother. The Republican Mother’s life was dedicated to the service of civic virtue; she educated her sons for it; she condemned and corrected her husband’s lapses from it. [...] To that end the theorists created a mother who had a political purpose, and argued that her domestic behavior had a direct political function in the republic. (202)
Der zeitgenössische Diskurs des ›authentischen Feminismus‹ greift auf solche Vorstellungen zurück und deutet sie gleichzeitig neu: Beispiel ist etwa Palins politische Selbstinszenierung als Mutter, durch die sie die »unique role that motherhood plays in helping women understand the national and international economic principles« betonte (Schowalter 39).26 Auf diese Art verknüpft der (zivil-)religiöse Aktivismus kulturelle Annahmen über Mutterschaft eng mit dem Wissen konservativer Frauen über nationalstaatliche Politik. Diese Bezugnahmen auf motherhood entwerfen darüber hinaus eine familiäre Verbundenheit und das Gefühl eines intimen, emotionalen Wissens, das vermeintlich von allen Frauen geteilt wird und rezipiert werden kann. Weiter reiht sich die Dokumentation über wiederholte Beschwörungen weiblicher Frömmigkeit in die Diskursformation des »cult of True Womanhood« (Welter 151) ein. Dessen Rhetorik der »four cardinal virtues – piety, purity, submissiveness and domesticity« (152) präsentieren Bachmann und Co. als evangelikale Verklärung eines viktorianischen Weiblichkeitsentwurfs im 21. Jahrhundert. Gleichzeitig präsentiert die Dokumentation die konservative Frauenbewegung allerdings als »the unintended consequence of the liberal feminist movement«. Dana Loesch sagt dahingehend: »Motherhood is a political act, period«. Ihre bestimmte Aussage setzt damit Mutterschaft mit politischem Aktivismus gleich und appropriiert gleichzeitig den feministischen Orientierungspunkt ›the personal is political‹. Die rhetorische Strategie, die Relevanz von politisch motiviertem Aktivismus auszudrücken, ist dabei ähnlich; die Intention der Aussagen ist jedoch völlig gegensätzlich. Während ›the personal is political‹ die häusliche Sphäre als genuin politische Sphäre identifiziert, domestiziert Loeschs Aussage das Politische und gesellschaftspolitische Aushandlungsprozesse und ruft gleichzeitig eine scheinbar feministische Rhetorik um politische Mutterschaft aus. Im Onlinekommentar »The New Evangelical Feminism of Bachmann and Palin« beschreibt Griffith politisch konservative Frauen als Verkörperungen des »highest
26 | In einer Ausgabe von Woman and Language (2012) setzen Dana Schowalter, Virginia McCarver and Rodino-Colocina den Fokus auf die Metapher des ›Mama Grizzly Bears‹, konservativen Feminismus, Wahlpolitik und Nationalökonomie.
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ideal of white conservative evangelical womanhood«. Ihre Einordnung deckt zwei Aspekte des Diskurses auf. Zum einen expliziert sie die rassifizierten Logiken des Diskurses um ›evangelikalen oder authentischen Feminismus‹, die implizit auch in der Dokumentation wirkmächtig sind.27 In Fire from the Heartland erzählt Sonnie Johnson wie sie in ärmlichen Verhältnissen und unterstützt durch Sozialleistungen bei ihrer Tante aufgewachsen ist. Sie artikuliert während der gesamten Dokumentation ihre festen Überzeugungen bezüglich der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Die Dokumentation zeigt allerdings gleichzeitig Bilder urbaner Räume, die als arm und afroamerikanisch markiert sind und zusammen mit Johnsons Lebensgeschichte (visuelle) Stereotypen über angeblich zerbrochene, afroamerikanische Familienstrukturen aufrufen. Ihr personalisierter Beitrag demonstriert so, wie Fire from the Heartland konservativ als die übergeordnete Differenzkategorie zu Geschlecht, Klasse und race imaginiert, strukturelle Ungleichheiten der USA damit negiert und die rassifizierten Bedingungslogiken des exklusiven Verständnisses von ›wahrem‹ Familienleben und ökonomischen Erfolg überdeckt. Der Konservatismus und seine strukturierende, rassistische Logik entzieht sich als Common Sense damit der Explikation, der politischen Kritik sowie der gesellschaftspolitischen Aushandlung. Zum zweiten attestiert Griffith einen evangelikalen Kontext, der die biblisch legitimierte Norm der Ergebenheit einer Frau zu ihrem Mann betont:28 What is ›feminist‹ about them, for those who want to use that descriptive, is their belief that God calls women no less than men to fight His battles against Satan on earth. Women hold awesome power as spiritual warriors, in this worldview; they’re not doormats, nor should their godly duties be confined to the domestic sphere.
Eine solch scheinbar paradoxe Rhetorik getrennter Sphären bei gleichzeitigem politischen Aktivismus lässt sich erneut mit Kaplans Konzept der »Manifest Domesticity« fassen. Kaplan entwirft darin domesticity als binäre Opposition zum Fremden und
27 | Ruth Rosen nennt Tea-Party Aktivistinnen »angry white women« und erklärt deren politisches Engagement teilweise als Folge ihres »resentment against their marginalization in the Republican Party« (61). 28 | Die Frage nach der vermeintlichen submissiveness wurde in Bachmanns politischer Karriere thematisch. Nachdem sie sich selber einer biblischen Norm folgend als ihrem Mann gehorsam bezeichnete, wurde ein Video davon 2006 in weiten Kreisen geteilt (vgl. L. Miller). Im Gegensatz zu Palin, die sich 2010 öffentlich als Feministin bezeichnete (vgl. Beail und Longworth 106 ff.), bezeichnete sie sich nie explizit als ›feministisch‹, sondern als »empowered American« (Powers).
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gleichzeitig als Prozess der Domestizierung des Anderen. Die zwei Bedeutungsebenen machen fassbar, wie die Dokumentation den (zivil-)religiösen Aktivismus als domestizierende Allegorie für die gesamte Nation imaginiert. Die Konstruktion des ruralen US-Amerikas als konzeptuelle Heimstätte ermöglicht es konservativen Frauen, die Rolle der alttestamentarischen Propheten anzunehmen und in scheinbar sozialkritischer Sprache den Verfall US-amerikanischer Werte zu beklagen. Die Jeremiade als kulturell wirkmächtiger Modus der Sozialkritik inszeniert dabei am deutlichsten einen angeblichen Ermächtigungsdiskurs für konservative Frauen. Die Komplizität bei Prozessen des nation buildings ist allerdings klar erkennbar. Konservative Frauen werden trotz des gegenkulturell rebellisch und feministisch kodierten Untertons als letzte Verteidigerinnen des US-amerikanischen heartlands dargestellt und mit der politischen Mission beauftragt, den als verfallen gezeichneten Nationalstaat zu ›kultivieren‹. Die Figur des ›Mama Grizzly Bears‹ verkörpert somit die unbedingte Notwendigkeit alles, was im Diskurs der Dokumentation als fremd kodiert ist, abzuwehren. Die Vorstellung einer (zivil-)religiösen, ruralen Nation steht im absoluten Kontrast zum politischen Apparat in Washington, zur Kulturindustrie in Hollywood und zu allem anderen, was als liberal verschrien ist. Die Dokumentation präsentiert so eine Konstruktion von Weiblichkeit, die einem getrennten Sphärenmodell folgt, sich aber gleichzeitig der Rhetorik einer ermächtigten, politischen Identität bedient, die darüber hinaus als ›authentische‹ Version des US-amerikanischen Feminismus’ markiert ist. Diese konservative Revision entfaltet ihre kulturelle Wirkmächtigkeit besonders dadurch, dass politische Weiblichkeit über ein emotionales Verständnis von Mutterschaft naturalisiert wird. Fire from the Heartland konstruiert eine kulturell wirkmächtige Jeremiade und affirmiert ein pastorales Ideal, welches den (zivil-)religiösen Aktivismus von Frauen in das Zentrum konservativer Identität der USA rückt. Solche Rückgriffe auf nationale Mythologien zielen dabei darauf, ›Authentizität‹ zu erzeugen und verbinden die Nostalgie nach einer jeffersonischen Republik mit konservativen ›Sorgen‹ um zeitgenössische Kultur und Politik. Als »state fantasy« des US-amerikanischen Auserwähltheitsdenkens (Pease, New Exceptionalism 1) gibt die Dokumentation damit dem Gefühl Ausdruck, dass Obama »doesn’t believe in American exceptionalism« (Schlafly) und imaginiert die USA als eine Nation, welche politisch und historisch spezifische Kontexte transzendiert. In seiner Betonung der Werthaftigkeit eines ruralen Lebensstils appropriiert der Film einen rebellischen Modus als politische Strategie. Somit werden implizite Verständigungsmomente über die Bedeutung eines ›ruralen Lebenswandels‹ mit einem normativen Set konservativer Werte verbunden. Indem eine Genealogie konservativer Frauen als politische Aktivistinnen imaginiert wird, setzt die Dokumentation eine kontinuierliche weibliche Gegenkultur in Szene und zeigt deren
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Aktivismus als Ermächtigung und feministische Errungenschaft, die zurückgreift auf Weiblichkeitskonstruktionen des Mythos der frontier sowie wirkmächtiger Vorstellungen von Femininität des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie inszeniert ein emotionales Verständnis von Mutterschaft als politisches Frausein und postuliert dadurch eine naturalisierte Verpflichtung für (weiße) Frauen, an dominanten Prozessen des nation buildings beteiligt zu sein. Indem der Aktivismus konservativer Frauen im Muster der Jeremiade verhandelt wird, bietet die Dokumentation zusätzlich Bedeutung für religiöse und zivilreligiöse Verständnisse potentieller, nationaler Erneuerung. Der Diskurs um ›Mama Grizzly Bears‹ lässt sich somit als Manifestation eines vermeintlich wiederbelebten, christlichen Patriotismus lesen, der Ruralität, d.h. das US-amerikanische heartland, als fundierend für Nationenbildung in der Vergangenheit und heute imaginiert.
6.3 ›DAS P OLITISCHE
IST ( ZIVIL -) RELIGIÖS ‹
Die evangelikale Populärkultur verknüpft religiöse Deutungsschemata untrennbar und uneinholbar mit gesellschafspolitischen Aushandlungsprozessen. Hochgeschwender bemerkt: »Für Fundamentalisten ist – ebenso wie für Feministinnen oder Anhänger der counterculture – das Persönliche das Politische und umgekehrt« (16). Er betont damit die Konvergenz der vermeintlich binären Opposition persönlich/politisch in den politischen Ausdrucksformen scheinbar distinkter und gegensätzlicher, sozialer Gruppierungen. Allerdings zeigen feministische und evangelikale Politikbegriffe tiefgreifende, ideologische Unterschiede. Um noch einmal Stewarts treffende Einordnung in Erinnerung zu rufen: »The feminist slogan, the personal is political, [takes on] (sic) a new charge of intensity and swirl[s] (sic) in spinning, floating contexts far beyond any simple ideological clarity or political program« (zitiert in Cvetkovitch und Pellegrini n. pag.). Die Konstruktionen des Aktivismus’ konservativer, evangelikaler Frauen im Flyer der CWA, im Konversionsnarrativ Unplanned sowie im Film Fire from the Heartland präsentifizieren das Politischen als (zivil-)religiös und beteuern die Notwendigkeit evangelikaler Deutungsschemata für die Mitsprache und Teilhabe an gesellschaftspolitischen Prozessen. Dies zeigt sich insbesondere in der Kopplung vermeintlich privater Themen der religiösen Konversion mit der Frage nach dem Recht auf Abtreibung sowie der damit verbundenen Behauptung, dass die evangelikale Mutter ein affektives Kapital in gesellschaftspolitische Funktionsbereichen entwickelt. Die paradigmatischen Ausdrucksformen des (zivil-)religiösen Aktivismus’ religiöser Frauen manifestieren somit ein affektives Politikverständnis, welches das Politische als das (Zivil-)Religiöse imaginiert.
(Zivil-)Religiöser Aktivismus | 171
Dies geschieht vor allem über die Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz. (Göttlicher) Präsenz in der politischen Konversionserzählung und dem Dokumentationsfilm ist gemein, dass sie evangelikale Weiblichkeit als politisch-aktivistisch konstruiert, naturalisiert und transzendiert. Bei Unplanned handelt es sich um direkte Referenzen auf die Präsenz des Göttlichen sowie um die Evokation von (göttlicher) Präsenz, die Gefühle um Muttersein und Abtreibung sinnlich und emotional überformt. In Fire from the Heartland ist (göttliche) Präsenz eingebettet in dominante Bezugnahmen auf Zivilreligion, die über die Figur der politischen Frau geschlechtsspezifisch kodiert ist. Zivilreligiöse Muster präsentifizieren die Erfahrung des USamerikanischen Auserwähltheitsdenkens und betten (göttliche) Präsenz damit in ein intrakulturell wirkmächtiges Muster ein. Das übernimmt zum einen die Funktion, die Präsenz des Göttlichen sozial intelligibel und breit rezipierbar bereit zu stellen, zum anderen die zivilreligiöse Fundierung der USA evangelikal zu erneuern und zu vereindeutigen. (Göttliche) Präsenz wirkt so depolitisierend, setzt ein Verständnis von Politik als Modus der gesellschaftlichen Aushandlung außer Kraft und legitimiert religiöse Deutungsmuster in politischen Gesellschaftsbereichen. Evangelikale Frauen werden so als hingebungsvolle Patriotinnen für Gott, Nation und die Familie konstruiert und in der populärkulturellen Formation des konservativen Aktivismus’ als Ideal für evangelikales nation building figuriert. Dabei rückt besonders die Rolle der evangelikalen Mutter als Moment der Mobilisierung in den Blickpunkt, sowohl als ›Mutter von (ungeborenen) Kindern‹ in Unplanned als auch als ›Mutter der Republik‹ in Fire from the Heartland. Die affektive Präsenz der evangelikalen, politischen Frau vergegenwärtigt dabei die Vorstellung einer christliche Nation. Sie fungiert als Bindeglied zwischen transzendenter Macht und patriotischem Selbstverständnis und übernimmt die religiöse und politische Verantwortung für die Nation als christliche Familie. Die politische Präsenz (der Konversion, des Frauseins und der Zivilreligion) ist strukturiert von hegemonialen, impliziten Verständigungsmomenten familiärer und nationaler Zugehörigkeit. Religiöses public feeling in Form eines zivilreligiösen Gefühls manifestiert somit eine affektive Kohärenz zwischen Konstruktionen evangelikaler, politischer Weiblichkeit, hegemonialer Vorstellungen der Familie und der Nation und vermögen es, ein religiöses und ein nicht-religiöses Publikum als Patriot_innen zu affizieren.
7 Schluss
Die vorliegende Arbeit hat Konstruktionen von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur der USA untersucht. Am Beispiel von evangelikaler Keuschheitskultur, christlicher chick und sistah lit, Ratgebern zur ›gottgefälligen‹ Selbstoptimierung sowie (zivil-)religiösen Aufrufen zum politischen Aktivismus habe ich die kulturelle Arbeit und Affektökonomien der Konstruktionen von Weiblichkeit analysiert. Diese entwickeln ihre kulturelle und affektive Wirkmächtigkeit am Schnittpunkt von Religion, Konsum und Kapitalismus, hegemonialer Familienideologie, konservativer Politik und zivilreligiösem Patriotismus. Der Fokus hat sich dabei gleichermaßen auf symbolische Abgrenzungsmechanismen evangelikaler Identität(en) als auch auf kulturelle, mediale und ideologische Austausch- und Rückkopplungsprozesse zwischen einem evangelikalen und einem nominell säkularen US-Amerika gerichtet. In dieser Weise habe ich in der Arbeit einen Lesemodus entwickelt, der aufgezeigt hat, dass sich in der evangelikalen Populärkultur der Gegenwart ein religiöses public feeling manifestiert, welches die Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit intrakulturell wirkmächtig, sozial intelligibel und politisch anschlussfähig anbietet. Ich habe einen affekttheoretisch gewendeten Kulturbegriff entwickelt, welcher die evangelikale Populärkultur als Schnittpunkt versteht, an dem komplexe Austausch- und Rückkopplungsprozesse sowie Konvergenzen zwischen einem evangelikalen und einem säkularen US-Amerika verhandelbar werden. Denn die evangelikale Populärkultur ist trotz ubiquitärer Reden eines ›Kulturkampfes‹ nicht distinkt von nominell säkularer Kultur rezipierbar. In diesem Sinne sind Phänomene der evangelikalen Populärkultur corresponding cultures, die komplexe corresponding feelings evozieren. Insbesondere Konstruktionen von Weiblichkeit markieren darin sowohl Aushandlungsprozesse im Rahmen der internen Selbstverständigung eines ›evangelikalen Amerikas‹ als auch Formen der Missionierung, Bekehrung und Verführung außerhalb dieser religiösen Zugehörigkeit.
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Die Analysen der Studie haben in dieser Hinsicht gezeigt, dass die evangelikale Kulturindustrie Weiblichkeit in vermeintlich distinkten Lebensabschnitten und sozialen Rollen konstruiert: Als ›keusche Teenagerin‹, als ›postfeministische Singlefrau‹, als ›selbstoptimierte Frau und Mutter‹ sowie als ›Mutter der Nation‹. Allen Identitätsentwürfen ist gemein, dass sie sich durch ihre spezifische Version von devotion auszeichnen. Denn neben der Dimension der religiösen Hingabe konstruiert die evangelikale Populärkultur Weiblichkeit als christlich motiviert, hingebungsvoll, liebend, ergeben und aufopfernd sowie ermächtigt bezüglich der Familie, dem Patriarchat und seinen komplizitären Idealen von Weiblichkeit, der Optimierung des eigenen Selbst, der Konsumkultur und dem Kapitalismus sowie der US-amerikanische Nation. Diese scheinbar simplen Zuschreibungen leisten dabei komplexe, kulturelle Arbeit. So idealisieren die evangelikale Keuschheitskultur, christliche chick und sistah lit, devotionale Ratgeberformate sowie (zivil-)religiöse Evokationen eines konservativen, politischen Aktivismus’ evangelikale Frauen nicht nur als devoted, sondern stellen sie einer vermeintlich distinkten, säkularen Kultur entgegen. Der exemplarische Titel Against the Tide, den ich als Überschrift für das Kapitel zur ›Keuschheit‹ gewählt habe, drückt dahingehend nicht nur eine angeblich subkulturelle-minoritäre Perspektive, die ›Keuschheit‹ als Gegenrede zu einer vermeintlichen Kultur der ›sexuellen Freizügigkeit‹ positioniert, sondern immer auch ein politisch gegenkulturelles Selbstverständnis der evangelikalen Populärkultur. Die untersuchten evangelikalen, populärkulturellen Phänomene zeichnen sich darüber hinaus durchgehend über zwei weitere Ähnlichkeiten aus: Erstens sind es im Besonderen Konstruktionen von Geschlecht und insbesondere Weiblichkeit, die als herausgehobene Markierung evangelikaler Identität(en) bearbeitet und intrakulturell anschlussfähig bereitgestellt werden. Zweitens übernehmen evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit damit sowohl die Funktion von Aushandlungsprozessen im Rahmen der internen Selbstverständigung des ›evangelikalen Amerikas‹, etwa in symbolische Abgrenzungsmechanismen, als auch die Funktion von Missionierung, Bekehrung und Verführung außerhalb dieser religiösen Zugehörigkeit. Die untersuchten Konstruktionen von Weiblichkeit setzen, trotz der Zuschreibungen scheinbar distinkter Rollen und Praktiken an die christliche Frau als Markierung identitärer Abgrenzung, populärkulturelle Verhandlungsprozesse in Gang, die auch in nicht-evangelikalen Gesellschaftsbereichen kulturell wirkmächtig sind. Die evangelikale Populärkultur macht Käufer_innen mehrfach deutbare Konsumund Identitätsangebote: als evangelikale (Re-)sakralisierung, (Re-)Appropriation und Kommodifizierung familiärer Formate. So sind christliche Formelromane für Frauen in die »intimate public of femininity« (Berlant, Female Complaint xii) eingeschrieben und verführen Leser_innen nicht nur zur romantischen Liebe, sondern auch zum
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Glauben. Und christliche Körperpraktiken konvertieren Benutzer_innen nicht nur zur ›Schönheit‹, sondern inszenieren einen religiösen ›Mehrwert‹ als Körpergefühl. Neben solchen formalästhetischen Angleichungen und der präsentischen Überhöhung populärkultureller Formate hat sich gezeigt, dass evangelikale Weiblichkeit immer wieder im Rückgriff auf nationale Selbstverständigungsdiskurse konstruiert wird. Das Ideal der ›keuschen‹ jungen Frau imaginiert in diesem Sinne als manifest virginity eine christliche Nation. Auch der politische Aktivismus evangelikaler Frauen wird über die Evokation (zivil-)religiöser Deutungsmuster in dieser Hinsicht als eine Form des christlichen nation buildings in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen erkennbar. Evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit imaginieren und erhöhen die Nation als christlich, weiß und exzeptionell. Gerade in solchen verschränkten Konstruktionen von Weiblichkeit, Konsum und Nation zeigen sich einerseits eine affektive Kohärenz zwischen den untersuchten Phänomenen und andererseits intrakulturell wirkmächtige corresponding feelings, die sich entlang kulturspezifischer Diskursivierungen von Präsenz in ihrer Interdependenz mit nicht bruchlos explizierbaren, oftmals emotional und affektiv besetzten Wissensbereichen konturieren. Ich vertrete die These, dass über Bezüge auf eine (intensive) Erfahrung (des Göttlichen) sowie Evokationen (vermeintlich) nicht gänzlich explizierbarer Wissensbestände evangelikale Konstruktionen von Weiblichkeit als nicht hinterfragbar naturalisiert und in der populärkulturellen Bereitstellung komplexe Prozesse der intrakulturellen Kommunikation ermöglicht werden. Dieser Zusammenhang zwischen Präsenz, implizitem Wissen und affektiver Dimension wird im Folgenden noch einmal detailliert formuliert. Die untersuchten Phänomene formieren eine kulturspezifische Präsenzkultur, welche Bezüge auf (göttliche) Präsenz an der Schnittstelle von evangelikaler Diskursformation und verschiedener Präsenzgenealogien diskursiviert. Der vorliegende Band interveniert in theoretische Debatten, die Präsenz als radikal subjektives Erleben erfassen und eine quasi-universelle Präsenz behaupten und rückt die Kategorie des Geschlechts ins Zentrum der Auseinandersetzung mit Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz. Es hat sich immer wieder die enge Verbindung zwischen Präsenz gezeigt, die offensichtlich als religiöse Erfahrung kodiert ist und Präsenz, welche die Funktion hat, religiöse Erfahrung sozial intelligibel zu machen. So überformt die Präsenz des Göttlichen reziprok die Inszenierung von ›Keuschheit‹, romantischer Liebe, körperlicher Selbstoptimierung und Formen des politischen Aktivismus. Populärkulturelle Diskursivierungen von (göttlicher) Präsenz, beispielsweise in Form der romantisierten Hochzeitsfiguration zwischen Vater und Tochter, der Utopie der Liebe in christlicher chick und sistah lit, der Körpertransformation in christlich motivierten Ratgeberformaten oder in politischen Konversionsnarrativen sind somit für ein mög-
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lichst breites Publikum ausdifferenziert und sozial intelligibel bereitgestellt. Diese Formen der Dopplung, Rückkopplung, (Re-)Kodierung, (Re-)Sakralisierung, Appropriation und Überschreibung vermeintlich distinkter Bezüge auf Erfahrung werden dabei über Ökonomien der Präsenz nahezu untrennbar miteinander verbunden. Die evangelikale Populärkultur diskursiviert (göttliche) Präsenz damit in Form eines Konglomerats an nominell religiösen und nominell säkularen Erfahrungsdimensionen, was als Mittel der Bekehrung, Missionierung und Verführung fungiert. (Göttliche) Präsenz übernimmt dabei eine Vielzahl an Funktionen. Erstens: Präsenz plausibilisiert und naturalisiert Konstruktionen von Weiblichkeit als scheinbar nicht hinterfragbare (religiöse) Erfahrung und rückt sie damit in die Transzendenz. Bezüge auf (göttliche) Präsenz binden Weiblichkeit damit an bestimmte Erfahrungsbereiche, Räume und Praktiken und disziplinieren ›gottgefällige‹ Weiblichkeit in Bezug auf heterosexuelle Intimität sowie (visuelle) Ideologien um Geschlecht, ›Schönheit‹ und whiteness. Präsenz fungiert als (körperlich) wirkmächtige Form der Naturalisierung. Zweitens: (Göttliche) Präsenz überformt religiösen Konsum. Insbesondere die serielle Inszenierung von (göttlicher) Präsenz, etwa in der seriellen Ästhetik der Fernsehserie, populären Frauenromanen oder in der wiederholten Beteuerung von ›Keuschheit‹, übernimmt dabei die Funktion, das scheinbar Alltägliche zu transzendieren sowie das Transzendente alltäglich zu aktualisieren. Drittens: (Göttliche) Präsenz erweitert die symbolische Ordnung der Häuslichkeit auf die Öffentlichkeit und imaginiert diese so als christlich und intim. Insbesondere (zivil-)religiöse Präsenz vergegenwärtigt die Nation als christlich, exzeptionell und weiß und interpelliert Frauen als Mütter der Nation. Viertens: Die Phänomene erweitern die Präsenz des Göttlichen performativ, etwa durch die Präsenz des Vaters, Predigers oder des romantischen Helden, durch die Präsenz des eigenen Körpers oder durch die Präsenz des body politic, der über die Figur der aktivistischen Frau repräsentiert ist. Solche performative Präsenz ist konstitutiv für die Weitergabe impliziter Wissensbestände im Repertoire göttlicher Intimität und entfaltet ihre ideologische Wirkmächtigkeit am Nexus sinnlicher Erfahrung und symbolischer Formen der Verkörperung. Fünftens: In Bezug auf die formalästhetischen Inszenierungen von Präsenz und Weiblichkeit zeichnet sich der Phänomenbereich durch Sequentialisierung, Serialität und Wiederholung aus, wodurch besonders die Spannung zwischen alltäglichen und außeralltäglichen (Gottes-)Erfahrungen geschlechtsspezifisch kodiert wird. Alltägliche Präsenz wird etwa über rekurrierende, textuelle und visuelle Verweise auf Bibelpassagen sowie eine räumlich-metaphorische Eingrenzung auf kirchlich-häusliche Bereiche diskursiviert, womit zum einen eine teils explizite Gewissheit über die Alltäglichkeit göttlicher Präsenz hervorgehoben, zum anderen Weiblichkeit an solche Sphären gebunden wird. Gleichzeitig wird gerade über Wiederholung und Seriali-
Schluss | 177
tät herausgehobene Präsenz sozial intelligibel bereitgestellt und damit als intim und wohlbekannt artikuliert, etwa formelhafte Kodierungen romantischer Liebe in populären Frauenromanen. Insgesamt hat sich gezeigt, dass Bezüge auf (göttliche) Präsenz die eigene vergeschlechtliche Dimension naturalisieren, die kritische Einholung in Figuren der Transzendenz überschreiben und evangelikal vereindeutigen. Dadurch depolitisiert Präsenz die damit evozierte Erfahrung von Weiblichkeit und damit verhandelter Deutungsmuster. Denn als Inszenierungen herausgehobener und alltäglicher Erfahrungsdimensionen ist Präsenz vermeintlich der Explikation entzogen, verschiebt Prozesse des ›Otherings‹ ins Unsagbare und macht eine kritische Aufarbeitung auf Ebene des Diskurses unmöglich. Entsprechend ist die Studie keine repräsentationslogische Analyse, sondern hat aus wissenstheoretischer Sicht gefragt, wie Präsenz evangelikale Weiblichkeit als fühlbar und erlebbar beschreibt und intrakulturell wirkmächtig bereitstellt. Bezugnahmen auf (göttliche) Präsenz entfalten ihre kulturelle Wirkmächtigkeit so durchgehend am Nexus evangelikaler und säkularer Deutungsmuster, denn (göttliche) Präsenz evoziert Prozesse der Sinnstiftung, die an mehrfach anschlussfähige, implizite Wissensformationen anknüpfen und von diesen strukturiert werden. Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit präsentifizieren implizite Wissensbestände, die nicht nur eine distinkte evangelikale Identität affirmieren, sondern eine intrakulturelle ideologische Kohärenz zwischen nominell evangelikaler und nominell säkularer Kultur ermöglichen. Ich habe implizites Wissen als Bezeichnung für kulturspezifische und sozial teilbare Wissensformationen herausgearbeitet, die von intimem Körperwissen, Affekten und Emotionen bis zu Common Sense reichen und hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht, Religion, race und anderer Differenzkategorien aufrufen, verhandeln und evangelikal vereindeutigen. Diese sind nicht bruchlos explizierbar, deuten aber hin auf Prozesse der intrakulturellen Verständigung, der Differenzierung, der Übersetzung und des Fremdverstehens. So affirmieren Konstruktionen von evangelikaler Mutterschaft beispielsweise einerseits einen scheinbaren Common Sense über normative Geschlechterrollen, evozieren andererseits aber emotionale und affektive Zuschreibungen, die als Form der familiären und nationalen Identität über ein evangelikales Bezugssystem hinaus kulturell wirkmächtig, sozial intelligibel und politisch anschlussfähig sind. Insbesondere die Konstruktion evangelikaler Weiblichkeit als weiß hat sich dabei als Resonanzpunkt herausgestellt, der einen impliziten Kommunikationsprozess verhandelt, der quer zu nominell evangelikalen und nominell säkularen Identitäten liegt. So zeigte etwa insbesondere die Lesart der TV-Show Preachers’ Daughters, wie die Sensation der ›Keuschheit‹ ihre kulturelle Bedeutung vor allem über hegemoniale affektive Wissensbestände um race entfaltet, die Weißsein als ›Keuschsein‹ emotionalisiert. Auch Visualisierungen christlicher Konversionen in
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Formaten der ›Verschönerung‹ werden in diesem Sinne als scheinbar objektives Wissen um die Ideologie der whiteness wirkmächtig. Besonders Emotionen, Gefühle, Affekt sind als Formen der impliziten Verständigung um Religion, Weiblichkeit, Konsum und Nation in den Blick gerückt, die auf zwei miteinander verschränkten Ebenen wirksam sind. Ich habe argumentiert, dass sich ein religiöses public feeling besonders in populärkulturellen Inszenierungen des kulturellen Repertoires von (göttlicher) Intimität manifestiert und so als Scharnier zwischen evangelikalen Präsenzökonomien und impliziten Wissensbeständen fungiert. Religiöses public feeling manifestiert sich in Vorstellungen von romantischer und/oder göttlicher Liebe, in körperlich-devotionaler Verehrung und in exzeptionalistischen Vorstellungen von Glaube und einer christlichen Nation. ›Ich fühle, also glaube ich‹ drückt in diesem Sinne nicht nur die ideologische Anrufung christlicher Fitnesspraktiken aus (s. Kapitel 4), sondern bezeichnet in der Zusammenschau die kohärenzbildende und naturalisierende Funktion der evangelikalen Ideologien um Affekt und Weiblichkeit. So proklamiert religiöses public feeling im kulturellen Repertoire von (göttlicher) Intimität eine affektive Kohärenz. Die scheinbar distinkten Konstruktionen evangelikaler Weiblichkeit zeichnen sich in diesem Sinne über affektive Ordnung aus. Der ›keusche‹ Körper der jungen Frau wird als manifest virginity an implizite Vorstellungen eines US-amerikanischen Auserwähltheitsdenkens gebunden. Christliche chick und sistah lit imaginiert und emotionalisiert eine ›gottgefällige‹ Öffentlichkeit. Religiöse Selbstoptimierung fungiert als Voraussetzung für den Eintritt der christlichen Frau in die öffentliche Sphäre und bindet die Nation an den selbstoptimierten, politischen Frauenkörper, der einen evangelikalen body politic verkörpert. Über das kulturelle Repertoire von (göttlicher) Intimität evoziert und affirmiert religiöses public feeling auf einer zweiten Ebene nicht bruchlos explizierbare emotionale Wissensbestände und diffuse Ängste um weibliche Sexualität und Geschlechterrollen, die intersektional immer auch auf wirkmächtigen Konstruktionen von whiteness und Heteronormativität verweisen. Die beschriebene affektive Ordnung ist in dieser Hinsicht von vielzähligen affektiven und ideologischen Übereinstimmungen gekennzeichnet. Dazu gehören Formen der Intimität, die, kodiert als persönliche Nähe zu Gott, Selbstoptimierung, romantische und sexuelle Liebe, Familienmetaphorik und Patriotismus, affektiv und epistemologisch quer zu identitären Grenzziehungen liegen. Die evangelikale Populärkultur konturiert Konstruktionen von Weiblichkeit also anhand komplex wirksamer Affektökonomien am Schnittpunkt von Religion, Konsum und Kapitalismus, hegemonialer Familienideologie, konservativer Politik und zivilreligiösem Patriotismus.
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Diese affektive Ordnung spitzt sich in der Imagination einer christlichen Öffentlichkeit und Nation zu. Schon der Fitnessratgeber Reshaping It All im Besonderen hat gezeigt, dass christliche Ratgeberformate den Eintritt in die (christliche) Öffentlichkeit nur selbstoptimierten Müttern zur Verfügung stellt, wodurch das Häusliche den Konsum des scheinbar Öffentlichen überformt. Darüber hinaus inszeniert die evangelikale Populärkultur Weiblichkeit durchgehend als ermächtigt und bedient sich im Diskurs von ›Keuschheit‹, in der (Re-)Sakralisierung ›postfeministischer‹ Diskurse von chick und sistah lit-Romanen, in devotionalen Ratgebern zur Selbstoptimierung oder in der Diskursformation des »authentic feminism« (Dannenfelser) eines scheinbar feministischen Ermächtigungsdiskurses, den ich als Inszenierung einer scheinbar minoritären Position aufgedeckt habe. ›Das Politische ist (zivil-)religiös‹ (s. Kapitel 6) ist somit nicht nur Ausdruck einer kulturellen Revision des feministischen Slogans ›the personal is political‹, sondern imaginiert eine christliche Öffentlichkeit, in der das Religiöse das Öffentliche und Politische überformt und vereindeutigt. Darüber hinaus zeigt sich in Kommodifizierung göttlicher Intimität, dass dieser Öffentlichkeitsbegriff nicht nur das Politische und Öffentliche mit dem Religiösen, sondern auch mit Gefühlen um religiösen Kapitalismus vermischt. Um diese vielschichtigen Komplizitäten der Konstruktionen von Weiblichkeit in der evangelikalen Populärkultur aufzuarbeiten, war der Fokus der Arbeit notwendigerweise selektiv und weitere Analysen, die den Fokus erweitern, sind wünschenswert. Christliches Bodybuilding, welches seit den 1970er Jahre zum Beispiel über The Power Team ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist, populäre Selbsthilfebücher wie John Eldredges Titel Wild at Heart: Discovering the Secret of a Man’s Soul oder Michael Mitchell Life Lessons for Dad: Tea Parties, Tutus & All Things Pink sind neben den bekannten öffentlichen Figuren des US-amerikanischen Evangelikalismus nur wenige Beispiele, die Männlichkeit populärkulturell verhandeln. In »Tender Warriors« behauptet Kintz, dass in evangelikalen Ratgebern für Männer »masculinity is revalorized and masculine intimacy is taught within a sacred, absolutist frame« (494). Und Gardner schreibt, dass Keuschheitsprodukte für junge Männer »claim that society – and the church in particular – has stripped men of their Godgiven masculinity« (70). Ein Fokus auf Konstruktionen von Männlichkeit ist damit in Erweiterung der in der vorliegenden Studie angeführten Überlegungen nur der offensichtlichste Schritt (vgl. auch Krämer, Muesse). Eine ideologiekritische Perspektive auf solche Vorstellungen von Geschlecht fokussiert ohne Zweifel auf wichtige Aspekte evangelikaler Kultur, blendet gleichzeitig andere Dimensionen gänzlich aus. Denn es scheinen immer wieder Formen des ›Otherings‹ auf, die weniger prominent markiert, aber trotzdem kulturell wirkmächtig sind. Sherryll Mleynek etwa spricht von einer Rhetorik des »›Jewish Problem‹« (387)
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und Jonathan Freedman von einem »Antisemitism without Jews«. Beide verweisen auf antisemitische Topoi in den populären Left Behind-Romanen. Damit decken sie eine konstitutive Form des ›Otherings‹ in der evangelikalen Populärkultur auf, die sich auch im untersuchten Phänomenbereich ausdrückt. So heißt es beispielsweise in dem Konversionsnarrativ Unplanned scheinbar nebenbei: The truth is, you just cited two instances of injustice – the slaves and the Jews – that could only exist because a wholly segment of our population was dehumanized. Society’s acceptance of that is what allowed injustice to continue. And that’s exactly what Planned Parenthood does to the unborn. (Johnson 131)
Die Konstruktion einer genealogischen Linie von Sklaverei über Shoah zu Abtreibung ist dazu intendiert, eine viktimisierte Position in der politischen Diskussion um Abtreibung zu konstruieren. Im Rückbezug auf meine Überlegungen zu Präsenz, implizitem Wissen und religiösem public feeling zeigen sich darüber hinaus eine Reihe von politischen und epistemologischen Konsequenzen. Denn die präsentische und affektive Überformung der Gleichsetzung, die in all ihren Dimensionen höchst-problematisch ist, entzieht die Genealogie auf Ebene des Diskurses der kritischen Einholung. Um noch einmal mit Pellegrini zu sprechen: »[Y]ou cannot fight feelings with facts« (918). Gerade in Bezug auf den Unsagbarkeitstopos evangelikaler Präsenz (des Göttlichen) zeigt sich hier eine epistemologisch wirkmächtige Form des Antisemitismus in der evangelikalen Populärkultur, »which provide a template for some of the varieties of antisemitism that have flourished in America« (Freedman 155). Wenn man die Argumentationslinie der Arbeit auf die antisemitischen Einschreibungen der evangelikalen Populärkultur weiterdenkt, dann manifestiert diese eben auch komplexe affektive und politische Bedeutungszusammenhänge für den US-amerikanischen nominell säkularen Mainstream. Analog zur vorliegenden Arbeit sind dringende Fragen dahingehend: Wie ist der evangelikale Antisemitismus kulturspezifisch präsentifiziert und epistemologisch resonant? Die Präsenz von Religion, Emotion, Antisemitismus und Geschlecht ist in ein Bereich »where politics come to matter most« (Kintz, Between Jesus 5). Denn auch wenn sich die evangelikale Populärkultur der Gegenwart scheinbar durch eine populistische Simplizität auszeichnet, werden dadurch Formen der ideologischen Anrufung und des sensationalistischen appeals konstruiert, die im verstärkten Maße der Ideologiekritik bedürfen.
8 Literatur
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Fatima El-Tayeb Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 256 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3
Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.) Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 S., kart., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2232-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2232-8
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Kulturwissenschaft Andreas Langenohl, Ralph Poole, Manfred Weinberg (Hg.) Transkulturalität Klassische Texte 2015, 328 S., kart., 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-1709-2
María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan Postkoloniale Theorie Eine kritische Einführung 2015, 376 S., kart., 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-1148-9 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1148-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1148-3
Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Nadja Geer, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.) POP Kultur & Kritik (Jg. 5, 2/2016) September 2016, 176 S., kart., zahlr. Abb., 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-3566-9 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3566-3
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