Deutschland unter dem Dawes-Plan: Entstehung, Rechtsgrundlagen, wirtschaftliche Wirkungen der Reparationslasten [Reprint 2019 ed.] 9783111656939, 9783111272719


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German Pages 243 [248] Year 1928

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Teil I. Entstehungsgeschichte
Kapitel I. Der Friede von Versailles und die rechtlichen Grundlagen des Dawesabkommens
Kapitel II. Von Versailles bis zur Einsetzung der Dawes - Kommission
Kapitel III. Das Werk der Dawes-Kommission
Teil II. Die Durchführung des Dawesplans. Seine volks- und weltwirtschaftliche Bedeutung
Einleitung
Deutschlands Verpflichtungsbilanz
Kapitel IV. Kausal-Analyse der Veränderungen im deutschen Außenverkehr und in seinen Produktionsgrundlagen
Kapitel V. Ausblick
Politische Schlußfolgerungen
Anhang
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Deutschland unter dem Dawes-Plan: Entstehung, Rechtsgrundlagen, wirtschaftliche Wirkungen der Reparationslasten [Reprint 2019 ed.]
 9783111656939, 9783111272719

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DEUTSCHLAND UNTER DEM DAWES-PLAN ENTSTEHUNG,

RECHTSGRUNDLAGEN

WIRTSCHAFTLICHE

WIRKUNGEN

DER REPARATIONSLASTEN VON

PROF. M A X S E R I N G UNIVERSITÄT BERLIN

1 9 V v l /

2 8

WALTER DE G R U Y T E R & CO. / B E R L I N UND LEIPZIG

DRUCK VON OSCAR B R A N D S T E T T E R I N L E I P Z I G

Vorwort. Der Generalagent für Reparationszahlungen hat die endgültige Festsetzung der deutschen Reparationsverpflichtungen in Anregung gebracht. Die Ansichten über das, was Deutschland aus eigener Kraft tragen kann, gehen im In- und Auslande weit auseinander. Auch die Rechtslage ist keineswegs geklärt. Unter diesen Umständen erscheint mir eine Untersuchung der deutschen Volkswirtschaft unter dem Dawesplan, die zugleich die Entstehung und die Rechtsgrundlagen dieses Plans einbezieht, als notwendig. Die Tragweite des zu lösenden Problems geht weit über das deutsche Interesse hinaus. Mit dem Londoner Abkommen von 1924 beginnt eine Zeit der Erholung von den Kriegsfolgen und ein neuer Aufstieg der Weltwirtschaft. Denn erst das Londoner Abkommen beendete den über den Waffenstillstand hinaus lange fortgesetzten, im ganzen zehnjährigen Krieg. Der Krieg aber hatte Europa und besonders Deutschland verarmen lassen und über die ganze gemäßigte Zone hin eine Krisis hervorgerufen, die im Jahre des Ruhreinbruchs, 1923, ihren Höhepunkt erreichte. Sie traf vor allem die Landwirte, weil die Erzeuger von Getreide und Fleisch für die europäischen Industrieländer ihre Preise der Kaufkraft des „letzten Käufers", Deutschlands, anzupassen gezwungen waren. Die seit dem Abschluß des Dawesabkommens aus den Vereinigten Staaten einströmenden Kapitalien haben dann die Kaufkraft, vor allem auch Deutschlands, gehoben, den internationalen Verkehr belebt und die Lage der Landwirtschaft in allen außertropischen Ländern wesentlich, wenn auch noch keineswegs durchgreifend, verbessert.

IV

Ich habe die hier angedeuteten Zusammenhänge und Problemstellungen in einer Denkschrift, die ich im Mai 1927 der Weltwirtschaftskonferenz zu Genf vorlegte, und in einer dort gehaltenen Rede entwickelt. Die Rede ist im Anhange dieser Schrift wiedergegeben. Die Denkschrift ist auf den neuesten Stand gebracht und erscheint gleichzeitig in Buchform 1 ). In Genf aber konnte der Fragenkomplex der politischen Außenverschuldung nur gestreift werden. Das Zentralproblem der deutschen Wirtschaft und der Weltwirtschaft blieb außerhalb der Diskussion. Diese Schrift soll nun die neuen Lebensbedingungen des deutschen Volkes, die durch die Tributleistungen ausgelösten Kapital- und Güterbewegungen und ihre tiefen, in sich widerspruchsvollen Wirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Geschehen analysieren und daraus die Grundlagen gewinnen für eine gerechte Lösung der Reparationsfrage, von der die Wohlfahrt und das gute Einvernehmen der Völker in hohem Maße abhängig sind. B e r l i n - D a h l e m , 28. August 1928. M. Sering. „Internationale Preisbewegung und Lage der Landwirtschaft in den außertropisohen Ländern", Berlin, Paul Parey, 1928.

Inhalt. Seite

Vorwort Teil I. Entstehungsgeschichte Kapitel I. Der Friede von Versailles und die rechtlichen Grundlagen des Dawesabkommens Kapitel II. Von Versailles bis zur Einsetzung der Dawes-Kommission Die Kosten des Wiederaufbaues und die deutschen Leistungen Die Festsetzung der deutschen Reparationsschuld und der Jahrestribute Die deutsche Erfüllungspolitik Gegensätze unter den „alliierten und assoziierten Mächten" Der Einbruch in das Ruhrgebiet Der Sieg des rheinischen Volkes über die Separatisten . Deutsche Währungs- und Finanzreform Einsetzung der Dawes-Kommission Kapitel III. Das Werk der Dawes-Kommission A. Die produktiven Pfänder im Innern Deutschlands und das Kontrollsystem B. Die Höhe der auferlegten Tribute C. Die Übertragungsbeschränkungen Teil II. Die D u r c h f ü h r u n g des D a w e s p l a n s und seine v o l k s - u n d weltwirtschaftliche Bedeutung Deutschlands Verpflichtungsbilanz . Kapitel IV. Kausal-Analyse der Veränderungen im deutschen Außenverkehr und in seinen Produktionsgrundlagen A. Die Tatsachen 1. Bilanz des unsichtbaren Außenverkehrs 2. Bilanz des deutschen Warenhandels mit dem Auslande 3. Industrielle Außenhandelsbilanz und Produktionsentwicklung

III

1 1 26 26 34 37 39 42 43 45 45 48 56 65 76

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VI Seite

a) Eisen-, Metall- und Maschinenindustrie . . . . 97 b) Chemische Industrie 112 c) Textilindustrie 116 d) Lederindustrie 121 e) Industrien insgesamt 125 4. Außenhandelsbilanz und Produktion der Landwirtschaft 127 B. Die Ursachen 135 1. Die Ursachen dauernder Art 135 a) Das neue Staatensystem und die politischen Hemmnisse des Außenhandels 135 b) Die Gebietsverluste 139 c) Die Kapitalarmut und die Reparationsleistungen 142 2. Industrielle Inlandskonjunktur und Kapitalbildung unter dem Einfluß der Auslandsanleihen 144 a) Die innerwirtschaftliche Konjunktur der deutschen Industrie 144 b) Die Kapitalbildung 165 3. Die landwirtschaftliche Krisis und ihre Ursachen . 172 C. Ergebnis 183 Kapitel V. Ausblick 191 I. Die These von der gleichmäßigen Produktivität des Kredits. Wirtschaftliche Wirkungen der Auslandskredite und der Tribute 192 1. Arbeitsproduktivität, Kapital- und Zinsrente in Ländern extensiver und intensiver Wirtschaft . , 1 9 3 2. Anleihenehmer 197 3. Die kreditweise bezogenen Sachgüter 199 4. Die Anleihen und die Reparationszahlungen . . . 202 Ergebnis 208 II. Theorie von der „automatischen" Entstehung eines Ausfuhrüberschusses und das Transferproblem . . . 212 III. Der Transferschutz 220 Politische Schlußfolgerungen 223 Anhang: Rede des Verfassers in der Agrarkommission der Weltwirtschaftskonferenz am 10. Mai 1927 226

Teil I.

Entstehungsgeschichte. K a p i t e l I.

Der Friede von Versailles und die rechtlichen Grundlagen des Dawesabkommens. I m Weltkriege hatten die verbündeten Weltreiche vier Fünftel der Menschheit und die wirtschaftlichen Mittel etwa des gleichen Teils der Landfläche unseres Planeten gegen die engräumigen Länder der europäischen Mitte aufgeboten. Nach vierjähriger Gegenwehr erlagen diese mehr dem Hunger als dem physischen Druck der Masse; die militärische Entscheidung brachten die Amerikaner, weil sie mit unverbrauchten Kräften erschienen, als auch die Westmächte der Erschöpfung nahe waren. Die deutsche Regierung ersuchte am 5. Oktober 1918 den Präsidenten der Vereinigten Staaten, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen. Durch die Noten seines Staatssekretärs Lansing vom 8. Oktober und 5. November 1918 banden sich die alliierten Regierungen wie Deutschland selbst an die Bedingungen, die in der Botschaft des Präsidenten Wilson an den Kongreß vom 5. Januar 1918 und in den folgenden Botschaften niedergelegt waren. Der Zweck der unter den kriegführenden Parteien vorzunehmenden Besprechungen sollte lediglich die Verständigung „über praktische Einzelheiten der Anwendung" jener Bedingungen sein. Damit waren die Wilsonechen Punkte zum Inhalt eines förmlichen Präliminarfriedens geworden, und zwar derart, daß der Vertrag den ganzen Komplex Sering, Das Dawesabkommen.

2

2 der Friedensfragen umschloß und neue Forderungen ausschloß. Entschädigungen oder Schadensersatz, der den Charakter der Strafe trägt, waren ausdrücklich ausgeschlossen (Wilson an den Kongreß am 11. Februar 1918). Es sollten lediglich — nach Punkt 7, 8 und 11 des Wilsonschen Programms — die in Belgien, Frankreich, Rumänien, Serbien und Montenegro besetzten Gebiete geräumt und wiederhergestellt werden. In Lansings Note vom 5. November wurde namens der verbündeten Mächte 1 ) die Verpflichtung zur Herstellung der besetzten Gebiete dahin erläutert, daß Deutschland für den „durch seinen Angriff (aggression) zu Lande, zu Wasser und aus der Luft der Zivilbevölkerung der Verbündeten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten sollte". Diese wie alle anderen Vereinbarungen wurden von den führenden Staatsmännern Englands und Frankreichs mit dem Augenblick in den Wind geschlagen, als das revolutionäre Deutschland nach dem Abschluß des Waffenstillstandes im gläubigen Vertrauen auf Wilsons Versprechungen das noch hohe Achtung gebietende Heer auflöste. Selbst die Feinde hatten das zu fordern nicht gewagt 2 ). Nun fielen alle Schleier pazifistischer Fiktion, mit denen sie ihre Kriegsziele bisher verhüllt hatten. I n allen Siegerstaaten vollzog sich „ein plötzlicher und zynischer Gesinnungswechsel" 3 ). Lloyd George machte seine „Khakiwahlen" vom 14. Dezember 1918 mit dem Schlagwort „Hängt den Kaiser und laßt die Deutschen die K o s t e n des Krieges bezahlen"; Clemenceau sagte sich in öffentlicher Rede von den Wilsonschen Beschränkungen los. Für ihn standen — wie für seine Nachfolger — die machtpolitischen Ziele im Vordergrund, Auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung hatte die deutsche Note vom 12. Oktober 1918 die Voraussetzung ausgesprochen, daß auch die Alliierten sich auf den Boden der Kundgebungen des Präsidenten stellen. 2 ) Vgl. Sering, Friedensdiktat von Versailles und Deutschlands wirtschaftliche Lage. Berlin 1920, S. 22. 3 ) R. St. Baker, Woodrow Wilson, Memoiren und Dokumente über den Vertrag zu Versailles anno 1919. Autor. Übersetzung von C. Thesing, Leipzig 1922, S. 75. Baker war Vertrauensmann des Präsidenten und sein Pressechef während der Friedensverhandlungen.

3 für die man das Schlagwort der „Sicherheit" Frankreichs gefunden hat. Ein rheinischer Pufferstaat sollte entstehen und Frankreich die Rheingrenze militärisch dauernd beherrschen. Die Reparationssumme sollte möglichst lange unbestimmt bleiben und dann so unerfüllbar hoch bemessen werden, daß die wirtschaftliche Erholung Deutschlands unterbunden und immer wieder die Handhabe zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands gegeben werde. Die Engländer fanden zwar die Ausdehnung der französischen Herrschaft bis zum Rhein nicht in ihrem Interesse gelegen, aber Lloyd George übertrumpfte noch in den Pariser Verhandlungen die Clemenceauschen Reparationsforderungen — „nicht nur, weil er sich den Wählern gegenüber gebunden fühlte, sondern weil Englands öffentliche Meinung in Deutschland den niederzuhaltenden gefährlichsten Industrie- und Handelskonkurrenten sah 1 ). Auch stellte die Einbeziehung aller Kriegskosten England einen viel höheren Anteil an den deutschen Zahlungen in Aussicht 2 ). Weitsichtigere Volkswirte von feinerem Ehrgefühl in der britischen Delegation, wie J . M. Keynes, kamen in Paris nicht zur Geltung. Wilson war zwar in der festen Absicht nach Europa gekommen, die namens des amerikanischen Volkes eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Aber Wilson war nach Bakers Behauptung schon vor seinem Eintritt in den Krieg von den Alliierten hintergangen worden. Nach dem deutschen Friedensangebot vom Dezember 1916 hatte er die Kriegführenden aufgefordert, ihre Friedensbedingungen in allen Einzelheiten bekanntzugeben. Die Antwort der Alliierten vom 10. Januar 1917 (3 Monate vor der amerikanischen Kriegserklärung) verschwieg 1

) Der englische Premierminister Bonar Law faßte diese Anschauung noch auf der Pariser Konferenz vom 2. Januar 1923 in die Worte: „If an earthquake took place, which swallowed up Germany, and the rest of the world remained as before, Great Britain would be the gainer for the reason, that Germany was so formidable a rival in trade and industry. This was a fact not realised in France". Englisches Blaubuch Nr. 3. 1923, S. 77, zitiert bei Simon, „Reparation und Wiederaufbau". Berlin 1925, S. 46. 2

) Bernard M. Baruch, The making of the reparation and economic sections of the Treaty, New York & London (1920), S. 11.

1*

4 die Eroberungsziele, die sie in Geheimverträgen untereinander feierlich vereinbart hatten, oder versteckten sie hinter allgemeinen Redensarten 1 ). Als Trotzki diese Verträge, soweit sie in den russischen Archiven lagen, kurz nach der russischen zweiten Revolution (Oktober 1917) veröffentlichte, tat die öffentliche Meinung in Nordamerika sie als „Propaganda" deutschen oder russischen Ursprunges ab2), die amerikanischen Gesandten hatten nichts darüber an Lansing berichtet, und Wilson lernte die Geheimverträge erst in Paris in ihrer ganzen Ausdehnung und Tragweite kennen. Bald mußte er einsehen, daß „der ganze Verlauf der Konferenz eine Serie von Versuchen bedeute, besonders von seiten Frankreichs, das mit Deutschland getroffene Abkommen niederzureißen, Landzuwachs zu erlangen und vernichtende Indemnitäten aufzuerlegen"3). Um Wilsons Verhalten gegenüber diesen Versuchen und sein schließliches Nachgeben zu verstehen, muß man sich die Richtung des Weges vergegenwärtigen, den er von Kriegsausbruch an verfolgt hatte. In der Zeit der amerikanischen Neutralität verleugnete er die Unparteilichkeit, die er selbst bei Kriegsbeginn verkündet hatte, und als die Wage sich zugunsten Deutschlands zu senken schien, trat er in den Krieg, obwohl ihm die wahren Kriegsursachen keineswegs ganz verborgen waren 4 ). *) Baker, Band I, S. 35. Dort sind auch die Geheimverträge abgedruckt. Sie betreffen die Aufteilung der Türkei zwischen Bußland, England, Frankreich (Abkommen v. 1915, 1916 und 1917) und Italien (1915 und 1917), die Zerstückelung von Österreich-Ungarn zugunsten Italiens (1915) und Rumäniens (1916), die durch so freigebige Annexionsversprechungen ihrem Bündnis mit Deutschland abtrünnig gemacht wurden, die Verstümmelung Deutschlands durch die Abkommen Englands mit Frankreich und Japan über die Aufteilung der deutschen Kolonien (1917) und die russisch-französische Übereinkunft, die den Franzosen die Rheingrenze lind den Russen Freihand für Annexionen vom deutschen und österreichischen Besitz zusichert (1917). 2 ) Baker, Band I, S. 40. 3 ) Worte Wilsons vom 7. April 1919, wiedergegeben bei Baker, Band II, S. 47. 4 ) Am 29. Mai 1914 schrieb Wilsons Freund, Colonel House, von Berlin aus an den Präsidenten: „Whenever England consents, France and Russia will close in on Germany and Austria. England does not want Germany wholly crushed, for she would then have to reckon with her ancient enemy, Russia."

5 Es fehlten dem Präsidenten Wilson die Eigenschaften, die ihn zur Rolle eines arbiter mundi befähigt hätten. Dies zeigte sich gleich zu Beginn der Pariser Verhandlungen, als Wilson dem Beschlüsse zustimmte, die Gegner von den Verhandlungen auszuschließen, ihnen einen Diktatfrieden aufzuzwingen 1 ). Dies stand in unvereinbarem Widerspruch zu den eben mit Deutschland getroffenen Vereinbarungen2) und zu Wilsons Friedensprogramm3). (Sowie England seine Zustimmung gibt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland und Österreich herfallen. England wünscht nicht, Deutschland völlig vernichtet zu sehen; denn dann würde England allein mit seinem alten Feinde Rußland abzurechnen haben.) The intimate papers of Colonel House. Arranged as a narrative by Charles Seymour, Sterling Professor of History, Yale University. 1926, Band I, S. 249. Dieser Beschluß wurde anscheinend ohne jede Diskussion gefaßt (Baker I, S. 145). „Die Vertreter der verbündeten und assoziierten Mächte können keinerlei Erörterung ihres Rechtes zulassen, die grundsätzlichen Bedingungen des Friedens, so wie sie sie festgesetzt haben, aufrechtzuerhalten. Sie können nur Anregungen praktischer Art in Erwägung ziehen, die die deutschen Bevollmächtigten ihnen etwa zu unterbreiten haben" heißt es unter Verdrehung des Inhalts der Lansing-Note vom 8. Oktober 1918 in der Note Clemenceaus vom 10. Mai 1919. 2 ) Der Inhalt des im Oktober stattgehabten Notenwechsels zwischen der deutschen und amerikanischen Regierung bezog sich immer wieder auf die Entsendung Bevollmächtigter zur Aufnahme der Verhandlungen, auf das „entering into discussion", auf die einzuleitenden Besprechungen usw., und nur die schlimmste Sophistik konnte darunter etwas anderes verstehen als eine Diskussion zwischen den beiden bisher einander bekämpfenden Parteien. Um nur ein Beispiel anzuführen: noch in der Note vom 23. Oktober 1918, durch die Wilson die deutsche Revolution auslöste, ist ausdrücklich von peace negotiations die Rede: Wenn die Regierung der Ver. Staaten mit den militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten verhandeln solle, müsse sie nicht Friedensverhandlungen, sondern Übergabe verlangen („If it must deal with the military masters and the monarchical autocrats of Germany . . . . it must demand not p e a c e n e g o t i a t i o n s b u t surrender"). Wilson setzte sich also dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit aus, wenn er der deutschen Republik den E i n t r i t t in echte Friedensverhandlungen versagte. 3 ) P u n k t 1: Offene Friedensverträge, die offen zustande gekommen sind. Punkt 2 der Mount -Vernon-Rede vom 4. Juli 1918: The settlement of every question, whether of territory, of sovereignty, of economic arrangement, or of political relationship, upon the basis of the free acceptance of t h a t settlement by the people immediately concerned . . .

6 Aus dieser ersten Durchbrechung seiner Prinzipien folgten alle weiteren Wortbrüche mit logischer Notwendigkeit. Denn jener Entschluß machte das deutsche Volk zum bloßen Objekt fremder Interessen, sprach ihm die volle Rechtspersönlichkeit ab. Selbstverständlich besaßen auch weder Wilson noch seine Sachverständigen jene Kenntnis der europäischen und besonders der deutschen Verhältnisse, die sie ohne Mitwirkung der Gegenpartei instand gesetzt hätte, die ihnen gelegten Fallstricke überall zu erkennen. Endlich erscheint Wilsons anfängliche Absicht, für die getroffenen Abmachungen einzustehen, durch die Vorgänge in seiner Heimat stark erschüttert worden zu sein. Dort hatte sich die gleiche Reaktion der öffentlichen Meinung vollzogen wie in den europäischen „Siegerstaaten" nach Abschluß des Waffenstillstandes 1 ). Im November 1918 wählte das amerikanische Volk einen dem Präsidenten oppositionellen Kongreß. Der höchst einflußreiche Senator Lodge forderte im Senat am 21. Dezember ganz wie Lloyd George und Clemenceau, daß „Deutschland eine hohe Kriegsentschädigung zahlen" (also nicht nur die Verluste der Zivilbevölkerung gutmachen) sollte und „die Vereinigten Staaten ihren gerechten Anteil an diesen Entschädigungen bekommen müßten". Das Schatzamt weigerte sich, irgendwelche Neuordnung der europäischen Schulden in Betracht zu ziehen, und nahm dadurch Wilson dasjenige Argument, durch das Lloyd George und Clemenceau es leichter gehabt hätten, in Sachen der Kriegsentschädigung einiges Entgegenkommen zu zeigen 2 ). Noch im Februar 1919 hatte Wilson auf seiner Heimreise vom Schiff aus die amerikanischen Delegierten telegraphisch angewiesen, sich in der Reparationsfrage, wenn nötig, von einem Kurse öffentlich loszusagen, der, wie er sich ausdrückte, „offensichtlich unvereinbar ist mit dem, was der Feind nach den von uns mit Überlegung aufgestellten Bedingungen erwarten konnte und was wir jetzt, nur weil wir die Macht dazu haben, nicht abzuändern vermögen, ohne unserer Ehre verlustig zu gehen" 3 ). !) Baker, Band I, S. 79. 2 ) Baker, Band II, S. 287. 3 ) Baruch, „The making of the reparation". S. 25/26.

7 Aber nach Paris zurückgekehrt, betrat Wilson die Bahn der Kompromisse, und jedes dieser Kompromisse bedeutete eine Abweichung von dem Wege, der in Ehren nicht verlassen werden konnte. Zugeständnisse in der Reparationsfrage erschienen ihm nun als besonders geeignetes Mittel, um die Gegner für seine Völkerbundsidee zu gewinnen. Wilson beruhigte sein Gewissen mit der Hoffnung, daß, wenn er den Völkerbund formell zustande brächte, in diesem und in den einzusetzenden Kommissionen ein Mittel gegeben sei, um die Friedensbedingungen abzuändern und alle Ungerechtigkeiten aus dem Friedensdiktate auszumerzen, sobald die Zeit wilder Leidenschaften vorüber sei. So sind die Bestimmungen über die Reparation im 3. Teil des Friedens von Versailles entstanden. Sie sind ein gutes Beispiel für den „unsauberen Geist" 1 ), der das ganze Friedensinstrument durchzieht. Er ist voll von sophistischen Wendungen, die bestimmt sind, die Verletzungen des Vorfriedens zu verstecken. Artikel 232 verpflichtet Deutschland mit den Worten der Lansing-Note vom 5. November 1918 zum Ersatz für die Schäden der Z i v i l b e v ö l k e r u n g , durchbricht aber diesen Grundsatz sofort durch den Zusatz „ u n d überhaupt für alle Schäden, die in Anlage 1 (zu Artikel 232) aufgezählt sind", d. i. vor allem der kapitalisierte Wert sämtlicher Kriegspensionen und Renten, welche die gegen die Mittelmächte aufgebotenen Völker an Mitglieder ihrer Streitkräfte und deren Angehörige zu zahlen haben 2 ). Um die Rechtswidrigkeit dieses Anspruches zu verdecken und das „Weltgewissen" zu beruhigen, ist das Ammenmärchen 3 ) Alcide Ebray (französ. Generalkonsul u. Gesandter a. D.), „Der unsaubere Frieden" (Versailles). Autor. Übersetzung v. Nowak. Berlin 1925. 2 ) „Don't lie, but if you lie, stick to it" soll der verstorbene Admiral Fisher seinen Offizieren gepredigt haben. Aber richtig lügen ist eine schwierige Kunst, die selbst die geschulten Verfasser der Finanzbestimmungen des Versailler Diktats nicht ganz beherrschten. Denn durch das Wörtchen „und" bekennen sie, daß nach ihrer eigenen Auffassung die im Anhang zu Art. 232 aufgeführten Schäden sich nicht mit den Schäden der Zivilbevölkerung, also auch nicht mit der Lansingnote decken. 3 ) Bernard Shaw spricht in anderem Zusammenhang von „the necessity of stuffing the British people with a fairy tale as to the nature and the causes of the war". Bernard Shaw, Peace conference hints, London 1919, S. 11.

8 von dem „durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Kriege" in Artikel 231 vorangestellt, und das Anerkenntnis Deutschlands 1 ), daß es „als Urheber für alle Kriegsverluste und -schaden verantwortlich" sei. Diese Wendung deckt zwar die sämtlichen Einzelschäden, auf die Deutschlands Ersatzpflicht wegen seines wirtschaftlichen Unvermögens, a l l e Kriegskosten zu zahlen, beschränkt wird. Die Wendung würde aber, auch wenn sie wahr wäre, den Wortbruch um so weniger rechtfertigen, als ja die angebliche Schuld der Deutschen am Kriege für ihre Feinde wohl schon vor Abschluß des Vorfriedens eine ausgemachte Sache war. Außer den genannten Schäden muß Deutschland die belgischen Kriegsschulden und die sehr hohen Besatzungskosten tragen. Die juristischen Sachverständigen der Amerikaner haben unter Führung des verdienstvollen Mr. John Foster Dulles wie gegen die Einbeziehung aller Kosten, so gegen den von England ausgehenden Pensionsplan, als dem Vorfrieden widersprechend, immer wieder Verwahrung eingelegt. Sie betonten gegenüber den Franzosen, daß die Erklärung, die Lansing namens der Verbündeten am 5. November 1918 gegeben habe, durch das Waffenstillstandsabkommen — in das die Franzosen die Worte „Réparation des dommages" eingeschmuggelt hatten — nicht modifiziert werden könne. Denn das Waffenstillstandsabkommen sei ein militärisches Dokument, das die Alliierten in die Lage versetzen sollte, die früher eingegangenen Friedensbedingungen durchzusetzen. Gegenüber der Sophistik der englischen Vertreter, ihren Plan als mit der Lansing-Note in Einklang hinzustellen, machten die Amerikaner geltend, daß die den Deutschen auferlegte „Wiederherstellung der besetzten Gebiete" durch Schadensersatz für die betroffenen Zivilpersonen auch bei weitester Auslegung Pensionen und Beihilfen logischer Weise nicht einschließen könne. Die deutschen Verpflichtungen beschränkten sich auf „direkte physische Schäden an Eigentum 1

) Wohl haben die deutschen Regierungen gegen dieses Anerkenntnis immer wieder protestiert; aber schließlich wurde doch unter dem Druck des Hungers, der physischen Gewalt und der Sorge vor Zerstückelung des Reiches der Friede unterzeichnet.

9 nicht militärischen Charakters und direkte Körperverletzungen von Zivilisten" 1 ). Die w i r t s c h a f t l i c h e n Sachverständigen der Vereinigten Staaten stimmten der Aufnahme der Pensionen in die deutsche Schuldverpflichtung zwar schließlich zu, aber nur, weil sie annahmen, daß die Schuldsumme nach der Leistungsfähigkeit bestimmt und Deutschland außerstande sein werde, die Pensionen zu zahlen. Deshalb glaubten sie, die Gesamtsumme werde praktisch „lediglich die Verteilungsbasis für die eingegangenen Beträge in einer gerechter erscheinenden Weise abändern" 2 ). Ihre Voraussetzungen blieben unerfüllt, und die Schuld, daß das namens des amerikanischen Volkes gegebene Wort gebrochen wurde, trifft den Präsidenten Wilson ganz persönlich 3 ), nächst dem Obersten House, der Wilson während seiner Krankheit im Vierer-Rat vertrat und auf einen Ausgleich unter jeder Bedingung brannte. Den Ausschlag hatte das Gutachten des Burengenerals Smuts gegeben. E r machte sich zum Anwalt der Dominien, die auf einen Anteil an der Beute nicht verzichten wollten. Die Franzosen waren, als die Forderung nach voller Kriegsentschädigung an amerikanischem Widerspruch gescheitert war, gern auf den britischen Kompromiß-Vorschlag eingegangen, weil durch Einschluß der Pensionen und der Besatzungskosten „die finanziellen Forderungen auf eine hinreichend übertriebene Gesamtsumme gesteigert wurden, um den ursprünglichen Zweck zu erreichen, Deutschlands wirtschaftlichen Wiederaufbau zu verhindern" 4 ). Die Festsetzung der Schuldsumme sollte bis zum 1. Mai 1921, und zwar nicht nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit, sondern Vgl. Baruch a. a. O. S. 19, 24. ) Baker II, S. 296. 3 ) Auf die Meldung, kein einziger Jurist in der amerikanischen Delegation könne sein Gutachten zugunsten des Einschlusses von Pensionen geben, die ganze Logik spräche dagegen, rief der Präsident aus: „Logik, Logik! Ich kehre mich den Teufel an die Logik, ich werde die Pensionen mit einbeziehen." So war es, wie Keynes schreibt, „nur der Präsident und er allein, der vor den lügenschweren Notwendigkeiten der Politik kapitulierte". Vgl. Keynes, Revision des Friedensvertrages, S. 165, auf Grund der Mitteilungen eines der amerikanischen Delegierten, Mr.Lamont,in der Schrift „What really happenedatParis". 2

4

) Vgl. Baker, Band II, S. 53/54, S. 294/95; Baruch, S. 26ff.

10 auf Grund der eingelaufenen Schadensanmeldungen durch die Reparationskommission erfolgen. Die Kommission entscheidet mit absoluter Gewalt. Sie ist zugleich Ausschuß der Gläubiger, erste und letzte Gerichtsinstanz und Exekutivorgan. Bei ihrer Rechtsprechung in eigner Sache ist sie „an keine Gesetzgebung und keine Beweisvorschrift gebunden". Sie „läßt sich von der Gerechtigkeit, der Billigkeit und von Treu und Glauben leiten"! 1 ) Nach Abschluß der napoleonischen Weltkriege war ein französischer Vertreter in die damalige Kriegsschädenkommission aufgenommen worden, der gleichberechtigt mitsprechen durfte. Der deutschen Regierung steht nicht irgendein Anteil an den Beschlüssen des Ausschusses zu. Diejenige Macht, von der eine gewisse Unparteilichkeit hätte erwartet werden können, die Vereinigten Staaten, sind in der Reparationskommission nach Ablehnung des Versailler Friedens durch den Senat nicht beteiligt. Die Reparationskommission setzte (1921) Deutschlands Gesamtschuld auf 132 Milliarden Goldmark einstimmig fest. Dies geschah auf Grund eines Vergleichs zwischen dem französischen und dem britischen Vertreter. Der letztere, Sir John Bradbury, hatte die Ziffer auf 104 Milliarden Goldmark berechnet. Da die verhältnismäßig leicht nachzurechnenden Pensionen nach Keynes etwa 80 Milliarden Goldmark Kapitalwert besitzen, blieben fü-r die Sachschäden 52 Milliarden, und zwar unter Einschluß des öffentlichen Eigentums, für dessen Beschädigung nach dem Wortlaut der Lansing-Note eine Ersatzpflicht nicht besteht. Diese Summe umschließt auch die Deutschland auferlegte Haftung für Schäden, die in erster Linie von Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei zu vertreten sind 2 ). Mit Professor Keynes ist anzunehmen, daß die Bradburysche Ziffer einer wirklich unparteiischen Schätzung am nächsten kommt. Deshalb verteilt sich die von Deutschland nach dem Buchstaben des Versailler Diktats geschuldete Summe ungefähr x

) Friedensvertrag, Anlage 2 zu Artikel 233 § 11. ) Die von diesen Ländern geleisteten Zahlungen müssen also von der Gesamtsumme gegebenenfalls abgezogen werden. 2

11 nach dem Verhältnis von 74 Milliarden auf Pensionen und 30 Milliarden Mark auf die Schäden an Eigentum und Personen der Zivilbevölkerung — einschließlich des öffentlichen Eigentums —, wozu dann noch die belgischen Kriegsschulden mit etwa 6 Milliarden Mark hinzutreten 1 ). Zwei Drittel der Reparationssumme werden demnach zu Unrecht gefordert. Durch die Einbeziehung der Pensionen und Renten in Deutschlands Schuldverpflichtung ist aus einem Ersatz für die Zivilschäden eine unerschwingliche Tributpflicht von unbegrenzter Dauer geworden. Bei der in Artikel 232 vorgesehenen Tilgung innerhalb 30 Jahren würde die Jahresleistung 9,6 Milliarden Mark betragen, bei 5°/ 0 und 1 °/0 Tilgung 8,28 Milliarden. Nach der Einschätzung zu den Einkommensteuern betrug das deutsche Volkseinkommen in dem unzerstückelten Reich vor dem Kriege rund 40 Milliarden. Der geschuldete Jahrestribut beläuft sich also auf J / 5 bis 1 / i dieses Betrages. Das zum Wehrbeitrag von 1913 herangezogene Privatvermögen (von M. 10000.— aufwärts) betrug 182,35 Milliarden Mark; ohne Elsaß-Lothringen, PosenWestpreußen und Oberschlesien 170 Milliarden; bei Ausschaltung der kleinen Vermögen (bis zu M. 50000), die von der Steuer freigelassen wurden, weil ihre Träger nur ein Minimaleinkommen bezogen: 143 Milliarden. Das sind bei Berücksichtigung der Geldentwertung nach dem Kriege etwa 184 Milliarden, doch unter Abzug der Vermögensverluste infolge des Krieges und der großen Enteignungen vor 1921 und der Annexionen nicht viel mehr als die Deutschland auferlegten Reparationszahlungen. Wie sehr die von Bradbury geforderte Herabsetzung der Gesamtschuld berechtigt war, zeigt eine Prüfung der französischen Schadensrechnung und die Entscheidung, welche die Reparationskommission im Frühjahr 1921 getroffen hat. Allerdings ist man hierbei auf Kombinationen angewiesen, weil die Reparationskommission ganz im Geiste von Versailles es nicht für nötig .gehalten hat, die Gründe für ihre Entscheidung, ja nicht einmal die Entscheidungen selbst im einzelnen mitzuteilen. l

) Vgl. J. M. Keynes, Revision des Friedensvertrages, 1922. Kap. IV und V (Deutsche Ausgabe von 1922, S. 130ff.).

12 Von den 132 Milliarden Gesamtschulden, die Deutschland auferlegt wurden, entfallen 52% auf den französischen Anteil. Das sind 68,64 Milliarden Goldmark. Der Kapitalwert der französischen Kriegspensionen beträgt rund 33 Milliarden, es bleiben also 35,6 Milliarden für den Wiederaufbau des französischen Kriegsgebietes. Diese Summe ist nicht viel geringer als die von Frankreich im April 1921 angemeldete Summe der Sachschäden. Es waren 127 Milliarden Papierfrancs. Das sind nach dem damaligen Kurse (1 Mark = 3,25 Papierfrancs) 39 Milliarden Goldmark. Allerdings setzen die Franzosen eine höhere Bewertung des Franken durch mit der Begründung, daß es sich nur um eine augenblickliche Senkung des Kurses handele. In dieser Annahme bestimmte der zum Schiedsrichter berufene Amerikaner Boyden, daß 2,20 Papierfrancs als Gegenwert einer Goldmark angesehen werden sollten. So kam der Anspruch von 127 Milliarden Papierfrancs 57,7 Milliarden Goldmark gleich. Tatsächlich ist der französische Franc nach 1921 aber weiter gefallen. Bleiben wir deshalb bei dem Kursverhältnis, wie es im Augenblick der Festsetzung der Schuld bestand, so ergibt sich, daß die Reparationskommission die französische Schadensrechnung im wesentlichen als richtig anerkannt hat. Nach den amtlichen Mitteilungen in der französischen Kammer beträgt die Gesamtbelastung des französischen Staates für den Wiederaufbau bis Ende 1927 rund 86 (genauer 85,76) Milliarden Francs, wovon bis 1. Oktober 1927 72,5 Milliarden tatsächlich verausgabt waren. Der frühere erste Buchhalter der Reparationskommission George P. Auld 1 ) bewertet die 86 Milliarden Papierfrancs nach dem Durchschnittskurse der Jahre, in denen die Wiederaufbauanleihen ausgegeben wurden, auf 6,25 Milliarden Dollars = 26,25 Milliarden Goldmark und einschließlich der Zinsen auf 7,39 Milliarden Dollars = 31,04 Milliarden Goldmark. Auld nimmt diese Rechnung unbesehen für richtig an. Tatsächlich ist die Schadensrechnung in maßloser Weise übertrieben. Es ist ja menschlich erklärlich, daß alle Kreise der Bevölkerung mit George P. Auld, „The Dawes Plan and the New Economics", New York 1927, S. 316/17.

13 der Regierung zusammenwirkten, um die zerstörten Gebiete nicht nur zu entschädigen, sondern zu bereichern. „In allen Ländern sind Forderungen und Ansprüche notorischerweise exorbitant, wenn immer die Regierung für die Rechnungen gut zu stehen hat. Werden Rechnungen für die Zahlungen durch ein feindliches Land präsentiert, so wird man kaum größere Zurückhaltung erwarten dürfen 1 )." Schon im Jahre 1923 konnten denn auch die 10 verwüsteten Departements rund 20 %derfranzösischen Steuern aufbringen; dieselben Departements hatten im Jahre 1913 nur 16% aufgebracht 2 ). Professor Keynes 3 ) hat im einzelnen nachgewiesen, mit wie ungeheuren Überschätzungen die französische Regierung vor die Reparationskommission getreten ist. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der französische Ersatzanspruch von 127 Milliarden Papierfrancs (39 Milliarden Goldmark) den tatsächlichen Schaden um das 2- bis 3fache, wahrscheinlich sogar um das 4fache, überstieg. Man wird also die Schäden mit Einschluß des öffentlichen Eigentums auf 10 bis 20 Milliarden Goldmark zu beziffern haben. Wenn man die für 1927 aufgemachte Schadensrechnung (85,76 Milliarden Francs) mit der jetzt stabilisierten Parität ansetzt (1 Goldmark = 6,08 Francs), so ergeben sich 14,105 Milliarden Mark. Diese Summe entspricht auch annähernd dem 52%-Anteil an den von Keynes berechneten 30 Milliarden Gesamtschäden. Die Belgier hatten sich der gleichen Übertreibungen schuldig gemacht wie die Franzosen. Ihr Anteil an der deutschen Gesamtschuld berechnet sich mit 8% auf 10,5 Milliarden und, abzüglich der Militärpensionen, auf etwa 10 Milliarden, während der tatsächliche Schaden mit Keynes vielleicht auf die Hälfte anzusetzen ist. ') Harold G. Moulton and Cleona Lewis, „The French Debt Problem", New York 1925, S. 149. Dort werden auf Grund amtlichen Materials erstaunliche Beispiele von Überforderungen angeführt. 2 ) Moulton und Lewis, a. a. O. S. 194. 3 ) Keynes, „Revision des Friedensvertrages", Berlin 1922, S. 112—125. In seinen „Consequences of the Peace" (1920) hatte Keynes den französischen Sachschaden auf 16 Milliarden Goldmark berechnet.

14 Die deutsche Delegation vertrat in Versailles den Standpunkt, daß die Lansing-Note Deutschland nur verpflichte, „der Zivilbevölkerung der Alliierten in den von deutschen Truppen besetzt gewesenen Gebieten Belgiens und Frankreichs allen Schaden zu ersetzen, den sie infolge des deutschen Angriffes erlitten hat". Denn nur in Belgien und mittelbar in Nordfrankreich könne von einem deutschen Angriff — der freilich im Notstand erfolgte — die Rede sein. Außerdem erklärte sich Deutschland freiwillig bereit, über den Vorfrieden hinausgehend, auch für die Anleihen aufzukommen, die der belgische Staat bis zum 11. November 1918 bei seinen Verbündeten für Kriegszwecke aufgenommen habe. Zugleich stellte Deutschland das gewiß billige Verlangen, bei der Festsetzung der Schäden mitzuwirken und Streitigkeiten durch ein gemischtes Schiedsgericht unter neutralem Vorsitz entscheiden zu lassen. Der Widerspruch zwischen den wirtschaftlichen Forderungen des Friedensdiktates und der Leistungsfähigkeit Deutschlands war bewußt und gewollt. „Soweit die wirtschaftlichen Hauptlinien des Vertrages eine durchdachte Idee darstellen," schreibt Keynes, „ist es die Idee Frankreichs und Clemenceaus." Sein ganzes Ziel war, „die Uhr zurückzustellen und ungeschehen zu machen, was der Fortschritt Deutschlands seit 1870 vollbracht hatte. Durch Gebietsverlust und andere Maßnahmen sollte seine Bevölkerung beschnitten werden, vor allem aber galt es, das Wirtschaftssystem, auf dem seine Stärke beruhte, den weiten Bau, der auf Eisen, Kohle und Verkehrsmitteln errichtet war, zu zerstören . . . Daraus entspringen die sich überbietenden Bestimmungen zur Zerstörung eines hoch organisierten Wirtschaftslebens" 1 ). Aber England hat an dem Zerstörungswerk eifrig mitgearbeitet. Wie Frankreich die Vernichtung der politischen und wirtschaftlichen Stellung Deutschlands auf dem Kontinent, so wollte England die Herauslösung Deutschlands aus dem wirksamen Wettbewerb in der Weltwirtschaft und Weltpolitik. Ab*) John M. Keynes, „The economic consequences of the peace", London 1920, S. 26 und 32.

15 gesehen von der Überlastung mit Tributen, war das Hauptmittel, um dieses Ziel zu erreichen, für die Franzosen die Annexion, die Verkleinerung und Zerstückelung des Deutschen Reiches, für die Engländer die Wegnahme der deutschen Handelsflotte und aller überseeischen Anlagen und Hafenbetriebe für die Schiffahrt, die Wegnahme der deutschen Kabel, die restlose und ersatzlose Wegnahme aller deutschen Kolonien, die Vernichtung der deutschen Auslandsunternehmungen durch „Liquidation", d. h. Konfiskation ihres Vermögens und durch Auslöschung ihrer Rechte, Konzessionen, Interessen im Auslande unter Einschluß der mit Deutschland verbündeten Länder. Der volle Sinn der wirtschaftlichen Bestimmungen des Friedensvertrages wird aber erst erkennbar im Zusammenhange mit seinen völkerrechtlichen Anordnungen, weil sie den Geist jenes Dokumentes noch deutlicher kennzeichnen. Sie machen in ihrer Gesamtheit die Deutschen und ihre Bundesgenossen zu Völkern minderen Rechts, bedeuten ihre völkerrechtliche Entpersönlichung. In schneidendem Gegensatz zu dem WilsonProgramm, das die Gleichberechtigung aller Kulturstaaten in feierlichster Form anerkannte, werden den Deutschen, Ungarn, Bulgaren Rechte abgesprochen, die allen freien Völkern ohne weiteres zustehen und die sich auch die Türken zu erhalten wußten, weil sie im heldenmütigen Endkampf um die anatolische Bastion obsiegten. Die Deutschen im Reich und in Österreich, die Ungarn und Bulgaren werden entrechtet — um nur das Wichtigste hervorzuheben —: 1. Vor allem durch die einseitige Entwaffnung, die Abschaffimg der allgemeinen Wehrpflicht, das Verbot der Beschäftigung mit militärischen Angelegenheiten in allen Schulen und Hochschulen, das Verbot jeder Vorbereitung einer Mobilmachung, das Verbot aller schweren Waffen und militärischen Flugzeuge, die einseitige Entfestigung der Grenzen, die einseitige Entmilitarisierung der Rheinzone 1 ). x

) Das einseitige Verbot aller Verteidigungsmaßnahmen in einer Zone, deren Grenze 50 km östlich vom Rhein verläuft, ist von Wilson vorgeschlagen

16 Nach dem für alle Teile gleich verbindlichen Vorfrieden (Punkt 4) sollten „gegenseitige Bürgschaften für die gleiche Herabminderung der Wehrmacht auf den nötigsten Rüstungsstand, der die i n n e r e Ordnung s i c h e r t , gegeben werden. Das Versailler Diktat hat diese Verpflichtung zu der Erklärung verwässert, die deutsche Abrüstung solle „die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen möglich machen". Etwas deutlicher erklärt die Antwort der gegnerischen Mächte auf die Einwendungen der deutschen Friedensdelegation, „die Absicht, unverzüglich Verhandlungen zu eröffnen mit dem Zwecke der Annahme eines Plans für die allgemeine Rüstungsherabsetzung . . .", „welchen die genannten Mächte als eines der besten Mittel, den Krieg zu verhindern, zu verwirklichen suchen". In Übereinstimmung damit bekennen sich in Art. 6 des Friedensvertrages die Mitglieder des Völkerbundes zu dem Grundsatz, daß die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß fordert, das mit der nationalen „Sicherheit" — d. h. der Sicherheit gegen auswärtige Feinde — je nach den besonderen Verhältnissen jedes Staates vereinbar ist. Aber die Annahme aller vom Völkerbundsrat aufgestellten Abrüstungspläne unterliegt der Entscheidung der einzelnen Regierungen, und bisher sind bekanntlich alle Versuche, auch nur dem seit dem Kriege einsetzenden Wettrüsten Einhalt zu gebieten (limitation statt réduction und désarmement) gescheitert. Deutschland ist also jede wirksame Verteidigung gegen seine Behandlung als bloßes Objekt internationaler Politik, ja jede wirksame Verteidigung seiner Grenzen unmöglich gemacht. Seine im Vorfrieden auch im Hinblick auf die Rüstung anerkannte Gleichberechtigung bleibt nach wie vor zerbrochen. 2. Das von Wilson pathetisch verkündete Nationalitätenprinzip und Selbstbestimmungsrecht gilt nur für die Gegenund formuliert worden (Baker II, S. 55). Clémenceau wollte dem Reich 200000 Berufssoldaten lassen — Wilson setzte die Ziffer auf 100000 Mann herab (K. F. Nowak, „Versailles", Berlin 1927 S. 204). Lloyd George stimmte zu. Weder er noch Wilson bedachten, daß Frankreich keinesfalls abrüsten und durch sie zum ausschließlichen Herrn des Kontinents erhoben würde.

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seite, ist aber den Deutschen, Ungarn und Bulgaren versagt geblieben. In den von Deutschland abgetrennten Gebieten lebten nach der Volkszählung von 1910: 6,48 Millionen Menschen; von ihnen hatten 2,91 Mill. = 45 °/0 als ihre Muttersprache „ausschließlich deutsch" angegeben. Große geschlossene Siedlungsgebiete sind ungefragt der Fremdherrschaft unterworfen worden. Den 6 Millionen Deutschen in Österreich und den 3x/2 Millionen in der Tschechoslowakei ist verboten, sich dem Reiche anzuschließen. Am krassesten tritt die Entrechtung hervor in der Grenzziehung gegen Polen und im Weichselkorridor, der einen Landstreifen von 700jähriger deutscher Kultur und Siedlung mit dem rein deutschen Danzig im strategischen und wirtschaftlichen Interesse der Polen aus dem Körper des deutschen Reiches herausschneidet und Ostpreußen von ihm abschnürt. Für diese rohe Verstümmelung ist Wilson, getäuscht und eingeschüchtert durch Dmowski 1 ), unter Bruch des gegebenen Wortes 2 ) in Paris auf das hartnäckigste gegen Lloyd George eingetreten. Der Aberkennung des Selbstbestimmungsrechts entspricht die Behandlung der nationalen Minderheiten in den neu gebildeten Staaten. Das an sich ungenügende Minderheitsrecht wird vom Völkerbund, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen 3 ), in höchst unzureichender Weise geschützt. 1

) Wilson hatte unter dem freien Meereszugang ebenso wie die Deutschen niemals etwas anderes verstanden als die Einräumung eines gesicherten Verkehrs auf der Weichsel, etwa auch die Neutralisierung ihres Unterlaufs, und die Schaffung einesFreihafens in Danzig. Er gab Dmowskis Drängen nach langemSträuben imNovemberI918 nach, als dieser die amerikanischen Polen gegen ihn aufzuwiegeln drohte. Vgl. hierzu Roman Dmowski, „Polityka polska i odbudowanie paAstwa" (Die polnische Politik und der Wiederauf bau des Staates), Warschau 1925, S.401/402. Über die geographischen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des polnischen Korridors vgl. Dr. Johann Fürst, „Der Widersinn des polnischen Korridors" — Entgegnung auf die Schrift von Stawski, Polens Zugang zum Meer und die Interessen Ostpreußens. Berlin 1926. Ferner Johann Heiners, „Kräfte polnischer Staatsgestaltung". Posen 1926. 2 ) Punkt 13: „Der polnische Staat soll die Gebiete umfassen, die von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnt sind" und „einen freien und sicheren Zugang zum Meere" erhalten. 3 ) Dahin gehört die unparteiische Verwaltung des Präs. Calonder in Ostoberschlesien. Sering, Das Dawesabkommen. 2

18 In weitestem Ausmaß sind die Angehörigen der Minderheiten dort ohne oder gegen rein nominelle Entschädigung ihres Grundeigentums beraubt worden. Es ist bezeichnend, daß durch den polnischen Druck allein aus dem polnischen Teil von Posen und Westpreußen (ohne Danzig und ohne Schlesien) in sieben Jahren bis 1926 rund 785000 Deutsche verdrängt worden sind 1 ). Die Enteignung der Minderheiten in den Randstaaten folgte dem übereinstimmenden Vorbilde der Bolschewiki und der Westmächte. 3. Die Liquidation des deutschen Eigentums. Das Friedensdiktat hat die im Kriege unter Bruch des geltenden Völkerrechts 2 ) begangene Wegnahme des Privateigentums feindlicher Untertanen unter Einschluß der Forderungsrechte und Patente nicht bloß aufrechterhalten, sondern das Recht zu solcher Beraubung über den Zeitpunkt des Friedensschlusses hinaus und auf die abgetretenen Gebiete unter Einschluß der deutschen Kolonien ausgedehnt. Die dem Mutterland für die so Entrechteten auferlegte Entschädigungspflicht erscheint als leere Verbeugung vor dem geltenden internationalen Recht, weil man Deutschland zugleich außerstand setzte, eine angemessene Entschädigung zu leisten 3 ), und weil keine Entschädigung ersetzen Vgl. Friedrich Heideick, „Das Deutschtum in Pomereilen und Posen" in den „Deutschen Blättern in Polen". Posen 1927, Heft 5, S. 1. (Berechnet aus dem Vergleich der Volkszählungen von 1910 u. 1926.) 2 ) Das Kriegsrecht des europäischen Festlandes hatte nach alter Gewohnheit vor der privaten Rechtssphäre der Bürger des feindlichen Landes grundsätzlich haltgemacht. Auch das anders geartete common law Englands und der Vereinigten Staaten war gewohnheitsmäßig außer Kraft gesetzt und die mildere Gewohnheit in der Haager Landkriegsordnung auch von diesen Staaten anerkannt worden. Die Vereinigten Staaten waren überdies durch Artikel 23 des preußisch-amerikanischen Vertrages von 1785 (verlängert 1799 und 1818) gebunden. Die Mittelmächte haben analoge Maßnahmen stets nur als Repressalien ergriffen und als solche verkündet; indem sie so an dem Prinzip der Unverletzlichkeit des Privateigentums festhielten, haben sie verhindert, daß dieser Grundsatz durch ein neues Gewohnheitsrecht der Völkergemeinschaft außer Kraft gesetzt wurde. Vgl. „Völkerrecht im Weltkrieg 1914—1918", herausgegeben im Auftrage des deutschen Reichstags, Band IV, S. 361 ff. 3 ) Die Entschädigung hat erst 1928 in Deutschland eine gesetzliche Regelung gefunden. Der Friedenswert der ermittelten Liquidationsschäden und

19 kann, was durch die gewaltsame Vernichtung eines ausländischen Unternehmens und den Verlust persönlicher Beziehungen verloren geht. Es war zunächst eine Maßnahme des Wirtschaftskrieges, bestimmt, das Wirtschaftsleben der Mittelmächte dauernd zu schädigen und lästige Konkurrenten zu verdrängen. Da das Privateigentum feindlicher Untertanen sonst anerkannt geblieben ist, erscheint die Konfiskation des Auslandseigentums aber auch als Ausdruck der besonderen Entrechtung, die man sich den Deutschen und ihren Verbündeten gegenüber gestatten zu können glaubte. Dies Verhalten ist von der Vollversammlung der International Law Association mit Recht als ,,a relic of barbarism worth of the most severe condemnation" auf Antrag der englischen Mitglieder einstimmig bezeichnet worden 1 ). Es steht auf einer Linie mit der brutalen Vertreibung der deutschen Ansiedler und Kaufleute, die man im tropischen Afrika, in China usw. mit Weib und Kind, großenteils unter Bewachung von Farbigen, wie Sklaven auf Schiffe packte und abtransportierte. Nur die Vereinigten Staaten haben erfreulicherweise den Angriff auf das Privateigentum durch Rückgabe der beschlagnahmten Güter im Jahre 1928 grundsätzlich und tatsächlich rückgängig gemacht. 4. Die Unterstellung der Verwaltung sämtlicher deutschen Ströme außer der Weser mit ihren schiffbaren Nebenflüssen unter internationale Kommissionen, in denen überall England und Frankreich, Deutschland aber durchweg nur mit einer kleinen Minderheit vertreten ist. 5. Das Herausschneiden Deutschlands aus allen internationalen Beziehungen, in denen es bis zum Ausbruch des Krieges stand, und die Unterwerfung Deutschlands unter alle Maßder Gewaltschäden (durch Verdrängung aus den von Deutschland abgetretenen Gebietsteilen in den Kolonien oder Schäden, die im Ausland durch den Krieg verursacht worden sind) wird in dem Gesetz ohne Berücksichtigung der sogenannten Nichtsachschäden (Firmenwert, Existenzverlust) auf 7,7 -)- 2,8 = 10,5 Milliarden Mark berechnet. Die Entschädigungssätze können im ganzen nur als elend bezeichnet werden. x ) Entschließung vom 9. September 1924, zitiert bei Dr. Hugo F. Simon: „Reparation und Wiederaufbau", Berlin 1925, S. 47.

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20 nahmen, die von den alliierten und assoziierten Hauptmächten, wenn nötig im Benehmen mit dritten Mächten, zur Regelung der aus diesen Beziehungen entstehenden Folgen getroffen werden (Artikel 118, dazu die analogen Bestimmungen in Artikel 283, Artikel 31, 40, 117). „Überall dieselbe Rechtslage; Deutschland wird grundsätzlich ausgeschlossen, ist aber seine Beteiligung für die übrigen Mächte von Nutzen, dann wird sie einfach verfügt und ein etwaiger deutscher Widerspruch oder Anspruch auf Mitentscheidung von vornherein ausgeschlossen1)." Senator L. Owen hat das Verdienst, dem „neutralen Komitee zur Untersuchung der Kriegsschuld" zwei Fragen vorgelegt zu haben, deren Beantwortung wegen ihrer Bedeutung für die Wahrheit der Geschichtschreibung, für die Stabilisierung der internationalen Verhältnisse und für den Weltfrieden ihm von einschneidender Wichtigkeit erschien. Die Fragen lauteten: 1. „Gründen sich die Friedensverträge, die den Weltkrieg abschlössen, in ihren wichtigen Punkten auf die Voraussetzung, daß die eine Machtgruppe die alleinige Verantwortung für den Krieg trägt, während die andere Gruppe keine solche Verantwortung hat?" 2. „Wenn das der Fall ist, stimmt diese Voraussetzung mit den jetzt vorliegenden Tatsachen derart überein, daß das Gewissen der Menschheit die Friedensverträge ruhig hinnehmen darf als eine gerechte Bestrafung der für den Krieg einzig Verantwortlichen ?" Diese Fragen wurden von der federführenden neutralen Kommission Norwegens einer größeren Anzahl von Persönlichkeiten vorgelegt, die als Lehrer des Völkerrechts an den Universitäten neutraler Länder einen Namen haben. Gelehrte aus der Schweiz, aus Holland, aus Schweden, Finnland und Norwegen haben mehr oder weniger eingehend geantwortet, in besonders tiefgründiger Weise der Leiter der norwegischen Kommission, Dr. H. H. Aall. Die erste Frage wird von den sämtlichen GeVgl. hierzu und zum vorhergehenden Hans Gerber, Die Beschränkung der deutschen Souveränität nach dem Versailler Vertrage, Berlin 1927, S. 27 und 15 ff.

21 lehrten bejaht, und das Ergebnis der Aalischen Untersuchung gipfelt in den Worten: „Der Krieg war von seiten der Ententemächte ein Eroberungs-, teils sogar ein Vernichtungskrieg, von Seiten der Zentralmächte ein Verteidigungskrieg1)". Die Antworten zur zweiten Frage stimmen dahin überein, daß die Friedensverträge mit den in der zivilisierten Welt anerkannten Rechtsprinzipien unvereinbar sind. Man wird vergeblich in der Geschichte Europas seit Karl dem Großen nach einer Parallele zu einer gleichen Verknechtung des besiegten Volkes suchen. Die Verbindung der einseitigen Entwaffnung mit dem Monopol der wirksamsten Angriffsmittel für das Herrenvolk und mit einer Tributpflicht, die das letzte herauspreßt, bildet aber den Kern der Herrschaftsmethoden, die man seit drei Jahrhunderten gegenüber den alten Kulturgebieten der braunen Rasse geübt hat. In Britisch-Indien darf bis zur Gegenwart kein Eingeborener eine Waffe besitzen. Tankwagen, Flugzeuge und schwere Artillerie werden von Weißen bedient, und ein unaufhörlicher drain of produce hat eine tiefe Verarmung des unterworfenen Volkes zur Folge gehabt. So ist das unmittelbare Ergebnis des großen Krieges, den die Imperien für „Freiheit", „Demokratie" und „Selbstbestimmungsrecht" führten, die Gleichstellung des europäischen Kernvolkes mit den farbigen Untertanen der Kolonialmächte, wenn nicht der Form, so der Sache nach. Mit Recht haben englische Theoretiker das Wesen des Imperialismus in einem Wiederaufleben der Merkantilpolitik erblickt, d. h. dem Einsetzen der staatlichen Machtmittel für merkantile — überhaupt wirtschaftliche, besonders kapitalistische — Zwecke. Aber in den Merkantilkriegen, die dem 17. und 18. Jahrhundert ihren blutigen Stempel aufgedrückt haben, ging es um den Anteil an der Herrschaft über die farbige Bevölkerung der Tropengebiete als der ergiebigsten Quelle, aus der zu jener Zeit der Reichtum der siegreichen Kolonialmächte geflossen ist. An die Unterwerfung eines der sich konsolidierenden und miteinander rivalisierenden europäischen „Neutrale Komitees und Gelehrte über die Kriegsschuld. Antworten auf zwei Fragen des Senators Robert L. Owen, U. S. A." Oslo 1927, S. 400.

22 Nationalstaaten hat man damals nicht zu denken gewagt. Die neomerkantilistischen Eroberungskriege, die mit der Besetzung Cyperns und dem Bombardement von Alexandrien begannen, im spanisch-amerikanischen Kriege und in der Unterwerfung der Burenrepubliken ihre Fortsetzung und im Weltkriege ihren tragischen Abschluß fanden, brachten nicht nur die große Schluß aufteilung der dem Zugriff der Imperien bisher entzogenen Kolonien und politischen Depressionsgebiete, sondern gesellten die Deutschen, Ungarn und Bulgaren der ungeheuren Masse der Enterbten und Entrechteten zu. Wenn Wilson hoffte, daß der Völkerbund das in Versailles, St. Germain, Trianon und Neuilly gehäufte Unrecht zu heilen die K r a f t haben werde, so übersah er, daß durch seine eigene Nachgiebigkeit und Untreue dem Völkerbund die sittlichen Grundlagen entzogen wurden. Auch verkannte er die Wahrheit, daß Großmächte ihrem Machtstreben niemals selber eine Grenze setzen: sie muß ihnen gesetzt werden (Ranke). Allerdings konnte Wilson nicht voraussehen, daß die beiden größten Siedlungsgebiete der weißen Rasse, die Vereinigten Staaten und Rußland, außerhalb des Völkerbundes bleiben würden. In der Geschichtsperiode, die der Weltkrieg zum Abschluß brachte, hielten sechs europäische Großmächte die politische Wage im Gleichgewicht, und ihre Interessen gingen so weit auseinander, daß auch die kleineren Staaten in voller Gleichberechtigung ihre Kräfte entfalten konnten. Diese Verfassung begründete den bunten Reichtum, der Europa zum Mittelpunkt der menschlichen Kultur erhob. Es war, wie man mit Recht gesagt hat (Hintze), zwar nicht der Form, aber der Sache nach eine genossenschaftliche Verfassung 1 ). Die im Zeitalter der Eisenbahnen emporgewachsenen Weltreiche haben dieses Staatensystem zerstört und dem neuen Staatensystem die F o r m einer Genossenschaft mit demselben 1

) Auch in dem sehr oft zu Unrecht geschmähten Nationalitätenstaat Österreich-Ungarn hatten die Tschechen, die Polen, die Italiener die rechtlich gesicherte Möglichkeit, ihr Volkstum zu erhalten und zu entwickeln, in einem Ausmaße, das in der Gegenwart nur den Neid der in der Tschechei, Polen, Italien oder Frankreich eingegliederten Deutschen und Ungarn erregen kann.

23 Akt gegeben, der Geist und Wesen der Völkergenossenschaft vernichtete. Der Völkerbund ist von dem Wesen einer Genossenschaft so weit entfernt wie eine Aktiengesellschaft, deren Anteile zu 9 Zehnteln in zwei Händen sind. Die kleinen Aktionäre dürfen in der Generalversammlung Reden halten, auch einige der Ihren in den Vorstand entsenden, haben sich aber in allen wichtigen Dingen einfach zu fügen. Die Funktion ihrer Vertreter ist darauf beschränkt, ganz grobe Verletzungen des Rechts der Schwachen tunlichst zu verhindern. Obwohl im Bunde außereuropäische Staaten vertreten sind, ist seine Tätigkeit doch durchaus europazentrisch. Die größte Seemacht und die größte Landmacht der Erde geben den Ausschlag. Kolonialmächte alten Stils mit ganz überwiegend farbigen Untertanen, stützen sie ihre überragende Stellung in Europa auf die Entwaffnung Deutschlands. Der französische Militarismus bestimmt den Kurs auf dem Festlande. Denn Frankreich hat seine schon in Versailles begründete ungeheure Übermacht durch Militärbündnisse mit Belgien, Polen, der kleinen Entente ausgebaut. Die Aufrechter haltung der ,,Sicherheit" und des „Friedens" bedeutet, wie seine Staatsmänner immer wieder erklären, Aufrechterhaltung der „Verträge", also Verewigung der Entrechtung der im Weltkrieg Besiegten. England, dem sich das Land der langen Küsten, Italien, anschloß, hat überwiegend außereuropäische Interessen, ist aber durch Deutschlands Entwaffnung und die Entwicklung der Flugtechnik auf das Zusammengehen mit Frankreich angewiesen. Die im Kriege erworbene Vormachtstellung der beiden Reiche in Europa, Afrika, Nord- und Südasien läßt sich bis auf weiteres nur durch ein Kondominium aufrechterhalten. Deshalb hat England in europäischen Angelegenheiten immer wieder den französischen Machthunger gewähren lassen. Ob der Versuch Deutschlands, im Locarnovertrag vom 1. Dezember 1925 ein freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich auf dem Boden der Gleichberechtigung herzustellen, von Erfolg sein wird, muß leider den stärksten Zweifeln begegnen. Der feierliche Verzicht Deutschlands auf jede gewaltsame Änderung der Westgrenzen — ein

24 Verzicht, den kein Franzose, wie Briand anerkannte, in entsprechender Weise von 1871 bis 1914 jemals zugestanden hätte — und die Garantie Englands und Italiens nicht nur für den territorialen status quo, sondern auch für die einseitige Entwehrung der Rheinzone bis 50 km östlich des Stromes ist mit der Berufung Poincares an die Spitze der Regierung und mit einer Militärvorlage beantwortet worden, die den Gedanken des Volkes in Waffen auf die Spitze treibt und das Bestreben zum Ausdruck bringt, auch in Zukunft die schlagkräftigste Offensivarmee in Europa zu besitzen1. Die gegen einen polnischen Angriff aufgeworfenen kleinen Infanterieunterstände an der deutschen Ostgrenze mußten beseitigt werden, während der gewaltige Festungsgürtel Frankreichs längs seiner Ostgrenze mit großem Aufwand unter Einbeziehung Belgiens ausgebaut wird. So wird das entmilitarisierte Rheingebiet zu einem großen Angriffsglacis. Nicht einmal eine fühlbare Minderung — geschweige denn Beseitigung — der durch das Dawesabkommen ganz überflüssig gewordenen und verhaßten Besatzungstruppen im Rheinland konnte erreicht werden. Die Zweiteilung Europas in bewaffnete und wehrlose, vollberechtigte und minderberechtigte Völker verurteilt den Kontinent zu dauernder Friedlosigkeit und wirtschaftlichem Siechtum. Solange der Geist von Versailles das europäische Völkerrecht beherrscht, wird er jedes aufkeimende Solidaritätsgefühl ersticken, ohne das ein freier Verkehr unter den europäischen !) Die bedeutende Herabsetzung der Stärke des aktiven Heeres gegenüber 1913 — damals wurde die dreijährige Dienstzeit als Vorbereitung für den beabsichtigten Krieg gegen Deutschland eingeführt — ist die Folge der auf 1 Jahr gekürzten Dienstpflicht. Die beschleunigte Ausbildung bedeutet aber nach den Worten des Generals Girod nichts anderes als „die Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen aktiver Armee und Reserve, die Verschiebung des Schwerpunktes der mobilen Kräfte von dem Kasernenheer nach dem ausgebildeten Volke", vgl. Generalmajor a. D. v. Frankenberg und Proschlitz, „Was sie vergaßen!", Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 581 vom 13. XII. 27. Die angebliche Abrüstung ist von einer gewaltigen Mehrung der Kriegsmaschinerie begleitet und bedeutet tatsächlich die ungeheuerste Verstärkung der französischen Kriegsmacht.

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Völkern, geschweige denn eine lebendige überstaatliche Organisation, sich nicht entfalten kann. In breiten Kreisen des deutschen Volkes vermag die Hoffnung auf den schließlichen Sieg des Rechtes über die Gewalt keine andere Tatsachengrundlage zu finden als die Anfänge der großen Emanzipationsbewegung, welche die im Osten Eurasiens zusammengeballte Bevölkerung von rund einer Milliarde Menschen ergriffen hat. Aber die Mehrheit des deutschen Volkes hat sich in dem ihm oft vorgeworfenen mangelnden Sinn für die dürre Wirklichkeit den tiefen Glauben an die sieghafte Macht der Ideen und den Glauben an seine Zukunft nicht rauben lassen. Nur aus dieser Volksseele heraus ist die dem Kriege folgende Entwicklung zu verstehen.

K a p i t e l II.

Von Versailles bis zur Einsetzung der Dawes - Kommission. Am 2. August 1924 lud der englische Ministerpräsident MacDonald „als Vorsitzender der jetzt in London versammelten interalliierten Konferenz" die deutsche Regierung ein, „Vertreter zu ernennen, um mit der Konferenz die besten Methoden zur Inkraftsetzung des Dawesberichtes vom 9. April 1924 zu erörtern (discuss), den die alliierten Regierungen als Ganzes angenommen haben und der von der deutschen Regierung in ihrem Schreiben an die Reparationskommission vom 16. April angenommen worden ist". Zehn Jahre nach Ausbruch des Weltkrieges existierte also noch der Begriff der gegen Deutschland alliierten Regierungen. Es ist das ein Ausdruck, den Talleyrand 1 ) auf dem Wiener Kongreß als eine Beleidigung für das geschlagene, aber gleichberechtigte Frankreich mit Erfolg abgelehnt hatte. Erst durch das in London abgeschlossene Abkommen vom 30. August 1924 ist auf Grund einer in den hergebrachten Formen geführten Verhandlung mit den „Alliierten" der Kriegszustand beendet worden. Die K o s t e n des W i e d e r a u f b a u e s u n d die Leistungen.

deutschen

Daß die Liquidation des Krieges nach dem Waffenstillstand sechs J a h r e in Anspruch nahm, war zu einem wesentlichen Teil in den Reparationsbestimmungen des Versailler Diktats begründet. Wenn in Versailles nach Treu und Glauben verfahren worden wäre, so würde sich die deutsche Reparations!) Gerber, a. a. O. S. 25.

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Schuldsumme ohne die belgische Kriegsschuld und ohne Berücksichtigung der deutschen Zahlungen auf etwa 30 Milliarden Goldmark beziffern1). 30 Milliarden waren die Forderung, auf welche auch die deutsche Friedensdelegation in Paris rechnete. Der weitaus größte Teil dieser Summe ist unzweifelhaft schon vor dem Einbruch der Franzosen und Belgier in das Ruhrgebiet abgezahlt worden. Eine amtliche deutsche Aufstellung2) berechnet die Leistungen auf Reparationskonto bis Ende 1922 auf 41,6 Milliarden Goldmark, die Reparationskommission bis zum selben Datum freilich nur auf 8 Milliarden. Daneben liegen einige private Berechnungen von unparteiischer Seite vor. Das Institute of Economics in Washington kommt auf Grund sorgfältiger Analysen zu dem Urteil, daß Deutschland bis zum 30. September 1922 durch Erfüllung des Vertrages an anrechnungsfähigen Werten 25 bis 26 Milliarden geleistet hat. Professor Keynes gelangt auf anderem Wege ungefähr zur gleichen Ziffer3). Das Institute of Economics hält die deutschen Berechnungen in vielen Fällen für zu hoch, die Aufstellungen der Reparationskommission aber seien zugestandenermaßen nicht vollständig und die von ihr angewandte Berechnungsmethode „rechtlich unhaltbar" (legally unsupportable)4): Die Reparationskommission berechnet den Wert eines Gutes zu dem Preis, den es bei öffentlicher Versteigerung erzielen würde. Diese Schätzungsmethode wirkte sich in dreifacher Weise zuungunsten Deutschlands aus: 1. In der ganzen zivilisierten Welt gilt der Grundsatz, daß bei Enteignung der Wert einzusetzen ist, den das Gut f ü r d e n E n t e i g n e t e n hat. Dieser Grundsatz wurde auch bei der Berechnung des von Deutschland zu vertretenden Schadens an französischem Eigentum restlos durchgeführt. Aber bei den riesenhaften Enteignungen, denen deutsches Vermögen nach dem Kriege unterworfen wurde (Berg- und Hüttenwerke, Fabriken in den annektierten Gebieten, Schiffe und Kabel, Auslandsunternehmungen und -kapitalien usw.) wurde Vgl. oben S. 10 ff. ) Auf Grund amtlichen Materials in der Schrift von Lujo Brentano „Was Deutschland gezahlt h a t " , Berlin 1924. 2

3 ) Vgl. Moulton und McGuire „Germany's Capacity to pay", Nachtrag von R. Kuczynski, S. 307. 4 ) H. C. Moulton and C. E . McGuire, ib. Chapter I I I and Append. D.E.F.

28 der entgegengesetzte Grundsatz in Anwendung gebracht. Es wurde nur derjenige Betrag den Deutschen gutgeschrieben, den das enteignete Gut für den neuen E r w e r b e r nach Meinung der Reparationskommission besaß. Sie bewertete die enteigneten Saarkohlenfelder nur auf 300 Millionen Mark, Deutschland auf 1,016 Milliarden Mark. Da der einzige natürliche Markt für die Saarkohle Deutschland ist, muß ihr Wert für Deutschland größer sein, als für irgendeinen anderen Staat. 2. Das Wirtschaftsgut wird als E i n z e l s t ü c k bewertet und nicht als Bestandteil eines Wirtschaftsgefüges. Deutschland bezifferte den Wert der abgelieferten Binnenschiffe auf wenigstens 106 Millionen Goldmark, die Reparationskommission nahm hierfür nur 21 Millionen an. In ihrer Berechnung sind die Schiffe weder als Bestandteile eines laufenden Betriebes aufgefaßt noch die Kosten ihres Ersatzes berücksichtigt. 3. Die Reparationskommission berechnet den Wert nicht, wie es im kaufmännischen Leben üblich ist, für den Augenblick der A b l i e f e r u n g , sondern für die Z e i t der S c h ä t z u n g . Für die Bewertung der Handelsmarine setzte Deutschland die Preise ein, die bei der Ablieferung der Schiffe (1919-1920) galten, die Reparationskommission die Versteigerungspreise, die zur Zeit einer schweren Krise in der internationalen Schiffahrt erzielt wurden. Dort ergaben sich 5,753 Milliarden Goldmark, hier die Bagatelle von 749 Millionen! Es galten aber die entgegengesetzten Grundsätze, wenn diese das Ergebnis für Deutschland ungünstiger gestalteten. Für die gewaltigen Kohlentribute wird schon nach dem Vertrage von Versailles die Berechnung nicht nach dem Weltmarktpreise, sondern nach demjenigen Werte vorgesehen, den sie für den Inlandmarkt haben, und dieser Wert sank in der Inflationszeit auf einen ganz minimalen Betrag. Man darf aber auch nicht die umfangreichen Betrügereien außer acht lassen, die sich „Treuhänder" und Verwalter bei der Verwertung des beschlagnahmten deutschen Privateigentums zuschulden kommen ließen. Die Manipulationen des amerikanischen Verwalters des deutschen liquidierten Eigentums haben Aufsehen erregt. Aber es scheint, als würden sie weit in den Schatten gestellt durch die Mißbräuche bei der Verwertung des deutschen Eigentums in Elsaß-Lothringen. Die auf Veranlassung des elsaß-lothringischen Abgeordneten Schumann im Jahre 1924 eingesetzte Enquete-Kommission hat ihre Untersuchungen im Jahre 1927 abgeschlossen1). Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Bestellung der Sequester und der Liquidatoren in den meisten Fällen ganz offenbar lediglich dem Ziele gedient habe, einzelnen Persönlichkeiten die private Bereicherung möglich zu machen. Im Gegensatz zum übrigen Frankreich erfolgte in Elsaß-Lothringen die Verwertung nicht durch freien Verkauf an den Meistbietenden, sondern nach Methoden, die der Untersuchungsbericht als der a b s o l u t e n W i l l k ü r a n g e n ä h e r t bezeichnet. Die Berichterstatter J ) Vgl. „Die Milliardenschiebungen in Frankreich". Auf Grund des amtlichen Berichts. Deutsche Allgemeine Zeitung v. 23. März 1928.

29 erklären, sie hätten es sich nicht vorzustellen vermocht, daß Schiebungen solchen Ausmaßes in einem gesunden Staatswesen überhaupt geschehen könnten. I n drei Fällen, welche die Kommission mitteilt, wurde berühmter deutscher Bergwerks- und Hüttenbesitz (in Rombach, Hagendingen, Knuttingen), der in der Vorkriegszeit mit 1,4 Milliarden Mark zu Buche stand, im Jahre 1919 für 480 Millionen Francs veräußert. Nach Abzug der nachträglich zugestandenen Preisnachlässe, der Gebühren und Honorare (im ganzen 300 Millionen Francs) werden der Liquidationskasse nicht mehr als 180 Millionen Francs (35 Millionen Mark = 2,5°/o des Vorkriegs wertes) zufließen, und zwar erst im Laufe von 20 Jahren und nur während der letzten 5 Jahre mit 3°/o verzinslich. Für alle diese Mißstände trägt in erster Linie der damalige Oberkommissar für Elsaß-Lothringen und spätere Präsident der französischen Republik Millerand die Verantwortung.

Es erscheint dringend erforderlich, daß sowohl die Schätzungsmethoden der Reparationskommission als die finanzielle Tragweite der erwähnten Betrügereien unparteiischer Nachprüfung unterworfen werden. Sie haben nicht nur die 40000 Deutschen, die man in Elsaß-Lothringen ihres Eigentums beraubte, betroffen. Aus den Erlösen konnten nicht einmal die Ansprüche der französischen Gläubiger befriedigt werden, und ein Überschuß der französischen Liquidations und Ausgleichskassen, der nach einem Abkommen vom 22. Dezember 1926 an Deutschland zurückgegeben werden sollte, blieb nicht übrig. Die anrechnungsfähigen Leistungen Deutschlands übertreffen den Wert der Gold- und Silberfunde, die einst die spanischen Konquistadoren in Mittel- und Südamerika berauschten. In drei Jahrhunderten (von 1493 bis 1800) haben nach Lexis' Berechnungen die Bergwerke Südamerikas und Mexikos etwa 63/4 Milliarden Mark in Gold und, wenn man das Wertverhältnis von Gold und Silber zu l / 1 5 annimmt, etwa 163/4 Milliarden Mark in Silber geliefert — insgesamt also rund 231/a Milliarden Goldmark 1 ). 1

) Lexis („Beiträge zur Statistik der Edelmetalle nebst einigen Bemerkungen über die Wertrelation", Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1877) gibt die Ausbeute an Gold auf 2420 Tausend Kilogramm, an Silber auf 90,2 Millionen Kilogramm an. Das Wertverhältnis beider Metalle liegt im Anfang des betrachteten Zeitraums zwischen 11 : 1 und 12 : 1, seit 1637 etwa bei 15 : 1 (Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Bd. III, S. 582).

30 Die südafrikanischen Goldbergwerke und Diamantenfelder, deren Besitz den Burenrepubliken die Unabhängigkeit kostete, lieferten unter Einschluß von Rhodesien von 1886 bis 1925 einen Ertrag von rund 22 Milliarden Goldmark1). Unter den 26 Milliarden nach dem Versailler Diktat auf Reparationskonto anrechnungsfähigen deutschen Leistungen 2 )sind die Hauptposten:, liquidiertes Privateigentum (mit 1 OMilliarden Mark eingesetzt), Staatseigentum (5 Milliarden Mark), Handels- und Fischereifahrzeuge (3,5 Milliarden Mark), Eisenbahnmaterial und nichtmilitärischer Rücklaß an der Westfront (2,6 Milliarden). N i c h t a n r e c h n u n g s f ä h i g sind die oft unsinnigen Zerstörungen zum Zwecke der militärischen und industriellen Abrüstung (fast 9 Milliarden), die abgelieferten Kriegsschiffe (1,4 Milliarden), der nichtmilitärische Rücklaß an der Ostfront (über 1 Milliarde), die inneren Besatzungskosten (0,89 Milliarden) — nach Brentano im ganzen 14,3 Milliarden. Weitaus am schwersten aber wiegen die Verluste an Land und Kapital durch die A n n e x i o n e n , Einbußen, für die ebenfalls nicht ein Pfennig angerechnet wird, obwohl sie den fremden Volkswirtschaften sehr hohe Werte zuführten. Diese Verluste übertreffen an Größe und Nachhaltigkeit weitaus alle Schäden, die in den Kriegsgebieten erwachsen sind. Vom französischen Staatsgebiet waren nie mehr als 4,7 °/0 besetzt und sind auch nur teilweise von Freund und Feind zerstört worden. Deutschland hat 12,44°/0 seines Gebietes entschädigungslos verlören. Die Zerstörungen im Kriegsgebiet sind mit Hilfe der deutschen *) Die Angaben für die Zeit von 1886 bis 1900 entnehmen wir dem Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd. IV, S. 1172, für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts: Woytinsky, „Die Welt in Zahlen", Bd. IV, S. 194; den Wert der südafrikanischen Diamanten schätzen wir nach demselben Verfasser (a. a. O., S. 210), der den Wert des Weltvorrates an Diamanten auf eine Milliarde Dollar und den Anteil Südafrikas daran auf 82°/0 beziffert. 2 ) Moulton und McGuire schließen aus ihrer Aufstellung auch die Beträge aus, die Deutschland am Ende des Krieges von seinen Verbündeten zu fordern und an die Siegerstaaten abzutreten hatte (8,6—11,6 Milliarden Mark nach deutscher Schätzung), ferner den Anteil der abgetretenen Gebiete an der öffentlichen Schuld (Va Milliarde Mark) und einen Teil des liquidierten Auslandseigentums.

31 Leistungen beinahe vollständig wieder ausgeglichen, die territorialen Verluste des deutschen Wirtschaftskörpers eine unheilbare Wunde. Wert und Produktivkraft der abgetretenen Grenzgebiete übertreffen weit den Reichsdurchschnitt. Deutschland verlor nach dem Stande von 1913: 15,4°/ 0 der Ackerländereien, 16,4°/ 0 der Weizenflächen, 17,7 ü / 0 der Roggenfelder, 24°/ 0 der Weinberge, 25,9°/ 0 der Steinkohlenproduktion, 68,3°/ 0 der Gewinnung von Zinkerzen, 74,5°/ 0 der Eisenerzproduktion. Von den vier auf Eisen und Kohle errichteten Industriegebieten sind zwei (Lothringen, Oberschlesien) endgültig, das SaarRevier bis zur Volksabstimmung von 1935 dem deutschen Wirtschaftskörper entrissen. Eines nur, das Ruhrbecken, blieb in deutschem Besitz. Die Deutschland entzogenen Kolonien befanden sich in bester Entwicklung, sie hatten den 5,4fachen Umfang der Heimat. Auch dort wurden sehr große Realkapitalien konfisziert. Man hat die Annexions-Absicht in die Form des Völkerbunds-Mandates gekleidet und auf diese Weise jede Anrechnung der weggenommenen Werte ausgeschaltet. Für den Sachwert der Kolonien liegt eine ganze Reihe von englischen Schätzungen vor. Sie beziffern ihn auf 100 Milliarden Goldmark und noch weit darüber hinaus. Morel schätzte ihn höher als die gesamten Kriegskosten der Alliierten 1 ). So hatte Deutschland die höchste je entrichtete Kriegsentschädigung geleistet. Sie ist mit 200 Milliarden Goldmark keineswegs zu hoch veranschlagt. Während die Siegerstaaten die Grundlagen ihres Wirtschaftslebens mächtig ausweiteten, verengte sich der deutsche Lebensraum und mit ihm das deutsche Volkseinkommen, aus dem alle laufenden Zahlungen geleistet werden müssen. Die Gütererzeugung wurde in den ersten Jahren nach dem Kriege um so tiefer herabgedrückt, als das Land schon während des Krieges infolge seiner Abschließung besonders schwer gelitten hatte. Mit Recht bemerkt der englische Historiker der Pariser Friedenskonferenz: „Obwohl das Vgl. Arthur Dix, „Was Deutschland an seinen Kolonien verlor". Berlin. S. 52 und 4.

32 Land der Invasion entgangen war, befand es sich näher an einem vollständigen ökonomischen Zusammenbruch als irgendeines der alliierten Länder. Außer Kohle und Eisenerzen waren seine Vorräte an Rohmaterialien fast vollständig erschöpft", die Bergwerke und die Fabriken größtenteils heruntergewirtschaftet, „der landwirtschaftliche Boden entkräftet durch den Mangel an Dungstoffen", die lange Abwesenheit aller waffenfähigen Männer, der meisten kriegsbrauchbaren Pferde. Die Nutzviehbestände waren dezimiert. „Die Nahrungsrationen genügten seit zwei Jahren nicht mehr, einen normalen Gesundheitszustand aufrechtzuerhalten." Dabei wurde die völkerrechtswidrige Blockade noch dreiviertel Jahr nach dem Waffenstillstand mit überflüssiger Grausamkeit fortgesetzt. Diese Blockade hat mehr als 800000 Zivilpersonen das Leben gekostet. „Das Arbeitsangebot war verringert nicht nur durch Kriegsverluste, sondern durch den Wegfall der jährlichen Zuwanderung von Polen und Russen, auf die Deutschland einen großen Teil seiner landwirtschaftlichen Arbeiten vor dem Kriege stützte. Was übrigblieb, war schwer getroffen durch die mehrjährige Unterernährung und durch den Zusammenbruch der Disziplin, welche die Revolution begleitete." 3 ) Nimmt man endlich hinzu, daß das Rheinland von einer ungeheuren Besatzungsarmee ausgesogen und gequält wurde, in das verbliebene Reichsgebiet fast alljährlich fremde Truppen einbrachen und Aufstände anzuzetteln versuchten, so ist leicht verständlich, welche Schwierigkeiten es bereiten mußte, von dem so getroffenen Volke noch jährlich Tribute zu erpressen. Um die gewaltigen Kohlentribute zu leisten, mußten im Becken der Ruhr 138000 Bergleute neu eingestellt3) und angesiedelt werden. Der überaus niedrige Stand der Volksernäh1)

S. auch Fußnote 2 ). Die zwischen den Zitaten eingeschobenen Sätze sind vom Verf. hinzugefügt. 2 ) Zitate aus H. W. V. Temperley, „A history of the peace conference of Paris." London 1920 Vol. II, S. 51. 3 ) Im Oberbergamtsbezirk Dortmund wurden 1913: 397, 1919: 388, 1922: 526 Tausend Personen im Bergbau beschäftigt.

33 rung in Deutschland konnte in der Zeit nach dem Waffenstillstand bei höchst passiver Handelsbilanz nur dadurch aufrecht erhalten werden, daß 1. die Reichsbank den größten Teil ihrer Goldreserven hergab, 2. Wertpapiere und Grundeigentum an Ausländer verkauft wurden und 3. vor allem Auslandskapitalien in größtem Umfange einströmten, und zwar infolge einer Riesenspekulation in Papiermark. Etwa 1 Million Ausländer beteiligten sich daran, hauptsächlich durch Erwerb von Markguthaben in Deutschland, die dann durch den Ruhreinbruch der Franzosen und Belgier völlig entwertet wurden. Der McKenna-Bericht berechnet die Einnahmen aus diesen drei Quellen für die Zeit von 1919 bis Ende 1923 auf 1,5 -f- 1,5 -j- 7,6 bis 8,7, zusammen auf 10,6 bis 11,7 Milliarden Goldmark. Diesen Summen standen ein Fehlbetrag aus der Handelsbilanz und bare Reparationszahlungen von zusammen 9 bis 10 Milliarden Mark gegenüber; der Überschuß von 1,6 bis 1,7 Milliarden reichte aber nicht entfernt aus, um die aus der Kriegszeit stammenden Auslandsverbindlichkeiten (etwa 13 Milliarden Goldmark) zu decken. Den Alliierten boten sich zwei Wege für die „Reparation". Entweder zogen sie aus Deutschland alles heraus, was in kurzer Zeit herauszuziehen war und überließen dann das nacktgefegte Land seinem Schicksal. Oder aber sie versorgten das zerstückelte und ausgehungerte Land mit Nahrung und Rohstoffen, um es zu befähigen, durch erweiterte Exporte die auferlegte Entschädigung abzuzahlen, nachdem es sich erholt hatte 1 ). Man zog es vor, beide Wege gleichzeitig zu beschreiten. Die Kuh sollte, wie Lloyd George einmal bemerkte, zugleich Milch und Beefsteaks liefern. Das Friedensdiktat forderte eine Abschlagszahlung, die mit 20 Milliarden Mark von Mitte 1919 bis zum I . M a i 1921 nach Anordnung der Reparationskommission zinslos entrichtet werden sollte, um den Siegerstaaten die „Wiederaufrichtung ihres gewerblichen und wirtschaftlichen Lebens" zu ermöglichen (Art. 235). Die große Ausplünderung Deutschlands an Kapitalgütern in den ersten beiden Jahren nach dem Friedensschluß So: Temperley a. a. O. II. S. 52. Sering, Das Dawesabkommeo.

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34 hat, wie oben nachgewiesen, jene Abschlagssumme mehr als gedeckt. Die deutschen Leistungen schlössen auch schon große Lieferungen von Kohle und ihren Nebenprodukten, von Farbstoffen, Maschinen, Holz usw. ein, Sachleistungen, welche der Idee nach aus der Jahresproduktion zu entrichten waren, aber in einer Zeit furchtbarster Minderung des Volksvermögens und tiefer Notlage der Bevölkerung die Produktion von dem Notwendigsten, der Beschaffung von Lebensmitteln durch intensiven Landbau oder durch Fabrikatenexport ablenkte. D i e F e s t s e t z u n g der [deutschen R e p a r a t i o n s s c h u l d u n d der J a h r e s t r i b u t e . Die regelrechten Jahrestribute sollten am 1. Mai 1921 ihren Anfang nehmen. Um ihre Feststellung entbrannte ein lebhafter Streit auf den zahlreichen interalliierten Konferenzen, die der endgültigen Beschlußfassung in London (1921) vorausgingen. Wohl fanden sich, wie auf der Friedenskonferenz, so auch jetzt Männer, welche begriffen, daß „die wirtschaftliche Wiederherstellung der besiegten Völker im Interesse Gesamteuropas liege" (Nitti am 9. Mai 1920). Der Ausbruch der internationalen Wirtschaftskrisis im Jahre 1920 mehrte die Stimmen in der englischen Geschäftswelt, die zum Maßhalten rieten. Die Vereinigten Staaten weigerten sich grundsätzlich, vor Regelung der Reparationsfrage zur Wiederherstellung des europäischen Wohlstands Kredite zu geben. Auch in einzelnen französischen Köpfen erwachte die Erkenntnis, daß es notwendig sei, mit Deutschland zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu kommen, wenn man die Gefahr des baldigen Zusammenbruchs der europäischen Zivilisation abwenden wollte 1 ). Aber immer wieder überwog die Furcht, das sich wiederaufrichtende Deutschland könne in 10 oder 20 Jahren dem geschwächten Frankreich ein gefährlicher Gegner werden. Auch scheute sich die Regierung, den Steuerzahlern zu gestehen, daß die Finanznot Frankreichs durch die deutschen Zahlungen allein nicht zu beheben sei. Frankreich !) Vgl. Bergmann a. a. 0. S. 73.

35 aber hatte den Vorsitz und damit den Haupteinfluß in der Reparationskommission, und in allen Konferenzen behielt sein zäher Wille, Deutschland dauernd niederzuhalten, dank Frankreichs militärischer Übermacht und dem advokatorischen Geschick seiner Vertreter die Oberhand. Konnten sich die Alliierten über die Höhe der aufzuerlegenden Tribute nicht einigen, so forderten sie regelmäßig die deutsche Regierung auf, selber anzugeben, wieviel sie jährlich zahlen könne. Die oft sehr weitgehenden deutschen Angebote aber waren fast immer an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die zu erfüllen die Machthaber nicht gewillt waren, auf weitere territoriale Abtretungen (Oberschlesien) zu verzichten, die Privatvermögen freizugeben, die Beschränkungen im Welthandel fallen zu lassen. Alle deutschen Angebote wurden mit Schimpf und Schande verworfen oder mit „Sanktionen" beantwortet (Bergmann). So kam auch die endgültige Festsetzung der deutschen Tributpflicht unter erneuter Bedrohung mit physischer Gewalt zustande. Die Unterwerfung unter die „Pariser Beschlüsse" vom 29. Januar 1921 (Jahresleistung in den ersten 11 Jahren vom 1. Mai 1921 an steigend von 2 auf 6 Milliarden Goldmark, die 31 Jahre hindurch entrichtet werden sollten, außerdem für die ganze Zeit 12% des deutschen Ausfuhrwertes) wurde durch das erste Londoner Ultimatum vom 3. März 1921 und die ihm immittelbar folgende rechtswidrige Besetzung der drei Zugänge zu dem letzten noch von feindlichen Truppen freien Steinkohlenbecken der Ruhr erzwungen 1 ). Zugleich wurde eine Zollinie zwischen dem besetzten und unbesetzten Gebiet gezogen, die vom 8. April bis 1. Oktober 1921 bestand, und die englische Regierung ermächtigt, vom Werte der deutschen nach England ausgeführten Waren eine Abgabe zu erheben, die zugleich die Aufgabe eines Schutzzolles zu erfüllen geeignet war. 1 ) Die Besetzung von Duisburg, Ruhrort und Düsseldorf war schon deswegen rechtswidrig, weil Deutschland nicht vor dem 1. Mai 1921 in Zahlungsverzug sein konnte.

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36 Ein zweites „Londoner Ultimatum" vom 5. Mai 1921 forderte unter Androhung der Besetzung des Ruhrgebietes selbst die Anerkennung der von der Reparationskommission am 27. April auf 132 Milliarden Goldmark fixierten Reparationsschuld und die Annahme eines neuen, gegen die „Pariser Beschlüsse" etwas ermäßigten Z a h l u n g s p l a n e s : Deutschland behändigt der Reparationskommission 132 Milliarden Schuldverschreibungen, die mit 5% zu verzinsen und 1% zu tilgen sind. Aber die Kommission gibt 82 Milliarden davon (C-Bonds) nicht vor Sicherung des Zinsendienstes für die ersten 50 Milliarden (A- und B-Bonds) aus. Für die Verzinsung und Tilgung der letzteren sollten (statt der festen Summe von 3 Milliarden) alljährlich 2 Milliarden Goldmark und 26% vom Wert der deutschen Ausfuhr entrichtet werden. Bemessen nach den tatsächlichen von der Handelsstatistik festgestellten Ausfuhrwerten, hätte die Gesamtleistung für die Jahre nach der Währungsbefestigung (1924—1926) 3,70—4,26 und 4,54 Milliarden Goldmark betragen, nach den ganz unsicheren Schätzungen für 1923: 3,56 Milliarden. Die sämtlichen Steuern für Reich, Staat und Gemeinde hatten im unzerstückelten Deutschland 1914: 4,4 Milliarden Mark eingebracht! Für das erste Halbjahr sollte als feste Leistung 1 Milliarde Goldmark bar (bis zum 1. August 1921) entrichtet werden. Außerdem mußte sich Deutschland über den Versailler Vertrag hinaus verpflichten, in Anrechnung auf die Jahresleistungen Material und Arbeiten nicht nur für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, sondern auch zur F ö r d e r u n g d e r W i r t s c h a f t der alliierten Mächte zu liefern.

Obwohl in Deutschland niemand an die Erfüllbarkeit dieser Forderungen glaubte, wurde das Ultimatum aus Furcht vor der angedrohten Ruhrbesetzung und unter dem Eindruck des dritten, von den Franzosen und Polen angefachten oberschlesischen Aufstandes nach Übernahme der Kanzlerschaft durch Wirth vom Reichstage mit schwacher Mehrheit angenommen. Deutschland schuldete nunmehr 1. einen Jahrestribut, der, wie sich bald herausstellte, seine Leistungsfähigkeit weit überstieg, und 2. ein Kapital von 138 Milliarden 1 ), von dem diese Zahlungen nur ein Drittel (genauer 36,2%) verzinsten und tilgten. Da für den Rest die Zinsen zum Kapital geschlagen wurden, war die Folge, daß, selbst wenn es gelang, die Annuität restlos aufzubringen, die deutsche Schuld sich nicht nur nicht verringerte, sondern schnell weiter anstieg. Hier zeitigte der Ver1

) Einschl. der belgischen Kriegsschuld von rund 6 Milliarden.

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trag von Versailles seine giftigste Frucht. Die Einbeziehung der Pensionen in die Schuldsumme bewirkt, daß Deutschland immer tiefer in Schulden hineingerät. Alle Gutschriften, die die Reparationskommission gewährt, fallen gleichsam ins Leere. So sprach das Londoner Ultimatum die Verewigung der deutschen Hörigkeit (economic bondage) aus, wie Harold G.Moulton 1 ) das Verhältnis mit Recht bezeichnet, und an diesem fein ausgeklügelten Mechanismus hat auch das Dawes-Abkommen nichts geändert. Die deutsche E r f ü l l u n g s p o l i t i k . Neben den Reichskanzler Wirth t r a t als sein vertrautester Berater in allen finanziellen und außenpolitischen Fragen Walter Rathenau — zunächst als Minister für den Wiederaufbau. Beide Männer waren entschlossen, das Äußerste zu tun, um den Anforderungen des Londoner Diktats zu genügen. „Ich halte sie nur für erfüllbar," bemerkte Rathenau, „wenn wir entschlossen sind, uns in tiefe Not zu begeben. Darauf kommt es an . . . Es gibt keine absolute Unerfüllbarkeit, denn es handelt sich lediglich darum, wie tief man ein Volk in Not geraten lassen d a r f 2 ) . " Das oft wiederholte Anerbieten, durch eigene Arbeitskräfte am Aufbau der zerstörten Gebiete teilzunehmen, war immer wieder von den Franzosen abgelehnt worden. Man t a t nun alles, um Sachgüter dafür zur Verfügung zu stellen. Eine Reihe von Abkommen erleichterte die Abwicklung von Sachlieferungen und erweiterte in dieser Hinsicht wesentlich die Deutschland auferlegten Verpflichtungen. Neben die „Zwangslieferungen" von Kohle, Chemikalien usw. und an Stelle der von Regierung zu Regierung vereinbarten Lieferungen „zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete" traten die im Vertrag von Versailles nicht vorgesehenen „freien" Sachlieferungen durch Zulassung eines ungebundenen Bestell- und Lieferungsverfahrens der privaten Interessenten. Die zwischen ihnen vereinbarten — durch Schiedsrichter nachzuprüfenden — Preise wurden von der deutschen Regierung bezahlt und von der Re*) The reparation plan. New York 1924. 2 ) Rathenau Anfang Juni 1921 im Reichstag.

38 parationskommission ihr gutgeschrieben. Aber die Furcht vor deutschem Wettbewerb ließ die Sachlieferungen doch nicht in dem erwarteten Maße sich entwickeln. Frankreich blieb in offenem oder verstecktem Annahmeverzuge. Es verlangte vor allem Bargeld. Aber die Unmöglichkeit, die Geldforderungen aus eigner Kraft zu erfüllen, zeigte sich drastisch, als die erwähnte Bar-Milliarde zum August 1921 aufzubringen war. Die New Yorker Börse hatte die Mark im Oktober 1918 durchschnittlich noch mit 63,6% der Parität, im Dezember mit 51, nach Abschluß der Friedensverhandlungen im Juni 1919 mit 30% notiert. Die große Ausplünderung Deutschlands und eine wirre Finanzwirtschaft senkten den Kurs bis Januar 1920 auf ca. 7% •— ein Satz, der sich mit Schwankungen bis zum Londoner Ultimatum im Mai 1921 hielt. Die Notwendigkeit, in 3 Monaten für eine Riesensumme Devisen in Form kurzfristiger Anleihen zu beschaffen und sie dann zurückzuzahlen, drückte den Kursstand bis September 1921 auf 4,02% der Parität. Die anfängliche Hoffnung der deutschen Erfüllungspolitiker, wenigstens die festen Jahresleistungen im Inland aufbringen zu können und mit Hilfe von Auslandskrediten zu übertragen, gründete sich auf die Überzeugung, daß die Besetzung der Ruhreingänge aufgehoben und Oberschlesien gemäß dem Ergebnis der Volksabstimmung bei Deutschland verbleiben würde. Keins von beiden trat ein. Die Entscheidung der Botschafterkonferenz vom 21. Oktober 1921 riß auf Grund des Genfer Fehlspruchs den weitaus besten Teil des oberschlesischen Industriegebietes von Deutschland ab und schwächte die deutsche Wirtschaftskraft dadurch um so mehr, als auch hier wieder eine ganz unsinnige Grenze gezogen wurde. Es war im wesentlichen die von den feindlichen Truppen im 3. oberschlesischen „Aufstand" besetzte Linie, die von dem Genfer Tribunal als zu Recht bestehend anerkannt wurde. Im Dezember 1921 mußte der Reichskanzler um die erste Stundung der demnächst fälligen Zahlungen nachsuchen und mitteilen, daß die Bank von England auf ein Kreditgesuch dem Präsidenten der Reichsbank erwidert habe, unter der Herrschaft des Londoner Zahlungsplans könne für Deutschland weder eine langfristige Anleihe noch ein kurzfristiger Bank-

39 kredit in England aufgenommen werden 1 ). Der Markkurs sank im Dezember 1921 auf 2,26%, um nach kurzer Pause noch weiter abzugleiten. Der deutsche Währungsverfall zog alle europäischen Länder in Mitleidenschaft. Er brachte jene fatalistische Stimmung zum Ausdruck, die aus der Empfindung erwuchs, daß alle Anstrengungen, um die unersättlichen Feinde zu befriedigen, doch vergeblich seien. Verzweiflung und seelische Zersetzung ließen auf der einen Seite das Staatsgefühl erlahmen und machten sieh auf der andern in Verbrechen, wie dem Morde Walter Rathenaus (am 24. Juni 1922) Luft. — Die Unmöglichkeit, den Londoner Zahlungsplan durchzuführen, und die sich verschärfende Krisis der Weltwirtschaft führten in den Jahren 1922 und 1923 zu einem Gegensatz zwischen England und Frankreich, und nun traten auch die Vereinigten Staaten in Aktion. Gegensätze u n t e r den „alliierten und assoziierten Mächten". Jede der drei Weltmächte vertrat in bezug auf die politischen Auslandsschulden ein anderes Prinzip. In England leuchtete Anfang des Jahres 1922 der Gedanke auf, die sämtlichen politischen Auslandsschulden der am Kriege beteiligten Länder zu streichen, um auf diese Weise endlich einen Friedenszustand herbeizuführen und die europäische Menschheit zu neuem Aufstieg zu führen. Dieser Gedanke wurde noch unter dem Ministerium Lloyd George zum amtlichen Programm erhoben. Er bedeutete einen völligen Bruch mit der von ihm bisher in der Reparationsfrage vertretenen Anschauung. Welches Motiv für diese Wandlung den Ausschlag gab, ist für den Außenstehenden nicht sicher festzustellen. Man wird geneigt sein, anzunehmen, daß die drohende Beitreibung der amerikanischen Forderungen aus dem Kriege den Wandel hervorrief. Andererseits fällt ins Gewicht, daß die britischen Forderungen aus dem Kriege, auch abgesehen von den Forderungen gegen Rußland, Englands eigene — wesentlich aus dem !) Bergmann a. a. O. S. 133.

40 Eintreten für die Verbündeten hervorgegangenen — Schulden an die Vereinigten Staaten übertrafen. Deshalb wird man doch sagen dürfen, daß der noch näher zu behandelnde britische Vorschlag ein Wiederaufleben des Gedankens weltumspannender Verantwortung bedeutete, der zur Zeit der höchsten Macht und Blüte des Britischen Weltreiches nach den Napoleonischen Kriegen aus dem Bewußtsein erwachsen war, daß die Verbindung politischer und kapitalistischer Herrschaft für die Masse der Unterworfenen und Abhängigen nicht anders erträglich gemacht werden kann. Aber der große Gedanke scheiterte am Widerstand Frankreichs und der Vereinigten Staaten. Am 13. Januar 1922 war Briand durch Poincaré als Ministerpräsident ersetzt worden. Dieser engstirnige, aber willensstarke Mann sah in allen Schwierigkeiten nur den bösen Willen Deutschlands; schon seine Programmrede bekundete deutlich die Absicht, sich gewaltsam „produktiver Pfänder" zu bemächtigen und eine Finanzkontrolle über Deutschland einzurichten. I m Laufe des Jahres wurde die Drohung immer nachdrücklicher, im Falle weiteren deutschen Verzuges das Ruhrbecken eigenmächtig zu besetzen. I n den Vereinigten Staaten wurde durch Gesetz vom 9. Februar 1922 eine Kommission für die Auslandsforderungen aus dem Weltkriege eingesetzt mit der Aufgabe, die genaue Erfüllung der ursprünglichen Verpflichtungen in gesonderten Verhandlungen mit den einzelnen Schuldnerstaaten herbeizuführen. Sie wurden von der Vereinigten-Staaten-Regierung amtlich ersucht, die nötigen Schritte zur Fundierung ihrer Schulden zu tun 1 ). Infolgedessen richtete der britische Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten Arthur J . Balfour am 1. August 1922 eine Note an die Kriegsschuldner Großbritanniens, in der es heißt, die englische Regierung hätte gewünscht, „ihren Anteil an der deutschen Reparation aufzugeben (surrendering) und durch eine große Transaktion die ganze Masse der interallierten Schul1 ) Vgl. zum Folgenden Moulton & Pasvolsky, „World War Settlements", London 1927.

41 den abzuschreiben". Dies sei durch das Verlangen der Vereinigten Staaten unausführbar geworden. England „wünsche aber keinesfalls einen Gewinn aus irgendeiner weniger befriedigenden Regelung zu erzielen". „Unter keinen Umständen haben wir die Absicht, von unsern Schuldnern mehr zu verlangen als notwendig ist, um unsere Gläubiger zu bezahlen, und während wir nicht mehr verlangen, werden alle zugeben, daß wir mit weniger kaum zufrieden sein können." I n der allgemeinen Begründung heißt es: „ F ü r edle Gemüter kann es niemals angenehm sein, obwohl es aus Gründen der Staatsraison notwendig werden kann, die Geldseite eines großen Ereignisses (des Weltkrieges) als eine Angelegenheit f ü r sich, losgelöst von ihrer historischen Fassung, zu betrachten, als ginge es um ein gewöhnliches kaufmännisches Geschäft zwischen Händlern, die borgen, und Kapitalisten, die leihen. Es gibt überdies Gründe anderen Ranges . . ., welche den Widerwillen der Königlichen Regierung steigern, eine so fundamentale Abänderung in der Methode der Behandlung der Darlehn an die Alliierten vorzunehmen. Die ökonomischen Übel, unter denen die Welt leidet, sind vielen Ursachen zuzuschreiben, moralischen und materiellen, die ganz außerhalb des Rahmens dieser Mitteilung liegen; aber unter sie muß sicherlich das Gewicht der internationalen Verschuldung eingereiht werden mit all ihren unglücklichen Wirkungen auf Kredit und Austausch, auf nationale Produktion und internationalen Handel. Die Völker aller Länder sehnen sich nach einer raschen Rückkehr zu dem normalen Zustand, aber wie kann das Normale erreicht werden, solange man duldet, daß so abnormale Bedingungen fortbestehen." Zum Schluß wiederholt die Note, daß die britische Regierung „so tief überzeugt ist von dem wirtschaftlichen Schaden, der der Welt durch den bestehenden Stand der Dinge zugefügt wird, daß dieses Land bereit wäre, alles Recht auf deutsche Reparation und alle Forderungen auf Rückzahlung durch dii Alliierten zu streichen, vorausgesetzt, daß dieser Verzicht das Glied eines allgemeinen Planes bildet, durch den das große Problem als ein Ganzes behandelt und eine befriedigende Lösung finden würde. Ein allgemeiner Ausgleich würde nach ihrer Auffassung von größerem Werte f ü r die Menschheit sein als irgendwelche Gewinne, die selbst aus der erfolgreichsten Erzwingung der rechtlichen Verpflichtungen erwachsen könnten".

Poincaré antwortete, zunächst müßte Deutschland seine Reparationsschulden bezahlen, dann erst könne die Frage der interalliierten Schulden geregelt werden, unter sehr genauer Prüfung der angerechneten Beträge und ihrer Grundlagen. Er halte es weder für zulässig noch für moralisch, vorher zwischen Alliierten an die Rückzahlung von Schulden zu erinnern.

42 Der E i n b r u c h in das R u h r g e b i e t . Alle Anstrengungen der deutschen Regierung, den Londoner Zahlungsplan aus eigener Kraft zu erfüllen — ein Entschluß, dem Walter Rathenau zum Opfer gefallen war — hatten sich als vergeblich erwiesen. Kredit war unter der Herrschaft dieses Planes nicht zu erhalten1). Aber alle Versuche der britischen und der deutschen Regierung, eine billige Regelung der Reparationslasten herbeizuführen, und alle Ratschläge die auf internationalen Konferenzen von Sachverständigen gemacht wurden, zerbrachen am Widerstande Poincarés 2 ). Mit derselben Zähigkeit wie einst den Ausbruch des Weltkrieges betrieb er den Einmarsch ins Ruhrrevier. Für ihn stand das politische Ziel voran. Er glaubte den Augenblick gekommen, den in Versailles am Widerspruch Englands und der Vereinigten Staaten gescheiterten Plan zu verwirklichen, eine „Rheinische Rupublik" unter französischem Militärprotektorat zu errichten3). Die in Versailles zugestandene Entwehrung des rechten Rheinufers verVgl. oben S. 39. ) Über die gescheiterten Verhandlungen im August 1922 zu London zwischen Lloyd George, Poincaré und den Delegierten Italiens, Japans und Belgiens vgl. Europe Nouvelle, 5. Jahrgang, Nr. 3 vom 19. VIII. 1922, S. 1046f. 3 ) Die Pariser Zeitung „Populaire" vom 26. J u n i 1922 berichtet über eine vertrauliche Besprechung französischer Zeitungsvertreter bei Poincaré, der bemerkte: Wir gehen ganz einfach, und ich fühle mich dabei sehr wohl, der dauernden Besetzung des linken Rheinufers entgegen. Mir f ü r meinen Teil würde es wehe tun, wenn Deutschland zahlte; dann müssen wir das Rheinland räumen, und so würden wir den Nutzen unserer Experimente verlieren, die wir unternehmen, um friedlich, aber mit den Waffen in der H a n d , die Bevölkerung am Ufer des Grenzflusses zu erobern. Halten Sie es aber f ü r besser, das Geld einzukassieren oder neues Gebiet zu erwerben? Ich f ü r meinen Teil ziehe die Besetzung und die Eroberung dem Geldeinstreichen und den Reparationen vor. Daher werden Sie es verstehen, warum wir eine starke Armee, einen wachen Patriotismus brauchen, und daß das einzige Mittel, den Versailler Vertrag zu retten, darin besteht, es so zu arrangieren, daß unsere Gegner, die Besiegten, ihn nicht einhalten können. (Zitiert bei Grimm, „Der Separatismus nach französischen, amerikanischen und deutschen Quellen", Essen 1928.) 2

43 lockte dazu, und geringe Lieferungsrückstände gaben den erwünschten Vorwand, das letzte, Deutschland verbliebene Steinkohlenbecken der französischen Herrschaft zu unterwerfen und Rumpfdeutschland dadurch für ewige Zeiten lebensunfähig zu machen. Es galt, jene Vereinigung der lothringischen Minette und der Ruhrkohle, welche die ökonomische Machtstellung Deutschland nach 1871 ganz wesentlich begründet hatte, wiederherzustellen, nun aber als Glied des französischen Wirtschaftskörpers und unter Führung der neuen Eigentümer der geraubten Hüttenwerke von Lothringen. Die gefügige Reparationskommission stellte unter dem Widerspruch des englischen Mitgliedes „vorsätzliche Nichterfüllung" der deutschen Verpflichtungen zur Lieferung von Holz und Kohle fest 1 ), und am 11. Januar 1923 überschritten französische und belgische Truppen in kriegsmäßiger Ausrüstung die Grenzen des altbesetzten Gebietes. Bald wurde das ganze Rheinland unter Einschluß des Ruhrbeckens durch Zollgrenzen und Ausfuhrverbote vom unbesetzten Deutschland abgesperrt. Bis Ende Juli töteten die feindlichen Truppen 121 Zivilpersonen und vertrieben 107 412 Menschen von Haus und Herd. Denn die kernhafte Bevölkerung weigerte sich, unter der feindlichen Knute zu arbeiten. Die Einbrecher sahen sich darauf angewiesen, vorhandene Vorräte wegzunehmen, Staats- und Privatkassen zu plündern, rheinische Wälder niederzuschlagen und die öffentlichen Einnahmen zu beschlagnahmen. Der Sieg des r h e i n i s c h e n Volkes über die Separatisten. Schon im Jahre 1919 hatte die französische Besatzung versucht, eine Organisation zur Abtrennung des Rheinlandes ins Leben zu rufen, jedocli war es ihr mißlungen, irgendwelche rheinischen Persönlichkeiten von Ruf zu gewinnen. Mit offener Gewalt hatte sie den Widerstand der Bevölkerung gegen Der englische Delegierte bezeichnete die Rückstände an Holz als „beinahe mikroskopisch". Der Fehlbetrag an Kohle (etwa 10%) war von der Reparationskommission viele Monate hindurch stillschweigend in dem Bewußtsein geduldet worden, daß ihre Anforderungen (1,7 Millionen t im Monat) sehr scharf an die Grenze des überhaupt möglichen herangingen. Vgl. Bergmann a. a. 0 . , S. 220.

44 die Separatisten angesichts der damaligen Zurückhaltung der Belgier und der ausgesprochenen Gegnerschaft Amerikas nicht zu brechen gewagt. So scheiterten die Putsche von Speyer und Wiesbaden (1. Juni 1919)1). Auch die Kulturpropaganda, die der westlichen Orientierung in den folgenden Jahren wertvollere Freunde unter der rheinischen Bevölkerung hatte erwerben sollen2), war ganz erfolglos geblieben. Aber 1923 schien eine wirksame Erschütterung der Reichstreue des Rheinlands endlich möglich zu werden: der passive Widerstand hatte so viele Betriebe stillgelegt, daß an vielen Stellen die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos war. Die Unterstützung dieser Erwerbslosenmassen zwang Deutschland zu einer solchen Vermehrung des Papiergeldes, daß eine phantastische Geldentwertung, die stärkste unter den zahlreichen Inflationen der Nachkriegszeiten, überall im Reiche die Volksmassen ins schwärzeste Elend stürzte und dem schärfsten und zentrifugalsten Radikalismus in die Arme trieb. Die Reichsregierung schien dem besetzten Gebiet nicht mehr helfen zu können; die Führer des rheinischen Volkes waren ausgewiesen oder durch die Vernichtung der Freiheit des gesprochenen und gedruckten Wortes verhindert, untereinander und mit ihrem Volke in Verbindung zu bleiben: man mußte einander mißverstehen und mißtrauen 3 ). Auf die körperlich und seelisch zermürbt scheinende Bevölkerung ließ Frankreich nun bewaffnetes, größtenteils landfremdes Gesindel los, das in vielen Städten die öffentlichen Gebäude besetzte und auch die Dörfer brandschatzte 4 ). Da nun zeigte sich in wunderbarer Weise zugleich die sittliche Stärke des rheinischen und westfälischen Volkes und die innere Schwäche der französischen Politik. Im Ruhrkampf gab es keine Parteien. In der gemeinsamen Abwehr waren alle eins: Wo die Besatzung die Separatisten nicht mit der Waffe beschützte, wurden sie aus den besetzten Ämtern herausgeschlagen, in Bonn und Aachen, in Lauterecken (22./23. 1. 1924), in Pirmasens (am 12.2. 1924), in Dürkheim. In der Schlacht bei Ägidienberg im Siebengebirge erschlugen die Bauern des Westerwaldes einen großen Teil der Räuberbande mit Knütteln und Äxten und trieben die Überlebenden in die Flucht 6 ). Die Belgier und Franzosen konnten auf einen letzten Schein von „Neutralität" nicht verzichten wegen des englischen Verbündeten 4 ); dieser verweigerte den Söldnern der Franzosen auch den Zutritt zu Köln, ohne dessen Eroberung die Trennung des Rheinlandes nie für freiwillig gelten konnte. Die amerikanischen Truppen waren vom Präsidenten zum Zeichen der Mißbilligung des französisch-belgischen Vorgehens am 10. Januar 1923 vom Rhein zurückgerufen Max Springer, „Loslösungsbestrebungen am Rhein 1918—1924" S. 6ff. ) Kaden-Springer, „Der politische Charakter der französischen Kulturpropaganda am Rhein," Berlin 1923. 3 ) Walter Kemper, „Die Rheinlandskrise des Herbstes 1923. Ein politischer Überblick." Frankfurt a. M. 1925, S. 19ff. 4 ) Max Springer a. a. O., S. 105. 8 ) Max Springer a. a. 0., S. 105, 129. 6 ) Max Springer a. a. O., S. 53. 2

45 worden. So blieb dem schmutzigen Unternehmen und der raffinierten französischen Taktik am Rhein der Erfolg versagt1). Ja, sie hatte die der Absicht entgegengesetzte Wirkung.

Deutsche W ä h r u n g s - und F i n a n z r e f o r m . Wie die französische Gewaltpolitik am Rhein den deutschen Gedanken auflodern ließ, so weckte die blutige Unterdrückung der Separatistenbewegung durch das rheinische Volk und die Kunde von Schlageters Heldentod über das ganze Reich hin von neuem Hoffnung und Willen zur Selbsterhaltung. Das „Wunder der Rentenmark" ist letztlich aus dem erstarkten Glauben an Staat und Volksgemeinschaft erwachsen. Entgegen der herrschenden Theorie und ohne fremde Kapitalshilfe gelang es im November 1923 durch den Zusammenschluß der deutschen Erwerbsstände zur Rentenbank, ein vom allgemeinen Vertrauen getragenes wertbeständiges Umlaufsmittel vom billionenfachen Wert der Papiermark zu schaffen und ihm bald die Parität mit dem Golde im internationalen Verkehr zu sichern2). Jeder Mißbrauch der Währung für fiskalische Zwecke wurde ausgeschlossen, die Notenpresse stillgelegt. In wenigen Monaten stellte der im Ruhrkampf bewährte Finanz minister Luther mit rücksichtsloser Energie das Gleichgewicht im öffentlichen Haushalt wieder her — allerdings unter vorläufiger Ausschaltung der Reparationslasten durch die Micum-Verträge. So wurde die erste Voraussetzung für den Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft geschaffen und im Auslande jenes fast übergroße Vertrauen in die wirtschaftliche Kraft des deutschen Volkes erweckt, welches in den Verhandlungen über den Dawesplan zum Ausdruck. E i n s e t z u n g der

Dawes-Kommission.

War Poincares Vernichtungswille gescheitert, so blieb seiner zähen Entschlossenheit dennoch ein objektiver Erfolg nicht versagt: Das Dawesabkommen hat sein Gepräge ganz wesent1)

Walter Kamper a. a. 0., S. 109. Die Namen-Summen der für die Rentenmark haftenden Rentenpfandbriefe und deren Zinsen waren nach dem Londoner Goldpreise zu berechnen. 2)

46 lieh durch den Druck der Ruhrbesetzung erhalten. Großbritannien hatte sie zwar wiederholt unter Berufung auf die Gutachten seiner besten Juristen für rechtswidrig erklärt, war aber weder in der Lage noch willens, Gewalt gegen Gewalt zu setzen. Die Ruhr ist erst auf Grund des Dawesabkommens vom August 1924 allmählich geräumt worden. Das Abkommen kam durch das Eingreifen der Vereinigten Staaten zustande und unter dem Einfluß der öffentlichen Meinung der ganzen Welt. Der Raubzug der Franzosen und Belgier hatte die furchtbarste Inflation der Weltgeschichte zur Folge gehabt und die deutsche Kaufkraft völlig vernichtet. Nun aber zeigte sich, daß die Zerstörung eines wichtigen Gliedes den ganzen Organismus der Weltwirtschaft zum Siechtum bringt. Der Ruhreinbruch wirkte nach den Worten des englischen Premierministers, als ob „man mit der Klinge des Federmessers in das Werk einer Taschenuhr hineinführe" („as if you inserted the blade of your pen-knife into the works of your watch"). Er schleuderte das gesamte europäische Wirtschaftsleben aus seiner Bahn1) und brachte über die ganze gemäßigte Zone hin die Agrarkrisis auf ihren Höhepunkt (vgl. den Anhang S. 226). Die Vertreibung von 25000 amerikanischen Farmern von ihren Höfen war das Werk Poincares. Die Notlage der Farmer verschärfte die industrielle Depression, die europäischen Währungswirren bedrohten alle Kapitalbesitzer mit Verlusten. Im Schatzamt und in den Zentralbanken der Vereinigten Staaten hatte sich etwa die Hälfte des Goldes der Erde angehäuft. Man konnte die in diesem Besitz liegenden Kreditmöglichkeiten im Inlande nicht ausnutzen, ohne die kaum überwundene Kriegsinflation zu erneuern. Gelang es aber durch ausgiebige Finanzhilfe, die Währungswirren zu beseitigen und die Goldwährung wieder aufzurichten, stellte man überdies einen Teil der jährlich auf 10 Milliarden Dollar angeschwollenen Volksersparnisse langfristig zur Verfügung, so blieb der Haupteigner des Goldes nicht nur vor Ver!) Vgl. den näheren Nachweis in dem Sammelwerk „Ruhrbesetzung und Weltwirtschaft", hersg. v. Prof. Dr. Ernst Schultze, Leipzig 1927.

47 lusten bewahrt, sondern konnte hoffen, in gewinnbringender Weise die europäische K a u f k r a f t wieder zu beleben und auf diese Weise den Verfall der amerikanischen Landwirtschaft zu verhüten. So reifte der Entschluß, die Politik der Abwendung von Europa aufzugeben und unter Vermeidung politischer Intervention sich wirtschaftlich und inoffiziell, nicht durch Staatsbeamte, aber durch „Sachverständige" und „Bürger" der Vereinigten Staaten in Europa zu betätigen 1 ). Den äußerlich sichtbaren Wendepunkt in der amerikanischen Politik gegenüber Europa bedeutete die kurz vor dem Ruhreinbruch (29. Dezember 1922) vom Staatssekretär Hughes in Newhaven gehaltene Rede. Er schlug die Einberufung einer internationalen Konferenz von Sachverständigen vor, um auf ihr das Reparationsproblem durch Bestimmung der deutschen Zahlungsfähigkeit und Aufstellung eines neuen Finanzplanes einer Lösung zuzuführen. Der amerikanische Vorschlag wurde von der englischen Regierung in die Noten aufgenommen, welche Lord Curzon am 11. August 1923 an die französische Regierung und am 12, Oktober an die Vereinigten Staaten richtete. Poincaré sah sich durch den politischen und finanziellen Mißerfolg der Ruhrbesetzung angesichts des wachsenden Währungsverfalles in Frankreich bewogen, diesem Plan (am 12. November 1923) unter gewissen Vorbehalten zuzustimmen. Italien, Belgien und Deutschland hatten schon vorher ihr Einverständnis erklärt. Vgl. Hugo Ferd. Simon, „Reparation und Wiederaufbau", Berlin 1925, S. 171 und die dort wiedergegebenen Äußerungen amerikanischer Schriftsteller.

K a p i t e l III.

Das Werk der Dawes-Kommission. Die Reparationskommission setzte zwei Ausschüsse ein. Der eine unter der Führung von Reginald McKenna sollte den Betrag des aus Deutschland in der Inflationszeit geflüchteten Kapitals abschätzen und Maßnahmen zur Zurückführung dieses Kapitals vorschlagen. Der Bericht des McKenna-Ausschusses hat das Märchen von den im Auslande angehäuften KapitalBchätzen zerstört und Licht verbreitet über die Mittel, mit denen die deutsche Zahlungsbilanz nach dem Kriege ins Gleichgewicht gesetzt worden ist 1 ). Aus der Arbeit des andern Ausschusses unter dem Vorsitz des Generals Charles G. Dawes ist das Londoner Abkommen vom 30. August 1924 hervorgegangen. Die am 14. Januar 1924 in Paris zusammengetretenen Sachverständigen erstatteten ihren Bericht am 9. April. Sie brachten in dieser kurzen Zeitspanne fertig, was die Alliierten in fünfjährigen Verhandlungen vergeblich erstrebt hatten: eine Verständigung über das Reparationsprogramm. Sie verhalfen dem Gedanken zum Siege, daß eine Politik, welche die produktive Kraft des Schuldners lähmt, den Gläubiger selber schädigt, daß „die Aufrichtung der deutschen Wirtschaft eine Notwendigkeit für die Welt" (Hughes), die erste Voraussetzung dafür aber die Wiederherstellung der fiskalischen und wirtschaftlichen Einheit des Reiches sei. Die Annahme des Dawesplanes weckte in aller Welt die Hoffnung auf eine ruhige und friedliche Entwicklung Europas, machte Deutschland wieder kreditfähig und kaufkräftig und gab auf diese Weise der ganzen Weltwirtschaft einen neuen Aufstieg. Vgl. oben S. 33.

49 Aber für die ökonomische Befriedung, welche das DawesAbkommen schuf, mußte Deutschland Beschränkungen seiner Souveränität auf sich nehmen, die noch weit über das Ausmaß des Versailler Diktats hinausgingen. Dabei wird die gefundene Lösung des Reparationsproblems von ihren Urhebern selbst als nicht endgültig bezeichnet mit dem Hinzufügen, daß ihr Plan eine endgültige Lösung auch nicht bringen konnte. P o l i t i s c h e S c h r a n k e n des W e r k e s der Sachverständigen. Um den Sinn und das Wesen des Werkes der Sachverständigen zu erfassen, muß man sich die politischen Bedingungen, unter denen sie zusammentraten, und die Schranken, welche ihrer Tätigkeit gesetzt wurden, vergegenwärtigen. Auf der einen Seite das wehrlose deutsche Volk, durch das Übermaß von Unrecht und Elend zwar zur Selbstbesinnung aufgerüttelt, aber in der Gewalt einer feindlichen Macht, die sich der Pulsader und der Herzkammern des deutschen Wirtschaftskörpers bemächtigt hatte. Auf der anderen Seite die drei Imperien, deren schon dargelegte Stellung zum Problem der deutschen Tributpflicht im Notenaustausch von 1923 nochmals umrissen wurde. Der britische Außenminister des damaligen konservativen Kabinetts, Lord Curzon, hatte in Verfolgung der Balfour-Noto 1 ) unterm 11. August 1923 abermals Großbritanniens Bereitschaft oi'klält, seine Ansprüche an die Alliierten und an Deutschland auf den Wert der kapitalisierten britischen Schuld (14,2 Milliarden Goldmark) an die Vereinigten Staaten herabzusetzen und den Alliierten davon noch so viel nachzulassen, als es auf diesen Betrag von Deutschland erhalten werde. In seinem Ersuchen an die Vereinigten Staaten (12. Oktober 1923) erbat Lord Curzon deren Mitwirkung zur Berufung einer Konferenz von Sachverständigen, weil ohne Amerikas Eingreifen das europäische Wirrsal nicht geordnet werden könne. Er betonte zugleich das direkte und vitale Interesse, das die Vereinigten Staaten an der Lösung des europäischen Problems besitzen, „wenn aus keinem anderen Grunde, so weil in ihm die Frage der interalliierten Schuld enthalten sei" ("if for no other reason, because in it is involved the question of the inter-allied-debt"). x

) Vgl. oben S. 40/41.

Sering, Das D a w e s a b k o m m e n .

4

50 In seiner sonst zustimmenden Antwort vom 15. Oktober 1923 unterstrich Staatssekretär Hughes demgegenüber wie schon in seiner Rede vom Dezember 1922 drei Punkte: 1. wünsche „die Regierung der Vereinigten Staaten Deutschland keineswegs entlastet zu sehen von seiner Verantwortlichkeit für den Krieg und seinen gerechten Verpflichtungen", doch müsse Rücksicht genommen •werden auf die Zahlungsfähigkeit Deutschlands und die fundamentale Bedingung f ü r Deutschlands Erholung, ohne die Reparationszahlungen unmöglich sein würden" ; 2. sollte die Konferenz lediglich beratenden Charakter haben ; 3. lehnte Staatssekretär Hughes die Verquickung der Reparationsfrage mit den amerikanischen Schuldforderungen ab. Der Kongreß habe der Verwaltung die von ihr begehrten diskretionären Befugnisse zur Schuldenregulierung versagt und der neu eingesetzten Kommission f ü r die Zurückzahlung der interalliierten Schulden bestimmte Beschränkungen ihres Vorgehens auferlegt. Dabei erkannte der Staatssekretär aber das wirtschaftliche Interesse der Vereinigten Staaten an Deutschlands Reparationszahlungen mit den Worten an: „die Lage und Zahlungsfähigkeit ihrer" — der Vereinigten Staaten — „Schuldner könne nicht richtig bestimmt werden, bis der Betrag bestimmt sei, der auf diese Kredite für Reparationen realisiert werden könne". Die amerikanische Regierung stellte sich also in bezug auf die Reparationsfrage prinzipiell auf denselben Standpunkt wie die französische. Sie wünschte nur eine andere Methode, um die Reparationen beizutreiben; statt der naturalwirtschaftlichmilitärischen der Franzosen die geld- und kreditwirtschaftliche, die die Amerikaner in den Tropenstaaten von Mittel- und Südamerika schon zur Meisterschaft entwickelt hatten. Dies ist der Sinn der Wendung, diese Angelegenheit solle nicht als politische, sondern als rein ökonomisches Problem behandelt werden. Wir kennen die Gründe, aus denen Poincaré nicht mehr abgeneigt war, die amerikanische Methode anzunehmen, wenn ihm nur ausreichender Ersatz f ü r die Preisgabe des Ruhrpfandes gegeben wurde. Aber hinsichtlich der den Sachverständigen zu stellenden Aufgabe gingen die Meinungen weit auseinander. Staatssekretär Hughes verlangte die Fixierung „einer endgültigen und zugestandenen (aeeepted) Basis für die Erfüllung der Reparationsforderungen". „Es ist eitel, irgendeinen ökonomischen Bau in Europa zu errichten, bis dieses Fundament gelegt ist." Endgültige Feststellung der deutschen Zahlungsfähigkeit und Zahlungsverpflichtung war auch die englische Forderung. Ihr aber t r a t Poincaré schroff entgegen. Er verlangte, daß nur die gegenwärtige Zahlungsfähigkeit Deutschlands geprüft würde. Um sein Dogma „der Vertrag muß ausgeführt werden" und „an der Kriegsschuld Deutschlands darf nicht gerüttelt werden" zu retten, brachte er formale Gründe vor: selbst die Reparationskommission könne über das J a h r 1930 hinaus auch nur Stundungen bei Einstimmigkeit gewähren usw. 1 ). Die amerikanische Regierung erklärte eine derartig beBergmann a. a. O., S. 272.

51 schränkte Tätigkeit der Sachverständigen für nutzlos und schädlich und lehnte die Mitwirkung amerikanischer Sachverständiger ab. Damit schien der ganze Plan im November 1923 gescheitert. Nun nahm die Reparationskommission den Gedanken in einer Form auf, welche Poincarés Einwendungen Rechnung trug. Dies geschah aus folgendem Anlaß:

Die deutsche Regierung stellte am 24. Oktober 1923 den Antrag, gemäß Art. 234 des Versailler Vertrags eine Untersuchung der wirtschaftlichen Hilfsquellen und der Zahlungsfähigkeit Deutschlands anzustellen und deutsche Vertreter darüber zu hören. Die Reparationskommission ging auf den deutschen Antrag ein, hörte darüber den deutschen Staatssekretär Fischer und faßte am 30. November den Beschluß, der zum Arbeitsplan der Dawes-Kommission wurde: „Um gemäß den Bestimmungen des Art. 234 des Vertrages von Versailles die Hilfsmittel und Leistungsfähigkeit Deutschlands zu prüfen, hat die Reparationskommission, nachdem sie einem Vertreter Deutschlands nach Billigkeit Gehör gewährt hat, beschlossen, zwei Ausschüsse von Sachverständigen zu schaffen, die sich aus Angehörigen der alliierten und assoziierten Länder zusammensetzen. Dem einen dieser Ausschüsse würde die Aufgabe zufallen, die Mittel zur Ausgleichung des Budgets und die zur Stabilisierung der Währung erforderlichen Maßnahmen zu prüfen." Des zweiten Aufgabe ist schon gekennzeichnet worden. In diesem Beschlüsse, der die Zustimmung der Hauptmächte einschließlich der Vereinigten Staaten fand, ist die Prüfung der Hilfsmittel und Leistungsfähigkeit Deutschlands aus dem anordnenden in den begründenden Teil, die Präambel, verschoben und zwar unter Berufung auf Art. 234. Er gibt der Reparationskommission das Recht, Untersuchungen „von Zeit zu Zeit" vorzunehmen, daraufhin die Zahlungsfristen und -formen, aber nur mit besonderer Ermächtigung der einzelnen im Reparationsausschuß vertretenen Regierungen auch die Höhe der gesamten Reparationszahlungen zu ändern. Poincaré hatte seinen Willen durchgesetzt: die endgültige Feststellung der deutschen Leistungsfähigkeit und der Deutschland aufzuerlegenden Leistungen war aus dem Arbeitsplan der Sachverständigen ausgeschaltet. 4*

52 A u s s c h l u ß D e u t s c h l a n d s v o n den B e r a t u n g e n . Ebenso war der englische Vorschlag gefallen, daß auch neutrale und deutsche Sachverständige im Ausschusse mitwirken sollten. Staatssekretär Hughes hatte in Fortsetzung der Politik Wilsons und in dem Bestreben, zwischen England und Frankreich zu vermitteln, in der Konferenz immer nur eine Angelegenheit der im Kriege gegen Deutschland verbündeten Hauptmächte gesehen. Da die Konferenz schließlich von der Reparationskommission berufen wurde, verstand sich der Ausschluß der Deutschen von selbst. Denn diese Kommission ist und bleibt eine Instanz der Gläubigermächte mit der Aufgabe, das äußerst Mögliche herauszupressen. Wohl h a t die Daweskommission in Paris zahlreiche Deutsche gehört, auch während eines 14tägigen Aufenthalts in Berlin mit deutschen Behörden und Verbänden Fühlung genommen, aber es ist ein großer Unterschied, ob sachverständige Männer lediglich zur Auskunft über Einzelfragen herangezogen werden oder ob sie gleichberechtigt am Beratungstische sitzen. Es wurde in der Daweskommission wie in Versailles ü b e r , nicht m i t Deutschland verhandelt. Erst zu den Abschlußverhandlungen wurde die deutsche Regierung nach London eingeladen, weil eine Reihe von Einzelpunkten, besonders die Einsetzung von ausländischen Aufsichtsorganen eine Abänderung des Versailler Vertrages zuungunsten Deutschlands in sich schloß und Deutschland sich verpflichten mußte, zahlreiche neue Gesetze „in der von der Reparationskommission genehmigten F o r m " zu erlassen.

Die beiden Aufgaben, über die der I. Ausschuß beraten sollte, waren im wesentlichen schon gelöst, als er seine Arbeiten begann: die Währung war befestigt und das Gleichgewicht im öffentlichen Haushalt hergestellt 1 ). Doch setzten die Sachverständigen an Stelle der zwar sehr bewährten, aber zum internationalen Zahlungsmittel wenig geeigneten Rentenmark die auf reine Goldbasis gestellte Rcichsmark und an Stelle der Rentenmarkscheine die Reichsbanknoten. Das zu ihrer Sicherung erforderliche Gold wurde durch eine internationale 7 %-Anleihe von 800 Millionen Goldmark zum Kurse von 92% (unter Abzug der Bankprovision 87 1 / 9 % in Europa, 87% in Nordamerika) in leider unkündbarer und nicht konvertierbarer Weise beschafft. Inzwischen hat der Goldbestand der Reichsbank die zweite Milliarde überschritten. Der größte Teil dieses Goldes ist in New York erworben worden. Bei der Reichsbank werden die deutschen Tribute auf Konto des General-Agenten deponiert und mit Hilfe der Bank so an Vgl. oben S. 45.

53 das Ausland abgeliefert, daß ihre Zahlungsfähigkeit ungefährdet bleibt und die Währung nicht ins Schwanken gerät. Die Unabhängigkeit der Reichsbank, als der Hüterin der Währung, gegenüber der Finanzverwaltung war ebenfalls schon im Zusammenhang mit der Einführung der Rentenmark sichergestellt. Eine heroische Steuer- und Ausgabenpolitik hatte den Reichs-Haushalt so gestärkt, daß von J a n u a r 1924 an die laufenden Ausweise einen Überschuß der Einnahmen zeigten, ja die Finanzverwaltung in der Lage war, die Goldanleihe von 1923 und die Hauptmasse des Notgeldes aus laufenden Reichsmitteln zurückzukaufen — eine Operation, die bis Ende Mai 1924 abgeschlossen wurde. Die Sachverständigen mußten eine sehr hohe Meinung von der Zahlungsfähigkeit eines Landes gewinnen, das „trotz des Verlustes aller Einnahmen aus dem besetzten Gebiet seine zerrütteten Finanzen so schnell ordnete und gleich anfing, in großen Mengen Schulden zu tilgen" 1 ). Aber Haushalt und Währung können nur in Ordnung gehalten werden, wenn für lange hinaus feststeht, welche Lasten das Land zu tragen hat. Mit dieser Begründung unternahmen es die Sachverständigen, ohne zu ängstliche Berücksichtigung der in den Vorverhandlungen von Poincaré gewünschten zeitlichen Begrenzung ihrer Aufgabe, eine Lösung des heißen Reparationsproblems, wenn nicht unmittelbar zu finden, so doch anzubahnen. Die Motive der

Sachverständigen.

Es ist nicht ganz leicht, die innersten Gedanken zu erfassen, welche die Sachverständigen bei diesem Versuch leiteten. Auch die tagebuchartigen Notizen von Rufus Dawes, der seinen Bruder als Leiter des Stabes von acht amerikanischen Spezialsachverständigen nach Paris und Berlin begleitete, werfen nur hier und da ein Schlaglicht auf die letzten Motive 2 ). Die Daweskommission umfaßte einen Kreis von ungewöhnlich klugen und erfahrenen Männern, die — wie sie immer wieder 2

Bergmann a. a. 0., S. 283. ) Rufus C. Dawes, „Wie der Dawesplan zustande kam", 1926.

51 betonen — im Interesse der ganzen Kulturwelt die Herstellung des wirtschaftlichen Friedens als ihr Hauptziel ansahen. Ihr Bericht, ein stilistisches Meisterwerk, ist in erster Linie darauf berechnet, den Streit unter den Alliierten zu schlichten, aber auch den Deutschen die ihnen zugemutete materielle und seelische Belastung als nicht zu hohen Preis für die Loslösung des Reparationsproblems aus der vergifteten Atmosphäre politischen und militärischen Hasses erscheinen zu lassen. So sehr der Bericht der Sachverständigen Gründe der wirtschaftlichen Vernunft voranstellt und versichert, daß sie lediglich als Geschäftsleute an die Aufgabe herangegangen wären, so gewiß haben politische Erwägungen ihren Gedankengang maßgebend bestimmt. Sie selbst bekennen, „politische Rücksichten ziehen notwendig gewisse Grenzen, innerhalb deren eine Lösung gefunden werden muß, wenn sie irgendeine Möglichkeit der Annahme haben soll". Unter diesen Umständen mußte die Machtstellung der Franzosen und das Interesse der Siegerstaaten schwerer in die Wagschale fallen als das Interesse eines Volkes, das „die Zurückweisung der Vorschläge in hoffnungsloses Elend stürzen müßte" 1 ). Die Sachverständigen sprechen oft von Gerechtigkeit und Billigkeit. Sie meinen damit immer die Grundsätze des Gewaltfriedens von Versailles. „Der Vertrag von Versailles ist unsere Magna Charta, wie er die Ihrige sein wird, und in dem Rahmen dieses Vertrages werden Sie gemäß dem Art. 234 Ihre Arbeiten in voller Unabhängigkeit und beispielhafter Unparteilichkeit durchführen." Mit diesen Worten eröffnete der Vorsitzende der Reparationskommission, Herr Barthou, die erste Sitzung des Sachverständigenausschusses 2 ). Seine Mitglieder waren nicht bloß formell an die Grundsätze von Versailles gebunden, sondern hielten sie auch für „moralisch", weil sie, wenigstens teilweise, an die deutsche Kriegsschuld glaubten. „Der Ausschuß ist sich darüber einig geworden, daß !) Schreiben des Generals Dawes an die Reparationskommission vom 9. April 1924. 2 ) S. Rufus C. Dawes, „Wie der Dawesplan zustande kam", Stuttgart 1926, S. 25.

55 Deutschland die Lasten des Wiederaufbaus in gleicher Weise tragen soll wie seine Gläubiger und, soweit es eben zu bestimmen wäre, eine gleichschwere Besteuerung auf sich nehmen müsse wie die Nationen, die seine Herausforderung angenommen und seine Absichten vereitelt haben 1 )." Herrschte doch diese Auffassung damals noch fast in der ganzen zivilisierten Welt, trotz der Veröffentlichungen aus den russischen und belgischen Archiven. Die Publikationen aus den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes waren noch nicht abgeschlossen und die Arbeiten unparteiischer amerikanischer Historiker wie der Professoren Sidney B. Fay, William L. Langer, Charles Austin Beard und Harry Elmer Barnes noch wenig durchgedrungen. Die Sachverständigen fragten deshalb auch nicht, was die Deutschen v o r dem „Vertrage" zu zahlen sich verpflichtet, und was sie davon schon abgetragen hatten. J a , sie nahmen die Ruhrbesetzung — mochten manche von ihnen sie auch als Unrechtempfinden — als eine politische Gegebenheit, für deren Abänderung sie große Konzessionen zu machen bereit waren. Als wichtigste Kompensation für den rechtswidrigen Einbruch gewährten sie ein Kontrollsystem, das dem französischen Machthunger ausreichende Befriedigung gab. Der den Deutschen zugemutete Abbruch an Hoheitsrechten knüpft sich, wie der Dawesplan selbst, an ein Anerbieten, welches die deutsche Regierung im Mai und Juni 1923 gemacht hatte, um die Faust von der Gurgel des deutschen Volkes zu entfernen. In der damaligen höchsten Not hatte sie ohne Rücksicht auf die schon geleisteten Entschädigungen eine Reparationssumme von 30 Milliarden Mark und als Garantie für die Bezahlung dieses Betrages angeboten: 1. die Loslösung der Reichsbahn aus dem allgemeinen Budget und die Ausgabe von Obligationen auf Grund der Einnahmen der Reichsbahn in Höhe von 10 Milliarden Goldmark, die zu 5 % verzinst werden sollten; S. Rufus C. Dawes a. a. 0., S. 86.

56 2. die Sicherung der Bezahlung von weiteren 500 Millionen Mark jährlich durch hypothekarische Belastung der industriellen und natürlichen Hilfsquellen; 3. ein Pfand auf die Zölle und wichtigsten Verbrauchssteuern, deren jährlicher Ertrag auf 800 Millionen Mark geschätzt wurde1). Hier zeigte sich ein Weg, um für das widerrechtlich genommene Pfand auf dem rechten Rheinufer einen politisch und wirtschaftlich vollwichtigen Ersatz zu schaffen.

A. Die produktiven Pfänder im Innern Deutschlands und das Kontrollsystem. Nach dem Londoner Abkommen wird die Eisenbahn- und Industriebelastung aus dem deutschen Abgabensystem ausgegliedert. Der wertvollste Besitz des deutschen Volkes, die Reichseisenbahn, bleibt zwar Eigentum des Reiches, die Verwaltung aber wird einer Erwerbsgesellschaft übertragen, deren erste Aufgabe die Abführung des erwirtschafteten Reinertrages an die Tributberechtigten ist. Verzinsung und Tilgung der ihnen übertragenen Schuldverschreibungen wird durch eine „Hypothek" gesichert, welche das ganze Grundeigentum der Reichsbahn mit beweglichem. Zubehör (Fahrzeugen usw.) ergreift. Ebenso werden alle Gewerbebetriebe (mit Einschluß der Bergwerks-, Schiffahrts- und privaten Bahnbetriebe) bis herunter zu den Betrieben mit 50 000 Mark Betriebsvermögen durch eine „Hypothek" öffentlichen Rechts belastet. Zu der Aufbringung der auf die Betriebe gelegten öffentlichen Lasten sind aber durch die deutsche Gesetzgebung auch die öffentlichen Gewerbebetriebe, wie Handels- und Bankunternehmungen und die gewerblichen Kleinbetriebe bis herunter zu 20000 Mark Betriebsvermögen herangezogen. Verpfändet werden endlich die Zölle und die 4 ertragsreichsten Verbrauchssteuern (Bier, Branntwein, Tabak und Zucker). x

) Siehe Rufus C. Dawes a. a. O., S. 18.

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Für die verpfändeten Vermögensstücke werden 11 Milliarden Eisenbahn- und 5 Milliarden Industrieobligationen ausgegeben, die mit 5 % zu verzinsen und 1% zu tilgen sind. Sie werden je einem Treuhänder der Reparationskommission ausgehändigt, der sie verkaufen kann. Das Gutachten spricht auch davon, die Jahresleistungen aus der von der Reichsbahn zu erhebenden Beförderungssteuer und aus den verpfändeten Steuerquellen zu kapitalisieren und in Effektenform umzugießen. Dann wird diese Last aus einem öffentlich-rechtlichen Tribut zu einer privaten Anleiheschuld. Aber erst der Verkauf setzt an Stelle der Tributherren die privaten Käufer der Schuldscheine. Bisher sind indessen aus noch darzulegenden Gründen weder Eisenbahn- noch Industrieobligationen 1 ) in den Verkehr gelangt. Die Verpfändung öffentlicher oder privater Vermögensstücke zugunsten von Anleihegläubigern eines Staates ist in Westeuropa wohl zum letzten Male in und nach den napoleonischen Kriegen vorgekommen 2 ). Preußen nahm nach Abschluß des siegreichen Krieges 1818 beim Bankhaus Rothschild in London eine Anleihe von 5 Millionen unter hypothekarischer Verpfändung einer entsprechenden Anzahl von Domänen auf 8 ). Es war dies der letzte Ausklang der Übung aus den ersten Jahrhunderten des modernen Staates, daß Fürsten Städte und Länder in Nutzpfand gaben. Das preu!) Von den 5 Milliarden industriellen Individualobligationen kann der Treuhänder bis zu 500 Millionen Schuldscheine der größten Industriebetriebe (auf die zusammen 1,5 Milliarden Belastung entfallen), veräußern, die Obligationen eines einzelnen Unternehmens aber nur bis zur Hälfte der auf es entfallenden Belastung. Es ist also auch nur die Hälfte der 1,5 Milliarden kommerzibel, und von diesen 750 Millionen dürfen nur 500 tatsächlich veräußert werden. Der Rest dient mit allen anderen Einzelobligationen zur Sicherung der von der neu eingerichteten Bank für Industrieobligationen auszustellenden 5 Milliarden Industriebonds, die mit 4,25 Milliarden dem Treuhänder übergeben worden sind. 2

) Gaston Jèze, „Cours de Science des Finances et de Législation Financière Française". 6 m e éd., „La Technique du Crédit Public" S. 327 ff. 3

) O. Schwarz und G. Strutz, „Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens", Band III (Bln. 1904), S. 11.

58 ßische Domänenpfand bedeutete ebenso wie die spätere Verpfändung der österreichischen Salinen für einen Teil der schwebenden Schuld 2 ) nichts anderes als Ausscheidung bestimmter Staatseinnahmen für den Anleihedienst. Die große Entwicklung der Verkehrswirtschaft und des Kapitalismus im 19. Jahrhundert machte aber auch solche Sonderbestimmungen für die wohlgeordneten Staatswesen von Mittel- und Westeuropa unnötig, und allgemein galt sie als unvereinbar mit der staatlichen Souveränität. Europa kannte Verpfändung von Einnahmen — von der 1891 von portugiesischen und französischen Banken gegründeten „Portugiesischen Tabakgesellschaft" abgesehen3) — nur in den türkisch gewesenen oder gebliebenen Gebieten. Dort war die Erhebung öffentlicher Einnahmen durch Private (Steuerpächter) wohlbekannt; es fehlte an einem geschulten Beamtentum. B u l g a r i e n und S e r b i e n mußten 1902 und 1895 darin einwilligen, einen Teil ihrer Einnahmen dem Schuldendienst vorzubehalten und ausländische Kontrolleure ala Vertreter der Privatgläubiger bei sich aufzunehmen4). Das bekannteste Beispiel der Gläubigerkontrolle aber bietet die T ü r k e i selbst in der 1881 errichteten D e t t e P u b l i q u e O t t o m a n e , die oft als Analogie zu der neuen Regelung der Verhältnisse in Deutschland in Parallele gesetzt wird. Mit Unrecht: Eine Kontrolle durch fremde Staaten hat die Türkei stets erfolgreich abgewiesen. Die den Gläubigern der Türkei überwiesenen Einnahmen wurden zwar von einer Kommission der Gläubiger durch einen eigenen Beamtenstab verwaltet, aber die Kommission vertrat lediglich die Geldgeber, die keineswegs ausschließlich Ausländer waren, und kontrollierte nichts von dem übrigen Haushalt. Die Souveränität des Sultans blieb aufrechterhalten. Das Budget des Schuldenrates bedurfte der Genehmigung der türkisohon Regierung; sie hatte auch die Abrechnung zu prüfen5) und überwachte durch einen Kommissar die Geschäftsführung des Schuldenrats.

In Deutschland handelte es sich nicht um die Sicherung einer Anleihe, sondern einer Kriegsentschädigung. Denn die 2 ) A. Wagner, „Die Ordnung der Finanzwirtschaft und der öffentliche Kredit", in Schönbergs „Handbuch der Politischen Ökonomie" 2. Auflage, Band I I I , Tübingen 1885, S. 519. 3 ) Wuarin, „Essai sur les emprunts d'États et la protection des droits des porteurs de fonds d'États étrangers" Paris (1907) S. 50—52. 4 ) Ebd. S. 52, 216ff. 6 ) Ebd. S. 176—186; Mejdet, „Die Staatsschulden der Türkei und die Verwaltung der Dette Publique Ottomane" (Berliner Dissertation).

59 800 Millionen Goldmark, die das internationale Kapital als Beisteuer zur ersten Annuität aufbrachte, fallen gegenüber der Deutschland aufgebürdeten politischen Gesamtschuld wenig ins Gewicht. Da es keine bessere und zuverlässigere Verwaltung als die deutsche gibt, bedurfte es zur Sicherung der Anleihe keiner Vorkehrung. Zur Sicherung der riesenhaften Kriegsentschädigung hält man das linksrheinische Gebiet militärisch besetzt, und die Rheinlandskommission greift tief in die Bewegungsfreiheit von Staat und Bevölkerung ein. Wäre die an Stelle des zu Unrecht genommenen zusätzlichen territorialen Pfandes an der Ruhr getretene Verpfändung von inneren Einnahmequellen lediglich als wirtschaftliche Maßnahme gedacht gewesen, so hätte das Institut der Treuhänder mehr als genügt, die lediglich finanz- und banktechnische Aufgaben zu lösen haben. Es waren imperialistische Motive, welche weit über eine formale Kontrolle hinaus die innere Verwaltung der Einnahmequellen Deutschlands unter die Aufsicht der Siegermächte stellten. „Die ganze Frage der Kontrolle der Allierten über Deutschland und der Ausübung dieser Kontrolle konzentriert sich auf die Eisenbahn. Die Kontrolle über das Eisenbahnnetz bedeutet die K o n t r o l l e ü b e r D e u t s c h l a n d 1 ) . . . " So formuliert Rufus Dawes die Gedanken der Sachverständigen. Die Überwachung der Reichsbahn ist einem Franzosen übertragen, dem 6 französische und 3 andere ausländische Beamte beigegeben sind. Der Eisenbahnkommissar hat das Recht, jede Auskunft zu fordern und die Bücher einzusehen. Er inspiziert selbst oder durch seine Unterkommissare alle Anlagen und Dienststellen. Vor ihm gibt es also kein Dienstgeheimnis. Bedroht nach seiner Ansicht eine Bau-, Betriebs- oder Tarifmaßnahme die Rechte der Gläubiger, und vermag er den Generaldirektor nicht zu einer Änderung seiner Geschäftsführung zu bewegen, so bringt er die Angelegenheit vor den Verwaltungsrat, der endgültig entscheidet. Seine 18 Mitglieder werden zur Hälfte von der Reichsregierung ernannt, *) Vom Verfasser dieser Schrift gesperrt.

60 zur anderen Hälfte vom Treuhänder als dem Vertreter der Gläubiger. Unter den von ihnen Berufenen können 5 Deutsche sein und sind es auch. Gerät aber die Gesellschaft mit ihren Leistungen in Verzug, so kann der Eisenbahnkommissar anordnen, daß bestimmte Ausgaben unterbleiben oder die Tarife so erhöht werden, wie er es für angemessen hält. Auch kann er einen Wechsel in der Person des vom Verwaltungsrat ernannten Generaldirektors fordern, wobei dieser seinen Wünschen nachzukommen hat. Bei fortgesetztem Verzuge kann der Eisenbahn kommissar selbst die Eisenbahn in Betrieb nehmen und letzten Endes das Betriebsrecht ganz oder zum Teil verpachten. In ähnlicher Weise ist die Aufsicht über die verpfändeten Zölle und Steuern geordnet. Dieses wichtige Amt ist von der Reparationskommission einem Briten übertragen, dem 3 Briten und 2 andere Ausländer beigegeben sind. Auch er hat weitgehende Inspektionsrechte, kann die besteuerten Fabrikanlagen besuchen und ist über alle einschlägigen Gesetzentwürfe und Verordnungen gleichzeitig mit dem Reichsrat zu unterrichten. Für den allerdings unwahrscheinlichen Fall, daß die an ihn abgeführten Haushaltsbeiträge hinter den Haushaltsverpflichtungen zurückbleiben, kann er vom Reichsfinanzminister schärfsten Gebrauch seiner Ermächtigungen verlangen, Widerspruch gegen Tarifermäßigungen erheben usw., gegebenenfalls Änderungen in der Organisation der verpfändeten Einnahmen fordern. Die verpfändeten Abgaben stehen unmittelbar zur Verfügung des Kommissars, er führt sie in der vorgesehenen Höhe an den Generalagenten ab, sammelt daraus einen Reservefonds von 100 Millionen Reichsmark an und erstattet die überschießenden Einnahmen der deutschen Reichsregierung zurück. Die Zentralstelle für die Gesamtkontrolle über die deutschen Zahlungen bildet der von der Reparationskommission ernannte Generalagent im Verein mit den Kommissaren bei der Reichsbank und für die verpfändeten Reichssteuern. Der Generalagent ist zugleich die Verbindungsstelle zwischen der Reparationskommission und den verschiedenen Kommissaren. Seine wichtigsten Befugnisse erwachsen aus den noch zu behandelnden Bestimmungen über die Ablieferung (Transfer) der Tribute an

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die Gläubigerstaaten. Eine allgemeine Finanzkontrolle steht dem Generalagenten nur zu, wenn Deutschland mit seinen Zahlungen, und zwar absichtlich, im Rückstand bleibt. Aber die Kritik, welche er in seinen Berichten an der deutschen Finanzverwaltung übt, unterscheidet sich von einer allgemeinen Finanzkontrolle nur durch das Fehlen einer formalen Rechtsgrundlage1). Das Dawes-Abkommen begnügt sich nicht damit, einen Stab von fremden Beamten einzusetzen und mit weitgehenden Vormundschafts- und Hoheitsbefugnissen auszustatten; die Gläubigermächte wirken sogar bei der Ernennung und Absetzung v o n l n h a b e r n d e u t s c h e r D i e n s t s t e l l e n entscheidend mit — so des Generaldirektors und der Direktoren der Reichsbahn (s. o.), so des Vorstandes der Bank für Industrieobligationen. Das Ernennungsrecht des Reichspräsidenten wird entsprechend eingeschränkt oder ausgeschaltet. Ferner sind wichtige Entscheidungen an die Genehmigung eines zur Hälfte ausländischen Verwaltungsrats bei der Reichsbahn oder Aufsichtsrats (bei der Bank für Industrieobligationen) gebunden. Auch die R e i c h s b a n k muß sich einen zur Hälfte ausländischen Generalrat gefallen lassen, der den Präsidenten wählt und absetzt und der Ernennung der Mitglieder des Direktoriums durch den Präsidenten seine Zustimmung geben muß. Keine andere europäische Notenbank unterliegt solcher ausländischen Einwirkung. Selbst in Osterreich, dessen Notenbank unter Protektion des Völkerbundes zustande gekommen ist, hat man von der statutarisch zugestandenen Möglichkeit, einige Ausländer in den Verwaltungsrat zu entsenden, keinen Gebrauch g e m a c h t E s waren auch hier Erwägungen machtpolitischer Art, die gerade Deutschlands Reichsbank unter fremde Aufsicht stellten. Täglich wird die Vormundschaft, unter die Deutschlands Kreditwirtschaft gestellt ist, durch den Stempel vor Augen geführt, den der ausländische Reichsbank-Kommissar auf jede deutsche Banknote drucken muß, ehe sie in Verkehr gesetzt werden darf. Vgl. M. Sering, „Die Zuständigkeit des Generalagenten". Hamburger „Wirtschaftsdienst" v. 25. Nov. 1927. ') Vgl. Reichsbankpräsident Dr. Hjalmar Schacht, „Die Stabilisierung der Mark", Berlin und Leipzig 1927, S. 126.

62 Es trifft zu, was die New Yorker Zeitung „Financial and Commercial Chronicle" zur Zeit der Veröffentlichung des Dawesplanes schrieb: „Es wäre nicht unrichtig, den Dawesplan eine internationale Konkursverwaltung zu nennen. Für das vorgeschlagene Verfahren gibt es in der Geschichte nichts Gleichartiges. — Deutschland soll übernommen und verwaltet werden wesentlich in derselben Art, in der eine Körperschaft, deren Schuldverschreibungen notleidend geworden sind, vom Gericht übernommen und in die Hände von Konkursverwaltern übergeben wird. Die Vertretung Deutschlands in den Ausschüssen verhüllt nur zum Teil die Tatsache, daß eine ausländische Kontrolle innerer Angelegenheiten, wie sie niemals zuvor da war, weder in unserer Zeit noch in der Vergangenheit, in Wirklichkeit aufgezwungen worden ist. Der Samthandschuh ist nur eine mangelhafte Hülle der eisernen Hand. Niemals zuvor ist je vorgeschlagen worden, sich so vollständig der Wohlfahrt einer Nation zu bemächtigen." Eine Parallele gibt es nur in den Herrschaftsgebieten der weißen Rasse in den tropischen und subtropischen Ländern, vor allem in Ä g y p t e n und den m i t t e l - u n d s ü d a m e r i k a n i s c h e n R e p u b l i k e n , allenfalls noch in G r i e c h e n l a n d . Hier wie dort handelt es sich um die Betätigung eines erobernden Imperalismus, dem die Begründung eines Schuldverhältnisses die Wege ebnet. Die Finanzkontrollen, denen diese Völker unterworfen worden sind, unterscheiden sich grundsätzlich von den wirtschaftlichen Sicherungen privater Gläubiger durch Gesetze des Schuldnerlandes, wie sie in Portugal, Bulgarien, Serbien und der Türkei bestanden. Sie beruhen auf internationalen Verträgen, welche die Unabhängigkeit des Schuldnerlandes beeinträchtigen, ja, sie schließlich illusorisch machen. In Griechenland 1 ) liegt die Erhebung wichtiger Staatseinnahmen in der Hand einer Regiegesellschaft, die von einer internationalen Kommission kontrolliert wird. Die Kommissionsmitglieder werden von den Großmächten ernannt; ohne ihre Einwilligung kann die griechische Regierving weder Schatzscheine ausgeben noch Anleihen aufnehmen. Diese Kontrolle beruht auf dem Vorfrieden von Konstantinopel von 1897 und einem griechischen Gesetz von *) Wuarin, a. a. 0., S. 204ff.

63 1898, das ohne Zustimmung der Mächte nicht abgeändert werden kann. Der griechischen Kontrolle voraufgegangen war die Unterwerfung Ä g y p t e n s . Dieses der Türkei tributpflichtige Land h a t t e sich seit 1862 in der Zeit der Erbauung des Suez-Kanals zu sehr hohen Zinsen und großenteils zu unproduktiven Zwecken derart schwer verschuldet, daß es 1876 in Bankrott geriet. Die Hauptgläubigerländer, England und Frankreich, die seit langem in Ägypten politisch rivalisierten, erzwangen — schließlich, 1882, durch die Gewalt der Waffen — ein „Administrativprotektorat" in Form einer a l l g e m e i n e n Finanzkontrolle: eine Kommission, deren Mitglieder von ausländischen Regierungen ernannt werden, hat das Recht einer eindringlichen Teilnahme an allen Yerwaltungsz weigen 1 ). Der ägyptischen Kontrolle kommen die m i t t e l - u n d s ü d a m e r i k a n i s c h e n an Schärfe mindestens gleich. Hier t r i t t von vornherein eine einzige Gläubigernation — die Vereinigten Staaten — kleinen, größtenteils farbigen Völkern gegenüber, die dem Machtbereich anderer Großmächte völlig entrückt sind. In C u b a , in S. D o m i n g o , in H a i t i , in N i c a r a g u a 2 ) verbindet sich das Recht militärischer Intervention mit dem Besitz der herrschenden Positionen des Wirtschaftslebens, der Zölle, der Währung, der Verkehrsmittel, der Steuergesetzgebung; und diese Schlüsselstellungen einer Verkehrswirtschaft haben die Nordamerikaner 1922 durch eine Anleihe auch in Bolivien erlangt 3 ):

Es ist dieses System, das die Siegerstaaten nach dem Kriege auch den unterlegenen Völkern Mitteleuropas: Österreich, Ungarn und dem D e u t s c h e n R e i c h e auferlegt haben. Hier liegt also eine Bestätigung unseres Satzes vor, daß Deutschland durch das Friedensdiktat von Versailles rechtlich auf die Stufe der unterworfenen farbigen Rassen herabgedrückt worden ist. Für diese ungeheure Entrechtung hat Deutschland nur den Vorteil einer etwas besseren Sicherung gegen das Regime des *) Westhaus, „Die egyptische Finanzwirtschaft und ihre internationalen Beziehungen", Düsseldorf 1896, S. 47; Wuarin a . a . O . , S. 186ff. 2 ) Die Unterwerfung dieser Staaten erfolgt schrittweise, im Wechsel militärischer Intervention und ökonomischer Durchdringung, seit dem E n d e des 19. Jahrhunderts. Vgl. Scott Nearing und Joseph Freeman, „DollarDiplomatie" übersetzt von Haushofer, Berlin 1927, S. 258ff., S. 191ff., S. 203ff., S. 227 ff. 3 ) Scott Nearing und Joseph Freeman, a. a. O., S. 55—60. — Vgl. Margaret A. Marsh, „The Bankers in Bolivia", New York 1928, S. S. 5ff., 99ff., 105—109, 125ff., 148—157, 158—162. Melvin M. Knight, „The Americans in Santo Domingo", New York 1928, S. S. 19f., 37—39, 61, 69, 163 und Leland H. Jenks, „Our Cuban Colony", New York 1928, S. S. 78, 237, 250ff., 281 ff., 306.

64 Faustrechts seiner Oberherren eingetauscht. Zwar bleiben die Sanktionsbestimmungen des Yersailler Friedensvertrages (Teil VIII, Anlage 2, §§ 17, 18) bestehen. Hier ist indessen der Reparationskommission freie Hand gelassen hinsichtlich der Beurteilung eines Sachverhalts als Verstoßes gegen den Friedensvertrag und hinsichtlich des Vorschlages von Sanktionsmaßnahmen. Nunmehr wird ihr Beschluß an einen Antrag auf Feststellung einer sowohl böswilligen als auch s c h w e r e n Verfehlung (manquement flagrant — flagrant failure) gebunden. Erfolgte der Beschluß nicht einstimmig, so kann jedes Mitglied der Reparationskommission, das an der Abstimmung teilgenommen hat, Berufung bei einer Schiedskommission einlegen. „Diese Schiedskommission setzt sich aus 3 unparteiischen und unabhängigen Personen zusammen, welche von der Reparationskommission durch einstimmigen Beschluß oder mangels eines solchen durch den amtierenden Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag ernannt werden sollen. Der Vorsitzende soll immer ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sein" 1 ). Zusammenfassend ist zu sagen: Versailles hatte dem Deutschen Volke erdrückende Lasten auferlegt; wie es diese Lasten aufbrachte, blieb seine Sache. Einmischung aus diesem Anlaß in Deutschlands innere Angelegenheiten sollte vermieden werden. Das Dawesabkommen hat Deutschlands Entrechtung auf die Spitze getrieben, indem es einen Plan für die innere Aufbringung bis ins kleinste vorschrieb und für dessen Erzwingung neben die Besetzung des Rheinlandes eine tief eindringende Überwachung stellte. Sie war der Preis für die Liquidierung des unrechtmäßigen Raubzuges der Franzosen und Belgier ins Ruhrgebiet. Seit Annahme des Dawesplanes unterliegen fast alle wichtigen Gebiete des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland, der direkten oder indirekten Einwirkung fremder Gewalten: Wehrmacht und Vgl. Hans Gerber, „Die Beschränkung der deutschen Souveränität nach dem Versailler Vertrage". Berlin 1927, S. 79. Daß die obigen Bestimmungen durch den Locarno-Vertrag außer Kraft gesetzt seien (so Chr. Eckert in „Handwb. d. Staatswiss." IV. Aufl., Bd. 4., S. 501) scheint mir unzutreffend.

65 Finanzen, Verkehr auf den Strömen und Eisenbahnen, Geld- und Kreditwesen. Man war allerdings klug genug, um die Kontrollen möglichst unsichtbar zu machen. Der belgische Vorschlag, in Deutschland ausländische Regieverwaltungen einzurichten, wurde von der Dawes-Kommission verworfen. Die direkten Steuern in Reich, Staat und Gemeinde unterliegen nur dem Generalpfand des Versailler Friedens. Überall sind lediglich Schlüsselstellungen besetzt. So bemerkt „der Mann auf der Straße" kaum etwas vom Eingriff der fremden Gewalten in seine Lebensbedingungen. Aber die Wirkungen der Überwachung reichen bis in jede Fabrik und jede Werkstatt, in jeden Bauerhof und die ärmste Hauswirtschaft. Nachdem Deutschland inmitten der tiefen Not des Ruhreinbruchs aus eigener K r a f t sein Finanz-, Bank- und Geldwesen wohl geordnet und gefestigt hatte, wäre sein Kredit auch ohne jene demütigende Überwachung wieder herzustellen gewesen.

B. Die Höhe der auferlegten Tribute. Tribute sind durch außenpolitischen Zwang auferlegte, einseitige und fortlaufende Leistungen eines Staates an den andern. Die moderne Verkehrswirtschaft hat aber die Länder wie die Einzelwirtschaften so eng miteinander verkettet, daß kein Privathaushalt, keine Unternehmung und keine Volkswirtschaft mehr Zahlungen leisten kann, als sie selber empfängt. Tribute können, ohne rasch die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, nur entrichtet werden, wenn in der Zahlungsbilanz entsprechende Gegenposten vorhanden sind. Solche Gegenposten sind Forderungen aus Kapitalanlagen im Ausland oder Einnahmen aus der Seeschiffahrt und anderen entgeltlichen Dienstleistungen für das Ausland. Wo sie, wie im heutigen Deutschland, ohne größere Bedeutung sind, gibt es keine andere Quelle der Tributzahlung als den Wertüberschuß der ausgeführten über die eingeführten Waren — es sei denn, daß für einige Zeit auswärtige Anleihen dem tributäreri Lande zufließen. Seine Zahlungsfähigkeit richtet sich also nach dem Überschuß der Waren-Handelsbilanz. Die Tribute können entSering, Das Dawesabkommen.

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66 weder durch Überweisung von Forderungen aus dem Warenexport (Barzahlung) oder durch entgeltlose „Sachlieferungen" geleistet werden. Auch im letzteren Falle muß ein Gegenposten aus vorhergehenden entgeltlichen Geschäften oder aus Krediten vorhanden sein, welcher die Zahlungsbilanz ins Gleichgewicht bringt. Dies ist in knapper Formulierung die der Praxis abgelauschte Theorie, welche dem Dawes-Gutachten zugrunde liegt. Schon in Versailles waren es die amerikanischen Sachverständigen, die im Gegensatz zu den beutegierigen „Staatsmännern" den Satz vertraten, daß das für Reparationen benutzbare Kapital nur aus dem Fonds genommen werden könne, der sich aus dem Überschuß der Ausfuhr über die notwendige Einfuhr bildet 1 ). Inzwischen hatte auch die ausgezeichnete Untersuchung von Moulton und McGuire die konkrete Sachlage sorgfältig aufgehellt mit dem Ergebnis, daß Deutschlands Zahlungsbilanz durch den Frieden von Versailles negativ, also der Kapitalzuschüsse bedürftig geworden, und daß die Aussicht, diesen Zustand zu ändern, gering sei 2 ). Aber die Sachverständigen der Dawes-Kommission lehnten es ab, Deutschlands Zahlungspflicht nach seiner durch den möglichen Ausfuhrüberschuß bestimmten Zahlungsfähigkeit zu bemessen; denn solches Verfahren würde „eine so niedrige Summe ergeben, daß sie für Deutschlands Gläubiger unannehmbar wäre", sie fügen aus taktischen Gründen in Widerspruch zu ihrer eigenen Auffassung von den Grundlagen der Leistungsfähigkeit hinzu, daß dies auch „für Deutschland eine ungerechtfertigte Vergünstigung darstellen würde" 3 ). Mit dieser zugleich politischen und „moralischen", aber außerwirtschaftlichen Begründung entschlossen sie sich, die deutschen Zahlungen nicht nach der Zahlungsfähigkeit, sondern auf den Höchstbetrag fest!) Rufus C. Dawes a. a. O. S. 16. 2 ) Moulton and McGuire, „Germany's capacity to pay" 1923, S. 116 und 140. 3 ) S. G. XIII. Das weitere Argument, die Handels- und Zahlungsbilanz lasse sich im voraus nur durch unsichere Schätzungen ermitteln, trifft die Er mittelung der inneren Leistungsfähigkeit nicht in geringerem Grade.

67 zusetzen, der nach ihrer Meinung im Innern aufgebracht werden kann. Sie verstehen darunter den Unterschied zwischen den finanziellen Höchsteinkünften und den Mindestausgaben für Deutschlands eigene Bedürfnisse. Es war Owen D. Young, der alle Schwierigkeiten der Rechtslage und der Abrechnung über Deutschlands bisherige Leistungen aus dem Wege räumte, indem er schon auf der Überfahrt der amerikanischen Delegierten und später in Paris erfolgreich die These verfocht, daß, wie es im S. G. heißt, „nach jenem gerechten, dem Vertrag von Versailles zugrunde liegenden Grundsatz die deutsche Besteuerung verhältnismäßig genau so hoch sein müsse wie die irgendeiner in der Kommission vertretenen Mächte." Dieser Grundsatz sei nicht nur offensichtlich „moralisch gesund", sondern auch wirtschaftlich gerecht, weil andernfalls die deutsche Konkurrenz unbillige Vorteile vor Gebieten haben würde, welche im Kriege Verwüstungen erlitten hätten. Als man indessen den Gedanken der gleichen Belastung genauer durchdachte, kam man sehr bald zu dem Ergebnis, daß eine solche überhaupt nicht zu ermitteln sei. Sie ist es schon deshalb nicht, weil es an einheitlichen Methoden zur vergleichbaren Feststellung des Volkseinkommens fehlt, und weil Tribute, die ins Ausland abgeführt werden, mit Steuern, die Inlandszwecken dienen, überhaupt nicht in Vergleich gesetzt werden können. Jene schaffen oder erhalten irgendeine Bedingung der Produktivität, diese sind Abbruch am Volkseinkommen schlechthin. „Wenn man bedenkt, wie verwickelt sich die Sache durch diese und andere Erwägungen gestaltet, so muß man daran zweifeln, ob die Volkswirtschaftler sich je darüber einigen werden, welche Steuerlast in einem Lande der Steuerlast in einem anderen entspricht 1 )." Man half sich mit der Hypothese, daß die Gläubiger Deutschlands bereits Steuern bis zur äußersten Grenze ihrer Belastungsfähigkeit zahlen, die Anwendung der Regel gleicher Steuerlast also den Sinn habe, daß Deutschland ebenfalls von J a h r zu J a h r Steuern bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit be1

) Rufus C. Dawes, „Wie der Dawesplan zustande kam". S. 89—91.

Berlin 1926,



68 zahlen müsse. So landete man bei dem Grundprinzip des Versailler Diktats: „Entschädigung bis zur äußersten Grenze der Fähigkeit 1 )." Ja, man übersteigerte dieses Prinzip, indem man einen Wohlstandsindex konstruierte, der die Belastung des deutschen Haushaltes bei wachsender Bevölkerung, Einfuhr und Ausfuhr usw. automatisch vermehrt. Die Wirksamkeit des Wohlstandsindex beginnt mit den Normalzahlungen nach Ablauf einer vierjährigen Schonfrist, in der, wie man meinte, Deutschland seine alte Leistungsfähigkeit wieder herstellen könne. Bei der Ermittelung des Normalbetrages, der im Innern aufgebracht werden kann, stellt der Sachverständigenbericht eine rein fiskalisch-privatwirtschaftliche Betrachtung an. Die dem Deutschen Reiche gehörenden Eisenbahnen, so argumentierte man, liefern nach den Vorkriegserfahrungen einen Überschuß von etwa einer Milliarde. Dieser Besitz ist ganz schuldenfrei. Denn die Bahnen wurden 1921 durch das Reich von den Einzelstaaten für 358 Milliarden übernommen, und diese Summe ist heute weniger als 100 Dollar wert. Der ganze Reinertrag, auf den mit Sicherheit zu rechnen ist, wird den Reparationsgläubigern überwiesen, nämlich jährlich 1. rund 290 Millionen Ertrag der im Kriege eingeführten Beförderungssteuer, die von der Reichsbahn als Zuschlag auf die Gebühren für Personen- und Güterbeförderung eingezogen wird. 2. 660 Millionen Goldmark als Zins (5%) und Tilgung (1%) von 11 Milliarden Goldmark „Reparationsschuldverschreibungen". Um der Reichsbahngesellschaft die Mittel zu Neubauten und Ausbesserungen, auch dem Reich eine Kleinigkeit als Zuschuß zu den Reparationsleistungen zu geben, wurden ihnen IVit und % Milliarde „Vorzugsaktein" überwiesen, die gegebenenfalls eine Vorzugsdividende von 7% — zusammen 140 Millionen Goldmark jährlich abwerfen. Diese Vorzugsaktien sind inzwischen durch Reichsgarantien absatzfähig geVgl. S. G. Inhaltsangabe V i l l a 2 und Clemenoeaua Mantelnote vom 16. Juni 1919.

69 macht worden und bieten so in- und ausländischen Geldgebern eine günstige Kapitalanlage. Auf solche Weise ist über den zu erwartenden Jahresertrag verfügt. Das Reich in seiner Eigenschaft als Eigentümer der Bahn blieb auf Stammaktien beschränkt, deren Nominalwert man nach amerikanischer Gründermethode ebenso hoch ansetzte wie das rentierliche Kapital (Obligationen und Vorzugsaktien) — nämlich auf 13 Milliarden, die aber tatsächlich „Wasser" sind. So kam man zu einem Anlagewert von 26 Milliarden und konnte dem Publikum vorrechnen, daß man vom wirklichen Anlagewert weniger als 3 % verlange, das sei nicht mehr als die Vereinigten Staaten viele Jahrzehnte lang wahrscheinlich ins Ausland an Zinsen für die Erbauung ihrer Eisenbahnen gesandt hätten 1 )! Die Industrie, so argumentiert der Bericht weiter, hat sich in der Inflationszeit wie die Eisenbahnverwaltung von Schulden befreit und große Sondergewinne gemacht. Die ihr zugedachte Belastung von 5 Milliarden Kapital und 300 Millionen Jahreszahlung für Zins und Tilgung ist geringer als die vor dem Kriege bestehende Schuld, kann also ohne Schädigung der Unternehmen aufgebracht werden. Endlich ist auch das R e i c h von allen Schulden durch den Währungsverfall frei geworden; man kann es demnach kräftig belasten, ohne den Haushalt aus dem Gleichgewicht zu bringen und den Steuerzahler allzu schwer zu bedrücken. Für den Reichshaushalt, d. h. den Steuerzahler, wurde auf gut Glück die gleiche Summe eingesetzt wie für die Verzinsung und Tilgung der Eisenbahn- und Industrieobligationen (660 -f- 300 Millionen) unter Einschluß der Beförderungssteuer (290 Millionen), nämlich 1250 Millionen Mark. So kam der Gesamttribut von 2500 Millionen zustande. Schon dieser schematische Aufbau zeigt, daß hier Zahlen eingesetzt wurden, die nicht auf einer Untersuchung der deutschen Leistungsfähigkeit beruhen. Die oben wiedergegebenen Grundsätze für die „gerechte" Belastung des deutschen Steuerzahlers beziehen sich speziell auf Rufus Dawes a. a. O. S. 179.

70 die Zahlungen aus dem Steuerertrage des Reichshaushalts: Gerechtigkeits- und Konkurrenzgründe verlangen die Belastung des Haushalts mit einer neuen Schuld, die der Last des französischen, englischen, italienischen und belgischen Steuerzahlers gleichwertig ist. In Kapitel VIII b (Gleichwertige Besteuerung) versuchen die Sachverständigen den Nachweis, daß die den Deutschen zugedachte Belastung ihre Leistungsfähigkeit nicht übersteigt. Dabei schalten sie zunächst die Einnahmen aus den Eisenbahnen ganz aus. Denn „in anderen Ländern fließen die Eisenbahneinkünfte Privatpersonen zu, und man kann daher sagen, die Lage des deutschen Steuerzahlers sei die gleiche, ob solche Gewinne an Privatpersonen oder als Reparationsleistung an die Alliierten gehen". Doch im selben Atemzuge wird die schlichte Wahrheit anerkannt, daß die Abführung des Reinertrages der Eisenbahnen tatsächlich eine Belastung im internationalen Sinne sei! Bekanntlich brachten die Eisenbahnen vor dem Kriege in den größeren Einzelstaaten mehr Nettoeinnahmen als alle direkten Steuern zusammengenommen. I n Preußen waren es die Eisenbahnüberschüsse, welche die Einführung des unentgeltlichen Unterrichts in den Volksschulen gestatteten. Der Wegfall der Eisenbahneinkünfte h a t t e deshalb ohne weiteres eine entsprechende Steigerung der Steuern und besonders der Schullasten zur Folge. Selbstverständlich fließen a l l e R e p a r a t i o n s a b g a b e n — auch die Verzinsung der Industrieobligationen — aus dem Volkseinkommen und kürzen dieses im Gegensatz zu den inneren Steuern um ihren vollen Betrag. Das weitere Verfahren der Sachverständigen besteht darin, daß sie einige Obersätze konstruieren, aus denen sie die Tragbarkeit der deutschen Tribute ableiten wollen, während sie selbst die Hinfälligkeit dieser Obersätze zugeben! Die Sätze lauten 1 ): 1. Die ordentlichen Ausgaben Deutschlands werden teils durch die Einschränkung seiner militärischen Rüstungen, vor allem aber durch das Verschwinden seiner inneren Schuld vermindert. Auf die Senkung der Militärausgaben gehen die Sachverständigen nicht näher ein. Unter Einschluß der Versorgung der ehemaligen Berufssoldaten, der Kriegsverletzten, der Witwen der Gefallenen machen sie Rom. 109% der gesamten Ausgaben f ü r die alte Wehrmacht aus. „ H ä t t e Deutschland", so fährt der Bericht fort „wie es die Alliierten getan haben, die Last seiner eigenen Schulden weiter getragen und sie nicht durch Inflation zum Verschwinden gebracht, so h ä t t e es neben seinen sonstigen inneren Ausgaben noch weitere 4 1 /s bis 5 Milliarden jährlich aufbringen müssen. Demnach wäre es sowohl gerecht, wie auch möglich, in seinem Haushalt Ausgaben in Ansatz zu bringen, !) S. G. I I a .

71 die den Kriegsausgaben im Haushalt der Alliierten einigermaßen entsprechen". Doch machen sich die Sachverständigen selbst den Einwurf, daß es etwas anderes sei, eine innere und eine äußere Last aufzubringen. Denn im ersten Falle bilden die gezahlten Zinsen einen Teil des Volkseinkommens; wenn sie ausgegeben werden, so schaffen sie Gewinne, bilden einen Anreiz für die inländische Wirtschaft und sind selbst eine wichtige inländische Steuerquelle. I m zweiten Falle trifft dies alles nicht zu. Es wird anerkannt, daß das Verschwinden der inneren Schuld wie eine Vermögensabgabe zum Zwecke der Schuldentilgung wirkte. Der Krieg ist also aus dem deutschen Volksvermögen bezahlt worden und hat dieses entsprechend vermindert. Die Sachverständigen hätten hinzufügen können, daß die Streichung der deutschen Kriegsschuld deshalb unter keinen Umständen Deutschland in die Lage versetzte, die Kriegskosten zum zweitenmal effektiv aus seiner Wirtschaft herauszuziehen 1 ). 2. Die zweite Überlegung vergleicht die deutsche mit der Zinsbelastung der Alliierten für ihre Schulden, erkennt aber an, daß dieses Verfahren sich prinzipiell nicht von der ersten Betrachtung unterscheidet. 3. Der letzte und kräftigste Versuch geht direkt auf das Ziel los: „wenn das deutsche Volk eine ebenso schwere Last zu tragen hätte wie die Angehörigen des am höchsten besteuerten alliierten Landes für alle Zwecke, ausgenommen Schuldendienst, so hätten wir einen Ausdruck des Grundsatzes der gleichwertigen Belastung in einem beschränkten aber vertretbaren Sinne". Selbst hier stoße freilich jeder Versuch einer genauen Berechnung auf theoretische und praktische Schwierigkeiten. Dann heißt es weiter: „Ungeachtet dieser Schwierigkeiten ist es möglich, annähernd die Gesamtsteuerbelastung des deutschen Volkes zu berechnen, die sich ergeben würde, wenn die (staatliche und örtliche) Belastung pro Einkommenseinheit die gleiche wäre wie in Großbritannien, und durch Abzug der notwendigen inneren Ausgaben von diesem Ergebnis einen rechnerischen Überschuß zu erhalten, der wenigstens theoretisch für Reparationszahlungen verwendet werden könnte." Leider unterlassen es die Sachverständigen, ihre Berechnung mitzuteilen, schließen vielmehr mit dem überraschenden Satze: „Unter Zusammenfassung dieser verschiedenen Gesichtspunkte sind wir zu der Ansicht gelangt, daß der Grundsatz der .Gleichwertigkeit der Belastung' für Deutschland, wenn es wieder zu voller wirtschaftlicher Blüte gekommen ist, alle praktischen Schlußfolgerungen, die wir gezogen haben, mehr als rechtfertigen würde, und daß diese in jeder Hinsicht moralisch zu verteidigen sind." Diese Schlußfolgerung entbehrt jeder logischen Begründung und wird überdies mit der aufschiebenden Bedingung einer blühenden Volkswirtschaft verknüpft, deren Erfüllbarkeit im tiefsten Dunkel bleibt.

Wenn kluge und ernsthafte Männer mit einer derartigen Beweisführung sich begnügen, so darf man schließen, daß sie sich *) Vgl. Wilh. Lautenbach, „Reparation und Volkswirtschaft", Zeitschrift f. d. gesamte Staatswissenschaft, Tübingen 1925, S. 236.

72

bewußt waren, einen Beweis für die Erschwingbarkeit der auferlegten Tribute nicht erbringen zu können, wahrscheinlich sogar von der Unrichtigkeit ihrer eigenen Behauptung überzeugt waren, sie aber dennoch verkünden zu müssen glaubten, um einem höheren Zwecke zu dienen. Der Wunsch, einen Wirtschaftsfrieden um jeden Preis herzustellen, drängte die andere Aufgabe, die durch Versailles völlig veränderten volkswirtschaftlichen Grundlagen der finanziellen Leistungsfähigkeit zu untersuchen, so vollständig in den Hintergrund, daß die Sachverständigen keinen Versuch gemacht haben, diese neuen Bedingungen darzustellen. Sie arbeiteten in Paris; Deutschland haben sie, und zwar nur Berlin, einen flüchtigen Besuch von 2 Wochen abgestattet. Man hatte hier sorgfältige Berichte vorbereitet, welche die volkswirtschaftlichen Grundlagen der finanziellen Leistungsfähigkeit Deutschlands ins rechte Licht rücken sollten. Diese Berichte blieben ohne bemerkbare Beachtung, und nur die Landwirte setzten durch, daß man sie mit der Eintragimg einer neuen Hypothek auf ihren Grundbesitz verschonte 1 ). Auf der Rückfahrt nach Paris ermahnte dann General Dawes seine Mitarbeiter zum Optimismus: ,,Die für den Tribut festzusetzende Minimalsumme darf nicht den Eindruck erwecken, als setze man auf Deutschlands weitere Entwicklung keine allzu großen Hoffnungen. Der Plan darf nicht voraussetzen, daß Deutschland mit dieser Summe bei einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung hinter der in anderen Ländern erreichten zurückbleiben wird." Die Sachverständigen sollten daran denken, daß „eines der Ziele, die durch diese Bemühungen erreicht werden sollen, die Beseitigung der wirtschaftlichen Schranken im Ruhrgebiet ist und nicht die Verbreitung wohlbegründeter Meinungen über Dinge, die zugestandenermaßen nur auf Schätzung beruhen" 2 ). Vielleicht trug zu der optimistischen 1

) Dieser blieb aber mit der Rentenbank-Grundschuld aus der Zeit der Einfuhrung der Bentenmark-Währung belastet, während die Industrie hiervon befreit wurde. 2

) Rufus C. Dawes a. a. 0., S. 120/121.

73

Einstellung der Sachverständigen auch der Wunsch bei, auf solche Weise Deutschlands Kredit zu stärken 1 ). Das Ergebnis dieser Ermahnungen waren einige schwunghafte Allgemeinheiten, in denen das S. G. die gute Ausstattung Deutschlands mit natürlichen Hilfsquellen, die technischen Einrichtungen und die Eigenschaften der deutschen Bevölkerung r ü h m t : „Deutschlands wachsende und arbeitsame Bevölkerung, seine große technische Begabung, der Reichtum seiner Materialquellen, die Entwicklung seiner Landwirtschaft auf fortschrittlichen Bahnen, seine hervorragende technische Wissenschaft, all diese Faktoren gestatteten einen hoffnungsvollen Ausblick auf seine künftige Produktion." Insbesondere seien die Industriellen in der Lage gewesen, ihre hochmodernen Fabrikanlagen nach dem Kriege noch zu erweitern, so daß in vielen Industrien jetzt noch mehr produziert werden könne als vor dem Kriege. Deutschland besitze also die Mittel zu einer großzügigen Ausbeutung seiner Hilfsquellen. „Sobald die jetzige Kreditknappheit überwunden ist, wird es wieder imstande sein, eine bevorzugte Stellung in der Erwerbstätigkeit einer Welt einzunehmen, in der allmählich normale Bedingungen für den Warenaustausch wieder hergestellt sind." Dies sind die einzigen Bemerkungen im Bericht der Sachverständigen über die Lage der deutschen Volkswirtschaft unter den Bedingungen des Versailler Friedens. Ihre Dürftigkeit läßt erkennen, daß in Wahrheit nicht volkswirtschaftliche, sondern vornehmlich politische Erwägungen die Normalsätze für die deutschen Tribute bestimmt haben. Die Grundzüge des Planes standen nach sehr kurzer Zeit fest. Um die Endsumme wurde durch Monate gekämpft, bis l ) Solche Hinweise finden sich in einer Denkschrift, die bald darauf (22. II. 24) General Dawes an Herrn Barthou richtete. Hier finden sich auch einige wohlberechnete Freundlichkeiten für Herrn Poincaré, die dieser seitdem gern zitiert hat. Sie sind immerhin einigermaßen eingewickelt: „Meines Erachtens hat nur der von Frankreich mit seinem Vorrücken ins Ruhrgebiet bewiesene Mut zum Handeln die Verhältnisse und Wirtschaftsnöte herbeigeführt, die einen Wirtschaftsfrieden, der aber nun auch wirklich ein Freundschaftsfrieden sein soll, möglich gemacht haben. Wäre jene Maßnahme unterblieben, würde unser Ausschuß nicht existieren." Vgl. Rufus Dawes a. a. 0., S. 128.

74

die Amerikaner zwischen den niedrigeren Forderungen der Engländer (etwa 1 Milliarde) und den hohen der Franzosen (etwa 3 Milliarden) den Ausschlag gaben. Die Entscheidung fiel unter dem Gesichtspunkt „Wie können wir den Franzosen die Sache schmackhaft machen?" Die Endsumme erschien den Amerikanern verhältnismäßig unwichtig, weil sie annahmen, daß die Übertragungsschwierigkeiten bald eine Revision des Planes notwendig machen würden1). Den Amerikanern kam es in erster Linie darauf an, Poincaré zum Rückzüge aus dem Ruhrkohlenbecken zu bewegen. Sie überschätzten dabei wohl die Kraft seiner dort schon erschütterten Stellung. Aus dieser Zielsetzung folgte die Notwendigkeit, den aufzuerlegenden Tribut dem Ertrage des Londoner Zahlungsplanes gleichwertig zu machen. I n der T a t stimmen beide sehr genau miteinander überein : Den festen Grundstock bilden die Eisenbahn- und Industrieobligationen mit 16 Milliarden Goldmark. Sie werden bei 5% Verzinsung mit 1% in 36 bis 37 Jahren getilgt. Nimmt man an, daß die Tilgung der Leistungen aus dem Steuerertrage einschließlich der Beförderungssteuer (1540 Millionen Mark) ebenfalls innerhalb dieses Zeitraums vor sich gehen soll, und einem zu 5% verzinslichen Kapital entspricht, so beträgt ihr Gegenwartswert 27 Milliarden, bei Annahme einer ewigen Rente nicht viel mehr, nämlich 31 Milliarden. Die Normalleistung aus dem Dawesplan hat also einen Gegenwartswert von 43—47 Milliarden Mark und unter Abzug der verringerten Leistung während der ersten 4 Jahre 40—44 Milliarden 2 ). Der Wohlstandsindex aber erhöht die Last sehr bedeutend. N i m m t pian mit Raab 3 ) an, daß der Wohlstandsindex im Jahre 1929 1% ausmacht und von da an jährlich weiter um 1% steigt, so beträgt die Mehrbelastung des Reichshaushalts im Jahre 1964, d. h. dem Endjahre, in dem die Industrie- und Eisenbahnobligationen getilgt sein werden, 925 Millionen Mark, in den beiden vorhergehenden Jahren 900 und 875 Millionen. Der Gegenwartswert dieser Mehrzahlungen würde rund 6 Milliarden Mark betragen und der Gegenwartswert der ganzen Daweslast demnach 46—50 Milliarden. Die Annahme einer jährlichen Steigerung um 1% erscheint aber als sehr bescheiden. F ü r die 12 Jahre von 1902 bis 1913 berechnet sich die durchVgl. hierzu namentlich Staatssekretär Bergmann, a. a. O. S. 290. ) Vgl. Swen Heiander, „Enthält der Dawesplan eine Gesamtsumme?" im „Wirtschaftsdienst", Hamburg 1925, Nr. 19. 3 ) Prof. Friedr. Raab, „Die Bedeutung des Wohlstandsindex" in der Zeitschrift „Der Weg zur Freiheit" 1927, Nr. 18, 22, 24. 2

75 sohnittliche Steigerung nach dem Wohlstandsindex auf 6,8% in jedem Jahr, d. i. das IH fache der damaligen tatsächlichen Einkommensvermehrung. Hier zeigt sich, daß der Index mit großen Fehlern behaftet ist und ein Anwachsen des Volkswohlstandes vortäuscht, wo gar kein Wachstum vorhanden ist 1 ).

Das Gesamterträgnis entspricht reichlich dem des Londoner Zahlungsplans vom Mai 1921, d. h. der Verzinsung und Tilgung von 50 Milliarden Obligationen mit dem Unterschiede, daß der Dawesplan lediglich für einen kleinen Teil (16 Milliarden) der jährlichen Normalzahlungen eine Tilgungsquote einschließt, die Dauer der übrigen Zahlungen unbestimmt bleibt. Nach wie vor bleibt ferner die Gesamtsumme der deutschen Schuld mit 132 Milliarden Goldmark fortbestehen, sodaß Deutschland „niemals, auch nicht in Tausenden von Jahren, in der Lage ist, sich seiner Schuld zu entledigen" 2 ). So hatten die Sachverständigen die Wünsche der Anstifter des Ruhreinbruches restlos erfüllt, und Poincaré hatte gute Gründe, als er in der Kammer 3 ) der Behauptung des ehemaligen Präsidenten der Reparationskommission, Dubois, der Dawesplan habe die deutschen Reparationsverpflichtungen beträchtlich vermindert, sofort mit dem Zwischenruf entgegentrat: „Das ist nicht richtig." Den Deutschen bringt der Zahlungsplan als solcher lediglich den Vorteil, daß er alle Verbindlichkeiten aus dem Versailler Frieden umschließt : die Kosten der Besatzung und der fremden Aufsichtsinstanzen, die Annuitäten der für das erste Dawesjahr gewährten Auslandsanleihe. Zweitens gestand man eine einjährige Atempause und eine dreijährige Übergangszeit bis zum Beginn der Normalzahlungen zu. Drittens traf der Plan Vorkehrungen für gewisse Einschränkungen in den Transferbestimmungen. 1

) Vgl. Prof. EugenWürzburger, „Wohlstandsindex" im „Dresdner Anzeiger" vom 18. Mai 1927; vgl. Dr. Schuster in der „Wirtschaftskurve" 1924, III, S. 304. 2 ) Vgl. Jacques, Sey doux in der „Revue Économique Internationale", März 1927. 3

) Sitzung vom 26. Januar 1928.

76

C. Die Übertragungsbeschränkungen. H ä t t e die Dawes-Kommission nichts anderes geleistet als die Feststellung und Sicherung des neuen Zahlungsplanes, so müßte das Urteil über ihre Tätigkeit dahin lauten, daß sie mit viel Verstand ein System von Maßnahmen erdacht habe, das unter Aufrechterhaltung des Unrechtes von Versailles die Verknechtung des deutschen Volkes vollendete und darauf abzielte, das Letzte aus seiner Wirtschaft herauszupressen. Dieses Urteil wäre aber ungerecht. Denn der Fortschritt, den der Dawesplan gegenüber dem Londoner Diktat von 1921 gebracht hat, liegt gerade in der Schranke, die er der Tributpflicht gesetzt hat oder doch setzen wollte. Dies geschieht durch die Anordnungen für die Übertragung der Tribute an die ausländischen Tributherren. Aufbringen und Übertragen des Tributes sind scharf voneinander getrennt; jenes ist Deutschlands, dieses der Gläubiger Sache; und auf die Dauer soll von Deutschland nicht mehr gezahlt werden als übertragen werden kann. Handelten die Sachverständigen bei Aufstellung des Planes für die inneren Zahlungen als Politiker und Taktiker, so bei Aufrichtung der Transfer-Schranken aus der klaren Erkenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Dies tritt schon im Stil ihrer Darlegungen hervor. I m ersten Falle verdecken sie den Mangel volkswirtschaftlicher Untersuchung durch die immer wiederholte Versicherung, daß die Vorschläge der „Moral", der „Gerechtigkeit", der „Billigkeit'' entsprechen, oder sie behaupten, die „Welt sei überzeugt, daß die Deutschland auferlegte Last die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit nicht übersteige". I m anderen Falle sprechen sie die schlichte Sprache der Wissenschaft und Wahrhaftigkeit: „Die aufgebrachten und an die Alliierten auf Reparationskonto überwiesenen Beträge können auf die Dauer die Summe nicht übersteigen, deren Übertragung die Zahlungsbilanz ermöglicht, soll nicht der Verlust der Währungs- und Haushaltungsstabilität die Folge sein." „Um die Währung eines Landes dauernd stabil zu erhalten, muß sich nicht nur sein Haushalt im Gleichgewicht befinden,

77 sondern seine Einkünfte aus dem Auslande müssen auch ebenso groß sein wie seine Zahlungen an das Ausland, wobei diese nicht nur die Bezahlung der Wareneinfuhr, sondern auch die Reparationszahlungen einschließen müssen. Anleiheoperationen können die Sachlage zwar verschleiern oder ihre praktischen Auswirkungen zeitlich hinausschieben, vermögen sie aber nicht zu ändern." Nachdem der Friede von Versailles Deutschland alle anderen Quellen, aus denen es vor dem Kriege Auslandseinnahmen bezog, verschüttet hat, liegt die Grenze der deutschen Zahlungen bei dem A u s f u h r ü b e r s c h u ß . Würde „die Schuld ohne Rücksicht auf den Ausfuhrüberschuß festgesetzt und die Bezahlung unkontrollierbaren Ereignissen ohne Rücksicht auf mögliche Valutaschwierigkeiten überlassen", so würde „dies zu künftiger Unbeständigkeit der Währung und zu Katastrophen führen" 1 ). Dies zu verhindern, ist Sache des Übertragungsausschusses. Er überwacht alle Zahlungen, die aus dem Reichsbankguthaben des Generalagenten der Reparationskommission zu leisten sind. Die von den ausländischen Gläubigermächten am meisten begehrten Barzahlungen bedingen den Ankauf ausländischer Zahlungsmittel, besonders Devisen. Die Milliardennachfrage nach solchen ruft bei mangelndem Ausfuhrüberschuß unmittelbar Valutastörungen hervor: sie treibt den Kurs der Auslandswechsel in die Höhe. Sachlieferungen an das Ausland werden dagegen in Mark den deutschen Unternehmern bezahlt. Sie beeinflussen deshalb nicht unmittelbar die Wechselkurse. Die Sachverständigen sind sich aber ganz klar darüber, daß auch die Sachlieferungen das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz und damit die Stabilität der Währung gefährden. Ja, sie sehen diese Gefahr als besonders groß an. Da hier der Manometer der Wechselkurse nicht unmittelbar in Funktion gesetzt wird, haben die Sachverständigen dieser Frage besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie schreiben: „In ihrer finanziellen Auswirkung unterscheiden sich die !) S. G. XIII, Schluß.

78

Sachlieferungen tatsächlich nicht von Barzahlungen, und sie können auf die Dauer den wirklichen für die Ausfuhr verfügbaren Überschuß der deutschen Produktion über den Verbrauch nicht übersteigen, ohne die Währung in Unordnung zu bringen oder d i e A u f n a h m e a u s w ä r t i g e r A n l e i h e n notwendig zu machen 1 )." Auch Sachlieferungen sind also nach der richtigen Auffassung der Sachverständigen nur möglich, wenn entsprechende Gegenforderungen aus der freien Warenausfuhr zur Verfügung stehen. Die sorgfältige Überwachung der Sachlieferungen und der ihnen gleichgestellten Leistungen aus dem Reparation Recovery Act ist die große Aufgabe des Transfer-Komitees. Unmittelbar nach der Bestimmung der Zusammensetzung heißt es: „Dieses Komitee wird die Durchführung des Programms für die Sachleistungen und die Zahlungen auf Grund des Reparation Recovery Act derart regeln, daß Störungen des Wechselkurses verhindert werden" 2 ) und erst an zweiter Stelle: „Das Komitee wird außerdem die Übertragung von Bargeld an die Alliierten durch Ankauf von Devisen regeln" . . . Zugleich werden Richtlinien gegeben, welche die Schädigung der Warenhandelsbilanz durch unentgeltliche Warenlieferungen verringern sollen. Die Sachverständigen erkennen zwar die politische Notwendigkeit der Fortsetzung der Sachlieferungen an — „sie sind im Friedensvertrage vorgesehen", sie sind „ f ü r die Wirtschaft mehrerer alliierter Staaten augenblicklich unentbehrlich". Wenn nicht übertrieben, können sie einen Ansporn für die deutsche Produktivität bilden. Sie können verhindern helfen, daß der Ausfuhrüberschuß durch Kapitalanlagen deutscher Privatpersonen im Ausland aufgesogen wird. Da die Sachlieferungen aber „leicht einen unwirtschaftlichen Charakter gewinnen können, sollen sie auf natürliche Erzeugnisse Deutschlands, wie sie der Vertrag besonders vorsieht (Kohle, Koks, Farbstoffe usw.), beschränkt werden und in zweiter Linie auf solche Exporte, welche nicht die vorherige Einfuhr in Höhe eines erheblichen Prozentsatzes ihres Wertes nach Deutschland bedingen". !) S. G. XI.

2

) 8. G. XIII.

79

Wird dem Zahlungsplan entsprechend mehr auf das Konto des Generalagenten bei der Reichsbank von der deutschen Regierung eingezahlt, als durch Lieferungen oder Devisenkäufe übertragen werden kann, so soll der sich ansammelnde Überschuß dieses zinslosen Depots „unter normalen Verhältnissen bis zu 2 Milliarden Reichsmark zu kurzfristigen Geldoperationen der Bank Verwendung finden". Darüber hinaus sollen die Gelder in Obligationen oder Anleihen innerhalb Deutschlands angelegt werden. Gegebenenfalls wird so der Generalagent zum mächtigsten Kreditgeber Deutschlands. „Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen" wird ein Höchstbetrag von 5 Milliarden Reichsmark für die Ansammlung festgesetzt. Ist diese Grenze erreicht, so werden die Zahlungen aus dem Haushalt und aus der Beförderungssteuer auf einen Betrag herabgesetzt, der eine weitere Kapitalansammlung verhindert. Der hier zugrunde liegende wirtschaftliche Gedanke ist, daß die leihweise Beschaffung des Tributes grundsätzlich zu verwerfen sei: Der Tribut soll aus laufenden Mitteln beschafft, bei mangelnder Leistungsfähigkeit nur mit zwei vollen Jahresraten, also auf nicht mehr als zwei Jahre gestundet, nach deren Ablauf aber erlassen werden. Der Höchstbetrag des anzusammelnden Vermögens kann von dem Übertragungsausschuß herabgesetzt werden, „wenn 2/a seiner Mitglieder der Meinung sind, daß eine derartige Ansammlung eine Bedrohung der deutschen Finanz- oder Wirtschaftslage oder der Interessen der Gläubiger darstellt". Nur im Falle verabredeter Finanzmanöver treten die zugunsten Deutschlands getroffenen Transfer-Bestimmungen außer Kraft. Nach dem allen ist völlig klar: die Sachverständigen wollten die Gesamtheit der deutschen Leistungen auf den vorhandenen Überschuß der entgeltlichen Ausfuhr über die Einfuhr begrenzen. Hier sahen sie die unüberschreitbare Grenze der Leistungsfähigkeit, hier auch letztlich die Grenze für die Möglichkeit, die Last aus eigener Kraft im Innern des Landes aufzubringen: übersteigen in einem Jahre die notwendigen eigenen Ausgaben und Reparationslasten die Steuerkraft, so ist „der einzig mögliche Ausweg der, daß die Verpflichtungen aus dem Vertrage für das

80 betreffende Jahr dem angepaßt werden" 1). Dies ist der Sinn der Transfer-Beschränkungen. Unzweifelhaft wußten die Sachverständigen, daß ein Exportüberschuß nach wie vor dem Kriege gefehlt hat. Aus naheliegenden taktischen Gründen sprechen sie aber nirgends davon. Die Ableugnung der Möglichkeit, einen Ausfuhrüberschuß zu erzielen, hätte die Annahme ihres Planes durch Frankreich gefährdet. Nur für den Anfang setzen die Sachverständigen ausdrücklich das Fehlen eines Ausfuhrüberschusses in ihre Rechnung ein und sehen für die ersten beiden Jahre lediglich Sachlieferungen in beschränktem Umfange vor. Für die spätere Periode fordern sie, daß das Programm der Sachlieferungen, um Valutaschwierigkeiten zu vermeiden, von der Reparationskommission gemeinsam mit dem Transfer-Komitee im voraus sorgfältig und in gleichmäßigen Abständen geprüft wird. Bei allmählichem Zurücktreten der Sachlieferungen aber mußte nach ihrer Meinung die Spannung zwischen der Warenhandelsbilanz und den Anforderungen aus der Reparationsverpflichtung stets deutlich im Wechselkurse zum Ausdruck kommen. Je nach der Lage des Devisenmarktes sollen größere oder geringere Zahlungen geleistet werden. Die „Einhaltung einer gewissen einheitlichen und durch sachverständige Regelung dauernd unterstützten Politik hinsichtlich der Wechselkurse (in regard to the exchange) bildet den Kernpunkt des Reparationsproblems2)." Durch die Tätigkeit des Transfer-Komitees sollte das ganze System der Tributzahlungen elastisch gestaltet werden. Auf diese Weise fand man zugleich den Ausweg aus der Sackgasse, in welche die Sachverständigen durch das Verbot einer endgültigen Feststellung der deutschen Zahlungsfähigkeit gedrängt worden waren. Sollte freilich die Deutschland auferlegte Summe aus einem Ausfuhrüberschuß tatsächlich zur Übertragimg gelangen, so setzte dies jene gewaltige Zunahme der deutschen Exporte voraus, der man in weiten Kreisen besonders Englands mit großer Sorge entgegensah. S. G. VIII.

2

) S. G. XIII, Schlußsatz.

81 Es ist aber anzunehmen, daß wenigstens die führenden Köpfe in der Dawes-Kommission mit einer lange dauernden Passivität der deutschen Handelsbilanz und der Unmöglichkeit, den Transfer zu bewerkstelligen, rechneten. Darum stattet ihr Plan das Transfer-Komitee mit besonderer Autorität aus. Nicht weniger als 5 erste Sachverständige — je ein Nordamerikaner, Engländer, Franzose, Belgier, Italiener —von der Reparationskommission nach Fühlungnahme mit den Mitgliedern gleicher Staatsangehöriger im Generalrat der Reichsbank ausgewählt, sollen unter Vorsitz des Generalagenten die Transfer-Angelegenheiten behandeln. Wenn nach ihrem Urteil der im Inlande angesammelte Einnahme-Überschuß für die Bezahlung von Reparationen nicht benutzt werden kann, „so kann in den alliierten Ländern niemand sagen, daß die Gerechtigkeit und die Moral durch den Nachlaß einer Schuld verletzt worden sind, sondern jeder wird wissen, daß die Schuld wegen der wirklichen Armut des Schuldners nicht beigetrieben werden kann 1 )". Rufus C. Dawes a. a. 0., S. 55.

Sering, Das Dawesabkommen.

6

T e i l II.

Die Durchführung des Dawesplans. Seine volks- und weltwirtschaftliche Bedeutung. Das praktische Experiment sollte die deutsche Leistungsfähigkeit bestimmen und die endgültige Lösung des Reparationsproblems bringen. Die Sachverständigen glaubten, daß ihr Plan „geeignet sei, ein endgültiges umfassendes Abkommen", nicht nur über die Reparationsfragen, sondern auch „die damit verbundenen Fragen", also über die interalliierten Schulden, zu erleichtern, sobald die Verhältnisse solches Abkommen ermöglichen. Das Experiment hat bisher versagt, und zwar vor allem deshalb, weil eine Grundtatsache der deutschen Volkswirtschaft nicht mit in Ansatz gebracht war: die Kapitalarmut. In dem Bericht der Sachverständigen findet sich nicht ein Wort von den ungeheuren Verlusten an Sachkapital, die Deutschland im Kriege und während des Ruhr-Einbruchs, durch die Annexionen und ersatzlosen Enteignungen erlitten hat. Auch beurteilten die Sachverständigen die Wirkungen der Inflation auf die Wirtschaft in nicht ganz zutreffender Weise. Sie sahen nur die Vermögensverschiebung zugunsten der Unternehmer und Grundeigentümer und die Zerstörung von Betriebskapital in Form von Geld und Geldforderungen, nicht aber die Fehldispositionen, die eintraten, weil die rasende Geldentwertung alle voraussehende Kalkulation unmöglich machte, und jeder nur darauf Bedacht nahm, seine Geldeinnahmen schleunigst in Sachwerte umzuwandeln. Endlich wurde nicht in Betracht gezogen, daß infolge einer fast zehnjährigen Absperrung vom freien Weltmarkt die Fabrikanlagen im allgemeinen keineswegs „hochmodern", sondern zum großen

83 Teil technisch ebenso zurückgeblieben waren, wie der Krieg die Äcker entkräftet, alle Arbeiten zur Bodenverbesserung unterbrochen und den Viehstand dezimiert hatte. Um alle diese Verluste nach Möglichkeit auszugleichen und die Umgruppierungen vorzunehmen, welche die Gebietsverluste nötig machten, bedurfte es großer Beträge langfristigen Anlagekredits. Die Sachverständigen aber glaubten, daß es mit einer Ergänzung des Betriebskapitals getan sei, um die deutsche Produktion wieder in Schwung zu bringen. Dann sollte die Außenhandelsbilanz und der hiervon abhängige Devisenkurs das Ausmaß der deutschen Tributleistungen bestimmen. Tatsächlich aber ist der Gegenposten in der Zahlungsbilanz, ohne den Tributzahlungen nicht möglich sind, nicht durch den deutschen Außenhandel, sondern durch Kredite geschaffen worden. Sie strömten in einem Umfange ein, daß dadurch dem Wechselkurs die Eigenschaft eines Indikators der deutschen Produktivkraft und Zahlungsfähigkeit genommen wurde. Der Übertragungsausschuß aber hielt sich an die formelle Vorschrift, die von ihm zu bewirkenden Sachlieferungen und Barzahlungen so weit vorzunehmen, wie es „der Devisenmarkt nach dem Ermessen des Komitees zuläßt, ohne die Stabilität der deutschen Währung zu bedrohen"1). Solche Bedrohung lag trotz des fehlenden Ausfuhrüberschusses nicht vor, weil die Anleihen für ein reichliches Angebot von Devisen sorgten. Die Passivität des auswärtigen Warenhandels hat sich (siehe Tab. S. 84 u. 92) in den vier Kalenderjahren 1924 bis 27, verglichen mit 1913, vervielfacht. Für die Reparationsleistungen stand also ein Exportüberschuß keineswegs zur Verfügung. Auch der unsichtbare Außenverkehr, dessen Erträge vor dem Kriege die Verpflichtungsbilanz mit etwa einer halben Milliarde Mark aktiv gemacht hatten, ergab einen wachsenden Fehlbetrag. Man schätzt, daß in den Jahren 1924 und 1925 1,2 Milliarden Reichsmark gehamsterte Noten nach Deutschland zurückgeflossen sind. Abgesehen von diesem Posten mußte der ganze Uberschuß der ') Vgl. das Sachverständigen-Gutachten, Anl. VI.

6*

84

Deutschlands Verpflichtungsbilanz. M i l l i o n e n ß o l d m a r k ( j e w e i l i g e r Wert).

1913

Passivposten Warenhandelsbilanz (einschl. Gold und Silber) Reparationsleistungen . . . . Summe

-1008 —

-1008

F r ü h e r e oder jetzige Aktivposten Bilanz des unsichtbaren Außenverkehrs + 1600 Mehr - Aus- (—) und Ein- (+) fuhr von Kapitalien.... - 592 Reparationsleistungen a) duroh Sachlieferungen b) im Inlande verwendet Summe + 1008

1924

1925

1926

1927

1924 bis 1927 Jahresim durchganzen schnitt

-2200 -3492 - 281 - 1 0 5 7

- 351 - 3 5 6 3 -1191 -1584 -

-2481

-4549

-1542

+

-

79

62 -

+ 2200 + 3929 +

16

-5147

-

9606 - 2 4 0 1 4113 - 1 0 2 8

-13719 -3429

223 -

222 -

55

834 + 4725 + 11678 + 2919

+ 119 + 520 + 631 + 578 + 1814 + 462 + 83 + 162 + 93 + 77 + 415 + 104 + 2481 + 4549 + 1542 + 5147 + 13719 + 3429

Daa Zustandekommen der obigen Ziffern des entgeltliohen Außenverkehrs wird weiter unten erläutert. Die W a r e n h a n d e l s b i l a n z ist auf Grund der Annahme des Konjunktur-Instituts beriohtigt, daß die Wareneinfuhr (ohne Gold und Silber) 1924 und 1925 um etwa 5 % , 1926 und 1927 um etwa 3 °/0 zu hoch, die Warenausfuhr aber um 1,5 °/0 zu niedrig bewertet worden sei. Für 1913 fehlen die Unterlagen für eine analoge Berichtigung. Der oben für 1913 angegebene Einfuhrüberschuß ist deshalb mit demjenigen für 1924—27 nicht ohne weiteres vergleichbar.

Wareneinfuhr und die Gesamtheit der Reparationen mit Hilfe von Anleihen und kurzfristigen Krediten bestritten werden. Die deutsche Außenschuld wuchs dadurch bis Ende 1927 auf rund 10 Milliarden Mark an. Darunter waren öffentlich aufgelegte Anleihen im Nominalbetrage von 5505 Millionen Mark, im Auszahlungsbetrage von 5163 Millionen Mark, und zwar unter Einschluß der „Dawesanleihe" (927 bzw. 800 Millionen Mark). Etwa der gleiche Betrag von 5 Milliarden Mark entfiel rechnungsmäßig auf kurzfristige Darlehnsgeschäfte und Warenkredite. Dabei sind in unserer Bilanz die mit inländi-

85 schem Geld bezahlten Tribute (Sachlieferungen, Zahlungen an die Besatzungstruppen, Kosten der fremden Kommissionen) als Aktivum eingesetzt), obwohl nur ein Teil *) der Sachlieferungen, nämlich diejenigen Sachgüter, welche ohne Lieferungszwang nioht exportiert worden wären, als Verbesserung der Zahlungsbilanz anzusehen ist. Gustav Cassel bemerkt demnach mit Recht, es sei das Gegenteil der Erwartungen eingetreten, mit denen die Politiker der Siegerstaaten den Dawesplan begleiteten. Sie „wünschten einen Kapitalstrom aus Deutschland in andere Länder zu zwingen. Aber die ökonomische Notwendigkeit war größer und wandte den Kapitalstrom in genau der entgegengesetzten Richtung, nämlich von auswärts nach Deutschland" 2 ). Nicht als hätte das Reich noch eine andere außer der „Dawesanleihe" für die Zahlung des ersten Jahrestributes aufgenommen. Die für Investierungszwecke dienenden Anleihen flössen aber der deutschen V o l k s w i r t s c h a f t in Form von Devisen zu, die bei der Reichsbank gegen Mark umgetauscht, zu Bauten, zum Ankauf inländischer Rohstoffe, Maschinen usw. verwandt wurden. Dieser mit seinem Gegenwert der Wirtschaft zugeführte, an die Reichsbank verkaufte Teil der Devisen stand dem Generalagenten zur Vornahme des Bartransfers zur Verfügung. Er erwarb sie aus den ihm überwiesenen Markzahlungen. Auch das Aufbringen der Reparationslast im Innern konnte in einer Zeit gewaltigen Kapitalzustromes keine besonderen Schwierigkeiten machen. Unter diesen Umständen lassen die bisherigen Leistungen keinerlei Schluß auf Deutschlands Leistungsfähigkeit zu. Aber angesichts der rapide anschwellenden Verschuldung und der von September 1928 an einsetzenden hohen Normalleistung aus dem Dawesplan ist die Frage, ob und wie lange Deutschland dieser doppelten Verpflichtung nachkommen könne, um so dringlicher geworden. Man bereitet sich besonders auch im Auslande auf die im Dawesplan in Aussicht genommene endgültige Regelung der Reparationsfrage vor. *) Naoh Schätzungen und Erhebungen nur 40 °/ 0 . G u s t a v C a s s e l : The Dawes-plan unworkable! Financial News, S. 25, Oct. 1927. a)

86 Ist die Aussicht vorhanden, daß sich in absehbarer Zeit ein Ausfuhrüberschuß einstellt, aus dem die Zahlungen geleistet werden können? Die wohl vorherrschende Ansicht lautet in kurzer Zusammenfassung: Vor dem Kriege war die Warenhandelsbilanz passiv, weil Deutschland als Gläubigerland aus den Erträgen seiner draußen arbeitenden Kapitalien den Zuschuß an fremden Waren bezahlen konnte. Dieser Zustand war dauernder Art, bis der Krieg ihm ein Ende setzte. Jetzt ist die Bilanz des auswärtigen Warenhandels deshalb passiv, weil Deutschland ein Schuldnerland geworden ist und die Kredite größtenteils in Warenform einkommen. Dieser Zustand ist vorübergehender Art, die Handelsbilanz wird, so wie schließlich diejenige aller Schuldnerstaaten, notwendig aktiv werden, und dann den nötigen Fonds für Reparationslasten ergeben. Diese Auffassung, besonders auch von amerikanischen Finanzleuten wie Rufus Dawes und George P. Auld 1 ) vertreten, stützt sich auf die Erwägung, daß die einströmenden Kredite die Produktivität der deutschen Wirtschaft auf ähnliche Weise zu steigern vermögen, wie sie es in den Vereinigten Staaten zur Zeit der Erschließung und Besiedlung des Westens vermocht haben. Indessen ist mit allgemeinen Theorien und Analogien das Problem nicht zu lösen. So wenig eine theoretische Durchleuchtung des komplizierten Tatbestandes zu entbehren ist, so gewiß muß die Urteilsbildung von einer Analyse der deutschen Wirtschaftsentwicklung ausgehen. Dann zeigt sich, daß jene Theorien entscheidende Kräfte des wirklichen Lebens unbeachtet lassen. Zunächst ist festzustellen, daß laut obiger Rechnung das deutsche Volk den Auslandskredit in Anspruch nehmen müßte, auch wenn es keinerlei politische Außenschuld zu tragen hätte. Deutschland ist also schon deshalb ein Schuldnerland geworden, weil im Gefolge des Krieges und der Friedensschlüsse an Stelle des Überschusses ein Milliarden-Defizit im sichtbaren und unsichtbaren Außenhandel getreten ist. Demnach wird zu untersuchen sein, w e l c h e U r s a c h e n d i e s e s D e f i z i t hervor') The Dawes Plan and the new economics, New York 1927.

87 g e r u f e n und g e s t e i g e r t h a b e n , ob d i e s e U r s a c h e n d a u e r n d e r oder v e r ä n d e r l i c h e r N a t u r sind, und weiterhin, welche Wirkungen die Tributpflichten und die Auslandsanleihen auf Volkswohlstand und Kapitalkraft ausüben. Wir verfolgen die Wirtschaftsentwicklung Deutschlands während der letzten 4 Jahre an Hand der Bilanz seines Außenverkehrs, indem wir die Aktiv- und Passivposten der deutschen Verpflichtungsbilanz zergliedern und festzustellen versuchen, inwieweit die eingetretenen Veränderungen struktur- oder konjunkturmäßig bedingt sind. K a p i t e l IV.

Kausal-Analyse der Veränderungen im deutschen Außenverkehr und in seinen Produktionsgrundlagen. A. Die Tatsachen. 1. Bilanz des unsichtbaren Außenverkehrs1). Ü b e r s c h u ß ( + ) o d e r F e h l b e t r a g (—) in M i l l i o n e n M a r k des jeweiligen Wertes.

1913

1924

1925

1926

1. Zinsen usw +1000—1250 + 80 90 - 2 0 0 2. Schiffsverkehr + 200 + 250 + 296 + 540 3. Sonstige Dienstleistungen - 136 — 137 - 37 + 60 Darunter: a) Durchfuhrverkehr . + 120 + 30 + 30 + 65 b) Versioherungsgeschäfte usw + 340 - 25 — 15 - 23 o) Reiseverkehr - 80 — 90 - 10 ± o d) Ersparte Löhne ausl. Arbeiter -400 - 50 _ 50 - 50 4. Kapitalübertragungen durch Wanderungen.. - 65 — 85 - 75 — Summe + 1600—1850 + 79 - 62 - 16 l

1927

1924 bis 1927 im Jahresgan- durchzen schnitt

- 4 3 0 - 640 - 1 6 0 + 304 + 1050 + 262 -

27 - 3 3 7

-

84

+

70 + 195 +

49

+

13 - 76 20 - 1 6 0 -

19 40

-

50 - 2 0 0

-

50

- 70 - 2 9 5 -223 -222

-

74 55

) Wir halten uns für die Jahre 1924/27 an die Schätzungen des Statistisoben Reiohsamts (Wiitsohaft und Statistik 1928, S. 158) und des Instituts

88 Für die Bewegung der Einnahmen aus dem unsichtbaren Außenverkehr sind besonders zwei Posten entscheidend: der „Schiffsverkehr" und die „Zinsen". Ihre Kurven verlaufen seit 1924 in entgegengesetzter Richtung. Der Einnahmeüberschuß aus der deutschen Seeschiffahrt bietet das Bild kräftigen Wachstums. Durch sehr energische Anspannung der persönlichen und finanziellen Kräfte ist es gelungen, die weggenommene Seehandelsflotte zu einem beträchtlichen Teil zu ersetzen. Die deutschen Reedereien hatten (einschließlich der Kriegsverluste) 4788000 Br.-Reg.-T. verloren und nur eine Reihe von kleineren und minderwertigen Schiffen mit weniger als 100000 t Ladefähigkeit behalten1). Von dem Gesamtverlust hat das Reich etwa ein Drittel gedeckt. Am 1. Januar 1927 umfaßte die deutsche Kauffahrteiflotte wieder 4 045 Schiffe mit einem Bruttoraumgehalt von 3,4 Millionen Tonnen, das sind 65,3 °/0 ihres Raumgehalts am 1. Januar 1914. Sie besitzt mit 54,2 °/0 des Bruttoraumgehalts (gegen 34 °/0 im Jahre 1914) den wohl größten Prozentsatz an neuer Tonnage (bis zu 7 Jahren). Daneben allerdings auch 24,8 °/0 alter (zurückgekaufter) Schiffstonnage (von 20 und mehr Jahren) gegen 12,1 °/0 im Jahre 1914. Im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung Mitteleuropas und der Bedeutung seiner Industrie ist die deutsche Handelsflotte immer noch klein. Sie steht unter den Hauptschiffahrtsländern nach ihrem Raumgehalt mit 5,6 °/0 jetzt an sechster Stelle. 1914 folgte Deutschland mit 12 °/0 in allerdings weitem Abstände an zweiter Stelle hinter Großbritannien. Auf dieses entfielen damals 44,4 °/ 0 , jetzt 32,1 °/0. Trotz des günstigen Geschäftsganges im Jahre 1927, der eine durchschnittliche Dividende von 8,1 °/0 bei den zehn wichtigsten deutschen Schiffahrtsgesellschaften zu verteilen gestattete, für Konjunkturforschung (Vierteljahrshefte 1926, Ergänzungsheft 2), für 1913 an diejenigen des Institute of Economics: Moulton & Mo Cuire, „Germany's capacity to pay", New York 1923, S. 268. Im übrigen vergleiche die sorgfältige Untersuchung von R. Meerwarth über „Die deutsche Zahlungsbilanz", Schriften d. Ver. f. Sozialpolitik Bd. 167. Leipzig 1924. Hermann P a n t l e n , „Der Wiedereintritt Deutschlands in die Weltschiffahrt". Sozialw. Forschungen Abt. IV, H. 5, 1927.

89 bleibt der Nettoertrag aus dem Schiffsverkehr noch um mehr als 2 / 6 , und zwar ohne Berücksichtigung der Geldentwertung, hinter 1913 zurück. Man darf hoffen, daß es gelingen wird, Deutschlands einstigen Anteil an der Seeschiffahrt wieder zu erringen und den Ausfall an Einnahmen aus dieser Quelle mit der Zeit wett zu machen. Aber die Linie des Aufstiegs der deutschen Schiffahrt und ihres Ertrages bleibt weit hinter der Zunahme der von Deutschland an das Ausland zu zahlenden Zinsen, Dividenden und ähnlichen Einnahmen zurück. Der McKenna-Ausschuß schätzte die Vermögenswerte, welche in D e u t s c h l a n d w o h n e n d e Reichsangehörige im Jahre 1914 besaßen, auf 28 Milliarden — das Statistische Reichsamt wohl richtiger auf 20 bis 25 Milliarden Mark. Die Verzinsung dieses Auslandskapitals wird von v. Glasenapp und dem Statistischen Reichsamt auf 1000 bis 1250 Millionen Mark geschätzt. Dabei ist die Zinsrate so niedrig angesetzt, daß der genannte Jahresertrag zugleich als Saldo der Kapitalertragsbilanz gelten kann. Denn der Besitz von Ausländern an deutschen Wertpapieren und ihr Anteil an deutschen Unternehmungen waren sehr gering. Der weitaus größte Teil der deutschen Kapitalanlagen im Ausland ist durch Entwertung, Veräußerung, Liquidationsund Sequestrationsmaßnahmen (in und nach dem Kriege) verloren gegangen. Der McKenna-Ausschuß nimmt den verbleibenden Rest für Ende 1923 — wahrscheinlich zu hoch — auf 6 3 / 4 Milliarden Goldmark an. Er dürfte jetzt etwa 5 Milliarden betragen und wäre dann nur halb so groß wie die Summe der rasch angewachsenen deutschen Auslandskredite. Das Statistische Amt schätzt den Nettobetrag der deutschen Passivzinsen und ähnlicher Zahlungen für 1927 auf 430 Millionen Mark — ohne die Verzinsung der Dawesanleihe, die unter den Reparationsleistungen erscheint und ohne Kapitalrückzahlungen — am 1. September 1928 werden es 500 Millionen sein. Die Differenz zwischen 1 bis 1,25 Milliarden Aktivzinsen vor dem Kriege und 0,5 Milliarden Passivzinsen im Jahre 1928 umschließt keineswegs die Gesamtheit der Kapitalverluste, welche die deutsche Volkswirtschaft durch die politischen Ereignisse erlitten hat. Die

90 Berechnung läßt als für die Zahlungsbilanz unmittelbar bedeutungslos das den im A u s l a n d w o h n e n d e n Deutschen entrissene Vermögen außer acht. Der daraus erwachsende Verlust beschränkt sich auch nicht auf die erfaßten Vermögensobjekte. Man hat Hunderttausende von deutschen Kaufleuten, Industriellen und Landwirten entwurzelt, indem man ihr Lebenswerk vernichtete. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe für die langsame Wiederherstellung des deutschen Exporthandels. Wie der Zinsüberschuß, so sind auch die Einnahmeüberschüsse aus anderen Dienstleistungen als der Schiffahrt aus der Bilanz verschwunden: Das Versicherungs- und Bankgeschäft mit dem Auslande ist ins Passivum getreten, der Gewinn aus dem Durchfuhrverkehr vermindert. Die vor dem Kriege fast ganz versiegte überseeische Auswanderung hat wieder eingesetzt (1923 bis 27 in Tausend 115, 58, 63, 65, 61) und bedingt Kapitalübertragungen ins Ausland. Die Zuführung von Vermögen durch Einwanderer fällt dem gegenüber nicht ins Gewicht. Wohl sind etwa eine Million Deutsche seit 1919 aus dem ungastlichen Auslande ins Mutterland zurückgekehrt, aber es waren fast durchweg Leute, die man ihres Vermögens beraubt hatte, und die nun das Gedränge um die spärlicheren Arbeitsgelegenheiten vermehren. Die meisten kamen aus Polen1). Eine Verbesserung der Bilanz ist nur in dem Posten „Ersparte Löhne" der ausländischen Wanderarbeiter eingetreten. Vor dem Kriege kamen alljährlich 7—800000, hauptsächlich Polen und Ruthenen ins Land, 1926 waren es noch rund 135000 2 ). Das E r g e b n i s ist, daß die aus den Anleihen erwachsene privatwirtschaftliche Jahresverpflichtung von einer halben Milliarde im unsichtbaren Außenverkehr keinen ausreichenden *) Vgl. oben S. 18. Nach deutscher Quelle wurden von Juni 1919 bis August 1925 865000 Deutsche von dort verdrängt. („Wirtschaft und Statistik" Jahrg. 1925, II. Sonderheft, S. 8 und Jahrg. 1927, S. 306—307.) Darunter 124031 Landarbeiter, 11262 Industriearbeiter. Das zugelassene Kontingent der Landarbeiter ist inzwischen von 130000 auf 100000 heruntergesetzt. Vgl. F a a ß , „Die ausländischen Wanderarbeiter in der deutschen Landwirtschaft", Berichte über Landwirtschaft, Berlin 1927, Bd. VI, S. 115fi.

91 Gegenposten mehr findet. Ein solcher fehlt erst recht in dem hochpassiven auswärtigen Warenhandel. Die Zunahme der Zinsenlast muß also unter sonst gleichbleibenden Umständen in geometrischer Reihe vor sich gehen. Im Herbst 1928 wird durch die Zinsverpflichtung die dann voll einsetzende Reparationszahlung um */B auf 3 Milliarden Mark jährlich erhöht, das sind rund 50 Mark auf den Kopf der Bevölkerung. Damit ist Deutschland wohl zum höchstverschuldeten Lande der Erde geworden. Die weitere Untersuchung wird ergeben, ob der Zeitpunkt abzusehen ist, in dem die Kapitalbildung im Inlande trotz der zu leistenden Tribute so stark geworden ist, daß die Auslandsanleihen getilgt werden können, die Passivzinsen damit verschwinden, der zertrümmerte Außenhandels-Apparat wieder in alter Kraft aufgerichtet ist und die deutschen Kapitalforderungen an das Ausland einen Umfang annehmen, groß genug, um aus ihrem Ertrage, wie vor dem Kriege, die Passivität der Waren-Handelsbilanz auszugleichen. 2. Die Bilanz des deutschen Warenhandels mit dem Auslande. Während die Ziffern des unsichtbaren Außenverkehrs auf Schätzungen, beruht die Statistik des Warenhandels über die Grenze auf im ganzen sehr zuverlässigen Feststellungen der Zollbehörden, die Ermittlung des Wertes der ausgetauschten Waren teils auf Schätzungen, teils auf Erklärungen der Im- und Exporteure. Durchweg auf Deklaration wie in England oder Amerika wird die Wertermittlung erst vom 1. Oktober 1928 an gestellt. Das Statistische Reichsamt hat mit Rücksicht auf die bei der bisherigen Wertermittlung vorkommenden Fehlerquellen zum Zwecke der genaueren Feststellung der Z a h l u n g s b i l a n z die Einfuhrwerte erniedrigt, die Ausfuhrwerte erhöht (vgl. oben S. 84, Erläuterung zur Tabelle). Da die Fehlerquellen vor dem Kriege die gleichen waren, legt man Vergleichen der Vor- und Nachkriegszeit am besten die unberichtigten Zahlen zugrunde.

In der nachstehenden Übersicht ist das J a h r 1 9 2 4 ausges c h a l t e t , weil bis zum Herbst dieses Jahres die Ein-und Ausfuhrziffern wegen der Störungen der deutschen Zollverwaltung

T3 a C3

X

tài

w 3 ce - 3,20

1

-0,68

- 4,24 - 0,80 -4,14

-0,23 -1,59

10,22

10,24 0,58

0,04

CO eo » 9,82 0,63

8,84

- 0,58

- 0,22 -3,92 -3,56

-0,67

+ 5,60 + 5,08

- 4,57 - 2,62 + 5,36

IM o"

CQ io ©

o 00 00 o ©

in dem süddeutschen Gebiet 38 °/0, aufbereitet bis 5 0 % Fe. a ) Auch an der Saar sind die Eisenwerke mit nur einer Ausnahme durch den Druck, den die französische Staatsverwaltung der Kohlengruben ausübte, überfremdet worden.

99

Großbritannien und die anderen Länder1). Von der fortschreitenden Intensität der Nutzbarmachung der Kohlenschätze geben die Erfolge der Kohlenverflüssigung, der Ferngasversorgung und die bedeutsamen Verbesserungen der Wärmemechanik Kunde2). Die Wirkungen dieser Arbeit reichen in alle Zweige der deutschen Wirtschaft hinein. Obwohl 45 °/0 der Hochöfen des alten Reichsgebiets verloren gegangen sind und die Zahl der verbliebenen Hochöfen keine wichtige Veränderung erfahren hat, ist deren Leistungsfähigkeit über das Ausmaß der Vorkriegszeit ebenso gesteigert worden wie diejenige der Stahl- und der Walzwerke, so daß im ganzen die Kapazität der deutschen Eisenindustrie jetzt etwa diejenige in dem früheren weiteren Reichsgebiet wieder erreicht hat und innerhalb des verbliebenen Reichsgebiets um etwa 30 °/0 gestiegen ist. Ihre Roheisen- und Stahlerzeugung ist größer als in irgendeinem anderen europäischen Lande, und in technisch-organisatorischer Hinsicht steht sie hinter keinem Konkurrenzlande zurück. Aber weder an Kohle noch an Eisen und Stahl ist bisher der Produktionsstand der Vorkriegszeit erreicht, die Roheisenkapazität noch nicht entfernt ausgenützt worden, und die Bilanz des Außenhandels der Schwerindustrie hat sich stark verschlechtert — nur das Jahr des britischen Bergarbeiterstreiks 1926 macht eine Ausnahme. Der — immer mit Ausnahme des Jahres 1926 — mengenmäßig sehr starke Rückgang der entgeltlichen deutschen Kohlenausfuhr bedarf keiner Erläuterung. Obwohl Frankreich die kriegerischen Zerstörungen in seinen Kohlenbergwerken längst mehr als ausgeglichen hat 3 ) und ihm überdies die Produktion des Saargebiets zur Verfügung steht (1926: 13,7 Millionen t), >) Vgl. Eleotrical World 1928 (vol. 90, S. 1181). -) Vgl. Werner, „Fragen aus der neuzeitlichen Elektrizitätswirtsohaft". Vortrag auf der Mitgliederversammlung des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller in Berlin am 13. Juni 1928. ») Frankreichs Kohlenproduktion in Millionen t 1913: 41; 1925: 48; 1926: 52.

7*

100 A. D i e P r o d u k t i o n

der d e u t s c h e n S c h w e r i n d u s t r i e 1000 T o n n e n 1 ) .

Eisenerz 3 ) Roheisen Rohstahl Walzwerkserzeugnisse

Jahr

Kohle 2 )

1913 altes Reiohsgeb. 1913 jetzig. Reiohsgeb. d. s. °/0 von 1913 altes Reichsgebiet . . . 1923 1924 1925 1926 1927

209495 160137

19309 10920

76,4 »/o 88713 146466 163 797 177347 186840 89°/ 0

1927 4 ) in °/0 von 1913 (altes Reichsgebiet)

in

8502 2172

18935 11772

16699 10968

56,5 »/0 4936 7812 10177 9644 13103

25,5'% 1603 1442 1892 1545

62,2 «/„ 6305 9835 12195 12342 16311

65,7 o/0 5487 8174 10246 10276 12867

18°/o

68 o/0

86 o/0

78 °/0

B. U b e r s c h u ß d e r d e u t s c h e n K o h l e n - A u s f u h r ( + ) und - E i n f u h r (—). Mill. t

Steinkohlen . . . Braunkohlen . . Koks Preßkohlen . . .

1913

1925

1926

1927

-f 24,06 - 6,93 + 5,84 + 3,02

+ 6,04 -2,26 + 3,71 + 1,40

+ 25,99 - 1,94 + 6,41 + 3,07

+ 12,43 - 2,53 + 5,75 + 1,79

außerdem Sachleistungen 1925 1926 1927 8,86

_

3,80 0,45

9,18

9,12





3,90 0,52

2,90 0,44

müssen alljährlich Riesenmengen Tributkohle geliefert werden. Sie einbegriffen, wird trotz der verringerten Produktion jetzt (1927) soviel ausgeführt wie vor dem Kriege. Die Eisenerzgewinnung ist auf 1 / B zusammengeschrumpft, die Zufuhr von Eisenerzen 1927 dem Werte nach um etwa 50 °/ 0 gestiegen. Dem Gewichte des Eisengehaltes nach stammten die in den deutschen Hochöfen verarbeiteten Eisenerze im Jahre 1913 zu 70 °/ 0 aus dem Inland, jetzt stammen 70 °/ 0 aus dem Auslande. An Stelle der lothringischen und französischen ') Zahlen des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller (aus der Materialsammlung des Heimatdienstes). 2 ) Steinkohle und Braunkohle auf Steinkohleneinheiten umgerechnet. 3 ) Eisengehalt in 1000 Tonnen nach stat. Jahrb. f. d. deutsche Reich, Jahrg. 1924, S. 97. ') Für Eisenerz 1926.

101 C. D e u t s c h l a n d s E i n - und A u s f u h r von K o h l e n (ohne R e p a r a t i o n s l i e f e r u n g e n ) 1 ) . G e g e n w a r t s w e r t e Mill. RM. Einfuhr

Einfuhrüberschuß (—) Ausfuhrüberschuß (+)

Ausfuhr

1913 1925 1926 1927 8 ) 1913|1925 1926 1927 s ) 1913 1925 1926 1927 2 ) Kohlen insges. davon: Steinkohlen . Braunkohlen . Koks Preßkohlen .

. 289 173

84

145

722 416 860

619

+ 433 + 243 + 776 + 474

. 205 143 . 69 25 13 2 2 3 .

60 21 1 2

112 27 4 2

516 276 620 1 1 2 147 104 166 58 35 72

416 1 158 44

+ 311 + 133 + 560 + 304 - 68 - 24 - 19 - 26 + 134 + 102 + 165 + 154 + 56 + 32 + 70 + 42

D. A u ß e n h a n d e l der d e u t s c h e n E i s e n i n d u s t r i e 8 ) . G e g e n w a r t s w e r t e Mill. RM. Einfuhr

Dazu Reparationslieferungen

Ausfuhr

1913 1925 1926 1927 1913 1925 1926 1927

1927

Einf.-Überschuß ( - ) Ausf.-Überschuß (+) 1913

1927

Eisenerze . . . . 227 222 176 364 Schrott und Abfälle . . . . 20 13 11 35 Roheisen und Eisenlegierungen 18 24 11 35 Eisenhalbzeug (Rohblöcke, Tiegelstahl in Blöcken, Knüp2 22 21 42 pel usw.) . . . Grobe Eisen45 137 114 253 waren 4 ) . . . .

679 526 673 660

12

+ 634

+ 407

Summe Großeisenindustrie 312 418 333 729

830 583 791 751

15

+ 518

+

19

+ 560

+ 708

Ausfuhrüberschuß Feine Eisenwaren6) Summe .

8

4

3

3



-219

-361

12

19

27

14



-

8

-

21

66

20

40

34

+

48

-

1

65

14

48

40

+

63

-

2

518 165 458 25

18

24

57

3

585 715 698 765

. . . 337 436 357 786 1415 1298 1489 1516 Ausfuhrüberschuß l)

1078

8621132

22

22

730

Statist. Jahrb. f. d. d. Reich, Jahrg. 1927. ") 1927 vorläufige Ergebniese n. d. monatl. Nachweisen f. d. auswärtigen Handel Deutschlands, Dez. 1927. Fußnoten 3 ) bis 5) siehe nächste Seite.

102 Erze sind vor allem skandinavische getreten. Die hierdurch verursachten höheren Frachtkosten werden nur teilweise durch den gegenüber den Minetteerzen höheren Eisengehalt und geringeren Koksverbrauch im Hochofen wettgemacht. Die Versorgung mit Eisenerzen hat sich nach Menge und Preis nicht unbefriedigend gestaltet. Die Größe des Bedarfs und die Auswahl unter verschiedenen liefernden Ländern gibt der deutschen straff organisierten Eisenindustrie einen entscheidenden Einfluß auf die Erzpreise. Für die Zukunft muß es Deutschland aber mit Sorge erfüllen, daß eine schwedische Gesellschaft die nordafrikanischen Erzminen an sich genommen hat und nun einem Handelsmonopol für die im Thomas-Verfahren benötigten phosphorhaltigen Erze zustreben kann. Die Erzpreise sind bisher nicht der Geldentwertung entsprechend gestiegen — ebensowenig die Eisenpreise. Immer aber bleibt es ein Vorsprung für die Eisenhütten Frankreichs, des heute erzreichsten Landes Europas, ja — gemessen an den bekannten, sicheren und abbauwürdigen Vorkommen — sogar des erzreichsten der Welt, daß sie ihren Bedarf aus eigenen Erzgruben zu den Selbstkosten decken können und die Minette billig zu fördern ist. Auch wenn für alle Zeit der Erzbezug der deutschen Eisenindustrie gesichert bleiben sollte: volkswirtschaftlich tritt die gesteigerte Abhängigkeit dieses lebenswichtigen Wirtschaftszweiges vom Auslande in der schroffen Verschlechterung der Außenhandelsbilanz zutage — und sie erscheint als unabänderlich. Der durch die große Entwicklung des Siemens-Martin Verfahrens mächtig angestiegene Schrottbedarf findet seine Befriedigung nach wie vor hauptsächlich im Inlande. Sie ist durch ein Ausfuhrverbot gesichert. Dennoch ist auch hier für 3

) Statistik d. d. Reichs, Bd. 339 I u. monatl. Nachweise f. d. ausw. Handel Deutschlands, Dezemberheft 1927. 4 ) Grobe Eisenwaren = Röhren und Walzen, Stab- und Formeisen, Blech und Draht, Eisenbahnoberbaumaterial, Kessel, Teile und Zubehör von Masjhiier. 6 ) Feine Eisenwaren = Messerschmiedewaren, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände aus Eisen usw.

103 1927 eine Vermehrung des Einfuhrüberschusses zu verzeichnen. Auch diese Versorgung leidet unter dem Verlust von Lothringen, Ost-Oberschlesien und Posen, um so mehr, als gewaltige Mengen von deutschem Eisen nach dem Waffenstillstand in Form von Kriegsmaterial, von Lokomotiven und Schiffen abgeliefert werden mußten. Vor dem Kriege hatte Deutschland einen Ausfuhrüberschuß von Roheisen und Eisenhalbzeug in der Größenordnung von 100 Millionen Mark. Er ist infolge der Gebietsverluste im Jahre 1926 (englischer Kohlenkrieg) auf die Hälfte vermindert (56 Millionen Mark), in den anderen Jahren (Einfuhrüberschuß 1925: 12 Millionen Mark, 1927: 3 Millionen Mark) völlig verschwunden. Wesentlich aus dem gleichen Grunde ist der Ausfuhrüberschuß von groben Eisenwaren, das sind besonders Walzwerkserzeugnisse, stark gesenkt: E i n - u n d A u s f u h r v o n g r o b e n E i s e n w a r e n in 1000 dz 1 ). in °/„ v. 1913 1925 1927

1913

1925

1926

1927

Einfuhr Ausfuhr

1,264 39,432

7,548 22,040

7,071 31,791

15,121 27,268

559 56

1196 69

Ausfuhr-Uberschuß

38,168

14,492

24,720

12,147

38

32

Dem Gewichte nach ist die reine Ausfuhr von 1925 und 1927 gegenüber der Vorkriegszeit also um rund "j s verringert. Auf Grund der Gegenwartswerte beträgt der Ausfall aber nur etwa 1 / 3 . Denn in der Einfuhr überwiegen die Waren von geringem, in der Ausfuhr diejenigen von höherem Arbeitswert. Hauptlieferanten sind das Saargebiet (im Jahre 1926 stammten aus dem Saargebiet allein 7 0 % der deutschen Einfuhr an groben Eisenwaren), Elsaß-Lothringen, Luxemburg und die Tschechoslowakei. Auch aus Belgien werden erhebliche Eisenmengen nach Deutschland eingeführt. Im ganzen dauert hier die Arbeitsteilung zwischen dem Südwesten und dem Innern des ) Statistisches Reichsamt.

L

104 Reiches, besonders dem Ruhrgebiet fort, das einem Teil der von dort bezogenen gröberen Erzeugnissen die feinere Verarbeitung gibt. Eine Verbesserung wird eintreten, wenn das Saargebiet an Deutschland zurückfällt; aber bis auf weiteres bedeutet seine Eingliederung in das französische Zollgebiet einen schweren Verlust für die deutsche Volkswirtschaft. Insgesamt zeigt die Außenhandelsbilanz der Großeisenindustrie gegenüber 1913 einen starken Ausfall; er erreichte im Jahre 1927 nominell den Betrag von 1 / 2 Milliarde Mark. Die Großeisenindustrie deckt zwar durch Export noch ihren Bedarf an Rohstoffen, aber darüber hinaus gibt sie nur noch sehr g e r i n g e Ü b e r s c h ü s s e zur Bezahlung anderer Importposten der deutschen Handelsbilanz. Allerdings ist hierbei der Wert des aus den eingeführten Erzen gewonnenen Eisens und Stahls der in Form von Kleineisen- und Stahlwaren, elektrotechnischen Erzeugnissen, Fahrzeugen ausgeführt wird, noch nicht in Rechnung gestellt. In der Ziffer für 1927 kommt der besonders hohe Inlandsbedarf dieses Jahres zum Ausdruck und bis zu einem gewissen Grade auch die Wirkung der Internationalen R o h s t a h l g e meinschaft. Hier haben sich Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und das Saargebiet zusammengeschlossen, um durch Kontingentierung der Stahlerzeugung und Einführung von Strafabgaben für Mehrerzeugung und Entschädigung für Minderproduktion indirekt die Exportpreise zu heben. Wegen der Gefahr großer französischer Eisenimporte zu niedrigen Inflationspreisen unter Überspringung der Zölle erklärte sich die deutsche Eisenindustrie damit einverstanden, daß das deutsche Kontingent nach der Erzeugungsmenge des ersten Vierteljahres 1926 bemessen wurde, als sie infolge der schweren Wirtschaftskrise besonders gering war, während Frankreich und Belgien schon wegen der Inflation voll produzierten. Frankreich wurde von Deutschland eine Einfuhr von 3,75 °/0 und Luxemburg von 2,75 °/0 seines Auslandsabsatzes freigegeben. Auch mußte sich Deutschland 1927 zu einer vorübergehenden Einschränkung seiner Auslandslieferungen und seines Produktionskontingents verpflichten. Daraus ergab sich für Deutschland die merkwür-

105 dige Sachlage, daß es für die Belieferung seines eigenen Marktes Strafen zu zahlen hatte. Nachträglich wurde mit Rücksicht auf die Umstellung der deutschen Walzwerkindustrie auf den Inlandsbedarf Deutschlands Gesamtquote in eine solche für das Inland (72 °/0) und für das Ausland (28 °/0) zerlegt. Für die Überschreitung des Inlandsanteils war nur die Hälfte, für das 4. Vierteljahr 1927 nur mehr 1 j i der Strafabgabe zu entrichten. Für die Ausfuhrquote wurde an der ursprünglichen Strafabgabe von 4 $ je t festgehalten. Seit Mitte März 1928 beträgt die Exportbeschränkung für Deutschland nur noch 25 000 (statt 75000) t. Selbst diese Regelung wird aber der für die steigende deutsche Produktion gegebenen Notwendigkeit, durch eine erhöhte Ausfuhr die vermehrte Rohstoffeinfuhr und die Importe aus den ehemals deutschen Gebieten wettzumachen, nicht gerecht. Die Wiedergewinnung des Weltmarktes ist für die deutsche Eisenindustrie trotz aller technischen Fortschritte außerordentlich erschwert. Denn hier haben sich grundlegende Veränderungen von dauerndem Charakter vollzogen. In der Kriegsund Nachkriegszeit sind neue eisenschaffende Industrien in Ländern entstanden, die solche vor dem Kriege noch kaum besaßen: in Italien, in Spanien, in Indien. Die alten Produktionsländer haben die Kapazität ihrer Werke stark ausgeweitet, die Vereinigten Staaten stehen an der Spitze, während England zurückzubleiben scheint. Neue Machtfaktoren auf dem Eisenmarkt sind vor allem Frankreich, die Tschechoslowakei, Polen und Luxemburg. Sie stehen unter dem Druck einer erhöhten Exportnotwendigkeit 1 ) und konnten bis jetzt wegen ihrer Valutaverhältnisse und billigeren Erzeugungsbedingungen einen starken Druck auf die Weltmarktpreise ausüben. Belgien fiel *) Im Jahre 1913 exportierte Frankreich 9,7 °/ 0 seiner Roheisenerzeugung und 10,6 °/0 seiner Stahl- und Eisenwarenproduktion. Nach der Einverleibung Elsaß-Lothringens und der Abtrennung des Saargebiets von Deutschland stellte sich schon bei Kriegsschluß, also noch vor der größten Erweiterung der innerfranzösischen Anlagen, die Exporthöhe für Roheisen auf 45,2 °/0 und für Stahl auf 46,9 °/ 0 , vgl. hierzu die Rechnung Pinots, zitiert in „Vierteljahrshefte für Konjunkturforschung" 1927, Sonderheft I, S. 63.

106 schon immer eine bedeutende Rolle auf dem Weltmarkt zu. W. Greiling schätzt den Nachteil des deutschen Eisenexports gegenüber den westlichen Ländern auf etwa 5 °/0 des Eisenexportpreises. Exporthemmend wirken namentlich auch die deutschen Frachtraten beim Bezug von Rohmaterialen. Sie betragen bei Entfernungen unter 200 km für die eisenschaffende Industrie Deutschlands ungefähr das l 1 /^ fache dessen, was die belgische und französische Industrie zu zahlen hat. Hierzu gesellen sich die Vorausbelastungen, über die alle deutschen Industrien klagen: die Belastungen durch Steuern und soziale Abgaben, hohe Zinsen und Reparationsleistungen. Bessere Aussicht auf Überwindung der Hindernisse, mit denen die deutsche Industrie auf dem Weltmarkt zu kämpfen hat, ist für jene Industriezweige gegeben, die Werterzeugnisse hoher Qualitätsarbeit liefern. Während der Nominalwert der Ausfuhr von groben Eisenwaren nie den Stand von 1913 erreicht hat, der Export also wesentlich geringer war als in der Vorkriegszeit, zeigt die Ausfuhr der stark verfeinerten Erzeugnisse der Eisenindustrie, wie Messerschmiedewaren, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände aus Eisen, dem Wert nach eine beträchtliche Zunahme. Sie entspricht allerdings nicht der allgemeinen Geldentwertung, und damit stimmt die Tatsache überein, daß der Export im ganzen und nach Abzug der Einfuhr gewichtsmäßig dauernd unter dem Stand von 1913 liegt. E i n - u n d A u s f u h r v o n f e i n e n E i s e n w a r e n 1 ) i n 1000 dz. 1913

1925

1926

1927

1927 in °/0 von 1913

. . . . .

408 8641

244 7607

245 7918

477 8140

117 94

Ausfuhr-Uberschuß

8233

7363

7673

7663

Einfuhr Ausfuhr

93«)

Vgl. zum vorigen „Denkschrift über die Eisen- und Stahlindustrie", Wirtschafts- und Finanzabteilung des Völkerbundes, Conférence Économique Internationale 17. — „Zur Analyse des Eisenmarktes", Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, Sonderheft 1, Berlin 1927. — I. W. Reichert, „Die r 2

) Statistisches Reichsamt. ) Einschließlich Reparationslieferungen 97 0 u.

107 1

Eisen- und Stahlindustrie ', Nauticus, Berlin 1928, S. l£f.; „Weltwirtschaftliche Fragen der Eisen- und Stahlindustrien", Weltwirtschaft, April 1928, Nr. 4, S. 76. — „Eisenwirtschaft und Auslandsmarkt", Deutscher Volkswirt, 5. April 1928, Nr. 27, S. 891. — W. Greiling, „The German Iron and Steel Industry", London and Cambridge, Economic Service, Spezial Memory 1925. Vgl. außerdem: die dem Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungsund Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft und weiteren Kreisen vorgelegten Denkschriften und Gutachten von Dr. Buchmann, Prof. Mathesius, Dr. Petersen und Dr. Reichert: „Die gegenwärtige Lage der deutschen Eisenund Stahlindustrie", „Zur Frage der Schrottpreise in den wichtigsten Eisenländern" und „Der Welthandel in Eisen und Stahl".

Zu den höchstentwickelten Zweigen der deutschen Industrie gehört der Maschinenbau. Er hatte vor dem Kriege nach der Textilindustrie den größten Ausfuhrüberschuß. Die vorzüglichen Berichte des Vereins der deutschen Maschinenbauanstalten lassen erkennen, daß sie nach dem Kriege eine umfassende Rationalisierung aller einzelnen Stufen der Produktion und des Verkaufs in Angriff nahmen. In vielen Fabriken wurde durch Fließarbeit und Reihenfertigung eine steigende Erzeugung je Kopf der Arbeiter, damit eine Minderung der Selbstkosten erreicht. Zahlreiche, in den Jahren 1925 und 1926 durchgeführte Fusionen und Interessengemeinschaften ermöglichten eine starke Spezialisierung und eine weitere Verbilligung des Absatzes1). Trotz der seit Beginn des Jahres 1925 fast ununterbrochen gestiegenen Löhne und bei starker Belebung des Inlandsmarktes im Jahre 1927 konnte die Maschinenindustrie ihre Preise in durchaus mäßigen Grenzen halten'2). Obwohl sich die Konjunktur auf Deutschland beschränkte, gelang ihr unter wachsender Anerkennung der Qualität der deutschen Maschinen eine bedeutende Steigerung der Ausfuhr. Sie wurde damit zur wichtigsten deutschen Ausfuhrindustrie, überholte England und nahm wieder den Platz hinter den Ver1

) Vgl. „Die deutsche Maschinenindustrie", Bericht des Vereins deutscher Maschinenbauanstalten über die Jahre 1925 und 1926, Berlin 1927, S. 20 ff. 2 ) Der Maschinenpreisindex des Statistischen Reichsamts stand im November 1927 auf 136,9 gegenüber 136,3 im Durchschnitt des Jahres 1926 mit seinen äußerst gedrückten Preisverhältnissen, bei gleichzeitiger Steigerung des allgemeinen Großhandelsindex von 134 auf 140. Vgl. hierzu Berioht des Vereins deutscher Maschinenbauanstalten vom 16. J a n u a r 1928.

108 einigten Staaten ein. Dennoch blieb der Ausfuhrüberschuß an Maschinen der Kaufkraft nach beträchtlich hinter dem von 1913 zurück. Die Versandmenge betrug damals rund 3,2 Millionen Tonnen, im Jahre 1927 nur 2.6 Millionen Tonnen. Die nachfolgende Statistik zieht neben den Maschinen auch die Erzeugnisse der hochentwickelten Elektroindustrie und die Fahrzeuge ein. Einfuhr, Ausfuhr, Ausfuhrüberschuß von Maschinen, elektrot e c h n i s c h e n E r z e u g n i s s e n u n d F a h r z e u g e n in M i l l i o n e n R e i c h s mark ( o h n e S a c h l i e f e r u n g e n ) 1 ) . 1925

1913 E. Maschinen Elektrotechn. Erzeugnisse. Fahrzeuge Wasserfahrzeuge . . . Zusammen

A.

A.-Ü.

E.

A.

1926 A.-Ü.

E.

A.

1927 A.-Ü.

E.

A.

A.-Ü.

80,4 680,3

600

76,6 656,3 580

67,3 713,5 646

130,6 831,9

701

12,8 290,3 18,3 160,6

278 142

20,2 320,5 300 72,4 123,5 51

21,7 353,0 331 33,5 385,3 55,0 113,5 59) l 111,4 146,2 31,9 58,5 27 J

352

28,9

15,1 - 1 4

20,4

56,9

37

. 140,4 1146,3] 1006 189,6 1157,2| 968

175,9 1238,5 1063

35

275,5 1363,4 1088

Der Ausfuhrüberschuß der Elektroindustrie konnte (1927 gegen 1913) dem nominellen Werte nach etwas kräftiger gesteigert werden als die Maschinenausfuhr. Die Zunahme war dort hier 1 / 6 . Die deutsche Elektroindustrie steht mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien an der Spitze aller Exportländer. Aber ihr Anteil am Export aller Länder ist gegenüber 1913 von etwa 1 L auf 1 / 4 gefallen, derjenige Englands von etwas mehr als 1 / 5 auf 1 / i , der Anteil der Vereinigten Staaten von */« auf etwas mehr als 1 j i gestiegen 2 ). Als Ursachen für diese Umschichtung im Weltelektroexport der Nachkriegszeit werden der handelspolitische Nationalismus, der Kapitalmangel vieler Einfuhrländer, besonders Rußlands und Deutschlands eigene Verarmung genannt, die es verhindert, *) Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 339, 1, und Monatliche Nachweise für den auswärtigen Handel Deutschlands, Dezemberheft 1927. 2 ) Vgl.Graf V i t z t h u m v o n E c k s t ä d t , „Die Elektroindustrie". Nauticus 19. Jahrg., Berlin 1928, S. 12.

109 den Industrialisierungsländern Kredite in umfangreichem Maße zur Verfügung zu stellen. Die Maschinen-, Elektro- und Fahrzeugindustrie haben die Verschlechterung in der Außenhandelsbilanz der Eisenindustrie nicht wett machen können. Die Lücke wird noch größer, wenn man die N i c h t e i s e n m e t a l l e heranzieht, in deren Verarbeitung die Maschinen-, Elektro- und Fahrzeugindustrie übergreift. Denn auch hier ist die Rohstoffbasis durch den Friedensschluß, besonders durch die Abtretung Oberschlesiens, arg verkleinert worden. Deutschland verlor, bemessen nach der Produktion von 1913, an Metall im Erz 58,9 °/ 0 seiner Gewinnung an Zink und 38,9 °/ 0 an Blei 1 ). Die anderen Metalle hat Deutschland von jeher als Erz oder ausgeschmolzen überwiegend vom Ausland bezogen. Einen Ersatzstoff schuf die Aluminiumindustrie, die durch den Krieg einen starken und dauernden Impuls erhielt, und die Herstellung anderer Leichtmetalle. Uber die Veränderungen in der Produktion und im Außenhandel Deutschlands mit unedlen Metallen (außer Eisen) und mit Metallwaren geben folgende Tabellen Aufschluß: D e u t s c h l a n d s P r o d u k t i o n a n u n e d l e n M e t a l l e n 2 ) in 1000 T o n n e n . Förderung von Roherz 3 ) Blei 1913 4 ) 1913») 1924 1925 1926 1927

100,5 61,5 = 61,l°/ 0 36,5 42,8 53,9

Zink

Blei

Kupfer Zinn

Zink 278,9 304,3 111,0 125,2 — 41.1 °/o = 39,7 »/0 40,9 58,4 62,5 69,3 73,7 104,4

188,0 148,1 = 78,7% 67,4 89,5 96,2

49,5 49,5

12,0 12,0

71,1 80,2 85,4

2,5 1,5 2,3

Aluminium 12,0 12,0 18,7 26,2 29,5 31,3°)

') Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jahrg. 1924/25, S. 22. ) Statistisches Jahrbuch f. d. Deutsche Reich 1927, S. 105, 354 und Internationale Übersichten, S. 59. 2

) Bleiinhalt bzw. Zinkinhalt in 1000 Tonnen. ) Für 1927 aus Wirtschaftsbericht der Commerz- u. Privatbank, 1. IV. 1928, S. 15. 6 ) Altes Reichsgebiet. e ) Neues Reichsgebiet. 3

4

110 60 c 3

+

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