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German Pages 125 Year 2011
Beiträge zum Informationsrecht Band 26
Desinformationsrecht: Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Desinformationstätigkeit Von Albert Ingold
Duncker & Humblot · Berlin
ALBERT INGOLD
Desinformationsrecht: Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Desinformationstätigkeit
Beiträge zum Informationsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Prof. Dr. Michael Kloepfer, Prof. Dr. Friedrich Schoch
Band 26
Desinformationsrecht: Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Desinformationstätigkeit
Von Albert Ingold
Duncker & Humblot · Berlin
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Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-3547 ISBN 978-3-428-13549-3 (Print) ISBN 978-3-428-53549-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83549-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2010/2011 fertig gestellt. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Dezember 2010 berücksichtigt werden. Herzlicher Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Prof. Dr. Jens Kersten, der mich nach der Lektüre und Diskussion eines frühen Entwurfsmanuskripts überhaupt auf die Idee gebracht hat, den Text von einer ursprünglich beabsichtigten Aufsatzpublikation zu einer kleinen Monographie zu entwickeln. Besonders danken möchte ich außerdem meiner Kollegin Dr. Sophie-Charlotte Lenski für detaillierte Kritik, ausgiebige Diskussionen und speziell für ihr vehementes Eintreten zugunsten begrifflicher Präzisierungen, welche die endgültige Fassung des Textes maßgeblich beeinflusst haben. Ferner danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen an der Ludwig-MaximiliansUniversität, der Humboldt-Universität und aus dem „Erlanger Kreis“ für ihre Diskussionsbereitschaft, hervorgehoben dabei Ren Bahns und Dr. Franziska Drohsel, die den Text in unterschiedlichen Entstehungsstadien gelesen und viele Einzelprobleme der Arbeit mit mir erörtert haben. Zuletzt danke ich den Herausgebern, Prof. Dr. Michael Kloepfer, Prof. Dr. Friedrich Schoch und Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zum Informationsrecht“. München, im Januar 2011
Albert Ingold
Inhaltsverzeichnis A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Desinformation als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 II. Desinformation durch den Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 III. Desinformation durch staatliche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Richtigkeitsgewährleistung bei Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Bewusste Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Begriff der Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Informationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Desinformation als Negation von Information? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Desinformation als Kommunikation unwahrhaftiger Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Desinformation und Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 V. Desinformation und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 VI. Desinformation und Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 VII. Zwischenergebnis: Arbeitsbegriff Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 C. Phänomenologie staatlicher Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Differenzierung nach aktivem Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Finale Ausdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Differenzierung nach Desinformationssubjekt und -objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 IV. Differenzierung nach dem Desinformationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
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Inhaltsverzeichnis V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
D. Grundrechtliche Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Desinformation als Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Schutzbereichseröffnung bei staatlichem Desinformationhandeln . . . . . . . . . 42 2. Grundrechtseingriffskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt für Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Rechtfertigungsmöglichkeit oder generelle Unzulässigkeit? . . . . . . . . . . . . . 53 2. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Materiell-grundrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Unantastbarkeit der Menschenwürde als Desinformationsverbot . . . . . . . . . . 58 2. „Geistesfreiheit“ als Desinformationsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Zensurverbot als Desinformationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 E. Exkurs: Bindungen durch unionsrechtliche Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 F. Bindungen durch das Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Demokratieprinzip als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Öffentliche Meinung und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Speziell: Verbot wahlbezogener Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Generell: Verbot meinungsbildungsbezogener Desinformation . . . . . . . . . . . . . . 74 G. Rechtsstaatliche Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Rechtsstaatliches Verbot von Desinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Desinformation und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Desinformation und Amtseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Desinformation und Vertrauensschutz bzw. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . 79
Inhaltsverzeichnis
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4. Desinformation und Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Desinformation und Grundsatz der Rechtswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6. Striktes Desinformationsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Vorbehalt des Gesetzes für Desinformationshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Rechtsstaatlicher Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Reduktion des Anwendungsbereichs bei Informationshandeln? . . . . . . . . . . . 91 3. Desinformation kraft polizeirechtlicher Generalklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4. Desinformation kraft Staatsleitungs- und Regierungsfunktion? . . . . . . . . . . . 95 5. Erfordernis einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 H. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
A. Problemaufriss Moderne Gesellschaften sind „Informationsgesellschaften“1. Dem Informationsrecht kommt deshalb innerhalb der juristischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte eine hervorgehobene Bedeutung zu.2 Es handelt sich um eine komplexe Rechtsmaterie, die zudem in einzelnen ihrer Strukturen und Ausgestaltungen als Referenzgebiet für das Allgemeine Verwaltungsrecht dient.3 Der Gegenstand des Informationsrechts ist angesichts von Kontroversen über den Informationsbegriff zwar nicht trennscharf umrissen. Dies stellt jedoch kein Hindernis für eingehende Auseinandersetzungen mit Informationswirkungen aus rechtlicher Perspektive dar. Unumstritten ist nämlich die signifikante Bedeutung von Informationen für die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft. Parallel zur abstrakten Bedeutung von Informationsbeständen in Informationsgesellschaften steigt zugleich bei allen Akteuren das Informationsbedürfnis signifikant an, so dass Informationen gesellschaftlich-umfassend als wesentlicher „Rohstoff“ bezeichnet werden können.4 Dieser Zusammenhang wird auch durch die Parallelität zum soziologischen Begriff der „Wissensgesellschaft“5 bzw. des „Wissensstaates“6 deutlich, mittels welchem verbreitet die Wissensbasierung als übergreifende Gemeinsamkeit aller gesellschaftlichen Systeme und speziell in der staatlichen Entscheidungsfindung betont wird.7 Damit korrelierend 1 Zur Begriffsgeschichte: Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 245; Albers, Rechtstheorie 33 (2002), 61 f.; Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247; Stohrer, Informationspflichten Privater gegenüber dem Staat, S. 28 ff.; jew. m.w.N. 2 Vgl. exemplarisch die schlussfolgernden letzten Zeilen der umfassenden Untersuchung von Anna-Bettina Kaiser: „Das Informationsrecht nimmt für die Informationsgesellschaft die Stelle ein, die dem Wirtschaftsrecht in der Industriegesellschaft zukam“ (Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 293). 3 Zur Bedeutung als Referenzgebiet umfassend: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, 6. Teil, §§ 20 – 26. Zu Referenzgebieten und zur Entwicklungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts eingehend: Kersten/Lenski, Die Verwaltung 42 (2009), 501, 513 ff., m.w.N. 4 Schoch, VVDStRL 57 (1998), 158, 179 ff.; ders., DÖV 2006, 1 f. 5 Lane, American Sociological Review 31 (1966), 649 ff.; Bitter, DÖV 2007, 514; Gröschner, VVDStRL 63 (2004), 343, 358, Fn. 52; Steinbicker, in: Collin/Horstmann, Das Wissen des Staates, 90 ff. 6 Fassbender, in: HStR IV, § 76, Rn. 4; Voßkuhle, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 634, 642. 7 Vesting, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 20, Rn. 36 f.; Augsberg, DVBl 2007, 733; Voßkuhle, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 634, 641 f.; ders., in: Schuppert/ders., Governance von und durch Wissen, 13, 19; Wollenschläger, Wissensgenerierung im Verfahren, S. 47 ff.
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A. Problemaufriss
stellen sich aus der Perspektive des Gewährleistungsstaates Informationen als zentraler Steuerungsfaktor dar: die Initiierung, Anleitung und Absicherung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung durch private Akteure ist notwendig auf eine ausreichende Informationsbasis angewiesen.8 Der Gewährleistungsstaat ist deshalb vor allem auf die Organisation von Kommunikations- und damit Informationsprozessen beteiligter öffentlicher und privater Akteure als Bedingung guter Verwaltung verwiesen.9 Die Pluralität und Vernetzung der Steuerungsakteure sowie ihrer Interaktionen erfordern dabei indes eine komplexere Wahrnehmung jenseits der klassischen Steuerungsperspektive und lassen sich richtigerweise nur als (Wissens- bzw. Informations-)Governance-Konzept begreifen.10
I. Desinformation als Rechtsproblem Diese allgemein anerkannte gesteigerte Bedeutung von Informationen ist Grundlage einer eingehenden rechtlichen Auseinandersetzung mit Informationsprozessen. Die bisherigen Darstellungen zum Informationsrecht sind jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie „wahr“ konnotierte Informationen als Gegenstand des Informationsrechts beleuchten und sich allein diesbezüglich mit der Wirkung von Informationen, dem Zugang zu Informationen oder dem Schutz vor der unbeschränkten Sammlung und Weitergabe von Informationen befassen. Gerade die Verknüpfung von Informationsvorgängen mit den Elementen der Entscheidung, der Handlung und des Verfahrens sowie die dabei erfolgende Umsetzung von Informationen legt es demgegenüber nahe, sich auch mit unrichtigen bzw. unwahren Informationen auseinanderzusetzen. Denn soweit Entscheidungen und Handlungen auf Informationen beruhen
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Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3 f.; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 349, 366 ff. Zu Information und Kommunikation als Steuerungsfaktoren: Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 253 ff.; Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 55 f. Zum Konzept des Gewährleistungsstaats: Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, S. 59 ff.; Franzius, Gewährleistung im Recht, S. 76 ff.; Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 441 ff.; Hoffmann-Riem, DÖV 1999, 221 ff. Reserviert gegenüber dem Gewährleistungsstaat im Verfassungsrecht bzw. dessen Wirkungen in die Grundrechtsdogmatik: Kersten, VVDStRL 69 (2009), 288, 320; ders., VVDStRL 69 (2009), 358, 360. 9 Schulze-Fielitz, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 135, 149. 10 Schuppert, in: ders./Voßkuhle, Governance von und durch Wissen, 259, 264 ff. Noch weitgehender, auch hinsichtlich der Leistungen von Governance: Ladeur, Der Staat 48 (2009), 163, 183 ff. Zum Ansatz einer „smart governance“: Wilke, Smart Governance, S. 165 ff. Zu Defiziten der steuerungstheoretischen Betrachtung eingehend: Schuppert, AöR 133 (2008), 79, 101 ff. Die Steuerungsdiskussion in ihrem theoretischen Modell kritisierend: Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, S. 4 ff.
II. Desinformation durch den Bürger
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und umgekehrt Grundlage neuer Informationen sind,11 besteht ein gewichtiges Interesse, unzutreffende Informationen aus diesen Prozessen auszuschließen. Aus rechtlicher Perspektive wirft dies die Frage auf, wie derartigen (Fehl-)Informationen rechtlich begegnet werden kann. Vorrangig werden diesbezüglich Abwehransprüche gegen die Verbreitung unzutreffender Informationen thematisiert, wobei sich die Betrachtungen privatrechtlich im Bereich des Persönlichkeitsschutzes oder im Öffentlichen Recht strukturell auf die Abwehrfunktion der Grundrechte fixieren und sich weitgehend damit begnügen, ein „Gebot der Richtigkeit“ und Neutralität zu statuieren.12 Zwar gibt es durchaus wissenschaftliche Publikationen, die sich abstrakt mit Wahrheitsproblemen, insbesondere mit Lügen der Bürger und rechtlicher Bewältigung derselben auseinandersetzen: So beschäftigt sich Peter Häberle grundsätzlich mit den Wahrheitsproblemen eines Verfassungsstaats.13 Auch finden sich Beiträge zu Wahrheit und Lüge aus grundrechtsdogmatischer Perspektive.14 Zudem widmete sich ein interdisziplinäres Seminar nebst Tagungsband dem Thema „Recht und Lüge“.15 Eingehendere Auseinandersetzungen mit bewussten Falschinformationen und Manipulationsmechanismen durch Information sowie deren rechtliche Bewertung stehen als solche aus öffentlich-rechtlicher und erst recht aus informationsrechtlicher Perspektive jedoch bislang aus. Selbst umfassende Gesamtdarstellungen zum Informationsrecht setzen sich mit dem Phänomen der Desinformation lediglich in einem Satz auseinander und verweisen darauf, dass die gedankliche Konstruktion einer rechtlich honorierten Desinformation schwer falle.16 Plakativ formuliert: das Informationsrecht schweigt zur Desinformation.
II. Desinformation durch den Bürger Dies verwundert umso mehr, als für den Bürger als Akteur Probleme der Desinformation punktuell erhöhte rechtliche Beachtung erfahren. Dies gilt speziell auf der eingriffsintensivsten Ebene des Strafrechts: So befassen sich die §§ 153 ff. StGB und §145d StGB eingehend mit falschen Aussagen des Bürgers gegenüber 11
Albers, Rechtstheorie 33 (2002), 61, 75 f.; Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 9, 13. 12 Britz/Eifert/Groß, DÖV 2007, 717, 721 f.; Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 109 f.; Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 28; Werner, ZLR 2008, 115, 120 ff.; Augsberg, DVBl 2007, 733, 740; Schmidt, Staatliches Informationshandeln und Grundrechtseingriff, S. 150 ff.; Papesch, Staatliche Informationstätigkeit im System des öffentlichen Rechts, S. 125 ff. 13 Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, passim; dazu: Sendler, NJW 1998, 2260 ff. 14 Schmalenbach, JA 2005, 749 ff., m.w.N. 15 Depenheuer (Hrsg.), Recht und Lüge, passim. 16 Kloepfer, Informationsrecht, § 1, Rn. 64; Desinformation lediglich als politisches Kalkül erwähnend: Scherzberg, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts III, § 49, Rn. 89.
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A. Problemaufriss
staatlichen Organen und erklären jene – vornehmlich zum Schutz der staatlichen Rechtspflege – zum strafbewehrten Unrecht. Darüber hinaus erstrecken die allgemeinen Strafgesetze den Wahrheitsschutz im Interesse des Rechts- und Rechtsgüterschutzes partiell auch auf andere Lebensbereiche. Hervorgehoben seien insoweit für den wirtschaftlichen Verkehr der Bürger untereinander und deren Vermögensschutz das Delikt des Betruges gem. § 263 StGB und die betrugsähnlichen Tatbestände der §§ 263a ff. StGB. Ferner werden Fälle der ehrbeeinträchtigenden unwahren Tatsachenbehauptung von den §§ 185 ff. StGB erfasst.17 Die strafrechtliche Thematisierung von Desinformationsproblemen beschränkt sich jedoch nicht auf die statuierte Strafbarkeit im Rahmen der genannten Delikte. Vielmehr ist strafprozessrechtlich ausdrücklich die Befreiung des Beschuldigten von der für Zeugen bestehenden strafbewehrten Wahrheitspflicht vor Gericht anerkannt,18 solange dieser durch unwahre Angaben nicht die allgemeinen Strafgesetze verletzt.19 Deshalb wird in Praxis und Wissenschaft auch eingehend diskutiert, welche prozessualen Schlussfolgerungen im Rahmen der Beweiswürdigung aus gerichtlich erkannten Lügen des Angeklagten gezogen werden können.20 Über die bloße Befreiung von Wahrheitspflichten hinaus, kennt das Strafrecht sogar ausdrückliche Ermächtigungen des Bürgers, die Unwahrheit zu sagen. So darf sich gem. § 53 BZRG ein strafgerichtlich Verurteilter als „unbestraft“ bezeichnen, wenn die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis einzutragen oder mittlerweile zu tilgen ist. Diese Norm läuft also auf eine positive Ermächtigung hinaus, bei Fragen nach strafrechtlichen Verurteilungen bewusst die Unwahrheit zu sagen.21 Mithin wird Desinformation durch den Bürger gegenüber den Organen des Staates durchaus in unterschiedlichen Facetten als Rechtsproblem wahrgenommen. Die rechtliche Auseinandersetzung mit Desinformationen aus der Sphäre des Bürgers ist auch nicht auf die Materien des Strafrechts beschränkt. Vielmehr kennt das Zivilrecht vielfältige Reaktionen bzw. Reaktionsmöglichkeiten, die im Einzelnen dogmatisch und rechtspolitisch heftig umstritten sind. Am plakativsten finden Probleme der Desinformation dabei sicherlich unter dem Stichwort „Recht zur Lüge“ im Arbeitsrecht Beachtung.22 Unter diesem Oberbegriff wird vornehmlich die Konstellation der unwahren Beantwortung unzulässiger Fragen durch den künftigen Ar17
T. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 185 StGB, Rn. 1. BGHSt 3, 149, 152; Schroeder, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 151, 155. 19 Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 136 StPO, Rn. 20. 20 Vgl. dazu: BGHSt 41, 153, 156; BGH, NStZ 2000, 549 f.; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 136 StPO, Rn. 20; jew. m.w.N. 21 Dazu eingehend: Milthaler, Das Fragerecht des Arbeitgebers nach Vorstrafen des Bewerbers, S. 104 ff. 22 Kaehler, ZfA 2006, 519, 520 ff.; Milthaler, Das Fragerecht des Arbeitgebers nach Vorstrafen des Bewerbers, S. 259 ff. Allgemein dazu: Preis/Bender, NZA 2005, 1321. Speziell zur neuen Rechtslage nach dem Erlass des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes: Wisskirchen/ Bissels, NZA 2007, 169, 170. 18
III. Desinformation durch staatliche Stellen
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beitnehmer erfasst.23 In diesen Fällen soll ein grundsätzlich in Betracht kommendes Anfechtungsrecht des Arbeitgebers aus § 123 Abs. 1 BGB mit der Argumentation versagt sein, der Arbeitnehmer befinde sich bei unzulässigen Fragen in einer notwehrähnlichen Situation, da bei wahrheitsgemäßer Beantwortung oder Verweigerung der Auskunft die Nichteinstellung konkret zu befürchten sei.24 Obendrein weisen das allgemeine Zivilrecht – vornehmlich über §§ 1004, 823 ff. BGB – und das Wettbewerbsrecht (§§ 3, 1 UWG) eine ausgefeilte Dogmatik von Unterlassungs- und Berichtigungsansprüchen auf, die gegenüber unwahren Tatsachenbehauptungen geltend gemacht werden können.25
III. Desinformation durch staatliche Stellen Wenngleich also festzustellen ist, dass Desinformationen in einer Vielzahl von Fallgestaltungen rechtlich relevant werden und von rechtswissenschaftlicher Seite bereits gesteigerte Beachtung erfahren, werden diese bislang jedenfalls nicht unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt des jeweils verfolgten Desinformationszwecks betrachtet. Auch verdeutlicht die Analyse der zivil- und strafrechtlichen Auseinandersetzungen mit Desinformation zugleich, dass sich die Erfassung bislang schwerpunktmäßig einseitig auf den Bürger als Desinformationsakteur gegenüber anderen Bürgern oder gegenüber staatlichen Stellen26 als Adressaten beschränkt. Das Handlungssubjekt Staat bleibt demgegenüber desinformationsbezogen bislang weitgehend aus der Diskussion ausgeklammert.27 Einzig im Strafprozessrecht
23
Die arbeitsrechtliche Literatur weist zudem darauf hin, dass nicht nur im Rahmen des Beginns eines Arbeitsverhältnisses, sondern auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – beispielsweise im Rahmen der Zeugniserteilung und der Sperrzeit für das Arbeitslosengeld – Desinformationsprobleme relevant werden können; vgl.: Preis/Bender, NZA 2005, 1321, 1323 ff. 24 BAGE 5, 159, 163 ff.; BAG, NJW 1991, 2723, 2724. 25 Hager, in: Staudinger, § 823 BGB, Rn. C-63 ff.; BVerfGE 114, 339, 347 ff. Vgl. aus dem „Beispielskatalog“ des UWG allein § 4 Nr. 8 u. 9 a) UWG; dazu: Köhler, in: ders./Bornkamm, § 4 UWG, Rn. 8.2; Piper, in: ders./Ohly, § 4 UWG, Rn. 9/52 ff. Zur Unwahrheit als Irreführung gem. § 5 Abs. 1 S. 2 HS. 1 UWG: Wiring, NJW 2010, 580 f. 26 Zur Verwendung des Begriffs der staatlichen Stellen im Informationsrecht trotz dessen Unschärfe: Hornung, in: Towfigh/u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 75, 79, Fn. 11, m.w.N. Zum begrifflichen Verzicht auf eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gewalten: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, Fn. 3. 27 Vgl. auch: Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 243 ff., die in ihrer Diskursanalyse des Informationsdiskurses – unter besonderer Berücksichtigung der Publikumsinformationen – keine Diskussion über staatliche Desinformationen nachweist. Ausnahmen insoweit jedoch: Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357 ff.; Evers, NJW 1987, 153, 157 ff.; Schroeder, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 151 ff.; Depenheuer, in: ders., Recht und Lüge, 7, 9.
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– und aufgrund vereinzelter Verweisungen damit mittelbar im Polizeirecht28 – findet sich mit § 136a Abs. 1 S. 1 StPO eine Norm, die explizit staatliche Desinformation verbietet, indem für Vernehmungssituationen ein Täuschungsverbot normiert wird. Für dessen mehrheitlich restriktiv ausgelegten Regelungsgehalt stellt sodann die relativierende Abgrenzung der für zulässig erachteten kriminalistischen List gegenüber der unzulässigen Täuschung eine der zentralen Fragen in Judikatur und Literatur dar.29 Jenseits dieser speziell auf Vernehmungssituationen – also die staatliche Informationsbeschaffung – ausgerichteten Verbotsnorm bleiben jedoch vielfältig denkbare Desinformationen staatlicher Organe, beispielsweise im Rahmen von Publikumsinformationen30, rechtlich unbeachtet. Diese bisherige Ausklammerung staatlicher Desinformation verwundert insoweit, als staatliche Organe in Informationsgesellschaften anerkanntermaßen eine bedeutende Funktion ausüben. Frühliberale Vorstellungen, wonach die öffentliche Meinungsbildung ausschließlich als gesellschaftlicher Prozess ohne staatliche Beteiligung auszugestalten sei, haben sich in der Staatstheorie nicht durchsetzen können.31 Ein älteres Paradigma, welches auf einer weitgehenden informationellen Abschottung von Staat und Gesellschaft basierte und das Unterbleiben von Informationsaustausch als Regel und das Stattfinden als begründungsbedürftige Ausnahme ansah, verkehre sich unter den Bedingungen moderner Informationsordnungen zunehmend ins Gegenteil.32 Die „staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation“ ist vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit staatlicher Informationstätigkeit mehrfach hervorgehoben worden.33 Wesentliches Voraussetzung der Teilhabe und des Mitwirkens an öffentlichen Meinungsbildungsprozessen – sei es von privater, sei es von staatlicher Seite – ist jedoch die Versorgung mit und die Mitteilung von Informationen.34 Dieser Meinungsbildungsprozess wird indes in seinen Voraussetzungen durch staatliche wie private Desinformation potentiell gefährdet. 28 Vgl. z. B. § 22 Abs. 4 S. 1 BPolG; Art. 15 Abs. 4 BayPAG; § 12 Abs. 4 S. 2 NdsSOG; § 18 Abs. 9 SächsPolG. Ferner wird auch in § 24 Abs. 6 PUAG auf die StPO-Norm verwiesen. 29 Vgl. BGHSt-GS 42, 139, 149; BGHSt 35, 328, 329 f.; BGHSt 37, 48, 52 f.; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 136a StPO, Rn. 19 ff., m.w.N. 30 Zum Begriff der Publikumsinformation vgl.: Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 6 f.; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51, 53 f. 31 Gusy, NJW 2000, 977, 978 f., der das Erfordernis einer öffentlichen Meinung und der staatlichen Teilhabe an selbiger auf eine Rezeption der Integrationslehre Rudolf Smends sowie auf Hermann Hellers Vorstellung eines Erfordernisses sozialer Homogenität zurückführt. 32 Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 2 f.; Di Fabio, JZ 1993, 689, 690, der zur Kennzeichnung dieser Entwicklung den systemtheoretisch inspirierten Begriff des „präzeptoralen Staates“ anführt. 33 BVerfGE 105, 252, 268; BVerfGE 105, 279, 301 f.; BVerfGE 113, 63, 77; Bethge, AfPSonderheft 2007, 18. 34 Schoch, DÖV 2006, 1, 2, spricht davon, Informationen würden zu einer „Handlungsvoraussetzung des Individuums, zu einer Funktionsbedingung des freiheitlich-demokratischen Staatswesens und zur Grundlage des Staatshandelns“. Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 20, abstrahiert weitergehend: „Demokratie bedingt und begründet
III. Desinformation durch staatliche Stellen
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1. Richtigkeitsgewährleistung bei Informationsweitergabe Bedeutsam wird deshalb, inwieweit eine staatliche Richtigkeitsgewährleistung für Informationstätigkeit anzuerkennen ist. Dabei muss beachtet werden, dass staatliche Informationstätigkeit sich nicht auf eine einseitige Kommunikation beschränkt, sondern wechselbezüglich erfolgt, was sich anschaulich im Fall der Informationsweitergabe manifestiert. Gerade die Vorstellung von einer Informations- oder Wissensgesellschaft zeichnet sich nämlich aufgrund ihres dynamischen Kommunikations- und Medienbezugs anstelle eines Sektor- oder Akteursbezugs dadurch aus,35 dass nicht lediglich eine einseitige Informationserhebung des Staats beim Bürger erfolgt. Vielmehr sucht der Staat auf der Grundlage eines veränderten Selbstverständnisses den Kontakt und das Gespräch mit dem Bürger, wird mithin auf breiter Basis selbst informierend tätig.36 In derartigen Informationsbeziehungen können alle Beteiligten grundsätzlich in austauschbaren Akteursrollen auftreten.37 Die Informationsverteilung gewinnt dabei insoweit zunehmend an Bedeutung, als sich durch selektive und gezielte Weitergabe von Informationen Steuerungsmängel moderner Gesellschaften (zumindest zu einem gewissen Grad) kompensieren lassen und zugleich strukturelle Informationsungleichgewichte im Interesse einer informationellen Grundversorgung beseitigt werden können.38 Rainer Pitschas beobachtet infolge der wechselseitigen Angewiesenheiten deshalb eine „Partnerschaft der Wissensordnung“ zwischen Staat und Bürger, die eine Verantwortungsteilung in hybriden Strukturen einer „Wissensgovernance“ herbeiführe.39 Besonders deutlich wird die Bedeutung staatlicher Informationstätigkeit für die Wissensgesellschaft auch, wenn man sich die exponierte Stellung des Staates als Informationsmittler, wie sie von Steffen Augsberg herausgearbeitet wurde, vergegenwärtigt:40 Danach erfolgt vielfach Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürgern.“ Saxer, JöR 58 (2010), 209, 215 f., stellt aus rechtsvergleichender Perspektive zum schweizerischen Recht für politische Kommunikation maßgeblich auf deren „Empowerment“-Funktion ab. Zum Konzept des „free flow of information“: Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 258 u. S. 262 ff. Vgl. ferner: Stohrer, Informationspflichten Privater gegenüber dem Staat, S. 50 ff.; Hornung, in: Towfigh/ u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 75, 82 f. 35 Vesting, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 20, Rn. 36 f. 36 Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 8. 37 Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 4. 38 Augsberg, DVBl 2007, 733, 734; Kloepfer, Staatliche Information als Lenkungsmittel, S. 8 ff.; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, S. 103 ff. 39 Pitschas, in: Spiecker gen. Döhmann/Collin, Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 29, 30 ff.; Bitter, DÖV 2007, 514. Zur Entwicklung einer Governance-Perspektive auf Wissen vor dem Hintergrund eines Abschieds vom klassischen Steuerungswissen: Schuppert, in: ders./Voßkuhle, Governance von und durch Wissen, 259, 264 ff. Di Fabio, JZ 1993, 689, 690, weist aus soziologischer Sicht auf ein staatlicherseits mittels Informationen den Bürgern angebotenes „Bündnis gegen die verselbstständigten Großsysteme der Gesellschaft“ hin. Generell zu Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft: Kersten, in: Grande/May, Perspektiven der Governance-Forschung, 45 ff. 40 Augsberg, DVBl 2007, 733 ff.
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A. Problemaufriss
eine Informationsdistribution durch den Staat, der aufgrund seines Angewiesenseins auf private Informationen diese zunächst erhebt, erfasst und speichert, sie jedoch in einem weiteren Schritt anderen Privaten zur Verfügung stellt.41 Diese prononcierte Stellung des Staates erhöht die Relevanz der Richtigkeitsgewährleistung bei staatlicher Informationsdistribution. Dieses Problem mag bei originärer staatlicher Informationstätigkeit noch eingrenzbar sein. Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang anlässlich der Warnung vor glykolhaltigen Weinen fest: „Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht vor der Verbreitung von inhaltlich zutreffenden […] Informationen durch einen Träger von Staatsgewalt. Die inhaltliche Richtigkeit einer Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert.“42 Der Fall, dass die Richtigkeit der Information „noch nicht abschließend geklärt“ ist, wird vom Bundesverfassungsgericht dahingehend pragmatisch gelöst, dass bei sorgfältigen Aufklärungsversuchen und überwiegendem öffentlichen Interesse eine Informationsweitergabe erfolgen dürfe, welche jedoch offen auf verbleibende Unsicherheiten hinzuweisen habe.43 Soweit Literaturdarstellungen das Kriterium der Richtigkeit staatlicher Informationen behandeln, wird der Gesichtspunkt der Gewährleistungsverantwortung des Staates diskutiert und ebenfalls erörtert, inwieweit eine Beschränkung auf die ungeprüfte Weitergabe von Informationen möglich und geboten ist.44 Jedoch ist auch bei der offen als ungewiss gekennzeichneten Weitergabe von Informationen das Problem virulent, dass eine Manipulation des staatlichen Informationsmittlers durch Falschinformationen nicht ausgeschlossen werden kann. Die alleinige Beschränkung auf die Folgenvermeidung der Informationsvermittlung – durch den Hinweis auf die Ungewissheit könne jeder Empfänger selbst entscheiden, wie er mit der Situation umzugehen habe45– gibt aber keine Antwort auf die Frage, welche Anforderungen generell an die Richtigkeit staatlicher Informationen zu stellen sind.
2. Bewusste Desinformation Folgenbeschränkung bzw. -eingrenzung stellt sich also nicht als zentraler Schlüssel für die Erfassung staatlicher Desinformationstätigkeit dar. Vielmehr verengt 41 Augsberg, DVBl 2007, 733, 738. Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 72 f., weist zudem auf die Tauschstruktur vieler staatlicher Leistungsbewilligungen im Hinblick auf Informationsgewinne im Rahmen der Antragstellung als weiterem Modus der staatlichen Informationsgewinnung neben hoheitlicher Datenerhebung im engeren Sinne hin. 42 BVerfGE 105, 252, 272 f. 43 Vgl. BVerfGE 105, 252, 272. 44 Britz/Eifert/Groß, DÖV 2007, 717 ff. Zu § 11 IFG: Rossi, IFG, § 7, Rn. 34 ff.; Schoch, IFG, § 7, Rn. 78 ff. u. § 11, Rn. 42; ders., NJW 2010, 2241, 2246 f.; Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 275 f. Zur Richtigkeitsgewähr als Anforderung an private Mitteilungen, also zugunsten des staatlichen Informationsbedarfs: Stohrer, Informationspflichten Privater gegenüber dem Staat, S. 242 ff. 45 BVerfGE 105, 252, 272.
III. Desinformation durch staatliche Stellen
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selbst der Blick auf die Manipulationsanfälligkeit des Staates in seiner Funktion als Informationsmittler die Problemperspektive zu sehr, da von vornherein die Möglichkeit außer Acht gelassen wird, dass staatliche Organe bewusst Falschinformationen weitergeben oder diese sogar kreieren: Desinformation ist jedoch ein in totalitären Staaten etabliertes Mittel der Manipulation und Einwirkung auf die Öffentlichkeit. Erinnert sei generell an die Propaganda totalitärer Staaten sowie darüber hinaus auf die Bedeutung von Desinformation für Militär und Geheimdienste.46 Zugleich zeigt der Blick auf konkrete Beispiele, dass Desinformation nicht denknotwendig auf Kommunikations- und Gesellschaftsstrukturen totalitärer Systeme beschränkt bleiben muss. Vielmehr stellen sich beispielsweise die Geschehnisse aus dem Jahr 1978 um den inszenierten Sprengstoffanschlag auf die Außenmauer der JVA Celle als Fall staatlicher Desinformation durch staatliche Stellen der Bundesrepublik dar: Beamte der GSG-9 verübten öffentlichkeitswirksam einen Sprengstoffanschlag auf die JVA, um eine Befreiungsaktion zugunsten eines inhaftierten Terroristen zu simulieren und durch deren fälschliche Zuschreibung einen V-Mann in den terroristischen Strukturen etablieren zu können.47 Weiterhin erarbeitete beispielsweise der damalige BKA-Chef Horst Herold 1975 ein umfassendes Konzept mit dem Titel „Grundsätze der Desinformation zur Terrorismusbekämpfung“, welches indes nicht umgesetzt wurde.48 Soweit also allgemein formuliert wird, Desinformation sei ein Erkennungsmerkmal totalitärer Staaten,49 hat dieses Charakteristikum zwar zweifellos indikatorischen Wert. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass damit nicht zugleich exklusiv ausgesprochen ist, demokratisch-rechtsstaatlich verfasste Staaten könnten keinesfalls auf Desinformation in der Öffentlichkeitsarbeit zurückgreifen. Insoweit ist Kirsten Schmalenbach beizupflichten, wenn sie herausstellt, dass die These der vollständigen Abstinenz von Desinformation in demokratischen Rechtsstaaten mehr als zweifelhaft ist.50 Es käme einer etatistischen Verklärung gleich, wenn durch die Ausklammerung von Problemen der Desinformation in juristischen Darstellungen der Eindruck entstünde, der demokratische Rechtsstaat desinformierte nicht bzw. könnte per se nicht desinformieren.
46 Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 137 ff.; Saxer, JöR 58 (2010), 209, 227. Zur Abgrenzung von Desinformation und Propaganda siehe im Folgenden unter B. IV. 47 Zum historischen Geschehen: Evers, NJW 1987, 153. 48 Der Spiegel, Heft 16/2009 vom 11. 04. 2009, S. 36 f. 49 Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 137; Friedrich/Brzezinski, Totalitarian Dictatorship and Autocracy, S. 108; Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 546 ff.; Revel, Die Herrschaft der Lüge, S. 37 f.; Depenheuer, in: ders., Recht und Lüge, 7, 25. Anschaulich zur (Medien-)Desinformation in der DDR: Schabowski, in: Depenheuer, Öffentlichkeit und Vertraulichkeit, 125, 134 ff. 50 Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357. Ferner: Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 139, die darauf hinweisen, dass auch liberale Staaten gegnerische Propaganda ihrerseits mit Gegenpropaganda bekämpfen.
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A. Problemaufriss
IV. Gang der Untersuchung Stattdessen gilt es im Folgenden das Augenmerk darauf zu richten, ob desinformatives staatliches Handeln verfassungsmäßig sein kann. Dazu wird zunächst Desinformation begrifflich eingegrenzt (II.) und eine Phänomenologie der typischen Erscheinungsformen staatlicher Desinformation als Grundlage für Rechtmäßigkeitserwägungen aufgezeigt (III.). Sodann wird der verfassungsrechtliche Rahmen für staatliche Desinformationstätigkeit skizziert, indem die rechtlichen Vorgaben aus grundrechtlichen (IV.), unionsgrundfreiheitsbezogenen (V.), demokratiebezogenen (VI.) und rechtsstaatsbezogenen (VII.) Bindungen im Einzelnen analysiert werden.
B. Begriff der Desinformation I. Informationsbegriff Um den Begriff der Desinformation zu erfassen, liegt es nahe, zunächst den als Wortbestandteil zugrunde gelegten Informationsbegriff einzugrenzen. Der Begriff der Information entbehrt jedoch einer allgemein anerkannten Definition. So hat sich in diversen Wissenschaftsgebieten eine unterschiedliche Handhabe bzw. ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs der Information herausgebildet; verwiesen sei allein auf die bereits in ihrer Bezeichnung auf den Informationsbegriff rekurrierende Informatik, die Informationswissenschaft und die Informationstheorie. Eigenständige Begriffsverständnisse finden sich jedoch auch in anderen Wissenschaften wie beispielsweise der Semiotik, der Philosophie und der Nachrichtentechnik. Es fällt demnach schwer, trennscharf einen interdisziplinären wissenschaftlichen Informationsbegriff zu entwickeln.1 Die Dimensionen des Informationsbegriffs reichen in Übertragung eines Kategorisierungsansatzes durch Charles Morris von einer syntaktischen, vornehmlich von der mathematischen Informationstheorie betonten Dimension,2 über eine semantische, im Schwerpunkt auf den Informationsvorgang als Verständnisvorgang abstellende Dimension,3 bis hin zu einer pragmatischen Dimension, die Informationen vorrangig in ihrer Funktion und Wirkung als Wirtschafts-, Kultur-, Erkenntnis- und Rechtsgut versteht.4 Systemtheoretisch inspiriert lassen sich diese unterschiedlichen Ansätze zu einer rechtstheoretisch-umfassenden Definition abstrahieren, wonach Information als Differenz zweier verknüpfter Differenzen zu verstehen sei.5 Für die juristisch-dogmatische Handhabe bieten diese Begriffsbestimmungsansätze indes keine belastbare Basis, da sie in der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze keinen einenden Gesamtaspekt aufbieten oder in Folge ihres Abstraktionsgrad kaum operationalisierungsfähig sind. Aus juristischer Anwendungsperspektive ist es vielmehr am ergiebigsten, sich zunächst anhand existierender Legaldefinitionen ein Be1
Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 251 ff., m.w.N. Vgl. Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, passim; Baecker, Kommunikation, S. 65 f. 3 Für ein semantisch dominiertes Begriffsverständnis im Informationsverwaltungsrecht: Vesting, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 20, Rn. 15 ff.; Baller, in: Haratsch u. a., Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, 33, 34 f. 4 Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, S. 23 ff.; Kloepfer, Informationsrecht, § 1, Rn. 53 ff.; Stohrer, Informationspflichten Privater gegenüber dem Staat, S. 38 f. 5 Albers, Rechtstheorie 33 (2002), 61, 68 f. 2
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B. Begriff der Desinformation
griffsverständnis zu erschließen. So definiert § 2 Abs. 3 UIG Umweltinformationen als „unabhängig von der Art ihrer Speicherung alle Daten über“ im Einzelnen genannte umweltrelevante Gegebenheiten. § 2 Nr. 1 IFG definiert den Begriff der amtlichen Information als „jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung“. Diese Definitionen laufen bei isolierter Betrachtung auf eine Gleichsetzung von Daten und Informationen hinaus.6 Soweit jedoch in juristischen Diskursen von „Informationstätigkeit“ oder „Publikumsinformationen“ die Rede ist, steht dieser Daten-Aspekt nicht im Vordergrund. Gemeint sein dürfte dann eine Anknüpfung an das allgemeinsprachliche Begriffsverständnis, wonach Informationen als Unterrichtung, Mitteilung, Nachricht oder Auskunft verstanden werden, also als ein Vorgang, der beim Empfänger eine Kenntnis oder ein vermehrtes Wissen bezweckt oder erzeugt.7 Dieses Verständnis eröffnet einen weiteren Aspekt, der die rechtliche Handhabe des Informationsbegriffs charakterisiert: Information als Rechtsgegenstand kann demnach je nach Anwendungskontext oder Perspektive als Vorgang, als Inhalt oder als Zustand zu verstehen sein.8 Diese komplexe Struktur des rechtlichen Informationsbegriffs kann aufgrund ihrer Polymorphie zur Konturierung des Desinformationsbegriffs nur eingeschränkt beitragen.
II. Desinformation als Negation von Information? Die Uneindeutigkeit der rechtlichen Handhabe des Informationsbegriffs schlägt jedoch nicht in gleicher Weise auf den Desinformationsbegriff durch. Begrifflich stellt sich Desinformation vielmehr aufgrund des eindeutigeren Kontextes als deutlich weniger komplex bzw. weniger diffus und damit als gegenüber dem Informationsbegriff leichter zu fassen dar. Zunächst ist nämlich abgrenzend festzustellen, dass Desinformation nicht als Negation von Information verstanden werden kann. Zwar wäre ein derartiges Verständnis rein wortgebunden möglich. Desinformation bezeichnete dann bei wörtlichem Verständnis Vorgänge des Löschens von Informationen oder der Verweigerung von Informationsprozessen. Derartige Anwendungsfälle sind jedoch nicht geeignet, ein abschließendes begriffliches Verständnis zu konturieren, denn nach allgemeinem 6
Schoch, VVDStRL 57 (1998), 158, 167, Fn. 31; Kloepfer, Informationsrecht, § 1, Rn. 58. Vgl. aber vertiefend: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 252 f., die für den Begriff des „Datums“ aufzeigt, dass dieser begrifflich ebenso umstritten ist. 7 Brockhaus, Enzyklopädie Online, „Information“; Langenscheidt, Fremdwörterbuch, Online-Edition, „Information“; Baller, in: Haratsch u. a., Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, 33 f. 8 Kloepfer, Informationsrecht, § 1 Rn. 56. Rechtswissenschaftlich ist also von einem pragmatisch-offenen Informationsbegriff auszugehen; vgl. eingehend dazu: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 254 ff.
III. Desinformation als Kommunikation unwahrhaftiger Daten
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Sprachverständnis erfasst Desinformation unzweifelhaft gerade auch das aktive Hervorrufen von Fehlvorstellungen. Derartigen Suggestionsinhalten kann jedoch die Informationsqualität nicht abgesprochen werden. Der Begriff der Desinformation lässt sich deshalb richtigerweise nur als bezogen auf das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses verstehen. Es wird also deutlich, dass der negierende Anteil des Begriffs allein durch eine funktionelle Betrachtung sinnvoll herausgearbeitet werden kann. Aus diesem Grund scheidet ein an die Vielschichtigkeit des Informationsbegriffs angeknüpftes Begriffsverständnis aus. Denn Desinformation beschreibt keine negierte Information und auch keinen eigenen, negierenden Informationsmodus, sondern trifft vielmehr eine bewertende Kategorisierung des Gehalts oder der Wirkung einer Information als Kommunikationsergebnis. Mit anderen Worten: auch Desinformation ist Information – nicht deren Negation.
III. Desinformation als Kommunikation unwahrhaftiger Daten Es liegt deshalb näher, für die rechtliche Bestimmung des Begriffs der Desinformation deren wörtlichen Informationsbezug aufgrund dessen inhaltlicher Fixierung dem Begriff der „Daten“ strukturell zuzuordnen – ein Begriffsverständnis, das im Übrigen mit dem Ansatz der rechtlichen Informationslegaldefinitionen in § 2 Abs. 3 UIG und § 2 Nr. 1 IFG korrespondiert.9 Ein derartiges Verständnis trägt der funktionalen Referenz des Begriffs auf eine Information, verstanden als Kommunikationsergebnis, Rechnung. Wenn sodann der Gehalt der Information das rechtlich maßgebliche Kriterium zur Bestimmung von Desinformation ist, muss näher eingegrenzt werden, wie die negierende Begriffskomponente – jenseits ihres offenkundig pejorativen Gebrauchs – inhaltlich erfasst werden kann. Dies ist nur durch eine inhaltliche Bewertung der kommunizierten Inhalte möglich. Dabei sind zunächst desinformative Inhalte von Fällen schlichter Unwahrheit zu unterscheiden, da sich Desinformation in ihrem Kommunikationsgehalt dadurch auszeichnet, dass sie intentional zum Zwecke der Suggestion bzw. Manipulation vorgenommen wird. Die Dichotomie „wahr ./. falsch“ ist danach kein hinreichendes Bestimmungskriterium. Allein die Fälle der subjektiv-bewussten Unwahrheit ermöglichen eine Charakterisierung als Desinformation. In Abgrenzung zum Wahrheitsbegriff10 ist es demnach rechtlich vorzugswürdig, zur Qualifikation 9
Eine rechtsdogmatisch ein- bzw. abgegrenzte Begrifflichkeit gegenüber der auf rechtstheoretischer Ebene breiter verstandenen Grundlegung stellt dabei kein Hindernis, sondern eine Notwendigkeit dar, sofern eine präzise Unterscheidung der jeweiligen Ebenen vorgenommen wird; vgl. dazu: Albers, Rechtstheorie 33 (2002), 61, 78. Ferner für ein pragmatisch-offenes Begriffsverständnis im Informationsrecht: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 254 ff. 10 Zu unterschiedlichen Wahrheitstheorien, insbes. konstruktivistischen, korrespondenztheoretischen und prozeduralen Wahrheitstheorien vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 98 ff.; Neumann, Wahrheit im Recht, S. 14 ff.; Schaefer, Grundlegung einer ordoliberalen
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B. Begriff der Desinformation
von Desinformation auf die Wahrhaftigkeit der vermittelten Informationen abzustellen, welche maßgeblich anhand des Willens des Äußernden zu bestimmen ist.11 Diese Abgrenzung hat zudem den Vorteil, Informationstätigkeit im Fall bestehender Unsicherheit bzw. bestehenden Unwissens durch die Berücksichtigung intentionaler Umstände nicht pauschal der Kategorie der Desinformation zuzuordnen. Vielmehr kann eine Qualifikation als Desinformation nur erfolgen, soweit die konkrete Fehlvorstellung bzw. Unwahrheit den Kommunikationsvorgang gerade intentional beeinflusst. Folglich kann Desinformation nach ihrem Gehalt als intendierte Unwahrhaftigkeit durch das begriffliche Gegensatzpaar „wahrhaftig ./. gelogen“ eingegrenzt werden. Darüber hinaus ist begrifflich zu fordern, dass der Wahrhaftigkeitskonflikt in einem Kommunikationszusammenhang vom Desinformationsakteur etabliert wird. Regelmäßig wird dies durch unmittelbare Kommunikation des unwahrhaftigen Inhalts erfolgen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich Desinformation auch durch die (nicht unbedingt selbst Kommunikation darstellende) Einwirkung auf Kommunikationen von Dritter Seite bewirken lässt. Begrifflich ist also lediglich irgendein Kommunikationszusammenhang zu fordern, auf welchen sich die Desinformation bezieht bzw. in dem sie sich als Ergebnis niederschlägt.
IV. Desinformation und Propaganda Abzugrenzen ist Desinformation ferner vom Begriff der Propaganda. Letzterer bezeichnet nach modernen Propagandabegriffen den gezielten Versuch von Personen oder Institutionen, einen bestimmten Adressatenkreis durch Informationslenkung für eigennützige Zwecke zu gewinnen und diese Zwecke zugleich zu verschleiern.12 Es geht bei Propaganda also um das Formen von Auffassungen, das Manipulieren der Wahrnehmung und des Verhaltens des Zielpublikums, um eine Reaktion bei diesem auszulösen, welche der Intention des Propagandisten entspricht.13 Propaganda als
Verfassungstheorie, S. 263 ff.; Jung, JZ 2009, 1129, 1130; Poscher, ARSP 89 (2003), 200 ff. Zum Wahrheitskonzept und -bedürfnis der Demokratie prägnant: Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 44 f. 11 Schmalenbach, JA 2005, 749, die ihren zugrunde gelegten Begriff der Wahrhaftigkeit auf ethische Grundlegungen Immanuel Kants zurückführt. Vgl. ferner: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 275, die für das Informationsrecht ebenfalls maßgeblich auf die Wahrhaftigkeit von Informationen abstellt. 12 Kirchner, in: Ueching, Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 7, Sp. 267. Eingehend zum Propagandabegriff: Merten, Publizistik 45 (2000), 143, 146 ff., m.w.N., der selbst Propaganda kommunikationswissenschaftlich als „Technik zur Akzeptanz angesonnener Verhaltensprämissen, bei der die kommunizierte Botschaft durch Reflexivisierung generalisierte Wahrheitsansprüche erzeugt, deren Akzeptanz durch Kommunikation latenter Sanktionspotentiale sichergestellt wird“ (ders., ebd., 161), definiert. 13 Schwendinger, RhethOn 01/2007; Jowett/ODonnel, Propaganda and Persuation, S. 7. Die bloße Ablenkung von gesellschaftlich-politischen Vorgängen wird überwiegend nicht als
V. Desinformation und Datenschutz
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Kommunikationstyp ist insoweit intentional ebenso auf die Suggestion oder Verfestigung bestimmter Inhalte gerichtet. Desinformation erscheint demnach im Rahmen dieser Zielsetzung als ein mögliches Propagandamittel bzw. eine Erscheinungsform von Propaganda – jedoch kann eine Manipulation von Verhaltensweisen oder Einstellungen auch ohne Kommunikation unwahrhaftiger Inhalte erreicht werden. So können beispielsweise besonders effekthascherische Inszenierungen von Massenkundgebungen als klassisches Propagandamittel charakterisiert werden, ohne dass die Inszenierung unmittelbar einen Wahrheits- bzw. Wahrhaftigkeitskonflikt aufwirft. Der Begriff der Propaganda konturiert also verglichen mit Desinformation allein die finale Wirkungsperspektive indoktrinierender Öffentlichkeitsarbeit und umfasst Letztere dabei als Schnittmenge. Das spezifische Wahrhaftigkeitsproblem bleibt im Rahmen des Propagandabegriffs in Folge dieser Fixierung jedoch ausgeklammert. Deshalb ergeben sich aus der Charakterisierung als Propaganda bzw. dem Vergleich mit Propaganda insoweit zwar kein ein weitergehendes hinreichendes Kriterium zur Bestimmung von Desinformation. Jedoch wird deutlich, dass auch im Fall der Desinformation die finale Wirkungsperspektive der Kommunikation im Hinblick auf eine beabsichtigte Verhaltens- oder Meinungsmanipulation beim Adressaten hervorgehoben einzubeziehen ist.
V. Desinformation und Datenschutz Ebenso wie aus dem Propagandabegriff können aus einem Rekurs auf den Datenschutzbegriff unmittelbar keine zusätzlichen Abgrenzungsmerkmale für den Begriff der Desinformation gewonnen werden, denn typischerweise stellen sich Probleme der Desinformation nicht als solche des Datenschutzes dar.14 Es geht bei der rechtlichen Befassung mit Desinformationshandeln nicht primär um den Schutz von (personenbezogenen) Daten bzw. deren Verarbeitung als solcher, sondern um die intentional getragene Herbeiführung von Fehlvorstellungen im Zusammenhang mit Kommunikationsprozessen. Allenfalls bestehen deshalb Parallelen, soweit Desinformation im Einzelfall mittels der Manipulation vorhandener Datenbestände als Datenverarbeitungsprozess funktioniert, aber auch diese Perspektive ist für die Diskurse des Datenschutzrechts bislang nicht charakteristisch. Vielmehr ist Datenschutzrecht strukturell als Vorfeldrecht, also als im Vorfeld materieller Schädigungen oder konkreter Gefahren angesiedelter Rechts- und Rechtsgüterschutz, ausgestaltet.15 Datenschutz erfolgt also funktional vorgelagert im Interesse des Schutzes anderer InteresPropaganda angesehen, vgl.: Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 135. 14 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Datenschutzes, speziell aus grundrechtlicher Perspektive: Gurlit, NJW 2010, 1035 ff. Zu Entwicklungslinien des Datenschutzdiskurses: Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 167 ff. 15 Bull, NJW 2006, 1617, 1623. Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit jüngst: BVerfG, NJW 2010, 833, 840; Roßnagel, NJW 2010, 1238, 1241.
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B. Begriff der Desinformation
sen. Demgegenüber sind Desinformationsmaßnahmen um ihrer selbst Willen problematisch – sie verwirklichen bereits selbst und unmittelbar eine Gefährdung der betroffenen Interessen, indem sie konkrete Fehlvorstellungen begründen.
VI. Desinformation und Geheimhaltung Zuletzt lassen sich auch aus der Gegenüberstellung mit Geheimhaltungsaspekten keine den Desinformationsbegriff weiter eingrenzenden Merkmale gewinnen. So bietet speziell die von Matthias Jestaedt in diesem Zusammenhang maßgeblich geprägte verfassungsstaatliche Orientierung zwischen den Polen der Öffentlichkeit auf der einen und Vertraulichkeit auf der anderen Seite keinen zusätzlichen Ansatz für eine Verortung des Desinformationsbegriffs.16 Denn Desinformation ist intentional darauf angelegt, Öffentlichkeit zu manipulieren, indem Vertrauen ausgenutzt wird. Desinformation kann folglich in den Kategorien Jestaedts nicht als Geheimhaltung im Sinne einer Exklusion (Identitäts- und Differenzierungsschutz) zugunsten der Vertraulichkeit verstanden werden;17 sie stellt sich vielmehr als paralleler Übergriff in beide Sphären dar, indem sie die Grundlage beider Bezugsgrößen unterminiert. Insoweit handelt es sich bei Desinformation nicht primär klandestin um eine Frage der Geheimhaltung bzw. deren Rechtfertigung. Geheimhaltung kann auf verschiedenen Wegen gewährleistet werden, vor allem durch Verschweigen der betreffenden Informationen, offenen Ausschluss von Informationen und der vorherigen Veränderung von offengelegten Daten.18 Letztere Fallgruppe begründet – soweit es sich um unwahrhaftige Datenveränderungen handelt – potentiell eine Schnittmenge zu Desinformationsmaßnahmen. Dennoch ist Desinformation weder erschöpfend noch eingrenzend durch das Merkmal der Geheimhaltung zu kennzeichnen, so man nicht inflationär jede Falschinformation unter Außerachtlassung der sie tragenden Intention als verschwiegene und deshalb geheim gehaltene Wahrheit interpretieren will.
VII. Zwischenergebnis: Arbeitsbegriff Desinformation Es ist durch diese Abgrenzungen deutlich geworden, dass der rechtliche Desinformationsbegriff maßgeblich anhand von zwei Merkmalen zu konstruieren ist: zum einen durch die Unwahrheit des kommunizierten Inhalts – der Information –, zum 16 Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 ff.; ders., in: Depenheuer, Öffentlichkeit und Vertraulichkeit, 67, 75 ff. 17 Jestaedt, AöR 126 (2001), 204, 236 ff. 18 Zur Entwicklung des Akteneinsichtsrechts als agonaler Konfiguration staatlicher Geheimhaltungs- und Funktionsinteressen gegenüber privaten und öffentlichen Informationsbedürfnissen vgl.: Visman, Akten – Medientechnik und Recht, S. 300 ff.
VII. Zwischenergebnis: Arbeitsbegriff Desinformation
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anderen durch die auf Kommunikation einwirkende (und regelmäßig diese tragende) manipulative Intention. Diese beiden Merkmale kumulieren im Erfordernis der Unwahrhaftigkeit bzw. der Lüge, welche den Wahrheitskonflikt mit dem Kriterium der Intention verbindet. Im Folgenden wird deshalb für die Untersuchung ein Begriffsverständnis zugrunde gelegt, dass unter Desinformation die Etablierung unwahrhaftiger Daten zwecks Verhaltens- oder Meinungsmanipulation im Rahmen eines Kommunikationszusammenhangs versteht.
C. Phänomenologie staatlicher Desinformation Ausgehend von der begrifflichen Darlegung wird im Folgenden ein systematisierender Überblick über typische konkrete Erscheinungsformen desinformativen Handelns des Staates gegeben, welcher den Hintergrund für die sich anschließende verfassungsrechtliche Bewertung von Desinformationen bildet.
I. Differenzierung nach aktivem Tun und Unterlassen Grundlegend kann im Rahmen desinformativen Staatshandelns hinsichtlich der Desinformationshandlung zwischen aktivem Tun und Unterlassen unterschieden werden. Beim Gedanken an staatliche Desinformationstätigkeit werden zunächst regelmäßig Beispielsfälle der Desinformation mittels aktiven Tuns relevant: Staatliche Stellen verbreiten mittels Publikumsinformation oder Individualauskunft bewusst unzutreffende Informationen, um eine kollektive oder individuelle Meinungs-, Stimmungs- oder Verhaltensänderung zu erreichen. In diesen Fällen bewirkt die kommunizierte unwahrhaftige Information selbst und unmittelbar die gewünschte Meinungsänderung oder wirkt auf das Verhalten des Adressaten ein. Ebenso entfalten aktive Zensurmaßnahmen staatlicher Stellen desinformierende Wirkungen, wenn und soweit durch formelle Veröffentlichungsverbote bewusst eine unwahre Informationslage der Öffentlichkeit aufrechterhalten wird. In derartigen Fällen bewirkt die Zensurmaßnahme als aktives Tun, dass willentlich bestimmte Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten werden, so dass die fortbestehende unwahre Informationssituation den staatlichen Stellen nunmehr intentional und damit als unwahrhaftig zugerechnet werden muss. Wertungsmäßig wie die klassischen Zensurfälle deshalb ebenfalls dem aktiven Tun zuzurechnen sind Desinformationsmaßnahmen, bei denen seitens der Verwaltung ein Eingriff in die Übermittlung bzw. eine Untersagung von wahren Tatsachenmitteilungen durch Dritte erfolgt: Beispielsweise stellen polizeirechtliche Verbotsverfügungen betreffend Warnungen vor Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr1 oder die Platzverweisung des Warnenden einen Übergriff in Kommunikationen Dritter dar, die intentional zur Unterdrückung dieser Informationen zwecks Verhaltenssteuerung erfolgen und dabei kausal eine ge1
OVG Münster, NJW 1997, 1596; VG Saarland, Beschl. v. 17. 02. 2004, Az.: 6 F 6/04, juris; Hartmann, JuS 2008, 984 ff.
I. Differenzierung nach aktivem Tun und Unterlassen
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genüber dem status quo negative Veränderung der ursprünglich wahrhaftigen Informationssituation bewirken. Diffiziler ist demgegenüber die Qualifikation von staatlichem Unterlassen als Desinformationshandeln. Insoweit bereitet grundsätzlich die Qualifikation eines Unterlassens als Kommunikation bzw. als Informationsvorgang Schwierigkeiten. Ausgehend vom zugrunde gelegten Desinformationsbegriff ist jedoch nicht zu fordern, dass sich die Desinformation selbst als Kommunikationsvorgang darstellt. Es genügt ein tatsächlicher Zusammenhang zu einer Kommunikationsstruktur, in welcher durch die Desinformationshandlung bzw. das Unterlassen – und sei es nur mittelbar – unwahrhaftige Daten etabliert werden. Es ist also zu unterscheiden zwischen dem umfassend-generellen Desinformationsvorgang, welcher letztlich die unwahrhaftige Informationslage beim Adressaten herbeiführt, und der einen Teil desselben ausmachenden Desinformationshandlung. Letztere kann sowohl als aktives Tun wie auch als Unterlassen erfolgen, wobei eine Abgrenzung zwischen den beiden Handlungsformen im Einzelfall wertend nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit vorzunehmen ist.2 Anhand von zwei Kriterien kann jedoch trotz dieser Schwierigkeiten für eine Vielzahl von Fällen staatlichen Unterlassens das Vorliegen einer Desinformation eindeutig verneint werden: dem Erfordernis einer Rechtspflicht zur Information einerseits und der Suggestion von Fehlvorstellungen in Folge des Unterlassens andererseits. Zunächst kommt es also darauf an, dass ein dem aktiven Tun gleichzusetzendes Unterlassen gegeben ist. Dies setzt nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen jedenfalls eine Rechtspflicht zur unterlassenen Handlung voraus. Also muss mit anderen Worten bezogen auf Desinformationen eine Verpflichtung öffentlicher Stellen zu wahrhaftigen Informationen gegeben sein. Fälle des schlichten Verschweigens von Kenntnissen ohne Verpflichtung zur Veröffentlichung stellen sich deshalb regelmäßig nicht als Desinformation dar.3 Es handelt sich dann um bloße Nicht-Information. Bei der Handhabe dieses Kriteriums ist jedoch zu beachten, dass in Folge der Informationsfreiheitsgesetze eine fehlende Verpflichtung zur Auskunftserteilung normstrukturell verbreitet nur noch als Ausnahme, also nur für die ausdrücklich normierten Fälle in Betracht kommt,4 so dass der Anwendungsbereich von Desinformation durch Unterlassen im Bereich von Individualauskünften durch diese Rechtsentwicklung breiter geworden ist. 2
Vgl. BGHSt 6, 46, 59; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vor§ 13, Rn. 158. Zu weitgehend deshalb: Reimer, JöR 58 (2010), 275, 294, der „Information ohne gleichzeitige Übermittlung der relevanten Kontextinformationen“ pauschal als Desinformation bezeichnet. 4 Vgl. für Bundesbehörden: §§ 3 – 6 IFG. Landesrechtlich: §§ 1 ff. BbgAIG, §§ 3 ff. BlnIFG, §§ 4 ff. IFG-SH, §§ 4 ff. IFG NRW, §§ 4 ff. HbgIFG, §§ 1 ff. BremIFG, §§ 1 ff. IFG M-V, §§ 1 ff. SIFG, §§ 1 ff. IZG LSA, § 1 ThürIFG. Ferner übergreifend für den Bereich der Verbraucher- und Umweltinformation: §§ 1 f. VIG; § 3 UIG. Zu weiteren spezialgesetzlichen Grundlagen und generell zu jüngsten Entwicklungen des Informationsfreiheitsrechts: Rossi, DVBl 2010, 554 ff. 3
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
Weiterhin kann ein offen erfolgendes Vorenthalten von Informationen nicht als Desinformation verstanden werden, da die betreffenden Personen nicht durch unwahrhaftige Informationen manipuliert werden, sondern ihre Nicht-Information für sie offenkundig ist. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Vorenthaltens, da auch im Fall des rechtswidrigen offenen Vorenthaltens von Informationen keine Fehlvorstellung hinsichtlich der begehrten Informationen hervorgerufen wird.5 Fälle des offenen Verschweigens von konkreten Informationen, beispielsweise unter Berufung auf Geheimnisschutz, oder die generelle Auskunftsverweigerung im Fall von Sperrerklärungen gem. § 96 StPO (ggf. i.V.m. § 110b Abs. 3 S. 3 StPO) stellen sich demnach qualitativ nicht als Desinformationstätigkeit dar.6 Problematischer ist demgegenüber die Qualifikation als Desinformation in Fällen der Manipulation von Aktenbeständen. So wird für den Fall, dass Akten vernichtet werden, eine Desinformation durch den eigentlichen Akt des Vernichtens zu verneinen sein, da es an einer Kommunikation der veränderten Daten fehlt.7 Dies muss jedenfalls gelten, wenn die Vernichtung der Akten nicht im Bewusstsein einer unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung bzw. in einem bereits etablierten Kommunikationszusammenhang erfolgt. Zwar wird für den Spezialfall der staatlich initiierten Archivfälschung zu Recht darauf hingewiesen, dass eine „Geschichtsfälschung von Staats wegen“ mit dem Selbstverständnis eines freiheitlichen Rechtsstaates unvereinbar sei.8 Unabhängig vom Verdikt der Rechtswidrigkeit stellt der Fälschungs- oder Vernichtungsakt als solcher jedoch nur einen Teil des staatlichen Desinformationsvorgangs, jedoch noch kein vollumfängliches Desinformationsmittel dar. Dieses liegt in Ermangelung einer manipulativen Kommunikationsbeziehung vielmehr erst vor, wenn der Zugang zu den gefälschten Dokumenten erfolgt, ohne dass ein Hinweis auf die Veränderungen der Dokumente bzw. Archive ergeht. Dieses Unterlassen als eigene, den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in seiner desinformativen Ingerenz begründende Desinformatonsverhalten stellt sodann erst die eigentliche Desinformationshandlung dar. Im Rahmen der Zugangsgewährung als Kommunikationsverhältnis wirkt sich das Unterlassen des Hinweises auf die Manipulation also als Desinformation aus – es kommt gewissermaßen zur desinformativen Kommunikation eines Unterlassens. 5 Ausnahmsweise kann jedoch die im rechtswidrigen Vorenthalten von Informationen zugleich enthaltene Negation des Anspruchs als desinformativer Gehalt des Kommunikationsprozesses angesehen werden. Da es jedoch zur Qualifikation als Desinformation einer Unwahrhaftigkeit bedarf, gilt dies allein für die Fälle, in denen sich die handelnden Stellen der Rechtswidrigkeit ihrer Verweigerung positiv bewusst sind. 6 Vgl. zur Rechtmäßigkeit von Auskunftsverweigerungen der Regierung und eingeschränkten Aussagegenehmigungen für Beamte gegenüber einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss jüngst: BVerfG, NVwZ 2009, 1092, 1095 ff.; BVerfG, NVwZ 2009, 1353, 1355 ff. 7 Zur Vernichtung von Akten der Staatssicherheit und der Konzeption einer „Glaubwürdigkeit“ der Akten vgl.: Visman, Akten – Medientechnik und Recht, S. 307 ff. 8 Fassbender, in: HStR IV, § 76, Rn. 85.
II. Finale Ausdifferenzierung
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Das Erfordernis einer Informationspflicht zur Begründung eines vorwerfbaren Unterlassens bildet auch das Abgrenzungskriterium, mittels dessen Desinformation infolge eines Unterlassens im Fall des Aufrechterhaltens eines (mittlerweile) erwiesen unwahren Sachverhalts bestimmt werden kann. Diese Konstellation ist beispielsweise gegeben, wenn eine vormalig seitens staatlicher Behörden für wahr gehaltene Tatsachenmitteilung sich mittlerweile aufgrund veränderter Erkenntnisse als unwahr darstellt, die Behörde jedoch eine Richtigstellung unterlässt.9 Parallel dazu wäre die Konstellation zu beurteilen, in der seitens einer staatlichen Stelle Akteneinsicht in mittlerweile erwiesen unwahre Dokumentenbestände ohne Hinweis auf die bekannte Unwahrheit gewährt wird. In beiden Fällen muss die Qualifikation als manipulierende Desinformation erfolgen, wenn im konkreten Fall eine Rechtspflicht der Behörde bestand, auf die veränderte Einschätzungslage im Rahmen einer fortwirkenden Kommunikationsbeziehung hinzuweisen – anderenfalls liegt kein rechtlich relevantes Unterlassen und mithin kein Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Desinformation vor.
II. Finale Ausdifferenzierung Neben der Unterscheidung nach Maßgabe der konkreten Desinformationsmaßnahme ist eine Ausdifferenzierung der verschiedenen Desinformationserscheinungsformen nach ihrer Zielrichtung möglich. Es ist bereits deutlich geworden, dass Desinformation sich begrifflich aufgrund der Anknüpfung an die Wahrhaftigkeit nur nach Maßgabe ihrer Finalität definieren und abgrenzen lässt. Darüber hinaus kann jedoch innerhalb des Spektrums möglicher Desinformationen zwischen unterschiedlichen verfolgten Zwecken weitergehend differenziert werden. Der klassische Fall staatlicher Desinformation ist dabei auf eine unmittelbare Verhaltenslenkung beim Empfänger der Maßnahmen ausgerichtet. Durch die falsche Information soll der Adressat final zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden. Als reales Beispiel einer solchen final-unmittelbaren Steuerung kann die vom Verfassungsschutz inszenierte Sprengung einer Gefängnismauer in Celle angeführt werden, mittels welcher eine erfolglose Terroristenbefreiung zum Zwecke der Etablierung eines V-Manns in terroristische Strukturen simuliert wurde.10 Im Zusammenhang mit Terrorismusabwehrmaßnahmen eröffnet sich generell ein weiter Anwendungsbereich für Desinformationshandeln, welches unterschiedlichen Steuerungszwecken dienen kann. Neben der bewussten Fehlinformation mit dem Ziel der Manipulation des finalen Handelns der Terroristen ist es ebenso denkbar, dass bewusste Fehlinformationen über bestehende Gefährdungslagen erfolgen, um Terroristen in Sicherheit zu wiegen und dadurch den staatlichen Zugriff auf diese zu ermöglichen. Ein Beispiel ist insoweit die Information der Bundesregierung aus dem Jahr 1977, wonach die GSG-9 aktuell zur Fahndung nach dem entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns 9 10
Diese Konstellation aufgreifend: BVerfGE 105, 252, 273. Vgl. dazu: Evers, NJW 1987, 153.
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
Martin Schleyer zur Verfügung stehe, obwohl sich deren Einsatzkräfte nachweislich zu dieser Zeit in Mogadischu befanden.11 Ebenso kann die Fehlinformation über bestehende Gefährdungen dazu dienen, einer konkret zu befürchtenden Massenpanik in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Aber auch jenseits derartiger Extremszenarien finden sich Anwendungsfälle solcher pauschalerer Desinformationsansätze, zum Beispiel die in Entführungsfällen regelmäßig ergehende wahrheitswidrige (Presse-) Erklärung, wonach für die Freilassung kein Lösegeld bezahlt worden sei.12 Diese Erklärungen stellen sich als Desinformation dar, welche präventiv im Hinblick auf künftige Entführungen bzw. zur Senkung diesbezüglicher Anreize ergehen und insoweit ein künftiges Unterlassen von Entführungen als Verhaltenslenkung erstreben. Neben diesen final auf eine unmittelbare Verhaltensmanipulation gerichteten Maßnahmen sind jedoch auch andere mittels Desinformation verfolgte Zwecke staatlichen Handelns vorstellbar. So kann Desinformation darauf abzielen, kein konkretunmittelbares Verhalten zu erreichen, sondern lediglich mittelbar über eine Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildungsprozesse Wirkungen zu entfalten. Dieses Ziel von Desinformation kennzeichnet die klassische (Kriegs-)Propaganda, welche sich durch Destabilisierung gegnerischer Machtstrukturen einerseits und die Indoktrination zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung andererseits auszeichnet.13 Auch komplexere politische Sachverhalte bieten breiten Raum für derartige Desinformation zur Manipulation des öffentlichen Meinungsbildes: zu denken ist beispielsweise an die in ihrem Wahrheitsgehalt zumindest umstrittene Behauptung, sowjetische Bedingung für die 2+4-Verträge sei die Aufrechterhaltung der Enteignungen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone gewesen.14 Staatlicherseits ist indes auch in ganz alltäglichen Situationen ein Rückgriff auf Desinformation im Hinblick auf öffentliche Meinungsbildungsprozesse denkbar: So kann beispielsweise als Desinformationsinstrument gegenüber missliebigen (wahren) Tatsachenbehauptungen in Presse-, Rundfunk- oder Telemedien regelmäßig ein Gegendarstellungsanspruch durch den Staat durchgesetzt werden, da dieser unabhängig vom Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung bzw. der Wahrheit der Entgegnung in Betracht kommt.15 11
Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357, 1358. Derartige Desinformation im Rahmen der Terrorismusbekämpfung wurde vom Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, StS Klaus Bölling, ausdrücklich gebilligt, vgl.: Löffler, AfP 1978, 202. 12 Vgl. zur Befreiung deutscher Geiseln im Ausland und eventuellen Kostenersatzansprüchen: Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 ff.; Göres, DÖV 2008, 622 ff.; ders., NJW 2004, 1909 ff.; Dahm, NVwZ 2005, 172 ff. 13 Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 135 f. 14 Oschatz, in: Depenheuer, Recht und Lüge, 45, 49. Zum gemeinsamen Brief der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der DDR an die Außenminister der Vier Mächte: Blumenwitz, NJW 1990, 3041, 3048; Stern, Staatsrecht V, § 135, S. 2140 f., m.w.N. 15 Meyer, in: Paschke/Berlit/ders., Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 41. Abschn., Rn. 3. Das berechtigte Interesse an einem solchen Gegendarstellungsanspruch entfällt jedoch bei offensichtlicher Unwahrheit der Gegendarstellung, so dass der Handhabe als
II. Finale Ausdifferenzierung
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Speziell unter Bedingungen moderner elektronischer Kommunikationsmittel gewinnen zudem verstärkt neuartige Konzepte an Bedeutung, die intentional im Zusammenhang mit Desinformation relevant werden. Anonymität und globale Vernetzung mittels des Internets bieten eine breite Plattform für desinformative Veröffentlichungen. Gezielte Desinformationen können mit enormer potentieller Breitenwirkung durch die Nutzung von Pseudonymen und in weitgehend anonymen Kommunikationsstrukturen sehr viel einfacher platziert werden.16 Darüber hinaus können Schwarm-Effekte ausgenutzt werden.17 Im Rahmen neuer Kommunikations- und Informationsmittel ist als neuartige Strategie besonders die „Überversorgung“ mit Informationen, der sog. „information overload“, zu beachten. So wird darauf hingewiesen, dass paradoxerweise auch durch übergroße Datenmengen eine Desinformation beim Empfänger eintreten könne.18 Die Überflutung mit Information verhindere unter Umständen die Erfassung der wesentlichen Informationen – im Rahmen computergestützter Kommunikation scheitere sogar der Suchprozess im Internet.19 Auf derartige Wirkungen von Informationsfülle reagiert beispielhaft das „Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union“20 (EUZBBG): In Folge der durch die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beanstandeten Begleitgesetzgebung zum Lissabon-Vertrag21 novellierte der deutsche Gesetzgeber die Bestimmungen zur Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten mit dem Ziel, die Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages entsprechend Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG effektiv, umfassend und frühestmöglich in allen Angelegenheiten der Europäischen Union zu sichern.22 Da dem Anwendungsbereich des Gesetzes nach § 3 EUZBBG eine Vielzahl rechtlicher wie informeller Handlungsformen der Europäischen Union unterfallen, institutionalisieren die §§ 4 ff. EUZBBG ein „wertendes Informationssystem“ Desinformationselement insoweit (spärliche) Grenzen gesetzt sind. Allgemein zu presse- und äußerungsrechtlichen Instrumenten des Staates im öffentlichen Meinungskampf: Lehr, AfP 2010, 25 ff., m.w.N. 16 Für einen Überblick über drastische Potentiale der Internetkommunikation vgl.: v. Kittlitz, FAZ v. 17. 04. 2010, S. 46. Speziell den Fall „Wikileaks“ aufgreifend: Holznagel, MMR 2011, 1, 2. 17 Zu Schwärmen als Strukturwandel der Öffentlichkeit mit weitreichenden rechtlichen Folgen: Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen, Neues Arbeitskampfrecht?, 60, 73 ff. 18 Ladeur, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 21, Rn. 26 u. 23, für entsprechende Wirkungen durch Berichterstattung; Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 83; Plake/ Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 130. 19 Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 83; Plake/Jansen/Schuhmacher, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet, S. 130. 20 BGBl. 2009, Teil I, Nr. 60 v. 24. 09. 2009, S. 3026; BT-Drs. 16/13986, 16/13925, 16/ 13995. 21 Vgl. BVerfGE 123, 267, 432 ff. 22 Vgl. § 1 EUZBBG; BT-Drs. 16/13925, S. 1, 6.; zur vormaligen Ausgestaltung: Hoppe, DVBl 2007, 1540 ff.
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
zwischen Regierung und Parlament.23 Dieses enthält formalisierte bzw. formularisierte Zuleitungs- (§ 6 EUZBBG) und Berichtspflichten (§ 7 EUZBBG) der Bundesregierung, um angesichts der Informationsflut eine Stellungnahme (§ 9 EUZBBG) effektiv zu ermöglichen. Die Formalisierung der Zuleitung und die formularmäßig aufbereitete begleitende Information dienen speziell dem Zweck, einer Überinformation und daraus folgender Handlungsunfähigkeit zu begegnen. Dies stellt eine Reaktion auf Gefahren des „information overload“ dar. Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand kann jedoch nicht allein auf die faktische, gegebenenfalls auch final herbeigeführte Wirkung derartiger Informationsphänomene abgestellt werden. Vielmehr bedarf es zusätzlich eines Wahrhaftigkeitskonflikts, um eine Qualifikation als Desinformationsstrategie zu rechtfertigen. Die systematische Überflutung mit Informationen stellt sich dann allerdings trotz ihrer Intention nicht zwingend als Desinformation dar, denn die Kommunikationsinhalte weisen regelmäßig kein Wahrhaftigkeitsproblem auf: Es wird lediglich die Aufnahmeschwäche des Empfängers ausgenutzt – die zu diesem Zweck massenhaft gestreuten Informationen können in der Sache jedoch durchaus zutreffend sein. Für die Überflutungswirkung ist die Wahrheit bzw. Wahrhaftigkeit der Information irrelevant. „Information overload“ stellt sich also in seiner Zielrichtung regelmäßig nicht als Desinformation dar. Gleichermaßen kann auch das staatliche Handlungskonzept der „plausible deniability“ zwar im Zusammenhang mit Desinformationsmaßnahmen relevant werden, stellt jedoch selbst keine Desinformationstätigkeit dar. Dieses ursprünglich nachrichtendienstliche Organisationsprinzip, welches auf eine CIA-Konzeption der 1960erJahre zurückgeht, sieht vor, dass staatliches Handeln in sensiblen Bereichen durch Informalität so zu gestalten ist, dass gegebenenfalls eine Beteiligung staatlicher Strukturen oder jedenfalls deren Führungspersonals glaubhaft abgestritten werden kann.24 Es handelt sich also lediglich um eine Vorfeldstrategie, die eine ggf. erforderlich werdende Desinformation vorbereitet. Die konzeptionellen Organisationsmaßnahmen transportieren jedoch selbst noch keine unwahrhaftigen Informationen im Sinne einer selbstständigen Desinformationsmaßnahme. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich staatliches Desinformationshandeln mittels des verfolgten Desinformationsziels, also der Finalität der Maßnahmen, systematisieren lässt. Insoweit kann die Fallgruppe der Maßnahmen, die eine unmittelbar handlungsbezogene Verhaltensmanipulation beim (Des-)Informationsempfänger bezwecken, von solchen Fällen unterschieden werden, in denen die Zielrichtung eine allgemeine Beeinflussung bzw. Manipulation des öffentlichen Meinungsbildes ist. Regelmäßig nicht als spezifische Desinformationsmaßnahmen können demgegenüber trotz ihrer finalen Ausrichtung Handlungskonzepte wie „informa-
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Kersten, UPR 2010, 201, 207; ders., IzR 2010, 553, 561. Church Committee Reports, Senate, 04th Congress, 1st Season, 20. 11. 1975, II. Section B, S. 11 f. 24
III. Differenzierung nach Desinformationssubjekt und -objekt
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tion overload“ oder „plausible deniability“ angesehen werden, da sie als solche keinen Wahrhaftigkeitskonflikt aufweisen.
III. Differenzierung nach Desinformationssubjekt und -objekt Ferner können Fallgruppen desinformativen Staatshandelns durch eine Analyse der möglichen Desinformationssubjekte unterschieden werden. Grundsätzlich vermögen potentiell alle staatlichen Akteure desinformierend tätig zu werden. Dennoch wird sich je nach beteiligtem Akteur die Qualität oder jedenfalls die Ausrichtung der Desinformation regelmäßig unterscheiden. Denn Desinformation innerhalb des Regierungshandelns von Bundes- oder Landesregierungen wird typischerweise eine gesteigerte Breitenwirkung aufweisen, während Desinformation als Verwaltungshandeln meist begrenztere Wirkungen gegenüber abgrenzbaren Adressatenkreisen entfalten wird.25 Ferner ist auch die Bestimmung des Desinformationsobjekts für die Erfassung und Qualifikation von Desinformationsmaßnahmen aufschlussreich, denn der Objektbezug dürfte maßgeblich unter anderem die Art und Weise der Manipulation bedingen. Dies ist offensichtlich, wenn man den Fall, dass andere Regierungen oder andere Staatsvölker Adressaten der Desinformation sind, mit Konstellationen einer Desinformation einzelner Bürger des eigenen Staates vergleicht. Daneben ist Unwahrhaftigkeit gegenüber Einzelpersonen in ihren Erscheinungsformen und in ihrer Wirkungssteuerung deutlich von desinformierenden Publikumsinformationen abzugrenzen. Insbesondere international und damit völkerrechtlich relevante Desinformation weist in Folge der potentiellen Desinformationsobjekte wohl die größten Breitenwirkungen auf. Dabei sind beispielsweise die Möglichkeit der Manipulation von Gremien der Vereinten Nationen, die Öffentlichkeitsmanipulation zur Vorbereitung einer militärischen Auseinandersetzung oder die Fälle der Desinformation im Rahmen einer stattfindenden Kriegsführung in den Blick zu nehmen: Erinnert sei allein an die 1990 kurz vor einer entscheidenden Sitzung des UN-Sicherheitsrat in den Medien lancierte Meldung, wonach irakische Soldaten bei der Besetzung Kuwaits Säuglinge in Krankenhäusern aus Brutkästen genommen und so sterben lassen hätten – eine Berichterstattung, die nachweislich von einer PR-Agentur inszeniert und deren Vorwürfe frei erfunden waren.26 Ebenso deuten Interviewaussagen des ehemaligen Außenministers der USA, Colin Powell, darauf hin, dass bereits zum Zeitpunkt der Präsentation angeblicher Beweise für biologische und chemische Kampfmittel im Irak vor 25 Zur Abgrenzung von Regierungs- und Verwaltungsaufgaben bei Publikumsinformationen: Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 11 ff. 26 MacArthur, Second Front, S. 53 ff.; ders., Die Schlacht der Lügen, S. 64 ff.; Kirchner, in: Ueching, Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 7, Sp. 285.
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
dem Weltsicherheitsrat am 05. 02. 2003 zumindest innerhalb der amerikanischen Geheimdienste Zweifel an der Verlässlichkeit der Quellen gegeben waren.27 Keineswegs soll jedoch der Eindruck entstehen, es handele sich bei völkerrechtlich relevanter Desinformation um ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit. Vielmehr finden sich vielfältige historische Beispiele für außenpolitische Desinformation. Eine der folgenreichsten Desinformationsmaßnahmen der deutschen Geschichte dürften wohl die Vorgänge um die sog. „Emser Depesche“ darstellen, welche provozierender Anlass der französischen Kriegserklärung gegenüber Preußen im Jahr 1870 waren28 : Der preußische König Wilhem I. hatte – auf vehemente französische Intervention hin – die Entscheidung zur Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron diesem anheim gestellt.29 Jener erklärte sodann vor diesem Hintergrund seinen Verzicht auf die Kandidatur. Von französischer Seite wurde indes weitergehend die Forderung erhoben, dass vom Haus Hohenzollern ein generelles Garantieversprechen abzugeben sei, auch in Zukunft keine Ansprüche auf die spanische Krone zu stellen. Diese Forderung wies der preußische König gegenüber dem französischen Botschafter in Bad Ems zurück. Die telegraphische Benachrichtigung des Bundeskanzlers Otto von Bismarck über das Geschehen wurde von diesem indes in wesentlichen Punkten gekürzt bzw. verändert und lediglich in bearbeiteter Form der Presse zur Verfügung gestellt.30 Durch die Verkürzungen und Umformulierungen erhielt die Nachricht einen gänzlich anderen Charakter. „Die Formulierung erhob im ersten Satz gegen den französischen Botschafter den Vorwurf herausfordernden Benehmens; der zweite Satz stellte es so dar, als habe der König die Provokation auf der Stelle mit einer Gegenprovokation, dem Abbruch des Gesprächs, beantwortet.“31 Diese Umformulierung bezweckte neben der Stärkung des Nationalgefühls in Deutschland eine schwere Beleidigung Frankreichs, die nach diplomatischen Gepflogenheiten praktisch wohl nur mit einer Kriegserklärung beantwortet werden konnte.32 Die Vorgänge um die Emser Depesche sind also ein Paradebeispiel für die Manipulation der öffentlichen Meinung „durch halbe Wahrheit“ gegenüber dem eigenen Staatsvolk verbunden mit einer lügenbasierten Provokation gegenüber einem fremden Staatsvolk.33 27
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 211 v. 10. 09. 2005, S. 6. Dazu allgemein: Becker, Bismarcks spanische „Diversion“ 1870 und der preußischdeutsche Reichsgründungskrieg, Band III, S. XI ff., der in dem Geschehen eine „höchst wirkungsvolle nationale wie internationale Desinformationskampagne“ sieht. 29 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, S. 716 f. 30 Vgl. den Wortlaut synoptisch darstellend: Becker, Bismarcks spanische „Diversion“ 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg, Band III, Nr. 854, S. 58 ff. 31 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, S. 720. 32 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, S. 720. Die unmittelbare Ausrichtung auf eine Kriegserklärung als Automatismus ablehnend: Becker, Bismarcks spanische „Diversion“ 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg, Band III, S. XVI f., m.w.N. 33 Oschatz, in: Depenheuer, Recht und Lüge, 45, 47. 28
IV. Differenzierung nach dem Desinformationsmittel
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Jenseits der kollektiven Propagandaobjekte des eigenen oder des gegnerischen Staatsvolks besteht die Möglichkeit der individuellen oder zumindest auf einen abgrenzbaren Personenkreis Privater ausgerichteten Desinformation. Ein Fall individueller Desinformation liegt beispielsweise vor, wenn auf Anfrage eines verkaufsgeneigten Grundstückeigentümers die beabsichtigte Bauleitplanung für sein Grundstück, die diesem Baulandqualität verschaffen würde, verneint wird. Ebenso kann Desinformation auch allein zwischen staatlichen Stellen stattfinden, beispielsweise durch Regierungsvertreter gegenüber dem Parlament, speziell parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, oder gegenüber Gerichten. So hat zum Beispiel der vormalige britische Premierminister Gordon Brown jüngst eingeräumt, gegenüber einer unabhängigen Untersuchungskommission zum Irak-Krieg falsche Angaben zur finanziellen Ausstattung der britischen Truppen während des IrakKriegs gemacht zu haben.34 Auch der Entscheidung zugunsten der späteren Bundeshauptstadt Bonn im Parlamentarischen Rat vom 10. 05. 1949 ging eine Desinformationsmaßnahme, diesmal indes allein unter Abgeordneten, voraus: Der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer bewegte die hessischen CDU-Abgeordneten unter Vorlage einer „vertraulichen Meldung“ der dpa zur Abstimmung zugunsten von Bonn und damit gegen Frankfurt a.M., welche die geäußerte Vorfreude des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher über die „sichere Niederlage“ der Konservativen im Hauptstadtvotum behauptete, tatsächlich indes nie als dpa-Meldung veröffentlicht wurde.35 Demnach ist deutlich geworden, dass sich Desinformationsfälle nach Maßgabe des beteiligten Desinformationssubjekts bzw. -akteurs einerseits und des Desinformationsobjekts andererseits systematisieren lassen, um desinformative Mechanismen wirkungsbezogen kategorisieren zu können. Es bietet sich danach an, Fälle der Desinformation durch Regierungsstellen oder führende politische Akteure von solchen der herkömmlichen Verwaltungskommunikation zu unterscheiden. Ferner sollte die wechselseitige Abhängigkeit von Desinformationsobjekt und in Betracht kommendem Desinformationsmittel stets reflektiert werden.
IV. Differenzierung nach dem Desinformationsmittel Zuletzt lassen sich die Erscheinungsformen von staatlichem Desinformationshandeln systematisierend auch nach dem gewählten Desinformationsmittel, vor allem der jeweiligen Desinformationshandlung unterscheiden. Die klassische Desinformation zu Propagandazwecken greift diesbezüglich vor allem auf initiative (Des-)Information der Öffentlichkeit als typische Massenkommunikation zurück. Als bekanntes Beispiel für diese Form der Desinformation kann die 34 35
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 66 vom 19. 03. 2010, S. 6. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 109 vom 12. 05. 2009, S. 10.
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
Plakatierung des damaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm aus dem Jahr 1986 angeführt werden, der die Öffentlichkeit mit dem Slogan „Denn eins ist sicher: Die Rente“ über demographische Risiken des gesetzlichen Rentenversicherungssystems täuschte.36 Ebenso in klassischen Kommunikationsstrukturen eingebettet sind mögliche Individualauskünfte desinformativer Inhalte. Desinformationshandlung und Desinformationsmittel fallen in diesen Konstellationen zusammen. Vorstellbar ist als Desinformationsmittel indes auch die Manipulation von Akten oder Beweisobjekten. Ein bekanntes Beispiel für letztere Fälle der Desinformation bilden die Geschehnisse um die Oberbürgermeisterwahl der Stadt Bad Homburg v.d.H. aus dem Jahr 1998: Im Hinblick auf die bevorstehende Wahl hatte der damalige Amtsinhaber entgegen einem expliziten Magistratsbeschluss ein zu einer kommunalpolitisch umstrittenen Frage eingeholtes Rechtsgutachten den Magistratsmitgliedern vorenthalten und einen diesbezüglichen Aktenvermerk entfernt.37 Eine Desinformationsmaßnahme, verstanden als Desinformationsmittel, muss also – dies gilt speziell für Unterlassenskonstellationen – in ihrer Form nicht auf einen verbalen Kommunikationsakt beschränkt sein; sie kann auch durch tatsächliches Handeln erfolgen. Lediglich der auf dem Desinformationsmittel – beispielsweise der Aktenvernichtung – aufbauende bzw. an dieses anknüpfende Desinformationsvorgang bzw. die Desinformationshandlung muss sodann in einem Kommunikationszusammenhang zur Geltung kommen. Besonders hervorzuheben ist im Kontext möglicher Desinformationsmittel zudem, dass selbst staatliche Desinformation mittels eines materiellen Gesetzes denkbar ist.38 Zwar fallen gesetzlich angeordnete Fiktionen nicht unter den Desinformationsbegriff, obwohl sie unter Umständen ebenso eine Verhaltenssteuerung bezwecken und von Rudolf von Jhering sogar als „technische Notlüge“39 charakterisiert wurden. Selbst im Fall der Unwiderleglichkeit ist nämlich der Fiktionscharakter für jeden ersichtlich als solcher ausgestaltet, so dass dem Normgeber keine Unwahrhaftigkeit unterstellt werden kann.40 Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, dass Gesetze eine unwahre tatsächliche Sachlage nicht lediglich fingieren, sondern deren Existenz wahrheitswidrig behaupten.41 36
Die Zeit, Nr. 48 vom 21.11.1986. BVerwGE 118, 101 ff. 38 Für den Frage, ob Rechtsordnungen lügen können, ebenso: Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, S. 93 f. Vgl. ferner zum Grundsatz der Normwahrheit: Meyer, Der Staat 48 (2009), 278 ff. 39 von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 3, 1. Abt., 6./7. Aufl., 1924, S. 305, zit. nach Pfeifer, Fiktionen im öffentlichen Recht, insbesondere im Beamtenrecht, S. 22, Fn. 7. 40 A.A.: Depenheuer, in: ders., Recht und Lüge, 7, 13, für das Beispiel der Rechtslage im Fall fehlender biologischer Vaterschaft. 41 Ein Beispiel für ersteren Fall bietet Art. 2 der irischen Verfassung, welcher das Staatsgebiet Irlands auf die gesamte Insel Irland erstreckt; vgl.: Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, S. 93. Deutlich zu weitgehend: Depenheuer, in: ders., Recht und Lüge, 7, 13, 37
V. Zwischenergebnis
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Ebenso stellt sich ein gesetzgeberischer Eingriff in die Kommunikation eines wahren Sachverhalts durch Dritte, indem derartige Kommunikationsvorgänge zu Zwecken der Desinformation unter Strafe gestellt werden, als Desinformation dar. Diese genannten Bestrebungen unterfallen also auch in Gesetzesform dem Desinformationsbegriff. Anhand des Kriteriums des Desinformationsmittels lassen sich folglich systematisierend Fallgruppen der Desinformation entwickeln: Zum einen kann sich Desinformation durch einen eigenen Kommunikationsakt verwirklichen, wie dies klassische Desinformationsfälle der Publikumsinformation oder der Individualauskunft kennzeichnet. Zum anderen können indes Desinformationsmittel und Kommunikationszusammenhang auch auseinanderfallen, so dass Herstellung eines Wahrhaftigkeitskonflikts und kommunikative Entfaltung desselben sich nicht in einem Akt vollziehen müssen, wie dies beispielsweise im Fall der Manipulation von Aktenbeständen oder der Desinformation durch Gesetz erkennbar wird.
V. Zwischenergebnis Es ist deutlich geworden, dass als Konsequenz aus dem zugrunde gelegten weiten begrifflichen Verständnis von Desinformation ein breit gefächertes Spektrum von möglichen staatlichen Desinformationsmaßnahmen besteht. Um dieses im Folgenden verfassungsrechtlich würdigen zu können, mussten zunächst die gängigen Erscheinungsformen konkret vergegenwärtigt werden. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die kommunikationsbasierte Etablierung unwahrhaftiger Daten zum Zwecke der Verhaltens- oder Meinungsmanipulation gegenständlich nicht auf bestimmte Sektoren staatlichen Handelns beschränken lässt. Sie reicht von internationalen Desinformationsmaßnahmen gegenüber anderen Staaten und Gremien über innerstaatliche Desinformation zwischen Verfassungsorganen bis zur Desinformation des eigenen Staatsvolkes oder einzelner Bürger. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen staatlicher Desinformation können darüber hinaus durch verschiedene Parameter systematisiert werden: Zunächst ist es ertragreich, die konkrete Desinformationsmaßnahme zu betrachten, welche sich entweder als aktive staatliche Handlung oder als staatliches Unterlassen darstellen kann. Innerhalb der aktiven staatlichen Handlungen ist zudem die Desinformation mittels initiativer Kommunikation unwahrhaftiger Daten von der Desinformation durch Eingriff in die Kommunikation wahrhaftiger Daten durch Dritte zu unterscheiden. Darüber hinaus können Desinformationen durch ihre Finalität oder das gewählte Desinformationsmittel ausdifferenziert werden. wenn er die Präambel des Grundgesetzes als „offensichtliche Lüge“ bezeichnet, da die Verfassung weder vom Deutschen Volk gegeben wäre und noch aufgrund der „verfassungsgebenden, d. h. souveräner Gewalt“ gälte.
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C. Phänomenologie staatlicher Desinformation
Trotz dieser Kategorisierungsansätze bleiben indes Erscheinungsformen ebenso wie Wirkungsstrukturen desinformativen Staatshandelns zu komplex, um einen einzigen rechtlichen Maßstab zu ihrer verfassungsrechtlichen Bewertung vorrangig heranzuziehen. Um der Vielgestaltigkeit möglicher Desinformationsmaßnahmen Rechnung zu tragen, kann eine rechtliche Auseinandersetzung den verfassungsrechtlichen Rahmen für staatliches Desinformationshandeln vielmehr zunächst lediglich in Gestalt partieller Bindungen durch konkrete Verfassungsbestimmungen in den Blick nehmen.
D. Grundrechtliche Bindungen Aus der Abwehrperspektive betroffener Bürger wird staatliche Desinformation vorrangig im Hinblick auf deren grundrechtliche Verfassungsmäßigkeit relevant. Speziell wegen des staatlich verfolgten Steuerungs- bzw. Manipulationszwecks wird häufig der Schutzbereich verfassungsrechtlich verbürgter Grundrechte intentional berührt sein. Insoweit ist bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung etwaiger Desinformationsmaßnahmen speziell grundrechtlichen Anforderungen angemessen Rechnung zu tragen.1 Parallel zu dieser Maßstabseröffnung gilt es jedoch bereits vorab zu betonen, dass die Grundrechtsperspektive Probleme der Desinformation strukturbedingt lediglich ausschnitthaft erfassen kann: Einerseits ist ihr eine primäre Ausrichtung auf die subjektive Abwehrfunktion eigen. Andererseits können grundrechtliche Schutzwirkungen nur von bzw. gegenüber Grundrechtsträgern geltend gemacht werden. Dies führt dazu, dass Desinformation staatlicher Stellen gegenüber anderen staatlichen Stellen mittels dieses Maßstabs genauso wenig erfasst werden kann, wie der historisch für das Gebiet der Propaganda besonders bedeutsame Fall der Desinformation ausländischer Staaten und deren Bevölkerung bzw. völkerrechtlicher Gremien. In Kenntnis dieser Beschränkung lassen sich auf grundrechtlicher Ebene dennoch wesentliche Probleme der rechtlichen Beurteilung von staatlichen Desinformationsmaßnahmen behandeln.
I. Desinformation als Grundrechtseingriff Voraussetzung einer grundrechtlichen Würdigung staatlicher Desinformationsmaßnahmen ist zunächst, dass Desinformationstätigkeit potentiell einen Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts darstellen kann.
1 Im Folgenden werden in Folge des beschränkten Untersuchungsgegenstands allein nationale Grundrechtsgewährleistungen thematisiert. Zum Problem des Grundrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem mit Grundrechtsregimekonkurrenzen eingehend: Wollenschläger, in: Iliopoulos-Strangas/Diggelmann/Bauer, Rechtstaat, Freiheit und Sicherheit in Europa, 45, 51 ff., m.w.N.
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D. Grundrechtliche Bindungen
1. Schutzbereichseröffnung bei staatlichem Desinformationhandeln Aufgrund der Vielgestaltigkeit staatlichen Desinformationshandelns kann potentiell die Freiheitssphäre vieler Grundrechte auf Seiten des betroffenen Bürgers relevant werden.2 Dabei drängt sich intuitiv aufgrund des Desinformationsmaßnahmen immanenten Kommunikationszusammenhangs die Frage auf, inwieweit die Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG Schutz gegenüber staatlichem Desinformationshandeln vermitteln. Soweit die betroffenen Bürger durch eine staatliche Maßnahme an der Kommunikation ihrer Meinung gehindert werden, wie dies beispielsweise bei klassischen Zensurmaßnahmen oder anderer Unterdrückung wahrer Tatsachen- bzw. Meinungsmitteilungen der Fall ist, greift der Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die Meinungsfreiheit umfasst ausweislich ihres Wortlauts („zu äußern und zu verbreiten“) unzweifelhaft die Modalitäten der Kommunikation einer Meinung. Grundrechtsdogmatisch problematischer sind demgegenüber die übrigen Fälle, welche nicht die Kommunikation einer Meinung durch den Bürger, sondern die Einwirkung auf dessen Meinungen bzw. dessen Kenntnisstand zum Ziel haben. Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als Meinungsäußerungsfreiheit nimmt keine ausdrückliche Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf die rein interne Meinungssphäre vor. Die Frage ist deshalb, ob und inwieweit auch ein Schutz der Meinungsbildung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet wird. Diese Problemstellung wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet und deshalb teilweise als im Ergebnis „unklar“3 charakterisiert. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzungen der Bildung einer öffentlichen Meinung in ihrer Gesamtheit von Art. 5 Abs. 1 gewährleistet werden,4 wobei nicht näher eingegrenzt wird, ob und wie dieser Schutz der Meinungsbildungsfreiheit individuell zu bestimmen bzw. begrenzt ist. In der argumentativen Herleitung wird verbreitet auf die Wechselwirkungen und Konvergenzen der einzelnen Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG abgestellt und betont, dass die Meinungsbildung als zwischen Information(-sfreiheit) und Meinungsäußerung liegende Freiheit implizit von Art. 5 Abs. 1 GG generell geschützt sein müsse.5 Teilweise wird die Meinungsbildungsfrei2 Darüber hinaus ist es vorstellbar, dass staatliche Desinformationen sich als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlungen darstellen. Dieser Maßstab kann vor allem für Desinformationen, die spezielle Diskriminierungsverbote, insbesondere Art. 3 Abs. 3 GG oder Art. 33 Abs. 2 – 3 GG, betreffen, praktisch relevant werden. Im Folgenden wird jedoch der Fokus allein auf die freiheits(grund)rechtliche Perspektive gelegt, da die strukturell relative Gewährleistung durch Gleichheitsrechte kaum abstrahierbare generalisierte Aussagen zulässt. 3 Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 6. 4 BVerfGE 8, 104, 112; BVerfGE 20, 56, 98; BVerfGE 61, 1, 8. 5 Starck, in: von Mangoldt/Klein/ders., GG, Art. 5, Rn. 37; Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5, Rn. 24; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 67 u. 73; Fechner, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 5, Rn. 82; Antoni, in: Hömig, GG, Art. 5, Rn. 3 u. 8; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5, Rn. 82; Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357; Kloepfer, Grundrechte
I. Desinformation als Grundrechtseingriff
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heit dabei schwerpunktmäßig als Gewährleistung der Informationsfreiheit verstanden,6 andere gehen insoweit von einem Ergänzungsverhältnis aus.7 Darüber hinaus wird die Meinungsbildungsfreiheit auch als Element der negativen Meinungsfreiheit verstanden, soweit es darum geht, keine bestimmte Meinung bilden zu müssen.8 Gegen diese Verortungen der Meinungsbildungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG kann nicht überzeugend eingewendet werden, Art. 5 Abs. 1 GG schütze traditionell ausschließlich den äußeren Kommunikationsvorgang, nicht aber die innere Geistesfreiheit vor Beeinflussungen.9 Zwar hat historisch die Behauptung der Unverletzbarkeit innerer Geistesgehalte zu einer Verhinderung der Aufnahme der Gedankenfreiheit in die WRV geführt,10 was wiederum von Richard Thoma anlässlich der Beratungen des GG im Parlamentarischen Rat aufgegriffen wurde.11 Jedoch ist das vormals in der Staatsrechtslehre weit verbreitete Dogma der tatsächlich unverletzbaren und rechtlich unfassbaren Geistesfreiheit („Die Gedanken sind frei“) als solches nicht mehr haltbar.12 Denn einerseits besteht die Möglichkeit der Beeinflussung innerer Gedankensphären, welche sich angesichts subliminaler und suggestiver Beeinflussungsmöglichkeiten ebenso wie durch chirurgische Hirneingriffe, Psychodrogen sowie hirnelektrische und narkoanalytische Einwirkungen nicht mehr kategorisch ausschließen lässt.13 Andererseits erschöpft sich die sachliche Schutzsphäre der Meinungsbildungsfreiheit nicht notwendigerweise in einem Indoktrinationsverbot, sondern gewährleistet darüber hinausgehend auch zumindest partiell „äußere“ Tätigkeials Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 60 ff. Ähnlich: Degenhart, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 [123. Lfg. 2006], Rn. 87; RossenStadtfeld, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, § 25, Rn. 9, die den Schutzzweck der Meinungsfreiheit bzw. des Kommunikationsverfassungsrechts allgemein in der Gewährleistung freier privater und öffentlicher Meinungsbildung sehen, der sich nicht in der Gewährleistung einzelner Äußerungen erschöpfe. 6 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5, Rn. 82. 7 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 73. Ähnlich: Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5, Rn. 24, der davon spricht, dass die Informationsfreiheit der Meinungsbildungsfreiheit „dient“. 8 Degenhart, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 [123. Lfg. 2006], Rn. 159. 9 So aber: Hoffmann-Riem, in: Denninger/ders./Schneider/Stein, AK-GG, Art. 5 I, II, Rn. 25. 10 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Band 328, S. 1646 ff.; Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 117. 11 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), 1, 73 f.; Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 47 ff.; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 70. 12 Vgl. dazu bereits eingehend: Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 70 f., m.w.N. A.A. aber wohl: Starck, in: von Mangoldt/Klein/ders., GG, Art. 5, Rn. 37, der weiterhin von einem nicht von außen bedrohbaren forum internum ausgeht und den Schutz der Meinungsbildungsfreiheit deshalb auf die äußerliche Sphäre der Meinungsbildung beschränkt. 13 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 67 f.; HoffmannRiem, in: Denninger/ders./Schneider/Stein, AK-GG, Art. 5 I, II, Rn. 25; Vosgerau, Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes, S. 191, dort allerdings für die Gewissensfreiheit.
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D. Grundrechtliche Bindungen
ten wie beispielsweise das Sammeln, Ordnen, Archivieren, Kombinieren oder die sonstige Verarbeitung von Informationen, soweit diese Tätigkeiten nicht speziell von der Informationsfreiheit erfasst werden.14 Diese Erkenntnisse führten vereinzelt zu Forderungen nach der Anerkennung einer inneren Geistesfreiheit als eigener, ungeschriebener Grundrechtsverbürgung.15 Richtigerweise spricht jedoch nicht nur der explizite Verzicht des Grundgesetzes auf eine „Freiheit der Überzeugung“ gegen eine derartige Konstruktion,16 sondern vielmehr lässt sich der Schutz der Meinungsbildungsfreiheit unmittelbar in Art. 5 Abs. 1 GG verorten: Michael Kloepfer hat diese Ausdehnung des Grundrechtsschutzes überzeugend aus dem Gedanken des Entstehungsschutzes von Grundrechten entwickelt.17 Danach sei der Bestand einer Meinung jeder Meinungsäußerung vorausgesetzt und deshalb grundrechtlich relevant, da ohne die Erstreckung des Schutzes in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG die Meinungsäußerungsfreiheit leerzulaufen drohe.18 Dies bringe es mit sich, dass sich bestimmte Formen der Meinungsbeeinflussung – und damit der Desinformation – an der „inneren“ Meinungsbildungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG messen lassen müssten.19 Ein derartiges Verständnis harmoniert zudem mit der Rechtslage betreffend Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK, wonach in Abgrenzung zur Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK die Meinungsfreiheit als Meinungsbildungsfreiheit umfassend auch den Schutz vor staatlicher Indoktrination gewährleistet.20 Angesichts dieses Begründungshintergrundes hat das Bundesverfassungsgericht in der jüngst ergangenen sog. Wunsiedel-Entscheidung auch zu Recht angenommen, dass Art. 5 GG als „Geistesfreiheit“ konzipiert sei und deshalb der „staatliche Zugriff auf die Gesinnung“ durch Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützt sein soll.21 Zusammenfassend lässt sich also fest14 Starck, in: von Mangoldt/Klein/ders., GG, Art. 5, Rn. 37; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 73; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 6. 15 So explizit: Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, passim, insbes. S. 60 f. Tendenziell ebenso: Hoffmann-Riem, in: Denninger/ders./Schneider/Stein, AK-GG, Art. 5 I, II, Rn. 25. 16 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), 1, 73 ff.; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 71, Fn. 271. 17 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 57 ff. 18 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 57. 19 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 67 ff. 20 Degenhart, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 [123. Lfg. 2006], Rn. 159, der zudem zutreffend auf die englische („freedom to hold opinions“) Fassung zur Begründung der Erstreckung des Schutzes auch auf die innere Meinungsbildungsfreiheit verweist; Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4, Rn. 4; Frowein, in: ders./Peukert, EMRK, Art. 10, Rn. 3 f.; Grote/Wenzel, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, Kap. 18, Rn. 28. Vgl. grundlegend zum Schutz der EMRK vor staatlicher Indoktrination: EGMR-E 1, 203, 213 ff., Rn. 53 ff. Zum Schutz der Meinungsbildung durch Art. 11 EGRC: Frenz, Handbuch Europarecht IV, Rn. 1744. 21 BVerfG, NJW 2010, 47, 51; Volkmann, NJW 2010, 417, 419 f. Zur Kritik am rigorosen Ausschluss jeglichen Eingriffs in die „Geistesfreiheit“, welcher erst erlaubt sein solle, sobald „die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen“ werde, siehe eingehend unter D. III. 2.
I. Desinformation als Grundrechtseingriff
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halten, dass für den Anwendungsbereich von Desinformationsmaßnahmen im Sektor öffentlicher Meinungsbildung dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsbildungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG prononcierte Bedeutung zukommt. Neben der Meinungsbildungsfreiheit vermittelt auch die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG partiell grundrechtlichen Schutz vor staatlichen Desinformationsmaßnahmen, der sich in drei Gewährleistungen systematisieren lässt: dem Schutz vor Zugangsverhinderung gegenüber durch Dritten der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Quellen, dem Schutz vor Manipulation staatlicher, der Öffentlichkeit zugänglicher Quellen und dem Schutz vor aufgedrängten (Fehl-)Informationen. Die Informationsfreiheit gewährleistet die schlichte Entgegennahme von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen ebenso wie das aktive Beschaffen, insbesondere auch die unmittelbare Informationsaufnahme an der Quelle.22 Als wesentliche Einschränkung des Schutzbereichs ist dabei das Erfordernis einer allgemein zugänglichen Quelle zu beachten. Insoweit vor dem historischen Entstehungshintergrund unstreitig vom Schutzbereich erfasst sind der Bezug von Zeitschriften und der Empfang von Sendern – auch, soweit es sich um ausländische Medien handelt.23 Der Zugang zu allgemein öffentlich zugänglichen Quellen wird also gegenüber staatlichen Verhinderungsmaßnahmen grundrechtlich geschützt. Soweit es sich indes um Informationsquellen handelt, die unter staatlicher Verfügungsgewalt stehen, ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei staatlichen Informationsquellen deren öffentliche Zugänglichkeit für einen unbestimmten Personenkreis allein vom Bestimmungsrechts des Informationsverfügungsbefugten abhängt.24 Dies bringt es mit sich, dass im Fall der Fälschung von Aktenbeständen oder Archiven die Schutzbereichseröffnung in ihrer rechtlichen Konstruktion problematisch ist. Eine Informationsquelle in staatlicher Verantwortung ist nämlich nur dann öffentlich zugänglich im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, wenn sie auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist. „Legt der Gesetzgeber die Art der Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet.“25 Anderenfalls obliegt es den jeweiligen staatlichen Stellen, im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse Art und Umfang des Zugangs zu bestimmen. Es ließe sich insoweit argumentieren, dass gefälschte bzw. veränderte Akten- und Archivbestände lediglich als Modifikation der öffentlichen Zugänglichkeit anzusehen wären, die den Grundrechtsschutz auf desinformationsfreie Einsicht ausschlösse. Gegen ein derartiges Verständnis spricht indes speziell bezogen auf desinformative Praktiken die Struktur des Grundrechts. So ist anerkannt, dass es sich bei der Infor22 BVerfGE 27, 71, 82 f.; BVerfGE 103, 44, 60; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 17. 23 BVerfGE 90, 27, 32. 24 BVerfGE 103, 44, 60. 25 BVerfGE 103, 44, 61.
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D. Grundrechtliche Bindungen
mationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG um ein Grundrecht mit normgeprägtem Schutzbereich handelt.26 Dies bringt es mit sich, dass im Fall einer öffentlich-rechtlich angeordneten Zugänglichkeit eines Dokuments der diesbezügliche Zugangsanspruch grundrechtlichen Schutz genießt. Soweit also – und dies wird nunmehr infolge der weit verbreiteten Informationsfreiheitsgesetze extensiv der Fall sein – zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Quellenmanipulation die öffentliche Zugänglichkeit bestand, aktualisiert sich ab diesem Zeitpunkt der abwehrrechtliche Gehalt des Grundrechts und die staatliche Desinformationsmaßnahme muss sich am Schutzbereich der Informationsfreiheit messen lassen. Teleologisch lässt sich der Fall einer Manipulation von öffentlich zugänglichen Informationsbeständen also nicht als bloße Modifikation der Zugänglichkeit verstehen. Neben den behandelten Fallgruppen der Zugangsverhinderung bei bzw. der Manipulation von Informationsquellen stellt sich darüber hinausgehend die Frage, ob auch gegenüber initiativer Desinformationstätigkeit des Staates grundrechtliche Abwehransprüche aus der Informationsfreiheit bestehen. Diese lassen sich dogmatisch als das Recht, von (Fehl-)Informationen verschont zu bleiben, formulieren. Aus der Perspektive des Grundrechtsträgers liegt es nahe, diese Informationsabwehr als Problem der negativen Informationsfreiheit zu verstehen. Die negative Informationsfreiheit umfasst begrifflich das Recht, sich nicht unterrichten zu müssen, bestimmte zugängliche Informationsquellen nicht zu nutzen, aufgedrängter Information ausweichen zu dürfen und sich dem zunehmenden Informationsfluss ganz oder teilweise zu entziehen.27 Nach zutreffender Ansicht ist dieser Schutz grundsätzlich als negative Grundrechtsgewährleistung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst.28 Soweit durch diese negative Freiheit lediglich das Recht gewährleistet wird, die jedem Informationsvorgang immanente Auswahl bzw. beschränkende Konzentration auf eine konkrete Informationsquelle grundrechtlich zu gewährleisten,29 ist jedoch kein Abwehrgehalt speziell gegen staatliches Desinformationshandeln erkennbar. Demgegenüber ist die Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs der negativen Informationsfreiheit diffus, wenn es um das Recht geht, sich nicht unterrichten zu müssen bzw. aufgedrängten Informationen ausweichen zu dürfen. Zum einen ist unklar, wie die Bezugnahme auf „allgemein zugängliche Quellen“ sich auf die negative Freiheit einschränkend auswirken soll. Zum anderen gilt es, eine zu weitreichende Einschränkung von Kommunikationsvorgängen zu vermeiden, die in ihrer negativen Gewähr26 Schoch, IFG, Einl, Rn. 52; Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, S. 216 ff.; jew. m.w.N. 27 Schoch, JURA 2008, 25, 31. 28 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, S. 70 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 84; Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 57a; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5, Rn. 17; Degenhart, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 [123. Lfg. 2006], Rn. 310; Schoch, JURA 2008, 25, 31; Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 64 f.; Finkentscher/Möllers, NJW 1998, 1337, 1340 ff. A.A.: Koch, Der Staat 41 (2002), 523, 542 f. Eingeschränkt a.A. auch: Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 184 ff. 29 Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 64.
I. Desinformation als Grundrechtseingriff
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leistung die positive Gewährleistung der Informationsfreiheit anderenfalls unproportional überwöge. Richtigerweise dürfte die den Grundrechtsschutz vermittelnde Erheblichkeitsschwelle deshalb erst erreicht sein, wenn die Verfügungsgewalt des Individuums über seine Beeinflussung als solche betroffen wird, also vornehmlich soweit ein Informationsgebot erlassen wird oder eine gänzlich unausweichliche Beeinflussung durch staatliche Stellen erfolgt.30 Ergänzend zu den vorgenannten grundrechtlichen Schutzbereichen, die einen grundrechtlichen Desinformationsschutz unabhängig von inhaltlich limitierten Handlungszusammenhängen etablieren, kann auch aus dem speziellen Kontext der betroffenen Freiheitsbereiche ein grundrechtlicher Schutz vor staatlicher Desinformationstätigkeit resultieren. So entfalten beispielsweise die speziellen Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in ihrem Gewährleistungsbereich Schutz gegenüber staatlichem Desinformationshandeln. Dies gilt historisch in besonderem Maße für die Pressefreiheit. Diese ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine „nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte“ Presse ausgerichtet – es ist der öffentlichen Gewalt danach grundsätzlich versagt, in die geistige und wirtschaftliche Konkurrenz der Presseunternehmen einzuwirken.31 Die Pressefreiheit kommt insbesondere zum Tragen, wenn es „um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung“ geht.32 In diesem Rahmen werden alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von der Informationsbeschaffung bis zur Verbreitung geschützt.33 Beispielsweise bietet die Pressefreiheit Schutz vor desinformationsmotivierten Beschlagnahmen in Presseräumen,34 Berufsverboten als Redakteur35 oder dem Ausschluss bestimmter Pressevertreter von Gerichtsterminen oder Pressekonferenzen.36 Darüber hinaus besteht hinsichtlich der Verbreitung der Meinungsäußerung eines Dritten für das Presseunternehmen Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG,37 der folglich auch gegenüber zensierenden Desinformationsmaßnahmen des Staates greift. Die unmittelbare Lenkung und Beeinflussung der Presse in desinformativer Absicht kann also den grundrechtlichen Schutz der Pressefreiheit auslösen. Entsprechendes gilt für die weiteren Medienfreiheiten. 30 Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 57a. Ähnliche Kriterien liefert Michael Kloepfer – vornehmlich mit Blick auf Drittwirkungskonstellationen – durch die Unterscheidung von optischen und akustischen Einflüssen sowie der Differenzierung erlaubten „Ansprechens“ gegenüber illegitimem „Aussprechen“; vgl.: Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 65 ff. 31 BVerfGE 20, 162, 175 f. 32 BVerfGE 85, 1, 12; BVerfGE 97, 391, 400. 33 BVerfGE 103, 44, 59; BVerfGE 91, 125, 134; BVerfGE 20, 162, 176. 34 Allgemein für Beschlagnahmen: BVerfGE 56, 247, 248 f. 35 BVerfGE 10, 118, 121. 36 BVerfGE 50, 234, 242 f.; BVerwGE 47, 247, 253 f. 37 BVerfGE 102, 347, 359.
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D. Grundrechtliche Bindungen
Darüber hinaus ist anerkannt, dass staatliches Informationshandeln den Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG oder der religiösen Betätigung aus Art. 4 GG betreffen kann,38 so dass dies erst recht für den Schutz vor unwahrhaftigen Informationen gelten muss. Vergleichbare Schutzwirkungen entfalten auch die Vereinigungsund Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG) sowie die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Ferner ist denkbar, dass individuell kompromittierende Desinformationen das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffener Bürger aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beschränken und sich folglich an diesem Grundrecht messen lassen müssen. Zuletzt ist auf die Auffangfunktion der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG hinzuweisen, welche auch im Hinblick auf desinformatives Staatshandeln grundrechtlichen Schutz vermittelt. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Unterbrechung einer Telekommunikationsverbindung infolge staatlicher Anordnung nicht dem Schutz des Art. 10 GG unterfalle, sondern die faktische Kommunikationsverhinderung lediglich am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen sei.39 Diese Entscheidung hat berechtigte Kritik erfahren40 und es ist zudem zweifelhaft, inwieweit sich die genannte Annahme allgemein auf die Unterbindung jeglicher Kommunikationsformen übertragen lässt. Jedenfalls die aus desinformativen Gründen unterbundene Kommunikation wird regelmäßig aufgrund des Inhalts erfolgen, so dass die Unterbrechung der Kommunikation in einem intendieren Zusammenhang zu den kommunizierten Inhalten steht und deshalb in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt. Generell dürfte also der allgemeinen Handlungsfreiheit für den Bereich desinformativen Staatshandelns keine große Bedeutung zukommen – nichtsdestotrotz verbleibt es bei der theoretischen Funktion von Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht auch im Hinblick auf staatliche Desinformationstätigkeit.
2. Grundrechtseingriffskonstellationen Es ist deutlich geworden, dass gegenüber staatlicher Desinformationstätigkeit der sachliche Schutzbereich diverser Grundrechte eröffnet sein kann, für welchen sich selbige dann potentiell als Grundrechtseingriff darstellt. Regelmäßig wird es sich dabei aufgrund des informellen Charakters von Informationstätigkeit um mittelbar-faktische Grundrechtseingriffe handeln. Zwar ist auch Desinformation mittels eines klassischen unmittelbaren Grundrechtseingriffs möglich. So kann beispielsweise eine Vorzensur i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG mittels einer behördlichen Verfügung final und unmittelbar grundrechtliche Kommunikationsfreiheiten des Bürgers verkürzen. Auch die rechtsförmige Beschlagnahme von Schriften, um deren Inhalt aus desinformativen Motiven der Öffentlichkeit bzw. dem Empfänger vorzuenthalten, stellt sich als Freiheitsverkürzung in 38 39 40
BVerfGE 105, 252, 265 ff.; BVerfGE 105, 279, 293 ff. BVerfG, NJW 2007, 351, 356. Saurer, RDV 2007, 100 ff.; Nachbaur, NJW 2007, 335, 336 f.
I. Desinformation als Grundrechtseingriff
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Form eines klassischen Grundrechtseingriffs dar. Gleiches gilt für den bereits genannten Fall einer Verbotsverfügung oder eines Platzverweises gegenüber einem vor Geschwindigkeitskontrollen warnenden Bürger. Weit überwiegend werden indes praktische Beispielsfälle von Desinformationsmaßnahmen einen informellen, also nicht rechtsförmigen Charakter aufweisen, der einem Verständnis als klassischem Grundrechtseingriff entgegensteht. Dies schließt jedoch der Annahme eines mittelbaren Grundrechtseingriffs nicht aus, soweit derartige Desinformationen aufgrund des mit ihnen verfolgten Steuerungs- bzw. Manipulationszwecks unter Ausnutzung staatlicher Autorität final auf eine Verhaltenslenkung gerichtet sind oder zumindest ein Verhalten Dritter bezwecken, welches Nachteile im grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich nach sich zieht.41 So stellt sich beispielsweise das Betreiben eines Störsenders, um den Empfang eines allgemein empfangbaren Radio- oder Fernsehsenders zu unterbinden, als faktisch freiheitsverkürzende Maßnahme dar, die jedoch aufgrund ihrer Intention und Intensität einem klassisch-unmittelbaren Grundrechtseingriff in die Informationsfreiheit aus Art.5 Abs. 1 GG wertungsmäßig gleichsteht.42 Besonders problematisch ist die Bestimmung eines Grundrechtseingriffs, wenn die Meinungsbildungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch staatliche Informationsmaßnahmen betroffen bzw. gefährdet wird. Dies gilt vor allem für Fälle der desinformierenden Publikumsinformation oder der Falschauskunft.43 Es kumulieren insoweit zwei verschiedene Problemstellungen: Zum einen ist zu bestimmen, wann bezogen auf die sachlich sehr weit reichende Meinungsbildungsfreiheit von einer die Erheblichkeitsschwelle überschreitenden Freiheitsverkürzung beim Grundrechtsträger auszugehen ist. Zum anderen lassen sich Fälle der Publikumsinformation nicht stets in einem zweipoligen Verhältnis betrachten, sondern vielfach wird erst die Reaktion der Öffentlichkeit gegenüber dem Adressaten die Freiheitsverkürzung bedingen – es stellt sich also die Frage nach den Eingriffskriterien in mehrpoligen Rechtsverhältnissen. Generell kann nicht jede staatliche Öffentlichkeitsarbeit als Eingriff in die Meinungsbildungsfreiheit angesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr zu Recht betont, dass der staatlichen Informationstätigkeit eine hohe Bedeutung für den demokratischen Meinungsbildungsprozess zukommen kann und diese ggf. sogar geboten ist, soweit die Informationen anderenfalls nicht verfügbar wären.44 Damit wird zugleich deutlich, dass bestimmte Formen der staatlichen Öffentlich41 Zu diesen Kriterien der überkommenen Eingriffsdogmatik: Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 81; Murswiek, NVwZ 2003, 1, 2; ders., DVBl 1997, 1021, 1023 f. 42 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I,II, Rn. 130; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5, Rn. 19. 43 Das Problem stellt sich nicht, wenn die Veröffentlichung als solche sich als Verarbeitungsvorgang personenbezogener Daten darstellt und aus diesem Grund bereits als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist: Wollenschläger, AöR 135 (135), 363, 384. 44 BVerfGE 105, 252, 268 ff.; BVerfGE 105, 279, 301 ff.; Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 80 ff.
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D. Grundrechtliche Bindungen
keitsarbeit eher als Voraussetzung einer Meinungsbildung denn als Eingriff in eben selbige zu verstehen sein werden. Es bietet sich insoweit an – einen Differenzierungsansatz von Friedrich Schoch aufgreifend – zwischen unspezifischer Öffentlichkeitsarbeit einerseits und verhaltenssteuernder Informationstätigkeit andererseits zu unterscheiden:45 Staatliche Informationshandlungen, die der individuellen Verhaltenslenkung dienen und final auf die bürgerliche Freiheitsausübung einwirken, stellen sich dabei stets aufgrund ihrer Intentionalität als zurechenbare mittelbare Grundrechtseingriffe dar. Dies bedeutet bezogen auf desinformative Inhalte, dass diese jedenfalls dann einen Grundrechtseingriff darstellen, wenn die Desinformation unmittelbar auf die Steuerung des Verhaltens der Adressaten abzielt. Demgegenüber sind Maßnahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit, die also nicht auf unmittelbare Verhaltensbeeinflussung ausgerichtet sind, sondern nur zum Zwecke der allgemeinen Meinungsbildung ergehen und sich deshalb allenfalls mittelbar im Sinne einer Nebenfolge auf die Freiheitsbetätigung des Einzelnen auswirken, nicht aufgrund ihrer Intentionalität als Grundrechtseingriffe zurechenbar. Für diese kommt nach herkömmlicher Grundrechtsdogmatik nur dann eine Zurechnung als mittelbarer Grundrechtseingriff in Betracht, wenn sie aufgrund ihrer Intensität derartig faktisch freiheitsverkürzend wirken, dass sie wertungsmäßig einem klassischen Grundrechtseingriff gleichstehen. Diese Intensität wird bei Desinformationsmaßnahmen, die sich durch kommunizierte Unwahrhaftigkeit auszeichnen, zwar eher erreicht sein, als bei wahrhaftiger Informationstätigkeit. Dennoch ist zu fordern, dass der spezifisch desinformative Gehalt eine deutlich über den Beeinträchtigungen durch sonstige Kommunikation hinausgehende Intensität aufweist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allgemein keine überhöhten Anforderungen an alltägliche Kommunikation gestellt werden können, sich eine sozialadäquate Meinungsbildung in Mediengesellschaften vielmehr stets durch die Gefahr einer Konfrontation mit unwahrhaftigen Äußerungen auszeichnet. Allgemein gehaltene Behauptungen in politischen Zusammenhängen, mögen sie auch wahrheitswidrig sein, erreichen deshalb die Erheblichkeitsschwelle eines Grundrechtseingriffs aufgrund der geringen Bindungswirkung und den abgeschwächten Publikumserwartungen regelmäßig nicht.46 Lediglich in Ausnahmefällen, bei denen die Wirkung desinformativer Öffentlichkeitsarbeit eine unbeeinflusste Meinungsbildung quasi unmöglich erscheinen lässt, dürfte die Annahme eines mittelbaren Eingriffs in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG aufgrund der faktischen Auswirkungen in Betracht kommen. In zweipoligen Rechtsverhältnissen lässt sich ein mittelbarer Grundrechtseingriff durch staatliche Desinformationsmaßnahmen also zusammenfassend in zwei Unterfallgruppen systematisieren: Sobald die Desinformation faktisch grundrechtlich geschützte Freiheitssphären intendiert zwecks Verhaltenssteuerung betrifft, liegt nach herkömmlicher Grundrechtsdogmatik jedenfalls ein mittelbarer Grundrechtseingriff vor. Soweit demgegenüber Desinformation lediglich im Rahmen üblicher Öffentlich45
Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 74 ff. Diesbezüglich handelt es sich vielmehr verfassungsrechtlich um eine Frage der Bindungen durch das Demokratieprinzip; vgl. dazu eingehend im Folgenden unter F. 46
I. Desinformation als Grundrechtseingriff
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keitsarbeit erfolgt, kommt ein mittelbarer Grundrechtseingriff nur für die Fälle in Betracht, in denen die desinformierende Wirkung eine Intensität erreicht, die in einem herkömmlichen Meinungsbildungsprozess nicht mehr hinzunehmen ist. Zweifel an der dargelegten und auf Grundlage der überkommenen Grundrechtsdogmatik naheliegenden Einordnung als Eingriff in den Schutzbereich bestehen indes, jedenfalls soweit mehrpolige Rechtverhältnisse in Frage stehen, angesichts der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur speziellen Grundrechtsdogmatik bei staatlicher Informationstätigkeit. So hat das Gericht in der sog. Osho-Entscheidung, die instanzgerichtliche Entscheidungen über die Warnung vor Religionsgemeinschaften zum Gegenstand hatte, für die Bezeichnungen als „Jugendreligion“, „Jugendsekte“ und „Psychosekte“ mangels Verstoßes gegen das staatliche Neutralitätsgebot verneint, dass der Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 GG überhaupt berührt sei.47 In der Warnungen vor glykolhaltigen Weinen betreffenden Entscheidung vom selben Tage entschied das Bundesverfassungsgericht, Art. 12 Abs. 1 GG schütze „nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, selbst wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbspositionen nachteilig auswirken. […] Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren.“48 Beiden Entscheidungen liegt dabei eine dreipolige Ausgangslage zugrunde: Die staatliche Informationstätigkeit adressiert allgemein die Öffentlichkeit, rechtlich zu beurteilen ist jedoch die Wirkung auf einen Grundrechtsträger, der den Inhalt der Informationstätigkeit bildet bzw. deren Anlass darstellt. Das Bundesverfassungsgericht begegnete dieser indirekten Betroffenheitskonstellation, indem der sachliche Schutzbereich der Grundrechte aus Art. 4 GG bzw. aus Art. 12 GG de facto verengt wurde. Diese Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden in der Literatur überaus kontrovers diskutiert. Insbesondere die dogmatische Einordnung der Ausführungen zur Beschränkung des Schutzbereichs und zur Eingriffsdogmatik bzw. zur Konzeption eines grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts bereitet erhebliche Schwierigkeiten.49 Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand der staatlichen Desinformationstätigkeit kommt diesen Kontroversen indes keine ausschlaggebende Relevanz zu: Zum einen ist zu betonen, dass der Desinformationsfälle kennzeichnende Wahrhaftigkeitskonflikt der Informationstätigkeit nicht in gleicher Weise von Pro47
BVerfGE 105, 279, 295. BVerfGE 105, 252, 265. 49 Kritisch: Klement, DÖV 2005, 507, 508 ff.; Hellmann, NVwZ 2005, 163, 164 ff.; Möllers, NJW 2005, 1973, 1975 ff.; Lenski, ZJS 2008, 13, 14 ff.; Kahl, Der Staat 43 (2004), 167, 174 ff.; Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 240 ff.; Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, S. 315 ff.; Holzner, NVwZ 2010, 489, 490; Huber, JZ 2003, 290, 292 ff.; Cremer, JuS 2003, 747, 750; Reimer, JöR 58 (2010), 275, 293; Vosgerau, Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes, S. 143 ff. Demgegenüber überwiegend zustimmend: Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 78 ff.; Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 21 ff.; Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), 203, 214 ff.; Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, S. 272 ff. 48
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D. Grundrechtliche Bindungen
blemen des dreipoligen Rechtsverhältnisses geprägt ist: die einzelnen Adressaten der öffentlichen Mitteilungen werden durch eine etwaige Fehlinformation zugleich und ebenso in ihren Grundrechten betroffen; die rechtliche Bewertung wird also nicht erst bzw. exklusiv bei jenen „verdeckten Adressaten“ relevant, über den materiell eine unwahrhaftige Information verbreitet wird. Insoweit ist eine Übertragung der oben genannten Rechtsprechung auf Desinformationsmaßnahmen nicht zu begründen. Doch selbst aus einer weitgehenden Übertragung der Rechtsprechung würde zum anderen bezogen auf Desinformatonstätigkeit kein abweichendes Ergebnis resultieren: Das Bundesverfassungsgericht hat im sog. Osho-Beschluss entscheiden, dass im Falle „verfälschender“ Darstellungen der Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 GG berührt sei. Ebenso anerkennt die Glykol-Entscheidung, dass der Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG lediglich versagt sei, soweit die Informationstätigkeit dem Gebot zutreffender und sachlicher Information genüge. Es kann diesbezüglich also auch dahinstehen, ob man mit Stimmen in der Literatur aufgrund einer materialen Aufklärungsidee50 oder marktspezifisch-wettbewerblichen Überlegungen51 einen grundrechtlichen Schutz vor staatlicher Informationstätigkeit ausschließt. Jedenfalls für den Fall der Desinformation, die den manipulativ-verfälschenden Eingriff und damit die Verfälschung der Wettbewerbsstruktur zum Ziel hat, kann eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes nicht in Frage kommen. Desinformationsmaßnahmen sind nämlich aufgrund ihrer final-intentional getragen Manipulation mittels unwahrhaftiger Informationen nach allen denkbaren Ansätzen als rechtfertigungsbedürftige Grundrechtsbeeinträchtigungen einzuordnen. Selbst wenn man die materiellen Vorgaben des Gewährleistungsgehalts je nach Grundrechtsmodell mit Ernst-Wolfgang Böckenförde im Sinne einer „Schleuse“ oder nach Wolfgang Hoffmann-Riem als „Weichenstellung“ verstünde,52 kann aufgrund der staatlichen Intention nichts anderes gelten. Zusammengefasst folgt also weder aus den grundrechtsdogmatischen Aussagen der Rechtsprechung zu staatlicher Informationstätigkeit noch aus entsprechenden Literaturbeiträgen eine abweichende Qualifikation staatlicher Desinformationstätigkeit. Dies gilt auch unter Berücksichtigung mehrpoliger Rechtsverhältnisse. Vielmehr ist staatliche Desinformationstätigkeit nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik aufgrund ihrer Wirkung und Zielrichtung – also unabhängig von der etwaigen Mehrpoligkeit des Rechtsverhältnisses – überwiegend als Grundrechtseingriff zu qualifizieren, wobei es sich in der Mehrzahl der Fälle um mittelbare Grundrechtseingriffe handeln wird. 50
Di Fabio, JZ 1993, 689, 692. Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705, 2710 ff. Weitere Nachweise bei: Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 16, Fn. 44. Kritisch zu diesem Ansatz: Möllers, NJW 2005, 1973, 1975 ff. 52 Zu dieser Kategorisierung, den konzeptionellen Unterschieden und Konsequenzen: Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 93 ff., insbes. S. 99. Speziell zum Verständnis des Richtigkeits- und Sachlichkeitsgebots als gewährleistungsspezifischer Vorgabe jenseits abwehrrechtlicher Rechtfertigungsmechanismen: Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 28. 51
II. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt für Desinformation
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II. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt für Desinformation Derartig qualifizierte Verkürzungen grundrechtlicher Freiheiten durch Desinformationshandeln sind rechtfertigungsbedürftig. Grundsätzlich kommt eine Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen lediglich auf der Grundlage eines Gesetzes in Betracht – sei es in Folge eines grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts oder der gebotenen parlamentarischen Konkretisierung verfassungsunmittelbarer Schranken.53 Bevor jedoch grundrechtliche Anforderungen an desinformationsermöglichende Gesetze diskutiert werden können, stellt sich vorgelagert die Frage, ob eine Rechtfertigung von Desinformation überhaupt möglich ist. Anderenfalls schiede die Anerkennung eines praktikablen Gesetzesvorbehalts bzw. der gesetzgeberischen Konkretisierung verfassungsunmittelbarer Schranken aus.
1. Rechtfertigungsmöglichkeit oder generelle Unzulässigkeit? Zweifel an der Anerkennung der Rechtfertigungsfähigkeit von Desinformationsmaßnahmen begründet die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in der Glykol-Entscheidung: Im Zusammenhang mit dem bereits thematisierten Gebot der Sachlichkeit und Richtigkeit der Information führt das Gericht aus, dass Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor der Verbreitung inhaltlich zutreffender und unter Beachtung des Gebots der Sachlichkeit sowie mit angemessener Zurückhaltung formulierter Informationen gewährleiste.54 Die inhaltliche Richtigkeit sei „grundsätzlich Voraussetzung“ für die Versagung des Grundrechtsschutzes, jedoch käme „unter besonderen Voraussetzungen“ auch eine Berechtigung zur Verbreitung solcher Informationen in Betracht, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt sei. Denn soweit trotz Nutzung aller gegenwärtigen Erkenntnisquellen bei überwiegendem öffentlichen Interesse eine Information geboten sei, könne eine Aufklärung durch ungewisse Informationen in Betracht kommen, wobei es angezeigt sei, auf die verbleibenden Unsicherheiten der Information hinzuweisen. Sodann erkennt das Bundesverfassungsgericht zwei Fallgruppen an, in denen eine Beeinträchtigung des Gewährleistungsbereichs und damit eine Rechtfertigungsbedürftigkeit der staatlichen Maßnahme trotz (ursprünglicher) Beachtung des Gebots der Richtigkeit und Sachlichkeit anzunehmen sei: Zum einen müsse dies für Fälle 53 Zur Anerkennung verfassungsunmittelbarer Schranken (jenseits des normierten Falls aus Art. 13 Abs. 7 GG) anlässlich von Informationstätigkeit: Klement, DÖV 2005, 507, 515, m.w.N. Zur Entwicklung einer einheitlichen europäischen Schrankendogmatik im Sinne eines einheitlichen Gesetzesvorbehalts und Art. 52 Abs. 1 EUGRCharta: Fassbender, NVwZ 2010, 1049, 1053 f. 54 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 105, 252, 272.
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D. Grundrechtliche Bindungen
des „funktionalen Äquivalents eines Eingriffs“ gelten, also wenn die Informationstätigkeit in Zielrichtung und Wirkungen als Substitut eines Grundrechtseingriffs zu qualifizieren sei.55 Zum anderen sei eine Beeinträchtigung gegeben, wenn eine Information sich im Nachhinein als unrichtig erweise und dennoch weiterverbreitet oder nicht korrigiert werde, obwohl sie weiterhin für Marktverhalten relevant sei. Darüber hinaus führt das Gericht zu letzterer Fallgruppe aus: „Mit der Feststellung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs steht in solchen Fällen auch die Rechtswidrigkeit fest, da eine Rechtfertigung der Weiterverbreitung der als unrichtig erkannten Information ausgeschlossen ist.“56 Überträgt man diese Sonderdogmatik für staatliches Informationshandeln in mehrpoligen Rechtsverhältnissen auf staatliche Desinformationstätigkeit, handelt es sich bei letzterer auch nach Maßgabe der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls um eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung, da die finale Zielrichtung einer Desinformation diese stets als Äquivalent eines (unmittelbaren/klassischen) Grundrechtseingriffs qualifiziert.57 Obendrein begründet der Erst-Recht-Schluss zur Fallgruppe (ursprünglich unerkannt) unrichtiger Informationen eine Grundrechtsbeeinträchtigung, da die ex ante bewusst unwahre Informationstätigkeit gegenüber der nachträglich als unrichtig sich erweisenden Information grundrechtsbezogen wesentlich beeinträchtigender wirkt. Die Parallele zu letzterer Fallgruppe evoziert jedoch die Frage, ob in Fällen unrichtiger Informationstätigkeit nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts überhaupt eine Rechtfertigung in Betracht kommen kann: Der Wortlaut der Entscheidungsgründe steht dem entgegen, da die zitierte Aussage dahingehend verstanden werden kann, dass die Weiterverbreitung unrichtiger Informationen über einen Grundrechtsträger und damit auch der Desinformationsfall generalisiert als nicht rechtfertigungsfähig anzusehen seien.58 Demgegenüber wird teilweise aus den Entscheidungsgründen gefolgert, lediglich im speziellen Fall der Weiterverbreitung nachträglich als unrichtig erkannter Informationen (Unterlassenskonstellation) sei eine Rechtfertigung durch das Bundesverfassungsgericht ausgeschlossen worden, so dass im Umkehrschluss beim bloßen Vorliegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Richtigkeit und Sachlichkeit die Rechtswidrigkeit nicht feststehe und es einer Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfe.59 Desinformationsmaßnahmen als bewusst-anfänglicher Verstoß gegen das Richtigkeitsgebot 55 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 105, 252, 273. Vgl. zum synonymen Gebrauch von „faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen“, die „in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen“ einerseits und funktionalen Äquivalenten eines Grundrechtseingriffs in der Rechtsprechung des BVerfG andererseits: BVerfG, NVwZ 2009, 1486, 1487. 56 BVerfGE 105, 252, 273 [Hervorhebungen durch den Verf.]. 57 Vgl. auch die bejahende Anwendung dieses Kriteriums im Anschluss an die Glykol- und Osho-Entscheidungen für die Erwähnung der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in einem Verfassungsschutzbericht: BVerfGE 113, 63, 76 ff. Ferner jenseits von Informationstätigkeit im Anwendungsbereich von Art. 12 GG: BVerfG, NVwZ 2009, 1486, 1487. 58 So wohl auch: Werner, ZLR 2008, 115, 121; Schmidt, Staatliches Informationshandeln und Grundrechtseingriff, S. 150; Saxer, JöR 58 (2010), 209, 228 ff. 59 Hellmann, NVwZ 2005, 163, 165.
II. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt für Desinformation
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wären also auf ihre Rechtfertigung zu überprüfen. Ein derartiges Verständnis stünde zudem im Einklang mit dem Argumentationsgang der parallel ergangenen Osho-Entscheidung, bei welcher hinsichtlich gegen das Neutralitätsgebot verstoßender Äußerungen, die also nach Definition des Gerichts als diffamierend, diskriminierend oder verfälschend zu qualifizieren sind, eine Rechtfertigung geprüft, also mithin als möglich erachtet wurde.60 Für die Anerkennung einer prinzipiell eröffneten Rechtfertigungsmöglichkeit spricht ferner die teleologisch-systematische Verortung des Gebots der Richtigkeit und Sachlichkeit: Dieses ist letztlich als abwägungsbedürftige Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verstehen und als solches in der Sache konsentiert.61 Die dabei gebotene Relation von Äußerungszweck und Äußerungsinhalt, die jedenfalls die Sachlichkeitsbestimmung erfordert, belegt bereits einen strukturellen Bezug zur Rechtfertigungsprüfung. Für Desinformationsmaßnahmen kommt zusätzlich die Besonderheit zum Tragen, dass diese zugleich jedenfalls als funktionales Äquivalent für einen Grundrechtseingriff fungieren, also mit den Worten der herkömmlichen Grundrechtsdogmatik einen mittelbaren Grundrechtseingriff darstellen, so dass eine Eröffnung der prinzipiellen Rechtfertigungsmöglichkeit für Grundrechtseingriffe nach allgemeiner Grundrechtslehre dogmatisch zunächst in Betracht zu ziehen ist.62 Dies dürfte auch der Argumentationslinie bzw. dem Maßstab der Osho- und Glykol-Entscheidungen entsprechen. Diese zeichnen sich intentional einerseits durch die bundesverfassungsgerichtliche Einschränkung grundrechtlicher Schutzbereiche, andererseits durch die Zurückdrängung des Vorbehalts des Gesetzes aus.63 Beide analysierten Argumentationslinien sind also auf die grundrechtsbezogene Erweiterung staatlicher Handlungsspielräume gerichtet und intendieren deshalb keine Einschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeiten für staatliches Informationshandeln. Mit anderen Worten wurde seitens des Gerichts keine grundrechtsbasierte Beschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeiten von Informationshandeln bezweckt;64 eine solche sollte folglich auch nicht in die Entscheidungsgründe hineingelesen werden.
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Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 91. Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 21; Reimer, JöR 58 (2010), 275, 293; Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 142. 62 A.A. wohl: Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 28, der darauf hinweist, dass das Richtigkeitsgebot vom Bundesverfassungsgericht funktional als gewährleistungsspezifische Vorgabe verwendet werde und folglich bei einem Verstoß unter Verzicht auf das „abwehrrechtliche Rechtfertigungsprozedere“ bereits eine Grundrechtsverletzung bestehe. 63 Klement, DÖV 2005, 507, 510; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 90; Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, S. 322 f. 64 Zur Frage, inwieweit rechtsstaatliche oder demokratieprinzipielle Erwägungen eine generelle Verfassungswidrigkeit von Desinformationstätigkeit bedingen, vgl. im Folgenden unter F. u. G. 61
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D. Grundrechtliche Bindungen
2. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt Damit tritt jedoch zugleich offen zu Tage, dass gegenläufig die seitens des Bundesverfassungsgerichts vorgenommenen Relativierungen des Gesetzesvorbehalts auf die hier in Frage stehenden Desinformationsmaßnahmen ebenfalls nicht übertragen werden können. Selbst soweit man Desinformationsmaßnahmen nicht als Grundrechteingriff, sondern lediglich als Grundrechtsbeeinträchtigung auffasste, verlangte der Vorbehalt des Gesetzes für diese zwar grundsätzlich keine besondere einfachgesetzliche Rechtsgrundlage. Etwas anderes gelte jedoch, wenn sich die Maßnahme „nach der Zielrichtung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar[stellt], die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist“, da die Wahl eines funktionalen Äquivalents den Gesetzesvorbehalt nicht umgehbar gestalten könne.65 Bei Anwendung dieses Kriteriums soll indes bereits die Nennung einer Wochenzeitschrift im Verfassungsschutzbericht aufgrund des damit verbundenen Warncharakters als einem Eingriff gleichkommende Maßnahme einzuordnen sein.66 Wenn bereits in derartigen Fällen ein „funktionales Äquivalent“ anzunehmen ist, muss dies für Desinformationsmaßnahmen, die eine intendierte Freiheitsverkürzung beim bewusst manipulierten Bürger bewirken, erst recht gelten.67 Es kommt folglich selbst bei Zugrundelegung der Rechtsprechungskriterien zu einer Geltung des Gesetzesvorbehalts für Desinformationshandeln. Richtigerweise sprechen allerdings bereits erhebliche Bedenken gegen die partielle Rücknahme des Gesetzesvorbehalts für Informationstätigkeiten durch das Bundesverfassungsgericht. Das für eine Reduktion dessen Anwendungsbereichs angeführte Argument mangelnder Vorhersehbarkeit der Folgen staatlichen Informationshandelns68 verfängt insoweit nicht, als die gesetzgeberbezogene Subjektivierung des Grundrechtsschutzes verfehlt ist und eine gesetzliche Grundlage nicht die unvorhersehbaren Folgen, sondern das behördliche Handeln gestatten muss.69 Zwar ist auch Desinformationshandeln mindestens ebenso wie herkömmliche Verwaltungsinformationen in seinen Wirkungen regelmäßig diffus und nur Teil eines Komplexes unterschiedlicher Verhaltensweisen vieler Beteiligter, die sich weniger durch unmittelbare Gesetzesimperative als vielmehr vorrangig indirekt und mittelbar beeinflussen
65
BVerfGE 105, 279, 303. BVerfGE 113, 63, 77 f.; vgl. dazu: Lenski, ZJS 2008, 13, 16, die zu Recht darauf hinweist, dass die Einordnung eine präzise Subsumtion unter die Kriterien der Zielrichtung und Wirkung nicht erkennen lässt. Ferner: Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 107, der auch das Kriterium des Gefahrenabwehrbezugs als nicht stringent konzipiert kennzeichnet. 67 Ähnlich: Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 112, der zutreffend darauf hinweist, dass das Kriterium des „funktionalen Äquivalents“ jedenfalls bei Warnungen – also den jenen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen – stets erfüllt sei. 68 BVerfGE 105, 279, 304 f. 69 Klement, DÖV 2005, 507, 511 f. 66
II. Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt für Desinformation
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lassen.70 Dies bringt es mit sich, dass auch die staatliche Informationstätigkeit in Ermangelung von definierbaren „erwartungsbildenden Mustern“ des Bürgerverhaltens ihrerseits als Handlungsprogramm undurchsichtig oder verworren ist und so die einheitsbildende Kraft des Gesetzes in Frage gestellt wird.71 Derartige Bedenken gewinnen noch an Bedeutung, wenn verhaltensökonomische und psychologische Untersuchungen reflektiert werden, wonach systematische Fehler bei der Informationsverarbeitung (als sog. Anomalien) durch bewusste Gestaltung des Informationsrahmens manipulativ verwendet und auf diesem Wege eindrückliche Veränderungen im Entscheidungsverhalten bewirkt werden können.72 Solche Schranken materiell-rechtlicher Determinierbarkeit betreffen allerdings weniger die generelle Möglichkeit, etwas gesetzlich zu normieren, als vielmehr die Bestimmtheitsanforderungen an das Gesetz.73 Deshalb rechtfertigt die eingeschränkte oder fehlende Normierbarkeit von Tatbestand oder Rechtsfolge einer Rechtsgrundlage allenfalls das Absenken von Bestimmtheitsanforderungen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie, steht jedoch der Fassung einer Generalklausel nicht entgegen.74 Die weit überwiegende Zahl der Literaturstimmen befürwortet folglich zu Recht auch für mittelbare Grundrechtseingriffe das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage.75 Als Ergebnis ist festzuhalten, dass staatliche Desinformationsmaßnahmen, soweit sie eine Verkürzung grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten darstellen, den Erfordernissen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts entsprechen müssen. Damit erweist sich für praktisch alle Fälle der Desinformation gegenüber eigenen Staatsbürgern das grundrechtlich determinierte Erfordernis einer gesetzlichen Rechtsgrundla70 Schulze-Fielitz, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 135, 145. 71 Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 157; Schulze-Fielitz, in: Trute/Groß/ Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 135, 145. 72 Van Aaken, in: Spiecker gen. Döhmann/Collin, Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 318, 324 f., die als anschauliches Beispiel auf die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff bei unterschiedlicher Darstellungen der Risiken mittels Überlebenschance oder mittels Sterberate hinweist; Jou/Shanteau/Harris, Memory & Cognition 24 (1996), 1, 9. 73 Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 156. 74 Klement, DÖV 2005, 507, 513 f. Ferner spricht gegen die mit einer solchen Konzeption einhergehende verfassungsrechtlich deduzierte Hochzonung detaillierter Lösungsansätze in Form des Gebots der Sachlichkeit und Richtigkeit, dass derartige Überlegungen nach überkommender Auffassung gerade Aufgabe der gesetzgeberischen Konkretisierung sind und auf diesem Weg flexiblere Handhabungen ermöglichen; vgl. dazu: Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 105. 75 Reimer, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rn. 53; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 [51. Lfg. 2007], VII, Rn. 113 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 115; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 277; Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, S. 323; Kloepfer, Informationsrecht, § 3, Rn. 116; Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 73; Klement, DÖV 2005, 507, 510 f.; Lege, DVBl 1999, 569, 574; Murswiek, DVBl 1997, 1021, 1030; Saxer, JöR 58 (2010), 209, 227.
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D. Grundrechtliche Bindungen
ge bereits als erhebliche Beschränkung des praktischen Anwendungsfeldes staatlicher Desinformation. Auf die qualitativen Anforderungen an ein solches Gesetz wird im Rahmen der Gesamtbetrachtung rechtsstaatlichen Anforderungen an desinformationsermöglichende Gesetze noch eingegangen.76
III. Materiell-grundrechtliche Anforderungen Über die Qualifikation von Desinformationsmaßnahmen als Grundrechtseingriffe bzw. rechtfertigungsbedürftige Grundrechtsbeeinträchtigen mit der Konsequenz des Gesetzesvorbehalts hinaus stellt sich die Frage, ob aus speziellen Grundrechtsgewährleistungen jenseits der allgemeinen Grundrechtslehre besondere Anforderungen an oder Beschränkungen für staatliche Desinformationstätigkeit resultieren.
1. Unantastbarkeit der Menschenwürde als Desinformationsverbot Eine solche absolute Grenze für staatliches Desinformationshandeln stellt die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG dar.77 Diese gebietet, den sozialen Wert- und Achtungsanspruch, der jedem Menschen wegen seines Menschseins zukommt, zu wahren.78 Die zur Konkretisierung vielfach zugrunde gelegte Objektformel, wonach der Mensch nicht dadurch zum bloßen Objekt im Staate bzw. Objekt der Staatsgewalt gemacht werden dürfe,79 dass „durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird“,80 bietet insoweit einen Anknüpfungspunkt. Desinformationsmaßnahmen verfolgen nämlich den Zweck, die desinformierten Bürger staatlicherseits in ihrem Verhalten zu manipulieren. Diesem Vorgehen liegt ein Verständnis des Bürgers als Objekt staatlicher Manipulation zugrunde. Andererseits erfolgt diese Manipulation jedoch mittels unwahrhaftiger Information gerade in Anerkennung der Subjektqualität der Steuerungsobjekte, welche sich in der Einwirkung auf den grundsätzlich eigenverantwortlichen Prozess subjektiver Willens- bzw. Entscheidungsfindung als Ausdruck subjektiver
76
Vgl. dazu eingehend unter G. II. Zur Funktion des Art. 1 Abs. 1 GG als „Grenzbestimmung“ für die Staatsgewalt: Nettesheim, AöR 130 (2005), 71, 88. 78 BVerfGE 87, 209, 228. 79 BVerfGE 45, 187, 228; BVerfG, NJW 2006, 751, 757. Zur umstrittenen Rechtsprechungsentwicklung in der Handhabe der Objektformel durch das BVerfG eingehend: Kersten, Das Klonen von Menschen, S. 444 ff. Vgl. ferner: Ladeur/Augsberg, Die Funktion der Menschenwürde im Verfassungsstaat, S. 10, zum funktionalen Verständnis der Menschenwürde als re-entry des Einzelnen in jurdische Operationen. 80 BVerfGE 109, 279, 312 f.; BVerfGE 96, 375, 399; BVerfGE 117, 71, 89. 77
III. Materiell-grundrechtliche Anforderungen
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Autonomie manifestiert.81 Die Gewichtigkeit der Manipulation wird zudem regelmäßig nicht die Intensität der „klassischen“ Beeinträchtigungen der Menschenwürde, wie z. B. Erniedrigung, Brandmarkung, Ächtung, Stigmatisierung, Folter, Sklaverei oder Leibeigenschaft,82 erreichen. Die Reduzierung auf ein bloßes Objekt staatlichen Handelns müsste also, um die Schwelle einer Menschenwürdeverletzung zu erreichen, im Rahmen von Desinformationsmaßnahmen durch eine besondere Ausgangssituation bzw. Gefährdungslage des desinformierten Bürgers kumulativ herbeigeführt werden. Relevant sind vornehmlich die Fälle des § 136a Abs. 1 StPO, welche als strafprozessuale Ausprägung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstanden werden und jede Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Zwang, Täuschung, Drohung und ähnliche Mittel absolut verbieten,83 so dass staatliche Desinformation als Täuschung im Rahmen von strafprozessualen Erkenntnisverfahren verfassungsrechtlich untersagt sein kann. Allerdings soll Art. 1 Abs. 1 GG im Rahmen von § 136a Abs. 1 StPO der sog. „kriminalistischen List“ nicht entgegenstehen,84 welche aufgrund der Irreführungstendenz durchaus dem zugrunde gelegten Begriffsverständnis von Desinformation unterfallen kann. Jenseits der speziellen Ausnahmesituation eines bereits für sich betrachtet erheblich beeinträchtigenden hoheitlichen Strafverfahrens dürfte deshalb die Eingriffsintensität desinformativen Staatshandelns selten die erforderliche Schwelle der Menschenwürdegarantie erreichen. Dies zeigt zugleich, dass ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie durch desinformationsmotiviertes Staatshandeln zwar nicht ausgeschlossen werden kann, jedoch lediglich in extremen Ausnahmefällen zum Tragen kommt.
2. „Geistesfreiheit“ als Desinformationsverbot? Zweifelhaft ist, ob staatliche Desinformationsmaßnahmen darüber hinaus eine generell-absolute Einschränkung durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfahren. Gegen die Konstruktion einer absoluten Grenze für staatliches Desinformationshandeln spricht zunächst, dass Art. 5 Abs. 2 GG eine Schranke der Kommuni-
81 Zur Anknüpfung der Objektformel an den Subjektbegriff: Kersten, Das Klonen von Menschen, S. 456 ff. 82 Vgl. BVerfGE 102, 347, 367; BVerfGE 1, 97, 104; Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127 ff.; ders., in: Maunz/ders., Sonderdruck, Art. 1 Abs. 1, Rn. 30; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 [55. Lfg. 2009], Rn. 47; Dreier, in: ders., GG, Art. 1, Rn. 139; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 33; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 1, Rn. 11. 83 Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 136a StPO, Rn. 1; Pfeiffer, § 136a StPO, Rn. 1; Monka, in: Graf, BeckOK StPO, § 136a StPO, Rn. 1. Gegen einen Bezug zu Art. 1 Abs. 1 GG aber: Meyer-Goßner, § 136a StPO, Rn. 12. 84 Vgl. BGHSt 35, 328, 329 f.; BGHSt 37, 48, 52 f.; Diemer, in: Hannich, Karlsruher Kommentar zur StPO, § 136a, Rn. 20; Meyer-Goßner, StPO, § 136a, Rn. 15; Puppe, GA 1978, 289 ff.; Jahn, JuS 2005, 1057, 1059 f. A.A.: Kahlo, in: Festschrift E.A. Wolff, 153, 179 ff.
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D. Grundrechtliche Bindungen
kationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG normiert, so dass diese offensichtlich einschränkbar sind, mithin keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen können. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in der sog. Wunsiedel-Entscheidung die Meinungsfreiheit als „Geistesfreiheit“ gekennzeichnet und sodann zwischen der „rein geistige[n] Sphäre des Für-Richtig-Haltens“ und dem Bereich des äußeren Handelns („Sphäre der Äußerlichkeit“85) unterschieden.86 An diese Unterscheidung anknüpfend sollen lediglich Eingriffe gegenüber äußerlich rechtsgutsverletzenden Wirkungen von Meinungsäußerungen möglich sein. Die Zielrichtung eines Eingriffs dürfe hingegen nicht darauf gerichtet sein, „Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Die Absicht, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern, hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim“87. Bislang wurde in der Rechtsprechung lediglich davon ausgegangen, dass ein Gewaltverbot bestehe, also das Aufzwingen von Werturteilen mittels wirtschaftlichen Drucks und Gewalt nicht vom Schutzbereich der Meindungsfreiheit umfasst sei.88 Insoweit lassen sich die Ausführungen der Wunsiedel-Entscheidung als Erweiterung des Schutzes vor dem Aufzwingen von Werturteilen interpretieren. Uwe Volkmann hat diese Konzeption dahingehend zusammengefasst, dass das Bundesverfassungsgericht jenseits des Könnens als faktischer Grenze staatlichen Einflusses auf die Gedanken der Bürger darüber hinaus eine rechtliche Grenze des Dürfens errichtet habe, die den „Zugriff auf die Gesinnung“ generell-absolut ausschließe.89 Diese Konzeption zugrunde gelegt, stellte sich eine Desinformationsmaßnahme, soweit sie auf die (interne) Meinungsbildung der Bürger einwirken soll, als illegitimer und damit von Art. 5 Abs. 1 GG strikt untersagter Eingriff dar. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zwingend diese Bedeutung zuzumessen ist: Wörtlich knüpft das Gericht lediglich an geistig wirkende Äußerungen an, nicht aber an das rein interne Haben einer Meinung. Auch hat die den Entscheidungskontext bildende Strafnorm als Vorschrift des Äußerungsrechts eben nur geäußerte Meinungen zum Gegenstand. Eine Aussage über eine als Gesinnungs- bzw. Meinungsbildungsfreiheit verstandene „Geistesfreiheit“ enthält das Urteil insoweit also nicht. Selbst wenn man indes die Argumentation des Gerichts als Verbot eines Zugriffs auf die Gesinnung verstünde, sollte jedenfalls von einer Übertragung dieser – für sich 85
BVerfG, NJW 2010, 47, 52, Rn. 74. BVerfG, NJW 2010, 47, 51, Rn. 67. Ansätze zur Differenzierung zwischen äußerem Verhalten und rein ideell-geistigen Wirkungszusammenhängen bereits in früheren Entscheidungen ausmachend: Enders, JZ 2008, 1092, 1096. Vgl. zur US-amerikanischen Unterscheidung von „opinion“ und „conduct“: Ladeur, K&R 2010, 642, 644 ff. 87 BVerfG, NJW 2010, 47, 52, Rn. 72. 88 Schäfer, Der Staat 48 (2009), 215, 231, m.w.N. 89 Volkmann, NJW 2010, 417, 419. 86
III. Materiell-grundrechtliche Anforderungen
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betrachtet bereits abzulehnenden – Argumentationsfigur in die allgemeine Grundrechtsdogmatik zu Art. 5 Abs. 1 GG Abstand genommen werden. So ist bereits höchst zweifelhaft, inwieweit die Unterscheidung zwischen äußerem Verhalten und innerer Einstellung, die an die (dort indes im Ergebnis folgenlose) Schutzbereichsunterscheidung zwischen innerer („forum internum“) und äußerer („forum externum“) Religionsfreiheit im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 GG erinnert,90 praktisch durchzuhalten sein soll.91 Ergänzend hat Tatjana Hörnle darauf hingewiesen, dass die Differenzierung des Bundesverfassungsgerichts zudem bezogen auf die „äußerliche“ Seite inkonsistent sei und in Leere zu laufen drohe, „wenn für ein Gefahrenurteil letztlich doch ausreicht, dass andere am Inhalt Anstoß nehmen.“92 Das Abstellen auf eine rein geistige Meinungssphäre verkennt zudem die typischerweise greifende Wechselwirkung im Rahmen von Normsetzung und deren Anwendung. Da jede Rechtsnorm strukturell darauf angelegt sein muss, auf das Rechtsbewusstsein der Rechtsanwender und Bürger einzuwirken, um ihre Befolgung sicherzustellen, wird durch Normsetzung stets deren „Gesinnung“ adressiert.93 Zwar mögen derartige Rechtsbindungen regelmäßig nicht unmittelbar subjektive Werturteile begründen oder verändern, sondern wertungsbezogen unspezifisch auf das Bewusstsein einwirken. Dennoch wird deutlich, dass die notwendigerweise zunächst auf „geistiger“ Ebene einsetzende Anwendung oder Befolgung von Rechtsnormen nicht trennscharf anhand dieser Unterscheidung gehandhabt werden kann. Die Konzeption ist insoweit bereits rechtstheoretisch zweifelhaft. Auch die konzeptionelle Rückbindung an ein Verständnis von Art. 5 Abs. 1 GG als „Geistesfreiheit“ erweist sich in dem gewählten Kontext als sinnentstellend. Bislang wird eine Geistesfreiheitskonzeption vornehmlich angeführt, um gesinnungsorientierte Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG teleologisch auszuschließen.94 Das Bundesverfassungsgericht knüpft demgegenüber an dieses Verständnis nunmehr die immanente Beschränkung der Meinungsfreiheit im Falle der „äußerlichen“ Gefährdung von 90
BVerfGE 32, 98, 106 f.; BVerfGE 69, 1, 33 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 542. Ähnlich: Holzner, DVBl 2010, 48, 49 f.; Schaefer, DÖV 2010, 379, 381; Volkmann, NJW 2010, 417, 419; Degenhart, JZ 2010, 306, 310; Rusteberg, StudZR 2010, 159, 164, wobei letzterer darauf hinweist, dass auch rein geistige Äußerungen, allein abhängig von der einfachgesetzlichen Ausgestaltung, sowohl Rechts- als auch Rechtgutsverletzungen darstellen können. Vgl. ferner: Ladeur, K&R 2010, 642, 645, der anmerkt, dass eine trennscharfe Unterscheidung von Meinung und Handlung nicht möglich ist, sondern nur durch Öffentlichkeitsbezug wertend erfolgen kann. Außerdem weisen Höfling/Augsberg, JZ 2010, 1088, 1094, darauf hin, dass sich diese Differenzierung nicht „friktionslos zu der Annahme eines meinungsfreiheitsimmanenten NS-Vorbehalts fügen“ könne. 92 Hörnle, JZ 2010, 310, 313. Ähnlich: Hong, DVBl 2010, 1267, 1274, der es unter dem Gesichtspunkt des „hecklers veto“ als problematisch erachtet, die Reichweite der Meinungsfreiheit in die Hände derjenigen zu legen, die bestimmte Meinungen ablehnten. Deutliche Kritik an der strafrechtsbezogenen Rechtsanwendung durch das BVerfG auch durch: Rusteberg, StudZR 2010, 159, 167 f. 93 Volkmann, NJW 2010, 417, 419. 94 Vgl. Enders, JZ 2008, 1092, 1095. 91
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D. Grundrechtliche Bindungen
Rechtsgütern Einzelner oder von Schutzgütern der Allgemeinheit, konkret in Form einer Ausnahme vom Sonderrechtsverbot.95 Allein diese Funktionalisierung erklärt auch die Bezugnahme des Gerichts auf die Schutzbereichsreduktion für unwahre Tatsachenbehauptungen,96 eine für sich betrachtet ebenfalls abzulehnende Konzeption.97 Das Bundesverfassungsgericht statuiert also eine für die zu beurteilende Strafrechtsnorm nicht ergebnisrelevante „innere“ Grenze, um gegenüberstellend „äußere“ Beschränkungen argumentativ kontrastierend leichter zu rechtfertigen. Indem das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Geistesfreiheit derart aus seinem Kontext löst, wird jedoch der Gehalt der Meinungsfreiheit – speziell als Kommunikationsfreiheit – grundlegend verkannt und entwertet. Über diese Kritikpunkte hinausgehend ist deshalb grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, ob die dogmatischen Konstrukte der zitierten Wunsiedel-Entscheidung überhaupt auf Desinformationstätigkeit des Staates übertragbar sein können.98 Jenseits dogmatischer Bedenken gegen die Argumentation des Gerichts als solchen sollte jedenfalls der Entscheidungskontext nicht außer Acht gelassen werden: Die der Entscheidung zugrunde liegende Strafnorm steht im Zusammenhang gesetzgeberischer Initiativen zur Eindämmung neonazistischer Demonstrationen. Angesichts dieses Kontextes kann die Möglichkeit der Einordnung der Entscheidung als nicht verallgemeinerbares „richterliches Sonderrecht“ nicht vorschnell ausgeschieden werden.99 Der Ausnahmecharakter der Entscheidung und die deutlich werdende richterliche Intention einer Begrenzung der argumentativen Anschlussfähigkeit der Entscheidungsgründe sprechen gegen die Entwicklung allgemeiner Maßstäbe aus selbiger. 95
BVerfG, NJW 2010, 47, 52, Rn. 73. Diesen Schritt dogmatisch analysierend: Lepsius, Jura 2010, 527, 529 ff. Kritisch zur Ausnahmekonstruktion, welche als „unverständlich“ charakterisiert wird: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 645. 96 Vgl. BVerfG, NJW 2010, 47, 51, Rn. 67, mit Rekurs auf BVerfGE 90, 241, 247. 97 Dazu: Lenski, Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem, S. 47 ff. Den gedanklichen Zusammenhang zu Schutzbereichsausnahmen in der bisherigen Rechtsprechung ebenfalls betonend: Schaefer, DÖV 2010, 379, 384; Höfling/ Augsberg, JZ 2010, 1088, 1089 ff. 98 Selbst wenn man diese Konzeption des Bundesverfassungsgerichts verallgemeinern wollte, wäre speziell bezogen auf Desinformationsmaßnahmen zu beachten, dass diese zwar die Meinungsbildung im Sinne einer internen Geistesfreiheit betreffen. Final bezweckt wird jedoch nicht zwingend die Beeinflussung der internen Meinung um ihrer selbst Willen. Soweit staatliches Desinformationshandeln darauf abzielt, im äußerlichen Verhalten Konsequenzen zu bewirken, indem es zum Zwecke unmittelbarer Verhaltensmanipulation ergeht, greift kein absoluter Schutz der „Geistesfreiheit“ mangels diesbezüglich intendierten Eingriffs. 99 Ähnlich die Urteilsanalyse durch Rusteberg (StudZR 2010, 159, 163 f. u. 167), Hong (DVBl 2010, 1267, 1271) sowie durch Lepsius (Jura 2010, 527, 533 ff.), der deutlich die rechtspolitische Motivation der Entscheidung hervorhebt, zugleich mehrfach betont, dass das BVerfG „erheblichen argumentativen Aufwand betrieben [hat], um jede Analogiefähigkeit der Ausnahmeregelung zu vermeiden“, allerdings zugleich die „ehrliche einmalige Ausnahme“ besser „als ein ergebnisorientiertes Verbiegen bewährter Grundsätze“ findet. Gegenläufig argumentieren Höfling/Augsberg, JZ 2010, 1088, 1098, die kritisch auf bereits artikulierte Bestrebungen einer Übertragung des „Friedlichkeitsvorbehalts“ in das Recht der Parteienfinanzierung hinweisen.
III. Materiell-grundrechtliche Anforderungen
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Demzufolge ist ein strikt-absolutes Desinformationsverbot – anders als ein breit gewährleisteter grundrechtlicher Schutz – richtigerweise nicht aus Art. 5 Abs. 1 GG bzw. dessen Charakterisierung als „Geistesfreiheit“ zu begründen.
3. Zensurverbot als Desinformationsverbot Eine weitere grundrechtliche Beschränkung staatlicher Desinformationsmaßnahmen folgt allerdings aus dem Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Es wurde bereits dargelegt, dass Desinformation auch mittels Verfälschung oder Unterdrückung wahrer Mitteilungen Dritter bewirkt werden kann – als ein Beispiel sei erneut auf die Verbotsverfügung gegenüber Warnungen des Straßenverkehrs vor Radaranlagen verwiesen. Aus historischer Perspektive weitete sich staatliche wie kirchliche Zensur als Reaktionen auf die Erreichbarkeit der Bevölkerung durch Massenmedien in Folge des Buchdrucks aus, indem Buch- oder Zeitungspublikationen vorab kontrolliert und unerwünschte Inhalte unterdrückt wurden.100 Der Ausschluss unerwünschter Darstellungen und die damit einhergehende Formung des öffentlichen Meinungsbildes mittels Zensur stellt eine wirkungsvolle Desinformationsstrategie dar, welche jedoch historisch stets im Konflikt mit der sich emanzipierenden Gesellschaft stand.101 Dass die Gewährleistung des Zensurverbots auch unter veränderten Medien- bzw. Informationsbedingungen relevant werden kann, zeigen aktuelle Diskussionen, insbesondere über die Unterdrückung von individualabrufbasierenden Internetinhalten bzw. Internetzugangssperren oder eine teilweise erwogene Inhaltsprüfungspflicht für Internetprovider.102 Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG normiert vor diesem historischen Hintergrund ein Zensurverbot als absolutes Eingriffs- und Ausgestaltungsverbot, welches hinsichtlich seiner materiellen Gewährleistung keiner verfassungsrechtlichen Beschränkung zugänglich ist. Nach herrschender Meinung ist vom Zensurverbot indes lediglich die formelle Vorzensur erfasst, also das rechtliche Erfordernis staatlicher Prüfung und Genehmigung des Inhalts eines Druckwerks vor seiner Veröffentlichung.103 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können jedoch Ansätze einer Relativierung dieser strikten Beschränkung auf den formellen Zensurbegriff sowie auf die Vorzensur entnommen werden. So formuliert das Gericht, als Vorzensur seien „einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung und Verbreitung eines Geisteswerks, insbe100
Bär, Die verfassungsrechtliche Filmfreiheit und ihre Grenzen, S. 71 ff. Vgl.: Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1, Rn. 121 f.; Wegener, Der geheime Staat, S. 92 ff. Grundlegend: Fischer, Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts, S. 36 ff. 102 Dazu: Marberth-Kubicki, NJW 2009, 1792 ff.; Tinnefeld, DuD 2010, 15, 16 ff.; Ladeur, ZUM 2004, 1, 6 ff.; Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2003), 203, 220 f. 103 Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1, Rn. 128 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 397; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 I, II [30. Lfg. 1992], Rn. 78; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 63. 101
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D. Grundrechtliche Bindungen
sondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts bezeichnet“.104 Darüber hinaus lassen sich Bestrebungen ausmachen, staatliche Maßnahmen mit zensurgleicher Wirkung – beispielsweise durch repressive Strafverfolgungsmaßnahmen im Vorfeld der Verbreitung – am Maßstab des Zensurverbots aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG zu messen.105 Weitergehenden Tendenzen in der Literatur, den Zensurbegriff materiell zu erweitern,106 steht jedoch der Einwand entgegen, dass angesichts der Absolutheit des Zensurverbots eine flexible Abwägungsentscheidung für zensurähnliche Situationen vorzugswürdig erscheint, wobei je nach Intensität der Beeinträchtigung und geschütztem Rechtsgut bei materiellen Zensurwirkungen ein regelmäßiges Überwiegen der Meinungs- oder Pressefreiheit vorliegen wird.107 Neben diesen Fragen der inhaltlichen Erstreckung kann desinformationsbezogen dahinstehen, ob das mehrheitlich zugrunde gelegte grundrechtsdogmatische Verständnis des Zensurverbots als Schranken-Schranke zu Art. 5 Abs. 2 GG überzeugt.108 Jedenfalls wird unabhängig von der dogmatischen Einordnung materiell durch das (Vor-)Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG für einen historisch besonders bedeutenden Sektor staatlicher Desinformationsmaßnahmen ein striktes Verbot normiert.109 Dem staatlichen Ausschluss missliebiger Meinungen bzw. Informationen sind insoweit – wenn auch nur für einen eingeschränkten Sektor – absolute Grenzen gesetzt. Insoweit können den materiellen Freiheitsgewährleistungen der Grundrechte mit dem Zensurverbot und der Menschenwürdegarantie also durchaus konkrete – wenngleich nur partielle – Vorgaben für die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Desinformationsmaßnahmen entnommen werden.
104
BVerfGE 33, 52, 72; BVerfGE 73, 118, 166 [kursive Hervorhebung durch den Verfas-
ser]. 105 BVerfGE 87, 209, 232 f.; Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5, Rn. 135b; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 172. 106 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Denninger/ders./Schneider/Stein, AK-GG, Art. 5 I, II, Rn. 92 ff.; ders., Wandel der Medienordnung, S. 234; Rohde, Die Nachzensur in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG, S. 96 ff.; Koch, Die Zeitung in der Republik, S. 163; Nessel, Das grundgesetzliche Zensurverbot, S. 50 ff.; Koreng, Zensur im Internet, S.212 ff. 107 Bullinger, in: Löffler, Presserecht, § 1, Rn. 159 f. 108 BVerfGE 33, 52, 72; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 170; Degenhart, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 [123. Lfg. 2006], Rn. 918 ff.; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 7. Kap., Rn. 23; Nessel, Das grundgesetzliche Zensurverbot, S. 126 ff., m.w.N. Zweifelnd angesichts der immanenten Beschränkung durch den Jugendschutz: Ladeur, ZUM 2004, 1, 7. 109 Vgl. jedoch bereits das historische Zitat von K. Roscher, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf 1848 formulierte: „In den Zeiten der Zensur märzten die Regierungen das ihnen Missfällige aus den Zeitungen heraus, seitdem märzen sie das ihnen Gefällige in die Zeitungen hinein.“ (Roscher, Unsere Zeitungen: Ein politischer Versuch, 1873, S. 95, zit. nach Daniel, in: ders./Siemann, Propaganda, 44)
IV. Zwischenergebnis
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IV. Zwischenergebnis Zusammenfassend sind aus grundrechtlicher Perspektive vor allem zwei bedeutende verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliches Desinformationshandeln zu beachten. Zum einen unterliegen staatliche Desinformationsmaßnahmen, soweit sie den sachlichen und persönlichen Schutzbereich eines Grundrechts betreffen, stets dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob man in Übertragung der abzulehnenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Anwendungsbereich des Gesetzesvorbehalts bei staatlicher Informationstätigkeit reduziert, da sich staatliche Desinformation stets zumindest als „funktionales Äquivalent“ eines Grundrechtseingriffs darstellt. Zum anderen können aus einzelnen Grundrechten spezielle Desinformationsverbote resultieren. Dies gilt zunächst für die materielle Freiheitsgewährleistung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, die eine Degradierung des Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns strikt untersagt. Allerdings erfolgen Desinformationsmaßnahmen staatlicherseits regelmäßig bereits aufgrund ihres Manipulationszwecks zugleich in Anerkennung des Subjektstatus des Adressaten, so dass eine Verletzung der Menschenwürde durch staatliche Desinformation jenseits des durch § 136a StPO erfassten Falls lediglich in seltenen Ausnahmesituationen gegeben sein wird. Darüber hinaus ist das Zensurverbot aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG als absolutes Desinformationsverbot für staatliche Stellen zu verstehen, welches die formelle Vorzensur, also das rechtliche Erfordernis staatlicher Prüfung und Genehmigung des Inhalts eines Druckwerks vor seiner Veröffentlichung, gänzlich ausschließt.
E. Exkurs: Bindungen durch unionsrechtliche Grundfreiheiten Parallel zur Determination staatlicher Desinformationspolitik durch nationale Grundrechte können auch unionsrechtliche Grundfreiheiten Vorgaben für desinformatives Handeln statuieren, soweit jenes Wirkungen auf dem Gemeinsamen Markt entfaltet.1 Diesbezüglich wird zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht sogar früher als das nationale Recht auf ein Leitbild des mündigen und wohlinformierten Marktteilnehmers gesetzt hat und zu diesem Zweck speziell marktbezogene Informationstätigkeit frühzeitig aktivierte, so dass im Hinblick auf berufsbezogene Desinformationstätigkeit eine Divergenz zu national-grundrechtlichen Maßstäben kaum abstrakt begründbar ist.2 Eine wesentliche Einschränkung erfährt der desinformationsbezogene Schutz aber bereits durch diese strukturelle Orientierung am Marktteilnehmer. Der Einzelne genießt also nicht als Bürger, sondern allenfalls in seiner Funktion als Unternehmer oder Verbraucher grundfreiheitlichen Schutz. Innerhalb dieser immanenten Begrenzung misst dann auch das Unionsrecht in Übereinstimmung mit national-grundrechtlichen Maßstäben die Rechtmäßigkeit staatlicher Informationstätigkeit an den Gesichtspunkten des Zugangs, der Richtigkeit, Sachlichkeit und Erforderlichkeit.3 Im Unterschied zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der EuGH indes bislang keine Sonderdogmatik für staatliche Informationstätigkeit entwickelt, sondern wendet auch auf informales Handeln die überkommenen Maßstäbe der Grundfreiheitsprüfung an.4 Dies bedingt, dass sich Desinformationsmaßnahmen unionsrechtlich im Vergleich zur Sonderdogmatik des Bundesverfassungsgerichts, die sich durch immanente Schutzbereichsbeschränkungen und Modifikationen in der Anwendung des Gesetzesvorbehalts auszeichnet, jedenfalls deutlich eingeschränkter rechtfertigen lassen.
1 Zur marginalen Relevanz der Beihilfevorgaben für Informationshandeln vgl.: Becker, EuR 2002, 418, 437 ff. Von einer Darstellung der Bindung an europäische Grundrechte wird im Folgenden abgesehen. Vgl. dazu beispielhaft: Wollenschläger, AöR 135 (135), 363, 375 ff., anhand des Beispiels transparenzmotivierter Veröffentlichungspflichten. 2 Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 30. Zum europäischen Informationsverbund eingehend: von Bogdandy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 25, Rn. 15 ff. 3 EU-Kommission, Grünbuch der Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531, S. 11 ff.; EU-Kommission, Grünbuch der Kommission zur Integrierten Produktpolitik, KOM (2001) 68, S. 15 ff.; Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 30; Becker, EuR 2002, 418, 419 ff. 4 Weiß, EuZW 2008, 74, 75; Becker, EuR 2002, 418, 419 ff. Zur Charakterisierung der BVerfG-Rechtsprechung als Sonderdogmatik: Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 113, m.w.N.
E. Exkurs: Bindungen durch unionsrechtliche Grundfreiheiten
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Voraussetzung für grundfreiheitliche Vorgaben an staatliche Desinformation ist zunächst, dass jene Marktrelevanz zu entfalten vermag. Dies wird vornehmlich bei produkt- oder herstellerrelevanten Informationen in Betracht kommen, also beispielsweise bei gezielt fehlinformierenden Warnungen vor ausländischen Produkten bzw. Herstellern oder manipulativen Empfehlungen für inländische Produkte aufgrund deren Herkunft. Prüfungsmaßstab ist dann die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 AEUV (Art. 28 EGVa.F.).5 Zwar steht bei Informationstätigkeit nie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung in Frage, jedoch hat der EuGH seit der Entscheidung „Buy Irish“ anerkannt, dass staatliche Produktinformationen und -empfehlungen als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne der „Dassonville-Formel“ einzuordnen sein können, da auch deren Wirkungen das Verhalten der Händler und Verbraucher beeinflussen sowie die Ziele der Gemeinschaft vereiteln können, mithin mit zwingendem Staatshandeln vergleichbar sind.6 Zur Qualifikation als Maßnahme gleicher Wirkung stellt der EuGH dabei vornehmlich auf deren diskriminierende Wirkungen ab, so dass bei unterschiedlicher Behandlung von in- und ausländischen Waren typischerweise die Voraussetzungen erfüllt sein werden.7 Desinformative Produktinformationen betreffen also regelmäßig die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 AEUV, zumal die Einschränkung einer „rule of remoteness“8 bei zu ungewisser oder zu mittelbarer Behinderungswirkung für ein final auf Desinformation gerichtetes Handeln keine Bedeutung erlangen kann. Relevanz gewinnt folglich vornehmlich die unionsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit von desinformativen Produktinformationen. In der Entscheidung „Apple and Pear Development Council“ wurde vom EuGH klargestellt, dass unionsrechtlich die Grenze zur unzulässigen Produktinformation überschritten sei, soweit vom Erwerb ausländischer Produkte abgeraten werde, diese vor den Verbrauchern herabgesetzt würden oder zum Kauf inländischer Produkte allein aufgrund deren Herkunft geraten werde.9 Diese materiellen Maßgaben, die einer Rechtfertigung von desinformativen Produktinformationen zur Förderung nationaler Produkte de facto strikt
5 Denkbar sind indes auch desinformative Kampagnen zu Gunsten des inländischen Handwerks, die dann die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV (Art. 49 EGV a.F.) oder die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV (Art. 43 EGV a.F.) beträfen, vgl.: Weiß, EuZW 2008, 74, 78. Insoweit gelten jedoch die Folgenden rechtlichen Bewertungen entsprechend. Zu denkbaren Sondervorschriften für den Agrarsektor vgl.: Becker, EuR 2002, 418, 419 f. 6 EuGH, Rs. 249/81, Slg. 1982, 4005, 4023, Rz. 27 f. 7 Becker, EuR 2002, 418, 428 f. 8 EuGH, Rs. C-69/88 (Krantz), Slg. 1999, I-583, Rz. 11; EuGH, Rs. C-44/98 (BASF), Slg. 1999, I-6269, Rz. 21; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28 EGV, Rn. 55; Weiß, EuZW 2008, 74, 75. 9 EuGH, Rs. C-222/82, Slg. 1983, 4083, 4120, Rz. 18. Eine Anwendung der Keck-Rechtsprechung wurde darüber hinaus vom EuGH in der Rechtssache „CMA“ (Rs. C-325/00, Slg 2002, I-9977) nicht erwogen, obwohl es sich bei der Vergabe eines Gütezeichens potentiell um eine Verkaufsmodalität hätte handeln können, so dass eine Anwendung der Keck-Formel auf Informationshandeln ausscheidet; dazu: Weiß, EuZW 2008, 74, 75.
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E. Exkurs: Bindungen durch unionsrechtliche Grundfreiheiten
entgegenstehen, wurden in Leitlinien der Kommission übernommen.10 Dogmatisch kann eine Rechtfertigung – ungeachtet der generellen Bedenken gegen eine Anwendbarkeit auf Informationshandeln – nicht auf ungeschriebene Schranken im Sinne der Cassis-Rechtsprechung abstellen, da diese jedenfalls für offen diskriminierende Maßnahmen nicht greifen.11 Es verbleiben also allein die Schranken des Art. 36 AEUV (Art. 30 EUV a.F.), wonach eine Rechtfertigung unter anderem aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen in Betracht kommt. Dabei kann jedoch dahinstehen, inwieweit eine Situation vorstellbar ist, in der eine diskriminierende Desinformationsmaßnahme sich auf den Schutz genannter Rechtsgüter berufen kann. Denn jedenfalls wird sich desinformatives Handeln in praktisch allen Fällen als unverhältnismäßig darstellen, da produktbezogen das Übermaßverbot gegenüber milderen Mitteln wie offenen Produktverkaufsbeschränkungen o. ä. aufgrund des manipulativen Gehalts einer Desinformation kaum einzuhalten sein wird.12 Darüber hinaus ist bei Desinformationshandeln regelmäßig eine willkürliche Diskriminierung i.S.v. Art. 36 S. 2 AEUV gegeben, welcher als absolute Grenze Missbrauch, Diskriminierungen und Protektionismus verhindern soll.13 Es wird also deutlich, dass die unionsrechtlichen Vorgaben für den – begrenzten, bislang keinen Schwerpunkt desinformativen Staatshandelns darstellenden – Bereich der marktrelevanten Informationstätigkeit auf ein herkunftsbezogenes Neutralitätsgebot hinauslaufen,14 welches desinformativen Produktinformationen, die sich gegen ausländische Produkte und Hersteller richten, in Ermangelung praktischer Rechtfertigungsmöglichkeiten entgegensteht.
10 Kommission, Leitlinien für die Beteiligung der Mitgliedstaaten an Verkaufsförderungsmaßnahmen für landwirtschaftliche und Fischereierzeugnisse – Aspekte betreffend Artikel 30, ABl. 1986, Nr. C 272, S. 3. 11 Becker, EuR 2002, 418, 435. Vgl. zum Streitstand, ob nur offen diskriminierende Maßnahmen von der Anwendung der Cassis-Formel ausgeschlossen werden: Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 28 EGV, Rn. 82 ff. 12 Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art. 30 EGV a.F.: Leible, in: Grabitz/ Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 30 EGV, Rn. 8; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EGV, Rn. 93 ff. 13 Leible, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 30 EGV, Rn. 9. 14 Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3, 31.
F. Bindungen durch das Demokratieprinzip Neben grundrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Bindungen kommt auch eine Beschränkung staatlicher Desinformationstätigkeit durch das Demokratieprinzip in Betracht.
I. Demokratieprinzip als Maßstab Zwar stoßen demokratieprinzipiell begründete Vorgaben für staatliches Handeln – vor allem wenn sie den demokratischen Gesetzgeber im Namen eines verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips durch ein Verfassungsgericht betreffen1 – angesichts der Gefahr einer Verrechtlichung der Politik staatstheoretisch verbreitet auf Vorbehalte.2 Allerdings kann dies – bereits aufgrund der klassisch-herrschaftsbegrenzenden Perspektive3 – nicht gelten, soweit die expressive Bildung des demokratischen Willens durch staatliches Handeln betroffen wird, da dieses dann die Grundbedingungen demokratischer Selbstbestimmung und damit fundamental die staatliche Legitimation tangiert.4 Es geht also darum, die Einschränkungen für staatliches Desinformationshandeln im Hinblick auf den demokratischen Willensbildungsprozess herauszustellen. Im Gegensatz zu politischen bzw. politikwissenschaftlichen Demokratiebegriffen, die überwiegend neben der Rückführung von Herrschaft auf Selbstbestimmung unterschiedliche inhaltlich-materielle Vorgaben (u. a. Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Output-Legitimation) voraussetzen,5 kann 1 Vgl. beispielhaft aus der Kritik an der Lissabon-Entscheidung des BVerfG: Schwarze, EuR 2010, 108, 111 f.; von Bogdandy, NJW 2010, 1, 2 f.; Thym, Der Staat 48 (2009), 559, 575 ff.; Jestaedt, Der Staat 48 (2009), 497, 512 f. u. 503 f. 2 Möllers, Der vermisste Leviathan, S. 118, der zudem eine Überführung dieser staatstheoretischen Debatte in die Demokratietheorie anregt. Vgl. zu demokratietheoretischen Defiziten der Staatsrechtslehre: Lepsius, EuGRZ 2004, 370, 378. 3 Lepsius, EuGRZ 2004, 370, 378. 4 Zur Charakterisierung demokratischer Willensbildung als „expressiv“: Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 28 f. 5 Schmidt, Demokratietheorien, S. 19 ff.; Schultze, in: Nohlen/ders., Lexikon der Politikwissenschaft, Band 1, 128, 129 ff.; von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart, S. 234 ff.; H. A. Wolff, in: FS Quaritsch, 73 f. Für eine Kombination von Input- und OutputLegitimationsansätzen durch das „Demokratiemodell der epistemischen Deliberation“: Petersen, JöR 58 (2010), 137, 168 ff. Gegen Output-Legitimationsansätze prägnant: Möllers, Die drei Gewalten, S. 59 f., m.w.N. Noch exponierter: Wihl, Forum Recht 2009, 49 ff., dabei besonders pointiert: „Das Konzept der Output-Legitimation abzulehnen, bedeutet die Rettung der politischen Demokratie vor der sanften Diktatur eines rationalistischen Wohlfahrtsausschusses.“
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F. Bindungen durch das Demokratieprinzip
eine rechtliche Betrachtung dabei ausschließlich die konkreten verfassungsrechtlichen Bestimmungen zugrunde legen, mithin Art. 20 Abs. 1 GG und dessen Konkretisierungen.6 Gegenstand dieses spezifisch grundgesetzlichen Demokratieprinzips ist einzig die Legitimation politischer Herrschaft durch die Inklusion der Beherrschten (Selbstbestimmung) in „wechselseitiger Anerkennung gleicher Freiheit“7, nicht jedoch die inhaltliche Limitierung dieser Herrschaft.8 Folglich können dem Demokratieprinzip nur insoweit Grenzen oder Vorgaben für die Rechtmäßigkeit desinformativen Staatshandelns entnommen werden, als dieses Handeln in einem Bezug zur Legitimationsstruktur steht. Desinformation ist also insoweit vor dem Demokratieprinzip in Frage zu stellen, als Folgen für die demokratische Legitimation des Staates eintreten können.
II. Öffentliche Meinung und Demokratie Demokratie als Legitimation staatlicher Herrschaft setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ständige freie Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen voraus, in der sich politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt.9 Nur eine freie und allgemein zugängliche Öffentlichkeit vermag die Vielfalt an Beobachtungen und Meinungen zu vermitteln, die eine pluralistische Gesellschaft ausmacht und die den gesellschaftlich-politischen Entscheidungsbedarf konstruiert und reflektiert.10 „Diese öffentliche Meinung macht für Wahlen und Abstimmungen erst die Alternativen sichtbar und ruft diese auch für einzelne Sachentscheidungen fortlaufend in Erinnerung, damit die politische Willensbildung des Volkes über die für alle Bürger zur Mitwirkung geöffneten Parteien und im öffentlichen Informationsraum beständig präsent und wirksam bleiben.“11 Ein solcher demokratischer Meinungsbildungsprozess ist nicht voraussetzungslos möglich: Neben subjektiven Bildungsvoraussetzungen beim einzelnen Bürger bedarf es gesellschaftlicher Information und Kommuni6 Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 4, der zwischen der Normierung des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 1 GG als Rechtsprinzip und dessen Konkretisierungen in Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 21 Abs. 1 S. 3, Art. 23 Abs. 1 S. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 unterscheidet (ders., ebd., S. 249 ff.). Grundsätzlich ablehnend gegenüber prinzipientheoretischen Interpretationen von Verfahrens- und Organisationsvorschriften am Beispiel der Gewaltengliederung: Möllers, AöR 132 (2007), 493, 506 f. 7 Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 17. 8 Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 247. 9 BVerfGE 97, 350, 369; BVerfGE 89, 155, 185; BVerfGE 123, 267, 357 ff. Zur funktionalen Einordnung von Kommunikationsprozessen als „Prozeß der Wahrheitsfindung“: Hoffmann-Riem, Wandel der Medienordnung, S. 89 ff. Zur Überbetonung der Deliberation gegenüber Wahlakten durch die Demokratietheorie: Möllers, Die drei Gewalten, S. 81 f. 10 Horn, VVDStRL 68 (2009), 413, 441. 11 BVerfGE 123, 267, 358.
II. Öffentliche Meinung und Demokratie
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kation, um eine politische Meinungs- und Willensbildung zu ermöglichen.12 Dabei müssen staatlicher Informationstätigkeit dort Grenzen gesetzt werden, wo sie den freien Meinungs- und Willensbildungsprozess nicht mehr fördert, sondern diesen gefährdet.13 Der Prozess der Meinungs- und Willensbildung soll deshalb grundsätzlich staatsfrei erfolgen.14 „Einwirkungen der gesetzgebenden Körperschaften und von Regierung und Verwaltung auf diesen Prozeß sind nur dann mit dem demokratischen Grundsatz der freien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen vereinbar, wenn sie durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden können.“15 Jedoch bedarf die öffentliche Meinungsbildung ihrerseits als Bezugspunkt der Kenntnis über Entscheidungen, Äußerungen und Maßnahmen staatlicher Organe, so dass eine verfassungsrechtlich zulässige Informationstätigkeit des Staates eine Wechselwirkung im Prozess der Meinungsbildung nicht ausschließt.16 Das Bundesverfassungsgericht geht insoweit sogar von einer verfassungsrechtlich gebotenen Informationstätigkeit aus: „So gehört es in einer Demokratie zur Aufgabe der Regierung, die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. […] Dementsprechend erwarten die Bürger für ihre persönliche Meinungsbildung und Orientierung von der Regierung Informationen, wenn diese andernfalls nicht verfügbar wären.“17 Dabei hat staatlicherseits allerdings eine Orientierung an den Maximen der Abwesenheit staatlicher Ingerenz und des Gebots gesellschaftlicher Distanz zu erfolgen, damit die zulässige Wechselwirkung staatlicher Informationstätigkeit mit der öffentlichen Meinungsbildung nicht zur unzulässigen Verschränkung derselben führt; ein staatlich-hegemonales Machtkonglomerat im Sinne einer „gelenkten Demokratie“ bildet den Antitypus.18 Die staatliche Öffentlichkeitsarbeit soll deshalb dazu beitra12
Böckenförde, in: HStR II, § 24, Rn. 68; Gusy, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 23, Rn. 20; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 20, Rn. 89; Hornung, in: Towfigh/u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 75, 82 f. Vgl. auch Di Fabio, JZ 1993, 689, 691, der darauf hinweist, dass die hinreichende Informiertheit eine praktische, keine argumentationstheoretische Diskursbedingung ist. (Zivil-)Gesellschaftliche Grundlagen der Demokratie herausstellend: Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 36 ff. 13 Kloepfer, in: HStR III, § 42, Rn. 64. 14 BVerfGE 20, 56, 99; BVerfGE 78, 350, 363; Holznagel, VVDStRL 68 (2009), 381, 386. Vgl. zur Kritik: Heller, Staatslehre, S. 177 ff. 15 BVerfGE 20, 56, 99. Dazu allgemein: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 186 ff. Ferner: Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357, die eine subjektivrechtliche Konzeption desselben Erfordernisses über die Meinungsbildungsfreiheit des Bürgers aus Art. 5 Abs. 1 GG befürwortet. 16 BVerfGE 44, 125, 147; Kloepfer, in: HStR III, § 42, Rn. 22; Zumpe, Öffentlichkeit staatlicher Informationen, S. 122 ff.; Petersen, JöR 58 (2010), 137, 168 f. 17 BVerfGE 105, 252, 268 ff.; BVerfGE 105, 279, 301 ff. 18 Horn, VVDStRL 68 (2009), 413, 442 f.; Schmitt Glaeser, in: HStR III, § 38, Rn. 35 ff., spricht von einem „Rückkoppelungsverhältnis“. Vgl. ferner zur Doppelstellung des Staates als
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F. Bindungen durch das Demokratieprinzip
gen, eine politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen zu ermöglichen, darf also nicht zu einer undemokratischen Willensbildung von oben nach unten führen.19 Diese Maßstäbe gelten erst recht für staatliche Desinformationsmaßnahmen.
III. Speziell: Verbot wahlbezogener Desinformation Strikt steht das Demokratieprinzip deshalb staatlichen Desinformationsmaßnahmen entgegen, die unmittelbar wahlrelevante Meinungsbildungsprozesse betreffen. Wahlen als entscheidender Kreationsakt personeller Legitimation bieten den sensibelsten Ansatzpunkt für Beeinträchtigungen des Willensbildungsprozesses. So gewährleistet Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG durch den Grundsatz der Freiheit der Wahl verfassungsrechtlich, dass die Wählerinnen und Wähler in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung zu ihrer Wahlentscheidung finden und diese unverfälscht zum Ausdruck bringen können.20 Die Wählerinnen und Wähler müssen deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in allen Verfahrensstadien gegen ihre freie Willensentscheidung ernstlich beeinträchtigende Beeinflussungen von staatlicher und nichtstaatlicher Seite geschützt sein.21 Wahlfreiheit „erfordert nicht nur, daß der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt […], sondern ebenso sehr, daß die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können“.22 Die Freiheit der Wahl schützt deshalb vor Beeinflussungen, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit trotz des bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen.23 Zu diesen unzulässigen Beeinflussungen gehören auch Täuschungen und Desinformation, da gegenüber diesen Formen der Wahrheitsmanipulation keine hinlängliche Abwehrmöglichkeit mit Mitteln des Wahlwettbewerbs oder mit Hilfe der Gerichte besteht.24 An diesen Zusammenhang anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht eine Direktwahl wegen unzulässiger Wählerbeeinflussung bei Verstoß gegen die WahrAkteur und als Regelinstanz im Meinungsmarkt: Lenski, in: Towfigh u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 97, 99 ff. 19 BVerfGE 20, 56, 99; BVerfGE 44, 125, 139 f.; BVerfGE 69, 315, 346; Kloepfer, in: HStR III, § 42, Rn. 22; Dreier, in: ders., Art. 20 (Demokratie), Rn. 82; Rauber, NJW 2003, 3609, 3610. Die staatlicherseits gebotene Zurückhaltung und Zurückdrängung intermediärer Kräfte wird teilweise als „negative Verfassungsvoraussetzung der Demokratie“ verstanden, vgl.: Horn, VVDStRL 68 (2009), 413, 442. 20 BVerfGE 79, 161, 165 f.; BVerfGE 44, 125, 139. 21 BVerfGE 66, 369, 380., m.w.N. 22 BVerfGE 44, 125, 139; Jestaedt, AöR 126 (2001), 204, 216 f. 23 BVerfGE 103, 111, 132; BVerfGE 66, 369, 380. Vgl. ferner: Kotzur, VVDStRL 69 (2009), 173, 204 ff., zu einem wettbewerbsbezogenen Verständnis des Wahlrechts, welches wettbewerbsverzerrenden Wahlbeeinflussungen des Staates entgegensteht. 24 BVerfGE 103, 111, 132 f.; BVerwGE 118, 101, 106.
III. Speziell: Verbot wahlbezogener Desinformation
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heitspflicht für ungültig erklärt:25 Der Oberbürgermeister der Stadt Bad Homburg v.d.H. hatte die begründeten Zweifel an der Wirksamkeit einer Klausel in einem kommunalpolitisch umstrittenes Grundstücksgeschäft auf ausdrückliche Nachfrage und entgegen eines Ratsbeschlusses zur unverzüglichen Offenlegung der Ergebnisse verschwiegen. Darüber hinaus hatte er im Hinblick auf die bevorstehende Wahl ein speziell zu dieser Frage angefertigtes Rechtsgutachten den Magistratsmitgliedern vorenthalten und einen diesbezüglichen Aktenvermerk entfernt. Die ohne Kenntnis dieser Vorgänge erfolgte Wahl leide – so das Bundesverwaltungsgericht – an einem erheblichen Legitimationsmangel, da demokratische Legitimation nur ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes bzw. der Wahlbürger erzielt werde.26 Hinsichtlich amtlicher Wahlbeeinflussung27 stellt das Gericht kategorisch fest: „Jede Form des Vorenthaltens von Wahrheit beeinträchtigt die Autonomie des Menschen bei seiner (Wahl-)Entscheidung darüber, wie viel Wahrheit er sich zumuten kann und will. […] Die Wahrheit ist auch im Wahlkampf als Rahmenbedingung sozialer Kommunikation unentbehrlich.“28 Die Integrität der Wählerwillensbildung sei deshalb betroffen, wenn amtliche Stellen das ihnen obliegende Wahrheitsgebot nicht einhielten. Sicherlich lassen sich Vorbehalte gegen diese rigoros-kategorische Argumentation des Gerichts formulieren.29 Vor allem wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Konstruktion einer Wahrheitspflichtverletzung durch Verschweigen auch für amtliche Stellen nur aufrechterhalten werden kann, soweit eine rechtliche Offenbahrungspflicht bezüglich des verschwiegenen Sachverhalts besteht.30 Über den entschiedenen Fall einer Desinformation der Öffentlichkeit durch Verschweigen von Tatsachen hinaus muss dann jedoch erst recht die bewusste Fehlinformation als noch stärkerer Übergriff in die öffentliche Meinungsbildung gleichermaßen erfasst sein. Es zeigt sich also, dass das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung nicht die objektive Desinformationshandlung (Fehlinformation als aktives Tun oder Verschweigen als Unterlassen), sondern die desinformationelle Intention der staatlichen Stelle ist. Ungeachtet der Konstruktionsfragen im Einzelnen lässt sich die Grundaussage der Entscheidung deshalb wie folgt fassen: Bezogen auf Wahlen als demokratische Legitimationsakte ist eine subjektiv zum Zweck der Wahlbeeinflussung getätigte Desinformation durch staatliche Stellen strikt untersagt und führt unabhängig von der Ergeb25
BVerwGE 118, 101. BVerwGE 118, 101, 106, unter Rekurs auf BVerwG, NVwZ 1992, 795. 27 In Abgrenzung zu„Wahlmanövern“ der Parteien oder einzelner Wahlbewerber. Vgl. dazu: Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 125 ff.; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 31. 28 BVerwGE 118, 101, 106 f. 29 Vgl.: Berghäuser, NVwZ 2003, 1085, 1086, der jedoch verkennt, dass das Gericht entgegen seiner Interpretation kein moralisch begründetes Wahrheitsgebot gegenüber der Politik statuiert, sondern ausschließlich amtliche Äußerungen an einem rechtlich abgeleiteten Wahrheitsanspruch misst. Ferner: Beckmann/Wittmann, NWVBl 2010, 81, 83 ff. 30 Rauber, NJW 2003, 3609, 3610; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 32. So auch: VGH Mannheim, ESVGH 7, 98, 104 f. Differenziert: Beckmann/Wittmann, NWVBl 2010, 81, 82 ff. 26
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F. Bindungen durch das Demokratieprinzip
nisrelevanz zur Ungültigkeit der Wahl. Diese strikte Handhabe staatlicher Desinformation mit unmittelbarem Wahlbezug ist demokratieprinzipiell geboten, um einen staatlichen Einfluss auf die Wahlentscheidung als „Kurzschluss in der demokratischen Legitimationskette“31 zu vermeiden.
IV. Generell: Verbot meinungsbildungsbezogener Desinformation Staatliche Einflussnahmen und Manipulationen im demokratischen Willensbildungsprozess sind in ihrem Anwendungsfeld indes nicht auf unmittelbar wahlbezogene Maßnahmen beschränkt. Es griffe deshalb zu kurz, staatliche Desinformationstätigkeit lediglich in final wahlbeeinträchtigenden Konstellationen auszuschließen. Denn auch jenseits des Abgrenzungsproblems, ab wann von einer auf bevorstehende Wahlen abzielenden Desinformationsmaßnahme auszugehen ist, muss beachtet werden, dass sich die demokratische Meinungs- und Willensbildung nicht auf das Vorfeld von Wahlen beschränkt, sondern die Wahlentscheidung in Form von Kontrolle, Kritik und ggf. Revision dauerhaft begleitet.32 Es handelt sich um einen „ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung“33, der den bedeutenden Rang der Öffentlichkeit für die Demokratie begründet und dessen ständiger Dialog zwischen parlamentarischen Repräsentanten und gesellschaftlichen Kräften für die Legitimität demokratischer Ordnung annähernd so wichtig ist wie der eigentliche Wahlakt.34 Darüber hinaus soll das Demokratieprinzip ein Gebot für staatliche Stellen begründen, den gesellschaftlichen Grundkonsens zu Verfassung und Staat zu schaffen und aufrecht zu erhalten, unter anderem durch staatliche Öffentlichkeitsarbeit.35 Diese beiden Zusammenhänge legen es nahe, jegliche staatliche Desinformation, die sich als meinungsbildungsrelevant erweist, aus demokratieprinzipiellen Erwägungen zu unterbinden. Da potentiell jedoch jedes staatliche Handeln Gegenstand einer öffentlichen Debatte und damit auch mittelbar für die demokratischen Willens- und Meinungsbildung relevant sein kann, käme man leicht zu dem Ergebnis, dass das Demokratieprinzip jeglicher Desinformation entgegensteht. Richtigerweise wird man indes den Gewährleistungsgehalt des Demokratieprinzips auf die eigentlichen Legitimationsstrukturen, also Wahlen, Abstimmungen und die öffentliche Meinungsbildung, beschränken müssen. Das Demokratieprinzip 31
Kloepfer, in: HStR III, § 42, Rn. 64. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 83; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 134 ff. 33 BVerfGE 20, 56, 98. 34 Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 83. 35 BVerfGE 44, 125, 147; VerfGH NRW, NVwZ 1992, 467; Gusy, NJW 2000, 977, 978. Mit distanziertem Unterton: Lenski, in: Towfigh u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 97, 100. 32
IV. Generell: Verbot meinungsbildungsbezogener Desinformation
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steht also staatlicher Desinformation zur Verbrechensbekämpfung, zur Terrorismusabwehr oder zum Erhalt der Funktionsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen nicht entgegen. Derartige Maßnahmen weisen keinen unmittelbaren Bezug zur demokratischen Willensbildung auf: sie werden zu anderen Zwecken als zur Manipulation der Öffentlichkeit vorgenommen. Diese Beispiele verdeutlichen zugleich, anhand welchen Kriteriums eine Abgrenzung der durch das Demokratieprinzip untersagten unmittelbar meinungsbildungsrelevanten Desinformation von nicht oder allenfalls mittelbar meinungsmanipulativen Maßnahmen erfolgen kann: der Finalität der staatlichen Maßnahme. Soweit die staatliche Desinformation final nicht die Manipulation der Öffentlichkeit bzw. der Wähler intendiert, sondern (vorrangig) der Verhaltensmanipulation zur Gefahrenabwehr dient, berührt sie den Gewährleistungsgehalt des Demokratieprinzips nicht. Sobald staatliches Desinformationshandeln jedoch auf eine Manipulation der Willensbildung bzw. der öffentlichen Meinungsbildung abzielt, handelt es sich um einen staatlichen Übergriff in demokratische Legitimationsstrukturen, der durch das Demokratieprinzip untersagt ist.
G. Rechtsstaatliche Bindungen Der Blick auf demokratiebezogene Grenzen für staatliches Desinformationshandeln erfasst aufgrund des strikten Legitimationsbezugs nur einen engen Ausschnitt staatlicher Handlungsmöglichkeiten. Dies bedeutet indes nicht, dass damit Desinformationsmaßnahmen jenseits grundrechtlicher und demokratischer Beschränkungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind. Vielmehr gilt es zu vergegenwärtigen, dass Unwahrhaftigkeit des Staatshandelns grundsätzlich im Konflikt mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit steht.1 Die rechtsstaatliche Perspektive bringt es dabei mit sich, dass diese sich als generelle Anforderung auf jegliches staatliches Handeln richtet, so dass auch völkerrechtliches oder intrastaatliches Verhalten erfasst wird.
I. Rechtsstaatliches Verbot von Desinformation Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Desinformation verbreitet als typisches Erkennungsmerkmal totalitärer Regimes angesehen wird.2 Parallel dazu besteht in der Staatsrechtslehre Einigkeit, dass Rechtsstaatlichkeit als Gegenbegriff zum totalitären Staat zu konstruieren ist.3 Eine Verknüpfung dieser Aussagen legt also nahe, dass rechtsstaatliche Strukturen Desinformationstätigkeit ausnahmslos entgegenstehen. Ob eine derartige Schlussfolgerung indes rechtlich haltbar ist, ist im Folgenden zu untersuchen. Unabhängig von der konkreten normativen Verortung des Rechtsstaatsprinzips im Verfassungstext4 sind als Maßstab für Desinformationsmaßnahmen vornehmlich konkretisierte Merkmale des Rechtsstaatsbegriffs heranzuziehen,5 die sich nach verÄhnlich: Gramm, NJW 1989, 2917, 2921; Papesch, Staatliche Informationstätigkeit im System des öffentlichen Rechts, S. 108. 2 s. o. unter A. III. 2. 3 Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 59; Starck, VVDStRL 51 (1992), 9, 11 ff.; Menger, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 42, 43. 4 Vgl. zur normativen Verortung des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG und anderen Ansätzen: Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 2 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 [48. Lfg. 2006], VII, Rn. 31 ff.; jew. m.w.N. Gegen die Erforderlichkeit der Anerkennung eines selbständigen Rechtsstaatsprinzips jenseits der speziellen Konkretisierungen desselben: Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 85 ff., insbes. S. 109. Den Schutz individueller Freiheitswahrnehmung als gemeinsamen Nenner aller Facetten rechtsstaatlicher Gewährleistungen betonend: Möllers, AöR 132 (2007) 493, 503 f. 5 Vgl. eingehend: Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 254 ff., die 142 konkretisierte Rechtsstaatselemente differenziert und 25 Oberbegriffen zuordnet. 1
I. Rechtsstaatliches Verbot von Desinformation
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breiteter Unterscheidung in formelle und materielle Rechtsstaatselemente systematisieren lassen.6 Dabei ist jedoch festzustellen, dass ein Verbot von Desinformationsmaßnahmen als solches gegenwärtig nicht explizit als konkretisierte Einzelgewährleistung des Rechtsstaatsprinzips thematisiert wird.
1. Desinformation und Gerechtigkeit Einen ersten Anknüpfungspunkt für die rechtsstaatliche Bewertung von Desinformationstätigkeit bietet Art. 20 Abs. 3 GG. Die Bindung von Exekutive und Judikative an das Recht, die kontrastierend zur Gesetzesbindung auferlegt wird, bietet als materielles Rechtsstaatselement die Möglichkeit der gerechtigkeitsbezogenen Begrenzung von Staatshandeln. Sie normativiert die Strukturanalyse, der Rechtsstaat sei „der auf Verwirklichung und Sicherung der Gerechtigkeit zielende Staat“7. Zwar wird die naturrechtliche Rezeption des Begriffs „Recht“ in Art. 20 Abs. 3 GG aufgrund des Bezugs auf vorpositive Gerechtigkeitsvorstellungen vielfach in Zweifel gezogen.8 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte indes frühzeitig das Gerechtigkeitselement der Rechtsstaatlichkeit9 und hält trotz Abschwächung der naturrechtlichen Hintergründe an diesem Verständnis fest.10 In der Literatur wird verbreitet und zutreffend hervorgehoben, die Unterscheidung von Recht und Gesetz verdeutliche, dass die Möglichkeit des Auseinanderfallens bestehe und deshalb zur Bestimmung des „Rechts“ im Sinne der Norm eine Orientierung an überpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen geboten sei.11 Auf der Anwendungsebene ist jedoch zweifelhaft, auf welche Gerechtigkeitsvorstellungen abzustellen ist. Soweit lediglich positivierte Gerechtigkeitsvorstellungen, also vornehmlich verfassungsrechtliche Normen mit Gerechtigkeitshintergrund, als einbezogen angesehen werden,12 kann ein Verstoß von Desinformationshandeln gegen Art. 1 GG oder Art. 3 GG in vielen 6 Vgl. zur Unterscheidung formeller und materieller Rechtsstaatsgewährleistungen: Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 30; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 18 f. Zweifelnd hinsichtlich systematischer Unterscheidbarkeit und juristischer Aussagekraft: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 46 ff., der die Unterscheidung als allein historisch bedingt kennzeichnet. 7 Bachof, VVDStRL 12 (1954), 37, 39. 8 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 265; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 38; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 43; Forsthoff, Rechtsstaat im Wandel, S. 176 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 797 f.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 5. 9 BVerfGE 3, 225, 237. 10 Ständige Rechtsprechung, vgl.: BVerfGE 102, 254, 298 f.; BVerfGE 95, 96, 134 f.; jew. m.w.N.; Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 78 ff. 11 Vgl. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 90 ff. Eingehend: Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, S. 151 ff., m.w.N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 94; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 41 ff. 12 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 268 f.; Gusy, JuS 1983, 189, 193.
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G. Rechtsstaatliche Bindungen
Fällen mangels Erheblichkeit bzw. Ungleichbehandlung nicht angenommen werden. Auch wenn man den appelativen Charakter der Norm betont und die Bindungswirkung überpositiver Gerechtigkeitsvorstellungen vornehmlich bei der Auslegung und Überprüfung des positiven Rechts realisieren will,13 lassen sich schwerlich allgemein anerkannte Gerechtigkeitsvorstellungen finden, die Unwahrhaftigkeit kumulativ zum einen kategorisch ausschließen und die zum anderen derart gewichtig sind, dass sie bestehende verfassungsrechtliche Wertungen überlagern. Ethische Unwerturteile als solche werden darüber hinaus auch durch eine überpositive Rückkopplung des Begriffs des Rechts in Art. 20 Abs. 3 GG nicht verfassungsrechtlich inkorporiert; Recht beschreibt nämlich ausweislich des allgemeinen Sprachgebrauchs eine Ordnung, die sich gerade von nicht-rechtlichen Ordnungen wie Moral oder Macht unterscheidet.14 Nur so kann die Verfassungsentscheidung für den Rechtsstaat als nach Maßgabe des Rechts gestalteten, staatlichen wie gesellschaftlichen Lebens realisiert werden.15 Ein moralisch fundiertes Rechtserfordernis i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG, das staatliche Unwahrhaftigkeit per se verbietet, wird bei gebotener restriktiver Auslegung mangels Evidenz jedenfalls nicht konstruierbar sein.
2. Desinformation und Amtseid Eine generelle rechtsstaatliche Ächtung von Desinformation lässt sich auch nicht aus dem Amtseid eines jeden Amtsträgers herleiten. Zwar wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass der Amtseid die Bekräftigung zur wahrheitsgemäßen Amtsführung in der historisch mit Wahrheitsbezug ausgestalteten Beteuerungsformel „so wahr (als) mir Gott helfe“ enthalte.16 Abgesehen davon, dass dieser Teil des Amtseides als religiöse Beteuerung gerade nicht obligatorisch zu leisten ist,17 kommt der Eidesformel nach zutreffender und praktisch allgemeiner Auffassung jedenfalls keine konstitutive bzw. pflichtenbegründende Wirkung zu.18 13 Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 41 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 94. 14 Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 86. Zum systemtheoretisch inspirierten Verständnis von juridischer Gerechtigkeit als selbstsubversiver Kontingenz- oder Transzendenzformel des Rechts vgl. jüngst: Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), 9 ff. 15 Vgl. zur Strukturierung nach Maßgabe des Rechts: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 183 ff.; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 21. 16 Depenheuer, in: ders., Recht und Lüge, 7, 9 (v. a. Fn. 9). 17 Vgl.: Art. 56 S. 2, 64 Abs. 2 GG bzw. § 64 Abs. 2 BBG und § 38 Abs. 2 BeamtStG. Dazu: Battis, in: ders., § 64 BBG, Rn. 4, m.w.N. 18 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 56, Rn. 20; Pieroth, in: Jarass/ders., GG, Art. 56, Rn. 1; Battis, in: ders., § 64 BBG, Rn. 5; Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 56, Rn. 3; Pernice, in: Dreier, GG, Art. 56, Rn. 7. Aufgrund der naturrechtlichen Rückbindung anders für Notstandsituationen: Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 56, Rn. 7. Eine konstitutive Funktion hinsichtlich des Einsatzes für das Gemeinwohl, das Versprechen gerechter Amts-
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3. Desinformation und Vertrauensschutz bzw. Rechtssicherheit Rechtsstaatliche Bindungen können staatlichen Desinformationsmaßnahmen jedoch partikular entgegenstehen, soweit diese sich aus konkretisierten Elementen des Rechtsstaatsprinzips normativ herleiten lassen. Als eine derart begrenzende Gewährleistung kommt vornehmlich der Gedanke des Vertrauensschutzes bzw. der Rechtssicherheit in Betracht, da staatliche Desinformation Vertrauen in die Wahrheit staatlicher Informationen unterminiert.19 Unabhängig von der dogmatischen Verselbständigung gegenüber bzw. der Verortung des Vertrauensschutzes als Teil der Rechtssicherheit20 wird jedoch verbreitet nur der Schutz des Vertrauens in den Fortbestand geltender Rechtsvorschriften und -anwendungen als Gegenstand dieser rechtsstaatlichen Gewährleistung behandelt.21 Richtigerweise dürfte indes übergreifend dem Element der Verlässlichkeit bestimmende Bedeutung zukommen: So hat Franz Scholz in einem frühen umfassenden Definitionsansatz Rechtssicherheit als „das gewährleistete Vertrauen in das Bestehen des Rechts und in seine unparteiische und gerechte Handhabung“22 erfasst und damit zum einen Rechtsanwendungen in die Gewährleistung einbezogen, zum anderen die Kategorie des Vertrauens zum bestimmenden Merkmal erhoben. Letzterer Aspekt wird auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betont, wonach „Verläßlichkeit der Rechtsordnung […] eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen“23 sei und Verlässlichkeit als Grundbedingung von Freiheitssicherung fungiere.24 Zutreffend wird deshalb Verlässlichkeit des Staatshandelns als wesentliches Strukturmerkmal
führung und die Verteidigung des Grundgesetzes annehmend: Nettesheim, in: HStR III, § 61, Rn. 52. 19 Vgl. zur sozialwissenschaftlichen Befassung mit dem Phänomen „Vertrauen“ und nur geringfügigen Konvergenzen der jeweiligen Typisierungsversuche: Oppen, in: Botzem/Hofmann/u. a., Governance als Prozess, 503, 513 ff., m.w.N. Ferner Schmitt Glaeser, in: FS Bethge, 63, 66, der die „existentielle Grunderwartung“ der Glaubwürdigkeit gegenüber dem Staat im Sinne einer Verfassungserwartung „und das daraus erwachsende Vertrauen der Bürger“ betont. Grundlegend auch: Weilert, HFR 2010, 207, 219 ff. 20 Vgl. dazu einerseits: BVerfGE 30, 392, 403; BVerfGE 108, 370, 396 f.; Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 67. Andererseits: BVerfGE 59, 128, 164; von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 661 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 146 f.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 292; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 81; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 229 ff. Zu Vertrauen als Legitimationskategorie demokratischer Herrschaft, speziell für die Europäische Union: Franzius, HFR 2010, 159 ff., insbes. 176. 21 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 292; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 67; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 146 ff. 22 Scholz, Die Rechtssicherheit, S. 4. 23 BVerfGE 97, 67, 78. 24 BVerfGE 60, 253, 268.
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der Rechtssicherheit angesehen,25 wobei mit Andreas von Arnauld zugleich funktional der Autonomieschutz als Element zu betonen ist.26 Denn die Konzeption von Rechtssicherheit bzw. Verlässlichkeit setzt die Anerkennung eines grundsätzlich eigenständigen Gestaltungsbereichs des einer Rechtssetzungsgewalt unterworfenen Subjekts voraus, ist also mit der Idee einer durch Recht zu sichernden Autonomie des Individuums verbunden.27 Dieser Aspekt einer aus dem Gedanken des Autonomieschutzes des Einzelnen motivierten Gewährleistung der Verlässlichkeit von Staatshandeln steht Desinformationstätigkeit insoweit entgegen, als es sich bei manipulativen staatlichen Äußerungen um Übergriffe handelt, die einerseits Vertrauen in staatliche Autorität ausnutzen und andererseits zukünftiges Vertrauen mindern. Daneben lassen sich vergleichbare Maßstäbe auch durch einen Rekurs auf das rechtsstaatliche Gebot eines fairen Verfahrens erzielen. Dieses Gebot erstreckt sich nicht ausschließlich auf Gerichtsverfahren, sondern sichert dem Bürger auch gegenüber der Verwaltung ein faires, seine Rechte wahrendes Verwaltungsverfahren.28 Unabhängig von der Frage der Bestimmung der gebotenen Fairness anhand von Rechtspflichten oder sittlicher Erwägungen dürfte für den Bereich staatlichen Desinformationshandelns nach beiden Ansätzen aufgrund der Autonomiebeeinträchtigung beim Bürger ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze gegeben sein.
4. Desinformation und Verfassungsorgantreue Rechtsstaatlich fundiert geschützte Vertrauenserwartungen an das Handeln staatlicher Organe sind zudem in ihrem Anwendungsfeld nicht auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf intrastaatliches Handeln. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist insoweit der allgemein geltende Grundsatz der Verfassungsorgantreue.29 Dieser ist als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt und wird als solcher nicht grundlegend in
25 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 [48. Lfg. 2006], VII, Rn. 50; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 81 f.; von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 105. 26 von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 115 ff. u. S. 667 ff. 27 von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 115 f. 28 BVerwGE 107, 363, 368 f.; BVerwG, NVwZ 2001, 94, 95; Stern, Staatsrecht I, S. 824 f.; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 31a. Kritisch: Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 146 ff., die durch den Begriff der „Fairness“ eine Einwirkung von Maximen moralischer Art bzw. die Entstehung einer Art soft law befürchtet. 29 Der intrastaatliche Bezug wird besonders deutlich, wenn man sich die alternative Begrifflichkeit des „interorganfreundlichen Verhaltens“ (Gebauer, in: FS König, 341, 350 f.) oder des „Interorganrespekts“ (Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht, passim) vergegenwärtigt.
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der Literatur in Frage gestellt.30 Normativ wird dieser – verfassungstheoretisch auf die Lehren Rudolf Smends und Hermann Hellers zurückgehende31 – Verfassungsgrundsatz unterschiedlich grundiert. Verbreitet wird im Anschluss an Wolf-Rüdiger Schenke die Verfassungsorgantreue auf ein besonderes Loyalitätsgebot zurückgeführt, das das Verhältnis der am Verfassungsleben Beteiligten insgesamt präge.32 Andere leiten den Grundsatz der Verfassungsorgantreue aus dem Grundsatz der Bundestreue ab.33 Ebenso wird vertreten, die Begründung der Verfassungsorgantreue unter Rekurs auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben zu leisten.34 Das Bundesverfassungsgericht argumentiert in ähnlichen Konstellationen unter Rückgriff auf den Amtshilfegrundsatz aus Art. 35 Abs. 1 GG und den Gewaltenteilungsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG,35 so dass eine Übertragung auf die Verfassungsorgantreue nahe liegt.36 Letzterer Begründungsstrang unter Betonung der Gewaltenteilung ist dabei vorzugswürdig: Bei dem gewaltenteilungsbedingten Übergang der Ausübung der Staatsgewalt auf mehrere Organe sind Reibungsverluste unvermeidbar, die ihrerseits durch Treuepflichten wie den Grundsatz der Verfassungsorgantreue oder des bundesfreundlichen Verhaltens minimiert werden.37 Der Grundsatz der Verfassungsorgantreue sichert also rechtsstaatlich die Einheit der staatlichen Ordnung trotz Gewaltenteilung, indem er eine loyale Kompetenzausübung der einzelnen Organe zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems vorschreibt.38 Die Verfassungsorgantreue wird insoweit zutreffend metaphorisch als „Schmiermittel in der Gewaltenteilung“39 charakterisiert. So verstanden fordert der Grundsatz der Verfassungsorgantreue, dass alle Verfassungsorgane „bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen auf die 30 BVerfGE 35, 193, 199; BVerfGE 45, 1, 39; BVerfGE 89, 155, 191; BVerfGE 119, 96, 125; Voßkuhle, NJW 1997, 2216, 2217; Schmidt, DÖV 2005, 973, 974 f.; Rossi/Lenski, DVBl 2008, 416, 420 f.; jew. m.w.N. Demgegenüber ist für den Bereich des Unionsrechts die Verpflichtung der Unionsorgane zur loyalen Zusammenarbeit ausdrücklich in Art. 13 Abs. 2 S. 2 EUV normiert. 31 Voßkuhle, NJW 1997, 2216, 2217; Rossi/Lenski, DVBl 2008, 416, 421; Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 26 ff. 32 Schenke, Die Verfassungsorgantreue, passim; Schmidt, DÖV 2005, 973, 974 f. 33 Schwarz, NWVBl 2008, 245, 248; Schürmann, AöR 115 (1990), 45, 61. 34 Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht, S. 40. 35 BVerfGE 7, 183, 190; BVerfGE 31, 43, 46. 36 Voßkuhle, NJW 1997, 2216, 2217. Ähnlich in der Begründung, aber bezogen auf die Bindungswirkung der Handlungen verschiedener Verfassungsorgane: Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 20, V, Rn. 61. 37 Rossi/Lenski, DVBl 2008, 416, 421; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 2, Rn. 225. 38 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 2, Rn. 225. Ähnlich: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 54, der die Verfassungsorgantreue als „kooperativen Verfassungssinn“ versteht, welcher sich „als selbststeuerndes Korrektiv (auch) der Gewaltenteilung“ erweise. 39 Rossi/Lenski, DVBl 2008, 416, 421.
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Interessen der anderen Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen“40 haben. Im Einzelnen sind die Anforderungen und Wirkungsweisen dieses Verfassungsgrundsatzes allerdings noch nicht trennscharf abgegrenzt. Die Verfassungsorgantreue fungiert einerseits als Auslegungsprinzip, andererseits als Missbrauchsschranke bei der Wahrnehmung vorhandener Kompetenzen.41 Bezogen auf Desinformation zwischen einzelnen Verfassungsorganen kommt dabei der Funktion als Missbrauchsschranke entscheidende Bedeutung zu. Es stellt sich insoweit die Frage, ob unwahrhaftiges Handeln eines Verfassungsorgans gegenüber einem anderen Verfassungsorgan als Verstoß gegen das spezielle Rücksichtnahmegebot der Verfassungsorgantreue zu qualifizieren ist. Anerkanntermaßen kommt dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue diesbezüglich auch im Zusammenhang mit Informationstätigkeit bzw. Informationspflichten von Verfassungsorganen Bedeutung zu.42 Ein Verstoß gegen das Gebot der Verfassungsorgantreue lässt sich zum einen in der durch die Fehlinformation liegenden Nichtachtung des desinformierten Verfassungsorgans sehen. Den Gehalt der Organtreue im Hinblick auf das Ansehen und den Respekt für andere Verfassungsorgane hat das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf ein Rechtsgutachten von Richard Thoma wie folgt umschrieben: „Die Koordination der Verfassungsorgane verlangt vielmehr als Korrelat ihrer Unabhängigkeit, daß die Verfassungsorgane bei Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Tätigkeit harmonisch zusammenwirken und alles unterlassen, was das Ansehen der anderen Verfassungsorgane schädigt und damit die Verfassung selbst gefährden könnte. Daher handelt ein Verfassungsorgan seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zuwider, wenn es, gestützt auf seine eigene auctoritas, in der Öffentlichkeit durch Wort und Tat ein anderes Verfassungsorgan herabsetzt und ihm nicht den selbstverständlichen Respekt entgegenbringt, auf den jedes Verfassungsorgan einen Rechtsanspruch besitzt“43. Indem ein anderes Verfassungsorgan durch Fehlinformationen gezielt Manipulationen ausgesetzt ist, wird neben dessen unabhängiger Entscheidungsfindung zugleich auch dessen Achtungsanspruch beeinträchtigt, da der gebotene Respekt vor den verfassungsrechtlichen Aufgaben und dem verfassungsrechtlich zugedachten autonomen Willensbildungsprozess anlässlich der eigenen verfolgten Interessen unterminiert wird. Zum anderen kann ein Verstoß von Desinformationstätigkeit gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue auch in einer Verletzung des Vertrauensverhältnisses bzw. des Mindeststandards vertrauensvoller Zusammenarbeit gesehen werden. Denn der Verfassungsgrundsatz statuiert im Rahmen der Rücksichtnahmeverpflichtung insbe-
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BVerfGE 45, 1, 39. Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 43 f.; Schmidt, DÖV 2005, 973, 975. 42 Schwarz, NWVBl 2008, 245, 247 f.; Caspar, in: ders./Ewer/Nolte/Waack, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Art. 22, Rn. 5 f. 43 BVerfG, JöR 6 (1957), 194, 206 f. 41
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sondere auch eine Pflicht zu loyalem Verhalten.44 Gemessen an dieser Loyalitätspflicht stellt sich die Desinformation anderer staatlicher Organe als zutiefst illoyales und damit missbräuchliches Verhalten dar. Denn soweit Verfassungsorgane untereinander in manipulativer Absicht Fehlinformationen verbreiten, wird der Verantwortungsbereich des anderen Verfassungsorgans gravierend verletzt. Nach Bekanntwerden oder Aufdeckung einer Desinformation zwischen Verfassungsorganen wird zudem ein generelles Klima des Misstrauens entstehen, welches eine loyale und vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich macht. Es ist also festzustellen, dass der allgemeine Verfassungsgrundsatz der Verfassungsorgantreue als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips – funktional ebenso wie dessen spezielles Äquivalent der Bundestreue bzw. des Gebots bundesfreundlichen Verhaltens45 – im intrastaatlichen Bereich desinformativem Staatshandeln grundsätzlich entgegensteht.
5. Desinformation und Grundsatz der Rechtswahrheit Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es nicht an rechtsstaatsprinzipiellen Aspekten fehlt, die im Anwendungsbereich staatlichen Desinformationshandelns relevant werden können. Systematisierend leiten diese fragmentarischen Fallgruppen und Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips zu der Frage über, ob diesen Einzelgewährleistungen eine generelle Aussage zur rechtsstaatlichen Handhabe von staatlicher Desinformationstätigkeit entnommen werden kann. Einen ersten Anknüpfungspunkt zur Entwicklung einer generalisierten Rechtsstaatskonkretisierung bietet insoweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Normwahrheit.46 Speziell betreffend den Fall der Desinformation durch den Gesetzgeber47 hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in den 1960er-Jahren bezogen auf eine Norm des Nebenstrafrechts entschieden: „Jedenfalls 44 Schmidt, DÖV 2005, 973, 974; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 2, Rn. 225; Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 19 f. 45 Der Grundsatz der Bundestreue wird überwiegend unter Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben normativ im Bundesstaatsprinzip verankert; vgl.: Bauer, Die Bundestreue, S. 234 ff., auch m.w.N. auf andere Begründungsansätze. Allgemein zur Abgrenzung von Bundestreue und Verfassungsorgantreue: Bauer, Die Bundestreue, S. 295 ff. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner jüngeren Rechtsprechung von einem Spezialitätsverhältnis aus (BVerfGE 119, 96, 125), so dass die Ausführungen zum allgemeinen Grundsatz der Verfassungsorgantreue entsprechend für die spezielle bundesstaatliche Ausprägung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern gelten und im Folgenden nicht eingehender thematisiert werden. 46 Vgl.: BVerfGE 107, 218, 256; BVerfGE 108, 1, 20; BVerfGE 114, 196, 236 f.; BVerfGE 118, 277, 366. Einen ähnlichen Begründungsansatz verfolgt Christian Bumke, der das Gebot der Normenwahrheit funktional als Teil der Neuausrichtung bzw. Entwicklung eines verfassungsrechtlichen Konsistenzgebots versteht: Bumke, Der Staat 49 (2010), 77, 87 ff. 47 Siehe zu dieser Konstellation bereits oben unter C. IV.
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verstößt eine solche der Sachlage zuwiderlaufende Gesetzesgestaltung, die die wahren Absichten des Gesetzgebers verschleiert, gegen das Rechtsstaatsprinzip“48. Später entwickelte das Gericht aus dem Rechtsstaatsprinzip ein explizit neben das Erfordernis der Normenklarheit tretendes Gebot der Normenwahrheit49: Ursprünglich zur Begrenzung der Normrechtfertigung auf aus der Norm für den Adressaten unmittelbar ersichtliche Gesetzeszwecke eingeführt,50 erstreckt sich der Anwendungsbereich des Gebots der Normenwahrheit mittlerweile auf die Abwehr einer „Verschleierung des wirklichen Regelungsgehalts“51 von Gesetzen. Der Grundsatz der Normenwahrheit stehe missverständlichen und irreführenden Normen entgegen, die beispielsweise über ihre Rechtsform bzw. über ihren normhierarchischen Rang täuschten.52 Gestützt auf das Rechtsstaatsprinzip hat das Bundesverfassungsgericht folglich eine inhaltliche Limitation des Gesetzgebers entwickelt, die diesem eine verschleiernde oder irreführende Gesetzesgestaltung untersagt. Das Gebot verbietet also eine Divergenz zwischen Normerwartung und Normgehalt.53 Es weist insoweit Momente des Vertrauensschutzes und der Folgerichtigkeit auf.54 Gesetzgeberischer Desinformation sind insoweit durch die Rechtsprechung explizit rechtsstaatliche Grenzen gesetzt.
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BVerfGE 17, 306, 318. Zum eigenständigen Gehalt der Normenwahrheit neben der Normenklarheit: Drüen, ZG 24 (2009), 60, 64 ff. Zur parallel anklingenden Herleitung aus dem Demokratieprinzip vgl.: Meyer, Der Staat 48 (2009), 278, 298 ff. Zur dogmatischen Begründung des Gebots der Normenklarheit als kognitiver Komplexitätskontrolle eingehend: Towfigh, Der Staat 48 (2009), 29, 38 ff., m.w.N. Zum Gebot der Normenwahrheit als Teil der Neuausrichtung bzw. Entwicklung eines verfassungsrechtlichen Konsistenzgebots: Bumke, Der Staat 49 (2010), 77, 87 ff. 50 Vgl. BVerfGE 107, 218, 256; BVerfGE 108, 1, 20: „Dem Gesetzgeber obliegt es, in eigener Verantwortung auf Grund offener parlamentarischer Willensbildung erkennbar zu bestimmen, welche Zwecke er verfolgen und in welchem Umfang er die Finanzierungsverantwortlichkeit der Gebührenschuldner einfordern will. Wählt der Gesetzgeber einen im Wortlaut eng begrenzten Gebührentatbestand, kann nicht geltend gemacht werden, er habe auch noch weitere, ungenannte Gebührenzwecke verfolgt. Zur Normenklarheit gehört auch Normenwahrheit.“ Ferner: BVerfG, NVwZ 2008, 1229, 1230; BVerwG, Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 160, S. 47; OVG Berlin, NVwZ-RR 2007, 2, 5; OVG Bautzen, LKV 2004, 364, 366; VGH Kassel, Urt. v. 15. 11. 2007, Az.: 8 UE 1584/05, juris, Rn. 42; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 322. 51 BVerfGE 118, 277, 366. 52 BVerfGE 114, 196, 236 f.: „Durch die Änderung darf keine missverständliche, irreführende Norm entstehen, deren Bezeichnung (Verordnung) und Kennzeichnung als Normsetzung auf Grund einer Ermächtigung […] zu ihrem tatsächlichen Rang (förmliches Gesetz) und den davon abhängigen Rechtsfolgen im Widerspruch steht. […] Ein solcher Rechtszustand wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Dass zur Normenklarheit auch Normenwahrheit gehört […], wirkt sich hier denkbar einfach aus: Überschrift und Einleitung eines Regelungswerkes müssen auch nach zahlreichen Änderungen noch halten, was sie versprechen.“ Diese Argumentationsfigur übernehmend: BVerwG, Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 49, S. 14. Gegen die Konstruktion der „subjektiven Kognition“ einer Täuschungsabsicht beim Gesetzgeber: Meyer, Der Staat 48 (2009), 278, 290. 53 Drüen, ZG 24 (2009), 60, 67 ff. 54 Bumke, Der Staat 49 (2010), 77, 91. 49
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Dass rechtsstaatliche Strukturen desinformativem Staatshandeln generell Grenzen setzen, ist zudem aus der Perspektive des Staatshaftungsrechts als rechtsstaatsprinzipieller Kerngewährleistung55 seit langem allgemein anerkannt. So ging bereits das Reichsgericht von einer Amtspflicht zur Erteilung richtiger und fachgemäßer Auskünfte aus.56 Auch der Bundesgerichtshof legt in ständiger Rechtsprechung eine Amtspflicht zu richtigen, klaren, unmissverständlichen, eindeutigen und vollständigen Auskünften unabhängig davon zugrunde, ob eine Verpflichtung zur Auskunft bestand.57 Diese Wahrheitsverpflichtung staatlichen Informationshandelns bestehe dabei auch „im Interesse der Sauberkeit der Staatsverwaltung“58. Das Verbot irreführenden, verschleiernden oder manipulativen Staatshandelns ist aus rechtsstaatlicher Perspektive jedoch keine speziell auf den Gesetzgeber oder das Auskunftswesen zu beschränkende Maßgabe. Vielmehr liegt es nahe, die das Gebot der Normwahrheit wie der Auskunftswahrheit tragende rechtsstaatliche Aussage in gleicher Weise auf jegliches Staatshandeln auszuweiten und anzuwenden.59 Diesen Gedankengang nimmt Gertrude Lübbe-Wolff zutreffend vorweg, wenn sie in Auseinandersetzung mit dem Phänomen der symbolischen Gesetzgebung die Rechtswahrheit als rechtsstaatsprinzipielles Gebot entwickelt: „Mit der Funktion des Rechts, willkürfreie Ordnung zu stiften, ist der Einsatz des Rechts als Instrument der Täuschung nicht vereinbar. Der Rechtsstaat soll seine Bürger vor Betrug schützen, nicht aber sie selbst betrügen. Es liegt deshalb nahe, nicht nur Rechtsklarheit, sondern auch Rechtswahrheit […] als ein Gebot des Rechtsstaatsprinzips anzusehen.“60 Da indes normative Sätze nicht im eigentlichen Sinne wahrheitsfähig seien,61 müsse das Gebot der Rechtswahrheit als Verzicht auf die Instrumentalisierung des Rechts für falsche Suggestionen verstanden werden.62 Die Abwesenheit falscher Suggestionsgehalte des Rechts steht als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips somit grundsätzlich dem staatlichen Einsatz von Kompetenzen und Instrumenten zu Zwecken der Irreführung entgegen, wobei es unerheblich ist, ob es sich um Desinforma55 Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26, Rn. 88; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 222; Lücke, AöR 104 (1979), 225, 230 ff. 56 RGZ 146, 35, 40; RGZ 170, 129, 134 f. 57 BGHZ 155, 354, 357; BGH, NVwZ 2006, 245, 246; BGH, NJW 1970, 1414; BGH, NJW 1955, 97, 98; Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 839 BGB, Rn. 218; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 37, m.w.N. 58 BGH, NJW 1955, 97, 98. 59 Ähnlich: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 275 f. u. 260, die allgemein von einem Wahrhaftigkeitsschutz von Informationen ausgeht, ohne allerdings eine umfassende rechtsdogmatische Begründung desselben zu leisten. 60 Lübbe-Wolff, in: Hansjürgens/dies., Symbolische Umweltpolitik, 217, 231 f. Ähnlich: Kahlo, in: Festschrift E.A. Wolff, 153, 179 ff., der anknüpfend an Immanuel Kant von einem „für den Bestand des Rechts-Staats selbst grundlegenden Imperativs einer prinzipiell täuschungsfreien intersubjektiven Praxis“ (S. 185) ausgeht, welcher indes im Bereich des Gefahrenabwehrrechts Ausnahmen zugänglich sein soll. 61 Dazu: Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 117 ff. u. Rn. 584. 62 Lübbe-Wolff, in: Hansjürgens/dies., Symbolische Umweltpolitik, 217, 232.
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tion gegenüber dem Bürger oder gegenüber anderen staatlichen Stellen handelt. Staatliche Desinformation widerspricht in beiden Fällen gleichermaßen dieser rechtsstaatlichen Gewährleistung.
6. Striktes Desinformationsverbot? Es ist also deutlich geworden, dass das rechtsstaatliche Gebot der Rechtswahrheit desinformativem Staatshandeln grundsätzlich entgegen steht, indes ist damit noch nicht zugleich das absolute Verdikt der generellen Verfassungswidrigkeit statuiert. Zwar spricht die Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip im Hinblick auf die elementaren von Desinformation betroffenen Verfassungswerte für die Annahme eines Totalverbots.63 Anknüpfend an Immanuel Kant ließe sich auch darauf abstellen, dass gerade das Recht die „formale Pflicht des Menschen gegen jeden“64 zur Wahrhaftigkeit enthalte, so dass eine Täuschung stets „der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht“65, schade.66 Auch lässt sich mit David Lewis als Vorraussetzung jeder sprachlichen Kommunikation das gegenseitige Vertrauen in Wahrhaftigkeit als die Sprechergemeinschaft konstituierendes Merkmal statuieren, so dass Desinformation die Vertrauensgrundlage der Sprechergemeinschaft und damit zugleich eine Grundlage des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes unzulässig unterminieren würde.67 In Richtung eines solchen Totalverbots von Desinformation weisen bei wörtlichem Verständnis auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Glykol-Entscheidung.68 Jedoch zeigt sich parallel zur grundrechtlichen Perspektive,69 dass richtigerweise in eng begrenzten Ausnahmefällen aus dem Gedanken kollidierenden Verfassungsrechts eine Relativierung des grundsätzlichen Wahrheitsgebots konstruierbar erscheint. Auch hat Matthias Jestaedt verfassungstheoretisch darauf hingewiesen, dass Nicht-Öffentlichkeit, Vertraulichkeit und Geheimhaltung in freiheitlichen De63 So im Ansatz: Saxer, JöR 58 (2010), 209, 228 ff., der staatlicher Propaganda, Indoktrination, Irreführung sowie Falschmeldung gemessen an schweizerischen Maßstäben – speziell unter Verweis auf das schweizerische Leitbild der Konferenz der Informationsdienste von Bundesrat und Bundesverwaltung – generalisiert ein rechtfertigendes öffentliches Interesse abspricht. 64 Immanuel Kant, Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen, Werke VIII, 637, 638. 65 Immanuel Kant, Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen, Werke VIII, 637, 638. 66 Dazu: Kahlo, in: Festschrift E.A. Wolff, 153, 179 ff.; Preis/Bender, in: Depenheuer, Recht und Lüge, 57. 67 Lewis, Philosophical Papers I, S. 169; Rott, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 7, 24 f. Gegenläufig indes die Ergebnisse der Mikrosoziologie: Hettlage, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 69, 74 ff. 68 BVerfGE 105, 252, 272 f.; vgl. dazu bereits unter D. II. 1. 69 Vgl. dazu die Darstellungen unter D. II. 1.
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mokratien zwar die Abweichung von der Regel bedeuten, indes nicht schlechthin unstatthaft, sondern lediglich rechtfertigungsbedürftig sind.70 Diese Analyse lässt sich der Sache nach auf staatliches Desinformationshandeln übertragen, welches in vergleichbarer Weise demokratische und rechtsstaatliche Elemente zu Lasten der Öffentlichkeit tangiert. Die verfassungstheoretische Grundierung eines Regel-Ausnahme-Gefälles findet dann ihren konkreten verfassungsrechtlichen Ausdruck in der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtswahrheit einerseits und kollidierendem Verfassungsrecht andererseits. Im Bereich völkerrechtlich relevanten Handelns ist eine solche Konkordanzentscheidung für ein sehr spezielles Feld potentieller Desinformationsmaßnahmen verfassungsunmittelbar normiert, und zwar durch die Ausgestaltung des Friedensgebots in Art. 26 Abs. 1 GG. Nach dieser Vorschrift sind Handlungen verfassungswidrig, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Zwar wird der Anwendungsbereich der Vorschrift angesichts der Strafbarkeitsfolge und des weiten Adressatenkreises eng ausgelegt, so dass nur solche Handlungen erfasst sein sollen, die in ihrer Qualität der Vorbereitung eines Angriffskrieges vergleichbar sind.71 Kriegspropaganda zur Vorbereitung eines Angriffskrieges, die sich typischerweise auch desinformativer Gehalte bedienen kann, ist nach dieser Vorschrift jedoch nach allgemeiner Ansicht als Handlung anzusehen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stört, und damit verfassungsrechtlich für staatliche Stellen wie Private gleichermaßen untersagt.72 Im Übrigen ist die Rechtmäßigkeit staatlichen Desinformationshandelns davon abhängig, inwieweit dieses sich durch praktische Konkordanzerwägungen rechtfertigen lässt. Dies erfordert nach allgemeinen Maßstäben eine Abwägung zwischen dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtswahrheit auf der einen und den kollidierenden verfassungsrechtlichen Belangen auf der anderen Seite. Im Rahmen dieser Konkordanzentscheidung wird allerdings der Gesichtspunkt des durch Desinformation bewusst hintergangenen Vertrauens der Öffentlichkeit regelmäßig ein Überwiegen des Gebots der Rechtswahrheit bewirken und damit ein Desinformationsverbot begründen. Der Missbrauch und die Enttäuschung von Vertrauensgrundlagen der Bürger berühren grundlegend die Einstellung der Bürger gegenüber dem Staat und können insoweit die Grundlagen legitimer Staatlichkeit tiefgreifend untergraben.73 Dies gilt umso mehr, wenn man unter Rekurs auf materiale Aufklärungsprinzipien den präzeptoralen Staat als Instrument zur Durchsetzung 70
Jestaedt, AöR 126 (2001), 204, 220. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 26, Rn. 3, m.w.N. 72 Dazu: Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 26 [46. Lfg. 2006], Rn. 34, m.w.N. 73 Dieser Aspekt kumuliert zu einem gewissen Grad mit dem demokratieprinzipiellen Problem der geboten staatlichen Öffentlichkeitsarbeit zwecks Erhaltung eines demokratischverfassungsstaatlichen Grundkonsenses (vgl. dazu bereits unter F. IV.). Diesbezüglich wurde indes schon deutlich, dass demokratieprinzipielle Vorgaben nur bei unmittelbarem Bezug auf Legitimationsstrukturen greifen, so dass die vorliegend thematisierten rechtsstaatlichen Vorgaben umfassender wirken. 71
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von Rationalität sieht, der mit ausgewählten Informationen den Bürgern ein „Bündnis gegen die verselbstständigten Großsysteme der Gesellschaft“ anbietet.74 Ein derartig hergeleitetes „Bündnis“ würde durch den Einsatz von Desinformation aufgekündigt – der desinformierende Staat enttäuscht die kognitiven und sekurativen Bedürfnisse der Bürger. Denn mag der Staat bei seiner Wissensgenerierung, beispielsweise im Rahmen von Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen, auch die Gefahr unwahrhaftiger Informationen seitens der Bürger implizit einkalkulieren, so gilt dies nicht spiegelbildlich für staatliche Informationstätigkeit, welcher regelmäßig von den Bürgern ein besonderes Vertrauen entgegengebracht werde.75 Vergleichbare Annahmen liegen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, wenn in der Glykol-Entscheidung betont wird, „wie wichtig öffentlich zugängliche, mit der Autorität der Regierung versehene Informationen sind“76 und für den Fall des Unterbleibens die Gefahr von Legitimationsverlusten beschworen wird. Wiewohl die vorgenannten Überlegungen das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern zum Gegenstand haben, lässt sich der zugrunde liegende Konflikt in gleicher Weise für intrastaatliche Verhältnisse formulieren: Auch soweit sich staatliche Stellen untereinander informieren, wird regelmäßig ein besonderes Vertrauen bestehen bzw. im Rahmen des kooperativen Föderalismus in Anspruch genommen, so dass auch für diese Ebene desinformativen Handelns regelmäßig ein besonderer Vertrauensbruch besteht. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Annahme eines besonderen Vertrauens in staatliche Äußerungen – speziell auf Seiten der Bürger – nicht empirisch belegt ist. Gegenläufig kann ebenso die Vermutung geäußert werden, dass durchaus ein verbreiteter Skeptizismus gegenüber Regierungsverlautbarungen („Die Renten sind sicher“) besteht, der sich nicht nur aus Erfahrungen totalitärer Regimes speist, und insoweit die tatsächliche Vertrauensgrundlage vielfach zweifelhaft sein mag.77 Insoweit ist zu erwägen, dass faktisch die Intensität des Vertrauens innerhalb des Spektrums möglicher Desinformationsformen nach Maßgabe des entwickelten Finalitätskriteriums ausdifferenziert sein könnte:78 final auf Verhaltenslenkung gerichtete Desinformation wird strukturell regelmäßig in intensiverer Weise auf Vertrauenserwartungen treffen und diese konkret-individuell ausnutzen, als dies im Fall der Desinformation zwecks Beeinflussung der allgemeinen öffentlichen Meinungsbildung mit größerem 74 Vgl.: Di Fabio, JZ 1993, 689, 690 ff., unter Rekurs auf die systemtheoretische Analyse des „präzeptoralen Staates“, als welchen er in Abkehr von herkömmlicher Begriffsverwendung nicht lediglich belehrend-totalitäre Staaten, sondern jeden informierenden, ermahnenden und warnenden Staat fassen möchte. 75 So wohl: Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 260 u. 276, wobei auf keine empirische Fundierung dieser Annahme hingewiesen wird. 76 BVerfGE 105, 252, 269 f. [kursive Hervorhebung durch den Verf.]. Zur Inanspruchnahme staatlicher Autorität als Element der Warntätigkeit: Heintzen, VerwArch 81 (1990), 532, 547 f.; Schoch, in: HStR III, § 37, Rn. 56. 77 Spiecker gen. Döhmann, RW 1 (2010), 247, 276, Fn. 129, die die Gefahr beschreibt, dass infolge der eingeschränkten Richtigkeitsgewähr nach dem VIG künftig das Vertrauen in die Verlässlichkeit staatlicher Informationen sinken kann. 78 Vgl. dazu unter C. II.
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Skeptizismus und einer ggf. gegenläufigen öffentlichen Debatte gegeben sein wird. Richtigerweise wird man jedenfalls ohne eingehende empirische Untersuchungen lediglich festhalten können, dass staatliche Stellen im Rahmen von Desinformationshandeln gesteigertes Vertrauen in Anspruch nehmen wollen – inwieweit dieses tatsächlich gewährt wird und nur dann potentiell enttäuscht werden kann, hängt demgegenüber maßgeblich von dem konkreten Kontext und den Informationsverarbeitungsbedingungen auf Seiten der jeweiligen Adressaten ab.79 Diese konkreten Bedingungen entscheiden sodann maßgeblich über die Gewichtigkeit des Vertrauensschutzes durch das Gebot der Rechtswahrheit in der Abwägung gegenüber kollidierenden widerstreitenden Interessen. Diese aufgezeigte Unsicherheit führt dabei deutlich vor Augen, dass im Rahmen der Abwägung jeweils präzise zu ermitteln ist, mit welchem Gewicht die konkret widerstreitenden Belange zu veranschlagen sind. So ist es durchaus vorstellbar, dass im Gesamtzusammenhang einer Desinformationsmaßnahme der Grundsatz der Rechtswahrheit marginalisiert wird, weil etwaiges Vertrauen der Bürger oder anderweitiger (Des-)Informationsempfänger kaum besteht oder nur geringfügig betroffen ist. Als Beispiel kann auf die Ausgangssituation beim Verbot von Radarfallenwarnungen hingewiesen werden: Der Eingriff in die Warnung vor staatlichen Geschwindigkeitsmessungen durch Dritte tangiert mangels diesbezüglichem Erwartungshorizont allenfalls in sehr geringfügiger Weise die Vertrauenserwartung der Öffentlichkeit in die Gewährleistung derartiger Informationen. Andererseits wird für die weit überwiegende Zahl denkbarer Desinformationskonstellationen der Vertrauensschutzgesichtspunkt durch das Gebot der Rechtswahrheit als rechtsstaatlicher Grunderwartung deutlich überwiegen, so dass sich für weite Bereiche generalisierte Aussagen treffen lassen: Beispielsweise hat Bardo Fassbender zu Recht herausgestellt, dass eine Archivbzw. Geschichtsfälschung durch staatliche Organe motivunabhängig mit rechtsstaatlichem Selbstverständnis unvereinbar sei.80 Neben der Gewichtung des Gebots der Rechtswahrheit im konkreten Fall können gegenläufig auch jene Abwägungsgesichtspunkte, die eine Desinformation rechtfertigen, derart gewichtig sein, dass aus diesem Grund das Interesse der Rechtswahrheit zurücktritt: Dies dürfte in Ausnahmefällen bei staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, beispielsweise in Geiselnahmekonstellationen oder bei der anderweitigen Rettung von Menschenleben,81 anzunehmen sein. Im Fall kriegerischer oder terroristischer Bedrohung des Staates, die dessen Bestand als solchen in Frage stellen, wird ebenso ein Zurücktreten des Gebots der Rechtswahrheit als Abwägungsergebnis möglich sein. 79 Vgl. zu dieser Einschränkung beispielhaft die ausdifferenzierte Literatur zu irreführenden Angaben und irreführender Werbung gem. § 5 UWG: Bornkamm, in: Köhler/ders., UWG, § 5, Rn. 2.64 ff.; Piper, in: ders./Ohly, UWG, § 5, Rn. 114 ff. 80 Fassbender, in: HStR IV, § 76, Rn. 85. 81 So auch: Schroeder, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 151, 165, in Abgrenzung zum Fall der bloß repressiven Verfolgung von Straftaten.
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Zu weitgehend dürfte demgegenüber eine Argumentation sein, die Desinformation schon erlaubte, um seitens des Staates eine „Schauseite der Organisation“82, also die Darstellung staatlicher Entscheidung und Entscheidungsfindung als rationales, in sich widerspruchsfreies und gemeinwohlbezogenes Handeln, herzustellen. Zwar lässt sich systemtheoretisch betrachtet die Sicherung der Identität, Kontinuität und Stabilität eines Systems durch Ausschluss von Kontingenzhinweisen erreichen, doch rechtfertigt dies in rechtsstaatlichen Systemen allenfalls Einschränkungen der Transparenz im Sinne von gezielter Nicht-Öffentlichkeit,83 keinesfalls indes desinformative Manipulation als über das Ziel hinausgehenden Übergriff.
II. Vorbehalt des Gesetzes für Desinformationshandeln Soweit durch die Rechtsstaatlichkeit also staatliches Desinformationshandeln nicht generell, sondern lediglich grundsätzlich versagt ist, folgt gegenwärtig eine tiefgreifende Beschränkung für derartige Maßnahmen indes aus dem Vorbehalt des Gesetzes.
1. Rechtsstaatlicher Vorbehalt des Gesetzes Unabhängig von der grundrechtlichen Begründung des Gesetzesvorbehalts für staatliche Desinformationsmaßnahmen ist generell der rechtsstaatlich fundierte allgemeine Vorbehalt des Gesetzes zu beachten. Der Rekurs auf den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes bietet im Übrigen den Vorteil, dass dessen Vorgaben im Bereich privatisierten Staatshandelns unabhängig von der problematischen Grundrechtsbindung eine einheitlich-umfassende rechtliche Handhabe staatlicher Desinformation eröffnet.84 Durch den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes ist – unabhängig von des82 Luhmann, Funktionen und Folgen sozialer Organisation, S. 112: „Die formale Organisation bildet also die Schauseite der Organisation. Für Nichtmitglieder wird keineswegs das ganze System faktischen Verhaltens sichtbar gemacht, vielmehr nur eine begrenzte, idealisierte, zusammenstimmende Auswahl von Themen, Symbolen und Erwartungen, die den Leitfaden für die Situationsdefinition geben, wenn Nichtmitglieder anwesend sind oder sonst Einblick nehmen können.“ 83 Jestaedt, AöR 126 (2001), 204, 234 ff. Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob – wie von Matthias Jestaedt angenommen – fehlende Hinweise auf andere Entscheidungsmöglichkeiten tatsächlich zu den Voraussetzungen zu zählen sind, damit eine Entscheidung als richtig und verbindlich begriffen wird, da sich beispielsweise planerische Abwägungen intensiv und transparent mit alternativen Ausgestaltungsmöglichkeiten auseinandersetzen und gerade durch diese Kontingenzhinweise Akzeptanz befördern sollen (vgl.: Krautzberger, in: Battis/ders./ Löhr, BauGB, § 1, Rn. 117a; BVerwG, NVwZ-RR 1996, 68 f.). 84 Vgl. zum Begriff „staatlicher Information“ vor dem Hintergrund der parallelen Verfügbarkeit bei privaten Stellen: Hornung, in: Towfigh/u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 75, 79.
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sen uneinheitlicher Herleitung aus Art. 20 Abs. 3 GG, dem Rechtsstaatsprinzip und/ oder dem Demokratieprinzip85 – nach Maßgabe der Wesentlichkeitstheorie zu fordern, „dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss“86. Neben der Existenz einer gesetzlichen Grundlage folgen also zugleich materiell-inhaltliche Anforderungen aus dem Vorbehalt des Gesetzes, wobei die Anforderungen und die Handhabe der Wesentlichkeitstheorie zu Recht als unscharf kritisiert werden:87 So stellt das Bundesverfassungsgericht maßgebend „auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands“88 ab und gewinnt die Wertungskriterien anhand der tragenden Prinzipien des Grundgesetzes. Indes dürfte angesichts der genannten grundrechtlichen, demokratietheoretischen und rechtsstaatlichen Implikationen von Desinformationstätigkeit für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand außer Frage stehen, dass das Erfordernis einer parlamentarisch verantworteten Grundlage „wesentlich“ gefordert ist: staatliche Desinformation weicht von tragenden Grundsätzen und Erwartungen der Öffentlichkeit wie der konkreten Adressaten ab. Zudem können potentiell derartig weitreichende Instrumentarien „nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive“89 ohne parlamentarisch verantwortete Vorgaben überlassen bleiben. Damit ist als rechtsstaatliche Vorgabe für staatliche Desinformationstätigkeit aus dem Vorbehalt des Gesetzes das Erfordernis einer Rechtsgrundlage abzuleiten. Gegenwärtig findet sich indes für staatliche Akteure keine spezifische Rechtsgrundlage, die als Rechtsfolge ausdrücklich die Kommunikation unwahrhaftiger Inhalte ermöglicht.
2. Reduktion des Anwendungsbereichs bei Informationshandeln? Soweit sich im Anschluss an die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwägen ließe, eine Reduktion des Anwendungsbereichs des Vorbehalts des Gesetzes unter Übertragung des angeführten Argumentes mangelnder Vorhersehbarkeit der Folgen staatlichen Informationshandelns vorzunehmen,90 überzeugt dies für staatliches Desinformationshandeln – wie bereits ausgeführt91 – nicht. 85 BVerfGE 40, 237, 248 f.; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 46; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 105 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 273. 86 BVerfGE 84, 212, 226; BVerfGE 49, 89, 126; BVerfGE 101, 1, 34; BVerfGE 116, 24, 58. 87 Reimer, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 9 Rdnr. 57 ff.; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 171 ff.; Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 147 f. 88 BVerfGE 98, 218, 251. 89 BVerfGE 83, 130, 142; BVerfGE 116, 24, 58. 90 BVerfGE 105, 279, 304 f. 91 s. o. unter D. II. 2.
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Es begegnet bereits grundsätzlichen Bedenken, rechtsstaatliche Anforderungen durch gesetzgeberbezogene Subjektivierungen zu lockern, zumal eine gesetzliche Grundlage richtigerweise nicht die unvorhersehbaren Folgen, sondern das behördliche Handeln gestatten muss.92 Zwar ist auch Desinformationshandeln mindestens ebenso wie herkömmliche Verwaltungsinformationen in seinen unüberschaubaren Wirkungen regelmäßig nur Teil eines Komplexes unterschiedlicher Verhaltensweisen vieler Beteiligter, die sich weniger durch unmittelbare Gesetzesimperative als vielmehr vorrangig indirekt und mittelbar beeinflussen lassen.93 Dies bringt es mit sich, dass auch die staatliche Informationstätigkeit in Ermangelung von definierbaren „erwartungsbildenden Mustern“ des Bürgerverhaltens ihrerseits als Handlungsprogramm diffus wird und die einheitsbildende Kraft des Gesetzes in Frage gestellt ist.94 Solche Bedenken gewinnen noch an Bedeutung, wenn verhaltensökonomische und psychologische Untersuchungen reflektiert werden, wonach systematische Fehler bei der Informationsverarbeitung (als sog. Anomalien) durch bewusste Gestaltung des Informationsrahmens manipulativ verwendet und auf diesem Wege eindrückliche Veränderungen im Entscheidungsverhalten bewirkt werden können.95 Derartige Schranken materiell-rechtlicher Determinierbarkeit betreffen indes weniger die generelle Möglichkeit, etwas gesetzlich zu normieren, als vielmehr die Bestimmtheitsanforderungen an das Gesetz.96 Die eingeschränkte oder fehlende Normierbarkeit von Tatbestand oder Rechtsfolge einer Rechtsgrundlage infolge komplexer Ursache-Wirkungs-Ketten rechtfertigt allenfalls das Absenken von Bestimmtheitsanforderungen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie und steht jedenfalls der Normierung einer Generalklausel nicht entgegen.97 Deshalb ist richtigerweise uneingeschränkt am rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes auch für staatliches Desinformationshandeln festzuhalten.
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Klement, DÖV 2005, 507, 511 f. Schulze-Fielitz, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 135, 145. 94 Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 157; Schulze-Fielitz, in: Trute/Groß/ Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 135, 145. 95 Van Aaken, in: Spiecker gen. Döhmann/Collin, Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 318, 324 f., die als anschauliches Beispiel auf die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff bei unterschiedlicher Darstellungen der Risiken mittels Überlebenschance oder mittels Sterberate hinweist; Jou/Shanteau/Harris, Memory & Cognition 24 (1996), 1, 9. 96 Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 156. 97 Klement, DÖV 2005, 507, 513 f. Zu dem Problem, dass eine ausdrückliche Desinformationsrechtsgrundlage möglicherweise dysfunktional sein könnte, vgl. im Folgenden unter G. II. 5. 93
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3. Desinformation kraft polizeirechtlicher Generalklausel? Da folglich für staatliche Desinformationstätigkeit das Erfordernis einer gesetzlichen Rechtsgrundlage besteht, stellt sich die Frage, ob derartige Maßnahmen bereits durch eine gesetzliche Generalklausel rechtsstaatlich legalisiert werden können oder ob es spezieller bereichsspezifischer Rechtsgrundlagen bedarf. Auch diesbezüglich ergeben sich aus der Wesentlichkeitstheorie zwei korrespondierende Anforderungen: zum einen das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer Generalklausel, zum anderen das Gebot, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht fordert diesbezüglich, dass der Gesetzgeber Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen hat.98 Der Bestimmtheitsgrundsatz „soll sicherstellen, dass die gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können; ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann“.99 Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm dienen also insbesondere dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen, sowie die Gerichte in die Lage zu versetzen, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe kontrollieren zu können.100 Angesichts dieser hohen Anforderungen erscheint es als sehr zweifelhaft, dass staatliche Desinformationsmaßnahmen auf Grundlage einer herkömmlichen polizeirechtlichen Generalklausel rechtmäßig ergehen können.101 Zunächst ist auf die strukturelle Nähe von vielen Desinformationsformen, beispielsweise Fällen der Archivfälschung oder der bewusst unzutreffenden Individualauskunft, zu Datenverarbeitungsmaßnahmen hinzuweisen, für welche das Erfordernis bereichsspezifischer Rechts-
98 BVerfGE 100, 313, 359 f. u. 372; BVerfGE 110, 33, 53; BVerfGE 113, 348, 375; BVerfG, NJW 2007, 2464, 2466; BVerfG, NJW 2008, 822, 828. 99 BVerfG, NJW 2007, 2464, 2466; BVerfGE 110, 33, 52 ff.; BVerfGE 113, 348, 375 ff. 100 BVerfGE 56, 1, 12; BVerfGE 110, 33, 54 f.; BVerfGE 113, 348, 376 f.; BVerfG, NJW 2007, 2464, 2466. 101 Sehr weitgehend fordern Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 7, Rn. 18 ff., bereits eine spezifische Standardmaßnahme, sobald das Handeln der Polizei den atypischen Bereich verlassen habe und häufig praktiziert werde. Dagegen: BVerwGE 129, 142, 149 f.; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 515 f. Ähnlich: Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 57a, Fn. 195, der für staatliche Informationsakte mit Eingriffscharakter Generalklauseln als gesetzliche Grundlage nicht ausreichen lässt. Viel zu weitgehend demgegenüber: Vosgerau, AöR 133 (2008), 346, 371 f., welcher den Regelungsgehalt der Generalklauseln als „rein formell“ kennzeichnet und diesbezüglich für die Wesentlichkeitstheorie „von der Natur der Sache her“ keinen Raum eröffnet, um eine Durchbrechung des „Grundsatzes von der Mediatisierungsbedürftigkeit der Schutzpflicht“ konstruieren zu können.
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grundlagen praktisch allgemein anerkannt ist.102 Außerdem besteht bei staatlicher Desinformationstätigkeit häufig – vor allem bei Publikumsinformationen bzw. allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit – die Besonderheit, dass es sich um adressatenneutrale, das heißt nicht störeradressierte Maßnahmen handelt, denen deshalb durch die generalklauselartigen Begrenzungen der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit kaum Grenzen gezogen werden können. Die Intensität des Eingriffs einer staatlichen Maßnahme103 oder das Erfordernis einer gesetzgeberisch verantworteten Interessenabwägung104 sind zudem als Einbruchstellen für Begrenzungen der Generalklausel zugunsten der Notwendigkeit von Standardbefugnissen anerkannt.105 Die Normierung von Tatbestand und Rechtsfolge in einer allgemeinen polizeirechtlichen Generalklausel weist also für den speziellen Fall staatlicher Desinformationstätigkeit – ebenso wie für Informationsverarbeitung allgemein106 – keinen hinreichend begrenzenden bzw. steuernden Gehalt auf. Soweit in der Literatur darauf hingewiesen wird, die hinreichende Bestimmtheit der polizeirechtlichen Generalklauseln als solche sei anerkannt,107 mag dies übertragen auf Desinformationsmaßnahmen für den Tatbestand noch partiell zutreffen, da angesichts der vielfältigen Anwendungsfelder für staatliche Desinformation eine tatbestandlich-konkretere Normierung über die Anknüpfung an den allgemeinen Gefahrenbegriff hinaus kaum möglich erscheint – ein „erwartungsbildendes Muster“108 kann insoweit vom Gesetzgeber nicht definiert werden. Dies gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die Rechtsfolge. Vielmehr ist es durchaus vorstellbar, dass eine Norm nicht lediglich die „erforderlichen Maßnahmen“ eröffnet, sondern speziell zu unwahrhaftigen Informationen ermächtigt. Dabei könnte beispielsweise – vergleichbar 102 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 12, Rn. 7 ff. Zu den grundrechtlichen Anforderungen an Eingriffsgrundlagen im Datenschutz allgemein: Gurlit, NJW 2010, 1035, 1038 ff. 103 BVerwGE 129, 142, 150; VGH Mannheim, NJW 2005, 88, 89. 104 BVerwGE 115, 189; BVerwGE 10, 164, 165 f. 105 A.A.: Wißmann, Generalklauseln, S. 210 ff., der den Bezug zu Standardbestimmungen ablehnt und allein die isolierte Bestimmtheit als verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsmaßstab für Generalklauseln akzeptiert. Vgl. kritisch in diesem Zusammenhang auch: Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 503 ff., der unter Betonung der Allgemeinheit des Gesetzes eine Schwächung aller drei Gewalten und der rechtsstaatlichen Demokratie durch die Verlagerung in Spezialregelungen fürchtet (insbes. S. 515). 106 Folgerichtig weisen die Polizeigesetze insbesondere zur Wahrung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Zweckbindungsgebots diesbezüglich eigene Generalklauseln auf; vgl.: Wißmann, Generalklauseln, S. 197. 107 BVerfGE 54, 143, 144 f.; Butzer, VerwArch 93 (2002), 506, 521 f.; Pieroth/Schlink/ Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 7, Rn. 5; Wißmann, Generalklauseln, S. 228 ff., der lediglich historisch bedingt durch die Kombination von festgefügten dogmatischen Begriffen und durch die Rechtsprechung konkretisierten Fallgruppen die Bestimmtheit der allgemeinen polizeirechtlichen Generalklausel annimmt. Allgemein skeptisch gegenüber Generalklauseln aufgrund deren Unbestimmtheit und Missbrauchsgefahr: Wallkamm, Rechtstheorie 39 (2008), 507, 513 ff. 108 Ladeur/Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141, 157.
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der gestuften Vorgehensweise bei Produktwarnungen bzw. -rückrufverpflichtungen109 – ein gestuftes Vorgehen als Rechtsfolge normiert werden, welches die Desinformation einer unbegrenzten Öffentlichkeit mittels Publikumsinformation nur als ultima ratio ermöglicht und insoweit eine allgemeine Balancierung von Grundrechten und Allgemeinheit des Gesetzes leistet.110 Richtigerweise ist also davon auszugehen, dass Desinformation durch staatliche Stellen nur auf Grundlage einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage erfolgen darf, welche zumindest im Regelungsniveau der Rechtsfolge spezifisch die zu ergreifende Desinformationsmaßnahme eingrenzt. Diese rechtsstaatliche Anforderung führt dazu, dass die allgemeine polizeirechtliche Generalklausel als Rechtsgrundlage für desinformatives Handeln ausscheidet.
4. Desinformation kraft Staatsleitungs- und Regierungsfunktion? Es kann aus den gleichen Gründen dahinstehen, inwieweit es parallel zur Problematik bei herkömmlichen Publikumsinformationen im Rahmen der Staatsleitungsund Regierungsfunktion möglich ist, Art. 65 GG als Rechtsgrundlage für Desinformationstätigkeit der Bundesregierung heranzuziehen.111 Selbst die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ging lediglich davon aus, dass der Regierung die Befugnis zukomme, „gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen, ohne dass es insoweit für konkrete Maßnahmen mit Eingriffscharakter einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf“.112 Desinformationstätigkeit ist qualitativ jedoch nicht mit einfachen Empfehlungen oder Warnungen gleichzusetzen, sondern weist eine deutlich überschießende Eingriffsintensität aus, so dass sich die Befugnis zu derartigem Handeln nicht ohne Zynismus aus der generellen Staatsleitungs- bzw. Regierungsfunktion herleiten lässt. Jedenfalls die speziell für Desinformationstätigkeit erforderliche Regelungsdichte wird deshalb durch diesen Ansatz keinesfalls erreicht.
109
Vgl.: §§ 8 f. ProdSG. Dazu: Fluck/Sechting, DVBl 2004, 1392, 1398; Huber, ZLR 2004,
241 ff. 110
Zu dieser Balancierung: Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 508 ff. Zum umstrittenen Rekurs auf Art. 65 GG für Informationstätigkeit der Bundesregierung vgl.: Gusy, NJW 2000, 977, 980 f.; Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7, 48; jew. m.w.N. 112 BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270. Ähnlich: BVerwG, NVwZ 1994, 162 f. Jüngst nur noch für „mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen“ auf die Staatsleitungsfunktion rekurrierend: BVerfGE 105, 279, 303 f. In der parallel ergangenen Glykol-Entscheidung greift das Bundesverfassungsgericht demgegenüber – für sich betrachtet ebenfalls zweifelhaft – auf Art. 65 GG nur noch zurück, um die Zuständigkeit der Bundesregierung zu begründen, vgl.: BVerfGE 105, 252, 275. 111
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5. Erfordernis einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage Soweit also rechtsstaatlich generell eine besondere gesetzliche Grundlage für staatliche Desinformationstätigkeit gegeben sein muss, stellt sich praktisch bzw. (rechts-)politisch das Problem der Sinnhaftigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung. Bereits die Geltung einer Norm, die staatlichen Stellen unwahrhaftige Informationen gestattet, mindert unabhängig von ihrer Anwendung allein aufgrund ihrer Existenz die Glaubwürdigkeit des Staates und gibt Anlass zu grundsätzlichem Skeptizismus gegenüber staatlicher Öffentlichkeitsarbeit.113 In Anbetracht des Funktionszusammenhangs, dass staatliche Informationstätigkeit ihre bisherige überdurchschnittliche Bedeutung und ihren überdurchschnittlichen Wirkungsgrad zu einem Großteil dem Vertrauen in die Richtigkeit des Staatshandelns verdanken dürfte, kann sich deshalb der automatische Vertrauensverlust in seinen Folgen gravierender darstellen, als der Verzicht auf eine gesetzliche Befugnisnorm.114 Rechtspolitisch spricht deshalb einiges dafür, von der Normierung einer ausdrücklichen Desinformationsermächtigung abzusehen und damit auf die Möglichkeit rechtmäßiger Desinformation gänzlich zu verzichten. Dies gilt umso mehr, falls potentielle Desinformationsbefugnisnormen sogar einen expliziten Tatbestand aufweisen, da das Wissen um die konkrete Möglichkeit von Desinformation insoweit zusätzlich noch stark dysfunktional sein dürfte: Die Empfänger der Desinformation würden jegliche staatliche Äußerung, die unter objektivem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Desinformationsrechtsgrundlage ergehen, als potentielle Desinformation einordnen und in ihrem Gehalt zumindest stärker kritisch hinterfragen. Die Wirkung der Desinformation wäre also mindestens eingeschränkt, gegebenenfalls sogar gänzlich aufgehoben. Für den Fall der aktiven staatlichen Desinformation mittels Publikumsinformation oder durch eigeninitiierte Falschinformation von Einzelpersonen bzw. einzelnen Medien ist also eine gesetzliche Grundlage geboten, jedoch derzeit nicht gegeben, auch praktisch kaum realisierbar und zudem in ihren Wirkungen potentiell dysfunktional. Anders stellt sich demgegenüber die Rechtslage für Konstellationen der Desinformation durch Unterlassen dar: Wie bereits erörtert, kann von einer rechtlich relevanten Desinformation durch Unterlassen lediglich ausgegangen werden, wenn eine Ver113 Generell zu Wirkungen von Desinformation auf Vertrauensgrundlagen unter Berücksichtigung sprachphilosophischer Erkenntnisse durch David Lewis: Rott, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 7, 24 ff. Gegenläufig indes die Ergebnisse der Mikrosoziologie: Hettlage, in: Mayer, Kulturen der Lüge, 69, 74 ff. Zur Glaubwürdigkeit des Staates als Verfassungserwartung: Schmitt Glaeser, in: FS Bethge, 63, 66 ff. 114 Die generelle Relevanz derartiger Erwägungen für die staatliche Entscheidungsfindung bzw. Mittelwahl lässt sich für die Bundesrepublik historisch belegen. So haben beispielsweise seitens des LKA Baden-Württemberg im Jahr 1975 Befürchtungen eines erheblichen Vertrauensschwundes gegenüber dem Staat und seinen Institutionen den Rückgriff auf – vermutlich illegale – Desinformationsmaßnahmen verhindert; vgl. DER SPIEGEL, Heft 16/2009 v. 11. 04. 2009, S. 37.
II. Vorbehalt des Gesetzes für Desinformationshandeln
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pflichtung zu dem unterlassenen Handeln besteht.115 De facto verkehrt sich insoweit die Wirkung des Gesetzesvorbehalts um, da nur im Fall einer einfachgesetzlich oder verfassungsrechtlich normierten Pflicht zur Information ein desinformatives Unterlassen gegeben sein kann. Ausschließlich in letzteren Fällen bedürfte es dann einer spezifischen Desinformationsrechtsgrundlage. Aufgrund der rechtsstaatlichen Anforderungen ausdifferenzierter ist die Rechtslage im Spezialfall der staatlichen Desinformation durch Untersagung wahrer Tatsachenmitteilungen. Beispielhaft wird dies anhand von Verbotsverfügungen gegenüber Radarfallenwarnungen durch Privatpersonen am Straßenrand deutlich. Soweit angenommen wird, eine Verfügung, mittels derer einer natürlichen Person weitere Warnhinweise oder Störungen der Geschwindigkeitsmessungen verboten werden, könne sich auf die polizeirechtliche Generalklausel stützen,116 fehlt es nach vorstehend erörterten Grundlegungen an einer ausreichenden bereichsspezifischen Rechtsgrundlage: die Generalklausel als solche ermächtigt nicht zu desinformativem Staatshandeln in Form von Informationsverboten. Etwas anderes gilt demgegenüber in solchen Fällen, in welchen anstelle einer Verbotsverfügung ein Platzverweis bzw. ein Aufenthaltsverbot gegenüber dem Warnenden ergeht oder ein warnendes Plakat sichergestellt wird:117 In diesen Fällen besteht in den jeweiligen Polizeigesetzen eine spezielle Rechtsgrundlage, die als Rechtsfolge zu der konkreten umsetzenden Handlung in Form einer Standardmaßnahme ermächtigt, so dass dem Erfordernis des Gesetzesvorbehalts und der hinreichenden Bestimmtheit genügt wird.118 Eine vergleichbare Situation kann auch bei Untersagungs- bzw. Sperrungsverfügungen auf Grundlage des Rundfunkstaatsvertrags für Telemedienangebote bestehen.119 Soweit also die Unterdrückung wahrer Dritt-Informationen durch den Staat erfolgt, kann unter Umständen eine bereichsspezifische Rechtsgrundlage bestehen, wenn das konkret zur Unterdrückung erforderliche Handeln als spezielle Rechtsfolge einer Norm vorgesehen ist.
115
s. o. unter C. I. OVG Münster, NJW 1997, 1596; VG Saarlois, ZfSch 2004, 338 ff. Zur Radarwarnung durch den privaten Rundfunk: Meyer, NStZ 2004, 670 f. 117 Dazu: Hartmann, JuS 2008, 984, 985 ff. 118 Die Rechtmäßigkeit hängt im Übrigen maßgeblich davon ab, ob man ein polizeiliches Schutzgut als durch Radarwarnungen beeinträchtigt ansieht. Vgl. einerseits: Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 83; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 60; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8, Rn. 42. Andererseits: Bertrams, NWVBl 2003, 289, 292; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 4, Rn. 39. 119 § 59 Abs. 3 RStV. Vgl. dazu: Schulz, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, § 59 RStV, Rn. 43 ff.; Koreng, Zensur im Internet, S. 119 ff., m.w.N. Zu Zuständigkeitsfragen und Zweifeln an der Durchsetzung des Konzepts offener gesellschaftlicher Selbstregulierung bei Zuweisung an reguläre staatliche Aufsichtsbehörden vgl.: Lenski, in: Towfigh/u. a., Recht und Markt – Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, 97, 111; Holznagel/Ricke, MMR 2008, 18, 20. 116
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G. Rechtsstaatliche Bindungen
III. Zwischenergebnis Die rechtsstaatlichen Bindungen, denen staatliches Desinformationshandeln unterworfen ist, zeichnen sich also einerseits dadurch aus, dass sie unterschiedlose Geltung für denkbare staatliche Desinformationsmaßnahmen beanspruchen. Andererseits ist deutlich geworden, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip kein ausnahmslos-striktes, sondern lediglich ein grundsätzliches Verbot staatlicher Desinformation ergibt. Danach steht zwar im Regelfall der Grundsatz der Rechtswahrheit staatlichem Desinformationshandeln entgegen, soweit nicht ausnahmsweise kollidierendes Verfassungsrecht – beispielsweise eine staatliche Schutzpflicht – das Vertrauensinteresse der Öffentlichkeit überwiegt und auf diesem Weg staatliche Desinformation rechtfertigt. In jedem Fall unterliegt staatliches Desinformationshandeln jedoch dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes. Für die Rechtspraxis folgt aus diesem eine gravierende Einschränkung für staatliche Desinformationen. Zunächst existieren nämlich derzeit keine spezialgesetzlichen Ermächtigungen zugunsten des Staates, die explizit Unwahrhaftigkeit erlauben. In Ermangelung einer normspezifizierten Rechtsfolge scheidet auch die allgemeine polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel in Folge der Wesentlichkeitsrechtsprechung als Grundlage für staatliches Desinformationshandeln aus. Gegenwärtig darf seitens des Staates aus rechtsstaatlichen Gründen deshalb lediglich in zwei speziellen Konstellationen desinformiert werden: Dies gilt zum einen für die Fallgruppe der Desinformation durch Unterlassen, soweit es an einer verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Pflicht zur Information fehlt, da in diesen Fällen der desinformierenden Untätigkeit des Staates keine unmittelbare rechtliche Relevanz zukommt. Zum anderen kann der Staat in Konstellationen der Unterdrückung wahrer Informationen Dritter teilweise auf spezielle Rechtsgrundlagen zurückgreifen, die als Rechtsfolge die konkret als Desinformationsmittel zu wählende Handlung abdecken und deshalb dem Bestimmtheitsgebot bzw. der Wesentlichkeitsformel entsprechen.
H. Folgerungen Abschließend sollen im Folgenden die isoliert betrachteten verfassungsrechtlichen Vorgaben für staatliches Desinformationshandeln zusammengeführt werden, um eine ganzheitliche Perspektive auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Desinformation durch staatliche Organe zu gewinnen. Es ist deutlich geworden, dass das mögliche Spektrum für staatliche Desinformationsmaßnahmen sehr weit gefächert ist. Desinformation als Etablierung unwahrhaftiger Daten in Kommunikationszusammenhängen zum Zwecke der Verhaltens- oder Meinungsmanipulation kann vor allem in ihrem Anwendungsbereich nicht gegenständlich auf bestimmte Sektoren staatlichen Handelns beschränkt betrachtet werdet. Sie reicht von internationalen Desinformationsmaßnahmen gegenüber anderen Staaten und Gremien über intrastaatliche Desinformation zwischen Verfassungsorganen bis zur Desinformation des eigenen Staatsvolkes oder einzelner Bürger. Darüber hinaus kommt eine Vielzahl von Desinformationsmitteln in Betracht, die zudem sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen in Erscheinung treten können. Die verfassungsrechtliche Einordnung von Desinformationshandeln hat ergeben, dass sich desinformationelle Problemstellungen nicht durch den Rückgriff auf spezielle informationsrechtliche Rechtsfiguren und Regelungsansätze bewältigen lassen. So ist insbesondere die bundesverfassungsgerichtliche Sonderdogmatik zu öffentlichen Warnungen nicht übertragbar: Weder kann permissiv bei desinformationellem Handeln überzeugend eine Schutzbereichsbeschränkung konstruiert oder ein Grundrechtseingriff verneint werden. Noch überzeugt eine Übertragung des Ansatzes einer Reduktion des Gesetzesvorbehalts, da jedenfalls die Intention einer Desinformationsmaßnahme regelmäßig deren Status als „funktionales Äquivalent“ eines Grundrechtseingriffs begründet und mithin das herkömmliche grundrechtliche Abwehrprogramm greift. In Ermangelung spezieller Sonderdogmatik müssen die verfassungsrechtlichen Maßgaben für staatliche Desinformationstätigkeit demnach eigenständig aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen hergeleitet bzw. entwickelt werden. Es wurden deshalb grundrechtliche und grundfreiheitliche Bindungen ebenso wie aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip folgende Vorgaben analysiert. In der Gesamtschau ergibt sich daraus Folgendes: Ein striktes und generelles Verbot desinformativen Staatshandelns lässt sich verfassungsrechtlich nicht begründen. Zum einen kann der Grundrechtsordnung als solcher, auch unter spezieller Berücksichtigung der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG, kein absolut-generelles Verbot für staatliche Desinformation entnommen
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werden. Zwar stellen sich eine Vielzahl denkbarer Desinformationsmaßnahmen als Grundrechtseingriff (jenseits der Intensität einer Menschenwürdeverletzung) dar, jener kann jedoch potentiell durch Grundrechtsschranken bzw. kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Zum anderen gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip mit Art. 20 Abs. 3 GG eine umfassende Bindung staatlichen Handelns – über das Bürger-Staat-Verhältnis hinaus – an den Grundsatz der Rechtswahrheit, allerdings kann auch diese rechtsstaatliche Gewährleistung durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt sein. Ein moralisch begründbares Totalverbot der Desinformation ist also als Rechtserfordernis nicht anzuerkennen. Hingegen lassen sich aus der Zusammenschau zwei generelle Linien verfassungsrechtlicher Vorgaben für desinformatives Staatshandeln erkennen: Einerseits gibt es partiell strikte Desinformationsverbote für bestimmte Sachbereiche, andererseits setzt generell der Vorbehalt des Gesetzes in Verbindung mit den Anforderungen der Wesentlichkeitsformel verfassungsrechtliche Grenzen für staatliche Desinformation. Partielle Desinformationsverbote resultieren dabei aus unterschiedlichsten normativen Aussagen: Grundrechtlich folgen strikte Verbote einerseits aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, wenn der Bürger bloßes Objekt im Staate bzw. Objekt der Staatsgewalt ist, indem durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die dafür erforderliche Intensität wird desinformationsbezogen vornehmlich im Fall der Täuschung im Sinne von § 136a Abs. 1 StPO gegeben sein. Darüber hinaus folgt aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG ein striktes Verbot der Vorzensur, welche damit als Desinformationsmaßnahme generell illegal ist. Ein weiteres spezielles verfassungsrechtliches Desinformationsverbot resultiert aus Art. 26 Abs. 1 GG, wonach Desinformation im Rahmen von Kriegspropaganda als Handlung, die das friedliche Zusammenleben der Völker stört, für staatliche Stellen (ebenso wie für Private) strikt untersagt ist. Ferner setzen das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG bzw. dessen Konkretisierungen staatlicher Desinformation strikte Grenzen, sobald die staatlichen Maßnahmen final unmittelbar auf eine Manipulation der Willensbildung in Form von Wahlentscheidungen oder allgemein der öffentlichen Meinungsbildung abzielen. In diesen Fällen handelt es sich um einen staatlichen Übergriff in demokratische Legitimationsstrukturen, der durch das Demokratieprinzip untersagt ist. Ein weiteres striktes Desinformationsverbot resultiert aus den unionsrechtlichen Grundfreiheiten, die in ihrem Gewährleistungsbereich marktrelevanter Informationstätigkeit für etwaige Beschränkungen ein herkunftsbezogenes Neutralitätsgebot statuieren. Folglich können desinformative Produktinformationen, die sich gegen ausländische Produkte oder Unternehmer aufgrund deren Herkunft richten, in Ermangelung praktischer Rechtfertigungsmöglichkeiten nicht grundfreiheitskonform sein.
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Diese sektoralen Desinformationsverbote werden verfassungsrechtlich flankiert durch einen generellen Vorbehalt des Gesetzes für staatliches Desinformationshandeln. Selbiger ergibt sich allgemein aus dem rechtsstaatsprinzipiellen Grundsatz der Rechtswahrheit. Darüber hinaus wird ein – möglicherweise zusätzlich qualifizierter – Gesetzesvorbehalt im Fall eines Grundrechtseingriffs ausgelöst. Die verfassungsrechtlich determinierte Forderung einer gesetzlichen Grundlage für staatliches Desinformationshandeln führt in den praktischen Konsequenzen zu gravierenden Beschränkungen staatlicher Desinformationsoptionen. Denn derzeit existieren keine spezialgesetzlichen Ermächtigungen zugunsten des Staates, die diesem für bestimmte Fälle oder generalisiert für bestimmte Tätigkeitsbereiche explizit Desinformation erlauben. In Ermangelung einer normspezifizierten Rechtsfolge scheidet auch die allgemeine polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel in Folge der Wesentlichkeitsrechtsprechung als Grundlage für staatliches Desinformationshandeln aus. Gegenwärtig besteht eine rechtliche Befugnis zur Desinformation für staatliche Organe deshalb aus rechtsstaatlichen Gründen lediglich in zwei Konstellationen: Dies gilt zum einen für die Fallgruppe der Desinformation durch Unterlassen. Danach dürfen staatliche Organe eine unwahre Informationslage in Desinformationsabsicht aufrecht erhalten, soweit es an einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Pflicht zur Information fehlt, da in diesen Fällen der desinformierenden Untätigkeit des Staates keine unmittelbare rechtliche Relevanz zukommt. Zum anderen kann der Staat in Konstellationen der Unterdrückung wahrer Informationen Dritter teilweise auf spezielle Rechtsgrundlagen zurückgreifen, soweit deren Rechtsfolgen die konkret als Desinformationsmittel zu wählende Handlung abdecken und deshalb dem Bestimmtheitsgebot bzw. der Wesentlichkeitsformel entsprechen. Bei übergreifender Betrachtung dieser beiden dogmatischen Ansätze verfassungsrechtlicher Grenzen für staatliches Desinformationshandeln kommt man zu dem Ergebnis, dass derzeit ein weitgehender Ausschluss für rechtmäßige Desinformation durch staatliche Organe besteht. Der Vorbehalt des Gesetzes in Verbindung mit den partiellen strikten Desinformationsverboten bewirkt eine Reduzierung des Anwendungsbereichs für den Staat. Dieser Reduktion könnte allein durch eine spezialgesetzliche Ermächtigung zur Desinformation in nennenswertem Umfang entgegengewirkt werden. Gerade eine solche Desinformationsermächtigungsnorm dürfte jedoch – unabhängig von rechtspolitischer Opportunität – kaum zweckmäßig realisierbar sein. Denn es gilt zu beachten, dass die Wirkung staatlicher Informationstätigkeit – und damit auch deren „Missbrauch“ durch Falschinformation – ganz wesentlich auf dem spezifischen Vertrauen der Mitteilungsadressaten bzw. der Öffentlichkeit in die Wahrhaftigkeit staatlicher Informationen beruht. Gerade dieses Vertrauen würde indes durch eine Desinformationsnorm schwinden, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits mindert der Staat ganz allgemein seine Vertrauenswürdigkeit, wenn er sich zur rechtlichen Gestattung der Lüge entschließt. Andererseits wird auch in der konkreten Ausnahmesituation, der durch eine Desinformationsmaßnahme begegnet wer-
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den soll, durch das ostensibele Vorliegen der Normvoraussetzungen bei den Adressaten der Norm keinerlei Vertrauen in die konkreten staatlichen Informationen gegeben sein. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben schließen danach staatliches Desinformationshandeln nicht kategorisch aus, jedoch führen die vorhandenen verfassungsrechtlichen Hürden dazu, dass die geforderte gesetzliche Grundlage im Ergebnis dysfunktional wirkte. Angesichts dieses Befundes, der de facto einem rechtlichen Ausschluss von Desinformation nahe kommt, bleibt abschließend lediglich der defätistische Zweifel daran, dass die (verfassungs-)rechtlichen Bindungen in der Praxis als Kriterien überhaupt wahrgenommen werden. Es bleibt zwar zu hoffen, dass auch für diesen Bereich eine Steuerungswirkung des Rechts entfaltet wird. Allerdings äußerte bereits Ernst Rudolf Huber bezüglich der rechtlichen Einhegung staatlicher Desinformation im Fall der sog. „Emser Depesche“ – wenn auch mit anderer Intention und in anderer Hinsicht – erhebliche Zweifel an der praktischen Bedeutung des Rechts als Maßstab: „Vielleicht war es diplomatisch klug und politisch notwendig, dass Bismarck in der gegebenen Situation die Entscheidung für den Krieg eigenmächtig herbeiführte. Die These, daß sein Vorgehen auch staatsrechtlich legitim gewesen sei, ist unhaltbar.“1 Und es gibt nur wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich diesbezüglich die Durchsetzung rechtlicher Vorgaben gegenüber anderen Handlungsrationalitäten bzw. -logiken gesteigert hat.
1
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Sachwortverzeichnis Abschottung – informationelle 16 Abstimmungen 70 Abwehranspruch 13 Abwehrfunktion – der Grundrechte 13, 41 Aktenbestand 30 – Manipulation eines 39, 45 Akteure 35 Akteursrolle 17 Amtseid 78 Amtshilfe 81 Amtspflicht – zur Erteilung richtiger Auskünfte 85 Angriffskrieg 87 Anomalie 57, 92 Anonymität 33 Apple and Pear Development Council 67 Archivfälschung 30, 45, 89 Aufenthaltsverbot 97 Autonomieschutz 80 Autorität 88 Berichtigungsanspruch 15 Berufsfreiheit 48 Beschlagnahme 48 Beschuldigtenvernehmung 88 Bestimmtheit 93 f. Bestimmtheitsanforderungen 92 Betrug 14 Beweiswürdigung 14 Bundeskanzler 37 Bundestreue 81, 83 Buy Irish 67 Cassis-Rechtsprechung CIA 34 Dassonville-Formel Daten 22 f. Datenschutz 25
67
68
Demokratie 70 – gelenkte 71 Demokratiebegriffe 69 Demokratieprinzip 69, 100 Desinformation 13, 19, 72 – als intendierte Unwahrhaftigkeit 24 – als Negation von Information 22 – außenpolitische 36 – durch den Bürger 14 – durch Gesetz 39 – individuelle 37 – -sbegriff 26 – -szweck 15 – völkerrechtlich relevante 35 Desinformationshandlung 28 – durch aktives Tun 28 – durch Unterlassen 29, 96 Desinformationsmaßnahmen 38, 77 Desinformationsmittel 37 f. – Individualauskunft 38 – Massenkommunikation 37 – materielles Gesetz 38 Desinformationssubjekt 35 Desinformationsverbot – generelles 87, 99 Dimensionen des Informationsbegriffs 21 – pragmatische 21 – semantische 21 – syntaktische 21 – systemtheoretische 21 Direktwahl 72 Distanz – Gebot gesellschaftlicher 71 Drohung 59 Eingriffsintensität 59 Emser Depesche 36, 102 Entstehungsschutz – von Grundrechten 44 Ermächtigung – die Unwahrheit zu sagen
14
Sachwortverzeichnis Erwartungsbildende Muster EUZBBG 33 Exklusion 26
57
Fairness 80 Falschauskunft 49 Falschaussagen – des Bürgers 13 Falschinformation 19 Fehlinformation 82 – bewusste 73 Fiktion – gesetzliche 38 Finalität 31, 39, 75 Folgenvermeidung 18 Folgerichtigkeit 84 forum externum 61 forum internum 61 Friedensgebot 87 Gebot bundesfreundlichen Verhaltens 83 Gebot der Richtigkeit 53 – 55 Gebot der Sachlichkeit 53 Gegendarstellungsanspruch 32 Geheimdienst 19 Geheimhaltung 26, 86 Geheimnisschutz 30 Geistesfreiheit 43 f., 60 f., 63 Gemeinsamer Markt 66 Generalklausel 57, 92 – 94, 101 – polizeirechtliche 93 Gerechtigkeitselement – der Rechtsstaatlichkeit 77 Gerechtigkeitsvorstellungen – vorpositive 77 Geschwindigkeitsmessung 28 Gewährleistungsstaat 12 Gewährleistungsverantwortung – des Staates 18 Gewaltenteilung 81 Glykol-Entscheidung 18, 51 – 53, 86, 88 Governance 12 – Wissens- 17 Grundfreiheiten 66, 100 Grundkonsens 74 Grundrechtseingriff 48, 100 – funktionales Äquivalent 54 – 56 – mittelbarer 49
– unmittelbarer GSG-9 31
121 48
Handeln – tatsächliches 38 Handlungsfreiheit – allgemeine 48 Hauptstadtvotum 37 Hohenzollern 36 IFG 22 Individualauskunft 28, 38 f., 93 Indoktrination 32, 43 f. Information 26 – als Rohstoff 11 – amtliche 22 – Rechtspflicht zur 29 – Vorenthalten von 30 information overload 33, 35 Informationsabwehr 46 Informationsbegriff 11, 21 – der Informatik 21 – der Informationstheorie 21 – der Informationswissenschaft 21 – der Nachrichtentechnik 21 – der Philosophie 21 – der Semiotik 21 – Dimensionen des 21 – Legaldefinitionen des 23 Informationsbestand 11 Informationsflut 34 Informationsfreiheit 43 – 45 – negative 46 Informationsgesellschaft 11, 17 Informationsmittler 17 Informationsrechte – des Bundestags 33 Informationstätigkeit 56, 71 – staatliche 16, 71 – verhaltenssteuernde 50 Informationsverarbeitung 94 Informationsweitergabe 17 f. Ingerenz – Abwesenheit staatlicher 71 Inklusion 70 Intention 27, 41, 50 Irak 35 – -Krieg 37
122 JVA Celle
Sachwortverzeichnis 19
Kommunikation – verbale 38 Kommunikationsergebnis 23 Kommunikationsfreiheiten 42, 60 Kommunikationsprozess 23 Kommunikationsverhinderung 48 Kommunikationszusammenhang 24 Kriminalistische List 59 Kuwait 35 – Besetzung 35 Legitimation 69 f. – politischer Herrschaft – -sakte 73 – -sstrukturen 74 Lösegeld 32 Loyalität 83 Loyalitätsgebot 81 Lüge 27 – der Bürger 13
70
Macht 78 Manipulation 75, 82 – der öffentlichen Meinung 36 Manipulationsanfälligkeit 19 Marktrelevanz 67 Marktteilnehmer 66 Massenkommunikation 37 Massenpanik 32 Medienfreiheiten 47 Meinungsäußerungsfreiheit 42, 44 Meinungsbildung 72 – demokratische 74 – öffentliche 71, 73 Meinungsbildungsfreiheit 42, 44, 49 Meinungsbildungsprozess 71 – demokratischer 49 – öffentlicher 16, 32 Meinungsfreiheit 42, 59 – negative 43 Meinungsmitteilung 42 Menschenwürde 58, 99 Militär 19 Mitwirkungsrechte – des Bundestags 33 Moral 78
Neutralitätsgebot 13 – herkunftsbezogenes Normerwartung 84 Normgehalt 84 Normwahrheit – Grundsatz der 83
68
Oberbürgermeisterwahl – der Stadt Bad Homburg 1998 Objektformel 58 Offenbahrungspflicht 73 Öffentlichkeit 26, 70 – Nicht- 86 Öffentlichkeitsarbeit 50 Osho-Entscheidung 51 f., 55
38, 73
Persönlichkeitsrecht – allgemeines 48 Persönlichkeitsschutz 13 Plakatierung 38 Platzverweis 28, 49, 97 plausible deniability 34 f. Premierminister 37 Pressefreiheit 47 Preußen 36 Produktinformationen 100 Propaganda 19, 24, 32 – Kriegs- 32, 87, 100 Pseudonym 33 Publikumsinformation 16, 22, 28, 39, 49, 94 f. Quellen – allgemein zugängliche
45 f.
Radarfallenwarnung 89 Recht zur Lüge 14 Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen 53 Rechtfertigungsmöglichkeit – generelle 54 f. Rechtsgrundlage 57, 91, 93 – bereichsspezifische 93 – Dysfunktionalität einer 96 Rechtssicherheit 79 Rechtsstaat – demokratischer 19 Rechtsstaatsprinzip 76, 79, 83, 85, 98, 100
Sachwortverzeichnis Rechtswahrheit 87, 100 f. – Gebot der 85 f., 98 – in der Abwägung 89 Rechtverhältnisse – mehrpolige 51 Regierungshandeln 35 Regierungsverlautbarungen 88 Religionsfreiheit 48 Rentenversicherung 38 Richtigkeit 53, 66 Richtigkeitsgebot 13 Richtigkeitsgewährleistung 17 f. Rücksichtnahmeverpflichtung 82 rule of remoteness 67 Sachlichkeit 66 Schauseite der Organisation 90 Schutzbereich – normgeprägter 46 Schutzpflicht 89, 98 Schwarm-Effekte 33 Selbstbestimmung – demokratische 69 Sonderdogmatik 66, 99 Sonderrechtsverbot 62 Sperrerklärung 30 Sperrungsverfügungen 97 Staat – präzeptoraler 87 – totalitärer 19, 76 Staatshaftungsrecht 85 Staatsleitungs- und Regierungsfunktion Staatstheorie 16 Steuerungsmängel 17 Störsender 49 Suggestion – von Fehlvorstellungen 29 systemtheoretische Betrachtung 90 Tatsachen – Verschweigen von 73 Tatsachenbehauptung – unwahre 14, 62 Tatsachenmitteilungen – Untersagung wahrer 97 – wahre 42 Täuschung 59, 72, 100
123
Terrorismusabwehr 31, 75 Treu und Glauben 81 Übermaßverbot 68 UIG 22 Umweltinformation 22 Unterlassen – Kommunikation eines 30 Unterlassungsanspruch 15 Untersagungsverfügungen 97 Unwahrhaftigkeit 27, 78, 98 USA 35
95
V-Mann 19, 31 Verbotsverfügung 28, 49, 63 Verbrechensbekämpfung 75 Vereinigungsfreiheit 48 Vereinte Nationen 35 Verfassungsorgantreue 80 f. Verfassungsschutzbericht 56 Verhaltenslenkung 31 Verlässlichkeit 79 Vernehmungssituation 16 Vernetzung – globale 33 Versammlungsfreiheit 48 Verschweigen 29 2+4-Verträge 32 Vertrauen 79, 88 Vertrauensschutz 79 Vertrauensverlust 96 Vertraulichkeit 26, 86 Verwaltungshandeln 35 Vorbehalt des Gesetzes 53, 55 f., 90, 101 Vorfeldrecht 25 Vorfeldstrategie 34 Wahlbeeinflussung 73 – amtliche 73 Wahlen 70, 72 f., 100 Wählerbeeinflussung 72 Wahlfreiheit 72 Wahrhaftigkeit 24, 34, 51 Wahrheit 12, 26, 73 – -sbegriff 23 – -sgebot 86 – -smanipulation 72
124 Wahrheitspflicht – Befreiung von der 14 Wahrheitsprobleme 13 Wahrheitsverpflichtung 85 Warenverkehrsfreiheit 67 Weiterverbreitung 54 Weltsicherheitsrat 36 Wesentlichkeitstheorie 57, 91 Willensbildungsprozess 71 Wissensgesellschaft 11, 17
Sachwortverzeichnis Wissensstaat 11 Wunsiedel-Entscheidung
Zensur 28, 42, 63 – -begriff 64 – Vor- 48, 63, 100 Zensurverbot 63 f. Zeugenvernehmung 88 Zwang 59
44, 60, 62