Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt: Philosophische Arbeiten 9783110842845, 9783110025477


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German Pages 57 [60] Year 1970

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Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt: Philosophische Arbeiten
 9783110842845, 9783110025477

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Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgrflnfle der Mathematik nach den

ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt von

Dr. Nicolai Hartmann Privatdozent der Philosophie an der Universität zu Marburg

Gießen 1909 Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) Photomechanischer Nachdruck Walter de Gruyter & Co. Berlin 1969

Philosophische Arbeiten herausgegeben von Hermann Cohen

und

Paul Natorp

in Marburg

in Marburg

IV. Band

I.Heft

Archlv-Nr. 3012 601

1969 Walter de Gruyter & Co., Berlin vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J.Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Heimer · Karl J. Trübner · Veit 9)· Im Sinne der letzteren hei t es von der Mathematik, sie habe das εν, das πλή&ος, sowie πέρας und Άπειρον — nicht als Prinzipien empfangen — sondern sie sich selbst als Prinzipien vorangestellt (αρχάς προεοτήσατο). Es sind „die ihr eigent mlichen Grundlegungen", die sie sich selbst zu Prinzipien erhebt. Und eben diese sind es, die auch der νους von

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oben her f r sie gew hrleistet. In dieser Identit t des Endpunktes der einen mit dem Ausgangspunkt der anderen Methode liegt die Gew hr f r die Rechtm igkeit ihrer Zweiheit und Entgegengesetztheit. Denn so ist die Einheit in ihnen bereits fr her als die Zweiheit, d. h. sie stehen in Korrelation. Und am entgegengesetzten Ende der ganzen Problemlinie bildet das Urproblem, das ζητονμενον, eine ebenso feststehende Einheitr die sich gleich bleibt, wie weit auch sich die Grenze des wissenschaftlich Erkannten fort und fort verschieben mag. Die absteigende Methode, die von den Prinzipien des νους herkommt, l uft hier auf dasselbe unersch pfliche Bathos neuer und neuer Spezialfragen hinaus, von dem die aufsteigende ausging, um ber das μέσον der διάνοια zu den οικείοι υποπέσεις zu gelangen. Und weil die Endpunkte zusammenfallen, so fallen auch die einzelnen Stufen zusammen; d. h. auf jeder Stufe mu sich das προάγειν εις πλήθος inhaltlich decken mit dem σνμπτύοοειν des πλήφος (ig, 16); es ist das sich Decken der διάκρίσις mit der ενωσις. Auch hierin sehen wir also den alten Platonischen Gedanken gewahrt, nach welchem συναγωγή und διαίρεσις die fundamentalen, schlechterdings ohne einander nicht denkbaren Grundmomente des dialektischen Verfahrens sind. In dieser methodischen Korrelation sowie in der Identit t des Problemgehalts liegt die tiefgreifende Bedeutung der mathematischen Erkenntnisart f r die angrenzenden Erkenntnisgebiete. Proklus schildert diese Bedeutung nach echt neuplatonischer Auffassungsweise in etwas bertriebener Art, indem er sie auch direkt auf Politik, Ethik, Rhetorik, Theologie und Mystik sich erstrecken l t. Darin teilt er jenen Zug zur Vermengung der Probleme, der seinem Zeitalter eigen ist. Aber das darf uns nicht hindern, diejenige Einsch tzung der Mathematik ernst zu nehmen, die er f r die Naturwissenschaft einerseits und f r die eigentliche Philosophie andererseits geltend macht. Denn nach diesen beiden Richtungen ist die Beziehung eine direkte und in den mathematischen Problemen selbst unmittelbar enthaltene. Die beiden durchgehenden Methoden, wie sie sich im mathematischen Denken entfalten, sind nicht in den Grenzen dieses letzteren gebunden, sondern reichen mit ihren Endgliedern ber dasselbe hinaus — nach oben zu in das Gebiet der reinen Prinzipien, in die Philosophie im engeren Sinne hinein, und nach unten zu in das Gebiet des Daseins, oder der Natur. So besitzt die Mathematik jene hinf hrende und recht eigentlich prop deutische Bedeutung f r die Philosophie, wie sie von den Pytha-

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goreern und namentlich von Plato her Gemeingut der systematischen Philosophie geworden ist, und wie sie noch heute in dem Gedanken der Orientierung an der Mathematik als ein Grundzug der Logik dastehen d rfte. Die Mathematik enth lt den rechtm igen Zugang zur Dialektik der reinen Prinzipien. Denn sie weist berall auf diese als auf ihre ersten ΰπο&έσεις zur ck. Darin sollte gerade das erziehende προευτρεπίζειν und άνατείνειν bestehen. Denn die Dialektik ist der οριγχος των μασημάτων (42, Ιθ). Und ihre Bedeutung f r die Naturwissenschaft charakterisiert Proklus in echt Pythagoreischer Weise: sie ist es, welche die λόγων ευταξία aufdeckt, nach der das All erbaut ist (22, i8f.). In engem Anschlu an den „Tim us" l t er die Entstehung der Elemente άρι&μοΐς καΐ σχήμαοι (23, 5 f.) gesetzlich bestimmt sein, und wie diese, so auch die Bewegungen und das kosmische Geschehen berhaupt. Proklus rechnet in dieser Schlu weise die mathematisch verfahrenden Teile der Physik auch noch zur Mathematik; sie sind die Grenzgebiete der letzteren, ihre αποπερατώσεις. Und da nun die angewandte Mathematik doch blo ein Derivat der reinen ist, so schlie t er konsequent, da von Rechts wegen die Mathematik es ist, welche jene physikalischen Disziplinen „hervorgebracht hat": διό δη και εν τοις άποπερατώσεοιν εαυτής την τε μηχανικήν δλην προνβαλεν και την δπτικην και κατοπτρικην οεωρίαν .. (ig, 25f.). Das προβάλλειν bezeichnet immer das dialektische Hervorgehen-Lassen im Sinne der πρόοδος. Hier nun nimmt dieser Begriff einmal eine ganz einfache und durchsichtige Bedeutung an: das Angewandte geht aus dem Prinzipiellen hervor, das wissenschaftlich bestimmte Konkrete aus dem bestimmenden Raum. Dieses mu zugrundegelegt sein, wenn man den Weg aufw rts zu den ϋπο&έσεις machen sollte. So ist es als das Problem, oder wie Proklus sagt, als ζητούμενον die Voraussetzung f r dasjenige, was seine eigene, als des wissenschaftlich Bestimmten, Voraussetzung werden mu — wenn anders berhaupt sein Problem aus dem Zustande des ζητούμενον sich erheben soll zu dem eines προβαλλόμενον der reinen mathematischen Bestimmungen. So findet denn auch von hier aus die Korrelation der beiden Grundmethoden, wie Proklus sie fordert, ihre Begr ndung. — Die weiteren Bestimmungen, die ber den Erkenntnischarakter und besonders die Methode der Mathematik abzugeben w ren, sind in der Darstellung des Proklus vielfach verwischt, zum Teil fehlen sie ganz. In den bisher besprochenen

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Punkten hatte er die kraftvolle Vorg ngerschaft der Platonischen und neuplatonischen Philosophie vor Augen. Und da ist er auf seinem eigensten Gebiet; denn das gerade ist seine St rke, verstreute F den zu sammeln und zum System zusammenzuschlie en. Aber mehr ins einzelne war die Methodenforschung der Philosophie bei den positiven Wissenschaften nicht eingedrungen. Es h tte hier eben gegolten, entsprechend den Fortschritten der Mathematik selbst auch einen Anlauf in der Methodenforschung zu weiterem Vordringen zu machen. Proklus nun ist einem solchen freilich sehr nah. An manchen Erl uterungen zu den Einzelfragen, so zu den Axiomen und Aitemen Euklids (im 4. Buch des Kommentars) schl gt er neue Wege ein, die alten Grundmomente entsprechend differenzierend. Aber in dem allgemeinen Abrisse ber die Methoden am Schl sse des ersten Buches kommt dennoch mancher wichtige Punkt zu kurz, w hrend mancher andere Punkt, an dem weit weniger sachlich-wissenschaftliches Interesse h ngt, ausf hrlich behandelt wird. Wir k nnen gem unserer Aufgabe aus diesem Abschnitt nur das Wichtigste hervorholen, w hrend vieles f r sich genommen Interessante bergangen werden mu . Die Alten hatten die mathematischen Wissensgebiete in verschiedentlich abweichender Form zu klassifizieren gesucht. Zu den είδη της μαθηματικής wurden in der Regel auch die Gebiete der angewandten Mathematik gerechnet. Die Pythagoreer hatten in erster Linie die Wissenschaft vom ποσόν und die vom πηλίκον unterschieden; beide sind wiederum entweder κα&' αυτό oder κατ' άλλο, d. h. rein oder angewandt. Die Wissenschaft vom reinen ποσόν oder vom πλή&ος ist die Arithmetik, die vom reinen πηλίκον oder vom μέγε&ος — die Geometrie. Als angewandte Gebiete entsprechen ihnen Musik und Sph rik (35, 22—36, 7). Mit geringer Abweichung hiervon ist von Geminus die Zweiteilung des αίσ·&ητόν und νοητόν vorangestellt worden. Unter das letztere fallen alsdann die Arithmetik und Geometrie, unter das erstere Mechanik, Astrologie, Optik, Geod sie, Kanonik, Logistik, — von denen die ersteren vier Disziplinen gleichzeitig Anwendungsgebiete der beiden reinen Grundwissenschaften sind (38, 8ff.). In beiden Einteilungen ist der Arithmetik der Vortritt vor der Geometrie einger umt; und Proklus schlie t sich dieser Gruppierung an gem dem Aristotelischen Argument, da die Geometrie die kompliziertere Wissenschaft sei durch die hinzukommende ϋ·έσις. Der Punkt hat „Lage", w hrend die Zahleinheit ohne Lage

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gedacht ist. Beide Disziplinen haben ihre gemeinsamen Grundbegriffe (κοινά), wie die methodischen der ενωσις und όιάκριοις, der ταντότης und Ιτερότης und andere, welche die allgemeine συμπλήρωσις der Seele bilden (36, 13 ff.)· Sie haben aber auch ihre besonderen Prinzipien. In den Beweisen, die ihrerseits ja ganz und gar von den Prinzipien gew hrleistet werden, kommt alles darauf an, richtig im Auge zu behalten, wieweit sie von den κοινά ausgehen und wieweit von den Ιδιότητες (33, i f.). Es gibt eine ganze Reihe analoger Probleme in der Arithmetik und Geometrie. Aber diese Analogie involviert nicht die Einheit des Beweises. Dieser hat ein verschiedener und auf verschiedenen Voraussetzungen basierender zu sein gem der Verschiedenheit des zu Beweisenden. Figuren und Zahlen haben eben nicht durchweg die gleichen Voraussetzungen, sondern verschiedene gem dem zugrundeliegenden γένος. Der Beweis aber — und mit ihm auch die Oberbegriffe — sind nur dann dieselben, wenn auch das Bewiesene, das ονμβεβηκός κα&' αυτό dasselbe ist (33, 7—n). Der Unterschied von πλή&ος und μέγε&ος gibt diese Unterschiede im Beweise an die Hand. Denn er bedeutet eben die Andersheit im ονμβεβηκός κα&' αυτό. Es ist hier eine Abgrenzung der wissenschaftlichen Aufgaben, wie sie schon aus den obersten Grundbegriffen der διάνοια hervorgeht. Die Unendlichkeit der Probleme, die das mathematische Denken zu durchlaufen hat, l t sich nur berschauen, sofern ein solches Begrenzen durchgef hrt wird (36, 6f.). Darum bezeichnet Proklus die Klassifikation der mathematischen Wissenschaften als Leistung des πέρας — gegen ber der άπειροδνναμος των ειδών άνέλιξις. Der dialektische Proze , das Aufrollen des Inhalts, ist an sich unendlich. Und dieses Unendlichkeitsmoment ist freilich das erste und wichtigste, denn es ist das Erzeugen des Inhalts. Aber diese Vorherrschaft des άπειρον wird abgel st durch die des πέρας: πέρατος περιοχή (37, 13). Durch die letztere grenzen sich erst die Problemgebiete ab und ergeben die besondere Behandlung des Besonderen; so geht alle definierbare πραγματεία auf ein πεπεραομένον. Wie πέρας und άπειρον von der νόησις her unl sbar miteinander verkn pft sind und auf allen Gebieten einander durchdringen m ssen, so sind sie auch auf mathematischem Gebiet zwar einander entgegengesetzt, hindern sich aber nicht gegenseitig, sondern erg nzen einander vielmehr. Daher ist der κόαμος των είδών^ wie ihn das πέρας hervorbringt, und wie er die „ganze" Mathematik als διαιρημένη zeigt, keineswegs ein Widerspruch zu ihrem

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Einheitscharakter, der aus der Einheit der άνέλιξις herstammt, und gem welchem dasselbe „Ganze" ein άδιαίρετον ist. Das Denken der Wissenschaft hat gleichen Teil am πέρας wie am άπειρον; aber ebendeswegen m ssen die Leistungen beider in ihm unterschieden sein. Sofern „Denken" schon Bestimmung und Abgrenzung bedeuten soll, so „denkt" die Wissenschaft ihre Problemkette „gem dem πέρας"; „erzeugen" aber mu sie sie als ein lebendig aus sich kommendes und als Mannigfaltigkeit der λόγοι „gem dem Unendlichen" (άλλα νοεί μεν αυτήν κατά το πέρας, γεννά δε ζωάς καΐ λόγους παντοίους κατά την απειρίαν, 37> 21—23)· So ist „denken" im engeren Sinne wissenschaftlicher Bestimmung immer Begrenzung, w hrend das dialektische „Ausrollen" im Sinne der ζωή noch eine prim rere logische Stufe bedeutet, die noch undifferenzierte, ununterschiedene Unendlichkeit, das gleichsam noch ungedachte Kontinuum der Probleme. In diesem Sinne sagt Proklus in seiner Begriffssprache: Die bestimmten Wissensgebiete „tragen das Bild des νους, und nicht der ζωή". Hiermit ist nun bereits eine fundamentale methodische Leistung zur Sprache gekommen, die Leistung der Klassifikation. Es ist diejenige Methode, welche das statische Moment unter den Methoden ausmacht, — wie denn von alters her das πέρας dem άπειρον gegen ber als das ruhende Moment gilt, als dasjenige, was die festen, ruhenden Anhaltspunkte setzt f r alle denkende Bestimmung. Demgegen ber werden wir sogleich sehen, wie wiederum in anderen Methoden durchaus der Charakter der ζωτική κίνησις berwiegt; wie sich ja das auch nicht anders erwarten l t gem der Pr disposition, wie sie in den διττοί δυνάμεις des Aufstieges und Abstieges getroffen war. Proklus unterscheidet n mlich im ganzen vier Methoden, die gemeinsam an der Grundmethode der Dialektik entspringen, und in denen das ganze Wissensgeb ude der Mathematik sich aufbaut: Die „ a n a l y t i s c h e " oder hypothetische, die „di retische" oder einteilende, die „horistische" oder definierende und die „apodeiktische" oder beweisende (42, 20 f. und auch sonst oft). Alle vier sind ureigene Mittel des dialektischen Denkens (οικεΐαι) und haben in diesem ihren ΰριγχός (43, 9 f.). Von diesen Methoden sind uns die analytische und die di retische schon bekannt, denn sie sind identisch mit jener urspr nglichen Korrelation der aufsteigenden und absteigenden δύναμις, die auch ber das Mathematische hinaus ins Noetische reicht. Wie steht es aber mit den anderen beiden?

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Man sollte meinen, da die systematische Disposition, von der Proklus ausging, auch f r alle weitere Differenzierung der Methoden bestimmend bleiben m te. In dem Falle h tten wir die vorliegende Vierteilung als Unterteilung der urspr nglichen Zweiteilung anzusehen. Es m ten sich dann die apodeiktische und horistische Methode als speziellere Unterarten der di retischen und analytischen auffassen lassen. Und das h tte sachlich sein gutes Recht. Denn die di retische Methode mu notwendig Hand in Hand gehen mit der apodeiktischen; beruht doch alles Beweisen auf der bertragung allgemeiner Gesetzm igkeit auf die besonderen, und zwar immer komplizierteren, Probleme. Diese setzen sich inhaltlich zusammen, indem die Begriffe spezieller werden. Es ist die absteigende Methode, die der zunehmenden Sonderung des Begriffsumfanges gem „einteilende", der zunehmenden Synthesierung des Begriffsinhalts gem aber (die sich in ihr immer parallel der Sonderung vollzieht) „apodeiktische" Methode ist. Denn der Beweis ist es, der jedesmal die Synthesis vollzieht, indem er das σνμβεβηκάς κα#' αυτό vom Obersatz her auf das Pr dikat des Schlu satzes bertr gt.1 Und was die definierende Methode anlangt, so haben wir in ihr noch von ihrem Entdecker Sokrates her den deutlichen Charakter des Aufstieges. Denn als ihr Mittel war dort die „Hinf hrung" (επαγωγή) gedacht, welche von den Beispielen ausgeht und aus ihnen das Gemeinsame „zusammenschauend" (wie Plato sagte) bis an das genau umrissene Problem des streng allgemein verstandenen Begriffs heranf hrte. Um diese Allgemeinheit seiner Definition zu leisten, mu te dann freilich zuvor eine Grundlegung gemacht werden. Und das ist der Punkt, in welchem die definierende Methode unl slich mit der analytischen zusammenh ngt, in diese als die bergeordnete gleichsam einm ndet. Freilich darf man dann auch nicht vor der Konsequenz zur ckschrecken, die Definition selbst zur νπό&εσις zu rechnen, — wie sich ja eine solche Zurechnung auch ganz *) In der Auffassung des σνμβεβηκός χαϋ·' αυτό und seiner Bedeutung f r den Beweis ist Proklus vollkommen einer Meinung mit Aristoteles. Und bei diesem gerade n hert sich das σ. χ. αντ. dem Sinne des Synthetischen. N heres dar ber bei A. G rland, Aristoteles u. d. Mathematik, Marburg 1899, S. 72 f., und Aristoteles und Kant, Gie en 1909, S. 22 u. 30. Damit stimmt es auch gut berein, da Proklus hier die absteigende Methode als Synthesis charakterisiert (43, 18) was wohl in erster Linie der apodeiktischen Seite derselben gilt. Cohen und N a t o r p , Philosophische Arbeiten IV

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deutlich in der Platonischen Philosophie herausgebildet hatte. Denn in ihr ging alles Definieren nicht anders als durch methodisches Hypothesen-Machen und ebenso methodisches Nachprüfen der Richtigkeit an den Folgen vor sich. Gilt das aber von den Definitionen überhaupt, so muß es von denen der Mathematik nur in noch erhöhtem Grade gelten, an denen doch der ganze Aufbau einer streng gegliederten Wissenschaft hängt. Um so verwunderlicher ist es, daß ein grundsätzlicher Platoniker wie Proklus diesen hypothetischen Charakter der Definition übersehen konnte. Wir stehen hier an einem Punkte, in dem es Proklus nicht gelungen ist, seine eigene Grundrichtung durchzuführen. Er erkannte richtig, daß die analytische Methode der apodeiktischen ebenso entgegengesetzt ist wie der diäretischen. Darum dürfen wir wohl mit Recht bei ihm Einteilung und Beweis als in e i n e Grundrichtung, die absteigende, gehörig betrachten, — wiewohl er letzteres nicht klar hervorhebt und sich also wahrscheinlich auch dieses engeren Zusammenhanges nicht vollkommen bewußt geworden ist. Aber den umgekehrten Zusammenhang der horistischen und analytischen Methode, d. h. ihre gemeinsame Richtung des Aufstieges, hat er jedenfalls nicht erkannt — nicht nur nicht klar, sondern überhaupt nicht. Vielmehr setzt er die horistische Methode in engeren Zusammenhang mit der diäretischen und apodeiktischen, d. h. mit der absteigenden Richtung. Wie er denn auch diesen dreien zusammen die analytische Methode als ihr gemeinsames Gegenstück gegenüberstellt. Und zwar findet er für alle drei Fälle dieser dreifachen Gegenüberstellung seine besonderen Gründe. So heißt es von der Methode des Zugrundelegens einmal im Kommentar zum „Parmenides": sie ist entgegengesetzt der apodeiktischen Methode, weil sie aus dem Verursachten in die Ursachen auflöst, der horistischen, weil sie vom Zusammengesetzteren in das Einfachere, der diäretischen, weil sie vom Spezielleren in das Allgemeinere auflöst (S. 258 f.1). So bleibt denn bei Proklus das Wesen der Definition unerkannt, wie es ähnlich auch schon bei Aristoteles unerkannt geblieben war. Und das ist es, was ihn hindert, seinen groß angelegten Grundgedanken der Dialektik, die fundamentale Korrelation der Methoden, weiter durchzuführen. Es läßt sich so wenigstens x

) Ed. Cousin, Paris 1823. — Vgl. hierzu Altenburg, S. 209 und 212, wo auch die historischen Gründe zum Teil angegeben sind, warum Proklus im Problem der Definition nicht die & wiederzuerkennen imstande war, — worauf auch schon bei Cohen, Logik 485 hingewiesen ist.

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nicht sagen, da Proklus es zu dem gebracht habe, was er mit diesem Gedanken urspr nglich erstrebte: ein System der Methoden. Dieser feine Systematiker, der die di retische Methode sonst mit so erstaunlicher Meisterschaft handhabt, hat sie in ihrer Anwendung auf die Begr ndung und Gruppierung der methodischen Leistungen selbst dennoch nicht ersch pfend zu verwerten gewu t. Anders h tte ihm der Versuch eines Systems der Methoden sehr wohl gelingen k nnen. Es h tte sich bei richtiger Einsch tzung der hypothetischen Methode zeigen m ssen, da nicht nur je zwei von den vier Methoden einer einheitlichen Grundmethode angeh ren, sondern da auch die beiden Unterteile der letzteren sich je paarweise erg nzen und so zwei parallele Unterkorrelationen bilden. Wir sahen schon, wie in der dianoetischen Methodik ein statisches Moment sich dem urspr nglicheren kinetischen, als die Leistung des πέρας zu der des dialektischen άπειρον, gegen berstellte. Die di retische Methode entstand an dieser Gegen berstellung. Sie ist also der analytischen Methode nicht einfach, sondern doppelt entgegengesetzt: einmal als absteigende Richtung der aufsteigenden, und dann als statisches (feste Grenzen setzendes) Moment dem kinetischen (dialektisch fortschreitenden). Will man nun zu dieser doppelten Entgegensetzung die fehlenden zwei Mittelglieder einschalten, so mu man zwei Methoden begrifflich ansetzen, von denen die eine kinetisch und zugleich absteigend, die andere aber an sich statisch gedacht und gleichwohl ihrer Leistung nach aufsteigend wirksam sein m te. Der ersten dieser Anforderungen entspricht aufs genaueste die apodeiktische Methode, die ganz offenbar mit der analytischen das kinetische Moment gemeinsam hat, mit der di retischen aber die absteigende Richtung; so da sie zugleich beiden entgegengesetzt und doch analog ist. Der zweiten Anforderung aber w rde die horistische Methode entsprechen — nicht freilich so, wie Proklus sie sich denkt, wohl aber so, wie er sie gem seinen eigenen Platonischen Grundlegungen h tte denken m ssen, n mlich als eine Art der νπό&εοις. Nur w re sie von der υπόΰεσις im allgemeinen Sinne dann dadurch unterschieden gewesen, da in ihr mehr die Festlegung und „Umgrenzung" der Resultate hervorgehoben w re, wie ja bereits ihr Name das sagt. Sie w rde also innerhalb der aufsteigenden Richtung das Moment des πέρας oder der στάσις methodisch bezeichnen und so das der άπόδειξις doppelt entgegengesetzte Methodenglied bilden. 4*

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Solche Konsequenzen zu ziehen, die Proklus selbst nicht zu ziehen vermochte, ist insofern kein unhistorisches und fruchtloses Gesch ft, als man sich an ihnen die systematische Kraft und Tragweite klarmachen mu , die in den methodischen Grundz gen liegt, wie sie Proklus in Form der aufsteigenden und absteigenden Methode geliefert und in seiner Weise immerhin vorz glich bestimmt hat. Da aber er selbst dieselben nicht auszunutzen wu te, sondern in der Durchf hrung auf halbem Wege stehen blieb, ist eben die Schuld seines nicht einheitlichen Ausgehens vom Platonismus, sondern zugleich von Aristoteles' Schule. Hier ist es der charakteristische Zug seines Zeitalters, das ihn aus seiner geraden Bahn herausbringt, das kompilatorische Interesse, welches auf philosophischem Boden so viel wie Eklektizismus ist. Denn gerade an mangelnder Durchf hrung der νπό'&εσις scheitert er. Aber wenn es auch bestehen bleiben mu , da er diese Durchf hrung „nach unten" zu nicht geleistet hat, so mu doch hervorgehoben werden, da er „nach oben" zum Prinzip den vollen „Zusammenschlu zur Einheit", den σύνδεσμος der mathematischen Methoden, gefunden und mit aller Kraft betont hat. Hierbei hat er sich nicht durch eklektischen Anschlu an andere Denker irremachen lassen. So lehnt er energisch die Ansicht des Eratosthenes ab, da der σύνδεσμος der Mathematik in „Analogie" bestehe. Denn das Prinzip der Analogie ist ihm nur eines unter den κοινά der Mathematik. Es kann sich aber in dieser Frage nicht um Heraushebung eines Prinzips aus der Zahl mehrerer handeln, sondern es mu diejenige Gemeinschaft aller an die Spitze gestellt werden, welche der nat rliche Zusammenschlu aller Methoden ist. Eine solche ist nach Proklus zun chst nur die Einheit der ganzen Mathematik (ή μία καΐ δλη μα^ηματική^ 44ι 2 f-)i n mlich „sofern sie die Prinzipien aller spezielleren Wissenszweige einheitlich in sich enth lt und die Gemeinschaft, sowie den Unterschied derselben betrachtet." Und zu dieser Einheit zun chst f hrt der Aufstieg (άνοδος) den „methodisch Lernenden". Weiter hinauf aber noch ist die Dialektik ein σύνδεσμος των μαΰημάτων, der ΰριγχός aller Mathematik. Diese vollendet erst das Ganze und wendet das Denken zum νους hinauf gem ihrer eigenen Methode. Und dieser selbst wiederum, δ νους αυτός, ist dann an dritter Stelle Einheit, und zwar die abschlie ende und oberste, in welche alle dialektischen Methoden einm nden, und der diese alle einheitartig umfa t, indem er das πλή&ος zur ε'νωσις zusammenschlie t.

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In ihm findet also die Zur ckwendung (επιστροφή) alles dialektisch Hervorgegangenen (προβαλλόμενον) zur urspr nglichen Einheit statt, aus deren Urkraft, wie wir sahen, die διάνοια ihre „ursprungartigen Antezipationen" machte. Diese Einheit bindet „von oben her" die ganze Durchf hrung der mathematischen λόγοι und ist das Endziel und das H chste des aufw rts f hrenden Weges und damit zugleich der erkennenden Energie berhaupt (44, 3-23)· — Auf den genannten vier Methoden beruht nun das ganze Lehrgeb ude der Mathematik. Und in ihnen definieren sich die spezielleren methodischen Begriffe, die sich in den Durchf hrungen bilden m ssen. Aber Proklus gibt die Durchf hrung dieser Art nicht in Form einer Herleitung der Methodenbegriffe auseinander, sondern verf hrt, wie berhaupt im weiteren, schon mehr kommentierend, indem er einfach der Gebrauchsweise Euklids dieselben entnimmt und sich damit begn gt, an ihnen die Unterschiede und gemeinsamen Z ge kritisch zu beleuchten. Sein Zweck ist hier (im 2. Buch des Prologs) schon nicht mehr der, ein System der Methoden herzustellen, sondern blo , die strittigen Punkte klarzustellen und nach Ma gabe der Anwendbarkeit zu definieren. Das Ganze der Geometrie ist eine στοιχείωοις. Zu einer solchen hat Euklid sie zusammengef gt. Und eine solche zu sein, ist ihr Ziel, sofern sie Lehrgegenstand ist (71, 5ff.). Es fragt sich nun, was das ist, στοιχείωσις (Elementaraufbau). Proklus geht hierzu zun chst auf den Begriff des στοιχεΐον selbst ein. Als ein solches gilt ihm dasjenige, dessen Theorie sich auf die Wissenschaft des brigen erstreckt, und wovon uns die Aufl sung der Probleme herkommt (72, 3—6). So geh ren alle diejenigen Theoreme unter diesen Begriff, welche den Sinn des Prinzips f r das Folgende haben (αρχής λόγον έχοντα προς τα Ιφεξής, J2t n). Das Vorbereitende ist immer Element des Vorzubereitenden; und in diesem Sinne ist vieles f reinander Element (72, 24 ff.). In etwas anderer Bedeutung wiederum ist nur das Element, was als Einfacheres dem Zusammengesetzteren voraufgeht, oder was „das Ursprungartigere gegen ber dem zum Endproblem Geh rigen ist" (τα άρχοειδέστερα των εν αποτελέσματος λόγφ τεταγμένων, 73» 8f.), — wie z. B. die Aiteme durchweg Elemente der Theoreme sind. Proklus sieht es als ein u erst schwieriges, aber wichtiges Gesch ft an, die στοιχείωσις richtig durchzuf hren. Die Geometer h tten alle danach gestrebt, aus ihrer Wissenschaft ein System zu machen, aber

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lange nicht allen sei es gelungen. In dieser Hinsicht gerade ist ihm Euklid musterg ltig. Es ist leicht zu sehen, da es hierbei besonders auf den Punkt ankommt, das Richtige zum Element des Richtigen zu machen. Und da hei t es, sich zuerst ber die ersten Anf nge wirklich klar sein, um sie richtig von dem Folgenden zu unterscheiden und zugleich sie richtig in Zusammenhang zu bringen. Denn der Lehrplan der Geometrie kann einheitlich und durchsichtig nur ausgef hrt werden, wenn die absteigende Methode in ihm zur leitenden gemacht wird. Auf den apodeiktischen Charakter kommt es in ihm am meisten an — gem der Forderung der Genauigkeit und Unwiderleglichkeit der Theoreme. Und diese Richtung verlangt eben durchgehend die μετάβασις von den πρώτα und άρχοειδή zum ζητουμενον (74, i/f.). Demgem disponiert Proklus die „gesamte konomie" der geometrischen λόγοι in der Weise, da er besonders den Charakter der Folgerichtigkeit betont. Denn es handelt sich in ihr um eine Art der Ordnung, welche ,im wesentlichen die „Kontinuit t" des wissenschaftlichen Ganges bedeutet, sowohl in Hinsicht ihrer Beweisf hrungen als besonders auch ihres forschenden Fortschreitens, d. h. „ihrer Entdeckungen"; wie denn Proklus an dem Lehrgeb ude Euklids neben οικονομία und τάξις gerade an erster Stelle die συνέχεια των ευρέσεων als bewunderungsw rdig hervorhebt (6g, 24). Die Wissenschaft der Geometrie baut sich εξ ΰποΰέσεως auf und beweist von definierten Prinzipien aus „das Folgende" (75, 6—8). Somit hat sie, wenn sie ihren absteigenden Weg beginnt, schon einen aufsteigenden vorausgesetzt, den sie freilich nicht in die systematische Darstellung mit aufnimmt. Denn die νπο&έσεις entstehen in analytischer Methode, diese mu also der apodeiktischen vorausliegen. Aber der Geometer kann nicht damit beginnen, da er eine Herleitung seiner Axiome gibt. Er w rde dazu aus der Mitte heraus beginnen m ssen und damit den Einheitscharakter einer methodischen Grundrichtung preisgeben. Vielmehr ist es notwendig, da er die Prinzipien seiner Wissenschaft gesondert (χωρίς) einf hrt und ebenso gesondert die von ihnen ausgehenden συμπεράσματα. Auf diese Weise kann er freilich nicht von den Prinzipien Rechenschaft ablegen, sondern nur von ihrem έπόμενον — und zwar auf Grund der Prinzipien. Es ist aber auch nicht erforderlich, da er diese Rechenschaft gebe. „Denn keine Wissenschaft beweist ihre eigenen

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Prinzipien, noch macht sie hinsichtlich ihrer eine Erkl rung, sondern sie ist sich einfach ihrer selbst gewi , und zwar sind sie ihr noch mehr einleuchtend als das Folgende. Sie wei sie durch sie selbst, das Folgende aber nur durch jene." Und ebenso verf hrt auch der Naturforscher, der Mediziner, kurz ein jeder, der eine Wissenschaft oder eine Kunst betreibt (75, 10—22). Das ist wieder ein ganz Platonischer Zug in Proklus, da der Mathematiker ber seine eigenen Prinzipien nicht Rechenschaft schuldig ist, sondern sie einfach anzuwenden hat. Das bedeutet nat rlich keineswegs, da ber diese Prinzipien etwa keine Rechenschaft mehr m glich w re. Diese kommt nur von anderer Seite: „Eine Wissenschaft nur ist unhypothetisch, die anderen aber empfangen von ihr her ihre Prinzipien" ^75, pf.). Diese eine ist die Dialektik, die „bis zu dem άγα&όν" als dem άννπό&ετον aufsteigt (31, 15) und die daher Kraft hat, Begr ndung zu geben, wie sie von den Spezialwissenschaften nicht gegeben werden kann. Und aus diesem Grunde hat das apodeiktische Verfahren der Mathematik auf diese nur durch Dialektik begr ndeten Prinzipien als auf etwas anderes, von allem Folgenden Verschiedenes, hinzublicken, n mlich als auf etwas, was berhaupt nicht in der „beweisenden" Kompetenz der Erkenntnis liegt, sondern im Gegensatz zu ihr, und vor ihr, entsteht. „Wenn aber jemand die Prinzipien und das aus den Prinzipien in eins vermengt, so verwirrt dieser die ganze Erkenntnis und r hrt zusammen, was nicht zueinander geh rt. Denn Prinzip und aus ihm Folgendes sind von Natur geschieden voneinander" (75, 22—26). Dieser methodische Grundsatz reinlicher Scheidung ist eine blo e Folge der Entgegensetzung von analytischer und apodeiktischer Methode. Er ist aber ebenso, wie er Folgerung ihrer Entgegensetzung ist, auch zugleich notwendige Vorbedingung ihrer Durchf hrung und Anwendung. So weit folgt Proklus noch genau seinem urspr nglichen Gedanken von der Korrelation der Methoden. Hieran anschlie end macht er aber eine Unterscheidung in dem methodischen Charakter der geometrischen Prinzipien, durch welche die νπό&εσις eingeschr nkt wird. Diese Einteilung stammt von Euklid und letztlich von Aristoteles her. Sie unterscheidet gesondert nebeneinander ΰπσ&έοεις, αΐτήματα und αξιώματα (76, 5 f.). Da diese drei voneinander verschieden sind, wird an dem verschiedenen Verh ltnis des Lernenden zu ihnen gezeigt. Verschieden aber ist dieses Verh ltnis, weil sie nicht die gleiche einleuchtende Kraft besitzen.

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Am meisten hat ihrer das Axiom. Dieses ist dem Lernenden „verst ndlich" (γνώρψον) und zugleich „an sich selbst gewi " (κα&' αυτό πιστόν), — wie der Satz, da , was ein- und demselben gleich ist, auch einander gleich ist. Dagegen soll nun die νπόΰεσις zwar aus sich selbst gewi , aber nicht verst ndlich sein, — wie z. B. der Satz, da der Kreis eine soundso beschaffene Figur sei. Das Aitem schlie lich ist weder einleuchtend noch gewi , wird aber dennoch angenommen, weil es f r das Folgende n tig ist, — wie der Satz, da alle rechten Winkel gleich sind (76, 4—21). Es ist klar, da hiernach den Axiomen die erste Stelle zukommt, jedenfalls besitzen sie mehr Erkenntniskraft als die νηόΰεσις; wie denn auch anderweitig (58, 7f.) erkl rt wird, sie seien diejenigen Prinzipien, die ber den Bereich einer Wissenschaft hinausreichen und so f r mehrere zugleich als Prinzipien dienen. Nun ist kein Zweifel, da diese Einteilung nicht jener weiten, Platonischen Bedeutung der ύπσ&εσις entspricht, im Sinne welcher es hie , man m sse die παραδείγματα f r Zahlen wie f r Figuren, f r λόγοι wie f r κινήσεις zugrunde legen (νποΰετέον, 17, 11), oder noch bestimmter, die Wissenschaft der Geometrie sei Ιξ νπο&εοεως und beweise deshalb von definierten Prinzipien aus das Folgende (75, 6—8). An solchen Stellen ist es klar, da Proklus alle &ρχαί ihrem methodischen Charakter nach als νπο&εοεις hinstellt, ohne Unterschied ihres Geltungsgebiets. Und nach der allgemeinen Methodik des Zugrundelegens, wie er sie sonst anwendet, mu ein Prinzip um so mehr νπό&εοις sein, je allgemeinere Geltung es hat. Die scheinbare Einschr nkung, die dagegen am Begriff der νπόΰεσις in der Einteilung der Prinzipien gemacht wird, ist wohl demgegen ber nur als eine Konzession an die Euklidische und Aristotelische Terminologie anzusehen, wie Proklus ja auch selbst zu verstehen gibt. Und er f gt hinzu, es gebe Andere (die Stoiker), die jedes einfache Urteil ein Axiom nennen, so da f r diese also auch die ύπο&έσεις Axiome w ren, und wieder Andere, die umgekehrt auch die Axiome zu den ύπσ&έσεις rechneten. In beiden F llen sind dann alle Prinzipien υποπέσεις (77, 2—6). Wenn man hierzu die im Parmenideskommentar h ufig wiederkehrende Behauptung nimmt, die Methode der νπόΰεσις umschlie e alle anderen Methoden und mit ihnen den ganzen Bereich der Prinzipien, so ist es klar, da es sich f r Proklus um keine prinzipiell-philosophische Ausschlie ung zwischen Axiom und υπόοεσις handeln kann, und da er, wo er tats ch-

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lieh von einer solchen spricht, nicht die allgemeine νπό&εσις meint, sondern ihr bereits eine von dieser wesentlich verschiedene Bedeutung gibt. Wie nun die Prinzipien Unterschiede zeigen, so auch das ihnen Folgende. Dieses zeigt zwei Grundtypen: Theorem und Problem. Das Theorem ist der Lehrsatz. In ihm kommt es auf die Behauptung und ihren Beweis an, also auf das συμβεβηκός και?' αυτό. Das Problem dagegen ist die geometrische Aufgabe, und zwar im wesentlichen Konstruktionsaufgabe. In dieser mu nicht nur der Beweis einer Behauptung, sondern vielmehr diese selbst noch gefunden werden. Das Finden geschieht im Konstruieren (γίγνεσθαι, γένεσις1). Proklus neigt aber dazu, diesen Unterschied nicht allzusehr auf die Spitze zu treiben. Denn auch die Probleme bed rfen des Beweises. Sie haben also auch etwas von der Natur des Theorems in sich; wie denn berhaupt die ganze Geometrie ein vorwiegend „theoretisches" Gebiet ist und nicht ein poietisches. Das πρόβλημα aber w re, streng genommen, wenigstens sofern es γένεσις einschlie t, der ποίησις analog, wie sie auf anderen Gebieten (z. B. Mechanik) stattfindet (77, 7—20). Die γένεσις aber ist es ja auch gerade, mit der es seine Schwierigkeiten hat auf geometrischem Gebiet. Denn ein άίδιον kann doch kein Werden haben. Proklus begegnet dem so: es sei besser zu behaupten, „da alles dasselbe ist (Theorem wie Problem), da wir aber die γένεσις derselben nicht dem Tun, sondern der Erkenntnis nach ansehen (ου ποιητικώς, αλλά γνωστιχώς), gleich als ob wir das ewig Seiende werdend nehmen, so da wir auch behaupten werden, alles w rde theorematisch und nicht problematisch genommen" (78, 3—8). Nach anderer Meinung sind Theoreme und Probleme geschieden, weil in diesen das Gesuchte erst hergestellt, in jenen aber als schon bestimmt angenommen wird. Proklus gibt beiden Meinungen recht. Denn die Probleme der Geometrie sind eben andere als die der Mechanik; aber ohne Konstruktion, d. i. ohne πρόοδος zur νλη ist auch in ihr nicht durchzukommen; nur ist diese eine νλη νοητή. „Indem die λόγοι in diese eintreten und sie gestalten, sagt man mit Recht, da sie den γενέσεις gleichen. Denn wir sagen, da die Bewegung unserer διάνοια und die Erzeugung der λόγοι in ihr eine γένεσις der in der φαντασία befindlichen Figuren ist . . ." (78, 20—24). *) Da γένβαις bei Proklus vielfach die Bedeutung von „Konstruktion" hat, ist gezeigt bei Altenburg, S. 190 f. Cohen und Na tor p, Philosophische Arbeiten IV

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Da also ein Unterschied zwischen Theorem und Problem da ist, soll nicht in Zweifel gezogen werden. Aber das berwiegende (το πλεονάζον) in der Geometrie ist die Theorie. Denn die Probleme haben alle an der Theorie teil, aber nicht umgekehrt die Theoreme am Charakter der γένεοις. Denn alles den Prinzipien Folgende wird durch den Beweis ergriffen (δι αποδείξεως λαμβάνεται). So ist das Theorem das κοινότερον (79, 4—p). Und dieses Ergriffenwerden durch den Beweis ist deshalb nicht unbedingt an die konstruierende γένεσις gebunden, weil es ja (auch bei Euklid) Theoreme gibt, die ohne sie auskommen. Diese bringen „von sich selbst" (αντό&εν), d. h. aus ihrem rein theorematischen Charakter heraus, den Beweis f r das ζητούμενον. Dazu macht Proklus noch die Ansicht geltend, das Problem nehme nicht nur die Pr dikate der νλη auf, sondern auch immer zugleich das Gegenteil von ihnen (wobei unter νλη die Figur verstanden ist, um die es sich jedesmal handelt). Das Theorem dagegen nimmt das Gegenteil nicht auf, sondern nur die Pr dikate, die es selbst geltend macht. Diese sind in ihm das κα&' αυτό σνμβεβηκός. Die Einzeichnung eines gleichseitigen Dreiecks in den Kreis ist Problem, weil man auch ein nicht gleichseitiges einzeichnen kann. Da aber im gleichschenkligen Dreieck die Winkel an der Basis gleich seien, ist Theorem; denn es ist unm glich, da sie auch in irgendeinem Falle ungleich seien (79, 11—80, 2). „Worin also das Symptom (das zu Beweisende) ein streng Allgemeines (κα&ολικόν) ist und der ganzen νλη anhaftet, das, mu man sagen, sind Theoreme; worin es aber kein Allgemeines ist und nicht auf jeden Fall dem ϋποκείμενον zukommt, mu man als Problem setzen" (80, 5—9). Daher k nnen auch nur die Theoreme in Urteilsform gekleidet werden (80, 24). Und so ist denn auch die Bedeutung des Beweises eine verschiedene in beiden F llen. Am Problem ist er της γενέσεως χάριν da und beweist nichts als die Richtigkeit der Konstruktion (81, 14). Am Theorem aber beweist er die Allgemeinheit eines Urteils. Es ist interessant zu sehen, wie auch in diesen Durchf hrungen die allgemeine Grundmethode — wenigstens der Tendenz nach — sich durchsetzt. Die Geometrie ist wesentlich beweisende Wissenschaft. Darum ist f r sie bezeichnend der theorematische Charakter. Und alles, was diesen nicht rein zeigt, sinkt zum sekund ren Moment herab. Das Theorem h ngt zwar ebenso am Raumbegriff wie das Problem, es entwickelt und beweist seine M glichkeiten. Aber es ist an ihm doch die

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eigentliche, methodische Leistung, w hrend letzteres blo Explizierung ist. F r die wissenschaftliche Leistung mu es aber wesentlich nur auf die erstere ankommen. Denn nicht in der Konstruktion, sondern in der Einheit der methodischen Grundrichtung vollzieht sich die Einheit der Wissenschaft als eines Ganzen. Nur so ergibt ihr Ganzes ein System, indem in jedem Punkte die aufsteigende Methode mit der absteigenden sich decken kann. Denn wie die ersten Grundlegungen in ihr sich alle durch analytische Methode begr nden, so die letzten Konsequenzen alle durch apodeiktische. In dieser hat jene ihr Korrelat und ihre Kontrolle. So berwiegt zugleich der Gesichtspunkt der allgemeinen „mathematischen ουσία" ber den der spezielleren geometrischen νλη. Jener involviert die gro e Methodenkorrelation, dieser nur das Prinzip der konstruierenden γένεαις. Und so wichtig die letztere f r das Gebiet der Geometrie ist, so ist doch sie es nicht, die Genauigkeit und Unwiderleghchkeit gew hrt. Das kann nur eine durchgehende Methode leisten, welche die Anf nge mit dem Endproblem verkettet. In einer solchen gr ndet sich der eigentliche Wissenschaftscharakter der Geometrie. Diesen Charakter teilt sie mit aller reinen Mathematik, vor allem mit der Arithmetik. So ist die Einheit des „mathematischen Seins" auch in dem besonderen Seinsgebiet der Geometrie der ma gebende Gesichtspunkt. Sie erstreckt somit wirklich, gem der systematischen Disposition des Proklus, ihre unendlich sich entrollende dialektische Kraft ber alle besonderen Gebiete und Stufen hinab bis in das „ u erste", das seinerseits schon unterhalb der Mathematik berhaupt liegt, jenes selbe „ u erste", von welchem als dem έξω της άναμνήσεως der analytische Aufstieg zu den υποπέσεις beginnt.