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German Pages 57 [60] Year 1909
Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den
ersten zwei Büehern des Euklidkommentars dargestellt
von
Dr. Nicolai Hartmann Privatdozent der Philosophie an der Universität zu Marburg
Gießen 1909 Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker)
Philosophische
Arbeiten
herausgegeben von
Hermann Cohen
und Paul Natorp
in Marburg
in Marburg
IV. Band
1. Heft
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N. Hartmann, Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. d. Mathematik
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I n der theoretischen Philosophie der Alten nimmt das Problem der Mathematik seit den ältesten Schritten der Forschung einen sichtbaren Platz ein; und nicht nur einen sichtbaren, sondern auch einen bestimmenden. Denn alle die vielen, vielgestaltigen Probleme, die sich unter dem Gesichtspunkte theoretischer Fragestellung zusammendrängen, finden an diesem Problem zuerst etwas wie eine gedankliche Vorarbeit — in jenen Ansätzen zu genauer Begriffsbildung, in denen nun einmal den anderen Wissenschaften gegenüber die Mathematik auf allen ihren Entwicklungsstufen einzig dasteht. So bezeichnet das mathematische Denken für die Philosophie von vornherein ein doppeltes Interesse: einmal durch die Probleme, die es selbst in seinen Erzeugnissen dem Denken aufgibt, dann aber auch durch die methodisch bestimmende Kraft, die ebendiese Erzeugnisse den weiteren Problemen des Kosmos und der Wissenschaft als solcher gegenüber entfalten. In dem letzteren Interesse wurzelt der für die älteste griechische Philosophie charakteristische Gedanke, der wie kaum ein zweiter fruchtbar geworden und bis in unsere Zeit für die Fundamentalfragen leitend geblieben ist, der Gedanke von der orientierenden Bedeutung der mathematischen Methode für das ganze theoretische Grundproblem. Welche schwerwiegende Bedeutung dieser Gedanke für die Entwicklung der alten Philosophie gewonnen hat, kann hier zu zeigen nicht unsere Aufgabe sein. Aber ein Blick auf die Geschichte der Probleme genügt, um das Faktum seiner Einwirkung außer Frage zu stellen. Denn in den verschiedenen Entwicklungsperioden sind es gerade immer die systematischen Denker gewesen, die diesem Gedanken eine leitende Rolle eingeräumt haben. Aus der Pythagoreischen Philosophie, wo er zuerst bestimmt ausgesprochen wurde, ging er als Grundgedanke sowohl in die Atomistik als in die Ideenlehre über. i*
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Und durch diese beiden Systeme ist er klassisch geworden und den späten Ausläufern griechischer Spekulation rein und unverfälscht erhalten geblieben. Dem konnte es keinen Eintrag tun, daß die Naturphilosophie Demokrits durch Epikur und der Piatonismus durch Aristoteles und später durch die Skepsis in andere Bahnen gelenkt wurde. Hier war ein systematisches Moment wirksam, das über den Wechsel der Zeitströmungen hinaus in Kraft blieb. Jene lange Periode des Niederganges theoretischen Denkens, wie sie unmittelbar nach Aristoteles beginnt und bis auf Plotin hinausreicht, ist nicht imstande gewesen, den Sinn für diesen tiefen Urzusammenhang der Probleme auszulöschen. Vielmehr dürfen wir wohl für die richtige historische Beurteilung des Neuplatonismus und der in ihm sich vollziehenden Wiederbelebung des philosophischen Interesses an der Mathematik die umgekehrte Wirkung jener Vernachlässigung geltend machen. Denn unwillkürlich mußte man an dem Punkt, wo man den totalen Mangel an strenger Methodik wieder zu fühlen begann, nur um so nachdrücklicher auf diejenigen methodisch orientierenden Momente zurückgreifen, die sich schon einmal als fruchtbringend erwiesen hatten. Die Pythagoreer und Plato sind es daher vorwiegend, auf welche die Schule Plotins in Fragen der Mathematik zurückgreift. So ist es doppelt begreiflich, daß das mathematisch - philosophische Problem hier wieder zu Ehren kommt. Dazu kommt nun aber noch der begünstigende Umstand, daß seit den Tagen Piatos die Mathematik selbst als positive Wissenschaft ein durchaus anderes Ansehen gewonnen hatte. Während nämlich die systematische Philosophie fast eingeschlafen war, hatte man in den Spezialwissenschaften rege fortgearbeitet, und jene Mathematik, auf deren Anfänge hinblickend Plato die Ideenlehre geschaffen hatte, war zu einem großen, genau durchgearbeiteten Wissensgebiet geworden, innerhalb dessen sich Untergebiete und Gliederungen herausgebildet und so eine strenge Systematisierung des Ganzen veranlaßt hatten. Und diese Systematisierung war nicht äußerlicher Natur, nicht Klassifikation. Sie hatte etwas von dem Geist Platonischer Dialektik in sich, aus der sie denn wohl auch historisch hervorgewachsen ist. Hier handelte es sich um die genaue Verfolgung der mathematischen Probleme, um ihre Durchführung von ersten Anfängen zu deren Konsequenzen — und immer weiteren Konsequenzen. Eine solche mathematische Wissenschaft war es, die zum Werk-
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zeug der großen astronomischen Entdeckungen des Aristarch und Hipparch sowie zur Grundlage der Mechanik bei Archimedes werden konnte. Der bedeutendste Versuch von Systembildung dieser Art geschah auf dem Gebiet der Geometrie. Sei es, daß dem plastisch schauenden Geist des Griechen die größere Anlehnung an das Konkrete, wie sie bei der Geometrie in der Natur der Sache liegt, auch die größere Leichtigkeit in der fortlaufenden Problementwicklung an die Hand gab, sei es, daß die Geometrie überhaupt in dieser Hinsicht einen Vorzug gegenüber der Arithmetik hat, — im geschichtlichen Gang der Wissenschaft war es die Geometrie, die diesen entscheidenden Schritt zuerst tat. Ob auch hierzu schon die Pythagoreer den ersten Anstoß gegeben haben mögen, oder ob das System der Geometrie erst in der gemeinsamen Arbeit des Eudoxus und Plato entstanden sein mag, jedenfalls liegen die Anfänge dieser großen dialektischen Arbeit weit zurück. Für uns hat sie sich, ebenso wie für das Bewußtsein des späteren Altertums, unlöslich mit dem Namen Euklids verknüpft, der den Ruhm ganzer Generationen von mathematischen Forschern erntete, indem er als Erster die große Gedankenarbeit aller Früheren in der einheitlichen Form des Kompendiums vereinigte. In diesem Kompendium Euklids lag nun für den philosophischen Forscher ein Stoff bereit, wie man ihn sich schwerlich dankbarer wünschen konnte. Und es wäre erstaunlich, wenn sich die neuplatonischen Denker nicht auf die eine oder andere Weise an ihm versucht hätten. Denn diese Philosophen haben jenen Zug echter theoretischer Forschung wiedergewonnen, der seit Aristoteles fast völlig verloren gegangen war, und der doch allein einen Denker befähigen konnte, das mathematische Problem richtig aufzugreifen: sie sind wieder Systematiker. Und zwar sind sie das in einem Sinne, in welchem es jene früheren Denker noch nicht waren, noch nicht sein konnten, weil sie sich den systematischen Gesichtspunkt erst erarbeiten mußten. Plato und Aristoteles hatten in diametral entgegengesetzter Richtung, und gleichwohl beide im Sinne echter Systematik gearbeitet: jener durch genaue dialektische Verfolgung der Probleme und durch einheitliche Formulierung der Grundmethoden, dieser durch unermüdliche Sammlung, Sichtung und Gliederung eines Wissensgebiets, das bereits damals den Umfang eines einzelnen Menschengeistes zu übersteigen drohte. Der Neuplatonismus genießt den unschätzbaren Vorteil, daß er
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in diese beiden Richtungen systematischen Schaffens von Hause aus hineinwächst. Gleich Plotin war es, der mit aller Kraft auf die dialektische Methode zurückgriff, indem er mit ihr die Tendenz zu neuer Umspannung und Bewältigung des vielfach verstreuten Gedankenmaterials zuwege brachte, welches Gemeinbesitz der antiken Welt geworden war, — gar nicht zu reden von den religiösmystischen Momenten, in die er als Kind seiner Zeit hineinwuchs, und die er in das Ganze seines Gedankenbaues hineinzuverweben trachtete. So mischt sich bei ihm der kraftvolle philosophischsystematische Geist mit jenem für das späte Altertum charakteristischen kompilatorischen Zug, sowie mit noch einem dritten, dem schwärmerisch-mystischen Interesse. Und diese drei Momente bleiben bestimmend für seine Nachfolger. Alle drei verstärken sich und führen zu den ihnen eigentümlichen Konsequenzen und Auswüchsen. In Proklus, dem letzten bedeutenden Philosophen der Schule — und zugleich des Altertums überhaupt — finden wir diese Züge schon auf die äußerste Spitze getrieben. Hier sehen wir neben ernsten sittlich religiösen Bestrebungen kritiklosen Dogmatismus und kleinlichen Aberglauben, neben einzigartigem, wahrhaft polyhistorischen Wissen einen unerklärlichen Hang zu wertlosen Haarspaltereien und Allegorien. Aber neben alledem steht bei ihm auch ein zu höchster Verfeinerung gelangter dialektischer Sinn für die großen Grundfragen der Philosophie. Dieser letztere Zug ist es, der ihn befähigte, Interpret Platonischer Schriften zu werden, ja der in ihm noch Probleme zur Reife kommen ließ, wie sie in der Geschichte der Philosophie nur in den Endgliedern einer langen Entwicklungskette zur Reife kommen können. Proklus ist solch ein Endglied. Dieser verfeinerte Sinn für Probleme und Problemzusammenhänge ist es auch gerade, der am deutlichsten aus seinem Euklidkommentar zu uns spricht. Die Einleitung zu diesem Buch ist der Versuch einer Philosophie der Mathematik — der erste und letzte Versuch dieser Art, den wir von den Alten besitzen. Denn die den gleichen Problemen gewidmeten Versuche des Porphyrius und Jamblichus, aus denen Proklus so manches geschöpft haben mag, sind gar zu unvollständig erhalten, um ein deutliches Gesamtbild zu ergeben. Proklus ist von Grund aus Kommentator, auch dort, wo er nicht eigentlich kommentiert. Der Prolog zum Euklidkommentar ist vielleicht das philosophisch Durchdachteste, was er geschrieben
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hat. Hier ist er ganz ersichtlich dabei, eine rein systematische Einführung zu geben. Aber auch diese Arbeit wird ihm zur Kommentierung. Denn er spricht nicht nur in Platonischer Terminologie, operiert nicht nur mit Platonischen Begriffen und Grundsätzen; sondern seine fundamentalen Erörterungen gelten geradezu ausnahmslos älteren Philosophemen — meist urplatonischen, wie schon die vielen Stellen beweisen, wo er Plato nennt. Sie sind daher recht eigentlich als Kommentare zu diesen Philosophemen zu betrachten, und das in tieferem und wesentlicherem Sinne, als es von den meist weniger fundamentalen Erklärungsschriften gelten kann, die er direkt den Platonischen Dialogen gewidmet hat. Der Boden, auf dem er sich hier bewegt, ist solcher Vertiefung so günstig, wie nur möglich. Hier tritt der neuplatonische Metaphysiker zurück, hier spricht in erster Linie der Mathematiker, der Dialektiker der Mathematik, der die alte Platonische Grundfrage der Rechenschaft an die Prinzipien der Geometrie stellt. So ist dieser Prolog ein wahres Kompendium antiker Begründungsmethodik und Fundamentalphilosophie. Denn das Bedeutendste, was die griechische Wissenschaft an theoretischer Methodik sich errungen hatte, stammte ja aus der Fragestellung nach der Begründung mathematischer Denkwerkzeuge. Daher das offenkundige Zurückgehen auf Platonische Begriffe. Und vielleicht darf man sagen, daß nur im sorgfältigen Auflesen dieser historischen Fäden ein später Denker der schwierigen Aufgabe gerecht werden konnte, eine systematische Einführung zur methodischen Würdigung der Geometrie zu geben. Denn so greift er an den historischen Ursprung des Problems zurück, der zugleich sein logischer Ursprung ist. Dieser Ursprung ist die Methode der Grundlegung, wie sie in der Ideenlehre entdeckt und begründet worden war. Proklus nun, der nicht sowohl die einzelnen Schritte der Geometrie als ihren durchgehenden Seins- und Methodencharakter beleuchten und begründen will, muß hierbei unwillkürlich diesen Ursprung zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung machen. Er muß zur Klarstellung seines eigenen Problems die Platonischen Probleme heranziehen und erklären. So wird ihm die Einleitung zum Euklidkommentar unmerklich wieder zum Kommentar. Für den Epigonen Piatos ist eben die Philosophie der Mathematik identisch mit der Durchführung Platonischer Gedanken über mathematische Probleme.
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i. Das mathematische Sein. Der Euklidkommentar beginnt damit, das Problem der Mathematik genau zu umgrenzen, ihm — wie man modern sagen würde — den logischen Ort anzuweisen. Es handelt sich in ihm um ein Sein, das „mathematische Sein" Quaftrjfiazixr) ovaia). Aber dieses Sein ist nicht identisch mit dem, was man schlechthin Sein nennt, und ebensowenig identisch mit dem, was die Philosophie an Sein zugrunde legt, um jenes Sein zu begründen. Wie denn das mathematische Denken weder mit dem Denken der Prinzipien noch auch mit dem der Dinge zusammenfällt. Das eine wäre zu hoch, das andere zu tief gegriffen. Das Mathematische liegt mitten zwischen den nodmaxa und eo%aTa yevrj. Es ist weder „einfach und ungeteilt" wie die aöiaiQETOi vnoozdaEtg, noch auch in „mannigfaltigen und bunten" Zusammensetzungen und Trennungen verstreut, wie „das Geteilte". W a s das Mathematische von diesem letzteren trennt, ist unmittelbar einleuchtend. Denn es bewegt sich im Denken und verfährt in Begriffen, was beides dem Geteilten, d. i. dem Konkreten fernliegt. Aber worin es sich vom Denken der philosophischen Prinzipien unterscheide, ist nicht so leicht einzusehen. Proklus gibt als Grund für dieses Zurücktreten an den zweiten Platz zunächst die „Tendenz zur Durchführung in den Unternehmungen" der Mathematik an (rd die£odixdv tv%rj das Mathematische habe. Das so formulierte Erkenntnisproblem der Mathematik läßt drei Möglichkeiten zu. Entweder hat die \pv%fj alles aus sich selbst, oder sie hat es vom vovg, oder endlich sie hat es sowohl vom vovg als aus sich selbst (15, 19 f.). Denn vovg und y)v%fj fallen für Proklus keineswegs zusammen. A u c h die Qi?) einführt und ebenso g e sondert die von ihnen ausgehenden av^iTisgaa^axa. A u f diese W e i s e kann er freilich nicht von den Prinzipien Rechenschaft ablegen, sondern nur von ihrem enöfievov — und zwar auf G r u n d der Prinzipien. E s ist aber auch nicht erforderlich, daß er diese Rechenschaft gebe. „ D e n n keine Wissenschaft beweist ihre eigenen
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Prinzipien, noch macht sie hinsichtlich ihrer eine Erklärung, sondern sie ist sich einfach ihrer selbst g e w i ß , und zwar sind sie ihr noch mehr einleuchtend als das Folgende. Sie weiß sie durch sie selbst, das Folgende aber nur durch jene." Und ebenso verfährt auch der Naturforscher, der Mediziner, kurz ein jeder, der eine Wissenschaft oder eine Kunst betreibt (75, 10—22). Das ist wieder ein ganz Platonischer Z u g in Proklus, daß der Mathematiker über seine eigenen Prinzipien nicht Rechenschaft schuldig ist, sondern sie einfach anzuwenden hat. Das bedeutet natürlich k e i n e s w e g s , daß über diese Prinzipien etwa keine Rechenschaft mehr möglich wäre. Diese k o m m t nur von anderer Seite: „ E i n e Wissenschaft nur ist unhypothetisch, die anderen aber empfangen von ihr her ihre Prinzipien" (75, 9f.). Diese eine ist die Dialektik, die „bis zu dem äya&6v" als dem avvno'&erov aufsteigt (31, 15) und die daher K r a f t hat, Begründung zu g e b e n , wie sie von den Spezialwissenschaften nicht gegeben werden kann. Und aus diesem Grunde hat das apodeiktische Verfahren der Mathematik auf diese nur durch Dialektik begründeten Prinzipien als auf etwas anderes, von allem Folgenden Verschiedenes, hinzublicken, nämlich als auf etwas, was überhaupt nicht in der „beweisenden" K o m p e t e n z der Erkenntnis liegt, sondern im Gegensatz zu ihr, und vor ihr, entsteht. „ W e n n aber jemand die Prinzipien und das aus den Prinzipien in eins v e r m e n g t , so verwirrt dieser die ganze Erkenntnis und rührt zusammen, was nicht zueinander gehört. Denn Prinzip und aus ihm Folgendes sind von Natur geschieden voneinander" (75, 22—26). Dieser methodische Grundsatz reinlicher Scheidung ist eine bloße F o l g e der Entgegensetzung von analytischer und apodeiktischer Methode. E r ist aber ebenso, wie er Folgerung ihrer Entgegensetzung ist, auch zugleich notwendige Vorbedingung ihrer Durchführung und Anwendung. S o weit folgt Proklus noch genau seinem ursprünglichen Gedanken v o n der Korrelation der Methoden. Hieran anschließend macht er aber eine Unterscheidung in dem methodischen Charakter der geometrischen Prinzipien, durch welche die vnö&eois eingeschränkt wird. Diese Einteilung stammt von Euklid und letztlich von Aristoteles her. Sie unterscheidet gesondert nebeneinander vitofteoeis, alxr^iaxa und ägid>[iaTa (76, 5 f.). D a ß diese drei voneinander verschieden sind, wird an dem verschiedenen Verhältnis des Lernenden zu ihnen gezeigt. Verschieden aber ist dieses Verhältnis, weil sie nicht die gleiche einleuchtende K r a f t besitzen.
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A m meisten hat ihrer das A x i o m . Dieses ist dem Lernenden „verständlich" (yvmQI/UOV) und zugleich „an sich selbst g e w i ß " (xa&' amo niaiov), — wie der Satz, daß, was ein- und demselben gleich ist, auch einander gleich ist. Dagegen soll nun die vno&eaig zwar aus sich selbst g e w i ß , aber nicht verständlich sein, — wie z. B. der S a t z , daß der Kreis eine soundso beschaffene Figur sei. Das Aitern schließlich ist weder einleuchtend noch gewiß, wird aber dennoch angenommen, weil es für das Folgende nötig ist, — wie der Satz, daß alle rechten W i n k e l gleich sind (76, 4 — 2 1 ) . E s ist klar, daß hiernach den A x i o m e n die erste Stelle zukommt, jedenfalls besitzen sie mehr Erkenntniskraft als die vnödeaig; wie denn auch anderweitig (58, 7f.) erklärt wird, sie seien diejenigen Prinzipien, die über den Bereich e i n e r Wissenschaft hinausreichen und so für mehrere zugleich als Prinzipien dienen. Nun ist kein Zweifel, daß diese Einteilung nicht jener weiten, Platonischen Bedeutung der vnofleois entspricht, im Sinne welcher es hieß, man müsse die naQa&dyfiaxa für Zahlen wie für Figuren, für Xoyoi wie für mvrjoeis zugrunde legen (yno•ftereov, 17, 11), oder noch bestimmter, die Wissenschaft der Geometrie sei e | vno&eoeoos und beweise deshalb von definierten Prinzipien aus das Folgende (75, 6—8). A n solchen Stellen ist es klar, daß Proklus alle aoyui ihrem methodischen Charakter nach als vno&eoeig hinstellt, ohne Unterschied ihres Geltungsgebiets. Und nach der allgemeinen Methodik des Zugrundelegens, wie er sie sonst anwendet, muß ein Prinzip um so mehr vnoßeai? sein, j e allgemeinere Geltung es hat. Die scheinbare Einschränkung, die dagegen am Begriff der vnöfteois in der Einteilung der Prinzipien gemacht wird, ist wohl demgegenüber nur als eine Konzession an die Euklidische und Aristotelische Terminologie anzusehen, wie Proklus ja auch selbst zu verstehen gibt. Und er fügt hinzu, es gebe A n d e r e (die Stoiker), die jedes einfache Urteil ein A x i o m nennen, so daß für diese also auch die vnoMasig A x i o m e wären, und wieder Andere, die umgekehrt auch die A x i o m e zu den vjio&eoug rechneten. In beiden Fällen sind dann alle Prinzipien vnoMosig (77, 2—6). W e n n man hierzu die im Parmenideskommentar häufig wiederkehrende Behauptung nimmt, die Methode der imö&eoig umschließe alle anderen Methoden und mit ihnen den ganzen Bereich der Prinzipien, so ist es klar, daß es sich für Proklus um keine prinzipiell-philosophische Ausschließung zwischen A x i o m und vnö&eoig handeln kann, und daß er, wo er tatsäch-
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lieh von einer solchen spricht, nicht die allgemeine vn6ftemg meint, sondern ihr bereits eine von dieser wesentlich verschiedene B e d e u t u n g gibt. W i e nun die Prinzipien Unterschiede z e i g e n , so auch das ihnen F o l g e n d e . Dieses zeigt zwei G r u n d t y p e n : T h e o r e m und Problem. D a s T h e o r e m ist der Lehrsatz. In ihm k o m m t es auf die B e h a u p t u n g und ihren Beweis a n , also auf das ov/ußeßrjxog xad-' avr6. D a s Problem d a g e g e n ist die geometrische A u f g a b e , und zwar im wesentlichen K o n s t r u k t i o n s a u f g a b e . In dieser m u ß nicht nur der B e w e i s einer B e h a u p t u n g , sondern vielmehr diese selbst noch gefunden werden. D a s F i n d e n geschieht im Konstruieren (yiyveo&ai, yeveaig1). Proklus neigt aber dazu, diesen Unterschied nicht allzusehr auf die Spitze zu treiben. D e n n auch die Probleme bedürfen des Beweises. Sie haben also auch etwas von der Natur des T h e o r e m s in sich; wie denn überhaupt die ganze G e o m e t r i e ein v o r w i e g e n d „ t h e o retisches" G e b i e t ist und nicht ein poietisches. D a s ngößXtjfia aber wäre, streng g e n o m m e n , wenigstens sofern es yeveaig einschließt, der noitjaig analog, wie sie auf anderen G e b i e t e n (z. B. Mechanik) stattfindet (77, 7 — 2 0 ) . D i e yeveaig aber ist es ja auch g e r a d e , mit der es seine S c h w i e r i g k e i t e n hat auf g e o m e t r i s c h e m G e b i e t . D e n n ein atdiov kann d o c h kein W e r d e n haben. Proklus b e g e g n e t d e m so: es sei besser zu behaupten, „ d a ß alles dasselbe ist ( T h e o r e m wie P r o b l e m ) , d a ß wir aber die yeveaig derselben nicht d e m T u n , sondern der Erkenntnis nach ansehen (ov noirjnxcög, älXa yvmaxixä>g), gleich als ob wir das e w i g S e i e n d e w e r d e n d nehmen, so d a ß wir auch b e h a u p t e n werden, alles würde t h e o r e m a t i s c h und nicht problematisch g e n o m m e n " (78, 3 — 8 ) . N a c h anderer Meinung sind T h e o r e m e und Probleme g e s c h i e d e n , weil in diesen das G e s u c h t e erst hergestellt, in j e n e n aber als schon bestimmt a n g e n o m m e n wird. Proklus gibt beiden Meinungen recht. D e n n die P r o b l e m e der G e o m e t r i e sind eben andere als die der M e c h a n i k ; aber ohne K o n s t r u k t i o n , d. i. ohne ngöodog zur vlr\ ist auch in ihr nicht d u r c h z u k o m m e n ; nur ist diese eine ittt] voi)rtf. „Indem die Xöyoi in diese eintreten und sie gestalten, sagt man mit R e c h t , d a ß sie den yeveaeig gleichen. D e n n wir s a g e n , d a ß die B e w e g u n g unserer diavoia und die E r z e u g u n g der koyoi in ihr eine ysveaig der in der cpavtaoia befindlichen F i g u r e n ist . . ." (78, 20—24). x) Daß ysveois bei Proklus vielfach die Bedeutung von „Konstruktion" hat, ist gezeigt bei Altenburg, S. 190 f.
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D a ß also ein Unterschied zwischen T h e o r e m und Problem da ist, soll nicht in Z w e i f e l g e z o g e n werden. A b e r das Überw i e g e n d e (rò nleovàt,ov) in der G e o m e t r i e ist die Theorie. D e n n die P r o b l e m e haben alle an der T h e o r i e teil, aber nicht u m g e k e h r t die T h e o r e m e a m C h a r a k t e r der ysveatg. D e n n alles den Prinzipien F o l g e n d e wird durch den B e w e i s ergriffen (di' ànoÒEÌ^em? lafißarsrai). S o ist das T h e o r e m das xoivóregov (79, 4 — 9 ) . U n d dieses Ergriffenwerden durch den B e w e i s ist deshalb nicht unbedingt an die konstruierende yéveois gebunden, weil es j a (auch bei Euklid) T h e o r e m e g i b t , die ohne sie ausk o m m e n . D i e s e bringen „ v o n sich selbst" (avró'&ev), d. h. aus ihrem rein theorematischen Charakter heraus, den Beweis für das tyrovfievov. D a z u macht Proklus noch die A n s i c h t geltend, das Problem nehme nicht nur die Prädikate der v l t j auf, sondern auch immer zugleich das G e g e n t e i l von ihnen (wobei unter vXt] die F i g u r verstanden ist, u m die es sich jedesmal handelt). D a s T h e o r e m d a g e g e n nimmt das G e g e n t e i l nicht auf, sondern nur die Prädikate, die es selbst geltend macht. Diese sind in ihm das xa-&' avrò av/jißeßfjxog. D i e Einzeichnung eines gleichseitigen D r e i e c k s in den K r e i s ist P r o b l e m , weil man auch ein nicht gleichseitiges einzeichnen kann. D a ß aber im gleichschenkligen D r e i e c k die W i n k e l an der Basis gleich seien, ist T h e o r e m ; denn es ist unmöglich, daß sie auch in irgendeinem Falle ungleich seien (79, 1 1 — 8 o , 2). „ W o r i n also das S y m p t o m (das zu Beweisende) ein streng A l l g e m e i n e s (xaftofaxóv) ist und der ganzen vir] anhaftet, das, m u ß man s a g e n , sind T h e o r e m e ; worin es aber kein A l l g e m e i n e s ist und nicht auf j e d e n Fall d e m vnoxei/uevov z u k o m m t , m u ß man als P r o b l e m s e t z e n " (80, 5 — 9 ) . D a h e r k ö n n e n auch nur die T h e o r e m e in Urteilsform gekleidet w e r d e n (80, 24). U n d so ist denn auch die B e d e u t u n g des B e weises eine verschiedene in b e i d e n Fällen. A m P r o b l e m ist er vrjg yevéoecog %CLQIV da und beweist nichts als die Richtigkeit der K o n s t r u k t i o n (81, 14). A m T h e o r e m aber beweist er die A l l gemeinheit eines Urteils. E s ist interessant zu sehen, wie auch in diesen Durchführungen die allgemeine G r u n d m e t h o d e — wenigstens der T e n d e n z nach — sich durchsetzt. D i e G e o m e t r i e ist wesentlich beweisende W i s s e n s c h a f t . D a r u m ist für sie bezeichnend der theorematische Charakter. U n d alles, w a s diesen nicht rein zeigt, sinkt zum sekundären M o m e n t herab. D a s T h e o r e m hängt zwar ebenso am R a u m b e g r i f f wie das P r o b l e m , es entwickelt und beweist seine Möglichkeiten. A b e r es ist an ihm d o c h die
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eigentliche, methodische Leistung, während letzteres bloß Explizierung ist. Für die wissenschaftliche Leistung muß es aber wesentlich nur auf die erstere ankommen. Denn nicht in der Konstruktion, sondern in der Einheit der methodischen Grundrichtung vollzieht sich die Einheit der Wissenschaft als eines Ganzen. Nur so ergibt ihr Ganzes ein System, indem in jedem Punkte die aufsteigende Methode mit der absteigenden sich decken kann. Denn wie die ersten Grundlegungen in ihr sich alle durch analytische Methode begründen, so die letzten Konsequenzen alle durch apodeiktische. In dieser hat jene ihr Korrelat und ihre Kontrolle. So überwiegt zugleich der Gesichtspunkt der allgemeinen „mathematischen ovaia" über den der spezielleren geometrischen vÄr). Jener involviert die große Methodenkorrelation, dieser nur das Prinzip der konstruierenden yeveaig. Und so wichtig die letztere für das Gebiet der Geometrie ist, so ist doch sie es nicht, die Genauigkeit und Unwiderleglichkeit gewährt. Das kann nur eine durchgehende Methode leisten, welche die Anfänge mit dem Endproblem verkettet. In einer solchen gründet sich der eigentliche Wissenschaftscharakter der Geometrie. Diesen Charakter teilt sie mit aller reinen Mathematik, vor allem mit der Arithmetik. So ist die Einheit des „mathematischen Seins" auch in dem besonderen Seinsgebiet der Geometrie der maßgebende Gesichtspunkt. Sie erstreckt somit wirklich, gemäß der systematischen Disposition des Proklus, ihre unendlich sich entrollende dialektische Kraft über alle besonderen Gebiete und Stufen hinab bis in das „Äußerste", das seinerseits schon unterhalb der Mathematik überhaupt liegt, jenes selbe „Äußerste", von welchem als dem e|a> Trjg ävafivrjoEwg der analytische Aufstieg zu den vnod-eaeig beginnt.
Philosophische Arbeiten Der kritische Idealismus und die Philosophie des -gesunden Menschenverstandes"
i. Band 1. Heft
VIII, 35 S.
1. Band
von Dr. Ernst Cassirer
Jl —.80
Beiträge zur Geschichte der Idee Teil I: Philon und Plotin
2 Heft
V, 66 S.
1.Band
von Dr. Gustav Falter
Der G o t t e s b e g r i f f bei L e i b n i z
3. Heft
yorwort VI, 138 S.
1. Band 4-Heft
zu
se
inem System
von Dr. Albert Görland
Ji 3.60
Das Problem der Empfindung I. Die Empfindung und das Bewußtsein IV, 115 S.
ix. Band
von Dr. Johannes Paulsen
J6 2.80
Über M a t h e m a t i k Erweiterung der Einleitung in die Didaktik
H e f t
32 S.
xi. Band 2. Heft
von Prof. Dr. Max Simon
M —.80
A r i s t o t e l e s und K a n t
bezüglich der Idee der theoretischen Erkenntnis untersucht VI, 503 S.
Iii.Band
von Dr. Albert Görland
Jt 16 —
P i a t o s Logik des Seins von
X, 512 S.
Dr. Nicolai Hartmann
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Als weitere Hefte werden sich anschließen: Dr. O. Buek: Faraday. — Dr. Ernst Cassirer: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Versuch einer syst. Darstellung der Entwickelung der neueren Philosophie. — Der Begriff der Erfahrung im System der kritischen Philosophie. — Professor Dr. H. Cohen: Grundfragen des Idealismus. — Dr. A. Görland: Die Prinzipien der Kombinatorik als reiner Erkenntnis im Dienste des Begriffs der Erfahrung. — Professor Dr. P. Natorp: Kritische Auseinandersetzungen zur Psychologie. — Dr. J. Paulsen: Das Problem der Empfindung. II. Beim Bezüge der erschienenen Bände und bei Bestellung der Fortsetzung liefere ich die Bände 1—3 für 26 Mk. statt 40.20 Mk. Weimar. — Hof-Buchdruckerei.