Der zeitliche Grund des Selbstbewusstseins 9783883098197


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Der zeitliche Grund des Selbstbewusstseins
 9783883098197

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Till Grohmann Der zeitliche Grund des Selbstbewusstseins

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LIBRI VIRIDES

16

Herausgegeben von

Hans Rainer Sepp

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! Wissenschaftlicher Beirat Suzi Adams • Adelaide | Babette Babich • New York | Kimberly Baltzer-Jaray • Waterloo, Ontario | Damir Barbaric • Zagreb | Marcus Brainard • London | Martin Cajthaml • Olomouc | Mauro Carbone • Lyon | Chan Fai Cheung • Hong Kong | Cristian Ciocan • Bucureç ti | Ion Copoeru Cluj-Napoca | Renato Cristin • Trieste | Riccardo Dottori • Roma | Eddo Evink • Groningen | Matthias Fiatscher • Wien | Dimitri Ginev • Sofia | Jean-Christophe Goddard • Toulouse | Andrzej Gniazdowski • Warszawa | Ludger Hagedorn • Wien | Terri J. Hennings • Freiburg | Seongha Hong • Jeollabukdo | Edmundo Johnson • Santiago de Chile | Ren é Kaufmann • Dresden | Vakhtang Kebuladze • Kyjiw | D éan Komel • Ljubljana | Pavlos Kontos • Patras | Kwok-ying Lau • Hong Kong | Mette Lebech • Maynooth | Nam-In Lee • Seoul | Monika Malek • Wroclaw | Balazs Mezei Budapest | Viktor Molchanov • Moskwa | Liangkang Ni • Guanghzou | Cathrin Nielsen • Frankfurt am Main | Ashraf Noor Jerusalem | Karel Novotny • Praha | Luis Roman Rabanaque • Buenos Aires | Gian Maria Raimondi • Pisa | Rosemary Rizo-Patrö n de Lerner • Lima Kiyoshi Sakai • Tokyo | Javier San Martin • Madrid | Alexander Schnell • Paris Marcia Schuback • Stockholm | Agustm Serrano de Haro • Madrid | Tatiana Shchyttsova Vilnius | Olga Shparaga • Minsk Michael Staudigl • Wien | Georg Stenger • Wien | Silvia Stoller • Wien | Ananta Sukla • Cuttack | Toru Tani • Kyoto Detlef Thiel • Wiesbaden | Lubica Ucnik • Perth | Pol Vandevelde • Milwaukee Chung-chi Yu Kaohsiung | Antonio Zirion • M é xico City - Morelia.

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Die libri viricies werden am Mitteleuropä ischen Institut f ü r Philosophie, Fakult ä t f ü r Humanwissenschaften der Karls- Universitä t Prag herausgegeben. www.sif-praha.cz

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Till Grohmann

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des Selbstbewusstseins Reflexion und Zeitlichkeit bei Edmund Husserl

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Verlag Traugott Bautz GmbH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar ü ber http:/ / dnb.ddb.de

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Der vorliegende Band erscheint im Rahmen einer Studienf ö rderung von EuroPhilosophie.

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Verlag Traugott Bautz GmbH D-99734 Nordhausen 2013 Gedruckt auf s äurefreiem, alterungsbest ä ndigem Papier Alle Rechte Vorbehalten Printed in Germany

ISBN 978-3-88309-819-7

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In Gedenken an Inge Hornischer

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

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Einf ü hrung

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Erster Abschnitt Reflexion I. Kapitel: Verschiedene Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

16

§ 1 Nat ü rliche Selbstreflexion § 2 Pluralit ä t transzendentaler Reflexionsbegriffe § 3 Reflexion als Epoché § 4 Reflexionen als konkrete Arbeitsinstrumente der Ph ä nomenologie § 5 Ausdrü ckliche Reflexion § 6 Unausdrü ckliche Reflexion

16 18 21 26 28 32

II. Kapitel: Reflexive Horizonte

37

§ 7 Doppelte Horizonthaftigkeit § 8 Noematische Horizonthaftigkeit § 9 Noetische Horizonthaftigkeit

37 39 43

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Inhaltsverzeichnis

Zweiter Abschnitt Retention I . Kapitel: Erste Konzeption der Retenion (1893-1905 )

49

§ 10 Meinong: R ü ckgriff auf die Urteilslogik § 11 Brentanos urspr ü ngliche Assoziation § 12 Präsenzzeit Sterns § 13 Retention als Selbstdifferenzierung der Akte

49 52 54 57

II. Kapitel: Zweite Konzeption der Retention (1905-1909 )

60

§ 14 Zweifache zeitliche Wahrnehmung

60

III. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention (1909-1911)

66

§ 15 Kritik an der Repr äsentationstheorie § 16 Ablaufsph ä nomene und kontinuierliche Modifikation § 17 Ausdr ü ckliche Reflexion gegr ü ndet in der Retention. Ausdr ü ckliche Reflexion als Verbildlichung

66 68

71

Dritter Abschnitt Zwei Konzeptionen pr ä-reflexiven Selbstbewusstseins I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Lä ngsintentionalit ä t

78

§ 18 Lä ngsintentionalit ä t § 19 Einschrä nkung der Zeitkonstitution auf das ichliche Aktbewusstsein § 20 Scheitern der Lä ngsintentionalit ä t: , unbewusstes Bewusstsein und Urimpression. Unzulässige Anwendung der ausdrü cklichen Reflexion

79 82



II. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Empfindungsbewusstsein

86

91

§ 21 Transzendentalphilosophische Relevanz der

ph ä nomenologischen Hyletik § 22 Prä-reflexives Bewusstsein als Empfindungsbewusstsein § 23 Urempfindungsbewusstsein

8

91 94 96

Inhaltsverzeichnis I

Vierter Abschnitt Zeitlicher Urprozess

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§ 24 Urprozess und Ablaufsph ä nomene § 25 Protention und Urpräsentation § 26 Nebeneinander zweier transzendentaler Zeitströ me § 27 Kernstruktur: Modellisierung des Urprozesses § 28 Prä-reflexives Selbstbewusstsein durch Erf ü llungstendenz § 29 Die Frage nach gegenst ä ndlicher pr ä- reflexiver Gegebenheit § 30 Nicht-ichlicher Urprozess und Horizontbildung

99 102 106 108

Schlusswort

125

Literaturverzeichnis

128

Personenregister

132

111 115 120

9

Vorwort

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Die vorliegende Untersuchung entstand in ihren Grundz ü gen wä hrend eines zweijä hrigen Studienaufenthaltes im Rahmen des Programms Erasmus Master-Mundus Europhilosophie an den drei verschiedenen Universitä ten von Memphis , USA, der Karlsuniversit ä t Prag in der Tschechischen Republik sowie der Bergischen Universit ä t Wuppertal, Deutschland. Die wertvollen Impulse, die ich an diesen Universit ä ten von den Herrn Professoren Tom Nenon, Hans Rainer Sepp und Laszlö Tengelyi erhalten habe waren richtungweisend f ü r meine gesamten Ü berlegungen. Zu besonderem Dank bin ich dabei Herrn Prof . Tengelyi verpflichtet, der meine Arbeit ü ber die Dauer des gesamten zweiten und letzten Jahres betreute und dessen Gespräche und Kritiken mir oft halfen , mich in den Forschungsmanuskripten Husserls zurechtzufinden . Ebenfalls zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof . Alexander Schnell, auf dessen Texte ich in meinen Analysen immer wieder Bezug nehme und dessen Ratschlä ge mir äu ßerst wertvoll sind. Nicht zuletzt sind auch alle meine Kollegen und Freunde zu erwä hnen , die ich im Rahmen dieses zweijä hrigen Studienprogramms kennenlernen durfte und unter denen vornehmlich Georgy Chernavin und Abed Kanoor mir in langen Gesprä chen und Diskussionsrunden zur Ausarbeitung meiner eigenen Ü berlegungen bei Seite standen.

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Einf ü hrung Die sokratische Leitidee des delphischen Orakels ist immer wieder Aus gangspunkt philosophischer Blickrichtung geworden. Die Tatsache, dass das schon vor mehr als zweitausend Jahren ausgesprochene „ Erkenne dich selbst “, nicht nur zum Motto der entstehenden Philosophie werden konnte, sondern diesen Anspruch ü berdies bis heute noch immer in sich trä gt , scheint Grund genug zu sein , in ihm die historische Freigabe eines ersten und letzten Forschungsfeldes zu sehen . Edmund Husserl war sich dessen sehr wohl bewusst, weshalb er auch im zweiten Teil seiner Vorlesungen Erste Philosophie nicht nur einen „systematischen Vollzug jenes reinen « Erkenne dich selbst! » l forderte, sondern diesen Vollzug unter dem Begriff der „ transzendentalen Epoch é “ auch in aller zu w ü nschenden Systematizit ä t entwickelte. Spä testens jedoch mit der Ausarbeitung dieser Epoch é pr ä gte Husserl einen ganz eigenen Sinn, eine besondere Variante der Anfang des 19. Jahrhunderts im Entstehen begriffenen Bewegung der Ph ä nomenologie. Denn eigentlich war es das zu dieser Zeit lauthals proklamierte Diktum „ Zur ü ck zu den Sachen selbst!“ gewesen, das sich die Ph ä nomenologen aller couleur auf die Fahne schrieben und demzufolge die „Sache selbst “ in der eigenst ä ndigen Dimension ihres Erscheinens aufgesucht und entschlüsselt werden sollte. Die Eigenart der Husserlschen Ph ä nomenologie bestand nun keinesfalls darin, dieses Diktum ganz und gar zu verwerfen, als vielmehr dessen beson deren Akzent von der „Sache selbst “ auf das „Selbst der Sache “ zu verlegen um damit ganz bewusst an die Tradition des Sokrates anzukn ü pfen. Wird die Frage des Erscheinens der Sache somit in die Frage nach der (Selbst-) Er scheinung der konstituierenden Subjektivit ä t umgem ü nzt, so wird Sach - zu einer besonderen Art von Selbsterkenntnis - eben im Sinne einer transzen dentalen Selbsterkenntnis. Da eine solche Selbsterkenntnis jedoch immer einen besonderen Typ von reflexiver Erkenntnis darstellt, muss die M öglich keit der transzendentalen Ph ä nomenologie ganz aus der Fä higkeit der Refle ££

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Hua. VIII , S. 121.

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Einf ü hrung

xion heraus verstanden werden , dieser Forderung nach Selbsterkenntnis gerecht zu werden. Hiermit sind wir bereits bei unserem eigentlichen Problem angelan . gt Denn die Reflexion , gemeinhin verstanden als eine solche Selbstthematisierung des Subjekts , in der das Subjekts auf sich selbst in Form eines Objekts zur ü ckkommt, scheint insofern gerade nicht dazu in der Lage zu sein , den fungierenden Grund dieser Subjektivit ä t aufzudecken, als dieser Grund in einer urspr ü nglich prinzipiell ungegenst ändlichen Gegebenheitsweise beruht . Dieses Problem wurde nun nicht nur allein von Phänomenologen erkannt und herausgearbeitet , sondern auch gerade im Forschungsgebiet der klassi schen deutschen Philosophie 2 - vor allem in Bezug auf Fichte und Schellin g - sowie neuerdings auch im Bereich der analytischen Philosophie3 einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Die gemeinhinnige Strategie, dem Subjekt den verlorengegangenen Status eines letztbegr ü ndenden Prinzips alles Wissens zur ü ckzuerstatten , verläuft dabei zumeist derart , dass man sich auf das Bestehen eines prä - reflexiven Selbstbewusstseins zu berufen pflegt , in dem das Subjekt sich selbst in einer ungegenstä ndlichen und unmittelbaren Art und Weise „ bewusst hat 4 “. Wenn solcherart Untersuchungen nun sicherlich dazu in der Lage sind , eines der wohl urspr ü nglichsten Ph ä nomene der menschlichen Subjektivit ä t aufzudecken , so scheinen sie doch f ü r die Phä nomenologie und der Rechtfertigung ihres auf einer reflexiven Methode gegr ü ndeten Vorgehens immer noch unzureichend zu sein. Diese Unzulänglichkeit tritt sonderbarer Weise selbst bei bekennenden Ph änomenologen zu Tage , die sich weniger am Problem der Reflexion selbst abzuarbeiten pflegen , als sich vielmehr zu einer oft undifferenzierten Gegen ü berstellung von Reflexion ( = vergegenst ä ndlichend ) und prä- reflexivem Selbstbewusstsein ( =

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So beispielsweise bei D. Henrich und der sogenannten „ Heidelberger Schule “ (Vgl. u . a. D. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt: Klostermann , 1967) . 3 Um einen besonderen Dialog zwischen klassischer deutscher und analytischer Philosophie hat sich hinsichtlich des Themas des Selbstbewusstseins vor allem Manfred Frank bem ü ht (Vgl. u.a. M. Frank, Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis, Stuttgart : Reclam , 1991; wie ebenso: M. Frank, Selbstbewusstseinstheorien von Fichte bis Sartre, M. Frank ( Hg. ) , Frankfurt : Suhrkamp, 1991 ) . 4 Heidegger spricht in dieser Hinsicht von einem urspr ü nglichen „ Mich-selbstHaben “ ( M . Heidegger, Wegmarken, GA 9, Frankfurt: Klostermann, 1976, S. 29 ) .

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ungegenst ä ndlich ) verleiten lassen 5. Denn dem einzigen Verweis auf einen urspr ü nglich prä- reflexiven Selbstbezug wird immer wieder die eine uneigentliche und verklä rende Art der SelbstwahrnehmungReflexion als abgewiesen Hiermit jedoch werden die methodologischen Probleme der Ph ä nomenolo gie keinesfalls gelöst, sondern vielmehr als unlösbar gestaltet. Denn wenn das unmittelbare Selbstbewusstsein zwar sicherlich ein unbezwe ifelbares Faktum menschlicher Subjektivit ä t ist, so erlaubt es dieses Faktum noch nicht zu erklä ren , wie transzendentale Selbsterkenntnis in systematischer Art und Weise entwickelt werden kann. Sicherlich weist nun Husserl bereits in seinen Logischen Untersuch un gen6 darauf hin, dass die Reflexion als immanente Wahrnehmung ein Akt ad ä quater Wahrnehmung ist , und begr ü ndet dies gleichzeitig in seinen Zeit analysen dadurch, dass vergangenes Bewusstsein durch die Retention in unver ä nderter Form behalten und gegeben wird . Und der vergegenst ä ndlichende Prozess der Reflexion soll - wie Eugen Fink 7 und in neuerer Zeit ebenso Ni Liangkang8 darauf hingewiesen haben - insofern kein Problem mehr darstellen , als in der transzendentalen Reflexion das Vergegenst ä nd lichte eben gerade nicht (im Sinne des Psychologismus) transzendent aufge fasst wird 9. Die Vergegenst ä ndlichung der transzendentalen Reflexion soll hierbei dadurch unschädlich gemacht werden, dass sie als ein rein formaler Aspekt des Ph ä nomens abgetan wird, der dessen wesentlichen Gehalt unbe5

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Dies gilt nicht nur f ü r ältere Phä nomenologen der „ zweiten Generation wie .J P. Sartre ( L'être et le néant, Gallimard: Paris 1943, S. 16f.) und M. MerleauPonty ( Phénoménologie de la perception, Gallimard : Paris 1945, S. 263f . ) , son dern ebenso f ü r neuere Phänomenologen, die sich intensiv mit dem Problem des Selbstbewusstseins auseinandersetzen wie D. Zahavi ( Self-a wareness and Alterity. A phenomenological investigation Northwestern University Press: Evanston, Illinois, 1999, S. 14 f.) . Vgl. E. Husserl, Hua. XIX/ I, A 333f. / B 354f. E. Fink ( VI Cartesianische Meditation: Texte aus dem Nachlass Eugen Finks (1932) , Bd . I, van Kerckhoven, G. (Hg.) , Dordrecht / Boston / London: Kluwer Academic Publishers 1988 ) . N. Liangkang, „ Urbewusstsein und Reflexion bei Husserl “, Husserl-Studies, Kluwer, 15, 1998. E. Fink ( VI Cartesianische Meditation, op. cit., S, 26) spricht in dieser Hinsicht von einem sich durch die transzendentale Epoch é vollziehenden „ Umbrechen der welt- finalen Lebenstendenz“ ; N. Liangkang ( Urbewusstsein und Reflexion bei Husserl\ op. cit ., S. 89 ) hingegen bemerkt , dass die transzendentale Reflexion „ nichts [...] pr ä sumiert , appr äsentiert oder konstruiert “.

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Einf ü hrung r ü hrt lasse . Das Problem stellt sich jedoch in dem Moment wieder von Neu em ein , sobald der formale Aspekt des Ph ä nomens selbst in den Vordergrund r ü ckt und zu einer inhaltlichen Bestimmung desselben wird - wie dies beispielsweise in den Analysen des inneren Zeitbewusstseins und ganz signifi-

kant bei der Beschreibung der Retention der Fall ist. Wird daher auf das unmittelbare ( Husserl sagt „ absolute ” ) Zeitbewusstsein reflektiert , so kommt es zu einer Verwandlung der ungegenst ändlich erlebten Dauer in eine gegenst ä ndliche Jetztzeitstellenstrecke, d. h . urspr ü nglich erlebte Zeit wird verwandelt in eine objektive Zeitlinie. Die Vergegenst ä ndlichung der Refle xion denaturiert das Ph ä nomen ursprü nglich erlebter Zeitlichkeit. Mit der vergegenst ä ndlichenden Reflexion allein kann sich die ph ä nomenologische Ergr ü ndung des Zeitbewusstseins daher immer nur im Kreise drehen: Die Reflexion versteht das urspr ü nglich Konstituierende zwangsläufig im Sinne des Konstituierten, wodurch der gef ü rchtete unendliche Regress nicht mehr aufzuhalten scheint. Will man somit an der Reflexion als grundlegendstes Arbeitsinstrument der Phä nomenologie festhalten, so gilt es, andere als die in der bisherigen Debatte ü ber Reflexion und Selbstbewusstsein in Stellung gebrachten Erklä rungen zu mobilisieren und vielmehr zu zeigen , dass der Begriff der Reflexion in der transzendentalen Phä nomenologie äu ßerst vielschichtig ist und es ebenso viele verschiedene Reflexionsarten gibt, als es auch Ph ä nomene gibt, die sich in ihrer Erscheinungsform grundlegend von einander unterscheiden. Wir wollen deswegen auf den Gebrauch der Reflexion in der Ph ä nomenologie selbst reflektieren und dadurch versuchen, die verschiedenen in ihr implizit operierenden Reflexionsbegriffe an den Tag zu f ö rdern. Eine solche methodologische Reflexion kann jedoch nur dann ins Ziel kommen , wenn die neu gewonnenen Reflexionsbegriffe auch aus ihrem zeitlichen Urgrund heraus entwickelt und so in ihrer transzendentalen M ö glichkeit erklä rt werden. Diese Problemlage f ü hrt uns in der vorliegenden Arbeit dazu , die beiden f ü r die Phä nomenologie Edmund Husserls grundlegenden Begriffe der Reflexion und der Zeitlichkeit aufeinander zu beziehen und sie in ihrem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu problematisieren. Der hierzu in Stellung gebrachte dritte und beiden Begriffen gemeinsame Term ist der des Selbstbewusstseins. Das Selbstbewusstsein beschreibt innerhalb der Husserlschen Philosophie denjenigen transzendentalen Grund, durch den das Problem der Zeitlichkeit mit dem der Reflexion urspr ü nglich vereint ist. Und es ist eben diese Problemlage, welche sogleich den gesamten Verlauf unserer Untersuchung bestimmen wird: In einem ersten , ganz der Reflexion gewid-

14

r Einf ü hrung

meten Abschnitt werden wir in einem ersten Kapitel verschiedene Reflexionsbegriffe der transzendentalen Reflexion unterscheiden , um dann im zweiten Kapitel anzugeben , was und wie diese Reflexionen das verborgene Bewusstseinsleben analysieren. Im zweiten Abschnitt dagegen werden wir uns ganz der Retention widmen, d. h. nichts anderem als der zeitlichen Entrückung des Bewusstseins hin zum Bereich des soeben -Vergangenen . Das Problem der Retention dient uns dabei nicht nur als Einstieg in das weitaus größere Problemfeld der Zeitlichkeit des Bewusstseins, sondern es wird uns gleichzeitig auch in die Lage versetzen , eine unserer ersten Reflexionsarten auf ihren zeitlichen Grund hin zur ü ckzuf ü hren. Die innere Struktur dieses zweiten, vollst ändig der Retention gewidmeten Abschnitts beinhaltet drei Kapitel, in denen jeweils eine unterschiedliche Konzeption der Retention dargelegt und historisch aufgearbeitet wird. In unserem dritten Abschnitt werden wir uns sodann mit dem Husserlschen Begriff des prä-reflexiven Selbstbewusstseins auseinandersetzen und zeigen , dass Husserl selbst in seinen bis zum Jahre 1913 produzierten Untersuchungen des Zeitproblems zwei verschiedene Konzeptionen des Selbstbewusstseins erarbeitet hat. Es wird sich sodann heraussteilen, dass Husserls erste Konzeption des präreflexiven Selbstbewusstseins entscheidende systematische M ä ngel aufweist, die es letztendlich notwendig machen, diese erste Konzeption zu verlassen und eine zweite auszuarbeiten. Da diese zweite Konzeption in der ihr erforderlichen Gr ü ndlichkeit von Husserl allerdings erst in den Jahren 1917-1918 erarbeitet wird, so werden wir uns in einem vierten und letzten Abschnitt eingehender mit den sogenannten Bernauer Zeitmanuskripten befassen. Allein durch die in den Bernauer Zeitmanuskripten dargelegte Erkl ä rung des prä-reflexiven Selbstbewusstseins werden wir letztendlich dazu in der Lage sein, unser anf ä ngliches Forschungsziel zu erreichen und alle von uns im ersten Abschnitt herausgearbeiteten Reflexionsarten auf ihren zeitlichen Grund zurü ckzuf ü hren und transzendental zu begr ü nden .

15

Erster Abschnitt Reflexion

I. Kapitel Verschiedene Reflexionsarten der Ph änomenologie Husserls § 1 - Nat ü rliche Selbstreflexion

Die Reflexion beschreibt eine dem menschlichen Bewusstsein stä ndig zur Verf ü gung stehende M ö glichkeit . So kann ich beispielsweise innerhalb eines jeden Wahrnehmungsaktes meinen Blick vom wahrgenommenen Gegenstand abwenden und mich der Art und Weise zuwenden, wie ich diesen Gegens tand wahrnehme. Im Falle einer Hauswahrnehmung k ö nnte die Reflexion sodann darin bestehen, das Sehen des Hauses selbst „ in den Blick ” zu bringen und sich etwa zu fragen, wie mir dieses Haus erscheint, ü berschreitet es mein Blickfeld , durchlaufe ich seine Erscheinung in einzelnen Schritten oder erfasse ich es vielmehr auf ein und denselben Schlag ? Dies wä re eine am Gegenstandspol interessierte, d. h. eine auf die bestimmte Weise der Erscheinung , abzielende Reflexion. Da der Wahrnehmungsakt , den die Reflexion „ in den Blick” bringt, jedoch niemals ein frei in der Luft schwebender ist, sondern phä nomenologisch gesehen immer eine intentionale Beziehung von einem Subjekt zu einem wahrgenommenen Objekt voraussetzt , so ist die Reflexion nicht nur auf den Gegenstandspol beschrä nkt, sondern kann sich auch immer mit dem Subjektpol befassen . So kann ich mich beispielsweise fragen , ob beim An blick des Hauses etwas in mir „ vorgeht ”, ob dieses Haus mich an etwas erinnert, Gef ü hle in mir wach ruft usw. Es gilt daher festzuhalten , dass das refle-

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I. Kapitel: Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

xive Eindringen in den Wahrnehmungsakt immer in zwei verschiedenen Hinsichten vollzogen werden kann, dass ebenso subjektive wie auch objektive Horizonte freigelegt und er öffnen werden k ö nnen. Erlangen wir durch die ersteren einen tieferen Einblick in die Welt und die in ihr erscheinenden Dinge, so erlangen wir durch die letzteren einen Einblick in die Person, die wir sind und die in die dieser Welt zu Hause ist. Neben diesen beiden ersten Funktionen kommt der empirischen oder nat ü rlichen Selbstreflexion allerdings auch eine gewichtige Rolle in der Ent wicklung und Herausbildung der Pers ö nlichkeit zu . Wie ist das zu verstehen ? Im unmittelbaren Erleben der Dinge und der Welt ist das Handeln ebenso unmittelbar, d. h . urspr ü nglich unreflektiert. Die Unmittelbarkeit dieses unreflektierten Handelns bedeutet nun allerdings keinesfalls, dass dieses Handeln f ü r das Subjekt bedeutungslos wä re und in keiner Weise pr ägend auf es wirken wü rde. Ganz im Gegenteil, Husserl betont , dass durch den Vollzug einer ersten Handlung immer auch eine bleibende Habitualit ä t gestiftet wird. Entscheide ich mich z. B. erstmalig in einem Urteilsakte f ü r ein Sein und Sosein, so vergeht dieser fl ü chtige Akt , aber nunmehr bin ich, und bleibend, das so und so entschiedene Ich, „ich bin der betreffenden Ü berzeu gung“. [...] Ich entschlie ß e mich - das Akterlebnis verstr ö mt , aber der Entschlu ß verharrt - ob ich passiv werdend in dumpfen Schlaf versinke oder andere Akte durchlebe - er ist fortdauernd in Geltung [. . .] .10

Liegt der stiftende Anfang unserer durch Habitualit ä ten , Meinungen , Vorlieben etc. geformten Persönlichkeit vornehmlich in unmittelbar vollzogenen Handlungen und Entschl ü ssen, so scheint die empirische Selbstreflexion ein blo ß nachfolgender Akt zu sein , dem keinerlei konstituierende Funktion zukommt - gegen ü ber der Unmittelbarkeit der Stiftung wä re die empirische Selbstreflexion in dieser Hinsicht lediglich ein sekund ä rer Vollzug. Allerdings beschreibt Person -Sein nicht nur die Tatsache, ein blo ß er „Trä ger von Eigenschaften “ zu sein , sondern beinhaltet vielmehr immer auch ein gewisses Selbstverst ä ndnis, ein gewisses Verst ä ndnis seiner Fä higkeiten und Eigen schaften. Und eben solch ein Verständnis kann sich nur dadurch etablieren, dass auch ein versicherndes Zurü ckkommen zu meinen eigenen Ü berzeu gungen , Vorlieben, Geschm ä ckern und Entschl ü ssen m ö glich ist. Es ist hier die empirische Selbstreflexion , die mit einem solchen Zur ü ckkommen zur 10

Hua. I , S. 68.

17

Erster Abschnitt

Ausformung und Verfestigung meiner Person beiträ gt. Denn, so Husserl, die einmal gestiftete Ü berzeugung ist lediglich insofern f ü r mich in Geltung, als „ ich auf sie wiederholt „ zur ü ckkommen “ [kann ] und [...] sie immer wieder [finde] als die meine, die mir habituell eigene, bzw. ich finde mich als das Ich, das ü berzeugt ist - durch diesen bleibenden Habitus als verharrendes Ich bestimmt [...]. 11 « Das bewusstmachende Versichern seiner selbst in der empirischen Selbstreflexion ist zu verstehen als eine ausdr ü ckliche Art und Weise, zu den Ereignissen der Welt Stellung zu nehmen; eine Ausdrü cklichkeit, durch die ü berhaupt erst eine zuvor blo ß vorbewusst vollzogene Positionierung tat sächlich sedimentiert, verfestigt und zu Bewusstsein erhoben wird. In dieser Hinsicht ist die Reflexion ein psychologisch -anthropologisches Faktum der Konstitution einer Selbstheit. Als ein solches Faktum kommt ihr sicherlich eine gewisse konstitutive Notwendigkeit zu , allerdings eine solche, die auf die Konstitution einer empirischen Persö nlichkeit beschrä nkt bleibt. Neben, „ hinter ” oder „ unter ” dem Empirischen ist die Husserlsche Ph ä nomenologie allerdings am Transzendentalen interessiert. Fü r sie geht es daher in erster Linie um die Entdeckung eines transzendentalen Selbst. Steht nun die Konstitution eines empirischen Selbst in notwendiger Beziehung zur empirischen Reflexion auf dieses Selbst, so liegt es nahe, auch das transzendentale Selbst mit einer transzendentalen Reflexion in Verbin dung zu setzen - eine transzendentale Reflexion welche ihrerseits das von der nat ü rlichen Reflexion entdeckte empirische Selbst in „ transzendentaler Reinheit ” zu geben f ä hig w ä re. Was also ist unter dem Begriff einer trans zendentalen Reflexion zu verstehen und inwiefern wä re diese zu unterscheiden von der empirischen Selbstreflexion ? § 2 - Pluralit ä t transzendentaler Reflexionsbegriffe Die Frage nach der in der Husserlschen Phänomenologie verwendeten transzendentalen Reflexion f ü hrt uns zur Frage nach ihrer besonderen Methode. Die Untersuchung ü ber den Unterschied von nat ü rlicher Selbstreflexion einerseits und transzendentaler Reflexion andererseits verwandelt sich daher in eine methodische Reflexion , welche uns in greifbare N ä he zu der von Eugen Fink entwickelten „ transzendentale [n ] Methodenlehre12 “ bringt. 11 12

18

Ebd. E. Fink, VI. Cartesianische Meditation, op.cit., S. 16.

I. Kapitel: Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

Wie Fink sich programmatisch ausdr ü ckt , soll diese Methodenlehre „ die ganze Systematik der ph ä nomenologischen Fragestellungen, die Struktur des methodischen Vorgehens, die Dignitä t und den Stil transzendentaler Erkenntnis und „Wissenschaft “ ph ä nomenologisch verst ä ndlich 13 “ machen. Aufgrund der inhaltlichen Nä he unserer Ü berlegungen ü ber die ph ä nome nologischen Arbeitsinstrumente und der Finkschen Methodenlehre halten wir es im Folgenden f ü r gerechtfertigt, immer wieder von den Husserlschen Primä rtexten abzuweichen und uns auch Finks VI Cartesianischer Meditation zuzuwenden. Was also sagt Fink zum Unterschied von nat ü rlicher Selbstreflexion und transzendentaler Reflexion ? [Wir] [...] m üssen vor Augen halten, dass die transzendentale Reflexion nicht mit einer Reflexion schlechthin verglichen werden kann , als einer bloß en Umwendung einer Geradehineinstellung, dass sie keine Reflexion in einem vorbekannten und vorgegebenen Sinne darstellt, also auch nicht mit den Verstä ndnismitteln des weltlichen Strukturwissens um Reflexion und Reflexionsiterabilit ä t begriffen werden kann.14

Worin besteht diese „ Unvergleichbarkeit ” der beiden Reflexionsarten und inwiefern haben wir nicht doch wesentliche Gemeinsamkeiten anzusetzen ? Bleiben wir zuerst bei der Frage nach den Gemeinsamkeiten: Insofern die nat ü rliche Reflexion in Bewusstseinsleistungen einzudringen sucht, die die sem Bewusstsein in der Unmittelbarkeit seines Handelns verborgen geblieben sind, und insofern sie des Weiteren nicht nur ein gewisses Erkenntnisin teresse bedient, sondern auch wesentlich an der Konstitution einer ohne sie undenkbaren ( empirischen ) Selbstheit beiträ gt, ist sie durchaus mit der transzendentalen Reflexion zu vergleichen . Was jedoch die Unvergleichbarkeit der beiden Reflexionsbegriffe anbelangt , so muss darauf hingewiesen werden, dass der Sinn der von der ph ä nomenologischen Reflexion aufgewendeten Begriffe der „Selbstheit ” , des „ Erkenntnisinteresses ” sowie auch des „ Bewusstseins ” ein vollkommen anderer ist als der der nat ü rlichen Refle-

xion. Hierzu abermals Fink: Die nat ü rliche Sprache erleidet durch die Inanspruchnahme durch den phä nomenologischen Zuschauer f ü r die Ausdrü cklichmachung seiner transzendentalen Erkenntnisse keine „Verwandlung “ ihrer ä u ß erlichen Vokabularen Form , sondern in der Weise ihres Bedeutens. In die Sprachfunk 13 14

Ebd., S. 8. Ebd., S. 15.

19

Erster Abschnitt

tion des ph ä nomenologisierenden Ich eingestellt, kann kein einziges Wort den nat ü rlichen Sinn beibehalten, vielmehr dient jetzt die mit der be stimmten Vokabel indizierte nat ü rliche Bedeutung selbst nur als Anzeige f ü r einen transzendentalen Wortsinn.15

Die Unvergleichbarkeit von nat ü rlicher und ph ä nomenologisch-transzen dentaler Reflexion muss daher verstanden werden ausgehend von der grundlegenden Verwandlung, die die Phä nomenologie als Methode dem gesamten Bewusstseinsleben im Allgemeinen und damit im Besonderen auch der dieses

Leben strukturierenden Sprache und ihrer Begrifflichkeiten zuteil werden lässt. Diese Verwandlung beruht nun in nichts anderem als in der phänomenologischen Epoché. Diese ist es, welche den transzendentalen Reflexionen der Phä nomenologie einen vollkommen anderen Status und Sinn zuteilt als den empirischen Reflexionen. Allerdings ist uns mit einem solchen Hinweis auf die transzendentale Epoch é f ü r unsere Untersuchung weniger eine Lösung angegeben, als vielmehr ein weiterer Problembereich er ö ffnet. Denn ist die Epoché ihrerseits selbst als eine besondere Art transzendentaler Reflexion zu verstehen - Fink beschreibt sie ausdrü cklich als eine „ reflexive Epoch é von einer unerhörten dynamischen Struktur 16 “ -, so scheint es auf den ersten Blick unm ö glich zu sein , den Unterschied von nat ü rlicher und transzendentaler Reflexion durch den blo ß en Verweis auf die durch die Epoch é herbeigef ü hrte Verwandlung der Bedeutungsfunktion erklä ren zu wollen. Das Problem ist dasjenige eines aufbrechenden Zirkels innerhalb der Argumentation. Aus diesem Zirkel kö nnen wir jedoch dann ausbrechen, wenn wir versuchen nachzuvollziehen, dass der transzendentale Reflexionsbegriff innerhalb der Phä nomenologie Huss.erls ä u ß erst vielschichtig ist. Aufgrund einer solchen Vielschichtigkeit ist diejenige „ Reflexion ”, die f ü r die Verwandlung des Bewusstseinslebens im Ganzen zust ä ndig ist, eine wesentlich andere als all diejenigen „Reflexionen ”, die dem Ph ä nomenologen als konkrete Arbeitsinstrumente zur Verf ü gung stehen.' Worin also bestehen all diese Reflexionen im Einzelnen ? Wir begin nen mit der das Bewusstseinsleben grundlegend verwandelnden Reflexion der tränszendentalen Epoché.

15 16

20

Ebd ., S. 96. Ebd., S. 11.

I. Kapitel: Reflexionsarten der Phä nomenologie Husserls

§ 3 - Reflexion als Epoch é

Die transzendentale Epoché beschreibt den allgemeinen und notwendigen Einstieg in das Feld ph änomenologischer Forschung. Ihre Bedeutung kann somit f ü r die Ph ä nomenologie Husserls nur schwer zu hoch eingeschä tzt werden. Aufgrund dieser herausragenden Bedeutung und ihrer Komplexit ä t werden wir im Folgenden ihre wichtigsten Aspekte in gesonderter Weise behandeln. Da all diese Aspekte nur durch den Rü ckgriff auf die Reflexion verst ä ndlich werden, liegt in ihnen gleichzeitig die Bestä tigung der Fink schen Beschreibung der Epoché als Reflexion.

A. Universal und mit einem Schlage

Im § 63 der Ideen / stellt Husserl fest, „ da ß es vor aller sachbestimmenden Methode schon einer [anderen] Methode bedarf , n ä mlich um ü berhaupt das Sachfeld des transzendental reinen Bewu ß tseins in den erfassenden Blick zu bringen 17“. Hiermit gemeint ist die transzendentale Epoch é. Als erste und allgemeine Eröffnung des Sachfeldes geht sie gleichzeitig einher mit „ eine [r] m ü hsame [n] Blickabwendung von den immerfort bewu ß ten, [...] nat ü rli chen Gegebenheiten 18“. Die sachbestimmende Methode der Epoché ist daher etwas grundlegend Doppeltes: eine „ In -den-Blick - Nahme ” mit einer gleich zeitigen „ Abwendung des Blicks ”. Allein ein solch er öffnend-verschlie ß en des Spiel ist dazu in der Lage, das transzendentale Ichleben in den Fokus phänomenologischer Forschung zu bringen. Hinf ü hrend-entdeckend/ abwendend-ausschaltend ist die Epoch é eine auf das konstituierende Bewusstseinsleben zurü ckf ü hrende Reflexion in der eine universale Ausschaltung der Seinssetzung der Welt vollzogen wird. Ausschaltung und Hinf ü hrung gehö ren insofern zusammen, als die Ausschaltung der Seinssetzung einerseits nur sinnvoll ist innerhalb einer reflexiven Hinf ü hrung auf das Ichleben und an dererseits die Reflexion solange noch nicht dazu in der Lage ist, das Bewusstseinsleben als transzendental-konstituierendes zu er öffnen, als dieses Ichleben nicht mit einer Ausschaltung behaftet wird . Diese beiden Wesensmerkmale der Epoch é kristallisieren sich bei Hus serl nun anhand zweier Begriffe heraus, an denen er bis in sein Spä twerk der Krisis hinein festhalten wird: Die reflexive Epoch é muss nicht nur eine „ uni-

17 18

Hua. Ill, S. 136. Ebd.

21

t Erster Abschnitt

versale 19“ sein, sondern sie muss dazu noch „ mit einem Schlage20“ ausgef ü hrt werden. „ Universal “ und „ mit einem Schlage“ kann die Epoché daher nicht darin bestehen, im Wahrnehmungsakt eines einzelnen Gegenstandes sich dessen Seinssetzung zu enthalten und - auf diese Weise fortschreitend - alle erdenklichen Seinssetzungen in einem jeden singulä ren Akt auszuschalten. Eine progressiv voranschreitende Ausschaltung wü rde nicht nur das Problem mit sich bringen , dass die Ph ä nomenologie niemals dazu in der Lage wä re, allgemeingü ltige und apriorische Strukturen des Bewusstseins herauszuarbeiten ; viel problematischer ist hierbei noch die Tatsache, dass eine jede singuläre Ausschaltung auf einem Seinboden vollzogen wird, der seinerseits unber ü hrt, d. h. unausgeschaltet bleibt. Denn , so Husserl: „Die Enthaltung vom Vollzug einzelner Geltungen [...] schafft nur f ü r eine jede einen neuen Geltungsmodus auf dem nat ü rlichen Weltboden [, ..].21“ Wie aber kommt der Ph ä nomenologe zu einem solchen Bewusstsein der Universalit ä t , aufgrund dessen er dann die Ausschaltung der Seinssetzung „ mit einem Schlage “ vollziehen kann ? Die Ph ä nomenologie Husserls arbeitet einzig und allein in und mit den von der „ Natur ” des Bewusstseins selbst vorgegebenen Strukturen. Es ist daher selbstverst ä ndlich , dass die von ihr verwendeten Werkzeuge allesamt schon als allgemeine M öglichkeiten im Bewusstsein angelegt sein m ü ssen 22. Keinesfalls darf der Phä nomenologe somit in einer metaphysischen Spekulation dasjenige zu entwerfen suchen, was ihm zu einem „ universalen “ Bewusstsein und einer pl ö tzlichen Ausschaltung verhelfen k önnte. Die Metho de kann unm ö glich „ erfunden ” , sondern lediglich im Ausgangspunkt von gegebenen Mö glichkeiten entwickelt werden - M ö glichkeiten, die auch dem nat ü rlichen Bewusstsein immer schon gegeben sind, von denen dieses Bewusstsein aber gerade keinen reinen, sondern eben lediglich einen natürlichen und empirischen Gebrauch macht. Genau diese Bedingtheit der ph ä nomenologischen Methode berü cksich tigt Husserl in seinen Vorträ gen zu Erste Philosophie, wenn er die Universa19 20 21 22

22

Hya. VI, S. 153. Ebd. Hua. VI, S. 153. In dieser Hinsicht muss die Bemerkung Husserls aus Erste Philosophie YQRSTANden werden, wonach die „Philosophie selbst nur systematische Selbstentfaltung der transzendentalen Subjektivit ä t in Form von systematischer transzendentaler Selbsttheoretisierung auf dem Grunde der transzendentalen Selbsterfahrung und ihrer Derivate [ist] “ ( Hua. VIII, S. 167) .

I. Kapitel: Reflexionsarten der Phä nomenologie Husserls

litä t der Epoch é dadurch zu erklä ren sucht, dass wir in unserem nat ü rlichen Bewusstseinsleben immer schon Akte vollzogen haben , die „ ganze Lebens strecken 23“ betreffen und diese Lebensstre-cken unter den bestimmten Ent schluss eines Willens gestellt haben. Reflexionen k ö nnen aber auch ganze Lebensstrecken betreffen , z . B. ich ü berschaue den gestrigen Tag oder meine sch ö ne Studienzeit oder richte meinen Blick auf die kommenden Osterferien und ihren voraussichtlichen Verlauf. Na t ü rlich kann ich auch entsprechende Entschlüsse fassen, welche die ganzen Lebensstrecken betreffen,24

Die Lä nge dieser in den ü berschauenden Blick gebrachten Lebensstrecken kann nun zufolge Husserl sogar soweit ausgeweitet werden, dass „ ich auch mein gesamtes Leben universal ü berschauen und f ü r mein ganzes Leben Entschlü sse fassen [kann] 25“. Genau aus dieser empirischen M ö glichkeit heraus speist sich nun die ph ä nomenologische Epoch é 26, welche daher zu verstehen ist, als eine transzendentale Variante der auch in der nat ü rlichen Einstellung existierenden ,,reflektive [n] Selbstregelung27“.

23 24 25 26

Ebd., S. 154. Ebd. Ebd . Die Tatsache, dass die Epoch é als transzendentale Möglichkeit bereits in der Einstellung angelegt ist, darf keinesfalls verwechselt werden mit dem Problem ihrer Motivation. Denn liegt die Möglichkeit bereits in der natü rlichen Einstellung begr ü ndet, so steht es f ü r die Motivation ganz anders. Hus serl arbeitet in seinen Werken verschiedene Wege heraus , die von der nat ü rli chen Einstellung zur transzendentalen Epoch é f ü hren sollen , wobei er immer wieder versucht, den Motivationsgrund der Epoché in der nat ü rlichen Einstellung selbst anzusiedeln (Vgl. hierzu : Bernet, Kern, Marbach, Edmund Husserl, Darstellung seines Denkens, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1996, S. 60 f .) . Doch nicht zuletzt der immerwährende Neuanfang dieser Ausarbeitung scheint Grund genug zu sein, letztendlich der Finkschen Annahme Recht zu geben, wonach der zur Reduktion f ü hrende Willensentschluss deshalb nicht aus der nat ü rlichen Einstellung zu entwickeln ist , weil er diese aufhebt ( Vgl. E. Fink , VI Cartesianische Meditation, op.cit., S. 32 f .) . Die Schlussfolgerung Finks ist jedoch leider ebenso problematisch wie diejenige Husserls: „ Die phänomenologische Reduktion setzt sich selbst voraus“ ( ebd ., S. 39) . Hua. VIII, S. 154. nat ü rlichen

27

23

Erster Abschnitt i

B. Abständigkeit

der Reflexion - Verdopplung

und Spaltung

Doch nicht nur dieser in einer universalen Ü berschau verortete Ursprung macht die transzendentale Epoché zu einer Reflexion: die Reflexivit ä t ist der Epoch é insofern noch eine Notwendigkeit, als allein erstere dazu in der Lage ist , eine ben ö tigte Mittelbarkeit, einen Abstand dort einzuf ü hren, wo sich das nat ü rliche Ich best ä ndig in der Wahrnehmung der Welt zu verlieren droht. Diese Abst ä ndigkeit hinsichtlich der wahrgenommenen Welt h ängt damit zusammen , dass der Gegenstand des reflektierenden Phänomenologen selbst derjenige (intentionale ) Akt ist, durch den sich das nat ü rliche Ich auf einen Gegenstand bezieht. Die Epoch é als Reflexion ist daher zu verstehen im Sinne eines Aktes „ zweiter Potenz ”, der selbst nur in Bezug auf eine andere Bewusstseinsleistung m ö glich ist. Wie Husserl in Erster Philosophie bemerkt , f ü hrt eine solche Verdopplung der Leistungen zu einer Spaltung des Ich; Spaltung, die selbst wieder den Charakter einer Verdopplung des Ichs hat: [...] in der lebendigen Gegenwart habe ich in Koexistenz das verdoppelte Ich und den verdoppelten Ichaktus; also [einerseits] das Ich, das jetzt kontinuierlich das Haus betrachtet, und [andererseits] das Ich, das den Aktus vollzieht: „Ich bin dessen inne, da ß ich kontinuierlich das Haus betrach«

te .28

Die Verdopplung des Ichs in und durch die reflexive Epoch é ist nun notwendige Voraussetzung der M ö glichkeit daf ü r, dass die Ausschaltung des transzendenten Seinssinnes der Welt keine blo ß e Destruktion im Sinne eines „ nicht - mehr- Habens ” dieser Welt ist. Dies ist in der Tat von gro ß er Bedeu tung. Denn wä re die Epoch é nicht in einer spaltenden und verdoppelnden Reflexion eingebettet, so w ü rde die Ausschaltung des Seinssinnes der Welt unser Welterleben grundlegend verä ndern - ohne uns im Geringsten die Mö glichkeit zu bieten, dieses Welterleben verstehen und analysieren zu k ö n nen . Eine Ausschaltung ohne Verdopplung des Ichs wü rde unsere Geradehineinstellung zur Welt zwar verwandeln, durch diese Verwandlung wü rde aber n ö'ch keine Analyse der nat ü rlichen Einstellung m ö glich gemacht werden. Unter Ber ü cksichtung des Unterschiedes von Destruktion einerseits und blo ßer Ausschaltung andererseits hebt Husserl im zweiten Abschnitt der Ideen I hervor, dass die Ausschaltung (im Sinne eines Entschlusses ) etwas ist, was in eigent ü mlicher Weise zu dem nat ü rlichen Ichleben „ hinzu28

24

Ebd., S. 89.

! I I

I. Kapitel: Reflexionsarten der Phä nomenologie Husserls

tritt ” ( dessen vollzogene Seinssetzung dadurch keinesfalls verschwindet, sondern vielmehr erst analysierbar wird ) : Sie [die Seinsthesis] ist weiter noch da, wie das Eingeklammerte in der Klammer, wie das Ausgeschaltete au ß erhalb des Zusammenhanges der Schaltung. Wir können auch sagen: Die Thesis ist Erlebnis, wir machen von ihr aber „keinen Gebrauch“ vielmehr handelt es sich bei diesem , wie bei allen parallelen Ausdr ü cken, um andeutende Bezeichnungen einer bestimmten eigenartigen Bewu ßtseinsweise, die zur urspr ü nglichen 29 schlichten Thesis [...] hinzutritt

Nur wenn die Thesis daher weiterhin „ Erlebnis “ ist, wir aber von ihr „ keinen Gebrauch “ machen, ist es möglich, die nat ü rliche Einstellung und ihr selbstvergessendes Handeln zu analysieren und sie auf die konstituierenden Akte des transzendentalen ego zurü ckzuf ü hren. Die Mö glichkeit der transzenden talen Epoch é beruht daher auch insofern in einer Reflexion , als ohne diese Reflexion nicht die ben ö tigte Abst ä ndigkeit zur nat ü rlichen Einstellung gegeben werden kö nnte, die doch zur Analyse letzterer notwendig ist. C. Reines Erkenntnisinteresse Stiftung einer phänomenologischen Einstellung

Letztendliches Ziel der reflexiven Epoch é ist die Herausbildung der phänomenologischen Einstellung. Diese Einstellung ist zu verstehen im Sinne des bleibenden Erwerbs einer Erkenntnishabitualit ä t. Worin entsteht diese ? Aus der von der epochalen Reflexion herbeigef ü hrten Verdopplung des Ichs entsteht ein phänomenologisierendes Ich, das das transzendentale Ich aus seiner „Selbstverlorenheit 30“ befreit und es in das Licht der Reflexion stellt. Dieses ph ä nomenologisierende Ich beschreibt Husserl als einen am „Dasein der Welt ü berhaupt absolut uninteressierte n] Zuschauer*1“ . Unin teressiert ist dieser Zuschauer am Sein oder Nicht-Sein der Welt und der Dinge; als Reflektierender jedoch ist er, wie Husserl sagt, „ nicht in jeder Hinsicht uninteressiert 32 “, denn: „ Ich vollziehe ja einen Akt, bet ä tige ein Erkenntnisinteresse [, ..].33“ Dieses reine Erkenntnisinteresse richtet sich

^

29 30 31 32 33

Hua. Ill, S. 63. Hua. VIII, S. 88. Ebd., S. 92. Ebd., S. 97. Ebd.

25

Erster Abschnitt

jedoch nicht auf die Welt in ihrem Sein oder nicht -Sein, sondern „ auf mich und mein Wahrnehmen in seinem puren Eigensein “, „auf das rein Subjektive “ in seinem „ rein immanenten Gehalte 34 “. Motiviert durch reines Erkenntnisinteresse gewinnt das ph ä nomenologisierende Ich daher das phä nomenologische Forschungsfeld der konstituierenden Leistungen des transzendentalen Bewusstseins. Die phänomenologische Einstellung entsteht dabei allein durch eine immer wiederkehrender Wiederholung und Befriedigung dieses Erkenntnisinteresses. Erst durch einen immerwä hrenden Vollzug der Epoch é kann der Ph ä nomenologe also eine Habitualität erwerben , in der sich der „ uninteressierte Zuschauer“ als dauerhafte Begleiterscheinung der Erfahrung etablieren kann . Die reflexive Epoch é sollte hier in ihrem Verm ö gen der Er öffnung des ph änomenologischen Forschungsfeldes erhellt werden. Diese Eröffnung gipfelt in der Herausbildung der ph ä nomenologischen Einstellung als bleibendes Interesse am rein -subjektiven, intentionalen Leben. Die herausragen de Bedeutung der Reflexion f ü r die Ph ä nomenologie beschrä nkt sich allerdings keinesfalls auf die Begrü ndung einer solchen Einstellung. Als eröffnendes Werkzeug ist die reflexive Epoch é vielmehr lediglich Einstieg und Anfang aller weiteren , noch folgenden Arbeit. Diejenigen Reflexionen, die dieses durch die Epoch é blo ß entdeckte intentionale Leben einer systematischen Analyse unterwerfen, sind andere, neue Arten der Reflexion. Diese wollen wir nunmehr im Sinne „ konkreter Arbeitsinstrumente ” der Ph änomenologie untersuchen. § 4 - Reflexionen als konkrete Arbeitsinstrumente der Ph ä nomenologie

Welche Mittel stehen dem Ph ä nomenologen zur Beschreibung, Analyse, Auslegung, Klassifizierung und Strukturierung des konstituierenden Ichlebens zur Verf ü gung ? Wieder ist es die Reflexion, die Husserl im III. Abschnitt der Ideen I als konkretes Arbeitsinstrument der Ph ä nomenologie verstanden wissen will. Reflexion ist [. ..] ein Titel f ü r Akte, in denen der Erlebnisstrom mit all seinen mannigfachen Vorkommnissen ( Erlebnismomenten, Intentionalien ) evident fassbar und analysierbar wird. Sie ist [...] der Titel der Bewu ß t seinsmethode f ü r die Erkenntnis von Bewu ß tsein überhaupt.35 34 35

26

Ebd. Hua. Ill, S. 165.

I

I. Kapitel: Reflexionsarten der Phä nomenologie Husserls

Ebenso wie die Epoch é, so sind auch die konkreten Reflexionen ganz allgemein als eine Art „ Bewusstseinsmodifikation 36 “ zu verstehen, die „ wesensm äß ig aus Einstellungs ä nderung hervorgeht 37“. Der grundlegende Unterschied besteht jedoch darin, dass die konkreten Reflexionen partiellen Charakter haben und sich gezielt auf einzelne Erlebnisse beziehen , wohingegen die Reflexion der Epoch é bewusst universal und unbestimmt gehalten wird. Die Arbeitsinstrumente des Ph änomenologen sind zumeist selbst immanent gerichtete Akte des Aufmerkens und des Achtens auf... Als solche bereichern sie den Erlebnisstrom und k ö nnen daher ihrerseits selbst Ge genstand einer neuen, h ö herstufigen Reflexion werden . Aufgrund dieser m ö glichen iterativen Verschachtelung von Reflexionen und Reflexionen kann Husserl sagen, dass sich das „Studium des Erlebnisstromes [...] seinerseits in mancherlei eigent ü mlich gebauten reflektiven Akten [vollzieht] , die selbst wieder in den Erlebnisstrom geh ö ren und in entsprechenden Reflexio nen h ö herer Stufe zu Objekten von ph ä nomenologischen Analysen gemacht werden k ö nnen 38 “. Diese m ö gliche Iterabilit ä t der Reflexion ist jedoch nicht nur auf eine Reflexionsart allein zu beziehen, sondern als konkretes Arbeits instrument muss der Begriff der Reflexion vielmehr selbst im Plural gedacht werden. Niemals k ö nnte eine Art der Reflexion allein dazu in der Lage sein , die Reichhaltigkeit des intentionalen Lebens der transzendentalen Subjektivit ä t an den Tag zu f ö rdern. Vielmehr muss es m ö glich sein , in ganz verschiedenen Arten der Reflexion auf die transzendentalen Leistungen in nicht-reduktiver Art und Weise eingehen zu kö nnen 39. Husserls eigene Aus sagen sind hierzu allerdings spä rlich bis ganz fehlend . Dies macht es not wendig, sich anderer Quellen zu bedienen. Im Anschluss an Gisbert Hoffmanns Untersuchung Bewusstsein, Reflexion und Ich bei Husserl40 m ö chten wir uns daher an dessen Unterscheidung von zwei verschiedenen Reflexionsarten halten , deren Abgrenzung 36 37 38 39

40

Ebd., S. 166. Ebd . Ebd., S. 165. Erstaunlicher Weise wird gerade diese Reichhaltigkeit des ph ä nomenologischen Reflexionsbegriffes nicht nur von den Kritikern der Husserlschen Phä nomenologie verkannt, sondern ebenso auch von all denjenigen Philosophen, die sich bewusst zu dieser Tradition bekennen! G. Hoffmann, Bewusstsein, Reflexion und Ich bei Husserl Lembeck, K.-H., Orth, W. E., Sepp, H. R. ( Hg.) , Freiburg / M ü nchen: Karl Alber, 2001.

27

Erster Abschnitt

Husserl selbst, wie Hoffmann sagt, „ nicht mit der wü nschenswerten Deut lichkeit trifft noch expliziert 41 “. Hoffmann unterscheidet hinsichtlich der Reflexion zwischen einer „ ausdr ü cklichen ” und einer „ unausdrü cklichen ”. Im Folgenden wollen wir uns an dieser Begrifflichkeit orientieren und Hoffmann soweit folgen , als unser eigenes Verst ä ndnis der Reflexion ( en ) dies erlaubt. Dabei werden wir jedoch auch den genauen Punkt angeben m ü ssen , an dem sich unsere Konzeption der Reflexionen - insbesondere der „ unausdr ü cklichen ” - von derjenigen Hoffmanns unterscheidet. Beide Reflexionsarten k önnen aus den Schriften Husserls entnommen und aus diesen in ihrem wesentlichen Gehalt entwickelt werden § 5 - Ausdr ü ckliche Reflexion

Zur Entwicklung der ausdr ü cklichen Reflexion k ö nnen wir uns auf die beiden bereits zitierten Werke Husserls der Ideen / sowie der Ersten Philosophie berufen. Die Reflexion wird hier beiderseits als ein eigenst ä ndiger Akt einer „ immanenten “ oder „ inneren “ Wahrnehmung verstanden. „ Innerlich “ oder „immanent “ ist diese Reflexion , weil sie und das Erlebnis, worauf sie sich richtet, „zu demselben Erlebnisstrom gehören42“. Ihr wesentlichstes Merkmal besteht in der Vergegenst ä ndlichung des in den von ihr in den reflexiven Blick genommenen Erlebnisses . „Jedes Erlebnis, das nicht im Blicke ist, kann nach idealer Mö glichkeit zum „ erblickten “ werden, eine Reflexion des Ich richtet sich darauf , es wird nun zum Objekt für das Ich.43« Erst eine solche Vergegenst ä ndlichung macht es m ö glich, das Erlebnis eingehender zu studieren , zu analysieren und sein Wesen herauszuarbeiten. Durch die vergegenst ändlichende, ausdr ückliche Reflexion ist es m ö glich, verschiedene Aktgruppen zu isolieren und so das konstituierende Bewusst sein im Sinne einer wahrhaften Topologie der transzendentalen Leistungen zu strukturieren. Als Grundgruppen von Akten haben wir mit Husserl zu unterscheiden zwischen: Wahrnehmung, Phantasie, Bildbewusstsein, Wiedererinnerung, Erwartung, Einf ü hlung, kategoriale Akte und schlie ß lich auch den Reflexionen selbst. Die mit dem genauen Verst ä ndnis der konstitutiven Eigent ü mlichkeiten dieser Akte ins Ziel kommende Eidetik des Be41 42 43

28

Ebd., S. lll . Hua. III, 78. Ebd., S. 162.

I. Kapitel: Reflexionsarten der Phä nomenologie Husserls

wusstseins muss als letztendliche Aufgabe der „statischen Ph änomenolo„ 44 « verstanden werden. gie Indem die ausdr ü ckliche Reflexion nun aber zuvor ungegenst ä ndlich Erlebtes vergegenst ä ndlicht , bereichert sie den Erlebnisstrom um ein neues ungegenst ändliches Erlebnis: dasjenige der vollzogenen Reflexion. Jedes intentionale Erlebnis ist Erlebnis eines ego. Die ausdr ü ckliche Reflexion bewegt sich daher noch immer im Bereich der in Erster Philosophie heraus gearbeiteten „ Bewusstseinsspaltung“, die wir bereits zum Verstä ndnis der reflexiven Epoch é zu Rate gezogen hatten. Die ausdr ü ckliche Reflexion vergegenst ä ndlicht nicht nur die in den reflexiven Blick genommene cogitatio, sondern sie entlässt zudem noch ein neues höherstufiges Ich. Vergegenst ä ndlichung geht Hand in Hand mit Spaltung und Verdopplung. Besonderer Nutzen dieser Verdopplung ist es, dass der hö herstufige Akt der Reflexion das fungierende Ich aus dem vorangehenden Zustand seiner „Selbstverloren heit ” und „Selbstvergessenheit ” entreiß t und in die Bewusstheit seiner fungierenden Leistungen stellt. •

Was geschieht oder geschah in dieser Reflexion? In dieser Selbstwahrnehmung offenbar dies, da ß ich mich als Ich der Reflexion über den Aktus des „Ich nehme wahr“ erhebe, ü ber jenen Aktus, in dessen Vollzug aufgehend ich seiner und meiner als des vollziehenden Subjekts nicht gewahr wurde.45

Entsprechend des Prinzips der mö glichen Iterabilit ä t der Reflexion lebt das durch die Reflexion hervorgebrachte h ö herstufige Ich allerdings seinerseits in „ Vergessenheit ” gegen ü ber sich selbst und kann erst wieder durch eine weitere ( nunmehr dritte ) Reflexion zum vollen Bewusstsein seiner eigenen Aktuosit ä t gebracht werden. Immer also - auch in der noch so hochstufigen Reflexion - stehen wir vor dem Paar eines „ latenten 46 “, sich selbstvergessen den , und eines „ patenten 47“, wahrgenommenen und reflektierten Ichs. Diese Doppeltheit aus Bewusstheit und Selbstvergessenheit ist f ü r die ausdr ü ckliche Reflexion notwendig, und dies trotz der Tatsache, dass immer wieder ein „ Patentwerden [...] f ü r jedes latente Ich , also auch das jeder Reflexion m ö glich [ist] 48“. Der sich hiermit anbahnende unendliche Regress der ausdrü ckli44 45 46 47 48

Auf den Unterschied zwischen statischer und genetischer Phä nomenologie werden wir im Folgenden noch Gelegenheit haben zur ü ckzukommen. Hua. VIII, S. 88. Hua. VIII, S. 90 Ebd. Ebd.

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Erster Abschnitt

chen Reflexion ist jedoch nach Husserl dadurch als unschädlich auszuweisen , dass ich mich in dieser unendlichen Reflexionskette immer wieder als Identischer wissen kann. Denn ist mir die M ö glichkeit des Vollzugs einer h ö herstufigen Reflexion best ä ndig gegeben, so kann ich mich immer wieder der Identit ä t aller unterstufigen Ichpole versichern 49. Um jedoch Identitifizierung und Spaltung des Ichs als eine grundlegen de Bestimmung der ausdr ü cklichen Reflexion verstehen zu k önnen, m ü ssen wir kurz - und ohne hier schon Entscheidendes vorwegnehmen zu wollen auf ihren zeitlichen Aspekt eingehen. Dazu Folgendes: Wir hatten gesagt , dass sich durch den Auswurf eines h öherstufigen Ichs der Status des von der Reflexion betrachteten Ichs von Selbstvergessenheit in Selbstbewusstheit verwandelt ( mit anderen Worten, dass das zuvor latente Ich patent wird) . Die Spaltung der ausdrü cklichen Reflexion hat daher - ebenso wie auch in der reflexiven Epoché - nur einen Sinn , wenn sie auch mit dem Prozess der Bewusstwerdung zusammengedacht wird. Genau dieser Wandel des Status der Bewusstheit ist aber nur unter einer doppelten zeitlichen Bedingung m ö glich: A. unter der eines zeit lichen Abstands und B. unter der eines Aufbewahrens der Vergangenheit im

Jetzt. A. Erhebe ich mich in der Reflexion ü ber den Akt der Wahrnehmung, nehme ich diesen selbst als Gegenstand und befreie ich dadurch das vorangehende Aktsubjekt von seiner Latenz, so ist dieser Status der Selbstverlorenheit bereits vor ü ber und geh ö rt - sobald die Aktuosit ä t des reflektierenden Ichs die neue Gegenwart erf ü llt - unmittelbar der Vergangenheit an. Freilich, wenn ich die Reflexion einsetzen lasse, ist das naive Wahrnehmen des selbstvergessenen Ich schon vorüber. [...] Nur in dieser Weise reflektierend -zurü ckgreifen kann ich das naive Wahrnehmen und das selbstvergessene Ich gewahren, das also ein Nachgewahren, und nicht eigentlich ein y/ahrnehmendes Erfassen ist.50

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Fink sagt seinerseits, dass der unendliche Regress nach Eintritt in die phä nomenologische Einstellung nicht mehr zu f ü rchten ist, insofern n ä mlich „ der Zu schauer des ph ä nomenologisierenden Zuschauers [...] kein Ich von einer differenten transzendentalen „Seinsweise “ [ist] “ und dass zwischen den beiden keine Kluft wie zwischen dem konstituierenden Ich und dem „ unbeteiligten “ Zuschauer “ besteht (E. Fink, VI Cartesianische Meditation, op.cit., S. 29 ) . Hua. VIII, S. 88.

I. Kapitel: Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

Sobald die ausdr ü ckliche Reflexion das Ich seiner Selbstvergessenheit ent reißt, ist die Naivitä t vorangehender Wahrnehmung bereits Vergangenheit. Das Nachgewahren der Vergessenheit ist unmittelbar die Entstehung der Bewusstheit selbst. Dieser Umschwung vom „Jetzt ” in ein „ Nach ”, der zeit liche Abstand also - mag er in objektiver Zeit gemessen auch noch so minimal sein -, ist hier als Bedingung der Möglichkeit der ausdrücklichen Reflexion zu verstehen: wü rde kein zeitlicher Abstand die beiden Zust ände (Selbstvergessenheit und Bewusstheit ) voneinander trennen , so k ö nnte die Unterscheidung keinesfalls statthaben 51. Diese Abh ä ngigkeit der ausdr ü cklichen Reflexion vom zeitlichen Abstand ist ebenso daf ü r verantwortlich , dass die ausdr ü ckliche Reflexion nicht gleichzeitig mit der von ihr in den reflexiven Blick genommenen Wahrnehmung vollzogen werden kann 52 . Zeitliche Abst ä ndigkeit ist nach Husserl nun Leistung des retentional modifizieren den Bewusstseins. Ohne die durch die Retention geschaffene zeitliche Abst ä ndigkeit ist daher keine Reflexion im Sinne eines Nachgewahrens m ö glich. B. Nicht nur muss sich das Jetzt in ein Vergangen wandeln , nicht nur muss es einen minimalen zeitlichen Abstand geben - ebenso notwendig ist es f ü r die ausdr ü ckliche Reflexion , dass der der Vergangenheit angeh ö rende Zu stand der Selbstvergessenheit noch immer im Jetzt bewusst ist. Wir kommen hiermit zum anderen zeitlichen Aspekt der ausdrü cklichen Reflexion , und zwar der Retention , die das soeben -Vergangene in Form einer „ frischen Er innerung” im Jetzt bewahrt. Dieses [seil, das vergangene naive Wahrnehmen] erfasse ich, jetzt reflektie rend , nur durch ein erhaschendes Zur ü ckgreifen in das „ Nochbewu ß thaben “ der sogenannten „Retention“ , der an das originale Erleben unmittelbar sich anschlie ß enden Nacherinnerung 53 ,,

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Auch N. Liangkang erkennt den „ zeitlichen Abstand “ als eine Bedingung der Reflexion an ( N. Liangkang, „ Urbewusstsein und Reflexion bei Husserl “ , op.cit., S. 83) . E. Levinas erhebt diesen Abstand in seinem Aufsatz „ Intentionalité et sensation“ sogar zum Prinzip der Intentionalitä t selbst (Vgl. E. Levinas, „Intentionalit é et sensation “, in: En découvrant l'existence avec Husserl et Heidegger^ Paris: Vrin, 2006, S. 213). Dies scheint G. Hoffmann zu vergessen, wohingegen N. Liangkang dies ausdr ü cklich betont (Vgl. N. Liangkang, „ Urbewusstsein und Reflexion bei Husserl“, op.cit., S. 82 ) Hua. VIII, S. 88 f.

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Erster Abschnitt

Der M ö glichkeitsgrund der ausdrü cklichen Reflexion liegt also in doppelter Weise in der Zeitlichkeit des Bewusstseins fundiert: einerseits in der Tatsache, dass dieses Bewusstsein ein Fluss ist, der zeitliche Abst ändigkeit generiert, und andererseits in der Tatsache , dass im Flie ß en des Flusses das Verflossene erhalten, d . h. reteniert wird. Es ist also die Retention - gleichzetig als Abst ä ndigkeit generierende wie auch als zurü ckbehaltende Instanz des Vergangenen -, die als Grundbedingung der ausdrü cklichen Reflexion ver standen werden muss. Allein die Retention ist es , die den soeben noch fungierenden Wahrnehmungspol im unmittelbaren Bewusstsein zur ü ckhält und diesen dem nunmehr reflektierenden Pol zur Untersuchung darbietet. Haben wir daher das erklä rte Ziel, der M öglichkeit der ausdr ü cklichen Reflexion auf den Grund zu gehen , so m ü ssen wir uns eingehender mit der Retention auseinandersetzen und deren zeitliche Struktur herausarbeiten 54. § 6 - Unausdr ü ckliche Reflexion

Ebenso wie die ausdr ü ckliche, so ist auch die unausdr ü ckliche Reflexion eine immanente oder innere Wahrnehmung, d. h. auch sie geh ö rt zum selben Erlebnisstrom wie das durch sie Reflektierte. Worin aber liegt die besondere, nur f ü r die unausdr ü ckliche Reflexion geltende Bestimmung ? Um die Besonderheit der unausdr ü cklichen Reflexion herauszuarbeiten , wollen wir uns jetzt dem II. Abschnitt der Ideen I, genauer: dem § 38 widmen. Im II. Abschnitt dieses Werkes geht es Husserl vornehmlich darum, die Seinsregion des „ reinen Bewusstseins ” von der Seinsregion transzendenter, durch Abschattungen erscheinender Gegenst ä nde zu unterscheiden. Aufgrund dieser dualen Gegen ü berstellung zweier Seinsregionen , betrachtet Husserl hier Reflexion und cogitatio in enger Zusammengeh ö rigkeit. Im Falle einer immanent gerichteten oder, kurz ausgedrü ckt, einer immanenten Wahrnehmung ( der sog. „inneren “ ) bilden Wahrnehmung und Wahrgenommenes wesensmäßig eine unvermittelte Einheit, die einer einzigen konkreten cogitatio. Das Wahrnehmen birgt sein Objekt hier so in sich* da ß es von diesem nur abstraktiv, nur als wesentlich unselbststä ndig abzusondern ist.55

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Die Retention sowie die Aufhellung ihrer zeitlichen Struktur steht im Zentrum des II. Abschnitts der vorliegenden Untersuchung. Hua. Ill, S. 78.

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I. Kapitel: Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

Diese Beschreibung soll nach Husserl f ü r die immanente Wahrnehmung im Allgemeinen , d. h. ebenso f ü r die ausdrü ckliche wie die unausdr ü ckliche Reflexion gelten. Es wird sich allerdings sogleich heraussteilen, dass dem nicht so ist und dass sich diese Beschreibung hier vielmehr ausschlie ßlich auf die unausdr ü ckliche Reflexion bezieht. Grundaspekte der hiesigen „ immanenten Wahrnehmung“ nach Husserl sind, dass sie erstens mit der cogitatio eine „unvermittelte Einheit bildet und daher aufgrund der hieraus entstehenden „ Unselbstst ä ndigkeit ” - zweitens - allein ausgehend von der cogitatio gedacht werden kann. Die Idee einer solchen Unselbstst ä ndigkeit und einer nicht vermittelten Einheit widersprechen nun allerdings eindeutig der weiter oben gegebenen Definition der ausdr ü cklichen Reflexion , welche wir ganz im Gegenteil durch eine „ Abst ändigkeit ” von cogitatio und Reflexion, durch ein „ Nachgewahren ”, ja gar durch eine „Spaltung” und „Verdopplung” zweier Egos bestimmt hatten. Aus einer solchen Inkompatibilit ä t wird deutlich : Husserl spricht hier nicht von der immanenten Wahrnehmung ü berhaupt, sondern vielmehr von einer ganz besonderen Art der immanenten Wahrnehmung, derer wir im An schluss an G. Hoffmann den Namen der „ unausdr ü cklichen Reflexion ” ge geben haben. Ein weitere Grundbestimmung dieser unausdrü cklichen Reflexion besteht darin, dass der Aspekt der Vergegenst ä ndlichung, der sich f ü r die aus dr ü ckliche Reflexion als ma ß geblich herausgestellt hatte, hier vollkommen fehl am Platz ist. Zwar redet Husserl sehr wohl davon , dass hier „ das Wahrnehmen sein Objekt in sich birgt, doch scheint der Begriff der Gegenst ä ndlichkeit hier etwas vollkommen anderes zu bedeuten als das gegenst ä ndliche Woraufhin eines intentionalen Aktes. Denn ist hier die Einheit zwischen cogitatio und reflexio eine „ unvermittelte:c , so kann sich die Reflexion gerade nicht mittels eines eigenst ä ndigen Meinungsstrahls - einer Aktintentionalit ä t - auf ihr Erlebnis richten, sondern muss es vielmehr „ von Innen heraus ” wahrnehmen. Indem also Husserl, wie G. Hoffmann richtig bemerkt , die Reflexion hier „von der cogitatio her [begreift ] 56 “ , besteht die Weise ihres Wahrnehmens - bildlich gesprochen - in einer Art „ Aufquellen der Reflexivit ä t im Innern der cogitatio selbst ”. Die n ähere Beschreibung, mit der Hus serl die M ö glichkeit dieser „ unvermittelten Einheit “ zwischen cogitatio und Reflexion zu erklä ren sucht , lässt hieran keinen Zweifel: Es handelt sich "

56

G. Hoffmann, Bewusstsein, Reflexion und Ich bei Husserl op.cit., S. 60.

33

Erster Abschnitt n ä mlich um eine „ Art reellen „Beschlossenseins“57“ , bei der die cogitatio reelles Bestandst ü ck der Reflexion selbst ist - und dies, ohne durch ein abgespaltenes Ich von ihr getrennt zu sein. Wie nun aber sieht es mit der zeitlichen Bestimmung der unausdr ü cklichen Reflexion aus ? Ist auch die unausdr ü ckliche Reflexion auf eine zeitliche Abst ä ndigkeit gegen ü ber der cogitatio angewiesen ? Wie man leicht einsehen wird, kann es sich bei der unausdr ü cklichen Reflexion allein um ein „ Zugleich ” von cogitatio und reflexio handeln. Denn ohne einen konkreten Vollzug der cogitatio selbst ist kein „ reflexives Aufgehen ” in dieser cogitatio m ö glich . Die zeitliche Bedingung der M ö glichkeit der unausdr ü cklichen Reflexion scheint daher weniger in der zeitlichen Abst ä ndigkeit als vielmehr

in einer Gleichzeitigkeit zu beruhen 58.

Wohingegen sich Husserl also im II. Abschnitt der Ideen / auf die Einheit von reflexio und cogitatio beruft, so scheint er im III. Abschnitt sowie in Erste Philosophie das Bild der Spaltung und des Au ß er-Seins von cogitatio und reflexio zu bevorzugen . Einheit und Spaltung verweisen auf grundverschiedene Typen transzendentaler Reflexion : die Unterscheidung von aus dr ü cklicher und unausdr ü cklicher Reflexion ist daher eine bei Husserl implizit operierende, die als solche nicht explizit thematisiert wird. Die sich aus der unmittelbaren Einheit von cogitatio und reflexio ergebende unausdr ü ck liche Reflexion bezeichnet G. Hoffmann 59 nun seinerseits, und im Anschluss an eine Passage der Ergä nzungstexte zu Erste Philosophie, als ein „ Mitbewusstsein “. Die von G. Hoffmann angef ü hrt Textstelle Husserls lautet folgendermaß en: Also Bewusstsein und Bewusstes - in einem zugeh ö rigen Wie - ist untrennbar. Ebenso geh ö rt dazu, dass ich, der ich in dem oder jenem Be wusstsein lebe, notwendig meiner selbst mitbewusst bin und dieses Bewusstsein selbst bin . Aber von vornherein ist zu bemerken, dass Bewusstsein ( Bewussthaben ) nicht ohne weiteres schon besagt: das Be60 wusste erhissen, darauf den merkenden Blick gerichtet haben. 57 58

59 60

34

Hua. Ill, S. 79. Dieser zeitliche Aspekt der unausdr ü cklichen Reflexion wird erst am Ende der vorliegenden Untersuchung zu klä ren sein, nä mlich genau dann, wenn wir die M ö glichkeit eines in der Gegenwart gegr ü ndeten prä-reflexiven Selbstbewusst seins geklä rt haben werden. Vgl. G. Hoffmann, Bewusstsein, Reflexion und Ich bei Husserl op.cit., S. 112 Hua. VII, S. 249.

I. Kapitel: Reflexionsarten der Ph ä nomenologie Husserls

Die Feststellung Hoffmanns, dass es sich in der unausdr ü cklichen Reflexion um ein reflexives Einleben in die cogitatio handelt , die dadurch nicht von au ßen und vergegenständlicht, sondern von Innen heraus beschrieben wird, scheint unserer Meinung nach von gro ß er Bedeutung zu sein . Dies zumal auch deswegen , weil, wir sagten es bereits , Husserl selbst die verschiedenen Reflexionstypen nicht streng genug voneinander unterscheidet. Allerdings scheint es uns ebenso wichtig, die unausdrü ckliche Reflexion nicht nur von der ausdr ü cklichen Reflexion , sondern auch vom pr ä- reflexiven Selbstbewusstsein zu unterscheiden. Genau dies jedoch vers äumt Hoffmann, wenn er der unausdr ü cklichen Reflexion den Begriff des „ Mitbewusstseins “ zu spricht. Denn der von Hoffmann zu Rate gezogene Ergä nzungstext von Erste Philosophie nennt „ mitbewusst “ das ungegenst ä ndliche und unmittel bare, st ä ndige und daher nicht willentlich hervorrufbare Bewusstsein seiner selbst - und gerade nicht einen wie auch immer gearteten reflexiven Vollzug! Ohne hier schon vorweggreifend die Eigent ü mlichkeit des Selbstewusstseins aussprechen zu wollen, weisen wir lediglich darauf hin , dass die unausdrü ck liche Reflexion insofern vom Mitbewusstsein (d. h. dem pr ä- reflexiven Selbstbewusstsein ) unterschieden werden muss, als auch sie ( die unausdrü ckliche Reflexion ) in einer gewissen reflexiven „ Bewusstseinsmodifikation “ besteht, die gerade nicht den normalen und st ä ndigen Zustand des Ichs beschreibt, sondern vielmehr auf die Freiheit eines willentlichen Vollzugs verweist. Die unausdr ü ckliche Reflexion ist und bleibt daher eine - wenn auch besondere - Art der Reflexion und ist als solche nicht mit dem Mitbewusstsein gleichzusetzen. Nichtsdestotrotz ist die unausdr ü ckliche Reflexion voll und ganz auf das Mitbewusstsein als deren Ermöglichungsgrund angewiesen . Denn nur insofern ich im Vollzug meiner Akte immer schon mitbewusst bin , kann ich ü berhaupt reflektierend in diesen Akten aufgehen. Aufgrund einer solch intimen Beziehung von Mitbewusstsein einerseits und unausdr ü cklicher Reflexion andererseits ist festzustellen , dass die unausdrü ckliche Reflexion in einer im Mitbewusstsein aufquellenden Intensitätssteigerung der Aufmerksamkeit beruht. Im Anschluss an Eugen Fink schlagen wir deshalb vor, die ungegenst ändliche Reflexion als eine Art „ Intensivierung der Vollzugserfahrung61 “ zu bezeichnen . Die Aufmerksam61

E. Fink , VI. Cartesianische Meditation, op.cit ., S. 50. Das ganze Zitat Finks (der diese Idee bedauerlicher Weise selbst nicht weiter enwickelt ) lautet folgenderma ßen: „ Reflexion ist niemals Thematisierung ( Ver- gegenst ä ndlichung) des sog. „ immanenten Lebens “, sondern ist eine bestimmte Weise der Intensivie-

35

Erster Abschnitt

keit wä re somit nicht nur Qualit ä t der Akte und ihres Vollzugs, sondern ebenso auch des prä- reflexiven Selbstbewusstseins. Wollen wir daher die M öglichkeit der unausdr ü cklichen Reflexion aussch ö pfend erklä ren , so gen ü gt es nun nicht mehr, lediglich die zeitliche Struktur der Retention herauszuarbeiten , sondern ebenso gilt es, den von Husserl angegebenen zeitlichen Grund des pr ä-reflexiven Selbstbewusstseins zu erhellen 62.

62

36

rung der Vollzugserfahrung.“ Der Anwendung dieser Definition auf alle Refle xionen k ö nnen wir allerdings nicht zustimmen, sahen wir doch anhand der aus dr ü cklichen Reflexion sehr wohl, dass Reflexion auch vergegenst ä ndlichend seien kann ! “ Dies wird die Aufgabe des III. und IV. Abschnitts der vorliegenden Untersu chung sein.

1

IL Kapitel Reflexive Horizonte

Haben wir nunmehr die drei Grundarten der Reflexion der transzendentalen Ph ä nomenologie herausgearbeitet ( reflexive Epoch é, ausdr ü ckliche und unausdrü ckliche Reflexion ) , so gilt es jetzt, dasjenige zu verstehen lernen , was diese Reflexionen eigentlich begehbar machen , offenlegen , analysieren und beschreiben , d. h. nichts anderes als der von ihnen untersuchte Gegens tand : der Erlebnisstrom selbst.

§ 7 - Doppelte Horizonthaftigkeit

Der Erlebnisstrom ist nun nicht einfach nur ein „ Gegenstand ” unter vielen , sondern er umschreibt das eigentliche Feld ph ä nomenologischer Forschung, d . h. den Wirkungsbereich der konstituierenden Immanenz. Allerdings weist dieser Erlebnisstrom eine doppelte Struktur auf , in der sich gleichzeitig der tiefere Sinn des Korrelationismus Husserls widerspiegelt. Mein Leben ü berschauen, hei ß t also in eines damit und in korrelativer Wendung: die Welt ü berschauen , die, in freilich vielf ältiger Wandlung des Inhalts, in meiner Intentionalitä t, in meinen Urteilsgewi ß heiten und Wahrscheinlichkeiten, in meinen Wertsetzungen und Handlungen gestalte te und immer neu umgestaltete Welt. 63

Eine solche der

nat ü rlichen Einstellung verborgen bleibende strukturelle Doppeltheit von fungierenden Leistungen einerseits und konstituierter Welt andererseits drü ckt sich im Erlebnisstrom durch eine doppelte Horizonthaf tigkeit aus , Die konkreten phänomenologischen Reflexionen verfolgen dabei das Ziel, in diese Horizonte ergr ü ndend einzudringen. Was wir aktuell erleben [...], sehen wir nicht [seil nicht im Sinne einer ,

ausdrü cklichen oder unausdr ü cklichen Reflexion; wie wir noch sehen werden, beschreibt das „ Erleben “ seinerseits nichts anderes als die Weise der Bewusstheit des ( pr ä- reflexiven ) Selbstbewusstseins] . Es bedarf also der 63

Hua. VIII, S. 157.

37 I

Erster Abschnitt Ä nderung der Einstellung, es bedarf der verschiedenen hyletischen, noetischen , noematischen „ Reflexionen “ [. . .] 64

Husserl gibt hier an, das unmittelbare „ Erleben “ sei prinzipiell in drei verschiedenen Richtungen hin analysierbar. Diese Richtungen beschreiben das Ziel, den „ Gegenstand ” oder auch den Horizont in den die beiden oben her ausgearbeiteten Reflexion ( die ausdr ü ckliche und die unausdrü ckliche) als konkrete Arbeitsinstrumente der Ph ä nomenologie einzudringen haben. Als solche Forschungsrichtungen nennt Husserl hier die Hyle, die Noese und das Noema. Weshalb aber f ü hrt Husserl hier drei Terme an, wohingegen wir soeben noch von einer doppelten Horizonthaftigkeit des Erlebnisstromes sprachen ? Der Grund daf ü r ist, dass wir bei Husserl explizit nur die noetische und die noematische Horizonthaftigkeit entwickelt finden. Die hyletische f ällt , wie M. Henry richtig bemerkt hat, seltsamerweise unter den Tisch , bzw. sie wird ü bersprungen und umgelagert. Umgelagert worauf ? Innerhalb der einen jeden Gedanken ü berschattenden Idee des grundlegenden Korrelationismus wird die Hyle nur selten bis gar nicht gesondert betrachtet, son dern immer nur in Bezug auf die Noese gedacht. Hierzu M. Henry: Sehr fr ü h in der Analyse wird die „ Materie “ ü berschattet von der Funktiinnerhalb der Gesamtheit des Erlebnisses , in das sie eingeflochbleibt, spielt [.. .]. Die Materie ist nicht Materie der Impression, des Impresionalen und der Impressionalität als solcher, sondern sie ist Materie für einen Akt, der sie beseelt, eine Materie für diese Form,65

on , die sie ten

Fü r unsere Untersuchung bedeutet dies ganz konkret, dass wir in Husserls Schriften keine explizit durchgef ü hrten Reflexionen auf die Hyle finden. Wir wollen daher die Reflektierbarkeit der Hylé als einer solchen vorerst nicht eigens problematisieren, sondern sie an dem jetzigen Punkt unserer Unter suchung einfach dem noetischen Horizont zuschlagen. Allerdings kommt die Hylé ma ß geblich in Husserls Ü berlegungen zur Zeitlichkeit zum Tragen, sodass wir sehr wohl noch Gelegenheit haben werden, auf die Rolle der Hylé innerhalb der Struktur reflexiven Bewusstseins zur ü ckzukommen 66. Vorerst 64 65

66

38

Hua. Ill, S. 349. M . Henry, Phénoménologie matérielle, Paris: PUF, 1990, S. 17: „Très vite dans l’analyse [...], la « matiè re » se trouve surd é termin ée par la fonction qu’elle remplit dans la totalit é du vé cu noé tique o ù elle s’ins è re [...] . La matière n'est pas la matière de l'impression, Fimpressionnel et l'impressionalité comme tels, elle est la matière de Pacte qui l'informe, une matière pour cette formel Und dies wird vornehmlich im III. und IV. Abschnitt der vorliegenden Arbeit

IL Kapitel: Reflexive Horizonte

wollen wir es aber mit Husserl bei der doppelten Horizonthaftigkeit (noetisch und noematisch ) belassen und schauen , inwiefern sich die Reflexion in diesen bet ätigen kann. § 8 - Noematische Horizonthaftigkeit

Diejenigen Reflexionen, die in den noematischen Horizont eindringen, decken all die Wesensgesetze auf , die einen Gegenstand ( zumeist, aber wie wir sehen werden, nicht nur) äu ßerer Wahrnehmung bestimmen und ihn als Gegenstand in meinem Gesichtsfeld erscheinen lassen . Husserl problematisiert die noematische Horizonthaftigkeit beispielsweise in den Ideen I Die in den noetischen Horizont eindringende Reflexion verfolgt dabei das Ziel, den erscheinenden Gegenstand unter Einbeziehung seiner intentionalen Au ßenhorizonte ph ä nomenologisch als einen „ Gegenstand der Erfahrung” zu bestimmen. Der Begriff der „Erfahrung” beschreibt dabei ph ä nomenologisch kein isoliertes Ph ä nomen , sondern verweist immer auf die M ö glichkeit eines ganzen Kontinuums verschiedener Wahrnehmungen, die sich in einer gewissen Synthesis der Einstimmigkeit zueinander verhalten. Jede einzelne Wahrnehmung ist daher zu verstehen im Sinne eines Aufrufs zu weiteren Wahrnehmungen. Die in den noematischen Horizont eindringende Reflexion hat dabei zur Aufgabe, die Wesensgesetze dieser Einstimmigkeit herauszuarbeiten . Ein Gegenstand der ä u ß eren Wahrnehmung wird prim ä r erfasst in einem „ Modus aktueller Zuwendung?7“ . Dieses Zentrum des intentionalen Blickes ist allerdings immer und notwendig umgeben von einem ganzen „Hof von Hintergrundsanschauungen6S“ , die korrelativ „ im Modus der Inaktualität69“ erscheinen. Geh ö rt die Dichotomie aus Aktualit ä t / Inaktualit ä t daher prinzipiell und a priori zu einem jeden Gegenstand ä u ßerer Wahrneh mung, so kann auch der noematische Horizont des Erlebnisstroms selbst „ [...] nie aus lauter Aktualitäten bestehen70“ , sondern immer nur aus einem von Inaktualitä t umringten Zentrum der Aktualit ä t . Die Dualit ä t von Aktua -

67 68 69 70

der Fall sein. Hua. Ill, S. 72. Ebd., S. 71. Ebd., S. 72 Ebd., S. 73

39

Erster Abschnitt

lit ä t/ Inaktualit ät ist somit wesentliche Bestimmung des noematischen Horizontes. Ausgehend von dieser Bestimmung wagt Husserl dann im § 27 der Ideen / eine

erste Definition der „ Welt ”. Ph ä nomenologisch beschreibt die zufolge Husserl den Bereich des „anschaulich klar oder dunkel, deut lich oder undeutlich Mitgegenwärtigen7/“, den „ dunkel bewu ßten Horizont c unbestimmter WirklichkeitJ2\ der „ in einer festen Seinsordnung ins Unbe73 grenzte “ reicht . Allerdings beschrä nkt sich dieser Horizont der Welt, wie Husserl in Erste Philosophie hinzuf ü gt, nicht nur auf die im Modus der Inaktualit ä t mitwahrgenommenen Gegenst ä nde, sondern erstreckt sich sogar noch dar ü ber hinaus auf den Bereich zz/c/ Avahrgenommener Gegenst ände . Diesen Bereich absolut „ unanschaulicher ” Wahrnehmung, dessen Getrotz genst ä nde Unanschaulichkeit dennoch in gewisser Weise bewusstseinsm äßig gegeben sind , bezeichnet Husserl sodann als einen „ Leerhorizont 74“. Der sogenannte „ Leerhorizont “ „umspannt eigentlich die ganze Welt , und auch sie als einen Horizont, einen unendlichen Horizont m ö glicher Erfahrung 73 “. In Erfahrung und Urteil f ü gt Husserl dann zu diesem ersten auf der Dualit ä t von Akutalit ä t / Inaktualit ä t beruhenden Wesensgesetz des Wahrnehmungshorizontes noch eine weitere Bestimmung hinzu. Dringt er in diesem Spä twerk immer tiefer in die besondere Funktionsweise der „ passiven Synthesis ” ein , so gelingt es ihm dadurch zu beweisen , dass der im Modus der Inaktualit ä t erscheinende Gegenstand niemals nur leeres Bewusstsein eines bloßen „ Gegenstandes”, eines „ blo ßes Etwas ” ist, sondern jeder Gegenstand , selbst in der Inaktualit ä t seiner Erscheinung, immer schon in einem gewissen „Wie ” , d. h. als ein mehr oder weniger „ bestimmtes Etwas ” erscheint.

„ Welt ”

[. . .] jedes Reale [hat] ü berhaupt als Erfahrbares sein allgemeines „ Apriori“, eine Vorbekanntheit , als unbestimmte, aber als st ä ndig selbige identifizierbare Allgemeinheit eines apriorischen Typus, zugeh ö rig einem Spielraum apriorischer M ö glichkeiten. 76 71 72 73 74 75 76

40

Ebd ., S. 57 Ebd . Ebd. Hua. VIII, S. 148 Ebd . Edmund Husserl , Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logif Hamburg: Felix Meiner, 1999 (7. Auflg) ( zitiert nach: EU ) , S. 32

:

II. Kapitel: Reflexive Horizonte

Der Begriff des „apriorischen Typus “ versichert somit dem im Modus der Inaktualitä t erscheinenden Gegenstand eine erste Art „ Vorbekanntheit “, die Husserl als einen „subjektiven Charakter der Vertrautheit im allgemeinen 77« versteht. Mit dieser Vertrautheit und Vorbekanntheit der Dinge geht gleich zeitig einher, dass der noematische Horizont erfahren wird als ein Horizont möglicher Erfahrung.; in dem mir als leiblichem Subjekt eine Mannigfaltigkeit von M ö glichkeiten gegeben sind , in denen ich mich zu realisieren f ä hig bin. Diese Entdeckung und Beschreibung des weltlichen Horizontes ist nun vor allem Sache der unausdrücklichen Reflexion - diese nunmehr verstanden im angegebenen Finkschen Sinne als „ Intensivierung der Vollzugserfahrung“. Denn indem die unausdr ü ckliche Reflexion in das unmittelbare Erleben eindringt, ohne es dabei zu vergegenst ä ndlichen , kann sie es von Innen heraus auslegen und in seiner Eigent ü mlichkeit verwahren . An dieser Stellt jedoch gilt es , Antwort auf eine wichtige Frage zu ge ben: Ist die unausdrü ckliche Reflexion eine egologische, d . h . handelt es sich um eine Art Reflexivit ä t, die nur innerhalb eines Aktbewusstseins „ aufzu quellen ” f ä hig ist ? Diese Frage haben wir entschieden zu verneinen , da an sonsten eine ph ä nomenologische Untersuchung des hintergr ü ndlichen Bewusstseins unm ö glich wä re. Denn erscheint der Hintergrund lediglich im Modus der Inaktualit ä t (was, wie gesehen, den Charakter einer gewissen Vertrautheit und Bekanntheit keinesfalls ausschlie ß t ) , so ist der Hintergrund selbst nicht Thema eines aktmäß ig-erfassenden ego. Konsequenter Weise m ü ssen wir daher sagen , dass sich die Anwendung der unausdrü cklichen Reflexion nicht ausschlie ßlich auf die Innenauslegung einer cogitatio beschrä nkt , sondern ebenso auch nicht -ichliche Erlebnisse ( wie beispielsweise die Erscheinungsform der Inaktualit ä t ) auszulegen f ä hig ist. Beweist sich somit die unausdr ü ckliche Reflexion als geeignet f ü r die Auslegung nicht-ichlicher Erlebnisse, so ist es nichtsdetstotrotz unm ö glich , dass sie selbst ein nicht-ichliches Erlebnis sei. Denn eine solche Bestimmung der unausdr ü cklichen Reflexion als „ nicht -ichliches Erlebnis ” wü rde nur nochmals die bereits weiter oben abgewiesene Unzulä nglichkeit wiederho len , der zufolge die unausdr ü ckliche Reflexion mit dem prä- reflexiven Selbstbewusstsein gleichzusetzen sei. Es kommt daher zu dem nur schwer verst ä ndlichen ph ä nomenologischen Sachverhalt, dass die unausdr ü ckliche Reflexion als ichliches Erlebnis zur Auslegung nicht -ichlicher Erlebnisse 77

EU, S. 33

41

Erster Abschnitt

verwendet werden kann! Und ohne auf diese methodologische Tatsache n ä her eingehen zu wollen , m ü ssen wir festhalten, dass der Finksche Begriff einer „ Intensivierung der Vollzugserfahrung“ nunmehr eine Präzisierung verlangt. Denn was nach Fink intensiviert wird, ist lediglich der Vollzug eines ichlichen Erlebnisses. Eine solche Beschrä nkung der unausdrü cklichen Reflexion auf die blo ße Auslegung ichlicher Erlebnisse hatte sich allerdings soeben durch den Verweis auf den Hintergrund als falsch erwiesen. Wollen wir daher weiterhin an unserer Definition der unausdrü cklichen Reflexion als „ Intensivierung der Vollzugserfahrung“ festhalten, so muss der Begriff des „ Vollzugs “ eine wesentliche Erweiterung erfahren: er muss nunmehr auch auf all diejenigen transzendentalen Leistungen aus geweitet werden, in denen das ichliche Bewusstsein als solches passiv ist . Mit der Ausweitung des Anwendungsbereiches der unausdrü cklichen Reflexion auf die Passivit ä t, beweist sich die unausdrü ckliche Reflexion als dasjenige ph ä nomenologische Werkzeug, dass vornehmlich in der genetischen Ph ä nomenologie 78 zur Anwendung kommt. Die genetische Ph ä nome nologie befasst sich mit demjenigen ph ä nomenalen Bestand, dessen Konstitution nicht mehr in den Bereich der aktiven und ichlichen Bewusstseinsleistungen , sondern vielmehr in den der passiven Synthesis f ällt. Sie ist daher auf einen Zugang zu den Ph ä nomenen angewiesen , der diesseits einer jeden ichlichen Leistung anzusiedeln ist 79. Ein derartiges Diesseits ichAllerdings nicht so sehr desjenigen Bereiches der genetischen Phä nomenologie, die sich mit der Genesis verschiedener Gegenstandskategorien und der Geschichte der transzendentalen Subjektivitä t im Allgemeinen auseinandersetzt als vielmehr jener andere Bereich, der sich mit dem Konstitutionsgeschehen der passiven Synthesis befasst. Vgl. hierzu: I. Yamaguchi, Passive Synthesis und Intersubjektivität bei Edmund Husserl, Den Hag/ Boston/ London: Nijhoff , 1982. 79 Alexander Schnell bestimmt die genetische Ph änomenologie anhand eines zweischrittigen Verfahrens, die er einerseits als ein durch „ Abbaureduktionen “ ' verfahrendes , dekonstruktives und andererseits als ein modellanfertigendes ( re- ) konstruktives Vorgehen verstanden wissen will (Vgl. A. Schnell, Husserl et les - , fondements de la phénoménologie constructive, Grenoble: Millon, 2007, S. 67 f . ) . Die Notwendigkeit solch eines ( de- und re-) konstruktiven Verfahrens sieht er des Weiteren darin begr ü ndet, dass das deskriptive Vorgehen der statischen Ph ä nomenologie im Falle bestimmter Phä nomene an das Ende immanenter Er fahrbarkeit gelangt, sodass die Analyse selbst nicht mehr ohne eine Konstruktion vorankommen kann . Insofern die unausdr ü ckliche Reflexion allerdings dazu in der Lage ist , Zugang zu gewissen ungegenstä ndlichen und vor-ichlichen Ph änomenen zu verschaffen, scheint eine zu strikte Trennung von Deskription ei78

'

42

II. Kapitel: Reflexive Horizonte

licher Leistung ist jedoch gerade nicht dort anzutreffen , wo wir von „ Aktualit ä t ” und „ Fokus ” sprechen , sondern vielmehr dort, wo „ Hintergrund ” und „ Inaktualit ä t ” herrschen. Haben wir nun bereits im ersten Kapitel angegeben , dass die unausdr ü ckliche Reflexion auf dem prä- reflexiven Selbstbe wusstsein gegrü ndet ist , so stellt sich nunmehr die Frage , ob, und wenn ja, inwiefern , auch die Erfahrung von Hintergrund und Inakualit ä t mit diesem prä-reflexiven Bewusstsein in Verbindung stehen 80. § 9 - Noetische Horizontanalyse

Bleiben wir vorerst beim Erlebnisstrom mit seiner doppelten Horizonthaf tigkeit und wenden wir uns seinem noetischen Horizont zu . Eine Trennung der beiden Horizonte voneinander und damit eine Aufl ösung der urspr ü ng lichen Einheit des Erlebnisstromes ist unter Einbeziehung der unterschiedlichen Rollenverteilung von Noesis und Noema innerhalb des Konstitutions geschehens gerechtfertig: Das „auf Grund “ der stofflichen Erlebnisse „ durch “ die noetischen Funk tionen „ transzendental Konstituierte“ ist zwar ein „ Gegebenes “ und , wenn wir in reiner Intuition das Erlebnis und sein noematisch Bewu ß tes treulich beschreiben, ein evident Gegebenes; aber es geh ö rt eben in einem v ö llig anderen Sinn dem Erlebnis an, als die reellen und somit eigentlichen Konstituentien desselben.81 « Die „ noetischen Funktionen “ geh ö ren dem Erlebnis „ in einem vö llig anderen

;

80

nerseits (als „ statisch “ ) und Konstruktion andererseits (als „ genetisch “ ) nicht mehr aufrechtzuhalten. In diesem Sinne schlagen wir vor, mittels der unausdr ü ckliche Reflexion auch der Konstruktion der genetischen Phä nomenologie eine konkrete deskriptive Erfahrung vorzuschalten, auf dessen Grund allein die Konstruktion m öglich ist. Denn, so auch die Meinung A. Schnells, die ph ä nomenologische Konstruktion „ konstruiert nicht in spekulativer Art und Weise ein blo ßes constructum, sondern sie hält sich streng an die Anforderung der Phä nomene selbst “ ( ebd., S. 72: „ ne construit pas , d’une maniè re spéculative, un constructum [...], mais [.. .] elle s’entient strictement aux contraintes m ê mes des phé nom ènes “ ). Wie das genau zu verstehen ist, werden wir anhand der zeit lichen Ablaufsphä nomene noch im III. und IV. Abschnitt der vorliegenden Arbeit sehen. Diese Frage werden wir allerdings erst am Ende unserer Untersuchung beant -

k ö nnen. Hua. Ill, S. 228 .

worten

81

43

Erster Abschnitt

sinn “ an als die noematischen Gegebenheiten. Ü ber letztere haben wir bereits im vorangehenden Paragraphen gesprochen. Was aber ist unter einem „ noetischen Horizont ” zu verstehen ? Inwiefern ist der Begriff des „ Horizontes ” hinsichtlich einer Folge von intentionalen Leistungen ü berhaupt gerechtfertigt ? „ Alle Erlebnisse sind bewu ß t “ , das sagt also speziell hinsichtlich der inten tionalen Erlebnisse, sie sind nicht nur Bewu ß tsein von etwas und als das nicht nur vorhanden, wenn sie selbst Objekte eines reflektierenden Be wu ß tseins sind , sondern sie sind schon unreflektiert als „ Hintergrund “ da und somit prinzipiell wahrnehmungsbereit in einem zunächst analogen Sinne, wie unbeachtete Dinge in unserem äu ß eren Blickfelde.82

Es ist also „ in Analogie ” zur äu ßeren Wahrnehmung, dass Erlebnissen (intentionalen sowie nicht-intentionalen ) Horizontcharakter zugesprochen werden kann . Ebenso wie die im Wahrnehmungshintergrund erscheinenden Dinge sind auch intentionale Erlebnisse prinzipiell „wahrnehmungsbereit“ . An diesem Punkt allerdings kommt die Analogie bereits zu ihrem Ende,

denn : Nicht verwechseln darf man das Bewusstsein vom gegenständlichen Hintergrund und das Bewusstsein im Sinn des Erlebtseins. Erlebnisse als solche haben ihr Sein, aber sie sind nicht Gegenstä nde von Apperzeptionen (wir kä men ja sonst auf einen unendlichen Regress ) . Der Hintergrund aber ist uns gegenstä ndlich, er ist durch den Komplex von apperzeptiven Erlebmssen die ihn gleichsam konstituieren. Diese Gegenstä nde sind unbeach tet , [...] aber etwas ganz anderes f ü r uns als die blo ßen Erlebnisse, z.B. die sie objektivierenden Apperzeptionen und Akterlebnisse selbst.83

Der räumliche Horizont des Gesichtsfeldes unterscheidet sich radikal vom „ inneren ” Horizont der Selbstwahrnehmung. Der Geltungsbereich dieses inneren Horizontes wird durch das (prä-reflexive ) Selbstbewusstsein umgrenzt und nicht durch die Reichweite meiner m ö glichen Erfahrung. Soweit das Selbstbewusstsein reicht, soweit reicht auch der noetische Horizont wahrnehmungsbereiter Erlebnisse. Die „ Entfernungen ”, die diesen Horizont strukturieren, sind nunmehr keine räumlichen mehr, sondern allein zeitliche. Der noetische Horizont erstreckt sich daher nicht in eine immer hinter einem jeden Gegenstand anzusiedelnde ä u ß ere Welt hinein, sondern betrifft 82 83

44

Ebd, S. 95. Hua. XXIV, S. 252.

:

IL Kapitel: Reflexive Horizonte

vielmehr die „ innere Welt ” des Subjekts, d. h. die Erinnerungen und Gedan ken der Vergangenheit sowie die Erwartungen und W ü nsche der Zukunft . Doch nicht nur die Erinnerungen und die Gedanken , die Erwartungen und Wü nsche selbst machen den Horizont innerer Wahrnehmung aus - denn sie gehö ren in einem gewissen Sinne schon der „Welt ” , dem noematischen Horizont an -, sondern vielmehr das Erinnern.> das Denken, das Erwarten und das Wünschen im verbalen Sinne. Nur wenn wir daher die Akte und Erleb nisse aus ihrem unmittelbaren Fungieren heraus verstehen, erkennen wir den noetischen Horizont in seiner besonderen Eigent ü mlichkeit. Wir k ö nnen daher bereits erahnen, dass der noetische Horizont weitaus komplizierter strukturiert ist als der noematische. Denn hatte der noematische Horizont lediglich „ eine Dimension ” , so weist der noetische seinerseits eine eigent ü m liche doppelte Struktur auf . Diese strukturelle Doppeltheit des noetischen Stroms selbst grü ndet darin, dass es sich hier um die fungierende Subjektivit ä t selbst handelt, die - durch Reflexion - dazu in der Lage ist, sich selbst zu thematisieren. Und da wir bereits zwei Arten kennengelernt haben , in der eine solche Thematisierung m ö glich ist ( die ausdr ü ckliche und die unaus drü ckliche) , so liegt es nahe, den ausdrücklich thematisierten Strom vom unausdrücklich erlebten Strom zu unterscheiden: Es ist also zu scheiden: das präphä nomenale Sein der Erlebnisse, ihr Sein vor der reflektiven Zuwendung [hier: der ausdr ü cklichen Reflexion] auf sie, und ihr Sein als Phä nomen. Durch die aufmerkende Zuwendung und Erfassung bekommt das Erlebnis eine neue Seinsweise, es wird zum unter-

schiedenen ', ' herausgehobenen', und dieses Unterscheiden ist eben nichts anderes als das Erfassen, und Unterschiedenheit nichts anderes als Erfa ß t sein, Gegenstand der Zuwendung sein.84

Da ein solch thematisches Herausheben der Erlebnisse immer m ö glich ist ( das „Ich kann “ immanenter Wahrnehmung ist in dieser Hinsicht das extremste Kö nnen der Subjektivit ä t ) , so entspricht dem urspr ü nglichen Sinn des noetischen Stromes als fungierendem ein vergegenst ä ndlichtes Modell als dessen Derivat, in dem die einzelnen Erlebnisse als Gegenst ä nde „ in der Zeit ” erscheinen. Die urspr ü ngliche und ungegenst ä ndliche Gegebenheits weise dieses Stromes nun ist - wie wir noch sehen werden - eine solche von 84

Edmund Husserl, Vorlesungen zur Philosophie des inneren Zeitbewusstseins, M. Heidegger ( Hg.) , Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd . IX, Halle: Max Niemeyer, 1928, ( zitiert nach: ZB) , S. 484.

45

Erster Abschnitt

Retentionen und Protentionen. Und selbst dieser fungierende Strom in seiner Unmittelbarkeit kann seinerseits - mittels der unausdr ü cklichen Reflexion - der ph ä nomenologischen Analyse zugä nglich gemacht werden: Wo eine scharfe Bezeichnung des Phä nomens im Sinne des Aktes selbst n ö tig ist, als des Bewusstseins, dem etwas erscheint, werden wir von Phansis sprechen, und jede reelle Analyse von Bewusstsein scharf pointieren als phansiologische Analyse?5 Die unausdr ü ckliche Reflexion beweist sich als das grundlegendste Werk zeug der „phansiologischen Analyse“ : es handelt sich um das reflektierende Eindringen in das fungierende Bewusstsein selbst , in das Bewusstsein , „ dem etwas erscheint“ - und dies im Moment, in dem es ihm erscheint ! Der Begriff der Phansis und die Idee einer „phansiologischen Analyse“ wird uns im Folgenden noch eingehender beschäftigen. Abschlie ßend gilt es lediglich ,

noch einmal auf die Beziehung der beiden Horizonte zueinander einzugehen ( noetischer und noematischer Horizont ) . Es geht hierbei um nichts anderes als um das Problem der Einheit des Erlebnisstromes. Die Betonung dieser Einheit ist umso wichtiger, als die Unterscheidung der beiden Horizonte f ü r die phä nomenologische Analyse zwar von gro ß er Bedeutung ist, jedoch eine Art Abstraktion darstellt, die sich nicht mit der konkreten Erfahrung der Einheit des Erlebnisstromes deckt . Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass die beiden Horizonte in unserer konkreten Erfahrung notwendig ineinander verstrickt und verschlungen sind. F ü r den noetischen Horizontes bedeutet das, dass er, wie gesehen , durch eine reflexive Bewegung des Bewusstseins immer wieder in einen noematischen verwandelt werden kann. Fü r den noematischen dagegen , dr ü ckt sich die Urspr ü nglichkeit der Einheit dadurch aus, dass er selbst im noetischen Strom fundiert ist , und dies deshalb, weil der r äumliche Wahrnehmungshorizont der Welt immer wieder in den zeitlichen Horizont zur ü ckgenommen werden kann .

85

46

Hua. X , Nr. 51, S. 336-337.

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Zweiter Abschnitt Retention

Nachdem wir im vorangehenden Abschnitt die verschiedenen von der Hus serlschen Ph ä nomenologie in Stellung gebrachten Reflexionen hinsichtlich ihrer inneren Struktur sowie hinsichtlich ihres Gegenstandes herausgearbeitet haben , wollen wir nunmehr die Frage nach dem zeitlichen Erm ö gli chungsgrund dieser verschiedenen Reflexionen stellen. In der Beilage IX der Zeitvorlesungen schreibt Flusserl: [D] ank dieser Retention ist ein Zur ü ckblicken auf das Abgelaufene m ö glich [.. .]. [.. .] Weil ich sie im Griff habe [die Anfangsphase] , kann ich den Blick darauf lenken in einem neuen Akt , den wir [.. .] eine Reflexion ( im manente Wahrnehmung) [...] nennen . [...] Der Retention verdanken wiles also, dass das Bewusstsein zum Objekt gemacht werden kann.S6

Als zeitlichen Erm öglichungsgrund der Reflexion gibt Husserl hier explizit die Retention an. Die Beschreibung, die Husserl allerdings von der Reflexion liefert , gibt uns Anlass zu denken , dass es sich hier ausschließ lich um die ausdrückliche Reflexion handelt - und nicht etwa um die unausdrü ckliche oder gar die reflexive Epoch é. Denn nicht nur stellt Husserl diejenige Refle xion , um die es ihm hier geht , mit einem „ Zur ü ckblicken “ gleich, ebenso versteht er sie als einen eigenst ändigen „ neuen Akt “, der „ das Bewusstsein zum Objekt “ macht - all dies Bestimmungen , welche wir als Merkmale der ausdrü cklichen Reflexion kennenlernten. Eine solch intime Beziehung von Retention und ausdr ü cklicher Reflexion bekundete sich uns bereits im ersten Abschnitt unserer Arbeit und sie wird von Husserl hier noch einmal explizit best ä tigt . Was allerdings die un ausdrü ckliche Reflexion sowie die reflexive Epoch é anbelangt , so scheinen diese beiden Reflexionsarten ihren zeitlichen Grund nicht ausschließlich in der Retention zu haben. Hinsichtlich der unausdr ü cklichen Reflexion stell-

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ZB., S. 472.

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Zweiter Abschnitt

wir beispielsweise fest , dass diese vornehmlich im prä-reflexiven Selbstbewusstsein und nicht etwa in der Retention gegr ü ndet ist. Genau diesem prä- reflexiven Selbstbewusstsein kommt in Husserls Ph ä nomenologie nun eine durch und durch zeitliche Struktur zu . Ob wir daher den Erm ö glichungsgrund der ausdr ü cklichen oder der unausdr ü cklichen Reflexion suchen , in jedem Fall sind wir dazu gezwungen , tiefer in die Husserlsche Zeit problematik einzudringen . Einen angemessenen Einstieg in das Problem der Zeitlichkeit liefert uns nun die genaue Bestimmung der Retention, mit der wir uns in diesem vorliegenden , zweiten Abschnitt unserer Arbeit befassen wollen. Eine solche Vorgehensweise hat den entscheidenden Vorteil, Husserls eigenen historischen Werdegang widerzuspiegeln . Denn es ist mittels der Retention , dass sich Husserl selbst einen Zugang zum Zeitbewusstsein und dessen durchaus komplexen Strukturen bahnte. Zwar taucht der Begriff der Retention in den Husserlschen Zeitmanuskripten erst relativ sp ä t auf ( man findet ihn das erste Mal in dem auf das Jahr 1904 datierten Text Nr. 27 der Husserliana X ) , dennoch aber steht er im eigentlichen Zentrum der gesamten im Zusam menhang der Zeitproblematik bis einschlie ß lich zum Jahre 1913 angestellten Ü berlegungen . „ Zeitschwanz87“, „ frische Erinnerung88 “, „ noch lebendiges [Jetzt ] 89 « » Zeithof 90 “ und „ Feld 91 “: allesamt Begriffe, mit denen Husserl die zeitliche Ausdehnung der Wahrnehmung auf den Bereich des soeben Vergangenen begreiflich machen will. In der Ausarbeitung und Erklä rung der M ö glichkeit einer solch zeitlichen Ausdehnung des Bewusstseins auf die unmittelbare Vergangenheit werden wir nun im kommenden Abschnitt un serer Arbeit drei verschiedene Epochen unterscheiden , in denen Husserl jeweils eine andere Konzeption der Retention erarbeitet. Diese drei Epochen liefern uns gleichzeitig auch die Gliederung des vorliegenden zweiten Ab schnitts . Eine solche historische Betrachtung der Retention bietet sich zudem noch insofern an , als die Entdeckung des Problems der zeitlichen Ausdeh nung gegenw ä rtiger Wahrnehmung keinesfalls eine Husserl allein zufallende ist. Es Bandelt sich hierin vielmehr um ein um die vorangehende Jahrhun ten

5

87 88 89 90 91

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Ebd ., S. 463. Hua. X, Nr. 2, S. 153. Ebd . Ebd ., Nr. 12 , S. 167. Ebd .

L Kapitel: Erste Konzeption der Retention

dertwende viel diskutiertes Problem der Psychologie. Brentano, Stern , James, Meinong, Stumpf und Marty: allesamt setzten sie sich mit der Frage nach der Mö glichkeit der Wahrnehmung eines zeitlichen Vorgangs auseinander. Die Lager waren hierzu durchaus gespalten und die Ausbildung des spezifisch Husserlschen Verst ä ndnisses muss gerade in ihrer Anfangsphase aus der Auseinandersetzung mit diesen f ü hrenden Denkern seiner Zeit heraus begriffen werden. Im Folgenden werden wir daher versuchen den thematischen Schwerpunkt der Frage nach der Retention mit einer philosophiegeschichtlichen Betrachtungsweise anzureichern, um hierdurch die schrittweise Herausbildung der drei verschiedenen Husserlschen Konzeptionen der Retention innerhalb der Periode von 1893 bis 1913 nachzuzeich nen.

I. Kapitel Erste Konzeption der Retention (1893-1905 ) In einer ersten, frü hen Phase geht Husserl zur Bestimmung der Retention von der Idee der „ Gleichzeitigkeit ” von Wahrnehmung und Wahrgenomme nem aus. Innerhalb dieser ersten Konzeption 92 der Retention erklä rt Husserl das retentionale Moment mittels einer dem wahrnehmenden Bewusstsein selbst zugehö renden Zeitlichkeit. § 10 - Meinong: Rü ckgriff auf die Urteilslogik In einem ersten Versuch, die Konstitution eines zeitlich dauernden Gegens tandes verst ä ndlich zu machen, greift Husserl zurü ck auf die Auffassungs lehre. Im Text Nr. 1 der Husserliana X, datiert auf das Jahr 1893, bezeichnet Husserl den zeitlichen Gegenstand, beispielsweise eine Melodie, als eine

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Diese erste Konzeption der Retenion, entwickelt Husserl im Zeitraum der Jahre 1893-1905. Sie betrifft vornehmlich die Texte Nr. 1-38 der Husserliana X (wobei die Texte Nr. 36-38 von R. Bernet auf das Jahr 1917 datiert werden, weshalb sie aus diesem ersten Modell herauszunehmen wä ren (Vgl. R. Bernet , Hua. X, Einleitung. Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (18931917), R. Bernet ( Hg.) , Felix Meiner: Hamburg, 1985, S. XXXII ) ) .

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1 Zweiter Abschnitt

besondere Art „ objektive [r] Einheit 93“ . Diese Einheit versucht Husserl sodann auf eine Urteilseinheit zur ü ckzuf ü hren. Zum vollen Bewusstsein bringen wir uns nach alledem die objektive Einheit des [zeitlichen] Dinges , indem wir in einer beliebigen Folge von Urteilen die einzelnen absoluten Momente und Relationen , die wir in den In halten der Gruppe von Momentananschauungen vorfinden , herausheben und auf das durch den jeweiligen Gesamtinhalt repräsentierte Ganze beziehen und es als ihm zugeh ö rig anerkennen. Die objektive Einheit ist also eine Einheit durch Urteil, nicht durch blo ße Anschauung, aber auf Grund von

Anschauung.94

Eine solche Erklä rung zeitlicher Wahrnehmung als Urteilseinheit verschie dener - wie Husserl sagt - „ Momentananschauungen “ nimmt bereits die ein paar Jahre sp ä ter von Husserl in den Logischen Untersuchungen entwickelte Bedeutungslehre vorweg. Es sind hierbei die Begriffe von „Ganzen” und „Teilen ”, denen eine Schl üsselrolle im Verst ä ndnis zeitlicher Wahrnehmung zukommt. Eine solche von der Urteilslogik ausgehende Herangehensweise an die Zeitkonstitution weist gravierende Ä hnlichkeiten mit der Konzeption Meinongs auf , die von Husserl selbst ab dem Jahre 1904 so vehement kritisiert wurde. Die von Husserl spä ter entwickelte Kritik an Meinong kann daher verstanden werden als Abrechnung mit seiner eigenen fr ü hen Auffassung. Wir schlagen daher vor, uns jetzt dieser Kritik an Meinong zuzuwenden , da sie uns Auskunft darü ber gibt, weshalb gegenst ä ndliche zeitliche Dauer unm ö glich durch eine Urteilseinheit konstituiert werden kann. Worin also besteht die Meinongsche Konzeption der Konstitution zeitlicher Gegenst ä nde ? Meinong vollzieht eine grundlegende Unterscheidung zwischen „ zeit lich distribuierten oder zeitverteilten Gegenst ä nden resp. Tatsachen [und] zeitlich indistribuierte [if bcc . Ein zeitlich distribuierter Gegenstand ist f ü r Meinong ein solcher, f ü r den eine Zeitstrecke oder Verä nderung konstitutiv ist ( z.B. eine Melodie ) , wohingegen der zeitlich indistribuierte Gegenstand in jedem Moment seiner Dauer derselbe ist. Des Weiteren ist nach Meinong

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93 94 95

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Hua. X, Nr. 1, S. 149 Ebd ., S. 150. A. Meinong, „ Uber Gegenstä nde h ö herer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“, in : Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, XXI (1899 ) , S. 248.

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I. Kapitel: Erste Konzeption der Retention

der zeitlich distribuierte Gegenstand zu verstehen als eine Einheit, die aus Mannigfaltigkeit zeitlich indistribuierter Inhalte zusammengesetzt wird ( bei Husserl eine „ Gruppe von Momentananschauungen “ ) . Ein dauern der und sich in seiner Dauer ver ä ndernder Gegenstand besteht somit zufolge Meinong aus unverä nderten Einheiten , die ihrerseits keinerlei zeitliche Prä dikate aufweisen. Aus einer solchen Mannigfaltigkeit zeitlich indistribuierter Inhalte kann der dauernde und zeitlich distribuierte Gegenstand allerdings nur mittels einer besonderen Syntheseleistung entstehen, welche die zeitlich indistribuierten Inhalte zusammennimmt, um so die erfahrene Dauer zu konstituieren ( „Einheit durch Urteil “, wie Husserl sagt ) . Allerdings kann ein solch kolligierender Akt zufolge Meinong lediglich am Endpunkt der Strecke der Dauer vollzogen werden, d . h. erst wenn der gesamte zeitliche Vorgang einmal abgeschlossen ist. Husserl selbst gibt die Konzeption Meinongs wie folgt wieder: einer

Das [zeitliche] Objekt ist f ü r die Wahrnehmung vollendet im Endpunkt: also da mu ß dieser Akt statthaben und mu ß, das ganze Objekt umspannend die Wahrnehmung des Objekts ausmachen. Also distribuierte Gegenst ä nde werden nur mittels indistribuierter „ Inhalte“ vorgestellt [...].96

R. Bernet weist nun zu Recht darauf hin, dass das Problem der Meinongschen Konzeption darin besteht, dass der zeitlich distribuierte Gegenstand nunmehr als ein „ Gegenstand h ö herer Ordnung97“ verstanden wird , d. h . als Gegenstand eines „ kategorialen Aktes”, so wie Husserl ihn vornehmlich in seinen Logischen Untersuchungen entwi-ckelt hatte. Diese Herangehens weise hat allerdings den entscheidenden Nachteil, dass sie den grundlegenden Unterschied nicht nur von fundierenden und fundierten Akten durcheinanderbringt - d. h. von einstrahligen und mehrstrahligen Akten -, sondern dazu noch den von Husserl wesentlich spä ter herausgearbeiteten Unter schied zwischen einer ästhetisch -passiven Synthesis einerseits und einer intentionalen oder aktmäß igen andererseits einfach ü bergeht. Die Meinongsche Konzeption der Konstitution eines zeitlichen Gegenstandes durch einen kolligierenden, am Endpunkt der Dauer stattfindenden Akt macht eine solche Unterscheidung zwischen ästhetischen und intentionalen Syntheseleistungen ganz und gar hinf ällig, da sie fundierende und fundierte Akte in

96 97

Hua. X, Nr. 29, S. 226. R. Bernet, Einleitung. Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (1893-1917), op.cit., S. XXVI.

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Zweiter Abschnitt

struktureller Gleichheit zu denken sucht. Aus diesem Grund ist sie phä nomenologisch unbrauchbar. Der besondere Vorwurf , den nun Husserl an Meinong richtet, besteht darin , dass dessen Konzeption implizit die Zeitlichkeit des Wahrgenomme nen voraussetzt, die der kolligierende Akt eigentlich erst konstituieren sollte . Denn die Endphase einer Dauer, in der zufolge Meinong der kolligierende 98 Akt t ä tig werden soll, ist nur vorstellbar „als Endphase [einer Dauer] “. Die Idee der Endphase selbst setzt damit bereits voraus, was eigentlich erst in ihrem Eintreffen entstehen sollte. Eine Erklä rung der M ö glichkeit zeitlicher Wahrnehmung durch die Urteilslogik scheitert daher zwangsl ä ufig daran , dass die Zeitlichkeit von einem jeden Urteilsspruch immer schon vorausge setzt wird und daher auf einer tieferliegenden Konstitutionsebene anzuset zen ist. § 1 1 - Brentanos urspr ü ngliche Assoziation

Husserl lässt die an Meinong angelehnte Konzeption einer auf Urteil gegr ü ndeten zeitlichen Einheit bald hinter sich und versucht, eine neue Art zeitlich -verbindender Funktion auszuarbeiten. Diese Funktion findet Hus serl in der Idee einer „Verschmelzung99 “ der einzelnen zeitlichen Phasen des wahrgenommenen Gegenstandes. Diese Idee der „Verschmelzung“ hat den entscheidenden Vorteil, dass das zeitliche Moment nicht mehr au ß erhalb des wahrgenommenen Vorgangs in einem wie auch immer gearteten urteilenden Akt angesetzt , sondern vielmehr in den unmittelbaren Wahrnehmungsverlauf im Sinne eines Ineinandergreifens der einzelnen wahrgenommenen Elemente integriert wird. Allerdings bringt die Idee der zeitlichen „Verschmelzung“ Husserl in ausdr ü ckliche Nä he zu Brentanos Theorie der „ urspr ü nglichen Assoziation 100“, welche als eine Art „ realistisches Gegenbild ” de'r Husserlschen Idee der Verschmelzung verstanden werden kann und von der Husserl sich daher - d. h. wahrscheinlich gerade aufgrund der bestehenden * Nä he - versucht zu distanzieren. Das „ realistische ” Element dieser Assoziation Brentanos besteht darin, dass sie die Funktion der zeitlichen Modifikation in den aufgefassten Inhalt selbst, d. h. in die Empfindung ver 98 Hua. X, Nr. 29, S. 227. 99 Hua. X, Nr. 29 , S. 227. 100 ZB, S. 375.

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I. Kapitel: Erste Konzeption der Retention

legt, wohingegen Husserl versuchen wird, sie in der Auffassung dieser Inhalte anzusiedeln. Wieder wollen wir uns jetzt der Kritik zuwenden, die Husserl nunmehr an Brentano richtet, um anhand dieser Kritik das Spezifische der Husserlschen Konzeption abzulesen . Den Widerspruch, den Husserl in seinen Zeitvorlesungen hinsichtlich der urspr ü nglichen Assoziation Brentanos herausstellt , ist folgender: Zufol ge Brentano assoziiert sich das neue zeitliche Moment in seinem Eintreten unmittelbar mit dem soeben vergangenen Moment. Damit diese Assoziation allerdings stattfinden kann, muss das vorangehende Moment im neuen, gegenwä rtigen Moment nochmals gegeben, d . h . wiedererzeugt werden . Allein durch ein solch nochmaliges Geben kann das alte Moment zufolge Brentano mit dem neuen Jetzt assoziiert und in Beziehung gesetzt werden. Hierdurch allerdings erweist sich die ursprü ngliche Assoziation Brentanos als urspr ü nglich erzeugend, weswegen Husserl sie auch als „ ein psychologisches Gesetz der Neubildung von psychischen Erlebnissen auf Grund gegebener psychischer Erlebnisse101 “ bezeichnet . In einer solchen Neuerzeugung des vergan genen Moments kann das alte Moment nun aber unm ö glich vom neuen un terschieden und als vergangenes identifiziert werden. Diesem Einwand versucht Brentano dadurch zuvorzukommen , dass er anf ü hrt, das vergangene Moment wü rde im Jetzt lediglich mit einer minderen Empfindungsqualitä t erzeugt werden. Nach Husserl aber erweist sich eine solche Beschr ä nkung der Neuerzeugung auf mindere Empfindungsqualit ä t als vollkommen unf ä hig, den Unterschied von Gegenwart und Vergangenheit zu versichern , da der blo ß e Index der Klangintensit ä t niemals ausreichender Indikator f ü r Zeitlichkeit sein kann. Die Neuerzeugung vergangener Tö ne im Jetzt wü rde vielmehr zwangslä ufig dazu f ü hren , dass vergangene wie gegenwä rtige Mo mente gleichzeitig gegeben wä ren - wodurch eine verlaufende Melodie im Sinne eines gleichzeitig angeschlagenes Akkordes geh ö rt werden wü rde was selbstverst ä ndlich eine Absurdit ä t darstellt. Gegen diese von Brentanos Theorie der urspr ü nglichen Assoziation hervorgerufenen Missst ä nde entwirft Husserl in seinen Zeitvorlesungen eine neue Lösung. Die von ihm in den Mittelpunkt ger ü ckte Frage betrifft nun mehr den genauen bewusstseinsm äß igen Status der assoziativen verschmelzenden - Funktion:

101

Ebd., S. 377.

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Zweiter Abschnitt Wir m üssen uns [...] klar werden , auf wessen Rechnung das Zeitmoment zu setzen ist . Wenn die urspr ü ngliche Assoziation eine stetige Folge von Vorstellungen an die jeweilige Wahrnehmung anschlie ß t und dadurch das Zeitmoment erzeugt wird , so m üssen wir fragen: was ist das f ü r ein Moment ? Geh ö rt es zum Aktcharakter als eine wesentlich ihm eigene Differenz oder zu den Auffassungsinhalten, etwa den sinnlichen Inhalten, wenn 102 wir z. B. Farben , Tö ne in ihrem zeitlichen Sein betrachten ?

Wenn also, wie gesehen, es unm ö glich ist , den Grund zeitlicher Verä nderung durch eine blo ß e Modifikation des Empfindungsm/Wrns’ zu erklä ren , so liegt zufolge Flusserl die Vermutung nahe, diesen Grund in der zeitlichen Auffas sungsweise des Bewusstseins zu suchen. Wir sehen somit , dass Husserl seinen Erkl ä rungsversuch in die entgegengesetzte Richtung zu derjenigen Brentanos ausrichtet. Bezeichneten wir die Konzeption Brentanos soeben noch als „ realistisch “ , so können wir diejenige Husserls nunmehr als idealistisch bezeichnen , und dies insofern als sie den Grund zeitlicher Ver ä nderung im fungierenden Bewusstsein selbst zu verorten sucht: „Jedem Zeitpunkt entspricht die Gruppe seines Jetzt. Diese Gruppen sind geordnet, geordnet « durch die stetige Apperzeptionsweise.103 Sowie: „Wo wir hier das Prädikat Vergangen erteilen, oder als vergangen auffassen , da ist das Vergangen auch « wirklich vergangen . 104 Husserl verlegt den Grund zeitlicher Dauer in die besondere bewusstseinsm äßige Auffassungsweise des empfindungsmäßigen Inhalts. Diese Auffassungsweise verlä uft stetig und es ist aufgrund dieser stetigen Auffas sungsweise, dass der Gegenstand als ein zeitlich dauernder wahrgenommen '

wird. Der Grund objektiver Zeitlichkeit wird somit in eine dem Bewusstsein zugesprochene subjektive Zeitlichkeit zurü ckgenommen. § 12 - Präsenzzeit Sterns Mit der Idee einer solchen subjektiven Zeitlichkeit r ü ckt Husserl nunmehr in ausdr ü ckliche N ä he zu Wilhelm Stern. Dieser vertrat die Meinung, dass die Wahrnehmung eines sich zeitlich entfaltenden Gegenstandes, beispiels weise einer Melodie, selbst zeitlich erstreckt sein m üsse. Die Dauer derjeni102 103 104

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Ebd., S.380. Hua. X, Nr. 15, S. 175. Hua. X, Nr. 2, S. 152.

I. Kapitel: Erste Konzeption der Retention

gen Wahrnehmung, die notwendig ist , um einen sich in der Zeit aufbauenden Gegenstand wahrzunehmen, bezeichnet Stern als „ Pr äsenzzeit105". Die Präsenzzeit ist zu verstehen als eine dem Bewusstsein immanente Zeitlichkeit, eine subjektive Zeit der Wahrnehmung. In seinen Zeitvorlesungen bezieht Husserl sich ausdr ü cklich auf Sterns Konzeption der Präsenzzeit (§ 7 ) und stellt diesen gar als eine Art „ Retter ” vor den der Theorie Brentanos anhaftenden Missst ä nden dar (§§ 3-6 ) . Der Begriff der Präsenzzeit wird von diesem Moment an in Husserls eigenes Vokabular ü bergehen und es ist in dieser Hinsicht durchaus richtig, dass wie die verschiedensten Kommentatoren immer wieder hervorzuheben pflegen - Husserl seine eigene Konzeption der zeitlichen Wahrnehmung in Anlehnung an Sterns Konzeption der Präsenzzeit entwickelt. Doch diese von Husserl selbst in seinen Zeitvorlesungen gelieferte Darstellung des Problemzusammenhangs verdeckt die wesentliche Tatsache, dass Husserl das Sternsche Verst ä ndnis der Präsenzzeit einer wesentlichen Radikalisierung unter zieht, die die Idee einer unkritischen Bindung an Stern durchaus zweifelhaft erscheinen lässt. Die Begleittexte der Husserliana X zeugen n ä mlich von einer weitaus größeren Komplexität des Problems - eine Komplexität, die schnell in Vergessenheit tritt , wenn man sich lediglich auf die Zeitvorlesungen beschrä nkt (wie die meisten Kommentatoren es leider noch immer noch zu tun pflegen ) . Bei n ä herem Hinsehen werden wir im Gegenteil feststellen , dass sich Husserls Ansicht keinesfalls mit derjenigen Sterns deckt. Worin also besteht die angesprochene Radikalisierung der Sternschen Präsenzzeit ? Stern gr ü ndet seine Idee der Präsenzzeit auf eine grundlegende Unter scheidung zwischen einem „ momentanen Bewusstseinsganzen «106 einerseits und „ zeitlich ausgedehnten Bewusstseinsakten 107“ andererseits. Ein momentanes Bewusstseinsganzes beschreibt nach Stern Inhalte, die, wie Husserl sagt, „ in jedem Moment vollstä ndig sind, d. h. alle zusammengeh örigen bzw. zur Erzeugung der Auffassung n ö tigen Elemente isochron enthalten , so da ß in der zeitlichen Ausdehnung kein integrierender Faktor gegeben ist 108 “. Zeitlich unausgedehnte Akte sind daher zu verstehen als Akte momentan gegebener Ganzheiten , die ihren Gegenstand mit einem Mal und dabei voll105 106 107 108

ZB, S. 384. Vgl. L. W. Stern, „ Psychische Präsenzzeit “, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, XIII, 1897, S. 326. Ebd. Hua. X, Nr. 29, S. 218.

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Zweiter Abschnitt st ä ndig

geben , beispielsweise eine Zahl (wir erkennen hierin unschwer die zeitlich indistribuierten Gegenst ä nde Meinongs ) . Bei solch Gegenst ä nden zeitlich unausgedehnter Akte ist der zeitliche Fluss selbst kein konstitutives Bestandteil, d. h. dass der Gegenstand wird nicht wie beispielsweise eine Melodie erst durch Verä nderung zu dem, was er ist, und es ist eben in diesem Sinne, dass die Zeit hier keinen „ integrierenden Faktor “ darstellt. Nur Akte, denen ein solch zeitlich integrierender Faktor zukommt, d. h. Akte, die auf Gegenst ä nde gehen, f ü r die ein zeitlicher Fluss konstitutiv ist (beispielsweise eine Melodie ) , bezeichnet Stern als ausgedehnte Bewusstseinsakte: nur ihnen kommt die sogenannte „ Präsenzzeit “ zu. Problematisch wird eine solche Unterscheidung zwischen zeitlich ausgedehnten und zeitlich unausgedehnten Bewusstseinsakten - an der Stern trotz seiner Entdeckung der Präsenzzeit , d. h. der Idee einer in der Wahrnehmung selbst angelegten Zeitlichkeit, noch immer festhält -, wenn man mit Flusserl die weitere Ü berlegung anstellt, dass streng genommen ein jeder Gegenstand qua Wahrgenommener „ in ” der Zeit ist , und dies ungeachtet dessen , ob er nun identisch in dieser Zeit verharrt oder in sich einen Vorgang als Wesensbestimmung trä gt . Genau hier setzt nun die Kritik Husserls an, wenn er fragt: „ Aber wie, wenn die „ Auffassung“ auf die zeitlichen Bestimmtheiten mit geht ? 109 “ Husserl problematisiert hiermit den Sachverhalt, dass wir selbst in der Wahrnehmung eines nach Stern zeitlich unausgedehnten Bewusstseins ganzen eine zeitliche Dauer wahrnehmen. Anders ausgedrü ckt: Ob nun ein Gegenstand eine Ver ä nderung in der Zeit erf ährt oder nicht, wahrgenommen wird immer auch die zeitliche Dauer des Gegenstan des. Mit einer solchen Feststellung wird die Sternsche Unterscheidung von zeitlich ausgedehnten und unausgedehnten Bewusstseinsganzen zwangslä u fig hinf ä llig. Husserl radikalisiert die Sternsche Konzeption also insofern, als er den Begriff der „ Präsenzzeit “ auf alle Bewusstseinsleistungen gleichermaß en - auszudehnen sucht , und dies durch eine in der Auffassungsfunktion selbst angelegte Zeitlichkeit. Durch diese Radikalisierung ist nun der Ein stieg in die besondere Konzeption der Subjektivit ä t Husserls vorbereitet: Das Subjekt steht selbst in einem innigen und intimen Bezug zur Zeit; ja das Subjekt ist in seinem Innersten die Zeit selbst.

.

109

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Ebd .

r I. Kapitel: Erste Konzeption der Retention

§ 13 - Retention als Selbstdifferenzierung der Akte

Wir besitzen nunmehr alle ben ö tigten Elemente, um eine Definition der ersten Konzeption der Retention Husserls zu wagen. Wir stellten heraus, dass der Gegenstand nur als dauernder wahrgenommen wird, weil der Wahr nehmungsakt selbst dauert . Das Verlegen des Grundes des zeitlichen Werdens von dem in der Wahrnehmung Angeschauten auf das anschauende Be wusstsein f ü hrt Husserl zu der zun ächst durchaus evident erscheinenden Aussage, dass die Zeitlichkeit des Wahrgenommenen parallel zu einer Zeitlichkeit der Wahrnehmung verlaufe. [D] a evidenterweise Wahrnehmung und Wahrgenommenes ph ä nomenal gleichzeitig ist (es handelt sich nicht um objektive Gleichzeitigkeit ) , so folgt : Die Wahrnehmung eines Zeitobjekts mu ß ein Zeitobjekt sein , und beide decken sich nach ihrer phä nomenalen Extension. 1 1 0

Eine solch parallelisierende Verdopplung der Zeitlichkeit l ö st allerdings nicht das Problem , zu wissen, wie die zeitliche Modifikation als solche zustande kommt, sondern verlegt dieses Problem lediglich in den Bereich des wahr nehmenden Bewusstseins - und lässt dadurch erst die Gefahr eines unendlichen Regresses aufkommen! Die Frage stellt sich daher eigentlich noch im mer: Wie entsteht die Zeitlichkeit als solche ? Wie entsteht das Zeitobjekt „Wahrnehmungsakt ” ? Im Sinne der „ Gleichzeitigkeit ” von Wahrnehmung und Wahrgenommenem gr ü ndet diese Konzeption auf der Idee eines dem Wahrnehmungsakt selbst innewohnenden Differenzierungsprozesses: ,, [W] ie h ä ngen die momentanen Zeitbewusstseinsphasen zusammen ? Im Momentan -Zeitbewusstsein haben die Auffassungsphasen Einheit der Akt Kontinuit ä t: das Moment der Aktform differenziert sich , stuft sich stetig ab. m « Die Selbstdifferenzierung des Wahrnehmungsaktes seiner zeitlichen Form nach ist also der Grund f ü r die zeitliche Erstreckung des Wahrneh mungsaktes selbst und damit auch der zeitlichen Erscheinung des Gegens tandes. Durch das Wahrnehmen ü berträ gt der Wahrnehmungsakt die in ihm waltende Zeitlichkeit auf das Wahrgenommene. Der wahrgenommene Inhalt ist ein zeitlicher, weil er eben wahrgenommener ist. Allerdings besteht das besondere Problem dieser Konzeption darin, dass - aufgrund der Idee der Gleichzeitigkeit - der „subjektiven ” Zeit der Wahrnehmung eine gegenst ä nd 110 111

Hua. X, Nr. 29, S. 226. Ebd., Nr. 30, S. 229.

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Zweiter Abschnitt

liehe Zeitordnung im Sinne einer starren Folge von Jetztpunkten untergeschoben wird. Die Verdopplung der Zeit in eine objektive und eine subjektive hat daher den konträ ren Effekt dessen, worauf es Husserl eigentlich abgesehen hatte: Anstatt die objektive Zeitordnung aus einem urspr ü nglich subjektiven zeitlichen Geschehen heraus entstehen zu lassen, wird dieses subjektive Geschehen lediglich auf die Abfolge gegenst ä ndlicher Jetztpunkte nivelliert und damit sinnwidrig der gegenst ä ndlichen Zeit angeglichen. Dies kann sehr anschaulich dem ersten husserlschen Zeitdiagramm entnommen werden . Neben den Texten Nr. 27 und 31 finden wir dessen ausgearbeitetste Version im Text Nr. 34112 (welche in abgewandelter Form auch im § 10 der Zeitvorlesungen zu finden ist ) . X

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.

Gleiche Zeitabstände

Wie A. Schnell 113 einer eindringlichen Auseinandersetzung mit den Zeitdiagrammen entnehmen konnte, dr ü ckt sich die in diesem Zeitdiagramm vorherrschende Nivellierung der subjektiven Zeit auf die objektive Zeit dadurch aus , dass „ die Ordinaten - Achse [...] blo ß als Korrelat der Abszissen 112 113

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Hua. X,S. 235. Vgl. A. Schnell, „ Das Problem der Zeit bei Husserl. Eine Untersuchung ü ber die husserlschen Zeitdiagramme “, in: Husserl- Studies, Nr. 18, 2002, S. 95.

I. Kapitel: Erste Konzeption der Retention

Achse114 “ gehandhabt wird . Die zeitliche Modifikation wird hierdurch reduziert auf eine blo ß e Verschiebung eines zeitlichen Datums innerhalb eines feststehenden Systems aus Jetztpunkten. „Vergangen ” hie ß e daher f ü r das Bewusstsein lediglich „vom Jetzt entfernt ” , „ ein Jetzt im Vergangen ”. Dass allerdings durch eine solche Nivellierung der grundlegende phänomenale Unterschied zwischen einem „ als Jetzt erscheinenden ” und einem „ als vergangen erscheinenden Moment ” vö llig au ß er Acht gelassen wird, dies scheint auch Husserl als Problem anzuerkennen, weswegen er - sozusagen ad hoc den Unterschied zwischen Phantasma und Empfindung einf ü hrt. Eine vergangene Empfindung bezeichnet Husserl als ein Phantasma, ein Jetzt dage gen als eine blo ß e Empfindung. „Moment f ü r Moment sind Auffassungsin halte da, Empfindungen f ü r das Jetzt und Phantasmen f ü r das Vergangene [.. .].115« Abschlie ßend k önnen wir daher feststellen, dass Husserl bis zum Jahre 1905 die Retention als einen im Innern des Auffassungsaktes stattfindenden Differenzierungsprozess versteht, dessen Inhalt im Ü bergang vom Jetzt ins Vergangene abgewandelt wird von einer Empfindung hin zu einem Phantasma.

114 115

Ebd . Hua. X, Nr. 34, S. 234.

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II. Kapitel Zweite Konzeption der Retention (1905-1909 )

Husserls Verst ä ndnis der Retention ä ndert sich in den Jahren 1906/ 07. Es sind vor allem die Texte 39 - 47, 51 und 52 der Husserliana X, die uns hierü ber Auskunft geben. Die Idee der Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem hinter sich lassend betont Husserl nunmehr, dass zwar der wahrgenommene Gegenstand als „ jetzt ”, „ vergangen ” oder „sogleich kommend ” erscheint , niemals aber das wahrnehmende Bewusstsein dieser gegenst ä ndlichen Phasen selbst in einem „Jetzt ”, einem „Vergangen ” oder einem „ sogleich - Kommend ” verortet werden kö nne: das wahrnehmende Bewusstsein beschreibt vielmehr diejenige zeitkonstituierende Dimension, die ein solches Erscheinen als „ jetzt “ „ vergangen “ oder „sogleich -kommend “ m ö glich macht . § 14 - Zweifache zeitliche Wahrnehmung

Die genaue Ausarbeitung dieser zweiten Konzeption der Retention geht einher mit dem Entwurf eines urspr ü nglicheren Verst ändnisses des zugrun deliegenden Ph ä nomens der Retention , d. h. einer tieferdringenden phä nomenologischen Beschreibung der urspr ü nglichen Erfahrung der Retention. Ausgangspunkt dieser Beschreibung ist das „Zeitobjekt “, dessen beste Definition wir im § 8 der Zeitvorlesungen finden: „ Unter Zeitobjekten im speziellen Sinn verstehen wir Objekte, die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten.116« Das Zeitobjekt muss nun streng vom zeitlichen Objekt unterschieden werden. Letzteres beschreibt den Gegenstand, so wie er in der objektiven Zeit zu verorten ist, d. h. gedacht wird als Bestandteil einer transzendenten, objektiv messbaren Weltzeit. Das Zeitobjekt hingegen beschreibt die subjektive ‘ Erfahrung dieser objektiven Zeit. Husserl zufolge nun ist aber diese subjektive Zeit selbst eine doppelte, denn: „ nicht nur “ sind die Zeitobjekte „ Einheiten in der Zeit [. ..] sondern [sie enthalten] die Zeitextension auch in sich “. Was hat das zu bedeuten ?

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60

ZB, S. 384.

I

IL Kapitel: Zweite Konzeption der Retention

Auf dem Niveau der Zeitobjekte ist die objektive Zeit bereits aus geklammert , sie betrifft allein die zeitlichen Objekte, d. h. die Objekte „ in ” der Zeit. Der durch die Zeitobjekte erfahrbar gemachte Unterschied von „ Ein heiten in der Zeit “ einerseits und reiner „ Zeitextension “ andererseits ist da her allein in der subjektiven Zeit anzusiedeln: Er beschreibt die M öglichkeit zweier verschiedener Erfahrungen dieser einen subjektiven Zeit , zweier M ö glichkeiten ihrer Wahrnehmung. Die erste Art Wahrnehmung besteht darin, eine „ Einheit in der subjektiven Zeit ”, d. h. eine gegenst ä ndliche Dau er wahrzunehmen , in der, wie oben erläutert , die gegenst ä ndlichen Momente st ä ndig verflie ß en ( eine Reihe verflie ß ender Jetztpunkte beispielsweise ) . Die andere Art Wahrnehmung besteht hingegen in einem Aufmerken auf die „ Zeitextention “ selbst, in der sich die erste gegenst ä ndliche Dauer urspr ü nglich konstituiert. Vom genauen Verständnis der Zeitextension , d. h. der zweiten M ö glichkeit zeitlicher Wahrnehmung, h ä ngt nun das weitere Verst ä ndnis der Retention ab. Wie also macht Husserl diese reine Zeitextension gegen ü ber der subjektiven Zeit gegenst ä ndlicher Wahrnehmung kenntlich ? Eine Kontinuität von abgelaufenen Tonphasen ist im selben Jetzt bewu ßt. Diese abgelaufenen Tonphasen sind nicht so wahrgenommen in dem betreffenden Jetztpunkt der Wahrnehmung wie diejenige Tonphase, die in ihm als ein Jetzt dasteht. Sie sind noch bewu ß t, sie erscheinen noch, aber in modifizierter eise.117

^

Husserl unterscheidet hier die gegenst ä ndlichen zeitlichen Phasen von den sich stetig modifizierenden Bewusstseinsphasen , in denen die gegenst ä ndlichen Phasen als zeitliche erscheinen. Die Unterscheidung zweier Zeitsph ären innerhalb der einen subjektiven Zeit st ü tzt sich hiermit auf zwei unter schiedliche zeitliche Phä nomene: Im ersten Phä nomen handelt es sich um eine gegenst ändliche Identit ä t, die in einem Fluss erscheint ( = gegenst ä ndliche Dauer ) ; im zweiten dagegen um die zeitliche Dauer selbst als erscheinende ( = ungegenst ä ndliche Dauer) . In eben dieser erscheinenden ungegenständlichen Dauer ist nun das ur spr ü ngliche Ph änomen der Retention anzusiedeln. Mit der Entde- ckung dieser retentionalen Besonderheit, sich allein auf ungegenst ä ndliche, reine Zeitextension zu beziehen, st öß t Husserl gleichzeitig auf einen ganz anderen Sinn von „Bewusstsein ”: dieser beschrä nkt sich nicht mehr lediglich auf ein gegenständliches Bewusstsein im Sinne einer Aktintentionalit ä t, sondern 117

Hua. X, Nr. 39, S. 275 f .

61

Zweiter Abschnitt

bezeichnet nunmehr das

ungegenst ä ndliche Bewusstsein zeitlicher Dauer (die sogenannte „ Phansis ” ). Dieses ungegenstä ndliche und unmittelbare Bewusstsein bezeichnet Husserl im Text Nr. 39 der Husserliana Xals „ abso lutes Bewusstsein “. Um dessen Besonderheit kenntlich zu machen, stellt er fest , dass nunmehr „ der Gegensatz von Einheit und Mannigfaltigkeit einen neuen Sinn bekommt, der uns auf eine tieferliegende Schicht von konstituierenden Bewusstseinsvorkommnissen zur ü ckf ü hren wird118“. Die „ tieferliegende Schicht “, von der hier die Rede ist, ist das absolute Bewusstsein selbst. Um dessen Eigent ü mlichkeit zu verstehen , muss man begreifen , was es mit dem hier genannten „ neuen Sinn “ des „ Gegensatzes von Einheit und Mannigfaltigkeit “ auf sich hat. Hiermit gemeint ist nun nicht mehr die Einheit des Gegenstandes im Gegensatz zu einer Mannigfaltigkeit verschiedener gegenständlicher Jetztphasen . Dieser erste Gegensatz betrifft allein die subjektiv wahrgenommene gegenständliche Dauer. Der „ neue Sinn “ dieses Gegensatzes besteht vielmehr darin , dass nunmehr selbst die einzelnen (gegenst ä ndlichen ) Jetztphasen als Einheiten verstanden werden , die sich in einer neuen, tieferliegenden Mannigfaltigkeit aus Phasen des zeitkonstituierenden Bewusstseins „darstellen Diese neue Mannigfaltigkeit will Husserl nun in Analogie zur räumlichen Wahrnehmungen als „ Abschattungen ” verstanden wissen : „ Die Einheit jeder Dingphase tritt hier in Kontrast mit der Mannigfaltigkeit von Abschattungen, die wesentlich zu dieser Dingphase geh ö ren und ohne die das Bewusst sein der einen und selben Dingphase nicht m ö glich wä re.119 « Die Einf ü hrung des Begriffs der „Abschattungen “ in den Bereich der Zeitkonstitution muss als Versuch verstanden werden , dem Ph ä nomen der Retention ein konh ärentes Erklärungsmodell beiseite zu stellen. Wie also ist die Verwendung des Begriffs der „Abschattung“ im Zusammenhang mit der Zeitkonstitution genau zu verstehen ? In expliziter Analogie zur Gegebenheitsweise räumlicher Gegenstände denkt Hpsserl die zeitliche Konstitution gegenst ä ndlicher Identit ä t im Text Nr. 39 der Husserliana X mittels der Dualit ä t einer Mannigfaltigkeit verschiedener Abschattungen einerseits und einem synthetisierenden Auffassungsakt andererseits.

118 119

62

Ebd., S. 271. Ebd., S. 282.

II. Kapitel: Zweite Konzeption der Retention

[D] ie ganze Dauer ist eben stetige Einheit dieser Punkte, und so ist es Einheit der Auffassung;. welche aufgrund der ganzen Komplikation von Abschattungsreihen die ganze Dauer, und in anderer Auffassungsweise das einheidiche Objekt, das da dauert, erfa ß t. 120

Husserl geht hier also davon aus, dass die Mannigfaltigkeit der verschiedenen zeitlichen Abschattungen nur durch einen Auffassungsakt zusamm engenommen werden k ö nnen. Noch immer in Analogie zur r ä umlichen Wahr -

nehmung, bezeichnet Husserl die einzelnen zeitlichen Abschattungen daher als „ Repräsentationen 121 “ und „ Darstellungen122 “ der jeweiligen gegenst änd lichen Zeitphasen. Zwischen den Abschattungen und den gegenst ä ndlichen Zeitphasen herrscht nun - wir sagten es bereits - ein radikaler Unterschied , der auf zwei verschiedene Weisen zeitlicher Bewusstheit verweist: einerseits das Bewusst sein eines Identischen in der Zeit, andererseits das Bewusstsein blo ß er Dauer, blo ß er zeitlicher ( ungegenst ä ndlicher ) Ausbreitung. Das durchgehende Einheits- oder Identitätsbewusstsein ist nicht zu ver wechseln mit dem ganz anderen Bewusstsein eines Ganzen von zeitlich stetig aneinandergereihten Momenten. Im Identit ä tsbewusstsein lebend , haben wir im stetigen Kontinuum, im stetigen Flu ß der zeitlichen Dehnung immerfort eines. Das Objekt ist nicht die Ausbreitung, sondern das Sich -a usbreitende.123

Verharren wir somit im wahrnehmenden Bewusstsein eines Gegenstandes, so sind wir auf diesen Gegenstand erfassend gerichtet, der in einer sich von Moment zu Moment ausbreitenden und st ändig anwachsenden Dauer er scheint. Dem gegen ü ber kö nnen wir allerdings auch „ in ” dem Erfassen des Gegenstandes auf die Zeitextension selbst achten - ohne sie zu vergegenst ä ndlichen -, wobei wir feststellen werden, dass es sich hierin um eine f ü r die Wahrnehmung des identischen Dinges konstitutive zeitliche Dimension handelt.

120 121 122 123

Ebd., S. 283. Ebd. Ebd., S. 277. Hua. X, Nr. 35, S. 241.

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Zweiter Abschnitt

Es ist offenbar eine ganz andere Wahrnehmung, die hier in Frage ist ; nicht die Wahrnehmung der Tonphasen in ihrer Kontinuitä t, also des tonalen Vorganges , sondern die Wahrnehmung der Kontinuitä t, die f ü r den TonVorgang darstellend ist, die ihn repräsentiert .124

Diese Unterscheidung zweier zeitlicher Wahrnehmungen (eines Identischen in der Zeit und der zeitlichen Ausbreitung selbst ) geht jedoch nach Husserl einher mit der prinzipiellen M ö glichkeit die zeitlichen Abschattungen , die Ph ä nomene des absoluten Bewusstseins, jederzeit in Phä nomene gegenst ä ndlichen Bewusstseins zu ü berf ü hren selbstverstä ndlich nicht ohne Verlust des besonderen Status der Absolutheit. In dieser Hinsicht also stellt Husserl fest , dass wir „ evidenterweise [...] immer die Ausbreitung selbst gegenst ä ndlich machen, teilen , die Teile unterscheiden [ k ö nnen] ,125 « In einer solchen Unterscheidung zweier komplett verschiedener Wahrnehmungstypen , k ö nnen wir nun unschwer den Unterschied von ausdrü cklicher und unausdr ü cklicher Reflexion erkennen . Ausdrü ckliche und unausdrü ckliche Reflexion m ü ssen daher jeweils als Resultat einer besonderen Art zeitlicher Wahrnehmung verstanden werden. Richten wir uns mittels der ausdr ü cklichen Reflexion erfassend auf die zeitliche Ausbreitung und fixieren wir eine aus dem Ganzen herausgerissene Abschattung im Sinne einer identischen gegenst ä ndlichen Phase, so erscheint diese Phase als Identisches in der Zeit und wird selbst wieder gegeben innerhalb einer Mannigfaltigkeit zeitlicher Abschattungen. Um dagegen die reine Zeitextension selbst „ wahrzunehmen ” bedarf es der unausdr ü cklichen Reflexion, die in einer auf die zeitliche Ausbreitung selbst gerichteten Aufmerksamkeit besteht. Die unausdrü ckliche Reflexion ist daher eine phansiologischer Betrachtung; sie beruht in einem „ Achten 126 auf ” die Zeitextension selbst. Was also ist abschlie ß end zu sagen ü ber die zweite Konzeption der Retention ? Wie erkl ä rt Husserl in den Jahren 1905-1909 die Ausbreitung der Wahr nehmung auf den Bereich des soeben -Vergangenen ? Wie wir gesehen haben, 124 125 126

EbçL, Nr. 39, S. 277. Ebd. Husserl selbst verwendet diesen Begriff des Achtens auf... meist immer dann, wenn er sich in einer „ phansiologischen Analyse “ befindet, d. h., wenn er in einer unausdr ü cklichen Reflexion die Zeitigungsweise des Bewusstseins untersucht. Vgl. u.a. Hua. X: S. 145, Z. 18; S. 168, Z. 33; S. 194, Z. 20; S. 199, Z. 4; S. 207, Z. 27; S. 263, Z. 20 ; S. 273, Z. 11; S. 280, Z. 9; S. 367, Z. 36; S. 377, Z. 34 etc.

64

IL Kapitel: Zweite Konzeption der Retention

versucht Husserl, die zeitliche Ausbreitung der Wahrnehmung (und damit die Retention selbst ) ausgehend von einem auffassenden Akt zu erklä ren , der sich auf eine Mannigfaltigkeit zeitlicher Abschattungen richtet, diese zusammennimmt, um in einer solchen Zusammennahme verschiedener Mo mente reiner Zeitextension die Erscheinung eines zeitlich - dauernden Ge genstandes zu konstituieren. Die Quintessenz dieser zweiten Konzeption der Retention lässt sich daher wie folgt zusammenfassen: „ Das Zeitbewu ßtsein ist [...] ein objektivierendes Bewusstsein.127 cc. Das Zeitbewusstsein ist in dieser zweiten Konzeption der Retention Husserls ein objektivierendes Bewusstsein, weil nur mit Hilfe einer Auffassungsfunktion die zeitlichen Abschattungen zusammengenommen werden kö nnen: Nur wo gegenst ä ndliches Bewusstsein besteht, kann es daher zufolge dieser Konzeption ein zeitliches Bewusstsein geben. Fast hat es den Anschein , als ob Husserl hier auf sein allererstes, auf die Urteilslogik gest ü tztes Modell zur ü ckf ällt . Zwar n ä hert sich Husserl den eigentlich zeitkonstituierenden Ph ä nomenen an, indem er gegenst ä ndliche Dauer von ungegenst ä ndlicher unterscheidet , doch vers äumt er es , dieser ungegenst ä ndlichen Dauer eine andere Bewusstseins leistung beizustellen als die der vergegenst ä ndlichenden Leistung des Akt bewusstseins . Um zu sehen , wie Husserl selbst diese M ä ngel wahrnimmt und sie versucht zu ü berwinden, wenden wir uns jetzt der dritten Konzeption der Retention zu.

127

Hua. X, Nr. 45, S. 297.

65

III. Kapitel Dritte Konzeption der Retention (1909-1913 ) 128 In der nunmehr zu untersuchenden dritten Konzeption der Retention (ausgearbeitet während der Jahre 1909-1913) hält Husserl weiterhin an der Unterscheidung zweier verschiedener Erfahrungen von Zeitlichkeit fest, verwirft allerdings den Begriff der zeitlichen Abschattungen.

§ 15 - Kritik an der Repräsentationstheorie Wie wir bereits feststellen konnten, bewegte sich das Erklä rungsmodell der Retention des Textes Nr. 39 noch immer im Bereich des Schemas Auffas sung-Auffassungsinhalt. Dieses Schema wird nunmehr von Husserl im Zusammenhang mit der Zeitkonstitution einer eingehenden Prüfung unterzo gen. Im Text Nr. 48 bezeichnet er dieses Schema griffig als „ Repräsentationstheorie “129. Worin bestehen die M ä ngel, die Husserl an dieser Theorie auszusetzen hat ?

-

Alles bloß Unterschiede der Auffassung, die sich an den ü brigens erlebten und im Bewusstsein seienden Inhalt nur anschlie ß en, ihn „ beseelend “. Aber eine solche Interpretation d ü rfte ganz unhaltbar sein, und es ist die besondere Aufgabe, hier v öllig Klarheit zu schaffen.130

Der besondere Mangel der Repräsentationstheorie besteht in der von ihr geforderten Beziehung von einer zeitlichen Auffassung einerseits und einer „ aufgefassten ” Abschattung andererseits. Das Problem einer solchen Bezie hung ist , dass das zeitformgebende Element der Auffassung zugeschrieben, wohingegen die Abschattung als „ ursprü nglich zeitlos ” verstanden wird. Als ursprü nglich zeitlos werden die Abschattungen allerdings implizit vorgestellt als ein dem auffassenden Bewusstsein durchgehend präsentes Material, so dass die Entstehung zeitlicher Sukzession letztendlich aus der „ KoexistenzJjI ,,a der bereitgestellten Elemente - der Abschattungen n ä mlich - erklä rt 128 129 130 131

66

Diese dritte Konzeption findet sich vornehmlich in den Texten Nr. 48 -50, 53 und 54 der Husserliana X. Vgl. Hua. X, Nr. 48, S. 318. Ebd., Nr. 48, S. 319. Ebd., Nr. 49, S. 323.

III. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention

werden soll: und dies , so Husserl, ist schlichtweg „absurd132“ 11' 1 . Husserl kommt daher zu dem Schluss, dass im Gegensatz zu seiner vorangehenden zweiten Konzeption die zeitliche Kontinuit ä t vielmehr zu verstehen sei als eine „ Kontinuit ä t von Bewusstseins ä nderungen, die nicht etwa angesehen werden d ü rfen als Produkte, die einen ü berall gemeinsamen Bestandteil [. . .] enthalten, während die Veränderung auf Rechnung von neuen Momenten, genannt Auffassung, zur ü ckzuf ü hren ist.134 “ Es gilt daher richtiger zu sagen , dass es in der Zeitkonstitution weder Auffassungen noch „ Inhalte ” gibt, die als zeitliche „ aufgefasst ” werden wü rden 133! Wir k önnen daher feststellen , dass Husserl, solange er am Begriff der Abschattungen festhielt, die phansio logische Mannigfaltigkeit des zeitkonstituierenden Bewusstseins in einer solchen Weise zu denken suchte, dass sie in den Bereich des Gegenst ä ndlichen herabfiel (eben im Sinne eines der Auffassung bereitliegenden „ koexistenten “ Materials ) - den sie ja gerade konstituieren sollte: indem Husserl die zeitkonstituierende Mannigfaltigkeit als Inhalte einer zeitlichen Auffas sungsfunktion verstand, dachte er implizit die Dimension des Erscheinens vom Erscheinenden her. Der unendliche Regress war hier unm ö glich aufzu halten. Ist nun aber die Konstitution zeitlicher Wahrnehmung mit keinem Rü ckgriff auf das Auffassungsschema zu erklä ren und kann es sich im absoluten Bewusstsein keinesfalls um das Bewusstsein von zeitlichen Abschat tungen handeln , so stellt sich unsere anf ä ngliche Frage umso dringlicher: Was und wie reteniert das zeitliche Bewusstsein.

132 133

134 135

Ebd. Vgl. ebenso: Ebd ., Nr. 49, S. 323: „ In Wahrheit zeigt keine Analyse, die sich an die Phä nomene selbst h ält, dass in einem Jetztpunkt des Bewusstseins vom Gegenstand eine solche Kontinuitä t der Erscheinung mit ihren prim ä ren In halten und Auffassungscharakteren vorliegt, die es zu sagen gestattete, es sei reell in diesem Jetzt eine Kontinuit ä t der Erscheinung gegeben, und dies so verstanden, dass die dem Jetztpunkt des Gegenstandes entsprechende Erscheinung [. ..] eine Ausbreitung in Form der Simultaneit ä t h ä tte [...].“ Ebd ., Nr. 49, S. 324. In dieser Ü berlegung kommt eine erste Distanzierung Husserls vom Auffassungsschema zum Ausdruck. Wir werden allerdings im Folgenden feststellen, dass Husserl tatsächlich bis ins Jahr 1913 hinsichtlich der Zeitkonstitution im plizit am allgemeinen Rahmen des Auffassungsbewusstseins festhält . Vgl. Abschnitt III, Kapitel I, § 22 der vorliegenden Arbeit.

67

Zweiter Abschnitt

§ 16 - Ablaufsph ä nomene und kontinuierliche Modifikation

Wie wir bereits feststellten , ist Husserl schon ab etwa dem Jahre 1904 im Besitz des eigentlichen Ph ä nomens der Retention. Unter dem „ Ph ä nomen “ oder der „ Erfahrung“ der Retention verstehen wir die Wahrnehmung einer zeitlichen Kontinuit ä t , die die besondere Anwesenheit des unmittelbar Vergangenen im Jetzt bedeutet - sozusagen die zeitliche Tiefendimension unserer Erfahrung -, die als solche streng von der anderen Kontinuit ä t einer gegenst ä ndlichen Jetztfolge zu unterscheiden ist. Erkennt Husserl nun die radikale Unm ö glichkeit an , das Auffassungsschema direkt auf die Zeitkonstitution anzuwenden und die zeitliche Tiefendimension als Inhalte ( d. h. als Abschattungen ) einer Auffassungsfunktion zu denken, so liegt es durchaus nahe, zum urspr ü nglichen Phä nomen zur ü ckzukehren und erneut zu versu chen , in einem abermaligen deskriptiven Anlauf , die ungegenst ä ndliche Bewegung des Zeitbewusstseins theoretisch zu erfassen. Es ist von neuem das Zeitobjekt , das Husserl hierf ü r im Jahre 1911 als Ausgangspunkt dienen wird. Wir sahen, dass das Zeitobjekt seinerseits zwei verschiedene Typen der Wahrnehmung zulässt: einmal die Wahrnehmung gegenstä ndlicher Dauer und dann ein ungegenst ä ndliches „ Achten auf ,, die „ Zeitextension ” selbst. Das Ziel Husserls besteht jetzt im Jahre 1911 darin , genau diese Zeitextension , d. h. die Ausdehnung des Jetzt hin zu einem Vergangen, in einem ersten Schritt zu isolieren , um sie dann in einem zweiten Schritt ihrem besonderen ph ä nomenalen Gehalt nach zu beschreiben. In ebendieser Absicht fordert Husserl uns im Text Nr. 53 der Husserliana X ( der zu gro ßen Teilen in die §§ 9 und 10 der Zeitvorlesungen ü bergegangen ist ) am Beispiel eines hyletischen Ton -Datums dazu auf , auf „ die Weise seines [zeitlichen] Gegeben sems 136« st / achten ( das Achten auf wird hierbei ausgedr ü ckt durch: „ Ich kann die Aufmerksamkeit richten auf [...] 137« ) . Dabei bemerkt er Folgendes: Solange neue Jetztphasen desselben Gegenstandes hinzukommen, d. h. solange der Ton selbst noch andauert , ist er bewusst „ in einer Kontinuitä t von „ Weisen “ [.. .] , bewusst in einem „ best ändigen Flusse“ m “. Aber auch dann , wenn er einmal abgelaufen ist, „ ist er „ eine Zeitlang“ in der „ Retention “ als

136 137 138

68

Ebd ., Nr. 53, S. 359. Ebd . Ebd ., S. 360.

HI. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention

gewesener „ noch “ bewu ß t 139“. Husserl stellt daher fest: „ Der Ton selbst ist derselbe, aber der Ton „ in der Weise, wie “ er erscheint , ein immer anderer.140 « Husserl unterscheidet hier also die Einheit des Tones von der mannigfaltigen „Weise, wie er erscheint “. Fast könnte man denken, hier wiederhole sich lediglich das uns bereits bekannte Denkschema einer Einheit, die sich in einer konstitutiven Mannigfaltigkeit verschiedener „ Abschattungen dar stellt ”. Dem ist jedoch keinesfalls so! Denn die entscheidende Neuheit besteht im Jahre 1911 darin , dass die „Weise, wie er [der Ton] erscheint “ eine immer andere ist , d . h . sich kontinuierlich modifiziert. jede spä te Erin nerung ist nicht nur kontinierliche Modifikation [. ..] , sondern kontinuierliche Modifikation aller fr ü heren stetigen Modifikationen desselben Einsatz punktes, d . h. sie ist selbst, dieser Erinnerungspunkt, ein Kontinuum.141 « Es ist dabei wichtig zu betonen , dass die Idee der „ kontinuierlichen Modifikation “ auf eine konkrete ph ä nomenologische Erfahrung gest ü tzt ist, d. h. dass es sich nicht um eine frei erfundene Rede handelt, sondern dieser Feststellung eine tatsä chliche Erfahrung zugrunde liegt . Husserl spricht in dieser Hinsicht von „ Ph ä nomene [n] des zeitkonstituierenden Bewusst seins 142 “, die er entweder als „ Ablaufsphänomene143“ bezeichnet, oder, hin sichtlich der Gegenst ä nde, dessen zeitlichen Ablauf sie erfahrbar machen , als „ Objekt [e] im Ablaufsmodus 144“. Es handelt sich um die Idee einer immer wä hrenden Verä nderung, deren Besonderheit darin besteht , dass sie unm ö glich im Sinne einer objektiven , gegenst ä ndlichen Verä nderung missverstan den werden darf . Die Begriffe von Einheit und Mannigfaltigkeit , Inhalt und Auffassung, die noch f ü r die vorangehende Konzeption ausschlaggebend waren , sind hier vollkommen fehl am Platz. Kein Sinn von Einheit oder Mannigfaltigkeit wä re mehr dazu in der Lage, die kontinuierliche Modifikation vorstellig zu machen. Denn , so Husserl:

139 140 141 142 143 144

Ebd. Ebd., S. 361. Ebd., Nr. 50, S. 327. Ebd., Nr. 53, S. 363. Ebd., S. 364. Ebd ., S. 363.

69

Zweiter Abschnitt Wo ist das Objekt, das in diesem Flu ß sich verä ndert ? In jedem Vorgang geht doch a priori etwas vor ? Hier geht aber nichts vor. Die Verä nderung ist keine Verä nderung, und darum ist auch von etwas , das da dauert, sinnvoll keine Rede und ist es unsinnig, hier etwas finden zu wollen, was in der Dauer einmal sich nicht verä ndert.145

Das gegenst ä ndliche, diskrete Denken , das noch in der zweiten Konzeption Einzug in die ungegenst ä ndliche, kontinuierliche Sph ä re der zeitkonstituierenden Ph ä nomene erhalten hatte, f ü hrte zwangsläufig zu einem infiniten Regress. Die einzig logische Konsequenz besteht daher darin , die Zeitexten sion nicht mehr in Analogie zur Gegenstandssph ä re als Veränderung eines inhaltlichen Moments zu verstehen , sondern die zeitliche Ver ä nderung vielmehr radikal zu fassen , d. h. als eine sich selbst verändernde Veränderung;, als eine st ä ndige und immerw ä hrende Trans -formation. Ein bestimmter Punkt im Zur ü cksinken in die Zeit tut dies daher nicht als identischer; die zeitliche Ver ä nderung beschrä nkt sich keinesfalls auf eine blo ß e Versetzung der objektiven Jetztstelle. Anders ausgedr ü ckt: Zeitlichkeit ist keinesfalls ein rein formaler Aspekt , der den Ph ä nomenen innerhalb eines homogenen Feldes lediglich ihre (Zeit-) stelle zusprechen wü rde, sondern - gedacht als kontinuierliche Modifikation - betrifft sie vielmehr auch den zeitlichen Inhalt selbst - und dabei nicht nur den Inhalt der vorangehenden Phase allein , sondern vielmehr des gesamten Kontinuums! Der zeitkonstituierende phansiologische Fluss ist daher der Fluss einer unendlichen Folge von Modifikationen von Modifikationen..., und der unendliche Regress wird hierbei dadurch vermieden , dass der „ Flu ß des Bewusstseins von selbst die Bedingungen der M ö glichkeit des Bewusstseins der Folge [erm ö glicht ] .146« Versteht diese dritte Konzeption die Retention daher ausgehend von den aus den Zeitobjekten extrahierten Ablaufsph ä nomenen, so radikalisiert Husserl den vorangehenden Ansatz insofern, als er die zeitliche Verä nderung als Verä nderung ohne Inhalt zu verstehen sucht. Die Retention wird somit definiert als ein „ Im -Griff -Behalten ” des soeben-Vergangenen, das in seinem Behalten des Vergangenen dieses Vergangene stetig modifiziert - weswegen auch die Rede von einem gleichbleibenden Inhalt völlig fehl am Platz ist. Im Punkte T (3) sind T ( l ) und T ( 2 ) noch immer gegeben: T (2 ) ist bewusst als R (T ( 2 ) ) und T ( l ) als R ( R (T (1) ) ) . Wir sehen daher, dass T ( l ) im Moment von T ( 3 ) gegeben ist in einer doppelten retentionalen Leistung. Diese geht 145 146

70

Ebd ., Nr. 54, S. 370. Hua. X, Nr. 50, S. 332.

1

!

'K

III. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention

I

einher mit dem Bewusstsein von T ( 3) , sodass die Erinnerung an T ( l ) sogleich auch Bewusstsein des zeitlichen Abstandes von T ( 3) zu T ( l ) ist Dieser kontinuierliche Prozesses einer Ineinanderschachtelung verschiede ner retentionaler Leistungen macht es daher nicht nur m ö glich , Bewusstsein vom vergangenen „ Inhalt 147“, sondern auch gleichzeitig ein Bewusstsein der zeitlichen Abst ä ndigkeit selbst zu erlangen. In der Retention selbst verbirgt sich daher, wie Husserl sagt , eine „ doppelte Intentionalit ä t 148 “: Einerseits haben wir das ungegenst ä ndliche Bewusstsein reiner zeitlicher Dauer ( = die phansiologische Erscheinungsweise: denn T ( l ) wird in T (3) gegeben durch eine Retention der Retention, welche dadurch gleichzeitig „ Bewusstsein ” des Grades derjenigen zeitlichen Modifikation ist, „ in der ” T ( l ) erscheint ) , an dererseits aber haben wir ein Bewusstsein des vergangenen „ Inhalts ” (denn die Retention einer Retention ist immer auch Retention der Retention eines vergangenen Jetzt , d. h. Retention von (T ( l ) ) . Abschließend also können wir sagen , dass Husserl die Retention in dieser dritten Phase im Sinne einer „ kontinuierlichen Modifikation ” versteht , einer sich st ä ndig verä ndernden Verä nderung. Innerhalb des stetigen Flusses dieser Verä nderung selbst kann kein gegenst ä ndliches Moment verortet wer den, da eine jede Gegenst ä ndlichkeit die von ihr ben ö tigte Identitä t im Wandel lediglich durch die retentionale Leistung des Bewusstseins erh ält. Der zeitliche, absolute Bewusstseinsfluss ist daher vor einem jeden gegenst ä ndlichen Bewusstsein anzusetzen . § 17 - Ausdr ü ckliche Reflexion gegrü ndet in der Retention Ausdrü ckliche Reflexion als Verbildlichung An diesem Punkt unserer Untersuchung angelangt sind wir bereits im Voll besitz all jener Elemente, derer wir f ü r eine Gr ü ndung der ausdr ü cklichen Reflexion in das Zeitbewusstsein ben ö tigen. Dass die ausdr ü ckliche Reflexion tats ä chlich in der Retention begr ü ndet ist , dies hatten wir bereits im ers ten Abschnitt feststellen kö nnen . In der Beilage IX der Zeitvorlesungen fanden wir diese Vermutung zudem insofern best ä tigt , als Husserl die Refle147

148

Wir sagten zwar bereits, dass der Begriff des „ Inhalts < hinsichtlich des absolu ten Bewusstseins fehl am Platz ist , doch scheinen uns noch die n ö tigen Begrif fe zu fehlen, dasjenigen zu nennen, was da reteniert wird. Hua. X, Nr. 54, S. 379.

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Zweiter Abschnitt

xion dort als ein „ Zur ü ckblicken auf das Abgelaufene149“ beschreibt, welcher „ Rü ckblick “ oder „ Nachgewahren “ zur notwendigen Voraussetzung hat,

dass ü berhaupt etwas aufbewahrt wird, woraw/ zur ü ckgeblickt werden kann. Ein solches Aufbewahren wird von der Retention geleistet. Indem die Retention das verflossene Fungieren des Bewusstseins f ü r ein ausdr ü ckliches Zurü ckgreifen bereith ä lt, stellt sie gleichzeitig eine ursprü ngliche Dimension der Offenheit des Bewusstseins gegen ü ber sich selbst dar. In dieser Hinsicht ist es daher richtig festzuhalten, dass wir der Retention nicht nur verdanken, dass das Bewusstsein „ zum Objekt gemacht werden kann 150 “, sondern auch, dass das erfassende Bewusstsein eines Gegenstandes immer auch ein ungegenst ä ndliches Bewusstsein von seinem soeben verflos senen Fungieren. Diese Bemerkung f ü hrt uns direkt zur Problematik des prä -reflexiven Selbstbewusstseins. Denn handelt es sich in der ausdr ü cklichen Reflexion um eine vergegenst ä ndlichende Selbstbez ü glichkeit des Bewusstseins , so stellt die Retention deren ungegenst ä ndliche und unmittelbare Variante dar. Diese Eigent ü mlichkeit der Retention wird von Husserl in seinen Zeitvorlesungen dadurch ausgedr ü ckt, dass er betont, die Retention selbst sei „ kein „ „ Akt ”” 151“, sondern vielmehr eine „ Intentionalit ä t eigener Art 152 “. Die hier genannte Eigenartigkeit dieser Intentionalitä t besteht darin, dass deren Korrelation jenseits einer jeden Unterscheidung von Subjekt / Objekt zu verorten ist. Allein durch das von der Retention versicherte unmittelbare Bewusstsein von sich selbst wird der ausdr ü cklichen Reflexion ü berhaupt erst das offenbar, auf was sie sich vergegenst ä ndlichend richtet. Hiermit allerdings sind wir zu einem Problemfeld vorgesto ßen , das Husserl selbst zwar an diversen Stellen benennt , f ü r das er aber keine befriedigende Lösung vorzuschlagen weiß. Es handelt sich um die Frage nach dem Umschlag des Status der Erscheinung, den die ausdr ü ckliche Reflexion in ihrer Vergegenständlichung eines von der Retention ungegenst ändlich gege benen - Bewusstseins vollzieht. Husserl selbst versucht diesem Umschlag seine Gef ä hrlichkeit dadurch zu nehmen , dass er betont, die ausdrü ckliche Reflexion verf ä lsche keinesfalls in inhaltlicher Art und Weise das von ihr in den reflexiven Blick Genommene. Diese Bemerkung ist sicherlich richtig und wichtig, handelt es sich doch letztendlich darum zu versichern, dass sich '

»

149 150 151 152

72

ZB, S. 472. Ebd. Ebd .

Ebd ., S. 471.

III. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention

beispielsweise eine Wiedererinnerung in der Reflexion nicht f älschlicher Weise als Erwartung gibt. Nichtsdestotroz aber bleibt dieser Umschlag h öchst problematisch , sobald man es mit zeitlichen Erscheinungen zu tun bekommt, deren formal-zeitliche Bestimmung selbst eine besondere inhaltliche Bedeutung zukommt. Denn wie wir gesehen hatten , ist es f ü r die Erfor schung des Zeitbewusstseins ein gravierender Unterschied, ob eine zeitliche Erscheinung als Moment einer gegenst ä ndlichen Dauer oder aber als reine Zeitextension verstanden wird. Die Frage, die sich daher aufdrä ngt , ist folgende: Inwiefern verä ndert - oder gar verf älscht - die ausdr ü ckliche Reflexion das von ihr in den Blick Genommene ? Was geschieht mit dem Bewusst sein, wenn es „ zum Objekt gemacht “ wird und wie dr ü ckt sich ein solcher Umschlag von reiner Phansis zu einem immanenten Objekt der Reflexion ph ä nomenal aus ? Es geht um die Frage nach der Verwandlung von Ablaufsph ä nomen in einen intentionalen Gegenstand, um die Verwandlung von etwas urspr ü nglich innerlich Bewusstem in das intentionale Korrelat eines ( reflexiven ) Aktes. Vorerst lie ß e sich festhalten , dass der Umschlag der ausdr ü cklichen Reflexion einen Wechsel zeitlicher Sph ä ren betrifft: von der Sph ä re zeitlich Konstituierendem zu zeitlich Konstituiertem. Die zeitkonstituierenden retentionalen Phasen , so sagten wir, sind insofern unzeitlich, als sich in ihnen die Zeitkonstitution selbst vollzieht. Werden diese Bewusstseinsphasen nun von einer ausdr ü cklichen Reflexion erfasst, so werden sie durch zeitliche Prä dikate, d. h. unter dem Aspekt gegenst ä ndlicher Zeitbestimmungen , wahrgenommen („ vergangen ”, „ zuk ü nftig” oder „ jetzt ” ) : „ Nat ü rlich , das Zeitbewu ß tsein habe ich , ohne da ß es selbst wieder Objekt ist . Und wenn ich es zum Objekt mache, so hat es selbst wieder eine Zeitstelle, und wenn ich ihm von Moment zu Moment folge , so hat es eine Zeitausbreitung. 153“ Einen solchen Umschlag von ungegenst ä ndlichem Zeitbewusstsein in ein eigenst ä ndiges Zeitstellenobjekt beschrieben wir bereits im vorangehen den Kapitel hinsichtlich des Unterschiedes von einer Wahrnehmung eines Identischen in der Zeit und des Achtens auf die Zeitextension selbst. Die Reflexion, die die verflossene Anfangsphase in ein Objekt und damit den zeitlichen Status selbst verwandelt , ist zu verstehen als ein Sprung von der einen datierbaren gegenst ä ndlichen „ Zeitsph ä re ” in die undatierbare und ungegenst ä ndliche Zeitsph ä re des absoluten zeitkonstituierenden Bewusst seins. Der durch die ausdrü ckliche Reflexion eingef ü hrte Umschlag des ph ä153

Ebd., S. 465.

73

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Zweiter Abschnitt

nomenalen Status besteht somit in der Einf ührung einer Zeitlokalität dort, wo noch nie zuvor eine solche Datierung möglich gewesen war ( Datierung im Sinne einer gegenst ä ndlichen Zeitstelle ) . Nimmt die ausdr ü ckliche Reflexion daher ein Erlebnis in den Blick , so entrei ß t sie dieses Erlebnis dem urspr ü nglichen Bereich des absoluten Bewusstseins und versetzt es auf die Seite des noematischen Poles des Erlebnisstromes. In der Beilage VI der Zeitvorlesungen beschreibt Husserl einen solchen Umschlag der Erscheinungsweise durch die ausdr ü ckliche Reflexion am Beispiel der Wahrneh mung eines Pfiffs. Als reines Gerä usch ist der Pfiff ein Zeitobjekt , dem als eines solchen die M ö glichkeit doppelter subjektiver Zeitwahrnehmung gegeben ist. Ich h ö re soeben einen langen Pfiff . Er ist wie eine gedehnte Linie. In jedem Moment habe ich haltgemacht, und von da aus dehnt sich die Linie. Der Blick dieses Moments umfasst eine ganze Linie, und das Linienbewu ß tsein wird als gleichzeitig gefa ß t mit dem Jetztpunkt des Pfiffs.154

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Was Husserl in diesem Zitat beschreibt ist der Vollzug mehrerer Reflexions schritte ( „ in jedem Moment habe ich haltgemacht “ ) innerhalb des unmittelbaren Bewusstseins eines anhaltenden Tones ( das der Ton weiterhin anh ält , wird daraus ersichtlich , dass Husserl sagt: „ das Linienbewu ß tsein wird als gleichzeitig gefasst mit dem Jetztpunkt des Pfiffs “ ) . Es ist nun hervozuheben , dass sich die „ Linie ” erst ab dem Moment anf ä ngt „ zu dehnen ” , an dem Husserl anf ä ngt , „ haltzumachen ”, d . h. zu reflektieren. Im urspr ü nglichen Bewusstsein eines Zeitobjekts dagegen haben wir blo ß ein vages und unausdrü ckliches Bewusstsein vom Andauern des Gegenstandes und mitnichten die vergegenst ä ndlichte Vorstellung einer Zeitlinie (der von Husserl verwen dete Begriff ist der des „ Linienbewusstseins “) , die wir gar als Darstellung der Dauer des erlebten Pfiffs auffassen wü rden. Eine solche Zeitlinie entsteht erst mit der ausdr ü cklichen Reflexion auf die Zeitdauer selbst; Reflexion auf da,s innere Zeitbewusstsein , auf die Zeitcharaktere und ihre ungegenst ä ndlichen Ph änomene. Muss daher der Umschlag von einer unmittelbar erlebten Dauer in eine gegenst ä ndliche Dauer als Entstehung eines „ Linienbewusstseins “ verstanden werden, so offenbart sich die vergegenst ä ndlichende Reflexion als eine besondere Art von Verbildlichung. Diese Verbildlichung beschreibt die soeben besprochene Verwandlung der reinen Phansis in eine lineare Zeitreihe, d. h. eine Zeit als Zeitstellenstrecke. Da das von der aus 154

74

I

i

Ebd.

III. Kapitel: Dritte Konzeption der Retention

dr ü cklichen Reflexion entworfene Bild allerdings immer nur den Versuch darstellen kann, die unmittelbare Erscheinungsweise der Ablaufsph ä nomene in einer gegenst ä ndlichen Darstellung vorzustellen, so muss das bildliche Bewusstsein als ein derivatives Phänomen gegen ü ber dem urspr ü nglichen Zeitbewusstsein angesehen werden. Beide miteinander zu verwechseln , f ü hrt notwendiger Weise zu widerspr ü chlichen Modellen und falschen Ergebnissen. Zwar wurde dieser verbildlichende Charakter der ausdr ü cklichen Refle xion von Husserl nicht eigens thematisiert - was durchaus problematisch ist angesichts einer Philosophie, deren wesentlichste Methode in der Reflexion besteht (! ) - allerdings wurde er von einer Reihe verschiedener Kommentatoren in unterschiedlicherWeise herausgearbeitet 155. Der verbildlichende Charakter der ausdr ü cklichen Reflexion betrifft den zeitlichen Status dessen , was in den reflektierenden Blick genommen wird. Wann immer daher die zeitliche Bestimmung des Bewusstseins in Frage ist, darf die ausdr ü ckliche Reflexion nicht verwendet werden, da der formale zeitliche Aspekt hier als eine unmittelbar inhaltliche Bestimmung gilt. Zu einer Ergr ü ndung der Zeitlichkeit des Bewusstseins darf einzig die unausdr ü ckliche Reflexion verwendet werden, da diese allein nicht das Reflektierte eigens vergegenständlicht.

155

Fink beispielsweise sieht dieses Problem sehr deutlich, insofern er von einem „ rä tselhaften „ produktiven “ Charakter des theoretischen Erfahrungslebens des phä nomenologischen Reflexionsich “ ( E. Fink, VI. Cartesianische Meditation, op.cit., S. 84) spricht und feststellt: die „ ph ä nomenologische Erfahrung “ „ holt die konstituierenden Aufbauprozesse aus dem ihnen eigenen Zustand des „Vorseins“ heraus und objektiviert sie in einem gewissen Sinne allererst. M.a.W. Die theoretische Erfahrung des phä nomenologischen Zuschauers ontifiziert die „vorseienden“ Lebensvorgänge der transzendentalen Subjektivität [. . .] “ (ebd., S. 85f . ) . Sartre seinerseits unterscheidet zwischen einer „ reinen “ und einer „ unreinen Reflexion “. Letztere vergegenstä ndlicht das unmittelbare Erleben und verwandelt damit gleichzeitig auch die Art und Weise, in der Zeit -^ lichkeit erlebt wird (J.-P. Sartre, L'être et le néant, op. cit ., 2 . Abschnitt, Kapitel II , III ) . Bei Ni Liangkang finden wir hinsichtlich der Reflexion die Rede von der „ Produktion eines neuen [Gegenstandes] , der zuvor nicht Gegenstand waP ( N. Liangkang, „ Urbewusstsein und Reflexion bei Husserl “, in: HusserlStudies 15, op.cit., S. 88 ) . Allerdings f ü hren alle diese Autoren die vergegens t ä ndlichende und entfremdende Bewegung der Reflexion nicht auf den Um schlag zwischen zwei verschiedenen zeitlichen Sphä ren zur ück, in der unseres Erachtens gerade das Wesentlichste liegt.

75

1 i

Dritter Abschnitt Zwei Konzeptionen prä - reflexiven Selbstbewusstseins

Durch die Konzeption der Retention als „ kontinuierliche Modifikation “ gelingt es Husserl erstmals, eine an der tatsächlichen Phänomenalit ä t der Retention angelehnte Erklä rung zu liefern. Hierdurch widerlegt er gleichzeitig die Idee einer der Erfahrung fremden Beschrä nkung des Bewusstseins auf eine blo ß punktuelle Gegenwart. Ebenso machte diese Erklä rung der Reten tion aber auch die Mö glichkeit der ausdrü cklichen Reflexion verst ä ndlich, welche sich als das verbildlichende Zurü ckkommen auf ein verfließ endes Leisten des Bewusstseins zu erkennen gab. Ungewiss bleibt allerdings noch immer, wie die M ö glichkeit der anderen Reflexionen, die wir im ersten Abschnitt unserer Untersuchung als grundlegende Arbeitsinstrumente der Phänomenologie heraus gearbeitet hatten , zeitlich begrü ndet werden kann. Woran es uns zu einer ausschö pfenden Erklä rung der M öglichkeit dieser phä nomenologischen Reflexionen noch immer mangelt , ist offensichtlich ein tieferes Verst ä ndnis des prä- reflexiven Selbstbewusstseins. Das prä-reflexive Selbstbewusstsein beschreibt diejenige grundlegende Dimension des Bewusstseins, durch welche das ph ä nomenologisierende Subjekt in einer unausdr ü cklichen und unmittelbaren Art und Weise immer schon von dem weiß, was es reflektierend erkunden will. Wenn daher die Retention als der zeitliche Erm ö glichungsgrund der ausdrü cklichen Reflexion anzusehen ist, so nur deshalb, weil die Retention f ü r diese Reflexion eben genau dasjenige gewä hrleistet, was das prä-reflexive Selbstbewusstsein f ü r die anderen Arten der Reflexion zu gewä hrleisten hat: ein vorgängiges, ursprü ngliches und unmittelbares Wissen von dem zu Reflektierenden . Bei unserer Suche nach einem m ö glichen Zugang zur gegenwä rtigen Dimension des prä-reflexiven Selbstbewusstseins sto ßen wir als Phänomenologen allerdings auf tiefgreifende methodologische Schwierigkeiten. Denn in der unmittelbaren Gegenwart des Bewusstseins handelt es sich um eine der urspr ü nglichsten Dimensionen des Bewusstseins, sozusagen um das Zent rum seines aktmäß igen Fungierens. Es ist daher schlicht unm ö glich, diesen ,

76

Dritter Abschnitt

Bereich reiner Aktuosit ä t wie „ von au ß en ” zu betrachten und in seinem Vollzug zu beobachten. Denn es ist hier ph ä nomenologisch keinerlei Distanz gegeben, wie noch im Falle der Retention , wo das Retenierte nur erkannt werden konnte, weil es sich in zeitlicher Entfernung zu dem im Jetzt gelegenen Zentrum der Akutosit ä t des Bewusstseins befand. Um daher auf die Frage nach der Konstitution des im Jetzt gelegenen prä- reflexiven Bewusstseins zu antworten, stehen wir vor der Schwierigkeit, die Genese dessen zu liefern , was den Grund einer jeden Erfahrbarkeit ausmacht . Ein solcher Grund entzieht sich zwangsläufig eines jeden partiellen Versuches, ihn in einer einzelnen Erfahrung zu isolieren und greifbar zu machen . Aufgrund dieser Schwierigkeiten verlangt die Erklä rung der zeitlichen Genese des pr ä-reflexiven Selbstbewusstseins das Entwerfen eines Schemas oder eines Modells -, welches dazu in der Lage ist , einen genetischen Prozess zu veranschaulichen, der unserer Erfahrung streng genommen nicht mehr zugä nglich ist. Unter dem Begriff des „ Modells” und der „Modellisierung” des prä-reflexiven Selbstbewusstseins verstehen wir die Anwendung einer „ ph ä nomenologischen Konstruktion ” auf die pr ä- reflexive Dimension des Bewusstseins. Der hier verwendete Begriff der Konstruktion wurde vornehmlich von A. Schnell156 in die Ph ä nomenologie eingef ü hrt157 und beschreibt dasjenige Vorgehen des Phänomenologen, das ihn dazu in die Lage versetzt, sich hinter die Grenzen der Beschreibung eines gegebenen Faktums der Erfahrung - und daher des Beschreibbaren selbst - vorzuwagen, mit dem Ziel, die Genese dieses Faktums zu liefern . In der Konstruktion gilt es des Weiteren nach A. Schnell die transzendentale Notwendigkeit dessen zu lie fern, was zwar erlebt wird, aber nicht hinsichtlich seines konstitutiven Grundes beschrieben werden kann. Selbstverst ä ndlich darf eine solche Erklärung des transzendental Notwendigen in keine freie metaphysische Spekulation mü nden, sondern ist im Gegenteil dazu gezwungen, sich immer streng an die Dimension des unmittelbar Erfahrbaren zu halten: allein eine solch st ä ndige und immerwährende Angleichung an die Erfahrung verbirgt die 156 157

fondements de la phénoménologie constructive, op.cit. Der Begriff der Konstruktion findet sich bereits bei Fink in der VI Cartesianischen Meditation, wo er allerdings auf Probleme des „ Anfangs < und des „ Endes < des transzendentalen Lebens bezieht, d. h. auf Probleme der „Geschichtlichkeit der transzendentalen Subjektivit ä t (Vgl. E. Fink, VI Cartesianische Meditation, op.cit., S. 61-74).

Vgl. A. Schnell, Husserl et les

77

Dritter Abschnitt

letztendliche G ü ltigkeit der Konstruktion und ihrer Modellisierung. Ziel der folgenden Untersuchungen daher ist es , an den Tag zu f ördern, inwiefern Husserl selbst im Zusammenhang mit der Herausarbeitung des zeitlichen Grundes des prä- reflexiven Selbstbewusstseins eine solch streng an der Erfahrung angelehnte Konstruktion vollzieht. Anders ausgedr ü ckt: es gilt, die Konstruktion des zeitlichen Grundes des prä- reflexiven Selbstbewusstseins als ein bei Husserl implizit fungierendes Verfahren explizit zu machen. Wir werden dabei allerdings feststellen k ö nnen, dass eine solche Konstruktion bei Husserl alles andere als unproblematisch verlä uft und vielmehr zwei verschiedene Anlä ufe - ja gar die Anfertigung zweier ganz verschiedener Modelle - von ihm abverlangt . Gerade diese Tatsache allerdings, dass Husserl sich nicht mit seinem ersten Modell zufrieden gibt, sondern , wie zu sehen, in weiterer Folge noch ein zweites Modell ausarbeiten wird, kann als Beweis daf ü r gesehen werden , dass sich die Konstruktion bei Husserl streng an der Dimension des Erfahrbaren orientiert. So wird sich im Folgenden herausstel len , dass Husserl die erste Konzeption des pr ä-reflexiven Selbstbewusstseins insofern zugunsten einer anderen , zweiten Konzeption verl ässt, als erstere gerade nicht mit der tatsä chlichen Erfahrung pr ä- reflexiver Gegebenheit in Einklang zu bringen ist.

I. Kapitel Selbstbewusstsein durch Lä ngsintentionalitä t Die erste Konzeption des prä- reflexiven Selbstbewusstseins der Husserliana Xist die eines inneren Bewusstseins der Akte. Diese Konzeption deckt sich mit dexn traditionellen Verst ä ndnis des prä-reflexiven Selbstbewusstseins verstanden als ein unmittelbares Wissen von eigenen subjektiven ichlichen Leistungen . Sein zugeh ö riges Erkl ä rungsmodell - d. h. seine ph ä nomenologische.Konstruktion - entwickelt Husserl in Anlehnung an die Bestimmung der Retention als „ kontinuierliche Modifikation ”.

78

w I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Längsintentionalitä t

§ 18 - Lä ngsintentionalitä t In seinem

Modell des pr ä-reflexiven Selbstbewusstseins geht Husserl Struktur der Retention aus , n ä mlich von der Bestimmung der Retention als „ doppelte Intentionalit ä t 158 “. Wie wir feststellen konnten , begrü ndet die „ doppelte Intentionalitä t “ der Retention die Mö glichkeit zweier verschiedener Arten von Wahrnehmung. Die erste Art Wahrnehmung ist nach Husserl eine gegenst ä ndliche, sie ist die „ Richtung auf den Ton 159 “ , auf das Zeitobjekt, auf eine gegenst ä ndliche, im zeitlichen Strom verflie ßen de Einheit. Es handelt sich um ein Bewusstsein von ... im eigentlichen Sinne. Im Text Nr. 54 der Husserliana X aus dem Jahre 1911 bezeichnet Husserl diese Art der Wahrnehmung als „ Querintentionalit ä t 160 “. Als „ Quer-“ bezeichnet Husserl diese Intentionalit ä t deswegen , weil sie „ quer “ durch das „ absolute Bewusstsein ” hindurchgeht, sich durch eine Vielzahl von verschiedenen retentionalen Phasen auf einen Endpunkt bezieht, der als unmittelbar jetzt -seiend erlebt wird. Die Querintentionalit ä t muss daher als eine Art fokussierender Blick verstanden werden , der im sich- Richten auf eine Jetzt phase eine Vielzahl von vergangenen Bewusstseinsphasen zusammennimmt, um durch eine solche Zusammennahme die Identit ä t eines einzigen dauern den und in der Zeit erstreckten Gegenstandes zu konstituieren . Auch ist die Querintentionalit ä t als vergegenst ä ndlichende wesentlich an der Konstitution der immanenten Zeit mitwirkend. Denn nur weil sich durch die Querintentionalit ä t ü berhaupt Einheiten im zeitlichen Fluss konstituieren , kann es eine Zeit der erfahrenen Gegenst ä nde geben 161. Es ist also aufgrund der Querintentionalit ä t, dass die immanente Zeit „ eine objektive Zeit [ist ] , eine echte, in der es Dauer und Verä nderung von Dauerndem gibt 162 “. Die immanente Zeit ist eine durch und durch „inhaltliche ” Zeit , in ihr dauert Objektiersten

von der inneren

ves und nur Objektives kann in ihr dauern . In die Vergangenheit verfolgt , wird die immanente Zeit zum Strom unserer Erinnerungen , und der Akt der 158 159 160 161

162

Hua. X, Nr. 54, S. 379. Ebd ., S. 380. Ebd., S. 378f . Wir werden allerdings im nächsten Abschnitt sehen, dass Husserl in den Bernauer Manuskripten ein andere Antwort auf die Frage nach der Konstitution der immanenten Zeit liefert , die nicht mehr auf die Querintentionalit ä t zu r ü ckgreift . Ebd., S. 381.

79

Dritter Abschnitt

Wiedererinnerung selbst ist nichts anderes als eine auf die Vergangenheit gerichtete Querintentionalit ä t. Parallel zu dieser als Querintentionalit ä t bezeichneten vergegenst ä ndlichenden Aktintentionalit ä t identifiziert Husserl allerdings noch eine zweite Leistung des absoluten Bewusstseins, die er als „ Längsintentionalit ä t «163 bezeichnet . Diese ist zust ä ndig f ü r den Zusammenhalt des gesamten zeitlichen Feldes , das die Querintentionalit ä t im sich - Richten auf das unmittelbare Jetzt zu durchschreiten und zusammenzunehmen hat . Denn besteht der Erlebnisstrom aus unzä hligen zeitlichen und im Verflie ß en begriffenen Phasen, so ist es notwendig, diese Phasen in einer geordneten Reihe zusammenzuhalten und deren organisierte Gliederung zu versichern, welche wiederum grundlegend ist f ü r die Gerichtetheit der immanenten Zeit. Die „ Lä ngsinten tionalit ä t “ versichert in dieser Hinsicht , wie Husserl sagt, „ die quasi-zeitliche Einordnung der Phasen des Flusses 164 “. In dieser durch die Lä ngsintentionalit ä t sichergestellten Einordnung der zeitlichen Phasen gr ü ndet allerdings nicht nur die Ordnung und das Gerich tet -sein der immanenten Zeit: ebenso macht sie es m ö glich, dass wir uns im Richten in die Vergangenheit - durch die Wiedererinnerung - mit den vergangenen Erlebnissen identifizieren k ö nnen und nicht etwa Gefahr laufen, unseren eigenen Erinnerungen als Fremder gegen ü berzustehen oder die Erinnerung gar mit einer Phantasie zu verwechseln . Denn was die Wiedererinnerung beispielsweise von einer puren Fiktion unterscheidet , ist nach Husserl die Tatsache, dass sie dem Reproduzierten auch gleichzeitig eine „Stellung zum Jetzt und zur Sph ä re des origin ä ren Zeitfeldes, dem die Wiedererinnerung selbst angeh ö rt 165“, verschafft . Was in der Wiedererinnerung reproduziert wird, ist daher nicht nur das erinnerte Erlebnis selbst, sondern „„ „ implicite ”” der ganze Strom des Bewu ß tseins bis zur lebendigen Gegenwart 166“. Husserl nennt „ Zusammenhangsintentionen167“ diejenigen der Wiedererinnerung zugeh ö rigen zeitlichen Leistungen, die in der Reproduktion meines vergangenen Erlebnisses den Bezug zum gegenwä rtigen Augenblick, in dem die Wiedererinnerung vollzogen wird, gewä hrleisten. Was diese „ Zusammenhangsintentionen “ voraussetzen, ist allerdings die Existenz 163 164 165 166 167

80

Vgl. Ebd., S. 378-381. ZB, S. 436. Ebd, S. 409. Ebd, S. 411. Ebd, S. 456.

I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Lä ngsintentionalitä t

einer bereits bestehenden Ordnung, deren Funktion allein von der Lä ngsintentionalit ä t versichert werden kann. Wie vollzieht die Lä ngsintentionalit ä t eine solche Einordnung der zeitlichen Phasen in den Erlebnisstrom ? Worin besteht das von Husserl entworfene Erklä rungsmodell der Lä ngsintentionalit ä t ? Bei ihrer Einordnung der zeitlichen Phasen in die Gesamtheit des Er lebnisstromes ist die Lä ngsintentionalit ä t angewiesen auf die Retention und vornehmlich auf die in ihr angelegte „ kontinuierliche Modifikation “ ver schiedener Retentionen. Denn allein dadurch , dass immer neue Retentionen sich an Retentionen anschließen, ist es m ö glich, dass einem jeden retenierten Inhalt ein ganz besonderer zeitlicher Ort innerhalb des Erlebnisstromes zuteil wird. Die Ineinanderschachtelung verschiedener Retentionen ist daher diejenige Funktion, durch die die Lä ngsintentionalit ä t die gesamt ü bergreifende Ordnung des Erlebnisstromes sicherstellt. Das erste Modell des präreflexiven Selbstbewusstseins besteht daher in der Erklä rung der Lä ngsinten tionalit ä t als gesamt übergreifende Funktion aller ineinandergeschachtelten retentionalen Leistungen. Es ist diese Ineinanderschachtelung verschiedener Retentionen, die der Lä ngsintentionalit ä t einen „ Blick “ „auf den Flu ß, auf eine Strecke des Flusses , auf den Ü bergang des flie ß enden Bewusstseins vom Tonansatz zum Tonende168 “ erm öglicht und somit eine „Selbsterscheinung des Flusses169“ begrü ndet. Das durch die Lä ngsintentionalit ä t sichergestellte prä-reflexive Bewusstsein ist daher streng genommen bereits in der Definition der Retention als kontinuierlicher Modifikation angelegt. Das „ absolute Bewusstsein “ 170 ist nunmehr zu verstehen als der zeitkonstituierende Zusammenhang von Quer- und Lä ngsintentionalit ä t. Ein anderer von Husserl verwendeter Begriff f ü r das absolute Bewusstsein ist der des „inneren Bewusstseins ”. „ Innerlich ” ist dieses Bewusstsein insofern, als die

Zeitkonstitution hier zusammengedacht wird mit einer Selbsterscheinung des zeitkonstituierenden Prozesses selbst. Die Zeitlichkeit alles Wahrgenommen gr ü ndet daher in der Tatsache, dass das absolute Bewusstsein inne res Bewusstsein seiner eigenen zeitlichen Vorängigkeit ist. Die M ö glichkeit dieses inneren Bewusstseins wird verb ü rgt durch die Lä ngsintentionalit ä t 168 169 170

Ebd., S. 434. Hua. X, Nr. 54, S. 381. Wir werden im weiteren Verlauf unserer Arbeit sehen, dass der Begriff des „absoluten Bewusstseins “ in den Bernauer Manuskripten durch den des „ Urprozesses “ ersetzt wird.

81

7

Dritter Abschnitt

und ihre Konstitution der Ineinandergeschachtelung verschiedener retentionaler Leistungen. Innerhalb dieser ersten Konzeption ist die Längsintentionalit ä t daher die eigentlich urspr ü ngliche und grundlegende Form von Refle xivitä t, d. h. nichts anderes als der zeitliche Erm ö glichungsgrund des präreflexiven Selbstbewusstseins. § 19 - Einschr änkung der Zeitkonstitution auf das ichliche Aktbewusstsein

Die erste Konzeption des prä-reflexiven Selbstbewusstseins (zu finden in den Texten Nr. 48-50 und 53, 54 der Husserliana X ) gr ü ndet auf dem Zusammenhang von Lä ngs - und Querintentionalit ä t. Durch die Querintentio nalit ä t werden die verschiedenen , zu einem Gegenstand gehörenden Phasen zusammengenommen , wohingegen sie durch die Lä ngsintentionalitä t in eine geordnete Zeitreihe eingef ü gt werden. Grundlegend f ü r diese Konzeption ist, dass Husserl die Zusammengeh ö rigkeit der beiden Intentionalit ä ten im Sinne einer strukturellen Notwendigkeit versteht: Demnach sind in dem einen einzigen Bewu ß tseinsflu ß zwei untrennbar einheitliche, wie zwei Seiten einer und derselben Sache einander fordernde Intentionalitäten miteinander verflochen. Verm ö ge der einen konstituiert sich die immanente Zeit, eine objektive Zeit , eine echte, in der es Dauerund Verä nderung von Dauerndem gibt; in der anderen die quasi-zeitliche Einordnung der Phasen des Flusses [...].171

Die Betonung des Zusammenhangs von Quer- und Lä ngsintentionalit ä t hat zur Konsequenz eine weitgehende Einschr ä nkung des zeitkonstituierenden Bewusstseins. Die Zeitkonstitution ist nunmehr in notwendiger Weise an die gegenst ä ndliche Aktintentionalit ä t ( die Querintentionalit ä t ) gekoppelt. Hierdurch wird es letztendlich unmö glich, Zeitkonstitution au ßerhalb des Bereiches einer vergegenst ä ndlichenden Aktintentionalit ä t zu denken. Als zeitlich wä re somit nur dasjenige zu bestimmen, worauf sich auch ein akt m äß ig-erfassendes Bewusstsein richtet. Mit dieser ersten Einschr ä nkung geht allerdings noch eine zweite einher: Denn, wie wir gesehen hatten , ist das pr ä- teflexive Selbstbewusstsein mit der Zeitkonstitution auf engste verbunden . Indem somit Husserl das pr ä-reflexive Selbstbewusstsein durch die Lä ngsintentionalit ä t erklä rt und diese als die Ordnungsfunktion derjenigen zeitlichen Phasen versteht, „ durch “ die sich die Querintentionalit ä t auf den intentionalen Gegenstand richtet, beschrä nkt er auch das prä- reflexive 171

82

Ebd . , S. 436.

I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Längsintentionalit ä t

Selbstbewusstsein auf das innere Bewusstsein der Akte. Durch die strikte und notwendige Kopplung der beiden Intentionalit ä ten (Lä ngs - und Querintentionalit ät ) gibt Husserl damit zu verstehen, dass das, was in der Lä ngsintentionalit ä t zu einem ungegenst ä ndlichen und prä-reflexiven Wissen seiner selbst erhoben wird, nichts anderes ist als die aktmäß ige Leistung des ichlichen Bewusstseins. Die Lä ngsintionalit ä t erm ö glicht daher lediglich, dass das Subjekt ein ungegenst ändliches Bewusstsein seines eigenen intentionalen Gerichtetseins erlangt. Hierin liegt die erste Konzeption des prä-reflexiven Selbstbewusstseins Husserls. Diese Konzeption wird unter den zeitgen ö ssischen Phä nomenologen vornehmlich von D. Zahavi vertreten, der sie in seiner ihm eigenen Deutlichkeit zur Sprache bringt: ,, [T] he prereflective self awareness of the act and the nonobjectifying self -manifestation of the abso lute flow are one and the same.172 « Sowie : Inner time-consciousness is the prereflective self -awareness of the act , and to say that the act is constituted in inner time - consciousness simply means that it is brought to givenness thanks to itself. It is called inner consciousness because it belongs intrinsically to the very structure of the act itself .173

Unter Ber ü cksichtigung einer solchen Beschrä nkung des prä- reflexiven Bewusstseins auf die blo ß e Innendimension intentionaler Akte ist es allerdings schwierig, weiterhin die Idee zu vertreten , der zufolge es Husserl mittels seines Modells der Lä ngsintentionalit ä t vermochte, die Zeitkonstitution vom „ Modell der Wahrnehmung” abzulösen 174. Zwar ist es durchaus wahr, dass wie gesehen - Husserl ab dem Jahre 1909 eine neue Konzeption der Retention dadurch erarbeitet, dass er in seiner Kritik an der „ Repräsentationstheorie “ das Auffassungsschema als Erklä rungsmodell der Konstitution der gegenstä ndlichen Zeit abweist und demgegen ü ber das Modell der kontinuierlichen Modifikation einf ü hrt. Doch trotz dieser Abweisung des Auffassungsschemas beweist die strikte Kopplung von Lä ngs - und Querin tentionalit ä t, dass Husserl im Jahre 1911 die Zeitkonstitution noch immer V

172 173 174

Ebd., S. 75. D. Zahavi, Self-A wareness and Alterity, op.cit., S. 71. Dies bemerkt beispielsweise L. Tengelyi: Der Zwitterbegriff der Lebensgeschichte, Mü nchen: Wilhelm Fink Verlag, 1998, S. 80: „ Die Bedeutung der Erkenntnis dieser ungegenstä ndlichen Intentionalitä t [n ä mlich der Lä ngsintentionalitä t] liegt indes darin, da ß Husserl seine Analyse der Zeitkonstitution vom Modell der Wahrnehmung ablösen kann. Damit wird hier zugleich der Anwendung des Schemas Auffassungsinhalt - Auffassung der Boden entzogen.“

83

Dritter Abschnitt

wenn auch nicht als, so doch immer noch - Iw Rahmen des Auffassungs schemas denkt. Denn die die Lä ngsintentionalit ä t ausmachenden ineinandergeschachtelten Retentionen beschreiben in der Tat nichts anderes als die

Innendimension der Querintentionalität, sodass das zeitkonstitutierende Moment auf eine lediglich dem „ Aktcharakter [...] wesentlich eigene [...]

Differenz 175 « reduziert wird! Aus diesem Grund m öchten wir uns dem Ein wand A. Schnells anschießen , der in den bis zum Jahre 1913 produzierten Texten zur Zeitproblematik noch immer die Anwendung eines Auffassungsschemas im „schwachen Sinne 176 “ sieht. Eine folgenschwere und durchaus problematische Konsequenz dieser Anwendung des Auffassungsschemas im „ schwachen Sinne “ ist nun, dass die Empfindung - und der Bereich der Affektivit ä t im Allgemeinen - keinen Platz nicht nur in der Zeitkonstitution, sondern auch im Bereich des präreflexiven Bewusstseins erh ält. Denn ist die Zeitkonstitution lediglich eine dem Aktbewusstsein eigene Dimension, so ist den Empfindungen - insofern sie nicht Inhalt einer Auffassungsfunktion sind, sondern rein als Einheiten des inneren Bewusstseins verstanden werden - nicht nur keine zeitliche Dimension zuzugestatten , sondern auch k ö nnten sie nicht in einer pr äreflexiven Weise und au ß erhalb einer sich auf sie beziehenden Auffassung bewusst werden. Alles hat daher den Anschein, als könnte die grundlegende Frage nach der Empfindung - nach ihrem Wesen , ihrer Erscheinungsweise und dem Platz, den sie innerhalb der transzendentalen Subjektivit ä t ein nimmt - nicht sinnvoll innerhalb des Modells der Lä ngsintentionalit ä t gestellt werden. Dieser Anschein wird zudem noch dadurch verst ä rkt , dass Husserl eine vom Empfindungsinhalt ausgehende Erklä rung der Zeitkonstitution bereits beispielhaft anhand Brentanos Theorie der urspr ü nglichen Assoziation kritisiert und vehement abgewiesen hatte. Wie wir bereits feststellen konnten , bestand im § 6 der Zeitvoriesungen die Frage darin , „ auf wessen Rechnung das Zeitmoment zu setzen sei177“, ob es „ zum Aktcharakter als eine wesentliche ihm eigene Differenz oder zu den Auffassungsinhal-

175 176

177

84

Hua. X, Nr. 54, S. 380. Vgl. A. Schnell, Temps et phénomène. La phénoménologie husserlienne du temps (1893-1918), Theis , R., Goddard, J.-C., Zö ller, G. ( Hg. ) , Hildesheim / Z ü rich / New York: Georg Olms Verlag, 2004., S. 86f.: „intentionnalit é d’acte au sens faible “. ZB, S. 380.

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I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Lä ngsintentionalitä t ten , etwa

den sinnlichen Inhalten 178 “ geh ö re. Die im Jahre 1911 vorgenom mene notwendige Kopplung von Längs- und Querintentionalität setzt nun das zeitkonstituierende Moment eindeutig „ auf Rechnung“ des leistenden Bewusstseins , d . h. des „ Aktcharakters “. Der damit einhergehende Aus schluss eines jeden „ inhaltlichen ”, sich auf die Affektivit ät beziehenden Moments aus dem Bereich der Zeitkonstitution scheint daher tats ä chlich eine Grundkonstante der Husserlschen Zeittheorie vom Jahre 1893 bis min destens zum Jahre 1913 darzustellen. Die Definition, die Husserl in seinen Ideen / von den Empfindungen geliefert hatte, beh ä lt somit auch hinsichtlich des prä-reflexiven Bewusstseins ihre Berechtigung. Wie allgemein bekannt , verwendet Husserl in den Ideen / den Begriff der Hyié als Gegenbegriff zur Morph é. Hylé und Morph é begegnen sich innerhalb der noetischnoematischen Korrelation als „formlose Stoffe und stofflose Formen 179“. Als „ formloser Stoff “ ist die Hylé au ß erhalb einer auf sie bezogenen Auffas sungsfunktion nicht mehr als ein blindes sinnliches Moment, losgelöst von einer jeden Intentionalit ä t. In dieser Hinsicht stellt Husserl fest, „ [...] dass ü ber jenen sensuellen Momenten eine gleichsam „ beseelende “, sinngebende ( bzw. Sinngebung wesentlich implizierende) Schicht liegt, eine Schicht , durch die aus dem Sensuellen, das in sich nichts von Intentionalität hat, eben das konkrete intentionale Erlebnis zustande kommt.180“ Hat nun allerdings, so wie Husserl behauptet, die Empfindung tats ächlich „ nichts von Intentionalität in sich“ , so kommt die Husserlsche Ph ä nomenologie nicht eigentlich ü ber den Kantischen Dualismus aus „ Verstandesbegriffen ” einerseits und „ blinden ” Anschauungen andererseits hinaus181. Ist es aber ausgehend von unserer konkreten Erfahrung wirklich haltbar, die Empfindung und die Affektivit ä t im Allgemeinen als ein „ Nichts von Intentionalität ” zu verstehen und ihr eine jede Dimension zeitkonstituierender Momente vorzuenthalten ? Ja ist es denn ü berhaupt wahr, dass Husserl die Empfindung von einer jeden Intentionalit ä t ausschlie ß t und ihr keinen eigenständigen Platz innerhalb seiner Ph änomenologie zugestattet ? Im 178 179 180 181

Ebd. Hua. Ill, S. 193. Ebd. An diesem Punkt unserer Untersuchung angelangt , m ü ssten wir der Interpre tation Michel Henrys Recht geben, der in der Husserlschen Phä nomenologie eine prinzipielle Unf ä higkeit sieht , eine phänomenologische Hyletik auszuarbeiten. Wir werden allerdings sehen, dass diese Ansicht dennoch unzureichend

ist.

85

Dritter Abschnitt

n ä chsten Kapitel wird uns die von Husserl entwickelte zweite Konzeption

des Selbstbewusstseins Gelegenheit bieten, auf diese Frage Antwort zu ge ben. Bevor wir uns allerdings dieser zweiten Konzeption des Prä reflexiven und der in ihr entwickelten ph ä nomenologischen Hyletik zuwenden, ist es sinnvoll, uns vorab der Frage zu widmen , was wohl Husserl Anlass zur Ent wicklung eines neuen Modells des prä-reflexiven Selbstbewusstseins gegeben haben mag ? Anders ausgedrü ckt: Was ist der Grund des Scheiterns des Mo dells der Lä ngsintentionalit ä t ? § 20 - Scheitern der Lä ngsintentionalit ä t: unbewusstes Bewusstsein und Urimpression Unzulässige Anwendung der ausdrü cklichen Reflexion

Das von Husserl zur zeitlichen Begrü ndung des prä-reflexiven Selbstbewusstseins entworfene Modell der Längsintentionalit ä t f ü hrt zu tiefgreifen den Schwierigkeiten und Problemen, die nicht nur die Kohä renz der gesam ten bisher entwickelten Zeittheorie in Frage zu stellen drohen, sondern sogar die ph ä nomenologische Methode in ihrer Forderung nach letzter, ad ä quater Selbstgegebenheit in ihren Grundfesten ersch ü ttert. Dieser problematische Charakter gr ü ndet in erster Linie darin, dass die Lä ngsintentionalitä t in einer Ineinanderschachtelung von Retentionen besteht und daher lediglich auf das blo ße Wissen vergangener Bewusstseinsleistungen beschränkt bleibt. Diese Retentionalit ä t der Längsintentionalit ä t ist Husserl selbst nun keinesfalls verborgen geblieben . So bemerkt er beispielsweise im Text Nr. 54 der Husserliana X, dass das, „was im Momentan-Aktuellen des Bewusstseinsflusses zur Erscheinung gebracht wird, [...] in der Serie der reproduktiven Momen « te desselben vergange Phasen des Bewusstseinsflusses [sind] 182 . Im unmit telbaren Jetzt kann das Subjekt lediglich ein inneres Bewusstsein von vergangen Leistungen erlangen; ein gegenwä rtiges prä-reflexives Bewusstsein seiner selbst ist bereits durch die Tatsache ausgeschlossen , dass das Selbstbewusstsein im Modell der Längsintentionalit ä t nur durch den Selbstbezug retentio ü aler Leistungen zustande kommt. Aufgrund dieser Tatsache stellt Husserl daher im selben Text eine Vermutung an, die innerhalb des theoretischen Rahmen des Modells der Lä ngsintentionalit ät lediglich bejaht werden kann: 182

86

Hua. X , Nr. 54, S. 382, wir unterstreichen.

W‘

I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Längsintentionalit ä t Es ist aber ernstlich zu ü berlegen, ob man solch ein letztes Bewusstsein annehmen muss, das ein notwendig „ unbewusstes “ Bewusstsein wä re ; nä mlich als letzte Intentionalitä t kann sie [. . .] nicht Aufgemerktes sein , also nie in diesem besonderen Sinn zum Bewusstsein kommen.183

Die Annahme eines letzten „ unbewussten BewusstseinsC ist f ü r Husserl sicherlich alles andere als ein Leichtes. Zwar erlaubt sie einerseits, der Gefahr des unendlichen Regresses zu entgehen , die zwan gslä ufig dann aufkommen muss, wenn man nach der Konstitution eines letzten Bewusstseins fragt . Andererseits aber ist die Idee eines unbewussten Bewusstseins unm ö glich mit dem ph ä nomenologischen Prinzip in Einklang zu bringen , dem zufolge eine jede Behauptung durch eine erkenntnisgr ü ndende Evidenz abgesichert sein muss. Ein im Jetzt liegendes „ unbewusstes Bewusstsein “ wü rde dazu f ü hren, dass die Evidenz - metaphorisch gesprochen - von einem „schwarzen Fleck ”, einem im Jetzt anzusiedelnen „ Nichts an Intentionalit ä t ” durch zogen wä re. Die sich daher unausweichlich stellende Frage lautet, wie Hus serl es mit der Bestimmung der Gegenwart h ält. Denn ist Husserl dazu bereit, ein im Jetzt zu verortendes unbewusstes Bewusstsein anzunehmen, so muss er in logischer Folge auch die Bestimmung der Gegenwart mit ihr in Einklang bringen und auch in ihr einen blinden Fleck, ein Nichts von Inten tionalitä t ansiedeln. Die zum Modell der Lä ngsintentionalit ä t zugeh ö rige Bestimmung der Gegenwart ist die der „ Urimpression “. Die Urimpression beschreibt das Moment des Aufeinandertreffens zweier vö llig heteronomer Prinzipien: Es handelt sich um eine Dualit ä t aus „ Bewusstseinsspontaneit ä t “ einerseits und „ bewusstseinsfremd Gewordene [m ] , Empfangene [ m ] “ andererseits. Die Begegnung dieser beiden Prinzipien beschreibt Husserl wie folgt: £

Die Urimpression ist der absolute Anfang dieser Erzeugung, der Urquell, das, woraus alles andere stetig sich erzeugt. Sie selber ist nicht erzeugt, sie entsteht nicht als Erzeugtes, sondern durch genesis spontanea, sie ist Urerzeugung. Sie erwächst nicht [...] sie ist Ursch öpfung. [. . .] Die Erzeu gung des Bewu ß tseins aber geht nur von a zu a , von xa zu x a- i i; dagegen das a, x, y ist nichts Bewu ß tseins-Erzeugtes , es ist das Urgezeugte, das „Neue“, das bewu ß tseinsfremd Gewordene, Empfangene, gegen ü ber dem durch eigene Bewu ß tseinsspontaneitä t Erzeugten.184 i

183 184

Ebd. ZB, S. 451.

87

Dritter Abschnitt

Die „ Bewusstseinsspontaneit ä t “ definiert Husserl ein paar Zeilen zuvor als die „stetige Erzeugung von Modifikationen von Modifikationen185“: Es han delt sich hierbei offensichtlich um die retentionale Modifikation, d. h. die retentionale Ineinanderschachtelung, auf der die Lä ngsintentionalit ä t gegrü ndet ist . Diese dem Bewusstsein zukommende Spontaneit ä t ist nun „ on tologisch ” vom urimpressionalen Moment unterschieden , welches er als „ Ursch ö pfung 186 “ bezeichnet. In der Urimpression steht daher „ Urerzeugtes “ „ dem durch eigene Bewusstseinsspontaneit ä t Erzeugtem “ entgegen. Prä reflexives Bewusstsein entsteht allerdings lediglich durch die Ineinanderschachtelung verschiedener retentionaler Leistungen , d. h. nicht durch Urerzeugung, sondern durch die „Spontaneit ä t “ des Bewusstseins. In logischer Konsequenz dazu kann die Bewusstseinsspontaneit ä t nicht das Moment reiner Ursch ö pfung umgreifen , sodass es tatsä chlich wahr ist, dass auch die Urimpression - um sich der Ausdruckweise der Ideen I zu bedienen „nichts von Intentionalität in sich187“ hat. Die Husserlsche Konzeption der Gegenwart als Urimpression best ä tigt somit die im Text Nr. 54 der Husserli ana X aus gesprochene Annahme eines letzten „ unbewussten Bewusstseins “. Wie aber kann es sein , dass wir im Jetzt Bewusstsein von Etwas, von „ Urerzeugtem “ haben , ohne dass es gleichzeitig auch ein Bewusstsein von diesem Bewusstsein gä be ? Ist nicht ein jedes Bewusstsein geradezu darauf begr ü ndet, dass das , was ihm unmittelbar als „ selbst da “ erscheint, notwen dig einhergeht mit einem Bewusstsein davon , dass dieses Erscheinende als „ selbst da “ erscheint ? Wie k ö nnte eine Selbstgegebenheit als Selbstgegeben heit bewusst sein , ohne dass ein begleitendes Bewusstsein von dieser beson deren Gegebenheitsweise vorhanden wä re ? Indem Husserl die „ Bewusst seinsspontaneit ä t “ „ bewu ß tseinsfremd einem von Gewordenem “ unterscheidet und angibt, Bewusstseinsfremdes könne erscheinen, ohne dass gleichzeitig auch ein prä- reflexives Wissen davon vorhanden wä re, widerspricht er gerade diesem dem Bewusstsein eigenen Prinzip! Die Frage lautet daher, wie es sein kann , dass Husserl sich zur Aufstellung solch einer widerspr ü chlichen Konzeption verleiten lie ß ? Lässt sich ein Grund angeben, durch den sich Husserls Bestimmung des Jetzt als „ Urimpression “ und des in ihr verankerten „ unbewussten Bewusstseins “ erklä ren ließ e ? Schauen wir uns die Beschreibung der Urimpression noch einmal ge-

-

185 186 187

88

Ebd . Ebd. Hua. Ill , S. 193.

I. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Lä ngsintentionalit ä t

nauer an . Entgegen unserer Erfahrung einer

kontinuierlichen Zeitlichkeit beschreibt Husserl das Jetztmoment als gekennzeichnet von einem nicht antizipierbaren Aufbrechen eines völlig Neuen und Bewusstseinstranszendenten ( das urimpressionale Datum ) . Das Jetzt wird hiermit zum Ort einer ontologischen Differenz aus Bewusstseinsspontaneit ä t einerseits und Ersch ö pfung andererseits. Eine solche durch die Theorie entstehende un ü berbr ü ckbare Dualit ä t stellt allerdings die Erfahrung der Kontinuit ä t der Zeit in Frage. Hier also muss der genaue Ort anzusiedeln sein, an dem sich Husserl von der tats ä chlichen Erfahrung eines kontinuierlichen zeitlichen Flie ß ens entfernt und ein theoretisches Modell entwirft , das nicht mehr mit dieser Erfahrung ü bereinstimmt! Was könnte ihn hierzu angeleitet haben ? Worin kö nnte das erkenntnistheoretische Prinzip bestehen, das Husserl hier zur Anwendung gebracht hat und das ihn das Jetzt als ein isoliertes , aus dem Strom unserer kontinuierlichen Erfahrung herausgerissenes Ereignis vorstel len lie ß ? Um entgegen unserer Erfahrung der Kontinuität des zeitlichen Fließens das Jetztmoment als einen isolierten Anfang und „ Urquell “ beschreiben zu k ö nnen, ist vorab eine Blickwendung notwendig , die das unmittelbare Jetzt aus der dynamischen Kontinuitä t unserer lebendigen Gegenwart entrei ßt und entstellt als ein isoliertes Ereignis darstellt. Es handelt sich um eine der artige Wendung des Blicks , die eine origin ä r ungegenst ä ndlich gegebene Zeitphase in eine abgehobene Jetzt-Zeitpunktstelle verwandelt. Indem Husserl auf diese Weise die flie ß enden Ablaufsmodi in eine Reihe gegenst ä ndlicher Zeitstellen verwandelt, verklä rt er das innere Zeitbewusstsein als eine objektive Zeit isolierter Jetztpunkte. Das gegenwä rtige Moment wird hier durch abstraktiv dem urspr ü nglichen Fluss des dynamischen Zeitigungspro zesses entrissen und als ein gegenständliches Jetzt in einer diesem Jetzt unm ö glich zukommenden Autonomie vorgestellt. Genau diese bildliche Figur verweist allerdings auf die ausdr ü ckliche Reflexion und die ihr zugeh ö rige Funktion des Umschlags des absoluten Bewusstseins in ein gegenst ä ndliches Zeitstellenjetzt ! Die bei Husserl daher implizit fungierende Herangehensweise an die Urimpression ist die der ausdr ü cklichen Reflexion , die in ihrem vergegenst ä ndlichenden Tun eine Transposition von einer Zeitsph ä re ( die des urspr ü nglichen Flie ßens ) in eine andere Zeitsph ä re ( die objektiver Jetzt stellen ) vollzieht. Dass eine solche Interpretation nun keineswegs aus der Luft gegriffen ist, wird dadurch ersichtlich , dass Husserl seinerseits im Zusammenhang mit der Definition der Urimpression als „ Urquell“ betont, dass wir es hier mit

89

Dritter Abschnitt

« blo ßen „ Bildern iss zu tun h ä tten, die nur mangelhaft dazu in der Lage seien , eine korrekte Auffassung des Sachverhaltes zu vermitteln. „ Heiß t es: stetig bildet sich an das Jetzt , das sich zum Nicht -Jetzt modifiziert, ein neues Jetzt an , oder es erzeugt , es entspringt urpl ö tzlich eine Quelle, so sind das Bilder.1S9 « Die Verwendung des Begriffs des „ Urquells “ und der „ Ursch öpfung“ ist daher vielleicht nicht blo ß eine Metapher 190, sondern sie bringt in der Tat das zum Ausdruck, was Husserl durch die Anwendung der ausdr ü cklichen Re flexion tats ä chlich gegeben bekommt. Der Grund der Verortung eines blin den , intentionalen Flecks in das Zentrum gegenwä rtiger Gegebenheit sowie die paradoxale Annahme eines letzten „ unbewussten Bewusstseins “ findet somit ihre Begr ü ndung: Die soeben nachgezeichnete Bestimmung der Urimpression ist sehr wohl auf eine besondere Erscheinung gest ü tzt, nur dass es sich in dieser Erscheinung um ein k ü nstlich durch die Vergegenstä ndlichung der ausdr ü cklichen Reflexion erschaffenes Ph ä nomen handelt. Die im Rahmen der Lä ngsintentionalit ä t theoretisch vorbereitete Beschrä nkung des prä-reflexiven Selbstbewusstseins auf den blo ßen Bereich der Retention kann in diesem Sinne zur ü ckgef ü hrt werden auf eine ungerechtfertigte Anwendung der ausdrü cklichen Reflexion, welche in ihrer verbildlichenden Funktion das von ihr in den Blick genommene urspr ü ngliche Phä nomen entstellt darstellt. Denn erst mittels der ausdr ü cklichen Reflexion wird das gegenwä rtige Moment entgegen unserer eigenen Erfahrung als ein völlig transzendentes Moment einer Ursch ö pfung dargestellt, das in seiner Autonomie von einer jeden Bewusstseinsspontaneit ä t abgeschnitten ist.

188 189 190

90

Ebd. Ebd. I. Rö mer untersuchte in neuster Zeit die bedeutende Funktion der Metapher in Husserls Zeitanalysen (vgl. I. Rö mer, Das Zeitdenken bei Husserl, Heidegger und Ricoeur.; Dordrecht / Heidelberg/London/ New York: Springer Verlag, 2010, S. 56) .

IL Kapitel Selbstbewusstsein durch Empfindungsbewusstsein Nachdem wir also soeben den genauen Ort angeben konnten, an dem das Modell der Lä ngsintentionalit ä t zu grundlegenden Widerspr ü chen f ü hrt, stellt sich nunmehr die Frage nach der zweiten Konzeption des Selbstbe wusstseins, so wie Huserl sie in den spä ten Texten der Husserliana Xentwickelt. Diese zweite Konzeption bezieht sich auf ein inneres Bewusstseins der Empfindung - Husserl spricht von einem „Empfindungsbewusstsein ” oder auch blo ß vom „Empfinden ”. Die zugehö rige Modellisierung dieses Empfin dungsbewusstseins entwickelt Husserl allerdings erst in der weiteren Folge seiner Zeittheorie nach 1913, d. h. in den sogenannten Bernauer Zeitmanuskripten der Jahre 1917/1918. Im vorliegenden Kapitel werden wir uns allerdings noch immer auf die Zeit bis 1913 beschränken und versuchen zu zeigen, dass Husserl in dieser Zeit - parallel zu der soeben dargelegten Konzeption eines inneren Bewusstseins der Akte - noch eine andere Konzeption des prä-reflexiven Selbstbewusstseins als Empfindungsbewusstsein erarbeitet. In engem Zusammenhang mit dem Begriff des „Empfindungsbewusstseins ” oder dem „Empfinden ” steht auch das bereits angesprochene Problem des Status der Empfindung in der Ph ä nomenologie, d. h. die Frage nach der Mö glichkeit der Ausarbeitung einer ph ä nomenologischen Hyletik. Dieses Problem soll uns als Einstieg dienen. § 21 - Transzendentalphilosophische Relevanz der phä nomenologischen Hyletik

Die Ausarbeitung des Empfindungsbewusstseins ist f ü r Husserls Zeitphilo sophie absolut zentral: in ihr muss das grundlegende Moment der husserlschen Zeittheorie verortet weden. Indem Husserl innerhalb der Struktur des zeitkonstituierenden Bewusstseins eine besondere Betonung auf das Empfindungsbewustsein legt, setzt er einen richtungsgebenden Akzent , der - wie wir im nä chsten Abschnitt dieser Arbeit noch sehen werden - aus schlaggebend f ü r seine ganze weitere Forschung sein wird. Um allerdings die zentrale Rolle des Empfindungsbewusstseins vollends verstehen zu kö nnen , erachten wir es f ü r sinnvoll, vorerst auf den größeren transzendentalphilosophischen Rahmen zurü ckzukommen, in den es einzuordnen ist.

91

Dritter Abschnitt

Wir sahen im vorangehenden Kapitel, dass Husserl innerhalb seines Modells der Lä ngsintentionalit ä t das zeitkonstituierende Moment noch immer in das fungierende Bewusstsein verlegte - genauer: in das intentionale Bewusstsein der Auffassungsfunktion (Vorgehensweise, die wir mit A. Schnell als eine Anwendung des Auffassungsschemas im „schwachen Sinne “ bezeichnet hatten ) - und sich damit explizit gegen Brentanos Theorie der urspr ü nglichen Assoziation richtete. Gleichfalls bem ä ngelten wir, dass Hus serl mit diesen Ü berlegungen nicht eigentlich aus dem engeren philosophischen Bereich einer traditionell dualistischen Problemstellung herausgetre ten ist, die ein ( zeit -) formgebendes, auffassendes Bewusstsein einem aufgefassten , sinnlichen und blinden Inhalt gegen ü berstellt. Im Rahmen dieser traditionellen Gegen ü berstellung bewegt sich die Frage nach dem zeitkonstituierenden Moment innerhalb der Alternative eines einfachen Entweder- Oder: Entweder das auffassende Bewusstsein stiftet das zeitliche Moment - oder aber es ist im sinnlichen Inhalt selbst angelegt. Die Verneinung letzterer M ö glichkeit ( dass es im sinnlichen Inhalt angelegt sei) scheint daher zwangslä ufig zur Bejahung ersterer Annahme zu f ü hren (dass es auf die Auffassung zur ü ckzuf ü hren ist ) . Durch die Entdeckung des Begriffs des „ Empfindungsbewusstseins “ - f ü r das der Begriff des „Empfindens “ als Syn onym verwendet werden kann 191 - eröffnet Husserl allerdings noch eine dritte Möglichkeit, durch die das zeitkonstituierende Moment weder in ein leistendes Bewusstsein noch in einen Empfindungsinhalt im eigentlichen Sinne verortet wird. Denn mit dem Begriff des Empfindungsbewusstseins n ä hert sich Husserl einerseits der Idee Brentanos an , der zufolge das zeitli che Fungieren auf das inhaltliche Moment zu setzen sei, andererseits aber vollzieht er diese Ann ä herung, ohne seine anf ä ngliche Präferenz f ü r ein fungierendes zeitkonstituierendes Bewusstsein aufzugeben - sodass, wie wir sehen werden , dieses zeitkonstituierende „ Bewusstsein ” nicht mehr als ein ichliches und auffassendes Bewusstsein verstanden werden kann, sondern vielmehr gedacht werden muss als in urspr ü nglicher Weise mit dem sinnlichen Inhalt verwoben. Hiermit gestattet Husserl dem zeitkonstituierenden „ Bewusstsein ” nicht nur eine gewisse „ inhaltliche ” oder auch „ materielle ” Dimension zu , sondern er f ö rdert zudem eine in der Empfindung selbst 191

92

Der einzige Unterschied dieser beiden Begriffe scheint rein formaler Natur zu sein: Verwendet Husserl den Begriff des „ Empfindens “ vornehmlich in den Zeitvorlesungen, so ist der des „ Empfindungsbewusstseins “ ausschlie ßlich in den Texten der Husserliana Xzu finden.

IL Kapitel: Selbstbewusstsein durch Empfindungsb ewusstsein

angelegte Art der Intentionalit ä t zu Tage, in der dann in weiterer Folge der eigentliche Ursprung und der zeitliche Grund des prä- reflexiven Bewusstseins verorten werden wird. Diese dritte M ö glichkeit erlaubt es Husserl, im Rahmen seiner Zeitphilosophie erstmals in das Herz der noetisch - noematischen Korrelation vorzudringen und somit in eine tieferliegende phänomenologische Sphäre vorzusto ß en . Allein in dieser neuen Sph ä re des Empfndungsbewusstseins ist Husserl sodann dazu in der Lage, eine Rechtfertigung der Korrelation selbst zu liefern , d . h . die Bedingungen der M ö glichkeit der noetisch - noematischen Korrelation aufzuweisen und zu erklä ren , wie es m ö glich ist , dass sich ein auffassendes Bewusstsein auf einen Empfindungsinhalt bezieht und diesen beseelend in ein Ph ä nomen des Sinns verwandelt. Die Sph ä re, in der diese Rechtfertigung vollzogen wird, ist die einer urspr ü nglichen Affektivit ä t, die diesseits der traditionellen Dualit ä t aus sensueller Hyl é und „ beseelender“ Morph é anzusiedeln ist. Gleichzeitig kann in dieser ursprü nglichen Affektivit ä t auch der notwendige Grundstein zur Ausarbeitung einer ph ä nomenologischen Hyletik gesucht werden (weshalb Michel Henry192 auch glaubt, hieran ankn ü pfen zu k ö nnen , was , wie wir jedoch sehen werden , ein Irrtum darstellt ) . Was also ist das Empfindungsbewusstsein und inwiefern begr ü n det es eine ph ä nomenologische Hyletik ? Der erste wesentliche Schritt Husserls in Richtung einer ph ä nomenolo gischen Hyletik besteht darin , eine im Begriff der Empfindung selbst veran kerte Doppeltheit herauszustellen. Ganz allgemein und „vorph ä nomenologisch ” gesagt , besteht diese Doppeltheit darin, dass die Empfindung nicht nur auf ein Umwundenes verweist, sondern immer und notwendig auch auf ein sAA -Empfinden in dieser Empfindung, auf eine Selbstempfindung. Ph ä nomenologisch ausgedr ü ckt bedeutet das, dass eine Empfindung niemals m ö glich ist , die nicht auch gleichzeitig Bewusstsein dieser Empfindung wä re 193. Husserl zerlegt die Empfindung daher in einerseits ein Empfinden 194 und andererseits einen EmpfindungsAAAr, wobei das 192

193

194

Vgl. hierzu: M. Henry, Phénoménologie matérielle, op.cit., Kapitel I: „ Ph énom é nologie hylé tique et ph énom é nologie mat é rielle“. In dieser Hinsicht scheint M. Henrys Forderung nach einer Impressionalitä t, die nicht immer schon eine Intentionalität in sich birgt, von einem phä nomenologischen Standpunkt schlicht absurd zu sein. Vgl. M. Henry, Phénoménologie matérielle, S. 36 f . Vgl. hierzu die hervorragenden Analysen L. Tengelyis , Der Zwitterbegriff der Lebensgeschichte, op. cit., S. 75 - 82.

93

V

Dritter Abschnitt

„ Empfinden “ hierbei zu denken ist als „das innere Bewusstsein des

Empfin-

dungsinhaltes “. Der Empfindungsinhalt kann nur dadurch als Empfindung wa hrgenommen werden , weil, nach Husserl, urspr ü nglich „ Empfindung von 196 Rot ( als Empfinden von Rot ) [...] Wi ( rot ) [ist] “, d . h. Empfindung von Rot ist inneres Bewusstsein von dieser Empfindung. Bevor sich daher ein intentionales Bewusstsein aktmäß ig - beseelend auf einen Empfindungsinhalt richtet , ist dieser Inhalt bereits „ Wissen von rot “ (,,Wi (...) “ ) . Und das innere Wissen des Empfindungsinhalts , die prä-reflexive Gegebenheit desselben Inhalts, erm ö glicht insofern ein jedes aktmäßige sich-Richten -auf , als es den zu beseelenden Inhalt dem Aktbewusstsein ü berhaupt erst zugä nglich macht . In dieser Hinsicht also muss die Ausarbeitung des Empfindungsbe wusstseins als die transzendentale Rechtfertigung des Husserlschen Korrelationismus verstanden werden: Erst das innere Bewusstsein des Empfindens macht die Ph ä nomene zugä nglich und somit auch objektivierbar im Sinne eines Auffassungsbewusstseins. 195

§ 22 - Prä-reflexives Bewusstsein durch Empfindungsbewusstsein

Worin besteht nun der phänomenale Gehalt des vom Empfindungsbewusstsein hergeleiteten prä-reflexiven Selbstbewusstseins ? In welcher Weise „ wei ß ” das Subjekt von sich selbst ? In der dem Empfinden zukommenden Art der Intentionalit ä t richtet sich das Bewusstsein nicht vermittels eines Erlebnisses auf einen Gegens tand, sondern in ihr ist das Bewusstsein unmittelbar das Erlebnis selbst. Das Empfinden gr ü ndet somit auf der Idee einer Gleichursprünglichkeit von dem Bewusstsein eines Gef ühls einerseits und dem in dem Gef ühl Gef ühlten andererseits. Die Entgegennahme eines Empfindungsdatums ist gleichzeitig auch eine Entgegennahme seiner selbst in dieser Empfindung; Empfindung ist - wir sagten es bereits - immer und notwendig auch ein sich -Empfinden , eine Öe/Äsrempfindung. In dieser Art Selbstempfindung ruht die zweite Konzeption des präreflexiven Selbstbewusstseins, die Husserl in seinen Texten zur Analyse des inneren Zeitbewusstsein vom Jahre 1911 entwickelt. Sie versteht das Empfinden als die urspr ü nglichste Beziehung, in der das Subjekt mit sich selbst 195 196

94

ZB, S. 482 , wir unterstreichen. Ebd., S. 482 .

V

IL Kapitel: Selbstbewusstsein durch Empfindungsbewusstsein zu treten vermag. Der ph ä nomenale Gehalt des Empfindens beruht nun in den Ablaufsphänomenen, dem Ablaufen und Verfließen verschiedener zeitlicher Ablaufmodi. Ausgehend von diesen Ablaufsphä nomenen wird deutlich , dass der traditionelle Begriff des „Selbstbewusstseins ” ein zun ä chst leerer, rein formaler Begriff einer urspr ü nglich reichhaltigeren Bestimmung ist: seine reichere Bestimmung stellen eben die Ablaufsph ä nomene dar, die als der eigentlich phänomenale Gehalt des Selbstbewusstseins verstanden werden m ü ssen. Ablaufsphänomene sind nichts anderes als das sich zeitlich modifizierende Empfinden der Empfindungen. „ Das originäre Erscheinen und Abfließen der Ablaufsmodi im Erscheinen ist etwas Festes, etwas durch „Affektion“ Bewusstes, auf das wir nur hinsehen, dem wir nur Zusehen kö n nen [...].197« Sicherlich wäre es vollkommen abwegig zu behaupten, wir k ö nnten auf unser sich in den verschiedenen Ablaufsmodi ph änomenalisierendes Selbstbewusstsein „hinsehen“ , diesem gleichsam „Zusehen“. Das Selbstbewusstsein ist seinerseits kein eigenst ä ndiges Ph ä nomen. Vielmehr sollte nach dem zuvor Gesagten deutlich geworden sein, dass das Selbstbewusstsein ein unabtrennbarer Teil von dem sich innerhalb der Zeitkonstitution vollziehenden Phä nomenalisierungsprozess ist. Das Selbstbewusstsein ist also insofern „ etwas durch „ Affektion “ Bewusstes “ , als dieses Bewusste selbst in keinem eigenst ä ndigen „Wissen ” beruht, sondern allein als Affektion und in dieser „ gewusst ” wird. Selbstbewusstsein verweist niemals nur auf ein leeres Bewusstsein gestaltloser Identitit ä t, sondern ist immer auch inhaltlich vermittelt. Selbstbewusstsein geht immer einher mit Fremdbewusstsein ebenso wie Fremdbewusstsein auch immer schon Bewusstsein seiner selbst ist: Selbstbewusstseins ist ein durch Fremdaffektion gestiftetes Bewusstsein seiner selbst. Es auf ein leeres Wissen einer rein -theoretischen Instanz reduzieren zu wollen , ü bergeht daher gerade das Wesentlichste: dass es immer ein affek tiv geprä gtes Wissen ist, ein affektives Bewusstsein , das in die jeweilige sinn liche Situation eingelassen und notwendig mit ihr verschmolzen ist198. 197

198

Hua. X, S. 368. R. Bernet stellt in eben dieser Hinsicht fest : „ La conscience absolue d ü n acte intentionnel [...] est une conscience passive résultant d' une affection ; ce dont elle a conscience s 'est imposé à elle plut ô t qu ' elle ne l ' a pos é.“ (R. Bernet, La vie du sujet, Recherches sur l'interprétation de Husserl dans la phénoménologie, Paris: 1994, S. 196) . Wir werden im letzten Abschnitt sehen, inwiefern Husserl diese Definition des Selbstbewusstseins in den Bernauer Manuskripten wesentlich ausbauen und erweitern wird.

95

Dritter Abschnitt

§ 23 - Urempfindungsbewusstsein Ausgehend von dem als Empfindungsbewusstsein verstandenen Selbstbewusstsein lässt sich nun eine neue Konzeption der Gegenwart entwickeln, die dazu in der Lage ist, die Probleme, die sich im Zusammenhang der Urimpression gestellt hatten , zu ü berwinden. Mit dieser neuen Konzeption der Gegenwart gibt Husserl gleichzeitig eine Denkrichtung vor, die er dann vornehmlich in den Bernauer Manuskripten weiter ausarbeiten und mit einem entsprechenden Erklä rungsmodell versehen wird. 199 Husserl bezeichnet als „ Urempfindungsbewusstsein “ das in der Gegenwart verortete Empfinden. Beschreibt das Urempfindungsbewusstsein daher ein in der Gegenwart verortetes inneres Bewusstsein, so ist das Ur empfindungsbewusstsein damit auch schon von der Urimpression unterschieden - die wir ja gerade als einen in der Gegenwart verorteten blinden Fleck, als ein Nichts von Intentionalit ä t verstanden hatten. Das Urempfindungsbewusstsein , so Husserl, ist „ das absolut originäre Bewusstsein, das, in 200 dem der jeweilige Ton -Punkt als selbstgegenwä rtig, als leibhaft dasteht “. Als „ absolut originäres Bewusstsein ‘ ist das Urempfindungsbewusstsein nicht wie die Urimpression Ausdruck eines bewusstseinstranszendenten, empfangenen, urimpressionalen Inhalts; vielmehr sind in der Urempfindung die beiden Terme - n ä mlich die prä- reflexive „ Bewusstseinsspontaneit ä t “ einerseits und das impressional „ Empfangene“ andererseits - urspr ü nglich miteinander vereint. Das „ Ur-”, das auf die Ursprünglichkeit des Empfindens verweist, bezieht sich dabei nicht nur auf die Dimension der unmittelbaren Gegenwart, sondern ebenso auf das, was eine Gegenwart ü berhaupt erst zu einer solchen macht: auf die „ leibhaftige ” Selbstgegebenheit des Tones, dessen „Selbstgegenwä rtigkeit ”. Diese Selbstgegenwä rtigkeit ist ihrerseits nicht objektivierbar, sie ist kein gegenst ä ndliches Prädikat , das ein auffassendes Bewusstsein dem Ph ä nomen zusprechen k ö nnte. Wie L. Tengelyi richtig bemerkt, beschreibt das Urempfindungsbewusstsein vielmehr das ungegenständliche Bewusstsein der Anfangsphaserox . Ein solches „ ungegenst ä ndliche Bewusstsein “ unterliegt, trä gt und hält notwendigerweise ein jedes gegenständliche Bewusstsein derselben Anfangsphase . So kann die vergegenständlichte Zeitstelle kann nur als datierbares „Jetzt ” erscheinen, weil das Urempfindungs 199 200 201

96

Hua. X, Nr. 50, S. 325. Ebd. Vgl. L. Tengelyi, Der Zwitterbegriff Lebensgeschichte, op.cit., S.81.

II. Kapitel: Selbstbewusstsein durch Empfindungsbewusstsein

bewusstsein diese Zeitstelle unterliegt und der gegenst ä ndlichen Anfangs phase ihren Charakter leibhaftiger Selbstgegenwärtigkeit zugestattet. Diese Parallelit ä t von vergegenst ä ndlichtem Jetztbewusstsein und ungegenst ä ndlichem Urempfindungsbewusstsein ist ein ganz besonderes Bestandteil Hus serls Konzeption des Empfindungsbewusstseins, welches er vornehmlich in den Bernauer Manuskripte ausarbeiten wird. Wie ist nun aber die Beziehung von Urempfindung und gegenst ä ndlichem Ton -Jetzt zu verstehen ? Wie haben wir die Gegenwart zu denken , wenn in ihr „ gleichzeitig” ein gegenst ä nd liches und ein ungegenst ä ndliches Bewusstsein der Anfangsphase verortet sein soll ? Einerseits scheint es, als handele es sich bei der Urempfindung und dem Ton-Jetzt unmittelbar um dasselbe, andererseits aber mussten wir ebenso feststellen, dass Urempfindung und gegenst ä ndliche Jetzt -Datierung zwangslä ufig verschieden sind - insofern doch die Urempfindung eine jede Jetzt -Datierung ü berhaupt erst erm öglicht. Husserl selbst scheint diese Zweideutigkeit der Bestimmung der Gegenwart zwar gesehen, hierf ü r jedoch keine befriedigende Lösung parat gehabt zu haben. Denn: Wir beginnen mit dem ersten Punkt, dem Einsatzpunkt. Er ist als Jetzt charakterisiert . Wir nennen das Bewusstsein von ihm Urempfindungsbewusstsein, ohne sagen zu wollen, da ß hier wirklich zweierlei zu unter scheiden sei, Urempfindungsbewu ß tsein und Ton -Jetzt. Wir lassen es of fen, da ß beides dasselbe sei, nur unter verschiedenen Gesichtspunkten bezeichnet.202

Wie ist es zu verstehen, dass Ton-Jetzt und Urempfindungsbewusstsein „ dasselbe [.. .], nur unter verschiedenen Gesichtspunkten “ bezeichnen ? Gehen wir vom Ton -Jetzt als einer objektiven Zeitstelle aus, so ist es unm ö glich, Ton-Jetzt vom Urempfindungsbewusstsein zu unterscheiden. Denn wird Ersteres allein durch Letzteres gegeben , so kann es ein Bewusstsein von ihm nur in Deckungseinheit mit dem Urempfindungsbewusstsein geben. Gehen wir allerdings vom Empfinden aus - reduzieren wir die Empfindung auf das innere Bewusstsein von ihr - so sind Ton -Jetzt und Urempfindungs bewusstsein keineswegs mehr dasselbe. Das Urempfindungsbewusstsein gehört somit mitsamt dem Empfinden zu einer ganz eigenstä ndigen Dimension zeitkonstituierenden Bewusstseins. Die „ verschiedenen Gesichtspunk te “, unter denen Jetztzeitstelle und Urempfindungsbewusstsein betrachtet 202

Ebd., S. 372.

97

Dritter Abschnitt

werden k ö nnen, beschreiben daher unterschiedliche Sph ä ren ( oder Dimensionen ) des zeitkonstituierenden Bewusstseins . Diese doppelte Sph ä rengliederung macht es notwendig, eine Differenz in die Gegenwart selbst einzuf ü hren. Denn die Gegenwart gibt sich nunmehr als eine äu ßerst ambivalente Erscheinung zu verstehen: ihre Erscheinung ist eine zweifache, je nach der Perspektive, in die wir uns stellen , um sie zu betrachten ^. Das Ph änomen der Gegenwart - wir sagen bewusst „ Gegenwart ” , um sie vom objektiven Jetzt zu unterscheiden - das aus ph änomenologischer Sicht niemals etwas anderes als die Gegenwä rtigkeit des Bewusstseins selbst sein kann, ist in sich zerrissen und unterteilt in zwei Sph ä ren , welche gleichzeitig zwei Sph ä ren des zeitkonstituierenden Bewusstseins darstellen. Innerhalb des immanenten Aktbewusstseins müssen sich diese beiden Sph ä ren notwendig aufeinander beziehen; nur durch diesen gegenseitigen Bezug kann ein dauernder Gegenstand konstituiert werden. Lö sen wir uns daher von der Aktintentionlit ä t - „ bauen wir diese ab “ - so erhalten wir das reine Empfinden : eine Gegenwart ohne Jetztzeitstelle. Dieser Abbau ichlicher Aktintentionalit ä t steht im Zentrum der Bernauer Ma nuskripte,. mit denen wir uns jetzt befassen wollen. “

203

98

Auch L. Tengelyi weist in seiner Bestimmung des Jetztmomentes auf eine solche Abspaltung hin, indem er das Urbewusstsein ( = das ungegenst ä ndliche Bewusstsein der Jetztphase ) versteht als „ das einmal vom Empfundenen bereits abgehobene Empfinden“ (L. Tengelyi, Der Zwitterbegriff Lebensgeschichte, op. cit ., S. 81 ) .

Abschnitt IV Zeitlicher Urprozess

In diesem vierten und letzten Abschnitt unserer Untersuchung werden wir herauszuarbeiten versuchen, inwiefern Husserl in den Bernauer Zeitmanu skripten durch die Vertiefung seines Verst ä ndnisses des Empfindungsbewusstseins diesem ein koh ä rentes Erklä rungsmodell zur Seite stellt. Im Vordergrund der Bernauer Zeitmanuskripte steht nun nicht mehr die Frage nach der Konstitution einer zeitlichen gegenst ä ndlichen Dauer (wie es noch in den Husseriiana X der Fall gewesen war ) , sondern vielmehr die Frage nach der Konstitution der Zeitlichkeit eines in der Affektivit ä t verankerten präreflexiven Selbstbewusstseins. Diese dem prä- reflexiven Selbstbewusstsein zugehörige Zeitlichkeit bezeichnet Husserl als „ Urprozess “. In der Bestimmung seiner genauen Struktur liegt die von uns gesuchte Modellisierung des Empfindungsbewusstseins begr ü ndet.

§ 24 - Urprozess und Ablaufsphänomene Mit der Bestimmung der Zeitlichkeit des Urprozesses realisiert Husserl die bereits 1911 (im § 34 der Zeitvorlesungen) angek ü ndigte - dort jedoch wirkungslos gebliebene - Unterscheidung von immanentem und präimmanen tem Bewusstsein. Diese Unterscheidung realisiert Husserl in den Bernauer Manuskripten insofern, als er das pr ä- reflexive Selbstbewusstsein verselbstst ä ndigt und aus seiner strukturellen Verschlingung mit dem intentionalen Aktbewusstsein herauslöst. Zwar hatte Husserl bereits im § 34 der Zeitvorlesungen von einem „ absoluten zeitkonstituierenden Bewusstseinsfluss 204 “ gesprochen und diesem im Unterschied zur immanenten Zeit eine „ pr äim204

ZB, S. 428.

99

Vierter Abschnitt

Zeitlichkeit 205“ beigelegt. Diese Unterscheidung zweier Zeitlichkeiten blieb im Jahre 1911 allerdings insofern bedeutungslos und ph ä nomenolo gisch uneffizient , als Husserl zu dieser Zeit noch immer am Erkl ä rungsmodell der Lä ngsintentionalit ä t festhielt. Denn wie wir sahen , beschreibt die auf retentionalen Leistungen der immanenten Zeit beruhende Lä ngsintentionali tä t nichts anderes als die blo ß e zeitliche Innendimension des Aktbewusst seins. Das durch die Lä ngsintentionalit ä t bestimmte „ absolute Bewusstsein ” kann daher lediglich f ü r die gegenst ändliche Zeit subjektiver Erfahrung gelten und bezieht sich einzig und allein auf die immanente Zeit, niemals jedoch auf die präimmanente. Im Gegensatz zu dieser fr ü hen Herangehensweise erkennt Husserl nun in den Bernauer Manuskripten, dass die letztlich zeitkonstituierende Dimen sion des Bewusstseins diejenige „ Zeit ” ist, die innerhalb der subjektiven Erfahrung der Gegenst ä nde die pr ä- reflexive Kontinuit ä t des Bewusstseins ausmacht . War daher zuvor das prä- reflexive Bewusstsein noch immer als Dimension oder Bestandteil der immanenten Zeit gedacht, so weist ihm Husserl nunmehr eine ganz eigene Zeitlichkeit zu - der sogenannte Urprozess -, die nichts mehr mit der subjektiven Zeit gegenst ä ndlicher Erfahrung gemein hat. Das Verstä ndnis des Urprozesses geht daher einher mit der Idee einer transzendentalen Sph ä rentrennung, welche die Unterscheidung von immanenter und präimmanenter Zeitlichkeit widerspiegelt.

mente

Nennt man die phä nomenologische Zeit und ihre Gegenstä ndlichkeiten transzendental -,subjektive’ gegen ü ber der Naturzeit als ,objektiver’, so liegt hinter der Subjektivitä t dieser Zeitsphä re eine weitere transzendentalsubjektive Sphä re, die Sph ä re von ,Erlebnissen’ (ebenfalls neuer Stufe und neuen Sinnes ) , in denen sich diese Zeitlichkeit konstituiert, Erlebnisse, die, wird man also zun ä chst sagen, zeitliche Gegenst ä nde mit ihrer Zeitform darstellen, zur Erscheinung bringen (Erscheinungen ebenfalls transzendental tieferer Stufe ) , aber nicht selbst zeitliche sind, weder objektiv zeitliche noch zeitliche als Vorkommnis jener transzendentalen Zeit erster

Stufe .206

Was die Herangehens weise der Bernauer Manuskripte von derjenigen der Husserl es zuvor Jahre 1913 grundlegend unterscheidet, ist die Tatsache, dass zu welcher Stufe nomene ä r Ph ü , f was en vers ä umt hatte, klar zu unterscheid konnte es umnis Vers ä dieses durch - und zu welcher Zeit geh ö ren. Allein 205 206

100

ZB, S. 436. Hua. XXXIII , p. 184.

Vierter Abschnitt zu dem Missverst ändniss kommen , dass die immanente Zeit ph ä nomenal nicht von den sie konstituierenden prä immanenten Elementen auseinander zuhalten war - sodass der tiefere Sinn der im § 34 der Zeitvorlesungen einge f ü hrten Unterscheidung jegliche Bedeutung verlieren musste. Um was f ü r eine Art von „ Erlebnissen ” also handelt es sich bez ü glich der präimmanenten Zeit ? Und worin besteht die besondere Ph ä nomenalitä t dieser „ transzenden-

talen Zeit zweiter Stufe207“ ? Es sind hier abermals die sogenannten „ Ablaufsph ä nomene “ ( Husserl bezeichnet sie in den Bernauer Manuskripten als „ Abklangsphä nomene “ ) , die nunmehr als „ Erscheinungen “ oder „ Erlebnisse “ der „ transzendentalen Zeit zweiter Stufe “ verstanden werden m üssen. Wie wir uns erinnern, hatten diese Phä nomene bereits in unserer Ausarbeitung der dritten Konzeption der Retention eine Schlü sselrolle gespielt, wobei wir sie allerdings damals der immanenten Zeit zugerechnet hatten. Welcher Zeit also sind diese Ablaufs phä nomene nun zuzusprechen: der immanenten oder der präimmanenten ? Gemäß der Arbeitshypothese, die wir hier im Folgenden vertreten wol len , sind die Ablaufsphä nomene zeitliche Erscheinungen einer durchaus eigent ü mlichen Natur. Sie fungieren als Bindeglied zwischen den beiden transzendentalen Zeiten. Die Abslaufsphänomene sind daher als Bestandteile der immanenten sowie als Bestandteile der prä-immanenten Zeit anzusehen und zu beiden Zeiten wesentlich zugehö rig - allerdings in einem jeweils ganz anderen Sinn. Wie ist das genau zu verstehen ? Die ph ä nomenologische Zeit [seil, die immanente Zeit] ist die umfassende Form individueller Erlebnisse, die f ü r das phänomenologische Subjekt gegeben sind durch andere „Erlebnisse “ [seil, die Ablaufsph ä nomene] , sagen wir, durch ein tieferes str ö mendes Leben, in dem jene zeitlichen Erlebnisse in flie ßenden Gegebenheitsweisen „erscheinen “.208

Die Ablaufsph ä nomene, diese „ andere [n] „ Erlebnisse “ “ , sind Erscheinungen des letzten zeitkonstituierenden Bewusstseins, das Husserl hier als ein „ tieferes strö mendes Leben “ bezeichnet. Sie werden konstituiert in und durch den Urprozess und nicht durch die immanente Zeit. In dieser Hinsicht sind die Ablaufsphänomene also Erscheinungen des prä-immanenten Bewusstseins. Andererseits aber gibt Husserl ebenso zu verstehen, dass erst „ durch “ diese tieferliegenden Erscheinungen die „ individuellen Erlebnisse “ der im 207 208

Ebd., S. 29. Ebd ., S. 185.

101

Vierter Abschnitt manenten Zeit , d. h. die zeitlich dauernden Gegenst ä nde, „ erscheinen “. In dieser zweiten Hinsicht also ist es ebenfalls durchaus richtig zu sagen, die Ablaufsph ä nomene erscheinen in der Sph ä re des immanenten Bewusstseins. Wir sind daher dazu gezwungen die besondere Zwitternatur der Ablaufsph änomene festzustellen, der zufolge sie einerseits Erscheinungen der präimmenten Zeit ( genitivus subjectivus) sind, andererseits aber innerhalb der immanenten Zeit erscheinen. Die Ablaufsph ä nomene sind zeitliche Durchgangserlebnisse, die die Wahrnehmung eines gegenst ändlichen Fließ ens erm öglichen: Als Erscheinungen der präimmenten Zeit k ö nnen sie keinesfalls mit Elementen der immanenten Zeit erklä rt werden - indem aber in ihnen die Gegenst ä nde der immanente Zeit „ erscheinen “, sind sie ebenfalls zu dieser immanenten Zeit hinzuzurechnen. Worin besteht nun ihre innere Struktur ?

§ 25 - Protention und Urpräsentation Die Ablaufsph ä nomene sind „ fließende Gegebenheitsweisen209 “, „in ” denen sich immanente Zeit konstituiert. Ausgehend von diesem Verständnis widmet Husserl sich im Text Nr. I der Bernauer Manuskripte einer vollkommenen Neubestimmung der immanenten Zeit. Dabei denkt er das gegenwä rtige Moment nicht mehr als eine autonome Jetztstelle (als Urimpression ) , sondern ausgehend von einem ursprü nglichen zeitlichen Kontinuum, aus dem diese Gegenwart selbst erst zu erwachsen hat. Hierdurch kommt es zu einer neuartigen dynamischen Betrachtung der Gegenwart, vornehmlich ermö glicht durch eine eingehendere Thematisierung der protentionalen Leistungen des immanenten Zeitbewusstseins. Der Protention hatte Husserl innerhalb der gesamten bis zum Jahre 1913 verfassten Texte zur Zeitproblematik nahezu keine Aufmerksamkeit geschenkt und sie lediglich als ein symmetrisches Gegenst ü ck zur Retention verstanden. Diese Vorgehensweise war allerdings irref ü hrend und f ü hrte ein weiteres Mal zu einer ä hnlichen Verklä rung des Jetzt, als wie wir sie bereits anhand unserer Kritik der Urimpression als unzulä nglich abgewiesen hatten. Eine von der Retention ausgehende Symmetrisierung von Retention und Protention wiederholt nur noch einmal die Idee der Urimpression , d. h. die Idee einer völlig autonomen Jetztstelle. Denn indem Husserl versucht , die 209

102

Ebd., S. 185.

Vierter Abschnitt

Protention aus der Struktur der Retention heraus zu erklä ren , ü bersieht er gerade dasjenige, was die Protention ü berhaupt erst gegen ü ber der Retention auszeichnet: dass sie nicht von einem Jetzt ausgeht, sondern lediglich zu ihm hinf ü hrt und es geradezu entstehen lässt. Gilt daher f ü r die Retention, dass sie erst mit der Urimpression einsetzt und lediglich das zu retenieren f ä hig ist, was bereits origin ä r gegeben wurde - weswegen ihr Ausgangspunkt im mer ein genau zu determinierendes statisches Jetzt-Zentrum ist -, so besteht die Besonderheit der Protention dagegen gerade darin , dass sie keinen solchen Ausgangspunkt, kein solch statisches Zentrum zulässt, sondern lediglich einen Endpunkt kennt, ü ber den sie dazu noch unendlich protentional hinausschie ß t. Versteht man die Protention daher analog zur Retention , so verkennt man gerade ihr dynamisches Wesen , demnach sie in einem st ä ndigen Str ö men auf oder zu etwas hin besteht. Genau von diesem in die Zukunft strö menden Wesen der Protention geht Husserl nun in seiner Neubestimmung der immanenten Gegenwart aus. Methodologisch gesehen, besteht dieser in den Bernauer Manuskripten vor genommene Wandel der Betrachtungsweise darin, dass Husserl die statische Analyse, welche - gekoppelt an das ichliche Aktbewusstsein der ausdr ü cklichen Reflexion - eine objektive Jetztzeitstelle zwangslä ufig dort einf ü hrt, wo das Jetzt in einem urspr ü nglichen Flie ß en begriffen ist, ü berwindet und damit den Weg zu einer eigentlich genetischen Phänomenologie eröffnet: [W] ir haben als Anfang nur einen Anfang der Betrachtung, wir stehen immerfort in der Mitte eines unendlichen Prozesses und greifen eine Phase heraus, die ein Doppelzweig von Intentionalitä ten [seil , nä mlich retentionale und protentionale] ist, in dem das Urdatum nur eine Auszeichnung als Moment der Intentionalitä t hat .210

Einen Anfang der Zeitigung kann es sicherlich nur dann geben , wenn man noch immer versucht ist, das Jetzt in einer vergegenst ändlichenden Auffas sung als autonomes Zentrum zu begreifen. Ein Anfang und ein Ende der Zeitigung gibt es nur f ü r ein Aktbewusstsein; nur hier macht es Sinn , die Zeitigung ausgehend von einem urimpressionalen Moment zu begreifen, das in eine iterative Modifikation des zeitigenden Bewusstseins aufgenommen und dadurch in ein gegenst ä ndlich dauerndes verwandelt wird. Indem Hus serl nun einen solchen „ Anfang der Betrachtung“ ablehnt und sich einge steht, als Phänomenologe „ immerfort in der Mitte eines unendlichen Prozes 210

Ebd., S. 28.

103

Vierter Abschnitt

ses “ zu stehen, vollzieht er einen grundlegenden Wandel innerhalb seiner Betrachtungsweise. Dieser Wandel f ü hrt Husserl nun im Text Nr. 1 der Bernauer Manuskripte dazu , den Begriff der Urimpression durch den der „ Ur« präsentation 211 zu ersetzen . Das inhaltlich Neue dieser vorerst noch rein terminologischen Ä nderung besteht darin , dass die Urpräsentation lediglich als „ Grenzpunkt von zweierlei „vergegenwä rtigenden “ Akten, den Retentionen und den Protentionen 212 “ anzusehen ist. Nicht nur macht Husserl hiermit den flie ßenden Ursprung des Jetzt deutlich - und betont damit die Dynamik des Zeitbewusstseins gegenü ber der Statik ichlicher Betrachtung auch sieht er hiermit das aktm äß ig erfassende Ich als zweitrangig an gegen ü ber dem Strom der Erlebnisse , in dem es sich immer schon angesiedelt befindet. In dieses zeitliche Str ömen eingebettet, ist nicht das Jetzt das eigentliche Zentrum ichlicher Aufmerksamkeit, sondern all das noch Kom mende und im Zukunftshorizont Liegende. So wie das erfassende Ich im Wahrnehmungsbewusstsein schon darin steckt , hat es bestä ndig den offenen Zukunftshorizont , den Horizont m ö glicher aktueller Erwartung. Aktuelle Erwartung selbst ist das Eingehen der Aufmerksamkeit in diesen Horizont. Dem Wahrnehmungsobjekt zu gewendet Sein ist mit offenen Armen das Herankommende auffangen [. . .] .213

Bevor das Ich daher erfassend einen Jetztpunkt herausgreifen kann, steht es schon in einem zuk ü nftigen Horizont . Von Neuem offenbart sich hier die herausgehobene und autonom betrachtete Jetzt -Zeitstelle als eine nachfolgende Abstraktion gegen ü ber der urspr ü nglichen Konkretion des zeitlichen Flusses . Ist die Protention daher diejenige zeitliche Leistung, in die ein gegenst ä ndliches Jetztmoment ü berhaupt erst eingehen und von der es aufgenommen werden kann, so ist die Gegenwart keinesfalls mehr als „Urquell“ oder gar als „ Ursch ö pfung“ anzusehen, sondern , wie Husserl in den Bernau214 er Manuskripten deutlich macht, vielmehr als „ erf ü llte Erwartung “. Allerdings belässt es Husserl nicht blo ß bei dieser Bekundung der Urspr ü nglichkeit der Protention gegen ü ber dem Jetzt. Vielmehr dringt er tiefer in die eigentliche Struktur der protentionalen „ Erwartung“ ein und erklä rt

211 212 213 214

104

Ebd., S. 4. Ebd. Ebd. Ebd., S. 7.

Vierter Abschnitt

„ wie [. ..] diese Intentionalit ä t ihrer Struktur nach notwendig beschaffen 215 « sein muss. Die entscheidende Frage hierbei ist , wie es sich mit der Wahr nehmung von zeitlichen Gegenst ä nden verh ä lt , die „ ohne Vordeutung, ohne spezifische Erwartung „auftreten “216 “ und die daher nicht „ bestimmt durch Vorerinnerung vorgezeichnet 217« werden — wie dies beispielsweise bei einer plö tzlich eintretenden Melodie der Fall ist. Sicherlich ist es in diesem Fall unm ö glich zu behaupten , dass auch eine solche Melodie vor ihrem H ö ren bereits von einer Protention vorweggenommen und „ erwartet ” wurde - ware doch ansonsten das Ph ä nomen der Ü berraschung von Grund auf unm öglich. Dennoch aber betont Husserl, dass es sich auch hier um „ vorgezeichnete Zeitereignisse 218 « handeln muss: allerdings um Zeitereignisse, die „ vorgezeichnet [sind] durch leere Intentionen219“. Hierdurch wird abermals deutlich, dass Husserl die Protentionen nicht mehr ausgehend vom protenierten Inhalt denkt, von einem Jetzt als statischen Fixpunkt , sondern vielmehr ausgehend von einem grundlegenden und immerwährenden „ Leerbewusst220« , welches den Horizont zukü nftiger Ereignisse frei macht und somit sein die Gegenwart in Richtung der Zukunft ö ffnet. „ Im Prozess setzt sich stetig dieses Leerbewusstsein fort, das schon am Anfang inszeniert war, nur sich durch stetige Erf ü llung verk ü rzend.221 « Immer bleibt also notwendig „ als ein offener „ Horizont “ eine kontinu ierliche Strecke unerf ü llt 222 “, und es ist eben dieser „ offene Horizont “, der die spä teren Protentionen als Konkretisierungen und „ Erf ü llungen der fr ü heren223 “ in sich birgt. Im Leerbewusstsein liegt also ein vollkommen neues Verst ä ndnis der immanenten Zeit begr ü ndet, dessen es bedurfte, um die irref ü hrende Konzeption der Urimpression aus seiner Zeittheorie zu beseitigen. Allein auf der Grundlage dieser auf die Zukunft hin orientierten Neubestimmung der immanenten Zeit , macht es im Folgenden Sinn , zur Ausarbeitung der tieferliegenden Struktur des Urprozesses voranzuschreiten . Hiermit aber wird die Frage nach der eigenartigen Verdopplung der trans -

_

*

215 216 217 218 219 220

221 222 223

Ebd., S. 9. Ebd., S. 11. Ebd ., S. 12. Ebd. Ebd., wir unterstreichen. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd. Ebd ., S. 10.

105

Vierter Abschnitt

zendentalen Zeitlichkeit umso dringlicher. Worin besteht die Beziehung der beiden Zeiten zueinander ? § 26 - Das Nebeneinander zweier transzendentaler Zeitstr ö me

Das Hauptanliegen der Bernauer Manuskripte ist die Ausarbeitung der Struktur der „ transzendentalen Zeit zweiter Stufe 224 “. Hierbei allerdings haben wir nicht einfach blo ß die objektive Zeit als konstituiert von einer immanenten Zeit zu denken, sondern diese immanente Zeit zudem noch als konstituiert von einer prä immanenten Zeit. Wie ist dieses Nebeneinander zweier transzendentaler Zeitströ me zu begreifen ? Es ist [. . .] evident , dass eine konkrete Retention unmittelbar nach Ablauf eines Ereignisses sich durchaus aufbaut aus Urretentionen derselben Art, wie solche aufbauend in dem wahrnehmenden Bewusstsein fungieren. [.. .] Ist das konkrete Bewusstsein ein fundiertes , so ist jede Phase desselben in ihrer Art ebenfalls fundiert und umgekehrt, ist jede Phase fundiert, so auch das konkrete Ereignisbewusstsein selbst.225

Husserl unterscheidet hier Retentionen des immanenten, intentionalen Be wusstseins von den retentionalen Leistungen des Urprozesses. Erstere bezeichnet er als „ konkrete Retentionen “, letztere als „ Urretentionen “. Beide Arten von Retentionen stehen zueinander im Verh ältnis der „ Fundierung“. Was die Urretentionen gegen ü ber den Retentionen des immanenten Bewusstseins auszeichnet , ist somit die Tatsache, dass sie „ also sicher nicht fundiert 226“ sind. Was aber bedeutet es f ü r ein zeitliches Erlebnis, „ nicht fundiert “ zu sein ? Urretentionen sind zeitkonstituierende Leistungen des Urprozesses. Die Urretentionen sind diejenigen Funktionen, die die Einheiten des inneren (Zeit -) Bewusstseins konstituieren . Im Gegensatz zu den Urretentionen , die die Zeitlichkeit des prä -reflexiven Bewusstseinsstromes konstituieren, m üssen die fundierten Retentionen als zeitliche Funktionen des intentionalen immanenten Bewusstseins verstanden werden, in denen sich ein Wahrneh mungsgegenstand subjektiv- zeitlich konstituiert. Die besondere Natur der t

224 225 226

106

Ebd., S. 29. Ebd., S. 216. Ebd.

Vierter Abschnitt

Retentionen der immanenten Zeit hatten wir im III. Abschnitt dieser Arbeit herausarbeiten kö nnen und sie b üß t hier nichts von ihrer Aktualit ä t ein . Zu klä ren bleibt lediglich , worin die Besonderheit der Urretentionen bestellt und wie diese von den fundierten Retentionen zu unterscheiden sind. Die Frage nach dieser Unterscheidung f ü hrt uns zur ü ck auf den Unterschied der Konstitution von Einheiten des inneren Bewusstseins in ihrer prä- reflexiven Erscheinungsform einerseits und noematischen Gegenst ä nden, Einheiten des aktmäß ig-intentionalen Bewusstseins andererseits. Im Text Nr. 18 der Bernauer Manuskripte betont Husserl, dass Gegens t ä nde des inneren Bewusstseins ( Empfindungsgegenst ä nde und intentionale Akte) unmittelbar durch den Urprozess konstituiert werden und durch diesen Urprozess allein die ihnen zugeh ö rige Zeitform erhalten. Noemas dagegen, Gegenst ä nde intentionaler Auffassung, konstituieren sich dadurch , dass Empfindungsgegenst ä nde dem Auffassungsbewusstsein als „ apperzeptive Repräsentanten 227“ dienen. Wie nun R. Bernet gezeigt hat, besteht der Unterschied zwischen Einheiten des inneren Bewusstseins und Gegenst ä n den äu ßerer Wahrnehmung darin, dass erstere „ unmittelbar ursprü nglich 228“ durch den Urprozess, letztere dagegen „ mittelbar 229 “ , d. h. durch die Auffas sung eines sinnlichen Repräsentanten, konstituiert werden 230. Der sinnliche Repräsentant, die eigentliche Empfindung, sowie der Auffassungsakt selbst haben allerdings ihrerseits auch wieder eine prä-reflexive Erscheinungsform, sodass letztendlich auch sie „ unmittelbar ursprü nglich “ durch den Urprozess bewusst sind. Allein deshalb also kann Husserl sagen: konkrete Erebnis ist eine Werdenseinheit und konstituiert sich als Gegenstand im inneren Bewusstsein in der Form der Zeit. Das gilt f ü r alle immanenten Empfindungsdaten mit, wie es gilt f ü r die sie umspannenden Apperzeptionen und alle sonstigen intentionalen Erlebnisse.231

Jedes

Jede apperzeptive Wahrnehmung eines intentionalen Gegenstandes, der seine eigene immanente Zeitlichkeit aufweist, grü ndet daher in letzter Instanz in Gegebenheiten des inneren Bewusstseins, in denen das unmittelbare und prä-reflexive Bewusstsein dieser immanenten Einheiten verläuft. Eine jede 227 228 229 230 231

Ebd., S. 319. Ebd. Ebd. Vgl. R. Bernet, Conscience et Existence. Perspectives Phénoménologiques, Paris: PUF, 2004, S. 129f . Hua. XXXIII, S. 318.

107

Vierter Abschnitt

„ mittelbare “ Konstitution verweist daher auf die „ unmittelbar urspr ü ngliche “ Konstitution des Urprozesses.

§ 27 - Kernstruktur: Modellisierung des Urprozesses

Welche Struktur muss nun der Urprozess aufweisen, damit aus ihm die im manente Zeit gegenst ä ndlicher Erfahrung heraus konstituiert werden kann ? Antwort auf diese Frage finden wir im Text Nr. 2 der Bernauer Manuskripte. In diesem Text dringt Husserl tiefer in den Urprozess ein und macht durch das Aufweisen seiner besonderen Struktur ersichtlich, wie die immanente Zeit aus der prä immanenten Zeit des Urprozesses heraus konstituiert wird 232. Die Besonderheit des Textes Nr. 2 der Bernauer Manuskripte besteht darin , dass Husserl hier den retentionalen und protentionalen Leistungen des Urprozesses hyletische Kerne beilegt, die im Sinne einer qualitativen Ä nderung an hyletischer Intensit ä t gewinnen oder abnehmen. Diese Kerne d ü rfen allerdings nicht mit hyletischen Data verwechselt werden: Es handelt sich nicht um diejenige Hylé, die der beseelenden Auffassungsfunktion als sinnlichen Repr äsentant dient und die Husserl in den Ideen / mitsamt den Noesen zum „ reellen Bestand “ des Bewusstseins gez ä hlt hatte. Die hyletischen Kerne stehen als Elemente des Urprozesses vielmehr f ü r das innere Bewusstsein dieser hyletischen Data. In eben diesem Sinne betont Husserl, dass der Kern „ ist, was er ist, nur als intentional beschlossener Kern, er kann ohne solches Bewusstsein nicht sein233“. Anders ausgedrü ckt bedeutet das, dass es auf der Ebene des Urprozesses keine hyletischen Einheiten gibt, die nicht unmittelbar auch mit dem Bewusstsein von ihnen identisch wä ren 234. Die jeweiligen zeitlichen Phasen des Urprozesses sind allerdings nicht 232

233 234

108

Zwar verwendet Husserl in diesem Text nicht mehr den Begriff der „ Urretention “, sondern spricht lediglich von Retentionen und Protentionen. Dass es sich allerdings dennoch um zeitliche Leistungen des Urprozesses handelt, wird daraus ersichtlich, dass es hier vornehmlich um die Genese der immanenten Zeit geht. Ebd ., S. 32. Durch die hyletische Kernstruktur des Urprozesses wird bereits ersichtlich, dass es sich beim Urprozess tats ächlich um eine tieferdringende Ausarbeitung des Empfindungsbewusstseins handelt, welches Husserl bereits im Jahre 1911 entwickelt hatte. Auf diesen Punkt werden wir im letzten Paragraphen noch ausf ü hrlicher zur ü ckkommen.

Vierter Abschnitt

auf einen einzigen Kern beschränkt, sondern sie beinhalten vielmehr eine Vielzahl verschiedener Kerne. Was diese verschiedenen Kerne ein und derselben Zeitphase voneinander unterscheidet, ist, dass sie alle „ eine wech selnde relative Fü lle oder Kernhaftigkeit 235 « aufweisen. In jeder Phase des Urprozesses gibt es allerdings lediglich einen „ Urkern “ (von Husserl abgek ü rzt als „ Ux236“ ) , welcher dadurch ausgezeichnet ist, dass er eine maximale Erf ü llung oder „ Kernhaftigkeit “ aufweist. Dieser Urkern ist zu verstehen als Bezugspunkt zweier Kontinua von Urretentionen und Urprotentionen; er ist gleichzeitig „ terminus ad quem237“ sowie „ terminus a quo238« und ist zu verstehen als das Zentrum , um das herum sich alle restlichen Kerne in einem „ zweifache [n] Kontinuum ( eine zweifach stetige Punktmannigfaltigkeit ) 239 « anzuordnen haben. Bei diesen beiden Kontinua handelt es sich einerseits um ein solches, in dem die Kerne zum Punkt maximaler Erf ü llung ansteigen (das urprotentionale Kontinuum ) und andererseits um ein solches Kontinuum, in dem die Kerne von diesem Punkt maximaler Erf ü llung herabsinken ( das urretentionale Kontinuum ) . Aufgrund dieser beiden ansteigenden und ab sinkenden Kontinua kann Husserl nun sagen , dass der „ Bewusstseinsstrom [.. . ] ein Strom zweifacher „ Intentionen “ 240“ ist und je eine „ positive und [eine] negative Steigerung241 “ beinhaltet. Es sind diese beiden ansteigenden und abfallenden Kontinua, die es Husser erlauben , den Urprozess in einer dreidimensionalen Figur zu modellisieren , in der zwei „ Halbebenen 242 “ in einer „ Kante 243 “ aufeinandertreffen. etwa

235 236 237 238 239 240 241

242 243

Ebd. Ebd. Ebd., S. 38. Ebd. Ebd., S. 35. Ebd., S. 41. Ebd. Ebd., S. 35. Ebd.

109

Vierter Abschnitt

UxJ Uxl

Die Axe OUxJst die Axe der verschiedenen Urketne. Der hintere Teil dieser Axe stellt die retenüonal-absinkenden Kerne, der vordere Teil dagegen die protentional-ansteigenden Kerne dar

.

Auf der Kante selbst nun , welche Husserl auch als „Scheitelgerade 244 « bezeichnet , sind die verschiedenen Urkerne, d. h. die Punkte maximaler Erf ü llung, der Reihe nach angeordnet. Beschrä nken wir uns in unserer Betrach tung auf die blo ß e Folge der Punkte maximaler Erf ü llung, so betrachten wir das „ Bewusstsein der Sattheit (Sä ttigungspunkt des Moments der Nähe) 245“, in dem keinerlei Tendenz auf... ( negativ oder positiv) mehr festzustellen ist. In diesem Urkernen allein erlangt das Bewusstsein ein „ Origin ä rbewusstsein , das Bewusstsein des leibhaftigen „Selbst da “, des „ unmittelbar“ Habens, das Bewusstsein , in dem sein bewusster „ Gegenstand “ diesen Gegebenheitsmodus hat, der eben bezeichnet wird durch „ leibhaftige Gegenwart “, gegenwä rtig als reell immanent, als im Original bewusst oder wie man es sonst nennen mag 246 « . Die vollst ä ndige Erf ü llung der Tendenz im Origin ä rbewusstsein stellt nun das Korrelat des Jetzt der immanenten Zeit dar, d. h. der „ trans zendentalen Zeit erster Stufe “. Diese im intentionalen Wesen des zeitkonstituierenden Bewusstseins ausgezeichnete Kante hat als Korrelat die phä nomenologische Zeit, die Zeit der Erlebnisse als dauernder und dabei sich bald verändernder, bald nicht verä ndernder Ph ä nomene. [...] „Jetzt “ ist die Form des Korrelats eines Bewusstseinspunktes maximaler Erf ü llung, also eines Kantenpunktes.247

Indem der Urprozess daher das Werden der Urkerngerade durch das ansteigende ü nd das abfallende Kontinuum erkenntlich macht, modellisiert er 244 245 246 247

110

Ebd., S. 34. Ebd., S. 39. Ebd., S. 40. Ebd., S. 35.

Vierter Abschnitt

gleichzeitig die Genese der immanenten Zeit. Hierdurch wird der Verdopp lung der Zeitlichkeit des Bewusstseins (in immanente und prä immanente ) der Sinn einer konstitutiven Beziehung beigelegt: „Die Konstitution der [immanenten] Zeit wird geleistet durch das im Strom best ä ndig als Erf ü llung ausgezeichnete Kantenbewusstsein [seil des Urprozesses].248« Im Urprozess vollzieht sich also die eigentliche Genese der immanenten Zeit, insofern diese an der Aneinanderreihung verschiedener Jetztmomente ,

orientiert ist. Wie kann nun aus diesem Urprozess ein prä-reflexives Be wusstsein erwachsen ?

§ 28 - Prä-reflexives Selbstbewusstsein durch Erf ü llungstendenz In dem soeben angef ü hrten dreidimensionalen Modell der Bernauer Manuskripte besteht eine jede Phase des Urprozesses in sich erf ü llenden wie auch in sich entleerenden Kernen. Diese doppelte Erf ü llungstendenz versteht Husserl im Sinne einer „ Intention auf etwas hin und [einer] Intention von 249 etwas weg; oder auch gerichtete Tendenz, positiv und negativ gerichtet “. Die weitere Bestimmung dieser doppelten Tendenz wird ersichtlich machen , inwiefern auch das prä-reflexive Selbstbewusstsein seinen zeitlichen Grund im Urprozess findet und aus diesem heraus erklä rt werden kann . Urretentionen und Urprotentionen sind die zeitlichen Leistungen des Urprozeses selbst und d ü rfen nicht als etwas von den hyletischen Kernen Unterschiedenes begriffen werden. Einem jeden in seiner hyletischen Fü lle ansteigenden Kern entspricht daher eine urprotentionale Leistung, ganz wie auch einem jeden herabsinkenden Kern eine urretentionale Leistung ent spricht. Beinhaltet eine jede Phase des Urprozesses daher gleichzeitig ansteigende wie abfallende Kerne, so ist es selbstverst ä ndlich , dass retentionales Bewusstsein immer und notwendig mit protentionalem Bewusstsein einher-

geht. Wenn immer wieder, stetig, neue Kerndaten auftreten, so sinken die alten nicht blo ß retentional herab, sondern es „ erwächst “ ein protentionales Bewusstsein, das den neuen Urdaten entgegenkommt und sich mit ihnen terminierend erf üllt.250 248 249 250

Ebd., S. 36. Ebd., S. 38. Ebd., S. 20.

111

Vierter Abschnitt

Aufgrund dieser gleichzeitig erwachsend-herabsinkenden Bewegung einer jeden einzelnen Phase des Urprozesses ist die zeitliche Modifikation des Urprozesses eine wesenhaft „ doppelte 251 “: Einerseits stellt das Herabsinken « der Kerndaten die „Modifikation eines vorangegangenen Bewusstseins 252 dar, andererseits aber liegt in dem Ansteigen der Kerndaten diejenige „Modifikation , welche das jeweilige Bewusstsein als Protention eines k ü nftig kom menden modifiziert 2 ^ 3 “. Allerdings beschreibt diese doppelte zeitliche Modifikation des Urprozesses nicht einfach zwei verschiedene und völlig losgel öst voneinander operierende Prozesse, sondern sie weist eine eigen t ü mliche und bisher unbekannte Art zeitlicher Verflechtung auf . In dieser Hinsicht betont Husserl, dass die Urprotention „ als solche bestä ndig zu r ü ckgerichtet , obschon sie als Protention, vorgerichtet ist 254“. Das Zur ü ckgerichtet-sein der Protention hebt nun keinesfalls ihre antizipierende Funktion auf . Ganz im Gegenteil: Das Zurü ckgerichtet -sein der Protention macht ihr Vorgerichtetsein ü berhaupt erst m ö glich. Denn solange sich die Antizipation der Protention nicht auf eine vorgangegangene Erfahrung st ü tzen kann, kann sie nicht wissen , welchen Styl des Kommenden sie zu antizipieren hat wodurch sie f ü r die Erfahrung vollkommen nutzlos wä re. Das Zurü ckgerich tet -sein der Protention beschreibt daher die Tatsache, dass „ die Antizipation [. . .] durch das Kontinuum vorangegangener Retentionen als fortschreiten des Kontinuum motiviert [ist] 255“. Doch nicht nur spricht Husserl von einem Zurü ckgerichtetsein der Protention, auch die Retention ist durch das Retenieren vergangener Protentionen wesenhaft vorgerichtet. Was daher in die Vergangenheit zurü cksinkt, ist nicht nur das soeben noch gegenwä rtig Gewesene, sondern auch all die Protentionen , die den bereits abgelaufenen Zeitpunkt antizipierend vorwegnahmen. '

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Levinas , E. 31 Merleau-Ponty, M. 12 Meinong, A. 49 f., 55 Ni, Liangkang 13, 31, 75 Rö mer, I. 90 Tegelyi, L. 84, 95, 98 f. Sartre, J-P. 12, 75 Schnell, A. 42 f., 58, 84, 93 Yamaguchi, I. 42 Zahavi, D. 13, 83, 116, 118, 120

LIBRI VIRIDES DAS JUNGE FORUM

Herausgegeben von Hans Rainer Sepp

Die libri virides versammeln auf den Gebieten der Philosophie und der philosophisch inspirierten Wissenschaften herausragende Texte junger Autorinnen und Autoren. Mit ihnen soll ein Forum bereit stehen, das die Ideen und die Forschungsergebnisse einer neuen Generation vorstellt.

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Matthias Fiatscher, Iris Laner et al. ( Hg.) Neue Stimmen der Phänomenologie Erster Band: Die Tradition / Das Selbst broschiert ISBN 978-3-88309-635-3 gebunden ISBN 978-3-88309-636-0

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Matthias Fiatscher , Iris Laner et al. ( Hg.) Neue Stimmen der Phänomenologie Zweiter Band: Das Andere / Aisthesis broschiert ISBN 978-3-88309-637- 7 gebunden ISBN 978-3-88309-638-4

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Maxim Asjoma Ist japanischer Buddhismus wirklich Buddhismus? Transformationen des Buddhismus in Japan

broschiert ISBN 978-3-88309-658-2 gebunden ISBN 978-3-88309-659-9 3

Wei Zhang

Prolegomena zu einer materialen Wertethik. Schelers Bestimmung des Apriori in Abgrenzung zu Kant und Husserl broschiert ISBN 978-3-88309-642-1 gebunden ISBN 978-3-88309-643-8 4

Johannes Preusker

Das Menschenbild in Marsilio Ficinos

„Uber die

Liebe“

broschiert:

ISBN 978-3-88309-660-5 gebunden: ISBN 978-3-88309-661-2



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José Antonio Errâzuriz

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Warum erfordert Gadamers Hermeneutik eine ethische Wende ? Ü ber den Zugang zu einer ethischen Dimension des Verstehens broschiert: ISBN 978 -3-88309- 677-3 gebunden: ISBN 978-3-88309- 678-0

Sophia Katteimann Liebe als Kommunikationsmedium und als Affektion Die Systemtheorie von Niklas Luhmann und die Lebensphä nomenologie von Michel Henry im Vergleich broschiert: ISBN 978 -3-88309 - 679-7 gebunden: ISBN 978-3-88309- 680-3

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Georgy Chernavin Transzendentale Arch äologie - Ontologie - Metaphysik Methodologische Alternativen in der phänomenologischen Philosophie Husserls broschiert: ISBN 978 -3-88309-681-0 gebunden: ISBN 978-3-88309-682-7

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Maria Sch ö rgenhumer Wie bewohnt man virtuelle Rä ume ? Mit der Philosophie des Wohnens zu einer Ph ä nomenologie des virtuellen Raums broschiert: ISBN 978 -3-88309-107-5 gebunden: ISBN 978-3 -88309-108-2

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Alexandra Gr ü ttner-Wilke Autorenbild - Autorenbildung - Autorenausbildung broschiert: ISBN 978-3-88309-706-0 gebunden: ISBN 978-3-88309-707- 7

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Thomas Macher Vollkommene Freundschaft * Charakterfreundschaft und ihre Bedeutung f ü r ein gl ü ckliches Leben /' bei Aristoteles broschiert: ISBN 978-3-88309- 714-5 . gebunden: ISBN 978 -3 - 88309 - 715 -2 »

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Lasma Pirktina Ereignis, Ph ä nomen und Sprache Die Philosophie des Ereignisses bei Martin Heidegger und Jean-Luc Marion broschiert: ISBN 978 -3 -88309-720-6 gebunden: ISBN 978 -3-88309 -721-3

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Alexander Berg Transzendenz bei Hegel und Heidegger broschiert: ISBN 978-3-88309-735-0 gebunden: ISBN 978-3-88309-736-7

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Christian Röß ner Anders als Sein und Zeit Zur phänomenologischen Genealogie moralischer Subjektivität nach Emmanuel Levinas broschiert: ISBN 978-3 -88309 -740-4 gebunden: ISBN 978-3-88309-741-1

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Beatrix Kersten Von der glücklichen Zeitlichkeit zum gebrochenen Versprechen Ein philosophisches Panorama des Augenblicks von Goethe über Nietzsche bis Adorno broschiert: ISBN 978-3 -88309-773-2 gebunden: ISBN 978-3-88309 - 774-9

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Maria Hruschka

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Im Spiegel des Noh-Theaters broschiert: ISBN 978-3-88309-797- 8 gebunden: ISBN 978-3-88309-798-5

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Till Grohmann Der zeitliche Grund des Selbstbewusstseins Reflexion und Zeitlichkeit bei Edmund Husserl broschiert: ISBN 978-3-88309-818 -0 gebunden: ISBN 978-3-88309-819-7