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German Pages 250 Year 2000
ALEXANDER OTTO
Der Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer als wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 184
DerVVegfrul des Venrauens in den Arbeitnehmer als wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Von
Alexander Otto
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Otto, Alexander:
Der Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer als wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses I von Alexander Ütto. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 184) Zugl.: Potsdarn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-10218-5
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-10218-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Vorwort Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Potsdam hat die vorliegende Arbeit als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zum I. 1. 2000 berücksichtigt. Meinem akademischen Lehrer, Professor Dr. Detlev W. Belling M.C.L., der diese Arbeit betreut und das Erstgutachten gefertigt hat, gebührt mein besonderer Dank, mir zur Durchführung des Promotionsvorhabens eine MitarbeitersteIle am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht angeboten zu haben. Er vermittelte die Überzeugung, daß Vertrauen im Arbeitsverhältnis nicht nur theoretischen Wert besitzt, sondern in der Praxis auch gelebt werden kann. Mein Dank gilt ferner Professor Dr. Jürgen Oechsler, der das Zweitgutachten erstellt hat. Auch danke ich allen Kollegen am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, allen voran Frau Bettina Wehrisch, für die kollegiale und kreative Arbeitsatmosphäre. Ohne ihre ständige Diskussionsbereitschaft hätten viele wertvolle Anregungen in diese Arbeit nicht einfließen können. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch meinen Eltern, Frau Sigrid Otto und Herrn Professor Dr. Dieter Otto, deren großzügige Unterstützung und deren ständige Anregungen die vorliegende Arbeit erst ermöglicht haben. Düsseldorf, März 2000
Alexander Otto
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Der Vertrauenswegfall als wichtiger Kündigungsgrund .-ur das Arbeitsverhältnis
17
1. Abschnitt Die Einleitung
17
2. Abschnitt Das Ziel und der Gang der Untersuchung
20
3. Abschnitt Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfall in der Rechtsvergleichung
23
24
I. Das englische Recht 11. Das französische Recht ...........................................................
25
III. Das schweizerische Recht ........................................................
27
IV. Die Rechtslage in Italien, Österreich und den Niederlanden .......................
28
V. Das japanische Recht .................. .. ............................ . ............
30
VI. Das Ergebnis der Rechtsvergleichung .............................................
31
4. Abschnitt Der Vertrauenswegfall als wichtiger Grund zur a u ß e r 0 r den t I ich e n K ü n d i gun g n ach § 6 2 6 B G B I. Die Bedeutung und die Auslegung von § 626 BGB im allgemeinen ...............
33 33
8
Inhaltsverzeichnis 11. Der dogmatische Hintergrund und die allgemeinen Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung wegen Vertrauensverlusts .................................
33
I. Die bei der Auslegung des wichtigen Grunds zu beachtenden Grundsätze .....
34
a) Der wichtige Grund als unbestimmter Rechtsbegriff ........ . . . . . . . . . . . . . . .
34
b) § 626 BGB als Generalklausel ............................................
38
c) Das Kündigungsrecht als Gestaltungsrecht ................................
39
d) Die Abgrenzung der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB zur fristlosen Kündigung bei einer Vertrauensstellung nach § 627 BGB ........
41
2. Der Vertrauenswegfall als wichtiger Grund im System der anerkannten Kündigungsgründe .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
a) Die Bestimmung des Begriffs "Vertrauen" als Rechtsbegriff ...............
42
b) Die anerkannten Fallgruppen der Kündigungen wegen Vertrauensverlusts
43
c) Der Vertrauenswegfall als eigenständiger Kündigungsgrund in der historischen Entwicklung und Auslegung von § 626 BGB .......................
44
aa) Die Entstehung des Kündigungsrechts in der Zeit vor der Kodifikation des BGB ....... .... .............. ...... ... ......... ...... ....... .....
44
bb) Die Zeit der Weimarer Republik......................................
47
cc) Die Theorie des Arbeitsverhältnisses als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und ihre Auswirkungen im Nationalsozialismus
49
dd) Fazit und Nutzen des historischen Rückblicks für die heutige Rechtsanwendung ...........................................................
52
III. Die Methodik zur Bestimmung des Vertrauensverlusts als ein wichtiger Grund nach § 626 BGB ..................................................................
53
I. Der Begriff des Vertrauens im System des Rechts .............................
54
a) Der Widerspruch des Vertrauensschutzes zur Rechtsgeschäftslehre ........
55
b) Die verschiedenen vertrauenstheoretischen Ansätze .......................
57
2. Die vertrauensschützenden Rechtsprinzipien im Zivilrecht ....................
58
a) Das Stufenmodell von Rechtsnorm, Rechtsprinzip und Rechtsinstitut. . . . . .
58
b) Das Rechtsprinzip .......... . ................ . .......... . ..... . ...........
59
c) Die Rechtsinstitute ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
d) Die methodische Einordnung des Vertrauenswegfalls für die Auflösung von Verträgen .............................................................
62
3. Die PrinzipienkoIlision ........... . ...........................................
63
4. Das Ergebnis ........ . .... . .............. . . . .................. . ... . ...........
64
Inhaltsverzeichnis
9
IV. Das Modell eines Prinzips des Vertrauenswegfalls als ein allgemeiner Auflösungsgrund für Verträge im Zivilrecht ..................................................
64
I. Der Begriff des Vertrauens als Rechtsbegriff im Zivilrecht ............... . ....
64
a) Die Einleitung ............................................................
64
b) Die Erscheinungsformen kodifizierter Vertrauenspositionen ...............
66
c) Schützenswertes Vertrauen und rechtsgeschäftliche Willenserklärungen...
66
aa) Das privatautonom entstandene Vertrauen ............................
66
bb) Das geschützte Vertrauen in bezug auf die zeitlichen Grenzen von Verträgen................................................................
68
cc) Die Überlagerung des Vertrauensschutzes in besonderen gesetzlichen Konstellationen. ......................................................
69
d) Das durch Rechtsscheinstatbestände erzeugte Vertrauen ...................
69
e) Die Bindung schützenswerten Vertrauens an guten Glauben...............
71
f) Das abstrakt und konkret geschützte Vertrauen ............................
71
g) Die Vertrauensenttäuschung durch den Vertragsbruch und die Vertragsgefährdung ..................................................................
73
h) Die gesetzlich vorgegebenen Vertrauensinhalte ............................
73
i) Die Relation von Störempfindlichkeit und Intensität des Vertrauenstatbestands .....................................................................
74
j) Die vertrauens intensivierenden Faktoren ..................................
75
aa) Der Faktor Zeit .......................................................
75
bb) Die Möglichkeit der Einflußnahme und die persönliche Abhängigkeit als vertrauensintensivierende Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
k) Die gesteigerte Intensität des Vertrauens in Gemeinschaftsverhältnissen und Dauerschuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
aa) Der Vergleich von Arbeitsverhältnis einerseits und Ehe und Familie andererseits ..........................................................
77
bb) Das in Dauerschuldverhältnissen intensivierte Vertrauen ... c..........
78
I) Die Einschränkung der Privatautonomie durch das Vertrauensprinzip .. . . . .
80
m) Die Vertrauenshaftung als Grundlage sekundärer vertrauensschützender Ansprüche ................................................................
81
n) Das Prinzip des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge als Grundlage primärer vertrauensgewährender Ansprüche ...................
81
10
Inhaltsverzeichnis
V. Die Übertragung des zivilrechtlichen Vertrauensschutzes auf das Arbeitsverhältnis
82
1. Das Arbeitsrecht als selbständiges Rechtsgebiet und als Teil des BGB ..... . . . .
82
2. Die Geltung der zivilrechtlichen Kündigungsgrundsätze im öffentlichen Dienst........................................................................
83
3. Die Abgrenzung des Vertrauensbereichs vom Leistungsbereich ........... . . . .
83
4. Der kündigungsrelevante Vertrauenstatbestand ................................
84
a) Die Einführung ...........................................................
84
aa) Das abstrakte und das konkrete Vertrauen ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
bb) Die Unterscheidung von Vertrauen, Erwartungen und Prognosen......
86
cc) Das Vertrauen im Hinblick auf persönliche Ansichten, Sittlichkeit und Moral.................................. ......... .............. .......
86
b) Die Entstehung objektivierbaren Vertrauens ...............................
87
aa) Das normative Grundvertrauen .......................................
88
bb) Die Notwendigkeit der privatautonomen Vertrauensinvestition ........
90
cc) Die Vertrauensgestattung als einseitig gewährtes Vertrauen ...........
90
dd) Das mit der Arbeitsaufgabe verbundene Vertrauen ....................
92
(1) Das aufgabenbezogene Vertrauen im öffentlichen Dienst.... . .....
92
(2) Das aufgabenbezogene Vertrauen in der Privatwirtschaft. . . . . . . . . .
93
ee) Das Vertrauen im Hinblick auf branchentypische, örtliche oder personelle Verkehrssitten .... .. . . .. . . . .. .. . .. . . . . . . . .. . .. . .. . . .. . . .. .. . . . . . .
94
ff) Die Einräumung einer individuellen und konkreten Vertrauensstellung
95
c) Der Grad des Vertrauens ..................................................
96
aa) Die Maßgabe der Vertrauensinvestition bei der Entstehung des Arbeitsverhältnisses .....................................................
96
bb) Die Vertrauensgewährung bei Ausübung des Arbeitsverhältnisses.....
97
cc) Die in Arbeitsverhältnissen erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf das Eigentum des Arbeitgebers ...........................................
97
dd) Der Bestand des Arbeitsverhältnisses und der Faktor Zeit .............
98
d) Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens...................................... 100 aa) Das Vertrauen des Arbeitgebers in private Verhaltensweisen des Arbeitnehmers .......................................................... 100 bb) Das Vertrauen des Arbeitgebers in betriebliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers........................................................ 101 (1) Das Vermögensschutzinteresse ................................... 103
(2) Das Integritätsinteresse und der Betriebsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (3) Das Loyalitätsinteresse, die Treuepflicht und das Vertrauen auf Loyalität ......................................................... 111
Inhaltsverzeichnis
11
cc) Die Beschränkungen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen und bei treuwidrigen Kündigungen nach § 242 BGB .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Das "gesunde Mißtrauen" ........................................
118
(2) Der Grundsatz des "venire contra factum proprium" .............. 119 (3) Das Vertrauen gegen besseres Wissen als Rechtsrnißbrauch, Schikaneverbot ....................................................... 121 (4) Die Verwirkung des Kündigungsrechts ........................... 121 (5) Die sonstigen nach § 242 BGB treuwidrigen Kündigungen. . .. . . .. 124 (6) Die Versetzung als milderes Mittel im Vergleich zur Kündigung .. 125 (7) Der Gleichbehandlungsgrundsatz ................................. 125 5. Die sonstigen Voraussetzungen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts ..... 126 a) Die Aufklärungs- und Substantiierungspflicht ............................. 126 b) Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .......................................................... 126 c) Das Erfordernis der Abmahnung .......................................... 128 d) Die Unzumutbarkeit der Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ..... 131 e) Der "Nutzen-Lasten-Ausgleich" .......................................... 132 f) Die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ..... . ... . ............... 133
g) Die Beweisfragen ......................................................... 133 h) Zum Zeitpunkt der Tatsachenwürdigung .................................. 136 i) Die Anhörung des Betriebsrats ............................................ 136 j) Der Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung und der restitutive Bestandsschutz ..................................................... 137 k) Die Rehabilitierung des Arbeitnehmers bei Fehlprognose des Arbeitgebers
138
7. Das Ergebnis für den Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund ................. 139
12
Inhaltsverzeichnis
2. Teil Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
141
l. Abschnitt
Die Einleitung
141
2. Abschnitt Die Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund auf einzelne Sonderfälle
141
§ 1 Die Kündigung wegen politischer Betätigung ................................... 141
I. Die politische Bedeutung des Kündigungsrechts
143
II. Die Denazifizierung .................. . ................ . ... . . . ...... .. ............ 144 III. Die KPD-Zugehörigkeit als Kündigungsgrund nach dem Verbot der Partei ........ 148 IV. Die sonstigen Fälle linksextremer Betätigungen ................................... 151 V. Die Kündigung wegen Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit ............................................................................... 155 I. Das Sonderkündigungsrecht in An!. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. II Nr. I Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrags .......................................... 156 2. Die MfS / ANS-Tätigkeit als wichtiger Grund für eine eignungsbedingte Kündigung gemäß § 626 Abs. I BGB ............................................. 157 3. Der Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer wegen der ehemaligen Tätigkeit für das MfS als wichtiger Grund nach § 626 BGB ........................ 159 a) Das berechtigte Mißtrauen gegenüber Mitarbeitern wegen deren ehemaliger Tätigkeit für das MfS .................................................. 159 b) Der Vorwurf der "Tätigkeit für das MfS" .................................. 159 c) Die Einwirkung des Vorwurfs auf das Vertrauen bei Vertragsschluß ........ 160 d) Die Schwere der Verfehlung im Zusammenhang mit der Schwere der konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses ........... . . . . . . . . . . . . . .. 161 e) Die Beeinträchtigung des tätigkeitsspezifischen oder positionsimmanenten Vertrauens ................................................................ 162
Inhaltsverzeichnis 4. Die Schutzwürdigkeit des beeinträchtigten Vertrauens des Arbeitgebers
13 163
a) Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst .. 164 b) Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers in der Privatwirtschaft .. 166 c) Die der Schutzwürdigkeit des Vertrauens entgegenstehenden Gründe...... 167
5. Die Belegbarkeit des Vertrauensverlusts durch objektive Anhaltspunkte....... 167 VI. Die sonstigen aktuellen Fälle politisch motivierter Kündigungen .................. 168
1. Die Kündigungen wegen rechtsextremer Betätigung und ausländerfeindlichen Verhaltens .................................................................... 168
2. Mittelbare Auswirkungen von ausländerfeindlichen Tendenzen im Kündigungsrecht . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . 171 3. Die Kündigungen von Mitgliedern von Sekten als vergleichbare Fallgruppe ... 172 4. Die Kündigungen im öffentlichen Dienst wegen verfassungsfeindlicher Tatigkeit ........................................................................... 175 VII. Die Kündigung wegen Sicherheitsbedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
§ 2 Die Kündigung in Religionsgemeinschaften und Tendenzbetrieben . . . . . . . . . . . .. 178
1. Die Kirchen als Arbeitgeber ................................... .. ................. 178 II. Die Tendenzunternehmen ......................................................... 184
§ 3 Die Kündigung wegen Straftaten ....... .... .......... .. ......................... 186
1. Die Einleitung und die Unterscheidungskriterien ..................... . ............ 186 I. Das Kriterium der Ausrichtung der Taten ..................................... 187
2. Das Kriterium der Opferbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 188 3. Das zeitliche Kriterium und die Behandlung von Vorstrafen................... 188 II. Die innerbetrieblichen Straftaten............................................... .. . 188 I. Die Straftaten gegen das Eigentum und das Vermögen des Arbeitgebers ....... 188 2. Die Straftaten gegen das Eigentum und das Vermögen der Arbeitskollegen .... 190 3. Die Straftaten gegen Leib, Leben und Gesundheit innerhalb des Betriebs ...... 190 4. Die Ehrverletzungen im Betrieb.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. 191 5. Die Straftaten im Dienst außerhalb des Betriebs. . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . ... .... . . . 193 6. Die sonstigen Störungen des Integritätsinteresses durch Straftaten ......... . ... 194
14
Inhaltsverzeichnis
III. Die außerbetrieblichen Straftaten ................................................. 194 1. Die außerbetrieblichen Eigentums- und Vermögensdelikte .................... 195 2. Die Gewaltstraftaten ........... . ...................... . ....................... 195 IV. Die nichtstrafbaren, kündigungsrelevanten Verfehlungen gegenüber dem Arbeitgeber ............................................................................... 196 1. Die Arbeitsverweigerung ..................................................... 196
2. Die Androhung der Arbeitsverweigerung ..................................... 197 3. Die Kündigung wegen Erkrankung des Arbeitnehmers im Urlaub und wegen Krankfeierns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Die Kritik am Arbeitgeber .................................................... 199 5. Die Anschwärzung des Arbeitgebers bei öffentlichen Institutionen und Behörden ........................................................................... 201 6. Die Konkurrenztätigkeiten durch die Arbeitnehmer und das Wettbewerbsverbot ............................................................................ 202 7. Die Verletzung von Offenbarungspflichten .................................... 205 a) Die Pflicht zur Anzeige von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 206 b) Die Pflicht zur Anzeige bezogener aber nicht geschuldeter Leistungen .... 207 c) Die Pflicht zur Anzeige von Straftaten im Betrieb......................... 208 d) Die Pflicht zur Anzeige von strafrechtlichen Verurteilungen ............... 208 e) Die sonstigen Offenbarungspflichten ................................... . .. 209 8. Pflichtwidrige Nebentätigkeiten ............................................... 210 9. Der Verstoß gegen ein betriebliches Alkoholverbot. ... . .. . .. . . . ... . . . . . ... . . .. 211 10. Sonstige Gründe vor oder während der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses.... 212
§ 4 Die Kündigung wegen des Verdachts einer Verfehlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 213
I. Die Verdachtskündigung im Spiegel der Rechtsprechung und Literatur ..... . . . . . .. 213 1. Die Verdachtskündigung in der Rechtsprechung............................... 214
2. Die Voraussetzungen für die Verdachtskündigung im einzelnen ............... 215 3. Die Positionen des Schrifttums................................................ 216 a) Die Verdachtskündigung als Problem der Beweislastverteilung ............ 216 b) Der Verdacht als bloßer Anlaß zur Ermittlung der Tat ..................... 217
Inhaltsverzeichnis
15
c) Die Beschränkung der Verdachtskündigung auf besondere Vertrauensverhältnisse .................................................................. 217 d) Der Verdacht als Grund für den Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer und dessen Eignung.................................................. 218 11. Die Anwendung der Grundsätze des Vertrauenswegfalls auf die Verdachtskündigung .............................................................................. 218 1. Die Verdachtskündigung als Kündigung wegen Vertrauensverlusts ............ 218 2. Die einzelnen Voraussetzungen der Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls ............................................................... 220 a) Die Erforderlichkeit einer zurechenbaren Verdachtshandlung .............. 220 b) Die Erforderlichkeit eines Vertrauensverlusts ............ . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 aa) Die Störung des Vermögensschutzinteresses des Arbeitgebers......... 221 bb) Die Störung des Integritätsinteresses des Arbeitgebers
223
cc) Die Störung des Loyalitätsinteresses des Arbeitgebers ......... . ...... 224 c) Die Anforderungen an den Verdacht....................................... 224 aa) Die Wechselwirkung zwischen Vertrauenstatbestand und dem Verdacht ................................................................. 224 bb) Die objektiven Verdachtsmomente .................................... 225 cc) Die Dringlichkeit des Verdachts ...................................... 225 dd) Die Nachforschungs- und die Anhörungspflicht des Arbeitgebers ..... 226 d) Die Beweisanforderungen bei der Verdachtskündigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227 § 6 Die DruckkÜDdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227 § 7 Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts in besonderen Arbeitsverhältnissen
229
I. Die außerordentliche Kündigung bei ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern ..... 229
11. Die Kündigung leitender Angestellter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 230 III. Die Kündigung im Berufsausbildungsverhältnis ................................... 231 § 8 Die Ergebnisse ................................................................... 232
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236
1. Teil
Der Vertrauens wegfall als Kündigungsgrund für das Arbeitsverhältnis I. Abschnitt
Die Einleitung In modemen sozialen Gesellschaften, die sich durch organisierte Arbeitsteilung, gegenseitige Verantwortung und eine gleichmäßige Risikoverteilung auszeichnen, ist das Vertrauen die Komponente, die das Gefüge des friedlichen Miteinanders zusammenhält. Das gegenseitige Vertrauen ist schlechthin die Grundlage aller menschlichen Beziehungen. Vertrauen ist vor allem ein moralischer Wertbegriff in christlichen Kulturkreisen. Fikentscher hat in seiner Methodenlehre 1 dargestellt, wie sich verschiedene Gesellschaftstypen gerade durch das Bestehen oder Nichtbestehen von Querverbindungen unter den Menschen unterscheiden, ohne damit eine Wertung zu verbinden. Er bezeichnet die christlichen Kulturen ebenso wie schon die vorchristliche griechische Polis als besonders organisierte Gesellschaften. Die Ableitung der menschlichen Treuebindungen untereinander zieht er für das Christentum vor allem aus dem Treueverhältnis jedes Einzelnen zu einer göttlichen Instanz 2 . Wer Vertrauen in einen gerechten Gott aufbauen könne, und wer wisse, daß dieses Vertrauen belohnt werde, sei auch in der Lage, seinen Mitmenschen zu vertrauen. Vertrauen ist also ein existentieller Grundwert der abendländischen Kultur. Die Fähigkeit zu vertrauen, wurzelt auf dem griechischen Ideal der Wahrheit und Wahrhaftigkeit, dem römischen Ideal der Gesetzestreue und Redlichkeit und dem christlichen Glauben an den Eigenwert der Persönlichkeit 3 . Diesen Gesellschaftsformen mit ausgeprägten Querverbindungen hat Fikentscher die sogenannten fragmentierten Kulturformen gegenübergestellt, wie den Islam oder auch den Kommunismus, in denen das Individuum als solches keinen besonderen Stellenwert erfährt, sondern vorrangig der allumfassende Wille 1 Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I S. 269 ff. zum Rechtsverständnis im Judentum und Christentum in methodischer Hinsicht. 2 Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. I, nennt als Ursprung dieser Treuebeziehung der Menschen zu Gott und untereinander insbesondere den prophetisch-jüdischen Glauben, vorgetragen etwa von Deutero-Jesaja und David. 3 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 121.
20110
18
1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
Gottes 4 , bzw. die Gesamtheit zählt5 . Typischerweise werden dort menschliche Werte und erwünschte Verhaltensweisen einseitig vom Staat vorgegeben statt demokratisch legitimiert 6 . Das Vertrauen in die Mitmenschen wird gedämpft durch staatliche Überwachung oder, wie im Islam, durch die Vorgabe religiöser Gebote, die zugleich weltliche Gesetze sind. Als ein wichtiges Element der islamischen Ethik gilt "das fehlende Band, das Miß-Trauen zwischen den Menschen,,7. Solche Gesellschaftsformen zeichnen sich oft durch doktrinäre Regierungen aus, etwa den kommunistischen Einparteienstaat 8 oder den fundamentalistischen "Gottesstaat". Eine Demokratie aber, die durch den Austausch von Meinungen im Parlament und durch Wahlen lebt, ist auf diese Weise nicht denkbar9 . Eine demokratische Gesellschaft, in der einer dem anderen mißtraute, würde in wachsamer Skepsis der Menschen untereinander stagnieren. Die menschliche Kommunikation wäre gehemmt. Weil es auch an einer einseitigen staatlichen Vorgabe und gewaltsamen Durchsetzung von gesellschaftlichen Zielen fehlte, ginge niemand ein Risiko ein. Von Lenin stammt die Behauptung, daß Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei 10. Permanente Kontrolle bedeutet jedoch nichts anderes als ständiges Mißtrauen 11. Eine solche Doktrin kann nicht die Grundlage einer demokratischen Gesellschaft sein, weil sie gewaltsam durchgesetzt werden müßte. Das gilt sowohl für Völkergemeinschaften, als auch für kleinste soziale Zusammenschlüsse, wie etwa die Ehe. Im Arbeitsverhältnis ist die Kommunikation anders als in der Ehe zwar auf sachliche, statt private Aspekte ausgerichtet, doch kann sie, wie in 4 Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I S. 122 bezeichnet das als die "Monokausalität des Islam", wonach Bindungen unter den Menschen verbotene Absicherungen gegen gottgewollte Risiken sind, die vom Menschen weder beschränkt noch beseitigt werden dürften. Eine Treuebeziehung zu Allah besteht nicht (S. 308). S Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Werke, Bd. 3 S, 74 behaupteten nämlich: ,,Erst in der Gemeinschaft ( ... ) wird also die persönliche Freiheit möglich" Lenin, Entwurf eines Programms unserer Partei, in: Werke Bd. 4, S. 230 schloß daraus für den Aufbau des sozialistischen Staates, daß "die Interessen der gesellschaftlichen Entwicklung höher als die Interessen des Proletariats" gestellt werden müßten. (aus: Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, S. 412 ff. ). 6 Legitimes Mittel zur Durchsetzung der sozialen Revolution war daher auch die Gewaltanwendung gegen das herrschende System (Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, a. a. 0., S. 412). 7 Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I S. 310, 311 verweist auf diese antikollektivistische Tendenz des Islam. Weil Allah Leid zufüge dürfe und ihm Gehorsam geschuldet werde, fehle das Vertrauensmoment. Man traue Gott nicht, also traue man auch den Menschen nicht. Als Beispiel werde daher das Liegenlassen von Gegenständen als Dereliktion betrachtet, Vieh werde nachts nicht alleine auf der Weide gelassen. 8 Bezeichnenderweise auch die "Diktatur des Proletariats" genannt (Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, a. a. 0., S. 399). 9 Das Verfassungsrecht gibt vor, daß die Regierung durch das Vertrauen des Parlaments getragen wird, bei Entziehung hat sie zurückzutreten (Art. 67, 68 GG). lO Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I S. 123. 11 Das belegt die hohe Spitzeldichte in der ehemaligen DDR, die viel höher ausfiel, als im Nationalsozialismus.
1. Abschn.: Die Einleitung
19
der Ehe, gleichermaßen essentielle Grundlage der Beziehung sein. Wie es in der Ehe unersetzliche Voraussetzung ist, daß die Partner sich aufeinander verlassen können, kann auch das Eingehen oder Aufheben eines Arbeitsverhältnisses davon abhängen, daß sich die Parteien vertrauen. Gerade wegen solcher Parallelen wurde immer wieder versucht, im Arbeitsverhältnis mehr zu sehen als ein einfaches schuldrechtliches Austauschverhältnis. Vertrauen ist in der Demokratie der tragende Bestandteil aller menschlichen Gruppierungen, sei es die Familie, der Verein, die personenrechtliche Gesellschaft, die politische Partei. Das Vertrauen ist als Basis der friedlichen Kommunikation nicht nur schlechthin konstituierend für das demokratische Rechtssystem, sondern auch für die freie Marktwirtschaft. Daß es dort eine Grundlage für die Privatautonomie bildet, ist heute eine selbstverständliche Einsicht. Privatautonomie ist die Befugnis eines Individuums, seine Rechtsbeziehungen zu anderen Personen selbst zu regeln 12. Das Mittel zur Verwirklichung der freien Selbstgestaltung ist das Rechtsgeschäft 13 . Für dieses gilt der Grundsatz pacta sunt servanda l4 , deshalb spielt der Vertrauensgedanke in der Rechtsgeschäftslehre 15 eine wesentliche Rolle l6 . Die Idee der Vertragsfreiheit hat das BGB dem Recht der Verträge mit Selbstverständlichkeit zugrunde gelegt (§ 305 BGB), doch erst der Liberalismus der Weimarer Republik hat sie ausdrücklich manifestiert (Art. 152 WRV). Privatautonomie kann aber nur funktionieren, wenn rechtsgeschäftliche Versprechen im allgemeinen eingehalten werden. Eine der Maximen, die Kant auf ihre Vereinbarkeit mit dem kategorischen Imperativ überprüfte, war die, ein Versprechen zu geben in der Absicht, es nicht zu halten 17. Kant meinte, man könne nicht wollen, daß diese Maxime ein allgemeines Gesetz werde, da es sonst bald keine Versprechen mehr gäbe l8 . Der Gedanke des Liberalismus, den Kant vertrat, nennt die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als oberstes sittliches Gebot l9 , kommt aber ohne eine sozialethische Komponente nicht aus. Larenio nennt als solche das Vertrauensprinzip 12 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 413; nach BVerfGE 71, ISS (170) ist Privatautonomie "das Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen". 13 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 413. 14 Zwar ist der Grundsatz pacta sunt servanda ebenfalls kein Teil der geschriebenen Privatrechtsordung, doch steht ihm gleichermaßen der Rang einer unverzichtbaren Funktionsvoraussetzung für eine freiheitlich verfaßte und auf der Privatautonomie basierende Privatrechtsordung zu, vgl. hierzu Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 m. w. N. u. a. auch zu den vernunftrechtlichen Wurzeln. 15 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 ff., 257. 16 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 412. 17 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, S. 403 ff. 18 Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, S. 52, regte angesichts der oftmals aber anderen Wirklichkeit an, man möge einem Versprechen immer hinzufügen "es auch wirklich halten zu wollen". 19 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, IV, S. 403 ff.; 11. Abschnitt, § 37. 20 Larenz, BGB AT, S. 43 f.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
des BGB. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Privatautonomie einerseits und dem Vertrauensprinzip andererseits wird gerade anhand des Kündigungsrechts nach § 626 BGB besonders deutlich. In der bei jeder Kündigung aus wichtigem Grund vorzunehmenden Einzelfallprüfung ist zu Lasten des Selbstbestimmungsrechts des Kündigenden zu entscheiden, wenn das Kontinuitätsinteresse des zu Kündigenden überwiegt. Andererseits genießt der Gekündigte auch keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf den Fortbestand des Vertrags, wenn überwiegende Vertragsinteressen des Kündigenden verletzt worden sind 21 . Denn der Rechtsgrundsatz "paeta sunt servanda" wird durch den universal geltenden Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht und damit auch durch das Kriterium der Zumutbarkeit der Vertragsbindung. Der Grundsatz "paeta sunt servanda" beinhaltet daher gleichsam die Pflicht der Vertragsparteien, schützenswerte Vertrauensinhalte zu achten. Wer dennoch das (schutzwürdige) Vertrauen der anderen Vertragspartei enttäuscht, macht es ihr unzumutbar, an dem Vertrag festzuhalten und handelt treuwidrig, wenn er die Aufrechterhaltung der Bindung trotz Unzumutbarkeit fordert.
2. Abschnitt
Das Ziel und der Gang der Untersuchung Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts ist keine Besonderheit des deutschen Rechts. Das belegen die Diskussionen in anderen Rechtsordnungen. Dort sind Tendenzen feststellbar, die teilweise auch die deutsche Rechtsprechung verfolgt, nämlich die Objektivierung von Kündigungsgründen und die Fallgruppenbildung. Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion der Möglichkeit eines einheitlichen Schuldrechts in Europa 1 sollen daher die Anknüpfungspunkte für Kündigungen wegen Vertrauensverlusts in anderen Rechtsordnungen kurz skizziert werden. Auf den soziologischen, kulturellen und rechtlichen Hintergrund vertrauensbedingter Kündigungen im deutschen Recht wird sodann bei der Bestimmung des wichtigen Grunds ausführlich einzugehen sein. Anhand der Ursprünge des deutschen Kündigungsrechts soll belegt werden, daß der Vertrauenswegfall ein bekannter Grund für außerordentliche Kündigungen ist. Ausgehend von dieser einleitenden Darstellung erfolgt die Kemuntersuchung der Arbeit, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauenswegfall im Arbeitsverhältnis aus heutiger Sicht ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB sein kann. Dort werden Vertrauenstatbestände aufgezeigt, deren Bildung und Strukturierung für den rechtlichen Umgang mit dem Vertrauensbegriff unerläßlich sind. Denn von zentraler Bedeutung ist die "Objektivierung von Vertrauenstatbeständen,,2, weil Vertrauen als solches 21 I
Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 ff., 257. Vgl. Armbrüster, Ein Schuldvertragsrecht für Europa? RabelsZ 60 (1996), S. 72 ff.
2. Abschn.: Das Ziel und der Gang der Untersuchung
21
nur ein "Blankettbegriff,3 ist. Dabei steht die Feststellung im Vordergrund, daß es zwar ein allgemeines Vertrauensprinzip im BGB gibt, dieses aber als Rechtsinstitut im Sinne einer Sammlung von Rechtssätzen nicht zur Rechtsgewinnung für außerordentliche Kündigungen herangezogen werden darf. Es hat als solches keine Gerechtigkeitsaussage, sondern ist nur eine Vollständigkeitskontrolle. Der Begriff des Vertrauensprinzips wird zu vielseitig verwendet, als daß es gerechtfertigt erscheint, ohne ein dogmatisches Fundament daraus allgemeingültige Rechtssätze ableiten zu können. Deshalb wird untersucht, inwiefern von einem Prinzip des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge im BGB gesprochen werden kann als einem Bruchteil dessen, was das Vertrauensinstitut im deutschen Recht ausmacht. Das Ergebnis hilft der Bildung objektiver Vertrauenstatbestände im Arbeitsverhältnis, deren Beeinträchtigung eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen kann. Ferner werden daraus Rückschlüsse für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens im Arbeitsverhältnis gezogen, welche für die Fragen des Kündigungsrechts gleichermaßen entscheidend ist, wie die Feststellung objektiver Vertrauenstatbestände 4 . Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienen im zweiten Teil, der auch als "Besonderer Teil" betrachtet werden kann, als Maßstäbe zur Beurteilung einzelner Sonderfälle der Kündigung wegen Vertrauens verlusts. Wenn auch viele dieser Sonderfälle als eigenständige Kündigungsgründe behandelt werden, findet sich in allen das entscheidende Kriterium der Einwirkung auf die Vertrauenssphäre als Beleg der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers bzw. als Motiv der Kündigung. Daß sie mithin eine eigene Kategorie personenbedingter Kündigungsgründe bilden, in denen der Vertrauensfortfall eine objektive Kündigungsvoraussetzung und nicht nur ein subjektiv zu bestimmendes Zumutbarkeitskriterium ist, ist die tragende Idee dieser Untersuchung. Das Ergebnis soll der Bewertung von Kündigungssachverhalten im Vertrauensbereich dienen. Denn dort lassen Rechtsprechung und Literatur anders als bei Kündigungen im Leistungsbereich klar umrissene Voraussetzungen vermissen. Der Begriff des Vertrauensbereichs bietet daher immer wieder Anlaß zur pauschalen, oft unbestimmten Verwendung, so daß vereinzelte Kritiker sogar die teilweise Abkehr von dieser systematischen Unterscheidung fordern 5 . Insbesondere die Unterscheidung von Leistungs-Vertrauens- und Betriebsbereich im Hinblick auf das Erfordernis der Abmahnung hat sich als wenig praktikabel erwiesen 6 . Auch das Bundesarbeits2 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 364; Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, S. 66; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 132 f.; ebenso StolI, Vertrauensschutz bei einseitigen Leistungsversprechen, FS für Flume zum 70. Geburtstag, Bd. 1, S.741. 3 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 215. 4 Vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 364. 5 Preis in Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 375, legt z. B. dar, daß die Differenzierung im Hinblick auf die Abmahnung ungerechtfertigt sei; Staudinger/ Preis, BGB § 626 Rdnr. 116. 6 Staudinger/Preis § 626 BGB Rdnr. 117; MünchKomm/Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 42; Erman/Belling § 626 BGB Rdnr. 49.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
gericht stellt nunmehr darauf ab, ob eine Störung im Vertrauensbereich beseitigt werden kann. Insbesondere bei steuerbarem Verhalten sei es denkbar, daß Vertrauen wiederhergestellt werden könne 7 • Wegen der teilweise widersprüchlichen RechtsprechungS und mangels hinreichender dogmatischer Erklärungen, ist die Stärkung des Vertrauens als Kündigungsgrund einer der umstrittenen Bereiche des Kündigungsrechts. In der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird dafür das Stichwort "Störung des personalen Vertrauensbereichs u9 verwendet, vor allem im Hinblick auf Verdachts- und politische Kündigungen und außerdienstliches Verhalten. Dagegen richtet sich die Kritik eines großen Teils des Schrifttums 10, das der Rechtsprechung vorwirft, in ein "diffuses Vertrauens- und Gemeinschaftsverständnis" zurückzufallen, indem die subjektive Definition von Vertrauensinteressen zum Kündigungsgrund erhoben werde tt . Statt dessen seien Kündigungsgründe generell nach der Funktion des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen, die primär in der Erbringung vertraglich geschuldeter Leistungen liege und nicht in der Gewährung gegenseitigen Vertrauens. Daß darin nicht zwingend ein Widerspruch liegt, soll diese Untersuchung zeigen. Gerade das Kündigungsrecht hat in dem Zusammenhang immer wieder Anlaß gegeben, die Funktion und die Natur des Arbeitsverhältnisses neu zu definieren. Als Extreme stehen sich dabei die Idee des personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses sowie die Reduzierung auf das bloße schuldrechtliche Austauschen von Arbeitsleistung gegen Entlohnung gegenüber. In diese Richtungen soll die Untersuchung für die Bestimmung des Vertrauenswegfalls als Kündigungsgrund gehen. Auf diesem Ansatz beruhen die Hauptthesen dieser Untersuchung. Sie lauten: 1. Der Vertrauenswegfall im Arbeitsverhältnis ist ein historisch gewachsener, auch im ausländischen Recht anerkannter selbständiger, objektiver Kündigungsgrund für den Arbeitgeber.
7 BAG, NZA 1997, S. 1281 ff., für den Fall einer schweren Alkoholisierung eines Berufskraftfahrers im Privatbereich. 8 Das BAG wendet sich in der Entscheidung NZA 1997, S. 1281 nunmehr bewußt von der früheren Rechtsprechung ab, zunächst war eine Abmahnung im Vertrauensbereich generell entbehrlich (BAG AP Nr. I zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; BAG AP Nr. I zu § 64 SeemG); abweichend dann für des Fall, daß der Arbeitnehmer annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig, bzw. werde vom Arbeitgeber hingenommen (BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit; AP 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Differenziert hatte dagegen bereits das ArbG Hannover bei der Verbreitung ausländerfeindlicher Schriften, BB 1993, S. 1218 ff., für den Fall, daß die Abmahnung erfolgversprechend ist. 9 BAG AP Nr. 13 zu § 626 BGB; BAG DB 1986, S. 1726, 1727; Maus § 1 KschG Rdnr. 176. 10 MünchKomm/ Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 2 f.; Schwerdtner ARS. 131 f., 186 ff.; Wallmeyer, Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund, S. 86; ütto, Personale Freiheit und soziale Bindung, S. 65 f. 11 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 363.
3. Abschn.: Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfal\
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2. Das BGB enthält ein allgemeines Rechtsprinzip, das besagt, daß ein VertrauensmangeI zur Loslösung vom Vertrag berechtigt, die Kündigung nach § 626 BGB ist davon ein Unterfall. 3. Die objektiven Vertrauenstatbestände sind im Arbeitsverhältnis zum einen die geschützte Vertrauensposition zur Respektierung und zum Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers und zur Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb und zur Loyalität. Diese Vertrauenstatbestände müssen privatautonom ausgestaltet worden sein. Schützenswert sind mithin nur die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschaffenen Vertrauenstatbestände. 4. Aus diesem hier zu skizzierenden Prinzip sind die folgenden Voraussetzungen für die Kündigungen wegen Vertrauensfortfalls zu ziehen: a) Der kündigungsrelevante Vertrauenstatbestand des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer muß in jedem Fall privatautonom, das heißt vertraglich, nebenvertraglich oder anläßIich des Vertrags, etwa durch praktische Übung spezifiziert worden sein. b) Das Vertrauen muß objektiv, d. h. durch Tatsachen enttäuscht worden sein. c) Es ist im Vertrauensbereich nur schutzwürdig, wenn es auf das berechtigte Interesse des Arbeitgebers auf Schutz seines Eigentums und Vermögens (Vermögensschutzinteresse), auf Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb (Integritätsinteresse) oder auf Loyalität und Wahrung der Unternehmensziele (Loyalitätsinteresse) gerichtet ist. d) Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist der Vertrauensverlust als ein objektiver, wichtiger Kündigungsgrund in das System der anerkannten Kündigungsgründe nach § 626 BGB einzureihen.
3. Abschnitt
Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfall in der Rechtsvergleichung Der Zusammenhang zwischen Vertrauensverlust und außerordentlicher Kündigung wurde nicht nur in der deutschen Rechtsprechung und Literatur hervorgehoben und darin ein Problem der Abgrenzung subjektiver und objektiver Kündigungsgründe gesehen. Die folgende Darstellung unterbreitet keine Lösungsvorschläge für das deutsche Kündigungsrechtl. Der rechtsvergleichende Ausblick kann vielmehr nur die Unterschiede aufzeigen und im Hinblick auf die verschiede1 Einen al\gemeinen Überblick gewährt Mozet, Kündigungsschutz in Arbeitsverhältnissen - Ein Überblick über die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, NJW 1998,S. 128ff.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
nen Umgehensweisen mit dem Kündigungsrecht Zweckmäßigkeitserwägungen ermöglichen. Auch in anderen Rechtsordnungen werden objektive Gründe, wie Tatsachen, etwa bewiesene Straftaten im Betrieb, und rein subjektive Gründe für das Recht zur außerordentlichen Kündigung unterschieden 2 . Um einen subjektiven Grund handelt es sich z. B., wenn ein Arbeitgeber den schlechten Charakter eines Angestellten kritisiert 3 . Überwiegend wird aber vertreten, daß nur objektive, also auf Tatsachen gestützte Gründe rechtlich beachtlich sind4 . Die objektiven Gründe müssen bei außerordentlichen Kündigungen außerdem wichtig seins. Das ist regelmäßig der Fall bei Pflichtverletzungen, die sich unmittelbar negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirken oder zumindest die potentielle Gefahr einer Schädigung in sich tragen 6 und dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Teilweise gilt das Verschuldensprinzip im Kündigungsrecht und vielfach wird die objektivierte Betrachtungsweise des Kündigungssachverhalts durch einen verständigen dritten Beobachters gefordert.
I. Das englische Recht
Nach englischem Recht enthält das Arbeitsverhältnis eine besondere Vertrauensbeziehung, eine relationship 0/ conjidence and trust, die von beiden Parteien des Arbeitsverhältnisses gleichermaßen 7 zerstört werden kann. Der Vertrauensverlust resultiert in erster Linie aus einer konkreten, schuldhaften Verfehlung des Arbeitnehmers. Der außerbetriebliche Bereich wird regelmäßig nicht erfaßt. Eine Verfehlung kann in einer Straftat liegen, einer unsittlichen Handlung oder einem sonstigen Verhalten, das den Angestellten diskreditiert. Nur bei schwerem Fehlverhalten, gross misconduct, kann fristlos gekündigt werdens. Der Arbeitgeber muß nicht beweisen, daß der Arbeitnehmer die fragliche Verfehlung verübt hat. Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten "Burchell-test.,9 genügt aber der Nachweis des Arbeitgebers, daß er an die Schuld des Arbeitnehmers für ein Fehlverhalten glaubt 10, seine Überzeugung auf vernünftigen Gründen beruht 11 und er die Angelegenheit sorgfaltig untersucht hat 12. Der Arbeitgeber muß unter Abwägung dieses Sehr weit geht bisweilen die französische Rechtsprechung, vgl. nachfolgend unter 11. Precis Dalloz, droit du travail, Rz. 299, S. 338. 4 Cour de Cassation Soc. 29. nov. 1990, RJS 91.15; CSBP n° 26, A5. S Art. L. 122-14-2; L. 122-14-3. 6 Cour de Cassation, Decernber 221955. 7 Woods v. W. M. Var Services (Peterborough) Ltd. [1981], I.C.R. 666, 672. 8 § 49 EPCA des Ernployrnent Protection Consolidation Act 1978. 9 British Horne Stores LId. v. Burchell [1980] I.C.R. 303, 304; siehe auch Monie v. Coral Racing Ltd. (C.A.),[1981] I.C.R. 109, 121. 10 British Horne Stores Ltd v Burchel1 (1980) ICR 303n, (1978) IRLR 379, EAT. 11 was gewöhnlich bedeutet, daß der Glaube durch objektive Tatsachen gestützt wird: Morely's of Brixton LId v Minott (1982) ICR 444, (1982) IRLR 270, EAT. 2
3
3. Abschn.: Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfall
25
Dreiklangs mit den entlastenden Umständen eine Entscheidung getroffen haben, die jeder andere, vernünftige Arbeitgeber auch gefallt haben würde. Auf der Grundlage eines derart objektivierten Arbeitgeberhorizonts wurde z. B. in S.&U. Stores v. Bessant (1982)13 eine Kündigung wegen des Verdachts des Bruchs der Vertraulichkeit von Daten gerechtfertigt, weil der Verdacht schwer sowie der befürchtete Schaden derart substantiell war, daß es einem vernünftigen Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden konnte, ein weiteres Risiko einzugehen l4 . Geringere Anforderungen 15 wurden in Monie v. Coral Racing Ltd. 16 an den Kündigungsgrund gestellt. In diesem Fall stand fest, daß von zwei Arbeitnehmern entweder einer oder beide Geld aus einem Tresor entnommen hatten, keinem konnte aber die Tat nachgewiesen werden. Die Kündigung bei der Arbeitnehmer wurde vom Court of Appeals gebilligt (sog. blanket dismissal cases). In der englischen Rechtsprechung werden damit zwei grundsätzliche Problembereiche bei Kündigungen wegen Vertrauensverlusts behandelt. Zum einen die Objektivierung von Kündigungsgründen, zum anderen im Zusammenhang mit dem Institut der Verdachtskündigung die Unschuldsvermutung des Strafrechts bzw. des Art. 6 EMRK 17 •
11. Das französische Recht Anders als die englische Rechtsprechung hat in Frankreich die Cour de Cassation in älteren Entscheidungen teilweise Kündigungsgründe 18 ohne objektiven Charakter zugelassen. Gerade im Hinblick auf den Verlust des Vertrauens in den Arbeitnehmer ist das bedenklich. Das Gericht erkannte z. B. den schlichten Verlust des Vertrauens in die Eignung des Arbeitnehmers oder in die Erfüllung seiner Vertragspflichten 19 als Entlassungsgrund an. In einem Fall war ohne den Nachweis einer Verfehlung, ohne daß ein Akt der schlechten Gesinnung vorlag, einer Arbeitnehmerin wegen Vertrauenswegfalls gekündigt worden 20 . Der Vertrauensverlust ILEA v Gravett (1988) IRLR 497, EAT. S&U Stores v Bessant, [1982], Besprechung in Fraser Younson with Baker & McKenzie, Emp10yment Law, S. 80. 14 Fraser Younson with Baker & McKenzie Employment Law S. 74 ff. (80). 15 Solid and sensible grounds on wh ich the employers could reasonably infer or suspect dishonesty 16 I.C.R. [1981]109, 122. 17 Eingehend hierzu Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11 ff.; ders. Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S.223. 18 Nach Art. L 122-14-3 Code du Travail ist ein tatsächlicher und wichtiger Grund nötig, ein motiv ree! et serieux. Allerdings ist auch ohne einen solchen Grund die Kündigung wirksam, in Betracht kommt dann nur die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers. 19 Soc. 6 juill. 1983, Goupil, Bull. V, p. 281; Soc. 22 oct. 1981, Bull. V, p. 607, n 817; Soc. 29 fevr. 1984, S. A. Delaunay Freres, Bull. V, p. 58, n 76; Soc. 17 dec. 1987, Jur. soc. U.I.M.M. 1988, p. 49. 12
13
1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
26
wurde allein damit begründet, daß der Ehemann der Angestellten zuvor vom selben Arbeitgeber entlassen worden war. Vermutet wurde vom Arbeitgeber, die Loyalität der Angestellten sei wegen der Meinungsverschiedenheiten zweifelhaft. Wegen möglicherweise fehlender Loyalität wurde auch ein Angestellter entlassen, dessen Ehegattin ein Konkurrenzunternehmen aufgebaut hatte 21 . Damit wurden bloße Motive der Arbeitgeber zur Kündigung akzeptiert und an nur mittelbar auf das Arbeitsverhältnis einwirkende Tatsachen belegt. Trotz der Kritik an dieser Rechtsprechung haben zahlreiche Gerichte allein den Vertrauenswegfall ohne Ableitung aus nachprüfbaren bzw. nachvollziehbar ursächlichen Tatsachen zur außerordentlichen Kündigung genügen lassen 22 . In der französischen Lehre wurde diese Rechtsprechung als ideologischer Sieg des Unternehmertums gewertet 23 . Indem die Gerichte den bloßen Vertrauenswegfall zum wichtigen Grund erhoben, vorausgesetzt der Arbeitgeber kann seine persönlichen Motive plausibel darlegen, ist der Kündigungsschutz stark zum Nachteil des Arbeitnehmers eingeschränkt worden. Anders als die englische Rechtsprechung, welche die (objektive) Betrachtung des "verständigen Unternehmers" voraussetzt, ist die Abwägung der Wichtigkeit des Grunds im Einzelfall weitgehend dem Unternehmer überlassen worden, wodurch in Frankreich der Vertrauensverlust ein nahezu unanfechtbarer Kündigungsgrund gewesen ist. Auch erleichtert in Frankreich nicht, wie in den meisten anderen Ländern, eine Umkehr der Beweislast dem Arbeitnehmer die Prozeßführung 24 . Die Arbeitsrichter, angewiesen auf die Perspektive des Unternehmers selbst, verfuhren daher im Zweifel nach dem Grundsatz "in dubio pro operario,,25. Die Unternehmerfreundlichkeit der französischen Kündigungsrechtsprechung zeigt sich auch darin, daß sie keinen Wiedereinstellungsanspruch kennt, sondern bei unrechtmäßiger Kündigung nur die Verpflichtung zum Schadensersatz. Für die Kündigung wegen des Verdachts einer Straftat geht die Rechtsprechung mittlerweile aber andere Wege. Dort soll es nunmehr auf den objektiven Nachweis der Verfehlung ankommen. Als eine Angestellte im Verdacht stand, anonym Anschuldigungen gegen ihren Arbeitgeber an ein Konkurrenzunternehmen weitergegeben zu haben, ließ das Gericht eine Kündigung wegen dieses Verdachts mangels stichhaltiger Beweise nicht zu und verwies darauf, daß zunächst abzuwarten sei, ob die Schuld der Angestellten in einem parallel verlaufenden Strafprozeß nachgewiesen werden könne 26 . Soc. 26 juin 1980, Voisin, Bull. V, p. 431, n 573. Gaudu, Droit Social, N I, Janvier 1992, S. 32 ff. (33); Parallelen bei: ArbG Ludwigshafen, ArSt. 1968, S. 168. 22 Soc. 6 juill. 1983, Goupil, Bull. V, p. 281, Soc. 22 oct. 1982, Bull. V, p. 607, n 817; Soc. 29 fevr. 1984, S.A. Delaunay Freres, Bull. V, p. 58, n 76; Soc. 17 dec. 1987, Jur. soc. U.I.M.M. 1988, p. 49. 23 Gaudu ,.Le licenciement pour perte de confiance", Droit Socia1 NI Janvier 1992, S. 32 (33). 24 Javillier, Droit Du Travail, Rdnr. 231, S. 180. 25 Javillier, Droit Du Travail, Rz.231, S. 180. 26 Arret du 29 fevrier 1984. Bull. n 76, p. 58. 20
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3. Abschn.: Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfall
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Auch in der neueren Literatur wird bezweifelt, daß die Vertrauenskündigungen wegen Verdachts von Straftaten im Wege dieser Rechtsprechung noch zulässig sind27 . Überwiegend wird daher anzunehmen sein, daß nur objektive, auf Tatsachen beruhende Gründe rechtlich beachtlich seien 28 . Die objektiven Gründe müssen zudem wichtig sein und die Schuld des Arbeitnehmers belegen 29 .
IH. Das schweizerische Recht Das alte Schweizerische Gesetzbuch für die Kantone bestimmte, daß ein Dienstverhältnis jederzeit aus wichtigem Grunde aufgelöst werden konnte. Unter Übernahme dieser Formulierung in Art. 62 des alten Handelsgesetzbuchs, dem Beispiele angefügt wurden, sah Art. 64 vor, gegen "den Handlungsgehilfen kann insbesondere die Aufhebung des Dienstverhältnisses verlangt werden, wenn derselbe J. im Dienst untreu ist oder das Vertrauen mißbraucht, 2. ohne Einwilligung des Prinzipals für eigene Rechnung oder für Rechnung eines Dritten Handelsgeschäfte macht ( ... )" 30. Nunmehr bestimmt OR 337 Abs. I, daß jedes Arbeitsverhältnis fristlos durch eine außerordentliche Kündigung aufgehoben werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund ist gemäß OR 337 Abs. 2 nur dann gegeben, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum nächsten Kündigungstermin nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist. Das ist regelmäßig bei schweren VertragsverIetzungen und Straftaten zum Nachteil des Betriebs der Fall, sowie beim Vertrauensmißbrauch 31 . Der bloße Verdacht einer dieser Vorwürfe wird dagegen teilweise für die Rechtfertigung einer Kündigung abgelehnt32 • Die Unaufklärbarkeit der Verdachstmomente falle ausschließlich in den Bereich des Unternehmerrisikos. Der betroffene Unternehmer sei bei Lohnfortzahlung bis zur Aufklärung zu beurlauben. Ohne daß die nachgewiesene Schuld am Fehlverhalten als Voraussetzung für die außerordentliche Kündigung gilt, ist es bedenklich, diese Forderung gerade mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK zu begründen.
Gaudu, Droit Social, N I, Janvier 1992, S. 32 ff. Cour de Cassation Soc. 29. nov. 1990, RJS 91.1 5; CSBP n 26, AS. 29 Art. L. 122-14-2; L. 122-14-3; vgl. ferner zum "motif grave" das belgisehe Kündigungsrecht bei Magrez, L' evolution du droit de Iicenciement en Belgique, S. 525 ff., 531, FS Kahn-Freund In Memoriam. 30 Aus König, Zur näheren Bestimmung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, RdA 1969, S. 8 ff. 31 Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht § 12 BIll I. 32 Rehbinder, a. a. O. § 12 B III I. 27
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
IV. Die Rechtslage in Italien, Österreich und den Niederlanden Die außerordentliche Kündigung ist in Italien nur wegen rechtfertigender Tatsachen oder wegen eines gerechten (wichtigen) Grunds (il giustificato motivo e la guista causa 33 dellicenziamento) möglich. Als gerechter Grund gelten in erster Linie Verfehlungen im außervertraglichen Bereich, rechtfertigende Tatsachen beziehen sich auf Vertragspflichtverletzungen bzw. betriebsbedingte Erfordernisse. Dabei verfahren Rechtsprechung und Literatur im Vergleich zum deutschen Recht restriktiv mit dem Recht zur außerordentlichen Kündigung. Nach allgemeiner Meinung ist dafür ein verschuldetes oder zumindest vorwerjbares Verhalten des Arbeitnehmers erforderlich 34 . Die Kündigung hat daher einen disziplinarischen Charakter, was wiederum vielmehr subjektive Gründe erfassen kann, als das in Deutschland der Fall ist. Das wird in Italien auch als problematisch empfunden 35 . Kündigungen wegen Störungen im Vertrauensverhältnis (rapporto di fiducia) sind demnach immer an ein Verschulden des Arbeitnehmers geknüpft. Die Rechtsprechung hat für solche Kündigungen die folgenden (kumulativ zu prüfenden) Kriterien aufgestellt: Die Natur und Qualität des betroffenen Arbeitsverhältnisses, die Qualität und der Grad der Vertrauensbindung zwischen Arbeitgeber und -nehmer, die Bewertung der Tatsachen in objektiver bzw. subjektiver Hinsicht, die Unterscheidung nach Absicht und Fahrlässigkeit und schließlich die Schwere der objektiven und subjektiven Verletzung des Vertrauensverhältnisses36 . Im österreichischen Recht wird die Vertrauensbindung im Arbeitsverhältnis durch § 27 Nr. I AngG besonders deutlich: Danach ist ein wichtiger Grund zur Kündigung gegeben, wenn der Angestellte "sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt". Diese Regelung wurde als Teil des Rechts des Dienst- und Arbeitsvertrags durch die dritte Teilnovelle zum aBGB vom 19.3. 1916 umgestaltet und namentlich an das deutsche BGB und das schweizerische OR angepaße 7 . Der Wortlaut beschreibt die Kündigungsgründe nicht erschöpfend 38 , sondern nur demonstrativ. Als vertrauens33 Art. 2119 Ce. (Codice Civile) regelt die außerordentliche Kündigung. Die "giusta causa" entspricht im wesentlichen dem "wichtigen Grund" des § 626 BGB (Jahrbuch für italienisches Recht Band IV, Di Majo, Kindler, Hausmann, Produkthaftung, Handelsvertreter, Arbeitsrecht, S. 69). 34 Vg\. Jahrbuch für Italienisches Recht a. a. O. S. 69 m. w. N. 35 Licenziamento disciplinare - S. 137: "un ulteriore problema a lungo dibattuto: quello della possibilita di conversione dei Iicenziamento per giusta causa in licenziamento per giustificato motivo soggettivo". 36 cfr. per tutte Cass. 23 gennaio 1979, n. 509, in Riv. gi ur. lav., H, 1979,721: "la natura e qualita dei singolo rapporto intercorso fra le parti, la qualita e il grado dei particolare vincolo di fiducia intercorrente fra il lavatore e iI datore, la valutazione dei fatto commesso nella sua portata soggettiva ed oggettiva, I'intensita dell'e1emento intenzionale 0 colposo einfine la gravita oggetiva e soggettiva della lesione dei rapporto di fiducia". 37 RGB\. 1916 Nr. 69, Hinweis in Mo1itor/Hueck/Rietz1er, Der Arbeitsvertrag, S. 19; für Arbeiter gilt § 82 GewO 1859.
3. Abschn.: Der kündigungsrelevante Vertrauenswegfall
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unwürdig erweist sich z. B. der Angestellte, der nebenher eine Konkurrenztätigkeit ausübt und Arbeitnehmer seines Anstellungsbetriebs abzuwerben versuche 9 . Denn dann müsse der Arbeitgeber befürchten, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde und dadurch die dienstlichen Interesse gefährde. Die Rechtsprechung hat als Erfordernis nach § 27 AngG gefordert, es müsse sich um dienstliches Vertrauen handeln4o . Die Treuepflicht wird objektiviert als bloße "dienstliche Korrektheit,,41 betrachtet. Sie ist das Korrelat zu dem Vertrauen, das der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entgegenbringt, indem er ihm den Einblick in Details seines Geschäftsbetriebs und seiner Produktionsweise gewährt42 . In Bezug auf Konkurrenztätigkeiten ist daher im österreichischen Recht das Arbeitsverhältnis sehr störempfindlich. Die Handlungen, die das Vertrauen entfallen lassen können, müssen ferner - wie im italienischen Recht - pflichtwidrig und schuldhaft erfolgt sein43 . Sie müssen zudem die betrieblichen Interessen ernsthaft gefährden. So hat der OGH die Kündigung eines Großhandels vertreters für unzulässig erachtet, der an Kollegen Kataloge verteilte, die aus dem kleinen aber konkurrierenden Geschäft seiner Frau stammten 44 • Bloße Verdächtigungen bezüglich der Schuld und Pflichtwidrigkeit eines Arbeitnehmers, insbesondere bei Geld- und Warenmankos, sollen dabei nicht ausreichen 45 . Der Arbeitgeber hat vielmehr die Handlung und damit den konkreten Schuldvorwurf als Entlassungsgrund nachzuweisen 46 . Der Dienstnehmer kann allenfalls vom Dienst suspendiert werden47 . Einem nachfolgenden OGH-Urteil zu folge sollte aber auch schon der Versuch der Aufklärung durch den Arbeitgeber ausreichen, womit das strenge Erfordernis des Nachweises der Verfehlung wieder relativiert worden ist48 . Der Versuch der Aufklärung durch den Arbeitgeber setzt jedoch voraus, daß gerade der Nachweis nicht erbracht worden ist, so daß es in erster Linie darauf ankommen wird, ob wenigstens das Vertrauen in den Arbeitnehmer nachweislich entfallen ist. Ein tatsächlicher Eintritt einer Schädigung beim Arbeitgeber ist im weiteren nicht erforderlich. Es genügt die gerechtfertigte Befürchtung, daß das Arbeitgeberinteresse so sehr gefährdet ist, daß eine Weiterbeschäftigung unzumutbar ist. Petrovic hat festgestellt, daß die FraTaxative Aufzählungen enthalten z. B. die §§ 82, 101 Z I GewO in Österreich. OGH 4.6. 1985,4 Ob 68/85 in SZ 58/94 S. 452 ff. 40 OGH v 20.5.1961, Arb 7380. 41 Petrovic, Die Vertrauensunwürdigkeit als Entlassungsgrund nach § 27 Abs. I letzter Satz AngG, ZAS 1983, S. 49, 50. 42 Schwarz, Dauerschuldverhältnis und Dogmatik arbeitsvertraglicher Treuepflicht, FS für Wilburg zum 70. Geburtstag, S. 355,357. 43 OGH v 9.2.1960, Arb 7170. 44 OGH v 3. 3. 1964, Arb 7909. 45 Dungi, Handbuch Des Österreichischen Arbeitsrechts, S. 470 f.; Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, Entlassungsrecht, S. 63 f.; OGH v. 14. 10. 1980, SozM I AI d, 1247. 46 OGH Arb. 9862, 9238. 47 Petrovic, a. a. O. S. 60. 48 OGH Arb. 9906. 38
39
30
I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
ge nach dem Vertrauensverlust wegen der Vielfalt des Begriffs der Vertrauensunwürdigkeit keine abstrakte, sondern nur eine konkrete Antwort zuläßt. Der Weg führe allein über die Fallgruppenbildung und eine Einzelfallanalyse, nicht zuletzt deshalb, weil sich dann der einzelne Rechtsunterworfene darauf einrichten könne49 . Im niederländischen Recht zur außerordentlichen Kündigung wegen eines zwingenden (wichtigen) Grunds (Opzegging wegens een dringende redenso) wird das Merkmal des wichtigen Grunds in doppelter Hinsicht bestimmt. Zunächst muß der jeweilige, die Kündigung tragende Umstand, an sich geeignet sein, ein wichtiger Grund zu sein. Das bezeichnet man als die Objektivität des wichtigen Grunds (de objetiviteit van de dringende reden). Außerdem muß derjenige, der sich auf einen solchen abstrakten Kündigungsgrund beruft, glaubhaft machen, daß er selbst auch diesen Grund für wichtig hält. Das ist die Subjektivität (subjectiviteit) oder die ,,Dringlichkeit" des wichtigen Grunds (de dringendheid van de dringende reden )SI. Die Regeln des Kündigungsrechts zählen als (nicht abschließende Sammlung) Beispiele von wichtigen Gründen auf, die insbesondere den Vertrauensbereich zwischen den Parteien betreffen, wie z. B. die Täuschung bei Vertragsschluß und die Offenbarung von Geheimnissen s2 .
V. Das japanische Recht Das dem deutschen in vieler Hinsicht verwandte japanische Arbeitsrecht erkennt den Vertrauenswegfall generell als eigenen Kündigungsgrund an. Jedoch ist allgemeine Voraussetzung für jeden Kündigungsgrund zunächst, daß ihn die Arbeitsordnung des Betriebs oder der Tarifvertrag aufgeführt hat und mit ihm eine disziplinäre Entlassung verbindetS3 . Der Grund ist darin zu sehen, daß eine Kündigung als schwerste Disziplinarmaßnahme eine äußerst empfindliche Sanktion darstellt. Nach der Arbeitsordnung sind z. B. Kündigungen regelmäßig möglich, wenn Arbeitnehmer ordnungswidrig Kritik am Unternehmen üben. Nach der Rspr. kommt es dabei aber auf die konkrete Art und Weise der Kritik an, sowie den einzelnen Inhalt der Anweisungen. So entschied das OLG Tokio im sog. Seiroko-KokusaiByoin- Falls4 , daß die Verteilung von Flugblättern über die schlechten Zustände im Petrovic, a. a. O. S. 61. Artt. 6 lid 2 onder aBBA (Buitengewoon Besluit Arbeidsverhoudingen), 16390 lid I en lid 2 BW (Burgerlijk Wetboek), 21 WOR. 51 Das Merkmal der Dringlichkeit des wichtigen Grunds findet sich im deutschen Recht nur im Zusammenhang mit § lAbs. 2 S. I KSchG, wo es als Konkretisierung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit für die betriebsbedingte Kündigung verstanden wird, vgl. Dorndorf I Weller I Hauck § I KSchG Rdnr. 876. 52 Art. 1639p, 1639q BW (Burgerlijk Wetboek). 53 Mukooyama I Akuzawa I Hanau, Studien zum japanischen Arbeitsrecht, S. 210. 54 OLG Tokio vom 4.2.1976, siehe Mukooyamal Akuzawa/Hanau, S. 212. 49
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3. Abschn.: Der kündigungsrelevante Venrauenswegfall
31
Krankenhaus durch eine Krankenschwester kein Kündigungsgrund sei, weil sie die Nachrichten nur innerhalb des Hauses weitergab und diese den Tatsachen entsprachen. Gerade in solchen Präzedenzfällen gehen aber auch die Meinungen in Japan auseinander55 .
VI. Das Ergebnis der Rechtsvergleichung Im Ergebnis ist festzustellen, daß eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts in anderen Rechtsordnungen gleichermaßen anerkannt ist wie im deutschen Arbeitsrecht. Dennoch bestehen bedeutende Unterschiede in der Konzeption des Kündigungsrechts und in seinen Voraussetzungen. Die englische Rechtsprechung verfahrt sehr ähnlich der deutschen und auch der niederländischen. Sie fordert objektiv wichtige Kündigungsgründe (solid and sensible grounds) und die Betrachtung des Kündigungssachverhalts aus der Sicht eins objektiven Unternehmers. Für § 626 BGB wird gleichermaßen vorausgesetzt, daß der Kündigungssachverhalt an sich, generell, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein und auch die Fortführung des betroffenen Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen muß. Diese Betrachtung hat gleichermaßen aus der Sicht eins verständigen Betrachters zu erfolgen 56 . Das bedeutet für Kündigungen wegen Vertrauensverlusts die konzeptionelle Übereinstimmung der Anforderungen an die Vertrauenstatbestände. Diese müssen Allgemeingültigkeit besitzen - oder, wenn sie nur im einzelnen Arbeitsverhältnis bestehen, für jeden verständigen dritten Unternehmer nachvollziehbar sein. Als Vertrauensverlust reicht daher die lediglich subjektive Entziehung des Vertrauens nicht aus, wie es im Gegensatz dazu die französischen Rechtsprechung teilweise genügen läßt. Entsprechende Tendenzen gab es zwar auch in der Rechtsprechung des BAG in der Zeit des Kalten Krieges, allein eine gewisse Geschmeidigkeit des Charakters eines Arbeitnehmers in einer verantwortlichen Position einer Bundeswehrkaserne sollte die Kündigung wegen Sicherheitsbedenken rechtfertigen 57 . Um der Willkür bei Kündigungen wegen Vertrauensverlusts vorzubeugen, ist daher die Bildung von Vertrauenstatbeständen unerläßlich, wie es auch Petrovic für das österreichische Recht fordert, das die Vertrauensunwürdigkeit de lege late als außerordentlichen Kündigungsgrund festgeschrieben hat. Die deutsche Rechtsprechung und Lehre hat eine solche "Objektivierung" des wichtigen Grunds auch vorgenommen, indem im Wege der Rechtsfortbildung ein Katalog einzelner Gründe, die generell wichtig sein können, erstellt wurde. Dabei sind Fallgruppen gebildet worden, etwa die Kündigungen wegen Straftaten oder politischer Betätigung, jedoch ohne Differenzierung auf deren Auswirkung auf den Vertrauensbereich. Diese sollen daher im zweiten Teil der Untersuchung hervorgehoben werden. Die Vertrauenstatbestände für das deutsche Arbeitsverhältnis können dabei auf eine 55 56 57
Mukooyamal Akuzawa/Hanau, S. 213. Vgl. z. B. Betonung des LAG Berlin NZA-RR 1997, S. 426. BAG AP Nr. 3 zu § I KSchG Sicherheitsbedenken (v. 28. 2. 1963).
32
1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
dogmatische Grundlage im deutschen Zivilrecht gestützt werden, so daß es einer tarifvertraglichen Katalogisierung nicht bedarf, wie es die japanische Rechtsprechung fordert. Ansätze solcher arbeitsvertraglieh einbezogenen Verhaltensgebote und -verbote finden sich in Deutschland lediglich im kirchlichen Arbeitsrecht und sind allein erforderlich für die privatautonome Schaffung besonderer Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer. Ein weiterer wesentlicher konzeptioneller Unterschied besteht im Hinblick auf das teilweise herrschende Verschuldensprinzip im Kündigungsrecht, welches das BGB für den wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB nicht voraussetzt58 • Es ist daher schon vom deutschen Gesetzgeber nicht als disziplinarisches Mittel, sondern als Gestaltungsrecht ausgestaltet worden, was es wesentlich von der italienischen und österreichischen Regelung unterscheidet. Das Verschulden ist für den wichtigen Grund lediglich als Bewertungsprinzip menschlicher Verhaltensweisen und Handlungen59 von Bedeutung. Als solches fließt es in die Interessenabwertung bei verhaltensbedingten Kündigungen mit ein, unverschuldetes Verhalten kann eine Kündigung regelmäßig nicht rechtfertigen 60 • Weniger prägnante aber dennoch bemerkenswerte Unterschiede finden sich auch in der Erleichterung bzw. Erschwerung von außerordentlichen Kündigungen in den einzelnen untersuchten Rechtsordnungen. Die teilweise deutliche Unternehmerfreundlichkeit der französischen Rechtsprechung ist bereits hervorgehoben worden. Beispiele für arbeitnehmerfreundliche Tendenzen finden sich in der Schweiz, indem die ungeschriebene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers weit ausdehnt wird (Rehbinder) und die Unschuldsvermutung den erforderlichen Verschuldensnachweis erschwert. Auch die japanische Regelung bedeutet gleichermaßen Kündigungsschutz, indem die Vertrauensbindungen im Betrieb auf die Einhaltung der Arbeitsordnungen und Tarifverträge reduziert wird. Das ist konzeptionell konsequent, wenn im Arbeitsvertrag nichts anders als ein schuldrechtlicher Austauschvertrag gesehen wird, dessen sämtliche Pflichten konkret festgelegt sein müssen. Auch das deutsche Kündigungsrecht ist entsprechend der politischen und sozialen Veränderungen in Deutschland unterschiedlich ausgelegt worden. Die Auslegung der ratio legis des § 626 BGB pendelt dabei zwischen den antinomischen Grundregeln der ausgedehnten Vertragsfreiheit einerseits und dem aus sozialen Gründen (Bestandsschutz) eingeschränkten, also eng auszulegenden Sonderrecht andererseits. Die außerordentliche Kündigung erleichtert daher die Betonung der Privatautonomie, wodurch nicht nur die Eingehung, sondern auch die Auflösung von Arbeitsverhältnissen vereinfacht wird. Die Betonung des Bestandsschutzes schränkt dagegen den Anwendungsbereich von § 626 BGB zu lasten der in ihrem Gestaltungsrecht beschränkten Vertragspartei ein. 58 h. M., BAGE 2, 214, 216; BAG AP Nr. 9 zu § 313 ZPO; dazu Picker, Richterrecht und Richterrechtsetzung, JZ 1984, S. 1046; MünchKomm I Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 46; Staudinger I Preis § 626 BGB Rdnr. 64. 59 Larenz SchuldR AT, § 20 I. 60 BAG DB 1961, S. 779; Stahlhacke I Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Rdnr. 680.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
33
4. Abschnitt
Der Vertrauenswegfall als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB I. Die Bedeutung und die Auslegung von § 626 BGB im allgemeinen
Das Bürgerliche Gesetzbuch läßt in § 626 Abs. 1 BGB die fristlose Kündigung eines Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund zu, wenn das weitere Festhalten am Vertrag einer der beteiligten Parteien aufgrund nachweisbarer Tatsachen nicht mehr zugemutet werden kann I. Ob ein Grund wichtig ist, entscheidet nicht das subjektive Empfinden des Arbeitgebers, sondern ein objektiver Maßstab 2 . Der Gesetzeswortlaut von § 626 Abs. 1 BGB läßt keine bestimmten Kategorien von Gründen erkennen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Nach Preis ist hiermit nur das Prinzip ausgesprochen worden, daß Dienstverträge aus wichtigem Grund gekündigt werden können 3 . Mit der Umschreibung "wichtig" ist nur klargestellt, daß nicht jeder beliebige Grund eine außerordentliche Kündigung tragen kann. Weitgehend anerkannt ist, daß Gründe, die wie auch nach § 1 KSchG, in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder dringende betriebliche Erfordernisse "wichtige" Gründe sind und damit eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können 4 . Ein personenbedingter Kündigungsgrund ist erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr geeignet ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Seine Eignung entfällt unter anderem durch Störungen im Leistungsbereich oder im personalen Vertrauensbereich. Eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts ist daher als personenbedingte Kündigung nach den anerkannten Unterscheidungen im allgemeinen zulässig.
11. Der dogmatische Hintergrund und die allgemeinen Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Die allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Literatur erkennt für § 626 BGB an, daß der Vertrauensverlust aufgrund objektiver Tatsachen, wie einer (ver1 Seit dem 01. 09. 1969 sind mit dem I. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz alle Sondervorschriften hierzu für Arbeiter und Angestellte aufgehoben (z. B. in der Gewerbeordnung), § 626 BGB gilt seitdem für alle Arbeitsverhältnisse, mit Ausnahmen im Seemannsgesetz und in § 15 Abs. 2-4 BBiG. 2 Das ist die h. M., vgl.: BAG AP Nr. 9, Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen; MünchArbR I Wank Bd. 11 Individualarbeitsrecht II § 117 Rdnr. 32; Erman I Belling § 626 Rdnr. 30. 3 Staudinger I Preis § 626 BGB Rdnr. I. 4 Erman I Belling § 626 BGB Rdnr. 51.
30uo
34
I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
schuldeten) Vertragsverletzung oder eines (unverschuldeten) Verdachts im Arbeitsverhältnis einen eigenen, personenbedingten Kündigungsgrund darstellt 5 . Der wichtige Grund wird nach der neueren Rechtsprechung des BAG in der "Störung des personalen Vertrauensbereichs,,6 gesehen. § 626 Abs. 1 BGB läßt die fristlose Kündigung eines Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund zu, wenn das weitere Festhalten am Vertrag einer der beteiligten Parteien aufgrund nachweisbarer Tatsachen nicht mehr zugemutet werden kann. Dafür, ob ein Grund wichtig ist, kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Arbeitgebers an. Vielmehr ist ein objektiver Maßstab anzulegen 7. Erst für die Zumutbarkeit, die ein subjektives Moment darstellt, werden im Rahmen der Interessenabwägung die persönlichen Motive des Arbeitgebers berücksichtigt. Im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung ist stets abzuwägen, ob unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände der nachvollziehbare Vertrauensverlust die Kündigung als ultima ratio rechtfertigt. Wegen der Zukunftsbezogenheit der KündigungS sind dabei nur solche Beweggründe zulässig, die der künftigen Vertragsdurchführung im Wege stehen. Dabei reichen generalpräventive Zwecke nicht aus, etwa "ein Exempel statuieren" zu wollen 9 .
1. Die bei der Auslegung des wichtigen Grunds zu beachtenden Grundsätze Das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grunds wird durch das Gesetz nicht wie in manchen älteren oder anderen Rechtsordnungen durch eine Legaldefinition oder durch eine Kasuistik benannt oder präzisiert. Der Wortsinn der Norm ist damit wenig ergiebig. Anerkannterweise gelten aber die folgenden Grundsätze, welche auf den Bedeutungszusammenhang des Gesetzes abstellen und aus denen die Zulässigkeit des Vertrauenswegfalls als ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gefolgert werden kann.
a) Der wichtige Grund als unbestimmter Rechtsbegriff Es handelt sich um einen bewußt vom Gesetzgeber unbestimmten Rechtsbe-
griJIo. Den Parteien und dem Tatsachenrichter stehen daher bei seiner Anwendung 5 MünchArbR / Wank § 117 Rdnr. 69 - 80, faßt einzelne, anerkannte Gründe unter dem Begriff "Störungen im Vertrauensbereich" zusammen (Rdnr. 54). 6 BAG AP Nr. 13 zu § 626 BGB; BAG DB 1986, S. 1726 (1727); Maus § I KschG Rdnr. 176. 7 BAG AP Nr. 9, 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen.
8 Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, FS für Müller, S. 202 f.
9 IO
Weiß, Anm. EzA Nr. 10 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 55 ff.
4. Absehn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
35
ein Beurteilungsspielraum zu. Der Begriff ist wegen seiner Unbestimmtheit in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbar ll . Das Revisionsgericht kann nur darüber entscheiden, ob ein bestimmter Vorgang an sich, ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles, geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Der Tatrichter soll damit hinsichtlich der Besonderheiten des Einzelfalls einen Beurteilungsspielraum erhalten, der revisionsgerichtlich nicht zu überprüfen ist I2 . Allerdings ist das BAG in seiner Prüfung stets darüber hinaus gegangen, indem es auch überprüft hat, ob der Tatrichter bei der Verwendung des Begriffs des wichtigen Grunds alle Elemente richtig erkannt und auf den gesamten Sachverhalt richtig verwendet hat l3 . Der Terminus des wichtigen Grunds wird nicht nur in § 626 Abs. 1 BGB verwendet, sondern findet sich ebenso unbestimmt in § 13 GWB für die Kündigung eines Kartells. § 723 BGB bestimmt für die Kündigung einer Gesellschaft, daß ein wichtiger Grund bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung sowie bei der Unmöglichkeit der Pflichterfüllung gegeben ist l4 • Hierfür ist anerkannt, daß die nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses einen wichtigen Grund bilden kann IS. Ähnlich stellt auch die Vorschrift des § 297 AktG auf die Unmöglichkeit der Vertragspflichterfüllung als wichtigen Grund ab. Entfallt das Vertrauen in die zukünftige Erfüllung durch die andere Vertragspartei, etwa bei anfänglicher Erfüllungsverweigerung, liegt ein wichtiger Grund zur Kündigung eines Unternehmensvertrags vor l6 • Nach § 1908 b BGB kann der nach §§ 1896 ff. BGB bestellte Betreuer entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Exemplarisch benennt die Vorschrift als einen wichtigen Grund den Umstand, daß die Eignung des Betreuers, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist. Darin liegt ein gesetzlich vorgegebener schützenswerter Vertrauenstatbestand. Ein wichtiger Grund für die Entlassung eines Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB ist nach dem Wortlaut der Norm insbesondere die grobe Pflichtverletzung oder die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung I1 . Als wichtiger Grund gilt u. a. auch der Vertrauens wegfall bzw. das Mißtrauen der Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker, wenn es nicht nur eine subjektive Empfindung darstellt, sondern auf Tatsachen beruht, z. B. bei Zweifeln an der Unparteilichkeit wegen wirtschaftlicher Beteiligung 18. Im Gegensatz dazu wird in § 626 BGB der wichtige Grund nicht einmal ansatzweise konkretisiert. Es ist jeBAG AP Nr. 3, 68 zu § 626 BGB. Staudinger I Preis § 626 BGB Rdnr. 305. 13 Jesch, Anm. AP Nr. 7 zu § 626 BGB. 14 § 133 Abs. I HGB regelt entsprechendes für die Auflösung einer Personenhandelsgesellschaft, Abs. 2 umschreibt auf ähnliche Weise den wichtigen Grund. IS BGHZ 4, 108, 103; BGH OB 1977, S. 87, 88; MünchKornrn I Ulmer § 723 BGB Rdnr. 20 ff. m. w. N. 16 Hüffer AktG 3. A. § 297 AktG Rdnr 6 m. w. N. 17 Der Normzweck ist es, die Erben und anderen Beteiligten davor zu schützen, der Rechtsmaeht des Testamentsvollstreckers hilflos ausgeliefert zu sein, RGZ 133, 128, 135. 18 OLG Rostoek, OLGE 46,232; Staudinger/Reimann, § 2227 BGB, Rdnr. 12 ff. m. w. N. II
12
3·
I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
36
doch fragwürdig und überdies nicht nötig, darin die Gelegenheit für Analogien und Rückschlüsse zu sehen. Wegen der Gemeinsamkeiten der Wortlaute dieser Kündigungen aus wichtigem Grund, könnten aber die einzelnen Privatrechtsgebiete, welche eine Kündigung aus wichtigem Grund vorsehen, also Kartellrecht, Mietrecht, Arbeitsrecht (BGB § 626, HGB § 70 [mittlerweile aufgehoben]), Gesellschaftsrecht (BGB § 723, HGB § 133) zusammengezogen und allgemein der Grundsatz aufgestellt werden, daß ein Rechtsverhältnis aus wichtigem Grund vorzeitig aufgehoben werden kann. Darin läge ein Ansatz zu einem allgemeingültigen Rechtsprinzip, welches auch der Gesetzgeber bewußt so ausgestaltet hat. Aus Gründen der Rechtssicherheit und um nicht die Entscheidungsfreiheit des Richters einzuengen, wurde auf eine etwa der GewO entsprechende Kasuistik verzichtet und der § 626 BGB zu einem Prinzip geformt, daß Dienstverträge aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden können 19 . Anders als auf den wichtigen Grund als solchen abzustellen, legt Belling in ähnlicher Form dar, wie im besonderen der Vertrauens wegfall ein wichtiger Kündigungsgrund nicht nur für den Arbeits- sondern auch für Verlags 20 -, Gesellschafts-, Versicherungs-, Verwalter l - und Werkvertrag ist, also für Rechtsverhältnisse, die gegenseitiges Vertrauen erfordern. Ergänzend ist noch auf die Kündigung eines Girovertrages wegen wichtigen Grunds hinzuweisen 22 und auf die Kündigung eines Mietvertrags. Wird in einem Mietverhältnis das Vertrauensverhältnis durch eine Partei mittels schwerwiegender Pflichtverletzung zerstört, kann die Fortsetzung des Vertrags für den anderen unzumutbar werden. Für die schuldhafte Verletzung eines Mietvertrags, vor allem bei der Störung des Hausfriedens, enthält § 554 a BGB dazu eine Konkretisierung des wichtigen Grunds 23 , ansonsten gilt der allgemeine Grundsatz gleichermaßen wie bei den anderen genannten Vertragsformen 24 • Alle diese Verträge setzen unterschiedliche Vertrauenspositionen voraus und unterscheiden sich insbesondere in der Gefahrtragung für das Entgelt der Leistungen. Anders als der Dienstvertrag weist z. B. der Werkvertrag das Entgeltrisiko dem Werkunternehmer zu. Der Arbeitnehmer erhält den Lohn für die Arbeit als solche, der Werkunternehmer erst für das abgenommene Mugdan, Protokolle zum Dienstvertrag S. 912 ff. Vgl. OLG Köln, AfP 1986, 247 - 248, zur analogen Anwendung von §§ 626 und 723 BGB für den Verlags vertrag; zum Musikverlagsvertrag vgl. BGH, NJW 1990, S. 1989-1991 ,,Ein Kündigungsgrund ist daher gegeben, wenn die Vertrauensgrundlage zerstört ist und die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen der Störung der Vertrauensgrundlage dem kündigendenden Vertragspartner nicht mehr zugemutet werden kann" (11 2 der Gründe); vgl. ferner zum Musikverlagsvertrag OLG Frankfurt, WRP 1988, S. 333. 21 Vgl. zur Kündigung eines Verwaltervertrags wegen eigenmächtiger Entnahme von 40.000 DM aus Gemeinschaftsge1dern zum Zwecke eigener Befriedigung, BGH, Wohnungseigentümer 1981, S. 25-27. 22 Sachlich unmäßige Kritik eines Kunden, vgl. OLG Köln, NJW-RR 1992, S. 15221523. 23 BT-Drucks. IV /806 zu Art. I Nr. 10 (S. 10). 24 Vgl. zur nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses wegen schwerer Pflichtverletzung beim Mietvertrag BGH WM 1986, S. 172; Sternei, Mietrecht, S. 359 f. 19
20
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
37
Arbeitsprodukt. Je nach der Risikoverteilung für Leistung und Gegenleistung variieren daher die einzelnen Vertrauenspositionen, die gegen eine Gleichstellung der genannten Vertragsformen als vertrauensbeinhaltende Verträge sprechen. Vielmehr ist auf die vertragstypischen Vertrauensinhalte abzustellen. Es ist daher richtig, in der Grundkonzeption der jeweiligen Verträge konstitutive Vertrauenstatbestände zu sehen. Auch haben die genannten Vertragsformen ein solches normatives Grundvertrauen gemeinsam. Doch reicht der Verlust dieses vertragstypischen Grundvertrauens nicht alleine aus, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden 25 . Die erhöhte Kündigungsanfalligkeit kann nicht allein aus dem Typus eines solchen Vertrags folgen. Wahrend die Rechtsprechung zunächst noch betont hat, daß es auf den Wegfall des gegenseitigen Vertrauens als Grundlage des Vertrages ankomme 26 , wird in späteren Entscheidungen nur noch allgemein und unbestimmt auf die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien abgestellt 27 . Hinsichtlich eines Gesellschaftsvertrags hat der BGH deutlich gemacht, daß lediglich die Möglichkeit besteht, daß in einer (personalistisch ausgestalteten) GmbH die Gesellschafter ein für die Zusammenarbeit unerläßliches Vertrauen aufbauen, dessen Zerstörung einen wichtigen Grund zur Ausschließung eines Gesellschafters sein kann. Daraus folgen zwei Erkenntnisse: Der Typus eines Vertrags entscheidet nicht zwingend über die Bildung eines VertrauensverhäItnisses, sondern erst die konkreten Vertrags umstände. Diese sind wiederum als Anhaltspunkt zu nehmen, ob eine Störung des Vertrauensverhältnisses einen wichtigen Grund (zur Ausschließung) bilden kann. Diese präzise Differenzierung ist in späteren Entscheidungen nicht immer enthalten. So wird z. B. statt auf den (zukunftsbezogenen) Vertrauensverlust in einer späteren Ausschließungsentscheidung vorrangig auf das Zerwürfnis der Gesellschafter abgestellt und lediglich festgestellt, daß längerfristige Rechtsverhältnisse, die auf persönliche Zusammenarbeit ausgelegt sind, gegenseitiges Vertrauen der Beteiligten erfordern und deshalb (stets) aus wichtigem Grund aufgelöst werden können 28 . Bei der Kündigung eines Musikverlagsvertrags wird lediglich auf den Wegfall des "Vertrauens in die Vertragstreue und Redlichkeit" des Vertragspartners abgestellt 29 . Dabei wird nicht mehr deutlich, ob das kündigungsrelevante Vertrauen allein aus dem Typus des Vertrags erwachse oder aus dem konkreten Vertrags werk der Parteien, also aus privatautonomer Gestaltung. Es sollte daher für die Bestimmung eines Vertrauenstatbestands weniger auf den Typus des jeweiligen Vertrags, als vielmehr auf das konkret geschlossene Vertrags25 Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11, 19; Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, FS für Müller, S. 190,200. 26 BGHZ 15,209,213 (persönliches Vertrauensverhältnis als Grundlage eines Verlagsvertrags); BGHZ 32, 17, 35. 27 Etwa BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, 11 5 (Gründe): "Vertrauensbereich berührt". 28 BGHZ 80, 346, 349 f. 29 BGH, NJW 1977, S. 1777 f.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
und Vertrauensverhältnis zwischen den individuellen Parteien und dadurch objektivierbare Vertrauenstatbestände abgestellt werden.
b) § 626 BGB als Generalklausel § 626 Abs. 1 BGB ist eine typische Generalklausel 3D • Der Bestimmung fehlen präzisierende Tatbestandsmerkmale und ein begrifflicher Kern. Damit ist § 626 BGB ein "Stück offengelassener Gesetzgebung,,3), auch wenn es nur der wichtige Grund ist, welcher der Norm dieses Gepräge gibt 32 . Der Gesetzgeber hat durch die Unbestimmtheit der Vorschrift bewußt dem Richter die Normfindung im Einzelfall überlassen. Das bedeutet, daß letzten Endes auf die Arbeit der Rechtsprechung vertraut werden muß, den unbestimmten Rechtsbegriff des "wichtigen Grunds" näher auszugestalten. Mit dieser vorgegebenen Abstraktionshöhe und Begriffsfreude hat der Gesetzgeber eine enorme Elastizität des BGB erreicht, wodurch ohne Gesetzesänderungen ständig neue sozialethische Leitgedanken in das geltende Recht einfließen können 33 . Das mindert einerseits die Rechtssicherheit, weil es an der Bestimmtheit des wichtigen Grunds mangelt. Der einzelne Arbeitnehmer kann sich also nicht hundertprozentig darauf einstellen, unter welchen Gründen er fristlos entlassen werden kann 34 . Andererseits hat die Generalklausel den Vorteil, flexibel und anpassungsfähig zu sein. Eine solche Norm ist prädestiniert dazu, in der Zeit zu leben 3s • Denn das Kündigungsrecht unterliegt den Änderungen der Wertvorstellungen in der Gesellschaft. Diese Eigenart des Kündigungsrechts ist besonders bei Veränderungen der politischen Verhältnisse in Deutschland deutlich geworden. Das beinhaltet allerdings die konzeptionelle Schwäche, daß das Kündigungsrecht auch mißbraucht werden konnte, wie die Kündigungen gegen jüdische Arbeitnehmer und Regimegegner im nationalsozialistischen Deutschland gezeigt haben. Andererseits bot es auch Hilfe als Mittel der Denazifizierung nach dem 2. Weltkrieg. Die Elastizität des wichtigen Grunds ist besonders deutlich bei dem Umgang mit kommunistisch orientierten Arbeitnehmern geworden. Sie wurde nach dem Verbot der KPD im Jahr 1956 gegen deren Mitglieder eingesetzt, die direkt nach dem Ennan/Belling, § 626 BGB Rdnr. 28. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln. Eine Gefahr für Recht und Staat, S. 51 f., Ziff.15. 32 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 101 spricht von einer regulativen Generalklausel, weil dem Richter zur Bestimmung des wichtigen Grunds, die selbst keine Wertentscheidung enthält, "ein Stück Gesetzgebung überlassen wurde" (unter Verweis auf Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 11, S. 262). 33 Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. I. 34 Das kritisiert Petrovic für das österreichische Recht und fordert die eindeutige Kündigungstatbestände, Petrovic, Die Vertrauensunwürdigkeit als Entlassungsgrund nach § 27 Abs. I letzter Satz AngG, ZAS 1983, S. 49, 50. 3~ Vgl. zu dem Gedanken des BGB als Recht in der Zeit, Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. I S. 3 ff. 30 31
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Krieg zunächst noch als Widerständler gegen den Nationalsozialismus geachtet wurden. Heute bietet sie eine Handhabe gegen ehemalige Mitarbeiter des MfS 36 . Wenn auch der politische Hintergrund stets ein anderer war und Vergleiche sich angesichts des nationalsozialistischen Unrechts verbieten 37 , fal1t dennoch auf, daß jedenfal1s die Methode der Nutzung des Kündigungsrechts als politisches Instrument jeweils die gleiche war. Die Möglichkeit der politischen Instrumentalisierung der Generalklausel des § 626 BGB ist damit Segen und Fluch des Kündigungsrechts zugleich. Diese Gefahr hatte Hedemann 1933 erkannt, als er davor warnte, daß von der Unsicherheit einer jeden Generalklausel der Weg zur Willkür führe, "bei der der erste Abschnitt dadurch gekennzeichnet wird, daß der materiel1e Gehalt der Generalklausel kein einheitlich gleichbleibender ist,,38.
c) Das Kündigungsrecht als Gestaltungsrecht Entfallt das Vertrauen des Arbeitgebers in einen Mitarbeiter, dieser sei für die ihm übertragenen Aufgaben nicht weiter geeignet, kann der Arbeitgeber personenbedingt kündigen. Ohne daß es auf ein Verschulden auf Seiten des Arbeitnehmers ankommt, kann der Arbeitgeber somit von seinem Gestaltungsrecht aus § 626 BGB Gebrauch machen. Es ist weitgehend anerkannt, daß Gründe, die in der Person aber auch in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder dringende betriebliche Erfordernisse eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können 39 . Das entspricht auch dem Inhalt von § 1 KSchG. Die Kündigung sol1 mithin nicht schuldhaftes Verhalten sanktionieren. Ein Verschulden des Gekündigten ist nicht erforderlich, weil auch unverschuldete Umstände eine Kündigung rechtfertigen können, was sich aus § 628 BGB ergibt. Auch wenn der betroffene Arbeitnehmer das in der Regel so empfindet, ist die Kündigung keine Bestrafung, sondern ein rechtliche Gestaltung, durch die ein bestehendes Vertragsverhältnis geändert oder beendet wird. Aus dem Gedanken der Privatautonomie folgt, daß die Vertragsfreiheit nicht nur beinhaltet, nach Belieben Verträge zu schließen, sondern sich auch wieder von diesen lösen zu können, es sei denn, der Vertragspartner darf schutzwürdig auf den Fortbestand vertrauen. Auf ein schuldhaftes Verhalten des Gekündigten kommt es nur dann an, wenn dem Arbeitnehmer eine objektiv rechtswidrige Vertrags pflichtverletzung vorgeworfen wird4o. Dem Rücktrittsrecht bei Verträgen 36 Vgl. dazu den Einigungsvertrag: Kap. XIX Sachgebiet A: Abschnitt III Nr. I Abs. I Satz 1. 37 Weil das ansonsten zu einer Verharmlosung des "Dritten Reichs" führte - so v. Brentano, DIE ZEIT v. 16. August 1991; relativierend dagegen Jesse, ,,Entnazifizierung" und ,,Entstasifizierung" als politisches Problem; ferner Schöneburg, Recht im nazifaschistischen und im "realsozialistischen" deutschen Staat - Diskontinuitäten und Kontinuitäten, NJ 1992, S. 49 ff. 38 Hedemann, Die Flucht in die Generalklausel, Eine Gefahr für Recht und Staat, S. 70, 71. 39 Erman I Belling § 626 BGB Rdnr. 51.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
mit einmaligem oder der Anzahl nach festgelegtem Leistungsaustausch entspricht das Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen41 • Das Dienstverhältnis ist geradezu der Typus eines Dauerschuldverhältnisses. Daher wird der in § 626 BGB enthaltene Grundsatz entsprechend auf andere Dauerschuldverhältnisse, insbesondere solche mit persönlicher Zusammenarbeit angewendet42 . Dogmatisch gesehen folgt das aus der analogen Anwendung von §§ 626 Abs. 1, 723 Abs. I S. 2 BGB, 89a HGB 43 . Insbesondere § 626 Abs. 1 BGB verkörpert das Prinzip, daß Dienstverhältnisse generell aus wichtigem Grund bei Unzumutbarkeit ihrer Fortführung gekündigt werden können 44 . Teilweise wird zwar dieses Kündigungsrecht aus § 242 BGB gezogen45 , teilweise als allgemein anerkannt vorausgesetzt46 , doch sind es gerade die Spezialtatbestände zur Kündigung aus wichtigem Grund, die bei Unzumutbarkeit den in § 242 BGB enthaltenen Grundsatz "pacta sunt servanda" durchbrechen47 . Wird also das Festhalten am Vertrag für eine Partei unzumutbar, ist sie entgegen dem in § 242 BGB enthaltenen Grundsatz der Vertragstreue zu Loslösung vom Vertrag berechtigt, was bei Dauerschuldverhältnissen durch die Kündigung erfolgt. Das Recht zur Kündigung ist wie der Rücktritt von Änderungen der Geschäftsgrundlage abhängig. Es entsteht, wenn ein Vertragspartner den Anspruch auf Fortsetzung eines auf Dauer angelegten Vertragsverhältnisses verliert. Das ist regelmäßig der Fall, wenn sich die Geschäftsgrundlagen, die bei seiner Begründung bestanden, wesentlich geändert haben. § 626 Abs. 1 BGB beschreibt daher einen Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Form eines Rechts zur außerordentlichen Kündigung48 . Sind Umstände in der Person einer Partei eingetreten, welche die andere Partei vor Abschluß des Vertrags bewogen hätten, in besonderer Weise von ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch zu machen, hat sie das Recht, sich von der eingegangenen Bindung zu befreien. Hier handelt es sich um die personenbedingte oder besser: eignungsbedingte Kündigung. Ein personenbedingter Kündigungsgrund ist also erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr geeignet ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Seine Eignung entfällt unter anderem BAG EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 38. König, Zur näheren Bestimmung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, RdA 1969, S. 8, 15. 42 BGHZ 80, 346, 349 f. [Gesellschaftsvertrag]; OLG Hamm NJW-RR 1988, S. 605 f. [Versicherungsvertrag]; KG ZMR 1994, S. 31 f. [Verwaltervertrag]; BGH NJW 1990, S. 1989 ff. [Verlagsvertrag]; NJW 1986, S. 1928 [Darlehensvertrag]; OLG Köln NJW-RR 1992, S. 1522 f. [Girovertrag]. 43 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 269 m. w. N. 44 Mugdan, Protokolle zum Dienstvertrag, S. 912 ff. 45 BGH, NJW 1986, S. 3114 f.; MünchKomm I Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 267 f. 46 MünchKomm I Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 267. 47 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 269. 48 Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, 223, 229 ff. m. w. N. 40
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4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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durch Störungen im Leistungsbereich oder im personalen Vertrauens bereich. Eine Veränderung der Umstände tritt mithin nicht nur ein, wenn dem Vertragspartner ein Fehlverhalten nachzuweisen ist. Bei einer derart verhaltensbedingten Kündigung, ist die Kündigung die befreiende Reaktion auf einen erheblichen Vertragsbruch. Dagegen ist bei dem objektiv belegten Vertrauensverlust die Kündigung die befreiende Reaktion "auf das fehlgeschlagene Vertrauen, die bestehenden Voraussetzungen eines intakten Arbeitsverhältnisses würden andauern,,49. Als Gestaltungsrecht ist das Kündigungsrecht daher zukunftsbezogen. Wird wegen zeitlich zurückliegender Umstände gekündigt, etwa einer begangenen und bereits gesühnten Straftat, kommt es nur noch darauf an, ob diese auch zukünftig auf das Arbeitsverhältnis einwirken kann 5o . Das ist z. B. der Fall, wenn eine Wiederholung der Tat sehr wahrscheinlich zu erwarten ist. Das Kündigungsrecht als Gestaltungsrecht muß ferner nach Treu und Glauben ausgeübt werden. Es ist somit auch bei objektiv gegebenen Kündigungsgründen nicht uneingeschränkt auszuüben, denn die Verpflichtung, einen Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen, umschließt die Verpflichtung, ihn nicht gegen Treu und Glauben zu lösen.
d) Die Abgrenzung der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB zur fristlosen Kündigung bei einer Vertrauensstellung nach § 627 BGB Anders als nach § 626 BGB ist für höhere Dienste, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen werden, gemäß § 627 BGB die fristlose Kündigung generell auch ohne wichtigen Grund zulässig. Dabei muß es sich aber um Dienste handeln, die nicht in einem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 622 BGB erbracht werden 51 . Sinn und Zweck der Regelung ist der Gedanke der Unzumutbarkeit des Festhaltens an Dienstverträgen, die wegen besonderen Vertrauens übertragen werden, wenn dieses persönliche Vertrauen entfallen ist 52 . Die besondere Vertrauensstellung ist daher Tatbestandsmerkmal des § 627 BGB 53 . Darin besteht der wesentliche Unterschied zu einem Arbeitsverhältnis. Wenn auch § 627 BGB somit nur für vertrauenserfordernde freie Dienstverträge Anwendung findet, ist damit jedoch die allgemeine gesetzliche Wertung erhoben worden, daß ein Vertrag mit steigendem Vertrauenserfordernis leichter zu kündigen sein soll. Diese Relation zwischen Vertrauen in einer 49 Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, FS für Müller, S. 191 ff. 50 BAG, OB 1986, S. 1339. 51 Dieses ergänzende Tatbestandsmerkmal wurde erst durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. 8. 1969 (BGBI. 11 06) eingefügt. Die Fassung des § 626 BGB von 1896 lautete: "Das Dienstverhältnis kann von jedem Theile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt" (Staudinger, BGB-Synopse, 1896-1998). 52 Staudinger I Preis, § 627 BGB Rdnr. 2 unter Verweis auf Mugdan II 1256. 53 Vgl. bereits Mugdan II, Protokol1e zum Dienstvertrag S. 914.
I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
42
Vertragsbeziehung und der Möglichkeit der Lösung von dieser Verbindung trifft daher nicht ausschließlich nur für die freien Dienstverträge zu, sondern auch für andere vertragliche Schuldverhältnisse, insbesondere den Arbeitsvertrag.
2. Der Vertrauenswegfall als wichtiger Grund im System der anerkannten Kündigungsgründe
Die Untersuchung des VertrauenswegfaIls als wichtiger Kündigungsgrund im Rahmen von § 626 BGB setzt zunächst die Beantwortung der Frage voraus, wie der Begriff des Vertrauens inhaltlich zu bestimmen ist. Denn in seiner vielseitigen Verwendung ist der Begriff lediglich ein ,,Blankett,,s4.
a) Die Bestimmung des Begriffs "Vertrauen" als Rechtsbegriff Der Begriff des Vertrauens ist in der deutschen Sprache in zweierlei Hinsicht belegt. Zunächst ist es ein persönliches Empfinden, das in der Individualsphäre 55 eines jeden Menschen liegt. Es könnte auch als individueIle, subjektiv gesicherte Erwartungshaltung oder VorsteIlung beschrieben werden. Die Erwartung wird vom Vertrauenden insofern als gesichert betrachtet, als er sich innerlich auf den Eintritt der Erwartung einstellt und äußerlich darauf einrichtetS6 • Vertrauen ist in dieser Hinsicht von unsubstantiierten Erwägungen und bloßen Vors teIlungen abzugrenzen. Über die SteIlung des Vertrauens in der Individualsphäre hinaus hat der Vertrauensbegriff in der Sozialsphäre s7 allgemeine Bedeutung erlangt. Hier bedeutet "Vertrauen" einen objektiven Wertbegriff, der in unserer GeseIlschaft einen hohen sozialen (moralischen) SteIlenwert besitzt. Im Gegensatz zum individueIl unterschiedlich empfundenen Gefühl des Vertrauens, hat Vertrauen als Wertbegriff auch einen aIlgemein anerkannten Vernunftgehalt58 . Werte sind objektiv (d. h. aIlgemeingültig), "wenn sie nicht nur für einzelne wertvoIl erscheinen, sondern wenn sie aIlen, also dem Menschen seinem Wesen nach, Befriedigung und ErfüIlung bringen können,,59. Aus diesen Werten, die, wie beispielsweise das Vertrauen, für das menschliche Zusammenleben unerläßlich sind, ergeben sich sittliche Normen,
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 98. v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 12; vgl. auch Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S, 223, 229. 56 v. Craushaar a. a. O. S. 11. 57 v. Craushaar a. a. O. S. 12. 58 Vgl. Abgrenzung Gefühl/Wert bei Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, S. 8, 14. 59 Hubmann, a. a. 0., S. 8, 14. 54 55
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
43
die dem Recht vorgegeben sind, und an denen es sich orientieren muß 60. Nur dieses in der Sozialsphäre liegenden Vertrauen kann demnach auf die Rechtsordnung einwirken. Dann ist Vertrauen nicht nur als psychologischer Tatbestand zu verstehen, sondern zugleich auch als ein "normatives Vertrauendürfen,,61, das rechtlich relevante Vertrauen ist demnach ein gemischt subjektiv / objektiver Begriff. Es eignet sich als solches als "subjektive Geschäftsgrundlage,,62 eines Vertrags. Der Begriff des Vertrauens wird in der folgenden Untersuchung deshalb als Wertbegriff aus der Sozi al sphäre gebraucht, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes gemeint ist.
b) Die anerkannten Fallgruppen der Kündigungen wegen Vertrauensverlusts Im Rahmen der kontinuierlich von der Rechtsprechung und Literatur vorgenommenen Kategorisierung von Kündigungsgründen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund nach § 626 BGB zu bilden, findet sich die grobe Unterteilung der Kündigungen im Leistungs-, Vertrauens-, Betriebsbereich und bei außerdienstlichem Verhalten 63 . Der Vertrauensbereich enthält das "persönliche Vertrauen und die gegenseitige Achtung der Vertragspartner,,64. Folgt man der Kategorisierung, die z. B. Wank für Störungen im Vertrauensbereich durch den Arbeitnehmer vornimmt, so werden die folgenden Sachverhalte umfaßt: Anzeigen, Beleidigungen, Umgehen von Kontrolleinrichtungen, unterlassene Mitteilungspflichten, Verstöße gegen das Geschäftsgeheimnis und Wettbewerbsverbot, Schmiergelder, strafbare Handlungen und der Verdacht der strafbaren Handlung gegen den Arbeitgeber bzw. der schweren arbeitsvertraglichen Verfehlung. Diesen Sachverhalten ist gemeinsam, daß der Arbeitnehmer zwar seine geschuldete Leistung erbringt, aber durch Illoyalität in Mißkredit gerät. Illoyalität ist ein weiter Begriff. Besser erscheint die Umschreibung: vertrauenszerstörendes Verhalten, denn Vertrauen setzt dessen vorhergegangene Erzeugung voraus, was unter der Bezeichnung "Loyalität" nicht zwingend erwartet wird. Das Vertrauen in den Arbeitnehmer kann unter Betrachtung der Fallgruppen-Katalogisierung von Wank als der Vertrauen in die Respektierung des Eigentums und Vermögens des Unternehmers (Vermögensschutzinteresse), in die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb (Integritätsinteresse), sowie die Pflicht zur Achtung der betrieblichen Interessen (Loyalitätsinteresse) bezeichnet werden. Entfällt das schutzwürdige Vertrauen in (mindestens) einem dieser Bereiche, kann darin ein wichtiger Grund zur Kündigung liegen. Daran soll Hubmann, a. a. 0., S. 112 f. Fikentscher Schuldrecht, § 27 Rdnr. 163. 62 Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223, 229. 63 Vgl. MünchArbR/Wank, Bd. II § 117, Rdnr. 60 ff., 69 ff., 81 ff., 87 ff. 64 MünchArbR/Wank, Bd. II § 117 Rdnr. 69. (j()
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
44
sich die Bestimmung des VertrauenswegfaIls als wichtiger Grund nach § 626 BGB im weiteren orientieren.
c) Der VertrauenswegfaIl als eigenständiger Kündigungsgrund in der historischen Entwicklung und Auslegung von § 626 BGB § 626 BGB steIlt seinem Wortlaut nach keinerlei Zusammenhang zwischen dem gegenseitigen Vertrauen der Arbeitsvertragsparteien und dem wichtigen Grund zur Kündigung her. Dennoch wird seit Entstehung der Norm allgemein vertreten, daß gerade die Störungen im personalen Vertrauensbereich zur Kündigung nach § 626 BGB berechtigen 65 . Betrachtet man den historischen Hintergrund der außerordentlichen Kündigung, wird der Zusammenhang deutlich. Es ist nötig, "das Recht in der Zeit zu sehen,,66, weil veränderte geseIlschaftliche Bedingungen auch das Kündigungsrecht beeinflussen. Für den Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund steht dabei die Erkenntnis im Vordergrund, daß dieser wichtige Grund in der Tradition des deutschen Kündigungsrechts vor und nach der Kodifikation des BGB steht.
aa) Die Entstehung des Kündigungsrechts in der Zeit vor der Kodifikation des BGB Vertragsverletzungen im Arbeitsverhältnis wurden nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 nicht mit Kündigung, sondern mit (öffentlicher) Strafe geahndet 67 . Dieses Prinzip wurde mit der Gesindeordnung in Preußen von 1810 fortgesetzt 68 . Die Kündigung bei Vertragsbrüchen war weder vorgesehen noch notwendig. Demgegenüber findet sich im Gesetz betreffend die Verletzung der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbeiter von 1854 in § 1 neben der öffentlichen Strafandrohung die FeststeIlung, bei Widerspenstigkeit und Ungehorsam sei es der Herrschaft unbelassen, unbeschadet von den Strafmöglichkeiten, am Gesinde beizubehalten oder es zu entlassen69 . Anders als die heutige Generalklausel des § 626 BGB präzisierten und enumerierten teilweise die älteren Kodifikationen einzelne Kündigungsgründe. Im Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch vom 2: 1. 1863 war in § 1241 geregelt, daß der Dienstberechtigte .. vor der Zeit von dem VerVgl. nur KR-Hillebrecht § 626 BGB Rdnr. 86 m. w. N. Fikentscher, Methoden des Rechts Band I, S. 5; auch Larenz, Methodenlehre, S. 318 meint einschränkend, das Gesetz selbst nehme zu einem gewissen Grade teil am Fluß der (historischen) Zeit. 67 Stoffels, Der Vertragsbruch des Arbeitnehmers, S. 8; Ein Geselle, welcher der Arbeit fernblieb, wurde im Erstfall nach § 359 Abs. 2 S. 8 ALR mit Gefängnisstrafe "bey Wasser und Brot" gemaßregelt, im Wiederholungsfall mit 14 Tagen Gefangnis, bei Hartnäckigkeit mit Zuchthaus nach § 360 Abs. 2 S. 8 ALR. 68 Stoffels a. a. O. S. 8 ff. 69 Stoffels a. a. O. S. 10. 65
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4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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trage abgehen" konnte, wenn sich der Dienstverpflichtete u. a. 3. "durch strafbare oder unsittliche Handlungen des Vertrauens des Dienstberechtigten unwürdig macht''?o. Deutlich hob die Nonn den Zusammenhang zwischen Vertrauensverlust und Kündigungsgrund hervor, stellte aber auch klar, daß die Beurteilung nicht allein aus der Sicht des Dienstherrn, mithin objektiviert zu erfolgen hatte. Vom Wortlaut fast identisch ist diese Regelung in § 2771 (österreich.) aBGB der dritten Teilnovelle vom 19. 3. 1916 eingeflossen, wonach sich der Arbeitnehmer einer Handlung schuldig machen muß, die ihn des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt. Auch im Dresdener Entwurf mit Motiven7!, wurden enttäuschte Vertrauensinhalte, die der Arbeitgeber im Hinblick auf den Vertrag und die Redlichkeit des Arbeitnehmers hatte, als Kündigungsgründe ausdrücklich genannt. Anders als die obenstehende Regelung, wurde hier mit der Kündigung ein Schuldvorwurf verknüpft. Beide Systeme finden sich in dieser Verschiedenheit noch heute in den europäischen Arbeitsrechtsordnungen 72. Das Bedürfnis nach der Regelung von Kündigungen spiegelt die Errungenschaften neuer liberaler und sozialer Ansichten. Wahrend mit der Industrialisierung der hergebrachte, feudalistische "HerrKnecht-Nexus,,73 des Mittelalters an Bedeutung verlor, entstand zugleich das Erfordernis nach der Regelung der veränderten Zustände. Das deutschrechtliche Herr / Knecht-Verhältnis wurde im Mittelalter durch gegenseitige Treue zu einem sehr engen personenrechtlichen Verhältnis, im Gegensatz zur römisch-rechtlichen locatio conductio operarum, die einen rein vennögensrechtlichen Charakter hatte 74. Als daher mit der Industrialisierung die Arbeitskraft zum freien Wirtschaftsgut jedes einzelnen wurde, entstand eine Regelungslücke, die mit den Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes nicht zu beheben war. Nur im theoretischen Falle einer völligen Ausgeglichenheit der gesellschaftlichen Kräfte zwischen Arbeitgebern und -nehmern hätte der Arbeitsmarkt ohne gesetzliche Vorgaben funktionieren können. Jhering hat seinen Überlegungen zur Vertrags gerechtigkeit zugrundegelegt, daß eine allgemeine Gerechtigkeit zwischen privatautonom agierenden Parteien im Regelfall ein "selbstregulierender Zustand" ist75 . Die Regulative seien zum einen der ständige Konkurrenzdruck im Wirtschaftsleben, zum anderen der individuelle Blick in die Zukunft mit dem Interesse des Erhalts der vertraglichen Austauschbeziehung. Die Austauschbeziehungen stabilisierten sich selbst, solange die Partner gleichberechtigt seien76 . Dieses System werde gestört, wenn ei70 König, Zur näheren Bestimmung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, RdA 1969, S. 8, 10. 71 Artikel 630: "Der Dienstherr kann vor Ablauf der Dienstzeit das Vertragsverhältnis einseitig auflösen, wenn der Dienstverdinger sich I. einer erheblichen Verletzung seiner Vertragspflicht, insbesondere einer Untreue oder groben Fahrlässigkeit bei dem Dienst, schuldig macht ( ... )". 72 Vgl. oben die rechtsvergleichende Darstellung im 3. Abschnitt. 73 Gast, "Herr und Knecht", Hegels Dialektik und die Dogmatik des Arbeitsrechts, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 249. 74 Hueck, Der Treuegedanke im modemen Privatrecht, S. 13. 75 Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 135 ff.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
ner der Vertragspartner in der Abhängigkeit des anderen stehe, weil insofern der Konkurrenzdruck entfiele. Dann liege es allein an der stärkeren Partei im Interesse des möglichst langen Erhalts der Beziehung vernünftig und gerecht für die Zukunft zu planen. Daß aber, meint Jhering, scheitere oft, weshalb es einer die Vertragsgerechtigkeit verbürgenden Rechtsordnung bedürfe 77 • Diese Überlegungen Jherings sind heute noch aktuell. Sie dienen zur Rechtfertigung richterlicher Inhaltsbestimmungen von Verträgen. Nach dem BVerfG kann die Privatautonomie, also die freie Ausgestaltung von Verträgen, sich nur im Rahmen eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses vollziehen. Bei gestörter Vertragsparität besteht daher im Zivilrecht ein Bedürfnis nach Ausgleich 78. Die Gerichte dürfen sich also nicht mit der Feststellung begnügen, "Vertrag ist Vertrag", sondern im Falle strukturell ungleicher Verhandlungsstärke korrigierend eingreifen. Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken der Vertragsgerechtigkeit bei der Schaffung des BGB in § 242 BGB verwirklicht. Darin ist eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht zu sehen 79 . Mit der Ausgewogenheit von Verträgen hängt stark der Schutz gegenseitigen Vertrauens zusammen. In Arbeitsverträgen wird Vertrauen selten einseitig gewährt. Das Vertrauen in den Fortbestand des Vertrags für den Arbeitnehmer wird z. B. nur dann geschützt, wenn er sich selber vertragstreu verhält, d. h. das Vertrauen des Arbeitgebers in seine eigene Vertragstreue nicht enttäuscht. Für das Recht der außerordentlichen Kündigung von Dienstverhältnissen hat der Gesetzgeber bei der Entwicklung des BGB darauf anfangs ausdrücklich verwiesen. Bei der Kündigung aus wichtigem Grund wurde zur Verdeutlichung des Entwurfs zum (damaligen) § 556 BGB vorgeschlagen, in den Gesetzestext einzufügen, daß ein solcher insbesondere im Vertrauens- und Treuebruch liege 80• Zwar wurde auf eine derartige Aufzählung wichtiger Gründe verzichtet, um Mißverständnissen vorzubeugen 81 und das Ermessen des Richters nicht einzuengen 82 sowie den persönlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses zu betonen. Doch verdeutlicht dieser Entwurf, wie nah der Vertrauenswegfall mit dem Recht der außerordentlichen Kündigung verknüpft ist. Dabei handelt es sich demnach um einen klassischen Fall des wichtigen Grunds, welcher ausdrücklich nur als allgemeines Prinzip ausgestaltet worden ist83 . 76 Nach Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht ?, S. 18, führte dann die Privatautonomie zu ausgewogenen Verträgen, weil jede Partei beim Vertragsschluß ihre eigenen Interessen durchsetzen könne. 77 Jhering, Der Zweck im Recht S. 135 ff. 78 BVerfG, NJW 1994, S. 36. 79 BVerfGE 7,198,206; 81, 242, 256; BVerfG, NJW 1994, S. 36. 80 Sowie in der Schädigung des anderen Teils oder seiner Angehörigen sowie in unsittlichem Betragen Mugdan Protokolle zum Dienstvertrag, S. 912. 8\ und damit der Rechtssicherheit zu dienen, vgl. Ennecerus in 2. Beratung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 357. Hier wollte man aus den die Rechtssicherheit betreffenden Schwächen der Gewerbeordnung lernen, vgl. Frohme in 2. Beratung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 356. 82 Mugdan, Protokolle zum Dienstvertrag, S. 913. 83 Mugdan, Protokolle zum Dienstvertrag, S. 913.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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bb) Die Zeit der Weimarer Republik
Der gesetzliche Kündigungsschutz im KSchG ist eine Errungenschaft der Zeit der Weimarer Republik 84 . Vor dem 1. Weltkrieg war bisher jede Kündigung als solche zulässig8S , so daß es unabhängig von der Konzeption auf die Unterscheidung von subjektiven und objektiven Kündigungsgründen gar nicht ankam. De facta war jede Kündigung wegen Vertrauensverlusts möglich. Hinzu kommt, worauf Preii 6 hingewiesen hat, daß die zuvor geregelten Kündigungsfristen (§§ 66 ff. HGB, §§ 611 ff. BGB, GewO und Allg. BergG) schon deshalb keinen effektiven Kündigungsschutz gewähren konnten, weil sie abdingbar waren. Mit seiner eingehenden Untersuchung über die Dauerschuldverhältnisse hat v. Gierke das Wesen des Arbeitsvertrags bereits 1914 aus der Privatautonomie herausgelöst und ihm einen gemeinschaftsrechtlichen Charakter gegeben87 . V. Gierke hat betont, daß Dauerschuldverhältnisse geeignet seien, Brücken sowohl zum Sachenrecht, als auch zum Personenrecht zu schlagen88 • Von ihm stammt die Theorie, das Arbeitsverhältnis sei ein personenrechtliches Verhältnis 89 . Im Personenrecht sah er ein Recht bzw. ein Rechtsverhältnis, welches die fremde Person als solche erfaßte90• Diese Schlußfolgerung resultierte aus der Kritik an der Dominanz des Partei willens im deutschen Zivilrecht und der Forderung nach der Hervorhebung des germanischen Rechtserbes in Form der sozialen Verantwortung in dauernden Beziehungen. Herrschaftsbeziehungen sollten familienähnlich organisiert werden91 • Diese Theorie bezog sich auf den Vorläufer des deutschrechtlichen Dienstvertrags, den sog. personenrechtlichen Treudienstvertrag, der in der "Selbsthingabe in fremde Munt unter Vorbehalt der Freiheit gegen Zusage dauernden Schutzes und Unterhalts" bestand92 • Die Treuepflicht wurde damit neben der Leistungspflicht zu einer Hauptpflicht im Arbeitsverhältnis93 und die84 Die "Geburtsstunde" des modemen Arbeitsrechts wird vor allem in der Verordnung vom 23. Dezember 1918 über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten gesehen, der unmittelbar die Landarbeitsverordnung folgte (Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 2, 3). Im Betriebsrätegesetz gab es ab 1920 erstmalig Kündigungsschutz, wenn auch die gesetzgeberische Motivation damit eher volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Interessen verfolgte (Herschel, Schutz der Betriebszugehörigkeit im Wandel der Zeit, DB 1973, S. 83). 85 Monjau, Kündigung aus Sicherheitsgründen, FS für Nipperdey zum 70. Geburtstag, S.404. 86 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 13. 87 v. Gierke, Dauernde Schuldverhältnisse: Jherings Jb. 67 (1914) 355 ff.; ders. Deutsches Privatrecht III S. 55 ff. Hierbei handelt es sich um keine nationalsozialistische Lehre, jedoch wurde sie in dieser Zeit überwiegend vertreten. 88 v. Gierke, DtPrivR III S. 95. 89 v. Gierke, DtPrivR III S. 95. 90 v. Gierke, DtPrivR 1,1895, S. 261; III, 1917, S. 590 ff.\ 91 v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 24 ff. 92 v. Gierke, DtPrivR III S. 593.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
ses zu einem persönlichen Herrschaftsverhältnis. Die Entwicklung, der sich auch die Rechtsprechung anschloß 94 , blieb jedoch nicht ganz ohne Kritik. Otto KahnFreund bezeichnete das 1931 als die "Verbeamtung des Arbeitsverhältnisses,,95. Die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts in dieser Zeit hob das stets schützenswerte Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hervor. Jedes Arbeitsverhältnis wurde als Vertrauensverhältnis eingestuft. Die Verletzung und Zerstörung dieses Vertrauens durch eine Vertragspartei berechtigte mithin zur außerordentlichen Kündigung. Verschwieg beispielsweise ein Arbeitnehmer bei seiner Einstellung Vorstrafen, genügte das durch diese Tatsache hervorgerufene Mißtrauen des Arbeitgebers als Kündigungsgrund96 . Das Reichsarbeitsgericht akzeptierte auch bloße Zweifel an der Ehrlichkeit eines leitenden Angestellten als Grund zur Kündigung 97 , selbst wenn dafür keine objektiven Anhaltspunkte gegeben waren. Allein die Tatsache, daß Fehlbeträge in der Kasse einer Verkäuferin nicht aufklärbar waren, sollte ihre Entlassung wegen Entziehung des notwendigen Vertrauens rechtfertigen 98 . Das Reichsarbeitsgericht grenzte die Kündigungen wegen Vertrauenswegfalls kaum ein, weil es in erster Linie auf das subjektive Vertrauensempfinden des Arbeitgebers abstellte. Wer wegen bloßen Zweifeln seines Arbeitgebers an seiner Ehrlichkeit gekündigt werden kann, sieht sich der Willkür ausgesetzt. Dabei wurde eine solche Willkürgefahr bei der Schaffung der Weimarer Reichsverfassung durchaus gesehen. Art. 118 Abs. 1 S. 2 WRVenthielt die Vorgabe, daß ein Deutscher an seinem Recht zur freien Meinungsäußerung durch ein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis nicht gehindert werden darf. Damit hatte die Verfassung die wichtige Wertung vorgenommen, daß das Vertrauen eines Arbeitgebers z. B. auf die politische Betätigung eines Arbeitnehmers nicht schutzwürdig ist. Auch ließ Art. 118 Abs. 1 S. 2 WRVeine durch die allgemeinen Gesetze begrenzte Kritik am Arbeitgeber zu. Allerdings genügt der Ausschluß einzelner vertrauensbeinhaltender Tatbestände nicht, konnte dem Arbeitnehmer doch allgemein wegen des Verlusts des Vertrauens in seine Person gekündigt werden. Nach den Maßstäben der Rechtsordnung müssen aber Vertrauenstatbestände nicht nach den Vorstellungen des Arbeitgebers individuell bestimmt werden, sondern aus der Sozialsphäre heraus betrachtet werden 99 , also aus der Sicht eines verständigen Unternehmers. Daher werden heute zu Recht sachliche, objektivierbare Gründe verlangt(oo. Für den Vertrauensverlust als Kündigungsgrund folgt daraus, daß nicht jedes beliebiges v. Gierke DtPrivR I 1895, S. 701. RGZ 86,315. 95 Kahn-Freund, Das soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts, Arbeitsrecht und Politik, S. 149, 189. 96 RAG ARS 26, 272. 97 RAG ARS 43, 100. 98 RAG ARS 6, 575. 99 v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 12. 100 Siehe zur Verdachtskündigung: BAG AP Nr. 9, Nr. 13 zu § 626 BGB, Verdacht strafbarer Handlungen 93
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4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Mißtrauen des Arbeitgebers ihn zur Kündigung berechtigt. Voraussetzung für eine Kündigung ist vielmehr, daß ein durch nachvollziehbare Tatsachen objektivierbares Vertrauen zerstört worden ist, ohne das sich der Vertrag für einen verständigen Arbeitgeber in zumutbarer Weise nicht fortsetzen läßt. Der Vertrauens verlust muß derart objektivierbar sein, daß ein "idealer" Arbeitgeber, der verständig und gerecht denkt, unter Würdigung der Situation eine Kündigung aussprechen würde. Ideal ist in diesem Sinne ein Vertrauender, der imstande ist, "sich mit der Lage des Verlaßstörers zu identifizieren" 101. Für die Praxis sind daher allgemeine Vertrauenstatbeständen zu bilden, um der Willkürgefahr zu entgehen.
ce) Die Theorie des Arbeitsverhältnisses als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und ihre Auswirkungen im Nationalsozialismus In der Zeit des Nationalsozialismus erlitten bekanntlich viele Rechtsstaatsprinzipien großen Schaden 102. Im Hinblick auf diese Untersuchung sind für das Arbeitsrecht zwei Punkte bedeutsam, auf die näher eingegangen werden soll: Zum einen die Theorie des Arbeitsverhältnisses als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, die zu einer völligen Wandlung des Vertragsbegriffs führte 103; zum anderen der in dieser Zeit stets hervorgehobene Treuebegriff und das Führerprinzip im Arbeitsbetrieb, als Gegenstände einseitig schützens werten Vertrauens. Den Gedanken des personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses, den v. Gierke entwickelt hatte, griff der Arbeitsrechtsausschuß der Akademie für deutsches Recht auf und verwendete ihn in dem 1938 veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis, der zwar nicht realisiert wurde, aber die Rechtsprechung stark beeinflußte lO4 • Mit seinen Überlegungen stieß v. Gierke im Nationalsozialismus auf Anerkennung, weil sie der "Überwindung des Klassenkampfdenkens durch echten Gemeinschaftsgeist,,105 halfen. Auf dieser dogmatischen Grundlage definierte Siebert das Arbeitsverhältnis im Nationalsozialismus neu. In seinen grundlegenden Beiträgen lO6 wandte er sich ab von der Auffassung, v. Craushaar a. a. 0., S. 13. Z. B. durch die Reichstagsbrandverordnung, weIche teilweise Grundrechte aushebeIte oder durch die sog. ,.Lex van der Lubbe" vom 29. 3. 1933, die den Grundsatz nulla poena si ne lege schlicht beseitigte (Ebel Bd. II S. 215). 103 Larenz, Die Wandlung des Vertragsbegriffs, Deutsches Recht 1935, S. 488-491 als Vertreter der "Kieler Schule", die das nationalsozialistische Gedankengut in der Rechtswissenschaft förderten (vgl. Darstellung in Ebel, Bd. 11, S. 224 und Dreier, Karl Larenz über seine Haltung im "Dritten Reich", JZ 1993, S. 454 ff.). 104 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts7, Erster Band S. 21, die hierin einen sozialen Fortschritt sehen, den Wissenschaft und Rspr. "wenig gestört vom Nationalsozialismus" gefördert haben sollen. 105 Zitat: Hueck, Deutsches Arbeitsrecht, S. 31, ebenso Herschel, Neues Arbeitsrecht, 101
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
das Arbeitsverhältnis sei ein schuldrechtlicher Austauschvertrag und bestätigte es als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, das von den Grundsätzen der Gemeinschaft, Treue und Ehre beherrscht werde lO7 . Er meinte, daß die nationalsozialistischen Grundsätze über die Stellung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft unmittelbar und unabhängig vom Partei willen auch im Arbeitsverhältnis gelten müßten 108 . Es verwundert nicht, daß über diese Konstruktion die nationalsozialistische Rassenlehre unmittelbar in das Arbeitsrecht einfließen 109 und Jude zu sein, ein wichtiger Grund nach § 626 BGB sein konnte "0. Das führte schließlich zu Arbeitsverboten für und Beschäftigungsverboten von Juden 111. Der Anteil, den das Kündigungsrecht insbesondere an der Judenverfolgung hatte, war mithin die systematische Entfernung der Betroffenen aus dem Arbeitsleben, als einem der wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche l12 . Auch Karl Larenz kritisierte zu Beginn der 30er Jahre die Verkehrung der Vertragsfreiheit in ihr Gegenteil durch Abhängigkeit, wirtschaftliche Not und Verlust der "echten Freiheit,,113, die nur in der Gemeinschaft möglich sei. Im nationalsozialistischen Rechtsdenken gehe daher die völkische Ordnung dem Vertrag vor. Die Vertragsgestaltung werde nicht mehr maßgeblich von der Privatautonomie sondern von der "völkischen Gesamtordnung,dl4 bestimmt. Der Gemeinschaftsgedanke ll5 war überhaupt tragend für die nationalsozialistische Rechtsidee und wurde von der Lehre in alle Bereiche des Rechts eingeführt" 6 . Insbesondere das Kün106 Siebert, Das Arbeitsverhältnis in der Ordnung der nationalen Arbeit, ders. DAR 1937, S. 14; ders. Das Recht der Arbeit, Systematische Zusammenstellung der wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorschriften. 107 Siebert, DAR 1937, S. 14, 19. 108 Siebert, DAR 1937, S. 14, 19. 109 So u. a. die Feststellung von Söllner, Die Arbeitsgerichtsbarkeit im Wandel der Zeit, S. 10, in: Die Arbeitsgerichtsbarkeit, FS zum IOOjährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes. 110 Eingehend dazu Mayer-Maly, Die Arbeitsgerichtsbarkeit und der Nationalsozialismus, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 89 ff., 95 mit Verweis u. a. auf RAG ARS 29, 290. 111 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935, RGBI. I S. 1146, § 3, abgedruckt in Siebert, Das Recht der Arbeit, Systematische Zusammenstellung der wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorschriften, S. 217 und Darstellung in Herschel, Neues Arbeitsrecht, S. 69. 112 Die Bedeutung des Arbeitsrechts hat auch das Denazifizierungsprogramm der Alliierten Kommandantura gesehen, indem insbesondere die Entlassung aller Rechtsanwälte mit Zulassung zum Arbeitsgericht der 1. Instanz vorgegeben wurde (Bestimmung Nr. I zur Anordnung der Alliierten Kommandantura über die Entnazifizierung VoBI. BIn. 46, 72, Nr. 89 d) als Sonderfall unter den Rechtsanwälten). 113 Larenz, Die Wandlung des Vertragsbegriffs, Deutsches Recht 1935, S. 488, 491. 114 Larenz, Die Wandlung des Vertragsbegriffs, Deutsches Recht 1935, S. 488, 491. 115 hierzu und zum Führerprinzip befremdlich: Rhode, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Gemeinschaftsrecht, der die Zwangsarbeit als ,,Errungenschaft" bezeichnete, die auch nach dem Krieg nicht aufgegeben werden sollte (S. 16).
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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digungsrecht wurde ideologisch mißbraucht 1I7 . Während des Nationalsozialismus waren insbesondere die Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst geprägt durch eine starke Treuepflicht dem Unternehmer als dem Führer des Betriebs gegenüber (Führerprinzip 1l8). Herschel 1l9 nannte die Treue die Grundpflicht des personenrechtlichen Verhältnisses, denn diese sei (schon gemäß dem Sachsenspiegel) die "deutschrechtliche Auffassung, das Mark der Ehre". Der Führer (des Unternehmens) und die Gefolgschaft eines Betriebs hatten gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk und Staat zusammenzuarbeiten 120. Damit wurden unternehmerische und populistische Interessen vermengt und das Arbeitsverhältnis der Privatautonomie entzogen. An deren Stelle wurde ein "Ethos des Dienens,,121 gesetzt. Wer sich mithin nicht überzeugend für die Förderung der Volksgemeinschaft und die Pflege des Gemeinschaftsdienstes einbrachte, verlor das Vertrauen seiner Vorgesetzten (Führer) ebenso wie das der Gemeinschaft. So urteilte das RAG in seinen Leitsätzen einer Entscheidung vom 15. 6. 1938, daß sich kein Arbeitnehmer den genannten Idealen entziehen dürfe, indem er etwa am Winterhilfswerk nicht teilnehmen wolle 122 . Als Hilfsmittel zur Durchsetzung nationalsozialistischer Ziele war dabei die Verwendung des Synonyms des "Führers" als Staatsoberhaupt, wie auch der einzelnen Betriebs-"Führer" für die Durchsetzung der Staatsinteressen eine praktikable Hilfskonstruktion. Denn natürlich konnte der (Betriebs- oder Gruppen-)"Führer" als Person darauf vertrauen, daß seine Interessen gewahrt und seine Ziele verfolgt würden, daß ihm generell Treue gehalten würde und korrelierend dazu konnte der Einzelne ihm Treue schwören. Daher war es über das Führerprinzip in den einzelnen Betrieben möglich, einerseits Führungsaufgaben, andererseits Treuepflichten immer weiter zu delegieren, bis auch der einfachste Arbeiter in ein Netz von Treuepflichten eingebunden war. Eine jegliche Abweichung galt sofort als Beweis der staatsfeindlichen Gesinnung 123 .
116 StolI, in StolI, Lange, Vertrag und Unrecht, S. 5, spricht von einer "tiefen inneren Wandlung unseres gesamten Rechts" durch den "Sieg des Nationalsozialismus" hin zu einem "deutschen Gemeinrecht"! 117 Vgl. die beispielhafte Darstellung fur die Berliner Juristische Fakultät in Ebel, Bd. 11, S. 218 m. w. N.; ferner Sunnus, Der NS-Rechtswahrerbund (1928-1945), S. 164,56. 118 § 2 Abs. 2 S. 2 AOG, vgl. ferner Herschel, Neues Arbeitsrecht, S. 12. 119 Herschel, Neues Arbeitsrecht, S. 7. 120 Herschel, Neues Arbeitsrecht, S. 14. 121 Rüthers, Arbeitsrecht und Ideologie, Die Arbeitsgerichtsbarkeit, FS zum l00jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 45, mit Verweis auf Nikisch, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 38 f. 122 RAG, ARS 34,205. 123 Diese äußerte sich z. B. schon in Beleidigungen der Regierung, des Führers oder die bloße Behauptung, Dr. Goebbels sei von Jesuiten erzogen worden: Mayer-Maly a. a. 0., S. 92, 93 mit Verweis auf RAG ARS 27, 58; LAG Gleiwitz, ARS 27 LAG 14, S. 72; RAG ARS 41, 27 und 29.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
Wenn auch im Nachkriegsdeutschland in Abkehr vom nationalsozialistischen Recht das Arbeitsrecht der Weimarer Republik wieder auflebte, wurde dennoch die Theorie vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis weiterhin vereinzelt vertreten 124. So begründete Nikisch diese Auffassung weiterhin damit, daß Treue und Fürsorge zu den wichtigsten Gestaltungsmerkmalen des Arbeitsverhältnisses zählten 125 . Auch für Hueck/Nipperdey standen die personenrechtlichen Beziehungen im Arbeitsverhältnis im Vordergrund, weil das Arbeitsverhältnis vom Grundsatz beiderseitiger Treue beherrscht 126 werde. Wegen der dogmatischen Herauslösung des Arbeitsvertrags aus dem Schuldrecht und angesichts des dadurch verursachten Unrechts, wird diese Theorie zu Recht heute nicht mehr vertreten 127. dd) Fazit und Nutzen des historischen Rückblicks für die heutige Rechtsanwendung Schon in frühen Kodifikationen zum Kündigungsrecht war der Vertrauenswegfall als wichtiger Grund flir außerordentliche Kündigungen gesetzlich normiert. Die gesetzliche Präzisierung ist zugunsten der Generalklausel des § 626 BGB aufgegeben worden. Der Begriff des Vertrauens wird traditionell eng mit der außerordentlichen Kündigung verknüpft. Wenn das persönliche Vertrauen im Arbeitsrecht entfallen war, wurde darin stets ein Grund gesehen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Das Kündigungsrecht, das bis zur Kodifikation des BGB vollkommen von der Privatautonomie beherrscht wurde, hat sich nunmehr zu einern sozial verträglichen Gestaltungsrecht entwickelt. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit wird durch das Bestandschutzvertrauen auf Seiten des Arbeitnehmers eingeschränkt. Enttäuscht dieser aber seinerseits das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit und Loyalität, kann er sich auch nicht mehr auf den regulären, durch Fristen gestalteten Kündigungsschutz berufen. Dann wird sein Vertrauen auf den Bestandsschutz nicht weiter geschützt, weil er sich selber nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat. Es entfällt die Basis für ein gegenseitiges Vertrauen. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit wird nicht länger im konkreten Fall durch den Grundsatz des Vertrauenschutzes beschränkt, sondern einzig nur noch durch die Selbstverantwortlichkeit des Ar124 Vgl. z. B. Hueck, Deutsches Arbeitsrecht, S. 89, der hiermit die Abkehr des Arbeitsvertrags vorn einfachen schuldrechtlichen Vertrag begründete; Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte 1951; Nikisch, Dienstpflicht und Arbeitspflicht in FS für Nipperdey zum 60. Geburtstag, S. 76. Allerdings haben einige Errungenschaften aus dieser Zeit noch heute ihre Berechtigung, wie der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Haftungserleichterung für Arbeitnehmer, vgl. dazu Söllner, Die Arbeitsgerichtsbarkeit im Wandel der Zeit, Die Arbeitsgerichtsbarkeit, FS zum l00jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S.IO. 125 Nikisch, Arbeitsrecht Erster Band, S. 31. 126 Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts7, Erster Band S. 28 mit Hinweis auf Hueck, Der Treuegedanken im modernen Privatrecht. 127 Schon Staudinger / Nipperdey / Mohnen 11, Vorbem. vor § 611 Rdnr. 300, eingehende Kritik bei Richardi in MünchArbR/Richardi Bd. I § 8 Rdnr. 8.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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beitgebers. Weil die Privatautonomie nicht nur das freie Schließen von Verträgen, sondern auch das Lösen von denselben bedeutet, ist der Arbeitgeber befugt, sich von dem vertrauensunwürdigen Arbeitnehmer zu trennen. Damit liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB wegen Vertrauensverlusts vor, der dem Grundsatz der Privatautonomie explizit den Vorrang einräumt. Der historische Rückblick macht ferner deutlich, daß das Kündigungsrecht ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung politischer und gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland gewesen ist, wobei es leicht den jeweiligen Verhältnissen angepaßt werden konnte. Dafür sind im Hinblick auf die Theorie vom Arbeitsvertrag als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis große dogmatische Anstrengungen unternommen worden. Angesichts des dadurch ermöglichten Mißbrauchs des Kündigungsrechts ist es wichtig, das schützenswerte Vertrauen auf das vom BGB vorgesehene, privatautonom zu schließende Dienstverhältnis zu begrenzen. In jedem Einzelfall eines Arbeitsverhältnisses sind nur die ganz individuellen Vertrags- und Treuepflichten sowie das personalisierte Vertrauen erheblich. Die Wertigkeit dieser Pflichten und damit die Kündigungsrelevanz ihrer Störung wird aus der Perspektive eines objektiven, gerecht denkenden Arbeitgebers betrachtet. Diese objektivierte Sicht unterliegt den ständig wechselnden gesellschaftlichen Vorstellungen und Wertmaßstäben. Das wird immer wieder deutlich, bei politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland.
IH. Die Methodik zur Bestimmung des Vertrauensverlusts als ein wichtiger Grund nach § 626 BGB
Ob der Vertrauenswegfall im Arbeitsverhältnis nach heutiger Ansicht ein "wichtiger" Kündigungsgrund nach § 626 BGB sein kann, ist neben der historischen Auslegung der Norm an den heute anerkannten Rechtsprinzipien zu messen. Dabei muß die Auslegung insbesondere an den die Einzelregelungen überragenden rechtsethischen Prinzipien 128, wie dem Prinzip des Vertrauensschutzes, auszurichten sein. Beim Zusammenspiel mehrerer Prinzipien bedarf es im Kollisionsfall der Prüfung, inwiefern die ,,ratio legis" der einzelnen Regelung in die eine oder andere Richtung tendiert. Als ratio legis einer Norm ist sowohl der Zweck als auch der vernünftigen Grund, das Prinzip einer Regelung zu bestimmen l29 . Die erste Überlegung ist daher, ob es ein solches Prinzip des Vertrauensschutzes gibt, das es rechtfertigt, im Vertrauensverlust im Arbeitsverhältnis einen wichtigen Grund zu sehen. Das bedarf zunächst der begrifflichen Bestimmung rechtserheblichen Vertrauens und sodann der Suche nach anerkannten vertrauensschützenden Prinzipien. 128 129
Larenz, Methodenlehre, S. 336. Larenz, Methodenlehre, S. 336.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
J. Der Begriff des Vertrauens im System des Rechts Der Begriff des Vertrauens hat in verschiedenen Bereichen des Zivilrechts eine anerkannte Stellung. § 242 BGB, einer der ,,königlichen Paragraphen,,130 des BGB beinhaltet im Prinzip von Treu und Glauben insbesondere Vertrauensschutz. Glaube im Sinne von § 242 BGB bedeutet nach Siebert Vertrauen auf die Treue zum Wort 131 . Eichler 132 setzt sogar Glaube und Vertrauen begrifflich gleich. Nach heutiger Betrachtungsweise stellt die Begriffspaarbildung "Treu" und "Glauben" jedoch nur eine Formel dar, deren Inhalt abstrakt nicht zu bestimmen ist und die nur im Zusammenhang mit einem konkreten juristischen Kontext verwendet werden kann 133. Durch ihre Variabilität für die verschiedensten rechtlichen Beziehungen, öffnet sich der Grundsatz von Treu und Glauben jedoch für Rechtsgebiete auch außerhalb des Bürgerlichen Rechts. Vertrauensschutz gehört anerkanntermaßen zu den tragenden Grundsätzen der gesamten Rechtsordnung 134, das heißt auch im Staats- und Verwaltungsrecht l35 . Die fundamentale Bedeutung des Wertbegriffs "Vertrauen" für das Zivilrecht, das auf dem Gedanken der Privatautonomie aufbaut, wird teilweise darin gesehen, daß das Vertrauen als das "Korrelat der Privatautonomie,d36 bzw. "Korrelat der privatautonomen Gestaltungsfreiheit,,137 betrachtet werden kann. Die Privatautonomie erlaubt dem Individuum seine Rechtsverhältnisse nach dem eigenen Willen zu gestalten 138. Eine Begrenzung der Privatautonomie soll aber nach Larenz sowohl durch die Selbstverantwortung des einzelnen, als auch durch den Vertrauensschutz als "die beiden Seiten ein und derselben Medaille,,139 erfolgen. Das Gesetz gewährt zwar Vertrauensschutz nicht im Sinne einer positiven Vertrauensentsprechung, eine derartige "Erfüllungshaftung" ist ihm fremd 140. Denn 130 Hedemann, Die Flucht in die GeneralkIauseln, S. 6, zählt dazu die §§ 138, 157, 226, 242, 826 BGB wegen des in ihnen enthaltenen Billigkeitsgedankens. 131 Soergel/Siebert 9, § 242 BGB Bem. 5. 132 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 17. 133 Staudinger I Schmidt § 242 BGB, Rdnr. 10 ff., m. w. N. 134 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 6; Larenz, Richtiges Recht, S. 80; ders. BGB-AT S. 43 f.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 358. m Vgl. zur Rückwirkung von Gesetzen BVerfGE 25,37; Maunz I Dürig I Herzog, 20 GG, Anm. 65 ff.; Pieroth, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz des Vertrauensschutzes, JZ 1984, S. 971. 136 StaudingerlSchmidt l2 , § 242 Rdnr. 1222. 137 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 440. 138 Heute h. M. vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 74, mit weiteren umfangreichen Nachweisen, etwa Flurne, BGB AT 11 § I S. I .. 139 Larenz, Bemerkung zur Haftung für "culpa in contrahendo", FS für Ballerstedt, S. 397 ff. 140 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 412.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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das Erfüllunginteresse wird dem in seinem Vertrauen Enttäuschten nur dann gewährt, wenn ein bindendes, rechtsgültiges Versprechen des anderen Teils gegeben ist l41 . Jedoch erhält ein berechtigt Vertrauender auf der sekundären Ebene Ansprüche aus Vertrauenshaftung. Die zentrale Norm der Vertrauenshaftung im BGB ist § 122 BGB. Die Norm trägt den Interessen des schutzwürdig auf die Gültigkeit einer Willenserklärung Vertrauenden insoweit Rechnung, als sie eine Haftung 142 des Erklärenden auf das negative Interesse des Vertrauenden begründet. Das gilt sowohl für die fehlerhafte, als auch für die scheinbare Willenserklärung. Die Vertrauenshaftung setzt aber voraus, daß der Verantwortliche am Rechtsverkehr teilnimmt, weil nur dann eine Sonderbeziehung zum Vertrauenden besteht. Der Erklärende muß wissentlich einen Vertrauenstatbestand schaffen 143.
a) Der Widerspruch des Vertrauensschutzes zur Rechtsgeschäftslehre In der Rechtsgeschäftslehre haben sich die vertrauenstheoretischen Ansätze, weIche den Vertrauensgedanken als tragenden Geltungsgrund für die Verbindlichkeit von Rechtsgeschäften betrachteten oder bindende Rechtsfolgen aus einer fehlerhaften Willenserlärung zulassen wollten, nicht durchsetzen können 144. Trotz seiner fundamentalen Bedeutung für die Rechtsordnung kann nach heute herrschender Erkenntnis das Vertrauen als soIches nicht Verpflichtungsgrund für Rechtsgeschäfte sein. Nur das Rechtsgeschäft, nicht aber der Vertrauensgedanke ist das einzige Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie l4S . Als Beispiel kann hierzu die Lehre von dem faktischen Arbeitsverhältnis dienen. Die Parteien eines unwirksamen Arbeitsvertrags erhalten keine tatsächlichen sondern nur quasivertragliche Ansprüche l46 • Denn nur für die Vergangenheit wird das Arbeitsverhältnis als fehlerfreies behandelt l47 . Dem Arbeitnehmer sollen wegen seines Vertrauens in das für wirksam erachtete Arbeitsverhältnis nicht rückwirkend Gehaltsansprüche genommen werden. Keinesfalls folgt aus der Durchführung des Arbeitsverhältnisses jedoch ein Anspruch auf Abschluß eines (wirksamen) Arbeitsvertrags, es wird nur die Fiktion eines soIchen erzeugt. Die Fiktion des wirksamen Vertrags erlischt Singer a. a. O. S. 99. 110 unter Verweis auf §§ 286. 325. 326.463 BGB. I.S. einer "Veranlassungshaftung", die kein Verschulden des Erklärenden voraussetzt. Entgegen der früheren Auffassung des RG (RG 170,284), kann der Norm jedoch nicht der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, daß derjenige. der auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung schützenswert vertraut hat, gegen den Erklärenden einen Schadensersatzanspruch hat. wenn die Willenserklärung allein aus einem bei diesem liegenden Grunde unwirksam ist (Soergel-Hefermehl Rn. 2 m. w. N.). 143 Singer a. a. O. S. 115. 144 Canaris. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 412 mit umfassenden Nachweisen. insbesondere gegen Craushaar, S. 35 ff .. 145 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 413. 146 Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 35 III. 3. 147 BAG AP 18 § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis. 141
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
erst dann, wenn das faktische Arbeitsverhältnis unter Anwendung der üblichen gesetzlichen Beendigungsvoraussetzungen tatsächlich aufgelöst wird. An der Lehre vom faktischen Arbeitsverhältnis wird besonders deutlich, daß einerseits ein schützenswertes Vertrauen des ohne (wirksamen) Arbeitsvertrag Tätigen anerkannt wird, welches nahezu vollständig auf das Erfüllungsinteresse des faktisch tätigen Arbeitnehmers gerichtet ist. Gerade weil auf einen wirksamen Vertrag vertraut wird und bisher vertraut werden konnte, ist der die Arbeitsleistung erbringende Arbeitnehmer in diesem Fall schutzbedürftig. Das Vertrauen in einen nichtigen aber immerhin abgeschlossenen Vertrag ist größer, als das vorvertragliche Vertrauen, daß ein wirksamer Vertrag zwischen den Parteien geschlossen werde 148. Der Arbeitnehmer wird nach den Regeln des faktischen Arbeitsverhältnisses daher zu Recht so behandelt, als bestünde ein wirksamer Arbeitsvertrag. Andererseits wird ihm ein Anspruch auf Abschluß eines wirksamen Vertrags verwehrt. Der Grund liegt darin, daß eine Vertrauensposition - sei sie auch derart schützenswert - nicht die vom Willen bei der Parteien getragene Einigung ersetzen kann. Einem solchen Ergebnis stünde die Rechtsgeschäftslehre entgegen. Der Wille als Verpflichtungsgrund für Verträge ist durch schützenswertes Vertrauen nicht austauschbar. Gerade die Selbstbestimmung rechtlichen HandeIns des einzelnen, die Respektierung der Selbstbindung durch das Privatrecht ist der Geltungsgrund für Willenserklärungen und nicht der durch sie gesetzte Anschein, der Grundlage für einen möglichen Vertrauensschutz sein könnte. Weil es nicht auf die Sichtweise des Erklärungsempfängers für die Geltung der Willenserklärung ankommt, läßt sich nach Canaris die Lehre von der Privatautonomie nicht mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes vereinbaren, weshalb Canaris konsequent zum Ergebnis der Selbständigkeit der Rechtsgeschäftslehre gegenüber der Lehre von der Vertrauenshaftung gelangt 149 . Dennoch erkennt er die vertrauensstärkende Kraft einer vertraglichen Verbindung zwischen den vertragsschließenden Parteien an und trifft die richtige Feststellung, daß "erst recht" nach Vertragsschluß ein "besonderes Vertrauensverhältnis" der Vertragsparteien besteht 150. Aus dieser Erkenntnis kann der scheinbare Widerspruch gelöst werden, warum der Wegfall des Vertrauens ein Auflösungsgrund für Verträge sein kann, wenn das zuvor investierte Vertrauen für die Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Vertrags keine entscheidende Bedeutung hat. Die Frage kann allein mit der Rechtsgeschäftslehre wegen des aufgezeigten Widerspruchs nicht beantwortet werden. Vielmehr folgt die Rechtfertigung des Vertrauens verlusts als Kündigungsgrund aus der 148 Canaris, Ansprüche wegen "positiver Vertragsverletzung" und "Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen, JZ 1965,475 ff., 476. weist im Zusammenhang mit der c.i.c. richtig auf die Tatsache hin, daß "nicht nur vor Vertragsschluß eine Sonderverbindung und ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien besteht, sondern erst recht nach Vertragsschluß". 149 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 412 ff. 150 Canaris, Ansprüche wegen "positiver Vertragsverletzung" und "Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen, JZ 1965,475,476.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Unzumutbarkeit, an einem Vertragspartner festhalten zu müssen, welcher das im Laufe der Zeit in ihn berechtigt investierte Vertrauen enttäuscht hat. Weil § 626 BOB heraushebt, daß das Kriterium der Unzumutbarkeit nur in besonderen Fällen über den Bestand eines Vertrags entscheiden kann, ist es notwendig, vertrauenstheoretische Ansätze zu finden, welche jene schützenswerten Vertrauenspositionen in einem Vertragsverhältnis herausfiltem, die von derart elementarer Bedeutung sind, daß sie den in seinem Vertrauen Enttäuschten berechtigen, sich vom Vertrag zu lösen.
b) Die verschiedenen vertrauenstheoretischen Ansätze. In vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wird vor allem für das Privatrecht rechtlich schützenswertes Vertrauen thematisiert l51 . Wenn auch allgemein Einigkeit über die Bedeutung des Vertrauens gerade für die Zivilrechtsordnung besteht, und der Begriff ständig verwendet wird, ist abgesehen von Einzelaspekten, wie im Falle der Vertrauenshaftung, unklar, wie dieser weite Begriff in die Systematik des Rechts einzufügen ist. So wird versucht, den abstrakten Begriff des Vertrauens durch gezielte Begriffspaarbildung zu systematisieren, ihm etwa die Bedeutung eines allgemeinen Rechtsprinzips zu geben. Vertrauen wird in den zusammengesetzten Begriffen "Vertrauensgrundsatz" 152 , "Vertrauensprinzip" 153 , "Vertrauensschutzprinzi p" 154, "Vertrauensansatz" 155 oder "Vertrauensmoment" 156 genannt. Das Ziel dieser Begriffsbildungen ist offensichtlich, Vertrauen in einen rechtlichen Hintergrund einzuarbeiten, da man kaum, wie Schmidt es ausdrückte, "auf das rein empirische Vertrauen, das ein Bürger dem anderen gewährt, abstellen konnte,,157. Preis nennt als Ursache dieses Problems die Abstraktionshöhe des Vertrauens als einem allgemein gültigen Prinzip, das "deduktive Ableitungen zur Lösung konkreter Rechtsprobleme" 158 kaum zuläßt. Es ist mithin erforderlich, das Vertrauen, das insbesondere für das Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung eine rechtliche Bedeutung besitzt, zunächst zu lokalisieren und in einem System von Über- und Unterordnungskriterien anzusiedeln. Für diesen Prozeß der Kate151 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht. 152 Larenz, AT § 2 IV im Sinne eines Vertrauensprinzips. 153 Larenz, AT § 2 IV, S. 43 in Form eines Vertrauensschutzes; Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes S. 200 im Sinne des Schutzes gerechtfertigten Vertrauens; Larenz a. a. O. ferner als schlicht die sozial-ethische Komponente im BGB. 154 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 358. ISS Staudinger I Schmidt l2 § 242 Rdnr. 1222. 156 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 1,8. 157 Staudinger I Schmidt l2 , § 242 Rdnr. 1222. 158 Preis, a. a. 0., S. 358.
1. Teil: Der Vertrauens wegfall als Kündigungsgrund
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gorisierung ist zunächst die Methodenlehre von Fikentscher 159 zu betrachten, der mit Einschränkung gefolgt wird. Anhand dieser Methodik soll die These aufgestellt werden, daß der Vertrauenswegfall als wichtiger Auflösungsgrund für Verträge einem eigenständigen Prinzip im BGB entspricht, das auf der gleichen methodischen Ebene wie das Prinzip der Vertrauenshaftung anzusiedeln ist. Es könnte auch als Prinzip der Vertrauensaufkündigung (d. h. Abstandnahme vom Vertrag wegen Vertrauensverlusts) bezeichnet werden und spiegelt sich insbesondere wider in Anfechtungs-, Rücktritts- und Kündigungsrechten. Ein Anfechtungs- oder Kündigungsrecht hat keinen eigenen Gerechtigkeitsgehalt. Diese Auflösungs gründe für Verträge stehen vielmehr dem Grundsatz pacta sunt servanda entgegen, sie bedürfen also einer inneren Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung kann darin gesehen werden, daß bestimmte Vertrauenstatbestände, die über das Vertrauen in die Einhaltung der vertraglichen Pflichten durch den anderen Teil und in die Erfüllbarkeit des Vertrags (pacta sunt servanda) hinausgehen eines besonderen Schutzes bedürfen.
2. Die vertrauensschützenden Rechtsprinzipien im Zivilrecht
a) Das Stufenmodell von Rechtsnonn, Rechtsprinzip und Rechtsinstitut Nach der Methodenlehre von Fikentscher l60 enthält das Zivilrecht ein System verschiedener Abstraktionsstufen von Rechtssätzen und -prinzipien. Auf der untersten und der speziellsten Ebene findet sich die Fallnonn. Eine Fallnonn ist i.S.v. Fikentscher jede einzelne Regel des objektiven Rechts, die einen lösungsbedürftigen Sachverhalt umschreibt und ihm eine regelnde Rechtsfolge zuordnet. Somit ist die Fallnonn der Rechtssatz im technischen Sinne 161 . Aus der Bündelung von Fallnonnen entstehen Rechtsinstitute, etwa die Ehe. Rechtsprinzipien dagegen entstehen aus der Bündelung von Gerechtigkeitsaussagen. Es wird damit ein dreistufiges System vorgeschlagen, von der speziellen zur allgemeinen Rechtsaussage. Für die Suche nach dem Vertrauensprinzip interessiert vor allem die Frage, ob es sich um ein allgemeines Institut handelt oder um ein "echtes" Rechtsprinzip, das der Rechtsfindung im Einzelfall dienen kann. Angefangen auf der speziellsten Ebene, der Fallnonn, geht Fikentscher einen eigenen Weg, indem er nicht die Gesetzesnonn als solche dem Richter zur Lösung von Rechtsfragen zur Verfügung stellen will, sondern die Fallnonn. Das Gesetz soll dem Richter nur als "wertungsmäßige Vorzeichnung, wie Fälle zu entscheiden sind,,162 dienen. Zusammen aus Gesetz und aus Gewohnheitsrecht bildet der Richter die Fallnonn, welche dann erst als 159 160 161 162
Fikentscher, Fikentscher, Fikentscher, Fikentscher,
Methoden des Rechts, IV. Band. a. a. O. a. a. 0., S. 202. Präjudizienbildung, ZtRV 1985, S. 175.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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objektives Recht die Entscheidungsgrundlage darstellen soll 163. Diese Methode soll die "Gleichgerechtigkeit"164 in den verschiedenen Einzelfällen wahren. Gegen diese Konstruktion der Fallnonn hat aber Larenz zu Recht Bedenken erhoben. Er führt aus, daß die Fallnonn nach ihrer Definition durch Fikentscher so weit spezialisiert sei, daß sie gerade ihrer Aufgabe, der Gewährung von Gleichgerechtigkeit, nicht mehr nachkomme 165 . Er teilt mit der herrschenden Meinung die Auffassung, daß die Entscheidungsnonn, der die Rechtsfolge zu entnehmen ist, die Gesetzesnonn ist 166. Dem ist insoweit zu folgen, als Fikentscher sich dem folgenden Widerspruch ausgesetzt sieht: Wenn Fallnonnen sehr weit in den faktischen, zu subsumierenden Sachverhalt vorgeschoben sind, weil schließlich kein Fall dem anderen gleicht 167 , können sie nicht der gesuchten "Gleichgerechtigkeit" dienen, weil sie ebenso, wie die Gesetzesnonn, nur zur Lösung des Einzelfalls verwendet werden. Die methodische Konstruktion von Fikentscher ist jedoch nur in dieser Ausgangslage zweifelhaft und für die Suche nach dem Vertrauensprinzip nicht von entscheidender Bedeutung. Auch auf die Gefahr hin, dabei wertvolle Details zu übersehen, wird hier der hM gefolgt und als unterste, speziellste Ebene einer systematischen Ordnung des Rechts die Gesetzesnonn als solche betrachtet. Es ist festzustellen, daß es Nonnen, welche ein Recht zur Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls oder Mangels an Vertrauen in die Erfüllung oder den Fortbestand des Vertrags regeln, im BGB in allen Büchern gibt. Das zeigt sich in Kündigungs-, Rücktritts-, Auflösungs- und Anfechtungsrechten. Diese regeln die primären Rechtsfolgen für den fehlerhaften oder mangelhaft erfüllten Vertrag, indem sie über dessen Fortbestand entscheiden, während die Vertrauenshaftung erst die sekundären Rechtsfolgen behandeln, wenn die Auflösung eines Vertrags (vgl. § 325 BGB, Schadensersatz wegen Nichterfüllung) bzw. Nichtigkeit der Willenserklärung endgültig feststeht (§ 122 BGB, negatives Interesse).
b) Das Rechtsprinzip Werden Gerechtigkeitsaussagen gebündelt, entstehen Prinzipien oder Rechtsgrundsätze 168 . Als Beispiele nennt Fikentscher die Verschuldenshaftung, die Gefahrdungshaftung, die Vertrauenshaftung, Treu und Glauben im Verkehr als Auslegungsrichtlinie für Verträge, den Satz Johann Anselm Feuerbachs "nulla poena sine lege". Diese Grundsätze und Prinzipien sind seiner Auffassung nach Verallgemeinerungen von Aussagen, die auf sach- und gleichgerechte Entscheidungen abzielen. Ihre methodische Funktion liegt in der Hilfe bei der Suche nach der Fall163
164 165 166
167 168
Fikentscher, Methoden des Rechts, IV. Band, S. 323. Fikentscher a. a. O. vgl. zur Sach- und Gleichgerechtigkeit S. 190 ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 144. Larenz a. a. O. S. 145. Fikentscher a. a. O. S. 382. Fikentscher a. a. O. S. 212.
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I. Teil: Der VertrauenswegfalJ als Kündigungsgrund
nonn und deren Gerechtigkeitsgehalt. Weil diese Prinzipien und Rechtsgrundsätze selber Wertentscheidungen enthalten, können sie auch "materiale Prinzipien" bezeichnet werden 169. Es handelt sich um Gerechtigkeitsaussagen, die ihren Ursprung größtenteils im Naturrecht haben und die das stets veränderbare positive Recht der Gesetze überlagern. Als Beispiel sei wiederum die "Lex van der Lubbe" vom 29. 3. 1933 genannt. Auch wenn durch die Reichstagsbrandverordnung für die Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen nicht galt, bestand doch die allgemeine Gerechtigkeitsaussage fort, die eine solche Rückwirkung nicht zuläßt. Der Grundsatz nulla poena sine lege findet sich nun wieder in Art. 103 Abs. 2 GG und konstituiert dieses Rechtsprinzip also nicht neu, sondern zitiert es genaugenommen nur, auch wenn rückwirkende Strafgesetze fortan direkt an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen sind. Rechtsprinzipien, die als Gewohnheitsrecht gelten, erlangen wegen ihrer gesetzesübergreifenden bzw. -ergänzenden Wirkung selbst Gesetzeskraft. Art. 2 EGBGB bezeichnet daher als Gesetz im Sinne des BGB und des EGBGB jede Rechtsnonn. Prinzipien sind deshalb nicht nur lediglich" Gründe für Abwägungen" 170. Rechtsprinzipien sind nicht aus einem Selbstzweck heraus zu verwirklichen, sondern nur kraft ihrer nonnativen Geltung, wie jede andere Rechtsnonn auch. Es gibt im System der Rechtsnonnen kein Gesetz und auch kein Prinzip, das, wie Dorndorf meint, "in einem relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maß zu verwirklichen ist" 171. Sie geben lediglich dem Richter eine Wertung für die Entscheidungsfindung vor l72 , wenn diese insbesondere aus dem Gesetzesrecht selbst nicht zu ziehen ist 173 . Vertrauensschützende Prinzipien des BGB werden heute anerkannt, in Fonn des Prinzips von Treu und Glauben und der Rechtsscheintheorie, dem Prinzip des Gutglaubensschutzes gemäß der §§ 892 und 932 BGB und schließlich dem Prinzip der Vertrauenshaftung. Diese Rechtsprinzipien enthalten jeweils eigene Gerechtigkeitsaussagen, die in vielfältiger Fonn das gleiche gewähren, nämlich Vertrauensschutz. Mangels inhaltlicher Bestimmung ist Vertrauensschutz nur der Rahmen, in dem diese Prinzipien ihren Platz finden. Dieser Rahmen könnte auch bezeichnet werden, als der "Vertrauensgedanke" des BGB, das "Vertrauensmoment"174 , der "Vertrauensansatz"m oder mit der Methodik nach Fikentscher schlicht das Institut 169 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 42 unterscheidet sie von den formalen Prinzipien, weIche wertneutral sind, z. B. (nach Canaris, Die FeststeIJung von Lücken im Gesetz, S. 94 ff.) das Abstraktions- oder das Akzessorietätsprinzip) und von den regulativen Prinzipien (vgl. Henkel in FS Mezger S. 261 ff., 268, 301 ff.), etwa das Prinzip der Zumutbarkeitl Unzumutbarkeit. 170 Domdorf/WelJer/Hauck§ I KSchGRdnr.171 ff. 171 Domdorf/WelJer/Hauck § I KSchG Rdnr. 171 ff. 172 Canaris, Die FeststeIJung von Lücken im Gesetz, S. 93 f. 173 So auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 40. 174 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 1,8. 175 Staudinger / Schmidt § 242 BGB Rdnr. 1222.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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des Vertrauensschutzes. Dagegen paßt die Bezeichnung Vertrauensprinzip methodisch nicht, weil aus dem Rahmen des Vertrauensschutzes selbst keine eigene Gerechtigkeitsaussage folgt, sondern erst aus der Konkretisierung der einzelnen vertrauensschützenden "echten" Prinzipien. Es sei denn, das Vertrauensprinzip wird als sog. "offenes Prinzip ,,176 behandelt, welches zu seiner Anwendung der weiteren Konkretisierung durch Unterprinzipien und Einzelwertungen bedarf, um einen bestimmten Rechtssatz zu bilden 177. Gerade diese Unfähigkeit aber, selbst als Rechtsgrundlage verwendet zu werden, hebt die offenen Prinzipien auf eine methodische Ebene mit den Rechtsinstituten Fikentschers, so daß weniger inhaltlichmethodische als begriffsmethodische Unterschiede bestehen. Wegen der begrifflich klaren Unterscheidung von Instituten und Prinzipien, ist aber der Methodik Fikentschers zu folgen. Für die Frage des Vertrauenswegfalls als Kündigungsgrund helfen diese oben genannten offenen Prinzipien i. S. d. h.M. nur ansatzweise weiter. Auch aus der Institution selbst sind keine Tatbestandsvoraussetzungen zu ziehen. Es kommt im weiteren daher darauf an, inwieweit das BGB ein Prinzip des Vertrauenswegfalls oder -mangels als Auflösungsgrund für Verträge zuläßt, sei es als "echtes Vertrauensprinzip" oder als Konkretisierung des Vertrauensschutzprinzips i. S. d. h.M .. Generell kritisch dagegen sieht Wank 178 die Heranziehung von Prinzipien zur Auslegung arbeitsrechtlicher Normen. Gerade aber ein "offener" Tatbestand, wie der des § 626 BGB erfordert die Arbeit mit solchen Rechtsprinzipien. Eine Anwendung der Norm z. B. ohne Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erscheint unmöglich.
c) Die Rechtsinstitute Von den "echten" Rechtsprinzipien sind nach Fikentscher die Rechtsinstitute zu unterscheiden. Bündelt man die auf ein sachverhaltliches Lebensverhältnis bezogenen Fallnormen, so erhält man das ,,Rechtsinstitut", z. B. die Hypothek, den Vertrag zugunsten Dritter, die Treuhand, die Ehe. Da die Rechtsinstitute im Unterschied zu den Rechtsgrundsätzen nicht gebündelte Gerechtigkeitsaussagen, sondern nur gesammelte Fallnormen eines Lebensverhältnisses sind, tragen sie zu den Sach- und Gerechtigkeitsaussagen von Fallnormen nicht bei. Auch ohne die Konstruktion der Fallnorm trifft die Unterscheidung zu, wenn Rechtsinstitute schlicht als Kategorien des positiven Rechts verstanden werden. Das, was allgemein als Vertrauensprinzip bezeichnet wird, ist nach der methodischen Einordnung von Fikentscher 179 ein Rechtsinstitut wie etwa der Vertrag zugunsten Dritter oder die Ehe Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 45, 357 ff. Diesen methodischen Ansatz vertritt Preis in Übereinstimmung mit der h. M., vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 45, m. w. N. in Fn. 132. m Wank, Tendenzen der BAG-Rechtsprechung zum Kündigungsrecht, RdA 1993, 79, 80 f. 179 Fikentscher, Methoden des Rechts, IV. Band. 176 177
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
und wird zusammengesetzt aus gebündelten Fallnormen (bzw. Gesetzesnormen), die auf einen jeweils bestimmten Lebenssachverhalt bezogen sind. Im Unterschied zu den Rechtsgrundsätzen soll das Rechtsinstitut keine besondere Gerechtigkeitsaussage für die Fallnormen beinhalten, sondern diese nur sammeln l80 . Rechtsinstitute sind nur Vollständigkeitskontrollen, soweit Fallnormen bereits anerkannt sind, damit also nur Gruppen von Sach- und Gleichbehandlungssätzen. Deshalb lehnt Fikentscher eine Rechtsgewinnung aus der Institution, wie dem Vertrauensprinzip, kategorisch ab 181 . Nach diesem Verständnis ist es richtig zu sagen, das Vertrauensprinzip kann als solches nicht der Lösung des Einzelfalls dienen, es gestaltet das Recht nicht, weil es kein "echtes" Rechtsprinzip ist.
d) Die methodische Einordnung des Vertrauenswegfalls für die Auflösung von Verträgen Anders verhält es sich mit dem hier untersuchten Vertrauenswegfall als Auflösungsgrund für das Arbeitsverhältnis. Bündelt man die einzelnen Gerechtigkeitsaussagen des BGB über die Rechtsfolgen eines Vertrauensverlusts oder allgemeiner gesagt, eines Vertrauensmangels, erhält man das Prinzip, den Rechtsgrundsatz, daß ein im Vertragsverhältnis durch objektive Tatsachen enttäuschtes Vertrauen den betroffenen Teil zur Aufkündigung des Vertrags berechtigt. Dieses Auflösungs- oder Kündigungsrecht steht als selbständiges Prinzip neben anderen vertrauensschützenden Rechtsgrundsätzen, etwa der Vertrauenshaftung, dem Grundsatz von Treu und Glauben bei der Vertragsauslegung oder dem Gutglaubensprinzip. Es enthält eine eigene Gerechtigkeitsaussage, die in erster Linie auf dem Gedanken der Unzumutbarkeit basiert und in einzelnen Normen des BGB niedergelegt ist, etwa in den Verzugsregeln, die das enttäuschte Vertrauen des Gläubigers bei objektiver Vertragsgefährdung schützen, indem sie ihm ein Rücktrittsrecht gewähren. Das Wandelungsrecht bei Lieferung einer fehlerhaften Sache gemäß §§ 459 ff. BGB setzt das berechtigte und enttäuschte Vertrauen in die Lieferung einer fehlerfreien Sache in ein besonderes Rücktrittsrecht um. Die Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB zeichnet sich mit den Worten Herschels dadurch aus, daß die Befugnis zur außerordentlichen Kündigung eine befreiende Reaktion ist, "auf das fehlgeschlagene Vertrauen, die bestehenden Voraussetzungen eines intakten Arbeitsverhältnisses würden andauern" 182.
Fikentscher, Methoden des Rechts, IV. Band, VIII. Die Fallnonn, S. 202 ff. Fikentscher, Methoden des Rechts, IV. Band, VIII. Die Fallnonn, S. 202 ff. 182 Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, in Arbeitsleben und Rechtspflege, FS für Müller, S. 191 ff. 180 181
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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3. Die Prinzipienkollision
Weil einzelne Rechtsprinzipien unterschiedliche Gerechtigkeitsaussagen haben, kann es zu Kollisionen verschiedener Prinzipien kommen l83 . Die Kollisionslage wird entsprechend der Güter- und Interessenkollision behandelt, denkbar ist Verdrängung wegen höheren Wertgehalts oder Spezialität, wobei es stets der relativen Vorrangbildung bedarfl84 . Fraglich ist, ob bei einem Gebrauch der GestaItungsrechts der Kündigung generell das Prinzip der Privatautonomie mit dem vertrauensschützenden Prinzip des Bestandsschutzes auf Seiten des Gekündigten, kollidiert. Es gibt jedoch keinen allgemeinen Bestandsschutz als Rechtsprinzip, aus welchem sich unmittelbare Rechtsfolgen, etwa die Unwirksamkeit der Kündigung, ableiten ließe l85 . Das Vertrauen in den Bestand des Arbeitsverhältnisses ist vielmehr für den Arbeitnehmer nur eingeschränkt schutzwürdig l86 . Dazu existieren zahlreiche Vorschriften des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes, weIche einseitig den Bestand des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer schützen, wie z. B. das KSchG. Preis spricht daher treffend von einem einseitigen Besitzstandsschutz zugunsten des Arbeitnehmers l87 . Im Vordergrund einer Abwägung im Recht der außerordentlichen Kündigung steht daher nicht der den Arbeitnehmer schützende Bestandsschutz gegen das Prinzip der unternehmerischen Dispositionsfreiheitl 88 . Dafür gilt, wie bereits festgestellt, daß allgemein die Privatautonomie des einzelnen durch die Selbstverantwortung einerseits und durch den Vertrauensschutz andererseits als die sozialethischen Komponenten der Privatautonomie, begrenzt wird. Diese allgemeine Aussage läßt für das Kündigungsrecht lediglich die Erkenntnis zu, daß ein Arbeitsverhältnis allgemein wieder kündbar ist. Sie besagt ferner, daß von der Kündigung nicht beliebig Gebrauch gemacht werden darf, sondern das Vertrauen bei der Parteien in den Bestand generell zu berücksichtigen ist. Im Vordergrund stehen sich gerade bei der Kündigung wegen Vertrauensverlusts vielmehr die verschiedenen Vertrauensschutzprinzipien selbst gegenüber und entfalten untereinander ambivalente Wirkungen 189. Dem Vertrauen des Arbeitnehmers in den Bestand des Arbeitsverhältnisses steht der Vertrauensverlust als wichtiger Grund zur Kündigung auf Seiten des Arbeitgebers gegenüber. Im Einzelfall kann daher schützenswertes Vertrauen entweder die Grundlage der Rechtfertigung oder der Unwirksamkeit der Kündigung sein l90 . In der bei jeder Kündigung erforderlichen Einzelfallabwägung ist zu Lasten des Selbstbestimmungsrechts des Kün183 Vgl. Preis, a. a. 0., S. 43 m. w. N. 184 185 186
Preis, a. a. 0., S. 44. Preis, a. a. 0., S. 127. Oetker, Arbeitsrechtlicher Bestandsschutz und Grundrechtsordnung, RdA 1997, S. 9,
16. 187 188 189 190
Preis, a. a. 0., S. 121 ff. Dorndorf / Weller / Hauck KSchG § I Rdnr. 174. Vgl. für die Kündigung im allgemeinen Preis, a. a. 0., S. 358. Preis, a. a. 0., S. 358.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
digenden zu entscheiden, wenn das Kontinuitätsinteresse des Kündigenden überwiegt. Das Bestandsschutzvertrauen des Gekündigten ist aber andererseits dann nicht schützenswert, wenn überwiegende Vertragsinteressen des Kündigenden verletzt worden sind 19l. Bei der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts wegen Vertrauensverlusts kommt es daher nicht zu einer Kollision der das Recht der Kündigungen beherrschenden Rechtsprinzipien, sondern vielmehr zu einer erforderlichen Abwägung einzelner, sich gegenüberstehender Vertrauenspositionen.
4. Das Ergebnis
Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts wird als solche anerkannt. Wann aber ein Verlust von Vertrauen ein Kündigungsrecht auslöst, bedarf der inhaltlichen Bestimmung. Diese Bestimmung ist am geltenden Recht vorzunehmen. Das Recht der Kündigung im BGB enthält dazu keine Aussagen. Gesetzesanalogien bieten sich nicht an. Zum Gesetzesrecht gehören aber i.S.v. Art. 2 EGBGB auch die Rechtsprinzipien. Das Rechtsprinzip ist, sofern es gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, deshalb auch revisibles Recht gemäß §§ 549, 550 ZPO, § 12 EGZP0 192 . Ein "echtes" Rechtsprinzip, das der Rechtsgewinnung im Einzelfall dienen kann, ist in Form eines Prinzips des Vertrauensmangels als Auflösungsgrund für Verträge zu sehen und wird im weiteren näher bestimmt. Die allgemeinen Aussagen dieses Prinzips entfalten Wirkung für das gesamte Recht der Schuldverträge. Sofern dem die Natur des Arbeitsverhältnisses nicht entgegensteht, können die Aussagen dieses Prinzips zur Bildung von Vertrauenstatbeständen und zur Lösung des einzelnen Falls der Kündigung wegen Vertrauensverlusts herangezogen werden.
IV. Das Modell eines Prinzips des Vertrauenswegfalls als ein allgemeiner Auflösungsgrund für Verträge im Zivilrecht 1. Der Begriff des Vertrauens als Rechtsbegriff im Zivilrecht
a) Die Einleitung Das BGB enthält nur ansatzweise kodifizierte Aussagen zum Vertrauensschutz. Der Grund liegt darin, daß sich Vertrauensschutz nicht in allgemeingültige Formeln fassen läßt, weil Vertrauen per se nicht schützenswert sein kann. Entsprechend sind allgemeine Aussagen des Gesetzes zum Vertrauen nicht zu finden und konkret vertrauensschützende Normen tatbestandIich eng ge faßt. Das erschwert den Nachweis eines allgemeingültigen Prinzips des Vertrauensschutzes im BGB. Der Ausgangspunkt aller Überlegungen zu einem "echten" Vertrauensprinzip im 191 192
Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 ff., 257. Zum Gewohnheitsrecht vgl. Stein-Jonas/Grunsky §§ 549, 550 ZPO Rdnr. 3.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
65
BGB, wie z. B. es die Vertrauenshaftung ist, ist die Diskussion um die zwei "antinomischen Grundregeln,,193 der Auslegung von Willenserklärungen. Einerseits kann nach dem wahren Willen des Erklärenden gefragt werden l94 , andererseits wie die Erklärung bei seinem Gegenüber den Umständen nach aufgefaßt werden mußte l95 . Der Gesetzgeber hat sich nicht entschieden, indem einerseits gefordert wird, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 BGB), andererseits die Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§ 157 BGB) zu erfolgen hat. Für das Prinzip der Vertrauenshaftung ist anerkannt, daß Vertrauen als bloßer "Pflichtverstärkungsfaktor" nicht geeignet ist, einen selbständigen Haftungstatbestand zu bilden l96 . Es erzeugt nicht schon um seinetwillen eine haftungsrechtliche Sonderbeziehung 197. Canaris hat darüberhinaus die wichtige Feststellung getroffen, daß das bloße Vertrauen auf ein zukünftiges Verhalten einer Person, z. B. in deren Erfüllungsbereitschaft, grundsätzlich nicht schutzwürdig ist l98 . Zur Vertrauensbildung werde daher i.d.R. vorausgesetzt, daß die Parteien einen Vertrag geschlossen haben, es sei denn die Privatautonomie sei aus tatsächlichen Gründen außer Kraft gesetzt, und es bestehe ein billiges Interesse daran, faktisch gewonnenes Vertrauen zu schützen. Als Beispiel sei wiederum das faktische Arbeitsverhältnis genannt. Canaris unterscheidet damit privatautonom entstandenes Vertrauen und faktisches, kraft Billigkeit schützenswertes Vertrauen. Das ist durch das konkret gesetzlich geschützte Vertrauen zu ergänzen, wie im weiteren dargestellt wird. Ähnlich meint EichleT, daß es eine der Grundlagen einer Rechtslehre vom Vertrauen sei, daß es "nicht um seiner selbst willen" geschützt werde, sondern nur in den Grenzen der Rechtsordnung l99 . Es gebe also keinen absoluten Vertrauensschutz. Die Rechtsordnung ist im Hinblick auf den Vertrauensfortfall als Auflösungsgrund für Verträge nur bereichsdeckend ergiebig. Sie gibt immerhin wertvolle Anhaltspunkte für die Behandlung privatautonom erzeugter Vertrauenstatbestände, welche den Schwerpunkt schützenswerten Vertrauens im Arbeitsverhältnis ausmachen. Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 278. Lüderitz, a. a. O. S. 278 unter Verweis auf Puchta, Pandekten § 66 (I, 95) und Windscheid Lehrbuch6 § 84 (I, 262). Allerdings objektiviert Windscheid diese Auslegung, indem er sie auch am Wortsinn, d. h. am örtlichen besonderen Sprachgebrauch und der individuellen Redeweise des Erklärenden ausrichtet. Bei Zweifeln ist der wirkliche Sinn der Erklärung zudem unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen das Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde, zu bestimmen. Die Auslegung der Willenserklärung nur nach dem Empfangerhorizont zu bestimmen geht Windscheid entgegen früherer Auffassung zu weit (Windscheid Lehrbuch 7 § 84, 231, 233). 195 Lüderitz, a. a. O. S. 278 unter Verweis auf Jhering, JhJb 4 (1861), S. 72 Anm. 78. 196 Riesenhuber, Die Rechtsbeziehungen zwischen Nebenparteien, S. 156 m. w. N. 197 BGH, NJW 1974, S. 1503, 1504, wonach das Verbrauchervertrauen als solches nicht schützenswert ist. 198 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Recht, S. 355, 360 f., 366, 369, 396 ff., 436,441. 199 Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 18. 193 194
50uo
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
b) Die Erscheinungsfonnen kodifizierter Vertrauenspositionen Vertrauen ist stets nur in Einzelaspekten kodifiziert worden (z. B. §§ 122, 627 BGB, §§ 266, 266b, 353a und 353b ff. StGB (Untreue, Mißbrauch von Scheckund Kreditkarten, Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, Verletzung einzelner besonderer Geheimhaltungspflichten). Dabei besteht Vertrauens schutz nur in den .engen gesetzlichen Grenzen, etwa im Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen gemäß Art. 103 Abs. 2 GG oder in der Vertrauenshaftung nach § 122 BGB. Mangels hinreichender Kodifizierung auch für das Arbeitsverhältnis, lassen sich Umfang des vertraglich eingeräumten, geschützten Vertrauens und die Grenzen des Wegfalls für die Kündigung und Auflösung nur schwer erfassen.
c) Schützenswertes Vertrauen und rechtsgeschäftliche Willenserklärungen Das BGB läßt rechtlich schützenswertes Vertrauen sowohl durch rechtsgeschäftliche Willenserklärungen entstehen (z. B. die Zusicherung einer Eigenschaft nach § 459 Abs. 2 BGB), wie auch den Umstand, daß eine Willenserklärung mangels Wirksamkeit gerade nicht vorliegt (Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB). Rechtlich schützenswertes Vertrauen wird daher nicht an die Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung geknüpft. Durch Tatsachen, wie den bloßen Zeitablauf gesetzlicher Fristen, kann schützenswertes Vertrauen ebenso entstehen, wie auch durch gesetzlich vorgegebene Rechtsscheintatbestände. Dabei wird wiederum deutlich, daß es kein an sich schützenswertes Vertrauen gibt. aa) Das privatautonom entstandene Vertrauen
Vertrauen wird im Recht der Verträge nicht nur dort geschützt, wo es durch rechtsgeschäftliche Willenserklärung, bzw. vertraglich eingeräumt wurde. Canaris hat in diesem Zusammenhang festgestellt, daß Vertrauen ebenso wenig für die Geltung eines Rechtsgeschäfts erforderlich ist, wie es andererseits auch nicht genügt, die Rechtsverbindlichkeit eines Versprechens zu erzeugen 2OO . So erzeugen Verabredungen zum gemeinsamen Theaterbesuch, Einladungen oder das Gelöbnis, das Rauchen aufzugeben, keine rechtliche Verbindlichkeit 2ol • Auch der bloße Rat oder eine Empfehlung nach § 676 BGB können mangels Verbindlichkeit keine schützenswerten Vertrauenspositionen erzeugen. Vertrauen wird in bestimmten verkehrsüblichen, aber außerhalb des Schutzes der Rechtsordnung gestellten Geschäften erst gar nicht eingeräumt. Die Regeln der §§ 762 und 764 BGB (Spiel, Wette sowie Differenzgeschäft) sehen vor, daß diese Geschäfte keine Verbindlichkeiten
200
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Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Recht, S. 418. Canaris, a. a. O.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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begründen können, mithin auch keine schützenswerten Vertrauensinhalte. § 817 S. 2 BGB besagt dazu konsequent, daß dennoch geleistete Verbindlichkeiten aus sittenwidrigen Geschäften auch nicht zurückgefordert werden können. Wer sich also selbst außerhalb der Rechtsordnung stellt, erfährt keinerlei Schutz seines Vertrauens auf die Einhaltung der üblichen Vertragsgebote. Andererseits kennt das BGB unabhängig von der Voraussetzung rechtsgeschäftIich wirksamen Handeins - positivrechtliche Tatbestände einer Vertrauenshaftung für die wissentliche Schaffung eines Scheintatbestands z. B. in den §§ 116 S. 1, 179 Abs. 1 BGB. Die positive Einstandspflicht bei der wissentlichen Erzeugung eines Scheintatbestands ist sachgerecht202 , weil derjenige der weiß, daß er einen Scheintatbestand und damit einen Vertrauenstatbestand schafft, nicht schutzwürdig ist, wenn er diesen nicht gegen sich gelten lassen wiIl 203 • Auch das Institut der c.i.c. oder das der p.F.Y. schützen Vertrauen zwischen Individuen, die sich auf einer geschäftlichen Ebene getroffen haben gerade dann, wenn es nicht privatautonom entstanden ist, sondern nur anläßlich des rechtsgeschäftIichen Kontakts oder als Nebenaspekt eines Vertrags. Bereits die vorvertragliche Sonderverbindung erzeugt ein Vertrauensverhältnis 204 • Allerdings setzen diese Institute immerhin einen rechtlich erheblichen Kontakt voraus und mithin einen bereits erkennbaren (c.i.c.) bzw. bereits geäußerten (p.F.Y.) Rechtsgeschäftswillen. Die Aussage, rechtlich schützens wertes Vertrauen könne nur durch privatautonomes Handeln entstehen 205 , ist also angreifbar und zumindest dahingehend zu erweitern, daß es zumindest nur anläßlich privatautonomen Handeins erzeugt werden könne. Kein Kriterium für die Entstehung privatautonomen Vertrauens ist die Entgeltlichkeit der Geschäfte. Denn § 122 BGB ordnet ohne Unterschied auf die EntgeItlichkeit der Geschäfte eine Ersatzpflicht für Vertrauensschäden an 206 . Der Schluß, daß Vertrauen im Schuldrecht regelmäßig nur geschützt werden kann, wenn es durch ein Rechtsgeschäft oder wenigstens eine rechtsgeschäftIiche Willenserklärung, also privatautonom erzeugt wurde, ist nicht zulässig. Im Ergebnis ist es daher für die Schutzwürdigkeit von Vertrauenstatbeständen unerheblich, ob dieses durch rechtsgeschäftliches Handeln erzeugt wurde oder nicht. Vertrauen kann völlig losgelöst von rechtsgeschäftlichen Willensbetätigungen entstehen, seine Schutzwürdigkeit wird zwar regelmäßig durch privatautonomes Handeln bestimmt, doch nicht durch dieses legitimiert. Vertrauen besitzt daher einen von dem Gedanken der Privatautonomie losgelösten, ganz eigenen GerechtigkeitsgehaIt, es 202 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrs schutz im Recht der Willenserklärungen, S.115. 203 Singer a. a. 0., S. 115. 204 Canaris, Ansprüche wegen "positiver Vertragsverletzung" und "Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, S. 475, 476. 205 Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag. S. 11,19. 206 Lüderitz, a. a. 0., S. 290, 291.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
begleitet "quasi als Sonderrechtsbeziehung,,207 die rechtsgeschäftliehe Vereinbarung der Parteien ohne in dieser seinen Entstehungsgrund zu haben 208 . Vor diesem Hintergrund ist es allerdings bedenklich zu meinen, das Institut des Vertrauensschutzes sei gerade nicht mit der Rechtsgeschäftslehre vereinbar209 . Die Rechtsgeschäftslehre steht jedenfalls der Möglichkeit, durch Rechtsgeschäft, d. h. durch privatautonomes Handeln Vertrauen zu erzeugen, nicht entgegen. Zwar sind Vertrauenstatbestände regelmäßig unabhängig vom Bestand eines Vertrags, was die zentralen Nonnen der §§ 122, 179 und 307 BGB zeigen, doch steht das der generellen Eignung der Willenserklärung, schützenswertes Vertrauen zu erzeugen, nicht entgegen. Es ist eine geradezu typische Wirkung von Verträgen, daß sie unabhängig von ihrer gegenseitigen Bindungswirkung auch einseitig wirkende Reflexe von Vertrauenstatbeständen erzeugen.
bb) Das geschützte Vertrauen in bezug auf die zeitlichen Grenzen von Verträgen Das "Vertrauensinstitut" beherrscht das Zivilrecht in allen Büchern und schlägt sich nieder in Kündigungs-, Rücktritts-, Auflösungs-, Anfechtungs- und Haftungsrechten. Es unterscheidet schützenswertes und nicht schützenswertes Vertrauen, vorvertragliches (z. B. § 145 BGB - Bindung an den Antrag), vertraglich eingeräumtes (etwa § 459 Abs. 2 BGB - Zusicherung einer Eigenschaft), vertragsnachwirkendes Vertrauen (z. B. § 347 BGB - Haftung bei Rückgewähr) sowie gänzlich vom Rechtsgeschäft losgelöstes Vertrauen «§§ 122, 179,307 BGB). Für den Vertrauensmangel als Auflösungsgrund für Verträge ist es unerheblich, ob das verletzte Vertrauen vor Vertragsschluß, während der Erfüllung des Vertrags oder völlig losgelöst von dem vertraglichen Rahmen entstanden ist. Ein Vertrauenstatbestand kann bereits schützens wert entstehen, wenn z. B. während der Vertragsanbahnung, z. B. bzgl. einer Offenbarungspflicht beim Bewerbungsgespräch eine wirksame vertragliche Grundlage noch nicht existiert. Ferner können, wie im Besonderen Teil dieser Untersuchung gezeigt wird, auch zeitlich weit vor dem Vertragsbeginn begründete Umstände, wie z. B. Vorstrafen, generell geeignet sein, auf das schützenswerte Vertrauen des Arbeitgebers einzuwirken. Fordert man für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, daß es ausschließlich durch vertragliche Vereinbarung entstanden sein muS 2JO, dürften grundsätzlich alle Begebenheiten aus dem Vorleben eines Arbeitnehmers für eine Kündigung außer Acht bleiben oder deren Fehlen in die Vertragsverhandlungen mit aufgenommen werden. Werden etwa vermögensrechtliche Vorstrafen eines Prokuristen erst nachträglich bekannt, ist es bedenklich, diesen die Eignung, auf das schützenswerte Vertrauen des Arbeitgebers 207 208
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Canaris, Die Vertrauenshaftung, S. 245 ff. Canaris, a. a. O. S. 245 ff. Canaris, a. a. O. S. 245 ff. BeJling, a. a. 0., S. 19 ff.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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in die Integrität des Arbeitnehmers einzuwirken, abzusprechen. Dann bliebe schließlich nur die Möglichkeit, in dem Verschweigen der Vorstrafen eine Offenbarungspflichtverletzung zu sehen, die ihrerseits das Vertrauensverhältnis zu zerstören geeignet ist. cc) Die Überlagerung des Vertrauensschutzes in besonderen gesetzlichen Konstellationen
Vertrauen kann eingeschränkt werden in besonderen Fällen - etwa im Hinblick auf die Wirksamkeit des Vertrags. Wer mit einem nicht Geschäftsfähigen einen Vertrag schließt, erhält weder eine schützenswerte Vertrauensposition im Hinblick auf dessen Geschäftsfähigkeit, noch auf sämtliche Vertragspflichten, weil die §§ 104 ff. BGB dem entgegenstehen. Darin liegt eine klare Wertung des Gesetzgebers: Das Prinzip des Minderjährigenschutzes überragt in jeder Hinsicht das Vertrauensprinzip im Rechtsverkehr. Wer einen Vertrag unter wucherischen oder sittenwidrigen Bedingungen schließt oder damit sonst gegen die Rechtsordnung verstößt, darf ebensowenig auf den Fortbestand oder die Einhaltung sämtlicher Vertragspflichten durch den anderen Teil vertrauen (§§ 138, 134 BGB). Vertrauensschutz wird über die gesetzlichen Regeln über den Bestand des Vertrags auch eingeschränkt bei Auflösungsgrunden, etwa bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, der ordentlichen Kündigung oder der Ausübung von Rücktrittsrechten. Vertragsnachwirkende Vertrauenstatbestände schützt die Rechtsordnung nur eingeschränkt (z. B. im Falle des Rücktritts im Auflösungsschuldverhältnis nach den §§ 350 ff. BGB).
d) Das durch Rechtsscheintatbestände erzeugte Vertrauen Rechtlich schützenswertes Vertrauen entsteht in erster Linie durch bzw. anläßlieh eines Vertrags. Eine andere, nicht vertragliche Entstehungsform gesetzlich geschützten Vertrauens sind die Rechtsscheintatbestände. Sie schützen Vertrauen lediglich abstrakt, ausweislieh eines objektiven Anscheins. Auf den materiellrechtliehen, kausalen und also privatautonomen Hintergrund soll es gerade nicht ankommen. Regelmäßig begründet privatautonom erzeugtes Vertrauen materielle Rechte und Pflichten und keinen Rechtsschein derselben. Oechsler meint, daß sich daher bereits die Begriffe Vertrauen und Rechtsschein nicht deckten 211 . Dem ist insoweit zu folgen, daß Rechtsscheintatbestände gerade dann entstehen, wenn Vertrauen zwar schützenswert erscheint, nicht aber als solches Gegenstand einer privatautonomen Erzeugung gewesen ist. Sind aber Rechtsscheintatbestände erzeugt und als schützenswert anerkannt worden, folgen auch aus ihnen in umgekehrter Betrachtung materielle Rechte und Pflichten. Entscheidend ist, daß Rechtsscheintatbestän211
Oechsler, Gerechtigkeit im modemen Austauschvertrag, S. 255.
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l. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
de dem Redlichktitsschutz dienen. Davon sind gesetzliche Fiktionen (z. B. Vaterschaftsvermutung beim ehelich geborenen Kind nach § 1591 BGB) zu unterscheiden, die nicht in erster Linie dem Vertrauen redlicher Dritter dienen sollen. Gesetzliche Vermutungen zum Schutz des Vertrauens im Rechtsverkehr gibt es etwa für Urkunden (§ 803 BGB (Zinsscheine), § 808 BGB (Namenspapiere), rechtlich erhebliche Tatsachen, (§ 932 BGB Verfügungsgewalt über Eigentum), 935 Abs. 2 BGB (Eigentumsvermutung bzgl. gestohlenen Gelds, Inhaberpapiere oder öffentlich versteigerter Sachen), 1006 BGB (Eigentumsvermutung des Besitzers), 1117 Abs. 3 BGB (Übergabevermutung bei Besitz der Briefbypothek), 1138 BGB (öffentlicher Glaube des Grundbuchs), 1148 BGB (Eigentumsfiktion des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers), 1155 BGB (öffentlicher Glaube beglaubigter Abtretungserklärungen), 1248 BGB (Vermutung des Eigentums des Verpfänders), 1362 BGB (Vermutung des Eigentums des Schuldners bei beweglichen Sachen im Besitz von Ehegatten), 1377 BGB (Vermutung der Richtigkeit eines Vermögensverzeichnisses von Ehegatten). Rechtlich geschütztes Vertrauen steht in einem engen Zusammenhang zum Prinzip des Guten Glaubens. Das Gesetz läßt teilweise den Schutz des Vertrauens aufgrund von Gutglaubenstatbeständen erst bei positiver Kenntnis (z. B. § 892 BGB für das Grundbuch), teilweise schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis (z. B. § 169, 173 BGB für die Innenvollmacht, §§ 1006, 932 Abs. 2 BGB für das Eigentum) entfallen. Daraus folgen zwei Erkenntnisse. Es gibt niemals Vertrauen wider besseres Wissen und teilweise sogar wider "besseres Wissenmüssen ". Der Unterschied hinsichtlich der Stärke der Gutglaubenstatbestände hängt von den Rechtsscheinsobjekten bzw. -subjekten ab. Öffentliche Urkunden, wie das Grundbuch, der Erbschein oder beglaubigte Abtretungserklärungen beinhalten eine gesetzliche Vermutung ihrer Richtigkeit212 • Den "öffentlichen Glauben" dieser Urkunden kann nur die positive Kenntnis von ihrer Unrichtigkeit zerstören (vgl. §§ 892, 2366 BGB). Diese Rechtsscheinträger ermöglichen daher nicht nur allgemein den redlichen Erwerb, sondern erzeugen auch nach den §§ 891,2365 BGB jeweils die Vermutung für die Berechtigung desjenigen, der durch den Rechtsschein ausgewiesen wird 213 • Was das Vertrauen in Personen als Erzeuger von Rechtsscheinstatbeständen angeht (Vollmacht nach §§ 169, 173 BGB oder Eigentumsrecht des Besitzers nach §§ 1006,932 Abs. 1 S. 2 BGB), so reicht dagegen in der Regel die grob fahrlässige Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse des jeweils anderen Vertragspartners aus. Die Unterscheidung ist im Hinblick darauf gerechtfertigt, daß der öffentliche Glaube von Urkunden neben dem Redlichkeitsschutz der Rechtssicherheit dienen soll und entsprechend schwer nur zu zerstören ist, denn die ausstellenden Behörden können den materiellrechtlichen Hintergrund der Urkundeninhalte nicht garantieren. Dagegen ist es im lediglich rechtsgeschäftlichen Kontakt von Privatpersonen dem vertrauenden Teil mög212 Vgl. § 891 BGB (Grundbuch), § 2365 BGB (Erbschein), § 1155 BGB (beglaubigte Abtretungserk1ärung). 213 Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 543.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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lieh und zumutbar, im Zweifel an der Richtigkeit einer Vollmacht oder des Eigentümerrechts nachzufragen und Beweise vom anderen Teil zu fordern (Vollmachtsurkunde, Kaufbeleg einer Sache). e) Die Bindung schützenswerten Vertrauens an guten Glauben Vertrauensschutz gewährt das BGB zum Teil unter der Anknüpfung an guten Glauben: §§ 822, 937 Abs. 2, 988 BGB. Eine klare Aussage ist, daß umgekehrt schützenswertes Vertrauen nicht entstehen kann, wenn kein guter Glaube besteht (etwa § 937 Abs. 2 BGB). Das Prinzip des guten Glaubens (und seines Schutzes) ist der Teil des Vertrauensinstituts, der ohne Zutun Dritter - insbesondere des Vertragspartners - also ohne Vertrauenseinräumung, originär erworben wird, sei es durch Gesetz oder Rechtsscheintatbestände. Guter Glaube besteht nur in dinglicher Hinsicht, d. h. auf den rechtlichen Zustand und auf die Rechte einer Person an einer Sache oder einer Verfügungsgewalt oder Bevollmächtigung. Der Schutz des guten Glaubens wird teils aus Gründen der Rechtssicherheit, teils als Redlichkeitsschutz an die beschriebenen Rechtsscheintatbestände geknüpft. Guter Glaube wird daher nicht abstrakt geschützt. Wegen der Spezialregeln des BGB zu den verschiedenen Gutglaubenstatbeständen und der ansonsten allgemeinen Wertung, daß grob fahrlässige Unkenntnis des Vertrauenden den Rechtsschein zerstört, ist die allgemeine Aussage aus dem BGB ableitbar, daß leichtfertiges Vertrauen im Rechtsverkehr nicht geschützt wird. Wer sich grob fahrlässig214 , also leichtfertig auf ein Rechtsgeschäft einläßt, dessen Nachteile er kennen müßte, hat kein schützenswertes Vertrauen darauf, daß diese Nachteile nicht eintreten. Dieser Gerechtigkeitsgehalt der Gutglaubenstatbestände, gilt gleichennaßen im Recht der Verträge. § 460 BGB ordnet an, daß der Käufer einer Sache dann keine Gewährleistungsrechte wegen eines Mangels beanspruchen kann, wenn er infolge grober Fahrlässigkeit diesen Mangel nicht erkannt hat. Sein grundsätzlich gemäß der §§ 459 ff. BGB schützenswertes Vertrauen in den Erhalt einer fehlerfreien Sache wird dadurch begrenzt. Kauft er z. B. ein 10 Jahre altes Fahrzeug, wird das Geschäft zu einem Risikokauf, die Haftung des Verkäufers wird eingeschränkt, weil der Käufer mit gravierenden altersbedingten Mängeln am Fahrzeug dann generell rechnen muß, unabhängig davon, was es für einen Eindruck macht. f) Das abstrakt und konkret geschützte Vertrauen
Die Rechtsordnung kennt und regelt den Schutz sowohl abstrakter, als auch konkreter Vertrauenstatbestände. Abstraktes Vertrauen wird meistens durch Gesetzes214 Grobe Fahrlässigkeit nach § 277 BGB liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß (BGHZ 10,16; 89, 161).
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
vorgaben oder gesetzliche Wertungen geschützt, z. B. auf Vertragseinhaltung (pacta sunt servanda, § 242 BGB). Erst durch die Erfüllung der vertraglichen Pflichten wird diesem abstrakten Vertrauen entsprochen, der Schuldner befreit (§ 362 BGB). Abstraktes Vertrauen wird damit in Bezug auf die Vertragstreue hinsichtlich des gesamten Rechtsverhältnisses geschützt. Wenn Canaris meint, ein solches abstraktes Vertrauen auf die bloße Vertragseinhaltung sei nicht schutzwürdig, so ist diese Aussage dahingehend zu relativieren, daß ein solches Vertrauen nicht über die Grenzen der gesetzlichen Instrumentarien (z. B. §§ 320, 323, 325 BGB) hinaus schutzwürdig ist. Gerade das Rücktrittsrecht und der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in § 325 BGB belegen, daß das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des anderen Teils generell, also abstrakt schutzwürdig ist. Bestimmte Vertragsformen erzeugen aus ihrem Typus heraus schützenswerteS abstraktes Vertrauen. So können die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft aufgrund der Wertung des § 705 BGB schützenswert darauf vertrauen, daß die Partner ihrer Verpflichtung nachkommen, die Gesellschaftszwecke nicht nur nicht zu gefährden, sondern auch zu fördern. Wird diese Förderungspflicht nicht übernommen 215 oder besteht sie schon aus anderen Gründen, wie etwa einer Hausgemeinschaft 216 , fehlt es an einem die Gesellschaft rechtlich konstituierenden Tatbestandsmerkmal. Konkrete Vertrauenspositionen werden regelmäßig durch privatautonomes Handeln geschaffen, aber auch gesetzlich vorgegeben. Konkretes Vertrauen wird bezüglich einzelner Pflichten geschützt (etwa §§ 459, 530 BGB). Der besondere Schutz konkreter Vertrauenspositionen, die meistens durch besondere Versprechen erzeugt werden, ergibt sich aus der gegenüber den ..normalen" Vertragverletzungen verschärften Haftung (z. B. Schadensersatz wegen Nichterfüllung bei Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft nach §§ 459 Abs. 2, 463 BGB). Dagegen werden Vertrauensenttäuschungen bzgl. der Hauptpflichten vergleichsweise milde behandelt (vgl. Wandelung, Minderung nach §§ 459 Abs. 1,462,467,346 BGB). Allerdings gewährt § 459 BGB dem Käufer gesetzlichen Schutz für dessen Vertrauen in die Mängelfreiheit der gekauften Sache, ohne daß es dazu einer besonderen Vereinbarung bedarf. Die Vertrauensenttäuschung führt allerdings nur in solchen gesetzlich geregelten Fällen zu Rechten und Ansprüchen des Vertrauenden. Eine konkret geschützte Vertrauensposition besteht weiterhin z. B. darin, zu wissen, wer Vertragspartner ist (Vertragsübernahmeregeln, § 593a BGB), Vertrauen wird dabei nicht nur bzgl. des Vertragspartners ( §§ 407, 414 BGB) geschützt, sondern auch bzgl. des Vermögensbestands als Haftungsmasse beim Schuldner.
215 Etwa bei bloßen Gefalligkeitsverhältnissen, vgl. MünchKomm I Ulmer § 705 BGB Rdnr. 15 ff. 216 Z. B. zwischen Mutter und Sohn, vgl. BGH WM 1972, S. 1122, 1123.
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g) Die Vertrauensenttäuschung durch den Vertragsbruch und die Vertragsgefährdung Nicht erst der bewiesene Vertragsbruch löst im allgemeinen die Rechtsfolgen der Vertragsauflösung oder Schadensersatzpflicht aus, sondern schon die objektiv belegbare, ernsthafte Gefährdung der Vertragserfüllung. Dieser Grundsatz wird z. B. deutlich in den Verzugsregeln im allgemeinen Schuldrecht. Nicht erst die feststehende Unmöglichkeit berechtigt einen Schuldner zur Abstandnahme vom Vertrag, sondern schon der Umstand, daß der andere Teil trotz Fälligkeit der Leistung diese nicht erbringt und ernsthafte Zweifel an seiner Möglichkeit der Vertragserfüllung aufkommen läßt (vgl. §§ 284, 326 BGB). Ein anderes Beispiel ist das Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 BGB, das den Erfüllungswilligen schon bei Gefährdung der Erfüllung durch den anderen Teil schützen soll. Versetzt man sich jeweils in die Lage des betroffenen Gläubigers, wird klar, daß bei Verzug des Schuldners bereits das Vertrauen in die ordnungsgemäße (d. h. rechtzeitige) Erfüllung enttäuscht worden ist, und nun das weitere Warten auf die Leistung nicht mehr zugemutet werden kann. Im Kündigungsrecht im Arbeitsverhältnis gilt gleichermaßen: Nicht alleine die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses (Vertragsbruch), sondern auch die objektiv nachvollziehbare Gefährdung des schützens werten Vertrauens kann den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen (z. B. durch außerbetriebliche Straftaten). Zahlungsverzögerungen oder ein Zahlungsrückstand von 10% bei einem Darlehensvertrag können zu berechtigten Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Vertragspartners führen und den Vertrauensrahmen für langfristige Dauerrechtsverhältnisse zerstören 217 . Bei einer solchen Gefahr der Vertrags beendigung muß aber zunächst gewarnt und die Möglichkeit der Abwendung der Gefahr gegeben werden.
h) Die gesetzlich vorgegebenen Vertrauensinhalte Vertrauensinhalte können von der Rechtsordnung bereits als gegeben vorausgesetzt werden und besonderen Schutz erfahren, wie z. B. in § 824 BGB: Jeder ist in Bezug auf seine Kreditwürdigkeit geschützt. Er kann auf Unterlassung von kreditschädigenden Äußerungen klagen. Diese Wertung hat noch einen anderen Effekt. Ein jeder darf mithin auch auf die Liquidität eines Geschäftspartners vertrauen. Für jenen ist der Umstand, kein Geld zu haben, kein Unmöglichkeitsgrund, mit dem er sich aus dem Vertrag lösen könnte, ("Geld hat man zu haben,,)218. Ein dahingehendes Unvermögen bleibt materiellrechtlich regelmäßig ohne Bedeutung. Weder wird der Schuldner nach § 275 Abs. 2 BGB frei, noch verwandelt sich die Geldschuld nach §§ 280, 279 BGB in eine Sekundärverbindlichkeit. Wenn auch 217 StaudingerlSchmidt Bd. 11 § 242 Rdnr. 1418 m. w. N. zur einschlägigen Rechtsprechung. 218 BGH, NJW 1989, S. 1276, 1278.
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das Vertrauen auf die Erfüllungsbereitschaft des Vertragspartners grundsätzlich nicht geschützt wird (Canaris), so ist doch damit die Feststellung zu treffen, daß immerhin das Vertrauen auf dessen Erfüllungsfahigkeit, mithin seine Eignung für einen rechtsgeschäftlichen Kontakt, schützenswert ist (so auch im Sinne der Theorie vom anfänglichen Unvennögen). Für den freien auf Privatautonomie gegründeten Wirtschaftsverkehr, in dem das Bargeschäft immer mehr in den Hintergrund tritt, ist es unerläßlich, daß allgemein in die Zahlungsfähigkeit von potentiellen Käufern vertraut wird. Ansonsten würde der Wirtschaftsverkehr tendenziös zum Rechtsverkehr, würde also mit Sicherungsgeschäften völlig überladen werden. § 824 BGB macht deutlich, daß in die Kreditwürdigkeit eines jeden Menschen vertraut werden darf, deshalb kein Anlaß zur Skepsis bestehen sollte, indem es diese persönliche Eigenschaft einem besonderen Deliktsschutz unterstellt. Für das Arbeitsverhältnis sehen sowohl die Kündigungsfristen nach § 622 BGB als auch § 613a BGB Vertrauensschutz vor. Gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB wird für den Fall des Betriebsübergangs geregelt, daß aus diesem Grunde dem Arbeitnehmer nicht gekündigt werden darf. Sein Vertrauen in den Arbeitsplatz wird damit unabhängig vom Betriebsinhaber geschützt. Weil er zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht allein in den Betriebsinhaber vertrauen soll, könnte im Falle der Anordnung des § 613a BGB auch von einer "Verdinglichung,,219 des Rechts am Arbeitsplatz sprechen. Losgelöst aber von der Diskussion um ein Recht am Arbeitsplatz 220 ist die Regelung des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB schlicht ein konkreter gesetzlich nonnierter Vertrauenstatbestand.
i) Die Relation von Störempfindlichkeit und Intensität des Vertrauenstatbestands Wenn Vertrauen enttäuscht wird, ist das meistens auf einen Vorfall, ein Verhalten desjenigen zurückzuführen, in den zuvor Vertrauen investiert wurde. Vertrauen zerfallt nicht von selbst. Für die Auflösung von Verträgen werden entweder Vertragsverletzungen verlangt (z. B.: § 440 BGB), zurechenbare Verkehrsrisiken (z. B. § 325 BGB) oder allgemein ein wichtiger Grund (z. B. § 626 BGB). Weil sich der Vertrauende zuvor auf bestimmte Umstände eingestellt hat, wird er später durch die davon abweichende Wirklichkeit enttäuscht221 . Vertrauen ist also ein schwe219 Hierzu und zum "Recht am Arbeitsplatz" kritisch Zöllner, Die Stellung des Arbeitnehmers in Betrieb und Unternehmen, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht S. 745, 748. 220 Vgl. Zöllner a. a. O. S. 747; ein (subjektives) ,,Recht am Arbeitsplatz" bejahen KRHillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 152; Schaub Arbeitsrecht, § 125 Nr. 15; verneinend dagegen: MünchKomm I Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 180; kritisch ferner Hueck, Die Pflicht des Arbeitgebers zur Wiedereinstellung entlassener Arbeitnehmer, FS für Julius Wilhelm Hedemann zum 80. Geburtstag 1958, S. \31 ff., 137, welcher Bedenken gegen eine derartige Ausdehnung des Schutzes des Arbeitsplatzes hegt und hierin lediglich einen vertraglichen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber sieht, jedenfalls nur ein relatives Recht, welches daher als sonstiges Recht nach § 823 Abs. I BGB nicht gelten kann.
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bender "psychologischer Tatbestand,,222. Weil Vertrauen, wenn es einmal aufgebaut ist, nicht dauernd geschützt werden kann, ist es leicht angreifbar durch sich ändernde Umstände. Für diese Störempfindlichkeit gilt, daß sie mit zunehmender Vertrauensintensität steigt 223 . Je stärker also der Vertrauenstatbestand ausgeprägt ist, desto störempfindlicher ist er. V. Craushaar hat diesen untrennbaren Zusammenhang von Intensität und Störempfindlichkeit aus der allgemeinen Lebenserfahrung geschlossen, was zwar einer dogmatischen Grundlage entbehrt, aber in seiner Logik überzeugt und nicht zu widerlegen ist.
j) Die vertrauensintensivierenden Faktoren Auf die Intensität einer Vertrauensposition haben viele Faktoren Einfluß. Das beginnt bereits bei der Art und Weise der Kontaktaufnahme zwischen zwei Menschen. Wie bereits dargestellt, schützt das Gesetz Vertrauen in vielen einzelnen Aspekten. Es enthält jedoch auch allgemeinverbindliche Wertungen, die für jeden einzelnen Vertrauenstatbestand gleichermaßen gelten und ebenso auf den Entstehungsprozeß von Vertrauen einwirken, wie auch dessen Intensität und damit auch Schutzwürdigkeit bestimmen. aa) Der Faktor Zeit
Daß Zeit ein Faktor für die Stärke einer Vertrauensposition ist, zeigt das BGB in vieler Hinsicht. Ansprüche unter Vertragspartnern verjähren. Selbst deliktische Ansprüche verjähren. Was in erster Linie zwar der Rechtssicherheit dienen soll, hat noch einen - wenn auch gesetzgeberisch nicht ausdrücklich erklärten - Nebeneffekt. Der Schuldner kann mit Ablauf der Verjährungsfrist darauf vertrauen, nicht mehr wegen der betreffenden Forderung in Anspruch genommen zu werden. Wird dieses Vertrauen mit Ablauf der Frist enttäuscht und die Forderung dennoch erhoben, steht dem Schuldner die Möglichkeit der Einrede zur Verfügung. Ein weiteres Beispiel findet sich in Form der Kündigungsfristen für Dienst- und Arbeitsverhältnisse nach § 622 BGB. Je länger ein solches bestanden hat, desto länger ist die Kündigungsfrist. Damit wird dem Betroffenen Bestandsschutz allein wegen der Vertragsdauer gewährt, ohne daß es einer entsprechenden Vereinbarung bedurft hätte. Wer sich bei der Abgabe einer Willenserklärung geirrt hat, muß diese ohne schuldhaftes Zögern anfechten, ansonsten verliert er das Anfechtungsrecht zum Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers in den Bestand der Erklärung. Wer eine Sache mehr als zehn Jahre als eigene besitzt, darf darauf vertrauen, sie nicht mehr an den bisherigen Eigentümer zurückgeben zu müssen. Er erlangt selbst das Eigentum, allein durch den Ablauf dieses Zeitraums nach den §§ 937 ff. BGB. 221 222 223
v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 15. v. Craushaar, a. a. O. S. 15. v. Craushaar, a. a. O. S. 15.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
bb) Die Möglichkeit der Einflußnahme und die persönliche Abhängigkeit als vertrauens intensivierende Faktoren
Vertrauen in einen Bestandsschutz als Ausfluß von Billigkeitserwägungen wird teilweise dort gewährt, wo soziale Abhängigkeiten und Störungsempfindlichkeiten eine Gefahr für den (meist unterlegenen) Vertragspartner darstellen. So regeln die §§ 569a und 569b BGB, daß ein Mietverhältnis beim Tod des Mieters zugunsten der Angehörigen fortgeführt werden kann, die sich durch ein solches Ereignis ansonsten in der Zwangslage befänden, sofort eine neue Wohnung und eine Umzug organisieren zu müssen. Eine Abhängigkeit gegenüber dem Vertragspartner ist auch kraft dessen überlegenen Wissens möglich, etwa bei Dienstverträgen i.S.v. § 627 BGB, die sog. höhere Dienste zum Inhalt haben, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen werden. Die Protokolle zum Entwurf des BGB erwähnen als Beispiele Ärzte, Lehrer 24 und Rechtsanwälte. Hier darf der Dienstberechtigte deshalb auch ohne sachgerechte Gründe, die er mangels eigenen Sachverstands auch nicht erkennen können wird, auch ohne den Vortrag eines wichtigen Grunds kündigen. Dem steht kein schützens wertes Vertrauen des Dienstverpflichteten gegenüber, weil diese Dienste nicht auf Dauer und nicht zu festen Bezügen angelegt sein dürfen (§ 627 Abs. 1 BGB). Somit entsteht auch kein Bestandsschutzvertrauen auf Seiten des Dienstgebers. Wegen der Möglichkeit der Einflußnahme auf Eigentumsund Vermögensinteressen und eines potentiell hohen Schädigungsniveaus können Arbeits-, Dienst- und Gesellschaftsverträge aus wichtigem Grund auch fristlos gekündigt werden (§§ 626, 627, 723). Das Stimmrecht eines Vereinsmitglieds kann bei einem Interessenkonflikt nach § 34 BGB ausgeschlossen werden. Die Vollmacht, die den Vertretenen willenlos dem Rechtsverkehr aussetzt, ist nach § 168 S. 2 BGB widerruflich, das Selbstkontrahieren des Vertreters nach § 181 BGB generell nicht erlaubt. Die Vertretungsmacht des Vormundes kann wegen § 1796 Abs. 2 BGB bei einem Interessenwiderspruch entzogen werden, gemäß § 1886 BGB kann der Einzelvormund bei GeHihrdung des Mündelinteresses auch entlassen werden. Aus wichtigem Grund kann das Vormundschaftsgericht einen Betreuer nach § 1908b BGB entlassen. Ein wichtiger Grund ist insbesondere dann gegeben, wenn seine Eignung nicht mehr gewährleistet ist, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen. Das Nachlaßgericht kann den Testamentsvollstrecker aus wichtigem Grund nach § 2227 BGB entlassen. Aus diesen gesetzlich geregelten Fällen persönlicher Abhängigkeit und potentieller Interessenkonflikte ist die folgende Wertung zu ziehen: Je höher die Einflußnahme und damit die Schädigungsgefahr ist, desto eher kann das persönliche Vertrauen über die Fortführung eines Vertragsoder sonstigen Rechtsverhältnisses entscheiden.
224 Lehrer fallen nach heutigem Verständnis nur noch darunter, soweit es um besondere Aus- und Weiterbildung geht, vgl. Schlosser, Erleichterte Kündigung von Direktunterrichtsverträgen, NJW 1980, S. 273, 274 m. w. N. und sofern persönliche Vertrauensverhältnisse entstehen können, vgl. Mugdan 11 913.
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k) Die gesteigerte Intensität des Vertrauens in Gemeinschaftsverhältnissen und Dauerschuldverhältnissen aa) Der Vergleich von Arbeitsverhältnis einerseits und Ehe und Familie andererseits
Für v. Craushaar ist einer der Gründe, welche Vertrauenstatbestände intensivieren, die persönliche Angewiesenheit des Vertrauenden auf die Verlaßentsprechung 225 . Diese Angewiesenheit wächst mit der Dichte der tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen226 . Der Verlaß auf Schutz, Fürsorge und Treue ist daher besonders hoch in Gemeinschaftsverhältnissen, wozu v. Craushaar neben der Ehe, Familie und der personenrechtlichen Gesellschaft auch das Arbeitsverhältnis zählt. Denn diese seien sämtlich durch persönliches Zusammenwirken und Zusammenleben geprägt und meistens auf eine größere Dauer angelegt227 . Das trifft für die Ehe und Familie zu, weil diese vom Idealbild des Gesetzgebers ausgehend nicht aufkündbar sind228 , geschweige denn als Ansprüche ausgeformt oder einklagbar sind229 . Wahrend das Arbeitsverhältnis privatautonom eingegangen und beendet werden kann, existiert Vertragsfreiheit im Eherecht nur eingeschränkt, z. B. das Güterrecht gemäß §§ 1408 BGB modifizierend. Gerade die Betonung der Vertragsfreiheit für das Güterrecht der Eheleute läßt erkennen, daß im übrigen dieser Grundsatz nicht gilt (argurnenturn e contrario). Eine Verwandtschaftsbeziehung kann nur im Extremfall der Adoption geändert werden, und zwar nur, wenn das dem Wohl des Kindes dient (§ 1741 Abs. 1 BGB), eine Ehe nur nach Zerrüttung (§ 1565). Das heißt, daß das BGB lediglich eine Art "worst-case-scenario" für Ausnahmezustände in der Ehe und der Familie enthält und diese zu regeln für notwendig erachtet hat. Ganz anders dagegen stellt sich dagegen die Beendigung von Arbeitsverhältnissen dar, die gemäß der §§ 622 ff. BGB grundsätzlich schnell und problemlos aufkündbar sind, was nur durch soziale und arbeitsmarktpolitische Gründe gehemmt wird. So steht einer kurzfristigen Kündigung innerhalb von 4 Wochen gemäß § 622 Abs. 1 BGB die Auflösung der Ehe nach regelmäßig einem Jahr Getrenntlebens (Zerrütungsvermutung § 1566 BGB) und zwar durch Urteil (§ 1565 BGB) gegenüber. Eine Verallgemeinerung beider Institute ist daher schon wegen dieser gesetzlichen Gewichtung unzulässig. Nikisch sieht den wesentlichen Unterschied darin, daß das Arbeitsverhältnis anders als die Ehe, keine "totale" Lebensgemeinschaft ist, weil es nur in einem bestimmten sozialen Bereich bestehe und nur im Erfüllungszustand den Charakter einer Gemeinschaft annehme, die über die bloße Arbeitsleistung hinausgehe 23o• Das ist es, was Nikisch als Dienstv. Craushaar, a. a. O. S. 15 ff. Thiele, Leistungsstörung und Schutzpflichtverletzung, JZ 1967, S. 649,653. 227 v. Craushaar, a. a. O. S. 16. 228 Vgl. § 1353 BGB, die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen, § 1589, Verwandtschaft bemißt sich al1ein nach der Abstammung und kann in gerader Linie nicht beendet werden. 229 Vgl. nur § 1297 BGB, die Ehe kann nicht aufgrund eines Verlöbnisses eingeklagt werden. 225 226
1. Teil: Der VertrauenswegfaJ1 als Kündigungsgrund
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pflicht von der Arbeitspflicht abgrenzt. Auch wenn es eine über die Arbeitspflicht hinausgehende Dienstpflicht als einseitige originäre Pflicht außerhalb des Beamtenverhältnisses nicht geben kann, sondern nur privatautonom geschaffene Vertrauenstatbestände, ist jedenfalls der von Nikisch vertretene Bereichsgedanke zutreffend. Ehe und Familie fallen in den sehr störanfälligen und verfassungsmäßig geschützten Bereich der intimen Privatsphäre, das Arbeitsverhältnis in den privatautonom gestalteten Geschäftsbereich eines Menschen. Arbeits- und Gesellschaftsvertrag sind von der Konzeption her Dauerschuldverhältnisse und keine unaufkündbaren personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisse, was nach heutiger Ansicht auch nicht mehr vertreten wird. Auf die deutschrechtlichen Hintergründe der Theorie vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ist bereits eingegangen worden231 • bb) Das in Dauerschuldverhältnissen intensivierte Vertrauen
Der Arbeitsvertrag ist wie auch der Gesellschaftsvertrag ein besonders vertrauensgeprägtes Schuldverhältnis, weil es sich um ein Dauerschuldverhältnis232 handelt. Daß es in diese Kategorie von Schuldverhältnissen fällt, ist heute einhellige Meinung233 . Der Grund der Kategorisierung liegt darin, daß die Arbeitsleistung anders als durch den Faktor Zeit quantitativ nicht zu bestimmen ist234 . Auch die Vergütung richtet sich proportional nach der geleisteten Arbeitszeit. Dabei kommt es auch auf eine etwaige Befristung nicht an. Der Dauerschuldcharakter zeigt sich darüber hinaus darin, daß wegen des erzeugten Vertrauens nach Aufnahme des Vertrags eine Anfechtung nach § 119 BGB (und § 123 BGB) nicht mehr möglich ist235 . Der Grund ist die Spezialität des außerordentlichen Kündigungsrechts gegenüber den Anfechtungs- und Nichtigkeitsregeln, jedenfalls dann, wenn die zugrundeliegenden Umstände zur außerordentlichen Kündigung berechtigen236 . Das Recht zur außerordentlichen Kündigung soll gerade auf Störungen reagieren, die im Verlauf des Vollzugs des Dauerschuldverhältnisses auftreten 237 • Die ex-nuncWirkung berücksichtigt dann den erworbenen Besitzstand des Vertrauens an die Wirksamkeit des Vertrags. Wird das Vertrauensverhältnis insbesondere durch eine 230
Nikisch, Dienstpflicht und Arbeitspflicht, FS für Nipperdey zum 60. Geburtstag, S. 74,
75. Vg\. oben 4. Abschnitt, 11.2. c) cc). MünchArbR I Richardi Bd. I § 8, Rdnr. 17; etwa Palandt-Putzo vor § 611 Rdnr. 5. 233 MünchKomml Kramer 2 BGB Einleitung Bd. 11 Rdnr. 87; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. I, S. 165; RGRK/Nastelski l1 , vor § 241 BGB, Anm. 13; StaudingerlSchmidt l2 , BGB, Ein\. zu § 241 ff. Rdnr. 300. 234 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 153. 235 Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 4. 236 Oetker, a. a. O. S. 441. 237 Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerschuldverhältnissen, S. 23 ff.; Staudinger/Richardi § 611 BGB Rdnr. 146. 231
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Pflichtverletzung zerstört und dem einen Teil die Fortführung deshalb unzumutbar, wird darin ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gesehen 238 . Diesen Grundsatz, der aus § 242 BGB abgeleitet werden kann 239 , wird auf die verschiedenen Ausgestaltungen von Dauerschuldverhältnissen angewendet 24o . Kritisch halten jedoch einige Stimmen in der Literatur den allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund außerordentlich kündbar sind für eine Leerfonnel 241 . Gerade weil das Dauerschuldverhältnis durch die lange Vertragsbindung wesentlich mehr Risiken ausgesetzt ist, als ein auf eine einmalige Leistung beschränktes Austauschverhältnis 242 , ist jedoch das Gestaltungsrecht der Kündigung aus wichtigem Grund von herausragender Bedeutung. Als ein wesentliches Risiko für das Dauerschuldverhältnis hat Schmidt das "Risiko des Weiterbestandes eines besonderen Vertrauensrahmens" herausgearbeitet 243 . Schmidt hebt zu recht hervor, daß das Dauerschuldverhältnis nicht per se ein vertrauensvolles Rechtsverhältnis ist, daß es sich aber besonders eignet, ein "vertrauensvolles Einvernehmen" zwischen den Parteien zu bilden 244 • Der Grund liegt darin, daß einige Dauerschuldverhältnisse, wie das Arbeitsverhältnis die persönliche Zusammenarbeit der Parteien von einiger Dauer begründen. Das Dauerschuldverhältnis greift stark in die Lebensbetätigung der Parteien ein und erzeugt eine besondere gegenseitige Interessenverflechtung 245 • Wird das auf dieser Grundlage gebildete Vertrauensverhältnis dadurch gestört, daß ein Vertragspartner das Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung wesentlicher Verpflichtungen durch den anderen Partner verloren hat, kann er das Rechtsverhältnis aus wichtigem Grund kündigen 246 • Als kontinuierliches Dauerschuldverhältnis befindet sich das Arbeitsverhältnis von der Einstellung des Arbeitnehmers an bis zur Beendigung in einem ununterbrochenen Zustand der Erfüllung247 • Aus dieser Erkenntnis schloß bereits v. Gierke, daß deswegen ein Anspruch des Arbeitgebers nicht nur auf die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Einzelpflichten bestehe, sondern daneben ein umfassender Gesamtanspruch. Für Nikisch ist dieser, für die abhängige Arbeit typische, dauernde Zustand persönlicher Gebundenheit 248 die Dienstpflicht im Arbeitsverhältnis, wähBGHZ 15,209. BGH NJW 1986, S. 1928; BGH WM1980, S. 80. 240 Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls RdA 1996, S. 223 ff., 228 m. w. N. 241 Schwerdtner, Arbeitsrecht I, S. 185; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 101. 242 Vgl. eingehend hierzu Staudinger / Schmidt, Bd. 11 § 242 BGB Rdnr. 1397 ff. 243 Staudinger/Schmidt, Bd. 11 § 242 BGB Rdnr. 1403 ff. 244 Staudinger / Schmidt a. a. O. 245 BGHZ 80,346,349 f. 246 Staudinger / Schmidt a. a. O. 247 Nikisch, Dienstpflicht und Arbeitspflicht in FS für Nipperdey zum 60. Geburtstag, S. 65 ff., 72. 248 Nikisch a. a. O. verweist hierbei auf Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 38. 238
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rend die Arbeitspflicht eine rechtliche Folge der Einstellung ist, die sich aus dem Weisungs- oder Direktionsrecht des Arbeitgebers ergibt und auf den Gegenstand der Arbeit, die Art, die Zeit und die Dauer der Ausführung erstreckt 249 • Während Nikisch noch eine umfassende Dienstpflicht anerkennt, die auch nach Dienstschluß oder z. B. im Urlaub des Arbeitnehmers fortgilt, hat die modeme Vertragstheorie ein Bedürfnis nach einer solchen umfassenden Verpflichtung abgelehnt 25o • Heute wird zu Recht angenommen, daß sich die Einordnung eines jeden Arbeitnehmers im Betrieb zwangsläufig durch den Vollzug der Arbeitsverpflichtung ergibt251 • Die Pflicht zur gegenseitigen Achtung und Rücksichtnahme, zur Wahrung des Betriebs friedens versteht sich mithin von selbst, ohne daß es der Konstruktion besonderer Treue- oder Dienstpflichten bedarf. Alle besonderen, arbeitsplatzspezifischen Pflichten müssen im übrigen privatautonom geschaffen werden.
I) Die Einschränkung der Privatautonomie
durch das Vertrauensprinzip Ebenso, wie das Prinzip des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge den Grundsatz pacta sunt servanda durchbricht, kann es im Gegensatz dazu auch den Grundsatz der Privatautonomie begrenzen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird der Grundsatz der Privatautonomie eingeschränkt z. B. in der Hinsicht, daß eine Kündigung eines Miet- oder Arbeitsverhältnisses nicht umgehend möglich ist, sondern nur unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen. Hier wird das Vertrauen des Gekündigten auf den Fortbestand noch so lange geschützt, bis er Gelegenheit findet, sich auf die Vertragsauflösung einzustellen. Der Mieter kann die Frist nutzen, sich eine andere Wohnung zu suchen, der Vermieter sich nach einem neuen Mieter umsehen. Damit werden aus vertrauensschützenden Gesichtspunkten die Auswirkungen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit zumindest abgeschwächt und teilweise sogar gänzlich verhindert (Verjährungsfristen). Wie schon festgestellt, ist damit das Prinzip des Vertrauensschutzes schlechthin die sozial-ethische Komponente in der deutschen Rechtsordnung. Ansonsten gilt der Grundsatz pacta sunt servanda. Im Regelfall kann sich niemand völlig privatautonom, ohne rechtlichen Grund, von einem einmal wirksamen Vertrag lösen. Andererseits gilt die Vertragsbindung aber auch nur im Rahmen der persönlichen Zumutbarkeit, die meistens vom vertragstreuen Verhalten des Partners abhängt. Gerät dieser in Verzug, leistet er schlecht oder gar nicht oder verletzt er sonstige Vertragspflichten, kann vom Vertrag zurückgetreten, dieser gewandelt oder gekündigt werden. Der zunächst oben 252 aufgezeigte Widerspruch des Vertrauensschutzes zur Rechtsgeschäftslehre ist vor den gewonnen Erkenntnissen nur ein scheinbarer. 249 250 251
252
Nikisch a. a. 0., S. 76, 77. BAG AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. Hueck/Nipperdey I S. 197 Fn. I; Söllner § 28 IV 1. IIl. 1. a) Der Widerspruch des Vertrauensschutzes zur Rechtsgeschäftslehre.
4. Abschn.: Vertrauenswegfa\l als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Wenn auch das Vertrauen selbst nicht Verpflichtungs grund für Verträge sein kann, kann es trotzdem in Form von schützenswerten Vertrauenstatbeständen den Fortbestand des Vertrags garantieren, bzw. die Gestaltungsrechte des Vertragspartners hemmen. Diese Wirkung kann jedenfalls in den genannten Dauerschuldverhältnissen nicht übersehen werden.
m) Die Vertrauenshaftung als Grundlage sekundärer vertrauensschützender Anspruche Die Vertrauenshaftung regelt die Behandlung enttäuschter Vertrauenstatbestände im Hinblick auf die Ersatzpflicht desjenigen, der diesen Umstand zu verantworten hat. Gemäß § 122 BGB ist der Anfechtende nach seiner Irrtumsanfechtung dem Erklärungsempfänger gegenüber schadenersatzpflichtig. Der sekundäre Anspruch aus der Haftung des anderen Teils hat eine Billigkeitsfunktion. Es soll der Schaden des Vertrauenden ersetzt werden, den er dadurch erlitten hatte, daß er auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute. In keinem Fall aber bietet das Prinzip der Vertrauenshaftung vertragsaufhebende Anspruche. Der in seinem Vertrauen Enttäuschte kann weder die Einhaltung verlangen, noch kann er sich vom Vertrag lösen, weil diese Folge gesetzlich eintritt, § 142 Abs. 1 BGB regelt die Nichtigkeit des angefochtenen Geschäfts. Deshalb ist das Prinzip der Vertrauenshaftung als Grundlage sekundärer Anspruche aus vertrauensschützenden Erwägungen grundsätzlich ungeeignet, Anspruche auf die Beendigung von Verträgen wegen enttäuschten Vertrauens zu gewähren. n) Das Prinzip des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge als Grundlage primärer vertrauensgewährender Anspruche Anders als das Prinzip der Vertrauenshaftung regelt das Prinzip des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge den primären Anspruch eines Vertragspartners auf Abstandnahme vom Vertrag, sei es durch Rücktritt oder Kündigung. Wer das Vertrauen in die Einhaltung der vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten des anderen Teils durch tatsächliche Umstände verloren hat, ist berechtigt, sich vom Vertrag zu lösen, weil ein Festhalten unzumutbar wäre. Wenn der andere Teil in Verzug mit seiner Leistung gerät und damit das Vertrauen in seine Leistungseignung oder -bereitschaft zerstört, ist der vertrauende Teil zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Wer an einer gekauften Sache nicht die zugesicherte Eigenschaft findet, kann ebenfalls zurucktreten, wenn ein Mieter die Mietsache vertragswidrig gebraucht, kann vom Vermieter fristlos gekündigt werden. Wer als Werkbesteller das Werk nicht im vereinbarten Zustand vorfindet, muß es nicht abnehmen. Wer als Arbeitgeber das Vertrauen in den Arbeitnehmer verliert, kann ihm, wenn dieser Umstand wichtig ist, kündigen. Diese sämtlichen Auflösungsgrunde für verschie60uo
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1. Teil: Der VertrauenswegfalI als Kündigungsgrund
dene Verträge haben die Gemeinsamkeit, daß sich der berechtigt vertrauende Teil immer dann vom Vertrag lösen kann, wenn sein Vertrauen in die Einhaltung der Vertragspflichten durch den anderen Teil enttäuscht wird. Der Gerechtigkeitsgehalt dieser Regeln, die den Grundsatz pacta sunt servanda durchbrechen, beruht dabei stets auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Das Prinzip, das damit vorgestellt wird, gilt für das gesamte Schuldrecht. Es bedürfte einer eigenen Untersuchung, seinen gesamten Inhalt und Umfang festzustellen. Für die hier vorzunehmende Untersuchung gilt jedoch festzuhalten, daß jedenfalls das Kündigungsrecht nach § 626 BGB Ausdruck dieses das Schuldrecht durchziehenden Prinzips des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge ist.
V. Die Übertragung des zivilrechtlichen Vertrauensschutzes auf das Arbeitsverhältnis 1. Das Arbeitsrecht als selbständiges Rechtsgebiet und als Teil des BGB
Weil für das Arbeitsrecht der Grundsatz der Privatautonomie gilt, ist die Einordnung als Teil des Zivilrechts vorgeprägt. Es gelten auch alle sonstigen zivilrechtlichen Grundsätze, weil das Arbeitsrecht kein eigenes Rechtsgebiet mit eigenen Normen, Grundsätzen oder Auslegungsregeln ist253 • Der Gesetzgeber hat zwar das Individualarbeitsrecht dürftig ausgestaltet, doch mit der Anordnung im BGB klargestellt, daß es Teil der Zivilrechtsordnung ist. Damit erhebt das BGB seinen Geltungsanspruch auch auf das Arbeitsrecht254 • Schon bei den Beratungen über den Entwurf des BGB wurde es als notwendig erachtet, die wesentlichen Bestimmungen des Arbeitsrechts aus der Gewerbeordnung heraus in das BGB einzuarbeiten255 • Als Grund wurde das Interesse an höherer Rechtssicherheit für beide Seiten der Arbeitsvertragsparteien genannt, welche die Gewerbeordnung in der damaligen Ausgestaltung nicht bieten konnte. Entscheidendes Kriterium für die Konzeption des Vertrauenswegfalls als Kündigungsgrund ist im weiteren die Feststellung, was mit dem Begriff des Vertrauens im Arbeitsverhältnis gemeint ist. Dieses ist vielschichtig. Es kann die Erwartung des Arbeitgebers beim Vertragsabschluß, der Arbeitnehmer werde den Vertrag ordnungsgemäß erfüllen, umfassen. Es kann auf die Einhaltung der Treue- und Loyalitätspflichten gerichtet sein, also die Person und Persönlichkeit des Arbeitnehmers betreffen. Ein solches Vertrauen kann durch ein Verhalten des Arbeitnehmers entstanden sein oder es genügt ein einseitiges vom Arbeitgeber entgegengebrachtes 253 Staudinger/Richardi Vorbemerkung § 611 BGB Rdnr. 125; ausführlich Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode? FS Hilger I Stumpf 1083, S. 573 ff. 254 MünchArbR/Richardi Bd. I Individualarbeitsrecht, § 1 Rdnr. 28. 255 2. Beratung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Stenographische Berichte 1896, S. 356.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
83
Vertrauen. Es muß ferner festgestellt werden, worauf sich im einzelnen das Vertrauen des Arbeitgebers erstrecken muß, um schutzwürdig zu sein. Nicht jedes Vertrauen, das beim Arbeitgeber im Verlauf des Arbeitsverhältnisses entstanden, später aber zerstört worden ist, berechtigt diesen zur Kündigung. Ohne diese Fragen zu klären, läßt sich nachvollziehbar kaum begründen, in welchen Fällen das Vertrauen des Arbeitgebers zerstört worden ist, so daß es dem Arbeitnehmer unmöglich geworden ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber daher zur Kündigung berechtigt ist.
2. Die Geltung der zivi/rechtlichen Kündigungsgrundsätze im öffentlichen Dienst
Nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) gelten besondere Kündigungsregeln im öffentlichen Dienst. § 54 Abs. 1 BAT deckt sich jedoch im Wortlaut fast mit § 626 Abs. 1 BGB. Es ist daher hM, daß die für § 626 Abs. 1 BGB entwikkelten Grundsätze auch im Rahmen von § 54 Abs. 1 BAT anzuwenden sind 256 • Eine Besonderheit besteht jedoch in der tarifvertraglich vorgegebenen fristgerechten Unkündbarkeit von Arbeitnehmern, die gemäß § 53 Abs. 3 BAT länger als 15 Jahre beschäftigt wurden. Diese Unkündbarkeit soll nämlich die Erhaltung des Arbeitsplatzes bis zum Eintritt des Ruhestands besonders sichern257 . Nach der Rspr. ist daher für die Prüfung des wichtigen Grunds im Falle von Kündigungen im öffentlichen Dienst ein besonders strenger Maßstab anzulegen 258 •
3. Die Abgrenzung des Vertrauensbereichs vom Leistungsbereich
Generell ist zwischen Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie in die Loyalität des Arbeitnehmers zu unterscheiden. Das, was allgemein als der Vertrauensbereich im Arbeitsverhältnis bezeichnet wird, betrifft jedoch nicht das Vertrauen des Arbeitgebers in die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder in dessen Vermögen und Willen zur konkreten Arbeitsausführung, sondern den Glauben an die Gutwilligkeit, Loyalität und Redlichkeit des Arbeitnehmers 259 . Im Vertrauens bereich darf vertraut werden, daß sich der Arbeitnehmer nicht treuwidrig gegen die Interessen des Anstellungsbetriebs stellt, daß er sich nicht falsch, unaufrichtig oder hinterhältig gegen seinen Arbeitgeber stellt. Das betrifft vornehmlich seine charakterliche Seite und nicht seine Qualifikation 260. Allerdings sind bei 256 BAG AP Nr. 1 zu § 54 BAT; BAG AP Nr. 17 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz; Clemens I Scheuering I Steiningen I Wiese, BAT, Bd. 3 Teil I, § 54 Erläuterungen 1. 257 Conze, Die Rechtsstellung der unkündbaren Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst - am Beispiel von § 55 BAT, ZTR 1987, S. 99 ff. m. w. N. 2SS BAG OB 1955, S. 1226; Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 124 f. 259 LAG Köln NZA 1995, S. 792.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
besonders vertrauenswürdigen Positionen regelmäßig beide Bereiche betroffen. Ein Bankangestellter mit kleptomanem Charakter ist auch nicht geeignet. als Kassierer zu arbeiten. Weil die Begründung einer Kündigung wegen des schlechten Charakters eines Arbeitnehmers auf einem lediglich subjektiven Empfinden beruht, ist eine solche Kündigung unzulässig. Bestimmte Vorstrafen begründen z. B. ein großes Unbehagen gegenüber den Tatern. Wer z. B. wegen des HandeIns mit Videokassetten der Kinderpornographie verurteilt wurde 261 , beweist zwar einen besonders verachtenswerten Charakter, kann aber deswegen seine Arbeit in einem Pressepostvertriebszentrum tadellos verrichten. Daß ihm als Mitbürger kein Vertrauen entgegenzubringen ist, läßt nicht automatisch darauf schließen, das Vertrauen in seine vertragsgerechte Arbeitsleistung sei entfallen. Wäre er dagegen als Kindergärtner beschäftigt, würde seine Eignung zur Arbeitsleistung zweifellos entfallen 262 • Nur objektive Tatsachen, welche das Arbeitsverhältnis direkt betreffen, können einen wichtigen Grund nach § 626 BGB bilden. Bei der Frage des Wegfalls des Vertrauens in den Arbeitnehmer werden subjektive und objektive Gründe regelmäßig vermengt. Denn den vertrauenszerstörenden Tatsachen, etwa eine Beleidigung des Arbeitgebers oder ein Diebstahl im Betrieb, folgt stets ein subjektives, persönliches Unbehagen auf Seiten des Arbeitgebers. Damit dieses nicht entgegen der bisherigen Dogmatik zum wichtigen Grund als ein subjektiver Beweggrund über eine außerordentliche Kündigung entscheidet, werden im folgenden Bestimmungskriterien für objektivierte Vertrauenstatbestände im Arbeitsverhältnis aufgezeigt. 4. Der kündigungsrelevante Vertrauenstatbestand
a) Die Einführung Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts ist keine verhaltensbedingte Kündigung, sondern betrifft die Eignung des Arbeitnehmers, weiterhin im Betrieb des Arbeitgebers arbeiten zu können. Nur in Ausnahmefällen wird ein einziger Vorfall das Vertrauen derart erschüttern, daß die weitere Zusammenarbeit unmöglich wird. Dann wird aber in der Regel schon der Vorfall allein einen wichtigen Grund darstellen, und es bedarf nicht des umständlichen Beweises des Vertrauensverlusts. Wird etwa einer Kassiererin wegen der nachgewiesen unberechtigten Entnahme von Wechselgeld aus der Kasse gekündigt, ist ein wichtiger Grund bereits durch die objektive Tat gegeben. Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts ist dagegen eine personenbedingte Kündigung, bei welcher das objektiv entstandene Vertrauen LAG Köln NZA 1995, S. 792. Vgl. LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 7 ff. 262 Das gilt dann, wenn sich ein Erzieher wegen körperlicher Mißhandlung und sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu verantworten hat, wenn auch die Rspr. diese Vorwürfe unter dem Aspekt der verhaltensbedingten Kündigung prüft, vgl. BAG EzA Nr. 35 zu § 1 KSchG n.F., LAG Berlin LAGE 45 § 626 BGB; NZA-RR 1996, S. 283. 260
261
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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in die Person des Arbeitnehmers durch Umstände entfallen ist, die isoliert betrachtet nicht zwingend selbst das Merkmal des wichtigen Grunds erfüllen müssen. Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers, das zwar einen Vertrauenswegfall bedingt, isoliert gesehen aber keinen wichtigen Grund darstellt, dient aber stets als objektiver Beleg eines nachvollziehbaren Vertrauensentzugs. Es darf als solches nicht die Begründung der Kündigung tragen, damit sie nicht als verhaltensbedingt eingeordnet wird. Fehlverhalten, das nur unerheblich auf das Arbeitsverhältnis einwirkt, darf nicht dadurch hochstilisiert werden, daß es das Vertrauen im Arbeitsverhältnis zerstört. Die Kündigung wird also nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers als solches gerechtfertigt. Sie kann aber darauf gestützt werden, daß das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers aufgrund dieser objektiven Umstände zerstört ist. Die Zerstörung des Vertrauens betrifft den Arbeitnehmer in seiner Person. Jedem einzelnen Arbeitnehmer wird entsprechend seiner Aufgabe und seiner Stellung im Betrieb individuelles Vertrauen entgegengebracht. Das vertrauenszerstörende Verhalten kann daher dessen persönliche Eignung entfallen lassen. Weil es nicht auf das Verhalten des Arbeitnehmers selbst ankommt, sondern auf den Verlust des Vertrauens in seine Redlichkeit und Zuverlässigkeit, ist ein etwaiges Verschulden des Arbeitnehmers irrelevant 263 . Wenn der Arbeitnehmer aufgrund objektiver Umstände des Vertrauens in seine Person verlustig gegangen ist, können dadurch einerseits der Leistungsbereich oder der Vertrauensbereich berührt sein: Im ersten Fall bestehen Zweifel an der künftigen ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung, im zweiten Fall an der Erhaltung der Rechtsgüter und der Wahrung der Interessen des Arbeitgebers 264 . In beiden Fällen, die sich häufig nicht klar abgrenzen lassen, beseitigen objektive Umstände das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen des Arbeitgebers in die Person des Arbeitnehmers, so daß dieser für die weitere Arbeit ungeeignet ist. Wie diese Umstände beschaffen sein müssen, um eine Kündigung zu rechtfertigen, hängt von der Art des schutzwürdigen Vertrauens ab, das durch sie zerstört wird. aa) Das abstrakte und das konkrete Vertrauen
Das Arbeitsverhältnis ist ein generell vertrauensbeinhaltendes Verhältnis zwischen den Vertragsparteien. Das folgt, wie bereits festgestellt, zum einen aus seinem Charakter als Dauerschuldverhältnis, zum anderen aus der persönlichen Bindung zwischen Arbeitnehmer und -geber, die sich widerspiegelt im Weisungsrecht des Arbeitgebers, seiner Fürsorgepflicht und in den vielfältigen Nebenpflichten hinsichtlich der Treue und Loyalität des Arbeitnehmers. Aufgrund seiner normativen Konzeption ist daher der Arbeitsvertrag ein erhöht abstraktes Vertrauen bein263 Der Nachweis des Verschuldens ist dagegen bei der Kündigung wegen einer Vertragsverletzung zu führen. 264 Ähnlich Henssler, Anm. LAG Köln, LAGE Nr. 27 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
haltendes Vertragsverhältnis. Dieses nonnative Grundvertrauen ist als abstrakt zu wertendes Vertrauen jedoch als solches noch nicht geeignet, Vertrauenstatbestände zu schaffen. Erst durch die privatautonome Ausgestaltung einzelner Vertragspflichten, des Annex von abhängigen Nebenpflichten, sowie konkreter Vertrauenspositionen können Vertrauenstatbestände im Einzelfall geschaffen und geschützt werden. Werden solche Vertrauenstatbestände erschüttert und unwiederbringlich zerstört, kann darin ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegeben sein. Auf Seiten des Arbeitgebers berechtigen Vertrauensenttäuschungen nur dann zur Kündigung, wenn sie sich auf vertragliche Hauptpflichten oder anerkannte Nebenpflichten oder konkretisierte Vertrauenspositionen beziehen und entweder das schutzwürdige Vennögens-, das Integritäts- oder das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers verletzen. Im Falle der Vertrags- bzw. vertraglichen Nebenpflichtsverletzungen wird eine Kündigung bereits wegen des pflichtwidrigen Verhalten des Arbeitnehmers und also verhaltensbedingt in Frage kommen. In den übrigen Fällen der Enttäuschung schützenswerter Vertrauenspositionen bietet sich die (eignungsbedingte) Kündigung wegen Vertrauensverlusts an. bb) Die Unterscheidung von Vertrauen, Erwartungen und Prognosen Im Gegensatz zum Vertrauen, das als in subjektiver Hinsicht gesicherte Erwartungshaltung beschrieben werden könnte, tragen bloße Erwartungen und Prognosen immer den Zweifel ihrer Widerlegung in sich. Als Parallele bietet sich die Unterscheidung von dolus eventualis und grober Fahrlässigkeit im Strafrecht an. Wahrend der Vertrauende glaubt, "es werde schon gutgehen", meint der Erwartende "es könnte gutgehen, aber es ist auch das Gegenteil möglich, er verbleibt in einer (ab)wartenden Haltung. Die Aufstellung einer Prognose dagegen verwendet allein die rechnerische, statistische Wahrscheinlichkeit für die Begründung einer Erwartungshaltung. Daher können Erwartungen und Prognosen widerlegt werden, aber nur Vertrauen kann enttäuscht werden. Grundlage von Vertrauensverhältnissen im Arbeitsrecht können sie daher nicht sein. Anders als Erwartungen und Prognosen kann dagegen ein Vertrauenstatbestand eine "subjektive Geschäftsgrundlage" bilden 26s , cc) Das Vertrauen im Hinblick auf persönliche Ansichten, Sittlichkeit und Moral Anders als das zwischenmenschliche Vertrauen, das einen Vertrauensgeber und nehmer voraussetzt, mithin die Mitwirkung bei der an dem Vertrauensverhältnis Beteiligter, werden Moral, persönliche Ansichten, Überzeugungen und Prognosen 265 Vgl. dazu Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff., 229.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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einseitig erzeugt 266 . Als einseitige subjektive Erwartungshaltungen fallen sie nicht unter den bereits oben definierten Rechtsbegriff des Vertrauens und werden regelmäßig durch die Rechtsordnung nicht geschützt. Sittliche und moralische Ansichten sind keine Gesetzmäßigkeiten und damit untauglich als Grundlage rechtlicher Tatbestände. Wahrend Moral und Sittlichkeit das menschliche Verhalten jedes einzelnen in Bezug auf sich selbst würdigt, betrifft das Recht die Beurteilung seines Verhaltens für und seiner Beziehung zu den Mitmenschen 267 • Es ist daher dem einzelnen, sei es der Arbeitgeber oder -nehmer oder der darüber befindende Richter, versagt, seine individuelle sittliche Anschauung für objektiv gültig zu erklären 268 . Allein der Umstand, daß ein Arbeitgeber eine politische, ethische oder sittliche Einstellung hat und diese auch beim Arbeitnehmer voraussetzt, kann keine Grundlage eines Vertrauenstatbestandes sein. Im rechtlichen Sinne entwickelt sie nämlich keinen allgemeingültigen Wert, es fehlt ihr an der dazu notwendigen Objektivität. Als bloß subjektives Empfinden können daher persönliche Ansichten, ungesicherte Erwartungen und bloße Prognosen nicht Grundlage von Vertrauenstatbeständen sein. Auch diese sind daher im Arbeitsverhältnis ohne rechtliche Relevanz, es sei denn sie werden zwar einseitig diktiert aber auch explizit zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses gemacht, etwa in kirchlichen Einrichtungen oder Tendenzbetrieben.
b) Die Entstehung objektivierbaren Vertrauens Das die Rechtsordnung tragende Gebot, daß jeder, der ein Versprechen gibt, verpflichtet ist, es zu halten 269 , bedeutet, daß es ein grundsätzlich schützens wertes Vertrauen auf die Einhaltung von Verträgen gibt (pacta sunt servanda). Jeder Vertrag beruht auf einseitigen oder gegenseitigen Versprechen, welche dann ein Rechtsgeschäft bilden, wenn die Rechtsordnung ihrem Tatbestand diese Qualität zuweist. Die Rechtsordnung ermächtigt insofern die ihr unterworfenen Individuen, "ihre gegenseitigen Beziehungen innerhalb des Rahmens der generellen, durch Gesetzgebung oder Gewohnheit erzeugten Rechtsnormen durch Normen zu regeln, die im Wege von Rechtsgeschäften erzeugt werden,mo. Daraus folgt, daß jedes Rechtsgeschäft ein rechtserzeugender Tatbestand ist271 und daß die durch Versprechen erzeugten Vertrauenstatbestände einen eigenen Rechtsnormcharakter erhalten, ihnen also bestimmte Rechtsfolgen zugewiesen werden, etwa Haftungstatbestände (z. B. § 122 BGB) oder Kündigungsrechte (z. B. § 627 BGB). Damit sind zwei Aussagen festzuhalten: Vertrauenstatbestände werden in erster Linie privatau266 267
268 269 270 271
Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 82 ff., 92. Ausführlich Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 82 ff., 91, Engisch a. a. 0., S. 82 ff., 112. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, S. 403 ff. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 261 f. Kelsen a. a. O.
ffi.
w. N.
I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
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tonom geschaffen und erhalten dadurch Rechtsnormcharakter und: Die auf solche Vertrauenstatbestände abzielenden Rechtsfolgen sind sodann der Rechtsordnung zu entnehmen. aa) Das normative Grundvertrauen Für das schützenswerte Vertrauen im Arbeitsverhältnis enthält das BGB konkrete vertrauensschützende Regelungen, wie das Vertrauen in den Bestandsschutz des Arbeitsplatzes bei Betriebsübergang nach § 613a Abs. 4 BGB. Diese Wertung gilt gleichermaßen bei Tod des Betriebsinhabers, wodurch den Erben kein Recht zur außerordentlichen Kündigung zustehen soIl272. Schließlich konkretisiert das BGB Bestandsschutz in Form der Kündigungsfristen gemäß § 622 BGB. Für die außerordentliche Auflösung des Vertrags stellt es lediglich fest, daß das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden kann. Die offensichtliche Entscheidung des Gesetzgebers zu der Generalklausel des § 626 BGB für die Auflösung des Vertrags läßt aus der Konzeption des gesetzlichen Vertrauensschutzes im BGB den Rückschluß zu, daß das Arbeitsverhältnis nur durch seine Eigenschaft als Dauerschuldverhältnis vertrauensbildend wirkt. Je länger es besteht, desto länger ist die Frist, es zu kündigen. Dieser gesetzlich vorgegebene Vertrauenstatbestand kann aber aus wichtigem Grund gänzlich zerstört werden, denn bei der Kündigung nach § 626 BGB bedarf es gerade keiner Frist mehr, unabhängig davon, wie lange das Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das Arbeitsverhältnis an sich ist also nur im Hinblick auf § 622 BGB ein gesetzlich konkretisierter Vertrauenstatbestand. Durch den Abschluß eines jeden Arbeitsverhältnisses wird hinsichtlich dieses Bestandsschutzes ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen 273 . Dieser ist objektivierbar, weil er sich aus der Typologie dieses Vertrags ergibt: Nach der gesetzgeberischen Konzeption erfordert der Arbeitsvertrag wegen der langfristigen auf Kooperation angelegten Bindung der Vertragsparteien mehr Vertrauen in die Vertragstreue und die Integrität des Vertragspartners als ein auf einmaligen Leistungsaustausch gerichteter Vertrag. Es handelt sich um ein Rechtsverhältnis von hoher Vertrauensdichte 274 . Das Arbeitsverhältnis wird gegenüber anderen Dauerschuldverhältnissen außerdem durch gegenseitige persönliche Verpflichtungen der Parteien gekennzeichnet: die Treuepflicht auf Seiten des Arbeitnehmers und die Fürsorgepflicht auf Seiten des Arbeitgebers. Das Arbeitsverhältnis zeichnet sich daher durch eine besondere Verdichtung und Erweiterung von Neben- und Nebenleistungspflichten aus 275 . 272
153.
Staudinger/Preis § 626 BGB Rdnr. 234, MünchKomm I Schwerdtner § 626 BGB Rdnr.
273 v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 94; Wallmeyer, Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund, S. 83 ff. m. w. N.; Schwerdtner, Arbeitsrecht I, S. 186 f. 274 v. Craushaar, a. a. O. S. 16. m MünchArbR/Blomeyer, § 49 Rdnr. 17.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Henssler276 sieht den Grund für die in jedem Arbeitsverhältnis bestehende Vertrauensbeziehung vor allem in der erhöhten Einwirkungsmöglichkeit, die jeder Arbeitnehmer auf die Rechtsgüter des Arbeitgebers hat. Das Bild des Arbeitsverhältnisses wird dadurch geprägt, daß es auf dauerhafte, enge Kooperation der Vertragsparteien angelegt ist, bei der sie ihre jeweiligen Rechtsgüter und Interessen der Einwirkung durch den anderen aussetzen. Insoweit ist der Überlegung Otto v. Gierkes zu folgen, der darin auch die Gefahr eines großen Schadenpotentials für das Eigentum des Arbeitgebers erkannte 277 . Allerdings sind seine daraus gewonnenen Schlußfolgerungen für das Arbeitsverhältnis selbst abzulehnen, denn das Arbeitsverhältnis ist heute kein Herrschaftsverhältnis mehr, das sich (nur) auf das Eigentum des Unternehmers gründet. Zwar ist das Eigentum durchaus konstitutiv für die Ausprägung des Arbeitsrechts 278 , doch folgt daraus keine einseitige Abhängigkeit des Arbeitnehmers zum Unternehmer aufgrund dessen Eigentums. Dieser ist vielmehr ebenso abhängig von seinen Arbeitnehmern, um den Produktionsprozeß durchzuführen 279 . Das Mittel zur Regelung dieser gegenseitigen Abhängigkeit ist der Vertrag zwischen den Arbeitsparteien. Dadurch erst wird für den Eigentümer das Produktionsmittel konstituiert und nutzbar, weil sich der Arbeitnehmer zum produktiven Gebrauch desselben verpflichtet 28o. Abgesehen von dieser dogmatischen Grundüberlegung sind Arbeitgeber selten noch Eigentümer der Produktionsstätten und -mittel, statt dessen werden diese gepachtet, geleast oder unter Eigentumsvorbehalt gekauft. Das modeme Unternehmertum beruht vielmehr auf der Erstellung und Verwaltung von Know-how und auf Organisationsleistungen 281 . Aus der Charakteristik des Arbeitsverhältnisses als ein Rechtsverhältnis von hoher Vertrauensintensität, vorgegeben durch das genannte Einwirkungspotential des Arbeitnehmers, ist jedoch nicht zu schließen, daß ein Kündigungsgrund schon in der Erschütterung des durch den bloßen Abschluß dieses Vertrags hergestellten Vertrauenstatbestands zu sehen ist. Der Arbeitsvertrag wäre sonst typischerweise mit einem höheren Kündigungsrisiko, also einer größeren Störanfälligkeit282 behaftet als andere Verträge, die ein derartiges Vertrauen nicht erfordern. In der Typologie des Arbeitsverhältnisses als auf Vertrauen gegründetes Kooperationsverhältnis wäre bereits der Keim für seine Vernichtbarkeit wegen Vertrauens wegfalls angelegt. Die Kündigung wegen Vertrauens verlusts würde sich aus dem objektiven Typus des Arbeitsvertrags rechtfertigen. Daher ist es bedenklich, wenn der Vertrauensverlust als wichtiger Grund generell bei jedem Arbeitsverhältnis zugelassen wird, weil jedes Arbeitsverhältnis einen besonderen Vertrauenstatbestand erzeuge 283 . Vielmehr Anm., LAG Köln, LAGE Nr. 27 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. v. Gierke, Deutsches Privatrecht III S. 593 ff. 278 Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 20; Gast, Arbeitsrecht und Eigentum, FS für Gaul, S. 215. 279 Gast, a. a. O. S. 215. 280 Gast, a. a.O. S. 215 ff., 229. 281 Gast, a. a. O. S. 215 ff., 219. 282 v. Craushaar, a. a. 0., S. 17. 276 277
1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
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muß es darauf ankommen, Vertrauenspositionen nach den Anforderungen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses privatautonom zu erstellen. Dem entspricht es, daß für die erleichterte Kündigungsmöglichkeit nach § 627 BGB bei der Schaffung des BGB das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Dienstgeber und -nehmer als Tatbestandsmerkmal angesehen wurde, nicht aber für die allgemeinen Dienst- und Arbeitsverträge 284 . bb) Die Notwendigkeit der privatautonomen Vertrauensinvestition
Objektivierbares kündigungsrelevantes Vertrauen entsteht nur, wenn die Parteien eigenes "privatautonomes" Vertrauen geschaffen haben, das gerade sie einander entgegenbringen und zu dessen Wahrung sie sich verpflichtet haben. Das für den Vertragstyp Arbeitsverhältnis konzeptionell vorausgesetzte Vertrauen ist dagegen nur ein "normatives Grundvertrauen", das vom Willen der beteiligten Vertragsparteien geprägt wird. Privatautonomes Vertrauen entsteht dadurch, daß die Parteien konkrete Vertrauenspositionen zum Inhalt ihres Arbeitsvertrags gemacht haben. Das kann auch implizit durch die Zuweisung und die Ausübung einer bestimmten Arbeitsaufgabe geschehen. Aus dem Vertrag selbst und seiner Umsetzung (Übung) folgen zudem konkludente Nebenpflichten, z. B. das Eigentum und Vermögen des Arbeitgebers nicht zu verletzen und ggf. bei Gefahren zu schützen oder auf diese hinzuweisen. So wird bei allen Tätigkeiten im Zusammenhang mit Geld Vertrauen in den Arbeitnehmer gesetzt, es immer und unter allen Umständen als für private Zwecke unantastbar zu behandeln. Wenn einer Kassiererin eine eigene Kasse anvertraut ist, wird nicht nur erwartet, daß sie kein Geld entwendet, sondern sich auch keines ausleiht oder im Wege der Selbsthilfe ausstehenden Lohn ausgleicht. Wenn ferner ein schadhaftes Dach die Lagerbestände gefährdet oder eine defekte Maschine die Sicherheit der Belegschaft, dann ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, auf diese Gefahren hinzuweisen und unter Umständen bei unmittelbar drohender Rechtsgutverletzung diese abzuwenden. ce) Die Vertrauensgestattung als einseitig gewährtes Vertrauen
Es kann ein bestimmtes Vertrauen auf der Seite des Arbeitgebers aber auch dadurch gegeben sein, daß der Arbeitnehmer die Entstehung des Vertrauenstatbestands lediglich geduldet hat (Vertrauensgestattung285 ). Solche Vertrauenstatbestände entstehen stets bei der Besitzeinräumung von Betriebseigenturn, etwa Werkzeugen und Produktionsmittel und der Übertragung der Verwaltung von Betriebsvermögen. Ohne daß dazu Willenserklärungen ausgetauscht werde müssen, können solche Vertrauenstatbestände auch durch sozialtypisches Verhalten, bzw. 283 284 283
LAG Kiel, BB 1986. S. 1017. Mugdan, Protokolle zum Dienstvertrag S. 913 f. v. Craushaar a. a. O. S. 27.
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faktisch entstehen. Der durch seine spezifische Arbeitsaufgabe mit Betriebseigenturn und -vermögen hantierende Arbeitnehmer gestattet dem Arbeitgeber Vertrauen in die Wahrung seines Besitzstandes. Das ist z. B. der Fall bei der Übergabe eines Firmenfahrzeugs mit dem Auftrag, dieses zur Werkstatt zu fahren. Auch wenn das nicht zur vertraglichen Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers gehört und er auch nicht um die Überlassung des Pkws gebeten hat, so muß er doch bei Annahme dieses Auftrags das Vertrauen des Arbeitgebers gegen sich gelten lassen, das Fahrzeug nicht für Privatfahrten zu nutzen. Wenn es auch nicht notwendig ist, daß ein Arbeitnehmer an der Entstehung eines Vertrauenstatbestands aktiv beteiligt ist, so ist doch zumindest zu fordern, daß ihm bewußt gewesen ist, durch sein Verhalten, wenn auch nur passiv, einen konkreten Vertrauenstatbestand geschaffen zu haben. Ein Grund zur Kündigung wegen Vertrauenswegfalls ist somit nur gegeben, wenn das durch den konkreten Vertrag von den Parteien durch Zuweisung und Annahme einer bestimmten vertrauensbedürftigen Arbeitsaufgabe oder durch besondere Zuverlässigkeit erdiente personale Vertrauen enttäuscht wird. Kündigungsrelevant wird ein objektiver Vertrauenstatbestand also erst, wenn die Vertragsparteien über das normativ vorausgesetzte Grundvertrauen hinaus eigenes Vertrauen zur Grundlage ihres Vertrags gemacht haben und dieses durch objektive Umstände zerstört wird. Für eine etwaige Kündigung des Arbeitgebers wegen Vertrauenswegfalls kommt es somit darauf an, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur das jedem Arbeitsverhältnis immanente Grundvertrauen entgegenbringt, ob der Arbeitnehmer ein Vertrauen genießt, das an eine vertrauensbedürftige Tätigkeit geknüpft ist, oder ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Person gesteigertes Vertrauen entgegenbringt. Im ersten Fall rechtfertigen keinerlei objektive Umstände eine Kündigung, dagegen kann im Fall des aufgabenbezogenen Vertrauens und im Fall des personalisierten Vertrauens ein VertrauensverIust zur Kündigung berechtigen. Ein Vertrauenstatbestand kann auch durch pflichtwidrige unterlassene Aufklärung entstehen, etwa, wenn der Arbeitnehmer entweder auf eine berechtige Frage bewußt unrichtig geantwortet 286 oder aber eine entsprechende Offenbarungspflicht mißachtet hat287 • Hier zeigt gerade das Bestehen dieser Kündigungsmöglichkeit, daß es für die Zulässigkeit einer Kündigung maßgeblich nicht auf den Zeitpunkt des jeweiligen Vorfalles, sondern vielmehr darauf ankommt, ob und inwieweit dieser sich aktuell und in Zukunft auf das bestehende Arbeitsverhältnis auswirkt. Wird z. B. ein Arbeitnehmer nach Aufnahme der Arbeit zu seiner Vor- und Ausbildung befragt, muß er auch dann noch antworten, wenn seine Erklärungen bei der Einstellung nicht mehr oder nicht mehr vollständig vorhanden sind 288 • Eine weitere Form der einseitigen Vertrauensgestattung kann im Anvertrauen eines Arbeitsbereichs liegen, der sich weitgehend der Kontrolle des Arbeitgebers entzieht oder 286 Vgl. hierzu LAG Berlin, NJ 1992, S. 516 f. sowie ArbG Berlin, NJ 1992, S. 325 f.; allgemein zum Fragerecht des Arbeitgebers vgl. Zöllner/Loritz, § 11 15 a, S. 134. 287 Vgl. dazu allgemein BGH LM Nr. 8 zu § 123; Erman-Brox, § 123, Rdnr. 13; RGRKI Krüger-Nieland, § 123, Rdnr. 18; Zöllner I Loritz, § 11 15 a. 288 BAG EzA Nr. 4 zu § 242 BGB Auskunftspflicht.
1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
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dieser Kraft Natur der Sache nur schwer zugänglich ist289 . Ein solcher Fall ist z. B. die Einteilung von Montagearbeitern zu einer vom Stammsitz des Unternehmens weit entfernten Baustelle. Dabei ist die Gestattung abzugrenzen von der vertraglichen Vertrauenseinräumung als typischer Hauptpflicht, z. B. die Übergabe einer Wechselgeldkasse an eine Kassiererin im Verbrauchermarkt. dd) Das mit der Arbeitsaufgabe verbundene Vertrauen (1) Das aufgabenbezogene Vertrauen im öffentlichen Dienst
Aufgabenbezogenes Vertrauen kann durch die Art des Anstellungsbetriebs bedingt sein. Ein Sonderfall aufgabenbezogenen Vertrauens besteht im öffentlichen Dienst. Allerdings ergibt sich nicht schon aus der Eigenart des öffentlichen Dienstes, daß sämtliche Arbeitnehmer in diesem Bereich generell vertrauensbedürftige Aufgaben wahrnehmen. Darauf könnte zwar hindeuten, daß im öffentlichen Dienst die politische Treuepflicht (§ 8 BAT290) eine Vertragspflicht darstellt. Der Arbeitnehmer gibt ein entsprechendes Gelöbnis ab. Aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT ist insbesondere das Gebot zur Zurückhaltung bei politischer Betätigung zu entnehmen, es bedarf zu seiner Begründung keiner Dienstvereinbarung mit dem Personalrat, so daß z. B. eine generelle Verpflichtung für Lehrer im öffentlichen Dienst besteht, während des Schuldiensts keine Anti-Atomkraft-Plakette zu tragen 291 . Daraus entsteht aber kein generell erhöhter Vertrauenstatbestand für den gesamten öffentlichen Dienst. Denn schützenswerte Vertrauenstatbestände setzen, wie beschrieben, die konkrete Vertrauensinvestition auf Seiten des Arbeitgebers und auf Seiten des Arbeitnehmers personifizierte Vertrauensentsprechung voraus. Wenn daher von einem allgemeinen "öffentlichen" Vertrauen etwa des Staats in seine Bedienstete gesprochen wird, kann damit nicht die Grundlage eines schützenswerten Vertrauenstatbestandes geschaffen werden. Wenn solche Motive Kündigungen rechtfertigen sollen, kann das nicht mit einem Vertrauenswegfall als wichtigem Grund nach § 626 BGB begründet werden. Es ist daher konsequent, zum Schutz solcher rein öffentlichen Interessen ein Sonderkündigungsrecht einzuführen. So hat der Einigungsvertrag für Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst einen eigenständigen Kündigungstatbestand wegen früherer Tätigkeit für das MfS geschaffen, teils um im öffentlichen Dienst eine Sonderstellung gegenüber der Privatwirtschaft zu bilden, teils aber auch um den dogmatischen Schwierigkeiten im Rahmen von § 626 BGB zu entgehen. Gegen eine pauschale Unterscheidung zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft hat das LAG Berlin allerdings mit Recht eingewandt, daß die öffentlich-rechtliche Organisationsform des Arbeitgebers zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht immer notwendig geboten, sondern in manchen Bereichen leDütz, Anm. EzA Nr. 91 zu § 626 BGB nF. Vgl. auch § 9 Abs. 9 S. 2 MTB 11 und § 9 Abs. 9 S. 2 MTL. 291 BAG EzA Nr. 10 zu Art. 5 GG. Solche Plaketten können ferner den Betriebsfrieden stören, vgl. zur "Anti-Strauß-Plakette BAG EzA Nr. 86 zu § 626 BGB. 289
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diglich historisch übernommen sei 292 . Für die Vertrauensbedürftigkeit der Arbeitsaufgabe ist es daher ausschlaggebend, ob der Arbeitnehmer eine "hoheitliche Tätigkeit verrichtet oder im Rahmen der Leistungsgewährung als Repräsentant des Staats auftritt,,293. Wird der Staat durch seine Bediensteten hoheitlich gegenüber dem Bürger tätig, muß der öffentliche Arbeitgeber darauf vertrauen, daß der betreffende Arbeitnehmer nicht nur verfassungstreu ist, sondern auch, daß er den Bürger in jeder Hinsicht pflichtgemäß behandelt. In der hoheitlichen Verwaltung und in der leistungsgewährenden Verwaltung besteht ein durch die Arbeitsaufgabe bedingtes erhöhtes Vertrauen des (öffentlichen) Arbeitgebers in die persönliche Integrität des Arbeitnehmers und in dessen Förderung der Unternehmensziele. Wird dieses Vertrauen zerstört, etwa dadurch, daß ein Haftbefehl gegen einen Bediensteten wegen des Verdachts des Landesverrats erlassen worden ist, fehlt diesem die Eignung für seine weitere Tatigkeit 294 . Im öffentlichen Dienst folgt aufgabenbezogenes Vertrauen neben der politischen Treuepflicht ferner aus der Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten (§§ 8 Abs. 1 S. 1 BAT; 9 Abs. 9 S. 1 MTB Abs. 2 und 9 Abs. 9 S. 1 MTL 11). Dazu gehören im Einzelnen die Pflicht zur Beachtung des Gemeinwohls (sparsame Handlungsweise); zur Erhaltung des Ansehens des Staats; zur anständigen Lebensführung (etwa keine deutliche AIkoholisierung in der Öffentlichkeit); zur Mäßigung ansonsten erlaubter politischer Betätigung295 . Weitere Pflichten sind nach dem §§ 9 BAT, 11 MTB 11 und 11 MTL 11 die Pflicht zur Dienstverschwiegenheit, die weit über den Straftatbestand des § 17 UWG hinausgeht; zur Unbestechlichkeit (Schmiergeldverbot, vgl. §§ 10 BAT, 12 MTB 11, 12 MTL 11); zur Unterlassung von Nebentätigkeiten (§§ 11 BAT, 13 MTB 11, 13 MTL 11, 11 BMT-G 11, nur mit Zustimmung). Weiterhin geregelt sind die Pflicht zur Abwendung von Schäden (§§ 9 Abs. 8 MTB 11, 9 Abs. 8 MTL 11 und 9 Abs. 7 BMT-G 11); zur Unterlassung von Wettbewerb (entsprechend § 60 Abs. 1 HGB); zur Rückzahlung von Aus-, Fort- und Weiterbildungskosten nach Einzelvereinbarung (sofern die Erstattung sich in den Grenzen von § 5 BBiG bewegt und nach Treu und Glauben zumutbar ist296 ). (2) Das aufgabenbezogene Vertrauen in der Privatwirtschaft
Auch in der Privatwirtschaft bemißt sich das dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eingeräumte Vertrauen nach seiner Arbeitsaufgabe und seiner Stellung im Betrieb. Vor allem die Position in der Unternehmenshierarchie indiziert, inwieweit ihm der Arbeitgeber vertraut. Wer eine führende Position einnimmt, sei es als Vorarbeiter, Polier, Abteilungsleiter oder Geschäftsführer, genießt ein besonderes Ver292 293 294 295 296
LAG Berlin, AuA 1992, S. 158. LAG a. a. O. Anders ArbG Bonn, AiB 1992, S. 50, 51. Vgl. Arndt/Baumgärtel, § 8 BAT, Rdnr. 3 -18. BAG, NZA 1994, S. 835 f. m. w. N.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
trauen seines Arbeitgebers, der gerade ihm Verantwortung delegiert hat. Diese Wertung folgt auch aus der Rechtsprechung 297 und Lehre 298 zum dezentralisierten Entlastungsbeweis im Rahmen von § 831 BGB. Hier wird allgemein die Notwendigkeit der Delegation von Verantwortung in der Praxis, vor allem in Großbetrieben anerkannt. Eine solche Übertragung von Pflichten und Verantwortung bedeutet aber auch die Notwendigkeit der Investition positionsimmanenten Vertrauens. Auch wenn ein Arbeitnehmer durch Beförderung in der Unternehmenshierarchie aufsteigt, so daß ihm verantwortungsvollere Aufgaben als zuvor zugewiesen werden, bedeutet das einen Vertrauensbeweis des Arbeitgebers. In den Arbeitnehmer wird die Erwartung gesetzt, zum einen seinen bedeutenderen Aufgaben gerecht zu werden, zum anderen sich loyal zu erweisen. So trifft den Geschäftsführer einer Gesellschaft als Führungskraft eine intensive Treuepflicht als "Korrelat seiner weitreichenden Befugnisse und faktischen Einwirkungsmöglichkeiten ,,299. Durch die Übernahme der geänderten Arbeitsaufgabe verpflichtet sich der Arbeitnehmer, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen. ee) Das Vertrauen im Hinblick auf branchentypische, örtliche oder personelle Verkehrssitten
In allen Branchen, Anstellungsorten oder Arbeitnehmergruppen herrschen unterschiedliche Sitten. Für jeden Vertrag gilt maßgeblich der Sprachgebrauch am Ort des Anbietenden. Seit Erlaß des BGB ist die Verkehrssitte als Auslegungshilfe gesetzlich verankert. Gemäß § 157 BGB ist auf sie bei der Auslegung von Verträgen Rücksicht zu nehmen, nach § 242 BGB sind Leistungen unter ihrer Berücksichtigung zu bewirken, nach § 151 BGB kann sie das Erfordernis einer Annahmeerklärung entfallen lassen. Ist die Verkehrssitte nicht örtlich, sondern durch Gewerbegebräuche bestimmt, muß ein potentieller Kunde nicht damit rechnen 3OO • Vertrauenstatbestände werden wie Verträge unter bestimmten Verkehrssitten geschaffen. Bei Ärzten im Klinikbetrieb entspricht es der allgemeinen Verkehrssitte, daß sie ihre Arbeit nicht nur im Rahmen der üblichen Arbeitszeiten verrichten, sondern täglich Überstunden zu leisten haben. Wer sich auf die gesetzlichen Arbeitszeiten beruft und nicht zur Mehrleistung bereit ist, enttäuscht das Vertrauen in seine Leistungsbereitschaft und auch in seine Loyalität der Klinik gegenüber, wenn dadurch die Versorgung der Patienten gefährdet wird 30I • Demgegenüber wird etwa im öffentli297 VgI. BGHZ 4, 1,2 (aus Zweckmäßigkeitsgründen); BGH, NJW 1968, S. 247, 248 f. läßt die Notwendigkeit des dezentralisierten Entlastungsbeweises im folgenden offen; BGH, VersR 1973, S. 862 f. entfernt sich bereits von der Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Produkthaftung. 298 VgI. Staudinger-Belling/Eberl-Borges BGB § 831, Rdnr. 118 ff. m. w. N. 299 LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 426. 300 RGZ 110,47, vgl. zudem RGZ 69, 150, 153; 114,9, 12. 301 Das Arbeitsgericht Marburg sah sogar in der Weigerung einer Reinigungskraft in einem Klinikum, im Notfall bei der Essens- und Medikamentenversorgung zu helfen, einen wichtigen personenbedingten Grund zur Kündigung, ArbG Marburg, BB 1999, 1068.
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chen Dienst eine solche Erwartung der überobligatorischen Arbeitspflichterfüllung nicht anzunehmen sein. Die Verkehrssitte kann im Einzelfall auch darüber entscheiden, ob z. B. Beleidigungen das Vertrauen in die Integrität eines Arbeitnehmers im Betrieb entfallen lassen können. Aufgrund des jeweiligen rauheren oder gemäßigten Umgangstons sind z. B. von Arbeitern im Bauwesen eher beleidigende Worte zu erwarten, und auch zu dulden, als von Bankangestellten. Insbesondere für den persönlichen Umgang im Betrieb ist es daher notwendig, zunächst die Verkehrssitten und den branchen- und ortsüblichen Ton zu bestimmen, um zu werten, ob eine damit begründete Vertrauensenttäuschung nachvollziehbar und begründet ist. ff) Die Einräumung einer individuellen und konkreten Vertrauensstellung
Unabhängig von der Tätigkeit und der Position des Arbeitnehmers kann ihm vom Arbeitgeber individuell Vertrauen in einer bestimmten Richtung entgegengebracht werden. Es handelt sich dabei um personalisiertes Vertrauen. Allerdings genügt es nicht, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer subjektiv als besonders vertrauenswürdig einschätzt. Das Vertrauen muß äußerlich erkennbar sein, und der Arbeitnehmer muß das in ihn gesetzte Vertrauen akzeptieren, indem er etwa Geld, Arbeitsgegenstände oder Unterlagen in seine Obhut nimmt. Auf einen rechtsgeschäftlichen oder arbeitsvertraglichen Hintergrund kommt es dabei dann nicht an, wenn es sich um "sozialtypisches Verhalten" handelt. Die Lehre vom Vertragsschluß durch sozialtypisches Verhalten 302 zeigt deutlich, daß Vertrauenstatbestände auch ohne ausdrückliche Willenserklärungen entstehen können und so evidente Rechtsfolgen auslösen können, wie einen Vertragsschluß. Gleiches gilt im Falle eines nichtigen und anfechtbaren Arbeitsverhältnisses, welches als Anwendungsfall eines "faktischen Vertrags,,303 das Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Bestand des unwirksamen Vertragsverhältnisses schützt. In den Fällen der Einräumung individueller und konkreter Vertrauenspositionen durch sozialtypisches Verhalten, oder faktisch, etwa durch die Überlassung eines Dienstwagens, bedarf es daher zum Schutz des Vertrauens keiner expliziten privatautonomen Erzeugung eines Vertrauenstatbestandes. Dieser entsteht bereits durch das vertrauensgewährende Verhalten des Arbeitgebers. Dabei ist die Stellung des Arbeitnehmers in der Unternehmenshierarchie oder der Charakter seiner Arbeitsaufgabe weniger bedeutend: Es kann sich um einen Handelsreisenden, eine Kassiererin, einen Gärtner handeln. Entscheidend ist, daß der Arbeitgeber das Spesengeld, die Kasse oder das Gartengerät dem betreffenden Arbeitnehmer persönlich anvertraut hat. Das individuell 302 Larenz, AT, § 3411 m. w. N.; von Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die deutsche Privatrechtsbildung, S. 67 ff., 97 f.; vgl. aber krit. Canaris, Die Vertrauenshaftung, S. 446, weIcher an der Entstehung von Vertrauenstatbeständen kraft sozialtypischen Verhaltens (als Fall der Vertrauenshaftung) Zweifel äußert. 303 Vgl. Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisses, 1941, S. 16 ff.
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eingeräumte Vertrauen bezieht sich unter Umständen auch nur auf unbedeutende Gegenstände oder geringe Werte.
c) Der Grad des Vertrauens Weil Vertrauen in unterschiedlicher Intensität entstehen und als solches unterschiedlich schutzwürdig sein kann, bedarf es der Feststellung der vertrauensstärkenden Faktoren. Diese können sich aus der einzelnen Vertragsgestaltung durch die konkret zugewiesene Arbeitsaufgabe oder durch sonstige Umstände ergeben. Als allgemeiner Grundsatz gilt, je enger die Arbeitsvertragsparteien zusammenarbeiten (z. B. in häuslicher Gemeinschaft) und je mehr der Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer angewiesen ist (z. B. leitender Angestellter), desto höher ist der Grad des Vertrauens, daß ein Arbeitgeber schützenswert in den Arbeitnehmer investieren darf304 . Das Vertrauen zwischen den Parteien erhält zudem einen besonderen Stellenwert, wenn, wie bei Kleinbetrieben üblich, der Unternehmer selbst vor Ort mitarbeitet. aa) Die Maßgabe der Vertrauensinvestition bei der Entstehung des Arbeitsverhältnisses
Der Grad des Vertrauens, das die Parteien einander entgegenbringen, ist unterschiedlich hoch, je nach der Art des konkreten Arbeitsvertrags. Da die Vertragspflichten nach Art der geschuldeten Leistung variieren, ist auch das Vertrauens verhältnis zwischen den Parteien stärker oder schwächer ausgeprägt, also ebenfalls variabel 305 • So unterschiedlich die Tätigkeiten der Arbeitnehmer sein können, so verschieden ist auch die Intensität des eingeräumten Vertrauens. So sehr sich beispielsweise die Fließbandarbeit von der Tätigkeit eines Prokuristen oder eines Filialleiters unterscheidet, so sehr differiert auch die Vertrauensdichte. Kann der Arbeitgeber bei einem derart anonymisierten Arbeitsvorgang wie der Fließband arbeit allenfalls Vertrauen in den Arbeitnehmer haben, daß er im Leistungsbereich seine Arbeit ordnungsgemäß verrichtet und Ware und Maschinen sorgfältig behandelt, so kann er von einem Prokuristen aber erwarten, daß er sich die Belange des Unternehmens zu eigen macht, sich also mit den Unternehmenszielen identifiziert und alles unterläßt, was sie gefährden könnte.
Hueck/Nipperdey I S. 242. Hierzu macht § 627 BGB deutlich, daß das Vertrauen stärker ausgeprägt ist bei den Diensten "höherer Art", wozu insbesondere die Dienste der Ärzte und Anwälte gezählt werden, auch wenn das nur ein Anhaltspunkt für Wertungen im Arbeitsverhältnis sein kann. 304 305
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bb) Die Vertrauensgewährung bei Ausübung des Arbeitsverhältnisses Der Grad des Vertrauens, das der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entgegenbringt, hängt auch davon ab, wie eigenständig der Arbeitnehmer seine Arbeit ausüben kann. So bedeutet es einen Unterschied für den Grad des eingeräumten Vertrauens, ob der Arbeitnehmer der ständigen Kontrolle des Arbeitgebers zugänglich ist. Je größer die Angewiesenheit des Arbeitgebers auf die eigenständige Pflichterfüllung durch den Arbeitnehmer ist, desto mehr muß ein Arbeitgeber vertrauen dürfen, daß dieses ,,Machtgefälle durch entsprechende Rücksichtnahme, Sorgfalt und Fürsorge ausgeglichen,,306 wird. Der Grad des Vertrauens wird schließlich davon beeinflußt, in welchem Maß der Arbeitgeber auf die Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers angewiesen ist. Hängt die Existenz des Betriebs von der Pflichterfüllung durch einen einzelnen Arbeitnehmer ab, so ist das Vertrauen des Arbeitgebers in diesen Arbeitnehmer notwendig intensiver, als wenn seine Tätigkeit von anderen ohne weiteres übernommen werden kann. Bedient beispielsweise ein Arbeitnehmer eine für die Produktion notwendige Maschine, so macht es einen Unterschied, ob der Betrieb über mehrere gleichartige (Ersatz-)Maschinen verfügt, die von anderen Arbeitnehmern bedient werden können, oder ob die gesamte Produktion von diesem einen Arbeitnehmer und dem einen Gerät abhängt. Zwar sind der Vertrauenstatbestand und die Vertrauensrichtung in bei den Fällen gleich. Der Grad des Vertrauens ist im ersten Fall jedoch geringer, weil die ausgefallene Maschine durch eine andere ersetzt werden kann, die Folgen sich also mildern lassen. Im zweiten Fall ist der Vertrauensgrad höher, weil der Schaden nicht durch den Einsatz einer anderen Maschine abgewendet werden kann, und das gesamte Wohl und Wehe des Betriebs auf dem Spiel steht. Dieses Vertrauen des Arbeitgebers ist schutzwürdig, weil er berechtigt auf die Abwehr von Schäden für den Betrieb durch den Arbeitnehmer vertrauen darf. Anerkannterweise besteht neben der allgemeinen Leistungspflicht, die sich im Austausch von Leistungen erschöpft, das Gebot einer allgemeinen gegenseitigen Schutzpflicht im Arbeitsverhältnis 307 .
ce) Die in Arbeitsverhältnissen erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf das Eigentum des Arbeitgebers Der Arbeitgeber trägt regelmäßig ein erhöhtes Risiko, indem er dem Arbeitnehmer die Produktionsmittel zur Verfügung stellt, mithin sein Eigentum. Dem Arbeitnehmer wird mit der tatsächlichen Gewalt, die er z. B. über Werkzeuge und Materialien ausübt, vom Arbeitgeber der unmittelbare Besitz (§ 855 BGB) übertragen, das Eigentum an den hergestellten Sachen fallt nach § 950 BGB automatisch dem Betriebsinhaber zu, die Finderrechte stehen dem Arbeitgeber gemäß § 973 BGB zu. Durch diese starke Eingliederung des Arbeitnehmers in die Sozialsphäre des 306
307 70110
v. Craushaar, a. a. 0., S. 16. Grundlegend dazu Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 27.
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Betriebsinhabers sieht jener sich einem hohen Schädigungsrisiko ausgesetzt, das mangels allgegenwärtig möglicher Kontrolle nur durch ein generelles Vertrauen in die Loyalität der Arbeitnehmer getragen werden kann. Das Risiko liegt in erster Linie in der Einwirkungsmöglichkeit des Arbeitnehmers auf das fremde Eigentum. In der früheren Rechtsprechung des BGH wurde nämlich ein Arbeitnehmer nur bei gefahrgeneigter Arbeit von der Haftung für (Ieicht-)fahrlässig herbeigeführte Schädigungen des Arbeitgebers befreit 308 . Seit einer neueren Entscheidung des BGH, in welcher sich das Gericht der Auffassung des BAG angeschlossen hat, gelten die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nunmehr für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veraniaßt und aufgrund des Arbeitsverhältnisses geleistet werden müssen 309 • Diese Haftungsbeschränkung ist das Korrelat zur weitgehenden Abhängigkeit des Arbeitnehmers im Betrieb, sie gilt daher nur für Arbeitsnicht aber die freien Dienstverträge 310 und hat ausschließlich eine eigene soziale Funktion 311 . dd) Der Bestand des Arbeitsverhältnisses und der Faktor Zeit Zwar ist bei der außerordentlichen Kündigung die Aufhebung des Arbeitsvertrags nach § 626 BGB umgehend möglich, doch wird damit die generelle Wertung des Gesetzgebers bezüglich der Kündigungsfristen außer Kraft gesetzt. Die Fristen zur ordentlichen Kündigung gemäß § 622 BGB schützen das Bestandsschutzvertrauen sowohl des Arbeitgebers, als auch des Arbeitnehmers in die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Je länger dieses besteht, desto länger ist die Kündigungsfrist. Der Gesetzgeber hat damit dem Faktor Zeit speziell für das Dienst- und Arbeitsverhältnis vertrauensbildende Kraft zuerkannt. Diese Wertung wird bei § 626 BGB nur für den Fall außer Kraft gesetzt, wenn die Fortführung des Arbeitsverhältnisses für einen Teil unzumutbar ist. Dabei entfällt das Bestandsschutzkriterium nicht völlig, sondern fließt mit in die Interessenabwägung mit ein. Vertrauenspositionen werden aufgrund des Zeitfaktors auch ohne ausdrückliche Erklärungen geschaffen. Es entspricht der Praxis, daß einem Arbeitnehmer mit fortschreitender Zugehörigkeit zum Betrieb immer mehr Verantwortung übertragen, mithin gesteigert Vertrauen entgegengebracht wird. Auch durch längerfristige betriebliche Übung können Vertrauenstatbestände geschaffen werden. Eine klare Regel ist es daher, daß neben der privatautonomen Ausgestaltung der Faktor Zeit Vertrauenspositionen ausbauen kann. Auch die Rechtsordnung erkennt an, daß solche Vertrauenspositionen durch bloße Praxis entstehen können. Zum Beispiel wird im Vertretungsrecht von einer BGHZ 16, 111, 115 ff. BGH, NJW 1994, S. 856; BAG, NZA 1993, S. 547; vgl. auch Hanau/Rolfs, Abschied von der gefahrgeneigten Arbeit, NJW 1994, S. 1439 ff. 310 BGH, NJW 1963, S. 1100, 1102. 311 Hanau, Die Rechtsprechung des BGH zur Haftung im Arbeitsverhältnis, FS für Steffen zum 65. Geburtstag, S. 177 ff., 181. 308
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zurechenbaren Vollmacht durch Duldung ausgegangen, wenn der Vertreter mehrfach nach außen erkennbar für den Vertretenen aufgetreten ist und dieser nicht ausdrücklich widersprochen hat. Daß allein die fortschreitende Zeitdauer Bestandsschutz erzeugt, spiegelt sich wider in Instituten wie der Ersitzung im BGB, den Verjährungsregeln und der Verwirkung. Wenn diese Regelungen auch in erster Linie der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienen, erkennen sie dennoch das Vertrauen des Begünstigten in den durch die Zeit entstandenen Besitzstand an, auch wenn dieser auf die Rechtsvorteile keinerlei Ansprüche hat. Damit hat das Zeitmoment entscheidende Bedeutung für das Ausmaß einer solchen Vertrauensinvestition 3 !2. Umgekehrt bedeutet die jahrelange Übung, etwa die Ausführung einer ganz bestimmten Tatigkeit auch die Entstehung von Vertrauensschutzpositionen für den Arbeitnehmer. Hat sich der Arbeitgeber nicht ausdrücklich die Zuweisung einer anderen Tatigkeit vorbehalten, darf der Arbeitnehmer schutzwürdig darauf vertrauen, nicht ohne weiteres versetzt zu werden. Der Arbeitgeber kann dann sein Direktionsrecht nur nach billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB ausüben 3 !3. Je länger eine Tatigkeit ausgeübt wurde, desto stärker wird der Vertrauensschutz vor einer Veränderung derselben sein, insbesondere wenn damit die Verschlechterung der Position des Arbeitnehmers verbunden ist3 !4. Bei der Einzelfallbeurteilung im Rahmen der Interessenabwägung ist ferner die Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit mit der Schwere des Vorwurfs, etwa einer Straftat im Betrieb, abzuwägen 3 !5. Das BVerfG3 !6 hat in einem weiteren Zusammenhang den Zeitfaktor hervorgehoben. Es entschied hinsichtlich einer Kündigung wegen ehemaliger Tatigkeit für das MfS, daß Fragen nach Vorgängen, die zwanzig Jahre vor dem Beitritt der DDR zur BRD abgeschlossen waren, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten verletzen würden. Der Falschbeantwortung dürfen daher (abgesehen von seltenen Ausnahmen) keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen folgen. Bei der Einzelfallabwägung sei zu berücksichtigen, daß sich persönliche Haltungen und auch Einstellungen zur eigenen Vergangenheit, als auch die gesellschaftliche Ächtung von Fehlverhalten verändern und den Vorwurf abmildern können 3 !7. In der Zwischenzeit könne sich der betroffene Arbeitnehmer längst wieder bewährt haben. Das berücksichtigt auch die Rechtsordnung, wofür als Beispiele die strafrechtlichen Verjährungsfristen und die Tilgungsregeln der Strafregisterbestimmungen zu nennen seien.
Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 91. v. Hoyningen-Huene I Boernke, Die Versetzung, S. 101 f. 314 Z. B. die Rückstufung eines Hilfsarbeiters, der über Jahre eine Angestelltentätigkeit ausübte, vgl. m. w. N. v.Hoyingen-Huene/Boernke, Die Versetzung, S. 102. 315 BAG EzA Nr. 94 zu § 626 BGB nF. 316 BVerfG, NJW 1997, S. 2307. 317 BVerfG, NJW 1997, S. 2307, 2309. 312 313
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d) Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens Ein objektiver Vertrauenstatbestand wird nur kündigungsrelevant, wenn das Vertrauen des Arbeitgebers schutzwürdig ist. Ein Arbeitgeber kann Vertrauen in alle möglichen Richtungen haben, etwa daß seine Arbeitnehmer seine politische Überzeugung teilen und vertreten, daß sie sich in ihrer Freizeit gesetzes- und sittentreu verhalten, daß sie einer bestimmten Konfession angehören und deren Gebote befolgen. Schutzwürdig ist das Vertrauen aber nur, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers berührt sind, nicht jedoch, wenn der Arbeitnehmer in der Betätigung seiner Freiheitsrechte gehindert wird. Damit ist zwar eine Einschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung gegeben, diese folgt aber aus der erforderlichen Negativabgrenzung der Kündigungsgründe von betrieblichen und außerbetrieblichen Gründen. Nur solche personen- oder verhaltens bedingten Gründe, welche betriebliche Interessen verletzen, können eine Kündigung rechtfertigen 318 . Die Kündigung muß daher stets auch und vor allem aus betrieblichen Interessen notwendig sein 319 • Daher ist zunächst festzustellen, worauf das Vertrauen des Arbeitgebers gerichtet ist, und sodann, ob aus betrieblichen Erfordernissen heraus der Vertrauens gegenstand rechtlich zu schützen ist. aa) Das Vertrauen des Arbeitgebers in private VerhaLtensweisen des Arbeitnehmers
Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses schulden sich der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zum einen die Arbeitsleistung, zum anderen den Lohn. In der Regel besteht die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung nur innerhalb festgelegter Zeiten und Räumlichkeiten. Als Grundsatz muß daher gelten, daß die Aktivitäten eines Arbeitnehmers, die zeitlich und räumlich außerhalb des Betriebs stattfinden, in die Privatsphäre des Arbeitnehmers fallen und keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen haben dürfen. Der private Bereich des Arbeitnehmers ist demnach grundsätzlich für den Arbeitgeber tabu und liegt au8erhalb seiner schutzwürdigen Interessen. Vertraut der Arbeitgeber dennoch darauf, daß sich ein Arbeitnehmer im privaten Bereich in einer bestimmten Weise verhält, so ist diese Richtung seines Vertrauens nicht schutzwürdig. So geht es den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an, nach welchen Weltanschauungen, Glaubensrichtungen oder politischen Einstellungen jemand außerhalb seiner Arbeit handelt. Sogar die Betätigung von moralisch zweifelhaftem oder sittlich verfehltem, sowie strafbarem Verhalten muß dem Arbeitgeber egal sein, weil das Unterlassen derartigen Verhaltens arbeitsvertraglich nicht geschuldet wird. Begeht etwa der Arbeitnehmer in seiner Freizeit einen Diebstahl, ändert das zunächst nichts daran, daß er seinen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag weiterhin nachkommen und der Arbeitgeber auch darauf vertrauen kann. 318 Herschel, Betriebsbezogenheit des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, FS für v. Carolsfeld, S. 170 f. 319 BAGE40,361 f.
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Das auf private Verhaltensweisen des Arbeitnehmers gerichtete Vertrauen des Arbeitgebers ist aber schutzwürdig, wenn dessen betriebliche Interessen beeinträchtigt werden. Das ist der Fall, wenn sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers im Privatleben Rückwirkungen auf den Betrieb ergeben, beispielsweise der Arbeitnehmer in seiner Freizeit geschäfts- oder rufschädigend tätig wird. Begeht er einen Diebstahl bei einem Unternehmen, das in Geschäftsbeziehungen zu seinem Arbeitgeber steht, so kann diese Verfehlung Rückwirkungen auf das Verhältnis der bei den Geschäftspartner haben 32o . Durch private Verhaltensweisen der Arbeitnehmer kann das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabgesetzt werden. So wird beispielsweise durch den Diebstahl einer bei der Staatsanwaltschaft angestellten Gerichtshelferin die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit dieser Behörde in Zweifel gezogen 321 . Ebenso wirkt es sich für den Ruf der Anstellungsbehörde, unter Umständen sogar für den gesamten öffentlichen Dienst negativ aus, wenn auch nur ein einzelner Mitarbeiter widerrechtlich Waffen besitzt und im Dienst mit sich führt 322 , wenn ein Angestellter an Aktionen der 1956 als verfassungsfeindlich verbotenen KPD teilnirnme 23 oder nach einer Anstellung im Schuldienst seine NS-Vergangenheit zutage tritt 324 oder ein Bewährungshelfer nach der Inhaftierung seines Probanden eine sexuelle Beziehung mit dessen Frau beginnt 325 . Darüber hinaus können auch Vertnögensinteressen durch außerbetriebliche Betätigungen von Mitarbeitern beeinträchtigt werden, etwa dadurch daß ein Arbeitnehmer zum Beispiel kreditschädigende unwahre Tatsachen verbreitet 326 oder vermeintliche Steuerverstöße mitteilt 327 . Insoweit ist das Vertrauen des Arbeitgebers schutzwürdig, seine Arbeitnehmer würden sich in ihrer Freizeit nichts zu schulden kommen lassen und seine Belange durch privates Verhalten nicht gefährden. Im Ergebnis ist es daher zutreffend, wenn Lepke 328 meint, bei Handlungen im außerdienstlichen Bereich werde das Vertrauen nicht so leicht erschüttert, wie bei arbeitsvertraglichen Verfehlungen, die unmittelbar gegen den Arbeitgeber gerichtet sind. bb) Das Vertrauen des Arbeitgebers in betriebliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers
Anders als in der früheren Theorie des Arbeitsverhältnisses als einem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis 329 , die von einem umfassenden TreuegedanVgl. BAG, NJW 1985, S. 1852, 1854. Vgl. LAG Frankfurt1M, BB 1986, S. 193, Wert der Sache ca. 30-35,- DM. 322 LAG Berlin, AP Nr. 94 zu § 626 BGB. 323 BAG, AP Nr. 9 zu § 626 BGB, siehe auch BAG, AP Nr. 28 zu § 66 BetrVG; BAG, AP Nr. 4 zu § 13 KSchG sowie LAG Bayern, PraktArbR BGB § 626 Nr. 227. 324 LAG Bayern, ABI BayerArbMin 1958 S. 193. 325 LAG Rheinland-Pfalz ARST 1989, S. 156 f. 326 BGHZ 8, S. 142; LAG Harnrn, BB 1%0, S. 95. 327 LAG Berlin, BB 1961, S. 139. 328 Lepke, Kündigung bei Krankheit 8 , S. 234. 320 321
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
ken ausging oder der Theorie von der Arbeits- und Dienstpfliche 3o, die auch den privaten Bereich eines Arbeitnehmers mit einschloß, wird heute nach der modernen Vertragstheorie keine solche umfassende Verpflichtung mehr gefordert 331 . Auch wird nicht mehr vertreten, daß Arbeitnehmer und -geber zwar bei dem Entstehen des Arbeitsverhältnisses gleichgeordnete Vertragsparteien seien, dagegen bei dem Bestehen von einem rechtlichen Gewaltverhältnis auszugehen sei 332 . In diesem Sinne sprach auch v Gierke von modemen Unternehmen als "Herrschaftsverbänden,,333. Man nimmt dagegen heute an, daß sich die Einordnung des Arbeitnehmers in den Betrieb zwangsläufig bei Vollzug der Arbeitsverpflichtung ergibe 34 . Andere als die unmittelbaren Vertragspflichten erschöpfen sich in den anerkannten nebenvertraglichen Verpflichtungen 335 . Daneben können aber in jedem Arbeitsverhältnis privatautonom eingerichtete Vertrauenstatbestände bestehen, welche für den Arbeitgeber schützenswert sind, ohne daß ihnen auf der Seite des Arbeitnehmers zuvor eine entsprechende Vertragspflicht vorausgestellt wurde. Abzugrenzen ist dann der Vertrauensverlust in den Arbeitnehmer von denkbaren Vertrags- bzw. vertraglichen Nebenpflichtsverletzungen, welche ihrerseits verhaltensbedingte Kündigungsgründe liefern können. Diese bedürfen aber regelmäßig des Nachweises eines vorsätzlichen, teilweise sogar beharrlichen Verhaltens des Arbeitnehmers, was dagegen die personenbedingte Kündigung wegen Vertrauensverlusts gerade nicht voraussetzt. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, ob eine konkrete Vertrauensposition auf Seiten des Arbeitgebers begründet worden ist und ob diese auch schutzwürdig erscheint. Dabei muß es sich um dienstliches Vertrauen handeln, das heißt, es müssen Vertrauenspositionen berührt sein, welche auf dienstliche Interessen des Arbeitgebers gegründet wurden 336 . Generell schutzwürdig ist dabei das Vermögensschutz-, das Integritäts- und das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers.
Vgl. zu v. Gierke und Siebert oben 1. Teil, 4. Abschnitt H, 2 c) cc). Nikisch, Dienstpflicht und Arbeitspflicht, FS für Nipperdey zum 60. Geburtstag, S. 65. 331 BAG AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; Hueck/Nipperdey I S. 197, Fn. I; Söllner § 28 IV 1. 332 Rehm, Die verwaltungsrechtliche Bedeutung der Arbeitsordnung, Hirths Annalen, Jahrgang 27, der damit in schärfster Weise, die Herr I Knecht-Dogmatik des 19. Jahrhunderts aufrecht erhalten wollte. 333 v. Gierke, Deutsches Privatrecht S. 697 f. 329 330
Hueck/Nipperdey I S. 197 Fn. 1; Söllner § 28 IV 1. MünchArbR/Richardi. Bd. I Individualarbeitsrecht § 8 Rdnr. 17. 336 V gl. hierzu Petrovic, Die Vertrauensunwürdigkeit als Entlassungsgrund nach § 27 Abs. I letzter Satz AngG, ZAS 1983, S. 49 f. für das österreichische Recht bzgl. der dort nötigen Präzisierung des Merkmals der Vertrauensunwürdigkeit als wichtiger Grund zur Kündigung. 334 335
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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(I) Das Vermögensschutzinteresse Ohne Einschränkung schützens wert ist das Vertrauen des Arbeitgebers, daß der Arbeitnehmer durch sein Verhalten im Betrieb nicht das Vermögen des Arbeitgebers beeinträchtigt, indem er es verletzt oder gefährdet. Der Arbeitgeber darf darauf vertrauen, daß vor allem sein Eigentum von den Arbeitnehmern respektiert wird. Nach allgemeiner Ansicht rechtfertigen Eigentumsdelikte gegen den Arbeitgeber schon im Versuchsstadium die sofortige Entlassung des Arbeitnehmers 337 . Der Arbeitgeber muß sich darauf verlassen können, daß z. B. Produktionsmittel und -erzeugnisse nicht mutwillig zerstört werden (Substanzverletzung), nicht gestohlen 338 oder für den eigenen Gebrauch "entliehen" (Substanzentziehung) z. B. für Schwarzfahrten, sowie nicht unberechtigt weitergegeben werden (Verfügungen durch Nichtberechtigte). Dabei muß kein Straftatbestand erfüllt werden, so z. B. beim Urinieren in den Betriebsräumen 339 . Auch ist die Höhe des Schadens grundsätzlich unerheblich, auch der Diebstahl geringwertiger Sachen, etwa von zwei Päckchen Tabak 340 läßt das Vertrauen in den Arbeitnehmer entfallen, dieser werde das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers weiterhin achten. Ferner kommt es auf etwaige materiell-strafrechtliche und auf strafprozessuale Fragestellungen nicht an. Die Beurteilung im Strafverfahren ist weder für den Zivil- noch für den Arbeitsrichter bindend. So wird im Rahmen des § 123 GewO anerkannt, daß mit ,,Entwendungen" nicht nur Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug gemeint ist, sondern auch der privilegierte Diebstahlstatbestand des § 248 a StGB bei geringwertigen Sachen341 . Auch eine Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 StPO oder des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 S. I StPO ist ohne Bedeutung für die Wirksamkeit der Kündigung wegen des gleichen Vorwurfs 342 . Im Arbeitsverhältnis kann gleichermaßen die Rechtfertigung einer Kündigung nicht von dem Wert der gestohlenen Sache abhängig gemacht werden. Es ist eine Verkehrung von Vertragspflichten, wenn statt der Möglichkeit zur Ahndung geringwertiger Diebstähle dem Arbeitgeber auferlegt wird, "organisatorische Vorkehrungen" gegen Materialschwund zu treffen 343 • Um Kündigungen wegen geringfügiger Eingriffe in das Vermögen und Eigentum des Arbeitgebers zu verhindern, kann nicht grundsätzlich angezweifelt werden, 337
BAG AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG EzA Nr. 94 zu
§ 626 BGB.
338 Z. B. BAG, BB 1988, S. 914, Diebstahl von Fertiglederstücken aus einer Lederfabrik ist nicht nur eine Störung des Vertrauens in die Integrität des Arbeitnehmers (Betriebsleiters) sondern auch in die Achtung des Vermögens durch den Betroffenen. 339 Vgl. ArbG Hildesheim, WAR 1965, S. 13: "Urinieren in den Betriebsräumen". 340 BAG RzK I 6d Nr. 5, vgl. ferner Diebstahl eines Liters Kaffeesahne im Wert von 4,80 DM BAG RzK I 6d Nr. 7. 341 BAG EzA Nr. 5 zu § 123 GewO. 342 BAG, Urteil vom 10.08.1997-2 AZR 620/96 - unter II 1 c der Gründe. 343 So will es aber MünchKomml Schwerdtner, § 626 BGB Rdnr. 127 und lehnt die Kündigungsmöglichkeit bei geringfügigen Diebstählen ab.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
daß darin ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt. Darüber, ob diese Kündigungen gerechtfertigt sind, kann lediglich im Einzelfall im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit entschieden werden 344 . Entscheidend muß es darauf ankommen, ob durch die Verletzung des Arbeitgebereigentums das Vertrauen in den betroffenen Arbeitnehmer entfällt, dieser werde in Zukunft mit dem Betriebseigenturn sorgsam umgehen. Der Vertrauensverlust wird dann anzunehmen sein, wenn in einem Verhalten des Arbeitnehmers der Wille zum Ausdruck kommt, den Arbeitgeber bewußt zu schädigen, etwa bei der mutwilligen Zerstörung oder Entziehung von Arbeitsgeräten oder es jedenfalls nicht achten zu wollen, indem es dem Arbeitnehmer völlig gleichgültig erscheint, ob z. B. Arbeitsgeräte mangelhaft gegen Diebstahl, Witterung oder unnötige Abnutzung gesichert werden. Auf die hierarische Stellung des Arbeitnehmers oder das Schädigungspotential kommt es dabei nicht an. Ob ein Bauarbeiter leichtfertig Arbeitsgeräte zerstört oder der Vorstandsvorsitzende einer Bank leichtfertig Kredite trotz einer angespannten Geschäftssituation vergibt 345 , läuft auf das gleiche hinaus. Beide mißachten das Vermögensschutzinteresse ihrer Anstellungsbetriebe. Nicht haltbar ist daher die Behauptung, daß generell die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses nur bei einer erheblichen Vertragsverletzung anzunehmen ist und letztere bei einer wirtschaftlich betrachteten Geringfügigkeit nach dem Grundsatz "De minimis non curat lex" entfalle 346 . Auch dann, wenn gerade keine Vertragsverletzung und damit gerade kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, etwa weil diese mangels vorsätzlichen oder beharrlichen Verhaltens ausgeschlossen ist, kann die mangelnde Achtung des Betriebseigenturns die Kündigung rechtfertigen. Wer z. B. grob fahrlässig einen Dienstwagen über Gebühr verschleißt oder wertvolles Baugerät ohne hinreichende Sicherung nach der Arbeit auf der Baustelle stehen läßt, weil es ihm schlicht egal ist, verletzt das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers und verliert das Vertrauen in seine Eignung für die ihm übertragenen Arbeitsaufgaben. Allerdings trifft es zu, daß es bei der Anwendung des Grundsatzes "De minimus non curat lex" schließlich auf die Frage einer "Einzelfallvernunft,,347 hinauslaufe, ob also eine Angelegenheit wirtschaftlich zu belanglos ist, daß daraus etwa ein außerordentlicher Kündigungsgrund erwachse. Nicht aber kommt es darauf an, ob sie eine erhebliche Vertragsverletzung darstellt. Ein Arbeitgeber darf ferner darauf vertrauen, daß über das Eigentum hinaus auch sein sonstiges Vennögen von den Arbeitnehmern nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich gefährdet und verletzt wird. Wer in die Geschäftskasse greift 348 , und 344 So richtig BAG, DB 2000, 48 -50 (Leitsatz), wonach beim Diebstahl geringfügiger Sachen in der 1. Stufe der Prüfung generell ein wichtiger Grund nach § 626 BGB anzunehmen ist, in der 2. Stufe für die Frage der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. 345 OLG Karlsruhe, NZG 1999, 1012 (Leitsatz). 346 BuB, De minimis non curat lex, NJW 1998, S. 337 ff., 342 f. 347 BuB, De minimis non curat lex, NJW 1998, S. 337 ff., 344. 348 Vgl. LAG Düsseldorf, Betrieb 1976, S. 680.
4. Abschn.: Vertrauenswegfal1 als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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sei es auch nur für 20,- DM, verletzt das Vennögensschutzvertrauen des Arbeitgebers. Auch wenn er nicht zum eigenen Vorteil handelt, kann er das Vennögensschutzinteresse des Arbeitgebers mißachten, indem er z. B. wissentlich überteuerte Waren einkauft349 , sei es um sich selbst die Mühe des Preisvergleichs zu ersparen oder um dem Geschäftspartner einen Gefallen zu tun. Darin liegt nicht zwingend eine Vertragsverletzung, insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer über eine entsprechende Handlungsvollmacht verfügt, doch wird das Vennögensschutzinteresse des Arbeitgebers derart beeinträchtigt, daß er das Vertrauen in den betroffenen Arbeitnehmer restlos verlieren kann. Auch wenn der Arbeitnehmer ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht handelt, verletzt er gleichennaßen das Vennögensschutzinteresse. Als Kündigungsgrund genügt daher auch der Mißbrauch bestimmter Kontrollpflichten, etwa wenn ein Schachtmeister einem Arbeitnehmer eines Subunternehmens mehr Stunden aufschreibt, als dieser geleistet hae 5o . Das Vermögensschutzinteresses kann z. B. bei einem Unternehmen, wie einem großen Warenhaus oder einer Diamantschleiferei derart ausgeprägt sein, daß die Mitarbeiter eines solchen Betriebs beim Verlassen des Arbeitsplatzes persönliche Kontrollen dulden müssen. Anläßlich des Grundrechts des Arbeitnehmers auf Unverletzlichkeit seiner Person und seiner Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), soll das aber nur in Ausnahmefällen zulässig sein351 • Ferner ist nicht jede Art der Arbeitnehmerkontrolle zulässig, regelmäßig nur die Torkontrolle, eingeschränkt die Leibesvisitationen und Taschenkontrollen und diese auch nur unter Beachtung des Ehrgefühls (Öffnen der Taschen, Abtasten nur der Oberbekleidung); Toilettenkontrollen (Sichtkontrollen) dagegen i.d.R. nicht wie auch die Te1efonüberwachung 352 . Bei ärztlichen und psychologischen Untersuchungen ist nach der Art der Tatigkeit und ihrer Gefahren zu differenzieren 353 . Überwiegend wird vertreten, daß Vertrauenstatbestände aber nur entstehen und also schützens wert sein können, wenn die Wahrung des Vertrauensverhältnisses gerade zu den typischen Vertragspflichten gehört354, beziehungsweise es privatautonom entstanden sein muß 355 . Gerade die Achtung von Eigentum und Vennögen des Arbeitgebers bereitet in diesem Zusammenhang Probleme. Einerseits wird das darauf gestützte Vertrauen des Arbeitgebers nicht schon aus dem Arbeitsverhältnis selbst gezogen, weil es als solches keinen objektiven Vertrauenstatbestand begründen kann 356 . Andererseits wird wegen der Selbstverständlichkeit der Pflicht zur Vgl. hierzu BAG AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. LAG Düsseldorf, DB 1966, S. 1571. 351 So bei Branchenüblichkeit oder bei häufigen Diebstählen, Hueck/Nipperdey I S. 240; Schaub § 55 II 3; MünchKomml Söllner § 611 Rdnr. 369. 352 MünchArbR/Blomeyer § 51 Rdnrn. 22-25. 353 MünchArbR/Blomeyer § 51 Rdnrn. 26-28. 354 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 364 m. w. N. 355 Bel1ing, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff., 229. 356 Preis, a. a. 0., S. 364. 349
350
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1. Teil: Der Vertrauens wegfall als Kündigungsgrund
Achtung des Betriebsvermögens darauf bezogene Einzel- oder Allgemeinpflichten nicht vertraglich festgelegt. Im Hinblick darauf, daß also die Mitnahme etwa eines liegengebliebenen Stückes Kuchen nach Dienstschluß der Kantine keine Verletzung einer normierten Vertragspflicht ist, wird jedoch von der Rechtsprechung mit einer bemerkenswerten und oft kritisierten Schärfe gerade gegen diese vom Ausmaß des Schadens her unbedeutenden Delikte vorgegangen. Sie sollen auch ohne Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, weil das Vertrauen in den Arbeitnehmer enttäuscht sei. Weil weder aus dem Arbeitsverhältnis selbst, noch aus privatautonomer Ausgestaltung in diesen Fällen Vertrauenstatbestände geschaffen wurden, deren Verletzung zur Kündigung berechtigen würde, sieht sich die Rechtsprechung in der Erklärungsnot, welches Vertrauen in den Arbeitnehmer enttäuscht worden ist. Preis versucht derartige Fälle über die Möglichkeit der Kontrolle des Arbeitnehmers zu lösen. Er meint mit der h.M., ein Vertrauenstatbestand entstehe automatisch dann, wenn dem Arbeitnehmer ein Tätigkeitsbereich anvertraut ist, welcher einer Kontrolle durch den Arbeitgeber nur schwer zugänglich ist 357 • Der Vertrauensschutz folge sodann aus den besonderen Einwirkungsmöglichkeiten. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, weil sie die Entstehung der Vertrauenstatbestände nicht aus der privatautonomen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ableitet, sondern aus der Überwachungsmöglichkeit und -bereitschaft des Arbeitgebers. Sie läßt den Schluß zu, daß der Arbeitgeber, welcher es nicht für notwendig erachtet, seine Arbeitnehmer zu kontrollieren in seinem Vertrauen schützenswerter ist, als jener, der seiner, im übrigen schon im Hinblick auf § 831 BGB gebotenen, und vernünftigen Überwachungspflicht nachkommt. Das führt zu dem Widerspruch, daß der in seiner Überwachung nachlässige Arbeitgeber zwar gegenüber Dritten bei Schädigungen aus § 831 BGB haftet, den Arbeitnehmer aber wegen Vertrauensverlusts sofort kündigen kann. Er kann daher die Verantwortung für sein Überwachungsverschulden auf den Arbeitnehmer abwälzen. Diese Begünstigung ist nicht gerechtfertigt, sie steht im Widerspruch zu der Wertung aus § 831 BGB. Ferner ist eine übertriebene Kontrolle der Arbeitnehmer auch nicht wünschenswert. Statt an die Kontrolle durch den Arbeitgeber anzuknüpfen, ist für die Entstehung von Vertrauenstatbeständen vielmehr auf die konkrete Tätigkeit und die daraus abzuleitenden Vertrauenstatbestände abzustellen. Die Ausgestaltung solcher spezifischer Vertrauenstatbestände über Vertrags- und vertragliche Nebenpflichten erfolgt im seltensten Fall hinreichend konkret genug. Dazu müßte in jedem Arbeitsvertrag eine entsprechende Verpflichtung ausgestaltet werden, etwa keine Reste der verkauften Kuchenstücke selbst verspeisen zu dürfen, oder einen Dienstwagen nicht unverhältnismäßig sportlich bewegen zu dürfen. Auch kann nicht für die Ausgestaltung eines Vertrauenstatbestands allein auf die anerkannten vertraglichen Nebenpflichten abgestellt werden, wie z. B. das Wettbewerbsverbot. Schützenswerte Vertrauenstatbestände entstehen vielmehr nicht allein durch die Normierung von Vertrags- bzw. vertraglichen Nebenpflichten, sondern 357 Preis, a. a. 0., S. 364 m. w. N.; Dütz, Anm. EzA Nr. 91 zu § 626 BGB n.F.; WaIImeyer, Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund, S. 85 f.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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auch anläßlich oder gelegentlich privatautonomer Ausgestaltung. Wer durch den Arbeitsvertrag mit der Herstellung, Verkauf oder dem Servieren von Nahrungsmitteln betraut worden ist, darf diese Handlungs- und Einflußmöglichkeit nicht dazu nutzen, gelegentlich seiner Aufgabe eigene Vorteile zulasten des Betriebs zu gewinnen. Wer beauftragt ist, Kuchen zu backen und zu verkaufen, darf denselben selbstverständlich nicht essen. Wer als Kassiererin im Supermarkt Waren verkauft, darf keine unterschlagen, unabhängig davon, inwiefern sie sich unbeobachtet in den Geschäftsräumen bewegen kann. Wem im Rahmen seiner Tätigkeit Arbeitsgerät oder sonst anvertraute Gegenstände übergeben wurde, dem darf konkret vertraut werden, daß er dieses nicht zerstört oder stiehlt oder unachtsam behandelt. Wer seine Spesen bezahlt bekommt, dem darf vertraut werden, daß er eine korrekte Berechnung abliefert und den Spesenrahmen weder überschreitet noch nutzt, um sich selbst zu bereichern. In allen diesen Fällen besteht ein konkreter Bezug zwischen dem Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers und der Tätigkeit des Arbeitnehmers, der es rechtfertigt, aus dem abstrakten Vermögensschutzinteresse ein schutzwürdiges Vertrauen abzuleiten. Mithin sind wegen solcher Konkretisierungen von Vertrauensinhalten auch Vertrauenstatbestände gegeben, deren Verletzung eine Kündigung rechtfertigen kann 358 , ohne daß es eines Nachweises einer anerkannten Haupt- oder vertraglichen Nebenpflicht bedarf, die in der Regel nur dann kündigungsrelevant ist, wenn sie vorsätzlich oder auch beharrlich erfolgt ist. Abzugrenzen von diesen konkret am Arbeitsverhältnis zu bestimmenden Vertrauenstatbeständen sind sämtliche Delikte gegenüber dem Arbeitgeber, die außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses stehen. So ist es nicht gerechtfertigt, einen Arbeitnehmer zu kündigen, der in einer anderen Filiale des gleichen Konzerns einen Diebstahl begeht, weil er diesen nicht gelegentlich seiner Arbeitstätigkeit unternimmt. Für ihn stellt sich die Filiale genauso dar, wie der Betrieb eines anderen Unternehmers. Konzernstrukturen sind nicht immer durchsichtig und dürfen nicht über die Rechtfertigung einer Kündigung entscheiden. Auch hier bietet sich die Parallele zur Haftung für Verrichtungsgehilfen und der von der Rechtsprechung entwickelte dezentralisierte Entlastungsbeweis an. Für die Entstehung von Vertrauensverhältnissen muß entsprechend der Überwachungspflichten auf den konkreten Anstellungsbetrieb, die konkrete Abteilung abgestellt werden, nicht auf den Konzern. Denn die Entstehung von Vertrauen setzt ein Mindestmaß an persönlicher Beziehung voraus. (2) Das Integritätsinteresse und der Betriebsfrieden Auch das Vertrauen des Arbeitgebers, daß ein Arbeitnehmer sich, ohne große Reibungen zu erzeugen, in den Betrieb und den Arbeitsablauf integriert, ist schutzwürdig. Als allgemeine vertragliche Nebenpflicht wird heute in jedem Arbeitsverhältnis anerkannt, daß sich ein Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs ordnungsge358
50 auch im Ergebnis Preis, a. a. O.• 5. 365.
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1. Teil: Der VertrauenswegfalI als Kündigungsgrund
mäß und rücksichtsvoll zu verhalten hat, was auf § 242 BGB gestützt wird 359 . Wahrend allerdings das BGB nur die Beziehung des Arbeitnehmers zum Dienstherrn geregelt hat (Individualverhältnis), wurde das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander (Solidarverhältnis) außer acht gelassen 360 . Dennoch wird versucht, das Solidarverhältnis zu regeln. Teils werden arbeitsvertraglieh Verhaltensrichtlinien festgelegt, teils durch interne Betriebsordnungen, teils auch durch bloße Vorgaben des Arbeitgebers. In erster Linie wird damit der Arbeitsprozeß geordnet, wer mit wem zusammenarbeitet, wem Weisungsrechte delegiert werden, und sei es nur, wie die Betriebsräume gelüftet werden. Zusammengefaßt ist damit das ganze Gemeinschaftsdasein der Arbeitnehmerschaft betroffen, auch wenn angesichts umfassender Mitbestimmungsrechte heute nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß dieses Gemeinschaftsdasein ausschließlich das "Werk" des Arbeitgebers ist361 . Allgemein jedoch besitzt der Arbeitgeber das Recht zur freien Betriebsgestaltung 362 . Daß diese Rechtsposition nicht verletzt wird, ist sein schützenswertes Interesse an einem reibungsfreien Betriebsablauf, es kann daher auch bezeichnet werden, als das Interesse an der Integration des Arbeitnehmers im Betrieb. Das bedeutet zunächst, daß der Betriebsfrieden nicht gestört wird, d. h. horizontal zwischen den einzelnen Arbeitnehmern keine Arbeitshindemisse und Rechtsgutsverletzungen entstehen. Der Betriebsfrieden umfaßt den ganzen Bereich der betrieblichen Verbundenheit unter den Mitarbeitern363 . Der Betriebsfrieden ist daher die Summe derjenigen Faktoren, die unter dem Einfluß des Arbeitgebers das Zusammenleben und das Zusammenwirken der im Betrieb tätigen Mitarbeiter ermöglichen, erleichtern oder nur erträglich machen. Verstöße gegen das Gebot des Betriebsfriedens sind traditionell ein wichtiger (verhaltensbedingter) Grund zur außerordentlichen Kündigung. Nach neuerer Rechtsprechung des BAG bedarf es aber einer konkreten Störung des Betriebsfriedens, eine bloße Gefährdung des Betriebsablaufs reicht nicht aus 364 . Auch das BVerfG hat im Hinblick auf die politische Betätigung in Erwägung gezogen, nur noch bei vertragswidrigen Störungen und nicht mehr bei lediglich abstrakter Gefährdung des Betriebsfriedens die politische Betätigung des Arbeitnehmers im Betrieb einzuschränken365 • Diese Einschränkungen berücksichtigen jedoch nicht, daß auch ohne konkrete Auswirkungen auf den Betriebs frieden das Vertrauen in einen Arbeitnehmer entfallen kann, daß dieser auch in Zukunft geeignet sein wird, sich in den Betrieb zu integrieren. Das Integritätsinteresse des Arbeitgebers wird nicht nur verletzt, wenn der Arbeitnehmer konkret den Betriebsfrieden gestört hat. Wer z. B. das Arbeitsumfeld dazu benutzt, rechtsradikale Propaganda zu betreiben, gefährdet den Betriebsfrieden auch dann in star359 360
361 362 363
364 365
MünchArbR / Blomeyer § 51 Rdnr 1. Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, S. 6 (geschrieben 1907). So aber Sinzheimer, a. a. 0., S. 7. Sinzheimer, a. a. 0., S. 7. Staudinger / Preis § 626 BGB Rdnr. 177. BAG AP Nr. 99 zu § 626 BGB. BVerfGE 42,133,141.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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kern Maße, wenn er bisher nur auf Kollegen gleicher Gesinnung gestoßen ist, welche sich in keiner Weise belästigt sehen. Hier muß nicht darauf gewartet werden, daß sich ein anderer Kollege belästigt sieht. Allein der Umstand, daß ein Arbeitnehmer sein Arbeitsumfeld zur Werbung für extremistische Vereinigungen mißbraucht, läßt das Vertrauen in ihn entfallen, daß er grundsätzlich geeignet ist, sich in den Betrieb reibungslos zu integrieren. Nicht jede Einwirkung auf den Betriebsfrieden läßt aber schutzwürdiges Vertrauen in die Integrationsfähigkeit des Arbeitnehmers entfallen. Das bloße Weiterleiten bekannt gewordener Tatsachen über andere Kollegen stören das Integritätsinteresse nicht ernsthaft, sofern kein Strafrechtstatbestand erfüllt ist oder sonst die Ehre der Kollegen verletzt wird. Wer daher als Personalsachbearbeiter die Gehälter der leitenden Angestellten gelegentlich seiner Arbeit erfährt und im Betrieb weitererzählt, verursacht keinen die Kündigung rechtfertigenden Vertrauensbruch 366. Auch in vertikaler Linie zu den Vorgesetzten muß sich ein Arbeitnehmer in den hierarchischen Ablauf integrieren und in erster Linie dem Direktionsrecht der Vorgesetzten folgen. Das Direktionsrecht folgt aus der arbeitsvertraglichen Unterordnung des Arbeitnehmers, der dem Arbeitgeber das alleinige Recht zur Gestaltung seiner Vertragsleistung überträgt 367 . Die Rechtfertigung für das Direktionsrecht folgt über das Gestaltungsrecht des Dienstherm auch aus seiner Fürsorgepflicht, die er wiederum den Arbeitnehmern im Betrieb schuldet. Die dazu gehörende Pflicht zur gefahrlosen Betriebsgestaltung, kann nur wirksam durchgesetzt werden, wenn der Arbeitgeber potentiell gefährliche Arbeitnehmer (etwa bei Alkoholmißbrauch) per Direktionsrecht zur Unterlassung ihres gefährlichen (und damit andere gefährdenden) Verhaltens zwingen kann. Das gilt auch, wenn es nur zu ihrem Selbstschutz nötig ist, etwa wenn sich ein Arbeitnehmer beharrlich weigert, an Vorsorgeuntersuchungen zur Unfallverhütung teilzunehmen 368 , was zudem den Arbeitgeber mit einem Beschäftigungsverbot seitens der Berufsgenossenschaft bedroht. Zumal wenn es um Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer geht, muß ein Arbeitgeber darauf vertrauen können, daß diese nicht gefährdet werden 369 . Je größer das Gefährdungspotential für die übrige Belegschaft ist, desto leichter kann das Integritätsinteresse erschüttert werden, insbesondere, wenn der Arbeitgeber über die Gefahren aufgeklärt hat und die Arbeitnehmer sich darauf einrichten konnten. Sofern das berechtigte Mißtrauen besteht, daß von einem Arbeitnehmer Gefahren für Leib und Leben der Mitarbeiter ausgehen, darf es auch nicht, wie bei verhaltensbedingten Kündigungen, auf dessen Verschulden ankommen 37o . LAG Hamm, ZIP 1981, S. 1259 ff. Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, S. 12. 368 LAG Düsseldorf, NZA-RR 1997, S. 88, G 20 - Lärm und G 38- Schweißrauche/metallverarbeitende Industrie. 369 LAG Hamm, LAGE Nr. 48 zu § 626 BGB. 370 BAG EzA Nr. 56 zu § 626 BGB. 366 367
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
Manche Sachverhalte bereiten offenbar Schwierigkeiten, den tatsächlichen Störer des Integritätsinteresses des Arbeitgebers herauszufinden. Ein typischer Fall ist die sexuelle Belästigung im Betrieb, die insbesondere aus leitenden Positionen unter Ausnutzung der untergebenen Positionen von Frauen begangen werden 371 • Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (BeSchuG) stets eine Arbeitsvertragsverletzung und kann daher eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Allerdings werden im Zusammenhang mit solchen Belästigungen auch oft Vertrauenspositionen enttäuscht, die ihrerseits eine personenbedingte Kündigung wegen Vertrauenswegfalls rechtfertigen können, vor allem dann, wenn der Tatbestand des § 2 Abs. 3 BeSchuG nicht erfüllt ist. Schwierigkeiten bereitet nämlich im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung die Verhältnismäßigkeitsprüfung. So hat das LAG Ramm in einem Fall die Kündigung als unverhältnismäßig verworfen, in welchem ein Ausbilder einer Auszubildenden trotz deren sichtbarer Ablehnung den Arm um die Schulter legte und zunächst eine Abmahnung gefordert 372 . Das Gericht berücksichtigte dabei aber nicht, daß der Gekündigte die Betroffene über einen längeren Zeitraum mit eindeutigen verbalen Anspielungen und körperlichen Berührungen bedrängt hatte. Es hielt eine vorherige Abmahnung für erfolgversprechend, während etwa im Falle der beharrlichen Arbeitsverweigerung dazu völlig konträr verfahren wird. Die Beharrlichkeit manifestiert regelrecht als Kündigungsvoraussetzung den wichtigen Grund der Arbeitsverweigerung. Eine sachliche Rechtfertigung für die Privilegierung anhaltender sexueller Belästigung ist jedoch nicht erkennbar. Auch das Ausnutzen einer besonderen Zwangssituation kann gegebenenfalls eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn sich eine Arbeitnehmerin zunächst aus eigenem Willen darauf einläßt. Wenn etwa ein Angestellter im öffentlichen Dienst in einem laufenden Bewerbungsverfahren sich mit Interessentinnen abends in einer Sauna verabredet, unter dem Vorwand der dienstlichen Notwendigkeit, ist damit ein hinreichender Bezug zwischen der Belästigung und der dienstlichen Sphäre gegeben, welcher eine Kündigung rechtfertige 73 • Statt auf die Schwere des Vorwurfs ist in diesen Fällen besser darauf abzustellen, ob durch der Betroffene, etwa als Ausbilder, angesichts seines in den Vorwürfen zum Ausdruck kommenden Charakters noch geeignet erscheint, seine einflußreiche Position auszuüben. Mithin ist danach zu fragen, ob ihm für die Zukunft vertraut werden kann, niemanden im Betrieb und vor allem keine Untergebenen, zu belästigen. Das wird bei einem Ausbilder, der seine Position mehrfach mißbraucht hat, abzulehnen sein. 371 Z. B. durch einen direkt Vorgesetzten und Betriebsratsmitglied BAG, DB 1986, S. 1339 f.; oder durch einen Ausbilder gegenüber seiner Auszubildenden, LAG Hamm, NZA-RR 1997, S. 250; vgl. ferner Linde, Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, BB 1994, S. 2412; MerkeI, 2. GleiBG - wichtige Signale auch für die private Wirtschaft, AuA 1994, S.267. 372 LAG Hamm LAGE Nr. lID zu § 626 BGB. 373 LAG Berlin, LAGE Nr. 24 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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(3) Das Loyalitätsinteresse, die Treuepflicht und das Vertrauen auf Loyalität Der sowohl rechtlich als auch gesellschaftspolitisch am schwierigsten zu erfassende Bereich betrifft das über das Vermögensschutz- und Integritätsinteresse hinausgehende Loyalitätsinteresse. Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers wird in großem Umfang durch vertragliche Neben- Pflichten abgedeckt, die unter den Oberbegriff der Treuepflicht gefaßt werden. Das ermöglicht dem Arbeitgeber, gegen eine Vielzahl von Verstößen gegen sein Loyalitätsinteresse über vertragliche Nebenpflichtsverletzungen mit der verhaltensbedingten Kündigung zu reagieren. Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers besteht darin, schützenswert darauf vertrauen zu dürfen, daß keiner der Arbeitnehmer den Interessen des Unternehmens zuwiderhandelt. Darüberhinaus besteht aber keine Betriebsförderungspflicht des Arbeitnehmers. Anders, als es § 705 BGB für die BGB-Gesellschaft vorsieht, besteht im Arbeitsverhältnis generell keine gesetzlich normierte Pflicht, die Zwecke des Anstellungsbetriebs zu fördern. Beispiele für die Förderungspflicht nach § 705 BGB sind nicht nur Tätigkeitspflichten oder die Leistung von Beiträgen, sondern auch die allgemeine Treuepflicht, die nicht nur eine auf § 242 BGB gestützte (Neben-)Pflicht zur Unterlassung vertragswidrigen Verhaltens ist, sondern eine Hauptpfliche74 • Das betrifft zum Beispiel das Unterlassen jeglichen Wettbewerbs. Stellt man das Gesellschafts- und Arbeitsverhältnis gegenüber, fällt als eines der Hauptkriterien der Unterschied der hierarchischen Strukturen auf. Wahrend die Gesellschafter gemeinsam und gleichberechtigt ihre Zwecke verfolgen, unterwirft sich der Arbeitnehmer dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und der Hierarchie des Anstellungsbetriebs. Er darf nur in bestimmten, eng umgrenzten Bereichen über die Ziele und die Funktion des Unternehmens mitbestimmen. Soweit er damit auch nach den Unternehmensbestimmungen etwa am Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist, erhält der Arbeitnehmer sogar ein Mitgliedschaftsrecht. Aus dieser Überlegung heraus aber das Arbeitsverhältnis als ein gemischt schuldrechtlich-gesellschaftsrechtliches Rechtsverhältnis zu betrachten, verkennt die Ursachen und Wirkungen der Mitbestimmung. Grundlage des Mitbestimmung gewährenden Rechtsverhältnisses zwischen den Arbeitsparteien ist allein das Arbeitsverhältnis und nicht die Mitgliedschaft als so1che 375 • Auch wird der Arbeitnehmer allein durch die Mitbestimmungsrechte nicht Gesellschafter, weil ihnen der "vermögensrechtliche Unterbau" fehlt 376 . Er stellt in erster Linie seine Arbeitskraft dem Anstellungsbetrieb zur Verfügung und wird entsprechend dieses Einsatzes entlohnt, nicht aber an Gewinnen oder Verlusten des Betriebs beteiligt. Es ist also weder nach seiner Funktion im Betrieb, noch aufgrund der rechtlichen Konzeption des Arbeitsvertrags nach § 611 BGB seine Aufgabe, sich um MünchKomm I UImer BGB § 705 Rdnr. 121. So überzeugend Richardi AöR 104 (1979), 546, 576. 376 Zöllner, Die Stellung des Arbeitnehmers in Betrieb und Unternehmen FS 25 Jahre BAG, S. 745, 759. 374 375
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
die Förderung des Unternehmens zu kümmern. Von der Gegenüberstellung der gesetzlichen Leitbilder dieser bei den Dauerschuldverhältnisse ausgehend, kann also weder von einer Hauptpflicht noch von einer Nebenpflicht zur positiven Förderung der Unternehmenszwecke gesprochen werden 377 . Das führt im Ergebnis dazu, daß auch in Arbeitsverhältnissen mit besonderen Loyalitätsinteressen, wie in Tendenzbetrieben konfessioneller oder parteipolitischer Art lediglich die Achtung und Respektierung der tendenziösen Gesinnung des Arbeitgebers geschuldet wird, nicht aber die Gesinnung selbst. Diesen Arbeitgebern steht es im Vorfeld eines Arbeitsverhältnisses frei, "Gesinnungsgenossen zu rekrutieren,,378. Um den Inhalt und Umfang des Loyalitätsinteresses festzustellen, ist ein kurzer Blick auf die dem Arbeitnehmer obliegende Treuepflicht hilfreich. Die Treuepflicht im Arbeitsverhältnis ist nach h.M. vielmehr eine Nebenpflicht, gerichtet auf Loyalität i.S. eines widerspruchsfreien Verhaltens, die dogmatisch auf § 242 BGB beruht379 , insbesondere dessen Ausprägung im Verbot des venire contra factum proprium380 und deren Konkretisierung sich aus der Erfüllung der synallagmatisehen Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ergibt 381 . Anerkanntermaßen rechtfertigt ein Verstoß gegen diese nebenvertraglichen Pflichten stets eine verhaltensbedingte Kündigung, sofern der Verstoß vorsätzlich erfolgte. Wenn damit zwar statt der hier untersuchten personenbedingten Kündigung wegen Vertrauensverlusts grundsätzlich die verhaltensbedingte Kündigung wegen einer Treuepflichtverletzung anzuwenden sein wird, ist die kurze Untersuchung der Treuepflicht doch insofern von Bedeutung, als diese Inhalt und Umfang des schützenswerten Loyalitätsinteresses des Arbeitgebers widerspiegelt. Anders als in frühen Kodifikationen über Arbeitsverhältnisse, etwa der preußischen Gesindeordnung 382 , findet sich heute keine gesetzliche Regelung mehr über die Treuepflicht des Arbeitnehmers, auch wenn allgemein anerkannt wird, daß es eine solche gibt. In dogmatischer Hinsicht steht die Treuepflicht als arbeitsvertragliehe Nebenpflicht nach § 611 i.Y.m. § 242 BGB in einem Akzessorietätsverhältnis zur Arbeitspflicht 383 . Sie ist eine Umschreibung der Interessenwahrungspflicht384, der RücksichtspflichSo auch Zöllner a. a. O. S. 760. Vgl. Schwarz, Dauerschuldverhältnis und Dogmatik arbeitsvertraglicher Treuepflicht, FS Wilburg zum 70. Geburtstag, S. 355 ff., 368 bzgl. einer Gegenüberstellung deutschen und österreich ischen Rechts. 379 BAG AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 72; Errnan/ Hanau § 611 Rdnr. 482 f.; MünchKomm/ Söllner § 611 Rdnr. 376; Staudinger / Richardi § 611 Rdnr. 370; Soergel / Kraft § 611 Rdnr. 75; Westermann S. 172 f. 380 Söllner, Wes Brot ich eß', des Lied ich sing', FS für HerscheI zum 85. Geburtstag, S. 389 ff., 397. 381 MünchArbR/Blomeyer § 49 Rdnr. 3; Ld.S. spricht das LAG München (ARST 1976, S. I) auch von "gegenseitiger Loyalität". 382 Vgl. Hueck, Der Treuegedanke im modemen Privatrecht, S. 16, hiernach war das Gesinde verpflichtet, "der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden und Nachteil aber, soweit an ihm ist, abzuwenden". 383 MünchArbR / Blomeyer, § 49 Rdnr. 2. 377
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4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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ten 385 und der Schutzpflichten 386 . Diesen einzelnen Nebenpflichten kommt eine Ergänzungsfunktion für die Hauptleistungspflichten ZU 387 • Das bedeutet, daß nach heutiger Ansicht, der Arbeitnehmer der Unternehmenszielsetzung nicht entgegen arbeiten darf, sondern er muß mit dem Arbeitgeber kooperieren 388 . Er muß sein Verhalten so einrichten, daß unerträgliche Belastungen des Verhältnisses vermieden werden 389 . Die Kooperationspflicht gilt vor allem für leitende, daher besonders vertrauensbeinhaltende Positionen 390 . Die Treuepflicht umfaßt ferner die allgemeine Schutzpflicht des Arbeitnehmers, drohende Schäden vom Betrieb abzuwenden. Fraglich ist, inwieweit er auch verpflichtet ist, unerlaubte Handlungen anderer Mitarbeiter seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Eine Mitteilungspflicht besteht jedenfalls dann, wenn es sich um strafrechtlich relevante Mißstände handelt 391 und sich der Arbeitnehmer durch die Nichtanzeige schadenersatzpflichtig machte. Andererseits ist eine unberechtigte Denunziation eines Kollegen wiederum geeignet, das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers entfallen zu lassen und kann selbst einen Kündigungsgrund darstellen 392 . Ferner fällt unter die Treuepflicht auch die arbeitsvertragliehe Rücksichtspflicht, d. h. der Arbeitnehmer darf seine Interessen nicht mit Gewalt, Drohung oder Arglist durchsetzen. Er darf sich auch seIber keiner Zwangslage oder Bestechlichkeit aussetzen, insbesondere keine Schmiergelder fordern oder annehmen 393 , etwa in Form von Geldgeschenken durch Lieferantenfirmen an einen Zentraleinkäufer394 . Das Vertrauen des Arbeitgebers in die Unbestechlichkeit des Arbeitnehmers ist daher besonders schützenswert 395 . Deshalb kommt es bei der Annahme von Schmiergeldern nicht auf eine Schädigung des Arbeitgebers an. Je nach der Ziel richtung und Schwere des Angriffs kann auch ein einzelner Vorgang, etwa die einmalige bewußte und gewollte Geschäftsschädigung genügen, um der Zerstörung des Vertrauens in die Loyalität des Arbeitnehmers das Gewicht eines Kündigungsgrunds zu geben 396 . Der Arbeit384 Vgl. MünchKomm 1 Söllner § 611 BGB Rdnr. 392; Schwerdtner, Fürsorge- und Treuepflichten im Gefüge des Arbeitsverhältnisses, ZfA 1979, S. I. 385 Ennan 1 Hanau § 611 Rdnr. 72, 483. 386 MünchKomm/Söllner § 611 Rdnr. 375. 387 MünchArbR 1 Blomeyer § 49 Rdnr. 16. 388 Staudinger 1Preis BGB § 626 Rdnr. 196. 389 LAG München, ARST 1976, S. 1. 390 LAG Nümberg, LAGE Nr. 67 zu § 626 BGB. 39\ BAG AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers mit Anm. Steindorff; Hueck/v.Hoyningen-Huene § I KSchG Nr. 328a. 392 BAG AP Nr. 5 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 393 BAG EzA Nr. 89 zu § 102 BetrVG 1972, Hueck/v.Hoyningen-Huene KSchG § Rdnr. 351; Staudinger 1Preis, BGB § 626 Rdnr. 199. 394 Vgl. LAG Köln, OB 1984, S. 1101. 395 Staudinger 1 Preis § 626 BGB Rdnr. 199. 396 BAG 2 AZR 568/91 (n.v.) bzgl. eines nicht zustande gekommenen Auftrags über 18.000,- DM.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
geber darf schließlich auch darauf vertrauen, daß der Arbeitnehmer nicht die Unternehmenszwecke gefährdet. Auch wenn das Verhalten eines Arbeitnehmers konkret noch keinen Schaden verursacht, kann es trotzdem den Belangen des Betriebs zuwiderlaufen. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer diese Belange erkennen kann, etwa dann, wenn er bewußt Weisungen mißachtet oder die Betriebsinteressen offensichtlich sind. Schutzwürdig ist daher das Vertrauen des Arbeitgebers, daß ein Arbeitnehmer keinen Konkurrenzbetrieb aufzubauen beabsichtigt 397oder für einen anderen in Nebentätigkeit arbeitet (vgl. auch § 60 HGB), nicht zum wilden Streik aufwiege1t 398 oder erklärt, in Zukunft weniger zu arbeiten 399 oder sogar den Betrieb zu übernehmen4OO • Wer als Angestellter in leitender Position gegenüber einem Dritten ernsthaft erklärt, er werde den Interessen seines Arbeitgebers in existenzgefahrdender Weise zuwiderhandeln401 , zerstört das Vertrauen in seine Loyalität restlos. Das LAG Nürnberg402 hat in diesem Fall zu Recht die Kündigung auf die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und nicht auf das Verhalten oder die Erklärung des Arbeitnehmers abgestellt. Allerdings differenziert Söllner zu Recht danach, ob ein solcher Angriff auf die Existenz des Anstellungsunternehmens gezielt ist oder nur Ausdruck einer gesellschaftspolitischer Forderung allgemeiner Art ist403 . Daher darf der Ruf nach paritätischer Mitbestimmung, Humanisierung der Arbeit, mehr Umweltschutz u. a. keine Kündigung rechtfertigen, selbst, wenn davon der Arbeitgeber betroffen wäre404 . Wer aber die Vernichtung der Existenz seines Arbeitgebers, die Schließung seines Anstellungsbetriebs in der Öffentlichkeit propagiert, begeht einen Verstoß gegen Treu und Glauben in Gestalt eines venire contra factum proprium405 • Den Unternehmens zwecken wird auch zuwidergehandelt, wenn ein leitender Angestellter sich für die Vermittlung eines Großauftrags von einem Lieferanten finanzielle Sonderzuwendungen versprechen läßt406 • Auch bei weniger böswilligen Angriffen kann das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers entfallen, wenn zwar der verfolgte Zweck einer Loyalitätspflichtverletzung legitim erscheint, nicht aber die Umsetzung. Wer als Hochschullehrer Rechte von Studenten gegen den Widerstand der Verwaltung dadurch erzwingen will, daß er das Hochschulsekretariat für längere Zeit lahmlegt, zerstört das Vertrauen in seine Loyalität407 • Vgl. LAG Baden-Württemberg, BB 1961, S. 484. Vgl. LAG Düsseldorf, Betrieb 1962, S. 806. 399 LAG Bayern ABI-BayerArbMin 1959, S. 72. 400 Vgl. LAG Bayern ABI-BayerArbMin 1973, S. 18. 401 LAG Nürnberg, BB 1993, S. 943; ebenso LAG München EzA Nr. 151 zu § 626 BGB. 402 LAG Nümberg, BB 1993, S. 943. 403 Söllner, Wes Brot ich eß', des Lied ich sing', FS für Herschel zum 85. Geburtstag, S. 389, 398. 404 i.d.S. Söllner a. a. 0., mit Verweis auch auf Zöllner, Arbeitsrecht, S. 117. 405 Söllner a. a. O. S. 379. 406 BAG EzA Nr. 22 zu § 626 BGB. 407 Vgl. hierzu EzA Nr. 65 zu § 626 BGB. 397
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Auch ohne daß eine anerkannte arbeitsvertragliche Nebenpflicht vorliegt, kann das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers schützenswert sein, nämlich dann, wenn ihn mit einem Arbeitnehmer eine besondere Loyalität erfordernde Sonderbeziehung verbindet. Das Vertrauen darauf, der Arbeitnehmer werde sich loyal verhalten, kann Gegenstand eines besonderen Vertrauenstatbestands sein. Wie beschrieben, ist die Treuepflicht nur im Ausnahmefall auf positive Beiträge ausgerichtet. Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers kann aber im Einzelfall einen positiven Beitrag fordern, der durch die anerkannten Nebenpflichten nicht mehr abgedeckt wird. Als Beispiel ist die Kritik von Hueck zu nennen, der forderte, im modemen Arbeitsverhältnis dürfe sich die Treuepflicht nicht nur in Unterlassungen, etwa von ruf- oder kreditschädigenden Äußerungen erschöpfen. Vielmehr verlange die Treuebindung auch "positiven Einsatz, Wahrnehmung der Interessen der anderen Beteiligten in jeder zumutbaren Weise,,408. Der Arbeitnehmer müsse sich demnach für bestimmte Interessen mit allen Kräften einsetzen. Als Beispiele nannte er über die Pflicht zur Verschwiegenheit hinaus auch die Pflicht zur Überarbeit in Notfällen. Wer also, um diese Aussage in ein Beispiel umzusetzen, in einem kleinen Betrieb bei Termindruck die Leistung jeglicher Überstunden ablehnt und den Arbeitgeber damit in Verzug bringt, enttäuscht gleichermaßen das Vertrauen in seine Loyalität, auch wenn er damit gegen keine vertraglichen Nebenpflicht verstößt. Sich in solchen Situationen auf einen Arbeitnehmer verlassen zu können, ist somit ein schützenswerter Vertrauenstatbestand, welcher außerhalb der Treuepflicht anzusiedeln ist und trotzdem dem schützenswerten Loyalitätsinteresse eines Arbeitgebers unterfällt. In jüngster Zeit ist in diesem Zusammenhang diskutiert worden, ob die Treuepflicht so weit reicht, daß sie einem alkoholsüchtigen Arbeitnehmer die Durchführung einer Alkoholtherapie abverlangen kann409 . Die Frage stellt sich in erster Linie vor dem Hintergrund, daß kündigungstechnisch die Alkoholsucht als Krankheit eingestuft wird, die nur eine personenbedingte Kündigung zuläßt41O • Sofern daher ein alkoholkranker Mitarbeiter sich während der Arbeit alkoholisiert, wirkt sich die Sucht schuldausschließend aus, so daß eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Frage kommt. Insofern kann eine Privilegierung gegenüber dem Nichtsüchtigen bestehen, der in voller Einsicht seines (regelmäßig) vertragswidrigen Handeins eine verhaltensbedingte Kündigung riskiert. Diese Unterscheidung wird teilweise als ungerechtfertigt betrachtet und die Kriterien differenziert. So soll entweder allgemein, bei jedem Alkoholvorfall im Betrieb die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen in seine Alkoholisierung geprüft werden411 • Oder es soll der Weg über Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, S. 16, 19. Gottwald, Verhaltensbedingte Kündigung bei krankhaftem Alkoholismus, NZA 1997, S. 635; krit. hierzu Künzl, Arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Durchführung einer Alkoholtherapie, NZA 1998, S. 122 ff. 410 BAG AP 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; Hueck/v. Hoyningen-Huene § 1 KSchG Rdnr. 190; KR-Etzel § 1 KSchG Rdnr. 280; Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 135 ff. m.w.N. 408
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
eine verhaltensbedingte Kündigung dadurch geöffnet werden, daß die Durchführung einer Alkoholtherapie als Nebenpflicht postuliert wird, bei deren Verletzung ein vorwerfbares Unterlassen angenommen wird412 . Zu Recht meint dazu Künzl, daß die arbeitsrechtliche Treuepflicht nicht so weit gehe, daß dem Arbeitnehmer vorgeschrieben werden könne, wie er sich in seinem Privatleben zu verhalten habe, um für den Arbeitgeber den größten möglichen Nutzen zu erzielen 413 . Ebenso kann auch nicht bei Krankheiten von einer positiven Nebenpflicht zur Förderung der Wiedergenesung gesprochen werden414 . Zwar trifft es zu, daß wegen der generellen Behandlung der Trunk- und sonstigen Drogensucht als Krankheit, die Kündigung eines Süchtigen nach strengeren Maßstäben zu beurteilen ist, weil dieser nur personenbedingt entlassen werden kann. Doch ist die Annahme von weit ins Privatleben hineinreichender Treuepflichten nicht gerechtfertigt. Trotzdem kann in diesem Zusammenhang ein schützenswerter Vertrauenstatbestand zwischen den Arbeitsvertragsparteien privatautonom geschaffen werden. Eine Pflicht zur Durchführung einer Alkoholtherapie ist bei weitem nicht gleichzusetzen mit der Pflicht zu Überstunden im Notfall oder zur Hilfe zur konkreten Schadensabwehr. Denn zunächst erleidet der Arbeitgeber keinen Schaden, wenn der süchtige Arbeitnehmer zu einer Therapie nicht bereit ist. Zwar geht von ihm ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu anderen Krankheiten aus, und der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet es auf Dauer hinzunehmen. Doch mangels konkreter, unmittelbar drohender und vor allem beträchtlicher Schäden für den Betrieb ist das bloße Unterlassen einer Alkoholtherapie keine Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht. Eine solche anzunehmen, würde bedeuten, in die Privatsphäre des Arbeitnehmers unzulässig einzugreifen. Statt einer solchen gewagten Pflichtenexpansion auf den Privatbereich des süchtigen Arbeitnehmers ist vielmehr die Abwägung in der Prognose bei der personenbedingten Kündigung zu seinen Lasten vorzunehmen. Wenn auch grundsätzlich die Sucht als Krankheit einzuordnen ist, stellt doch etwa ein alkoholkranker Arbeitnehmer für den Betrieb und vor allem auch für seine Kollegen eine weitaus größere Gefahr dar als ein sonst chronisch kranker Arbeitnehmer, der lediglich seine Arbeit nicht mehr im üblichen Leistungsumfang oder in der üblichen Zeit verrichten kann, jedoch mangels zwanghafter Sucht und unberechenbaren Rauschzuständen niemanden anders gefährdet. Der Suchtkranke stellt daher regelmäßig den größeren Unsicherheitsfaktor für den Betrieb dar415 . Auch wenn es keine anerkannte Nebenpflicht gibt, daß ein Arbeitnehmer seiner Steuerpflicht nachkommen muß, kann das doch von einem Angestellten des Finanzamts erwartet werden416 . Anders als in einem privaten Arbeitsverhältnis, ist es 411
412 413 414 415 416
Errnan I Belling § 626 BGB Rdnr. 54. Gottwald, a. a. 0., S. 635. Künzl, a. a. 0., S. 122, 126. Vgl. hierzu Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 231. Errnan I Belling § 626 BGB Rdnr. 72. LAG Düsseldorf EzA Nr. 72 zu § 626 BGB.
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für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit einer Finanzbehörde unerläßlich, daß ihre Mitarbeiter als gutes Beispiel vorangehen. Dort ist also von einem schützenswerten Vertrauenstatbestand auszugehen, welcher vom Loyalitätsinteresse der Anstellungsbehörde gerechtfertigt wird, ohne daß es einer vertraglichen Niederlegung bedarfH7 . Auch die Rechtsprechung hält Vertrauenstatbestände für schutzwürdig, wenn sie das Ansehen und die Glaubwürdigkeit einer Behörde betreffen. Ist etwa ein Angestellter im öffentlichen Dienst für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen, ist zu erwarten, daß die Anstellungsbehörde an Akzeptanz in der Bevölkerung verliert. Eine Kündigung ist aus diesem Grunde möglich418 , was richtig erscheint, weil dann das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers in erheblichem Maße betroffen ist. Die bloße Redlichkeit oder Zuverlässigkeit eines Arbeitnehmers ist keine vertragliche Haupt- oder Nebenpflicht. Dennoch kann z. B. die Unzuverlässigkeit eines Mitarbeiters in einem Wachschutzunternehmen das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers beeinträchtigen oder die Steuerhinterziehung eines Bankangestellten das Vertrauen in seine Loyalität zerstören und damit seine Eignung in Frage stellen. Unabhängig davon, ob also eine Treuepflichtverletzung vorliegt, ist der Anwendungsbereich der Kündigung wegen Vertrauensverlusts immer dann eröffnet, wenn das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers derart beeinträchtigt ist, daß eine weitere Beschäftigung des vertrauensunwürdigen Mitarbeiters unzumutbar erscheint.
cc) Die Beschränkungen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens im Rahmen der Zumutbarkeitsenvägungen und bei treuwidrigen Kündigungen nach § 242 BGB Auch wenn Vertrauenstatbestände hinsichtlich des Vermögensschutz- Integritäts- oder Loyalitätsinteresses eines Arbeitgebers (schützenswert) entstanden sind, können sie ihrer Bedeutung als wichtiger Grund zur Kündigung dann enthoben werden, wenn die Fortführung des Arbeitsverhältnisses trotzdem zumutbar bleibt, weil der Arbeitgeber in subjektiver Hinsicht gar nicht vertraute oder nicht vertrauen konnte. Kennt er selbst Gründe, die ihn daran hindern, Vertrauen in einen Ar417 In manchen Bereichen ist die Schutzwürdigkeit der Glaubwürdigkeit einer staatliche Einrichtung sogar gesetzlich vorgegeben worden. Gemäß § 7 Soldaten Gesetz (SG) ist der Soldat zum treuen Dienen verpflichtet, nach § 17 Abs. 2 S. I 2. Alt. SG wird ihm die generelle Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten auferlegt nach § 13 Abs. I SG ist er zur Wahrheit verpflichtet, woraus umfassende Offenbarungspflichten folgen. § 55 Abs. 5 SG sieht darüber hinaus vor, daß ein Soldat (u. a.) entlassen werden kann, wenn er "das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft gefährden würde". Die Bundeswehr ist in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Soldaten angewiesen, vor allem weil diese weder ständig noch überall überwacht werden können, Entstehen tiefgreifende Zweifel an dessen Zuverlässigkeit und Loyalität, kommt nur die Kündigung als disziplin are Höchstmaßnahme in Betracht, vgl. zu Inhalt der soldatischen Treuepflicht BVerwG, NJW 1998, S. 693 ff. 418 BAG, AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag, B. 11. 3 ader Entscheidungsgründe.
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beitnehmer haben zu können oder gibt er seine Vertrauensenttäuschung dem Arbeitnehmer nicht zu erkennen, verhält es sich widersprüchlich, wenn er schließlich seine Kündigung mit dem Vertrauenswegfall begründet. (1) Das "gesunde Mißtrauen"
Bei der Einräumung von Vertrauenspositionen muß dem Arbeitgeber bewußt sein, daß er damit auch Risiken eingeht. Wie festgestellt, darf er allenfalls in die Erfüllungseignung des Arbeitnehmers, nicht aber in seine Erfüllungsbereitschaft vertrauen. Er muß sich vergewissern, ob der Arbeitnehmer, dem er vertraut, des Vertrauens würdig ist. ,,Blindes Vertrauen", das vom Idealbild eines unfehlbaren Menschen ausgeht, wird von der Rechtsordnung nicht geschützt, ebensowenig wie ,,Blauäugigkeit", was in etwa der Vorstellung gleicht, "alles werde schon gut gehen, egal was da komme". Das BGB regelt z. B. in § 107 BGB zum Schutz des Minderjährigen, daß das Vertrauen in die Geschäftsfähigkeit des Vertragspartners nicht geschützt wird. Wer angesichts des i.d.R. offensichtlich jugendlichen Erscheinungsbildes des Partners Zweifel an dessen Geschäftsfähigkeit hegt, muß sich diese belegen lassen oder von einem Vertragsschluß absehen. Er kann sich z. B. beim Verkauf eines Kleinkraftrades nicht darauf berufen, er habe nicht gewußt, daß der Käufer erst 16 Jahre alt gewesen sei, wenn sodann die Eltern den Vertrag nicht genehmigen. Zu Recht bekommt er dann auch seinen Vertrauensschaden nicht ersetzt. Wird einem neu eingestellten Produktionshelfer eine komplizierte und empfindliche Maschine in die Hände gegeben, ohne ihn damit eingehend vertraut zu machen, darf der Arbeitgeber nicht darauf vertrauen, daß die Maschine von dem Arbeitnehmer ordnungsgemäß bedient und gewartet wird. Von einem Arbeitnehmer, der auf Dienstreise geschickt wird, ohne sein Spesenbudget zu begrenzen, ist nicht ohne weiteres zu erwarten, daß er sich auf sparsamste Ausgaben beschränkt. Von ihm kann auch nur Einhaltung bestimmter, vor allem der direkten und kürzesten Fahrtrouten erwartet werden, wenn zuvor ein Tourenplan aufgestellt wurde419 . Anders ist dagegen der Fall zu beurteilen, daß der Arbeitnehmer zum Beleg der Einhaltung der Arbeitszeiten falsche Besuchsberichte vorlegt420. Der Vertrauensschutz beruht nicht auf der idealistischen Erwartung, daß die Gesellschaft durch das "soziale Mit- und Nebeneinander,,421 geprägt ist, sondern auch durch das soziale Gegeneinander. Der Arbeitgeber muß damit rechnen, daß der Arbeitnehmer Möglichkeiten, eigene Vorteile zu erlangen, wahrnimmt. Im Rechtsverkehr sollte daher statt "Vertrauensseligkeit" ein "gesundes Mißtrauen,,422 herrschen. Vertrauen ist also nur schutzwürdig, wenn es aus der Sicht eines verständigen Dritten vernünftig eingesetzt wird. Nur unter dieser Voraussetzung kann der BAGE 49, 39 ff. ArbG Düsseldorf, BB 1961, S. 283. 421 v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 19; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 113. 422 v. Craushaar, a. a. 0., S. 19. 419 420
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Vertrauenswegfall die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers begründen. Dagegen wird Leichtsinnigkeit im Rechtsverkehr nicht geschützt. Im Zweifel sollte sich ein Arbeitgeber nicht auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil verlassen, sondern unter dem Gesichtspunkt zumutbaren "Selbstschutzes,,423 prüfen, ob er einem Arbeitnehmer eine sehr vertrauensvolle Stellung oder Aufgabe zuteilt. Wer als Arbeitgeber den Arbeitnehmern grundsätzlich erlaubt, vom Diensttelefon aus private Gespräche zu führen, muß davon ausgehen, daß manche Mitarbeiter davon umfassend Gebrauch machen. Er kann einem Arbeitnehmer daher nicht kündigen, wenn der ausschweifende Gebrauch besonders augenfallig geworden ist424 .Vorher muß er die Grenzen festlegen und unter Umständen abmahnen. (2) Der Grundsatz des "venire contra factum proprium"
Das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) wird allgemein als ein Fall der Sätze vom "Vertrauen im Rechtsverkehr" angesehen425 . Es geht um den Schutz berechtigter Erwartungsinhalte, die ein Teilnehmer im Rechtsverkehr dadurch festlegt, daß er nach außen erkennbar eine Entscheidung getroffen hat, mit der er die Vorstellungswelt des Gegenübers beeinflußt, auch wenn es an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt . Entscheidend ist dabei die Selbstdarstellung des Handelnden, der Kontinuitäts- und Konsistenzerwartungen auslöst und den Gutgläubigen, der sich darauf einrichtet, zu Dispositionen veranlaßt426 . Der damit begründete Vertrauenstatbestand rechtfertigt die Haftung für die entstandenen Vertrauensschäden und - ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen - sogar auf Erfüllung427 . Auf die Reziprozität der Vertrauensinvestition, d. h. eine Gegenseitigkeit i.w.S. zwischen dem Vertrauen auf konsequentes Verhalten und der getätigten Disposition des Vertrauenden kommt es dabei nicht an428 . Im BGB finden sich einzelne kodifizierte Beispiele, an denen diese These zu verdeutlichen ist. Wer bei Abschluß eines Vertrags den Grund kannte, der seinen Vertragspartner nun zur Anfechtung berechtigt, kann nach dessen Anfechtung nicht den Vertrauensschaden gemäß § 122 ersetzt bekommen. Wer etwa von zahlreichen Vennögensvorstrafen seines Arbeitnehmers bei der Einstellung weiß, darf später darauf keine Kündigung stützen, weil das Vertrauen in die Redlichkeit des Beschäftigten nicht schützenswert ist. Allerdings gilt das, wie beschrieben, nur für die Entstehung des nonnativen Grundvertrauens. Werden privatautonom erworEichler, a. a. 0., S. 112; v. Craushaar, a. a. 0., S. 23. LAG Köln, LAGE Nr. 66 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 425 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 28. Zur neueren Entwicklung vgl. StaudingerlSchrnidt § 242 BGB, Rdnr. 629 ff. m.w.N; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 90 m. w. N. 426 Köndgen, Selbstbindung, S. 167 f. 427 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 90 m.w.N. 428 Singer a. a. O. S. 91. 423
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bene Vertrauenspositionen enttäuscht, kommt es auf die Gut- oder Bösgläubigkeit des Arbeitgebers keinesfalls mehr an. Verhält sich etwa ein Arbeitnehmer in einem Tendenzbetrieb nicht entsprechend den Werten des Betriebs, kommt es nicht darauf an, ob man das anders von ihm erwartet hätte, weil allein die vertragliche Verdingung dazu das schützenswerte Vertrauen auf der Arbeitgeberseite erzeugt hat. Damit verhält es sich, wie mit den Verzugsregeln des BGB. Leistet z. B. ein Käufer einer Sache den Kaufpreis entgegen § 433 Abs. 2 BGB nicht fristgerecht, dann ist es gemäß § 326 BGB unerheblich, ob der Verkäufer das anders erwartet hat, oder ob er angesichts der bekannt schlechten Finanzlage des Käufers von vornherein wußte, daß dieser den Preis nicht würde zahlen können. Widersprüchliches Verhalten ist auch die Kündigung wegen Vertrauensverlusts nach der Verzeihung einer vorwerfbaren Tat des Arbeitnehmers. Zwar ist die Verzeihung anders als der Verzicht kein Rechtsgeschäft, doch ist sie eine höchst persönliche Entscheidung, auf die sich ein Arbeitnehmer verlassen können muß429 . Nach der Erklärung des Arbeitgebers, ein treuwidriges oder vertragswidriges Verhalten werde verziehen, kann er sich später nicht mehr darauf berufen, das Vertrauen in den Arbeitnehmer sei durch den Vorfall enttäuscht worden, weshalb ihm zu kündigen sei. Ein besonders kündigungsrelevanter Fall, der sich am Grundsatz des venire contra factum proprium messen lassen muß, ist die Zuweisung von Arbeiten, die den Arbeitnehmer in einen erkennbaren Gewissenskonflikt bringen. Der Arbeitnehmer kommt in die Zwangslage, zwischen der eigenen Gewissensfreiheit und der Vertrag streue entscheiden zu müssen. Wird dadurch seine Einsatzmöglichkeit eingeschränkt, indem er Arbeiten wegen der von ihm getroffenen Gewissensentscheidung verweigert, liegt zunächst ein in seiner Person begründeter Kündigungsgrund vor, der zumindest nach § 1 Abs. 2 KSchG eine ordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Denn seine Gewissensentscheidung schränkt grundsätzlich die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers nicht ein, vielmehr liegt ein Unvermögen des Arbeitnehmers vor, die geschuldete Leistung zu erbringen43o . Allerdings kann eine Kündigung ungerechtfertigt sein, wenn die Zuweisung der Tätigkeit, die den Arbeitnehmer in einen Gewissenskonflikt bringt, nicht der Billigkeit nach § 315 BGB entspricht. Dann kann der Arbeitgeber aus dem Grundsatz des venire contra factum proprium den Arbeitnehmer nicht kündigen, wenn dieser sich berechtigt weigert, die zugewiesene Arbeit auszuüben431 . In diesem Fall hätte der Kündigende die Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 236 f. BAG, NZA 1990, S. 144 betraf die Weigerung eines Pharmakologen, an der Entwicklung von Mitteln zu arbeiten, welche die Symptome der sog. Strahlenkrankheit zeitweise unterdrücken sollten, damit Soldaten im Falle eines Atomkriegs trotz intensiver Bestrahlung länger einsatzfähig blieben. 431 BAG, NJW 1986, S. 85; BAG, NZA 1990, S. 144, 146 ermittelt allerdings in jedem Einzelfall das billige Ermessen unter Abwägung der Interessenlagen beider Parteien, nach den Kriterien Vorhersehbarkeit, aktuelle betriebliche Erfordernisse und Wiederholungswahrscheinlichkeit, ohne auf den Grundsatz venire contra factum proprium einzugehen; vgl. auch Rüfner, Gewissensentscheidung im Arbeitsrecht, RdA 1992, S. I ff.; krit. zur Rspr. Wendeling-Schröder, Gewissen und Eigenverantwortung im Arbeitsleben, BB 1988, S. 1742 ff. 429 430
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Störung der Vertrauensgrundlage selbst herbeigeführt, bzw sie wäre aus seiner Risikosphäre abzuleiten. Eine solche Kündigung wäre daher unwirksam432 . (3) Das Vertrauen gegen besseres Wissen
als Rechtsrnißbrauch, Schikaneverbot Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens entfällt, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Einstellung von den an sich zur Zerstörung des Vertrauens geeigneten Tatsachen über die Person des Arbeitnehmers gewußt hat oder hätte wissen müssen. Ansonsten entspräche der Ausspruch der Kündigung nach einer vorbehaltlosen Anstellung einer unzulässigen, weil widersprüchlichen Rechtsausübung. Denn Vertrauensschutz setzt stets Vertrauendürfen voraus433 . Kennt z. B. der Geschädigte den Anfechtungsgrund bzw. hätte er ihn kennen müssen, ist sein Vertrauen nicht schutzwürdig, sein Anfechtungsrecht ausgeschlossen434 . Steht ein Arbeitnehmer unter dem Verdacht einer Straftat, hat das selbst dann zu gelten, wenn nachträglich die Staatsanwaltschaft entscheidet, hinsichtlich der verdachtsbegründenden Tatsachen Anklage zu erheben435 . Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gilt ferner für den Fall, daß sich der Arbeitgeber bei der Überprüfung des diskreditierten Arbeitnehmers selbst unzulässiger Methoden bedient. Wenn er z. B. den Verdacht der fortgesetzten Untreue oder Unterschlagung hegt und die Kündigung darauf stützt, daß dem Arbeitnehmer bei einem Testkauf eine Falle gestellt wurde, handelt er rechtsmißbräuchlich 436 . Ein Rechtsrnißbrauch ist außerdem dann gegeben, wenn der Ausspruch der Kündigung gegen das Schikaneverbot des § 226 BGB verstößt. Nach diesem "königlichen Paragraphen,,437 ist die Ausübung eines Rechts, die nur zur Schädigung des anderen Teils vorgenommen wird, unzulässig. Beruft sich der Arbeitgeber auf einen Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund, obwohl die betroffene Vertrauensposition für ihn nicht von großer Wichtigkeit ist, nur um den Arbeitnehmer aus seinem Betrieb zu entfernen, kann demnach § 226 BGB der Kündigung entgegenstehen. (4) Die Verwirkung des Kündigungsrechts
Das Gesetz selbst regelt in § 626 Abs. 2 BGB die abschließende Konkretisierung der Verwirkung des Kündigungsrechts durch Zeitablaur38 . § 626 Abs. 2 enthält Staudinger ! Schmidt, Bd. 11 § 242 BGB, Rdnr. 1418. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 91. 434 Singer, a. a. O. S. 91. 435 LAG Frankfurt! M LAGE Nr. I zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 436 LAG Hamm, LAGE Nr. 44 zu § 626 BGB. 437 Vgl. Hedemann, Die Flucht in die Generalklausel, S. 6 ff., der die §§ 157, 226, 242 und 826 BGB als königliche Paragraphen bezeichnet, die aus den übrigen Regelungen des Gesetzes wegen ihrer Bedeutung herausragen. 438 BAG, NZA 1986, S. 467; KR-Hillebrecht Rdnr. 219. 432 433
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
eine zwei wöchige Frist zum Ausspruch der Kündigung, sobald die kündigungserheblichen Tatsachen hinreichend aufgeklärt und bekannt sind. Erforderlich ist die positive Kenntnis der die Kündigung rechtfertigenden Tatsachen; Kennenmüssen genügt nicht439 . Die Frist ist eine Ausschlußfrist, wer länger zögert, muß sich das zurechnen lassen. Der kündigende Arbeitgeber muß den Zeitpunkt seines Vertrauenswegfalls, als einen inneren Vorgang, im Zweifel beweisen. Er muß plausible Gründe für den Wegfall seines Vertrauens gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt darlegen44o • Anders als bei einer verhaltensbedingten Kündigung können dabei allerdings Schwierigkeiten auftreten, nämlich den Beweis eines solchen inneren Vorgangs zu erbringen. Einerseits ist es fraglich, ob dafür der Zeitpunkt der Kenntnisnahme der vertrauenszerstörenden Tatsachen ist, oder der darauf zeitlich nicht zwingend folgende Erkenntnisgewinnungsprozeß, daß dadurch dem Arbeitnehmer nicht mehr vertraut werden könne. Andererseits hängt die Entscheidung, den betroffenen Arbeitnehmer zu kündigen, noch von weiteren Faktoren ab. So kann bei einem Verdacht gegenüber dem Arbeitnehmer die Kündigung von weiteren Ermittlungen abhängig gemacht werden. Bei einer erstmaligen Störung im Vertrauensbereich kann weiterhin der Arbeitgeber versuchen, das Vertrauen in den Betroffenen mittels einer Aussprache wiederherzustellen. Daher kann es unbillig sein, die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB bereits mit der ersten Kenntnis von kündigungsrelevanten Tatsachen beginnen zu lassen. Allerdings wird ohne einen objektiv bestimmbaren Fristbeginn die Ausschlußfrist durch Hinauszögern von Ermittlungen und anschließender Wertung auch manipulierbar441 . Einem solchen Ergebnis stünde jedoch die allgemeine Wertung aus den §§ 162,242 BGB gegenüber442 , wonach die treu widrige Verhinderung eines Bedingungseintritts die Fiktion des Bedingungseintritts selbst auslöst. Um den strengen Verwirkungscharakter der Zwei wochenfrist nicht auszuhöhlen, wird daher ein Beginn des Fristablaufs schon mit der Kenntnis eines wesentlichen Teils der vertrauenszerstörenden Tatsachen anzunehmen sein, wenn aus dieser Kenntnis bereits geschlossen werden kann, die daraus resultierende Vertrauenszerstörung rechtfertige eine außerordentliche Kündigung. Sodann ist zu fragen, ob ein verständiger (objektivierter) Unternehmer bei Kenntnis dieser Tatsachen in der gegebenen Situation eine Kündigung aussprechen würde. Solange daran noch Zweifel bestehen, die zunächst beseitigt werden müssen, beginnt die Frist noch nicht zu laufen, etwa wenn zwei Arbeitnehmer, die gleichermaßen Zugang zu einem Firmentresor haben, eines Diebstahls von Geld aus diesem Tresor bezichtigt werden, und nicht sicher ist, wer von bei den die Tat begangen hat443 .
BGH, NJW 1993, S. 463; NJW 1996, S. 1403. So LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 427 für den verdachtsbedingten Vertrauenswegfall. 44\ LAG Berlin, a. a. 0 ., S. 427. 442 LAG Berlin, a. a. 0., S. 428. 443 Vgl. den prägnanten Fall der englischen Rechtsprechung bei Monie v. Cora) Racing Ltd, I.C.R. [1981]109, 122. 439
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4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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Die Zweiwochenfrist kann verlängert werden, wenn der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer ernsthaft Gelegenheit zur Stellungnahme seiner Vertrauensentziehung gibt. Auch bei Kündigungen, die keine Verdachtskündigungen sind, wird der Arbeitgeber erst dann die nötige Kenntnis für die Kündigung rechtfertigenden Tatsachen erhalten, nachdem er dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat444 . Um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, sollte die Anhörung aber innerhalb einer Woche erfolgen44s • Zwar ist bei Kündigungen wegen Vertrauensverlusts eine solche Anhörung nicht zwingend zu fordern, doch darf es dem Arbeitgeber auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich über die Anhörung um eine Wiederherstellung des gestörten Vertrauensverhältnisses bemüht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein solches Gespräch im Anschluß an die Kenntniserlangung bestimmter vertrauensschädigender Umstände zum einen Klarheit über die Vorwürfe verschaffen kann, zum anderen bei einem offenen Austausch eine neue Vertrauensbasis für die Zukunft gestalten kann. Mancher Vorwurf kann dann entkräftet oder verziehen oder abschließend gerügt werden, ohne daß daraus eine ungünstige Zukunftsprognose für das Vertrauensverhältnis der Parteien gestellt werden müßte. Wird statt eines offenen Gesprächs der Arbeitnehmer fristlos entlassen, beurlaubt oder von der Arbeit befreit und meiden die Parteien eine solche Aussprache wird dagegen die Zukunftsprognose schlechter ausfallen, weil sich dann die Fronten naturgemäß verhärten. Ausnahmsweise kann die Rechtsfolge der Fristversäumung nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn die Parteien sich zur einvernehmlichen Beendigung eine Bedenkzeit zugestehen und dadurch die Zweiwochenfrist verstreicht446 • Auch wird das Nachschieben von Kündigungsgründen nicht grundsätzlich aus Gründen der Verwirkung ausgeschlossen. Aus § 626 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB folgt nicht, daß ein nachgeschobener Kündigungsgrund innerhalb von zwei Wochen nach seinem Bekanntwerden vorgetragen werden muß. Die Frist bleibt daher auch gewahrt, wenn der Arbeitgeber einen Grund nachschiebt, von dem er nicht länger als zwei Wochen Kenntnis hatte447 • Einen Sonderfall der Verjährung betrifft die Kündigungen wegen ehemaliger Tätigkeit für das MfS. Liegt diese längere Zeit zurück, soll eine Kündigung ausscheiden. Das StUG selbst verneint eine uneingeschränkte Mitteilungspflicht für Tätigkeiten, die länger als 15 Jahr zurückliegen. Die Rechtsprechung hat dagegen noch Fälle diskutiert, die länger als 20 Jahre zurücklagen448 •
444
445 446 447 448
BAGE 24,341. BAG AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist [zu 2 cl. BGH EzA Nr. 36 zu § 626 BGB, zur Kündigung eines Geschäftsführers einer GmbH. BAG EzA Nr. 22 zu § 626 BGB. BAG, AuA 1995, S. 205 [21 Jahre]; ArbG Berlin, AuA 1995, S. 184 [30] Jahre.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
(5) Die sonstigen nach § 242 BGB treuwidrigen Kündigungen Der Grundsatz von Treu und Glauben stellt eine in allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnonnen immanente Inhaltsbegrenzung dar449 • Eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage kann daher wegen der Rechtsüberschreitung unzulässig sein45o . Im Einzelfall kann daher eine Kündigung auch dann gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sie aus Gründen, die im Kündigungsrecht nicht erfaßt sind, gegen Treu und Glauben verstoßen. Das ist insbesondere der Fall, wenn solche Konkretisierungen des Grundsatzes von Treu und Glauben verletzt werden, wie die Gewährleistung der Privatautonomie, das Recht auf Achtung der Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht451 . Das bedeutet, das Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist für den Arbeitnehmer auch in der Hinsicht schützenswert, daß eine Kündigung trotz eines objektiv gegebenen Grundes oder etwa in der Probezeit nicht ausgesprochen wird, wenn ihr eigentlicher Hintergrund ein anderer ist, der für sich betrachtet die Kündigung nicht tragen würde. Wenn etwa der Arbeitgeber während der Probezeit erfährt, daß ein Arbeitnehmer homosexuell ist und er daraufhin die Kündigung ausspricht, ist diese treu widrig, ohne daß es noch darauf ankommt, daß ein Probearbeitsverhältnis leichter aufgelöst werden kann452 . Denn eine solche Kündigung verletzt die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Gleiches soll gelten, wenn ein Arbeitsverhältnis während der Probezeit aufgelöst wird, weil der Arbeitgeber vom Hörensagen einen Haschischkonsum des Arbeitnehmers angenommen hatte 453 . Treuwidrig können darüberhinaus die Umstände der Mitteilung bzw. der Zustellung einer Kündigung sein, etwa eine Kündigung zur Unzeit, z. B. am Tage eines schweren Arbeitsunfalls des Gekündigten und kurz vor seiner Operation im Krankenhaus454 ; oder um den Eintritt eines Arbeitnehmers in den Vorruhestand zu verhindern455 , nicht jedoch am Heiligabend 456 . Treuwidrig sind ferner Kündigungen aufgrund vertraglich vereinbarter Verhaltensweisen, wenn diese einseitig vom Arbeitgeber kraft wirtschaftlicher Überlegenheit diktiert wurden. Gerade im Arbeitsrecht besteht ein Bedürfnis nach richterlicher Vertragskontrolle, weil das Schutzbedürfnis für den schwächeren (unterlegenen) Arbeitnehmer besonders groß ist und der Gesetzgeber in vielen Bereichen untätig geblieben ist457 . § 242 BGB selbst bezeichnet eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht458 und begründet die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle 449 450 451 452 453 454 455 456 457
BAG, DB 1994, S. 2190. BAG, NZA 1998, S. 145, 147 m. w. N. BAG, DB 1994, S. 2190. BAG, DB 1994, S. 2190. BAG, DB 1984, S. 407. LAG Bremen, BB 1986, S. 393. LAG Hamburg, NZA 1986, S. 478. BAG AP Nr. 88 zu § 626 BGB, zu 11. 4. der Gründe. Vgl. BAG, NZA 1994, S. 937, 940 für Rückzahlungsklauseln von Fortbildungskosten.
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von Verträgen459 . Die Privatautonomie, also die freie Ausgestaltung von Verträgen, kann sich nur im Rahmen eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses vollziehen. Bei gestörter Vertragsparität besteht daher im Zivilrecht ein Bedürfnis nach Ausgleich460, was gleichermaßen auch im Arbeitsrecht gilt461 • (6) Die Versetzung als milderes Mittel im Vergleich zur Kündigung Eine relative einfache Lösung bei der Erschütterung vertrauensintensiver Positionen bietet sich gegebenenfalls in Form einer Versetzung an462 • In Zeiten angespannter Arbeitsmarktsituation wird damit den Interessen aller Beteiligten Rechnung getragen. Wird befürchtet, der Arbeitnehmer könne z. B. Betriebsgeheimnisse mißbrauchen, oder das ihm persönlich anvertraute Geld unterschlagen, sollte ein verständiger Arbeitgeber nicht warten, bis es dazu tatsächlich kommt, sondern präventiv den Arbeitnehmer nicht mehr dieser "Versuchung" aussetzen. Den Arbeitgeber trifft nicht nur die eigene Sorgfaltspflicht, einen Arbeitnehmer richtig auszuwählen, sondern auch fortlaufend zu überwachen und anzuleiten. Diese Wertung hat das Gesetz im Zusammenhang mit Außenkontakten der Verrichtungsgehilfen in § 831 BGB vorgenommen, indem es für die Exculpation die sorgfaltige "Auswahl" und ,,Leitung" unterscheidet. Je schwieriger es für den Arbeitnehmer sein wird, eine andere Anstellung zu finden, desto mehr muß sich der Arbeitgeber wegen seiner Fürsorgepflicht um eine Versetzung als milderes Mittel bemühen. Wegen seiner Angewiesenheit auf die Stelle ist daher der Besitzstand des Arbeitnehmers ungleich größer bei einem älteren Arbeitnehmer, als bei einem jüngeren. Eine besondere Form des vertrauensbildenden Bestandsschutzes auf Seiten des Arbeitnehmers ist der Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts in einem Arbeitsverhältnis. Dann muß der Arbeitgeber auch vor einer fristlosen Kündigung alle Möglichkeiten ausschöpfen, den Betroffenen weiterzubeschäftigen. Andererseits trifft in einem solchen Fall den Arbeitnehmer eine gesteigerte Loyalitätspflicht dahingehend, unerträgliche Belastungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden 463 • (7) Der Gleichbehandlungsgrundsatz Fraglich ist, ob die Schutzwürdigkeit von Vertrauen in einen Angestellten durch das Gebot der Gleichbehandlung gegenüber den Arbeitnehmern beschränkt werden BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG, NJW 1994, S. 36. BAG, NZA 1994, S. 937, 939. 460 BVerfG, NJW 1994, S. 36. 461 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 216 ff. 462 Vgl. hierzu Monjau, Kündigung aus Sicherheitsgründen, FS für Nipperdey zum 70. Geburtstag, S. 403, 412. 463 LAG München, ARST 1976, S. I. 458
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
kann. Werden z. B. zwei Arbeitnehmer eines Diebstahls überführt, ist es denkbar, daß dem einen gekündigt, der andere dagegen nicht entlassen wird. Auf die Wirksamkeit der Kündigung kann das nach allgemeiner Ansicht keinen Einfluß haben464 .
5. Die sonstigen Voraussetzungen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
a) Die Aufklärungs- und Substantiierungspflicht Eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts kann nur auf objektive, belegbare Tatsachen gestützt werden. Das allein subjektive Geftihl, dem betroffenen Arbeitnehmer nicht mehr trauen zu können, reicht nicht aus. Vielmehr hat z. B. der kündigende Tendenzunternehmer substantiiert darzulegen, warum ein dienstliches oder außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauen in dessen Tendenztreue entfallen läßt. Erst wenn aus der Sicht eines verständig und gerecht urteilenden objektivierten Unternehmers ebenfalls die Kündigung gerechtfertigt erscheint, hat der Arbeitgeber seiner Substantiierungspflicht genügt.
b) Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist ein Ausnahmerecht, ein Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Nur wegen eines wichtigen Grundes kann der Grundsatz der Vertragstreue (paeta sunt servanda) mit sofortiger Wirkung durchbrochen werden. Das Ordnungsprinzip der Vertragstreue (§ 242 BGB) und der in ihm liegende Gerechtigkeitsgehalt (Vertrauensschutz) kann nur verdrängt werden, wenn eine derart starke Beeinträchtigung der Vertragsinteressen des Kündigenden vorliegt, daß diese die Rechtsposition des Kündigungsgegners überwiegt465 . Der Bestand des Arbeitsverhältnisses ist die Regel, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses die nur unter besonderen Voraussetzungen mögliche Ausnahme466 • Kritisch meint dagegen Junker467 , daß damit das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Freiheit und Bindung im Schuldrecht umgekehrt werde. Er verkennt aber die Wirkung des Vertrauensschutzes, welche bei Dauerschuldverhältnissen, anders als bei Schuldverhältnissen mit einmaligem Leistungsaustausch, einer jederzeit möglichen Lösung von der Verbindung entgegensteht. Beide Parteien im Dauer464 Beispiel aus Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht / Isenhardt 1. 3, Rdnr. 88 mit Verweis aufBAG EzA Nr. 23 zu § 103 BetrVG 1972 m. w. N. 465 Erman/Belling § 626 BGB Rdnr. 9. 466 MünchArbR/Berkowsky 11 1993 § 131 Rdnr. 2 f. § 127 Rdnr. 23. 467 Junker, Individualwille, Kollektivgewalt und Staatsintervention im Arbeitsrecht, NZA 1997, S. 1305, 1310.
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schuldverhältnis haben ein gesteigertes Kontinuitätsinteresse. Dieses Interesse am Weiterbestand des Vertrags und an seiner weiteren Erfüllung (pacta sunt servanda) kann nur durchbrochen werden, wenn solche Interessen des Gekündigten verletzt werden, die das Vertrauen des Kündigungsgegners auf den Fortbestand des Vertrages überwiegen 468 . Wird durch solche Interessenverletzungen das Festhalten am Vertrag für die eine Seite unzumutbar, durchbricht das Selbstbestimmungsrecht des Kündigenden den Grundsatz pacta sunt servanda. Daher stehen das Selbstbestimmungsrecht des Kündigenden und das Kontinuitätsinteresse des Gekündigten in einem "sensiblen Spannungsverhältnis..469 entgegenstehender Vertrauenspositionen. Als Sonderrecht, das § 626 BGB darstellt, ist es eng auszulegen470 , allerdings unter der folgenden Vorgabe. Allzu restriktiv darf die Auslegung des wichtigen Grundes nicht erfolgen. Denn dann wird wiederum die Vertragsfreiheit der Vertragsparteien beeinträchtigt. Die Vertragschließenden haben nämlich nicht nur das Recht, sich vertraglich zu binden, sondern auch die vertragliche Bindung wieder aufzuheben. Allerdings gilt der Grundsatz, daß Vertragsverhältnisse nach Treu und Glauben zu schließen sind, ebenso für deren Auflösung (arg. e § 242 BGB). § 626 BGB garantiert unter dieser Voraussetzung ein unverzichtbares Freiheitsrecht für beide Vertragsteile, sich bei extremen Belastungen ihres Rechtsverhältnisses vom Vertragspartner sofort zu lösen471 • Ein gesetzlicher Zwang zur unbefristeten Fortsetzung eines auf Dauer beeinträchtigten Vertrags verstieße gegen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 12 GG. Diese Grundrechtspositionen sind bei der Auslegung des wichtigen Grundes zu beachten, die Freiheit zur Beendigung des Vertragsverhältnisses muß im Kern gewahrt bleiben. Insofern ist im Hinblick auf das Kündigungsrecht nach § 626 BGB die Behauptung von Gast zutreffend, das geltende Arbeitsrecht baue prinzipiell keine Gegenposition zur Privatautonomie auf, sondern stelle Hilfsmittel zu ihrer Verwirklichung bereit472 . Bei der Frage der (Un-)Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers trotz eines generell gegebenen Kündigungsgrunds ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung gegen das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers abzuwägen473 • Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung hat eine Einzelfallbewertung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters, der sonstigen Führung u.s.w. ist abzuwägen, ob eine Weiterbeschäftigung trotz des kündigungsrelevanten Vertrauensverlusts zumutbar ist. Bevor die Erman I Belling § 626 BGB Rdnr. 1. Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 ff., 257. 470 Allg. Larenz, Methodenlehre zur Auslegung von Gesetzen S. 355 ff. 471 Staudinger/Preis, § 626 BGB Rdnr. 5. 472 Gast, "Herr und Knecht", Hegels Dialektik und die Dogmatik des Arbeitsrechts aus: Arbeitsrecht in der Bewährung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 249,253. 473 RAG, ARS 18, 300; 32, 19; 40, 3; BAG AP Nr. 58 zu § 626 BGB; BAG, BB 1978, S. 1115. 468
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird, müssen also alle Mittel zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses erschöpft sein474 . Die Kündigung soll stets nur die ultima ratio sein, wenn eine Abmahnung, Versetzung, Vertragsänderung oder Änderungskündigung nicht mehr in Frage kommen475 . Mit dem Prinzip der ultima ratio und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden weitgehend synonyme Inhalte verknüpft, soweit es um den Teilgrundsatz der Erforderlichkeit geht476 . Hier ist auf den Gesichtspunkt einzugehen, daß eventuell eine andere Tätigkeit ohne die Anforderung einer besonderen Vertrauensbasis möglich ist, wenn zum Beispiel eine Versetzung im Betrieb in Frage kommt. Die fristlose Kündigung ist immer als letztes Mittel zu sehen, weil sie das grundsätzlich schützenswerte Vertrauen des Arbeitnehmers in den Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses beseitigt. Für die Kündigung wegen Vertrauensfortfalls bedeutet das, daß die Vertrauensenttäuschung des Arbeitnehmers nicht nur wichtig i.S.v. § 626 BGB sein muß, sondern außerdem das Bestandsschutzvertrauen des Arbeitnehmers überwiegen muß. Erst wenn die Abwägung "Vertrauen gegen Vertrauen" zu Lasten des diskreditierten Arbeitnehmers in ein Ungleichgewicht abrutscht, erscheint die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgebers nicht mehr zumutbar.
c) Das Erfordernis der Abmahnung Die Abgrenzung von Leistungs- und Vertrauensbereich ist insbesondere ein Problem der Erforderlichkeit von Abmahnungen, weIche im Vertrauens bereich oft als entbehrlich erscheinen477 . Im Leistungsbereich sind Abmahnungen stets geboten, um dem Arbeitnehmer die Gelegenheit zu geben, sein - ansonsten kündigungserhebliches - Verhalten zu ändern. Die Abmahnung hat eine Warnfunktion und wird aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vor jeder Kündigung im Leistungsbereich zu fordern sein. Sie ist ein Ausdruck der Mißbilligung eines bestimmten Verhaltens oder Vorfalls unter Androhung von Konsequenzen, sofern keine Unterlassung oder Abänderung erfolgt478 • Naturgemäß wird dabei die dem betroffenen Arbeitnehmer die Kündigung angedroht (Warn funktion). Die Rechtsprechung ging bisher im allgemeinen davon aus, daß sich eine Abmahnung bei einer Störung im Vertrauensbereich erübrige, weil einmal zerstörtes Vertrauen nicht mehr wiederhergestellt werden könne479 . Von dieser generellen Aussage ist das Bundesarbeitsgericht mittlerBAG EzA Nr. 66 zu § 626 BGB nF. BAG AP Nr. 57 zu § 626 BGB; AP Nr. 70 zu § 626 BGB; AP Nr. 6 zu § I KSchG 1969, Krankheit m. Anm. Hueck, vgl. auch eingehend Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 254 ff. 476 Boewer, Die Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung zu § lAbs. 2 S. I KSchG, FS für Gaul zum 70. Geburtstag, S. 19 ff., 25. 477 So grundsätzlich BAG EzA Nr. 11 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; KRHillebrecht Rdnr. 96 ff. 478 Schaub, Die Abmahnung als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung, NZA 1997, S. 1185 ff. 474 475
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weile abgewichen48o. Auch im Vertrauensbereich eines Arbeitsverhältnisses sind Abmahnungen immer dann geboten, wenn die Umstände erwarten lassen, daß sie erfolgversprechend sind481 . Es ist nicht generell ausgeschlossen, daß objektiv verlorenes Vertrauen wiederhergestellt werden kann482 . Es besteht nur der graduelle Unterschied, daß bei einer Störung im Vertrauensbereich eher eine negative Prognose gestellt werden kann, als im Leistungsbereich 483 . Bei der möglichen Erwartung, der Arbeitnehmer werde sich die Warnung zu Herzen nehmen, insbesondere, wenn ihm dadurch erst klar wird, daß sein Verhalten vertrauenszerstörend gewirkt hat, ist eine Abmahnung schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten und von einer Kündigung zunächst abzusehen. Ist allerdings der Vertrauensbereich als unrettbar zerstört anzusehen, kann eine Abmahnung regelmäßig entbehrlich sein484 . Ist das für das Arbeitsverhältnis unerläßliche Vertrauen durch objektive Tatsachen zerstört und dieser Umstand aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers nachvollziehbar, entfällt nämlich die Eignung des Arbeitnehmers, welche auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann. In der Regel ist das der Fall bei schweren Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, deren Rechtswidrigkeit für ihn erkennbar war und bei welchen er damit rechnen mußte, daß der Arbeitgeber sie nicht hinnehmen werde. Dann ist nach der Rechtsprechung des BAG sogar für eine verhaltensbedingte Kündigung die Abmahnung entbehrlich485 . Das setzt jedoch voraus, daß ein solches Vertrauensverhältnis besteht und konkretisierbar ist. Die bloße Behauptung, das Vertrauen in den Arbeitnehmer sei entfallen, kann deshalb eine Abmahnung nicht entbehrlich machen. Vielmehr ist immer danach zu fragen, ob durch die Form der Tat oder Vertragspflichtverletzung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für die Zukunft ausgeschlossen erscheint oder ob bei einer Abmahnung eine vertragskonforme Fortsetzung des Arbeitsverhältnisse erwartet werden kann486 • Hinzu tritt ein weiterer Aspekt, die Abmahnung selbst schafft einen neuen Vertrauenstatbestand. Wer etwa als Lehrer antisemitische Witze in einer Schule erzählt487 oder ausländerfeindliche Pamphlete in seiner Werk479 BAG AP Nr. I zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; BAG AP Nr. I zu § 64 SeemG. 480 BAG, NZA 1997, S. 1281; BAG AP Nr. 137 zu § 626 BGB; zuvor: vgl. BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit; BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 481 LAG Hamm LAGE Nr. 84 zu § 626 BGB; BAG, NZA 1997, S. 1281. 482 Falkenberg, Die Abmahnung, NZA 1988, S. 491; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts S. 458; KR-Hillebrecht § 626 BGB Rdnr. 96 c; Schaub, Die Abmahnung als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung, NZA 1997, S. 1185,1186. 483 KR-Hillebrecht a. a. O. Rdnr. 96 c. 484 LAG Köln NZA 1995, S. 792; BAG AP Nr. 1 zu § 64 SeemG (schwere Pflichtverletzung); BAG AP Nr. 3 zu § 108 BetrVG (hartnäckige Pflichtverletzung). 485 BAG, Beschluß vom 10.02. 1999 in BAG EzA Nr. 47 zu § 15 KSchG n.F. 486 So zutreffend Preis, Aktuelle Tendenzen im Kündigungsschutzrecht, NZA 1997, S. 1073, 1077, ferner Staudinger I Schmidt Bd. 11 § 242 BGB, Rdnr. 1410. 487 BAG, ArbuR 1993, S. 124 f.
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statt aufbängt488 und damit das Ärgernis der Kollegen erregt, ohne daß die Öffentlichkeit davon erfahren kann, enttäuscht zwar das Vertrauen in seinen Charakter, in seine Person mitunter schwerwiegend. Insbesondere, wenn die Belegschaft auch ausländische Mitarbeiter umfaßt, wird das Vertrauen in die Integrität des Betroffenen im Betrieb enttäuscht. Hier kann aber eine Abmahnung dem Arbeitnehmer vor Augen führen, daß sein Verhalten falsch gewesen ist, was einigen nicht immer klar sein mag. Aufgrund klärender Worte in der Abmahnung kann dann vertraut werden, der Arbeitnehmer halte sich in Zukunft mit solchen Äußerungen zurück. Nimmt er davon keinen Abstand, ist ein objektiver Vertrauenstatbestand verletzt, der zur Kündigung berechtigt. Eine Abmahnung kann in diesem Zusammenhang einen pädagogischen Effekt besitzen, sie eröffnet Raum für Diskussionen und für den Austausch von Meinungen. Aus diesem Grund kann eine Abmahnung jedoch nur Sinn entfalten, wenn sie ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers betrifft, z. B. eine Vollmachtsüberschreitung489 . Die mit der Abmahnung ausgesprochene Warnung muß erfolgversprechend sein und den Arbeitnehmer wieder "auf den rechten Weg bringen" können. Wer wegen ausländerfeindlicher Äußerungen z. B. sofort gekündigt wird und sozial absteigt, sieht sich in seiner Meinung womöglich bestätigt und bleibt eine Gefahr für die Gesellschaft. Es ist zwar nicht das Anliegen des Arbeitgebers, sich um derartige gesellschaftspolitische Anliegen zu kümmern, doch erscheint es verfehlt, etwaige nützliche Effekte von Abmahnungen im Vertrauensbereich generell auszuschließen, indem eine Abmahnung bei einer Störung im Vertrauensbereich für entbehrlich erachtet wird490 . Es bedarf also stets der Einzelfallprüfung, auch im Vertrauensbereich. Enttäuscht der Arbeitnehmer sodann das durch die Abmahnung in ihn konkret gesetzte Vertrauen hinsichtlich der Zurückhaltung seiner Ansichten, liegt eine die Kündigung rechtfertigende erneute Vertrauensenttäuschung vor, welche nunmehr die Kündigung erleichtern wird. Weil jede Abmahnung einen eigenen neuen Vertrauenstatbestand bildet, ist es richtig, nur bei einer erneuten Störung gerade dieser Vertrauensposition die Kündigung zuzulassen, wenn sie sich nicht bereits durch die Schwere der Störung selbst rechtfertigt. Kommt es dagegen zu einer ganz anders gelagerten Pflichtverletzung, die nicht oder nicht aus demselben Vertrauensbereich stammt, muß erneut abgemahnt werden491 , ebenso, wenn die erste Abmahnung schon lange Zeit zurückliegt, weil dann ihre Warn- und Androhungsfunktion durch Zeitablauf an Wirkung verliert 492 .
Vgl. LAG Hamm, LAGE Nr. 19 zu § 123 BGB. BAG,11.03.1999,2AZR51/98nv. 490 So aber die ältere Rechtsprechung, BAG AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; AP Nr. 1 zu § 64 SeemG; nunmehr aber abweichend BAG, NZA 1997, S. 1281 ff. (Alkoholmißbrauch eines Berufskraftfahrzeugführers). 49\ BAG, NZA 1992, S. 1023. 492 Schaub, Die Abmahnung als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung, NZA 1997, S. 1185, 1187f. 488 489
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d) Die Unzumutbarkeit der Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist Nicht nur die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, sondern auch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist muß dem kündigungswilligen Arbeitgeber unzumutbar sein. In einem weiteren Schritt hat daher die Abwägung zu erfolgen, ob die kündigungserheblichen Tatsachen derart schwer wiegen, daß auch die Weiterbeschäftigung für die Zeit der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Bei dieser Prüfung ist auf die subjektive Lage und Einstellung des kündigenden Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Vertrauen in eine ordnungsgemäße restliche Vertragserfüllung durch den Arbeitnehmer erschüttert ist und ob bei notwendigem persönlichem Kontakt noch ein gedeihliches Zusammenarbeiten der Vertragspartner zu erwarten ist493 • Ist das Vertrauen in die Achtung des Vermögensschutzinteresses durch den Arbeitnehmer entfallen, etwa weil dieser eines Diebstahls oder des Aufbaus eines Konkurrenzbetriebs bezichtigt wird, ist die weitere Gefahrdung seines Vermögens für den Arbeitgeber nicht tragbar. Hat dagegen der Arbeitgeber wegen einer sexuellen Belästigung (Integritätsinteresse) oder wegen der Verletzung einer Offenbarungspflicht (Loyalitätsinteresse, z. B. erhebliche Vorstrafe) gekündigt, besteht kein unmittelbares Bedürfnis, den diskreditierten Arbeitnehmer sofort zu entlassen. Er kann ungeachtet der Vorwürfe seiner Arbeit weiterhin nachgehen, wenn z. B. für die Zeit der ordentlichen Kündigungsfrist im Falle der Belästigung eine hinreichende Beaufsichtigung gewährleistet werden kann oder die Beteiligten nicht zusammenarbeiten müssen (z. B. durch eine darauf abgestimmte Schichtzuteilung). Eine solche, sehr genaue Betrachtung der jeweiligen Umstände im Einzelfall ist nötig, weil die fristlose Kündigung eine erhebliche Zäsur im Arbeitsleben darstellt. Der Arbeitnehmer wird aus einem wichtigen sozialen Umfeld entfernt, ohne daß er Gelegenheit findet, sich auf die veränderten Umstände einzurichten. Die fristlose Kündigung ist ein buchstäblicher Rauswurf, welcher in hohem Maße die Reputation des Betroffenen verletzt, ohne daß er etwa gegenüber den ehemaligen Arbeitskollegen Gelegenheit fände, seine Sicht der Umstände darzulegen oder sich auch nur von ihnen zu verabschieden. Das ist ein wesentlicher Umstand, welcher der fristlosen Kündigung auch gelegentlich den Charakter einer Bestrafung durch den Arbeitgeber verleiht, welche sie aber dogmatisch nicht ist. Der Arbeitgeber beendet schlicht einen gegenseitigen Vertrag. Doch wird die Abwägung davon beeinflußt, daß es sich bei § 626 BGB um eine Ausnahmeregel der ordentlichen Kündigung nach § 620 Abs. 2 ff. BGB handelt. Weil bei einem wichtigen Grund die gesetzliche Kündigungsfrist nicht gelten soll, ist § 626 als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen 494 , weshalb in der Interessenabwägung stets die Unzumutbarkeit der Fristeinhaltung der ordentlichen Kündigung zu begutachten ist. Palandt-Putzo, § 626, Anm. 4 d), Rdnr. 40. Zur Bestimmung und Auslegung von Ausnahmeregeln vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. 493
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I. Teil: Der Vertrauens wegfall als Kündigungsgrund
e) Der ,,Nutzen-Lasten-Ausgleich" Ist einem Arbeitgeber bei der Einräumung von Vertrauensverhältnissen bewußt, daß er damit ein generelles Risiko eingeht, er aber aus vernünftigen Erwägungen heraus trotzdem so handeln konnte, weil sich ein Arbeitnehmer bisher als geeignet und zuverlässig erwiesen hat, und wird er dennoch in seinem Vertrauen enttäuscht, so könnte dieses auch unter dem Aspekt des allgemeinen Betriebsrisikos als nicht schützenswert erscheinen. Die Übertragung von Vertrauenspositionen bedeutet für einen Arbeitgeber zugleich die Delegierung von Verantwortung. Überläßt er einem Arbeitnehmer eine Maschine, eine Kasse, überträgt er ihm Zeichnungsbefugnis oder die Führung einer Abteilung, eines ganzen Betriebs womöglich, so ist das für ihn eine ungeheure Erleichterung. Er muß nicht jeden Arbeitsschritt selbst ausführen oder überwachen. Die Tätigkeiten, die andere für ihn verrichten oder kontrollieren, kommen ihm aber letztendlich zugute, indem der erzielte Profit von ihm abgeschöpft wird. Aus der Delegierung von Verantwortung durch Einräumung von Vertrauenspositionen zieht der Arbeitgeber daher selbst den Nutzen, indem er auf diese Weise seine Arbeitskraft multiplizieren kann. Wenn er aber den Nutzen daraus zieht, daß er seinen Arbeitnehmern vertrauen darf, dann hat er umgekehrt und konsequenterweise auch die sich daraus ergebenden Lasten zu tragen. Ist mithin eine Vertrauensposition an sich berechtigt und schutzwürdig, so erscheint unter diesem ,,Nutzen-Lasten-Gedanken"495 eine Vertrauensenttäuschung in gewissem Umfange trotzdem zumutbar. Ist etwa der Schaden gering oder handelt es sich um eine erstmalige Verfehlung, so hat ein Arbeitgeber diese Vertrauensenttäuschung hinzunehmen, ohne daraus sogleich einen Vertrauensbruch und also einen Kündigungsgrund zu konstruieren. Das hat vor allem dann zu gelten, wenn der Arbeitnehmer schon längere Zeit im betroffenen Betrieb in einer vertrauensvollen Position gearbeitet hat, unabhängig davon, ob tätigkeits-, positionsbezogenes oder individuell gewährtes Vertrauen gewährt worden ist. Je länger der Arbeitgeber der Nutznießer dieser Vertrauensgewährung gewesen ist, desto eher muß er eine einmalige oder gelegentliche Vertrauensenttäuschung hinnehmen. Das folgt aus dem Gedanken des Unternehmerrisikos. In haftungstechnischer Hinsicht ist vom Utilitätsgrundsatz auszugehen, das heißt, daß derjenige, der den Nutzen aus einer Verrichtung zieht, auch das Risiko für die Verrichtung tragen so1l496. So wie der Arbeitgeber damit das Risiko trägt, für Schäden durch den Arbeitnehmer einstehen zu müssen, muß er zunächst auch das Risiko tragen, einen ungeeigneten Arbeitnehmer zu beschäftigen, jedenfalls innerhalb der vorgegebenen Kündigungsfristen, es sei denn, die Weiterbeschäftigung ist für ihn unzumutbar i. S. d. § 626 BGB. Aus dieser Parallele kann der Schluß gezogen werden, daß der Arbeitgeber um somehr Vertrauensenttäuschung hinnehmen muß, je größer auch der Nutzen ist, den er aus dessen Tätigkeit zieht. v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung. S. 33. Gedanke des qui sentit cornrnodum debet sentire et onus (vgl. Staudinger I Belling I Eberl-Borges § 831 BGB Rdnr. 127. 49~
496
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
133
f) Die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB
Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt eine Zwei-Wochen-Frist, innerhalb derer eine außerordentliche Kündigung zu erklären ist, mit dem Zeitpunkt der Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen durch den Kündigenden. Die Norm regelt eine materiellrechtliche Ausschlußfrist für die Kündigungserklärung. Der Arbeitgeber, der die Frist versäumt, verwirkt kraft Gesetzes das Kündigungsrecht. Sie soll innerhalb kurzer Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer klären, ob ein Sachverhalt zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung genommen wird. Andererseits soll aber auch die zeitliche Begrenzung nicht zur Überstürzung antreiben oder den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne eingehende Prüfung vorschnell zu kündigen497 . Die Frist beginnt mit der gesicherten und möglichst vollständigen positiven Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Allein die grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht, ebensowenig die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Vorfalls, der geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Erforderlich ist vielmehr, daß der Kündigungsberechtigte in der Lage ist, eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Solange er die Aufklärung des Sachverhalts, und zwar aller die Kündigung stützender und ausschließender Gesichtspunkte, durchführt, beginnt die Frist nicht zu laufen. Sie ist aber nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte noch Ermittlungen anstellt, um sich eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts zu verschaffen498 . Sobald der Arbeitgeber Kenntnis von den Umständen erlangt, die sein Vertrauen in den Arbeitnehmer zerstören, muß er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist seinen Vertrauensentzug mit der außerordentlichen Kündigung umsetzen. g) Die Beweisfragen Bei der Kündigung wegen eines Vertrauensverlusts stellen sich besondere Fragen an die Beweisanforderungen. Im Arbeitsgerichtsverfahren gilt der Beibringungsgrundsatz. Die der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalte sind deshalb nicht durch das Gericht von Amts wegen zu ermitteln. Grundsätzlich muß der kündigende Arbeitgeber alle Tatsachen, auf die er sein außerordentliches Kündigungsrecht stützt, beweisen499 . Dazu gehören auch alle Umstände, die Wichtigkeit des Kündigungsgrunds und die sofortige Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung belegen 5OO • Somit obliegt es dem Arbeitgeber, die objektiven, tatsächlichen Anhalts497 BAGE 24, 99, 104 f.; BAG AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2 ader Gründe. 498 BAGE 24, 341, 347 f.; BAG AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2 c der Gründe; BAG AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlußfrist. 499 Hierzu allgemein Becker-Schaffner, Die Darlegungs- und Beweislast in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, BB 1992, S. 557. soo BAG AP Nr. 8 zu § 626 BGB; KR-Hillebrecht Rdnr. 275; Stahlhacke-Preis Rdnr. 461 ff.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
punkte, die seinen Vertrauensverlust begründen, beizubringen. Für den Vertrauensverlust können dabei erhebliche Beweisschwierigkeiten bestehen. Denn es läßt sich oft, wie CanarisS01 bereits für die Vertrauenshaftung festgestellt hat, nicht genau nachweisen, worin im einzelnen die vorherige Vertrauensinvestition bestanden hat. Folgerichtig wird man darin nicht den positiven Beweis einer konkreten Vertrauensinvestition fordern können, sondern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügen lassen, um nicht den Vertrauensschutz im Wege unerfüllbarer Beweisanforderungen auszuhöhlen so2 • Das gleiche gilt für die nötige KausalitätS03 zwischen der Vertrauenseinräumung und dem darauf gestützten Verhalten des Arbeitgebers. Wird z. B. einen Arbeitnehmer ein Firmenwagen übergeben, den dieser für Schwarzfahrten mißbraucht, so muß die Überlassung als Tatsache für die Vertrauensinvestition genügen. Auch die Kausalität der Vertrauensinvestition für die Überlassung ist dann mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben, es sei denn, der Arbeitgeber konnte das vertrauensenttäuschende Verhalten vorhersehen, hat sich aber über sämtliche Bedenken hinweggesetzt. Dann ist sein Vertrauen schlecht investiert gewesen, es entfällt die Schutzwürdigkeit, denn sich aufdrängendes Mißtrauen steht der Erzeugung von Vertrauenstatbeständen grundsätzlich entgegen. Kündigt der Arbeitgeber weil er dem Arbeitnehmer nicht mehr vertraut, daß dieser sein Vennögensschutzinteresse respektiert, dann hat er z. B. darzulegen, daß im Einwirkungsbereich des Arbeitnehmers sein Eigentum oder Vermögen verletzt worden ist, z. B. durch Kassenfehlbeträge, Warenschwund, Schwarzfahrten, angenommene Bestechungsgelder. Ferner muß er darlegen, daß dadurch das tätigkeitsspezifische Vertrauen in den Arbeitnehmer entfallen ist, weshalb er nicht länger geeignet ist, die arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Für den Nachweis der fortgefallenen Eignung gilt § 282 BGB nicht. Bei der Erstellung dieser negativen Prognose darf auch eine Wiederherstellung des notwendigen Vertrauens nicht mehr in Frage kommen. Bei einem Verlust des Vertrauens in die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb sind die entsprechenden Vorfälle nachzuweisen. Auf diese dem Gekündigten zurechenbaren Vorfälle, etwa die Beleidigung, Verletzung, Gefährdung oder Belästigung der Arbeitskollegen muß der Arbeitgeber den Verlust des Vertrauens stützen und daß auch in Zukunft nicht mehr mit der reibungslosen Einfügung des Betroffenen in den Betrieb gerechnet werden kann. Hat dieser sich etwa als überzeugter und aktiver Neonazi herausgestellt und mit seinem dadurch motivierten Verhalten Kollegen belästigt, entfällt nachvollziehbar das Vertrauen in seine weitere Eignung zur Teamarbeit. Hat der Arbeitnehmer in seiner Funktion 501 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 513 f. stellt das allerdings nur für den Sonderfall des Verbots venire contra factum proprium fest. 502 Canaris, a. a. 0., S. 513 f. 503 Canaris, a. a. 0., S. 516 setzt bei der Vertrauenshaftung eine Kausalität zwischen der Vertrauensinvestition und der Disposition des Vertrauenden voraus. Dabei geht es um eine haftungsrechtliche Voraussetzung. doch gilt der Gedanke für alle Vertrauens tatbestände. denn Vertrauen ist nur schutzwürdig. wenn es zielgerichtet und bewußt investiert wird. Es muß die kausale Motivation für das anschließende vertrauensgewährende Verhalten sein.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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als Ausbilder im Betrieb eine Auszubildende sexuell belästigt, entfällt seine Eignung als Ausbilder, weil ihm auch in Zukunft nicht mehr vertraut werden kann, daß er seinen Einfluß auf die ihm unterstellten Auszubildenden nicht mißbraucht. Der Nachweis eines Verlusts des Vertrauens in die Loyalität des Arbeitnehmers setzt neben dem Nachweis des illoyalen Verhaltens auch voraus, welche (gesteigerte) Loyalitätspflicht in dem einzelnen Arbeitsverhältnis bestanden hat. Insoweit muß der Arbeitgeber die Verpflichtung des Arbeitnehmers zum loyalen Verhalten im Einzelfall nachweisen. Sofern der Arbeitsvertrag privatautonome Loyalitätspflichten, etwa ein Wettbewerbsverbot, eine Verschwiegenheitspflicht oder eine Tendenzwahrungspflicht enthält, ist der Nachweis leicht führbar, ansonsten muß die betriebliche Übung, die Ausgestaltung der spezifischen Tätigkeit oder die gelegentlich der Aufgabenzuteilung übertragene besondere Verpflichtung zur Loyalität im Einzelfall dargelegt werden. Zu den darzulegenden Tatsachen gehören ferner die fehlende Rechtfertigung des vertrauens zerstörenden Verhaltens 504 , die gegebenenfalls fruchtlose Abmahnung, die Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit eines sonst milderen Mittels, etwa einer Versetzung 505 . Auch für den nach § 626 Abs. 2 maßgebenden Zeitpunkt der Kenntniserlangung der für die Kündigung grundlegenden Tatsachen ist der kündigende Arbeitgeber beweispflichtig506 , was auch aus dem Sphärengedanken folgt. An den Nachweis der Fristwahrung sind strenge Anforderungen zu stellen 507 • Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich im einzelnen auch danach, wie substantiiert sich andererseits der Gekündigte zu dem Entzug des Vertrauens und zu seiner weiteren Eignung äußert. Eine Beweislastumkehr zulasten des Gekündigten kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Beruht der Vertrauenswegfall z. B. auf einer üblen Nachrede des Arbeitnehmers, welche das Loyalitäts- und das Integritätsinteresse des Arbeitgebers im Betrieb verletzt, so folgt aus dem Normzweck des § 186 StGB, daß der Arbeitnehmer den Wahrheitsbeweis für die ehrverletzende Tatsachenbehauptung erbringen muß508 . Eine Besonderheit besteht auch dann, wenn die Kündigung wegen einer Beleidigung durch den Arbeitnehmer ausgesprochen wird, durch die dieser selbst wegen provozierender Äußerungen des Arbeitgebers veraniaßt worden ist. Dann obliegt es dem kündigenden Arbeitgeber, nachzuweisen, daß er selbst seine Treue- und Fürsorgepflicht nicht verletzt hat 509 •
Z. B. einen Kollegen in Notwehr verletzt zu haben. Vgl. Errnan/Belling, § 626 BGB Rdnr. 90 m. w. N.; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, § 626 BGB, Rdnr. 2. 506 Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, § 626 BGB, Rdnr. 6, m.w.N. 507 KR-Hillebrecht § 626 BGB Rdnr. 280 ff. 508 Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, § 626 BGB Rdnr. 5; LAG Oüsse1dorf, OB 1969, S. 1300. 509 KR-Hillebrecht § 626 Rdnr. 276. 504
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1. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
h) Zum Zeitpunkt der Tatsachenwürdigung Für die Beurteilung der Tatsachen, welche über die Wirksamkeit einer (Verdachts)kündigung entscheiden, soll es nach dem BAG maßgeblich auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ankommen 51O • Die überwiegende Meinung in der Literatur ist ihm darin gefolgt511 • Es ist davon auszugehen, daß die zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung zerstörte Vertrauensbasis zwischen den Parteien nicht bis zur letzten mündlichen Verhandlung im Prozeß wiederhergestellt werden kann. Vertrauen bleibt, wenn es erschüttert wird, bestehen oder nicht, ein Vertrauenswegfall gipfelt schließlich in einer Kündigungserklärung. Nachfolgend kann nur noch überprüft werden, ob die bei der Kündigungserklärung bekannten Tatsachen, aus der Sicht des verständigen dritten Unternehmers die betroffenen Vertrauenstatbestände im Arbeitsverhältnis zerstört haben können. Jedenfalls können später aufgedeckte Tatsachen nichts daran ändern, daß der Arbeitgeber zum Zeitpunkt seiner Erklärung kein Vertrauen mehr in den Arbeitnehmer hatte.
i) Die Anhörung des Betriebsrats Vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist gegebenenfalls der Betriebsrat, Sprecheraussschuß oder Personalrat zu hören (vgl. § 102 BetrVG, § 31 Abs. 2 SprAuG, §§ 79 Abs. 4, 108 Abs. 2 BPersVG. Die Anhörung ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 512 ist eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG - entsprechendes gilt bei der Personalratsanhörung nach § 79 Abs. 3 BPersVG - auch dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt. Dabei werden die §§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG bzw. 79 Abs. 3 Satz 1 BPersVG, analog angewendet, was methodisch aus einer systematisch-teleologischen Interpretation des Begriffs der Anhörung folgt. Diese vom Gesetz verlangte Anhörung ist in der Rangordnung der Beteiligungsrechte mehr als die bloße Mitteilung über die bevorstehende Kündigung. Die Einschaltung des Betriebsrats bzw. Personalrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat über die Mitteilung der Kündigungsabsicht hinaus den Sinn, der Arbeitnehmervertretung Gelegenheit zu geben, ihre Überlegungen zu der Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Denkbar ist es, daß es dann in geeigneten Fällen gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung 510 BAG, AP Nr. 39 zu § I KSchG; BAG, AP Nr. 57 zu § 626 BGB; BGH, AP Nr. 2 zu § 611 BGB FÜfsorgepflicht. 511 Herschel-Löwisch, § I KSchG Rdnr. 75; Hueck, § I KSchG Rdnr. 154; KR-Becker, § I KSchG Rdnr. 156; KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 123; MünchKomm l2 / Schwerdtner, vor § 620 BGB Rdnr. 400; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rdnr. 330, 463. 512 Zuletzt grundlegend in BAG AP Nr. 31 zu Internat. Privatrecht, Arbeitsrecht, zu 11 2 b cc (l) der Gründe.
4. Abschn.: Vertrauenswegfall als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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kommt. Aus diesem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, daß der Betriebs- bzw. Personalrat sich über die Person des betroffenen Arbeitnehmers und über die Kündigungsgründe für seine Stellungnahme ein Bild machen kann. Die Mitteilungspflicht ist jedoch nach Sinn und Zweck der Beteiligungsrechte begrenzt. Hat der zur Entgegennahme von Mitteilungen berechtigte Betriebs- bzw. Personalratsvorsitzende bereits den erforderlichen Kenntnisstand, um eine Stellungnahme abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann es jedenfalls nach den gegebenen Umständen als sicher annehmen, so wäre es eine reine Förmelei, dem Arbeitgeber gleichwohl noch eine detaillierte Begründung abzuverlangen. Im einzelnen ist unklar, welche Angaben der Arbeitgeber dem Betriebsrat geben muß, die Tendenz der Rechtsprechung läßt erkennen, daß daran immer weniger strenge Anforderungen gestellt werden.
j) Der Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung und der restitutive Bestandsschutz Im Anschluß an eine rechtmäßige Kündigung könnten bekannt werdende Tatsachen, die nach der Kündigungserklärung nicht mehr herangezogen werden durften, als Grundlage eines Wiedereinstellungsanspruchs dennoch Berücksichtigung finden. In Betracht kommen z. B. die Einstellung eines Strafverfahrens, ein Freispruch, die inzwischen erfolgte Abkehr von einer verfassungsfeindlichen Organisation. Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur wird ein Wiedereinstellungsanspruch der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entnommen, wenn die Kündigung rechtfertigenden Tatsachen später entfallen 5I3 . Nach der Gegenmeinung wird diese nachwirkende Fürsorgepflicht lediglich als Nebenpflicht eingestuft und daraus der Schluß gezogen, daß aus einer solchen Nebenpflicht keine Hauptpflicht, nämlich ein neuer Arbeitsvertrag entstehen könne514 . Aus dieser Kritik heraus sind andere Ansätze zur Begründung eines Wiedereinstellungsanspruchs erfolgt: Mit Verweis etwa pauschal auf § 242 oder BGB unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium oder der Vertrauenshaftung515 . Sofern der Arbeitgeber seine Kündigung auf den schwer zu definierenden Vertrauens verlust gestützt hat, könnte er wiederum einen Vertrauenstatbestand 513 BAG AP Nr. 13 zu § 626 BGB, Verdacht strafbarer Handlung; BGH AP Nr. 2 zu § 611 BGB, Fürsorgepflicht; Herschel-Löwisch, § 1 KSchG Rdnr. 158; KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 181; Monjau, Die Verdachtskündigung, OB 1960, S. 1067 ff. (1070); MünchKomml Emmerich, vor § 275 BGB Rdnr. 181; Palandt-Putzo, § 611 BGB, Anm. 8 a; Soergel/Kraft, § 611 BGB Rdnr. 214. 514 vom Stein, Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers, RdA 1991, S. 85 ff. (90) eingehend zum Streitstand. 515 LAG Köln, LAGE Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch mit Anm. Preis. Das Gericht anerkennt ein schutzwürdiges Vertrauen darin, seinen Arbeitsplatz nur dann zu verlieren, wenn das aus betriebsbedingten Gründen tatsächlich erforderlich ist.
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1. Teil: Der Vertrauenswegfal1 als Kündigungsgrund
gegenüber dem Arbeitnehmer geschaffen haben, daß die Kündigung gerade nur wegen der nun bedeutungslosen Tatsachen erfolgt sei 516 . Entfallen diese, kann der Arbeitnehmer im Sinne dieser Überlegung darauf vertrauen, nun vom Arbeitgeber wieder eingestellt zu werden. Und wenn zudem sein Vertrauen schützenswerter erscheint als das Vertrauen des Arbeitgebers in die wirksame und endgültige Kündigung, so müßte nach einer Abwägung zugunsten des Arbeitnehmers diesem ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen 517 • Im Grunde reduziert sich die Frage eines solchen Anspruchs darauf, welches Vertrauen stärker wiegen und durch eine objektive Tatsache erschüttert werden, mithin die Rechtslage beeinflussen kann. Eine solche positiv ausfallende Abwägung schützens werten Vertrauens könnte als Ergebnis den besonderen Grund zur Rechtfertigung der Wiedereinstellung hergeben, den Hueck für diesen Anspruch fordert 518 . Bei der Kündigung wegen Vertrauenswegfalls muß demnach als Voraussetzung für einen Wiedereinstellungsanspruch erneut eine Abwägung schützenswerter Vertrauenspositionen vorgenommen werden, mit dem einzigen Unterschied, daß nunmehr nicht der Zeitpunkt der Kündigungserklärung entscheidet, sondern jener des Bekanntwerdens der neuen Tatsachen. Indem nun auf einen späteren Zeitpunkt abgestellt wird, kann eine Beurteilung schützenswerten Vertrauens natürlich durch den Faktor Zeit stark beeinflußt werden, denn je später solche Tatsachen auftauchen, desto mehr kann ein Arbeitgeber in der Zwischenzeit sich auf eine endgültige Trennung vom Arbeitnehmer verlassen haben.
k) Die Rehabilitierung des Arbeitnehmers bei Fehlprognose des Arbeitgebers Der vom Arbeitgeber vorgetragene Vertrauensverlust diskreditiert den fristlos entlassenen Arbeitnehmer. Fraglich ist dabei, inwieweit seine Rehabilitierung denkbar ist, wenn im Prozeß der Vertrauensverlust nicht durch hinreichende objektive Gründe gestützt werden kann. Zwar ist der Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt der nachwirkenden Fürsorgepflicht zur Rehabilitierung des Arbeitnehmers verpflichtet 519 • Unter Umständen kann dem Arbeitnehmer daher auch ein Anspruch auf Wiedereinstellung zustehen 52o • Scheidet ein solcher Anspruch aus, etwa vom Stein, a. a. O. RdA 1991 S. 85 ff. (92). vom Stein, a. a. O. RdA 1991 S. 85 ff. (92). 518 Hueck, Die pflicht des Arbeitgebers zur Wiedereinstel1ung entlassener Arbeitnehmer, FS für Hedemann zum 80. Geburtstag, S. 131 ff., 140, 147, verlangt besondere Umstände, die nach dem ..Gerechtigkeitsgefühl eine Wiedergutmachung gebieterisch fordern"; Rechtsgrundlage einer Wiedereinstel1ung ist dann § 242 BGB. 519 Söllner, Arbeitsrecht, § 35 III 2 f.), S. 293. 520 BAGE 16, 72; BGH AP Nr. 2 zu § 611 BGB FÜfsorgepflicht; KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 181; MünchArbR I Buchner, § 37, Rdnr. 111; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 108 VI 2, S. 826; Stahlhacke I Preis, Kündigung, Rdnr. 582, S. 207; Zöllner I Loritz, § 22 III 2 c, S. 252 und § 1611 2 c, S. 188; Heilmann, Verdachtskündigung und Wiedereinstellung, 516 517
4. Abschn.: Vertrauenswegfal1 als Grund zur außerordentlichen Kündigung
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weil dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung wegen bereits getroffener Dispositionen nicht mehr zumutbar ist 521 , so kommen statt dessen sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers zur Rehabilitierung des Arbeitnehmers in Betracht. Diese werden entsprechend dem Charakter einer nachwirkenden Nebenpflicht unterschiedlich ausgestaltet sein, je nachdem, wieviel Zeit seit dem Ausspruch der Kündigung bereits verstrichen ist. Liegt die Kündigung lediglich kurze Zeit zurück, so ist der Arbeitgeber zu vergleichsweise intensiven Maßnahmen verpflichtet. Möglicherweise kann sich eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer nach seinen Möglichkeiten bei der Arbeitsplatzsuche zu unterstützen 522 • Ist seit der Kündigung dagegen ein längerer Zeitraum verstrichen, kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers darauf reduzieren, eine Ehrenerklärung im Betrieb zur Wiederherstellung des Rufes des Arbeitnehmers abzugeben 523 .
7. Ergebnis für den Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
Sowohl aus der rechtsvergleichenden, als auch aus der historischen Beurteilung heraus ist die Kündigung wegen Vertrauensverlusts im Arbeitsverhältnis eine Kündigung aus wichtigem Grund. Sie ist ein Unterfall des Prinzips des Vertrauenswegfalls als Auflösungsgrund für Verträge, das im gesamten BGB, vor allem im Schuldrecht, Geltung besitzt. Es schützt Vertrauen, das rechtsgeschäftlich oder anläßlich des rechtsgeschäftIichen Kontakts während der Gestaltung eines Rechtsverhältnisses, vor allem eines Dauerschuldverhältnisses erzeugt worden ist. Wird es durch objektive Umstände zerstört, berechtigt es den in seinem schützenswerten Vertrauen Enttäuschten zur Abstandnahme vom Vertrag, wenn das Festhalten am Vertrag für diesen unzumutbar wäre. Anhand der genannten Kriterien ist grundsätzlich festzustellen, daß der Frage des Vertrauens im Arbeitsverhältnis dann große Bedeutung zukommt, wenn es entweder von den Parteien einvernehmlich zur Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses bestimmt worden, wenn es Inhalt einer konkreten Vertragspflicht für den Arbeitnehmer oder wenn es konkludent durch Übung oder die Begleitbedingungen des Arbeitsplatzes und seines Umfeldes zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten notwendig ist. Das Vertrauen ist im Beschäftigungsverhältnis also wichtig, wenn sich dieses aus den jeweiligen Pflichten des Vertrags oder aus objektiven Umständen des Arbeitsverhältnisses entnehS. 78 ff., 95 ff.; vgl. dazu auch Bram, Praktische Probleme des Wiedereinstel1ungsanspruchs nach wirksamer Kündigung, NZA 1990, S. 753 ff. und v. Stein, Wiedereinstel1ungsanspruch des Arbeitnehmers bei Fehlprognose des Arbeitgebers, RdA 1991, S. 85, 88; Hueck , Die Pflicht des Arbeitgebers zur Wiedereinstel1ung in FS für Hedemann, S. 131 ff.; A.A. Molitor ArbRBlattei ,,Arbeitsvertrag-Arbeitsverhältnis X, Verpflichtung zur Erneuerung eines beendeten Arbeitsverhältnisses. 521 Vgl. z. B. LAG Köln, DB 1989, S. 1475, 1476; LAG Düsseldorf, DB 1952, S. 700; dazu auch v. Stein, RdA 1991, S. 85, 89. 522 Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 48. 523 Belling, a. a. 0., S. 49.
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I. Teil: Der Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund
men läßt. Nur konkretisiertes, privatautonom entstandenes Vertrauen im Vermögensschutz-, Integritäts-, oder Loyalitätsbereich ist für das Kündigungsrecht wegen Vertrauenswegfalls schutzwürdig. Damit ist zwar die These, daß dem Arbeitsverhältnis an sich ein gesteigertes Vertrauen anhaftet, zwar nicht falsch, aber ein solches abstraktes Vertrauen hat für sich keinen kündigungsrelevanten Einfluß. Es kann also eine Kündigung nicht alleine mit der Behauptung gerechtfertigt werden, das zur Weiterbeschäftigung notwendige Vertrauen in den Arbeitnehmer sei entfallen. Vielmehr ist ein konkreter Vertrauenstatbestand anhand objektiver Tatsachen zu bestimmen, dessen Verletzung die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
2. Teil
Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts 1. Abschnitt
Die Einleitung Dieser zweite Teil hat die Funktion, einzelne Sachverhalte und Fallgruppen der Kündigungen wegen Vertrauensverlusts darzustellen. Er soll die Störung im Vertrauensbereich für die Wichtigkeit des Kündigungsgrunds betonen, die teilweise sogar den eigentlichen Kündigungsgrund im Rahmen von § 626 BGB bildet. Behandelt werden typische Sachverhalte des Kündigungsrechts, die das Vermögensschutz-, das Integritäts- oder das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers verletzen und diesen zu einer Kündigung wegen Vertrauensverlusts berechtigen.
2. Abschnitt
Die Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall als Kündigungsgrund auf einzelne Sonderfälle § 1 Die Kündigung wegen politischer Betätigung Als eine Fallgruppe des wichtigen Grunds nach § 626 BGB ist heute die politische Betätigung eines Arbeitnehmers anerkannt, wenn sie den Betriebsfrieden störtl oder sonst eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat 2 . Auch wenn betont wird, an sich sei die politische Betätigung kein wichtiger Grund nach § 626 BGB 3 , werden mit der Zerstörung des Vertrauensbereichs KünPalandt-Putzo, § 626 BGB, Rdnr. 54. BAG, Vrt. v. 06. 02. 1969-2 AZR 241/68; Staudinger/Preis, § 626, Rdnr. 177 ff.; zustimmend Hueck, Vrt. Anm., AP Nr. 58 zu § 626 BGB; vgl. auch Erman/Belling, § 626, Rdnr.65. 3 MünchArbRI Wank Bd. 11, § 117 Rdnr. 86; üUo, Personale Freiheit und soziale Bindung, S. 92; MünchKomm/Schwerdtner § 626 Rdnr. 138. I
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
digungen gerechtfertigt, obwohl weder eine Vertragsverletzung, noch eine Störung des Betriebsfriedens feststellbar ist4 . Generell ist eine ordentliche und außerordentliche Kündigung allein wegen der politischen Überzeugung nach § 138 i. Y.m. Art. 3 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 GG unwirksam. Grundsätzlich wird diese Freiheit nur durch die Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG begrenzt, auch im privaten Arbeitsverhältnis 5 • Gerade bei veränderten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen können aber Kündigungen wegen des Wegfalls des Vertrauens in Arbeitnehmer begründet sein, die sich in einer Art und Weise politisch betätigen, die mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Wertsystem kollidiert. Der Konflikt kann bereits durch differierende moralische oder politische Ansichten der Arbeitsvertragsparteien ausgelöst werden und damit politischem Radikalismus Kündigungsrelevanz beimessen. Zugespitzt kündigungserheblich ist aber die extremistische politische Betätigung von Arbeitnehmern, die im Gegensatz zum Radikalismus die Verfassung selbst oder ihre elementaren Bestandteile in Frage stellt. Je nachdem, ob damit der politische Gestaltungsspielraum des Grundgesetzes ausgenutzt oder überschritten wird, ist die Vertrauensenttäuschung durch politische Betätigung von unterschiedlichem Gewicht. Ihre Richtung ist aber im wesentlichen die gleiche. Bereits bei den Denazifizierungskündigungen, später bei Kündigungen wegen kommunistischer Betätigung und in letzter Zeit bei Kündigungen wegen ehemaliger Tatigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, wurde diskreditierten Arbeitnehmern die Eignung ftir den öffentlichen Dienst mit der Begründung abgesprochen, das Vertrauen der Bevölkerung in den öffentlichen Dienst werde bei einer Weiterbeschäftigung gefährdet 6 . Wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Staat und seine Bediensteten in Frage gestellt, sei der betreffende Arbeitnehmer der Bevölkerung nicht mehr zumutbar7 • Dieses "öffentliche" Vertrauen ist nur schwer faßbar. Ob es bei Beeinträchtigung einen wichtigen Kündigungsgrund rechtfertigen kann, soll die weitere Darstellung zeigen. Angefangen bei den Denazifizierungskündigungen, den Kündigungen wegen politischer Betätigung ftir die KPD und DKP wird schließlich am Beispiel der Kündigungen wegen Tatigkeit ftir die ehemalige Staatssicherheit der DDR die Praxis der politisch geprägten Kündigungen kritisch untersucht und als Lösungsmodel für die verschiedenen Fallkonstellationen die Kündigung wegen Vertrauensverlusts herangezogen.
4 Zu Recht sieht Preis hierin ein "dunkles Kapitel des Kündigungsrechts Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnisse, S. 365, 367 ff., 469 ff. S Stahlhacke!Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rdnr. 161 ff. 6 Vgl. hierzu Preis! Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 2\0, 220m. w.N. 7 BAG, AP Nr. I zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX.
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I. Die politische Bedeutung des Kündigungsrechts In der relativ kurzen Geschichte des deutschen Arbeitsrechts haben verschiedene Änderungen des politischen Systems die Kündigungsgründe beeinflußt. Kündigungen wurden stets dazu benutzt, Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern zu lösen, deren politische Tatigkeit mit den Grundwerten der Verfassung oder des herrschenden Systems unvereinbar war. Den unerwünscht politisch aktiven Arbeitnehmern wurde abstrakt mißtraut, ihre Arbeitsaufgaben (in erster Linie im öffentlichen Dienst) "unpolitisch" erfüllen zu können. Die politische Betätigung hatte zwar selten einen konkreten und spezifizierbaren Einfluß auf die Qualität der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, doch wurde sie wie kaum ein anderer Umstand dazu verwendet, einem Arbeitnehmer das Vertrauen zu entziehen und ihm deshalb zu kündigen. Noch in der Vorläufigen Landarbeitsordnung vom 24. Januar 1919 war zum wichtigen Grund die Einschränkung in § 16 Abs. 2 Satz 2 vermerkt: "Politische ... Betätigung ist kein Entlassungsgrund", womit auch die kommunistische Betätigung, sogar im Spartakusbund gemeint war8 . In der Weimarer Reichsverfassung war sodann nach Art. 118 WRV jedem Deutschen das Recht eingeräumt, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift u.s.w. frei zu äußern. Dieser Artikel enthielt den Zusatz, daß kein Arbeits- und Angestelltenverhältnis dieses Recht hindern dürfe. Die Regelung war dahingehend relativiert, daß sie nicht für politische Betätigungen gelte, welche die Staats- und Rechtsverfassungen mißachte, etwa im Falle von Spartakisten und Kommunisten 9 . Gegen diese wurde auch von Seiten der Justiz mit besonderer Härte vorgegangen 10. Wenn auch in den fünfziger Jahren noch mit Härte gegen Kommunisten vorgegangen wurde und auch in der APO-Bewegung, ist heute festzustellen, daß insbesondere politische Gewalttaten gleichermaßen in bei den radikalen bzw. extremistischen Tendenzen geahndet werden und auch das Kündigungsrecht folgt diesem Trend. In zunehmendem Maß werden nunmehr Kündigungen wegen rechtsradikaler Betätigung ausgesprochen ll. Es stellt sich vor dem historischen Hintergrund die Frage, warum Art. 5 Abs. 1 GG den Zusatz von Art. 118 WRV nicht enthält. Der Grund könnte gerade eine beabsichtigte Beschränkung in Arbeitsverhältnissen - etwa aus Gründen des Betriebsfriedens gewesen sein. Allgemein wird heute aber zu Recht anerkannt, daß in der Privatwirtschaft keine vertragliche Neben- Verpflichtung besteht, politische Betätigungen zu unterlassen, mithin das politische Verhalten des Arbeitnehmers arbeitsvertraglieh unerheblich ist 12 • Eine entsprechende Verpflichtung kann daher in der 8 König, Zur näheren Bestimmung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, RdA 1969, S. 8 ff. 9 König a. a. O. mit Verweis auf Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse (Kommentar, 5. Aufl.), § 626, Anm. 3a. 10 Was aus dem direkten Vergleich mit rechtsextremistisch motivierten Taten folgt und wodurch die Kritik entstand, die Justiz sei "auf dem rechten Auge blind" vgl. WeseI, Juristische Weltkunde, S. 139. 11 Anm. Krause zu LArbG Hamm, LAGE Nr. 19 zu § 123 BGB, S. 9 ff.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Privatwirtschaft nur durch Tarifvertrag, durch einzelvertragliche Bestimmung oder durch einen privatautonomen Vertrauenstatbestand geschaffen werden und dann kündigungsrechtliche Auswirkungen haben. Zwar richtig, aber auch zu eng gefaßt ist es daher, wenn Preis / Stoffels meinen, daß es kein abstrakt schützenswertes Vertrauen des Arbeitgebers geben kann, der Arbeitnehmer werde keine gegenläufigen (politischen) Ansichten vertreten l3 . Entgegen mancher Ansätze der Rechtsprechung 14 und der Literatur 15, sei daher die lediglich "provozierende" oder "agitatorische" politische Betätigung kein Kündigungsgrund 16 . Das berücksichtigt nicht die möglichen, durch das Loyalitätsinteresse schutzwürdigen Vertrauenstatbestände, welche die Arbeitsvertragsparteien konkret ausgestalten können. Wenn es auch kein abstrakt schützenswertes Vertrauen auf die Unterlassung politischer Betätigung und auch keine solche arbeitsvertragliehe Nebenpflicht gibt, besteht die Möglichkeit, in einem Arbeitsverhältnis privatautonom konkrete Vertrauenstatbestände zu schaffen, mit dem Inhalt, politische Betätigung zu unterlassen oder in bestimmter Hinsicht politisch unbelastet zu sein.
11. Die Denazifizierung Ein Arbeitnehmer, welcher im Nationalsozialismus Mitglied der NSDAP gewesen war, konnte aufgrund des sog. "Schukow-Befehls" entlassen werden 17. Nach der Anordnung Nr. 4 der Alliierten Kommandantura Berlin 18 vom 26. Februar 1946 war es ferner im öffentlichen Dienst, in der Privatwirtschaft und für Privatpersonen unzulässig, "nationalsozialistische Parteimitglieder anzustellen oder in ihren Stellungen zu belassen. die mehr als nominell an der 1ätigkeit der NSDAP teilgenommen hatten oder die dem Vorhaben der Alliienenjeindlich gegenüberstehen ". Das Vertrauen in ihre Redlichkeit und Loyalität gegenüber den Besatzungsmächten, weniger gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber, stand grundsätzlich in Frage. Die vorbelasteten Arbeitnehmer erschienen unabhängig von ihrer Tätigkeit im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft als ungeeignet, am Aufbau neuer demokratischer Strukturen in Deutschland mitzuwirken. Insbesondere in leitenden Funktionen stand die Eignung der belasteten Arbeitnehmer in Frage, weil nicht erwartet werden konnte, daß sie ihre Tätigkeiten stets nur unter Berücksichtigung von Recht und Gesetz ausüben würden 19 • In der Konsequenz, wie z. B. die AIIi12 Eingehend hierzu Preis! Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 210, 213 m. w. N. 13 Preis! Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 210, 213. 14 BAG AP Nr. 69 und Nr. 73 zu § 626 BGB. IS Buchner, AR-Blattei, Kündigung VIII, E 58; Müller, ArbRGeg., Bd. I (1963), S. 35 ff. 16 Preis! Stoffels a. a. 0., S. 213. 17 Vgl. BAGE 9,85 ff. 18 VoBI. BIn. 46, 72, das Verfahren der Berliner Kommandantura soll als Beispiel der Entnazifizierung dienen.
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ierte Kommandantura ihrer Funktion der "Säuberung" des Arbeitslebens in Deutschland nachkommen sollte, war allein der Rückgriff auf das allgemeine Kündigungsrecht unzureichend. Ein Sonderkündigungsrecht war erforderlich, weil § 626 BGB für die Schaffung von derart abstrakten Kündigungsgründen ohne Einzelfallabwägung dogmatisch ungeeignet ist. Hinter dem Sonderkündigungsrecht stand auch der Sühnegedanke, der Vorwurf der im Namen aller nazistischen Organisationen verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Um solche Vorwürfe in arbeitsrechtlicher Hinsicht zu ahnden, war § 626 BGB wegen des Prognoseprinzips bei der Abwägung ebenfalls ungeeignet. Die Betroffenen durften nach Nr. 4 der Anordnung in anderen Unternehmen als denen, aus denen sie entfernt wurden, nur in "untergeordneten Stellungen als gelernte oder ungelernte Arbeiter oder für Bürodienste angestellt werden" oder als Privatpersonen ohne Angestellte arbeiten 20. Erfaßt wurde die NSDAP in allen Organisationen 21 und Formationen 22 . Nach dem Entnazifizierungsverfahren wurde das Ergebnis auch mit Sonderstempeln im Personalausweis festgehalten 23 und gegebenenfalls die Unbedenklichkeit bescheinigt 24 • Die Mitgliedschaft in der NSDAP und die Tätigkeit in den nationalsozialistischen Organisationen war auch nach dem Gesetz Nr. 8 des Alliierten Kontrollrats in der amerikanischen Besatzungszone ein Grund zur sofortigen Kündigung eines Arbeitnehmers. Darüber hinaus bestand sogar ein Beschäftigungsverbot, welches jedem Arbeitgeber Strafe androhte, der jemanden aus den einschlägigen Organisationen beschäftigte. Widrigenfalls konnte sogar das Unternehmen sofort von der Militärregierung geschlossen werden 25 . BAGE 12, 169, 173 f. Nach Nr. 5 der VO a. a. O. sollten sie durch Personen ersetzt werden, die sich "durch ihre politischen und moralischen Eigenschaften als fähig erwiesen haben, zur Entwicklung echter demokratischer Einrichtungen in Deutschland beizutragen". Eine Entnazifizierungskommission prüfte im Einzelfall, ob etwaige Vorwürfe zu Unrecht erhoben worden waren, nicht aber die einzelnen Auswirkungen auf das konkrete Arbeitsverhältnis. Nach der Bestimmung Nr. I zur Anordnung der Alliierten Kommandantura über die Entnazifizierung hatten Entlassungen sofort, auf der Stelle zu erfolgen und zwar unter der Beendigung sämtlichen Einflusses der Betroffenen auf den Anstellungsbetrieb. 21 und deren Dienststellen (z. B. des Schatzmeisters, der Presse) und Hauptämter (z. B. für Volksgesundheit). 22 vor allem waren das SS, SA aber auch Hitlerjugend, NSB-Studentenbund; ferner angegliedert: z. B. NS-Rechtswahrerbund; andere nazistische Organisationen: z. B. Werberat der Deutschen Wirtschaft; Träger von Nazi-Auszeichnungen, z. B. Nationalsozialistischer Blutorden, sowie Angehörige des Generalstabs und Führungsoffiziere. 23 Entnazifizierungsanordnung: Anbringung eines Sonderstempels auf Personalausweisen VoBI. Bin. 46, 81. 24 Entnazifizierung Unbedenklichkeitsbescheinigungen VoBI. BIn. 46,163. 25 Geregelt wurde das im Gesetz Nr. 8 des Alliierten Kontrollrats in der amerikanischen Zone. Die Amerikaner gingen konsequent zunächst gegen Nazis in jeder Position vor. 95.250 Personen wurden verhaftet oder interniert (in der britischen Zone 64.500 Personen, in der französischen 18.983 Personen). In den Westzonen wurden 150.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes entlassen, 73.010 aus Handel und Industrie. Darüber hinaus verfügte die USMilitärregierung, daß sämtliche Parteigenossen nur noch gewöhnliche Arbeit verrichten durf19
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
In vielen Fällen zeigten sich aber die Denazifizierungsmaßnahmen als unzureichend. So wurden Arbeitnehmer von den Denazifizierungskommissionen als rehabilitiert entlassen, wenn ihre Schuld nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte, etwa, wenn nur die ehemalige Parteimitgliedschaft feststand, nicht aber, ob der Betroffene vor oder nach der Einführung der Zwangsmitgliedschaft vom 1. Mai 1937 der NSDAP beigetreten wru2 6 . Trotz der nominellen Belastung wurden solche Arbeitnehmer ohne Beschränkungen für die Zukunft in das Arbeitsleben wieder integriert. Sie wurden damit den völlig unbelasteten Arbeitnehmern gleichgestellt. In diesen Fällen mußte trotz der durchgeführten Denazifizierung den Arbeitgebern die Handhabe zugestanden werden, ehemals betroffene Arbeitnehmer wegen Zweifeln an deren Redlichkeit und Loyalität zu kündigen. In diesem Sinne stellte das BAG fest, daß es einem ehemals aktiven NSDAP-Mitglied an den nötigen charakterlichen Eigenschaften und damit an der Eignung fehle, eine leitende Stellung in einem der Allgemeinheit dienenden, lebenswichtigen Betrieb wahrzunehmen 27 . Wenn auch die praktische Relevanz heute wegen des Zeitablaufs nicht weiter gegeben ist, soll dennoch an diesem Beispiel gezeigt werden, wie die ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft die Möglichkeit eröffnet hätte, die Kündigung mit dem Wegfall des Vertrauens und damit der Eignung des betroffenen Arbeitnehmers zu begründen. Denn gerade in einem solchen Fall war nicht die Tatsache kündigungserheblich, daß ein Arbeitnehmer Jahre zuvor der NSDAP beigetreten war, sondern daß das Vertrauen in ihn entfallen war, in einem wichtigen und sicherheitsbedürftigen Bereich mit großer Verantwortung zu arbeiten. Darüber finden sich jedoch keine Anhaltspunkte in der Rechtsprechung. Der Betroffene in der Entscheidung des BAG28 besetzte eine Position, die besonderes Vertrauen voraussetzte. Er arbeitete für städtische Versorgungseinrichtungen und damit an einer bedeutenden Schaltstelle, deren Funktion für die Bevölkerung lebenswichtig war29 . Ein solcher Anstellungsbetrieb ist empfindlich für Sabotage und Erpressung. Allein die sicherheitsbedürftige Natur des Anstellungsbetriebs begründet damit für den Arbeitgeber Vertrauen in die Redlichkeit seiner Arbeitnehmer und ist Grundlage eines konkreten (arbeitsplatzspezifischen) Vertrauenstatbestands. Wegen des gesteigerten Loyalitätsinteresses angesichts der lebenswichtigen Aufgaben für die Allgemeinheit, war dieses Vertrauen auch schutzwürdig. Der Betroffene war überdies in leitender Funktion tätig, womit auch durch seine Position und die Übertragung von Verantwortung ein graduell gewichtiges (positionsimmanentes) Vertrauen in die Festigten. Allerdings mangelte es an der gerichtlichen Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts. Nachdem die Verfahren wegen ihres Umfangs. allein in der amerikanischen Zone 3,5 Millionen, an die deutschen Gerichte übertragen wurden, kamen drei Viertel der Betroffenen in der amerikanischen Zone mit Begnadigungen oder Verfahrenseinstellungen davon. (BelIing. Die Verdachtskündigung, FS für Kissel 1994, S. 11, 17). 26 Vgl. hierzu BAGE 9,85,94 f. 27 BAGE 12, 169 ff. 28 BAGE 12, 169. 29 BAGE 12,169,173.
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keit seines Charakters investiert worden ist. Angesichts der besonderen Stellung des Betroffenen war das Vertrauen in ihn mithin empfindlich und leicht zu erschüttern. Allein der Umstand, daß er ehemals aktives Mitglied der NSDAP gewesen war, konnte daher das Vertrauensverhältnis auch für die Zukunft zerstören. Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die NSDAP war er an Aktionen beteiligt gewesen, die rechtsstaatliche Grundsätze verletzten 3o • Dadurch drängten sich Zweifel auf, ob er willens sei, seine Tätigkeit stets nur unter der Berücksichtigung von Recht und Gesetz wahrzunehmen 3 !. Dieser begründete Vertrauenswegfall und nicht die Parteimitgliedschaft oder das ehemals verübte Unrecht hätten den wichtigen Kündigungsgrund stellen und die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung belegen können. Eine personenbedingte Kündigung wäre wegen Vertrauensverlusts immer dann in Betracht gekommen, wenn eine entsprechende Vergangenheit eines Arbeitnehmers trotz der ungerechtfertigten Bescheinigung seiner Rehabilitierung oder Nichtbetroffenheit später bekannt geworden war. Ein Arbeitgeber durfte sich darauf verlassen, nur unbelastete Arbeitnehmer zu beschäftigen, sein darauf gestütztes Vertrauen wurde durch die alliierten Beschäftigungsverbote untermauert. Bedingung wäre allerdings immer gewesen, daß ein solcher Vertrauenstatbestand im einzelnen Arbeitsverhältnis auch konkret geschaffen wurde. Die folgenden Voraussetzungen hätten vorliegen müssen. Das Arbeitsverhältnis hätte angesichts der alliierten Gesetze in der Regel nicht nur einen einfachen Arbeiter betreffen dürfen. Der Arbeitgeber hätte zunächst klarstellen müssen, keine ehemaligen aktiven Nationalsozialisten beschäftigen zu wollen, um die Richtung und den Inhalt seiner Vertrauensposition dem Arbeitnehmer zu erklären, um auf diese Weise eine konkrete Vertrauensinvestition privatautonom zu tätigen, wenn sie sich nicht bereits aus der Natur des Anstellungsbetriebs ergeben hätte. Dieser Umstand müßte demnach eine Grundvoraussetzung für das Arbeitsverhältnis gewesen sein. Stellte sich sodann eine frühere Belastung oder ein begründeter Verdacht gegen den Arbeitnehmer heraus, hätte der Arbeitgeber klarstellen müssen, daß er darin eine Enttäuschung seines zuvor investierten Vertrauens sieht. Dieses Vertrauen hätte schutzwürdig sein müssen, das heißt, der Arbeitgeber hätte die Verletzung eines schutzwürdigen Interesses geltend machen müssen. Betroffen wäre sein Loyalitätsinteresse gewesen. Dieses hätte den Umstand erfaßt, ehemalige Nationalsozialisten weder beschäftigen zu müssen noch zu dürfen. Angesichts des alliierten Rechts war jeder Arbeitgeber schutzwürdig. Das Loyalitätsinteresse wäre aber überdies noch betroffen gewesen, weil sich aus dem Umstand einen ehemaligen Nazi zu beschäftigen, für den Arbeitgeber weitreichende Konsequenzen hätten ergeben können. Die Sicherheit und der Ruf seines Betriebs, gegebenenfalls die Auftragslage wären gefährdet gewesen, und die Redlichkeit des Betroffenen hätte schlicht in Zweifel gezogen werden können, wenn dieser offensichtlich einem Unrechtsstaat gedient hatte. Auf30 31
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BAGE 12, 169, 173. BAGE 12, 169, 173 f.
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grund dieser Umstände hätte der Arbeitgeber an der Loyalität des Arbeitnehmers zweifeln müssen. Die Schutzwürdigkeit seines Vertrauens in die Unbelastetheit des Arbeitnehmers hätte auch nicht durch weitere Umstände eingeschränkt werden dürfen. Das heißt, er hätte nicht z. B. selber belastet sein dürfen oder blind auf die Unbedenklichkeitsbescheinigung vertrauen dürfen. Ferner hätte sich der Vertrauensverlust auf die Eignung des Arbeitnehmers auswirken müssen, was bei der engen Zusammenarbeit in einem kleinen Betrieb stets zu bejahen gewesen wäre oder bei einem notwendigen Kundenkontakt oder bei besonders verantwortungsvollen Aufgaben des Arbeitnehmers. Angesichts einer solchen Vertrauensenttäuschung wäre die Eignung des betroffenen Arbeitnehmers wegen begründeter Zweifel an seiner Redlichkeit regelmäßig entfallen. Die Kündigung wegen Vertrauensverlusts hätte also auch neben den Denazifizierungsmaßnahmen Anwendung finden können und vor allem jene Fälle erfassen können, die von den alliierten Maßnahmen verschont geblieben waren. Es fragt sich vor diesem Hintergrund, warum ein Sonderkündigungsrecht geschaffen wurde und nicht auf das Kündigungsrecht des § 626 BGB zurückgegriffen wurde. Hier sind zwei Punkte von Bedeutung. Zum einen die Flut der auf die Nazi-Vergangenheit gestützten Kündigungen, zum anderen die mangelnde Erwartung, daß die privaten und öffentlichen Arbeitgeber in eigener Verantwortung diskreditierte Arbeitnehmer entlassen. Der Gesetzgeber hat jeweils von sich aus die Entscheidung getroffen, daß ein Arbeitnehmer mit der entsprechenden Vergangenheit die Eignung für bestimmte Berufe verliert. Ob der einzelne Arbeitgeber das ebenso gesehen hätte, blieb unberücksichtigt. Mit einer solchen gesetzlichen Vorgabe, daß per se den nationalsozialistisch belasteten Arbeitnehmern die Eignung für ihre Tätigkeit abgesprochen wurde, ist unter der veränderten Wertordnung ein abstrakter Vertrauens- oder vielmehr Mißtrauenstatbestand geschaffen worden. Darin liegt ein Beleg für die Wandelbarkeit des Kündigungsrechts in der Zeit, der auch auf die Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB Auswirkungen hatte. Diese Regelung hätte nach den hier gewonnen Kenntnissen die Kündigung aus dem Grund zugelassen, daß einem Arbeitnehmer mit nationalsozialistischer Vergangenheit nicht mehr vertraut werden konnte, ein verantwortungsvolles Arbeitsverhältnis unter einer demokratischen Wertordnung zu besetzen. Daß politische Gründe auf das Vertrauen in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis einwirken können und sodann über die Kündigung nach § 626 BGB verfahren werden kann, trat gegenüber dem Sonderkündigungsrecht jedoch in den Hintergrund.
IH. Die KPD-Zugehörigkeit als Kündigungsgrund nach dem Verbot der Partei
Wer sich in einem demokratischen Staat als aktiver Kommunist gegen das herrschende System stellt und sich sogar offen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung äußert, erscheint ungeeignet, in solchen Bereichen zu arbeiten, in
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denen die Sicherheit des Staats und seiner Einrichtungen von besonderer Bedeutung ist. Niemand würde ihm vertrauen und ihn in einer militärischen Anlage arbeiten lassen, oder in einer Behörde, die der Geheimhaltung wichtiger Daten bedarf aber z. B. auch nicht in einem sensiblen Versorgungsunternehmen, wie einem Kernkraftwerk 32 . Es liegt nah, daß an der Loyalität eines derart belasteten Arbeitnehmers in sensiblen Anstellungsbereichen gezweifelt werden kann. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn im Laufe des Arbeitsverhältnisses der Umstand bekannt wird, daß ein Arbeitnehmer überzeugter Kommunist ist. Nach der politischen Wendezeit in Osteuropa erscheint diese Frage heute weniger brisant als in der Zeit des "Kalten Kriegs", doch bietet gerade die Rechtsprechung aus jener Zeit Anlaß, darin einen Anwendungsbereich für die Kündigung wegen Vertrauensverlusts zu sehen. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde zunehmend die politische Tätigkeit für die KPD kündigungsrelevant. Die Mitglieder der KPD waren zunächst noch als Verfolgte des Naziregimes und oppositionelle Gruppe geachtet. In dieser Zeit wurde die KPD-Mitgliedschaft von den Gerichten als Kündigungsgrund für den öffentlichen Dienst abgelehne 3 . Mit Verbot der Partei durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 änderte sich jedoch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte. Die politische Betätigung als Kommunist war anläßlich des "Kalten Kriegs" gefährlich für die westlich orientierte junge Demokratie und rechtfertigte die außerordentliche Kündigung. Die Staatsfeindlichkeit eines Arbeitnehmers wurde schon durch seine Zugehörigkeit zur KPD indiziert, erst recht in seiner entsprechenden parteipolitischen Betätigung 34 gesehen und als außerordentlicher Kündigungsgrund herangezogen 35 . Im Verbot der Partei wurde von staatlicher Seite ein Mißtrauenstatbestand geschaffen, der generell den Parteimitgliedern die Eignung zur Integration in das demokratische Spektrum der politischen Parteienlandschaft absprach. Anders als durch das Beschäftigungsverbot fur ehemalige Nationalsozialisten, folgte daraus noch keine Wertung für die Eignung eines KPD-Mitglieds in einem Arbeitsverhältnis. Diese Wertung hatte allerdings Bedeutung für Arbeitsverhältnisse in staatlichen Behörden oder privaten Betrieben, welche eine tragende Rolle für die Sicherung und die ständige Entwicklung demokratischer Strukturen in Deutschland überantwortet bekommen hatten. Die gleiche Frage stellte sich ferner bei der lange noch im Westsektor Berlins zugelassenen SED. So erachtete das Bundesarbeitsgericht 36 die im Jahr 1947/48 32 Vgl. auch BAGE 12, 169 ff., bzgl. eines ehemals aktiven Mitglieds der NSDAP in leitender Funktion bei städtischen Versorgungswerken. 33 LAG Hamburg, ARSt. XII, Nr. 51 sowie ARSt. XV, Nr. 51; ArbG Bad Kreuznach, ARSt. VII, Nr. 688; ArbG Kaiserslautern, ARSt. XI, Nr. 655. 34 So z. B. LAG München, Urt. v. 24.04.51 - 1213/50, BB 1951, S. 701; vgl. auch BAG, Urt. v. 23. 02. 61-2 AZR 187/59, AP Nr. 9 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 35 V gl. zusammenfassend König, Zur näheren Bestimmung des wichtigen Grundes bei der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, RdA 1969, S. 8. 9. 36 BAG AP Nr. 3 zu § I KSchG Sicherheitsbedenken (v. 28. 2.1963).
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
abgegebene Erklärung, der SED beizutreten, falls sie im Westen Deutschlands zugelassen werde, fünfzehn Jahre später als Grund, um das Arbeitsverhältnis mit einem Platzmeister auf einem Schießplatz der Bundeswehr wegen Sicherheitsbedenken zu kündigen. Das BAG führte als entscheidend an, daß die Kinder und die geschiedene Ehefrau in der damaligen SBZ (sowjetisch besetzten Zone) lebten und er sich vor 15 Jahren einmal der SED verpflichtet hatte. Zwar reiche etwa der Umstand, Verwandte in der SBZ zu haben, alleine nicht aus 37 , doch habe die Vergangenheit des Betroffenen eine "gewisse Geschmeidigkeit" seines Charakters gezeigt, die in seiner Position ein Sicherheitsrisiko darstelle, zumal er die ideale Kontaktperson abgeben würde. Monjau 38 bemängelte im Anschluß an Herschel diese Begründung. Das potentielle Interesse eines ausländischen Nachrichtendiensts könne keine objektive Tatsache für die geäußerten Sicherheitsbedenken liefern. Dem ist zuzustimmen. Angesichts der Bedenken, die gegen seine Person gehegt wurden, hätte es vielmehr nahe gelegen, seine Eignung in Frage zu stellen, weil er nicht länger vertrauenswürdig erschien. Mit Einschränkung richtig will Monjau ausschließen, daß jemand, der mit Staats- und Betriebsgeheimnissen zu tun hat, bereits deshalb entlassen darf, weil sein Privatleben nicht in Ordnung sei, um auf diese Weise "Schnüffelei und dem Denunziantentum,,39 auszuschließen. Aber gerade solche Umstände können das Vertrauen in einen Arbeitnehmer entfallen lassen, der seine Arbeit ansonsten anstands frei verrichtet und im Betrieb selbst nicht auffällig geworden ist. Stellt man allein darauf ab, ob der betreffende Arbeitnehmer seine Eignung verliert, weil ihm nicht mehr vertraut werden kann, so klären sich einige Zweifel an der genannten Kündigung auf. Zunächst handelte es sich um ein sicherheitsbedürftiges und damit besonders vertrauensbedürftiges Anstellungsverhältnis. Das Vertrauen, daß der Arbeitnehmer die Sicherheit nicht gefährdet, ist schutzwürdig, weil der Arbeitgeber darauf ein tätigkeitsspezifisches Loyalitätsinteresse besitzt. Es umfaßt die absolute Abschirmung des Betriebs gegenüber potentiellen Feinden der Verfassung und potentiellen militärischen Gegnern. Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers ist daher besonders groß und besonders leicht zu erschüttern, auch durch minder gewichtige objektive Tatsachen. Eine solche ist die Verwandtschaft in der SBZ. Das Vertrauen aber, keine Verwandtschaft in der SBZ zu haben, ist nicht schutzwürdig, weil dieser Umstand angesichts der Teilung Deutschlands zufällig war und auch nicht vom Arbeitnehmer (vertragswidrig) verschwiegen wurde. Die Geschmeidigkeit des Charakters bietet dagegen Anlaß, an der Eignung des Arbeitnehmers zu zweifeln und die Sicherheit des Betriebs in Frage zu stellen. Dieser allein subjektive Eindruck hätte aber durch objektive Tatsachen belegt werden müssen. Lediglich die Erklärung, der SED beitreten zu wollen, war kein objektiver Anhaltspunkt für einen Vertrauensverlust, weil sie unter dem Vorbehalt stand, daß diese im übrigen Deutschland zugelassen werde. Es So hatte immerhin die Vorinstanz geurteilt. Monjau, Kündigung aus Sicherheitsbedenken, FS für Hans earl Nipperdey zum 70. Geburtstag, S. 403 ff. 39 Monjau, a. a. 0., S. 403. 37
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hätte weiterer objektiver Tatsachen bedurft, um dem Betroffenen die Eignung abzusprechen. Grundsätzlich ist das Vertrauen daß ein Arbeitnehmer in einem sicherheitsbedürftigen Betrieb einen standfesten Charakter benötigt, aufgrund des besonderen Loyalitätsinteresses schutzwürdig. Angesichts der Bedenken, die gegen die Person dieses Platzmeisters gehegt wurden, hätte es nahe gelegen, ihm das Vertrauen zu entziehen, weiterhin für einen sicherheitsbedürftigen Betrieb zu arbeiten, was aber unter diesem Aspekt nicht betrachtet wurde. Somit fehlt es im vorliegenden Fall zwar nicht an einem schützenswerten Vertrauenstatbestand, doch fehlt es an einer objektiv nachvollziehbaren Vertrauensenttäuschung, eine personenbedingte Kündigung wegen Vertrauensverlusts wäre in diesem Einzelfall nicht begründet gewesen. Anders wäre der Fall zu beurteilen gewesen, wenn sich der Betroffene trotz seiner sicherheitsbedürftigen Stellung noch zum Zeitpunkt der Kündigung mit den Zielen der SED identifiziert oder weiterhin Kontakt zur SED in der ehemaligen DDR aufrechterhalten hätte. Dann hätte ihm nachvollziehbar nicht mehr vertraut werden können, daß er sich wegen der angespannten Situation in der Phase des Kalten Kriegs loyal gegenüber der Bundeswehr verhalten hätte. Weitere objektive Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Loyalität hätten häufige Reisen in die ehemalige DDR darstellen können, sofern sie nicht nur aus familiären Motiven unternommen wurden oder eine geschwächte Persönlichkeitsstrukur, wie sie sich in Drogen- oder Spielsucht oder irgendeiner Form von Erpreßbarkeit ausprägen könnte. Radikale politische Bekenntnisse können in Zeiten angespannter politischer Verhältnisse in sensiblen Tätigkeitsbereichen das Vertrauen in einen Arbeitnehmer entfallen lassen, sofern sie unmittelbar seine Eignung in Frage stellen. Voraussetzung ist jedoch stets, daß der Vertrauensverlust aufgrund objektiver Tatsachen nachvollziehbar ist und nicht allein auf subjektiven Empfindungen des Arbeitgebers beruht. IV. Die sonstigen Fälle linksextremer Betätigungen
Das Mißtrauen gegenüber kommunistisch eingestellten und aktiven Arbeitnehmern richtet sich nunmehr gegen die Nachfolgeparteien der ehemaligen KPD und wird bis heute thematisiert4o . Die Spruchpraxis der deutschen Gerichte verfährt jedoch anders als bei den KPD-Kündigungen mittlerweile restriktiv im Umgang mit politisch bedingten Eignungsmängeln. Die bloße Mitgliedschaft in der DKP oder die Kandidatur bei Wahlen, die bloße Annahme eines Ratsmandats sind nach der Rechtsprechung des BAG unzureichende Nachweise eines personenbedingten Kündigungsgrunds, wenn sie auch Indizien für die fehlende Bereitschaft zur Ver40 Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich bereits mit der Frage befaßt, ob die Entlassung deutscher Beamter bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung außerhalb des Diensts geboten ist. Der EGMR hat sich dabei kritisch zu der starken Einschränkung politischer Aktivität bei Bediensteten im deutschen Öffentlichen Dienst geäußert, NJW 1996, S. 375.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
fassungstreue darstellen 41 • Dem ist insoweit zu folgen, als daß es keinen abstrakt schützens werten Vertrauenstatbestand gibt, dahingehend daß ein Arbeitnehmer nicht für eine linksradikale Partei tätig wird. Insbesondere die persönliche politische Ansicht des Arbeitgebers kann nicht einseitig für die einzig richtige erklärt werden42 . Ein solcher abstrakter Vertrauenstatbestand wäre erst schützenswert, wenn eine Partei, entsprechend des Vorgehens bei der KPD, als verfassungswidrig verboten würde bzw. vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft würde. Daher folgen allein aus der aktiven Mitgliedschaft in der DKP oder auch im MSBSpartakus noch keine ernsthaften Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit eines Arbeitnehmers, sofern das keine konkreten Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat43 . Ein konkreter Vertrauenstatbestand entsteht aber dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien gerade die Mäßigung bezüglich politischer Aktivitäten, die Verfassungstreue oder eine bestimmte Tendenzhaltung dem Arbeitsverhältnis zugrundegelegt haben oder davon aufgrund der typischen Aufgaben des Arbeitnehmers notwendig ausgegangen werden muß. Das Vertrauen in die Unterlassung extremer politischer Betätigung muß also zuvor investiert worden sein. Es kann in die Art und Weise der Ausführung der Tatigkeit selbst investiert werden oder in außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers. Sowohl die Tätigkeit selbst, als auch das außerdienstliche Verhalten betrifft z. B. das Gebot der Zurückhaltung bei politischer Betätigung im öffentlichen Dienst gemäß § 8 Abs. I Satz I BAT. Damit wird ein Vertrauenstatbestand für Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst konkret vorgegeben, ohne daß es im einzelnen der besonderen vertraglichen Ausgestaltung bedarf. Dieser Vertrauenstatbestand ist darauf ausgerichtet, daß ein Arbeitnehmer etwa nicht für die DKP, überhaupt für politisch radikale Parteien tätig sein darf, daß er keine Parteipropaganda betreiben, Plaketten tragen darf usw. Für die Privatwirtschaft kann dagegen z. B. aus den Besonderheiten des Anstellungsbetriebs ein solcher konkreter Vertrauenstatbestand vorgezeichnet werden, ohne daß es seiner vertraglichen Ausgestaltung bedarf. So wird z. B. von einem Redakteur einer tendenziell konservativen Tageszeitung erwartet, daß er seine Stellung nicht benutzt, um über die Zeitung linksradikale Propaganda zu betreiben oder das auch außerbetrieblich etwa in öffentlichen Fernsehauftritten zu tun und damit die Glaubwürdigkeit der Zeitung in Frage zu stellen. Ein konkreter Vertrauenstatbestand zum Unterlassen linksradikaler Betätigung kann auch aus besonderen Loyalitätserwartungen des Arbeitgebers folgen. Das ist insbesondere der Fall, wenn es um eine Anstellung in einem besonders sicherheitsbedürftigen Betrieb geht. Einer Putzfrau im Innenministerium, einem Platzwart bei der Bundeswehr, einem Arbeiter in einer Waffenfabrik, einem Pförtner in einem Atomkraftwerk, einem Mitarbeiter der Luftverkehrsüberwachung oder einem Computerprogrammierer bei einer Bank muß vertraut werden können, daß er sich stets seinem Arbeitgeber und dessen siBAG, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. So wie es Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 82 ff., 91 m. w. N., angemein für die sittlichen Ansichten des Arbeitgebers bestimmt hat. 43 BAG EzA Nr. 12 zu Art. 33 GG. 41
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cherheitsbedürftigen Aufgaben gegenüber besonders loyal verhält und keiner Organisation oder Partei angehört, zu deren Zielen es gehört, diesen Aufgaben entgegenzuarbeiten. Das Vertrauen, daß der Arbeitnehmer den Aufgaben des Anstellungsbetriebs nicht entgegenarbeitet oder dessen Sicherheitsbedürfnis gefährdet, ist in diesen Fällen schutzwürdig, weil es das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers betrifft. Dieses um faßt nicht nur das Interesse, daß der Betrieb selbst oder Dritte oder öffentliche Belange durch die Arbeitnehmer nicht geschädigt oder gefährdet werden, sondern auch den Ruf und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens in der Öffentlichkeit. Wer als DKP-Mitglied Parteiblätter verteilt, die den eigenen Arbeitgeber in der Öffentlichkeit diskriminierend herabsetzen, verliert deshalb das Vertrauen in seine Loyalität44 . Je stärker dabei das Potential ist, mit dem der Arbeitnehmer auf das Loyalitätsinteresse einwirken kann, desto schutzwürdiger erscheint das in den Arbeitnehmer investierte Vertrauen und desto leichter ist es zu enttäuschen. Je nach der Verantwortung, der hierarchischen Stellung des Arbeitnehmers und des mit ihm verbundenen Sicherheitsrisikos variiert damit der Grad des in ihn investierten Vertrauens. So macht es z. B. einen Unterschied, ob ein Lehrer, der für eine linksradikale Partei kandidiert, seine Tätigkeit selbstverantwortlich und ohne Kontrolle ausführen kann, oder ob er sich noch unter der Aufsicht eines Ausbilders im Vorbereitungsdienst befindet. Im letzteren Fall sind, nicht zuletzt wegen der wesentlich geringeren Möglichkeit der Beeinflussung der Schüler, geringere Anforderungen an die politische Zurückhaltung und die Verfassungstreue des Lehrers zu stellen45 . Sofern die Betätigung für eine linksradikale Partei oder Organisation auf diese Weise die Verletzung eines schützenswerten Vertrauenstatbestands bedingt, ist im Hinblick auf die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung danach zu fragen, ob damit auch wichtige Gründe in der Person eines Arbeitnehmers gegeben sind, die eine Kündigung rechtfertigen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn der Arbeitnehmer etwa durch eine Kandidatur für die DKP die Eignung für die wahrzunehmenden arbeitsmäßigen Funktionen verliert46 • Seine weitere Eignung kann dann verneint werden, wenn seine politische Haltung im krassen Gegensatz zu dem in ihn investierten schutzwürdigen Vertrauens steht. Einem Lehrer wird vertraut, daß er die Grundwerte der Verfassung den Schülern glaubhaft vermitteln kann. Dem widerspricht es, wenn er gleichzeitig für eine Partei kandidiert, die sich offen gegen diese Grundwerte stellt. Dann läßt nicht die Kandidatur als solche die Eignung des Lehrers entfallen, sondern das in ihn investierte Vertrauen, den Schülern im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung ein Vorbild sein zu können. Die weitere Beschäftigung des vertrauensunwürdigen Arbeitnehmers ist generell für den Arbeitgeber unzumutbar. Im Einzelfall kann jedoch die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gegeben sein, wenn z. B. durch eine Versetzung, eine zumutbare Kontrolle oder durch eine mittlerweile erfolgte Distanzierung des Arbeitnehmers, die Bedenken hinsichtlich des Loyalitätsinteresses des Arbeitgebers 44
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Zur Kündigung eines Bankangestellten, BAG AP Nr. 2 zu § 134 BGB. BAG EzA Nr. 12 zu Art. 33 GG. BAGE 31, 40.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
ausgeräumt werden können oder wenn eine Abmahnung Erfolg verspricht. So obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber vor einer Kündigung z. B. wegen einer DKP-Kandidatur, das individuelle Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers dahingehend zu ergründen, ob er sich von den verfassungsfeindlichen Zielen der DKP distanziert47 . Von der radikalen, d. h. sich in den Grenzen der Verfassung bewegenden, diese nur weit ausdehnenden, politischen Betätigung ist jede Form des politischen Extremismus zu unterscheiden. Die politisch extremistische Betätigung setzt sich bewußt über die Grenzen der Verfassung hinweg und steht damit insgesamt im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung48 . Eine besondere Form linksextremistischer Betätigung ist der passive, politische Extremismus, wie das Sympathisieren, vor allem mit terroristischen Verbindungen. Seit den Aktionisten der Roten Armee Fraktion (RAp49) mit der Auflösung der DDR eine sichere Zufluchtsstätte genommen war, verschwindet allerdings auch deren Bedeutung5o • Wer sich öffentlich als Sympathisant von Terroristen oder extremen Parteien darstellt, verliert gleichermaßen seine Vertrauenswürdigkeit, wie ein aktives Mitglied, weil er jedenfalls die Überzeugung mit diesen teilt. Auch wenn er noch keine durch die Überzeugung motivierten Handlungen begangen hat, kann das Vertrauen in seine Loyalität entfallen. Ebenso, wie bei der Betätigung für eine linksradikale Partei wird es im Einzelfall auf seinen konkreten Tatigkeitsbereich und auf den Grad und die Schutzwürdigkeit des in ihn investierten Vertrauens ankommen. Je leichter das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers verletzt oder gefährdet werden kann, desto eher kann auch die bloße öffentliche Sympathiebekundung für eine terroristische Organisation das Vertrauen in einen Arbeitnehmer entfallen lassen. Wer sich z. B. öffentlich mit den Zielen der RAF identifiziert, verliert das Vertrauen in seine Eignung als Arbeiter in einer Waffenfabrik oder als Bankangestellter, weil es unter anderem zu den selbstbestimmten Aufgaben der RAF gehört, den bewaffneten Widerstand gegen den Staat zu üben und etwa Banken als Grundpfeiler des Kapitalismus zu schädigen. Wird er dagegen als Tischler in einer Schreinerei beschäftigt, wird trotz seines Bekenntnisses zu terroristischen Zielen nicht an seiner Eignung für seine Tätigkeit zu zweifeln sein. Sofern sich keine konkreten Auswirkungen auf das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers ergeben, ist die bloße Bekundung einer Gesinnung und das öffentliche ,,Mitläufertum" für das Arbeitsverhältnis irreBAG, AP Nr. 24 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. Ministerium des Innem des Landes Brandenburg, Referat "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Scientology - Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Oktober 1997. S.6. 49 Die 1970 gegründete Rote-Armee-Fraktion wollte als "Stadtguerilla" den Vietnamkrieg in die Metropolen tragen. DIE ZEIT Nr. 19/1997. Zeitgespräch mit Horst Mahler. so Eine Umfrage von 1972 ergab. daß nur 28% der Befragten die Gruppe für Kriminelle hielt. 40% (18 Millionen Bundesbürger) dagegen rur politisch Handelnde. Etwa 14% schlossen nicht aus. den RAF-Mitgliedern einmal Unterschlupf zu gewähren und 6% nannten sich ausdrücklich potentielle Helfer der RAF (DIE ZEIT a. a. 0.). 47
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levant. Eine solche Äußerung stellt noch nicht die Bereitschaft des Arbeitnehmers in Frage, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen 51 .
v. Die Kündigung wegen Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit Die Wiedervereinigung Deutschlands sah sich der Altlast des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bzw. seiner Nachfolgeeinrichtung ANS (Amt für Nationale Sicherheit)52 ausgesetzt. Bei Erlaß des Einigungsvertrags stand fest, daß die ehemalige Tätigkeit für das MfS von Angehörigen des öffentlichen Diensts mit dem Rechtsstaat unvereinbar war und für sie diese Fälle die außerordentliche Kündigung vorgesehen 53 . Die Rechtfertigung lag in den unmenschlichen und kriminellen Machenschaften dieser Institution und wurde daher teilweise, wie bei der Denazifizierung, von dem Sühnegedanken getragen. Die Tätigkeit des MfS war zwar keine parteipolitische Betätigung der SED im engeren Sinne54 . Denn das MfS war formell ein Organ des Ministerrats und auch ein ausschließliches Herrschaftsinstrument der SED zur Durchsetzung ihrer Politik55 . Doch lag immerhin das Schwergewicht der Tätigkeit im politischen Bereich. Das Besondere am MfS war, daß die Mehrzahl seiner Angehörigen keine angestellten Mitarbeiter waren, sondern sich als "inoffizielle Mitarbeiter" aus allen Schichten der Bevölkerung rekrutierten 56. Deren Arbeit für die Stasi erfolgte meistens freiwillig 57 und entgeltlos58 . Gelegentlich gab es geringe Anerkennungen 59 . Es ging dem MfS nicht alleine um die absolute informelle Kontrolle über die Bürger der DDR, sondern auch um die repressive Unterdrückung der Regimegegner. Zur Beseitigung unerwünschter "Objekte" war selbst Mord ein legitimes Miuel 60 , die Opfer auch in der Bundesrepublik "li51 Es ist nicht ausgeschlossen, daß nunmehr nach dem Ende des kalten Kriegs zukünftig der Makel der Verfassungsfeindlichkeit von kommunistischen Parteien angesichts ihrer verschwindend geringen Bedeutung wieder abfällt und wiederum Kündigungen weniger von linksextremem politischem Engagement getragen werden. 52 Seit dem Oktober 1989 nach dem Führungswechsel in der damaligen DDR. 53 Einigungsvertrag: Kap. XIX Sachgebiet A: Abschnitt III Nr. 1 Abs. I Satz I. 54 Vgl. auch BAG, Urt. v. 11. 06. 92-8 AZR 537/91 (n. v.). 55 LAG Berlin, LAGE Art. 20 EinigungsV Nr. I, S. 1,3; Scholz, Fristlose Kündigung im öffentlichen Dienst wegen Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS), BB 1991, S. 2515, 2516. 56 DER SPIEGEL 36/1992, S. 38,44. 57 Schell 1 Ka1inka, Stasi und kein Ende - die Personen und Fakten, 1991, S. 386; Scholz, a. a. 0., S. 2515, 2517. 58 Vgl. Künzl, Aspekte des Kündigungsrechts in den neuen Bundesländern, AuR 1992, S. 204, 209; Scholz, a. a. 0., S. 2515, 2518. 59 Das waren meistens kleine Werte, z. B. Blumen für 11,- Mark oder kleine Sachgeschenke, vgl. BAGE 74, 257 ff. 60 DER SPIEGEL 24/1992, S. 34 ff.
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quidiert,,61. Große Teile der Führung des MfS verstanden solche Verbrechen als geheimdienstliche Aufgaben und zeichneten die Tater dafür aus 62 . Dieser Hintergrund erklärt, daß viele Arbeitgeber das Vertrauen in einen Arbeitnehmer verlieren, von dessen ehemaliger MfS-Tatigkeit sie erfahren. Die Motive dafür sind vielfältig. Dabei kann das persönliche Schicksal des Arbeitgebers ursächlich sein, seine politische Einstellung, die Angst vor neuen Seilschaften aber auch die Befürchtung, daß durch den betroffenen Mitarbeiter der Ruf seines Betriebs geschädigt wird. Im Hinblick auf die Kündigung von offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern ist von Bedeutung, daß der Einigungsvertrag ein Sonderkündigungsrecht für die Betroffenen im öffentlichen Dienst geschaffen hat, nicht aber für die Privatwirtschaft. Im weiteren soll daher untersucht werden, ob bei den MfS-belasteten Arbeitnehmern neben, bzw. über das Sonderkündigungsrecht hinaus, Kündigungen wegen Vertrauensverlusts in Frage kommen.
1. Das Sonderkündigungsrecht in An/. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. II Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrags
In An\. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. 11 Nr. lAbs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages ist ein außerordentliches Kündigungsrecht gegen Arbeitnehmer geregelt, die für das frühere MfS / ANS tätig waren und deshalb für den öffentlichen Dienst untragbar sind. Die Regelung dient als Handhabe gegen politisch vorbelastetes Personal, selbst wenn eine Kündigungsmöglichkeit bereits aus den allgemeinen Kündigungsbestimmungen folgt 63 . Es wurde die Gefahr gesehen, daß sich eine Anwendung der allgemeinen Kündigungsbestimmungen als unzureichend erweisen könnte 64 • Der Bestimmung kommt damit eine Sicherungsfunktion zu. Die überzeugende Ansicht vertritt, daß die Regelung des EV das Kündigungsrecht nach § 626 BGB nur konkretisiere 65 • Das bedeutet, daß der Regelung keine verdrängende Wirkung gegenüber den sonstigen personenbedingten Kündigungstatbeständen zukommt66 . Im Gegenteil geht die im Einigungsvertrag enthaltene Regelung weiter DER SPIEGEL 24/ 1992, S. 34 ff. DER SPIEGEL 24/ 1992, S. 34 ff.: mit Geld und Ordensverleihungen. 63 LAG Berlin, LAGE Art. 20 EV Nr. I, S. 9 allerdings mit m. E. unzutreffender Schlußfolgerung; vg!. auch Weiß, PersV 1991, S. 97,118. 64 Weisemann, Die arbeitsrechtliche Relevanz der Stasi-Mitarbeit, AuA 1992, S. 296, 297 und im Ergebnis auch Lansnicker / Schwiertzek, Ehemalige Mitarbeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit im öffentlichen Dienst - Weiterbeschäftigung und Übernahme ? MDR 1991, S. 202, 203. 65 Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11,29 f. 66 MünchKomm / Säcker / Oetker, Ergänzungsband, Einigungsvertrag, Rdnr. 1008; Stahlhacke / Preis, Rdnr. 1380; Dörner / Widlak, Das Arbeitsrecht im Einigungsvertrag, NZA 1991, Beilage I, S. 43, 53; Preis, Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer, Personalrat 1991, S. 201, 203; Die Gegenmeinung sieht in Nr. lAbs. 5 Ziff. 2 An!. I EinigungsV dagegen eine Sonderregelung, die aus Gründen der 61
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als das Kündigungsrecht aus § 626 BGB. Denn nach dem Einigungsvertrag muß sich nämlich die bei einer außerordentlichen Kündigung immer67 erforderliche Interessenabwägung bei nachgewiesener Stasi-Tätigkeit regelwidrigerweise 68 auch vergangenheitsorientiert ausrichten 69 . Bezeichnend ist, daß Abs. 5 lediglich die Voraussetzungen nennt, bei denen ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung .. insbesondere" vorliegt. Die Entstehungsgeschichte der Norm, insbesondere ihre Sicherungsfunktion, spricht für die Zulassung auch der allgemeinen Kündigung. Die ausdrückliche Regelung der Kündigung wegen Stasi-Tätigkeit für den öffentlichen Dienst soll in erster Linie dem dringenden Bedürfnis nach dem schnellen Aufbau einer rechtsstaatlichen und vertrauenswürdigen Verwaltung dienen 70 . Weil dies aber wegen der hier untersuchten und beschriebenen Typologie des Kündigungsrechts nach § 626 BGB kein abstrakter wichtiger Kündigungsgrund an sich sein kann, bedurfte es der Schaffung eines eigenen Kündigungstatbestands im Einigungsvertrag. Dieser regelt eindeutig, daß die MfS-Tätigkeit ein wichtiger Grund zur Kündigung ist. Grundsätzlich hätte die Charakterisierung der MfS-Tätigkeit als wichtigen Grund auch richterrechtlich erfolgen können. Jede gesellschaftliche bzw. politische Veränderung könnte auch für das Kündigungsrecht sowohl gesetzesrechtlich als auch richterrechtlich gelöst werden71. Eine Rechtsprechung, die jedoch bisher voraussetzte, daß es absolute Kündigungsgründe im Rahmen von § 626 BGB nicht gibt, konnte dem Erfordernis nach "Bereinigung" des öffentlichen Dienstes, ohne legislative Vorgabe nicht gerecht werden. 2. Die MjS / ANS-1ätigkeit als wichtiger Grund für eine eignungsbedingte Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB
Die im Einigungsvertrag geregelte außerordentliche Kündigung kann wegen ihrer Spezialität für öffentliche Dienstverhältnisse auf die privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnisse nicht übertragen werden. Weil deshalb für die Privatwirtschaft Spezialität § 626 BGB ausschließt. Dem ist das BAG gefolgt und hat daraus den Schluß gezogen, daß die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB auf diese Kündigung unanwendbar sei. Aufschluß gibt zunächst der Wortlaut der einigungsvertraglichen Bestimmung. Nach der einleitenden Formulierung konkretisiert Abs. 5 das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grunds und das der Zumutbarkeit. Damit sind nur zwei von mehreren Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 BGB genannt. 67 Absolute Kündigungsgründe sind dem geltenden Kündigungsrecht fremd, vgl. BAG EzA Nr. 95 zu § 626 BGB nF; KR-Hillebrecht § 626 BGB Rdnr. 55, wenn auch Kündigungsgründe in der Hinsicht katalogisiert wurden, daß sie an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden. 68 BAG, Urt. v. 11. 06. 1992-8 AZR 537/91 (n. v.). 69 ähnlich z. B. BAG, Urt. v. 11. 06.1992-8 AZR 537/91 (n. v.); eine vergangenheitsorientierte Abwägung befürwortet auch LAG Berlin, NZA 1992, S. 264, 265. 70 Schimmelpfennig, Der öffentliche Dienst der früheren DDR im Übergang, PersVG 1990, S. 469. 71 Vgl. allgemein zur Methodik Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV S. 145.
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die ehemalige Stasi-Tätigkeit kein wichtiger Grund an sich sein kann, kommt es immer auf eine Einzelfallabwägung an. Dabei ist Ausgangspunkt einer Abwägung, wie sehr ein Arbeitnehmer durch eine ehemalige Stasi-Tätigkeit belastet ist, sodann ist zu klären, wie sich dieser konkretisierte Vorwurf auf das betroffene Arbeitsverhältnis auswirken kann. Teilweise nimmt die Literatur ohne nähere Erläuterung72 eine Kündigungsmöglichkeit nach den allgemeinen Kündigungsbestimmungen an. Das würde bedeuten, die Stasi-Tätigkeit sei generell geeignet, einen wichtigen Grund gemäß § 626 BGB darzustellen. Weisemann sieht darin insbesondere einen betriebsbedingten Kündigungsgrund73 . Indem versucht wird, die frühere Stasi-Tätigkeit auch im Sinne von § 626 BGB zu einem wichtigen Grund zu stilisieren, werden allerdings anerkannte Prinzipien des Kündigungsrechts verletzt. Die Bewertung eines Kündigungsgrunds hat zukunftsbezogen zu erfolgen 74. Dagegen ist die StasiTätigkeit jedes ehemaligen Mitarbeiters ein seit 1989 abgeschlossenes und vergangenes Ereignis. Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, daß die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern erst nach der politischen Wende 1989 begründet wurden. Ein Grund zur außerordentlichen Kündigung kann sich aber regelmäßig nur dadurch verwirklichen, daß die kündigungsrelevante Störung im Verlauf des jeweiligen Arbeitsverhältnisses auftritt 75. Ist das der Fall, ist es unerheblich, ob das Fehlverhalten zeitlich während des bestehenden Arbeitsverhältnisses stattgefunden hat oder bereits vor dessen Beendigung abgeschlossen war, bzw. während das Arbeitsverhältnis ruhte 76 . Allein die Tatsache, daß die Stasi-Tätigkeit eines Arbeitnehmers häufig vor Begründung des bestehenden Arbeitsverhältnisses abgeschlossen war, kann daher nicht gegen das Vorliegen eines wichtigen Grunds sprechen, sofern konkrete Auswirkungen auf das heutige Arbeitsverhältnis feststellbar sind. Daß die Regelung der Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Anl. I EinigungsV generell die Stasi-Tätigkeit als ein der Vergangenheit angehörender Vorgang als wichtigen Grund definiert77 , erklärt schon deshalb diese Vorschrift zu einer Ausnahmeregelung. Eine derartige vergangenheitsorientierte Kündigung ist allerdings nicht per se unzulässig. Eine außerordentliche Kündigung ist immer möglich, wenn ein genereller Kündigungssachverhalt schon vor oder bei Abschluß des Arbeitsvertrags vorlag. Es wird allgemein anerkannt, daß der Arbeitgeber dann nicht nur ein Anfechtungsrecht hat, sondern auch außerordentlich kündigen darf. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein Anfechtungsgrund gegeben ist, der so stark nachwirkt, daß für den Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist78 . Stahlhacke/Preis, Kündigung, Rdnr. 1374; Weiß, PersV 1991, S. 97,119. Weisemann, Die arbeitsrechtliche Relevanz der Stasi-Mitarbeit, AuA 1992, S. 296, 298. 74 Herschel, Gedanken zur Theorie des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes, FS Müller, S. 191,202; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 322 ff. 75 Vgl. BAG, Urt. v. 11. 06. 1992-8 AZR 537/91 (n.v.). 76 KR-Hillebrecht, § 626 BGB, Rdnr. 91 g. 77 Vgl. Z. B. LAG Brandenburg, DB 1993, S. 176, 177. 78 BAG, EzA Nr. 5 zu § 119 BGB; vgl. auch KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rdnr. 104 sowie Staudinger/Preis § 626, Rdnr. 9,125. 72
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3. Der Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer wegen der ehemaligen 'Ritigkeit für das MfS als wichtiger Grund nach § 626 BGB
Die frühere Stasi-Tätigkeit eines Arbeitnehmers stellt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB dar, wenn sie das aktuell bestehende Arbeitsverhältnis konkret und nachhaltig beeinträchtigt, indem sie das Vertrauensverhältnis zerstört. 79
a) Das berechtigte Mißtrauen gegenüber Mitarbeitern wegen deren ehemaliger Tätigkeit für das MfS Obwohl sich die ehemalige Tätigkeit für das MfS durch Zeitablauf aus dem öffentlichen Bewußtsein entfernt, kann sie heute noch immer Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien haben. Das gilt nicht nur für den Extremfall, daß der Arbeitgeber Opfer der Ausforschung war. Angesichts der im Namen der Staatssicherheit verübten Verbrechen kann die individuelle Tat nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil sie der Vergangenheit angehört. Einem Mitarbeiter des MfS muß generell mißtraut werden dürfen, weil er dem Erhalt eines Unrechtsstaats in verwerflicher Weise gedient hat. Ein Arbeitgeber handelt daher legitim, wenn er dem betroffenen Arbeitnehmer auch für die Zukunft mißtraut. Dem denkbaren Einwand, den ehemaligen Stasi-Mitarbeitern dadurch ein "Kainsmal" aufzudrücken, ist entgegenzuhalten, daß die alten Seilschaften noch immer Bestand haben. Es gibt immer noch - und bereits wieder - Organisationen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter80• Das zulässige Mißtrauen gegenüber ehemaligen StasiMitarbeitern bewirkt jedoch nicht zwingend, daß sich ein Arbeitgeber von einem belasteten Mitarbeiter trennen darf. Damit ist aber vorgezeichnet, daß der Arbeitgeber unter besonderen Umständen schützenswert darauf vertrauen darf, daß ein Arbeitnehmer gerade nicht durch eine ehemalige MfS-Tätigkeit belastet ist. Das gilt zumindest dann, wenn die Stasi-Vergangenheit geeignet ist, eine konkrete Störung entweder im Leistungs- oder Unternehmens bereich, in der betrieblichen Sphäre oder im personalen Vertrauensbereich der Vertragspartner81 hervorzurufen.
b) Der Vorwurf der "Tätigkeit für das MfS" Für die Tätigkeit ist zunächst zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern zu unterscheiden. Generell können beide Arten auf das heutige VertrauensZöllner I Loritz, § 22 III 2, S. 250. Vgl. Scholz, Fristlose Kündigung m öffentlichen Dienst wegen Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit I Amt für nationale Sicherheit, BB 1991, S. 251, 2523 m. Fn. 132. 81 Ausführlich dazu KR-Hillebrecht, § 626, Rdnr. 83 ff. 79
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verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer einwirken 82 . Bei der Tätigkeit ist ferner nach der Motivation des Arbeitnehmers zu unterscheiden, ob er durch Zwang, Täuschung oder Drohung zur Stasi-Arbeit bestimmt worden ist oder freiwillig handelte. Ein weiteres Kriterium ist, ob die betreffende Arbeit unentgeltlich oder gegen finanzielle bzw. sonstige Zuwendungen erfolgte. Schließlich ist erheblich, ob es sich um eine permanente oder nur punktuelle Tätigkeit handelte. Die Arbeitsaufgabe der MfS / ANS-Einrichtung läßt ebenfalls unterschiedliche Wertungsansätze zu. Das MfS / ANS umfaßte nicht nur die formellen und nach außen hin erkennbaren Bestandteile, sondern auch solche, deren organisatorische Zugehörigkeit nicht ohne weiteres erkennbar war83 .
c) Die Einwirkung des Vorwurfs auf das Vertrauen bei Vertragsschluß Bereits bei Vertragsschluß kann der Arbeitgeber berechtigt darauf vertrauen, daß Fragen, die für die spätere Tätigkeit von Bedeutung sind, vom Bewerber wahrheitsgemäß beantwortet werden. Der Arbeitnehmer, der entweder auf eine berechtige Frage bewußt unrichtig geantwortet84 oder aber eine entsprechende Offenbarungspflicht mißachtet hat8S , wirkt damit auf das noch im Autbau befindliche Vertrauensverhältnis ein. Allein das wahrheitswidrige Verschweigen kann dann die Kündigung bedingen. Dabei hat das BAG die Auskunftspflicht nicht nur für das Einstellungsverhältnis, sondern auch für das laufende Arbeitsverhältnis angenommen. 86 Das wird auch allgemein beim Verschweigen von Vorstrafen anerkannt, die ihrerseits aber konkrete Auswirkungen haben müssen 87 . Wer die Frage nach seiner MfS-Vergangenheit und einer Vepflichtungserklärung falsch beantwortet, mißbraucht das Vertrauen seines Dienstherm gröblich, erweckt Zweifel an seiner Ehrlichkeit und Loyalität und indiziert damit regelmäßig seine mangelnde persönliche Eignung für den öffentlichen Dienst88 . Er kann aber das Vertrauen in seine Loyali82 Dies kann für den Anwendungsbereich der einigungsvertraglichen Kündigungsbestimmung als einhellig anerkannt gelten: vgl. nur die Erl. BReg., BT-Drucks. 14, S. 180 sowie MünchKomm I Säcker I Oetker, Ergänzungsband, Einigungsvertrag, Rdnr. 1017. 83 Vgl. dazu MünchKomm I Säcker I Oetker, Einigungsvertrag, Rdnr. 10 19; Das waren z. B. das Wachregiment Feliks Dzerzynski, die Juristische Hochschule Potsdam-Eiche sowie zahlreiche Sanatorien, Weiterbildungs- und Versorgungseinrichtungen (Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11,31). 84 Vgl. hierzu LAG Berlin, NJ 1992, S. 516, 517 sowie ArbG Berlin, NJ 1992, S. 325, 326; allgemein zum Fragerecht des Arbeitgebers vgl. Zöllner I Loritz, § 11 I 5 a, S. 134. 85 Vgl. dazu allgemein BGH LM Nr. 8 zu § 123; Erman/Brox, § 123, Rdnr. 13; RGRKKrüger-Nieland, § 123, Rdnr. 18; Zöllner I Loritz, § 11 15 a, S. 134. 86 BAG, BB 1996, S. 749. 87 Schaub, § 125 VII 37, S. 1013; Hueck, Urt. Anm., AP Nr. 9 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, BI. 658 für strafrechtlich relevantes Verhalten. 88 BAG AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag, Anlage I Kap XIX unter 11 2. der Gründe; Nr. 56 zu Einigungsvertrag, Anlage I Kap. XIX unter III 2. der Gründe.
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tät dadurch wiederherstellen, daß er im folgenden, ohne mit der Aufdeckung seiner früheren Tätigkeit rechnen zu müssen, von sich aus diese Umstände dem Arbeitgeber offenbart89 . Die Offenbarungspflicht betrifft jedoch nur die Tätigkeit für das MfS, die nach 1970 ausgeübt wurde 90 . Fragen nach früheren Vorgängen verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten, weil diese für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses keine besondere Bedeutung mehr haben können 91 . Damit wird dem Zeitfaktor insoweit Rechnung getragen, daß dieser auch stets Veränderungen der persönlichen Haltung und auch der Einstellung zur eigenen Vergangenheit bedingen kann 92 • Auch die gesellschaftliche Ächtung des vorwerfbaren Verhaltens läßt mit der Zeit nach, weshalb eine Diskreditierung des Anstellungsbetriebs durch einen derart in der Vergangenheit belasteten Arbeitnehmer weniger zu erwarten ist, es sei denn, es handelt sich um besonders verwerfliches Verhalten 93 .
d) Die Schwere der Verfehlung im Zusammenhang mit der Schwere der konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses Die Verfehlung muß anerkanntermaßen von einigem Gewicht sein94 . Nicht jeder Tätigkeit des MfS I ANS kommt die gleiche Bedeutung für den Fortbestand des aktuellen Arbeitsverhältnisses ZU 95 • Schwer wiegen die im Namen der Staatssicherheit begangenen - wenn auch scheinbar gerechtfertigten - Verbrechen und Vergehen ehemaliger offizieller oder inoffizieller Mitarbeiter. Das folgt nicht aus der Sicht des bundesdeutschen Strafrechts, das für die ehemalige DDR in einer ex ante Betrachtung nicht herangezogen werden darf (nulla poene sine lege), sondern aus dem ehemaligen DDR-Strafrecht96 und der DDR-Verfassung97 . Eine der Haupttätigkeiten war die zielgerichtete Ausspähung und konspirative Unterwanderung so89 BAG AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag, Anlage I Kap. XIX unter 11 2. der Gründe; Nr. 56 zu Einigungsvertrag, Anlage I Kap. XIX unter III 2. der Gründe. 90 BVerfG, NZA 1997, S. 992 ff.; NZA 1998, S. 418 f. 91 BVerfG, NZA 1998, S. 418 92 BVerfG, NZA 1997, S. 992, 995. 93 BVerfG, NZA 1997, S. 992, 995 f. 94 Vgl. z. B. für die Verdachtskündigung BAG, DB 1992, S. 2\94. 95 So richtig Oetker, Urteilsanmerkung, LAGE Art. 20 EinigungsV Nr. \, S. 10, 18 sowie Lansnicker I Schwiertzek, Ehemalige Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit im öffentlichen Dienst - Weiterbeschäftigung und Übernahme?, MDR 1991, S. 202, 203. 96 Z. B. § \13 Totschlag bei Grenzverletzungen; §§ 115 ff. Körperverletzungen; § 131 Freiheitsberaubung. 97 Die Überwachung des Fernsprechverkehrs, Raumüberwachung, Anwendungen von Zwang und Gewalt, Konfiszierung von Eigentum, Freiheitsberaubung durch Inhaftierung, Körperverletzungen in den Haftanstalten und T6tungsdelikte etwa durch Schüsse auf Republikflüchtende widersprachen den in Art. 27 Ziff. I, Art. 3\ Ziff. I , Art. 37 Ziff. 3 der Verfassung der DDR vom 6. 4. 1968 i.d.F. vom 7. 10. 1974 enthaltenen Rechten auf Meinungsfreiheit, das Post- und Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung.
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wie die Zersetzung gesellschaftlicher Organisationen98 und Gruppierungen. Anders als im Falle der einigungsvertraglichen Regelung in Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 An!. I EinigungsV 99 kommt es - außerhalb des Sonderkündigungsrechts für den öffentlichen Dienst - auf die Art, den Unrechtsgehalt und die Motivation der Stasi-Tatigkeit an. Entsprechend variiert das schützenswerte Vertrauen in die Redlichkeit und Loyalität des betroffenen Arbeitnehmers. Die undifferenzierte Einbeziehung jeglicher Tatigkeit für das MfS würde ansonsten zu Unrecht nicht zwischen hauptamtlicher bzw. inoffizieller Mitarbeit unterscheiden, ebensowenig zwischen typischen Aufgaben des MfS, bzw. geringwertigen oder äußerlich neutralen Tätigkeiten. Inoffizielle Mitarbeiter waren meistens geprägt durch die notwendige Subtilität, die erforderlich war, die Bespitzelung und Ausforschung von Kollegen, Freunden und selbst Familienmitgliedern vorzunehmen. Diese waren meistens auch von einer besonderen Intensität und Dauer 100 und wurden regelmäßig freiwillig vorgenommen 101. Wenn ein rekrutierter IM wegen seines Unrechtsbewußtseins nur zur offiziellen Wahrung seiner Staatstreue im Einzelfall völlig belanglose Informationen weitergegeben hat, kann ihm daraus kein Vorwurf gemacht werden. Mitunter war diese Form der indirekten Verweigerung die einzige oder die einfachste Weise, sich mit dem System zu arrangieren. Von Bedeutung ist ferner die Dauer der Tätigkeit. Schwer kann danach eine Verfehlung nur dann sein, wenn sie wiederholt und über einen längeren Zeitraum ausgeübt wurde, es sei denn, die Konsequenzen wogen schwer, z. B. indem sie die Inhaftierung eines Bespitzelten verursachten. Einer kurzfristigen Tätigkeit, die lange zurückliegt, kommt nur wenig Bedeutung für das heutige Arbeitsverhältnis ZU I02 • Die gehobene hierarchische Position, etwa eines Führungsoffiziers, kann wegen seiner ermöglichten Einflußnahme schwer wiegen. Hier kann es darauf ankommen, ob ihm weitere Mitarbeiter unterstellt waren 103.
e) Die Beeinträchtigung des tätigkeitsspezifischen oder positionsimmanenten Vertrauens Im Einzelfall bedarf es gerade durch die gewichtige ehemalige MfS-Tätigkeit eines konkreten Vertrauensverlusts beim Arbeitgeber. Ein Verlust schützenswerten Vertrauens ist nur bei solchen Arbeitsverhältnissen denkbar, bei denen überhaupt 98 Auf diesen Aspekt verweist z. B. auch das LAG Brandenburg, OB 1993, S. 176; vgl. hierzu auch MünchKomm! Säcker! Oetker, Ergänzungsband, Einigungsvertrag, Rdnr. 1023. 99 Ebenso LAG Berlin, LAGE Nr. 1 zu Art. 20 EV, S. 5; vgl. auch Fenski!Linck, Besonderheiten der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, NZA 1992, S. 337, 343; Scholz, Fristlose Kündigung im öffentlichen Dienst wegen Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit! Amt für nationale Sicherheit, BB 1991, S. 2515, 2520. 100 Majer, Ein halbierter Rechtsstaat für Ostdeutschland ?, KJ 1992, S. 147, 154 f. 101 Schellt Kalinka, Stasi und kein Ende, S. 386; Scholz, a. a. 0., S. 2515, 2517. 102 So z. B. Scholz, a. a. 0., S. 2515, 2523. 103 So z. B. in dem vom LAG Brandenburg, OB 1993, S. 176, 177 entschiedenen Fall.
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ein objektiver Vertrauenstatbestand Grundlage des Arbeitsverhältnisses geworden ist. Erforderlich ist also, daß sich das tätigkeitsspezifisch oder positionsimmanent investierte Vertrauen berechtigterweise auf die Werte bezieht, die durch die StasiTatigkeit in Frage gestellt werden. Ausgeschlossen ist eine Kündigung wegen früherer Stasi-Tatigkeit danach in der Regel bei solchen Arbeitsverhältnissen, die, wie bei einem Gärtner, einer Küchengehilfe oder einem Fernfahrer kraft ihrer einfachen Struktur keinerlei rechtlich erhebliches Vertrauen genießen. Nicht ins Gewicht fallen Aufgaben, die nicht unmittelbar der typischen Aufgabenerfüllung des MfS dienten. Diejenigen Mitarbeiter, die als Köche, Küchenhilfen 104 , Putzfrauen, Schreibkräfte 105 oder als Fahrer und Lieferanten neutrale Tätigkeiten für das MfS verrichteten, sind i.d.R. nicht zu diskreditieren. Dazu zählen auch gesellschaftlich sinnvolle oder präventive Aufgaben, wie zum Beispiel die Brandaufklärung106, das Entschärfen von Blindgängern oder die Spionageabwehr lO7 • Eine solche ehemalige Stasi-Mitarbeit eines Arbeitnehmers kann nicht auf das Vertrauen in seine Person einwirken. Die Kündigung ist andererseits nicht beschränkt auf Arbeitnehmer, die hochstehende Positionen bekleiden, wie dies etwa bei einem Geschäftsführer oder einem leitenden Angestellten der Fall ist. Vielmehr kommt auch ein Vertrauensbruch bei solchen Arbeitnehmern in Betracht, die zwar eine an sich untergeordnete Tätigkeit ausüben, die aber mit besonderes vertraulichen Dingen umzugehen pflegen und von daher eine konkrete Vertrauensstellung innehaben 108. So genießen eine Putzfrau oder ein Hausmeister dadurch, daß sie berufsbedingt Zugang zu Diensträumen und möglicherweise auch zu vertraulichem Material haben, unter Umständen eine weit ausgeprägtere Vertrauensbeziehung als ein Sachbearbeiter, der keinen besonderen Einblick in interne Betriebsabläufe hat. Das diesen Arbeitnehmern gegenüber bestehende Vertrauen kann durch die frühere Stasi-Tatigkeit zum Beispiel beeinträchtigt werden, wenn sich dieser auf eine frühere Spitzel-Tätigkeit bezieht.
4. Die Schutzwürdigkeit des beeinträchtigten Vertrauens des Arbeitgebers
Selbst wenn der Arbeitgeber aufgrund dessen ehemaligen MfS-Tätigkeit einem Arbeitnehmer nicht mehr vertraut, ist er dennoch gezwungen, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten, wenn sein Vertrauen nicht schutzwürdig ist. Das arbeitgeberseitige Vertrauen ist nur schutzwürdig, wenn es sich, wie im dogmatischen Teil beVgl. hierzu den Fall LAG Berlin, NJ 1992, S. 226. Vgl. ArbG Berlin, NJ 1992, S. 370, 372, wonach die Tätigkeit für das MfS regelmäßig nicht rechtswidrig gewesen sein soll. 106 Scholz, a. a. 0., S. 2515, 2516. 107 Kreisgericht Neubrandenburg, AuA 1992, S. 28. 108 KR-Hillebrecht, § 626 BGB, Rdnr. 176; a.A. Moritz, Grenzen der Verdachtskündigung, NJW 1978, S. 402 ff. 104 105
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
schrieben, auf das Vennögensschutzinteresse, das Integritätsinteresse oder das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers stützt. Nur in seltenen Fällen wird einem Arbeitnehmer wegen dessen ehemaliger Stasi-Tätigkeit nicht mehr vertraut werden können, daß er das Eigentum und Vennögen des Betriebs nicht mehr achtet. Wahrscheinlicher ist es, daß er bei notwendiger Zusammenarbeit mit ehemaligen Systemopfem seine Teamfähigkeit verliert und damit das Integritätsinteresse des Arbeitgebers beeinträchtigt. Die häufigsten Fälle sind jedoch die Störungen des Loyalitätsinteresses des Arbeitgebers durch einen belasteten Arbeitnehmer, der erkennbar vor seiner Grundhaltung nicht abgerückt ist und auch in Zukunft die Interessen des Betriebs gefährdet. Seine Redlichkeit steht allgemein in Frage, wenn er sich dem MfS verdingt hatte und sich mit den Zielen des Unrechtsapparats noch immer identifiziert ohne sein vorwerfbares Handeln zu reflektieren.
a) Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst Je mehr sich ein Arbeitnehmer in seiner früheren Tätigkeit für das MfS eingesetzt hat, desto mehr wird befürchtet, daß er sich dem neuen System - und gegebenenfalls dem neuen Arbeitgeber entgegenstellt (z. B. der (Stasi-)belastete NVA-Offizier gegenüber der Bundeswehr). Ein Hinweis auf die besondere Identifikation mit dem Staatssystem sei z. B. der häufige Auslandseinsatz eines Arbeitnehmers lO9 • Das BAG hat das als belastend bewertet, was in dieser Allgemeinheit nicht überzeugt. Die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer überhaupt etwas wie Loyalität besessen hat, kann dem neuen Arbeitgeber durchaus von Nutzen sein. Es ist immerhin ein Zeichen für Verläßlichkeit und Einsatzbereitschaft. Andererseits gibt es sicherlich uneinsichtige, noch immer überzeugte Kommunisten, die sich der neuen Gesellschaftsfonn nicht angepaßt haben. Es ist deshalb weiter nach der Adaption der Grundwerte der Verfassung bei jedem einzelnen zu fragen, bzw. nach der Abkehr vom alten System. Das zeigt sich möglicherweise bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem MfS 110 oder einer Abkehr vor Auflösung des Ministeriums 111 , wie auch sein Verhalten nach der Wende. Wer z. B. öffentlich seinen vorherigen IM-Status erklärte oder gegenüber den ehemals Bespitzelten um Entschuldigung suchte, wird zwar keine Rechtfertigung für sein Verhalten bekommen, wohl aber wegen seiner Unrechtseinsicht wieder tragbar für die Gesellschaft sein. Von einer Zerstörung des Vertrauens in die Loyalität des Arbeitnehmers ist dagegen regelmäßig auszugehen, wenn die heutige Tätigkeit im gleichen Bereich Vgl. BAG, DB 1993, S. 175, 176. Dies betont z. B. LAG Brandenburg, DB 1993, S. 176, 177; Vgl. auch MünchKomml Säcker I Oetker, Ergänzungsband, EinigungsV, Rdnr. 1023. 111 Vgl. Lansnicker I Schwirtzek, Ehemalige Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit im öffentlichen Dienst - Weiterbeschäftigung und Übernahme? MDR 1991, 109
110
S. 202, 204.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Venrauenswegfall
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ausgeübt wird, in dem schon zu DDR-Zeiten gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen wurde 112. Allerdings gibt es auch im öffentlichen Dienst Bereiche, in denen eine frühere Stasi-Tätigkeit nur unwesentliche negative Auswirkungen auf das heutige Anstellungsverhältnis hat. Das betrifft z. B. Entsorgungsbetriebe oder die Landschaftpflege mithin vor allem Teile des öffentlichen Dienstes, die nur traditionell und formal dem öffentlichen Dienst zugeordnet sind und also auch privat betrieben werden könnten 113. In der Rechtsprechung und Literatur ist im Zusammenhang mit Kündigungen wegen ehemaliger Stasi-Tätigkeit im öffentlichen Dienst oft davon die Rede, die Entfernung des Betroffenen sei notwendig, um das Vertrauen der Bevölkerung in den öffentlichen Dienst wiederherzustellen 114. Der kündigungsrelevante Begriff des Vertrauens kann jedoch nicht über zwischenmenschliche Empfindungen hinaus abstrahiert werden. Allein die Vertrauensenttäuschung in Bezug auf die öffentliche Meinung kann daher für eine Kündigung nicht ausreichen, jedoch als Indiz für eine Verletzung des Loyalitätsinteresses des Arbeitgebers herangezogen werden. Letztendlich kommt es aber darauf an, ob gerade er das Vertrauen in den Arbeitnehmer aufgrund dessen MfS-Vergangenheit verloren hat. Nicht auf kollektive Vertrauensenttäuschungen sondern auf den individuellen Vertrauensverlust des Arbeitgebers ist daher stets der Schwerpunkt zu setzen. Mit der entsprechenden Begründung ist auch im Rahmen von § 627 BGB anerkannt, daß ein persönliches Vertrauensverhältnis bei einem Unterrichtsvertrag nur einer Einzelperson entgegengebracht werden kann, z. B. einem Lehrer, nicht aber einer Institution, etwa der Bildungseinrichtung 1l5 . Die Argumentation, daß z. B. alle Bürger Sachsens, die unter der Staatssicherheit gelitten haben, nun der neuen Verwaltung dauerhaftes Vertrauen entgegenbringen wollten, ist wegen der unbestimmbaren Vertrauenspositionen für sich betrachtet weniger von Belang l16 . Besser ist es, allein darauf abzustellen, ob vorbelastete Mitarbeiter das Ansehen des öffentlichen Dienstes zu schaden in der Lage sind und daher die Eignung verlieren, ihre individuelle, gesteigerte Loyalitätsverpflichtung zu erfüllen. So lautet auch z. B. der Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG (Soldaten Gesetz), wonach ein Soldat (u. a.) entlassen werden kann, wenn er "das Ansehen der Bundeswehremsthaft gefährden würde". Daß dadurch das Vertrauen in den Betroffenen entfällt, stellt weiterhin § 17 Abs. 2 S. 1 2. Alt. SG dar, welcher dem Soldaten die generelle Pflicht zu achtungsund vertrauenswürdigem Verhalten auferlegt 117, sowie die Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG. So richtig BAG, OB 1973, S. 175, 176. Zu diesen vgl. z. B. LAG Berlin, NZA 1992, S. 264, 266. 114 BAG, AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag, B.II.3 ader Entscheidungsgründe; BAGE 70, 309 ff. 112 113
115 BGHZ 90, 280, 282 f.; Schlosser, Erleichterte Kündigung von Direktunterrichtsverträgen, NJW 1980, S. 273, 274 begründet das u. a. mit der Entstehungsgeschichte der Norm; Staudinger/Preis § 627 BGB Rdnr. 22; Erman/Belling § 627 BGB, Rdnr. 5. 116 OVG Dresden, Un. v. 24. 11. 1993,2 S 246/93 (n.v.). 117 Vgl. zu Inhalt der soldatischen Treuepflicht BVerwG, NJW 1998, S. 693 ff.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
b) Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers in der Privatwirtschaft Im Rahmen privatwirtschaftlicher Arbeitsverhältnisse gibt es kein al1gemein schützens wertes Vertrauen in die Verfassungstreue oder politische Loyalität eines Arbeitnehmers. Es kann nur da vorausgesetzt werden, wo es privatautonom vereinbart worden oder für die Funktion des Arbeitsverhältnisses von konstituierender Bedeutung ist. Möglich ist das z. B. bei der Beschäftigung in Tendenzbetrieben, wenn die frühere Stasi-Tatigkeit gerade der Tendenz entgegensteht. Abgesehen davon sind aber in der privaten Wirtschaft Arbeitsverhältnisse denkbar, deren Vol1zug ein schutzwürdiges Vertrauen in eine Loyalität des Arbeitnehmers gegenüber Verfassungswerten oder aber in politischer Hinsicht voraussetzt l18 . Eine Kündigung wegen der Stasi-Tatigkeit kommt zum Beispiel in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit mit militärischen Geheimnissen oder zentralen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen anderer Art in Berührung kommt. Ferner wird es kündigungsrelevant sein können, daß der betreffende Arbeitnehmer in einem Betrieb mit erhöhter Bedeutung für den Staat oder das Gemeinwohl wie etwa in einem Versorgungs betrieb beschäftigt ist 119 und dort eine nicht ganz untergeordnete Position bekleidet. Je höher die Bedeutung der Position gewesen ist, desto weniger kann dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters zugemutet werden 120. Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers (Loyalitätsinteresse) wird gestört, wenn in der Privatwirtschaft bei Drittkontakten Geschäftsbeziehungen abgebrochen werden, nur aufgrund der Tatsache, daß ehemalige Stasi-Mitarbeiter in einem Betrieb beschäftigt werden, oder wenn der Geschäftskontakt gar nicht erst aufgenommen wird l21 • Das gilt vor al1em bei Arbeitnehmern, die das Unternehmen aufgrund ihrer gehobenen Stel1ung gegenüber der Öffentlichkeit repräsentieren. Deren Stasi-Vergangenheit kann eine Rufschädigung zur Folge haben und den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen. Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers kann ferner beeinträchtigt werden, wenn er an der Redlichkeit des Arbeitnehmers zweifeln kann, etwa wenn dieser sich gegen Bezahlung für Auftragsmorde engagieren ließ. Nicht dagegen genügt die damalige Aussicht auf eine (teilweise) höhere Bezahlung 122• Anzunehmen, der Arbeitnehmer könne sich gegebenenfal1s bestechen lassen und den Arbeitgeber schädigen, folgt nicht zwingend. Denn i.d.R. wird ihm bei der vormaligen (bezahlten) Tätigkeit für das Vgl. Stahlhacke I Preis, Rdnr. 1374. Vgl. Hueck, KSchG, § 1 KSchG, Rdnr. 86 zur personenbedingten ordentlichen Kündigung wegen Ausspähung von Betriebsgeheimnissen. 120 BVerfG, NJW 1997, 2305, 2306 bzgl. eines ordentlichen Professors und ehemaligen Rektors einer Universität. 121 Vgl. die ähnliche Problematik im Bereich politischer Betätigung: dazu KR-Becker3, § 1 KSchG, Rdnr. 262; Hoyningen-Huene/Hofmann, Politische Plaketten im Betrieb, BB 1984, S. 1050, 1054. 122 LAG Brandenburg, DB 1993, S. 176, 177, diskutiert diesen Aspekt als entlastenden Umstand. 118
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MfS das Bewußtsein gefehlt haben, sich selbst damit durch das MfS bestechen zu lassen.
c) Die der Schutzwürdigkeit des Vertrauens entgegenstehenden Gründe Auf einen Vertrauenswegfall kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn er bei der Übernahme des jeweiligen Arbeitnehmers dessen frühere MfS-Tätigkeit kannte. Das gilt etwa für den Bundesgrenzschutz, der Beschäftigte der DDR-Paßkontrolle übernahm 123 • Das gleiche gilt, wenn auch der Arbeitgeber selbst mit ehemaligen Stasi-Kontakten belastet ist oder zunächst den Anschein erweckt hatte, es käme ihm auf eine entsprechende Vergangenheit überhaupt nicht an.
5. Die Belegbarkeit des Vertrauensverlusts durch objektive Anhaltspunkte Weil nicht allein die Empfindung des Arbeitgebers ausreicht, er habe das Vertrauen in den Arbeitnehmer verloren, sind für eine vertrauensbedingte Kündigung objektive Tatsachen nachzuweisen. Diese müssen den Entschluß des Arbeitgebers zur außerordentlichen Kündigung tragen und belegen. Objektive Belege einer ehemaligen Stasi-Tätigkeit stellen in erster Linie das Aktenmaterial des früheren MfS/ ANS 124 sowie entsprechende Auskünfte und Mitteilungen von Mitarbeitern der Gauck-Behörde oder sonstige Zeugenaussagen dar. Die Verwaltung und der Umgang mit diesen Unterlagen, insbesondere Auskunfts- und Einsichtsrechte, ist im StUG 125 geregelt. Kann der objektive Nachweis mangels eindeutigen Materials nicht erbracht werden, bietet sich das Institut der Verdachtskündigung an 126 •
Germe1mann, Das Arbeitsrecht in den neuen Bundesländern, NJ 1992, S. 390, 391. Die Akten befinden sich bei dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung (sog. "Gauck-Behörde Sie umfassen Informationen über sechs Millionen Deutsche aus Ost und West, mit z.T. 50000 bis 80000 Informationen über einzelne Personen, Stoltenberg, Die historische Entscheidung für die Öffnung der Stasi-Akten - Anmerkung zum Stasi-UnterlagenGesetz, DtZ 1992, S. 65. 125 Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) vom 20. 12. 1991 (BGB\. I, S. 2272). 126 Ausführlich dazu Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. \1 ff. 123
124
U
).
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
VII. Die sonstigen aktuellen Fälle politisch motivierter Kündigungen 1. Die Kündigungen wegen rechtsextremer Betätigung und ausländerfeindlichen Verhaltens
Ein aktuelles Problem ist die rechtsextreme Betätigung, die zunehmend Grundlage einer außerordentlichen Kündigung ist 127 . Wenn es auch keinen Kündigungsgrund wegen ausländerfeindlichen Verhaltens an sich gibt 128 , kann jedoch die Betätigung eines Arbeitnehmers für eine rechtsradikale oder extremistische Partei oder Gruppierung ebenso auf das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber einwirken, wie im Falle linksextremer politischer Tätigkeit. Die Störung des Vertrauensverhältnisses, die der Arbeitnehmer in so einem Fall vornimmt, hat das gleiche Gewicht, die gleiche Richtung, folgt nur aus einer anderen politischen Motivation. Auch hier ist jedes Arbeitsverhältnis darautbin zu untersuchen, ob Vertrauen in den Arbeitnehmer investiert worden, es schutzwürdig ist und durch einen Vorwurf, etwa ausländerfeindliche Tätigkeiten, zerstört worden ist und ihm deshalb die persönliche Eignung für das Arbeitsverhältnis abgesprochen werden muß. Ein Vertrauenstatbestand, dahingehend, daß ein Arbeitnehmer jegliche rechtsradikale und vor allem ausländerfeindliche Äußerung und Handlung im Betrieb unterläßt, wird zwar selten explizit zwischen den Arbeitsvertragsparteien ausgestaltet werden, kann aber vor allem aus der Natur des Arbeitsplatzes, den besonderen Begebenheiten im Betrieb oder aus dem betrieblichen Umfeld folgen. Wer zur persönlichen politischen Zurückhaltung verpflichtet ist, etwa als Lehrer, wer im Betrieb mit ausländischen Kollegen eng zusammenarbeiten muß oder wer geschäftlichen Kontakt mit ausländischen Kunden halten muß, in den wird aus betriebsspezifischen Gründen vertraut, den Unternehmensinteressen nicht durch ausländerfeindliche Parolen oder Handlungen zu schaden. Das betrifft nicht nur die (teilweise verbotene) parteipolitische Betätigung, sondern vor allem auch die verbalen oder tätlichen Übergriffe auf Ausländer, die Hetze gegen sie und die Verbreitung ausländerfeindlichen Schriften. Die rassistischen Äußerungen und Taten gegen Asylbewerber, Aussiedler, Touristen, Gastarbeiter und oft in Deutschland geborene und lebende Staatsbürger mit ausländischer Abstammung werden meistens allein durch das ausländische Aussehen der Opfer motiviert und zeugen von einem hohen Gewaltpotential. Daher ist es einem Arbeitgeber grundsätzlich nicht zuzumuten, rechtsextremes Verhalten in seinem Betrieb zu dulden, vor allem dann nicht, wenn sein schützenswertes Vertrauen in die Integrität oder Loyalität des Arbeitnehmers betroffen wird. Wenn ausländische Arbeitnehmer im Betrieb belästigt oder gefährdet werden oder der Ruf des Unternehmens Schaden nehmen kann, können bereits verhältnismäßig 127 ArbG Siegburg, NZA 1994, 698; so auch Krause in Anm. zu LAG Hamm, LAGE Nr. 19 zu § 123 BGB, S. 9 ff. 128 Korinth, Arbeitsrechtliche Reaktionsmöglichkeiten auf ausländerfeindliches Verhalten, ArbuR 1993, S. 105 ff.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
169
geringfügig erscheinende Angriffe gegen Ausländer Kündigungsrelevanz besitzen, etwa das Erzählen antisemitischer Witze l29 . Denn anders als politische Äußerungen genießen rassistische Äußerungen keinen Grundrechtsschutz I3 O, insbesondere wenn sie einen menschenverachtenden Inhalt haben l31 • Sofern betriebliche Interessen dadurch gefährdet werden können ist im weiteren der Grad des Vertrauens in den Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Dieser bemißt sich insbesondere nach der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und der persönlichen Einflußmöglichkeit des Arbeitnehmers. In Krankenhäusern, in denen naturgemäß auch ausländische Patienten behandelt werden, kann erwartet werden, daß nicht nur Ärzte, sondern auch das Pflegepersonal sich nicht ausländerfeindlich betätigt. Wer allerdings als Chefarzt beschäftigt ist, genießt aufgrund seiner leitenden Position, seines Einflusses und seiner Vorbildfunktion ein wesentlich intensiveres Vertrauen, als eine Krankenschwester. Malt ein Chefarzt und in dieser Funktion einer Patientin mit einem Desinfektionsmittel ein Hakenkreuz auf den Körper, verliert er das Vertrauen in seine Autorität gegenüber den Mitarbeitern und schädigt wegen der Außenwirkung seines Verhaltens dem Ansehen der Klinik J32 . Angesichts seiner besonderen positionsimmanenten Vertrauensstellung genügt ein solcher Angriff, um ihm die Eignung für seine Ta.tigkeit abzusprechen und ihm wegen Vertrauens wegfalls zu kündigen. Wer als Lehrer einen Judenwitz erzählt 133 und so seine Einflußnahme auf die Schüler mißbraucht, verletzt das Vertrauen in seine Eignung, weil ihm berechtigt das Vertrauen in politische Zurückhaltung und in vorbildhaftes Verhalten entgegengebracht wird. Die Schule hat ein schützenswertes Interesse daran, daß die Schüler nicht schädigenden Einflüssen ausgesetzt werden und weder sie noch die Schule daraus Nachteile, etwa die Schädigung ihres Ansehens durch einzelne Lehrer erleiden. In die Loyalität eines Lehrers darf deshalb in besonderem Maße vertraut werden. Das schützenswerte Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers kann sich auch auf das Umfeld des Unternehmens erstrecken. Färbt ein ausländerfeindliches Verhalten auf den gesamten Betrieb ab, kann der Arbeitnehmer seine weitere Eignung in Frage stellen. Wer z. B. als Konzertmusiker bei einem Gastauftritt in Israel scherzhaft mit Adolf Hitler unterschreibt, kann damit erheblichen Schaden anrichten. Eine Kündigung erscheint hier im Gegensatz zum (bloßen) Kantinenwitz gerechtfertigt, weil das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabgesetzt wird und z. B. das betroffene Ensemble kein weiteres mal nach Israel eingeladen wird. Aufgrund eines solchen Vorfalls kann dem Arbeitnehmer nicht weiter vertraut werden, daß er den Interessen des Betriebs nicht entgegenarbeiten wird. Es ist dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, weiteren Schaden des Ansehens und der wirtschaftlichen Vgl. hierzu BAG, ArbuR 1993, 124; Korinth, a. a. 0., S. 105 ff. Preis/ Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 210, 214. l3I Z. B. Äußerungen, nach denen man ,,Ausländer verbrennen" solle, vgl. ArbG Siegburg, NZA 1994, S. 698 ff. 132 LAG Köln, ArbuR 1994, S. 315 ff. 133 BAG, ArbuR 1993, S. 214. 129
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Interessen mit einem derart diskreditierten Arbeitnehmer zu riskieren. Auch ohne konkreten politischen Hintergrund können ausländerfeindliches Verhalten, insbesondere rassistische Äußerungen im Betrieb, grundsätzlich ein Recht zur außerordentlichen Kündigung begründen 134 . Sie können vor allem im Falle ausländischer Belegschaft die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb in Frage stellen. Liegt der Vorwurf ausländerfeindlichen Verhaltens darin, daß sich die Kollegen durch anhaltende ausländerfeindliche Äußerungen belästigt sehen 135, ohne daß es eine weitere Außen wirkung gibt, ist zu bewerten, inwiefern dem Arbeitnehmer noch vertraut werden kann, sich weitgehend reibungslos in den Betrieb einfügen zu können und Rücksicht gegenüber seinen Kollegen zu üben. Das erhält insbesondere dann ein besonderes Gewicht, wenn er mit seinem Verhalten konkret ausländische Kollegen angreift. Erfüllt der Arbeitnehmer dabei sogar Straftatbestände, kann ihm das Vertrauen zur Integritätsfähigkeit im Betrieb restlos abgesprochen werden. Das gilt etwa dann, wenn ausländische Kollegen beleidigt 136 werden oder bei einer Volksverhetzung durch die Verbreitung von rassistischen Pamphleten 137. Weil diese Vertrauenstatbestände immer durch die Art und den Inhalt des Arbeitsplatzes und des Anstellungsbetriebs bedingt werden, stellt sich die Frage, ob generell ein schärferer Maßstab für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst angesetzt werden kann, rechtsextremes Verhalten zu unterlassen. Zwar haben diese sich gemäß § 8 Abs. 1 BAT durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Doch folgt daraus nicht zwingend eine leichtere Kündbarkeit, etwa bei der Verbreitung ausländerfeindlicher Pamphlete 138 aufgrund einer Loyalitätsobliegenheit des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst 139• Es ist statt dessen zu berücksichtigen, ob ein Angestellter typisch öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnimmt oder ob seine Tätigkeit privatrechtlicher Natur ist, die auch durch private Betriebe ausgeführt werden kann und wird. Wer als Tischler im Keller eines Museums abgesondert von der Öffentlichkeit arbeitet und in seiner Werkstatt ein solches Pamphlet vervielfältigt und aufhängt l40 , wird durch den Umstand, daß er im öffentlichen Dienst angestellt ist, nicht stärker diskreditiert, als ein Tischler in einem privaten Betrieb. Eine Außen wirkung ist hier sogar weniger wahrscheinlich als in einem privaten Unternehmen mit KundenverLAG Hamrn, LAGE Nr. 84 zu § 626 BGB. Preis/Stoffels a. a. 0., S. 214; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, NZA-RR 1998, S. 118 ff., bzgl. der gezeichneten und mit dem Namen eines ausländischen Kollegen versehenen sog. "Galgenmännchens". 136 Hierzu und zu weiteren Straftatbeständen Preis/Stoffels a. a. 0., S. 215. 137 BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 138 Zu allgemein i.d.S. BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. wonach hierin ein generel\ wichtiger Grund zu sehen ist. 139 So aber Krause, Anm. LAG Hamm, LAGE Nr. 19 zu § 123 BGB, S. 9, 14 unter zust. Verweis auf BAG AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Sicherheitsbedenken [unter 11 2 c der Gründel. 140 BAG 2. Senat vom 9. 3. 1995, Az.: 2 AZR 644/94 (n. v.), Vorinstanz LAG Hamm, LAGE Nr. 19 zu § 123 BGB mit Anm. Krause. 134
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2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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kehr 141 . Es wird für eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts vielmehr darauf ankommen, ob sich durch das offensiv ausländerfeindliche Verhalten die KoIlegen belästigt sehen und sich weigern, weiterhin mit dem betroffenen Tischler zusammenzuarbeiten, ob mithin seine Integrität im Betrieb in Frage steht. Nur im Hinblick auf das Integritätsinteresse könnte somit in diesem FaIl ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden, ausländerfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sofern aber keine Ausländer in einer solchen Abteilung arbeiten und sich keiner der Mitarbeiter belästigt sieht, fehlt es bereits an einem darauf gerichteten Vertrauenstatbestand. Anders dagegen ist der Vorwurf der Volksverhetzung durch ausländerfeindliche Pamphlete bei einem Bearbeiter und verantwortlichen Kontenführers in der Finanzkasse eines Finanzamts zu sehen 142 • Dabei handelt es sich um eine typische hoheitliche Aufgabe der öffentlichen Verwaltung und um eine Tätigkeit mit Außenkontakt. Das begründet einen gesteigerten Vertrauenstatbestand, daß sich der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit in jeder Hinsicht loyal und korrekt zu verhalten hat und auch nicht durch ausländerfeindliches Verhalten auffällt, das auf die AnsteIlungsbehörde zurückfallen könnte. Hier wird regelmäßig das in der Leistungs- bzw. Eingriffsverwaltung gesteigerte Loyalitätsinteresse des öffentlichrechtlichen Arbeitgebers verletzt. Das Vertrauen in den AngesteIlten ist daher leichter zu zerstören, nicht nur wenn er konkret Pamphlete verbreitet, sondern bereits durch seine Tätigkeit in einer Partei bzw. Organisation mit verfassungsfeindlichen Zielen. Schon der Umstand, daß der FinanzangesteIlte zu einer Gruppierung, wie ,,Die Bürger", welche vom Verfassungsschutz planmäßig beobachtet werden, angehört 143 , läßt das Vertrauen in seine Eignung als Träger hoheitlicher Aufgaben entfallen. Denn es kann ihm nicht mehr vertraut werden, daß er einerseits diese Aufgaben stets nur im Sinne von Recht und Gesetz ausübt, wenn er sich andererseits mit den verfassungsfeindlichen Inhalten und Zielen seiner Organisation identifiziert.
2. Mittelbare Auswirkungen von ausländeifeindlichen Tendenzen im Kündigungsrecht
Kündigungen sind nicht nur gegen solche Arbeitnehmer denkbar, die selber ausländerfeindliche Handlungen oder Äußerungen tätigen. Vielmehr werden Arbeitnehmer in Gewissenskonflikte gezogen, die sich dem Umgang mit rechtsradikalen 141 Etwa bei einer Verbreitung ausländerfeindlicher Pamphlete durch einen Außendienstmitarbeiter, ArbG Hannover, BB 1993, S. 1218 ff. mit krit. Anm. von Däubler. 142 BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 143 So der Fall in BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. "Die Bürger" sind eine regionale Fraktion, die durch den Zusammenschluß der "Deutschen Autofahrer-Interessengemeinschaft" und den "Republikanern" zur Kölner Kommunalwahl 1989 entstanden sind. Letztere stammen von der Kultgemeinde "Wotans Wölfe" ab. "Die Bürger" schlossen sich 1991 mit der neonazistischen Gruppierung "Die Deutschen" zusammen (vgl. Verfassungsschutzbericht 1992 des Landes Nordrhein-Westfalen in BAG a. a. 0.).
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Personen oder Parteien nicht entziehen können. Dieser Grundsatz gilt heute unverändert. So kann etwa ein Postzusteller in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn er sich verpflichtet sieht, Wahlwerbung einer rechtsradikalen Partei mit ausländerfeindlichem Inhalt als Postwurfsendung zuzustellen 144. Verweigert oder boykottiert er ohne Mitteilung an den Arbeitgeber die Arbeit, schafft er selbst einen Kündigungsgrund, obwohl seine Motive nachvollziehbar sind. Gleiches gilt für den Arbeitnehmer einer Zeitschrift, die sich glorifizierend oder das Unrecht verharmlosend zum Nationalsozialismus äußert. Hier kann der Gewissenskonflikt den Arbeitnehmer zur Verweigerung der Arbeit berechtigen l45 . Schon früh hat das BAG entschieden, daß kein Arbeitnehmer verpflichtet werden kann, Aufgaben im Zusammenhang mit neonazistischen Inhalten wahrzunehmen 146. Dieser Grundsatz gilt heute unverändert. Zu Recht weist Preis darauf hin, daß gerade im Hinblick auf nazistische Druckerzeugnisse die Interessen des (die Arbeit verweigernden) Arbeitnehmers als besonders hoch einzustufen sind, stärker als z. B. im Falle der Weigerung, Anti-Baby-Pillen zu verkaufen. Unabhängig aber von der Gewichtung des Gewissenskonflikts, ist der Arbeitnehmer in solchen Fällen verpflichtet, dem Arbeitgeber seinen Gewissenskonflikt anzuzeigen und diesen etwa um Arbeitsbefreiung oder Versetzung zu bitten, nicht aber auf eigene Faust tätig zu werden. Das ergibt sich aus der nebenvertraglichen Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers, ohne daß es auf den Inhalt der (ohnehin) subjektiv zu bestimmenden Gewissensbildung oder die Ausrichtung des Gewissenskonflikts ankommt. Weiß allerdings der Arbeitgeber um den Gewissenskonflikt und ist dieser vermeidbar, darf er dem Arbeitnehmer keine solche Arbeit zuweisen, entsprechend der verfassungskonformen Auslegung von § 315 BGB I47 . Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Arbeitnehmer bei der Eingehung des Arbeitsverhältnisses mit einem Gewissenskonflikt rechnen mußte. Mittelbar wirkt auch die Verbreitung von ausländerfeindlichen Pamphleten, wenn dafür ein Vorgesetzter zur Verantwortung gezogen wird, der sie geduldet oder mangels hinreichender Überwachung seines Verantwortungsbereichs nicht wahrgenommen hat. Dann kommt es auf seine Motivation zur Unterlassung an, um über seine weitere Eignung als leitender Angestellter zu urteilen.
3. Die Kündigungen von Mitgliedern von Sekten als vergleichbare Fallgruppe
Die Mitgliedschaft in einer Sekte begründet alleine noch keinen Umstand, auf den sich ein schützenswerter Vertrauenstatbestand gründen könnte. Sobald aber ein Sektenmitglied seine extreme religiöse oder weltanschauliche Auffassung und Praxis in seinem Anstellungsbetrieb ausübt oder in einer besonders vertrauensvollen 144 145 146 147
Vgl. HessLAG LAGE Nr. 41 zu § 611 BGB Abmahnung. Vgl. BAG AP Nr. 12 zu § 123 GewO. BAGE 9, I ff. bzgl. eines Hilfsarbeiters in einer Druckerei BAG EzA Nr. 16 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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Position arbeitet, kann es das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber massiv beeinträchtigen. Voraussetzung dafür ist, daß ein konkret schützenswertes Vertrauen betroffen wird. Allein der Umstand, daß der Arbeitgeber eine andere persönliche Weltanschauung besitzt, kann keinen Vertrauenstatbestand begründen. Allerdings kann der Arbeitgeber schützenswert darauf vertrauen, daß durch eine etwaige Sektenzugehörigkeit eines Arbeitnehmers weder der Betriebsfrieden gestört, noch das Unternehmen selbst, oder dessen Ruf geschädigt wird. Darin liegen Vertrauenstatbestände begründet, deren Verletzung eine personenbedingte Kündigung zur Folge haben kann. Zunächst darf der Arbeitgeber darauf vertrauen, daß der Arbeitnehmer jegliche Tätigkeit für die Sekte oder motiviert durch die Vorgaben der Sekte im Betrieb unterläßt. Dieses Vertrauen ist schützenswert, weil die Sektentätigkeit im Betrieb dazu geeignet ist, den Betriebsfrieden zu stören und damit das Integritätsinteresse des Arbeitgebers zu verletzen. Die Tätigkeiten für die Sekten können vielfältiger Natur sein. Üblicherweise bedürfen Sekten des ständigen Zulaufs und verlangen daher regelmäßig von ihren Mitgliedern, werbend tätig zu werden. Die Werbung im Betrieb kann jedoch das Betriebsklima beeinträchtigen, vor allem, wenn sie mit einer bestimmten Penetranz betrieben wird, die gerade von Sekten mit extremen Weltanschauungen ausgehen, etwa den Zeugen Jehovas, die den bevorstehenden Weltuntergang verkünden oder der MUN-Sekte, welche zur (teils auch aggressiven) Missionierung die gezielte Täuschung erlaubt, um potentielle Opfer in die Sekte zu lotsen l48 . Anders dagegen zeigt die meistens unauffällige Unterwanderung vieler Berufszweige durch Mitglieder der Scientology-Sekte, daß die massive Werbung für die Sekte nicht zwangsläufig auch im Betrieb erfolgt, auch werden gezielt jene Kollegen ausgesucht, deren Sorgen und Nöte für die Anwerbung von Vorteil sind 149 und die sich bereitwillig werben lassen. Um eine Kündigung mit dem Wegfall des Vertrauens in die Integrationsfähigkeit eines Arbeitnehmers begründen zu können, ist daher eine konkrete Beeinträchtigung des Betriebsfriedens durch Werbemaßnahmen zu fordern 150, die sich insbesondere in der Belästigung oder Täuschung der Kollegen niederschlagen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Sekten, anders als Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften i. S. d. Art. 4, 140 GG, Art. 137 WRV, keinen weiteren Schutz durch die Verfassung genießen. Somit kann gegen einen Arbeitnehmer, der für eine Sekte, wie z. B. die Scientology Church 151 wirbt, zum Schutz der übrigen Mitarbeiter resoluter vorgegangen werden, als wenn er z. B. Werbung für politische Parteien betreibt. 148 Bundesverwaltungsamt, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Die MUN-Bewegung 1996, S. 20, 30, wonach unter Vortäuschung von Vorträgen, Gruppenessen oder Workshops das zu werbende Opfer sodann im Gruppenzentrum derart vereinnahmt wird (sog. ,,Love Bombing"), daß eine spätere Abkehr sehr erschwert wird. 149 Bundesverwaltungsamt, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Die Scientology-Organisation, Gefahren, Ziele und Praktiken 1996, S. 29. ISO ArbG Ludwigshafen EzA Nr. 154 zu § 626 BGB nF.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Das Loyalitätsinteresse ist berührt, wenn der Arbeitnehmer kraft seiner Position, etwa als Lehrer oder als psychologischer Betreuer 152 in der Lage ist, einen großen Wirkbereich zu entfalten und so den Ruf des Anstellungsbetriebs zu schädigen. Wenn auch bislang in der bloßen Mitgliedschaft zur Scientology-Sekte noch kein wichtiger Grund gesehen wurde 153 , soll jedoch die Gefahr der einseitigen Beeinflussung mit den Ideen dieser Bewegung einen wichtigen Grund zur Kündigung einer Psychologin genügen, wenn ihre Patienten in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen i54 . Das LAG Berlin ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die Außenwirkung und also die Gefahr der Rufschädigung durch die Psychologin eingegangen, was ein stärkeres Argument gewesen wäre, als die vom Gericht hervorgehobene Gefahr einer Verletzung von Leistungspflichten. Die Beeinflussung von Patienten, also die einseitige und schädigende Betreuung von Patienten durch eine Psychologin ist zwar eine Schlechtleistung ihrer Arbeitspflicht. Das allein kann keinen kündigungsrelevanten Vertrauenstatbestand betreffen. Naheliegend wäre dagegen eine Kündigung wegen Verlusts des Vertrauens in die Loyalität der Psychologin dem Unternehmen gegenüber gewesen, weil sich deren mögliche Werbung für Scientology unter den Patienten rufschädigend auswirkt. Das Loyalitätsinteresse wird schwerwiegend berührt, wenn ein Scientologe als Arbeitnehmer durch seine Arbeitsaufgabe oder Position mit Betriebsgeheimnissen zu tun bekommt. Die Arbeitsweise der Scientologen ist in den sog. "Auditing"-Sitzungen und in den sog. "Sicherheitsüberprüfungen" darauf ausgelegt, dem Teilnehmer sämtliche Lebensumstände und Daten zu entlocken, vor allem, um ihn zu einem "gläsernen Menschen" zu machen 155. Dabei gerät der Arbeitnehmer auch in die Zwangslage, Betriebsgeheimnisse zu verraten und gegen etwaige Verschwiegenheitspflichten zu verstoßen. Die psychische Beeinflußbarkeit der Sektenmitglieder macht sie erpreßbar und geeignet für Wirtschaftsspionage und sonstige Loyalitätsverletzungen dem Arbeitgeber gegenüber, von dem seitens der Sekte die absolute Loyalität abverlangt wird l56 . Erfährt der Arbeitgeber von der Scientology-Zugehörigkeit eines mit Betriebsgeheimnissen betrauten Arbeitnehmers bedarf es wegen dieser Gefahr der Manipulierbarkeit nicht erst des Nachweises einer konkreten Loyalitätsverletzung, sondern es genügt, daß dem Arbeitnehmer nicht mehr vertraut werden kann, das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers zu achten, um ihm wegen Eignungsmangels in besonderen vertrauenserfordernden Tätigkeitsbereichen zu kündigen. Das gilt insbesondere für den öffentlichen Dienst.
lSI lS2 lS3 lS4 ISS lS6
Vgl. hierzu BAG EzA Nr. 26 zu Art. 140 GG. Vgl. LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 422 ff. Das LAG Berlin a. a. O. hat diese Frage noch offengelassen. LAG Berlin, a. a. 0., S. 422 ff. Bundesverwaltungsamt a. a. O. S. 24,29. Bundesverwaltungsamt a. a. O. S. 29.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
175
4. Die Kündigungen im öffentlichen Dienst wegen verfassungsfeindlicher 1ätigkeit
Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befahigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt l57 • Die persönliche Ungeeignetheit eines Arbeitnehmers kann insbesondere im öffentlichen Dienst durch eine objektive Betätigung in einer verfassungsfeindlichen Organisation bedingt werden. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG bestimmt sich der Zugang zum öffentlichen Dienst nämlich neben der Befähigung und fachlichen Leistung auch nach der Eignung des Bürgers. Anerkanntermaßen gehört zu der persönlichen Eignung eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes auch dessen Verfassungstreue 158 . Folglich darf der Arbeitgeber einem Angestellten des öffentlichen Dienstes auch ein berechtigtes Vertrauen in dessen loyale Haltung gegenüber den Werten einer freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenbringen. Die persönliche Eignung entfällt jedoch nicht allein durch die bloße Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in einer verfassungsfeindlichen Organisation, sondern es ist eine Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände (dienstliche und außerdienstliche) erforderlich. Abzustellen ist dabei vor allem auf die jeweilige dienstliche Funktion und die AufgabensteIlung der Behörde l59 • Ferner haben die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes in § 8 Abs. 1 S. 2 des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) bzw. BAT-O deklariert, daß Angestellte sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen müssen. Auch die politische Betätigung im Betrieb kann durch die Besonderheit der Pflichten im öffentlichen Dienst beschränkt werden. Das BAG hat § 8 Abs. 1 S. 1 BAT als allgemeines Gesetz im Sinne der Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG anerkannt 160. Es hat ferner festgestellt, daß auch eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Benachteiligung nicht gegeben ist, wenn ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wegen der Mitgliedschaft und des Einsatzes für eine Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen gekündigt wird 161. Für Beamte gilt überdies das Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung entsprechend seiner Stellung und seiner Amtspflichten gemäß § 35 Abs. 2 BRRG, § 53 BBG und nach den Beamtengesetzen der Länder. Das Maß des schutzwürdigen Vertrauens ist allerdings nicht bei allen Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes gleich intensiv ausgeprägt. Je nach dem Aufgabenbereich und der hierarchischen Stellung differiert es entsprechend der Funktion des 157 Unter Berufung auf diese Norm wird in der Rechtsprechung ein Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers nach einer früheren Tätigkeit für das MfS begründet: vgl. nur LAG Berlin, NZA 1992, S. 1131 f.; sowie ArbG Berlin, NJ 1992, S. 325 f. 158 SO Z. B. LAG Berlin, NZA 1992, S. 1131 f.; Moritz, Die (Weiter-)Beschäftigung der ehemaligen Staatsdiener der DDR im öffentlichen Dienst des vereinigten Deutschlands, DÖD 1991, S. 125,136. 159 KR 3 -Becker Rdnr. 208 zu § I KschG; BAG, NJW 1985, S. 508 ff. 160 BAG AP Nr. 8 zu Art. 5 Abs. I GG Meinungsfreiheit. 161 SAG EzA Nr. 13 zu Art. 33 GG.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Arbeitnehmers 162. Im Bereich des öffentlichen Dienstes wird man voraussetzen können, daß ein kündigungserhebliches Vertrauen in Arbeitnehmer, die untergeordnete Tätigkeiten ausüben und in ihrer Funktion nicht den Staat repräsentieren, nicht schon durch die Anstellung begründet wird. Ferner ist auf die Außenwirkung der Tätigkeit abzustellen. Wer als Pförtner oder als der bereits erwähnte Museumstischler im öffentlichen Dienst einer verfassungsfeindlichen Partei angehört oder deren Ziele propagiert, besitzt nicht das Potential, größere Schäden anzurichten oder die Dienststelle in Mißkredit zu bringen. Dagegen ist bei einem Lehrer oder allgemein bei Pädagogen ein positives Grundverhältnis zur Verfassung unerläßliche Voraussetzung für deren Eignung. Denn sie müssen den ihnen anvertrauten Jugendlichen in glaubwürdiger Weise die Grundwerte der Verfassung vermitte1n I63 . Auch bei hierarchisch höherrangigen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst wird man, wie es unter anderem auch der gesetzgeberischen Wertung im Einigungsvertrag l64 entspricht, regelmäßig von einer hohen Vertrauensinvestition ausgehen können, insbesondere bei Abteilungs- oder Dienststellenleitern. Es ist diese Differenzierung im Hinblick darauf nötig, daß ansonsten in der ganzen öffentlichen Verwaltung Kündigungen wegen Vertrauensverlusts nur wegen eines erhöhten normativen Grundvertrauens viel leichter möglich wären als in der Privatwirtschaft. Das hieße dem öffentlichen Dienst insgesamt eine erleichterte Handhabe gegen verfassungsfeindlich gesonnene Arbeitnehmer zuzugestehen. Für die bloße Erleichterung von Kündigungen in der öffentlichen Verwaltung auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit fehlt es aber an einer inneren Rechtfertigung. Das betrifft insbesondere Aufgabenbereiche, die nur traditionell und formal zum öffentlichen Dienst gehören und also auch privat betrieben werden könnten 165.
VII. Die Kündigung wegen Sicherheitsbedenken
Wenn auch die politische Betätigung in extremen Parteien als solche regelmäßig nicht den Anforderungen des wichtigen Grunds genügt, wird sie dennoch oft als Begründung einer Kündigung wegen Sicherheitsbedenken herangezogen. In für Sicherheitsfragen sensiblen Unternehmen, z. B. bei der Durchführung von Geldtransporten oder Behörden, etwa militärischen Einrichtungen, müssen sich die Anstellungsbetriebe in besonders hohem Maße auf ihre Arbeitnehmer verlassen können. Schon wegen des Charakters des Betriebs besteht ein gesteigert schützenswertes 162 Vgl. zur funktionsgebundenen Treuepflicht BAG NJW 1989, S. 1374 ff., sog. "Funktionstheorie", vgl. Preis/Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 210, 216 f. rn. w. N. 163 BAG AP Nr. 2 zu Art 33 Abs. 2 GG; BAG AP Nr. II zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; AP Nr. 23 zu Art 33 Abs. 2 GG; AP Nr. 24 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 164 Dort ist lediglich von Angestellten, nicht jedoch von Arbeitern des öffentlichen Dienstes die Rede, vgl. Nr. lAbs. 5 Ziff. 2 Anl. I EinigungsV. IM Vgl. z. B. LAG Berlin, NZA 1992, S. 264, 266.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den VertrauenswegfaJl
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Vertrauen in die Loyalität der Mitarbeiter. Das Vertrauen in den Arbeitnehmer, dieser werde die spezifischen Sicherheitsinteressen seines Betriebs nicht gefährden, betrifft unmittelbar seine Eignung für die schutzbedürftige Tätigkeit. Sicherheitsbedenken gegen einen Arbeitnehmer werden deshalb als Störung im Vertrauensbereich betrachtet l66 . Der Vertrauensbereich eines in einem sicherheitsbedürftigen Betrieb tätigen Arbeitnehmers erfaßt damit zwangsläufig auch Umstände, die in seinem Privatleben begründet sind, etwa extreme politische Ansichten oder Parteioder Sektenzugehörigkeiten sowie auch Erpreßbarkeit oder Überschuldung. Dazu meint allerdings Meyer l67 , diese Umstände begründeten zwar ein erhöhtes (und insofern kündigungserhebliches) Sicherheitsrisiko durch den Betroffenen 168, doch seien solche Störungen des Vertrauensbereichs nicht geeignet, eine Kündigung zu tragen, sofern sie nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden sind l69 . Das ist widersprüchlich, weil gerade aufgrund solcher Tatsachen, wie etwa der Überschuldung im Privatbereich eines Geldfahrers die Sicherheitsbedenken dadurch entstehen, daß dem Arbeitnehmer für die Zukunft nicht mehr vertraut werden kann, sich loyal gegenüber dem Anstellungsbetrieb (z. B. eines Kurierdiensts) zu verhalten. Die Kritik, mit einer Kündigung wegen dieser Störung des Vertrauensbereichs in ein "diffuses Vertrauens- und Gemeinschaftsverständnis,,17o zurückzuverfallen, ist verfehlt. Das wird daran deutlich, daß Störungen im Vertrauensbereich anhand (notwendiger) objektiver Tatsachen sehr genau bestimmt werden können. Eine solche Verschuldung im Privatbereich kann z. B. das Vertrauen in den Arbeitnehmer nur dann erschüttern, wenn er diese z. B. wegen einer Spielsucht zu verantworten hat. Hat er dagegen die Verschuldung wegen eines Immobilienkaufs verursacht, was i.d.R. miteinander einhergeht, verletzt das nicht das Vertrauen in seine Loyalität. Es wird niemandem das Vertrauen deshalb entzogen, weil er auf Kredit eine Wohnung kauft, vielmehr erhöht ein solcher Vorgang die Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem regelmäßigen Einkommen. Derartige Vertrauenstatbestände in Arbeitsverhältnissen sind konkretisierbar und können auf ihre Schutzwürdigkeit überprüft werden, so daß die Sorge, damit gemeinschaftsrechtliche Überlegungen wieder auszugraben, unbegründet ist. Im Einzelnen ist aber auch die Arbeitsablauforganisation ausschlaggebend. Sicherheitsbedenken können nicht sämtliche Risiken betreffen, die ein Arbeitgeber durch Kontrolleinrichtungen und Überwachungsanlagen vermeiden könnte. Generell wird von Arbeitnehmern in diesen Betrieben erwartet, daß sie den arbeitsplatzspezifischen Sicherheitsanforderungen Genüge tun und auch die ihnen anvertrauten Vermögenswerte (Geldtransporte) oder Betriebsgeheimnisse (militärische Anlagen) nicht mißbrauchen. Wegen des 166 Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11, 20; RGRKI Corts § 626 BGB Rdnr. 172. 167 Meyer, Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Sicherheitsbedenken. 168 Meyer a. a. O. S. 198. 169 Meyer a. a. O. S. 108. 170 Meyer a. a. O. S. 108 mit Verweis auf die Ausflihrungen von Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 363.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
hohen Einwirkungs- und Schädigungspotentials genügen bereits kleine Erschütterungen des Vertrauens in die gesteigerten Loyalitätspflichten, um eine Kündigung rechtfertigen zu können, je nach den Besonderheiten des einzelnen Betriebs. Wenn ein Mitarbeiter eines Versorgungswerks einer großen Stadt Kontakte zu einer Terrorismus-Symphatisantin hält, so genügt das im Hinblick auf die Anfälligkeit von Versorgungseinrichtungen für Terroranschläge nicht für eine Kündigung des Mitarbeiters l7l , anders aber fiele die Wertung aus, wenn z. B. ein militanter Atomkraftgegner in einer verantwortlichen Position in einem Kernkraftwerk arbeitet l72 . Auch ein Platzmeister eines Schießplatzes in einer Bundeswehrkaserne 173 genießt gesteigertes Vertrauen in die Wahrung der Sicherheit. Dieses Vertrauen kann daher leicht erschüttert werden, wenn auch der bloße Umstand, daß der derjenige einen "geschmeidigen Charakter" aufweist, alleine nicht ausreichen kann 174 .
§ 2 Die Kündigung in Religionsgemeinschaften
und Tendenzbetrieben I. Die Kirchen als Arbeitgeber Gegenüber kirchlichen Arbeitgebern werden ausgeprägte Loyalitätspflichten der Arbeitnehmer vorausgesetzt 175 . In den Bereichen, in denen die Kirche direkte Glaubensarbeit leistet, ist daher auch das Vertrauen, daß ein Arbeitnehmer die Inhalte und Ziele der kirchlichen Glaubenslehre teilt und fördert besonders stark ausgeprägt. In den Bereichen, in denen sie "weltliche" Dienstleistungen verrichtet, ist das nicht zwingend der Fall. Dort ist fraglich, inwieweit z. B. die katholische Glaubenslehre Einfluß auf die Arbeitnehmer und deren Verrichtungen ausüben darf. Es geht dabei um das Spannungs/eid zwischen Recht und Religion, Staat und Kirche, das besteht, weil der weltanschaulich neutrale Staat den Kirchen das Recht zugesprochen hat, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig innerhalb der gesetzlichen Schranken zu ordnen und zu verwalten 176 (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Das gilt nicht nur für körperschaftliche Organisationen und ihre Ämter, sondern auch für solche Vereinigungen, die nur partiell religiöse Ziele verfolgen 177 • Als kirchliche Einrichtungen gelten i.S.v. § 118 Abs. 2 BetrVG auch deren 171 172
BAG EzA Nr. 38 zu § I KSchG. Bsp. bei Preis/Stoffels, Kündigung wegen politischer Betätigung, RdA 1996, S. 210,
216. 173 Vgl. BAG AP Nr. 3 zu § I KSchG Sicherheitsbedenken, wobei es aber bei dieser bedenklichen Entscheidung an einem objektiv belegbaren Vertrauensverlust fehlt. 174 BAG AP Nr. 3 zu § I KSchG Sicherheitsbedenken. 175 Fitting / Kaiser / Heither / Engels Betriebsverfassungsgesetz § 118 BetrVG Rdnr. 54 a. 176 Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Arbeitnehmer sein? NJW 1986. S. 356. 177 Stege/Wienspach § 118 BetrVG Rdnr. 12.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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sonstige, etwa karitative Einrichtungen I78, sofern eine ausreichende Bindung zur Kirche gegeben ist. Zur Umsetzung der Verfassungsgarantie können sich die Kirchen auch der Privatautonomie bedienen, etwa um ein Arbeitsverhältnis zu begründen oder zu regeln 179. Demnach liegt es auch an den Kirchen selbst, die Loyalitätspflichten und deren Abstufungen für jedes Arbeitsverhältnis zu regeln 180. Kritisiert wird von der Lehre im Zusammenhang mit Art. 137 WRV insbesondere die weite Einbeziehung von kirchlichen Einrichtungen auch ohne spezifisch religiösen Bezug und deren Arbeitnehmer l81 . Dazu meint etwa Struck, daß aus der Kirchenautonomie durch den weitgehenden Schutz eine Kirchensouveränität geworden sei, die nicht in jeder Hinsicht gerechtfertigt werde l82 • Das BVerfG umriß die Grundprinzipien eines kirchlichen Arbeitsvertragsrechts wie folgt: Das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft und die Anerkennung verbindlicher kirchlicher Grundpflichten sind bei "Kündigungen von Arbeitsverhältnissen wegen der Verletzung der ( ... ) Loyalitätsobliegenheiten aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen. ,,183. Denn eine Mißachtung des kirchlichen Selbstverständnisses und seiner" Verpflichtung der kirchlichen Arbeitnehmer auf grundlegende Maximen kirchlichen Lebens ( ... ), widerspräche dem verfassungsverbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirche,,184. In jedem Arbeitsverhältnis gelten daher die grundlegenden kirchlichen Maxime als Mindestpflichten, sie sind also Geschäftsgrundlage in jedem Arbeitsvertrag. Sie gelten daher unabhängig von vertraglich festgehaltenen Pflichten und ohne Zusammenhang mit der Stellung des Arbeitnehmers und jeder kirchliche Mitarbeiter schuldet sie 185 . Darüber hinaus können besondere Loyalitätsobliegenheiten für das einzelne Arbeitsverhältnis geschaffen werden. Erst wenn nach diesen Voraussetzungen eine Verletzung der Mindestloyalität oder einer besonderen arbeitsplatzspezifischen Loyalitätsverletzung feststeht, können die Arbeitsgerichte die sachliche Rechtfertigung einer Kündigung anhand § 626 BGB oder § 1 KSchG als allgemein geltende Gesetze i. S. d. Art. 137 Abs. 3 WRV messen. So kann es im Einzelfall unangemessen sein, wenn ein Buchhalter eines katholischen Jugendheims wegen seines Kirchenaustritts gekündigt wird 186 , weil die Kirchenmitgliedschaft zur Mindestloyalität gehört. Anders dagegen ist der Kirchenaustritt einer Lehrerin in einer Ordensschule ein Grund zur außerordentlichen 178 Vgl. für karitative Einrichtungen des Diakonischen Werkes LAG Düsseldorf EzA Nr. 19 zu § 118 BetrVG. 179 Beschluß des BVerfG EzA Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer. 180 Beschluß des BVerfG EzA Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer. 181 Fitting/ Kaiser/Heither /Engels § 118 BetrVG Rdnr. 48 m. w. N. zum Meinungsstand. 182 Struck, Entwicklung und Kritik des Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich, NZA 1991, S.248. 183 BVerfG, NJW 1986, S. 367 zu Bill e der Gründe, vgl. schon BVerfGE 53, 366,404. 184 BVerfG, NJW 1986, S. 367 zu Bill e der Gründe. 185 Dütz, Anm. zu EzA Nr. 4 zu § I KSchG Tendenzbetrieb; Rüthers, Anm. zu EzA Nr. 13 zu § I KSchG Tendenzbetrieb. 186 Vgl. BAG EzA Nr. 15 zu § 1 KSchG Tendenzbetrieb.
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Kündigung 187 , ebenso bei einer in einer evangelischen Beratungsstelle beschäftigten Sozialpädagogin 188 . Umstritten bleibt in diesem Zusammenhang die generelle Frage, ob die betroffene Tätigkeit eine Nähe zu spezifisch kirchlichen Aufgaben aufweisen muß 189 • Ein typischer Konfliktpunkt ist die ärztliche Tätigkeit in katholischen Krankenhäusern. Prinzipiell kann ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus gegeben sein, wenn er mit seiner Behandlung, z. B. einer homologen Insemination, gegen tragende Grundsätze des geltenden Kirchenrechts verstößt l90 . In den Arbeitsverträgen wird meistens bestimmt, daß der Arzt in seiner ärztlichen Verantwortung bei Diagnostik und Therapie auch dem kirchlichen Gesetz unterworfen ist. Explizit gelten teilweise als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB insbesondere auch Tatbestände in der Person oder im Verhalten des Arztes, die wegen des katholischen Charakters des Krankenhauses von besonderem Gewicht sind 191. Dazu gehört auch jeder Schwangerschaftsabbruch oder die Sterbehilfe, die nicht im Einklang mit den Vorschriften der katholischen Kirche steht. Diese Glaubensgrundsätze wirken auch in den Bereich der privat betriebenen Ambulanz in den Räumen des Krankenhauses. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG können die Kirchen kraft ihres Selbstbestimmungsrechts auch in ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen diese Voraussetzungen für Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Dienst festlegen 192. Für das BAG sind dabei zwei Aspekte des kirchlichen Selbstverständnisses entscheidend, zum einen das Vertrauensmoment zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses, daß diese Grundsätze auch Beachtung finden und gelebt werden und zum anderen das Ansehen sowie die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Einrichtung nach außen. Angesichts der mittels der Kirchenautonomie geschlossenen Arbeitsverträge wird eine Kündigung regelmäßig schon auf die Vertragsverletzung zu stützen sein, wenn ein Arzt z. B. einen (vertragswidrigen) Schwangerschaftsabbruch durchführt. Darüber hinaus verliert er aber auch das Vertrauen seines Arbeitgebers in seine eigene Kirchentreue. Er verletzt das im kirchlichen Arbeitsverhältnis gesteigerte Loyalitätsinteresse in seine Person. Gerät er im Vorfeld schon in einen Gewissenskonflikt, was regelmäßig anzunehmen ist, muß er bereits diesen Umstand dem Arbeitgeber mitteilen. Ferner darf er nicht seinen Arbeitgeber hinsichtlich dessen Glaubensund Moralvorstellungen öffentlich, etwa in einem kollektiven Leserbrief193 , kritiLAG Hamm, BB 1978, S. 1721 f. LAG Rheinland-Pfalz LAGE Nr. 8 zu § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer. 189 Vgl. aber BAG EzA Nr. 17 zu § 1 KSchG Tendenzbetrieb, zum Kirchenaustritt eines Assistenzarztes. 190 Aufgaben der Kongregation der Franziskanerinnen vom Heiligen Märtyrer Georg von T, BAG AP Nr. 114 zu § 626 BGB. 191 Vgl. BAG AP Nr. 114 zu § 626 BGB. 192 BAGE 30, 247, 256; BAGE 34,195,204; BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG, zu B II 2 a der Gründe; BAG AP Nr. 35 zu Art. 140 GG, zu II I der Gründe; BAG AP Nr. 36 zu Art. 140 00, zu I 2 b der Gründe. 187
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sieren, wenn er diese selbst nicht teilt. Dem steht auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs I GG nicht entgegen. Als allgemeine Gesetze im Sinne der Schrankenregelung nach Art 5 Abs 2 GG gelten nämlich auch die "Grundregeln über das Arbeitsverhältnis", wozu die Interessenwahrungspflicht des Arbeitnehmers gehört l94 . Wenn auch damit das Grundrecht nicht allgemein eingeschränkt werden kann, führt doch die notwendige Güterabwägung regelmäßig zu der Pflicht des Arbeitnehmers die ihm durch den Arbeitsvertrag auferlegten Grenzen loyalen Verhaltens nicht zu überschreiten l95 . Darauf darf der kirchliche Arbeitgeber schützens wert vertrauen. Dann genügt bereits die öffentliche Äußerung, mit der Haltung der Kirche zur Abtreibung nicht einherzugehen oder die öffentliche Kritik an der Krankenhausleitung in Bezug auf dieses Thema, um das Vertrauen in den Arzt entfallen zu lassen, daß dieser bei der Behandlung abtreibungswilliger Frauen stets auch die kirchlichen Glaubensgrundsätze einhalten wird, ohne daß ihm ein erfolgter Verstoß nachgewiesen werden müßte. Ein solcher Arzt ist nicht weiter geeignet, in einem kirchlichen Krankenhaus zu arbeiten und muß auf die sonstigen städtischen oder privaten Häuser verwiesen werden. Voraussetzung ist jedoch, daß dem Arbeitnehmer die Erwartungen der Kirche in seine Person erkennbar gewesen ist, was, wie im obenstehenden Fall in der Regel bereits dem Arbeitsvertrag zu entnehmen ist. Wegen der in religiösen Einrichtungen gesteigerten Loyalitätspflicht ist das Vertrauen des kirchlichen Arbeitgebers auch dann schützenswert, wenn es sich auf Tatsachen aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers bezieht. Dabei geht die Rspr. des BAG sehr weit, es hat etwa die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen dessen außerdienstlicher homosexueller Praxis bestätigt l96 . Dieser war für die Konfliktberatung des Diakonischen Werks einer evangelischen Landeskirche eingesetzt und zuvor erfolglos abgemahnt worden. Die öffentliche homosexuelle Partnerschaft verstößt gegen die Inhalte der kirchlichen Lehrverpflichtung. Der kirchliche Anstellungsbetrieb darf in stärkerem Maß auf die Einhaltung der Unternehmensziele durch den Arbeitnehmer vertrauen, als der neutrale Unternehmer. Das folgt nicht schon aus der Kirchenautonomie oder aus der besonderen Störempfindlichkeit der religiösen Einrichtungen. Auch unterscheidet sich der Arbeitnehmer in weltliche Einrichtungen der Kirche oder auch im Tendenzbetrieb nicht generell in seiner Person von anderen Arbeitnehmern. Der Grund liegt wiederum darin, daß die Glaubens- oder Tendenzförderungspflicht des Arbeitnehmers regelmäßig Vertragspflicht ist. Struck hat darauf verwiesen, daß es zur Bestimmung des Vertrauensbereichs in kirchlichen Arbeitsverhältnissen auf das für den Arbeitsvertrag nötige Vertrauen allein ankommen solle 197. Die Orientierung an den Vertragspflichten 193 Vgl. Struck, Entwicklung und Kritik des Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich, NZA 1991, S. 249, 252 m. w. N. 194 BAG AP Nr. 2 zu § 13 KSchG; MünchKomrn 2 / Söllner § 611 BGB Rdnr. 186. 195 BAG AP Nr. 2 zu § 13 KSchG unter II 2 d der Gründe. 196 BAG EzA Nr. 14 zu § 1 KSchG Tendenzbetrieb. 197 Struck a. a. O. S. 253.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
führt jedoch mitunter zu fragwürdigen Ergebnissen. So beurteilte das BAG konsequent die homosexuelle Praxis als Vertragspflichtverletzung l98 , die abgemahnt werden müsse und bei Weiterführung durch den Arbeitnehmer einen Kündigungsgrund bilde l99 • Wie in dem oben angeführten Beispiel des Arbeitsvertrags werden i.d.R. auch die kündigungsrechtlichen Auswirkungen einer Verletzung der Loyalitätspflicht vertraglich mitbestimmt. Das gesteigert schützenswerte Loyalitätsinteresse des Tendenzunternehmers folgt daher aus der privatautonomen Ausgestaltung der besonderen Vertragspflichten und deren Reichweite. Insofern ist nicht danach zu fragen, ob die Kirchen nicht ohne diese detaillierten Arbeitsverträge an Glaubwürdigkeit gewinnen könnten 2OO, sondern festzustellen, daß gerade die Möglichkeit der privatautonomen Bestimmung von Loyalitätspflichten der Beseitigung von Unsicherheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen dient. Ein Arbeitnehmer wird dann rechtzeitig bei Vertragsschluß über seine besonderen Pflichten aufgeklärt und auch gewarnt. Tritt er widerspruchslos in das kirchliche Arbeitsverhältnis ein, wirkt er an der Bildung des Vertrauenstatbestandes, er werde sich entsprechend der kirchlichen Glaubenslehre verhalten, selbstverantwortlich mit. Andererseits dürften dann auch keine zuvor unerkannten Aspekte im Arbeitsverhältnis eine spätere Kündigungsrelevanz bekommen. Will etwa die Kirche keine homosexuellen Arbeitnehmer oder keine geschiedenen, muß das bei der Einstellung Grundlage des Vertrags gewesen sein oder sonst für den Arbeitnehmer erkennbar gewesen sein, um darauf schützenswertes Vertrauen gründen zu können. Anders ist angesichts der weitreichenden "Kirchensouveränität" keine Rechtssicherheit und auch kein hinreichender Bestandsschutz für kirchliche Arbeitsverhältnisse erzielbar. Nach der am 1. 1. 1994 in Kraft getretenen "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse,,201 hat die katholische Kirche in Art. 4 die Loyalitätsobliegenheiten für Arbeitsverhältnisse in Einrichtungen der katholischen Kirche neu geregelt. In Art. 4 der Regelung findet sich die Umschreibung der besonderen Loyalitätspflichten der einzelnen Mitarbeiter der Kirche. Danach gilt für alle Mitarbeiter, daß sie kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen haben und in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der sie beschäftigenden Einrichtung nicht gefährden dürfen. Nichtchristliche Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen übertragenen Aufgaben i. S. d. Kirche zu erfüllen. Christliche, nichtkatholische Mitarbeiter müssen die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in ihrer Einrichtung zur Geltung zu bringen. Und von katholischen MitarBAG EzA Nr. 14 zu § 1 KSchG Tendenzbetrieb. Das ist ein Beispiel für den unsicheren Umgang mit der heutigen Sozialmoral, ebenso wie die Einstufung der Transsexualität eines Arbeitnehmers als krankheitsbedingten Kündigungsgrund, der zusammen mit den "Persönlichkeitsveränderungen" des Transsexuellen eine (ordentliche) Kündigung rechtfertigen könne, LAG Berlin, EzA Nr. I zu § I KSchG Personenbedingte Kündigung. 200 Struck, a. a. 0., S. 249, 253. 201 Text und Begründung siehe NJW 1994, S. 170. 198
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beitern wird schließlich verlangt, daß sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Sodann wird hervorgehoben, daß insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst, sowie bei Beschäftigten aufgrund einer Missio canonica darüberhinaus das persönliche Lebenszeugnis i. S. d. Grundsätze erforderlich ist, was entsprechend für leitende Mitarbeiter gilt. Daraus gewinnt der kirchliche Arbeitgeber konkrete, objektive Vertrauenstatbestände. Anders als der Inhalt der Mindestloyalitätspflichten kann die privatautonome Ausgestaltung der Arbeitsverträge auch den außerbetrieblichen, privaten Bereich der Arbeitnehmer umfassen, etwa den Kirchenaustritt eines Arztes in einem katholischen Krankenhaus, die Heirat eines geschiedenen Mannes durch eine katholische Lehrerin 202 und auch eine etwaige homosexuelle Praxis, aber Voraussetzung ist stets, daß diese Umstände vertraglich festgelegt oder als vertragliche Nebenpflicht anerkannt sind. Ohne diese privatautonome Ausgestaltung darf auch eine Kirche nicht schützenswert darauf vertrauen, daß ein Arbeitnehmer sich auch in seiner Freizeit den Inhalten der kirchlichen Glaubenslehre entsprechend verhält. Es ist daher nicht vertretbar, durch die weite Auslegung der Kirchenautonomie die kirchlichen Arbeitgeber von der Pflicht zu entbinden, die gesteigerten Loyalitätspflichten zu benennen und Grundlage ihrer Arbeitsverträge zu machen. Wenn darauf unter Hinweis auf die Kirchenautonomie verzichtet wird, werden die Kündigungssachverhalte nicht nur zahlenmäßig unbestimmbar, sondern auch den Inhalten nach, denn diese verändern sich mit der Zeit und den gesellschaftlichen Vorstellungen. So führen etwa die gesellschaftlichen und kirchlichen Vorstellungen über die Ehescheidungen zu wachsenden Divergenzen und zu Unsicherheiten im Kündigungsrecht. Richardi schließt aus der Kirchenautonomie, daß jeder ihrer Arbeitnehmer die kirchliche Ordnung auch in seiner privaten Lebensführung zu respektieren hat 203 . Im Einklang mit dem BAG meint er, die Erfüllung kirchlicher Aufgaben dulde "keine scharfe Scheidung von dienstlicher Loyalität und außerdienstlicher Ungebundenheit,,204. Daraus folgert Richardi dann, jedes kirchliche Arbeitsverhältnis begründe eine allgemeine Loyalitätsobliegenheit rur alle kirchlichen Mitarbeiter, welche keine Nebenpflichten seien, auf die der Arbeitgeber einen Rechtsanspruch habe, sondern Obliegenheiten, welche bei Mißachtung den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigten 205 . Dieser generellen Gleichstellung von innerund außerbetrieblichen Loyalitätspflichten ist nicht zu folgen. Erst durch die Benennung spezieller Loyalitätspflichten als Vertragspflichten können diese als privatautonome Vertrauenspositionen Kündigungsrelevanz erhalten. Andernfalls könnten Arbeitnehmer in Tendenzunternehmen überhaupt keinen Bestandsschutz hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes aufbauen. Ihr Vertrauen auf die Fortführung des Hierzu und weitere Beispiele in Staudinger/Preis BGB § 626 Rdnr. 195. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 57. 204 BAGE 30, 247, 257, zitiert von Richardi a. a. 0., S. 57. 205 Richardi a. a. O. S. 58, mit Verweis auf das gleiche Ergebnis bei Berchtenbreiter, Kündigungsschutzprobleme im kirchlichen Arbeitsverhältnis, S. 17. 202 203
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Arbeitsverhältnisses erscheint gerade wegen der gesteigerten Loyalitätspflichten besonders schützenswert. Denn sie müssen aus Gründen der Glaubens- oder Tendenzwahrung mit großen Einschränkungen in ihrer Privatsphäre leben und bringen schon deshalb mehr Opfer für den Betrieb, als das vergleichbaren Arbeitnehmern in nicht tendenzgeprägten Unternehmen abverlangt wird. Dem ist zwar nicht entgegenzuhalten, daß die Kirchen aufgrund ihrer Autonomie befugt sind, den Inhalt der Loyalitätsobliegenheiten festzulegen, doch kann die einseitige Festlegung, die für den Arbeitnehmer nicht erkennbar ist, keine bindende Wirkung entfalten. Denn für die Umsetzung der Inhalte der Arbeitsverhältnisse bedienen sich die Kirchen der Privatautonomie. Nicht nach den Inhalten, sondern nach der Art und Weise der Umsetzung der Pflichten ist zu fragen. Werden kirchliche Arbeitsverhältnisse privatautonom eingegangen, muß die Einbeziehung solcher Loyalitätsobliegenheiten nach zivilrechtlichen Grundsätzen erfolgen. Es ist daher nötig, sämtliche Obliegenheiten erkennbar als Grundlage des jeweiligen Arbeitsvertrags heranzuziehen bzw. im Vertrag auszuführen. Sie müssen Geschäftsgrundlage des Arbeitsvertrages werden. Wird die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche vorausgesetzt, stellt der Kirchenaustritt eines Arbeitnehmers einen Wegfall der Geschäftsgrundlage dar, der für das Arbeitsverhältnis mit der außerordentlichen Kündigung umgesetzt wird206 . Alle nicht bei Abschluß des Vertrags erkennbaren Loyalitätsobliegenheiten sind versteckte oder geheime Vorbehalte unwirksam und können eine Kündigung desArbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen.
11. Die Tendenzunternehmen
In Tendenzunternehmen kann ein besonderer Vertrauenstatbestand darauf gerichtet sein, daß Arbeitnehmer die vorgegebene Tendenz wahren und fördern. Die Tendenzeigenschaft eines Unternehmens folgt in erster Linie aus dem Unternehmenszweck207 . Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sind meistens politisch ausgerichtet und verfolgen den Zweck einer gezielten öffentlichen Meinungsbildung 208 . Typische Tendenzunternehmen sind daher gerade Zeitungs 209- aber auch Buchverlage 2JO , ferner auch Theater211 , nicht aber Sprachschulen 212 . Ob ein tendenzwidri206 richtig, Richardi a. a. O. S. 82 für den Kirchenaustritt; das LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1998, S. 149 ff., spricht dagegen etwas unklar sowohl von einer Loyalitätsobliegenheit, als auch von einer vertraglichen Loyalitätspflicht bzw. einer Grundverpflichtung. Konsequent dagegen ordnet das BAG, NZA 1998, S. 145, 147, den Ehebruch eines kirchlichen Bediensteten schlicht als einen Verstoß gegen die Vertragspflicht ein, die hohen moralischen Grundsätze der Kirche einzuhalten. 207 BAG, Beschl. EzA Nr. 6 zu § 118 BetrVG. 208 Beschl. des BAG EzA Nr. 6 zu § 118 BetrVG. 209 LAG Berlin EzA Nr. 11 § 1 KSchG Tendenzbetrieb; bzgl. Redakteuren und Redaktionsvolontäre vgl. BAG Beschl. EzA Nr. 30 zu § 118 BetrVG. 210 EzA Nr. 45 zu § 118 BetrVG; Beschl. des BAG EzA Nr. 6 zu § 118 BetrVG. 211 BAG AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; SAG EzA Nr. 38 zu § 118 SetrVG.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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ges Verhalten eines Arbeitnehmers das Vertrauen in seine Eignung für die auszuübende Tätigkeit entfallen lassen kann, hängt im Einzelfall davon ab, ob er in einer neutralen Position für das Unternehmen arbeitet oder Tendenzträger ist. Tendenzträger sind solche Arbeitnehmer, die an der geistig-ideellen Zielsetzung des Betriebs mitwirken 213 . Wer als Redakteur einer konservativen Tageszeitung arbeitet, dem wird kraft seiner Aufgabe und der politischen Zielrichtung vertraut, daß er die konservative Linie der Zeitung auch vertritt. Dieser Vertrauenstatbestand entsteht tätigkeitsspezifisch aus der Arbeitsaufgabe des Redakteurs, betriebsspezifisch aus der Tendenzeigenschaft des Verlags und positionsimmanent aus der herausgehobenen und verantwortlichen Position eines Redakteurs in einem solchen Unternehmen. Aus dem Zusammentreffen dieser vertrauensbildenden Umstände ist zu schließen, daß bei einem Redakteur einer Zeitung, eines Fernseh- oder Radiosenders genauso wie auch bei dem Intendanten eines Theaters, ein graduell gewichtiges Vertrauen in die Tendenzwahrung investiert wird. Wegen des Einflusses, den ein solcher Arbeitnehmer ausübt, aber auch wegen des großen öffentlichen Interesses, sind solche Vertrauensverhältnisse sensibel und leicht zu erschüttern. Das gilt auch dann, wenn die konkrete Arbeitsaufgabe nicht zwingend die Bearbeitung und Kommentierung politischer Themen beinhaltet, sondern auch bei einem Sportredakteur214 , jedenfalls, wenn er durch seine herausgehobene Stellung Einfluß auf die politische Zielrichtung seines Anstellungsbetriebs nehmen kann und dieses nach außen repräsentiert. Wer allerdings in der Druckerei oder im Vertrieb für die Zeitung arbeitet, dessen Tlitigkeit ist neutral und begründet nicht das Vertrauen in die Tendenzwahrung und -förderung. Die Inhalte, auf die ein Tendenzunternehmer vertrauen darf, sind vor allem im Medienbereich vielschichtig. Im Vordergrund steht die Glaubwürdigkeit des Unternehmens, die ein Tendenzträger in gehobener Position auch außerhalb seiner Tätigkeit, etwa in öffentlichen Fernsehauftritten, nicht untergraben darf. Zwar kann nicht das Teilen einer Überzeugung selbst verlangt werden, doch darf ein Journalist den Ansichten seines Verlagshauses nicht entgegenarbeiten. Er schadet damit nicht nur dem Ruf, sondern auch den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens, wenn dadurch Leser abgeschreckt werden. Ein Arbeitnehmer, der zur Tendenzwahrung und -förderung verpflichtet ist, verliert die Eignung für die weitere Tätigkeit, wenn ihm nicht länger vertraut werden kann, diese schützenswerte Loyalitätsinteressen des Arbeitgebers zu wahren. Schutzwürdig ist darüber hinaus auch das Interesse eines Zeitungsverlags, die innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Das bedeutet für jeden Arbeitnehmer, der mit betrieblichen Geheimnissen zu tun hat, daß er den Informationsvorsprung, der für die Pressearbeit unverzichtbar ist, nicht der Konkurrenz weitergibt. Dieses Vertrauen wird nicht nur kraft der Arbeitsaufgabe in jeden ArBAG Beschl. EzA Nr. 25 zu § 118 BetrVG. Auch ohne einen unmittelbar tendenzgeprägten Arbeitsplatz, wie der eines Psychologen bei einem Berufsförderungswerk (BAG Beschl. EzA Nr. 44 zu § 118 BetrVG) oder der eines Orchestermusikers (BAG EzA Nr. 40 zu § 1 KSchG). 214 BAG Beschl. EzA Nr. 10 zu § 118 BetrVG. 212 213
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
beitnehmer investiert, der mit der Infonnationsbeschaffung und -verarbeitung bzw. der Publikation zu tun hat, sondern ist auch unter deliktischen Gesichtspunkten schutzwürdig215 . Insbesondere die redaktionelle Arbeit einer Zeitung ist auf Vertraulichkeit besonders angewiesen, was teilweise auch zum Schutz der Infonnanten unerläßlich iSt. 216 • Darin wird stets ein gesteigerter Vertrauenstatbestand im Bereich des Loyalitätsinteresses des arbeitgebenden Presseverlags, des Fernsehoder Rundfunksenders zu sehen sein, dessen Verletzung unmittelbar die Eignung des Arbeitnehmers Frage stellt und eine Kündigung wegen Vertrauenswegfalls rechtfertigen kann.
§ 3 Die Kündigung wegen Straftaten Außerhalb des Betriebs begangene Straftaten bedeuten stets die Verletzung staatsbürgerlicher, nicht aber zwingend arbeitsrechtlicher Pflichten. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung kann daraus nur erwachsen, wenn die Straftat im Zusammenhang mit der Tatigkeit des Arbeitnehmers steht oder sonst konkrete Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Straftaten im Betrieb haben verschiedene Ausrichtungen. Sie begründen meist verhaltensbedingte Kündigungsgründe wirken aber immer auf den Vertrauensbereich ein. Sie können von Arbeitnehmern untereinander verübt oder gegen den Arbeitgeber gerichtet werden. Die Opfer können auch aus der außerbetrieblichen Sphäre kommen. Je nach der Ausrichtung und dem Grad der Schwere der Taten werden unterschiedliche Vertrauenspositionen des Arbeitgebers berührt.
I. Die Einleitung und die Unterscheidungskriterien Bei Straftaten, die das Beschäftigungsverhältnis betreffen, ist danach zu unterscheiden, wann, wo, gegen wen und wie sie verübt worden sind. Ihre Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis müssen bestimmbar und meßbar sein und anhand objektiver Umstände beweisbar sein. Nur, wenn sie schutzwürdige Belange des Arbeitgebers berühren, können sie eine Kündigung rechtfertigen. Wird z. B. ein Angestellter wegen des Handeins mit kinderpornographischen Erzeugnissen verurteilt217 , wirkt sich das konkret in seinem Anstellungsbetrieb aus. Die Kollegen werden ihn verurteilen und meiden, sich gegebenenfalls weigern, mit ihm zusammenzuarbeiten, Vorgesetzte werden ihn verurteilen und seine Entlassung fordern. Diese menschlichen Reaktionen, die auf verachtenswerten Taten folgen, werden unabhängig davon eintreten, in welchem Betrieb der Verurteilte arbeitet. Sie 215 216 217
BGHZ 80, 25, 32. BGHZ 80, 25, 32. Vgl. LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 7 ff.
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sind daher als Kriterien ungeeignet, darüber zu entscheiden, ob jemandem vertraut werden kann, seine Arbeit pflichtgemäß zu leisten. Es kommt also darauf an, ob die Tat in einem wesentlichen Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung steht. Wer Angestellter in einem Postversand ist, kann seine Arbeit trotzdem ordnungsgemäß verrichten. Er hat dort keinen Kontakt zu Kindern, er besitzt keine leitende Funktion und steht auch sonst nicht kraft seiner Aufgabe im öffentliche Licht, wodurch der Ruf des Anstellungsbetriebs beschädigt werden könnte. Eine Kündigung ist mangels einer schutzwürdigen Vertrauensposition des Arbeitgebers nicht gerechtfertigt 218 , anders dagegen, wenn es sich um einen Kindergärtner, Lehrer oder um einen VersandsteIlenleiter handelte, welcher seine Position für einen schwunghaften illegalen Handel mit solchen Erzeugnissen nutzen könnte.
1. Das Kriterium der Ausrichtung der Taten
Straftaten gegen das Eigentum und Vermögen des Arbeitgebers berühren dessen Vermögensschutzinteresse. Dieses uneinschränkbare Interesse bildet die stärkste Vertrauensposition, so daß bei Eigentums- und Vermögensdelikten gegen den Arbeitgeber dessen Vertrauen in die Arbeitnehmer, das Vermögensschutzinteresse zu wahren, am ehesten erschüttert werden kann. Dafür genügen auch kleinste Schädigungen unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung. Es reicht auch regelmäßig der begründete Verdacht, daß der Arbeitnehmer eine Tat begangen hat, um das Vertrauen in seine Achtung des Vermögensschutzes des Anstellungsbetriebs entfallen zu lassen. Der Grund liegt in der besonderen Empfindlichkeit des Betriebsvermögens gegen Schädigungen durch Arbeitnehmer, denen die Arbeitsgegenstände und produzierten Materialien überlassen werden. Wird dagegen durch Straftaten nur das Integritätsinteresse des Arbeitgebers betroffen, ist im einzelnen zu bestimmen, inwieweit das Vertrauen darauf privatautonom entstanden ist und ob es ferner berechtigt investiert worden ist oder gegebenenfalls schützenswerte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen. Auch bei Verletzung der Loyalitätspflicht kommt es darauf an, ob privatautonome Vertrauenspositionen gegeben sind und ob kein Interessenkonflikt die an sich strafbare Tat des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber rechtfertigt. Neben der Ausrichtung der Taten ist ferner danach zu unterscheiden, auf welche Art und Weise sie begangen wurden. Erschwerend kann es sich auswirken, wenn sie sich gegen besonders anvertraute Eigentums- und Vermögensgegenstände richten. Erleichternd können Umstände wirken, wie ein geringer Verschuldensgrad, Irrtum über eventuelle Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe.
218
LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 7 ff.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
2. Das Kriterium der Opferbestimmung
Nach der Opferbestimmung bei Straftaten im Betrieb richtet sich teilweise, welches Interesse des Arbeitgebers berührt wird. Nur bei Vermögens- und Eigentumsstraftaten gegen ihn selbst, wird das Vermögensschutzinteresse betroffen. Das gilt auch dann, wenn z. B. ein Arbeitnehmer einen Diebstahl außerhalb des Beschäftigungsbetriebs und der Arbeitszeit in einem anderen, räumlich entfernten Betrieb des Arbeitgebers begeht 219 . Sind andere Arbeitnehmer die Opfer, kann allenfalls das Integritätsinteresse beeinträchtigt werden. Für die Verletzung von Vertrauenspositionen in Bezug auf die Loyalitäts- und Betriebsförderungspflicht gilt, daß entweder der Arbeitgeber220 oder ein Dritter, der mit ihm geschäftlich verbunden 221 ist oder verkehrt, das Opfer sein muß. 3. Das zeitliche Kriterium und die Behandlung von Vorstrafen
Neben der Ausrichtung der Taten und der Opferbestimmung ist weiterhin der Faktor Zeit von Bedeutung für die Schutzwürdigkeit betroffener Vertrauenspositionen. Danach ist zu unterscheiden, ob eine Tat vor Antritt des Beschäftigungsverhältnisses oder während der Anstellung begangen worden ist. Zeitlich vor Beginn des Arbeitsverhältnisses verübte Straftaten betreffen das Vermögensschutzinteresse nur dann, wenn eine Wiederholung der Tat im Betrieb zu befürchten ist oder der Arbeitgeber berechtigt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in die Unbescholtenheit des Arbeitnehmers vertrauen durfte, diese also Gegenstand einer privatautonom erzeugten Vertrauensposition gewesen ist. Zu Recht fordert die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang, daß nach Vorstrafen eines Bewerbers bei der Einstellung nur gefragt werden darf, soweit die zu erfüllende Arbeitsaufgabe das erfordert222 . Der Zeitpunkt der Tat entscheidet ferner darüber, ob sie während des Dienstes oder außerhalb der geschuldeten Arbeitszeit erfolgte.
11. Die innerbetrieblichen Straftaten 1. Die Straftaten gegen das Eigentum und das Vennögen des Arbeitgebers
Außerordentliche Kündigungen werden vor allem durch Schädigungen des Eigentums oder Vermögens des Anstellungsbetriebs gerechtfertigt. Ein ArbeitnehBAG EzA Nr. 91 zu § 626 BGB. Z. B. wenn sich die Steuerhinterziehung durch einen Angestellten der Finanzverwaltung rufschädigend auswirkt. 221 Z. B. beim Diebstahl zulasten einer Konzernschwester des Arbeitgebers, vgl. BAG EzA Nr. 14 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 222 BAG EzA Nr. I zu § 123 BGB. 219
220
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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mer, der eine Lieferfirma des Arbeitgebers, bei der er wiederholt Werkzeuge für den Betrieb bestellt hat, veranlaßt, an ihn privat Werkzeug kostenfrei zu liefern, zerstört das Vertrauen in seine Achtung des Vermögensschutzinteresses des Arbeitgebers. Dadurch wird eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, auch wenn der Arbeitnehmer danach in einem anderen Bereich arbeitet 223 und eine Wiederholung ausgeschlossen erscheint. Weil das Vertrauen in die Wahrung des Vermögensschutzinteresses beim Arbeitgeber gerade bei einer Verfügungsrnacht über Betriebsvermögen am stärksten ausgeprägt ist, kann es schon durch geringwertige und einmalige Angriffe erschüttert werden. Dann ist statt einer Abmahnung schon bei dem ersten Vorkommnis die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt, eine Versetzung nur im Ausnahmefall denkbar, weil fast jeder Aufgabenbereich in einem Betrieb Angriffe gegen das Vermögensschutzinteresse zuläßt, und sei es nur, daß dem Arbeitnehmer Arbeitsgeräte überlassen werden. Auf die Höhe des Schadens des Anstellungsbetriebs kommt es nicht an, das BAG erkennt auch die Entwendung geringwertigen Eigentums des Arbeitgebers als einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB an 224 • Typischerweise werden oft Waren in kleinen Mengen von geringen Werten etwa im Kantinenbereich eines Unternehmens gestohlen 225 . Schon der Diebstahl von zwei Päckchen Tabak durch eine Verkäuferin in einem Verbrauchermarkt 226 erschüttert aber das Vertrauen in deren Achtung des Vermögens- und Eigentumsbestands des Arbeitgebers, insbesondere wenn sie zeitweise unkontrollierten Zugriff auf den Warenbestand hat 227 . Daher ist es nicht gerechtfertigt, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit je nach Wert des Diebstahlsobjekts zunächst eine Abmahnung vor der Kündigung zu fordern und bei geringwertigen Eingriffen in das Arbeitgebervermögen eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu verneinen 228 . Insofern trifft der Vorwurf nicht zu, diese Rechtsprechung sei Ausdruck einer Eigentumsideologie, indem sie den Eigentumsschutz hochstilisiert und Wertungswidersprüche zu anderen Kündigungsgründen bewußt in Kauf nimmt 229 . Denn das Eigentums- und Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers ist abstrakt schützens wert. Weil er dem Arbeitnehmer in vieler Hinsicht Produktionsmittel und -ergebnisse anvertrauen muß, darf er in einem hoLAG Schleswig-Holstein, DB 1996, S. 1291. BAG EzA Nr. 90 zu § 626 BGB. 225 Fall in BAG Az.: 2 AZR 776/79 (n. v.). 226 BAG Az.: 2 AZR 695/85 (n. v.). 227 Vgl. ferner BAG EzA Nr. 90 zu § 626 BGB nF (Kuchenstück); BAG EzA Nr. 91 zu § 626 BGB nF (3 Kiwis), BAG, NZA 1985, S. 288 (einige Liter Dieselkraftstoff); LAG Köln LAGE Nr. 95 zu § 626 BGB (2 Stück übriggebliebenen, gebratenen Fisch für ca. 10,- DM aus einer Kantine), anders dagegen LAG Hamm, BB 1977, S. 849 für 3 bis 5 Zigaretten aus einer Besucherschatulle, dem zustimmend MünchKomm 1Schwerdtner § 626 BGB, Rdnr. 127.; zuletzt ArbG Paderbom, EzA Nr. 175 zu § 626 BGB n.F. für ein Fladenbrot. 228 So aber Erman 9 1Hanau, BGB § 626 Rdnr. 44; anders jetzt Erman 1 Belling § 626 BGB Rdnr. 62 f. 229 MünchKomml Schwerdtner BGB § 626 Rdnr. 43. 223
224
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
hen Maße darauf vertrauen, daß dieser sein Eigentum und Vermögen schützt, so daß es auf die Höhe der Schädigung nicht ankommt. Es ist daher nicht vertretbar, zu verlangen, der Arbeitgeber möge ausreichende organisatorische Vorkehrungen treffen, um derartigen ,,Materialschwund" zu verhindern 23o , denn es kann einem Täter generell nicht zum Vorteil gereichen, daß das Opfer sich nicht hinreichend vor der Schädigung geschützt hat. Ebenso wird das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers durch sog. "Schwarzfahrten" der Arbeitnehmer erschüttert, unabhängig von der Frage, ob es sich dabei strafrechtlich um den Gebrauchsentzug des Fahrzeugs nach § 248 b StGB oder um den Diebstahl des Kraftstoffs handelt231 . Denn eine Vermögensminderung liegt im Falle von Schwarzfahrten immer vor, weil das Fahrzeug dem Betrieb zeitweilig entzogen wird (Substanzentziehung), abgenutzt und der Treibstoff verbraucht wird (Substanzverletzung). Es ist statt dessen darauf abzustellen, ob eine solche Fahrt als Mißachtung des Vermögensschutzinteresses durch den Arbeitnehmer zu werten ist oder ob sie gegebenenfalls im guten Glauben auf die Einwilligung des Arbeitgebers unternommen wurde, ob mithin das Vertrauen in die Achtung des Vermögensschutzinteresses durch den Arbeitnehmer zerstört worden ist.
2. Die Straftaten gegen das Eigentum und das Vermögen der Arbeitskollegen
Während das Vermögensschutzinteresse nur die Belange des Anstellungsbetriebs berührt, umfaßt das Integritätsinteresse den Schutz des Eigentums und Vermögens der anderen Arbeitnehmer. Aufgrund der Fürsorgepflicht muß der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, daß seine Arbeitnehmer im Betrieb ungefährdet sind. Das bedeutet, diese dürfen schützenswert darauf vertrauen, der Arbeitgeber werde Abhilfe schaffen, wenn sie durch einen Kollegen gefährdet oder verletzt werden. Sofern eine erhöhte Kontrolle eines potentiellen oder tatsächlichen Störers nicht in Betracht kommt und auch eine Abmahnung keinen Erfolg verspricht, kann die Verletzung des Integritätsinteresses des Arbeitgebers eine Kündigung des Störers rechtfertigen.
3. Die Straftaten gegen Leib, Leben und Gesundheit innerhalb des Betriebs
Tätlichkeiten gegenüber einem Dienstvorgesetzten betreffen mehr, als nur Verhältnis der Beteiligten. Im Hinblick auf das Integritätsinteresse wird das beitsverhältnis nicht nur vertikal zum Vorgesetzten, sondern auch horizontal züglich der übrigen Belegschaft gestört. Deshalb können Tätlichkeiten unter 230 231
MünchKomm I Schwerdtner BGB § 626 Rdnr. 127. Vgl. dazu BAG EzA Nr. 5 zu § 123 GewO.
das ArbeAr-
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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beitnehmern eine Kündigung rechtfertigen 232 . Die Kündigung kann erforderlich sein, wenn sonst die Autorität des Vorgesetzten untergraben würde, zum anderen der Schutz der Mitarbeiter vor ähnlichen Vorfällen in Frage steht233 . Allein die Tätlichkeit kann einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn sie insbesondere mit gefährlichen Gegenständen, wie einem Stahlrohrstuhl und unter Drohung mit einem Kabelmesser verübt wird234 . Im Einzelfall bedarf es aber der Abwägung. So kann es nachzusehen sein, wenn ein Arbeitnehmer einmal aus besonderen Gründen am Tattag die Nerven verliert. Dabei zählt vor allem der soziale Besitzstand, auf den er sich berufen kann. Wird ein seit über 20 Jahren betriebsangehöriger Arbeitnehmer wegen einer streßbedingten psychischen Dekompensation ausfällig, kann sein tätliches Verhalten alleine die Kündigung nicht unbedingt rechtfertigen. Unabhängig von den Umständen des Vorfalls kann aber die Wucht des Angriffs im übrigen die Grundlage des Arbeitsverhältnisses und das Vertrauen in den Arbeitnehmer "als berechenbaren Mitarbeiter" entfallen und die Weiterbeschäftigung unzumutbar erscheinen lassen235 .
4. Die Ehrverletzungen im Betrieb
Das Vertrauensverhältnis wird vor allem dann gestört, wenn ein Arbeitnehmer sich nicht mehr nur kritisch gegenüber seinem Arbeitgeber äußert, sondern diesen darüberhinaus beleidigt oder diffamiert. Solche Angriffe gegen die persönliche Ehre, die den Bereich der sachlichen Kommunikation verlassen haben, wirken auf das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien ein. Arbeiten sie eng zusammen, kann damit die notwendige vertrauensbedürftige Basis für das Arbeitsverhältnis zerstört werden. Voraussetzung ist ein persönliches Verhältnis der Parteien. Das ist der Fall, wenn sie durch die Arbeitsaufgaben darauf angewiesen sind, zusammenzuarbeiten. Dann besteht ein besonderes, schützenswertes Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers daran, mit dem Arbeitnehmer möglichst reibungslos zusammenzuarbeiten. Dieser sensible Vertrauensbereich wird bereits durch geringfügige Ehrverletzungen gestört, anders als in einem unpersönlichen Arbeitsverhältnis, z. B. einem großen Konzern, wo sich Arbeitgeber und -nehmer noch nie begegnet sind. Dort können Verletzungen der Ehre und des Ansehens des Dienstberechtigten, seiner Angehörigen und Vertreter nur dann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, wenn sie strafbar sind, als Beleidigungen, üble Nachrede bzw. Verleumdungen. Nur dann wird mangels eines besonders ausgestalteten Loyalitätsinteresses lediglich das Integritätsinteresse über die Schwelle der erlaubten und gewünschten Emanzipation der Arbeitnehmer im Betrieb überschritten. Andere Ehrverletzungen, die nicht das Gewicht einer Straf232 233 234 235
LAG Oüsse1dorf, OB 1980, S. 2345. BAG, NZA 1995, S. 194 f. BAG a. a. O. BAG, NZA 1995, S. 194 f.
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tat haben, sind daher nur unter Umständen 236 faltig, auf das Vertrauen im Integritätsbereich einzuwirken. Nicht jeder Kraftausdruck stellt z. B. eine grobe Beleidigung i. S. d. § 123 GewO dar 37 • Erklärt ein Arbeitnehmer gegenüber einem Kollegen, er werde der Einladung zu einer Weihnachtsfeier nicht nachkommen, weil er sich nicht mit den Geschäftsführern, die Verbrecher seien, an einen Tisch setze, so rechtfertigt das eine außerordentliche Kündigung nicht 238 . Entscheidend ist, unter welchen Umständen die Ehrverletzungen begangen werden. Wer über einen längeren Zeitraum hinweg seine Vorgesetzten und Kollegen beschimpft und mit Schreiben attackiert, die ohne nachvollziehbaren Grund Beleidigungen und Ehrverletzungen zum Inhalt haben, setzt durch dieses "nicht differenzierendes Umsichschlagen" das den Betriebsfrieden gefahrdet, einen wichtigen Grund zur Kündigung239 . Verletzt ein Arbeitnehmer die Ehre eines Kollegen bei der Werbung zur Wahl für den Betriebsrat240 , kommt dem mehr Gewicht bei, als wenn es während der regulären Tatigkeit geschieht. Gerade bei der Arbeit für den Betriebsrat muß in besonderem Maße in die Integrität des betreffenden Mitgliedes vertraut werden. Wenn ein Arbeitnehmer ehrenrührige Tatsachen über die Vorgesetzten einem Kollegen im vertraulichen Gespräch erzählt und auf dessen Verschwiegenheit vertraut, ist eine außerordentliche Kündigung regelmäßig nicht gerechtfertigt, wenn jener die Vertraulichkeit mißachtet und die Ehrverletzung einem der betroffenen Vorgesetzten mitteilt 241 • Sind aber Arbeitgeber und -nehmer darauf angewiesen, täglich und eng zusammenzuarbeiten, wird auch ein solcher verdeckter Angriff auf die Ehre des Arbeitgebers das notwendige Vertrauen der Parteien zerstören. Denn der Arbeitgeber wird nicht mehr darauf vertrauen können, daß sämtliche Informationen, die der Arbeitnehmer durch den engen Kontakt erhält, die vertrauliche Atmosphäre nicht verlassen. Werden dagegen keinerlei Angehörige des Betriebs in anonymen Schreiben beleidigt und angegriffen, sondern nur abstrakt Zustände kritisiert, kann das Verfassen dieser Schreiben nicht als Kündigungsgrund anerkannt werden. Denn das Integritätsinteresse wird davon nicht berührt. Auch Ehrverletzungen, die gegen Dritte im Betrieb ausgeübt werden, insbesondere gegen Kunden lassen das Vertrauen in die Person des Arbeitnehmers entfallen und können eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Wer bei einem Reklamationsgespräch gegenüber einer Kundin äußert: ,,Nun werden Sie aber nicht so bissig" begründet Zweifel an seiner Eignung für den notwendigen Umgang mit Kunden 242 , es sei denn er wurde im Ausnahmefall dazu provoziert.
236 237 238 239 240 241
242
LAG Düsseldorf DB 1972, S. 51 verneinend für "Götz-Zitat". BAG EzA Nr. 3 zu § 611 BGB Gefahrgeneigte Arbeit. LAGE Köln Nr. 111 zu § 626 BGB. BAG BB 1999, 1819, 1821. BAG EzA Nr. 61 zu § 626 BGB. BAG EzA Nr. 23 zu § 626 BGB. LAG Schieswig-Hoistein, LAGE Nr. 122 zu § 626 BGB.
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Die außerordentliche Kündigung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger bereitet bei Ehrverletzungen im Betrieb besondere Probleme. Oft liegt einem Streit zwischen Unternehmensführung und Betriebsratsmitglied eine ohnehin gespannte Atmosphäre zugrunde. Wenn ein Betriebsratsmitglied in erregten Auseinandersetzungen spontan ehrverletzende Äußerungen tätigt, dürfen diese nicht immer auf die "Goldwaage" gelegt werden. Entsprechend fordert die Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab zur Beurteilung des wichtigen Grundes, als Ausdruck einer besonderen Situationsgerechtigkeit 243 . Das BAG nimmt dabei zwar die besondere Begünstigung der Amtsträger in Kauf, diese sei aber gerechtfertigt, um die Amtstätigkeit des Mitglieds zu schützen. Im Ergebnis muß also danach unterschieden werden, ob die Äußerungen im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit erfolgten oder sich der Arbeitnehmer lediglich hinter seinem Amt verstecken will, um den Arbeitgeber persönlich anzugreifen und zu diffamieren, bzw. die Äußerungen losgelöst von seinem Amt tätigt. Im letzten Fall darf er nicht bessergestellt werden, als ein Arbeitnehmer ohne Amt.
5. Die Straftaten im Dienst außerhalb des Betriebs
Werden von einem Arbeitnehmer in Ausübung seiner Tätigkeit Straftaten außerhalb des Betriebs zu Lasten von Kunden oder sonstiger Dritter begangen, fällt diese Störung des Vertrauens in die Redlichkeit des Betroffenen weder in das Vermögensschutz- noch in das Integritätsinteresse. Beschädigt die Tat aber zugleich das Ansehen des Anstellungsunternehmens, liegt eine Störung des LoyaIitätsinteres ses vor. Das ist aber nur der Fall, wenn die Tat in irgendeinem erkennbaren und nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem Unternehmen steht, also die geschädigten Kunden oder Dritten erwarten durften, daß gerade Arbeitnehmer dieses Betriebs die vorgeworfenen Straftaten nicht begehen werden. Von einem Polizisten darf erwartet werden, daß er keine eingenommenen Verwarnungsgelder veruntreut 244 • Von Mitarbeitern eines Geldtransportunternehmens muß erwartet werden, daß sie das Geld der Kunden nicht antasten, von einem Auslieferungsfahrer, daß er bei dem Kunden seines Arbeitgebers keinen Diebstahl begeht - und sei es nur eine Flasche Weinbrand 245 • Begehen sie bei der Arbeit dagegen Nötigungen, Körperverletzungen und Beleidigungen von Passanten oder Verkehrsdelikte, spricht das nicht gegen die von ihnen erwartete gesteigerte Loyalität in Ge\dangelegenheiten. Das Loyalitätsinteresse wird dagegen verletzt, wenn Straftaten bei einem Unternehmen begangen werden, mit dem der Anstellungsbetrieb geschäftlichen Kontakt hält, oder wenn die Tat gerade in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit erfolgt.
243 BAG Beschluß 16. 10. 1986-2 ABR 71/85 - nv., BAG Urteil 25. 05. 1982-7 AZR 155/80-nv. 244 LAG Berlin EzA Nr. 80 zu § 626 BGB. 245 LAG Köln, LAGE Nr. 121 zu § 626 BGB
130tto
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6. Die sonstigen Störungen des Integritätsinteresses durch Straftaten
Die Angriffe von Arbeitskollegen untereinander können vielseitig sein. Selbst die Vertragsverstöße anderer Kollegen können Gegenstand eigener Straftaten werden, wenn ein Arbeitnehmer einen anderen bespitzelt und gegebenenfalls mit den gewonnen Erkenntnissen erpreßt. Wer unerlaubt privat geführte Gespräche von anderen oder mit anderen im Betrieb aufzeichnet, macht sich strafbar gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Das rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nur, wenn es sich innerbetrieblich auswirkt. Regelmäßig ist das der Fall, wenn die Beteiligten im gleichen Betrieb arbeiten und wenn deswegen der Betriebsfrieden gestört wird246 • Dann ist der Bereich der betrieblichen Verbundenheit der Mitarbeiter berührt und kann für sich einen Kündigungsgrund darstellen. Der Betriebsfrieden ist aber in diesem Fall nicht das einzige Kriterium. In Betracht kommt auch eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts. Es wird das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb betroffen, wenn er einen Kollegen bespitzelt. Er verliert die Eignung insbesondere zur Teamarbeit, weil sich niemand mehr auf ihn verlassen und den Umgang mit ihm meiden wird. Die objektiv belegbare Bespitzelung, auch wenn sie nur im Auftrag eines Dritten erfolgt ist, zerstört das Vertrauen in den Arbeitnehmer nachhaltig. Ob der Betriebsfrieden effektiv und konkret gestört oder nur gefährdet wird, betrifft einen anderen Störbereich als den Vertrauensbereich und kann einen eigenen wichtigen Grund zur Kündigung rechtfertigen 247 .
IH. Die außerbetrieblichen Straftaten
Straftaten, die ein Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs begeht, können das Arbeitsverhältnis generell nicht berühren, weil nach heute hM die Privatsphäre vom betrieblichen Bereich zu trennen ist248 • Etwas anderes gilt nur, wenn außerbetriebliche Straftaten konkrete Auswirkungen auf die Eignung des Arbeitnehmers haben, so daß eine personenbedingte Kündigung in Betracht zu ziehen ist. Auswirkung haben außerbetriebliche Straftaten auf das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien, weil Straftaten die Person des Arbeitnehmers schlechthin diskreditieren. Ein Arbeitgeber wird vermuten, daß der in seiner Privatsphäre kriminell gewordene Arbeitnehmer seine Aktivitäten auch auf den Anstellungsbetrieb ausdehnen wird. Entscheidend ist, ob durch solche Taten überhaupt schützenswertes Vertrauen des Arbeitgebers beeinträchtigt wird. 246 Gericht: LAG Baden-Württemberg, Bibliothek BAG, BAG 2 AZR 530/95 T 199610-10; vgl. ferner zu heimlichen Tonbandaufnahmen in einer Betriebsratsversammlung als außerordentlichem Kündigungsgrund LAG Düsseldorf EzA Nr. 74 zu § 626 BGB.
LAG Baden-Württemberg a. a. O. KR-Etzel, § I KSchG Rdnr. 440, a.A. Nikisch, Dienstpflicht und Arbeitspflicht, FS Nipperdey zum 60. Geburtstag, S. 65 ff. 247 248
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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1. Die außerbetrieblichen Eigentums- und Vermögensdelikte
Das Vennögensschutzinteresse des Arbeitgebers wird durch Vennögensdelikte außerhalb der betrieblichen Sphäre nur selten verletzt. Denn gerade der Umstand, daß der Täter außerhalb des Betriebs die schädigenden Handlungen vorgenommen hat kann bedeuten, daß er (wenigstens) das Vennögen seines Arbeitgebers respektiert. Das gilt auch für mehrfach außerhalb des Betriebs aufgefallene Täter, die damit sogar kontinuierlich zeigen, daß für sie das Betriebsvennögen unantastbar ist. Erst wenn der Arbeitgeber unmittelbar oder potentielles Opfer der von der privaten Sphäre aus begangenen Vennögens- und Eigentumsstraftaten ist, wird sein schützenswertes Vertrauen verletzt. Wenn die allgemeine Redlichkeit eines Arbeitnehmers Gegenstand eines besonderen Vertrauenstatbestands geworden ist, kann dieses Vertrauen auch durch eine außerdienstliche Vennögensstraftat zerstört werden. Besonderes Vertrauen in die Redlichkeit wird dort Bestandteil des Loyalitätsinteresses, wo der Arbeitnehmer eine große Einwirkungsmöglichkeit auf das Betriebsvennögen hat, indem er mit dem Geldverkehr oder der Vennögensverwaltung betraut ist. Hier entsteht durch eine außerbetriebliche Vennögensstraftat das berechtigte Mißtrauen, daß der Arbeitnehmer die sehr viel einfachere Möglichkeit wählt, sich auf Kosten des eigenen Betriebs zu bereichern, statt die (riskantere) Tat auf einem fremden Territorium zu begehen. Abzustellen ist demnach auf die Position des Arbeitnehmers im Betrieb, seine Einflußmöglichkeiten und die Kontrollierbarkeit seiner Tätigkeit.
2. Die GewaltstraJtaten
Außerhalb des Betriebs begangene Gewaltdelikte können das Integritätsinteresse des Arbeitgebers beeinträchtigen, wenn davon auszugehen ist, daß sich diese Taten auch gegenüber den Mitarbeitern des Unternehmens wiederholen können. Diese davor zu schützen folgt aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Allerdings wird nur im Ausnahmefall vennutet werden können, daß ein gewalttätiger Arbeitnehmer Taten jederzeit im Betrieb wiederholen wird. Das kommt nur in Betracht, wenn die vorgeworfene Tat in besonderes politisch, rassistisch, sexistisch oder in anderer Weise motiviert war, und diese Motivation des Arbeitnehmers im Betrieb gleichennaßen Nahrung findet. Wenn ein Alkoholsüchtiger im Rauschzustand zu Gewalttaten neigt und bereits während der Arbeitszeit durch starke Alkoholisierung aufgefallen war, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß er sich auch gegenüber Kollegen und Vorgesetzten so verhalten wird. Dann wird das Vertrauen des Arbeitgebers in die Integrität des Arbeitnehmers ernsthaft verletzt, unabhängig von dessen Arbeitsaufgabe und Stellung im Betrieb.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
IV. Die nichtstratbaren, kündigungsrelevanten Verfehlungen gegenüber dem Arbeitgeber J. Die Arbeitsverweigerung
Die Verweigerung der geschuldeten Dienste, ebenso wie deren Schlechterfüllung, betreffen den Leistungsbereich. Auch ohne Abmahnung kann die Kündigung gerechtfertigt sein, wenn die Arbeit beharrlich, d. h. bewußt und nachhaltig und für den Arbeitgeber erkennbar, verweigert wird 249 , z. B. Weisungen nachhaltig mißachtet werden. Andernfalls ist der Arbeitnehmer zunächst zur Pflichterfüllung aufzufordern. Ob eine Arbeitsverweigerung einen Kündigungsgrund erzeugen kann, hängt insbesondere auch davon ab, ob der betroffene Arbeitnehmer überhaupt zur Leistung der angewiesenen Arbeit verpflichtet gewesen ist25o . Ein Arbeitgeber darf nicht schutzwürdig darauf vertrauen, daß ein Arbeitnehmer eine Arbeit verrichtet, zu der er nicht durch den Arbeitsvertrag verpflichtet ist, oder die das Weisungsrecht des Arbeitgebers übersteigt. Erzeugt ein Arbeitgeber eine solche unzumutbare Situation, darf er auch dem Arbeitnehmer nicht die (berechtigte) Verweigerung der (unberechtigt) zugewiesenen Arbeit vorwerfen. Über den Leistungsbereich hinaus wird aber auch das Loyalitätsinteresse verletzt, wenn der Arbeitnehmer eigenmächtig der Arbeit fernbleibt, etwa ohne Bewilligung seitens des Arbeitgebers einen Urlaub antritt 251 . Denn eine solche Selbstbeurlaubung bringt den Arbeitgeber in die Bedrängnis, daß ohne eine rechtzeitige Vertretung oder ohne die Möglichkeit anderer Terminierung Arbeit liegenbleibt, die schließlich zu vermögenswerten Schäden des Betriebs führen kann. Auch bei der ungerechtfertigten Versagung eines Urlaubsanspruchs steht dem Arbeitnehmer kein Recht zur Selbstbeurlaubung zu. Wenn auch der Gedanke eines Zurückbehaltungsrechts des Arbeitnehmers gemäß § 273 BGB bei grundloser Urlaubs verweigerung naheliegt 252 , besteht ein solches nicht. Ein Zurückbehaltungsrecht dient nur der Sicherung eines Anspruchs und darf deshalb nicht zu seiner Erfüllung führen 253 . Vielmehr muß der Arbeitnehmer sich auf den gerichtlichen Rechtsschutz verlassen und nur wenn das etwa wegen einer Tätigkeit im femen Ausland nicht möglich ist und der Anspruch zu verfallen droht, kann ausnahmsweise eine darauf gestützte Kündigung des Arbeitgebers ungerechtfertigt sein 254 . Dieser kann sich auf die Verletzung seines Loyalitätsinteresses nicht berufen, weil er in seinem Vertrauen darauf, der Arbeitnehmer 249 BAG AP 130 zu § 626 BGB mit krit. Anm. Bernstein; BAG, NJW 1970, S. 486 für § 123 GewO; LAG Düsseldorf, DB 1971, S. 2319 [eigenmächtiger Urlaubsantritt]; LAG
Düsseldorf, NZA 1985, S. 779 [Urlaubsüberschreitung]; LAG Hamm, BB 1973, S. 141 [unbefugtes Verlassen des Arbeitsplatzes]. 250 Staudinger/Preis § 626 BGB Rdnr. 145 ff.; MünchArbR/Wank § 117 Rdnr. 63; Becker-Schaffner BlStSozArbR 1982, 145, 146 f. m BAG AP Nr. 115 zu § 626 BGB. m So Dersch/Neumann, § 7 BUrlG Rdnr. 43. 253 Überzeugend: Leinemann I Linck, § 7 BUrlG Rdnr. 11 f. m. w. N. 254 BAG AP Nr. 115 zu § 626 BGB.
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werde den Urlaub nicht eigenmächtig antreten, nicht schutzwürdig ist. Unter dem Gesichtspunkt des treuwidrigen Verhaltens, kann der Arbeitgeber, der einen zustehenden Urlaubsanspruch nicht erfüllt und den Arbeitnehmer in eine nicht anders regelbare Zwangssituation treibt, dessen eigene treuwidrige Reaktion nicht vorwerfen. Trotz eingreifender Störung des Vertrauensbereichs, ist der Arbeitgeber mangels Schutzwürdigkeit seines Loyalitätsinteresses nicht zur Kündigung berechtigt. Daher ist der Antritt einer vom Sozialversicherungsträger bewilligten Kur ohne Genehmigung des Arbeitgebers kein Kündigungsgrund, wenn die Kur zunächst auf seine Veranlassung verschoben, dann aber doch nicht von ihm genehmigt wurde 255 . Durch Arbeitsverweigerung kann ferner das Integritätsinteresse des Arbeitgebers gestört werden, wenn andere Arbeitnehmer demotiviert oder verführt werden, die Arbeit zu vernachlässigen. Es reicht wenn sie in ihrem eigenen Arbeitsablauf gestört werden, z. B. durch Unpünktlichkeit eines Kollegen 256 • Im Hinblick auf die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb ist zu differenzieren. Handelt es sich um Verstöße in dem eigenen zugewiesenen und abgegrenzten Arbeitsbereich, hat es keine Auswirkungen auf den allgemeinen Arbeitsablauf, wenn jemand stets unpünktlich ist, seinen Arbeitsbereich nicht aufräumt oder nicht die geforderte Leistung erbringt. Arbeitet er aber in einem Team oder in einem Bereich, in dem andere auf seine Vorarbeit angewiesen sind oder hat er als Vorgesetzter eine Kontrollfunktion, wird ihm gesteigertes mit der Arbeitsaufgabe verbundenes Vertrauen entgegengebracht, den Arbeitsablauf nicht zu behindern oder als schlechtes Vorbild den Betriebsfrieden zu stören.
2. Die Androhung der Arbeitsverweigerung
Nicht nur die beharrliche Arbeitsverweigerung, sondern auch deren Androhung durch eine Arbeitnehmerin, falls sie den bereits bewilligten Urlaub nicht (wenn auch unbezahlt) verlängert bekäme, hat der 2. Senat des BAG als wichtigen Kündigungsgrund anerkannt 257 . Entscheidend war, daß sich die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Androhung im Urlaub befand und noch nicht krank fühlte, tatsächlich später aber ausweislich eines türkischen Attestes krank geschrieben wurde. Das Gericht führte aus, daß in diesem Verhalten der Straftatbestand der versuchten Nötigung nach § 23 Abs. I, § 240 Abs. 1 und 3 StGB zu sehen sei, doch komme es darauf letztendlich nicht an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens der Arbeitnehmerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist258 . Denn durch dieses Verhalten habe sie ihre arbeitsvertragliehe Rücksichtnahmepjlicht259 verletzt, die es ihr verbiete, den Arbeitgeber unter Druck zu setArbG Hagen, EzA Nr. 170 zu § 626 BGB. Vgl. hierzu BAG, NJW 1989, S. 546. 257 BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit; zuvor schon für angedrohtes Krankfeiern: LAG Köln, DB 1982, S. 2091; ferner LAG Köln, PersF 1994, S. 968. 258 Unter Verweis auf BAG AP Nr. 13 zu § 626 BGB für den Fall der Beleidigung. 255
256
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
zen. Ein solches Verhalten beeinträchtige das Vertrauens verhältnis, weil es beim Arbeitgeber den berechtigten Verdacht aufkommen lasse, der Arbeitnehmer mißbrauche seine Rechte aus den Lohnfortzahlungsbestimmungen, um einen unberechtigten Vorteil zu erreichen 260 • Damit wird das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers im Betrieb und also seine Eignung, sich in das Unternehmen einzuordnen, betroffen. Es kommt im einzelnen nicht darauf an, ob damit auch ein verhaltensbedingter wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt, insbesondere, wenn die Krankheit dann tatsächlich eintritt, was von der Rechtsprechung nicht einheitlich so gesehen wird 261 •
3. Die Kündigung wegen Erkrankung des Arbeitnehmers im Urlaub und wegen Krankfeiems
Ein Arbeitnehmer, der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhält, obwohl er tatsächlich nicht krank ist, verletzt das Vermögensschutzinteresse seines Arbeitgebers, der Zahlungen leistet, zu denen er nicht verpflichtet ist. Weil somit das Vertrauen des Arbeitgebers in die Hilfsbedürftigkeit des Arbeitnehmers gröblich mißbraucht wird, ist das Vortäuschen einer Krankheit ein wichtiger Kündigungsgrund262 • Das gilt ebenso bei der unberechtigten Verlängerung der Krankheitsdauer63 • Der Nachweis der Erkrankung wird regelmäßig durch ein ärztliches Attest erbracht, der einen konkreten Vertrauenstatbestand in die Arbeitsunfähigkeit und damit Anspruchsberechtigung auf Entgeltfortzahlung begründet. Die betriebliche und gerichtliche Praxis zeigt allerdings oft die Vermutung, der Arbeitnehmer sei entgegen der Attestierung gar nicht krank gewesen 264 • Erhärtet sich die Vermutung, indem der Arbeitnehmer z. B. bei der Ausübung einer Nebentätigkeit angetroffen wird, kann ihm das Vertrauen in die Respektierung des Vermögensschutzinteresses des Arbeitgebers entzogen werden. In einem solche Fall kann auch eine Wahlfeststellung getroffen werden, daß sowohl die Simualtion der Krankheit, als auch das gesundheitswidrige Verhalten den wichtigen Grund bilden, denn das eine schließt das andere begrifflich aus 26S . Nach Auffassung des LAG Berlin können die im Strafrecht entwickelten Grundsätze zur Wahlfeststellung übertragen werden 266 • Bei einem begründeten Verdacht kommt auch die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls in Betracht.
259
Vgl. Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rdnr.
701. 260 261 262 263 264
26S
Ebenso LAG Hamm, OB 1985, S. 49. Vgl. BAG AR-Blattei, ES 1010.9 Nr. 78 mit zustimmender Anm. Buschbeck-Bülow. LAG Düsseldorf EzA Nr. 41 zu § 102 BetrVG. LAG Düsseldorf, BB 1959, S. 450; LAG Baden-Württemberg, NZA 1987. S. 422. Lepke. Kündigung bei Krankheit, S. 202 ff. LAG Berlin. BB 1999. S. 421 ff.
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4. Die Kritik am Arbeitgeber Der Arbeitnehmer ist im Betrieb nicht unmündig, er darf seine Meinung frei äußern, was die Verfassung durch Art. 5 Abs. I GG garantiert. Eingeschränkt werden kann das Grundrecht gemäß Art. 5 Abs. 2 GG nur durch allgemeine, formelle Gesetze. Die Grundregeln des Arbeitsverhältnisses, wie die Pflichten zu Loyalität und Rücksichtnahme, können also keine Schranken der Meinungsfreiheit bilden 267 . Anders entschied jedoch das BAG, wonach das Grundrecht der freien Meinungsäußerung im Betriebsbereich darin seine Schranken findet 268 • Dazu gehöre insbesondere die Pflicht zu loyalem Verhalten und diese Einschränkung gelte nicht nur gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch gegenüber anderen Mitarbeitern 269 . Derart verallgemeinernd können die Schranken des Grundrechts jedoch nicht beschrieben werden, so daß als Grundregeln des Arbeitsverhältnisses nur formelle Rechtsnormen in Betracht kommen. Im wesentlichen werden die Schranken aber aus dem Strafrecht zu ziehen sein. Bei Straftatbeständen gegenüber dem Arbeitgeber, wie Beleidigung oder Verleumdung, ist Kritik am Arbeitgeber immer kündigungsrelevant. Das ergibt sich auch aus der Reichweite des Integritätsinteresses des Arbeitgebers im Betrieb. Es ist das berechtigte Interesse daran, daß sich jeder Arbeitnehmer in der ihm zumutbaren Weise in das Unternehmen eingliedert. Dem Interesse ist es selbstverständlich förderlich, wenn zum einen der Meinungsaustausch unter der Belegschaft, andererseits zwischen Arbeitgeber und -nehmer stattfindet. Daß es dabei auch Kritik geben kann, ist vorprogrammiert, weil oft das Direktionsrecht und andererseits die Ausführung der delegierten Tätigkeit auf unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien beruhen. Kritik kann dabei konstruktiv aber auch unbegründet sein, es erscheint unmöglich bei dem jeweiligen Streitpunkt danach zu differenzieren. Der Natur der Sache nach werden im Meinungsbildungsprozeß auch die Diskussionen nach außen getragen. Macht sich der Arbeitgeber die konstruktive Kritik zunutze, muß er die unberechtigte Kritik hinnehmen, will er sich nicht dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens aussetzen. Dabei sind die Grenzen weit gesetzt. Erst die denkbaren Straftatbestände erschüttern das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers, erst wenn er Betriebsgeheimnisse nach außen trägt, ist das Vertrauen in dessen Loyalität betroffen. Eine Kündigung kann darauf gestützt werden, daß ein Arbeitnehmer die Kritik am Arbeitgeber nach außen trägt, etwa den Berufsstand des Arbeitgebers im allgemeinen und denselben konkret in einem Parteiblatt kritisiert und in der öffentlichen Meinung herabsetzt 27o • Bedient er sich 266 LAG Berlin a. a. O. jedoch ohne dogmatische Begründung. Das Gericht führt allerdings aus, daß schließlich das hartnäckige Leugnen des betroffenen Arbeitnehmers, eine gesundheitsschädliche Betätigung durchgeführt zu haben, entscheidend für die Erschütterung der Vertrauensgeundlage gewesen sei, so daß sich hier die Frage aufdrängt, warum für den wichtigen Grund nicht auf genau diese Vertrauenserschütterung abgestellt worden ist. 267 ArbG Hamburg, AiB 1995, S. 774. 268 BAG EzA Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 269 BAG EzA Nr. 3 zu § 74 BetrVG.
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dafür eines medienwirksamen Auftritts, um seine Kritik in die Öffentlichkeit zu bringen, wird regelmäßig der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG verlassen. Es kommt aber darauf an, welche Motivation tragend war. Sofern eine Krankenhausärztin in einer Fernsehsendung auf die allgemeinen Mißstände in ihrer Klinik durch die gesundheitspolitische Situation aufmerksam macht, z. B., daß Patientenbetten auf den Gängen und in fachfremden Abteilungen untergebracht werden müssen, und aus "ärztlichem Ethos engagiert Stellung nimmt", darf ihr daraus kein Nachteil erwachsen271 • Hier ist jedoch auch nach Position des Arbeitnehmers, Einfluß und Stellung im Betrieb zu differenzieren. Von einem Chefarzt ist in einem solchen Falle ein stärkeres Maß an Zurückhaltung zu fordern. Dieser kann seine Kritik sehr viel effektiver und gewichtiger gegenüber der Krankenhausleitung vorbringen. Er ist sogar kraft seiner Position dazu verpflichtet, selbst konstruktiv an der Beseitigung der Mißstände mitzuwirken. Auch ist auf der anderen Seite der mögliche rufschädigende Einfluß seiner öffentlichen Kritik schwerwiegender, als bei einer Krankenschwester. Das in ihn investierte Vertrauen auf loyales Verhalten ist daher ungleich größer und kann somit durch öffentliche Kritik an innerbetrieblichen Zuständen leichter gestört werden. der Anders dagegen ist die Kritik an Mißständen und an einzelnen dafür verantwortlichen Personen innerhalb des Betriebs in einer Betriebsversammlung als einem legitimen Forum für freie Meinungsäußerung zulässig, solange sie keine Ehrverletzungen darstellen 272 . Eine öffentliche Ehrverletzung dagegen rechtfertigt regelmäßig eine außerordentliche Kündigung. Wer etwa als Lizenzspieler eines Fußballvereins der I. Bundesliga in einem Fernsehinterwiew Manager und Trainer als ,,Diktatoren" bezeichnet, setzt einen wichtigen Grund zur Kündigung273 • Die gleichen Grundsätze müssen zwischen Arbeitgeber und -nehmer im Bereich der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. I GG gelten. Auch hier stoßen verfassungsmäßig verbürgte Freiheitsrechte auf Rücksichtpflichten im Arbeitsverhältnis, insbesondere bei eigenverantwortlich arbeitenden Forschern, etwa angestellten Hochschulprofessoren. Fällt ein solcher Forscher durch mißbilligte Tierversuche auf und fallt dieses Verhalten auf die Hochschule zurück, kann darin ein wichtiger Grund zur Kündigung liegen 274 •
BAG EzA Nr. 25 zu § I KSchG. ArbG Berlin, NZA-RR 1997, S. 281 f. 272 BAG EzA Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1952. 273 ArbG Bielefeld EzA Nr. 172 zu § 626 BGB. 274 BAG, NZA 1999, S. 818, Tierversuche und -tötungen (Primaten) durch einen Hochschulprofessor. 270 271
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5. Die Anschwärzung des Arbeitgebers bei öffentlichen Institutionen und Behörden
Die Anschwärzung des Arbeitgebers bei öffentlichen Institutionen und Behörden kann eine Kündigung rechtfertigen, wenn es sich bei den beanstandeten Zuständen nicht um Gesetzeswidrigkeiten oder sonst verwerfliche Dinge handelt und der Arbeitnehmer dies hätte erkennen können. Dabei kann auch die Drohung, der Presse Mißstände kundzugeben oder eine Strafanzeige zu erstatten, genügen. Der Arbeitgeber kann darauf vertrauen, daß ein Arbeitnehmer ein bisher unbekanntes oder grob fahrlässig nicht erkanntes gesetzeswidriges Verhalten im Betrieb nicht nach außen trägt275 . Dieser Mindestbestand an Vertraulichkeitsschutz gehört nicht nur zu den Grundlagen jedes Arbeitsverhältnisses, sondern jeder unternehmerischen Betätigung276 . Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Arbeitgeber nach der Bekanntgabe der Umstände sich nicht in angemessener Zeit um die Beseitigung gekümmert hat277 oder wenn ihm das rechtswidrige Verhalten ohnehin bekannt oder von ihm sogar gebilligt 278 oder gewollt gewesen ist. Der BGH hat im Fall "WalIrafr' die ,,Flucht in die Öffentlichkeit" für zulässig erachtet, wenn den gewichtigen innerbetrieblichen Mißständen, welche gleichermaßen die Öffentlichkeit betrafen, nicht durch betriebsinterne Kritik erfolgreich begegnet werden konnte 279 . Zugleich wurde festgestellt, daß jedes Arbeitsverhältnis eine Vertraulichkeitssphäre enthält, auf die ein Betrieb als unverzichtbare Grundlage der Zusammenarbeit angewiesen ist. Der Arbeitnehmer muß also bei einem Interessenkonflikt zwischen Wahrung der Vertraulichkeit einerseits und den gewichtigen öffentlichen Belangen sowie Unfruchtbarkeit innerbetrieblicher Maßnahmen andererseits, entscheiden. Somit läßt sich er sich stets auf eine Gratwanderung ein, bei der ihm niemand das Risiko einer Fehleinschätzung abnimmt und für das er auch keine Entschädigung erwarten kann. Angesichts dieses Umstands bleiben spektakuläre Aufklärungen von betrieblichen oder behördlichen Mißständen, wie z. B. im Fall "WalIrafr' die Ausnahme. Im Einzelfall wird nach Arbeitsaufgabe, hierarchischer Position und Einflußmöglichkeit die Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu bewerten sein, daß ein Arbeitnehmer gesetzwidrige Mißstände im Betrieb nicht nach außen trägt. Je größer das 275 Preis/Reinfeld, Schweigepflicht und Anzeigerecht im Arbeitsverhältnis, AuR 1989, S.370. 276 BGH, NJW 1981, S. 1089; SöIlner, "Wes Brot ich eS', des Lied ich sing", Zur Freiheit der MeinungsäuSerung im Arbeitsverhältnis, FS Herschel zum 85. Geburtstag, S. 389,403. 277 In diesem Sinne hat § 79 Abs. 3 des Kommissionsentwurfs für ein Arbeitsgesetzbuch für den Arbeitnehmer das Recht vorgesehen, einen drohenden Schaden der zuständigen Stelle anzuzeigen, wenn der Arbeitgeber unterrichtet wurde und in angemessener Zeit keine Abhilfe schafft. 278 LAG Baden-Württemberg, NZA 1987, S. 756. 279 BGH, NJW 1981, S. 1089, Mitteilung an die BILD-Zeitung. 280 Vgl. z. B. BAG EzA Nr. 1 zu § 611 BGB Treuepflicht.
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personalisierte Vertrauen ist, desto eher muß von einem Arbeitnehmer erwartet werden, Mißstände zunächst innerhalb des Betriebs aufzuklären und zu beseitigen, vor allem, wenn er aufgrund seiner Stellung im Betrieb den nötigen Einfluß dazu besitzt. Bei einmaligen oder seltenen Vorfällen, die nicht direkt vom Arbeitgeber verschuldet worden sind, ist im weiteren Mäßigung bei der Anschwärzung und vorrangig die innerbetriebliche Aufklärung zu fordern Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens darauf, daß die Arbeitnehmer kriminelle oder verwerfliche Machenschaften nicht nach außen kundtun, entfällt aber, wenn sich die Vorfälle häufen oder vom Arbeitgeber selbst initiiert werden. Ein Arbeitgeber, der vorsätzliche Taten im Zusammenhang mit seinem Unternehmen begeht, kann keine bedingungslose Loyalität von seinen Mitarbeitern fordern. Das ergibt sich aus dem Umstand, daß Vertrauen kein absoluter Wert ist, der über allen sittlichen und moralischen Geboten steht. Ähnlich wie das BGB den Minderjährigenschutz über das Prinzip des Guten Glaubens und des Vertrauensschutzes stellt, muß die Position des sich zwar illoyal aber unter Rechtstaatsgesichtspunkten gerechtfertigt verhaltenden Arbeitnehmers schützenswerter sein als die des kriminellen Arbeitgebers. Das Vertrauen des Arbeitgebers in die Interessenwahrungspflicht und Loyalität des Arbeitnehmers ist beschränkt, zum einen durch den vertraglichen Rahmen, zum anderen durch die Rechtsordnung. Das Interesse kann nicht darauf ausgedehnt werden, daß sich die Arbeitnehmer auch dann noch loyal verhalten, wenn sich der Arbeitgeber außerhalb der Rechtsordnung begibt, ein solches Vertrauen ist nicht schutzwürdig. Wer sich unbefugt Zugang zu Informationen über Mißstände im Betrieb verschafft, begeht einen eigenständigen Treuebruch, der sich auf das Vertrauensverhältnis auswirkt. Doch selbst wenn sich im Einzelfall ein solches Vertrauen des Arbeitgebers als schutzwürdig herausstellte, wäre im weiteren zu prüfen, ob dessen objektiv treuwidriges Verhalten durch besondere Umstände gerechtfertigt wäre. Unter dem Aspekt der Rechtfertigung bietet sich die Parallele in der Vertrauenshaftung an. Eine Haftung tritt nur ein, wenn sich der Beanspruchte nicht auf eine Rechtfertigung berufen kann. Es käme mithin darauf an, ob im Ausnahmefall überwiegende öffentliche Interessen selbst eine Pflichtwidrigkeit des Arbeitnehmers rechtfertigen können.
6. Die Konkurrenztätigkeiten durch die Arbeitnehmer und das Wettbewerbsverbot
Das Vertrauensverhältnis kann ernsthaft gestört werden, wenn Arbeitnehmer dadurch in Konkurrenz zu ihrem Arbeitgeber treten, daß sie selbst gleichartige Waren oder Dienste oder Leistungen anbieten oder ihr firmenintern erworbenes Wissen Marktkonkurrenten anbieten 28o • Dann kann das Vertrauen in die Loyalität und auch in den Vermögensschutz auf Seiten des Arbeitnehmers betroffen sein. Es ist die 281
Münch ArbRI Blomeyer. § 50 Rdnr. I.
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Pflicht des Arbeitnehmers, weder im gleichen Unternehmensbereich des Arbeitgebers ein Handelsgewerbe zu betreiben, noch Geschäfte für eigene oder fremde Rechnung zu tätigen 281 . Sie beruht auf einem ungeschriebenen Gesetz 282 . Oechsler sieht die normative Rechtfertigung für dieses Gesetz in der folgenden Überlegung: Ein vertraglicher Schuldner, der den Austausch einer Leistung verspricht, muß auch für die zum Austausch nötigen Folgeentscheidungen soweit "aufkommen", als das von ihm erwartet werden darf 283. Denn jeder, der sich zu einer Leistung verpflichte, gebe damit zu erkennen, er sei zu der Leistung in der Lage und daß der andere darauf vertraut und es verdient, in seinem Vertrauen geschützt zu werden 284 • Es ist daher auch ohne einen meßbaren Wettbewerbsnachteil als Konkurrenztätigkeit verboten, daß eine Anästhesistin neben ihrer Arbeit in einer klinischen Geburtshilfeabteilung ihrem Mann in dessen freien gynäkologischen Praxis aushilft, wenn dieser Belegbetten im gleichen Krankenhaus unterhätt285 • Auch genügt schon die ernsthafte Vorbereitung der Konkurrenztätigkeit, z. B. wenn ein Hotelgeschäftsführer ein Hotel am selben Ort anpachten will, um es für sich selbst zu betreiben 286 • Der Arbeitnehmer ist nicht nur verpflichtet, jegliche eigene Konkurrenz gegenüber seinem Arbeitgeber zu unterlassen, sondern er darf auch nicht einen anderen Konkurrenten unterstützen, etwa als Rechtsanwalt für eine andere Kanzlei tätig werden 287 . Wenn ein hoher technischer Angestellter in der Automobilproduktion mit Zulieferfirmen des Arbeitgebers vertragswidrig eigene Geschäfte macht und das verheimlicht, kann ebenso eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein 288 • Damit hat das BAG einen Vertrauenstatbestand vorgegeben dergestalt, daß ein Arbeitnehmer regelmäßig nicht in Konkurrenz zum Arbeitgeber treten darf, weil er ansonsten in einen Interessenkonflikt gerät. Darin liegt offensichtlich die Gefahr von Nachteilszufügungen gegenüber dem Anstellungsbetrieb. Das Gesetz hat eine solche Gefahr in verschiedenen Konstellationen erkannt. Nach § 60 HGB besteht ein gesetzliches Wettbewerbsverbot für Konkurrenztätigkeiten im Handelszweig des Arbeitgebers, eine Verletzung dieses Verbots kann als solche eine Kündigung stützen 289 • Die §§ 60 ff. HGB sind analog auf den Bereich der freien Berufe der Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater u.ä. anzuwenden 290• Gemäß § 34 BGB ist ein Vereinsmitglied vom Stimmrecht für eine Beschlußfassung ausgeschlossen, wenn es dabei um ein Geschäft oder einen Rechtsstreit geht, an dem er selbst beteiligt ist. Eine ähnliche Regelung enthält § 136 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291
Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 210. Oechsler a. a. 0., S. 211. Larenz, Schuldrecht Bd. 1 S. 101. BAG AP Nr. 41 zu Art. 140 GG. LAG Schleswig-Holstein, OB 1991, S. 1990 f. BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Treuepflicht. LAG Köln, LAGE Nr. 75 zu § 626 BGB. BAG EzA Nr. 49 zu § 626 BGB. BAG 2 AZR 268/84 (n. v.). BGHZ 91,337; MünchKomm/Thiele § 181 BGB Rdnr. 31.
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AktG, mit dem gleichen Hintergrund, daß niemand in eigener Sache als Richter mitwirken soll. Im Vertretungsrecht ist dieser Gedanke im Verbot von Insichgeschäften gemäß § 181 BGB enthalten, bei Eigengeschäften des Vertreters mit dem Vertretenen (Fall des Selbstkontrahierens). Wenn auch eine analoge Anwendung dieser Norm auf andere Interessenkonflikte über das Vertretungsrecht hinaus nicht zulässig ist291 , kann ihr aber ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden. Der besagt, daß sich niemand selbst in einen rechtlichen Interessen- und Gewissenskonflikt bringen soll, weil er dann in der Regel die eigene Begünstigung zum Nachteil des anderen Interesses anstrebt. Bei der Konkurrenztätigkeit ist insbesondere das Vertrauen im Leistungsbereich betroffen. Es ist zu erwarten, daß der Arbeitnehmer nicht mehr seine volle Arbeitskraft dem Anstellungsbetrieb widmet, sondern stets darauf bedacht sein wird, seinem eigenen Geschäft nicht zu schädigen. Im Extremfall kann das in der Boykottierung und Sabotieren der Arbeitsleistung gipfeln, jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer größtenteils selbstverantwortlich arbeiten kann. Ist das aber nicht der Fall, und erbringt er trotzdem die geschuldete Arbeitsleistung, kommt es darauf an, ob er zumindest die Erwerbsaussichten des Arbeitgebers beeinträchtigt. Sofern sein eigenes Unternehmen keinen meßbaren Einfluß auf die Marktposition des Anstellungsbetriebs hat, kann die Konkurrenztätigkeit keinen Einfluß auf das Vertrauen in die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers haben. Denn es fehlt ein objektiver Vertrauenstatbestand. Ebenso ist die Gestattung durch den Arbeitgeber möglich, so daß nicht die Konkurrenztätigkeit "an sich" als wichtiger Kündigungsgrund gelten muß, vor allem, wenn sie zu keinem meßbaren Nachteil für den Arbeitgeber führt. Dann ist der Arbeitgeber im Hinblick auf sein Vertrauen im Leistungsbereich nicht schutzwürdig. In dem ähnlichen Interessenkonflikt bei § 181 BGB hat die Rechtsprechung im Falle von Schenkungen des gesetzlichen Vertreters an den minderjährigen Vertretenen die Norm nur dann für anwendbar erklärt, wenn in einer Gesamtbetrachtung rechtliche Nachteile für den Vertretenen zu befürchten sind. § 181 BGB sei dann teleologisch zu reduzieren, weil sein Schutzzweck nicht betroffen ist, denn die Norm diene ausschließlich dem Schutz des hilflos ausgelieferten Vertretenen vor Nachteilen. Ein weiterer Vergleich von Konkurrenztätigkeit und Insichgeschäften bietet sich hinsichtlich der Rechtsfolge an. Entsprechend der schwebenden Unwirksamkeit im Vertretungsrecht ist auch im Arbeitsverhältnis zunächst eine eindeutige Stellungnahme des gefährdeten Arbeitgebers zu fordern. Vor der Kündigung wegen Konkurrenztätigkeit bedarf es einer begründeten Abmahnung oder Gestattung, entsprechend sonstiger Störungen im Leistungsbereich. Anderenfalls würde die konkurrierende aber ansonsten völlig legale Tätigkeit zu Unrecht pönalisiert und Straftatbeständen gegenüber dem Arbeitgeber gleichgestellt. Anders als bei derartigen Vertrauensstörungen im Leistungsbereich kann aber auch das Vertrauen des konkurrierenden Arbeitnehmers in dessen Loyalität erschüttert werden. Wenn er sich des Know-how des Anstellungsbetriebs bedient, der Kundenlisten oder sogar der Betriebsgeheimnisse, kommt es nicht mehr darauf an, ob er seine Arbeit ohne Be292
Gaul, Der erfolgreiche Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 2.
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anstandungen verrichtet. Denn bei der mißbräuchlichen Verwendung anvertrauter oder auch nur zugänglicher betriebsinterner Informationen liegt immer ein Treuebruch vor, der die Weiterführung des Anstellungsverhältnisses für den Arbeitgeber wegen des hohen Schadensrisikos unzumutbar macht. Ein Wissensvorsprung des Betriebs bedeutet immer auch einen Zeitvorsprung 292 • Durch Bekanntgabe an Dritte oder die eigene Nutzung verliert das Know-how seine Qualität. Wer betriebsinternes Wissen daher weitergibt oder selber nutzt, verletzt massiv das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers. Für den Nachweis der unerlaubten Konkurrenztätigkeit trifft den kündigenden Arbeitgeber die Beweislast. Ist die vom Arbeitnehmer behauptete Einwilligung des Arbeitgebers streitig, hat allerdings der Arbeitnehmer dafür substantiiert Tatsachen vorzutragen 293 . Fraglich ist, ob über die Möglichkeit der Kündigung hinaus der Unternehmer vom Arbeitnehmer verlangen kann, das aus der unerlaubten Konkurrenztätigkeit Erlangte an ihn auszukehren 294 . Ein solcher Anspruch wird durch die Loyalitätspflicht nicht gedeckt. Ergibt sich aber durch die Konkurrenztätigkeit eine Teilunmöglichkeit der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer, der z. B. seine Arbeitszeit oder Arbeitskraft wegen der Nebentätigkeit nicht mehr voll erbracht hat, könnte die Auskehrung als stellvertretendes Commodum verlangt werden. Als Schadensersatzleistung ist jedenfalls die vollständige Auskehrung nicht gerechtfertigt, weil sich dann die Umsatzeinbuße beim Arbeitgeber vollständig mit den Gewinnen des Arbeitnehmers decken müßten.
7. Die Verletzung von Offenbarungspflichten
Das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität des Arbeitgebers kann durch Umstände enttäuscht werden, die dieser absichtlich, gegebenenfalls aber auch ohne deren Bedeutung zu kennen, verschweigt. Unter einer Offenbarungspflicht wird die Pflicht des Arbeitnehmers verstanden, bestimmte Tatsachen auf Nachfrage, unter Umständen auch ungefragt offenzulegen 295 . Die Verletzung von Offenbarungspflichten ist zunächst nur eine Pflichtverletzung, deren nähere Umstände erst das Gewicht einer Loyalitätsverletzung bestimmen können. Im Einzelfall wird es nach der Bestimmung der Offenbarungspflicht und der Motivation des Verschweigens auf Seiten des Arbeitnehmers ankommen. Generell gilt, daß die Falschbeantwortung von Fragen nach einer ehemaligen MfS-Tätigkeit bei der Einstellung im öffentlichen Dienst eine schwerwiegende Offenbarungspflichtverletzung ist, die die persönliche Eignung des Bewerbers entfallen läßt296 . In besonders vertrauenswür-
BAG EzA Nr. 109 zu § 626 BGB. BAG EzA Nr. I zu § 611 BGB Treuepflicht. 295 Moritz, Fragerecht des Arbeitgebers sowie Auskunfts- und I oder Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, NZA 1987, S. 329, 330; MünchArbR I Buchner, § 38 Rz. 156 ff. 293
294
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
digen Arbeitsverhältnissen besteht außerdem eine Wahrheitspflicht, wie z. B. nach § 13 Abs. 1 SG (Soldaten Gesetz).
a) Die Pflicht zur Anzeige von Interessenkonflikten Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers ist schützenswert im Hinblick darauf, zu erfahren, daß zwischen Arbeitnehmern in einflußreichen Positionen und Geschäftspartnern verwandtschaftliche Beziehungen bestehen 297 • Denn dann sieht sich der Arbeitnehmer denkbaren Konflikten ausgesetzt, wenn er einerseits zum Wohle der Firma, andererseits im Interesse des Verwandten kontraktieren will. Das LAG Nürnberg sieht zumindest bei einem Verstoß eines leitenden Angestellten gegen diese Offenbarungspflicht einen Grund zur außerordentlichen Kündigung. Eine Beschränkung dieser Pflicht auf Angestellte in führenden Positionen, welche das Gericht nicht eindeutig ausspricht aber immerhin in Erwägung zieht, ist indes nicht zweckmäßig. Denn die Möglichkeit, in einen Interessenkonflikt wegen verwandtschaftlicher Beziehung zum Geschäftspartner zu geraten, ist nicht beschränkt auf leitende Positionen. Statt dessen sollte nach dem möglichen Schädigungspotential gefragt werden. Auch ein Sachbearbeiter, der zwar keine leitende Funktion ausübt, aber z. B. mit Materialbeschaffung betraut ist, kann in die Versuchung kommen, Verwandte als Zulieferer zu begünstigen. Die Bekanntgabe von Verwandtschaftsverhältnissen wird in einem solchen Fall das Vertrauen in den Arbeitnehmer bestärken, das Verschweigen wird eine Kündigung aber nur dann rechtfertigen, wenn der Verdacht entsteht, der Arbeitnehmer habe nur zu seinem eigenen Vorteil oder den des Verwandten und gegen die Unternehmensinteressen einen Beschaffungsauftrag erteilt. Besteht kein besonderes Schädigungspotential, ist eine Offenbarungspflicht abzulehnen. Zwar wird das Loyalitätsinteresse eines Arztes in eine Sprechstundenhelferin enttäuscht, wenn diese Verwandte ohne Rücksicht auf andere Termine vorzieht. Dadurch kann der Ruf der Praxis beschädigt werden und verärgerte Patienten zukünftig fernbleiben. Doch ist das Vertrauen in die Arbeitnehmerin, keine "Vetternwirtschaft" zu betreiben, graduell derart schwach, daß es keine Relevanz für eine Kündigung besitzt, weil der zu erwartende Schaden gering ist. Im Gegenteil dazu enttäuscht der Arbeitnehmer, der in übergeordneter Position oder als Träger von Geschäftsgeheimnissen verschweigt, daß sein Ehegatte ein Konkurrenzunternehmen gegriindet hat, massiv das in ihn investierte Vertrauen, er werde sich besonders loyal verhalten.
296 BAG, NZA 1996, S. 202, 204; hierzu ist unter V. 3 c) bereits Stellung genommen worden, vgl. dort m. w. N. 297 LAG Nümberg, BB 1990, S. 2196.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den VertrauenswegfaJl
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b) Die Pflicht zur Anzeige bezogener, aber nicht geschuldeter Leistungen Eine Offenbarungspflicht kann hinsichtlich nicht geschuldeter oder sonst zuviel gezahlter Bezüge, Gratifikationen oder Abschläge298 bestehen. Hier wird nicht nur das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers berührt, sondern auch sein abstraktes Vermögensschutzinteresse. Er darf nicht nur auf die Loyalität des Arbeitnehmers vertrauen, sondern auch darauf, daß dieser das Vermögen des Betriebs nicht mindert oder gefahrdet. Ohne daß es also besonderer, privatautonom ausgestalteter Loyalitätspflichten bedarf, hat ein Arbeitgeber grundsätzlich ein schützenswertes Vertrauen darauf, daß jeder der Mitarbeiter den Vermögensbestand des Unternehmens achtet und daher eine Überzahlung offenbart. Verletzt ein Arbeitnehmer diese Offenbarungspflicht, kann ihm nicht mehr dahingehend vertraut werden, daß er generell, in jeglicher Hinsicht das Vermögen und das Eigentum des Betriebs achtet. Dabei kommt es aber im einzelnen darauf an, wieviel Vertrauen im Hinblick auf das Vermögensschutzinteresse durch den Arbeitgeber investiert worden ist. Der Grad des Vertrauens hängt dabei von der Arbeitsaufgabe und der Position des Arbeitnehmers im Betrieb ab. Ein überzahlter Filialleiter ist zwar in gleichem Maße zur Offenbarung verpflichtet, wie jeder Arbeiter in seiner Filiale. Allerdings ist das in ihn kraft seiner Aufgabe investierte Vertrauen besonders groß, weil seine Einwirkungsmöglichkeit auf das Betriebseigenturn und -vermögen ungleich höher ist, als z. B. bei einem Lagerarbeiter. Ferner ist bei ihm auch eher zu erwarten, daß er seine Gehaltseingänge überprüft und eine Zuvielzahlung als ungeschuldet und versehentlich erkennt. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es sich um erhebliche Überzahlungen handelt, etwa ein Monatsgehalt versehentlich doppelt überwiesen wurde. Hat der Arbeitnehmer eine übergeordnete Tätigkeit oder insbesondere mit der Verwaltung der Gehälter und Gratifikationen zu tun, wird das Vertrauen im Hinblick auf das Vermögensschutzinteresse durch das Verschweigen von Überzahlungen derart beeinträchtigt, daß seine Eignung in Frage gestellt und eine Kündigung gerechtfertigt sein kann, wenn jedenfalls die Kenntnis von der Überzahlung nicht in Frage steht. Eine Sekretärin, welche die Personalakten verwaltet, und bei der betrieblichen Umstellung von einem dreizehnten Monatsgehalt auf eine Weihnachtsgratifikation versehentlich beides erhält, erweckt den Verdacht, die Überzahlung selbst initiiert zu haben, wenn sie diese nicht offenbart und enttäuscht somit das konkrete Vertrauen des Arbeitgebers, sie werde sich im Hinblick auf das Vermögensschutzinteresse wegen ihrer Einwirkungsmöglichkeit besonders loyal verhalten. Anders ist das Vertrauen in einen Lagerarbeiter ausgeprägt, von dem kraft seiner Arbeitsaufgabe lediglich erwartet werden kann, das Eigentum des Arbeitgebers an Produktionsgeräten und -material zu achten, nicht aber sämtliche Gehaltsnachweise auf Richtigkeit zu überprüfen. Eine nicht offenbarte Überzahlung kann in seinem Fall eine Kündigung daher nicht bedingen.
298
Überzahlung eines FiliaJleiters, vgl. LAG Köln, Bibliothek BAG, Az. 5 Sa 487/87.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
c) Die Pflicht zur Anzeige von Straftaten im Betrieb Das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers überwiegt auch gegebenenfalls das Integritätsinteresse. Wenn vermögensschädigende Taten im Betrieb begangen werden, ist ein Mitarbeiter, der davon Kenntnis erlangt, verpflichtet, die Taten anzuzeigen. Wenn er dieser Offenbarungspflicht nicht nachkommt, kann der Arbeitgeber das Vertrauen in ihn verlieren, weil der Verdacht entsteht, der Arbeitnehmer sei an den Taten beteiligt. Im einzelnen wird es darauf ankommen, wie gut der Arbeitnehmer informiert ist, unzumutbar ist es, von ihm zu verlangen, bereits den geringsten Verdacht zu melden, um Denunziationen vorzubeugen. Auch kommt es darauf an, wie hoch der Schaden zu beziffern ist, woran das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers graduell zu messen ist. Allerdings ist dieser Offenbarungspflicht nur dann zumutbar nachzukommen, wenn der Arbeitnehmer nicht durch die Bekanntgabe Nachteile zu erwarten hat, sich selbst belasten würde oder von den Tätern bedroht oder erpreßt würde. Einer Bekanntgabe bedarf es nicht, wenn der Arbeitnehmer davon ausgehen konnte, der Arbeitgeber sei bereits informiert, oder der Schädiger werde selbst den Vorfall anzeigen oder wenn es sich um Bagatellvorfälle handelt. In letzterem Fall überwiegt das Interesse aller Parteien an der Erhaltung des Betriebsfriedens (Integritätsinteresse) dem Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers und eine besondere Loyalitätspflicht zur Anzeige von Straftaten von Kollegen besteht generell nicht.
d) Die Pflicht zur Anzeige von strafrechtlichen Verurteilungen Die Offenbarung einer strafrechtlichen Verurteilung unterliegt den Besonderheiten des § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, wonach sich ein Verurteilter als unbestraft bezeichnen darf, wenn die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis aufzunehmen ist. Das ist u. a. nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a BZRG der Fall, wenn eine Geldstrafe von nicht mehr als 50 Tagessätzen verhängt wurde und noch kein Registereintrag vorlag. Dann darf eine Kündigung aus wichtigem Grund auf die Tatsache der Verurteilung oder deren Verschweigens nicht gestützt werden, ebensowenig, wie wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. I BGB angefochten werden könnte 299 • Diese Maßgabe des BZRG dient nicht nur der Rehabilitierung ehemaliger Straftäter, sie berücksichtigt vielmehr auch, daß nach der urteilsgemäßen Verbüßung der Strafe der Täter durchaus wieder vertrauenswürdig sein kann. Er wird nicht als potentieller Wiederholungstäter stigmatisiert, ihm darf nach seiner Resozialisierung wieder vertraut werden. Im Einzelfall kann jedoch diese Vorgabe des BZRG den Interessen des Arbeitgebers widersprechen. Wird z. B. nachträglich bekannt, daß ein Arbeitnehmer mit Videokassetten kinderpornogra299 Vgl. BAG AP § 123 BGB Nr. 2 [zu III); LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 7 ff. Verurteilung zu 6000,- DM Geldstrafe in 40 Tagessätzen wegen Verbreitung pornographischer Schriften.
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phischen Inhalts gehandelt hat und ist dieser in einem Pressepostvertriebszentrum angestelleoo, wird durch die begangene Straftat auch anhaltend das Vertrauen in den Betroffenen erschüttert. Niemand will einen derart diskreditierten Arbeitnehmer weiterbeschäftigen und Kollegen werden ihn meiden. Zunächst schützt zwar das BZRG das Vertrauen des belasteten Arbeitnehmers auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, doch kann in der Regelung nur eine Reduzierung der Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers gesehen werden. Sie schützt ihn nicht vor Kündigungen, die der Arbeitgeber in Bezug auf den Eignungswegfall durch eine solche Tat ausspricht, etwa wenn es sich um einen Lehrer oder Kindergärtner handelt. Auch wenn der vorbestrafte Arbeitnehmer z. B. in einer kirchlichen Organisation beschäftigt ist und wegen einer möglichen Rufschädigung gekündigt wird, ist der Schutzbereich des BZRG verlassen, ebenso ist eine Druckkündigung denkbar und wahrscheinlich, wenn sich die Mitarbeiter massiv weigern, weiterhin mit dem Betroffenen zusammenzuarbeiten. Aus der Tatsache, daß der Täter anschließend in einem Pressevertriebszentrum arbeitet, folgt alleine jedoch nicht der Wegfall seiner Eignung, solange er nicht seine Stellung zum Vertrieb der Kassetten mißbraucht hat 301 .
e) Die sonstigen Offenbarungspflichten Verschweigt ein Arbeitnehmer seine als vollziehbar erklärte Ausreisepflicht, weshalb seine Arbeitserlaubnis entfallen ist, begeht er eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 284 Abs. I, 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III. Er verletzt wegen dieser vorsätzlichen und arglistigen Täuschung seine arbeitsvertragliche Loyalitätspflicht erheblich, wobei es auf gegebene Rechtsmittel gegen diese Verfügung nicht ankommeo 2 • Das Integritätsinteresse des Arbeitgebers wird dadurch betroffen, daß die Tätigkeit eines seiner Arbeitnehmer rechtswidrig ist. Er muß darauf vertrauen können, daß in seinem Verantwortungsbereich keine Rechtsverstöße vorkommen, die auf ihn zuriickfallen. Transsexuelle Personen haben gegebenenfalls ihr tatsächliches Geschlecht anzugeben, wenn eine Geschlechtsumwandlung nach §§ 8, 10 TSG noch nicht erfolgt ist 303 . Die Schwerbehinderteneigenschaft nach § I SchwbG ist bei der Einstellung zu offenbaren, wenn sie erkennbar der zu verrichtenden Arbeitsleistung entgegenstünde, oder eine beschränkte Leistungsfähigkeit zur Folge hätte 304 . Der Arbeitgeber darf daher uneingeschränkt nach derartigen Umständen fragen. Generell muß der Arbeitnehmer bei der Einstellung Fragen über seine Gesundheit wahrheitsgemäß beantworten und sogar ungefragt seinen Gesundheitszustand offenbaren, wenn dieser seine Leistungsfähigkeit zum vorgesehenen Arbeits300 301 302 303 304
14 Quo
Vgl. LAG Berlin, NZA-RR 1997, S. 7 ff. So das LAG Berlin a. a. O. LAG Nümberg, BB 1994, S. 2208. Vgl. zur Anfechtung des Arbeitsvertrags BAG AP Nr. 35 zu § 123 BGB. BAG EzA Nr. 26 zu § 123 BGB.
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
anfang in Frage stelleo5 . Eine Offenbarungspflicht ist auch anzunehmen, für den Fall der Inhaftierung eines Arbeitnehmers. Wenn darin an sich auch kein Kündigungsgrund zu sehen ist, z. B. der Betroffene wegen der Einräumung des Freigangs in der Lage bleibt, seiner Tatigkeit nachzugehen, so hat doch der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, die Gründe der Inhaftierung zu erfahren. Denn für das Vertrauensverhältnis ist es von Bedeutung, ob die der Haft zugrundeliegende Tat und Verurteilung in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht306 .
8. Pflichtwidrige Nebentätigkeiten
Ein Arbeitnehmer, der im Zeitraum der Entgeltfortzahlung einer Nebentätigkeiten trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit nachgeht, kann das Vertrauensverhältnis nachhaltig stören und einen wichtigen Kündigungsgrund bedingen 307 • Dann besteht der Anlaß für die Vermutung, der Arbeitnehmer habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur erschlichen, um den Arbeitgeber bewußt über das Vorliegen einer Arbeitsunfahigkeit zu täuschen und ihn in betrügerischer Absicht um die Entgeltfortzahlung zu schädigen. Der Arbeitnehmer wird regelmäßig sogar einen vollendeten Betrug begangen haben. Das BAG verwies darauf, daß der Arbeitnehmer nicht nur gegen Leistungspflichten verstößt, sondern auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit zerstört 308 . Das Vertrauen aber in die allgemeine Redlichkeit eines Arbeitnehmers ist als isolierter Umstand nicht schutzwürdig. Es beschränkt sich darauf, der Arbeitnehmer werde weder das Vermögens schutz- noch das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers verletzen. Letzteres wird verletzt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet ist. Nicht die pflichtwidrige Nebentätigkeit als solche kann daher einen Kündigungsgrund bedingen. Auch kann die Kündigung darauf nicht gestützt werden, wenn z. B. die Nebentätigkeit erlaubt gewesen ist. Sie ist vielmehr damit zu begründen, daß dem Arbeitnehmer nicht länger vertraut werden kann, daß dieser das Vermögensschutzinteresse des Arbeitgebers achtet. Das Vertrauen entfällt, wenn die Vermutung besteht, der Arbeitnehmer habe seine Arbeitsunfahigkeit nur simuliert, um während der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeitszeit der Nebentätigkeit nachzugehen. Ein solcher Verdacht drängt sich auf, wenn z. B. ein Küchenhelfer zweimal beim Führen eines Taxis angetroffen wird 309 . Ist der Betrieb in dieser Zeit zudem besonders auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers angewiesen, entfällt zudem das Vertrauen in dessen Loyalität. Ansonsten können Nebentätigkeiten, auch wenn sie nicht genehmigt sind, das Vertrauensverhältnis in Bezug BAG AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist. Vgl. dazu BAG AP Nr. 123 zu § 626 BGB. 307 BAG AP Nr. 112 zu § 626 BGB. 308 Unter Verweis auf Lepke, Kündigung bei Krankheit8, S. 222, Anm. 39, m. w. N.; Beckerle / Schuster, Die Abmahnung, Rdnr. 46, LAG München, DB 1983, S. 1931. 309 LAG Schleswig-Holstein Az. 5 (2) Sa 343/82 (n. v.). 305
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2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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auf das Vermögensschutzinteresse nicht verletzen. Sie begründen keinen Kündigungsgrund, wenn sie jedenfalls keinen Zweifel daran zulassen, daß die geschuldete Arbeit in vollem Umfang geleistet wird. Denn weiter kann auch das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers nicht gehen. Das Vertrauen in die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers, mithin in seine Bereitschaft zu loyalem Verhalten entfällt daher nur, wenn dieser während der Arbeitszeit oder während der Arbeitsunfähigkeit Nebenbeschäftigungen nachgeht31O • 9. Der Verstoß gegen ein betriebliches Alkoholverbot
Verstöße gegen die Betriebsordnung sind nur im Ausnahmefall geeignet, auf das Vertrauens verhältnis derart einzuwirken, daß eine eignungsbedingte Kündigung in Betracht kommt. Durch Betriebsvereinbarung können verschiedene Vehaltenspflichten in einem Betrieb festgelegt werden, in erster Linie handelt es sich um Arbeitsschutzbestimmungen. Verstöße dagegen begründen Nebenpflichtsverletzungen, die regelmäßig abzumahnen sind und denen gegebenenfalls mit der verhaltensbedingten Kündigung zu begegnen ist. Eine typische Bestimmung ist ein allgemeines Alkoholverbot durch den einzelnen Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag311 • Ein Arbeitnehmer, der stark alkoholisiert am Arbeitsplatz erscheint oder sich dort in einen Rauschzustand versetzt, kann wegen dieses Verstoßes verhaltensbedingt gekündigt werden 312 , auch wenn es sich um einen einmaligen Verstoß handelt 313 . In manchen technisch besonders sicherheitsbedürftigen Arbeitsverhältnissen kann eine Alkoholisierung während der Arbeitszeit über einen bloßen Verstoß gegen die Betriebsordnung hinaus eine massive Vertrauensenttäuschung darstellen. Das Vertrauen in einen Arbeitnehmer kann durch eine Alkoholisierung entfallen, wenn damit einerseits seine Eignung für die Tätigkeit in Abrede gestellt wird (Piloten, Chirurgen), ferner daraus geschlossen werden kann, daß er auch andere arbeitsvertragliche Pflichten verletzen wird. Allerdings kommt es auf die einzelnen Umstände an, in denen die Alkoholisierung passiert. Schenkt die Kantine des Arbeitgebers in den Pausenzeiten alkoholische Getränke aus oder wird anläßlich einer Betriebsfeier Sekt getrunken oder anläßlich eines kritischen Redebeitrags zum Problem des absoluten Alkoholverbots auf einer Betriebsversammlung, kann im Einzelfall die Kündigung ungerechtfertigt sein. Dabei kommt es zudem auf regionale und branchenspezifische Gesichtspunkte an 314 . Das VerVgl. dazu KR3-Becker § 1 KSchG Rdnr. 279 m. w. N. MünchArbR/Blomeyer § 51 Rdnr.6. 312 BAG, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung [Galvanik-Betrieb] m. Anm. Fleck; LAG Hamm, EzA Nr. 129 zu § 626 BGB nF [untertägiger Steinkohlebergbau]; LAG Hamm, LAGE Nr. 56 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 313 LAG Hamm, EzA Nr. 129 zu § 626 BGB nF, anders zuvor LAG Düsseldorf, BetrR 1983, S. 141. 314 BAG AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 4 b) aa) (1) der Gründe. 310
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
trauen in einen Arbeitnehmer entfällt auch, wenn er auch künftig, trotz ausdrücklichen Verbots gegen das Alkoholverbot verstoßen wird, etwa weil er suchtkrank ist und sich keiner Therapie unterziehen wi1l 315 .
10. Sonstige Gründe vor oder während der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses
Das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers ist bereits mit dem Abschluß des Arbeitsvertrags schützenswert, auch wenn der Arbeitnehmer die Tätigkeit noch gar nicht aufgenommen hat. Erschleicht er z. B. die Verschiebung der Arbeitsaufnahme und wird er sodann in der Zwischenzeit für einen anderen Arbeitgeber tätig 316 , verletzt er das Loyalitätsinteresse, weil er dadurch dem Anstellungsbetrieb einen Nachteil zufügt. Es entfällt dadurch das Vertrauen, daß er sich auch nach Aufnahme der Beschäftigung loyal gegenüber dem Arbeitgeber verhalten werde. Insbesondere kann ihm nicht vertraut werden, daß er stets seine volle Arbeitskraft nur dem Anstellungsbetrieb gegenüber einbringen wird. Das Vertrauen in die Loyalität des Arbeitnehmers wird ferner zerstört, wenn dieser sich bereit gezeigt hat, in einem Rechtsstreit gegen seinen Arbeitgeber falsch auszusagen, ohne daß dabei ein Straftatbestand erfüllt werden müßte. Als Loyalitätsverletzung wird generell auch die Annahme von Schmiergeldern gesehen, welche wegen der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses regelmäßig eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigt 311 • Das Vertrauen in die Integrität eines Arbeitnehmers kann dadurch gestört werden, daß er für die Einstellung eines Dritten in seinem Anstellungsbetrieb eine "Vermittlungsprovision" einfordert 318 . Ein solches Verhalten ist zwar nicht als Schmiergeldannahme und also als Nebenpflichtsverletzung zu werten, doch berücksichtigt andererseits die bloße Einstufung als außerdienstliches Verhalten 319 auch nicht die nachhaltige Störung der Integrität der betroffenen Mitarbeiter, welche eine Unrechts vereinbarung verbindet. Der Arbeitgeber kann hinsichtlich seines Vertrauens in die Integrität der Arbeitnehmer erwarten, daß diese derart gedeihlich zusammenarbeiten, daß die Bereitschaft dazu und die gegenseitige Hilfe oder Teamarbeit nicht von der Versprechung materieller Vorteile abhängt. Kommt es zu solchen Unrechtsvereinbarungen, wie Vermittlungsprovisionen, schon bei der Neuaufnahme eines Arbeitnehmers, ist zu erwarten, daß weitere Vereinbarungen ähnlim Vgl. zur dadurch bedingten Verschlechterung der Prognose BAG EzA Nr. 33 zu § I KSchG Krankheit. 316 ArbG Essen, OB 1966, S. 1279. 317 BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erfinder (,,Provisionen" über 20.000,-OM); AP Nr. 65 zu § 626 BGB; LAG Köln, OB 1984, S. 1101; Erman/Belling § 626 BGB Rdnr. 67, 68; MünchKomm/ Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 117; KR/ Hillebrecht Rdnr. 333. 318 Allerdings verneint das BAG eine konkrete Gefahrdung des Vertrauensbereichs, BAG AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 319 So aber BAG AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung mit kritischer Anm. van Venrooy.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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chen Charakters folgen können. Zu Recht meint daher Löwisch, unabhängig vom Tatbestand des § 12 UWG dürfe sich ein Arbeitnehmer überhaupt nicht "schmieren" lassen, weder für geschuldete, noch für nicht geschuldete Tätigkeiten 32o. In jedem FaIl sei es verwerflich, sich für den Einfluß auf geschäftliche Vorgänge bezahlen zu lassen. Als Konsequenz ist es zwingend, einem solchen Arbeitnehmer das Vertrauen in seine Integrität und seine Loyalität zu entziehen. Erscheint eine Abmahnung erfolglos und kommt eine Versetzung auf eine weniger einflußreiche Position nicht in Betracht, ist eine Kündigung wegen Vertrauensverlusts bei ,,Provisionsforderungen" gerechtfertigt.
§ 4 Die Kündigung wegen des Verdachts einer Verfehlung I. Die Verdachtskündigung im Spiegel der Rechtsprechung und Literatur
Keine andere Form der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund steht in derart engem Zusammenhang mit einem Vertrauensverlust des Arbeitgebers wie die Verdachtskündigung. Wie auch der Wegfall schützenswerten Vertrauens, ist der Verdacht gegen einen Arbeitnehmer als Kündigungsgrund den arbeitsrechtlichen Gesetzen unbekannt, von Rechtsprechung und begleitender Lehre jedoch weitgehend anerkannt. Allerdings sind die dogmatische Einordnung und die Voraussetzungen der Verdachtskündigung streitig321 . Die Bedeutung der Verdachtskündigung hat zugenommen, das beweisen die Stellungnahmen in der Literatur322 und vor allem die zahlreiche Rechtsprechung. Für die verstärkte Heranziehung der Verdachtskündigung ist auch der immer schärfer werdende wirtschaftliche Wettbewerb ursächlich, weshalb zunehmend Korruption in Wirtschaft und Verwaltung Anlaß für Verdachtskündigungen bieten 323 . Die Rechtsprechung hat den Zusammenhang zwischen Verdacht und Vertrauensfortfall immer betont und in diesem BAG EzA Nr. 18 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, Anm. Löwisch. Belling, Die Verdachtskündigung, FS für Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11, 13 ff.; ders. Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff. 322 Appe1/Gerken, Pro und Contra Verdachtskündigung, ArbuR 1995, S. 201 ff.; Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. ll; ders. Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff., Bengelsdorf, Die Verdachtskündigung, AuA 1995, S. 196; Busch, Die Verdachtskündigung im Arbeitsrecht, MDR 1995, S. 217; Dömer, Die Verdachtskündigung im Spiegel der Methoden zur Auslegung von Gesetzen, NZA 1992, S. 865; ders., Abschied von der Verdachtskündigung, NZA 1993,873; Edenfeld, Die außerordentliche Verdachtskündigung - Strafe für den Arbeitnehmer?, JA 1996, S. 379 ff.; Grunsky, Die Verdachtskündigung, ZfA 1977, S. 167 ff.; Heilmann, Verdachtskündigung und Wiedereinstellung nach Rehabilitierung; Lücke, Unter Verdacht, Die Verdachtskündigung, BB 1997, S. 1842 ff.; Moritz, Die Grenzen der Verdachtskündigung, NJW 1978, S. 402 ff. 323 Lücke, Unter Verdacht: Die Verdachtskündigung, BB 1997, S. 1842. 320 321
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Zusammenspiel einen wichtigen Grund nach § 626 BGB anerkannt. Der BGH urteilte 1956, die außerordentliche Kündigung könne gerechtfertigt werden, wenn .. der Verdacht auf Tatsachen begründet ist und so schwer wiegt, daß ein vernünftiger Dienstherr daraus Mißtrauen gegen die Zuverlässigkeit des Dienstverpflichteten schöpfen kann. Ist in/olge eines begründeten Verdachts das Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Dienstverpflichteten erschüttert, so ist dem Dienstherrn in der Regel die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zuzumuten ,,324. Das LAG Berlin spricht nunmehr auch von der Verdachtskündigung als einer "Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls,,325. Trotz der Anerkennung in der Rechtsprechung 326 und der überwiegenden Lehre 327 wird die Verdachtskündigung aber unterschiedlich als verhaltensbedingte Kündigung eingestuft328 , bzw. als personenbedingte Kündigung 329 . Teilweise wird danach differenziert, ob der Arbeitnehmer zu dem Verdacht selbst beigetragen hat 33o . Entsprechend unterschiedlich sind die dogmatischen Ansätze und vielfältig die Kritik, die bis zur vollständigen Ablehnung reiche 31 •
1. Die Verdachtskündigung in der Rechtsprechung
Verdachtskündigungen sind als außerordentliche und als (verhaltensbedingte 332 ) ordentliche Kündigungen von der Rechtsprechung in zwei Fallgruppen zugelassen worden: zum einen, wenn sich der Verdacht auf eine Straftat bezieht, zum anderen, wenn der Arbeitgeber befürchten muß, daß der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Vertragsverletzung begangen hat. Bei der Gruppe der strafbaren Handlungen handelt es sich überwiegend um Taten, bei denen der Arbeitgeber selbst Geschädigter ist, mithin sein innerbetriebliches Vermögensschutzinteresse verletzt ist. In der Regel sind das Vermögensdelikte, deren ein Arbeitnehmer verdächtigt wird, etwa Unterschlagung, Untreue oder Betrug. Schließlich hat die Rechtsprechung den Verdacht als wichtigen Grund zugelassen, wenn er sich auf eine schwere Vertrags324 BGH LM Nr. 8 zu § 626 BGB. m Unter zustimmender Bezugnahme auf Belling, RdA a. a. O. ,S. 223 ff. 326 BAG, OB 1994, S. 146; BAG, BB 1995, S. 1358; BAG, OB 1996, S. 96.
327 Belling, Die Verdachtskündigung, a. a. 0., S. 11 ff. m. w. N.; ders. RdA a. a. 0., S. 223 ff.; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, S. 250 ff. Rn. 578 ff.; KR-Hillebrecht, § 626 BGB, Rn. 337 ff. m. w. N. 328 Herschel/Löwisch, § 1 KSchG Rdnr. 157; Hueck/v. Hoyningen- Huene, § I KSchG, Rdnr. 261; Belling, Die Verdachtskündigung, a. a. 0., S. 11, 24 ff. ; ders. RdA a. a. 0., S. 223 ff. 329 KR 3 -Becker § I KSchG, Rdnr. 229 ff., 287 ff.; Henssler, Anm., LAG Köln LAGE Nr. 27 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 330 MünchArbR/Berkowsky, § 141 Rdnr. 13 ff.; ders. nunmehr anders: Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung § 26 Rdnr. 10 f. als stets personenbedingte Kündigung. 331 Grunsky, Die Verdachtskündigung, ZiA 1977, S. 167, 175. 332 LAG Köln, LAGE Nr. 27 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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verletzung durch eine betriebliche Verfehlung bezog, mithin das Loyalitätsinteresse des Arbeitgebers beeinträchtigt wurde. So etwa bei der Verdächtigung eines Prokuristen, interne Geheimnisse weitergegeben und mit der Konkurrenz zusammengearbeitet zu haben 333 , bei der Verdächtigung eines Angestellten wegen Betriebsspionage mit der Befürchtung schwerer wirtschaftlicher Nachteile, bei dem Verdacht des Vertrauensmißbrauchs und erheblicher Dienstpflichtverletzungen 334 sowie der Vortäuschung der Arbeitsunfahigkeit wegen Krankheit 335 , welche gleichermaßen das Vertrauen in die Wahrung des Vermögensschutzinteresses des Arbeitgebers verletzt, der zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Für alle Fallkonstellationen ist kennzeichnend, daß mit der Kündigung nicht das verwerfliche Verhalten eines Arbeitnehmers geahndet werden soll. Entscheidend ist vielmehr, daß der Arbeitgeber wegen des Verdachts dem Arbeitnehmer nicht länger vertrauen kann, sich in Zukunft vertragsgemäß und loyal zu verhalten.
2. Die Voraussetzungen für die Verdachtskündigung im einzelnen
Das Bundesarbeitsgericht läßt eine Verdachtskündigung zu, wenn folgende Voraussetzungen 336 erfüllt sind: Der Verdacht muß objektiv auf bestimmte Tatsachen gegründet sein. "Tatsache" ist nach dem Arbeitsgericht Bonn337 nur ein Lebenssachverhalt, aber nicht die Existenz eines Haftbefehls. Nicht die persönliche Beurteilung des Arbeitgebers ist entscheidend, sondern die Verdachtsmomente müssen einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen. Der Verdacht muß im weiteren dringend sein. Das ist der Fall, wenn eine auf die Verdachtsmomente gestützte große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der betroffene Arbeitnehmer die Verfehlung, deren er verdächtig ist, begangen hat. Der Verdächtigte muß eines schweren, für das Arbeitsverhältnis erheblichen Fehlverhaltens bezichtigt werden. Dieses muß einen Kündigungsgrund erfüllen, sofern es nachgewiesen wird. Eine Kündigung ist nur dann zu rechtfertigen, wenn gerade der Verdacht die Vertrauensbasis im Arbeitsverhältnis zerstört hat. Der Arbeitgeber muß sich in zumutbarem Ausmaß um die Aufklärung der zweifelhaften Sachlage bemüht haben, wobei er auch sämtliche entlastenden Tatsachen zusammenzutragen hat. Zu diesem Zweck hat er den betreffenden Arbeitnehmer anzuhören. Eine Verdachtskündigung ist nur als ultima ratio zulässig, also wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb nicht zuzumuten ist. Schließlich hat eine Einzelfallbewertung zu erfolgen, welche den konkreten Verdachtsvorwurf in Relation zur BetriebsBAG AP Nr. 8 zu § 626 BGB. LAG Düsseldorf, BB 1960, S. 825. 335 Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 202 ff. 336 Eine treffende Zusammenfassung findet sich auch bei Henssler, Anm., LAG Köln, LAGE Nr. 27 zu § I KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 337 Arbeitsgericht Bonn, AiB 1992, S. 50, 51. 333 334
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
zugehörigkeit, Lebensalter und sonstiger Führung des Arbeitnehmers im Betrieb stellt. Da die Verdachtskündigung eine außerordentliche Kündigung ist, gilt die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB. Unter Umständen besteht nach ausgesprochener rechtmäßiger Kündigung ein Anspruch auf Wiedereinstellung, wenn sich der Verdacht nachträglich entkräften läßt.
3. Die Positionen des Schrifttums Mit diesen eng gezogenen Grenzen wird die Rechtsprechung durch die herrschende Lehre weitgehend gebillige 38 , wobei die dogmatischen Grundlagen der Verdachtskündigung unterschiedlich gesehen werden. Die Kritik zielt im wesentlichen darauf ab, daß das Problem im Prozeßrecht statt im materiellen Recht anzusiedeln sei, daß die aus dem Rechtstaatsprinzip hervorgehende Unschuldsverrnutung mißachtet werde, und schließlich, daß der Anwendungsbereich für die Verdachtskündigung unklar sei 339 •
a) Die Verdachtskündigung als Problem der Beweislastverteilung Grunsky340 zieht aus der Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozeß Rückschlüsse für das materielle Kündigungsrecht. Entweder trage der Arbeitgeber die volle Beweislast für die vorgeworfene Tat oder - ausnahmsweise - seien ihm Beweislasterleichterungen zuzubilligen. Für die Verdachtskündigung sei daher kein Raum. Der Arbeitnehmer trage immer das Risiko der Unaufklärbarkeit 341 . Es sei ein dogmatischer Fehler der Rechtsprechung, daß sie den Verdacht als solchen zum eigentlichen Kündigungsgrund erhebe 342 • Da Grunsky im Falle eines Verdachts nur die Tatkündigung zuläßt und danach abwägt, welche Seite das Risiko einer der Wahrheit widersprechenden Gerichtsentscheidung tragen müsse, kalku338 Appel I Gerken, Pro und Contra Verdachtskündigung, ArbuR 1995, S. 201 ff.; Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11 ff.; ders. Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff.; Busch, Die Verdachtskündigung im Arbeitsrecht, MDR 1995, S. 217 ff.; Hueck/Nipperdey I, S. 585; Lücke, Unter Verdacht: Die Verdachtskündigung, BB 1997, S. 1842 ff.; Nikisch 1, S. 729; Oehmann ARBlanei, Kündigung IX, lE; Schaub, S. 913 f.; Stahlhacke Rdnr. 434; Staudinger/Preis § 626 Rdnr. 223 ff. 339 Die Positionen des Schrifttums sollen hier nur verkürzt wiedergegeben werden, sie sind anderorts erschöpfend diskutiert worden, eingehend bei Belling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11 ff.; ders., Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223 ff. 340 Grunsky, Die Verdachtskündigung, ZfA 1977, S. 167, 175. 34\ Grunsky, a. a. 0., S. 180. 342 Grunsky, a. a. 0., S. 180 f.; ebenso Monjau, Die Verdachtskündigung, DB 1960, S. 1067,1068.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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liert er ein, daß dem Arbeitnehmer u.U. eine gravierende Verfehlung angelastet wird, weIche dieser gar nicht begangen hat. Im Ausnahmefall genügt ein non Iiquet, um den Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens zu kündigen. Der Arbeitnehmer wird dadurch nicht nur mit dem Risiko der Fehlentscheidung belastet, sondern zu Unrecht auch als Tater hingestellt 343 .
b) Der Verdacht als bloßer Anlaß zur Ermittlung der Tat Ausgehend von dem rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung bezweifeln Schütte 344 und Dörner345 , daß allein ein Verdacht genüge, um eine Kündigung zu rechtfertigen. In diese Richtung zielt auch der Hinweis Schwerdtners 346 , die im staatlichen Bereich geltende Vermutung der Unschuld dürfe auch "im gesellschaftlichen Bereich nicht vergessen werden". Schütte sieht im Verlust des Arbeitsplatzes bei nicht erwiesener Schuld eine schwerere Sanktion als etwa ein Strafbefehl oder eine Bewährungsstrafe wegen eines nachgewiesenen Diebstahls. Dörner meint, das Gesetz nehme einen Tatverdacht regelmäßig nur zum Anlaß für die Einleitung eines Verfahrens und für Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung. Im Vertragsrecht gilt jedoch die Unschuldsvermutung des Strafrechts allenfalls eingeschränkt347 . Die Rechtsbeziehungen zwischen Vertragspartnern einerseits und Angeschuldigtem / Beschuldigtem / Angeklagtem und Staat andererseits sind grundverschieden. Auch die Rechtsfolgen - Kündigung und Strafe sind nicht vergleichbar. Die Kündigung ist keine an schuldhaftes Verhalten anknüpfende Sanktion 348 , sondern ein Gestaltungsrecht, durch das ein bestehendes Vertragsverhältnis beendet wird.
c) Die Beschränkung der Verdachtskündigung auf besondere Vertrauensverhältnisse Moritz 349 lehnt die Verdachtskündigung zwar nicht generell ab, will sie jedoch auf Fälle beschränken, in denen der Arbeitnehmer eine "besondere VertrauensposiBelling, Die Verdachtskündigung, FS Kissel zum 65. Geburtstag, S. 11 ff., 13. Die Verdachtskündigung, NZA Beil. 2/ 1991, S. 17,22. 345 Dörner, Die Verdachtskündigung im Spiegel der Methoden zur Auslegung von Gesetzen, NZA 1992, S. 865, 866; ders. Abschied von der Verdachtskündigung, NZA 1993, S. 873 ff. 346 MünchKomm 2 / Schwerdtner, § 626 BGB Rdnr. 149. 347 Eingehend Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996, S. 223, 226 ff. 348 Belling, Die Verdachtskündigung, a. a. O. , S. 11 ff.; MünchKomm / Schwerdtner § 626 BGB Rdnr. 44. 349 Grenzen der Verdachtskündigung, NJW 1978, S. 402, 405. 343
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2. Teil: Die Fallgruppen der Kündigung wegen Vertrauensverlusts
tion" einnimmt. Diese könne sich aus der Eigenart des Betriebs ergeben - so etwa bei einer Bank, bei einer Wach- und Schließgesellschaft, bei der Polizei - oder aus der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb - z. B. bei einem leitenden Angestellten, oder einem Geschäftsführer35o. Die zweite Fallgruppe sei dadurch gekennzeichnet, daß der Arbeitnehmer großen Handlungsspielraum besitze und nicht kontrolliert werden könne. Zwar bleibt unklar, worauf Moritz seine Kategorien stützt. Ihm ist aber insofern zu folgen, als er den Verlust des zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendigen Vertrauens in den Mittelpunkt der Problematik stellt. Im übrigen sind die Fallgruppen zu eng gefaßt 351 •
d) Der Verdacht als Grund für den Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer und dessen Eignung Überzeugender ist daher die Konzeption von Belling 352 , Hillebrecht 353 und Schwerdtner354 , die die Verdachtskündigung nicht nur auf Vertrauensstellungen beschränken 355 , sondern auch in Fällen anerkennen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund des Verdachts die vertraglich zugesagte Leistung nicht mehr erbringen kann. Anders als Moritz fragen sie richtigerweise nicht nach den äußeren Begebenheiten eines Arbeitsverhältnisses, sondern danach, ob die vom Arbeitnehmer vertraglich geschuldete Leistung ein bestimmtes Vertrauen des Arbeitgebers voraussetzt 356, mithin privatautonom Vertrauenstatbestände als Geschäftsgrundlage geschaffen wurden 357 .
11. Die Anwendung der Grundsätze des Vertrauenswegfalls auf die Verdachtskündigung 1. Die Verdachtskündigung als Kündigung wegen Vertrauensverlusts
Die Verdachtskündigung ist keine Kündigung allein wegen des gehegten Verdachts, sondern eine personenbedingte Kündigung wegen Vertrauensverlusts 358 . 350 insbesondere kommt es beim Geschäftsführer auf die Vertrauensbasis im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung an, vgl. z. B. OLG Zweibrücken, NZG 1999, 1011 (Leitsatz). 351 KR 3 -Hillebrecht, § 626 BGB, Rdnr. 175. 352 Belling, Die Verdachtskündigung, a. a. 0., S. 11 ff.; ders. RdA, a. a. 0., S. 223 ff.; Erman/Belling § 626 BGB Rdnr. 78. 353 KR-Hillebrecht, § 626 BGB, Rdnr. 175. 354 MünchKomm2 / Schwerdtner, § 626 BGB, Rdnr. 149. 355 Ebenso LAGE Nr. 27 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung. 356 KR 3 -Hillebrecht,§ 626 BGB, Rdnr. 175 f. 357 Belling, Die Kündigung wegen verdachtsbedingten Vertrauenswegfalls, RdA 1996,
S. 223, 229.
2. Abschn.: Umsetzung der Grundsätze über den Vertrauenswegfall
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Ein auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht kann das schützenswerte Vertrauen des Arbeitgebers in die Rechenschaft des Arbeitnehmers entfallen lassen359 . Weil es bei der Verdachtskündigung gerade der durch den Verdacht begründete Vertrauenswegfall ist, weIcher den wichtigen Grund zur Kündigung liefert, stellen sich für die Voraussetzungen der Verdachtskündigung nunmehr besondere Anforderungen. Der Vertrauenswegfall ist bei der Verdachtskündigung keine Frage der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, sondern als Maßgabe der weiteren persönlichen Eignung des Arbeitnehmers der eigentliche wichtige Grund für eine personenbedingte Kündigung. Das BAG stellt die Anforderungen an den Verdacht, daß er auf objektive Tatsachen gestützt und dringend sein muß sowie die Maßgabe des Vertrauenswegfalls als eigenständige Voraussetzungen hintereinander. Wenn es aber vielmehr auf den Vertrauens wegfall als Kündigungsgrund ankommt, müssen die Voraussetzungen der Verdachtskündigung auch auf diesen ausgerichtet werden. Es sind die Verdachtsmomente daraufhin zu untersuchen, ob sie sich eignen, einen kündigungserheblichen Vertrauenswegfall zu begründen. Das ist der Fall, wenn sie auf objektiven Tatsachen beruhen, und ein Vertrauenstatbestand besteht, dessen Zerstörung ein Kündigungsgrund sein kann. Im folgenden soll auf derart zu modifizierende Voraussetzungen der Verdachtskündigung näher eingegangen werden. Teilweise wird versucht, die Anforderungen der Rechtsprechung an die Verdachtskündigung dadurch zu erschweren, daß ihr Anwendungsbereich auf Arbeitnehmer in besonderen Vertrauensstellungen beschränkt wird 360 • Diese Wertung beruht auf einer Analyse der frühen Rechtsprechung zur Verdachtskündigung und liefert selbst keine dogmatische Begründung361 . Verallgemeinernd hält dem die h.M. entgegen, daß jedes Arbeitsverhältnis auf Treue und Fürsorge aufbaut und daher im Gegensatz zu anderen Schuldverhältnissen stets ein besonderes Vertrauensverhältnis begründet362 . Dieses nonnative Grundvertrauen ist jedoch ein durch den Typus des Arbeitsverhältnisses vorgegebenes Vertrauen, dessen Erschütterung alleine keine Kündigung rechtfertigen kann. Zu Recht spricht Belling der Störung des normativen Grundvertrauens die Eignung als wichtiger Grund nach § 626 BGB ab, da andernfalls der Arbeitsvertrag mit einer höheren Störanf