Der Wert der Vagheit 9783110347791, 9783110340280

In classical logic, vagueness is an undesirable property for predicates. However, this study suggests for the first time

221 66 907KB

German Pages 218 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
1 Einleitung
2 Das Phänomen der semantischen Vagheit
2.1 Das Grundproblem der Kategorisierung
2.1.1 Die klassische Theorie: Notwendige und hinreichende Bedingungen
2.1.2 Familienähnlichkeit
2.1.3 Prototypentheorie
2.1.4 „Theory theory“
2.2 Definition: Was ist Vagheit?
2.2.1 DieSorites-Paradoxie
2.2.2 Definition
2.2.3 Abgrenzungen
2.3 Gegenstandsbereich: Welche Entitäten können vage sein?
2.4 Arten von Vagheit: Sorites-Vagheit und kombinatorische Vagheit
2.5 Die Vagheit natürlicher Sprachen
3 Vagheitsprobleme und Lösungsversuche
3.1 Vagheit als Defekt?
3.2 Vagheitsprobleme
3.2.1 Probleme der klassischen Logik
3.2.2 Paradoxien
3.2.3 Open texture: Die Möglichkeit von Grenzfällen
3.2.4 Höherstufige Vagheit
3.2.5 Das Argument der schiefen Ebene
3.2.6 Grenzziehungen in der Praxis
3.3 Ansätze zum Umgang mit Vagheit
3.3.1 Drei- und mehrwertige Logiken und Wahrheitsgrade
3.3.2 Supervaluationismus
3.3.3 Epistemische Theorie
3.3.4 Kontextualismus
3.3.5 Nihilismus
4 Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit
4.1 Das Ziel der idealen Sprache
4.1.1 Gottlob Frege: Logik benötigt scharfe Begriffsgrenzen
4.1.2 Bertrand Russell: Präzision als unerreichbares Ideal
4.2 Positionen zum Nutzen der Vagheit
4.2.1 Gottlob Frege: Alltagssprache und Vagheit
4.2.2 Charles S. Peirce: Vagheit ist kein Kommunikationshindernis
4.2.3 Max Black: Statistische Analyse
4.2.4 Carl G. Hempel: Verletzung logischer Gesetze im Sprachgebrauch
4.2.5 Ludwig Wittgenstein: Kommunikation ohne scharfe Begriffsgrenzen
4.2.6 Friedrich Waismann: Vagheit entspricht den Sinneseindrücken
4.2.7 Willard Van Orman Quine: Vagheit als „Laune des Bezeichnens“
4.2.8 Adam Schaff: Der Kommunikationszweck ist entscheidend
4.3 Zusammenfassung der historischen Positionen
5 Vagheit und Spracherwerb
5.1 Allgemeine Annahmen über den Wortschatzerwerb
5.2 Überdehnung als kommunikative Strategie
5.3 Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb
5.3.1 Ostension im Spracherwerb
5.3.2 Unerforschlichkeit der Referenz
5.3.3 Geringe Größe des Extensionsausschnitts
5.3.4 Prototypentheorie im Spracherwerb
5.4 Zwischenfazit: Kein Erlernen scharfer Grenzen
6 Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis
6.1 Der Vorteil schneller Kategorisierung
6.2 Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht
6.2.1 Die Überspezifikation von Objektbenennungen
6.2.2 Vagheit erleichtert die Suche
6.3 Vagheit und Gedächtnis
6.4 Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter
6.4.1 Farben – Eine kurze Einführung
6.4.2 Der Farb-Sorites
6.4.3 Die Anzahl der Farbwörter
6.4.4 Farben im Gedächtnis
6.4.5 Vagheit macht Farbprädikate „alltagstauglich“
6.5 Zwischenfazit: Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis
7 Vagheit in der Kommunikationssituation
7.1 Vagheit und Konversationsmaximen
7.1.1 Das Kooperationsprinzip
7.1.2 Konversationsmaximen und Implikaturen
7.1.3 Die Rolle der Vagheit beim Befolgen der Maximen
7.2 Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel
7.2.1 Kommunikative Ökonomie
7.2.2 Flexibilität: Der produktive Einsatz begrenzter Mittel
7.2.3 Bedeutungswandel durch Vagheit
7.3 Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität
7.3.1 Auflösung und Granularität
7.3.2 Zahlenangaben
7.3.3 Die Festlegung des Präzisionsniveaus
7.3.4 Stabilität durch Vagheit
7.3.5 Ein alltagsangemessenes Präzisionsniveau durch Vagheit
7.4 Strategische Vagheit
7.5 Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit
7.5.1 Ignorieren der Nicht-Übereinstimmung
7.5.2 Die Möglichkeit der Nachfrage
7.5.3 Heckenausdrücke
7.5.4 Stipulation und Präzisierung für einen gegebenen Kontext
7.5.5 Lücken in der Realisation der Sorites-Reihe
7.5.6 Neue und komparative Prädikate
7.6 Zwischenfazit: Vagheit in der Kommunikationssituation
8 Vagheit in der Fachkommunikation
8.1 Definition: Was ist Fachsprache?
8.2 Vagheitsreduzierung in der Fachsprache
8.3 Terminologisierung und Entterminologisierung
9 Vagheit im Recht
9.1 Bivalenz und Subsumtion
9.2 Unbestimmte Rechtsbegriffe und Bestimmtheitsgebot
9.3 Abgrenzung: Vagheit und Generalität im Recht
9.4 Vagheit im Recht als Defekt?
9.4.1 Der Wert der Präzision im Recht
9.4.2 Void for Vagueness
9.4.3 Gibt es eine richtige Antwort? – Die Hart-Dworkin-Debatte
9.4.4 Sorites-Reihen im Recht: Der Fall der „gewaltsamen“ Sitzblockaden
9.5 Der Nutzen der Vagheit im Recht
9.5.1 Die Flexibilität vager Gesetze und die Delegation von Entscheidungen
9.5.2 Die Handhabbarkeit von Gesetzen
9.5.3 Die Übererfüllung vager Gesetze
9.6 Zwischenfazit: Vagheit im Recht – Vagheit in der Alltagssprache
10 Wert und Nutzen semantischer Vagheit
Recommend Papers

Der Wert der Vagheit
 9783110347791, 9783110340280

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Nora Kluck Der Wert der Vagheit

Linguistics & Philosophy

Edited by Günther Grewendorf, Wolfram Hinzen, Hans Kamp, Helmut Weiß

Volume 5

Nora Kluck

Der Wert der Vagheit

ISBN 978-3-11-034028-0 e-ISBN 978-3-11-034779-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Dank Das Verfassen der vorliegenden Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne ein Stipendium der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für die finanzielle Unterstützung – die mir schon durch die Studentenförderung gewährt wurde – sowie für die ideelle Förderung durch Seminare und Beratung möchte ich mich bei der Stiftung und bei meinen Referent(inn)en herzlich bedanken. Für die hervorragende Betreuung dieser Arbeit danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Geert Keil vom Institut für Philosophie der HumboldtUniversität zu Berlin, der nicht nur für Fragen, Rat und Rückmeldungen immer zur Verfügung stand, sondern mich schon im Studium in hohem Maße für die analytische Philosophie begeistert hat. Ich danke ihm zudem für die Aufnahme in sein von der VolkswagenStiftung gefördertes Forschungsprojekt „Vernünftiger Umgang mit unscharfen Grenzen – Vagheits- und Unbestimmtheitsphänomene als Herausforderung für Philosophie und Recht“. Ich danke allen Kollegen dieser Forschungsgruppe für viele fruchtbare Diskussionen und das kooperative Miteinander. Prof. Dr. Manfred Krifka danke ich für die Zweitbegutachtung der Arbeit und viele wertvolle Hinweise. Für hilfreiche Hinweise zu meinem Text sowie für die gastfreundliche Aufnahme danke ich auch den Leiter(inne)n und Teilnehmer(inne)n des Kolloquiums „Theoretische Philosophie“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ich danke meiner gesamten Familie und besonders meiner Mutter, Prof. Dr. Marie-Luise Kluck, für die tolle Unterstützung in der Studien- und Promotionszeit. Danken möchte ich auch meiner Vorgesetzten und meinen Kolleginnen an der Universität Münster für den Rückhalt vor allem in der Endphase der Promotion. Ich danke den Reihenherausgebern und Dr. Rafael Hüntelmann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Linguistics and Philosophy“ im Verlag De Gruyter/Ontos, sowie Dr. Christine Henschel und Olena Gainulina vom De Gruyter-Verlag für die gute Betreuung der Publikation. Nicht zu ermessen ist der Dank an meinen Ehemann Matthias Schleiff, nicht nur für das mehrfache Korrekturlesen der Arbeit, sondern für jeden erdenklichen Rückhalt, immerwährende Unterstützung, viele fruchtbare philosophische Diskussionen sowie wertvolle Hinweise zum Thema und zum Text. Im Gedenken an H.G.

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................... 1 2 Das Phänomen der semantischen Vagheit .............................................. 5 2.1

Das Grundproblem der Kategorisierung .............................................. 5

2.1.1 Die klassische Theorie: Notwendige und hinreichende Bedingungen ................................................................................ 5 2.1.2 Familienähnlichkeit ...................................................................... 6 2.1.3 Prototypentheorie ......................................................................... 7 2.1.4 „Theory theory“............................................................................ 9 2.2

Definition: Was ist Vagheit? ............................................................... 9

2.2.1 Die Sorites-Paradoxie ................................................................... 9 2.2.2 Definition ................................................................................... 13 2.2.3 Abgrenzungen ............................................................................ 14 2.3

Gegenstandsbereich: Welche Entitäten können vage sein? ............... 17

2.4

Arten von Vagheit: Sorites-Vagheit und kombinatorische Vagheit .............................................................................................. 18

2.5

Die Vagheit natürlicher Sprachen...................................................... 20

3 Vagheitsprobleme und Lösungsversuche .............................................. 23 3.1

Vagheit als Defekt? ........................................................................... 23

3.2

Vagheitsprobleme .............................................................................. 24

3.2.1 Probleme der klassischen Logik ................................................. 24 3.2.2 Paradoxien .................................................................................. 26 3.2.3 Open texture: Die Möglichkeit von Grenzfällen ........................ 26 3.2.4 Höherstufige Vagheit ................................................................. 27 3.2.5 Das Argument der schiefen Ebene ............................................. 28 3.2.6 Grenzziehungen in der Praxis ..................................................... 31 3.3

Ansätze zum Umgang mit Vagheit .................................................... 32

3.3.1 Drei- und mehrwertige Logiken und Wahrheitsgrade ................ 32 3.3.2 Supervaluationismus .................................................................. 34 3.3.3 Epistemische Theorie ................................................................. 36 3.3.4 Kontextualismus ......................................................................... 37

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.3.5 Nihilismus .................................................................................. 40 4 Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit .................................. 43 4.1

Das Ziel der idealen Sprache............................................................. 43

4.1.1 Gottlob Frege: Logik benötigt scharfe Begriffsgrenzen ............. 43 4.1.2 Bertrand Russell: Präzision als unerreichbares Ideal ................. 45 4.2

Positionen zum Nutzen der Vagheit .................................................. 48

4.2.1 Gottlob Frege: Alltagssprache und Vagheit ............................... 48 4.2.2 Charles S. Peirce: Vagheit ist kein Kommunikationshindernis ......................................................... 50 4.2.3 Max Black: Statistische Analyse................................................ 51 4.2.4 Carl G. Hempel: Verletzung logischer Gesetze im Sprachgebrauch .......................................................................... 56 4.2.5 Ludwig Wittgenstein: Kommunikation ohne scharfe Begriffsgrenzen .......................................................................... 57 4.2.6 Friedrich Waismann: Vagheit entspricht den Sinneseindrücken ....................................................................... 61 4.2.7 Willard Van Orman Quine: Vagheit als „Laune des Bezeichnens“ ............................................................................. 62 4.2.8 Adam Schaff: Der Kommunikationszweck ist entscheidend ..... 64 4.3

Zusammenfassung der historischen Positionen ................................. 65

5 Vagheit und Spracherwerb .................................................................... 67 5.1

Allgemeine Annahmen über den Wortschatzerwerb ......................... 67

5.2

Überdehnung als kommunikative Strategie ...................................... 68

5.3

Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb .................... 69

5.3.1 Ostension im Spracherwerb ....................................................... 70 5.3.2 Unerforschlichkeit der Referenz ................................................ 71 5.3.3 Geringe Größe des Extensionsausschnitts ................................. 73 5.3.4 Prototypentheorie im Spracherwerb ........................................... 74 5.4

Zwischenfazit: Kein Erlernen scharfer Grenzen ............................... 74

6 Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis ............................................. 76 6.1

Der Vorteil schneller Kategorisierung .............................................. 76

6.2

Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht .......................... 78

6.2.1 Die Überspezifikation von Objektbenennungen ........................ 80

Inhaltsverzeichnis

IX

6.2.2 Vagheit erleichtert die Suche ..................................................... 83 6.3

Vagheit und Gedächtnis .................................................................... 84

6.4

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter........... 84

6.4.1 Farben – Eine kurze Einführung................................................. 84 6.4.2 Der Farb-Sorites ......................................................................... 86 6.4.3 Die Anzahl der Farbwörter ......................................................... 88 6.4.4 Farben im Gedächtnis................................................................. 89 6.4.5 Vagheit macht Farbprädikate „alltagstauglich“ .......................... 89 6.5

Zwischenfazit: Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis .................. 92

7 Vagheit in der Kommunikationssituation ............................................. 93 7.1

Vagheit und Konversationsmaximen................................................. 93

7.1.1 Das Kooperationsprinzip ............................................................ 94 7.1.2 Konversationsmaximen und Implikaturen.................................. 94 7.1.3 Die Rolle der Vagheit beim Befolgen der Maximen .................. 97 7.2

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel .... 100

7.2.1 Kommunikative Ökonomie ...................................................... 100 7.2.2 Flexibilität: Der produktive Einsatz begrenzter Mittel ............. 104 7.2.3 Bedeutungswandel durch Vagheit ............................................ 106 7.3

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität ......................... 108

7.3.1 Auflösung und Granularität ...................................................... 109 7.3.2 Zahlenangaben ......................................................................... 111 7.3.3 Die Festlegung des Präzisionsniveaus ...................................... 114 7.3.4 Stabilität durch Vagheit ............................................................ 117 7.3.5 Ein alltagsangemessenes Präzisionsniveau durch Vagheit ....... 118 7.4

Strategische Vagheit ........................................................................ 119

7.5

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit .......................... 121

7.5.1 Ignorieren der Nicht-Übereinstimmung ................................... 123 7.5.2 Die Möglichkeit der Nachfrage ................................................ 123 7.5.3 Heckenausdrücke ..................................................................... 124 7.5.4 Stipulation und Präzisierung für einen gegebenen Kontext ...... 127 7.5.5 Lücken in der Realisation der Sorites-Reihe ............................ 129

X

Inhaltsverzeichnis

7.5.6 Neue und komparative Prädikate ............................................. 130 7.6

Zwischenfazit: Vagheit in der Kommunikationssituation ............... 132

8 Vagheit in der Fachkommunikation ................................................... 134 8.1

Definition: Was ist Fachsprache?.................................................... 134

8.2

Vagheitsreduzierung in der Fachsprache ........................................ 135

8.3

Terminologisierung und Entterminologisierung ............................. 139

9 Vagheit im Recht .................................................................................. 141 9.1

Bivalenz und Subsumtion ............................................................... 142

9.2

Unbestimmte Rechtsbegriffe und Bestimmtheitsgebot ................... 145

9.3

Abgrenzung: Vagheit und Generalität im Recht ............................. 146

9.4

Vagheit im Recht als Defekt? ......................................................... 147

9.4.1 Der Wert der Präzision im Recht ............................................. 148 9.4.2 Void for Vagueness ................................................................. 150 9.4.3 Gibt es eine richtige Antwort? – Die Hart-DworkinDebatte ..................................................................................... 153 9.4.4 Sorites-Reihen im Recht: Der Fall der „gewaltsamen“ Sitzblockaden ........................................................................... 156 9.5

Der Nutzen der Vagheit im Recht ................................................... 162

9.5.1 Die Flexibilität vager Gesetze und die Delegation von Entscheidungen ........................................................................ 163 9.5.2 Die Handhabbarkeit von Gesetzen ........................................... 165 9.5.3 Die Übererfüllung vager Gesetze ............................................. 166 9.6

Zwischenfazit: Vagheit im Recht – Vagheit in der Alltagssprache ................................................................................. 167

10 Wert und Nutzen semantischer Vagheit ............................................. 169

1

Einleitung

Kojak-Darsteller Terry Savalas ist ein klarer Fall von einem Glatzkopf, ebenso Mahatma Gandhi. Bob Marley ist ein klarer Fall von einem Nicht-Glatzkopf. Stellen wir uns eine Reihe von Männern mit unterschiedlich reicher Haarpracht vor, beginnend bei Bob Marley. Dessen Reihennachbar hat genau ein Haar weniger auf dem Kopf als der Reggaesänger. Der Nächste in der Reihe hat noch ein Haar weniger auf dem Kopf. So wird die Reihe fortgesetzt; es ist immer ein einziges Haar weniger vorhanden. Wir streifen also, wenn wir an der Reihe entlang gehen, etwa Götz Alsmann, Albert Einstein, Alfred Hitchcock und Homer Simpson, bis am Ende der Reihe schließlich Terry Savalas steht, der kein einziges Haar auf dem Kopf hat. Wir haben mit einem klaren Fall von Nicht-Glatzkopf begonnen und enden mit einem klaren Fall von Glatzkopf. Die Frage ist nun: An welcher Stelle haben wir den Bereich erreicht, in dem wir das Prädikat „Glatzkopf“ mit Sicherheit anwenden konnten? War es bereits der Übergang von Bob Marley zu seinem Nachbarn? Ganz sicher nicht: In beiden Fällen haben wir es eindeutig mit Nicht-Glatzköpfen zu tun. Dass nach dem ersten Schritt ein Haar weniger vorliegt, können wir mit dem bloßen Auge noch nicht einmal erkennen. Daher kann ein Haar mehr oder weniger im Hinblick auf die Verwendung des Prädikats „Glatzkopf“ (bzw. „Nicht-Glatzkopf“ für einen Sprecher keinen Unterschied machen. Dies gilt genauso für den Übergang von Reihennachbar 1 zu Reihennachbar 2 und von Reihennachbar 2 zu Reihennachbar 3 etc.: Ein Haar mehr oder weniger kann keinen Unterschied machen, ob man jemanden als „Glatzkopf“ bezeichnet oder nicht. Doch nicht erst am Ende der Reihe, bei Terry Savalas, wird deutlich, dass das Festhalten an der Zuschreibung „Nicht-Glatzkopf“ der gewöhnlichen Verwendung des Prädikats nicht entspricht. Terry Savalas ist ein eindeutiger Fall von Glatzkopf. Dies trifft allerdings auch schon auf denjenigen zu, der nur ein Haar mehr auf dem Kopf hat als er, oder drei, wie Homer Simpson. Denn auch hier gilt: Ein Haar mehr oder weniger kann keinen Unterschied machen. Da ein Haar mehr oder weniger keinen Unterschied machen kann, liegt die Grenze zwischen „Glatzkopf“ und „Nicht-Glatzkopf“ offenbar nicht zwischen zwei Reihennachbarn. Stattdessen liegt ein Grau- oder Grenzbereich vor: Der Übergang ist fließend und es gibt Fälle, in denen es fraglich ist, ob der Fall eines „Glatzkopfs“ vorliegt oder nicht. Diese Grenzfälle sind allerdings wiederum nicht scharf abgegrenzt von den klaren Fällen und den klaren Nicht-Fällen. Damit ist „Glatzkopf“ ein vages Prädikat. Der Begriff, den es bezeichnet, hat keine scharf abgegrenzte Extension und lässt daher Grenzfälle zu. Er ist (semantisch) vage. Semantische Vagheit führt auf formallogischer Ebene zu Problemen. Eines davon ist die Sorites-Paradoxie, die auch im hier genannten Beispiel vor-

2

Einleitung

liegt: Trotz wahrer Prämissen („Bob Marley ist kein Glatzkopf.“) und eines gültigen Schlussschemas („Wenn jemand ein Haar weniger auf dem Kopf hat als ein Nicht-Glatzkopf, ist auch er ein Nicht-Glatzkopf. Denn ein Haar macht im Hinblick auf die Zuschreibung des Prädikats ‚Glatzkopf‘ keinen Unterschied.“) kommt man zu einer inakzeptablen Konklusion („Kojak-Darsteller Terry Savalas ist kein Glatzkopf.“). Ein anderes Problem ist die Wahrheitswertzuweisung von Propositionen, die ein vages Prädikat enthalten, das sich auf einen Grenzfall bezieht: Wenn wir einen Mann aus der Mitte unserer Reihe, also aus dem Graubereich, herausgreifen und über ihn aussagen: „Dieser Mann ist ein Glatzkopf“, verlangt die klassische zweiwertige Logik, dass diese Aussage als „wahr“ oder „falsch“ beurteilt wird. Dies ist hier jedoch nicht ohne weiteres möglich: Der Sprecher kann sich selbst unsicher sein, wie er die Aussage bewerten soll. Er kann auch zu verschiedenen Zeitpunkten verschieden urteilen oder zwei Sprecher können sich darüber uneins sein – ohne dass ihnen dies vorwerfbar wäre (intersubjektive Variabilität). Denn der Begriffsumfang ist nicht scharf begrenzt und daher gibt es für viele Fälle keine eindeutige Antwort, ob ein Gegenstand noch unter den Begriff fällt oder nicht (und damit mit dem entsprechenden Prädikat bezeichnet werden kann). All dies sind Gründe dafür, dass semantische Vagheit aus formallogischer Perspektive für defizient gehalten wird. In der Literatur findet sich eine Fülle von Ausführungen zu Vagheit als einem Defekt (freilich nicht des einzigen) natürlicher Sprachen. Indessen sind fast alle Prädikate der natürlichen Sprachen vage. Bei genügend langem Nachdenken lässt sich für fast jedes Prädikat ein Grenzfall konstruieren. Und dennoch funktioniert die Kommunikation in der Alltagssprache mit eben jenen Prädikaten meistens sehr gut, und zwar auch dann, wenn es um Grenzfälle geht. Auch der Sprachwandel hat bisher nicht zu einer Elimination von Vagheit geführt – was zu erwarten wäre, wenn Vagheit die Alltagskommunikation massiv behindern würde. Es liegt nahe, hieraus den Schluss zu ziehen, dass Vagheit den alltäglichen Sprachgebrauch nicht nur nicht behindert, sondern ihm sogar zuträglich ist. Daher wird in der vorliegenden Arbeit der Wert und Nutzen semantischer Vagheit systematisch aufgezeigt. Eine solche Untersuchung ist ein Desiderat der bisherigen Forschung – sowohl in der Philosophie als auch in der Sprachwissenschaft sowie in den angrenzenden Wissenschaften. Obwohl in der Literatur beiläufig und in einzelnen Sätzen immer wieder auf den Nutzen der Vagheit verwiesen wird, fehlt eine Systematisierung bisher völlig. Die Überlegungen nehmen dabei folgenden Gang: In Kapitel 2 wird das Phänomen der semantischen Vagheit zunächst analysiert und auf das Grundproblem der Kategorisierung zurückgeführt. Es wird eine Definition von semantischer Vagheit gegeben und es werden Abgrenzungen zu verwandten Phänomenen vorgenommen. Zudem wird die Frage gestellt, welche Entitäten überhaupt vage sein können.

Einleitung

3

In Kapitel 3 werden Vagheitsprobleme und deren Lösungsversuche vorgestellt. Für die verschiedenen Probleme, die Vagheit aufwirft (unklare Begriffsanwendung, logische Probleme, Paradoxien, höherstufige Vagheit und das Argument der schiefen Ebene), sind schon sehr viele unterschiedliche Lösungsansätze vorgeschlagen worden. Die bekanntesten sind die drei- und mehrwertigen Logiken, der Supervaluationismus, die epistemische Theorie, der Kontextualismus und der Nihilismus. In der Philosophiegeschichte finden sich schon verschiedentlich Bemerkungen zum Nutzen der Vagheit. Diese historischen Positionen, die sich mit den Namen Frege, Peirce, Black, Hempel, Wittgenstein, Waismann, Quine und Schaff verbinden, werden in Kapitel 4 erörtert und dem in der Philosophiegeschichte ebenfalls verfolgten Ziel der idealen Sprache gegenübergestellt. In Kapitel 5 wird gezeigt, wie die Vagheit von Prädikaten bereits im Erstspracherwerb des Menschen angelegt ist: Lernen durch Ostension, die Unerforschlichkeit der Referenz, die geringe Größe des präsentierten Extensionsausschnitts und das Lernen an Prototypen bewirken, dass Prädikate nicht mit scharfen Grenzen erlernt werden. In Kapitel 6 wird der These nachgegangen, dass vage Prädikate der menschlichen Wahrnehmung und der menschlichen Kognition eher entsprechen als präzise. Denn durch sie wird der Sprecher nicht gezwungen, Unterscheidungen zu treffen, die er mit seinen Sinnesorganen oder in seinem Gedächtnis nicht ohne Hilfsmittel treffen kann. Dieser Vorteil wird anhand von Farbprädikaten deutlich gemacht. Welchen Nutzen Vagheit in konkreten Situationen der Alltagskommunikation hat und wie mit ihr umgegangen werden kann, wird in Kapitel 7 aufgezeigt. Zunächst geht es um die Rolle der Vagheit bei der Befolgung der Griceschen Konversationsmaximen. Anschließend wird erläutert, inwiefern Vagheit zur kommunikativen Ökonomie, Flexibilität und zum Bedeutungswandel sprachlicher Ausdrücke beiträgt. Thema ist zudem die Anpassungsfähigkeit an verschiedene Präzisionsstandards: Es wird zu zeigen sein, dass Vagheit zu einem alltagsangemessenen Präzisionsniveau führt. Zudem wird gezeigt, wie Vagheit – auch wenn sie nicht als Generalität verstanden wird – strategisch nutzbar gemacht werden kann. Unstrittig ist, dass Vagheit trotz allen Nutzens auch zu Missverständnissen und Störungen der Kommunikation führen kann. Daher wird erörtert, welche Reparaturmechanismen es gibt und wie Sprecher mit den Schwierigkeiten der Vagheit in der konkreten Kommunikationssituation umgehen. Dabei erfordert Fachkommunikation allerdings einen anderen Umgang mit Vagheit als die Alltagskommunikation; dies wird in Kapitel 1 deutlich gemacht. Der beschriebene Nutzen der Vagheit ist in der Fachkommunikation nur eingeschränkt vorhanden; hier geht etwa Präzision vor Schnelligkeit. Daher wird in der Fachsprache an Vagheitsreduzierung gearbeitet.

4

Einleitung

Ein spezieller Fall von Vagheit in der Fachkommunikation wird in Kapitel 9 diskutiert: Vagheit im Recht. Während der Sprecher im Alltag sich angesichts von Grenzfällen immer auch noch durch eine Urteilsenthaltung aus der Affäre ziehen kann, ist dies einem Richter nicht möglich. Er muss beurteilen, ob etwas unter einen bestimmten Tatbestand fällt oder nicht, und zwar nicht nur ad hoc: Sein Urteil hat weitreichende Konsequenzen – etwa, ob der Angeklagte ins Gefängnis muss – und wird möglicherweise auch für spätere Urteile wieder herangezogen. Daher führt Vagheit im Recht zu Problemen; andererseits kann aber auch hier mit Aspekten der Flexibilität und Handhabbarkeit ein Nutzen der Vagheit festgestellt werden, auch wenn er nicht so eindeutig überwiegt wie in der Alltagskommunikation. Ein Fazit schließlich resümiert die vorangegangenen Überlegungen.

2

Das Phänomen der semantischen Vagheit

Vagheit ist ein Phänomen, dem die Menschen begegnen, wenn sie den Dingen in der Welt eine sprachliche Ordnung geben. Menschen teilen die Gegenstände in der Welt in Kategorien ein. Dies kann als ein Resultat kognitiver Ökonomie verstanden werden: Nicht mehr jeder einzelne Gegenstand muss betrachtet werden, sondern durch das Wissen über seine Kategorienzugehörigkeit können unmittelbar Schlüsse auf seine Eigenschaften gezogen werden. Die zu einer Kategorie gehörenden Gegenstände können in vielerlei Hinsicht als äquivalent betrachtet werden; eine genaue Analyse des einzelnen Gegenstandes ist damit oft nicht notwendig. Kategorien sind jedoch nicht scharf begrenzt; die Frage, anhand welcher Kriterien ein Gegenstand einer Kategorie zugeordnet werden kann, ist das Grundproblem der Kategorisierung (Kapitel 2.1), das im Folgenden skizziert wird. Es dient als Grundlage für die Definition von semantischer Vagheit, die anschließend aus der Sorites-Paradoxie entwickelt wird (Kapitel 2.2). Vagheit wird hier als eine Eigenschaft sprachlicher Ausdrücke (Prädikate) definiert; dies wirft jedoch die Frage auf, ob wirklich nur diese vage sein können. Daher folgt die Erörterung der Fragen, welche Entitäten vage sein können (Kapitel 2.3). Doch auch wenn man sich auf Prädikate beschränkt, gibt es verschiedene Arten von Vagheit (Kapitel 2.4), die berücksichtigt werden müssen. Das Kapitel schließt mit der Untersuchung der Allgegenwart von Vagheit in natürlichen Sprachen (Kapitel 2.5).

2.1

Das Grundproblem der Kategorisierung

Wie man bestimmen kann, ob ein Objekt zu einer Kategorie gehört, also unter einen Begriff fällt und daher mit dem entsprechenden Prädikat bezeichnet werden kann, ist eine alte Frage, der Philosophen, Linguisten und Psychologen noch heute nachgehen. Im Folgenden sollen die drei wichtigsten Antworten darauf skizziert werden: das klassische Modell der notwendigen und hinreichenden Bedingungen (NHB-Modell), die Theorie der Familienähnlichkeit, die Prototypentheorie sowie die Theory theory. Insbesondere die beiden erstgenannten spielen für die Vagheitsdebatte eine große Rolle.

2.1.1

Die klassische Theorie: Notwendige und hinreichende Bedingungen

Versucht man festzustellen, ob ein Objekt unter einen Begriff fällt, liegt es nahe, nach Kriterien dafür zu suchen. Diesen Kriterien spürte bereits Sokrates in den platonischen Dialogen mit seinen „Was ist …?“-Fragen nach. Um Objekte

6

Das Phänomen der semantischen Vagheit

eindeutig einem Begriff zuzuordnen und zu einer Extension mit scharfen Grenzen zu gelangen, wäre es ideal, über Bedingungen zu verfügen, die einzeln notwendig und gemeinsam hinreichend dafür sind, dass ein Gegenstand unter einen Begriff fällt. Alle Objekte, die diese Kriterien erfüllen, wären dann gleich „gute“ Mitglieder ihrer Kategorie. Diese Theorie der Begriffe wird auf Aristoteles zurückgeführt, der den Dingen wesentliche Eigenschaften (Essenzen) zuspricht: „Ferner heißen Wesenheit die Teile (mória), welche immanent in den Dingen dieser Art dieselben begrenzen und als dies bestimmte Etwas zu bezeichnen, mit deren Aufhebung das Ganze aufgehoben ist […].“1 Dass die Suche nach kritischen Merkmalen für die meisten Begriffe jedoch schwierig ist, deutet sich schon darin an, dass einige platonische Dialoge in Aporie enden. Bei geometrischen Formen etwa mag man noch eindeutige Kriterien für die Kategorienzugehörigkeit finden; bei anderen Begriffen wird es problematisch. Man denke nur an die von Platon angestoßene, aber noch immer nicht abgeschlossene Suche nach Kriterien für Wissen, Gerechtigkeit oder andere Gegenstände der philosophischen Begriffsanalyse. Immer wieder haben sich seit Platon Philosophen daran versucht, notwendige und hinreichende Bedingungen für diese Begriffe zu formulieren – immer wieder ohne Erfolg. Dies führte die Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts dazu, nicht mehr die jeweils für einen Begriff angegebenen Bedingungen in Zweifel zu ziehen, sondern die dahinter stehende klassische Theorie der Begriffe. Ihr entgegengestellt wurden – als wichtigste Theorien – die Familienähnlichkeit, die Prototypentheorie und die „Theory theory“.

2.1.2

Familienähnlichkeit

Die Schwierigkeit, die Kategorienzugehörigkeit nach der klassischen Theorie zu beurteilen, sah auch der späte Wittgenstein. Er macht diese Problematik an der Kategorie „Spiel“ deutlich. Man denke an die Eigenschaften von Spielen: Sie sind unterhaltend, es geht um Sieg oder Niederlage etc. Doch bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es Spiele gibt, auf die eines oder mehrere der Kriterien nicht zutreffen. Es gibt keine Eigenschaft, die allen Spielen gemeinsam ist und die zugleich eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür darstellt, etwas als „Spiel“ zu bezeichnen: Es geht nicht immer um den Sieg, nicht alle Spiele sind unterhaltend, die Teilnehmerzahl kann variieren etc.2 Statt einer gemeinsamen Eigenschaft besteht eine Verwandtschaft: „Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe.“3 Für diese Verwandtschaft führt Wittgenstein den Terminus Familienähnlichkeit ein: 1

Aristoteles Met.: 1017b. Vgl. Wittgenstein PU: § 66ff. 3 Ebd.: § 66. 2

Das Grundproblem der Kategorisierung

7

Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort „Familienähnlichkeiten“; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. – Und ich werde sagen: die ‚Spiele‘ bilden eine Familie.4

Auf das Konzept der Familienähnlichkeit wird in den Kapiteln 2.4 und 4.2.5 ausführlicher eingegangen.

2.1.3

Prototypentheorie

Eine Lösung des Problems der Kategorienzugehörigkeit versprach die in den 1970er Jahren entwickelte Prototypentheorie, die als Prototypensemantik Eingang in die Linguistik fand. Ihre Grundannahme ist, dass nicht alle Mitglieder in einer Kategorie gleich „gute“ Mitglieder sind, sondern dass es für jede Kategorie ein „bestes Beispiel“ – oder auch mehrere – gibt, den Prototypen. Die Basis für diese Theorie legte, beeinflusst von Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit, Eleanor Rosch (1973 und 1975) mit ihren Experimenten zu verschiedenen Kategorien:5 Probanden sollten Objekte im Hinblick darauf bewerten, wie gut sie als Beispiel für Kategorien wie „furniture“, „fruit“, „sport“, „bird“ und „vehicle“ geeignet sind. Dabei wurde eine hohe Übereinstimmung zwischen den Probanden festgestellt; so werteten etwa viele „chair“ als bestes Beispiel für „furniture“, „car“ als bestes Beispiel für „vehicle“ sowie „football“ als bestes Beispiel für „sport“. Am häufigsten zitiert wird wohl „robin“ (Rotkehlchen) als Prototyp für „bird“.6 Diese Kategorien sind demnach – wie die meisten anderen – intern strukturiert; dies kann auch für scharf begrenzte Kategorien gelten. Andererseits kann die Entfernung eines Gegenstandes zum Prototypen so groß sein, dass seine Kategorienzugehörigkeit nicht mehr eindeutig ist und die Kategorie dadurch eine unscharfe Grenze aufweist.7 Weitere Experimente von Rosch zeigten, dass Fragen nach der Kategorienzugehörigkeit beim Prototypen schneller beantwortet werden als bei anderen Mitgliedern der Kategorie; dass die Bezeichnung für den Prototypen im kindlichen Spracherwerb und auch von Erwachsenen schneller gelernt werden; und dass Prototypen häufig zuerst genannt werden, wenn nach Vertretern einer

4 Ebd.: § 67. Anführungsstriche in eingerückten Zitaten folgen in der vorliegenden Arbeit stets dem Original. 5 Vgl. Rosch 1987: 154. 6 Vgl. Rosch 1975b: 200f. 7 Eine derartige Typikalitätsstruktur hat Lawrence W. Barsalou auch für Kategorien nachgewiesen, die in speziellen Situationen für einen bestimmten Zweck geschaffen werden, sogenannte Ad-hoc-Kategorien, wie etwa „things to sale on a garage sale“, „things to take on a camping trip“ oder „places to look for antique desks“ (Barsalou 1983: 211). Auch hier war die Übereinstimmung zwischen den Probanden hoch in der Beurteilung der Typikalität.

8

Das Phänomen der semantischen Vagheit

Kategorie gefragt wird.8 Zudem werden Schlüsse über eine Kategorie schneller gezogen, wenn sie im Hinblick auf ein prototypisches Exemplar erfolgen. Die Verwendung von einschränkenden Heckenausdrücken (hedges)9 erscheint Sprechern im Zusammenhang mit dem prototypischen Exemplar einer Kategorie unangemessen: „Thus it is correct to say that a penguin is technically a bird but not that a robin is technically a bird, because a robin is more than just technically a bird, it is a real bird, a bird par excellence.“10 Doch was macht ein Objekt zu einem prototypischen Exemplar seiner Kategorie? Auch hier gilt: Es gibt keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür. Rosch nennt als mögliche Kriterien: Entweder mittlere oder extreme Größe (so sind beispielsweise sehr große Städte Prototypen für „Stadt“) sowie emotionale Besetzung. Oder der Prototyp ist das erste Exemplar, das dem Sprecher begegnet ist.11 Ein Objekt wird von den Probanden auch dann als besonders repräsentativ für seine Kategorie eingestuft, wenn es viele gemeinsame Eigenschaften mit anderen Kategorienmitgliedern aufweist (im Sinne der Wittgensteinschen Familienähnlichkeit) und wenige Eigenschaften mit kontrastierenden Kategorien teilt.12 Auch die Häufigkeit des Auftretens des Objekts im Alltag kann eine Rolle spielen.13 Die Prototypentheorie hat bis heute Einfluss auf Psychologie, Philosophie und Linguistik. Sie wirft jedoch selbst wieder eine Reihe von Problemen auf und wurde im Laufe der Zeit stark modifiziert, unter anderem von Rosch selbst.14 Das Problem der Kategorienzugehörigkeit für Grenzfälle wird auch durch die Prototypentheorie nicht gelöst. Da die Ähnlichkeit mit dem Prototypen graduell ist, ist es auch die Kategorienzugehörigkeit, so dass die Extension des zugehörigen Prädikats wieder unscharfe Grenzen hat. Eine eindeutige Kategorienzuordnung ist also auch hier nicht für alle Objekte zu leisten. Dennoch zeigt die Prototypentheorie durch die Analyse der internen Struktur von Begriffen, warum Grenzfälle vorliegen können: Sie liegen an der Peripherie eines Begriffs und damit so weit entfernt vom Prototypen, dass die Kategorienzugehörigkeit schon nicht mehr eindeutig ist.

8

Vgl. Rosch 1978: 38f. Siehe zu Heckenausdrücken Kapitel 7.5.3. 10 Rosch 1978: 39. Auf Heckenausdrücke wird in Kapitel 7.5.3 ausführlich eingegangen. 11 Vgl. Rosch 2007: o. S. Auf die Rolle der Prototypentheorie im Spracherwerb wird in Kapitel 5.3.4 eingegangen. 12 Vgl. Rosch 1978: 37. 13 Vgl. Rosch/Mervis 1975: 599. 14 Vgl. etwa Kleiber 1998: 109ff. 9

Definition: Was ist Vagheit?

2.1.4

9

„Theory theory“

Der Vollständigkeit halber sei noch die dritte Kategorisierungstheorie angeführt, die in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht weiter aufgegriffen wird: Die Theory theory besagt, dass Begriffe entweder selbst Theorien sind, analog zu wissenschaftlichen Theorien, oder dass sie Bestandteile von Theorien sind. Vertreter dieser Position sind unter anderem Gregory L. Murphy und Douglas L. Medin (1985), Susan Carey (1985), George Lakoff (1987), Frank C. Keil (1989) sowie Alison Gopnik und Andrew N. Meltzoff (1997).15 Fodor erläutert den Ansatz an folgenden Beispielen: Even every-day concepts like HAND or TREE or TOOTHBRUSH figure in complex, largely inarticulate knowledge structures. To know about hands is to know, inter alia, about arms and fingers; to know about toothbrushes is, inter alia, to know about teeth and the brushing of them.16

Begriffe sollen, wie wissenschaftliche Theorien, Erklärungen liefern; hierbei wird allerdings nicht auf wissenschaftstheoretische Positionen zurückgegriffen, sondern auf das Alltagsverständnis von „Erklärung“, das aber auch weitgehend ungeklärt bleibt,17 genau wie die Frage, was hier genau unter einer „Theorie“ verstanden werden soll.18 Eine befriedigende Lösung des Kategorisierungsproblems ist also auch hier nicht zu erwarten.

2.2

Definition: Was ist Vagheit?

Aus dem Problem der eindeutigen Kategorisierung und der entsprechenden Bezeichnung von Objekten ergibt sich das Problem der Vagheit.19 Im Folgenden soll eine Definition semantischer Vagheit gegeben werden. Wir nähern uns ihr über das klassische Beispiel des Prädikats „Haufen“, das auf die Sorites-Paradoxie führt. Im Anschluss an die Definition werden Abgrenzungen vorgenommen.

2.2.1

Die Sorites-Paradoxie

Betrachten wir also zunächst das einschlägige Beispiel: 1000 Weizenkörner, die in einer bestimmten Konfiguration angeordnet sind, würde ein kompetenter Sprecher des Deutschen als „Haufen“ bezeichnen. Kann ein einziges Korn, 15

Vgl. Rosch 2007 und Machery 2009: 100. Fodor 1994: 110. Vgl. Machery 2009: 102. 18 Vgl. Rosch 2007. 19 Das Wort „vage“ leitet sich vom französischen „vage“ – „umherstreifend, unstet“ her, dieses wiederum vom lateinischen „vagus“ – „ohne festen Standort“ und im übertragenen Sinne „ohne feste Position, ohne festgelegten Status“ oder „dem Sinne nach unbestimmt“. Vgl. dazu Kluge Etymologisches Wörterbuch: 947 und Georges Lat.-Dt. Handwörterbuch Bd. II: 3351. 16 17

10

Das Phänomen der semantischen Vagheit

das man davon entfernt, bewirken, dass man das vorliegende Gebilde nicht mehr als „Haufen“ bezeichnen würde? Die meisten kompetenten Sprecher des Deutschen dürften dies wohl verneinen: Ein einziges Korn könne doch keinen Unterschied machen. Sie würden diesen Satz zudem als allgemeine Regel gelten lassen, die nicht nur dann gilt, wenn man von einem Haufen aus 1000 Körnern ein Korn entfernt. Man darf diesen Schritt also wiederholen und erhält somit folgendes Argument: Prämisse (1)

1000 Weizenkörner sind ein Haufen.

Prämisse (2)

Für jede Anzahl n von Weizenkörnern gilt: Wenn n Weizenkörner ein Haufen sind, sind auch n - 1 Weizenkörner ein Haufen.

Zwischenkonklusion (1) (aus Prämissen (1) und (2))

999 Weizenkörner sind ein Haufen.

Zwischenkonklusion (2) (aus Zwischenkonklusion (1) und Prämisse (2))

998 Weizenkörner sind ein Haufen.

Zwischenkonklusion (3) (aus Zwischenkonklusion (2) und Prämisse (2))

997 Weizenkörner sind ein Haufen.

Wird dieser Schritt hinreichend oft iteriert, so kommen wir zu dem Schluss: (Konklusion)

1 Weizenkorn ist ein Haufen (oder, noch einen Iterationsschritt weiter: 0 Weizenkörner sind ein Haufen).

Diese Anwendung des Prädikats „Haufen“ würde jedoch jeder kompetente Sprecher des Deutschen ablehnen, obwohl er weder die Wahrheit der Prämissen noch die Gültigkeit des Arguments bestreiten würde. Aus wahren Prämissen und einem gültigen Argument ergibt sich eine inakzeptable Konklusion: Es liegt also eine Paradoxie vor.20 Diese sogenannte Sorites-Paradoxie (von griech. ıȦȡóȢ = Haufen) wird – neben anderen Paradoxien wie der Lügner-Paradoxie oder der Paradoxie des Verhüllten – zurückgeführt auf Eubulides von Milet (4. Jhd. v. Chr.), Schüler 20 Gemäß folgender Definition von Sainsbury: „Eine scheinbar unannehmbare Schlussfolgerung, die durch einen scheinbar annehmbaren Gedankengang aus scheinbar annehmbaren Prämissen abgeleitet ist.“ (Sainsbury 2001: 11).

Definition: Was ist Vagheit?

11

des Eukleides von Megara, der seinerseits Schüler des Sokrates war und die Megarische Schule begründete.21 Für den Umgang mit Paradoxien stehen üblicherweise drei Optionen zur Verfügung:22 (i.) die Akzeptanz der Konklusion; (ii.) das Verwerfen einer oder mehrerer Prämissen; (iii.) der Nachweis eines logischen Fehlers im Argument. Doch es ist fraglich, ob eine dieser Möglichkeiten hier zu einer Lösung führt: Die Akzeptanz der Konklusion „1 Weizenkorn ist ein Haufen“ läuft dem üblichen Sprachgebrauch vollkommen zuwider. Auch die Prämissen sind nicht ohne weiteres angreifbar: Das Prädikat „Haufen“ wird im Deutschen nicht so verwendet, dass ein Korn mehr oder weniger einen Unterschied in der Prädikatsanwendung ausmacht. Ein logischer Fehler im Argument ist ebenfalls nicht zu finden. Einige der in Kapitel 3 beschriebenen Lösungsversuche für Vagheitsprobleme bedienen sich dennoch dieser Möglichkeiten zum Umgang mit der Paradoxie – wogegen wiederum Einwände vorgebracht werden können, die ebenfalls untersucht werden. Als kompetenter Sprecher des Deutschen würde man die Ansammlung von 1000 Körnern klarerweise als Haufen bezeichnen, ein Korn allerdings ebenso eindeutig nicht mehr. Wo aber ist der Haufen zu einem Nicht-Haufen geworden? Offenbar gibt es nicht das eine Korn, das entfernt wird und damit die Prädikatszuschreibung ändert. Formallogisch lässt sich die Sorites-Paradoxie in zwei gängigen Weisen notieren.23 Sei F das Prädikat „ist ein Haufen“ und a eine Ansammlung von Körnern der im Index aufgeführten Anzahl (wir beginnen hier mit 1000). Zum einen lässt sich die Paradoxie in Form der mathematischen Induktion mit einer universal quantifizierenden Prämisse ausdrücken. Dies ist die Formalisierung der oben aufgeführten natürlichsprachlichen Variante: Fa1000 a (Fai ĺ Fai-1) _____________ Fa0

21 Vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen: 127 und Fritz 2001: 910f.; für eine ausführliche historische Behandlung der Sorites-Paradoxie siehe etwa Williamson 1994a. Zum Teil wird die Paradoxie auch auf Zenon von Elea zurückgeführt (vgl. Hyde 1997). 22 Vgl. etwa Sainsbury 2001: 51. 23 Vgl. zu den Formalisierungen etwa Hyde 1997.

12

Das Phänomen der semantischen Vagheit

Alternativ kann das Argument in einer konditionalen Variante rekonstruiert werden. Statt der allquantifizierenden zweiten Prämisse wird jedes Konditional einzeln aufgelistet. Hier wird also der Modus Ponens wiederholt angewendet. Damit wird der Intuition entsprochen, dass marginale Änderungen – etwa die Wegnahme eines Weizenkorns – keinen Unterschied in der Prädikatsanwendung ausmachen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um große oder kleine Zahlen handelt:24 Fa1000 Fa1000 ĺ Fa999 Fa998 ĺ 997 … Fa1 ĺ Fa0 _____________ Fa0 Die Unterscheidung dieser beiden Darstellungsweisen wird für die Theorie des Kontextualismus relevant werden.25 Das Sorites-Argument kann in aufsteigender und absteigender Reihenfolge formuliert werden, als Sorites der Akkumulation oder der Dekomposition: Ob Weizenkörner hinzukommen oder entfernt werden – der Übergang vom NichtHaufen zum Haufen ist ebenso problematisch wie der vom Haufen zum NichtHaufen. Denn jeder einzelne Schritt ist zu klein, um einen Unterschied in der Begriffsanwendung bewirken zu können, während mehrere Schritte zusammen hinreichend sind, um den Gegenstand aus dem Anwendungsbereich hinauszuführen. Dieses Prinzip nennt Wright das Prinzip der Toleranz (principle of tolerance),26 das die Erklärungskraft natürlichsprachlicher Prädikate gewährleistet. Er erläutert dies am Beispiel des Übergangs von der Kindheit zur Jugend, bei dem ein einziger Herzschlag keinen Unterschied machen dürfe: „Only if a substantial change is involved in the transition from childhood to adolescence can we appeal to this transition to explain substantial alterations in patterns of behaviour […].“27 Die Frage nach Grenzziehungen, wenn auch ohne paradoxe Schlussfolgerung, wirft im Übrigen, noch vor Eubulides, die Bibel auf: Wie viele Gerechte muss es in Sodom geben, damit Gott die Stadt verschont? Diese Frage verhandelt Abraham im Gespräch mit Gott: Der Herr sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben. Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es 24

Vgl. Sainsbury 2001: 50. Siehe Kapitel 3.3.4. 26 Vgl. Wright 1975: 333f. 27 Ebd.: 337. 25

Definition: Was ist Vagheit?

13

könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen. Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.28

Die Frage nach der Grenzziehung ist also offensichtlich schon eine sehr alte.

2.2.2

Definition

Am Beispiel des Haufens können wir also feststellen: Es gibt offenbar eine Anzahl von Körnern, die – in einer bestimmten Konfiguration – eindeutig unter den Begriff des Haufens fällt und dementsprechend mit dem Prädikat „Haufen“ bezeichnet werden kann. Eine sehr geringe Anzahl von Körnern fällt genauso eindeutig nicht darunter. Dazwischen befinden sich jedoch Grenzfälle; ein Graubereich, in dem ein und derselbe Sprecher zum selben Zeitpunkt nicht sicher ist, ob das Prädikat „Haufen“ angewendet werden kann oder nicht (intrasubjektive Variabilität).29 Das Problem besteht nicht nur für das Prädikat „Haufen“: Wo geht die „Kindheit“ in die „Jugend“ über (abgesehen von der juristischen Definition)30? Wie viele Haare darf ein „Glatzkopf“ auf dem Kopf haben? (Dieses sog. Falakros-Rätsel geht ebenfalls auf Eubulides von Milet zurück.) Bei welcher Wellenlänge geht „Rot“ in „Orange“ über? Wo endet in Somalia der „Strand“, an dem EU-Soldaten noch Piraten verfolgen dürfen? Solche Begriffe und damit die Prädikate, die diese sprachlich ausdrücken, sind vage. Eine scharfe Grenze für diese Prädikate zu benennen, würde sich wohl kein Sprecher zutrauen.31 Dementsprechend gibt es Max Black zufolge auch keinen präzisen Wert, der irgendwann einmal zur Extensionsbegrenzung festgelegt wurde: „A standard meter is still kept in Paris, but nowhere in the world shall we find a standard short man preserved in a Bureau of Standards.“32

28 1. Mose 18,26–32. Ich danke Dr. Christian Weidemann für diesen Hinweis. Vgl. auch Weidemann 2007: 224 Anm. 78. 29 Vgl. zu diesem Terminus Dönninghaus 2005: 56. 30 Zum Umgang mit Vagheit im Recht siehe Kapitel 9. 31 „Any sensible person who was asked to specify the precise height at which a man ceased to be short would quite properly regard the task as impossible.“ (vgl. Black 1970: 5). 32 Ebd.: 6.

14

Das Phänomen der semantischen Vagheit

Die Vagheit, deren Wert und Nutzen in dieser Arbeit untersucht werden soll – gemeint ist dabei stets semantische Vagheit –, lässt sich demnach – in Anlehnung an Herbert Paul Grice33 – wie folgt definieren: (Def) Ein sprachlicher Ausdruck (Prädikat) ist vage, wenn für bestimmte Objekte durch die Bedeutung des Prädikats trotz Kenntnis der relevanten Tatsachen nicht eindeutig bestimmbar ist, ob sie unter den ausgedrückten Begriff fallen oder nicht, das heißt, wenn Grenzfälle existieren. Die Extension eines durch ein vages Prädikat ausgedrückten Begriffs hat also unscharfe Grenzen.

2.2.3

Abgrenzungen

Die unter (Def) erläuterte Art von Vagheit muss nach verschiedenen Seiten hin abgegrenzt werden. Zum einen gibt es einen alltagssprachlichen Gebrauch von „vage“, der sich eher auf mangelnde – aber mögliche – Spezifizierung und auf Generalität bezieht; zum anderen werden Vagheit und Ambiguität häufig in unzulässiger Weise gleichgesetzt. Nicht zuletzt muss die Kontextabhängigkeit von Vagheit unterschieden werden.

2.2.3.1 Mangelnde Spezifizierung und Generalität „Er hat sich vage ausgedrückt.“ In Sätzen wie diesem wird das Wort „vage“ alltagssprachlich oft verwendet. Gemeint ist, dass mit derselben Äußerung sehr viele verschiedene, möglicherweise divergierende Aussagen hätten gemeint sein können. Häufig ist diese Verwendung von „vage“ pejorativ und polemisch. Sie enthält den Vorwurf, dass eine mögliche Spezifizierung verschwiegen wird oder noch nicht vorgenommen wurde, um den Hörer absichtlich im Ungewissen zu lassen: Wenn der heimkehrende Ehemann auf die argwöhnische Frage seiner Frau: „Wo warst du gestern abend?“ wahrheitsgemäß antwortet: „In Deutschland“, ist dies sicherlich sehr unbestimmt und im alltagssprachlichen Sinne zu vage. An zwei Merkmalen dieser Aussage ist jedoch ersichtlich, dass es sich hier nicht um Vagheit gemäß (Def) handelt: (i.) Es wäre hier prinzipiell möglich, das Informationsbedürfnis des Fragenden zu erfüllen, auch wenn es mit der Aussage nicht getan wird. (ii.) Die Aussage kann klarerweise wahr sein; das Problem der Wahrheitswertzuschreibung besteht in diesem Falle nicht. Solche sehr allgemeinen Aussagen können nicht so leicht als falsch erwiesen werden; daher sind sie für Wahlkämpfe, diplomatische Aussagen oder eben die Antworten untreuer Ehepartner besonders geeignet. Allerdings wird 33

Vgl. Grice 1989: 177: „To say that an expression is vague (in a broad sense of vague) is presumably, roughly speaking, to say that there are cases (actual or possible) in which one just does not know whether to apply the expression or to withhold it, and one’s not knowing is not due to ignorance of the facts.“

Definition: Was ist Vagheit?

15

durch sie die erste Gricesche Konversationsmaxime der Quantität verletzt, die lautet: „Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig.“34 Der Sprecher sagt zwar die Wahrheit, gibt jedoch nicht alle relevanten Details preis, da er beispielsweise unangenehme Folgen fürchtet. Wahlkampfaussagen werden in diesem Sinne oft als vage beschrieben: So berichtete die Süddeutsche Zeitung im Bundestagswahlkampf 2009: „Vage sprechen sich CDU und CSU für eine Überarbeitung des Leistungskatalogs der GKV aus.“35 Durch die mangelnde Spezifizierung kann konkreter Kritik an einzelnen Punkten vorgebeugt werden. In diesen Zusammenhängen, in denen „vage“ als Vorwurf gemeint ist, erhalten Zuschreibungen wie „präzise“, „klar“ oder „eindeutig“ im Gegenzug eine positive Konnotation. Auch in der Linguistik wird Vagheit teilweise mit Generalität gleichgesetzt.36 Allerdings kann es Prädikate geben, die sehr allgemein, jedoch nicht im Sinne der obigen Definition vage sind: Ausdrücke wie „eine ganze Zahl größer als 30“ lassen viele Möglichkeiten zu, was darunter fallen kann; hier gibt es jedoch eine scharfe Grenze.37 Dies zeigt, dass Generalität von Vagheit unterschieden werden muss. Die Vorzüge mangelnder Spezifizierung oder Generalität mag sich schon mancher untreue Ehemann oder wahlkämpfende Politiker zunutze gemacht haben;38 gleichwohl sind sie in dieser Arbeit nicht Gegenstand der Betrachtung. Allerdings kann auch die hier betrachtete Art von Vagheit strategisch nutzbar gemacht werden. Darauf wird in Kapitel 7.4 zurückzukommen sein.

2.2.3.2 Ambiguität Vagheit wird häufig mit Ambiguität (Mehrdeutigkeit) im selben Atemzug genannt und manchmal werden beide Begriffe sogar miteinander identifiziert.39 Ein Beispiel für Ambiguität ist das Wort „Bank“: Es kann sowohl die Sitzgelegenheit als auch das Geldinstitut bezeichnen. Unter dem Oberbegriff Ambiguität wird in der Linguistik zwischen Polysemie und Homonymie unterschieden: Homonyme Ausdrücke haben „zufällig“ die gleiche Schreibung und/oder Lautung; polyseme Ausdrücke gehen dagegen sprachgeschichtlich auf die gleiche Wurzel zurück. Aber auch diese Unterscheidung ist nicht ganz trennscharf. So kann es etwa Fälle geben, in denen die etymologische Verwandtschaft zweier Ausdrücke gar nicht mehr bekannt

34

Grice 1979b: 249. Zum Zusammenhang von Vagheit und Konversationsmaximen siehe Kapitel 7.1. 35 Bohsem, Guido (2009): „Luftschlösser und viele heiße Eisen. Positionen der Parteien im Überblick: Gesundheit“. Süddeutsche Zeitung vom 27.09.2009. 36 Vgl. etwa Geeraerts 1993: 228: „[…] neighbour is vague (or general, or unspecified) as to the dimension of sex.“ 37 Vgl. Keefe/Smith 1999b: 5. 38 Vgl. etwa Dönninghaus 2005: 16–19. 39 Vgl. zu diesem Abschnitt Pinkal 1991: 264f.

16

Das Phänomen der semantischen Vagheit

ist, so dass sie trotz ihres gleichen Ursprungs als homonym angesehen werden.40 Für die Abgrenzung zur Vagheit können die beiden Phänomene jedoch unter dem Begriff der „Ambiguität“ zusammengefasst werden. Während bei vagen Ausdrücken die Referenz unbestimmt ist, bestehen bei der Ambiguität mehrere alternative – aber bestimmte – Möglichkeiten des Bezugs. Die Unbestimmtheit ist also im Falle der Vagheit ein Bestandteil des Begriffsinhalts, während der Sprecher sich bei ambigen Ausdrücken für eine mögliche Referenz entschieden hat; die Unbestimmtheit besteht hier nur aus der Hörerperspektive, so dass die Unsicherheit über die Wahrheitswertzuweisung der Aussage höchstens als kommunikativer Unglücksfall auftreten kann. Bei Ambiguität ist Präzisierung notwendig, es besteht ein Präzisierungsgebot, während sie bei Vagheit willkürlich wäre, hier also ein Präzisierungsverbot vorliegt.41 Zur Unterscheidung von Vagheit und Ambiguität kann zudem das Anzahlkriterium herangezogen werden: Vage Ausdrücke verfügen über ein Kontinuum möglicher Präzisierungen, während Ambiguität sich durch eine begrenzte Anzahl diskreter, wenn nicht gar unvereinbarer Lesarten auszeichnet.42 Diese Abgrenzung schließt nicht aus, dass ein Ausdruck zugleich ambig und vage sein kann; denn für jede der diskreten Lesarten kann es wieder Grenzfälle geben.

2.2.3.3 Kontextabhängigkeit und Relativität Vagheit ist schließlich zu unterscheiden vom Phänomen der Kontextabhängigkeit und Relativität von Prädikaten, das heißt, von ihrer Kontrastklassenabhängigkeit; denn auch dafür wird „Vagheit“ alltagssprachlich gelegentlich verwendet. Beispielsweise fallen unter das Prädikat „groß“ im Kontext von Menschen andere Lebewesen als im Kontext von Insekten. Eine große Ameise ist immer noch sehr viel kleiner als ein kleiner Mensch. Mit Spezifizierungen wie „groß für …“ kann der Kontext, also die Kontrastklasse, zwar deutlich gemacht werden. Die Vagheit des Prädikats „groß“ wird dadurch allerdings nicht eliminiert, da auch in einem gegebenen Kontext die Grenzen unscharf sein können. Diese Vagheit ist also nicht der Kontextabhängigkeit geschuldet.43

40

Vgl. etwa Löbner 2003: 58f. Vgl. Pinkal 1991: 264f. 42 Vgl. ebd.: 264f. 43 Vgl. Keefe/Smith 1999b: 6. Auf Kontextabhängigkeit als Umgangsstrategie mit Vagheit wird in Kapitel 3.3.4 eingegangen. 41

Gegenstandsbereich: Welche Entitäten können vage sein?

2.3

17

Gegenstandsbereich: Welche Entitäten können vage sein?

In (Def) wurden Prädikate als vage bezeichnet, wenn Grenzfälle in ihrer Anwendung existieren. Vagheit ist also zunächst einmal eine Eigenschaft sprachlicher Ausdrücke. Sie wird deshalb auch als semantische Vagheit bezeichnet. Die Vagheit des Prädiktes korreliert immer auch mit der Vagheit des – mentalen – Begriffs, dessen sprachlicher Ausdruck das Prädikat ist. Fällt ein Gegenstand unter einen Begriff, ist er also Teil seiner Extension (des Begriffsumfangs), kann er mit dem zugehörigen Prädikat ausgedrückt werden; eine Unsicherheit in der Prädikatsverwendung resultiert demnach immer aus der Unsicherheit in der Begriffsanwendung. Bertrand Russell geht mit dem Gegenstandsbereich der semantischen Vagheit noch weiter: Er schreibt auch logischen Konnektoren Vagheit zu, da diese die Propositionen, die vage Prädikate beinhalten, verknüpfen. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch davon ausgegangen, dass nur Prädikate im oben beschriebenen Sinne semantisch vage sein können. In der Sprachwissenschaft werden zudem Ausdrücke wie „irgendwie“, „ziemlich“ oder Platzhalter-Wörter wie „stuff“ oder „what-do-you-call-it“44 unter dem Stichwort „Vagheit in natürlichen Sprachen“ untersucht;45 auch ihr kommunikativer Nutzen ist Gegenstand der Forschung.46 Sie sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Ob Vagheit ein rein semantisches Phänomen ist, ist jedoch nicht unumstritten. Während Russell erklärte: „Vagueness and precision alike are characteristics which can only belong to a representation, of which language is an example“,47 besagt die Position der ontologischen (auch: metaphysischen) Vagheit, dass die semantische Vagheit aus der Vagheit in der Welt, also der Gegenstände selbst, resultiert. Dabei ist keineswegs klar, worin genau die Vagheit von Objekten besteht. Sainsbury hat hierzu folgende Einteilung vorgenommen:48 (i.) Kompositionale Vagheit (compositional vagueness): Es steht nicht für alle Objekte eindeutig fest, ob sie Teil eines bestimmten anderen Objekts sind. Beispielsweise gibt es Steine am Fuße des Mount Everest, für die nicht eindeutig festliegt, ob sie Teil des Mount Everests sind oder nicht. (ii.) Modale Vagheit (modal vagueness): Es steht nicht für alle Objekte eindeutig fest, ob sie in einer bestimmten möglichen Welt existieren.

44

Vgl. Jucker/Smith/Lüdge 2003: 1749. Vgl. etwa Wierzbicka 1986, Channell 1994 sowie Cutting 2007. 46 Vgl. Jucker/Smith/Lüdge 2003. 47 Russell 1923: 85. 48 Vgl. Sainsbury 1989: 100f. 45

18

Das Phänomen der semantischen Vagheit

(iii.) Zeitliche Vagheit (temporal vagueness): Es steht nicht für alle Objekte eindeutig fest, ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt (in einer bestimmten Form) existieren. Beim Entstehen und Vergehen von Objekten sowie bei Umwandlungsprozessen kann sich zu bestimmten Zeitpunkten die Existenzfrage stellen: Wenn eine Kaulquappe sich zum Frosch entwickelt, steht nicht zu jedem Zeitpunkt eindeutig fest, ob die Kaulquappe (als Kaulquappe) noch existiert. Äußerst wichtig wird die Frage der zeitlichen Vagheit bei ethischen Fragen im Zusammenhang mit dem Beginn und dem Ende menschlichen Lebens. (iv.) Individuative Vagheit (individuative vagueness): Es steht nicht für alle Objekte eindeutig fest, wo – zu ein und demselben Zeitpunkt – ihre räumliche Grenze liegt, wo also beispielsweise der Mount Everest aufhört. Auf die Debatte zur ontologischen Vagheit – ob es sie überhaupt gibt, und wenn ja, worin sie besteht – kann hier nicht eingegangen werden. Für Beiträge zu dieser Diskussion siehe etwa die Sammelbände Keefe/Smith (1999a) und Walter (2005a).

2.4

Arten von Vagheit: Sorites-Vagheit und kombinatorische Vagheit

Die in 2.2 definierte Vagheit kann in zwei Arten unterteilt werden: SoritesVagheit und kombinatorische Vagheit. In den oben beschriebenen Fällen („Haufen“, „Glatzkopf“) liegt SoritesVagheit vor; in der Literatur wird sie auch als degree vagueness49, quantitative vagueness50 oder gradual vagueness51 bezeichnet. Hier wird ein wesentliches Merkmal eines Objekts graduell – meist numerisch – verändert (etwa die Anzahl der Haare, der Körner etc.), und es ist nicht ersichtlich, welcher dieser Schritte ihn aus dem Anwendungsbereich des Begriffes – und damit des Prädikats – hinausführt.52 Die zweite hier betrachtete Art von Vagheit ist jene, für die Wittgenstein das Konzept der Familienähnlichkeit entwickelte.53 Für diese Art der Vagheit hat sich noch keine einheitliche Terminologie entwickelt; im Folgenden wird sie

49

Vgl. Alston 1964: 87. Vgl. Devos 2003: 124. 51 Vgl. ebd.: 124. 52 Wobei beim Haufen sowie beim Glatzkopf nicht nur die Anzahl der Körner bzw. Haare, sondern auch deren Verteilung eine Rolle spielt. 53 Vgl. Wittgenstein PU § 67 ff. 50

Arten von Vagheit: Sorites-Vagheit und kombinatorische Vagheit

19

in Anlehnung an Alstons combinatory vagueness54 als kombinatorische Vagheit bezeichnet. In der Literatur finden sich auch Bezeichnungen wie combination of conditions vagueness55, categorial vagueness56 und conditional vagueness.57 Die Prädikate, die diese Art der Vagheit aufweisen, bezeichnen Begriffe, die cluster concepts oder Bündelbegriffe58 genannt werden. Wie bei der Sorites-Vagheit werden Merkmale variiert, jedoch nicht immer das gleiche, sondern verschiedene, denn die betreffenden Prädikate sind multidimensional:59 Unter sie fallen Objekte mit verschiedenen Eigenschaften, die für die Zugehörigkeit zur jeweiligen Extension relevant sind. Prädikate wie „Spiel“, „Religion“ oder „Wissenschaft“ stellen keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen zur Verfügung, die auf alles zutreffen, was unter den Begriff fällt; es kann keine vollständige Menge von Anwendungsbedingungen angegeben werden. Alston hat die kombinatorische Vagheit anhand des Prädikats „Religion“ ausführlich demonstriert. Er führt die folgenden Merkmale an, die Religionen haben können: 1. Beliefs in supernatural beings (gods). 2. A distinction between sacred and profane objects. 3. Ritual acts focused around sacred objects. 4. A moral code believed to be sanctioned by the gods. 5. Characteristically religious feelings (awe, sense of mystery, sense of guilt, adoration, etc.), which tend to be aroused in the presence of sacred objects and during the practice of ritual, and which are associated with the gods. 6. Prayer and other forms of communication with gods. 7. A world view, that is, a general picture of the world as a whole and the place of the individual in it, including a specification of its over-all significance. 8. A more or less total organization of one’s life based on the world view. 9. A social organization bound together by the preceding characteristics.60

Wenn alle Merkmale zutreffen, liegt ein klarer Fall von Religion vor. Treffen nur einige zu, kann trotzdem ein eindeutiger Fall von Religion vorliegen, wie bei bestimmten Formen des Buddhismus, die keinen Glauben an ein höheres Wesen beinhalten. Wie geht man aber wiederum mit Bewegungen wie dem Kommunismus um, der ebenfalls einige der Merkmale aufweist? Selbst Fußball kann man anhand der Kriterien als Kandidaten für eine Religion identifizieren. Wie an dem Beispiel zu sehen ist, wird bei kombinatorischer Vagheit, anders als bei der Sorites-Vagheit, nicht nur eine Eigenschaft variiert – zum Beispiel die Anzahl der Weizenkörner – sondern mehrere. Da es bei multidimensionalen Prädikaten keine notwendigen und hinreichenden Eigenschaften gibt, die ihre Extension scharf begrenzen, kommen auch hier Grenzfälle vor. 54

Vgl. Alston 1967: 219. Vgl. Alston 1964: 87f. 56 Vgl. Devos 2003: 124. 57 Vgl. ebd.: 124. 58 Vgl. etwa Stoecker 2009: 42. 59 Vgl. Keefe/Smith 1999b: 5. 60 Alston 1964: 88. 55

20

Das Phänomen der semantischen Vagheit

Jede einzelne der Eigenschaften kann dann wieder durch Sorites-Vagheit charakterisiert sein:61 Beispielsweise ist zunächst fraglich, ob der Kirchgang eine notwendige oder gar hinreichende Bedingung für Religiosität darstellt (kombinatorische Vagheit). Dieses Merkmal wiederum kann in einer SoritesReihe variiert werden: Kann ein Kirchgang im Monat mehr oder weniger einen Unterschied machen? – Beide Arten von Vagheit stehen im Verlauf der folgenden Überlegungen im Mittelpunkt.

2.5

Die Vagheit natürlicher Sprachen

Legt man obige Definition zugrunde, wird schnell klar, dass Vagheit den meisten Prädikaten natürlicher Sprachen inhärent ist, wie auch in der einschlägigen Literatur immer wieder betont wird: „Tatsächlich ist die Mehrzahl der Wortbedeutungen auf die eine oder andere Weise vage“;62 „in natural language vague predicates are ubiquitous“;63 „Every predicate is vague, in the sense that there are individuals for which it is intrinsically indeterminate whether the predicate holds or not“.64 Eine Fülle ähnlicher Aussagen könnte hier aufgeführt werden. Weinrich erklärt die Aussage „Jede Bedeutung ist vage.“ sogar zum „Zweite[n] Hauptsatz der Semantik“.65 Selbst vermeintlich scharf abgegrenzte Prädikate weisen bei genauerer Betrachtung Randunschärfen auf: Nehmen wir das Prädikat „gegenwärtiger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland“. In dem Moment, in dem diese Zeilen erstmals zu Papier gebracht wurden, am 15. Oktober 2008 um 16.50 Uhr66, fiel darunter eindeutig Horst Köhler, geboren am 22. Februar 1943 in Skierbieszów, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds (und sicher noch durch weitere Angaben eindeutig herausgreifbar). Zu einem anderen Zeitpunkt kann jedoch ein Grenzfall vorliegen: Ab welchem Zeitpunkt genau fiel Horst Köhler nicht mehr unter den Begriff des gegenwärtigen Bundespräsidenten? Er war der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, der von seinem Amt zurücktrat. Er erklärte seinen sofortigen Rücktritt mit den Worten: „Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsiden-

61

Vgl. ebd.: 89. Löbner 2003: 293. 63 Keefe/Smith 1999b: 4f. 64 Heijenoort 1986: 31. 65 Weinrich 1966: 16. 66 Auch dieser Moment könnte noch weiter spezifiziert werden; es ist nicht eindeutig, welcher Zeitpunkt genau unter den „Moment, in dem diese Zeilen zu Papier gebracht werden“, fällt. Da aber Horst Köhler zu keinem der Zeitpunkte, die eindeutig oder auch als Grenzfälle unter den „15. Oktober 2008 um 16.50 Uhr“ fallen, zurückgetreten ist, sollte diese Datums- und Zeitangabe genügen. 62

Die Vagheit natürlicher Sprachen

21

ten – mit sofortiger Wirkung.“67 Nun stellt sich die Frage: Ab welchem präzisen Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung war Horst Köhler nicht mehr Bundespräsident? Endete das Amt am Ende dieses Satzes oder am Ende der gesamten Erklärung? Und was genau zählt als das jeweilige Ende? Köhlers Amtsnachfolger Christian Wulff dagegen formulierte in seiner Rücktrittserklärung: „Ich trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück […].“68 Damit war er erst ab Mitternacht nicht mehr Bundespräsident. Löst man die Zeitmessung jedoch nur fein genug auf, kann man auch hier zu einem temporalen Grenzfall gelangen. Mit der Faszination dieser Grenzfälle – jedoch beim Amtsantritt – spielte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Berichterstattung über die Wahl von Bundespräsident Joachim Gauck: Die Digitale [sic!] Uhr im Reichstagsgebäude zeigt 14.24 Uhr, als der Bürger Joachim Gauck sich von seinem Platz zwischen den Fraktionen von Grünen und Union erhebt und mit fester Stimme sagt: „Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.“ Dann geht er zum Rednerpult der Bundesversammlung und spricht seinen ersten Satz als Bundespräsident der Deutschen.69

Wann genau wurde Gauck vom Bürger zum Bundespräsidenten? Erste Antwort: Ab der Erklärung Annahme der Wahl. Hier stellt sich jedoch die Frage, welcher Zeitpunkt der Annahmeerklärung gemeint ist. Ab dem ersten Wort oder nach dem letzten? Und auch hier kann man wieder fragen: Welcher Teil des Wortes ist gemeint, welcher Teil der Phoneme etc., welcher Teil der physischen Lautproduktion im Kehlkopf? So lässt zumindest in einer Hinsicht auch ein Prädikat mit vermeintlich scharf abgegrenzter Extension wie „gegenwärtiger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland“ Grenzfälle zu und ist damit vage im oben beschriebenen Sinne. Das gleiche gilt für eine bestimmte Art von Adjektiven, die in der linguistischen Diskussion als „absolute gradable adjectives“ firmieren. Solche Adjektive beziehen sich auf einen Minimum- oder Maximum-Standard, der erfüllt sein muss, damit einem Gegenstand die vom Adjektiv bezeichnete Eigenschaft zugeschrieben werden kann. Christopher Kennedy führt als Beispiele für Aussagen mit Minimum-Standard-Adjektiven die Aussagen „The gold is impure.“70 und „The table is wet.“ an. Dazu erläutert er: „Minimum standard absolute adjectives […] simply require their arguments to possess some minimal degree of the property they describe.“71 Mit diesen Adjektiven, so argu67 Erklärung des Bundespräsidenten Horst Köhler, Schloss Bellevue, 31. Mai 2010. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2010/05/ 20100531_Rede (eingesehen am 27.10.2012). 68 Rücktrittserklärung, Schloss Bellevue, 12. Februar 2012. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2012/02/ 120217-Erklaerung.html (eingesehen am 27.10.2012). Hervorhebung von mir, N.K. 69 Peter Carstens und Majid Sattar in der F.A.Z. vom 19. März 2012, S. 3. 70 Kennedy 2006: 21. 71 Ebd.: 21.

22

Das Phänomen der semantischen Vagheit

mentiert er, könne man keine Sorites-Reihe konstruieren, da durch den Minimum- bzw. Maximum-Standard eine scharfe Grenze gegeben sei.72 Dabei vernachlässigt er jedoch die Frage, was genau der minimale Grad ist, zu dem ein Gegenstand über eine Eigenschaft verfügen soll. So sei der Satz „The table is wet.“ wahr, „as long as there is some amount of water on the table.“73 Aber was heißt in diesem Zusammenhang „some amount“? Reicht ein einziges, mit bloßem Auge nicht wahrnehmbares H2O-Molekül aus, damit die Aussage wahr wird? Dies entspräche wohl kaum dem gewöhnlichen Sprachgebrauch von „wet“. Fügen wir weitere Wassermoleküle hinzu, so können wir mit ihnen wieder eine Sorites-Reihe bilden. Kennedy macht geltend, dass man Vagheit von unpräzisem Gebrauch unterscheiden müsse, wie man an dem Beispiel „The rod is straight.“ sehen könne: Im Kontext der Raumfahrttechnik könne schon eine Abweichung von einem Millimeter dazu führen, dass diese Aussage nicht mehr als wahr gelte. Wenn im Alltag das Wort „straight“ auch noch bei größeren Abweichungen gebraucht werde, sei dies eben unpräziser Gebrauch.74 Hier muss jedoch gefragt werden, warum immer der Kontext mit dem höchsten Standard maßgeblich sein soll. In der Alltagssprache wird das Wort „straight“ fast nie so verwendet, dass es diesem Standard entspricht. Dennoch kann dem Sprachverwender deshalb nicht vorgehalten werden, dass er das Wort strenggenommen immer falsch verwendet – zumal er seine kommunikativen Ziele damit stets erreicht. Analog argumentiert Wittgenstein, „daß es keinen Sinn hat zu sagen, ein Spiel sei immer falsch gespielt worden.“75 Zudem bleibt das Problem der Messungenauigkeit: Ein hoch angesetzter Standard ist immer auch von den zur Verfügung stehenden Messverfahren abhängig. Angenommen, die Messgeräte in der Raumfahrttechnik werden noch feiner – erhöht sich damit auch der Standard für „straight“ in der Alltagskommunikation?76 Diese Überlegungen zeigen, dass auch derartige, vermeintlich nicht-vage Prädikate Grenzfälle zulassen.

72

Vgl. ebd.: 29f. Ebd.: 22. 74 Vgl. ebd.: 23ff. 75 Wittgenstein ÜG: § 496. 76 Zu Präzisionsstandards für verschiedene Kommunikationssituationen siehe unten Kapitel 7.3. 73

3

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

Im vorangegangenen Kapitel wurden bereits einige Probleme angesprochen, die mit dem Phänomen der semantischen Vagheit zusammenhängen. Trotz dieser Schwierigkeiten stellt sich jedoch die Frage, ob die Sicht auf Vagheit als Defekt eine zwingende ist (Kapitel 3.1). Im Anschluss daran werden die wichtigsten Vagheitsprobleme noch einmal systematisch dargestellt (Kapitel 3.2). Um ihnen zu begegnen, wurden im Laufe der Zeit bereits verschiedene Ansätze zum Umgang mit Vagheit entwickelt, auf die abschließend eingegangen wird (Kapitel 3.3).

3.1

Vagheit als Defekt?

Ernesto Napoli erklärt angesichts der Schwierigkeiten, die Vagheit in Theorie und Praxis verursacht: „Vagueness has become a philosopher’s nightmare.“1 Michael Tye warnt vor Vagheit als Treibsand: „Unfortunately, it is also a quicksand: step into it and you will find yourself gripped. Moreover, once gripped, there is no escape.“2 – Zwei dramatische Formulierungen, die jedoch angesichts der Fülle von Vagheitsproblemen kaum übertrieben zu sein scheinen. Betrachtet man die unten dargestellten verschiedenen Vorschläge zum Umgang mit Vagheit in der aktuellen Debatte, so findet sich häufig der Versuch, Vagheit durch Präzision zu ersetzen: Dreiwertige Logiken postulieren eine scharfe Grenze zwischen dem Graubereich und dem klaren Anwendungsbzw. Nichtanwendungsbereich; mehrwertige Logiken führen sehr präzise Wahrheitswerte ein; der Supervaluationismus ersetzt Vagheit durch verschiedene Präzisierungen; und die epistemische Theorie nimmt scharfe Grenzen an, die niemand kennen kann. Häufig wird Vagheit also als ein Defekt natürlicher Sprachen gesehen, den es zu eliminieren gilt: Das Ideal ist die Präzision, da sie nicht zu logischen Problemen führt; es ist jedoch fraglich, ob sie erreicht werden kann. Kees van Deemter vergleicht daher Vagheit in ihrer Nicht-Eliminierbarkeit sogar mit der Erbsünde: „Vagueness may be likened to original sin: a stain that can be diminished but never removed.“3 Diese Arbeit legt das Augenmerk jedoch auf die positiven Seiten, die Vagheit trotz der Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, für die Kommunikation hat. Dass Vagheit logische Probleme aufwirft, ist dabei unbestritten. Der Wert und Nutzen semantischer Vagheit verdient jedoch eine genauere Be1 2 3

Napoli 1985: 115. Tye 1994: 1. Deemter 2010a: 1.

24

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

trachtung, da in der bisherigen Forschung – trotz verstreuter Bemerkungen über die Vorzüge der Vagheit – stets die mit ihr einhergehenden Probleme im Vordergrund standen. Den Problemen auf der Ebene der Logik entsprechen auf der Ebene der Kommunikation in der Regel keine derartig gravierenden Schwierigkeiten.4 In der vorliegenden Arbeit soll jedoch nicht nur gezeigt werden, dass Vagheit in der Alltagskommunikation nicht nur kein Problem darstellt, sondern dass sie sogar von Vorteil ist und für das Gelingen von Kommunikation Positives leistet. Dennoch sollen die Probleme, die Vagheit verursacht, hier freilich nicht geleugnet werden; im folgenden Kapitel wird ein Überblick über sie gegeben.

3.2

Vagheitsprobleme

Es lassen sich folgende Probleme, die durch Vagheit aufgeworfen werden, identifizieren: Probleme der klassischen Logik, Paradoxien, open texture, höherstufige Vagheit, das Argument der schiefen Ebene sowie Grenzziehungen in der Praxis. Diese sollen im Folgenden skizziert und untersucht werden. Das Grundproblem, von dem letztlich alle anderen vagheitsinduzierten Probleme abhängen, ist dabei das oben bereits ausführlich behandelte Grundproblem der Kategorisierung, dass zugleich dem Problem der Begriffsanwendung und der Extensionsbegrenzung entspricht: Es gibt Grenzfälle, von denen nicht klar ist, ob sie – auch zum selben Zeitpunkt und aus der Sicht desselben Sprechers – unter einen bestimmten Begriff fallen oder nicht, das heißt: die Extensionsgrenzen des Prädikats sind unscharf.

3.2.1

Probleme der klassischen Logik

Mit der Unsicherheit in Bezug auf das Fallen unter einen Begriff ergibt sich in der klassischen, zweiwertigen Logik ein Problem für die Wahrheitswertzuweisung von Aussagen, die vage Prädikate enthalten, sofern sie sich auf Grenzfälle beziehen. Ist die Aussage (bzw. die zugrunde liegende Proposition) „Hans ist ein Glatzkopf.“ wahr oder falsch, wenn Hans hundert Haare auf dem Kopf hat, also ein Grenzfall von „Glatzkopf“ ist? Dass in der zweiwertigen Logik eine eindeutige Antwort zu geben ist, die entweder „wahr“ oder „falsch“ lautet, ist aus drei logischen Prinzipien abzuleiten:

4 Rohit Parikh erklärt dies folgendermaßen: „And it is rare in ordinary life for people to make arguments which take a thousand or more steps. Perhaps this is the explanation of why we use vague predicates in daily life without any serious problem and still avoid difficulties which a logician might run into.“ (Parikh 1983: 259).

Vagheitsprobleme

25

(i.) Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Dass es nur zwei und nicht mehr Wahrheitswerte gibt, sagt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten aus: Der Aussage kann, wenn ihr ein Wahrheitswert zugewiesen wird, nur einer der beiden Werte „wahr“ oder „falsch“ zugewiesen werden. Mit den Worten von Aristoteles: „Ebensowenig aber kann zwischen den beiden Gliedern des Widerspruchs etwas mitten inne (metaxý) liegen, sondern man muß notwendig jedes von jedem entweder bejahen (phánai) oder verneinen (apophánai).“5 Wahr oder falsch – tertium non datur, ein Drittes gibt es nicht. (ii.) Bivalenzprinzip: Gemäß dem Bivalenzprinzip (Zweiwertigkeitsprinzip) muss zudem jeder Aussage einer der beiden Wahrheitswerte zugewiesen werden; entsprechend dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist dieser Wert entweder „wahr“ oder „falsch“. Keine Aussage darf ohne Wahrheitswert bleiben, es gibt also keine Wahrheitswertlücken. Der Sprecher muss in der klassischen Logik der Aussage „Hans ist ein Glatzkopf.“ einen Wahrheitswert zuweisen. „Ich weiß es nicht“, „vielleicht“, „Kommt drauf an.“ und Ähnliches sind nicht erlaubt, da hier logisch gesehen Wahrheitswertlücken vorlägen. (iii.) Satz vom Widerspruch: Der Sprecher muss sich allerdings auch auf genau einen Wahrheitswert festlegen: Nach dem Satz vom Widerspruch kann Hans nicht sowohl ein Glatzkopf als auch kein Glatzkopf sein. Mit den Worten von Aristoteles: „[…] dasselbe [kann] demselben in derselben Beziehung […] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen […]“.6 „Wahr und falsch“ wäre also auch keine zulässige Bewertung. Für sich genommen fordert der Satz vom Widerspruch jedoch kein Festhalten an der klassischen Logik: Auch in anderen Logiken, etwa in einer mehrwertigen Logik mit reellen Zahlen als Wahrheitswerten (siehe unten Kapitel 3.3.1), verbietet der Satz vom Widerspruch die gleichzeitige Zuweisung mehrerer Wahrheitswerte. In Kombination mit dem Bivalenzprinzip und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten führt der Satz vom Widerspruch jedoch dazu, dass in der klassischen zweiwertigen Logik jeder Aussage genau einer der beiden Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ zugewiesen werden muss. Das Phänomen der semantischen Vagheit lässt es nun jedoch fraglich erscheinen, ob diese Forderung immer erfüllt werden kann. Wenn es sich zum Beispiel bei Hans um einen Grenzfall von „Glatzkopf“ handelt, ist man als Sprecher eher geneigt, sich nicht festzulegen und sich des Urteils zu enthalten, oder eine Antwort wie „Jein“ zu geben.

5

Aristoteles Met. 1011b (griechische Ausdrücke wurden in dieser Schreibweise aus der Übersetzung übernommen). 6 Ebd. 1005b.

26

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

Das Problem der Wahrheitswertzuweisung stellt sich freilich nicht nur bei vagen Prädikaten, sondern beispielsweise auch bei Sätzen, in denen Metaphern verwendet werden, sowie solchen, die sich auf die Zukunft beziehen („Morgen findet eine Seeschlacht statt.“7) oder die unerfüllte Präsuppositionen enthalten („Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig.“8).9 Angesichts solcher Phänomene stellt sich die Frage, ob nicht die Entwicklung einer neuen Logik, die mehr Wahrheitswerte (dies entspricht der oben gegebenen Antwort „Jein“) bzw. Wahrheitswertlücken (dies entspricht der Urteilsenthaltung) zulässt, ein sinnvolles Unterfangen sein könnte. Auf diesen Ansatz zum Umgang mit Vagheit wird in Kapitel 3.3.1 eingegangen. Der Supervaluationismus und die epistemische Theorie dagegen versuchen, die klassische Logik – zumindest in Teilen – beizubehalten; dies wird in den Kapiteln 3.3.2 und 3.3.3 erläutert.

3.2.2

Paradoxien

Ein weiteres Problem, das durch Vagheit bedingt ist und das stets als paradigmatische Illustration für dieses Phänomen angeführt wird, ist die oben (Kapitel 2.2) bereits ausführlich besprochene Sorites-Paradoxie von Eubulides von Milet, mittels derer logisch geschlossen werden kann, dass ein einziges Weizenkorn ein Haufen ist (bzw. in der aufsteigenden Version, dass – trotz entsprechender Anordnung – 1000 Weizenkörner kein Haufen sind). Die Paradoxie entsteht durch die Toleranz vager Prädikate: Ein Weizenkorn mehr oder weniger macht keinen Unterschied in der Prädikatszuschreibung von „Haufen“, so dass es keine scharfe Grenze gibt, an der die Weizenkornansammlung plötzlich zum Nicht-Haufen wird. Analog aufgebaut ist das eingangs erwähnte, ebenfalls auf Eubulides zurückgehende Falakros-Rätsel, das die Frage aufwirft, wie viele Haare jemand auf dem Kopf haben darf, um (noch/schon) als „Glatzkopf“ zu gelten. Der Supervaluationismus, der Kontextualismus und die epistemische Theorie greifen die zweite Prämisse der Sorites-Paradoxie in verschiedener Weise an, wie unten erläutert werden wird. Der vagheitstheoretische Nihilismus wiederum verwirft gleich die erste Prämisse und bestreitet die Existenz von „ordinary things“ wie „Sandhaufen“ und „Glatzköpfen“ (siehe Kapitel 3.3.5).

3.2.3

Open texture: Die Möglichkeit von Grenzfällen

Friedrich Waismann (1951) weist darauf hin, dass es auch für Begriffe mit scharfen Grenzen Zweifelsfälle bezüglich ihrer Anwendung geben kann. Ihm 7

Vgl. Aristoteles Int.: 18b. Vgl. Russell 1905: 483f. 9 Vgl. dazu auch Keil 2010a: 87. 8

Vagheitsprobleme

27

zufolge müssen nämlich nicht nur existierende, sondern auch mögliche Grenzfälle in Betracht gezogen werden. Diese Möglichkeit der Vagheit10 – die er von bereits vorliegender Vagheit unterscheidet – nennt er open texture, auf Deutsch Porosität der Begriffe.11 Als Beispiel führt Waismann die Aussage „Im Nebenraum ist eine Katze.“ an.12 Um diese zu verifizieren, könnte man hingehen und die Katze sehen und berühren. Was aber, wenn die Katze kurz darauf eine gigantische Größe annähme? Oder wenn sie nach ihrem Tod wieder auferweckt würde? Zeigte sie dann, so fragt Waismann, nur ein katzenuntypisches Verhalten, oder hätten wir es mit einer neuen Spezies zu tun, die gar nicht mehr unter den Begriff „Katze“ fiele?13 Selbst vollständig und präzise erscheinende naturwissenschaftliche Definitionen sind von dieser Problematik nicht ausgenommen. Waismann verdeutlich dies am Beispiel „Gold“: Es gibt bestimmte chemische Eigenschaften, die Gold charakterisieren. Was aber, wenn eine Substanz genau diese Eigenschaften aufwiese, zugleich aber eine neuartige Strahlung aussendete? Würde diese Substanz immer noch als „Gold“ bezeichnet werden?14 Waismann schließt daraus, dass Definitionen empirischer Begriffe niemals erschöpfend sind. Denn wenn Begriffe eingeführt werden, werden sie nur in einige, nicht in alle Richtungen begrenzt. Für die jeweils aktuellen Zwecke ist dies ausreichend; es können jedoch immer Situationen auftreten, die nicht vorhersehbar waren und in denen die Anwendbarkeit des Begriffes fraglich ist.15 In der Mathematik dagegen gibt es Begrenzungen in alle Richtungen: Mathematischen Begriffen spricht Waismann eine „closed texture“ zu, da diese für alle möglichen Fälle definiert seien.16

3.2.4

Höherstufige Vagheit

Eine prima facie plausible Möglichkeit, Vagheit in den Griff zu bekommen, scheint das Einordnen der fraglichen Objekte in drei statt in zwei Kategorien zu sein: Anstatt beispielsweise alle Körneransammlungen (und andere Objekte) in „Haufen“ und „Nicht-Haufen“ einzuteilen, wird für die Grenzfälle eine eigene Kategorie geschaffen: die „Grenzfall-Haufen“. Leider wiederholt sich jedoch hier das Problem der Extensionsabgrenzung: Auch zwischen den Haufen und den Grenzfall-Haufen sowie den Grenzfall-Haufen und den NichtHaufen gibt es keine scharfe Grenze. Hier nun einen weiteren Graubereich

10

Vgl. aber Schöne 2011 für eine Argumentation gegen open texture als Möglichkeit der Vagheit. 11 Vgl. Waismann 1993 [1951]: 119. 12 Vgl. ebd.: 119. 13 Vgl. ebd.: 119. 14 Vgl. ebd.: 120. 15 Vgl. ebd.: 120. 16 Vgl. ebd.: 123.

28

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

zwischen klaren und unklaren Fällen zu postulieren, führt offenbar ebenfalls nicht weiter, denn auch dieser Graubereich hat keine scharfen Grenzen. Es entsteht lediglich eine Gruppe von Fällen, von denen unklar ist, ob sie unklare Fälle sind. Die Einführung neuer Graubereiche kann ad infinitum fortgeführt werden, doch das Problem der unscharfen Grenzen wird damit nicht gelöst, sondern nur verschoben, ja: vervielfacht. Wird das Problem auf diese Weise um eine oder mehrere Ebenen verschoben, ist von höherstufiger Vagheit (higher-order-vagueness) die Rede. Kees van Deemter etwa sieht höherstufige Vagheit als ein noch größeres Problem als die Vagheit erster Stufe an und findet dafür einen drastischen Vergleich: You can think of borderline cases as a symptom of a disease: if you are coughing up blood then that’s an unpleasant experience in itself, but additionally it could be a sign of something worse. The ‚something worse‘ indicated by vagueness is higher-order vagueness.17

Insbesondere für mehrwertige Logiken18, die dem Phänomen der Vagheit mit der Einführung weiterer Wahrheitswerte begegnen, ist höherstufige Vagheit ein Problem. Denn die Einführung jedes weiteren Wahrheitswerts entspricht der Einführung zweier neuer Graubereiche.

3.2.5

Das Argument der schiefen Ebene

Die Sorites-Paradoxie scheint auf den ersten Blick nur ein Problem für Philosophen und Logiker zu sein; bei näherem Hinsehen offenbart sich jedoch, dass genau diese Art der Argumentation von hoher praktischer und sogar ethischer Relevanz ist: Analog zu Sorites-Reihen funktioniert das Argument der schiefen Ebene (slippery slope argument) oder Dammbruch-Argument. Während Diskussionen um Weizenkorn-Haufen oder Glatzköpfe lediglich die Gemüter von Vagheits-Theoretikern erhitzen dürften, sind Fragen nach der Grenzziehung in anderen Bereichen Gegenstand kontrovers geführter gesellschaftlicher Debatten. Dies gilt insbesondere in der Bioethik bei Fragen wie dem Schwangerschaftsabbruch oder der Sterbehilfe. Auf der rechtlichen Ebene betrifft es häufig Fragen der inneren Sicherheit und damit verbundener Freiheitseinschränkungen. Ein prominentes Beispiel ist die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens.19 Wenn eine Sekunde mehr oder weniger bei der Entwicklung des Kindes im Mutterleib keinen Unterschied macht, so könnte man, sofern man Schwangerschaftsabbruch überhaupt zulässt, durch eine Sorites-Reihe folgern, dass eine Abtreibung noch im neunten Schwangerschaftsmonat zulässig wäre – eine Schlussfolgerung, die zwar nicht paradox, jedoch ethisch höchst frag17

Deemter 2010a: 10. Siehe dazu unten Kapitel 3.3.1. 19 Vgl. dazu ausführlich Wagner-Westerhausen 2008. 18

Vagheitsprobleme

29

würdig wäre. Um diesen Schluss zu vermeiden, könnte man umgekehrt fordern, dass – da die Zulässigkeit (oder Straffreiheit) einer Abtreibung in einem frühen Entwicklungsstadium derartige Sorites-Reihen erlaubt – Abtreibung generell nicht möglich sein sollte. Nur so entkomme man der schiefen Ebene, auf die man sich sonst begäbe. Die schiefe Ebene ist ein gängiges Argumentationsmuster, um den Status Quo beizubehalten. Begonnen wird mit der Diskussion, ob eine Handlung A (Schauer nennt sie den „instant case“20) rechtlich oder moralisch akzeptiert werden darf. A ist möglicherweise – wenn auch nicht immer – relativ unumstritten oder sogar wünschenswert. Argumentiert wird aber, dass mit der moralischen oder rechtlichen Zulässigkeit von A eine Grenzüberschreitung oder ein Tabubruch erfolgt, der an den Rand einer schiefen Ebene führt. Da das Hinabgleiten auf einer schiefen Ebene aber unausweichlich ist, wird irgendwann das Ende der Ebene erreicht sein, an dem eine Handlung Z (Schauer nennt sie den „danger case“21) erlaubt sein wird, die keinesfalls wünschenswert ist. Der Weg dorthin führt über eine Sorites-Reihe: Wenn A erlaubt wird, muss – da nur graduell verschieden – auch B erlaubt werden, wenn B erlaubt wird, muss – da nur graduell verschieden – auch C erlaubt werden etc., bis die Reihe schließlich bei der unerwünschten Konsequenz Z endet. Das Argument der schiefen Ebene geht davon aus, dass der Weg von A nach Z nicht unterbrochen werden kann, wenn A einmal akzeptiert wurde. Es werden auch andere Metaphern als die schiefe Ebene für diesen Typ von Argument verwendet: Neben dem oben bereits erwähnten „Dammbruch“ sind dies auch der „Domino-Effekt“ und der „Fuß in der Tür“; im Englischen öffnen sich nicht Dämme, sondern „Schleusentore“ („floodgates“);22 andere englische Redensarten dafür sind „The camel’s nose is in the tent.“23 oder „It’s the thin edge of the wedge.“24 Die Dynamik der Entwicklung von der Handlung A hin zu Z ist in den verschiedenen Metaphern unterschiedlich: Das Bild der schiefen Ebene suggeriert, dass die Abwärtsbewegung immer schneller wird, während der Fortgang in der Sorites-Reihe beim Domino-Effekt im gleichbleibenden Tempo erfolgt. Die brechenden Dämme und sich öffnenden Schleusentore lassen nach dem ersten Schritt sofort alles zu. Gemeinsam ist diesen Bildern indes die Annahme, dass es nach der Akzeptanz von A kein Halten mehr gibt, bis Z erreicht ist. Die Gegner von A müssen ihre Voraussage, dass – wenn A erlaubt wird – Z eintritt, allerdings plausibel machen, damit das Argument greift. Eine Möglichkeit der Plausibilisierung ist der Verweis auf schiefe Ebenen aus der Ver-

20

Schauer 1985: 365. Ebd. Vgl. etwa Volokh 2003: 1032. 23 Vgl. etwa Schauer 1985: 361. 24 Vgl. ebd. 21 22

30

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

gangenheit, an deren Ende man sich bereits angekommen sieht.25 Diese Strategie führt jedoch nicht immer zum Erfolg, denn: Some of these examples are more convincing than others. The basic problem with this kind of argument, however, is that while we may be able confidently to explain afterwards why things went wrong, that doesn’t mean we could confidently have predicted this beforehand.26

Der Blick in die Vergangenheit zeigt auch, dass nicht alle Befürchtungen bezüglich schiefer Ebenen eintreten. Hertogh führt das Beispiel der sexuellen Revolution an: Hier wurde vorausgesagt, die schiefe Ebene führe unweigerlich zur Akzeptanz von Pädophilie; das Gegenteil ist der Fall.27 Wer mit dem Argument der schiefen Ebene die Zulässigkeit bestimmter Handlungen verhindern will, zeichnet den rechtlichen und moralischen Status Quo als überlegen aus; doch auch dieser, so mahnt Hertogh, kann einen Preis haben (etwa andere moralische Probleme oder rechtliche Grauzonen).28 Zudem müssen die Gegner der Zulässigkeit von A erklären können, warum nun gerade der Schritt hin zu A derjenige ist, der auf die schiefe Ebene führt, und nicht der Schritt davor oder danach.29 Dennoch beschreibt das Argument der schiefen Ebene eine Dynamik, die sich tatsächlich immer wieder bei der Durchsetzung bestimmter Positionen in Politik und Gesellschaft beobachten lässt. Eugene Volokh hat verschiedene Mechanismen identifiziert, die die Annahme einer schiefen Ebene in bestimmten Fällen plausibel machen:30 (i.) Die Einstellung der Menschen gegenüber bestimmten Handlungen verändert sich durch eine veränderte Gesetzgebung; es findet eine Desensibilisierung statt. (Beispielsweise wird angenommen, dass schon bei der Zulassung von Sterbehilfe in engen Grenzen der Respekt vor der Unantastbarkeit des Lebens wegfällt.)31 (ii.) Wie in jeder Sorites-Reihe werden graduelle Veränderungen toleriert, die sich allerdings zu einer großen Veränderung akkumulieren. (iii.) Eine bestimmte politische Richtung wird gestärkt und erhält mehr Macht (so könnten beispielsweise die Gegner des privaten Waffenbesitzes in den USA durch die Einführung der Waffenregistrierung allgemein gestärkt werden). (iv.) Für bestimmte Konsequenzen werden die Hemmschwelle und die Kosten gesenkt und die rechtlichen Möglichkeiten geschaffen (etwa erleichtert die Registrierung von Waffen in Privatbesitz ihre spätere Beschlagnahmung).

25

Vgl. Hertogh 2009: 328. Ebd.: 328. 27 Vgl. ebd.: 329. 28 Vgl. ebd.: 330f. 29 Vgl. ebd.: 331. 30 Vgl. Volokh 2003: 1033. 31 Vgl. dazu auch Hertogh 2009: 329. 26

Vagheitsprobleme

31

Die Dynamik einer schiefen Ebene entsteht also – anders als bei der Sorites-Paradoxie – nicht nur durch die Rationalität des Arguments. Im Gegenteil: So gehen die Gegner von A ausdrücklich davon aus, dass Menschen Fehler machen und nur eingeschränkt rational sind:32 Sie können aus der Zulässigkeit von A falsche Schlüsse ziehen. Ein Beispiel dafür ist die niederländische Krankenschwester, die vier Patienten mit überdosierten Medikamenten das Leben nahm, in der Annahme, sie lindere deren Leiden. Dies war zwar auch nach den niederländischen Gesetzen verboten, jedoch wurde argumentiert, dass sie diese Taten ohne die relativ liberalen dortigen Sterbehilfe-Gesetze nicht begangen hätte.33 Doch dieser Zusammenhang muss nachgewiesen werden. Das Argument der schiefen Ebene kann dazu benutzt werden, um Angst zu schüren. Für jeden Einzelfall muss daher geprüft werden, ob die schiefe Ebene wirklich so abschüssig ist, wie behauptet wird: Ist nach der Zulassung der Handlung A die Zulassung der Handlung B wirklich unausweichlich? Und folgt daraufhin zwingend die Zulassung der Handlung C? Steht am Ende in jedem Fall die unerwünschte Handlung Z? Zuweilen scheinen die Befürchtungen übertrieben; doch zu ignorieren sind die Bedenken nicht.34 Mit dem Argument der schiefen Ebene wird deutlich, dass Sorites-Reihen nicht nur eine logische Spielerei sind, sondern auch bei wichtigen gesellschaftlichen Debatten eine Rolle spielen.

3.2.6

Grenzziehungen in der Praxis

Im täglichen Leben muss auch jenseits ethischer Argumentation über Grenzziehungen entschieden werden. Dabei müssen Grenzen innerhalb eines gewissen Rahmens auch willkürlich gezogen werden. Das betrifft praktisch alle Bereiche des menschlichen Lebens und Handelns. Ein Beispiel ist die Medizin: Mit welchen Blutdruckwerten gilt ein Patient als „gesund“, mit welchen als „krank“? Mit wie vielen Minuten Pflegebedarf wird jemand in eine bestimmte Pflegestufe eingeordnet? Würde der Wert, also die im Graubereich willkürlich eingezogene Grenze, nur leicht verschoben, hätte dies große finanzielle Mehr- oder Minderbelastungen für das Gesundheitssystem zur Folge. Wenn schrittweise von einem eindeutigen Krankheitsfall ausgegangen wird, können Sorites-Reihen das Gesundheitssystem viel Geld kosten. Andere Beispiele finden sich in der Politik: Ab welchem Einkommen gilt jemand als „arm“ (und erhält Sozialleistungen), ab wann als „reich“ (und muss hohe Steuern zahlen)? 32

Vgl. etwa Volokh 2003: 1035 und Hertogh 2009: 330. Vgl. Hertogh 2009: 329. 34 Ein Beispiel für eine schiefe Ebene in der Rechtsprechung bietet Kapitel 9.4.4 mit der Einstufung friedlicher Sitzblockaden als „Gewalt“. 33

32

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

In Wirtschaft und Technik stellen sich Fragen wie: Ab welchen Abgaswerten gilt ein Auto als „emissionsarm“ und „umweltfreundlich“? Besondere Schwierigkeiten stellen sich bei den Grenzziehungen in der Rechtsprechung: Sie werden daher in Kapitel 9 ausführlich untersucht. Kurz: Im praktischen Leben stellt Vagheit die Menschen vor das Problem des vernünftigen Umgangs mit unscharfen Grenzen.

3.3

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

In der Philosophie gibt es verschiedene Ansätze für den Umgang mit Vagheit; viele davon, jedoch nicht alle, sind formallogischer Art.35 In dieser Arbeit soll dieser Liste der Lösungsversuche kein weiteres Element hinzugefügt werden, und auch die formallogischen Schwierigkeiten können hier nicht gelöst werden. Der Nutzen der Vagheit in der Alltagskommunikation kann unabhängig von den bisher entwickelten Vagheitstheorien aufgezeigt werden. Dennoch werden die einschlägigen Ansätze hier zunächst kurz skizziert und mit einigen Standardeinwänden konfrontiert. Im Einzelnen sind dies die drei- und mehrwertige Logiken, der Supervaluationismus, die epistemische Theorie, der Kontextualismus sowie der Nihilismus. Für eine ausführlichere Diskussion der verschiedenen Vagheitstheorien siehe beispielsweise Keefe (2000), Williamson (1994a) und Schöne (2011). Sammlungen der wichtigsten Primärtexte in der Vagheitsdebatte bieten Smith (1999a), Graff Fara/Williamson (2002) sowie Walter (2005a). Es wird deutlich werden, dass die meisten der klassischen Vagheitstheorien ohne Rücksicht auf die Funktion von Sprache in Kommunikationssituationen formuliert wurden. Sie beachten nicht, dass die Kommunikation mit vagen Prädikaten häufig reibungslos funktioniert. Lediglich der vagheitstheoretische Kontextualismus berücksichtigt die erfolgreiche Verwendung vager Prädikate in der Alltagskommunikation – für die jedoch auch formallogische Inkonsistenzen in Kauf genommen werden müssen.

3.3.1

Drei- und mehrwertige Logiken und Wahrheitsgrade

Um das Problem der Wahrheitswertzuweisung für Propositionen, die sich auf Grenzfälle beziehen, zu lösen, wurden drei- und mehrwertige Logiken vorge-

35 Der Mathematiker Settimo Termini merkt dazu an: „It is interesting to note that as soon as vagueness makes its appearance, immediately the need of controlling it arises together with the effort of designing efficient quantitative (formal) ways for realizing this control.“ (Termini 2002: 343).

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

33

schlagen:36 Bei dreiwertigen Logiken wird ein dritter Wahrheitswert postuliert. Diese Lösungen verzichten auf den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. So führt Michael Tye zum Umgang mit Grenzfällen den dritten Wahrheitswert „unbestimmt“ („weder wahr noch falsch“) ein.37 Alternativ kann statt eines dritten Wahrheitswertes auch eine Wahrheitswertlücke zugelassen werden; dann liegt keine dreiwertige Logik, sondern eine zweiwertige Logik mit „partiellen Wertzuweisungen“38 vor. Damit wird das Bivalenzprinzip aufgegeben. Die Einführung eines zusätzlichen Wahrheitswertes macht jedoch zwei zusätzliche Grenzziehungen nötig. Es ergibt sich das oben bereits erwähnte Problem der höherstufigen Vagheit:39 Wo verläuft die Grenze zwischen „wahr“ und „unbestimmt“ (bzw. der Wahrheitswertlücke), das heißt zwischen den Fällen der eindeutigen Begriffsanwendung und dem Graubereich? Das Problem der unscharfen Grenzen wird nicht gelöst, sondern multipliziert. Sainsbury bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: „You do not improve a bad idea by iterating it.“40 Die Annahme von Wahrheitswertlücken führt noch zu einem weiteren Problem, auf das Linda Burns hinweist: Wenn der Sprecher einen Grenzfall nicht eindeutig beurteilen kann, sondern sich zum selben Zeitpunkt geneigt sieht, die Zuschreibung eines vagen Prädikats sowohl zu bejahen als auch zu verneinen – ein in der Sprachverwendung sehr viel gängigeres Phänomen als die Urteilsenthaltung –, ist es unplausibel, dass eine Wahrheitswertlücke vorliegen soll: Der Sprecher sieht sowohl gute Gründe für die Zuweisung des Wahrheitswertes „wahr“ als auch für die Zuweisung des Wahrheitswertes „falsch“: Es liegen also eher zu viele Wahrheitswerte vor, statt dass es an ihnen mangeln würde.41 Mehrwertige Logiken (fuzzy logic) lassen mehr als drei, oft sogar bis zu unendlich viele Wahrheitswerte in Form reeller Zahlen zwischen den absoluten Wahrheitswerten 0 (falsch) und 1 (wahr) zu, arbeiten also mit Wahrheitsgraden. Derartige Vorschläge, die explizit auf semantische Vagheit bezogen sind, finden sich beispielsweise in Machina (1976), Sainsbury (1986) und Edgington (1999). Begründet wurde die Theorie von Fuzzy-Mengen, das heißt Mengen mit gradierter Kategorienzugehörigkeit, von Lotfi A. Zadeh (1965). Auch mehrwertige Logiken können das Problem der höherstufigen Vagheit nicht umgehen. Denn auch hier tritt an der Grenze zwischen den klaren Fällen (bzw. den klaren Nicht-Fällen) und den Grenzfällen das Problem auf, 36 Hier werden nur die drei- und mehrwertigen Logiken angeführt, die explizit zur Behandlung des Vagheitsproblems vorgeschlagen wurden. 37 Vgl. Tye 2005. 38 Pinkal 1991: 252. 39 Vgl. oben Kapitel 3.2.4. 40 Sainsbury 1999: 255. 41 Vgl. Burns 1991: 50.

34

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

wo denn genau der Übergang erfolgt. An welcher Stelle kann die Wahrheitswertzuschreibung von 1 bzw. 0 zu den anderen Zahlen übergehen? Die Dreiteilung in die Bereiche „klare Fälle – Grenzbereich – klare Nicht-Fälle“ ist zunächst einmal die gleiche wie bei dreiwertigen Logiken, nur dass die Grenzfälle hier noch feiner unterteilt werden. Dabei stellt sich zudem die Frage, inwiefern diese feine Unterteilung sinnvoll ist: Mehrwertige Logiken müssen sich mit dem Vorwurf der Scheingenauigkeit auseinandersetzen: Wie errechnet sich ein Wahrheitswert von beispielsweise 0,564567, und was sagt er über die bewertete Proposition aus? Für Prädikate wie „Haufen“, bei denen nur eine Eigenschaft numerisch verändert wird, die also Sorites-vage sind, könnte man diese numerische Veränderung eventuell noch mit dem Wahrheitswert korrelieren. Doch schon hier müsste man fragen, wie viele Nachkommastellen denn angemessen seien. Bei multidimensionalen Prädikaten, die kombinatorisch vage sind und bei denen verschiedene Merkmale unabhängig voneinander variiert werden, wird ein numerisch präziser Wahrheitswert noch unplausibler, weil es für den Grad des Zutreffens des Prädikats kein Ordnungskriterium gibt.42 Mit drei- und mehrwertigen Logiken werden also wieder neue Probleme aufgeworfen, die Blau als „Vagheitsdilemma“ bezeichnet.43 Dass der semantischen Vagheit ausgerechnet mit so großer Präzision begegnet wird, kommentiert David H. Sanford so: „There is admittedly something ironic about responding to the imprecision of natural language by adopting a semantics which allows infinitely precise discriminations of truthvalue.“44 Hinzu kommen für die Details der verschiedenen vorgeschlagenen Logiken noch Einwände aus dem Bereich der logischen Theorie, auf die hier jedoch nicht eingegangen werden kann.45

3.3.2

Supervaluationismus

Der Supervaluationismus geht auf die Probleme der klassischen Logik ein, die durch Vagheit verursacht werden, und greift zugleich die zweite Prämisse der Sorites-Paradoxie an. Dazu betrachtet der Supervaluationismus verschiedene Grenzen, die die Extension eines vagen Prädikats plausiblerweise haben könnte. Eine einzige dieser Grenzen auszuwählen, erscheint jedoch willkürlich; darum berücksich-

42

Vgl. ebd.: 62. Vgl. Blau 1978: 28. 44 Sanford 1976: 201. 45 Für eine Übersicht über die drei- und mehrwertigen Logiken zur Behandlung des Vagheitsproblems vgl. Keefe/Smith (1999b): 35–49, Keefe (2000): 85–124 sowie Williamson (1994a): 97–141. 43

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

35

tigt der Supervaluationismus46 alle jeweils zulässigen Präzisierungen (engl. precisifications oder sharpenings) eines vagen Prädikats.47 Eine Aussage, die ein vages Prädikat enthält, wird unter Berücksichtigung aller zulässigen Präzisierungen ausgewertet, es wird also eine „Super-Bewertung“ vorgenommen, eine Supervaluation. Im Rahmen dieser Bewertung ist ein Satz super-wahr, wenn er unter allen zulässigen Präzisierungen wahr ist, und super-falsch, wenn er unter allen zulässigen Präzisierungen falsch ist, und sonst weder super-wahr noch super-falsch. Bei Grenzfällen gibt es also bei der supervaluationistischen Bewertung Wahrheitswertlücken, denn die sie betreffenden Aussagen sind weder super-wahr noch super-falsch. Hat beispielsweise ein Buchumschlag eine Farbe, die ein Grenzfall von blau ist, gibt es zulässige Präzisierungen von „blau“, die diese Farbe einschließen, und solche, die diese Farbe ausschließen. Damit ist die Aussage „Dieses Buch ist blau.“ nicht unter allen zulässigen Präzisierungen wahr (wie es bei einem klaren Fall von „blau“ wäre) und auch nicht unter allen zulässigen Präzisierungen falsch (wie es bei einem gelben Buch der Fall wäre). Damit ist die Aussage weder super-wahr noch superfalsch. Es liegt also eine Wahrheitswertlücke vor. Damit ist die Strategie des Supervaluationismus die folgende: Erstens weist er den Induktionsschritt (Prämisse (2): x (Fxi ĺ Fxi-1)) des SoritesArguments zurück, da dieser nicht unter allen zulässigen Präzisierungen wahr und damit nicht super-wahr ist. Das Sorites-Argument ist somit nicht schlüssig. Zweitens gibt der Supervaluationismus das Bivalenzprinzip für die Supervaluation auf, da er dort Wahrheitswertlücken zulässt. Für die einfachen Bewertungen jedoch bleibt das Bivalenzprinzip erhalten Aus der Kritik, die am Supervaluationismus geübt worden ist, sollen hier zwei Punkte herausgegriffen werden: (i.) Zum einen wird der Theorie vorgeworfen, dass sie den Intuitionen über vage Begriffe nicht gerecht wird: Vage Begriffe können eben gerade nicht präzisiert werden. Fodor und Lepore bringen es in einem Aufsatztitel auf den Punkt: „What Cannot be Evaluated Cannot be Evaluated and it Cannot be Supervaluated Either“.48 Mit der Präzisierung wird etwas anderes ausgesagt als mit dem vagen Prädikat. Vor der Präzisierung liegt demnach eine andere Proposition vor als danach; da diese der Wahrheitswertträger ist, ist der Wahrheitswertträger für die gewöhnliche Auswertung also ein anderer als für die Supervaluation. 46

Der Ausdruck „Supervaluationismus“ wurde 1966 von Bas van Fraassen eingeführt. Ein früher Vertreter des Supervaluationismus war Henryk Mehlberg (1958). Die klassische supervaluationistische Theorie stammt von Kit Fine (1975); in der aktuellen Debatte wird der Supervaluationismus von Rosanna Keefe (2000) vertreten. In der Linguistik entwickelte Manfred Pinkal (1985, 1991) mit seiner Präzisierungssemantik einen ähnlichen Ansatz. 47 Vgl. zu diesem Abschnitt auch Keefe/Smith 1999b: 23–35, Walter 2005a: 14–17 sowie Sorensen 1997. 48 Fodor/Lepore 1996: 516.

36

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

(ii.) Zum anderen tritt auch hier das Problem der höherstufigen Vagheit auf: Denn wo liegt die Grenze für die Zulässigkeit einer Präzisierung? Hier scheint es ebenfalls wieder eine Unsicherheit in der Zuschreibung, also einen Graubereich zu geben.

3.3.3

Epistemische Theorie

Auch die epistemische Theorie verwirft Prämisse (2) des Sorites-Arguments: Die Theorie nimmt an, dass Prädikate scharfe Extensionsgrenzen haben, allerdings werden – im Gegensatz zum Supervaluationismus – hier nicht verschiedene mögliche Grenzen, sondern nur eine angenommen. Die epistemische Theorie verneint, dass n - 1 Weizenkörner immer ein Haufen sind, wenn n Weizenkörner es sind, da die Entfernung eines Korns genau der Schritt sein könnte, der die scharfe Grenze überschreitet. Ein Korn mehr oder weniger kann hier also einen Unterschied machen. Damit wird die zweiwertige Logik beibehalten, da jeder Begriffszuschreibung korrekterweise ein Wahrheitswert zugewiesen werden kann. Allerdings kann laut der epistemischen Theorie niemand die exakte Lage der scharfen Grenzen kennen, so dass der Sprecher nicht immer weiß, welche Wahrheitswertzuweisung korrekt wäre. Die epistemische Theorie leugnet nicht die Existenz von Vagheit und von Grenzfällen: Vagheit ist jedoch hier – anders als in der oben angeführten Definition – eine Form von Unwissenheit und wird damit zum epistemischen Problem. Ihre Wurzeln hat diese Theorie beim Stoiker Chrysippus. In der neueren Debatte haben Cargile (1969), Campbell (1974), Sorensen (1988; 2001b) und Williamson (1994a; 2000) sie ausgearbeitet. Die epistemische Theorie der Vagheit muss sich immer wieder mit dem Vorwurf der Implausibilität und der Kontraintuitivität auseinandersetzen. Denn die Sprecher einer Sprache verwenden vage Prädikate gerade nicht so, als hätten sie scharfe Grenzen.49 Zudem stellt sich die Frage, wodurch die scharfe Grenze der Extension eines Prädikats gezogen wird; die Natur scheint sie nicht vorzugeben.50 Und wenn es eine scharfe Grenze gäbe, wäre immer noch fraglich, warum niemand sie kennen kann.51 Letztlich spricht die epistemische Theorie dem Sprecher damit die Kompetenz ab, Prädikate richtig zu verwenden. Somit vertritt sie eine Bedeutungstheorie, die die Bedeutung von Prädikaten unabhängig von ihrem Gebrauch sieht. Der Vorteil der epistemischen Theorie besteht jedoch darin, dass die klassische Logik erhalten bleibt.

49

Vgl. Keefe/Smith 1999b: 19. Vgl. Keefe 2000: 79. 51 Vgl. ebd.: 64. 50

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

3.3.4

37

Kontextualismus

Kontextualisten52 vertreten die Position, dass die Bedeutung eines Prädikats von seinem Kontext abhängig sei. Was sie dabei unter „Kontext“ verstehen, ist sehr verschieden. Auch nehmen einige kontextualistische Vagheitstheorien die variable Extension als scharf begrenzt an, andere als unscharf begrenzt. Trotz dieser Differenzen liegen fast allen kontextualistischen Positionen vier gemeinsame Hauptthesen zugrunde: (i.) die Abgrenzung der Kontextabhängigkeit von der Kontrastklassenabhängigkeit, (ii.) die Zustimmung des Sprechers zur induktiven Prämisse des SoritesArguments, (iii.) die Verschiebung der Extensionsgrenze bei Annäherung sowie (iv.) die Bedeutungseinschränkung durch den Kontext und durch clearcase-constraints. Ad (i.): Auch wenn Kontextualisten verschiedener Auffassung sind, was unter „Kontext“ zu verstehen ist, herrscht Einigkeit darüber, was mit „Kontext“ nicht gemeint ist: Die Kontrastklassenabhängigkeit. Oben53 wurde bereits angesprochen, dass Vagheit von Kontrastklassenabhängigkeit abgegrenzt werden muss: Auch wenn in einem gegebenen Fall – etwa bei der Betrachtung eines Elefanten – klar ist, dass das Prädikat „groß“ als „groß für einen Elefanten“ verstanden werden soll, wird dadurch nicht die Vagheit des Prädikats „groß“ eliminiert. Es lässt sich auch dann noch eine Sorites-Reihe bilden, wenn die Kontrastklasse des betreffenden Ausdrucks festliegt. Es gibt zum Beispiel auch Elefanten, bei den unklar ist, ob man sie als „groß (für einen Elefanten)“ bezeichnen sollte oder nicht. Dementsprechend ist es in den meisten Fällen nicht diese Art der alltäglich verstandenen Kontextabhängigkeit, die der vagheitstheoretische Kontextualismus vertritt.54 Ad (ii.): Der Kontextualismus trägt der Neigung kompetenter Sprecher Rechnung, der induktiven Prämisse (2) des Sorites-Arguments zuzustimmen („Für n gilt: Wenn n Weizenkörner ein Haufen sind, sind auch n - 1 Weizenkörner ein Haufen.“). Die Frage danach, warum dies der Fall ist, nennt Delia Graff Fara die „psychologische Frage“.55 Ad (iii.): Der Kontextualismus in allen seinen Varianten vertritt zudem die These, dass sich die Grenze der Extension eines Begriffs verschiebt, sobald 52

Begründet wurde der Kontextualismus von Hans Kamp (vgl. Kamp 1981). Siehe Kapitel 2.2.3.3. 54 Mit Ausnahme von Bosch 1983. 55 Die psychologische Frage lautet nach Fara: „If the universally generalized sorites sentence is not true, why were we so inclined to accept it in the first place? In other words, what is it about vague predicates that makes them seem tolerant, and hence boundaryless to us?“ (Fara 2000: 50). 53

38

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

man versucht, sich ihr zu nähern. Die Suche nach ihr ähnelt der Suche nach dem Horizont oder dem Regenbogen: Wenn sich der Suchende bewegt, bewegt sich das Ziel mit ihm. Dies lässt sich am Beispiel der Farbplättchen illustrieren: Soll der kompetente Sprecher zwei benachbarte, das heißt nur marginal unterschiedene Glieder einer Sorites-Reihe beurteilen, wird er ihnen nie zwei unterschiedliche Farbprädikate zuweisen, die Grenze also nie zwischen diese beiden legen. Er wird entweder beide oder keines unter das fragliche Prädikat fallen lassen oder beide als Grenzfälle einordnen. Dasselbe gilt auch für alle anderen vagen Prädikate: Zwei Körneransammlungen, die sich nur um ein Korn unterscheiden, sind für ihn entweder beide Haufen, beide kein Haufen oder beide Grenzfälle. Zwei Männer, die sich in ihrer Körpergröße nur um einen Millimeter unterscheiden, sind entweder beide groß oder beide nicht groß oder beide Grenzfälle etc.: „We can never nail down the borderline: just as we are about to get it in our sights, it shifts.“56 Die Extension des Prädikats ändert sich also in diesem Sinne mit dem Kontext. Ad (iv.): Trotz der Vagheit eines Prädikats ist es im jeweiligen Kontext möglich, etwas Spezifisches auszudrücken: Der Kontext schränkt die Bedeutung so weit ein, dass die Vagheit für die vorliegende Kommunikationssituation kein Problem mehr darstellt. Eine Kontextänderung kann – im Gegensatz zur Änderung der Kontrastklasse – allerdings nicht bewirken, dass klare Fälle aus der Extension herausfallen oder klare Nicht-Fälle in sie einbezogen werden. Diese Beschränkung bezeichnet Fara als „clear-case constraints“.57 Auf diesen Grundideen der Kontextabhängigkeit aufbauend wurden verschiedene kontextualistische Ansätze entwickelt, von denen einige im Folgenden kurz skizziert werden sollen.58 Kamp bildet die „psychologische Frage“ auf die Logik des Sorites-Arguments ab und zieht dafür die Konditionalfassung59 des Arguments heran: Er argumentiert, dass jede einzelne Instanz der universal quantifizierenden zweiten Prämisse des Sorites-Arguments wahr ist (also etwa Fa1000 ĺ Fa999, Fa998 ĺ Fa997, Fa997 ĺ Fa996 etc.), die allgemeine Prämisse selbst (x (Fxi ĺ Fxi-1) aber falsch. Jeder einzelne Schritt – zum Beispiel das Entfernen eines einzelnen Kornes aus dem Haufen – wird also akzeptiert, nicht aber die Folge der Schritte als Ganze.60

56

Smith 2008: 117. Fara 2000: 57. 58 Für eine ausführliche Untersuchung kontextualistischer Vagheitstheorien vgl. Akerman 2009. 59 Siehe oben Kapitel 2.2. 60 Kamp 1981. 57

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

39

Nach Raffman ändert sich, während der Sprecher entlang der SoritesReihe Urteile fällt, sein mentaler Zustand, sein interner Kontext.61 Raffman erläutert dies an Farbplättchen, die von Rot nach Orange übergehen: Soll der Sprecher sie in dieser Reihenfolge nacheinander beurteilen, wird er irgendwann vom Urteil „Das ist rot.“ zum Urteil „Das ist orange.“ wechseln. Würde er die Reihe danach allerdings rückwärts beurteilen, bliebe er noch bis in den alten „Rot“bereich hinein beim Urteil „Das ist orange.“62 Der externe Kontext ändert sich bei der Beurteilung der Farbplättchen jedoch nicht: Die Reihe bleibt unverändert liegen. Den internen Kontextwechsel bezeichnet Raffman als eine Art Gestaltveränderung („Gestalt shift“63), wie man sie von Kippbildern kennt: Hat man erst einmal die Vase auf dem Bild erkannt, fällt es schwer, wieder zwei Gesichter darin zu erkennen. Soames vertritt die Ansicht, dass vage Ausdrücke durch ihre Kontextabhängigkeit indexikalisch seien.64 Ihre Referenz variiere zwar mit dem Kontext, ihre Bedeutung jedoch nicht. Wie bei anderen indexikalischen Ausdrücken müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein: To say that vague predicates are context sensitive is to say that they are indexical. While the semantic content of an indexical varies from one context of utterance to another, its meaning does not. Rather, its context-invariant meaning constrains the indexical to take on semantic contents with certain specified features. Sometimes these constraints identify semantic content in terms of a fixed contextual parameter – e.g. the content of ‚I‘ is the agent of the context, the content of ‚now‘ is the time of the context, and the content of ‚actually‘ is the world of the context. […] If, as I believe, vague predicates are context sensitive, then this is the model on which they must be understood.65

Nach Shapiro ist der relevante Kontextparameter der psychische Zustand des Sprechers, der bewirkt, wie der Sprecher in Bezug auf die Extensionszugehörigkeit entscheidet. Damit spricht Shapiro dem Sprecher die Entscheidungskompetenz über Grenzfälle zu; die Entscheidung über Zutreffen oder NichtZutreffen eines Begriffs muss allerdings von den anderen Diskursteilnehmern akzeptiert werden.66 Fara67 legt den Schwerpunkt auf die Interessenrelativität bei der Verwendung des Prädikats – ein Punkt, der für den Nutzen der Vagheit in der Alltagskommunikation ganz wesentlich ist: Da das Interesse (die Zwecke, Pläne, Wünsche, Absichten) des Sprechers in Bezug auf einen Begriff je nach Situation

61

Vgl. Raffman 1996: 177. Siehe unten Kapitel 6.4.2. 63 Vgl. Raffman 1996: 178. 64 Vgl. Soames 2002b. 65 Ebd.: 445. 66 Vgl. Shapiro 2006: 44. 67 Vgl. Fara 2000 und Fara 2008. 62

40

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche

variiert, ändert sich damit auch die Extension des Prädikats für den jeweiligen Kontext. Wenn etwa zwei Dinge für einen gegebenen Zweck gleich groß sind – auch wenn ihre Größe differiert, und der Sprecher dies weiß – können sie beide in der Extension von „groß“ für den gegebenen Zweck enthalten sein. Für andere Zwecke könnte jedoch das eine in der Extension von „groß“ enthalten sein, das andere jedoch nicht mehr.68 Ob die Unterscheidung zwischen zwei ähnlichen Gegenständen für einen gegebenen Zweck überhaupt sinnvoll ist, ist eine Abwägungssache: Fara führt das Beispiel des Kaffeepulvers an, von dem beim Kaffeekochen ein paar Körner verstreut werden, die jedoch nicht aufgesammelt oder ersetzt werden, da die Menge des Kaffees vor und nach dem Verstreuen für den gegebenen Zweck dieselbe ist.69 Denn es besteht in dieser Situation nicht nur das Interesse, Kaffee zu kochen, sondern auch, dies effizient zu tun. Kaffeekörner zu zählen oder wenige verschüttete zu ersetzen, würde Zeit kosten, die aber in dieser Situation keinen zusätzlichen Nutzen bringen würde.70 Daher gibt es Toleranzräume, innerhalb derer der Sprecher Differenzen zwischen zwei Gegenständen, Mengen etc. akzeptiert, und diese als gleich für den gegebenen Zweck ansieht; daher seine Neigung, der induktiven Prämisse (2) im Sorites-Argument zuzustimmen.71 Weitere Vertreter kontextualistischer Positionen sind Bosch (1983), Burns (1991) und Tappenden (1993).

3.3.5

Nihilismus

Peter Unger und Samuel C. Wheeler III gehören zu den bekanntesten Vertretern des vagheitstheoretischen Nihilismus. Unger entwirft in seinem Aufsatz „There are no ordinary things“ (2002 [1979a]) verschiedene Sorites-Reihen:72 Von „ordinary things“ wie einem Tisch oder Stein (oder auch einem Sektquirl) werden beispielsweise nach und nach Atome entfernt, bis keines mehr übrig ist und dementsprechend auch kein Tisch oder Stein.73 Da aber das Entfernen eines Atoms keinen Unterschied machen kann hinsichtlich des Vorhandenseins eines Steines (oder Tisches), müsste also auch nach dem Entfernen des letzten Atoms noch ein Stein (oder Tisch) vorhanden sein. Dies zeigt nach Unger, dass unsere alltäglichen Überzeugungen inkonsistent sind. Um diese

68

Vgl. Fara 2000: 67. Vgl. ebd. 70 Vgl. Fara 2000: 68. 71 Diese Toleranzräume werden in Kapitel 7.3 ausführlich besprochen. Auf die Rolle der Vagheit in Bezug auf Effizienz wird in Kapitel 7.2 eingegangen. 72 Ähnliche Argumentationen finden sich in Unger 1979b und 1980a. 73 Vgl. Unger 2002 [1979a]: 120ff. 69

Ansätze zum Umgang mit Vagheit

41

Inkonsistenz zu vermeiden, bleibt für ihn nur die Schlussfolgerung „There are no ordinary things.“74 Damit richtet sich Unger nicht gegen die Existenz physischer Objekte mit verschiedenen Größen, Formen, Raumbeziehungen oder relativer Geschwindigkeiten. Es seien eben nur keine „ordinary things“ wie Steine, Planeten oder Möbelstücke.75 Substantive wie „Planet“, „Stein“ oder „See“ haben seiner Meinung nach keine Anwendung auf Gegenstände: Thus, it appears quite obvious to us now that there will be no application to things for such nouns as ‚stone‘ and ‚rock‘, ‚twig‘ and ‚log‘, ‚planet‘ and ‚sun‘, ‚mountain‘ and ‚lake‘, ‚sweater‘ and ‚cardigan‘, ‚telescope‘ and ‚microscope‘, and so on, and so forth. Simple positive sentences containing these terms will never, given their current meanings, express anything true, correct, accurate, etc., or even anything which is anywhere close to being any of those things.76

Auch Eigennamen wie „Venus“ oder „[Mount] Everest“ sind Ungers Meinung nach leer. Diese Namen könnten allenfalls so verwendet werden wie Namen für fiktionale Gegenstände.77 Zum selben nihilistischen Schluss kommt Unger noch durch einen weiteren Argumentationsstrang, nämlich durch den des Problem of the many.78 Dieses Problem entsteht bei Objekten, die dem Betrachter unscharf begrenzt erscheinen; der paradigmatische Fall dafür ist die Wolke. Auch wenn eine Wolke von der Erde aus scharf begrenzt aussieht, so besteht sie bei näherem Hinsehen aus Millionen kleiner Wassertröpfchen, deren Dichte zum Rand der Wolke hin nachlässt. Für viele Wassertröpfchen am Rand ist nicht eindeutig feststellbar, ob sie noch zur Wolke gehören oder nicht. Die – willkürliche – Grenze kann an verschiedenen Stellen gezogen werden. Es gibt also verschiedene Mengen von Wassertröpfchen, die als Wolke in Frage kommen, also verschiedene gleich gute Wolkenkandidaten. Aber keiner dieser Kandidaten ist in irgendeiner Weise den anderen gegenüber ausgezeichnet. Das heißt, dass entweder alle Kandidaten als Wolken zählen müssten – es also mehrere gäbe – oder gar keine.79 Unger favorisiert letztere Möglichkeit, da erstere absurd sei, und er überträgt dies auf alle anderen unscharf begrenzt erscheinenden Gegenstände, für die ein entsprechendes Argument konstruiert werden kann. Bei näherem Hinsehen sind dies wieder alle „ordinary things“.80 Dass der Nihilismus eine kontraintuitive Theorie ist, gestand Unger später selbst zu:

74

Ebd.: 117. Vgl. ebd.: 150. 76 Ebd.: 148. 77 Vgl. ebd.: 148f. 78 Vgl. Unger 2006 [1980b]; vgl. auch Wheatherson 2003. 79 Vgl. Unger 2006 [1980b]: 114. 80 Vgl. ebd.: 137ff. 75

42

Vagheitsprobleme und Lösungsversuche Then, like Parmenides and Zeno well before me, I too have endeavored to argue against existence beliefs as to ordinary entities. But, in almost any context, it is hard even for me to find such arguments convincing.81

Dem Nihilismus steht ein offensichtlicher Einwand gegenüber, nämlich der, eine klassische armchair theory zu sein: Im wirklichen Leben können sich offenbar auch vagheitstheoretische Nihilisten ganz gut mit den Wörtern verständigen, die in ihrer Theorie keine Anwendung haben; sie verwenden sie beispielsweise auch, um für ihre Theorie zu argumentieren. Es ist zweifelhaft, ob sich im gewöhnlichen Sprachgebrauch die Annahme durchhalten lässt, dass Substantive wie „Tisch“ nur scheinbar auf etwas Existierendes anwendbar sind. Genau wie die epistemische Theorie der Vagheit koppelt der Nihilismus sich also von der tatsächlichen Verwendung vager Prädikate im Sprachgebrauch ab, während die drei- und mehrwertigen Logiken sowie der Supervaluationismus versuchen, Vagheit durch Präzision zu ersetzen. Von allen Theorien zum Umgang mit Vagheit nimmt der Kontextualismus als einzige Bezug darauf, dass eine erfolgreiche Kommunikation mit vagen Prädikaten in der Regel trotz der formallogischen Schwierigkeiten möglich ist.

81

Unger 1982: 117.

4

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

Während eine systematische Untersuchung zum Nutzen der Vagheit bislang fehlt, finden sich doch in der Literatur allenthalben verstreute Bemerkungen, die knapp auf diesen Nutzen hinweisen oder ihn bestreiten. Im folgenden Kapitel werden daher einige Positionen aus der Philosophiegeschichte angeführt, die zum Nutzen der Vagheit Stellung nehmen. Zum einen solche, die einen Nutzen verneinen und Vagheit als etwas Negatives ansehen, weil sie zur Verletzung logischer Prinzipien führt. Dieser Ansicht sind insbesondere die Vertreter der formalsprachlichen Strömung der analytischen Philosophie, die Vagheit als einen Beleg für die Notwendigkeit einer präzisen formalen Sprache verwenden. Dieses Ziel der idealen Sprache verfolgen etwa Frege und Russell, deren Ansätze hier dargestellt werden (Kapitel 4.1). Zum anderen werden aber auch Positionen aufgezeigt, die positive Aspekte der Vagheit herausstellen, zumindest für bestimmte Zwecke. Positionen zum Nutzen der Vagheit finden sich auch bei Frege, zudem bei Peirce, Black, Hempel, Wittgenstein, Waismann, Quine und Schaff (Kapitel 4.2).

4.1

Das Ziel der idealen Sprache

4.1.1

Gottlob Frege: Logik benötigt scharfe Begriffsgrenzen

Der Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege (1848–1925) gilt als Begründer der modernen Logik und als einer der Väter der analytischen (Sprach-) Philosophie. In diesem Zusammenhang wird er üblicherweise der ideal- oder formalsprachlichen Strömung zugeordnet, die die Konstruktion einer logisch einwandfreien Sprache anstrebt. Ihr steht die normalsprachliche Strömung (ordinary language philosophy) gegenüber, die die Sprache nicht reformieren, sondern den bestehenden Sprachgebrauch analysieren will. Gemäß dieser Einordnung werden Freges Auffassungen zur Vagheit häufig als bloße Kritik an dieser Eigenschaft der natürlichen Sprachen dargestellt. Es muss jedoch unterschieden werden zwischen seiner Bewertung der Vagheit in Bezug auf die Logik und der Beurteilung im Hinblick auf die Alltagssprache; denn in letzterem Zusammenhang kann Frege der unscharfen Begrenzung von Begriffen sogar positive Seiten abgewinnen, wie in Kapitel 4.2.1 noch ausgeführt werden wird. Hier soll jedoch zunächst Freges Position zur Vagheit im Bereich der Logik dargestellt werden –und die ist in der Tat eine kritische. Wenn logische Schlüsse gezogen und Beweise geführt werden sollen, müssen Begriffe scharf begrenzt sein, lautet Freges Forderung, die er an ver-

44

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

schiedenen Stellen in seinem Werk bekräftigt: „Alles was von Seiten der Logik und für die Strenge der Beweisführung von einem Begriffe verlangt werden kann, ist seine scharfe Begrenzung, daß für jeden Gegenstand bestimmt sei, ob er unter ihn falle oder nicht.“1 Die Anwendung der logischen Gesetze der klassischen Prädikatenlogik, insbesondere der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, erfordern die scharfe Begrenzung der Begriffe.2 Daher haben nach Frege weder vage Begriffe noch unvollständige oder bedingte Definitionen einen Platz in Logik und Wissenschaft. Begriffe ohne scharfe Grenzen sind „unzulässige Scheinbegriffe“3 oder „begriffsartige Bildungen“;4 sie täuschen nur vor, Begriffe zu sein, analog zu leeren Eigennamen wie „Odysseus“, die nur vorgeben, Eigennamen zu sein:5 Eine Definition eines Begriffes (möglichen Prädikates) muss vollständig sein, sie muss für jeden Gegenstand unzweideutig bestimmen, ob er unter den Begriff falle (ob das Prädikat mit Wahrheit von ihm ausgesagt werden könne) oder nicht. Es darf also keinen Gegenstand geben, für den es nach der Definition zweifelhaft bliebe, ob er unter den Begriff fiele, wenn es auch für uns Menschen bei unserm mangelhaften Wissen nicht immer möglich sein mag, die Frage zu entscheiden. Man kann dies bildlich so ausdrücken: der Begriff muss scharf begrenzt sein. Wenn man sich Begriffe ihrem Umfange nach durch Bezirke in der Ebene versinnlicht, so ist das freilich ein Gleichnis, das nur mit Vorsicht gebraucht werden darf, hier aber gute Dienste leisten kann. Einem unscharf begrenzten Begriffe würde ein Bezirk entsprechen, der nicht überall eine scharfe Grenzlinie hätte, sondern stellenweise ganz verschwimmend in die Umgebung überginge. Das wäre eigentlich gar kein Bezirk; und so wird ein unscharf definirter Begriff mit Unrecht Begriff genannt. Solche begriffsartige Bildungen kann die Logik nicht als Begriffe anerkennen; es ist unmöglich, von ihnen genaue Gesetze aufzustellen.6

Und: Wie es der Geometrie unmöglich wäre, genaue Gesetze aufzustellen, wenn sie Zwirnsfäden als Linien und Knoten in Zwirnsfäden als Punkte anerkennen wollte, so muss die Logik scharfe Begrenzung von dem verlangen, was sie als Begriff anerkennen kann, wenn sie nicht auf Genauigkeit und Sicherheit verzichten will. Ein Begriffszeichen also, dessen Inhalt dieser Forderung nicht genügt, ist vom logischen Standpunkte aus als bedeutungslos anzusehen.7

Auch partiell definierte Begriffe sind nach Frege nicht zulässig: Um so mehr muss betont werden: begriffsähnliche Bildungen, die noch im Flusse sind, die noch nicht endgültige und scharfe Grenzen erhalten haben, kann die Logik nicht als Begriffe anerkennen; und darum muss sie alles stückweise Definiren verwerfen.8

Aussagesätze, die vage Prädikate enthalten, haben nach Frege keinen Wahrheitswert. Frege bedient sich bei der Darstellung von Aussagesätzen der Funktionen aus der Analysis:9 Wenn vom Gegenstand a das Prädikat „P“ ausgesagt wird, 1

Frege 1987 [1884]: § 74. Vgl. etwa Frege 1903: § 62; 1969c: 168. 3 Frege 1903: § 62. 4 Ebd.: § 56. 5 Vgl. ebd.: § 62 und § 64. 6 Ebd.: § 56. 7 Frege 1976: 183. 8 Frege 1903: § 58. 2

Das Ziel der idealen Sprache

45

wird dies durch „Pa“ oder „P(a)“ ausgedrückt. Das Prädikat füllt damit eine Leerstelle; sie ist das Argument der Funktion, die ansonsten ungesättigt oder unvollständig wäre. Wie bei mathematischen Funktionen ergibt sich durch das Einsetzen des Arguments ein Wert, in diesem Falle der Wahrheitswert des ausgedrückten Aussagesatzes. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn „P“ das Zeichen für einen vagen Begriff ist. Denn durch seine unscharfen Grenzen ist er nach Frege gar kein Begriff; somit kann der Funktion und damit dem Satz kein Wahrheitswert zugewiesen werden, denn es ist ja nicht feststellbar, ob der Gegenstand wirklich unter den Begriff fällt. Nach dem Bivalenzprinzip muss sich jedoch immer ein Wahrheitswert ergeben. Der Wahrheitswert ist in Freges Theorie von Sinn und Bedeutung die Bedeutung eines Aussagesatzes; um den terminologischen Gebrauch deutlich zu machen, wird im Folgenden, wie üblich, von BedeutungF (Bedeutung im Fregeschen Sinne) die Rede sein. Die BedeutungF eines Eigennamens ist der Gegenstand oder die Person, auf die er sich bezieht; die BedeutungF eines Prädikats ist der Begriff, den es ausdrückt. Verschiedene Eigennamen können dieselbe BedeutungF haben, wenn sie sich auf denselben Gegenstand beziehen, wie zum Beispiel „Morgenstern“ und „Abendstern“, die beide den Planeten Venus bezeichnen. Frege erklärt, „daß der Unterschied des Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins entspricht“.10 Diese „Art des Gegebenseins“ nennt er „Sinn“11, im Folgenden als „SinnF“ bezeichnet. Der SinnF eines Aussagesatzes ist der Gedanke, den er ausdrückt; der SinnF von Eigennamen und Prädikaten ist die jeweilige Art des Gegebenseins, also Merkmalszuschreibungen oder Kennzeichnungen. Für eine Sprache der Wissenschaft ist jedoch vor allem die BedeutungF relevant: Solange nur die Bedeutung dieselbe bleibt, lassen sich diese Schwankungen des Sinnes ertragen, wiewohl auch sie in dem Lehrgebäude einer beweisenden Wissenschaft zu vermeiden sind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften.12

Alle diese Bedingungen soll Freges Begriffsschrift erfüllen, die im Gegensatz zur natürlichen Sprache keine vagen Prädikate enthält. Dass aber auch vage Prädikate – in der Alltagssprache – durchaus ihre Existenzberechtigung haben, bestreitet Frege nicht, wie in Kapitel 4.2.1 erläutert werden wird.

4.1.2

Bertrand Russell: Präzision als unerreichbares Ideal

Zu den Verfechtern einer idealen, nicht-vagen formalen Sprache für wissenschaftliche Zwecke gehört auch Bertrand Russell. In den Principia Mathematica (1910–1913) legte er, zusammen mit Alfred North Whitehead, die Syntax

9

Vgl. Frege 2008 [1892]: 2 [2]. Ebd.: 24 [26]. 11 Ebd. 12 Ebd.: 24f. [27], Anm. 2. 10

46

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

für eine solche Sprache vor. Zugleich ist Russells Aufsatz Vagueness aus dem Jahr 1923 der Ausgangspunkt für die aktuelle Vagheitsdiskussion in der analytischen Philosophie. Dass das Englische – und auch alle anderen natürlichen Sprachen – das Problem der Vagheit aufweisen, schreibt Russell dem mangelnden Interesse der Vorfahren an Logik zu.13 Allerdings gesteht er zu, dass eine ideale Sprache im Alltag nicht unbedingt von Nutzen wäre. Nach Russell ist Vagheit eine Eigenschaft, die nur Repräsentationen zukommen kann, nicht aber den repräsentierten Objekten selbst. Unter Repräsentationen versteht er nicht nur Sprache, sondern beispielsweise auch Fotografien, Landkarten, Luftdruckschreiber und Ähnliches.14 Russell führt einige Beispiele an, um zu illustrieren, dass natürliche Sprachen immer vage sind. Für Wahrnehmungsprädikate wählt er das Wort „red“, dessen Anwendung in bestimmten Bereichen der Farbskala umstritten sein kann.15 Aber auch vermeintlich präzisere Wörter wie „metre“ oder „second“ sind nicht frei von Unschärfen: Ihre physikalischen Definitionen durch das Urmeter (heute: optisches Verfahren) bzw. die Erdrotation (heute: Schwingungen des Caesium-Atoms) können durch Ungenauigkeiten jedes Messverfahrens immer zu Vagheit führen.16 Auch Eigennamen sind nach Russell vage, da sie eine temporale Unbestimmtheit aufweisen: Es ist unklar, ab welchem und bis zu welchem Zeitpunkt der Name die jeweilige Person bezeichnet, da Geburt und Tod graduelle Prozesse sind.17 Schließlich widmet sich Russell den logischen Konnektoren „or“ und „not“, die auf den ersten Blick nicht vage zu sein scheinen. Da sie aber auf Propositionen angewendet werden, die vage Prädikate enthalten, seien sie selbst auch wieder vage.18 Da nach Russell offenbar keine Wortart nicht-vage ist, kann das Ideal der Präzision in seinen Augen niemals erreicht werden: „We can see an ideal of precision, to which we can approximate indefinitely; but we cannot attain this ideal.“19 Auch Russell erkannte das Problem der höherstufigen Vagheit: Man kann nicht einfach festlegen, dass ein Prädikat im Graubereich nicht mehr angewendet werden darf, weil dieser selbst wieder unscharfe Grenzen hat und der Anwendungsbereich damit unklar bleibt.20 Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sowie die gesamte klassische Logik, so Russell, gehen von präzisen Symbolen aus, die natürliche Sprachen 13

Vgl. Russell 1923: 84. Vgl. ebd.: 85, 89. 15 Vgl. ebd.: 85. 16 Vgl. ebd.: 86. 17 Vgl. ebd. 18 Vgl. ebd.: 88. 19 Ebd. 20 Vgl. ebd.: 87. 14

Das Ziel der idealen Sprache

47

nicht aufweisen: „It is therefore not applicable to this terrestrial life, but only to an imagined celestial existence.“21 Damit ist die klassische Logik auf natürliche Sprachen nicht anwendbar. Die ideale Sprache muss präzise (precise) und genau (accurate) sein. Genauigkeit (accuracy) definiert Russell als Eins-zu-eins-Relation zwischen dem Repräsentationssystem und dem repräsentierten System; hier stehen zwei Elemente des einen Systems in der gleichen Relation zueinander wie die des anderen Systems. Eine Aussage ist dann accurate, wenn sie präzise und wahr ist. Präzise ist eine (atomare) Aussage dann, wenn nur eine Tatsache sie wahr machen kann:22 In diesem Sinne wäre die Aussage, jemand sei zwischen 6,2 und 6,3 Fuß groß23, nicht präzise, da mehrere Tatsachen sie wahr machen können. Vagheit dagegen ist eine Eins-zu-mehreren-Relation, wie sie zum Beispiel bei einem verschwommenen Foto oder einer Landkarte vorliegt. Bei letzterer entspricht jeder Punkt auf der Karte mehreren Punkten in der Landschaft.24 Menschliche Wahrnehmungen und die darauf aufbauenden Repräsentationssysteme sind nie so differenziert wie die ausgesandten Reize. So ist ein Glas mit sauberem Trinkwasser mit dem bloßen Auge nicht zu unterscheiden von einem Glas mit typhusverseuchtem Wasser. Erst mit Hilfe eines Mikroskops kann diese Unterscheidung getroffen werden. So wird nach Russell aus den Sinneseindrücken vages Wissen abgeleitet, das alle Wörter „infiziert“, bei deren Definition Sinneseindrücke eine Rolle spielen.25 Diese und ähnliche Differenzierungen vorzunehmen ist nach Russells Ansicht die Aufgabe der Wissenschaft. Sie sollte nach möglichst präzisen Überzeugungen streben; dies macht ihre Resultate zwar leichter falsifizierbar, aber – gerade deshalb – umso wertvoller, wenn sie wahr sind. Vage Überzeugungen können dagegen nicht so leicht falsifiziert werden, da mehr Tatsachen sie wahr machen.26 Hier vermischt Russell allerdings Vagheit mit Generalität. Diese Vermengung wird ihm später unter anderem von Max Black vorgeworfen.27 In The Philosophy of Logical Atomism (1918) skizziert Russell die Grundzüge der angestrebten idealen Sprache: In ihr gibt es für jedes einfache Objekt genau ein Wort; komplexe Objekte werden durch Kombinationen dieser Wörter bezeichnet.28 Verwendbar ist diese Sprache allerdings nur für den Bereich der Logik. Russell räumt ihren beschränkten Anwendungsbereich ein: 21

Ebd.: 88f. Vgl. ebd.: 89f. Vgl. ebd.: 91. 24 Vgl. ebd.: 89f. 25 Vgl. ebd.: 87. 26 Ähnlich argumentiert auch Austin (1975: 157). Er bezieht sich mit „vage“ jedoch nirgendwo auf das Phänomen der Grenzfälle in der Anwendung. Er unterscheidet zwar sieben Arten von Vagheit, darunter mangelnde Detailliertheit, Unvollständigkeit und Generalität (vgl. ebd.: 157f.). Die hier besprochene ist jedoch nicht darunter, so dass auf eine ausführliche Darstellung von Austins Position verzichtet wird. 27 Vgl. Black 1937: 430 sowie 432 Anm. 12. 28 Vgl. Russell 1918: 520. 22 23

48

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

„You all know that I invented a special language with a view to avoiding vagueness, but unfortunately it is unsuited for public occasions.“29 Für den Alltag ist eine solche Sprache nicht geeignet: Actual languages are not logically perfect in this sense, and they cannot possibly be, if they are to serve the purposes of daily life. A logically perfect language, if it could be constructed, would not only be intolerably prolix, but, as regards its vocabulary, would be very largely private to one speaker. […] Altogether you would find that it would be a very inconvenient language indeed. That is one reason why logic is so very backward as a science, because the needs of logic are so extraordinarily different from the needs of daily life.30

So gibt es zwar von Russell keine konkreten Aussagen zum Nutzen der Vagheit; dass aber eine logische perfekte, nicht-vage, präzise Sprache für die Alltagskommunikation ungeeignet ist, ist ein Eingeständnis, um das er nicht umhin kommt.

4.2

Positionen zum Nutzen der Vagheit

4.2.1

Gottlob Frege: Alltagssprache und Vagheit

Wie oben erläutert, misst Frege der scharfen Begrenzung von Begriffen große Bedeutung zu für eine Sprache, in der logische Schlüsse gezogen werden sollen. Dabei übersieht er jedoch nicht – wie in Kapitel 0 bereits angedeutet –, dass die Alltagssprache durchaus mit unscharfen Grenzen arbeiten kann: Man kann einwenden, dass solche Wörter in der Sprache des Lebens tausendfach gebraucht werden. Ja! aber unsere Volkssprachen sind auch nicht dazu geschaffen, Beweise zu führen. […] Die Aufgabe unserer Volkssprachen ist wesentlich erfüllt, wenn die mit einander verkehrenden Menschen mit demselben Satze denselben Gedanken verbinden, oder doch annähernd denselben. Es ist dazu nicht durchaus nöthig, dass die einzelnen Wörter für sich einen Sinn und eine Bedeutung haben, wenn nur der ganze Satz einen Sinn hat. Anders liegt die Sache, wenn Schlüsse gezogen werden sollen; denn dabei ist wesentlich, dass in zwei Sätzen derselbe Ausdruck vorkomme, und dass dieser in beiden genau dieselbe Bedeutung habe.31

Solange die Kommunikation funktioniert – und das ist nach Frege gewährleistet, wenn Sprecher und Hörer mit demselben Ausdruck einen ausreichend ähnlichen Gedanken verbinden –, erfüllt die Alltagssprache ihren Zweck; BedeutungsgleichheitF und scharfe Begriffsgrenzen sind dafür nicht notwendig. Mit der Alltagssprache muss man nachsichtig sein: Gewiß sollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem Ausdrucke ein bestimmter Sinn entsprechen; aber die Volkssprachen erfüllen diese Forderung vielfach

29

Russell 1923: 84. Russell 1918: 520. 31 Frege 1976: 183. 30

Positionen zum Nutzen der Vagheit

49

nicht, und man muß zufrieden sein, wenn nur in demselben Zusammenhange dasselbe Wort immer denselben Sinn hat.32

Frege gesteht jedoch nicht nur zu, dass die Alltagssprache mit unscharfen Begriffsgrenzen funktioniert, sondern er sieht sogar in den „Mängeln“ der Sprache einige Vorteile. Diese verdeutlicht er in der Hand-Analogie: Die hervorgehobenen Mängel haben ihren Grund in einer gewissen Weichheit und Veränderlichkeit der Sprache, die andererseits Bedingung ihrer Entwicklungsfähigkeit und vielseitigen Tauglichkeit ist. Die Sprache kann in dieser Hinsicht mit der Hand verglichen werden, die uns trotz ihrer Fähigkeit, sich den verschiedensten Aufgaben anzupassen, nicht genügt. Wir schaffen uns künstliche Hände, Werkzeuge für besondere Zwecke, die so genau arbeiten, wie die Hand es nicht vermöchte. Und wodurch wird diese Genauigkeit möglich? Durch eben die Starrheit, die Unveränderlichkeit der Teile, deren Mangel die Hand so vielseitig geschickt macht. So genügt auch die Wortsprache nicht. Wir bedürfen eines Ganzen von Zeichen, aus dem jede Vieldeutigkeit verbannt ist, dessen strenger logischer Form der Inhalt nicht entschlüpfen kann.33

Hand und natürliche Sprache sind beide unspezialisiert, so dass statt der Hand für bestimmte Zwecke Werkzeuge benötigt werden und statt der vagen natürlichen Sprache formale Sprachen. Der Vorzug sowohl der Hand als auch der natürlichen Sprache ist jedoch ihre Flexibilität, die die spezialisierten Werkzeuge nicht aufweisen. Für spezielle Zwecke sind Werkzeuge und formale Sprachen jedoch viel besser geeignet als die Hand bzw. die natürliche Sprache, da sie nur für ihn geschaffen wurden. Dafür sind letztere jedoch für andere Zwecke nicht einsetzbar. So funktioniert die alltägliche Kommunikation in der vagen natürlichen Sprache besser als in einer formalen Sprache mit scharf abgegrenzten Begriffen. Für logische Schlüsse eignet sich letztere jedoch besser. Im Vorwort zu seiner Begriffsschrift hatte Frege zuvor bereits eine ähnliche Analogie, nämlich die zum Mikroskop, entwickelt: Das Verhältnis meiner Begriffsschrift zu der Sprache des Lebens glaube ich am deutlichsten machen zu können, wenn ich es mit dem des Mikroskops zum Auge vergleiche. Das Letztere hat durch den Umfang seiner Anwendbarkeit, durch die Beweglichkeit, mit der es sich den verschiedensten Umständen anzuschmiegen weiss, eine grosse Ueberlegenheit vor dem Mikroskop. Als optischer Apparat betrachtet, zeigt es freilich viele Unvollkommenheiten, die nur in Folge seiner innigen Verbindung mit dem geistigen Leben gewöhnlich unbeachtet bleiben. Sobald aber wissenschaftliche Zwecke grosse Anforderungen an die Schärfe der Unterscheidung stellen, zeigt sich das Auge als ungenügend. Das Mikroskop hingegen ist gerade solchen Zwecken auf das vollkommenste angepasst, aber eben dadurch für alle andern unbrauchbar. So ist diese Begriffsschrift ein für bestimmte wissenschaftliche Zwecke ersonnenes Hilfsmittel, das man nicht deshalb verurtheilen darf, weil es für andere nichts taugt.34

Der Begriffsschrift darf also nicht vorgeworfen werden, dass sie für die alltägliche Kommunikation ungeeignet ist, da sie ein spezialisiertes Werkzeug ist, dass nur für den Zweck des logischen Schließens geschaffen worden ist.

32

Frege 2008 [1892]: 25 [28]. Frege 2008 [1882]: 72 [52]. 34 Frege 1964 [1879]: XI [V]. 33

50

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

Die Alltagssprache dagegen ist für logische Zwecke ungeeignet, unter anderem durch ihre Vagheit. Doch gerade diese Eigenschaft macht sie flexibel und für verschiedene Zwecke einsetzbar.

4.2.2

Charles S. Peirce: Vagheit ist kein Kommunikationshindernis

Charles Sanders Peirce wird vor allem mit dem von ihm begründeten Pragmatismus in Verbindung gebracht, den er später in Pragmatizismus umtaufte, da die ursprüngliche Bezeichnung seiner Ansicht nach missbraucht worden war.35 In The Fixation of Belief (1877) und How to Make our Ideas Clear (1878) legt er den Grundstein für den Pragmatismus. Dessen Grundidee lautet, dass der Bedeutungsgehalt eines Begriffes dessen denkbarer Bezug auf die Lebensführung ist: „[…] a conception, that is, the rational purport of a word or other expression, lies exclusively in its conceivable bearing upon the conduct of life […].“36 Im Rahmen des Pragmatismus geht Peirce auch auf die Vagheit sprachlicher Ausdrücke ein. Er möchte das Problem der Vagheit in natürlichen Sprachen analysieren; den Logikern wirft er vor, dies bisher nicht getan zu haben: „Logicians have been at fault in giving vagueness the go-by, so far as even not to analyze it.“37 In Baldwins Dictionary of Philosophy and Psychology definiert Peirce Vagheit wie folgt: Vague (in logic) […] Indeterminate in intention. A proposition is vague when there are possible states of things concerning which it is intrinsically uncertain whether, had they been contemplated by the speaker, he would have regarded them as excluded or allowed by the proposition. By intrinsically uncertain we mean not uncertain in consequence of any ignorance of the interpreter, but because the speaker’s habits of language were indeterminate; so that one day he would regard the proposition as excluding, another as admitting, those states of things. Yet this must be understood to have reference to what might be deduced from a perfect knowledge of his state of mind; for it is precisely because these questions never did, or did not frequently, present themselves that this habit remained indeterminate.38

Diese Definition entspricht der Definition von Vagheit in der vorliegenden Arbeit. An anderer Stelle verwendet Peirce jedoch einen erweiterten Vagheitsbegriff, der auch die alltagssprachliche Verwendung von „Vagheit“ (als Generalität) einschließt. So ist nach Peirce auch der Satz „A man whom I could mention seems to be a little conceited.“39 vage. Peirce zufolge ist ein Zeichen in diesem Sinne vage (vague), wenn es die nähere Spezifizierung dem Spre35

Peirce 1960b: 5.414. Ebd.: 5.412. Ebd.: 5.446. 38 Peirce 1902: 748. 39 Peirce 1960b: 5.477. 36 37

Positionen zum Nutzen der Vagheit

51

cher überlässt. Dagegen ist es allgemein (general), wenn der Hörer diese Spezifizierung vorzunehmen hat.40 Daher kann dasselbe Zeichen nie in derselben Hinsicht vage und allgemein sein, da das Recht zur Spezifizierung nur entweder dem Hörer oder dem Sprecher zukommen kann.41 Eine vollkommene Spezifizierung ist jedoch nach Peirce nie möglich: „We can only say, in a general way, that a term, however determinate, may be made more determinate still, but not that it can be made absolutely determinate.“42 Sei zum Beispiel von Philipp II. von Makedonien die Rede, könne immer noch weiter spezifiziert werden, ob er in der fraglichen Situation etwa betrunken oder nüchtern gewesen sei.43 Oder der Satz „C. S. Peirce wrote this article.“ lässt offen, mit welcher Tinte der Artikel geschrieben wurde, welche Farbe sie hatte, wer sie hergestellt hat und Ähnliches.44 Hier setzt Peirce Vagheit mit Generalität gleich. Da jeder Mensch andere Erfahrungen gemacht hat, interpretiert auch nicht jeder die Wörter vollkommen gleich: „No communication of one person to another can be entirely definite, i.e., non-vague.“45 Vagheit ist aus der Logik ebenso wenig wegzudenken wie die Reibung aus der Mechanik, so Peirce.46 Je größer aber das Streben nach Präzision ist, desto unerreichbarer ist diese.47 In aller Regel ist Kommunikation nach Peirce jedoch auch mit vagen Ausdrücken möglich: Denn für den jeweils vorliegenden Zweck sind die verwendeten Ausdrücke präzise genug.48 Auch den strategischen Nutzen der – hier allerdings wieder als Generalität aufgefassten – Vagheit würdigt Peirce, genau wie später Russell: Je vager eine Aussage ist, desto schwieriger ist sie zu falsifizieren: „It is easy to be certain. One has only to be sufficiently vague.“49 Peirce äußert sich im Wesentlichen nur zum Nutzen der mangelnden Spezifizierung und der Generalität. Er räumt jedoch ein, dass semantische Vagheit kein Kommunikationshindernis darstellt; selbst dann, wenn das Ideal der vollkommenen Präzision immer noch angestrebt wird.

4.2.3

Max Black: Statistische Analyse

Max Black greift die von Russell im Jahr 1923 angestoßene Diskussion der Vagheit wieder auf. In seinem Aufsatz Vagueness – An exercise in logical analysis (1937) verfolgt er zwei Ziele. Zum einen verweist er als erster auf po40

Vgl. ebd.: 5.447 und 5.505. Vgl. ebd.: 5.506. 42 Peirce 1960a: 3.93. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. Peirce 1960b: 5.448, Anm. 1. 45 Ebd.: 5.506. 46 Vgl. ebd.: 5.512. 47 Vgl. ebd.: 5.506. 48 Vgl. ebd.: 5.448, Anm. 1. 49 Peirce 1960a: 4.237. 41

52

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

sitive Aspekte semantischer Vagheit. Zum anderen möchte er Vagheit mit Hilfe statistischer Analysen präzise beschreiben. Black betrachtet die Vagheit von Symbolen; darunter fallen unter anderem sprachliche Zeichen. Ihm zufolge ist Vagheit allgegenwärtig, auch in der Sprache der vermeintlich präzisen formalen Wissenschaften;50 denn alle Symbole, die wahrnehmbare Qualitäten bezeichnen, sind vage.51 Daher macht er es sich zum Ziel, eine angemessene Symbolik für Vagheit zu entwickeln, die deren Abweichung von der klassischen Logik aufnimmt. Wenn dies gelingt, muss Vagheit in seinen Augen auch nicht mehr als defizient betrachtet werden.52 Erst durch sie sei es möglich, dass Objekte, die sich minimal voneinander unterscheiden, unter denselben Begriff fallen.53 Zudem könne mit vagen Ausdrücken erfolgreich kommuniziert werden.54 Den Graubereich, für den unklar ist, ob ein bestimmtes Symbol angewendet werden kann oder nicht, nennt Black den fringe of application (Rand der Anwendung).55 Blacks Beispiel dafür ist das Wort „chair“, dessen SoritesVagheit im Gedankenexperiment vom Stuhl-Museum veranschaulicht wird: One can imagine an exhibition in some unlikely museum of applied logic of a series of ‚chairs‘ differing in quality by least noticeable amounts. At one end of a long line, containing perhaps thousands of exhibits, might be a Chippendale chair: at the other, a small nondescript lump of wood.56

Das Ausstellungskonzept dieses Museums basiert also auf einer Sorites-Folge: Die Exponate präsentieren sich in einer langen Reihe, in der nur ein einziges Merkmal verändert wird. In dem Museum stellt sich also die altbekannte Frage: Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen einem „chair“ und einem „nonchair“? Auch Black erkennt, dass das Problem nicht dadurch zu lösen ist, Grenzfälle einfach in den Graubereich zu verschieben, da sich hier wiederum das Problem der höherstufigen Vagheit ergibt.57 Black unterscheidet zudem Vagheit von Generalität und von Ambiguität – und wirft zugleich Russell vor, dies mit seiner Definition von Vagheit als Eins-zu-vielen-Relation nicht getan zu haben. Bei einem allgemeinen Symbol kann die Anwendung unklar sein, weil es auf vieles zutreffen kann; bei einem ambigen Symbol gibt es alternative Bedeutungen, die durch die gleiche phonetische Form ausgedrückt werden.58 Black nimmt an, dass vage Symbole prinzipiell durch Symbole einer höheren Präzisionsstufe ersetzt werden können, also zum Beispiel Farbausdrücke durch die Bezeichnung der Wellenlänge. Gleichzeitig räumt er jedoch ein: 50

Vgl. Black 1937: 428. Vgl. ebd.: 434. 52 Ebd.: 429. 53 Vgl. ebd.: 432f. 54 Vgl. ebd.: 440. 55 Vgl. ebd.: 430. 56 Ebd.: 433. 57 Vgl. ebd.: 434f. 58 Vgl. ebd.: 430. Vgl. dazu auch die Abgrenzung oben in Kapitel 2.2.3. 51

Positionen zum Nutzen der Vagheit

53

„[…] the vague symbol has a part to play in language which cannot be equally well performed by more accurate symbols from another level […].“59 Vagheit ist nach Black ein Anzeichen für den Grad, zu dem das beobachtbare Sprachverhalten einer postulierten Sprachgemeinschaft uneinheitlich wird. Bei eindeutigen Anwendungsfällen eines Prädikats sind sich die Sprecher einig, ebenso bei eindeutigen Nicht-Anwendungsfällen. Im Bereich der Grenzfälle divergiert das Sprachverhalten jedoch.60 Dabei sei die Variation in den Anwendungsentscheidungen jedoch nicht zufällig, sondern weise gewisse statistische Regularitäten auf.61 Wäre dies nicht der Fall, könnte der Kommunikationserfolg, der mit vagen Symbolen zu erzielen ist, Blacks Ansicht nach nicht erklärt werden. Daher sei Vagheit nichts Subjektives, also zum Kognitionsprozess Gehörendes, sondern könne durch eine statistische Analyse des Sprachgebrauchs beschrieben werden, durch die der Vagheitsgrad gemessen werden könne.62 Vagheit sei damit eine objektive Eigenschaft des Gegenstandes, auf den das vage Symbol angewendet werde.63 Black versucht, in seinem Aufsatz die Grundlage für die statistische Analyse der objektiven Vagheit des Gegenstandes zu schaffen. Er möchte den Graubereich der Extension eines vagen Symbols präzise erfassen: „The crude notion of the ‚fringe‘ is therefore replaced by a statistical analysis of the frequency of deviations from strict uniformity by the ‚users‘ of a vague symbol.“64 Um zu einer angemessenen Symbolik für Vagheit zu gelangen, möchte Black also die Variation im Grad der Unsicherheit eines oder mehrerer typischer Sprecher bei der Symbolanwendung messen. Diese Messung erfolgt in Form sogenannter Konsistenzprofile (consistency profiles).65 Zu diesem Zweck führt Black folgenden Formalismus ein: L ist ein vages Symbol, x ein Objekt, auf das L anwendbar ist (Lx) oder nicht anwendbar ist (~Lx).66 Der Sprecher trifft eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des Symbols auf das Objekt, die discrimination of x with respect to L, abgekürzt DxL. Diese Urteile sind für viele Objekte bei verschiedenen Sprechern gleich, bei anderen Objekten herrscht jedoch Uneinigkeit. Dabei treten allerdings Regularitäten auf, so dass die Uneinigkeit sich meist auf einen – unscharf begrenzten – Bereich (den oben erwähnten fringe of application) erstreckt. Nimmt man nun das Verhältnis m/n der Anzahl der Lx-Urteile (m) zu den ~Lx-Urteilen (n) für ein bestimmtes x, so erhält man mit dem Grenzwert, auf den das Verhältnis m/n bei unendlich vielen DxL-Urteilen und Sprechern (bzw. allen Sprechern einer Sprache) zuläuft, die consistency of application of 59

Ebd.: 429f. Vgl. ebd.: 430f. 61 Vgl. ebd.: 440. 62 Vgl. ebd.: 430f. 63 Vgl. ebd.: 440f. 64 Ebd.: 430. 65 Vgl. ebd.: 442f. 66 Vgl. ebd.: 435. 60

54

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

L to x, C(L,x). Die Liste der exakten Werte C(L,x) für alle x aus einer Reihe S ergäbe dann eine exakte Beschreibung der Vagheit von L. Diese kann man in einer Kurve darstellen und erhält somit das Konsistenzprofil von L für S. Die Konsistenzprofile verschiedener Prädikate lassen sich nach Black wiederum klassifizieren. Präzisere Symbole ergeben eine andere Art von Kurve als sehr vage Symbole.67 Die Konsistenzprofile sollen die bisherige Lx~Lx-Dichotomie ersetzen, die bei vagen Symbolen zum Problem der Wahrheitswertzuweisung führt, da bei ihnen unklar ist, ob Lx oder ~Lx wahr ist.68 Gegen Blacks statistische Analyse können jedoch einige Einwände geltend gemacht werden: (i.) Mathematische Probleme: Zunächst soll auf zwei mathematische Probleme bei der Grenzwertbetrachtung hingewiesen werden. Zum einen darf die Anzahl n der ~Lx-Urteile nicht 0 sein, da eine Division durch 0 nicht möglich ist. Dies wäre aber dann der Fall, wenn sich alle Sprecher über die Anwendbarkeit des Prädikats einig wären. Zum anderen ist fraglich, ob der Begriff des Grenzwerts nicht eine unzulässige Idealisierung ist, wenn eine statistische Analyse auf dem tatsächlichen Sprachgebrauch aufgebaut werden soll. Wird der Grenzwert von m/n als Grenzwert im mathematischen Sinne ernstgenommen, wird er nie erreicht, sondern es kann immer nur Annäherungen geben. Zugleich aber kann sich mit jedem hinzugefügten Sprecher das Resultat wieder ändern. Über die mathematischen Einwände hinaus stellen sich jedoch weitere Probleme: (ii.) Beschränkung auf Sorites-Vagheit: Blacks Modell berücksichtigt nur die Sorites-Vagheit, nicht die kombinatorische Vagheit. Denn die Statistik erfasst nur die Anwendung eines Prädikats auf einen Gegenstand, bei dem ein Merkmal sich kontinuierlich ändert. So ist auch in seinem Beispiel vom Stuhlmuseum der Weg vom Holzklotz zum Stuhl ein Weg der graduellen Veränderung, in dem die Gegenstände sich in eine Reihenfolge bringen lassen. Nur dann kann eine sinnvolle mathematische Funktion formuliert werden, bei dem jedem Gegenstand ein Urteil über die Begriffsanwendung zugewiesen wird. Eindeutige Fälle von Sitzgelegenheit verschiedener Art (Schreibtischstuhl, Lehnstuhl, Zahnarztstuhl) finden dort keinen Platz. Bei ihnen variieren mehrere Merkmale zugleich – diese Stühle wären nicht in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen.

67 68

Vgl. ebd.: 444. Vgl. ebd.: 446.

Positionen zum Nutzen der Vagheit

55

(iii.) Eingrenzung der zu befragenden Sprecher: Ein weiteres Problem, das Black selbst aufwirft, ist, welche Sprecher für die statistische Analyse herangezogen werden sollen: alle, die die Hochsprache beherrschen? Alle, die Englisch als Muttersprache haben? Müssen – etwa bei Farbbegriffen – Farbenblinde und Menschen mit besonderen Wahrnehmungsfähigkeiten ausgeschlossen werden?69 Diese Fragen führen über rein praktische Probleme bei der Datenerhebung hinaus. Denn eine Eingrenzung des befragten Personenkreises wird immer schon unter der Voraussetzung vorgenommen, bei diesem auf den ‚richtigen‘ Sprachgebrauch zu treffen. Bei der Auswahl der Befragten droht also ein Zirkel: Um die Variationsbreite eines Begriffs zu bestimmen, sollen Sprecher einer bestimmten Sprache befragt werden. Aber um diese Sprecher herauszugreifen, kann wieder nur ihr Sprachgebrauch als Kriterium herangezogen werden. (iv.) Ignorieren der intrasubjektiven Variabilität: Blacks Analyse vernachlässigt darüber hinaus ein charakteristisches Merkmal vager Prädikate: die intrasubjektive Variabilität. Blacks Statistik erfasst für jeden Sprecher in Bezug auf ein Prädikat nur einen einzigen Anwendungsfall. Für vage Prädikate ist jedoch, wie bereits erläutert, gerade kennzeichnend, dass ein und derselbe Sprecher ein Prädikat demselben Gegenstand mal zu- und mal absprechen kann. Diese Inkonsistenz ist ihm im Falle vager Prädikate nicht vorwerfbar, es sei denn, er nutzt die Vagheit strategisch, um sein Gegenüber zu manipulieren.70 Für diese intrasubjektive Variabilität lässt Black jedoch keinen Raum. (v.) Ignorieren der Überzeugtheit des Sprechers: In Blacks Befragung der Sprecher fehlt außerdem eine Angabe zur Überzeugtheit des Sprechers von seinem Urteil. Der Sprecher muss Stellung dazu nehmen, ob er ein Prädikat auf einen bestimmten Gegenstand anwendet oder nicht. Er kann sein DxLUrteil jedoch nicht relativieren oder einen geringen Überzeugtheitsgrad angeben. Auch eine Urteilsenthaltung ist nicht möglich. (vi.) Vernachlässigung höherstufiger Vagheit: Die exakte Lokalisierung des Graubereichs der Symbolanwendung ist auch bei Black wiederum willkürlich, während diese Willkür als Lösung des Vagheitsproblems doch gerade umgangen werden sollte. Dass es zu gewissen Regularitäten in der Verwendung vager Ausdrücke kommt und die Divergenzen zwischen Sprechern nicht in beliebigen Bereichen auftreten, ist ein Ergebnis der Konventionalität der Sprache; andernfalls wäre eine Verständigung gar nicht möglich. Den Graubereich aber wieder exakt eingrenzen zu wollen, ignoriert das Phänomen der höherstufigen Vagheit.

69 70

Vgl. ebd.: 447–449. Vgl. zu strategischer Vagheit Kap. 7.4.

56

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

(vii.) Exakte Klassifizierung der Konsistenzprofile: Schließlich will Black auch noch eine Klassifizierung der Konsistenzprofile nach dem Grad ihrer Präzision vornehmen. Diese erfolgt auf der Grundlage der Abweichung der Konsistenzprofile von gewissen idealen Kurven für sehr präzise und sehr vage Symbole. Hier liegt dann jedoch wieder genau das gleiche Klassifizierungsproblem vor wie bei den vagen Ausdrücken selbst: Denn wo sollen wiederum die Grenzen dieser Klassen gezogen werden? Es besteht also eine gewisse Spannung zwischen dem Eingeständnis, dass Vagheit kein Defekt sei, und dem Versuch, sie präzise beschreiben zu wollen.

4.2.4

Carl G. Hempel: Verletzung logischer Gesetze im Sprachgebrauch

Wenn der Wert der Vagheit betrachtet wird, darf der Sprachgebrauch nicht nach rein formallogischen Gesichtspunkten bewertet werden. Diesen Ansatz verfolgt auch Hempel: In seinem Aufsatz Vagueness and Logic (1939) geht er auf Blacks Analyse der Vagheit ein. Er übernimmt Blacks Auffassung, dass Vagheit in der Sprache allgegenwärtig sei, und zwar auch in der vermeintlich präzisen Wissenschaftssprache.71 Vagheit kommt seiner Meinung nach unter anderem dadurch zustande, dass Wörter mit Hilfe ostensiver Definitionen erlernt werden.72 Er teilt die Vagheitsdefinition von Black, nach der Vagheit durch die Existenz von Grenzfällen charakterisiert werden kann, bei denen unsicher ist, ob ein Symbol angewendet werden kann oder nicht. Hempel äußert sich nicht explizit zu einem Nutzen der Vagheit. Er betont jedoch, dass im Zusammenhang mit Vagheit nicht nur Symbol und Referent untersucht werden müssen, sondern dass auch der Symbolbenutzer berücksichtigt werden muss; dass Vagheit also nicht aus rein semantischer, sondern aus semiotischer Perspektive betrachtet werden muss:73 „[…] ‚vagueness‘ is what Prof. Morris calls a strictly semiotical term; its determination requires reference to the symbols, their users, and their designata.“74 Die Ebene des theoretischen sprachlichen Systems, bestehend aus Syntax und Semantik, darf nicht mit der Ebene des Sprachgebrauchs gleichgesetzt werden, kritisiert Hempel. Das theoretische System ist immer eine Abstraktion, die nicht direkt aus dem beobachtbaren Sprachverhalten abgeleitet werden kann, und es ist keine angemessene Beschreibung des Sprachverhaltens. Normative und deskriptive Ebene werden demnach unzulässigerweise miteinander identifiziert.75 Hempel führt als Beispiel an, dass man auch die Regeln des Schachspiels nicht nur durch Beobachtung herausfinden kann. Auf dem Weg 71

Vgl. Hempel 1939: 163. Vgl. ebd.: 170. Siehe dazu auch unten Kapitel 5.3.1. 73 Vgl. ebd.: 166 sowie 168. 74 Ebd.: 166 (Hervorhebung im Original). 75 Vgl. ebd.: 172f. 72

Positionen zum Nutzen der Vagheit

57

zur Regel muss man einige Beobachtungen als unwesentlich verwerfen, „such as the fact that before moving a chessman, a player will often frown thoughtfully, that a player when pronouncing the words ‚check-mate‘, displays in general more signs of pleasure than his partner, etc.“.76 Dementsprechend sind nach Hempel logische Prinzipien – nicht nur der klassischen Logik – keine angemessene Beschreibung des Sprachverhaltens. Sie gehören zur theoretischen Ebene, deren Regeln jedoch im Sprachgebrauch häufig verletzt werden, unter anderem durch Vagheit.77 Komplett von der Logik lösen kann man den Sprachgebrauch, entgegen Hempels Forderung, freilich nicht: Nur mit ihr ist es möglich, Argumentationsfehler aufzudecken, etwa durch das Aufzeigen von Widersprüchen. Andernfalls könnten durch den Verweis auf die Differenz von logischen Regeln und Sprachgebrauch Einwände gegen Argumentationsfehler immer beiseite gewischt werden.

4.2.5

Ludwig Wittgenstein: Kommunikation ohne scharfe Begriffsgrenzen

In den Kapiteln 2.1.2 und 2.4 wurde bereits Wittgensteins Theorie der Familienähnlichkeit erläutert und in Beziehung zur Sorites-Vagheit gesetzt: Nicht alle Begriffe werden, wie beim Sorites, quantitativ entlang einer einzigen Dimension verändert; vielmehr sind bei den meisten Begriffen verschiedene Eigenschaften maßgeblich dafür, ob ein Gegenstand unter einen Begriff fällt. Hierfür allerdings notwendige und hinreichende Bedingungen zu finden, ist oft nicht möglich. Die unter einen Begriff fallenden Gegenstände erfüllen nicht alle die gleichen Bedingungen, sondern haben jeweils verschiedenes gemeinsam, so wie Kinder unterschiedliche Eigenschaften ihrer Eltern erben. Die Kinder weisen dann nur wenige oder möglicherweise gar keine gemeinsamen Merkmale auf, genauer gesagt: Es gibt keine Gruppe von Eigenschaften, die einzeln notwendige und gemeinsam hinreichende Bedingungen dafür wären, sie als Kinder derselben Familie zu identifizieren. Kind 1 mag mit Kind 2 dieselbe Haarfarbe teilen, Kind 2 mit Kind 3 die Augenfarbe. Kind 1 und Kind 3 weisen vielleicht gar keine gemeinsamen Eigenschaften auf, aber eben eine Familienähnlichkeit: Wenn man die Geschwister zusammen sieht, kann man erkennen, dass sie zur gleichen Familie gehören. Diese Art von Vagheit, bei der es nicht nur um die quantitative Variation einer bestimmten Eigenschaft geht, wurde oben als kombinatorische Vagheit bezeichnet. Auch in der Diskussion historischer Positionen zum Nutzen der Vagheit darf Wittgenstein keinesfalls fehlen. Seine Äußerungen zur Nützlichkeit unscharfer Grenzen sind aus der Vagheitsdebatte kaum mehr wegzudenken. Andererseits sind sie auch mit Vorsicht zu betrachten: Wittgenstein hat keine explizite 76 77

Ebd.: 173. Vgl. ebd.: 173f.

58

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

Vagheitstheorie ausgearbeitet, und seine Position geht oft nicht über metaphorische Umschreibungen und rhetorische Fragen hinaus. Gerade wenn er die Metapher des Bildes benutzt, um Vagheit zu beschreiben, fehlt manchmal der Rückbezug zur Sprache. Diese Einschränkungen sollten nicht vergessen werden, wenn im Folgenden Wittgensteins Position zur Vagheit dargelegt wird. In den Philosophischen Untersuchungen (PU) kritisiert Wittgenstein die Philosophen, die eine präzise Idealsprache mit scharfen Abgrenzungen anstreben, die der natürlichen Sprache überlegen sein soll, so wie er selbst es im Tractatus logico-philosophicus (TLP) noch getan hatte. Ganz im Sinne der ordinary language philosophy stellt er nun jedoch fest, dass die normale Sprache durchaus ihren Zweck der Kommunikation erfüllt, auch wenn nicht jede Grenze scharf gezogen ist. Im Tractatus hatte Wittgenstein sich auf die Bestimmtheit des Sinns78 verpflichtet: Er übernahm die Auffassung Freges, dass ein Satz eine Funktion ist, die für jedes eingesetzte Argument einen Wert liefern muss, also vollständig definiert sein muss.79 Von dieser Forderung rückt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen ab. Dazu dient ihm das Konzept der Familienähnlichkeit. Er führt es am Beispiel des Prädikats „Spiel“ ein80 und erklärt, dass die fehlende scharfe Grenze des Begriffs für den Sprachgebrauch – und damit für die Bedeutung des Wortes – kein Problem darstellt: „Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort ‚Spiel‘ angewendet hast.)“81 Die Position Freges, dass ein unscharf begrenzter Begriff kein Begriff sei82, teilt Wittgenstein hier nicht mehr. So ist ja auch eine verschwommene Fotografie das Bild eines Menschen.83 Und nicht immer ist größtmögliche Exaktheit das, was gefordert ist. Wittgenstein fragt rhetorisch: „Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?“84 Ein solcher Fall liegt zum Beispiel vor, wenn sinnliche Wahrnehmungen beschrieben werden sollen: Die nicht-eliminierbare „Verschwommenheit in dieser Erfahrung“85 kann eher durch unscharf begrenzte Begriffe erfasst werden als durch Begriffe mit scharfen Grenzen. Wittgenstein greift Freges Vergleich eines Begriffs mit einem Bezirk auf, der ohne scharfe Begrenzung kein Bezirk ist; ebenso sei – so Frege – auch ein unscharf begrenzter Begriff kein Begriff. Dies weist Wittgenstein zurück, denn „[…] ist es sinnlos zu sagen: ‚Halte dich ungefähr hier auf!‘?“.86 78

Vgl. Wittgenstein TLP: § 3.23. Vgl. ebd.: § 3.318. Vgl. auch oben Kapitel 4.1.1. 80 Vgl. Wittgenstein PU: §§ 66f. 81 Ebd.: § 68. 82 Vgl. Frege 1903: § 56. 83 Vgl. Wittgenstein PU: § 71. 84 Ebd. 85 Wittgenstein PB: § 211. 86 Wittgenstein PU: § 71. 79

Positionen zum Nutzen der Vagheit

59

Als weiteres Beispiel nennt er die Anweisung, ein Brett zuzuschneiden: „Mach’ das Brett ungefähr 2 m lang.“ Muß ich, um das sagen zu können, Grenzen wissen, die den Spielraum dieser Länge bestimmen? Offenbar nicht. Genügt es nicht z.B. zu sagen: „der Spielraum ± 1 cm ist ohneweiteres erlaubt; ± 2 cm wäre schon zu viel“? – Es ist doch dem Sinn meines Satzes auch wesentlich, daß ich nicht imstande bin, dem Spielraum „genaue“ Grenzen zu geben.87

Und selbst wenn man einen Bezirk scharf begrenzen wollte: Womit sollte man es tun? „Etwa das Abgrenzen eines Bezirks mit einem Kreidestrich? Da fällt uns gleich ein, daß der Strich eine Breite hat.“88 Wittgenstein schlägt eine Farbgrenze als exaktere Grenze vor, wobei im Text unklar bleibt, was genau er damit meint. Möglicherweise soll der der Bezirk eine andere Färbung als die Umgebung erhalten. Wittgenstein fragt dann aber, ob diese Exaktheit überhaupt noch eine Funktion habe. Zudem müsse noch festgelegt werden, was als Überschreiten der scharfen Grenze gelte und wie dies zu messen sei.89 Wird eine scharfe Grenze gezogen, zum Beispiel beim Prädikat „Spiel“, so ist sie immer willkürlich: „Wenn einer eine scharfe Grenze zöge, so könnte ich sie nicht als die anerkennen, die ich auch schon immer ziehen wollte, oder im Geist gezogen habe. Denn ich wollte gar keine ziehen.“90 Wenn man zu einem unscharfen Bild ein entsprechendes scharfes entwerfen will, gibt es immer verschiedene Möglichkeiten, unscharfe Bereiche – zum Beispiel ein rotes Rechteck mit verschwommenen Grenzen – scharf abzubilden, so dass diese Abbildung eine „hoffnungslose Aufgabe“91 werden kann.92 Eine eindeutige Abbildung des unscharfen auf das scharfe Bild gibt es nicht. Die Kommunikation scheint auch ohne scharfe Begriffsgrenzen zu funktionieren. Als weiteres Beispiel hierfür führt Wittgenstein das Wort „Sessel“ an. Wie würde ein Sprecher reagieren, wenn der so bezeichnete Gegenstand plötzlich verschwände – und anschließend wieder auftauchte? Hast du für solche Fälle Regeln bereit, – die sagen, ob man so etwas noch „Sessel“ nennen darf? Aber gehen sie uns beim Gebrauch des Wortes „Sessel“ ab; und sollen wir sagen, daß wir mit diesem Wort eigentlich keine Bedeutung verbinden, da wir nicht für alle Möglichkeiten seiner Anwendung mit Regeln ausgerüstet sind?93

Ähnliche Szenarien entwarf kurze Zeit später Friedrich Waismann zur Illustration der open texture von Begriffen.94 Wichtig ist für Wittgenstein, dass im jeweils vorliegenden Fall klar ist, was gemeint ist: „Ich weiß, was ich mit dem vagen Satz meine.“95 Doch auf

87

Wittgenstein PG: 236 (Kapitel 8). Wittgenstein PU: § 88. 89 Vgl. ebd. 90 Wittgenstein PU: § 76. 91 Ebd.: § 77. 92 Vgl. ebd. 93 Ebd.: § 80. 94 Siehe oben Kapitel 3.2.3. 95 Wittgenstein TB: 22.6.15. 88

60

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

Nachfrage hin könnte der Sprecher unsicher werden: „Das zeigt, daß ich nicht wußte, was ich mit ‚liegen‘ im Allgemeinen meinte.“96 Dies demonstriert Wittgenstein auch am Beispiel des aufzuhäufenden Sandhaufens: „Mach mir hier einen Haufen Sand.“ – „Gut, das nennt er gewiß noch einen Haufen.“ Ich konnte dem Befehl Folge leisten, also war er in Ordnung. Wie aber ist es mit diesem Befehl: „Mach mir den kleinsten Haufen, den Du noch so nennst“? Ich würde sagen: das ist Unsinn; ich kann nur eine vorläufige obere und untere Grenze bestimmen.97

Die Bedeutung eines Wortes kann zwar nicht immer in alle denkbaren Richtungen begrenzt werden; darum wird das Wort aber nicht sinnlos.98 Dass es Grenzfälle gibt – oder auch nur geben könnte –, heißt nicht, dass es gar keine eindeutigen Fälle gibt: „Wenn die Grenze zwischen zwei Ländern strittig wäre, würde daraus folgen, daß die Landesangehörigkeit jedes einzelnen Bewohners fraglich wäre?“99 Wittgenstein kritisiert die Anhänger der formalsprachlichen Strömung, namentlich sein eigenes Frühwerk und den Mathematiker Frank P. Ramsey, die die Logik als „normative Wissenschaft“100 betrachten und den Sprechern einer Sprache feste Regeln vorschreiben, „als brauchte es den Logiker, damit er den Menschen endlich zeigt, wie ein richtiger Satz ausschaut“.101 Da aber Logik nicht von der natürlichen Sprache handelt, kann eine ideale Sprache höchstens konstruiert werden. Doch die Verwendung des Wortes „ideal“ hält Wittgenstein für „irreführend“, „denn das klingt, als wären diese Sprachen besser, vollkommener, als unsere Umgangssprache“.102 Dass ein Ausdruck „unexakt“ ist, macht ihn nicht unbrauchbar, so Wittgenstein. Die Frage ist nur, was überhaupt als Exaktheitsideal gelten soll; denn dieses ist vom konkreten Kommunikationszweck abhängig:103 Da kommt es also auf das an, was wir „das Ziel“ nennen. Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 0,001 mm? Ein Ideal der Genauigkeit ist nicht vorgesehen […].104

Auch die Sätze der normalen Sprache haben Sinn; dazu bedarf es nicht erst der Konstruktion einer idealen Sprache. Die Annahme Freges, dass eine unscharfe Begrenzung so gut wie gar keine sei, verwirft Wittgenstein; zu diesem Schluss komme man nur, wenn man vom Ideal geblendet sei.105

96

Ebd. Wittgenstein PG: 240 (Kapitel 8). 98 Vgl. Wittgenstein Z: 114–120. 99 Ebd.: 556. 100 Wittgenstein PU: § 81. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Vgl. ebd. 104 Ebd.: § 88 (Hervorhebung im Original). 105 Vgl. Wittgenstein PU: § 99f. 97

Positionen zum Nutzen der Vagheit

4.2.6

61

Friedrich Waismann: Vagheit entspricht den Sinneseindrücken

In Kapitel 3.2.3 wurde unter dem Aspekt der Vagheitsprobleme bereits auf Waismanns Theorie der open texture (Porosität der Begriffe) eingegangen, die sich mit der Möglichkeit der Vagheit, also mit dem möglichen Auftreten von Grenzfällen, befasst. Dass empirische Begriffe durch ihre Definitionen nicht in alle Richtungen abgegrenzt sind, weil nicht alle Grenzfälle vorhersehbar sind – wie zum Beispiel Gold, das eine unbekannte Strahlung aussendet –, ist für Waismann indes kein Nachteil: „This suffices for our present needs […].“106 Tritt ein nicht vorhergesehener Grenzfall auf, muss die Definition geändert werden; dadurch bleibt die Sprache entwicklungsfähig.107 Allerdings geht Waismann nicht nur auf mögliche, sondern auch auf aktual vorhandene Vagheit ein und stellt zunächst deren Wert bei der Versprachlichung erinnerter Sinneseindrücke heraus: Suppose a pattern-book were shown to me, and I was later asked whether this was the colour I had seen, perhaps I would not be able to decide. […] Notice that, in this case, it is quite natural to use a vague term (‚light colour‘) to express the indeterminacy of the impression. If language was such that each and every word was particular and each colour word had a definite, clearly defined meaning, we should find we could not use it.108

Waismann bezieht die Unbestimmtheit der Sinneseindrücke anfangs nur auf Situationen, in denen diese bereits der Vergangenheit angehören und nicht mehr überprüft werden können. In den Principles of Linguistic Philosophy (1965) erweitert Waismann seine These jedoch auch auf aktuelle Sinneseindrücke: „Or I look out into the rain. […] The picture of the rain I see is blurred.“109 Für die Menge der Regentropfen, die der Sprecher sieht, eine exakte Sprache zu verwenden, ist ein Fehler, denn eine präzise Beschreibung mit der Anzahl der Regentropfen gibt nicht den Eindruck wieder, den er hat. Dies können die vagen Ausdrücke der natürlichen Sprache viel besser, beispielsweise mit einer Äußerung wie „Ich sehe viele Regentropfen.“110 Und so sieht Waismann auch das Bedürfnis nach größerer Exaktheit in der Alltagssprache schwinden: If we consider how we operate with the ‚inexact‘ words of everyday language, in definite situations […] then we no longer feel the artificial need for exactness, we begin to see that our ordinary language achieves just what we wanted it to.111

Denn auch wenn das Farbmusterbuch noch vorliegt oder der Sprecher Sterne am Himmel sieht (und sich nicht nur daran erinnert), ist fraglich, ob seine diskriminativen Fähigkeiten ausreichen, um bestimmte Farbtöne voneinander zu 106

Waismann 1993 [1951]: 120. Vgl. ebd. 108 Waismann 1993 [1953]: 21. 109 Waismann 1965: 210. 110 Vgl. ebd. 111 Ebd.: 211. 107

62

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

unterscheiden bzw. alle Sterne zu zählen. Was letzteres betrifft, so liegt hier zumindest ein zeitökonomisches Problem vor: Es würde einfach zu lange dauern, die Sterne zu zählen; ob dieses Unterfangen überhaupt von Erfolg gekrönt wäre, wäre zudem zweifelhaft. Nicht alle Sterne sind gleich gut sichtbar; während des Zählens werden wieder andere Sterne sichtbar etc. Wäre man in diesen Fällen auf eine nicht-vage Sprache angewiesen, könnte dies in der Tat zu Problemen bei der Sprachverwendung führen. Dabei übersieht Waismann jedoch nicht, dass es in bestimmten Situationen durchaus eine Notwendigkeit für größere Exaktheit geben kann. In der Alltagskommunikation ist sie indes meistens nicht gegeben.112

4.2.7

Willard Van Orman Quine: Vagheit als „Laune des Bezeichnens“

Willard Van Orman Quine zählt Vagheit in seinem Buch Wort und Gegentand (Word and Object) (1960, dt. 1980) zu den „Launen des Bezeichnens“113 („Vagaries of Reference“114) bzw. den „Unbestimmtheiten und Unregelmäßigkeiten des Bezeichnens“.115 Genau wie die bekannteren von Quine beschriebenen Un- bzw. Unterbestimmtheiten der Übersetzung, der Referenz und der wissenschaftlichen Theorie116 ist Unbestimmtheit in Form von Vagheit nicht durch Experimente oder Beobachtungen aufzulösen. Allerdings betrifft dieses Problem bei Vagheit nicht nur die Perspektive des externen Beobachters, der eine fremde Sprache erforscht, sondern auch den Sprecher der Sprache selbst. Quine ist nicht der Meinung, dass die Sprache wegen Unregelmäßigkeiten wie Vagheit reformiert werden müsse, denn die Kommunikation funktioniert ihrer ungeachtet sehr gut, auch wenn es bisweilen zu Missverständnissen kommt: „Tagtäglich paraphrasieren wir unsere Sätze unter dem Druck mißlingender Kommunikation bzw. wenn solches Mißlingen droht; daran sind wir gewöhnt, und auf diese Weise können wir auch fortfahren.“117 In seinem Aufsatz What Price Bivalence? (1981) spricht Quine sich dafür aus, aus Gründen der Einfachheit an der zweiwertigen Logik festzuhalten, allerdings unter der Bedingung, dass man sich der Kosten – nämlich der Probleme mit Vagheit und Unbestimmtheit – bewusst ist.118 Vagheit ist für Quine ein Resultat des Wortschatzerwerbs;119 im frühen Stadium des Spracherwerbs spielt sie „eine wesentliche Rolle“.120 Quine geht

112

Ebd. Quine 1980: 222. Quine 1960: 125. 115 Quine 1980: 222. 116 Für einen Überblick über die drei Arten der Unbestimmtheit vgl. Keil 2002: 75–86. 117 Quine 1980: 222. 118 Vgl. Quine 1981: 91. 119 Vgl. Quine 1980: 222. 120 Ebd.: 156. 113 114

Positionen zum Nutzen der Vagheit

63

hier vom behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema aus: Der Sprecher reagiert mit einer verbalen Reaktion auf einen äußeren Reiz, zum Beispiel mit dem Wort „rot“ auf etwas, das rot ist. Quine beschreibt den Wortschatzerwerb als „gesellschaftliche Abrichtung“ oder „Dressur durch die Gesellschaft“:121 Andere Menschen belohnen es, wenn auf einen Reiz mit dem richtigen Wort reagiert wird, und sie missbilligen oder bestrafen es, wenn die verbale Reaktion unangemessen ist.122 Die Reize, die die gleiche Reaktion auslösen, sind jedoch nicht scharf abgegrenzt, „sondern um eine zentrale Norm verteilt“.123 Hier wird also im Spracherwerb die Grundlage für vage Ausdrücke gelegt.124 Quine schreibt sowohl generellen Termen (Prädikaten) als auch singulären Termen Vagheit zu. Ein singulärer Term ist vage, wenn die raumzeitlichen Grenzen des durch ihn bezeichneten Objekts unscharf sind. Ein genereller Term ist auf zwei Arten vage: Zum einen, weil er die Vagheit der singulären Terme „erbt“, zum anderen, weil die Grenzen seiner Extension unscharf sind.125 Quine illustriert dies am Beispiel des generellen Terms „Berg“: Er ist vage im Hinblick darauf, wieviel Gelände jedem der unbestreitbaren Berge zuzurechnen ist, und er ist auch vage im Hinblick darauf, welche weniger hohen Bodenerhebungen überhaupt zu den Bergen zu zählen sind.126

Besonders ausgeprägt ist Vagheit bei Adjektiven; ein Teil davon lässt sich allerdings beheben, indem die richtige Kontrastklasse herangezogen wird (etwa „groß für einen Elefanten“ im Gegensatz zu „groß für eine Ameise“). Auch Quine hält es indes für fraglich, ob die Kontrastklassenabhängigkeit überhaupt als Vagheit bezeichnet werden sollte. Denn: „Diese Relativität in Bezug auf Klassen ist nicht Vagheit, sondern synkategorematischer Gebrauch […].“127 Dieselbe Abgrenzung wurde bereits oben im Zusammenhang mit den kontextualistischen Vagheitstheorien vorgenommen.128 Zudem können Adjektive dadurch „unter Kontrolle“ gebracht werden, dass man sie im Komparativ verwendet: „Insoweit wir uns damit zufriedengeben können, das eine Ding grüner zu nennen als das andere, brauchen wir uns über den vagen Grünteil des Spektrums keine Sorgen zu machen […].“129 Dieses Verfahren könnte jedoch, wie Quine einräumt, in manchen Fällen zu kompliziert sein, zum Beispiel wenn bei der Erwähnung eines Teils der Zugspitze

121

Ebd.: 24f. Vgl. ebd.: 24. Ebd.: 156. 124 Auf Vagheit als Resultat des Wortschatzerwerbs wird in Kapitel 5 ausführlich eingegangen. 125 Vgl. Quine 1980: 223. 126 Ebd.: 223f. 127 Ebd.: 224. 128 Siehe oben Kapitel 3.3.4. 129 Quine 1980: 225. Siehe zur Verwendung komparativer Prädikate auch unten Kapitel 7.5.6. 122 123

64

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

jedes Mal die Entfernung des gemeinten Punktes vom Gipfel gemessen werden müsste.130 Vagheit muss nach Quines Meinung nicht in jedem Fall behoben werden: „Es dient oft einem guten Zweck, die Vagheit unangetastet zu lassen. Vagheit und Genauigkeit schließen einander keineswegs aus.“131 So könne ein Maler durch das Mischen von Farben eine genauere Wiedergabe erreichen als ein Mosaikleger mit einer eingeschränkten Anzahl von Steinen.132 Dabei hält Quine übrigens fest: Bei den Sätzen, die vage Prädikate enthalten, liegt kein Problem bei der Wahrheitswertzuweisung vor, wenn gerade kein Grenzfall betrachtet wird. Werden Grenzfälle aber wichtig, „dann üben sie Druck aus, eine neue Sprachkonvention oder Verwendungsweise einzuführen, durch die die Vagheit in ihrem relevanten Teil behoben wird“.133 Als Beispiele dafür nennt Quine die Rechtswissenschaft134 und „Verzeichnisse der höchsten Berge, der längsten Flüsse usw.“.135 Bis sich dieser Druck ergibt, sollte man die Vagheit jedoch bestehen lassen, „denn vorerst können wir nicht so gut beurteilen, welche Reformen zum nützlichsten Begriffsschema führen“.136 Denn wie für Wittgenstein, Waismann und den im folgenden Abschnitt behandelten Schaff geht auch für Quine die Forderung einer Präzisierung der Sprache fehl, solange der Kommunikationszweck nicht benannt ist, für den die Präzisierung des Ausdrucks benötigt wird.

4.2.8

Adam Schaff: Der Kommunikationszweck ist entscheidend

Der polnische Philosoph Adam Schaff wendet sich in seinem Aufsatz Unscharfe Ausdrücke und die Grenzen ihrer Präzisierung (1969) ebenfalls dagegen, Vagheit als einen Defekt natürlicher Sprachen anzusehen. Vagheit kommt seiner Auffassung nach dadurch zustande, dass die veränderliche Wirklichkeit „in den starren Rahmen der Klassifikationen“137 gepresst wird. Eine Sprache im Sinne des Logischen Atomismus, in der ein-eindeutige Relationen zwischen den Ausdrücken und den atomaren Fakten bestehen, „müßte katastrophal in ihren Auswirkungen sein“138, da sie in der Alltagskommunikation eher ein Hindernis als eine Errungenschaft sei.

130

Vgl. Quine 1980: 225. Ebd.: 226. 132 Vgl. ebd. 133 Ebd.: 227. 134 Zu Vagheit im Recht siehe unten Kapitel 9. Die im Recht gezogenen scharfen Grenzen gelten jedoch in der Regel nur für juristische Zwecke und finden keinen Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch. 135 Quine 1980: 227. 136 Ebd. 137 Schaff 1968: 79. 138 Ebd.: 80. 131

Zusammenfassung der historischen Positionen

65

Schaff sieht die Idee einer vollkommenen Sprache als „zum Mißlingen verurteilt“139 an. Wie schon Wittgenstein es getan hatte, stellt er fest, dass es nicht das eine Präzisionsideal geben kann. Der Maßstab ist immer der mit einem sprachlichen Ausdruck verfolgte Zweck: „Es geht dabei um das volle Bewußtsein, daß die Grenzen der notwendigen Exaktheit eine Funktion des praktischen oder theoretischen Ziels sind, das wir uns stecken.“140 Daher kann auch für wissenschaftliche Zwecke „die Fiktion einer idealen Exaktheit bewußt eingeführt“141 werden. In diesem Zusammenhang lobt Schaff die formalisierten Sprachen auch als „große wissenschaftliche Errungenschaft“142, die aber eben „nur für bestimmte Forschungszwecke notwendig und somit nützlich“143 sind. Im Alltag ist eine solche Sprache indes „nicht nur unnötig, sondern geradezu hinderlich“.144 Schaff vergleicht sie mit Elektronenmikroskop-Messungen: Im alltäglichen Handeln würden sie eher behindern als nützen. Ähnlich wie Wittgenstein erklärt hatte, dass der Name der „idealen Sprache“ irreführend sei, da er alle anderen Sprachen als defizient erscheinen ließe,145 spricht sich Schaff gegen die Bezeichnung „vollkommene Sprache“ aus: „Nach den bisherigen Erörterungen kann man auf den Namen einer ‚vollkommenen Sprache‘ schmerzlos verzichten. Sie ist einfach ein Mythos.“146 Dieses scharfe Urteil über ein ganzes sprachphilosophisches Paradigma hat auch und gerade mit dessen Überbewertung der Präzision der Sprache zu tun. Denn ihre Präzision sagt nichts darüber aus, inwieweit eine Sprache für den jeweils konkret vorliegenden Kommunikationszweck geeignet ist.

4.3

Zusammenfassung der historischen Positionen

Der zurückliegende Überblick über historische Positionen zum Nutzen der Vagheit hat gezeigt, dass es in der gesamten neueren Debatte um Vagheit Philosophen gibt, die der Vagheit natürlicher Sprachen etwas abgewinnen können. Sogar Frege und Russell, die für die Zwecke der formalen Logik eine präzise, nicht-vage Sprache fordern und entwickeln, räumen ein, dass diese für alltägliche Zwecke nicht geeignet sei. Frege stellt überdies positive Aspekte der Vagheit heraus, durch die die natürliche Sprache – wie ein unspezialisiertes Werkzeug – flexibel und vielfältig einsetzbar sei. Hempel und Quine sehen eine Ursache für die Vagheit im Wortschatzerwerb, da Wörter ostensiv an 139

Ebd.: 90. Ebd.: 91. 141 Ebd. 142 Ebd.: 92. 143 Ebd. 144 Ebd.: 90. 145 Vgl. Wittgenstein PU: § 81. 146 Schaff 1968: 91. 140

66

Historische Positionen zum Nutzen der Vagheit

Beispielen erlernt werden, die keine scharf abgegrenzte Klasse bilden. Peirce, Black, Wittgenstein, Waismann und Quine betonen, dass Kommunikation im Alltag mit vagen Sprachen sehr gut funktioniert, zum Teil sogar besser, als es mit einer nicht-vagen Sprache der Fall wäre; so zum Beispiel bei der Beschreibung von Sinneserfahrungen. Entscheidend ist letztlich immer, so Wittgenstein, Waismann, Quine und Schaff, welches Kommunikationsziel mit einer konkreten Äußerung verfolgt wird. Davon hängt ab, welcher Grad an Präzision nötig ist. Ist er zu hoch, kann er die Kommunikation genauso behindern wie zu große Vagheit; darum kann Vagheit durchaus von Nutzen sein. Der Überblick über die historischen Positionen hat jedoch auch gezeigt, dass es an einer systematischen Untersuchung des Nutzens der Vagheit mangelt. Die positiven Seiten der Vagheit werden rhetorisch häufiger in Anspruch genommen, als dass sie argumentativ untermauert werden. Dem, was die historischen Positionen in dieser Hinsicht vermissen lassen, gehen die folgenden Kapitel systematisch nach.

5

Vagheit und Spracherwerb

Im Wortschatzerwerb beim Erlernen der Erstsprache werden keine scharfen Begriffsgrenzen vermittelt. Dies zu zeigen, ist das Ziel des vorliegenden Kapitels. Vor allem ostensives Lernen und die darauf aufbauende Induktion spielen dabei eine wichtige Rolle; darauf weisen, wie oben bereits erwähnt, schon Quine und Hempel hin. Hempel stellt fest, dass durch diese Art des Lernens keine scharfen Grenzen gezogen werden, wie er anhand seines „Gelb-Grün“-Beispiels erläutert: In fact, it may be that on account of the speaking habits of the persons in his environment, the first observer has been trained, from his childhood, to use the term ‚yellow‘ in a rather liberal way so as to cover, say, certain shades which the other observer has been trained to term ‚green‘; besides, neither of the observers – just like any other person learning his mother tongue – will have been taught to draw a sharp border-line between yellow and not-yellow shades; and these two features are characteristic for what is called the vagueness of the term ‚yellow‘.1

Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Spracherwerbsforschung die letztgenannte These Hempels stützt, also ob das Fehlen scharfer Grenzen ein Resultat des Spracherwerbs ist. Zunächst sollen dazu einige Ergebnisse der empirischen Spracherwerbsforschung zum Wortschatzerwerb aufgeführt werden (Kapitel 5.1). Im Wortschatzerwerb spielt die Überdehnung von Begriffen eine wichtige Rolle; sie macht sich die unscharfen Grenzen zunutze, so dass Kinder Überdehnung als kommunikative Strategie einsetzen können (Kapitel 5.2). Verschiedene Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb (Kapitel 5.3) sorgen zudem dafür, dass scharfe Grenzen auch nicht erlernt werden können (Kapitel 5.4).

5.1

Allgemeine Annahmen über den Wortschatzerwerb

Die ersten Wörter sind bei Kindern zwischen dem 10. und dem 21. Lebensmonat zu beobachten;2 Kinder können allerdings schon mehr Wörter verstehen, als sie produzieren können.3 Mit durchschnittlich 18 Monaten kann das Kind 50 Wörter produzieren, wobei es hier allerdings große individuelle Unterschiede gibt. Wenn die Schwelle von 50 bis 100 Wörtern erreicht ist (etwa in einem Alter zwischen 17 und 28 Monaten), kann der sogenannte Wortschatzspurt (Vokabelspurt, vocabulary spurt, naming explosion) einsetzen: Der Wortschatz erweitert sich ab dieser Schwelle sehr schnell. Dies ist vor al1

Hempel 1939: 169f. Für eine Übersicht über den kindlichen Spracherwerb vgl. etwa Dittmann 2010 und Szagun 2006. 3 Vgl. Szagun 2006: 123. 2

68

Vagheit und Spracherwerb

lem bei Kindern der Fall, die zunächst vorwiegend Substantive erlernen, den sogenannten referentiellen Kindern. Das Vokabular der anderen Kinder, sogenannter pronominaler Kinder, weist weniger Substantive, aber dafür mehr Funktionswörter, Verben und Adjektive auf; dieser Wortschatz wächst dann jedoch nicht so schnell. Der Wortschatzspurt setzt also nicht bei allen Kindern gleichermaßen ein; beobachtet werden auch lineare Verläufe oder mehrere kleine Spurtabschnitte.4 Manche Spracherwerbsforscher interpretieren diese Beobachtung sogar dahingehend, dass der Wortschatzspurt gar nicht existiere. So erklärt Bloom: „The word spurt is a myth.“5 Im Durchschnitt beherrschen Zweijährige aktiv etwa 300 Wörter, Dreijährige über 500, Sechsjährige etwa 5000.6 Dieser schnelle Zuwachs wird durch die Theorie des fast mapping von Carey und Bartlett7 erklärt: Auch nur einmalig erfasste Laut- und Bedeutungsinformationen werden miteinander assoziiert und im Gedächtnis gespeichert. So genügt oft schon eine einzige Benennungssituation, damit das Kind das Wort in seinen Wortschatz aufnimmt. Bei den meisten Kindern enthält der frühe Wortschatz vor allem Substantive, die Objekte aus der unmittelbaren Umgebung bezeichnen:8 Personen (Mama, Papa), Spielzeuge, Haushaltsgegenstände, Körperteile, Kleidungsstücke, Fahrzeuge, räumliche Bezeichnungen, Wörter für Bewegung, für soziale Routinen (wie zum Beispiel für das Verabschieden) sowie onomatopoetische Ausdrücke. Verben werden vor allem in Bezug auf eigene Tätigkeiten gebraucht (gehen, essen), und auch Adjektive stammen aus der direkten Erfahrung (groß, heiß).9 Im dritten Lebensjahr kommen Wörter für innere Zustände hinzu.10

5.2

Überdehnung als kommunikative Strategie

Die Wortbedeutungen der früh erlernten Wörter sind noch instabil. Im Alter von etwa 12 bis 36 Monaten kommt es zu Übergeneralisierungen (auch: Überdehnungen) und Untergeneralisierungen (auch: Unterdehnungen).11 Dabei wird ein Prädikat entweder für eine größere oder für eine kleinere Klasse von Objekten verwendet, als es im Wortschatz der Erwachsenen der Fall ist. So werden beispielsweise alle vierbeinigen Tiere „Wauwau“ genannt (Übergeneralisierung); es kann jedoch auch der umgekehrte Fall eintreten, dass das Wort nur für einen bestimmten Hund verwendet wird (Untergeneralisierung). 4

Vgl. zum Wortschatzspurt Szagun 2006: 117–120. Bloom 2000: 35. 6 Vgl. Kauschke 1999. 7 Vgl. Carey/Bartlett 1978. 8 Vgl. Szagun 2006: 114f. sowie Clark 1993. 9 Vgl. Szagun 2006: 115 und Szagun 2002: 312. 10 Vgl. Szagun 2002: 313. 11 Vgl. Szagun 2006: 136. 5

Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb

69

Die Übergeneralisierung erfolgt aufgrund der Ähnlichkeit verschiedener perzeptueller Merkmale der Objekte. Nach Clark (1978) sind es vor allem wahrnehmbare, oft visuelle, Eigenschaften wie Bewegung, Form, Farbe, Größe, Geschmack, Konsistenz; es können jedoch auch emotionale, funktionale oder lokative Eigenschaften sein, die übereinstimmen.12 Experimente haben allerdings ergeben, dass Kinder manche Wörter, die sie in der Sprachproduktion übergeneralisieren, durchaus mit ihrer differenzierten Bedeutung verstehen können.13 Sie wissen also, dass Unterschiede zwischen zwei Gegenständen bestehen, die sie mit dem gleichen Wort benennen. Clark vermutet dahinter eine kommunikative Strategie: Es wird in der Produktion einfach das nächste angemessen erscheinende Wort verwendet.14 Bloom drückt es so aus: „It is almost as if the child were reasoning, ‚I know about dogs, that thing is not a dog, I don’t know what to call it, but it is like a dog!‘“15 Dafür spricht auch der Befund, dass die Übergeneralisierung auf bestimmte Objekte häufig verschwindet, wenn das Kind einen neuen Namen für diese gelernt hat.16 Wenn das Kind Prädikate übergeneralisiert, wird es von seiner Umgebung in den meisten Fällen verstanden. Diese kommunikative Strategie ist also offenbar erfolgreich: Es ist effektiver, ein Prädikat zu überdehnen, als mangels eines angemesseneren Wortes ganz auf die Äußerung zu verzichten oder viel Zeit mit der Suche nach dem treffendsten Ausdruck zu verbringen. Dies gilt möglicherweise nicht nur für Kinder. Derselben Strategie könnten sich auch sonstige Sprachverwender bedienen. Da der Wortschatz hier aber größer ist, müssen Begriffe nicht mehr so weit überdehnt werden, dass es zu einer echten Übergeneralisierung kommt. Vielmehr werden die unscharfen Grenzen des Begriffes ausgenutzt, also seine Vagheit: Der Rezipient versteht die Äußerung auch noch, wenn das Prädikat ein Objekt im Grenzbereich seiner Extension bezeichnet. (Auf dieses Phänomen wird wird in Kapitel 7.2.2 unter dem Stichwort der Flexibilität ausführlich eingegangen.)

5.3

Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb

Kinder lernen also schon früh, dass es bei der Verwendung von Prädikaten durchaus Spielräume gibt und dass ein Sprecher trotz Begriffsüberdehnung verstanden werden kann. Die Notwendigkeit einer scharfen Grenzziehung stellt sich also in der Regel nicht. Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Beim 12

Vgl. ebd.: 136f. und Bloom 2000: 159f. Für eine Übersicht vgl. Kuczaj 1986: 101f. Vgl. Clark 1993: 35. 15 Bloom 1973: 79. 16 Vgl. Barrett 1986: 53f. 13 14

70

Vagheit und Spracherwerb

Spracherwerb werden keine scharfen Grenzen des Begriffsumfangs vermittelt. Dies hängt damit zusammen, dass die Prädikate und Begriffe um eine „zentrale Norm“17 herum gelernt werden, vor allem durch Ostension oder ähnliche Konfrontationen mit Objekt und Bezeichnung. Von dieser zentralen Norm aus muss das Kind das Prädikat induktiv auf weitere Mitglieder der Extension ausweiten, denn, so Rohit Parikh, „[the] mother is busy and does not have the time to discuss with the child all the objects that it will encounter in its life“.18 Eine präzise Anwendungsgrenze für Prädikate entsteht durch die Extrapolation von einer zentralen Norm aus nicht. Im Folgenden wird untersucht, welche Rolle Ostension im Spracherwerb spielt, welchen Einfluss die Unerforschlichkeit der Referenz und die geringe Größe des beobachteten Extensionsausschnitts auf das Lernen (un)scharfer Grenzen haben und wie die Prototypentheorie den Spracherwerb anhand zentraler Normen beschreibt.

5.3.1

Ostension im Spracherwerb

Die Ostension ist eine in Westeuropa und Nordamerika typische Wortlernsituation. Ein Erwachsener – meist die Eltern – führt eine Zeigegeste aus und nennt das betreffende Wort. Diese Art des Lernens ist vor allem für sehr kleine Kinder wichtig, die die Sprache noch nicht so weit beherrschen, dass sie eine Worterklärung verstehen könnten.19 Die Ostension ist Teil der an das Kind gerichteten Sprache (KGS; auch child directed speech, CDS; früher auch motherese), die sich unter anderem durch eine geringe Sprechgeschwindigkeit, eine hohe Tonlage, eine große Anzahl von Inhaltswörtern (Substantive und Verben), Wiederholungen und Kürze auszeichnet.20 Diese spezielle Art der Kommunikation mit Kindern ist jedoch nicht in allen Kulturen verbreitet, da Kinder aus verschiedenen Gründen nicht überall als „angemessene Gesprächspartner“21 gelten. Die Quiché Maya beispielsweise halten ihre Kinder für zu verletzlich, um direkt angesprochen zu werden; auf Samoa nehmen Kinder einen geringeren Status ein, weshalb die Sprache nicht an ihre Bedürfnisse angepasst wird; in der afroamerikanischen ländlichen Trackton-Gemeinschaft ist man der Meinung, dass Kinder nicht belehrt werden könnten, sondern die Welt selbst entdecken müssten.22 Auch die Kaluli auf Papua-Neuguinea richten ihre Sprache zunächst nicht direkt an die Kinder.23 Dennoch werden die Kinder auch in solchen Kulturen mit Bezeichnungen für ihre Umgebung konfrontiert, da sie die meiste Zeit mit Erwachsenen und älteren Kindern verbringen, die 17

Quine 1980: 156. Parikh 1994: 523. 19 Vgl. Markman 1989: 19. 20 Vgl. Szagun 2006: 174. 21 Ebd.: 179. 22 Vgl. Lieven 1994: 61f. 23 Vgl. Schieffelin 1985: 530f. 18

Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb

71

untereinander darüber reden, was sie gerade tun oder was das Kind gerade macht.24 Auch reden die Kaluli nicht mit dem Kind, aber häufig für es in einer höheren Tonlage, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.25 Lieven stellt die These auf, dass KGS in solchen Kulturen genau darum nicht notwendig ist, weil die Kinder mit mehr Sprache konfrontiert werden als in den für viele Industrieländer typischen Mutter-Kind-Dialogen: „Children in these cultures are immersed in a structure of meaning which may well need less articulation in terms of Baby Talk directed at them precisely because they are a much more integral part of it.“26 So muss die folgende Feststellung von Bloom relativiert werden, der sich explizit auf die Kaluli bezieht: „In some cultures, this sort of ostensive labeling does not occur, and if children waited for adults to name objects that they were attending to, they would wait forever.“27 Indem die Äußerungen der Kaluli sich häufig auf das Hier und Jetzt beziehen,28 benennen sie Objekte, auf die die Aufmerksamkeit des Kindes gerichtet ist, auch wenn dies nicht als Ostension im strengen Sinne bezeichnet werden kann. Die induktive Leistung der Extensionserweiterung muss jedoch auch hier erbracht werden. Vagheit ist zugleich Bedingung und Resultat des ostensiven Wortschatzerwerbs: Eine Bedingung, weil beim Lernen durch Ostension scharfe Extensionsgrenzen hinderlich wären, da die Anwendbarkeit eines Prädikats vom Kind sofort erfasst werden muss.29 Ein Resultat, weil durch die Ostension keine scharfen Begriffsgrenzen vermittelt werden. Dies heißt jedoch nicht, dass Kinder ein Wort nach einer einmaligen ostensiven Lernsituation korrekt beherrschen; wie oben bereits ausgeführt, kommt es zur Über- und Untergeneralisierung, bevor der induktive Lernprozess abgeschlossen ist.

5.3.2

Unerforschlichkeit der Referenz

Im Folgenden wird auf zwei Probleme eingegangen, die die Erweiterung des Prädikats auf andere Objekte für das Kind erschweren: die Unerforschlichkeit der Referenz und – im folgenden Abschnitt – die geringe Größe des dargebotenen Ausschnitts der Extension.

24

Vgl. ebd. Vgl. Lieven 1994: 60. 26 Lieven 1994: 63. 27 Bloom 2000: 59. 28 Vgl. Schieffelin 1985: 531. 29 Vgl. Quine 1981: 91: „[…] any term must be vague if it is to be learned by ostension, since its applicability must admit of being judged on the spot and so cannot hinge on fine distinctions laboriously drawn.“ 25

72

Vagheit und Spracherwerb

Die These von der Unerforschlichkeit der Referenz stammt von Quine.30 In seinem Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung31 geht es nicht um den kindlichen Spracherwerb, sondern um einen Forscher, der nur durch Beobachtung einer Sprachgemeinschaft ein Wörterbuch einer ihm völlig fremden Sprache erstellen soll. In seinem bekannten Beispiel läuft ein Kaninchen in Sichtweite des Forschers und eines Eingeborenen vorbei. Letzterer äußert angesichts dessen den Ausdruck „gavagai“. Was wäre nun die Entsprechung zu „gavagai“ im Wörterbuch des Forschers? Die erste Hypothese wäre sicher „Kaninchen“ oder „Sieh da, ein Kaninchen!“.32 Aber es könnte genauso gut „Kaninchengottheit“, „unzusammenhängende Kaninchenteile“, die das Kaninchen ständig begleitende „Kaninchenfliege“ oder noch etwas anderes sein, denn: „Zeigt man auf ein Kaninchen, so hat man auch auf ein Kaninchenstadium, auf einen integralen Kaninchenteil, auf die Verschmelzung der Kaninchen sowie auf eine Manifestation der Kaninchenheit gezeigt.“33 (Ebenso könnte der Eingeborene übrigens auch geäußert haben „Schau!“ oder „Mir ist langweilig.“34) Ähnlich ist die Situation des lernenden Kindes: Es ist mit einer Vielzahl von Objekten konfrontiert, die ihrer Benennung harren und auf die sich das vom Erwachsenen genannte Wort beziehen könnte. Um dieser „blooming, buzzing confusion“35 Herr zu werden, muss das Kind Hypothesen darüber bilden, was denn mit einem neuen Wort, das es hört, bezeichnet wird. Denn allein durch die zugänglichen Sinnesreize ist die Referenz des Wortes unterbestimmt. Dazu, die Zahl der Hypothesen nicht ins Unendliche wachsen zu lassen, könnten einschränkende Prinzipien dienen, die einen Großteil der logisch möglichen Referenten ausschließen. Markman (1990) hat solche Prinzipien formuliert: (i.) Wörter beziehen sich auf ganze Objekte und nicht auf ihre Teile oder Eigenschaften (whole object assumption). (ii.) Ein Wort bezieht sich auf eine Klasse von Objekten, die einander ähnlich sind, anstatt dass sie thematisch verknüpft sind (taxonomic assumption). (iii.) Jedes Objekt hat nur einen Namen (mutual exclusivity; Ausschließlichkeitsprinzip). Diese Annahmen sind jedoch aufgrund experimenteller Ergebnisse in der Spracherwerbsforschung nicht mehr ganz unumstritten.36 Zudem wurde darauf

30

Vgl. Quine 1975: 56. Vgl. Quine 1980: 59 ff. 32 Vgl. ebd.: 63. 33 Ebd.: 103. 34 Vgl. Bloom 2000: 4. 35 James 1950 [1890]: 488. 36 Vgl. Szagun 2006: 146. 31

Probleme der Extensionsbegrenzung im Spracherwerb

73

aufmerksam gemacht, dass sie nur das Erlernen von Bezeichnungen konkreter Gegenstände erklären könnten.37

5.3.3

Geringe Größe des Extensionsausschnitts

Doch selbst wenn das Kind eine plausible Hypothese für die Referenz eines Ausdrucks entwickelt haben mag, ist immer noch nicht klar, auf welche Objekte es den genannten Namen erweitern darf. Denn die Objekte, die dem Kind dargeboten und benannt werden, können immer nur ein kleiner Ausschnitt der Extension sein: When learning a new concept, children first encounter a small sample of the extension of the concept. For the vast majority of categories, it is impossible to encounter the entire extension of the category even over the course of a lifetime, let alone on first learning the concept.38

Das Kind – und später auch noch der Erwachsene – muss also eine Induktionsleistung vollbringen, um das Prädikat auf die Extension anwenden zu können: „Word learning is a paradigm case of inductive learning.“39 Denn durch ostensive Definitionen kann bei weitem nicht die gesamte Extension des Prädikats abgedeckt werden, so dass jede mögliche Verwendungssituation berücksichtigt ist.40 Dennoch müssen Kinder den Sprachgebrauch anhand der Ostension erlernen, denn, so Wright: „[…] it is the only training which we get“.41 Kinder wenden die Wörter auf funktional und perzeptuell ähnliche Objekte an, manchmal auch auf solche, auf die sie selbst emotional ähnlich reagieren.42 Da Ähnlichkeit jedoch eine graduelle Angelegenheit ist, gibt es keine scharfe Grenze, an der die Induktion endet und bei der klar ist, dass trotz eines nur geringen Unterschieds im Gegenstand ein Prädikat nicht angewendet werden darf. Stattdessen entstehen Graubereiche, in denen Unsicherheit über die Anwendung des Prädikats besteht. Quine fasst dies folgendermaßen zusammen: Diejenigen Gegenstände eines vagen Terminus liegen im Halbschatten, deren Ähnlichkeit mit solchen, bei denen die verbale Reaktion belohnt worden ist, verhältnismäßig gering ist. Oder: Da der Lernprozeß eine implizite Induktion des Subjekts in bezug auf den Sprachgebrauch der Gesellschaft ist, liegen diejenigen Fälle im Halbschatten, bei denen diese Induktion aus Mangel an Belegen am wenigsten schlüssig ist. Da die anderen Angehörigen der Gesellschaft ähnlich verschwommene Ränder akzeptieren mußten, als sie die Sprache lernten, gibt es keine Belege, die man sammeln könnte.43

37

Vgl. Dittmann 2010: 41f. Markman 1989: 6. 39 Bloom 2000: 4. 40 Vgl. Burks 1946: 480. 41 Wright 1999 [1976]: 162. 42 Vgl. Nelson 1977: 125f. 43 Quine 1980: 222f. 38

74

Vagheit und Spracherwerb

So führt die geringe Größe des Extensionsausschnitts, auf dessen Grundlage das Kind ein Prädikat erlernt, dazu, dass keine scharfen Extensionsgrenzen erlernt werden können.

5.3.4

Prototypentheorie im Spracherwerb

Für die Erklärung des induktiven Lernens beim Wortschatzerwerb hat Bowerman (1978) die Prototypentheorie44 fruchtbar gemacht. Demnach lernt das Kind ein Wort von einem Prototypen ausgehend, nämlich von der Situation aus, in der es das Wort zum ersten Mal gehört hat.45 Der erste Referent ist also die zentrale Norm, um den herum die Kategorie wächst. Das Kind isoliert dessen Merkmale und gebraucht das Wort nach einer Weile für die gleiche Situation oder in anderen Situationen, die mit der Ursprungssituation übereinstimmende Merkmale aufweisen.46 Dies können ganz verschiedene Eigenschaften sein, die alle zusammen nur auf den Prototypen zutreffen: So kann es vorkommen, dass alles als „Mond“ bezeichnet wird, was sichelförmig oder rund oder gelblich ist.47 Bowerman führt Ähnlichkeiten im Bereich der wahrnehmbaren Eigenschaften, der Konfiguration, mit dem Referenten verknüpfte Tätigkeiten, räumliche Beziehungen, den Zweck oder Endzustand sowie den Blickwinkel des Kindes an.48 Diese Merkmalsisolation muss nicht zu fehlerhaften Bezeichnungen führen; schon Zweijährige können Adjektive, die in verschiedenen Lernsituationen vorkommen, korrekt anwenden, wenn sie die einzige Ähnlichkeit zwischen den Situationen darstellen.49

5.4

Zwischenfazit: Kein Erlernen scharfer Grenzen

Wie gezeigt wurde, stützt die Spracherwerbsforschung Hempels These, dass Begriffe im Spracherwerb nicht mit scharfen Grenzen erlernt werden. Wenn das Kind, vom Prototypen ausgehend, induktiv nach und nach neue Elemente der Extension kennenlernt und dem jeweiligen Prädikat zuordnet, wird keine scharfe Grenze gezogen: Körner eines Haufens werden nicht gezählt; Wellenlängen von Farben werden nicht gemessen. Beides überstiege die menschlichen diskriminativen Fähigkeiten und überforderte das Kind sowie die Eltern in der Situation des Spracherwerbs: Das Zählen der Körner würde einen unverhältnismäßig hohen Aufwand verursachen; das Messen einer Wel44

Für eine ausführliche Darstellung der Prototypentheorie siehe oben Kapitel 2.1.3. Vgl. Bowerman 1978: 273. 46 Vgl. ebd.: 281f. 47 Vgl. ebd.: 266. 48 Vgl. ebd.: 282. 49 Vgl. Akhtar/Montague 1999. 45

Zwischenfazit: Kein Erlernen scharfer Grenzen

75

lenlänge wäre sogar ohne technische Hilfsmittel gar nicht möglich. Dies gilt nicht nur für die Spracherwerbssituation, sondern auch für die Verwendung der Wörter in der Kommunikation; dies wird in Kapitel 6 untersucht. Prädikate werden also nicht in einer Weise erlernt, die scharfe Grenzen ihrer Extensionen angibt oder auch nur suggeriert, dass sie welche habe. Eine zentrale Norm dient als Richtschnur; wie weit ganz genau sich ein Gegenstand von ihr entfernen darf, um noch unter den ausgedrückten Begriff zu fallen, wird nicht erlernt. Dies scheint jedoch auch nicht notwendig zu sein, da auch Prädikate, die auf Grenzfälle angewendet werden, noch verstanden werden. Sogar eine echte Überdehnung kann zum kommunikativen Erfolg führen, der schneller erzielt wird als mit langem Suchen nach einem anderen Prädikat oder gar einem Verzicht auf die Äußerung in Ermangelung des „richtigen“ Ausdrucks.50 Das Festlegen und das Erlernen scharfer Grenzen wäre ein so mühevolles Unterfangen, das es jeden gewöhnlichen Sprecher überfordern würde. Mit den Worten Quines fassen wir daher zusammen: „Vagheit ist eine natürliche Folge des grundlegenden Mechanismus des Wortlernens.“51

50 51

Zur kommunikativen Ökonomie siehe unten Kapitel 7.2.1. Quine 1980: 222.

6

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Das folgende Kapitel schließt gleichsam entwicklungspsychologisch an die Ergebnisse des vorangegangenen Kapitels an. Bis hierher wurde gezeigt, dass im kindlichen Erstspracherwerb keine scharfen Extensionsgrenzen für Prädikate erlernt werden, da Prädikate immer von Einzelfällen aus induktiv erlernt werden. Im Folgenden sollen nun wahrnehmungs- und gedächtnispsychologische Aspekte untersucht werden, die Hinweise darauf geben, welchen Vorteil vage gegenüber präzisen Prädikaten bei Sprechern haben könnten, deren Erstspracherwerb bereits abgeschlossen ist (sofern man hier von Abgeschlossenheit überhaupt sprechen kann). Die Berücksichtigung psychologischer Forschungsergebnisse für die philosophische Diskussion muss jedoch mit terminologischer Vorsicht erfolgen. Der Schwerpunkt liegt in vielen psychologischen Publikationen vor allem auf der Untersuchung von Polysemie. Wenn in diesem Kontext Vagheit angesprochen wird, wird sie nicht in dem hier untersuchten Sinne der philosophischen Vagheitsdiskussion verstanden, sondern eher im Sinne von Generalität, wie er auch alltagssprachlich verwendet wird.1 Diese Ergebnisse finden in der vorliegenden Arbeit dementsprechend keine Berücksichtigung. Dennoch sind die psychologischen Forschungsergebnisse zum Problem der Kategorisierung hier relevant; sie sind ein wichtiger Gegenstand der Wahrnehmungs- und Gedächtnispsychologie. Sie sollten in der Vagheitsdebatte nicht unberücksichtigt bleiben. Das Kategorisierungsproblem wird im folgenden Abschnitt noch einmal angesprochen: Es soll gezeigt werden, welche Vorteile schnelle Kategorisierung – die durch Vagheit möglich ist – hat (Kapitel 6.1). In Kapitel 6.2 wird die These überprüft, dass vage Prädikate der menschlichen Wahrnehmung eher gerecht werden als präzise. In Kapitel 6.3 wird auf das menschliche Gedächtnis eingegangen. In Kapitel 6.4 wird am Beispiel der Farbwörter gezeigt, inwiefern vage Prädikate den menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten und Gedächtnisleistungen entsprechen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Vagheit viele Prädikate wegen der sensorischen und kognitiven Beschränkungen des Menschen erst „alltagstauglich“ macht (Kapitel 6.5).

6.1

Der Vorteil schneller Kategorisierung

Auf das Grundproblem der Kategorisierung wurde bereits in Kapitel 2.1 eingegangen. Es besteht in der Frage, nach welchen Gesichtspunkten Objekte in eine bestimmte Kategorie eingeordnet werden. Lösungsversuche dafür liefer1

Vgl. etwa Dunbar (2001) sowie Brisard/Rillaer/Sandra (2001).

Der Vorteil schneller Kategorisierung

77

ten die klassische Theorie der notwendigen und hinreichenden Bedingungen, Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit, Roschs Prototypentheorie sowie die „Theory theory“. Im Folgenden soll noch einmal aus psychologischer Perspektive darauf eingegangen werden, welche Vorteile insbesondere eine schnelle Kategorisierung hat. Diese wird durch unscharfe Kategoriengrenzen begünstigt. Kategorisierung, so Eleanor Rosch, „is one of the most basic functions of living creatures. Humans live in a categorized world“.2 Stevan Harnad setzt Kategorisierung und Kognition sogar gleich: „Cognition is categorization“. George Lakoff schließlich beschreibt die Allgegenwart der Kategorisierung so: There is nothing more basic than categorization to our thought, perception, action, and speech. Every time we see something as a kind of thing, for example, a tree, we are categorizing. Whenever we reason about kinds of things – chairs, nations, illness, emotions, any kind of thing at all – we are employing categories. Whenever we intentionally perform any kind of action, say something as mundane as writing with a pencil, hammering with a hammer, or ironing clothes, we are using categories.3

Bewusst wird dem Sprecher die Tätigkeit der Kategorisierung allerdings häufig erst, wenn Problem– und Grenzfälle auftreten, deren Kategorienzugehörigkeit unklar ist – wenn er also dem Phänomen der Vagheit begegnet. In der Psychologie wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass Kategorisierung ein Mittel der kognitiven Ökonomie ist.4 Wenn ein Sprecher auf ein neues Phänomen trifft, kann er es in den meisten Fällen in eine existierende Kategorie einordnen und auch entsprechend benennen. Durch das Wissen über diese Kategorie kann er auf Eigenschaften des vorliegenden Gegenstandes schließen, ohne ihn dafür genau – auch auf nicht sofort erkennbare Eigenschaften hin – analysieren zu müssen, denn die Mitglieder einer Kategorie werden als äquivalent behandelt.5 Das schließt auch ein, dass von einem Teil der Eigenschaften des konkret vorliegenden Objekts abstrahiert wird, wenn sie für den jeweiligen Zweck nicht relevant sind.6 Da auf diese dann nicht wieder eingegangen werden muss, werden die Anforderungen an Wahrnehmungs- und Schlussprozesse sowie an die Gedächtniskapazität reduziert.7 Allein aufgrund der Kategorienzugehörigkeit kann entschieden werden, wie das jeweilige Objekt behandelt werden muss, können Voraussagen über dessen Verhalten getroffen werden und kann sprachlich auf das

2

Rosch 2007: o. S. Lakoff 1990: 5f. 4 Vgl. Rosch 1978: 28: „[…] the task of category systems is to provide maximum information with the least cognitive effort […].“ 5 Vgl. Medin/Aguilar 1999: 104 sowie Rosch 1978: 28. 6 Vgl. Rosch 1978: 29. 7 Vgl. Smith 1990: 34. 3

78

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Objekt Bezug genommen werden.8 Die Kategorisierung erspart also Zeit und Energie. Der Zusammenhang zur semantischen Vagheit ergibt sich, wenn man den Zeitaufwand betrachtet, der zur Kategorisierung benötigt wird: Der ökonomische Vorteil der Kategorisierung kommt nämlich nur dann zur vollen Entfaltung, wenn die Einordnung eines Objekts nicht genau so lange dauert wie eine ausführliche Analyse des Einzelobjekts; sonst wäre die Entlastung der limitierten kognitiven Ressourcen nur sehr begrenzt. Hier sind unscharfe Kategoriengrenzen dann von Nutzen: Scharfe Grenzen, die auf minimalen Unterschieden basieren, wären hinderlich, da die Einordnung in die jeweilige Kategorie zu lange dauern würde. Die Kategorisierung muss „quick and dirty“ erfolgen: schnell und dadurch mit einem gewissen Fehlerrisiko. Doch die Folgen einer langsameren Entscheidung wären gravierender als die einer etwaigen Fehlentscheidung. Eine eventuell nur ungenau passende Kategorie zu wählen, dies aber dafür schnell, ermöglicht einen angemesseneren Umgang mit dem vorliegenden Gegenstand, als sehr lange nach der genau passenden Kategorie zu suchen – und mit dem infrage stehenden Objekt derweil gar nicht umgehen zu können.9 Dass scharfe Grenzen bei der schnellen Einordnung ein Problem darstellen könnten, hängt mit den beschränkten diskriminativen Fähigkeiten des Menschen zusammen; mit seinen Sinnesorganen kann er nicht jeden minimalen Unterschied wahrnehmen. So liegt die Vermutung nahe, dass unscharf begrenzte Kategorien und die auf sie Bezug nehmenden vagen Prädikate der menschlichen Wahrnehmung eher gerecht werden als scharf begrenzte. Dem soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.

6.2

Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht

In Bezug auf Vagheit spielt die menschliche Sinneswahrnehmung eine wichtige Rolle. Die meistzitierten Beispiele für vage Prädikate sind Beobachtungsprädikate (observational predicates), also Prädikate, über deren Anwendung oder Nicht-Anwendung aufgrund von Sinneswahrnehmung entschieden wird, wie etwa bei Farben.10 Ein wichtiges Prinzip bei diesen Prädikaten, für das

8

Vgl. Medin/Aguilar 1999: 104. Evolutionär betrachtet kann schnelle Kategorisierung sogar überlebenswichtig sein: Gefährliche Tiere oder mögliche Jagdbeute müssen schnell erkannt werden, um das eigene Überleben zu sichern. 10 Vgl. Wright 1999 [1976]: 160. 9

Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht

79

Crispin Wright11 argumentiert hat, ist die Intransitivität der Ununterscheidbarkeit: Wenn ein Sprecher zwei Gegenstände a und b mit dem bloßen Auge nicht unterscheiden kann und ebenso wenig b und c, heißt dies nicht, dass er auch a und c nicht unterscheiden kann. Diesen Effekt kann man etwa bei der SoritesReihe der Farben12 feststellen. Auch bei der Untersuchung der historischen Positionen zum Nutzen der Vagheit war immer wieder von der Rolle die Rede, die die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit in diesem Zusammenhang spielt. So klang bei Russell, Wittgenstein und Waismann13 bereits die These an, dass unscharfe Begriffe und die sie ausdrückenden vagen Prädikate der menschlichen Sinneswahrnehmung besser gerecht werden, als scharf begrenzte es könnten. Russell betont, dass durch die menschliche Sinneswahrnehmung verschiedene Reize als gleich wahrgenommen werden können. Damit sind aber auch die daraus abgeleiteten Repräsentationssysteme (wie Sprache, aber auch Landkarten, Statistiken, Abbildungen etc.) nicht so differenziert wie das, was sie repräsentieren.14 Wittgenstein verweist auf die nicht-eliminierbare „Verschwommenheit“15 der Erfahrung, die durch vage Prädikate besser ausgedrückt werden könne als durch präzise. Waismann führt als Beispiel für die Inadäquatheit exakter Wahrnehmungsbeschreibungen das Beispiel des Regens an: Or I look out into the rain. If I am asked to describe exactly what I see, I am faced with the sort of difficulty we have been describing. The picture of the rain I see is blurred. […] I could not say of any exact description – e.g. of a description mentioning an exact number of raindrops – that it describes my experience exactly – e.g. for a description mentioning an exact number of raindrops – that it describes my experience exactly.16

Die menschlichen diskriminativen Fähigkeiten sind beschränkt, auch wenn sie durch das Erlernen neuer Kategorien in einem gewissen Umfang trainiert und sensibilisiert werden können.17 Wenn der Unterschied zwischen einem „kurzen Nieselregen“ und einem „Regenschauer“ nur einen Regentropfen pro Quadratmeter ausmachte, könnte ein Sprecher ihn mit bloßem Auge nicht sehen. Oder gäbe es zwischen einer „Tasse“ und einem „Becher“ eine scharfe Grenze im Höhen/Breiten-Verhältnis, so könnte der Sprecher bei Trinkgefäßen nahe an der Grenze ohne Hilfsmittel nicht feststellen, zu welcher Kategorie sie gehören.18 Im Bereich, der direkt an der Grenze läge – und der bei vagen Prädikaten dem Graubereich entspricht – wäre eine Anwendung der Prädikate ohne großen Zeitaufwand (etwa zum Zählen der Regentropfen) oder ohne Hilfsmit11

Vgl. Wright 1975: 338–347. Gegen dieses Prinzip argumentieren Fara (2001) sowie Raffman (2000) und (2011). Für eine Übersicht über die Debatte siehe Horsten (2010). 12 Siehe unten Kapitel 6.4.2. 13 Siehe oben Kapitel 4.1.2, 4.2.5 und 4.2.6. 14 Vgl. Russell 1923: 87. 15 Wittgenstein PB: § 211. 16 Waismann 1965: 210. 17 Ein experimenteller Nachweis für Trainingseffekte findet sich in Goldstone 1994. 18 Zur Untersuchung der Becher/Tassen-Unterscheidung vgl. Labov 1973.

80

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

tel (z.B. Pluviometer, Schieblehren oder Mikroskope) nicht möglich. Die Kategorisierung würde behindert, da sie deutlich energie-, zeit- und materialaufwendiger wäre als mit vagen Prädikaten, die Grenzfälle zulassen. Im Alltag ist kein Raum für derart aufwendige Verfahren: „Observational predicates are meant to be applied on the spot without our having to consult our diary of past classification or having recourse to calibrated instrumentation.“19 Die Anwendung bei klaren Fällen und klaren Nicht-Fällen bliebe davon allerdings unberührt, da ihr Abstand von der Grenze des Anwendungsbereichs – ob sie nun scharf oder unscharf ist – so groß ist, dass er auch ohne zusätzlichen Aufwand erkennbar ist. Übrigens lösen auch Hilfsmittel das Problem der Kategorisierung meist nicht. Richard Swinburne weist darauf hin, dass auch bei deren Verwendung immer ein Rest an nicht-eliminierbarer Ungenauigkeit bleibt, jedenfalls dann, wenn eine Messung entlang einer kontinuierlichen Skala erfolgt, das heißt, wenn es zwischen zwei Werten immer noch einen dritten gibt, wie zum Beispiel bei Gewichts- oder Temperaturangaben.20 Dann wird mit empfindlicheren Messgeräten nämlich immer noch ein genauerer Wert mit mehr Nachkommastellen ermittelt, so dass die Frage bleibt, wie groß oder schwer ein Gegenstand „wirklich“ ist. Eine gewisse Ungenauigkeit bleibt also auch hier, die freilich im Alltag kaum relevant ist. Im wissenschaftlichen Kontext können allerdings auch minimale Abweichungen relevant sein; hier werden jedoch insgesamt auch andere Ansprüche an die Abgrenzung von Kategorien gestellt.21 Dennoch könnten aufgrund der beschränkten Wahrnehmungsfähigkeiten Kategorisierungen in manchen Fällen ohne Hilfsmittel gar nicht vorgenommen werden. Vage Prädikate tragen diesem Umstand Rechnung und lassen an dieser Stelle Grenzfälle zu. Dass dies ein Vorteil im alltäglichen Sprachgebrauch ist, zeigen Untersuchungen zur Überspezifikation von Objektbenennungen und die Tatsache, dass Vagheit die Suche erleichtert. Dies wird in den folgenden Abschnitten erläutert.

6.2.1

Die Überspezifikation von Objektbenennungen

Dass vage Prädikate durch die Beschränkung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten gegenüber nicht-vagen von Vorteil sind, zeigen auch psychologische Untersuchungen zur Überspezifikation von Objektbenennungen. Durch die Anwendung von Prädikaten können Objekte individuiert werden. Fordert ein Sprecher sein Gegenüber beispielsweise auf, „Schaufle diesen Haufen dort weg!“, wendet er das Prädikat „Haufen“ auf ein Objekt an. Das Ziel dieser Objektbenennung ist in diesem Fall das Herausgreifen eines Ge19

Thorpe 1984: 397. Vgl. Swinburne 1969: 288; siehe auch Parikh 1994: 522. 21 Auf die Rolle der Vagheit in den Fachsprachen wird daher in Kapitel 1 eingegangen. 20

Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht

81

genstandes, so dass der Hörer ihn identifizieren kann. Hier liegt referentieller Gebrauch vor.22 Dabei reicht es aus, wenn der gemeinte Gegenstand von anderen Objekten in derselben Kommunikationssituation unterschieden werden kann. Er muss nicht von sämtlichen anderen existierenden Gegenständen abgegrenzt werden, was die Anwendung sehr vieler Prädikate notwendig machen würde: Als Methode der Wahl, die Eindeutigkeit einer Bezugnahme und die Einzigkeit des Bezugsgegenstands sicherzustellen, kann das Anhäufen von Prädikaten gelten, bis faktisch nur noch ein Gegenstand alle Prädikate erfüllt. Indes wenden Sprecher diese Methode selten an.23

Für die Überlegung, inwiefern die Vagheit von Prädikaten in der Kommunikation wertvoll sein kann, lohnt sich die Betrachtung der Methoden, die Sprecher in der Praxis bei Objektbenennungen anwenden. Unstrittig dürfte sein, dass das Herausgreifen von Gegenständen auch mittels vager Prädikate im Regelfall funktioniert. Wären alle Extensionen der von vagen Prädikaten ausgedrückten Begriffe jedoch scharf begrenzt, hätte dies auch Auswirkungen auf den Spezifikationsgrad von Objektbenennungen: Er müsste deutlich höher sein, damit eindeutig festgestellt werden kann, ob ein Objekt noch unter einen Begriff fällt oder nicht. Eine erste These zur Spezifikation von Objektbenennungen war die Sparsamkeitshypothese, formuliert von David R. Olson (1970). Sie besagt, dass Objekte in der Kommunikation in der Regel minimalspezifiziert werden: Es werden lediglich solche Attribute genannt, die in ihrer Kombination nur bei einem bestimmten Objekt im jeweiligen Kontext vorliegen. Muss also zwischen einem roten Dreieck und einem blauen Quadrat unterschieden werden, reicht es, das herauszugreifende Objekt als „Dreieck“ oder „Quadrat“ zu bezeichnen, weil dieses Prädikat nur auf einen der vorliegenden Gegenstände zutrifft; es wird nicht zusätzlich auch noch die Farbe genannt. Diese These musste allerdings nach Experimenten modifiziert werden, die unter anderem von Mangold (1986) sowie Mangold/Pobel (1988) durchgeführt wurden. Sie stellten fest, dass es bei Objektbenennungen häufig zu Überspezifikationen kommt, das heißt: es werden mehr Attribute eines Objekts genannt, als zur eindeutigen Identifikation notwendig wären, im vorliegenden Beispiel also etwa „das rote Dreieck“. Überspezifikation bedeutet jedoch nicht, dass versucht wird, alle Eigenschaften des Objekts aufzuzählen. Eine erschöpfende Aufzählung ist gar nicht möglich, denn „Einzeldinge haben unbeschreiblich viele Eigenschaften“24, wie Keil in Über die deskriptive Unerschöpflichkeit der Einzeldinge (2005) erläutert: In erster Annäherung an das Phänomen der deskriptiven Unerschöpflichkeit läßt sich festhalten, daß konkrete Einzeldinge jedenfalls mehr Eigenschaften haben, als in einer gegebenen Beschreibung oder Kennzeichnung jeweils genannt werden. Die Probe aufs

22

Vgl. Donnellan 1966: 281. Keil 2005: 91. 24 Ebd.: 87. 23

82

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis Exempel ist schnell gemacht: Man zähle eine Stunde lang Eigenschaften eines gewöhnlichen Einzeldings auf; stets werden sich Eigenschaften finden lassen, die nicht genannt worden sind. Bevor man einen Gegenstand in allen seinen Einzelheiten erschöpfend beschrieben hat, ist der Beschreiber erschöpft – oder der Hörer.25

Bei der Überspezifikation wird zwar nicht der Versuch einer erschöpfenden Beschreibung unternommen, doch es werden mehr Prädikate verwendet, als logisch gesehen zur Individuierung des gemeinten Gegenstandes notwendig wären. In Experimenten wurde jedoch festgestellt, dass Überspezifikationen dem Hörer nur dann die Objektidentifikation erleichtert, wenn „perzeptiv saliente“26, also gut wahrnehmbare, Eigenschaften zusätzlich genannt werden. Andernfalls wird die Objektidentifikation sogar erschwert und dauert länger, da der Hörer erst die zusätzlich genannten Merkmale zu identifizieren versucht.27 Der Sprecher könnte sehr viele Eigenschaften des Objekts aufzählen, ohne dass der Hörer es eindeutig identifizieren könnte, falls diese Eigenschaften schlecht wahrnehmbar sind. Dieses Ergebnis lässt sich auf den Umgang mit Prädikaten übertragen, die über scharfe Grenzen verfügen: Nicht-vage Prädikate können das Herausgreifen von Objekten durch den Hörer erschweren, wenn zwischen ähnlichen Objekten unterschieden werden muss. Denn es müsste differenziert werden zwischen Gegenständen, die nur minimal voneinander unterschieden sind, jedoch auf verschiedenen Seiten der scharfen Extensionsgrenze liegen. Da die Unterschiede zwischen den beiden Objekten jedoch nicht perzeptiv salient sind, würde dem Hörer die Bezeichnung durch zwei unterschiedliche Prädikate das Herausgreifen der Objekte nicht besser ermöglichen als die Bezeichnung mit nur einem Prädikat. Im Gegenteil, er würde versuchen zu ermitteln, auf welcher Seite der scharfen Grenze der jeweilige Gegenstand liegt, und dies würde ihn Zeit und Aufwand kosten. Um wieder einmal den Körner-Haufen zu bemühen: Ohne Zählen könnte der Hörer zwei minimal verschieden große Körneransammlungen nicht unterscheiden, da der Unterschied nicht perzeptiv salient ist. Ein nicht-vages Prädikat hätte in diesem Fall also dieselben Konsequenzen wie eine überspezifizierte Objektbenennung, die sich auf nicht perzeptiv saliente Eigenschaften bezieht: Es wäre nicht von Nutzen, wenn die Extension des Prädikats „Haufen“ eine scharfe Grenze hätte: Der Sprecher wüsste nur durch aufwendiges Nachzählen, welche der beiden Körneransammlungen ein Haufen wäre und welche nicht. Der Hörer könnte sie infolge mangelnder Wahrnehmbarkeit der Unterschiede jedoch ohne Zählen nicht eindeutig zuordnen. Nicht jede genannte Eigenschaft führt zur schnelleren Objektidentifikation durch den Hörer, da dieser Mühe haben kann, diese Eigenschaft überhaupt wahrzunehmen. Da ist es offenbar ein Vorteil, wenn nicht-saliente Unterschiede von Objekten keine Rolle dabei spielen, ob ein Gegenstand mit einem be25

Ebd. Vorwerg 2008: 610. 27 Vgl. Mangold 1986: 61–65. 26

Vage Prädikate werden der Wahrnehmung gerecht

83

stimmten Prädikat bezeichnet werden kann oder nicht; dies ist ein Vorteil vager Prädikate.

6.2.2

Vagheit erleichtert die Suche

Rohit Parikh und Kees van Deemter vertreten die These, dass Vagheit die Suche nach Objekten erleichtert.28 Parikhs Beispiel ist das folgende: Ann und Bob unterrichten am selben College. Ann hat ihr Topologie-Buch vergessen und ruft Bob an, ob er es ihr mitbringen könne. Bob fragt, wie das Buch aussehe; Ann sagt, dass es blau sei. Parikh nimmt an, dass es 225 Bücher (von insgesamt 1000, die Ann besitzt) gibt, die sowohl Ann als auch Bob „blau“ nennen würden. Zusätzlich gibt es 25 Bücher, die nur Ann, und 75 Bücher, die nur Bob als „blau“ bezeichnen würde. Trotz dieser Unterschiede hat Bob durch die Information, dass das Buch blau sei, Zeit bei der Suche gespart: Hätte er alle Bücher berücksichtigen müssen, hätte er im Durchschnitt 500,5 Bücher ansehen müssen (im besten Fall nur eines, im schlechtesten alle 1000). Da jedoch die Schnittmenge der Bücher, die sowohl Ann als auch Bob „blau“ nennen würden, recht groß ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Bob das Buch unter denen findet, die er „blau“ nennt, auch wenn Anns Absicht war, dass er die Bücher durchsucht, die sie für „blau“ hält. Ist Bob bei den seiner Ansicht nach blauen Büchern nicht fündig geworden, kann er bei denen weitersuchen, die er für „bläulich“ hält, also bei den Grenzfällen; er muss nicht sofort alle anderen Bücher durchsuchen, die er für nicht eindeutig „blau“ hält. Dass die Grenzfälle zu berücksichtigen sind, betont auch van Deemter.29 Sein Beispiel führt in den Fernen Osten: Wenn der Kaiser von China nach einem Diamantenraub von einem sterbenden Zeugen die Mitteilung bekommen hat, der Täter sei ein großer Eunuch, tut der Kaiser gut daran, die Eunuchen nicht nur in große (z.B. größer als der Durchschnitt) und nicht-große einzuteilen, sondern auch Grenzfälle zu berücksichtigen (wobei van Deemter das Problem der höherstufigen Vagheit – wo hören die Grenzfälle auf? – hier nicht berücksichtigt). Denn zum einen könnte der Zeuge das Prädikat „groß“ anders anwenden als der Kaiser; andererseits konnte der Zeuge die exakte Größe des Täters nicht ermitteln, eben weil die menschliche Wahrnehmung dazu nicht geeignet ist. Da die menschliche Wahrnehmung in mancher Hinsicht beschränkt ist, wird die Anleitung zur Suche mit vagen Prädikaten angemessen ausgedrückt.

28 29

Vgl. Parikh 1994: 532f. sowie Deemter 2010b. Vgl. Deemter 2010b: 174ff.

84

6.3

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Vagheit und Gedächtnis

Nicht nur die menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten sind beschränkt, auch das menschliche visuelle Gedächtnis ist es. Darauf hatte auch schon Friedrich Waismann hingewiesen: „Suppose a pattern-book were shown to me, and I was later asked whether this was the colour I had seen, perhaps I would not be able to decide.“30 Wenn aus dem Gedächtnis heraus Gegenstände verglichen werden sollen, gilt das oben erwähnte Prinzip der Intransitivität der Ununterscheidbarkeit nicht.31 Sind die beiden Gegenstände a und b, die der Sprecher nach Augenschein für ununterscheidbar erklärt hat, nicht mehr vorhanden und müssen aus dem Gedächtnis mit einem neuen, vorliegenden Gegenstand c verglichen werden, erinnert sich der Sprecher nur noch, dass a und b nicht unterscheidbar waren. Aus der Erinnerung schließt er daher (fälschlich), dass auch c von a nicht unterscheidbar ist, weil er im Gedächtnis die Ununterscheidbarkeit von a und b festgehalten hat. Aus dem Gedächtnis heraus können also nie so feine Unterscheidungen getroffen werden wie bei Vorliegen der zu beurteilenden Gegenstände. In Bezug auf die Farbprädikate wird dies unten (Kapitel 6.4.4) noch erläutert.

6.4

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter

Da die Farbwahrnehmung gedächtnis- und wahrnehmungspsychologisch sehr intensiv untersucht ist, soll nun exemplarisch am Beispiel der Farbprädikate gezeigt werden, inwiefern vage Prädikate anderen Prädikaten mit scharf begrenzten Extensionen im gewöhnlichen Sprachgebrauch überlegen sein könnten. Zunächst wird kurz skizziert, womit wir es beim Phänomen Farbe überhaupt zu tun haben; im Anschluss wird der Farb-Sorites untersucht, die Anzahl der Farbwörter sowie die Erfassung von Farben im Gedächtnis. Diese Untersuchungen führen zu dem Ergebnis, dass Vagheit Farbprädikate „alltagstauglich“ macht.

6.4.1

Farben – Eine kurze Einführung

Farben können unter drei verschiedenen Aspekten untersucht werden, und zwar unter denen (i.) ihrer Physik, (ii.) ihrer Physiologie und (iii.) ihrer Phänomenologie.

30 31

Waismann 1993 [1953]: 21. Siehe dazu ausführlich Kapitel 4.2.6. Vgl. Wright (1999 [1976]): 167.

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter

85

„Die Welt ist gar nicht bunt, sie sieht nur so aus. Ohne Augen gäbe es keine Farben, sondern nur elektromagnetische Wellen unterschiedlicher Wellenlänge“32, sagen Physiker. Denn physikalisch gesehen ist es zunächst einmal so, dass Gegenstände unter bestimmten Bedingungen Licht unterschiedlicher Wellenlänge absorbieren bzw. remittieren. Damit haben farbige Objekte die Disposition, bestimmte Wahrnehmungserfahrungen beim Menschen hervorzurufen. Erst wenn das Licht einer bestimmten Wellenlänge auf das Auge trifft, löst es eine Farbwahrnehmung aus. Mit den Stäbchen werden Grautöne wahrgenommen; drei Arten von Zapfen, ausgerichtet auf die Rezeption kurzer, mittlerer und langer Wellenlängen, ermöglichen das Farbsehen. Dies ist der physiologische Aspekt. Die Farbempfindung schließlich ist der phänomenologische Aspekt. Sie ist durch die physikalischen Merkmale Helligkeit, Farbton und Sättigung bestimmt. Das Messen dieser Merkmale sowie der Wellenlängen ist möglich, das Messen der Farbempfindung selbst ist es nicht. Schon dies dürfte bei einem Versuch, Farbgrenzen für die Alltagskommunikation scharf zu ziehen, zu Problemen führen. Dazu unten mehr. In welcher Farbe ein Objekt dem Wahrnehmenden erscheint, ist nicht nur von der remittierten Wellenlänge abhängig. Unter phänomenologischem Aspekt muss nämlich berücksichtigt werden, dass bekannte Objekte in der Regel immer in derselben Farbe wahrgenommen werden, auch wenn die Beleuchtung sich geändert hat. So wird ein Feuerwehrauto immer noch als rot wahrgenommen, auch wenn die Dämmerung bereits eingesetzt hat und andere Wellenlängen remittiert werden. Dieses Phänomen der Farbkonstanz ist ein weiteres Mittel kognitiver Ökonomie. Es existieren verschiedene Ansätze, Farben systematisch zu ordnen. Solche Farbordnungssysteme verwenden unterschiedliche Ordnungskriterien: etwa Helligkeit, Farbton und Sättigung (Munsell Book of Colors) oder den Anteil bestimmter Grundfarben an einer Farbe (Natural Color System). Dabei werden jeweils auch Farbbezeichnungen festgelegt.33 In Kapitel 6.4.3 wird ausführlich auf das Farbbenennungssystem des National Bureau of Standards eingegangen. Auf die weitverzweigte philosophische Debatte zum ontologischen Status von Farben kann und muss hier nicht eingegangen werden. Einen Überblick über die philosophische Diskussion der Farben bieten etwa Maund 2006 und Maund 2009.

32 33

Harten 2007: 279. Vgl. zu Farbordnungssystemen Kaiser/Boynton 1996: 492–498.

86

6.4.2

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Der Farb-Sorites

Neben den Prädikaten „Glatzkopf“ und „Haufen“ gelten Farbwörter als Paradebeispiel für vage Prädikate. Die Unsicherheit über das korrekte Farbwort ist den meisten Menschen wohlbekannt, und zwar sowohl in Bezug auf die intrasubjektive als auch auf die intersubjektive Variabilität34, wobei im Folgenden vorrangig auf erstere eingegangen wird. Stets wird in der Literatur Bezug genommen auf ein Experiment zur Vagheit von Farbprädikaten, das anfangs ein Gedankenexperiment war, jedoch später als empirisches Experiment von Raffman, Lindsey und Brown sowie von Mark Changizi durchgeführt wurde.35 Es ist der sogenannte forced-march sorites, bei dem die Probanden den Auftrag haben, den Elementen einer FarbSorites-Reihe ein Farbwort zuzuweisen. Ein Proband wird mit einer Reihe von Farbplättchen konfrontiert, deren Farben sich nur graduell voneinander unterscheiden. Der Unterschied zwischen zwei benachbarten Plättchen ist entweder nicht wahrnehmbar oder liegt gerade über der Wahrnehmbarkeitsschwelle (die sogenannte just noticeable difference). Vom Anfang bis zum Ende der Reihe vollzieht sich jedoch ein Wechsel zwischen verschiedenen Farben, der für die Sprecher in der Gesamtschau über die Reihe in der Regel eindeutig ist, also zum Beispiel von Gelb über Orange nach Rot: Hier greift das oben erläuterte Prinzip der Intransitivität der Ununterscheidbarkeit. Da der Unterschied zwischen zwei benachbarten Plättchen jedoch nur sehr gering ist, ist es für den Sprecher schwierig, die Grenze zwischen zwei Farben beim Übergang von einem Plättchen zum anderen zu ziehen. Daher werden sie meistens gleichfarbig eingeordnet. Die Farbreihe ist eine klassische Sorites-Reihe: Eine geringe Veränderung scheint keinen Unterschied für die Prädikatszuschreibung zu machen, mehrere in Folge jedoch sehr wohl, ohne dass eine scharfe Grenze zu lokalisieren wäre. Im Experiment sollen die Probanden nun nacheinander die Farbplättchen betrachten und ihnen jeweils Farbprädikate zuschreiben. Changizi erlaubt in seinem Experiment auch die Zuschreibung von Prädikaten wie „borderline red“; zudem sollen die Probanden bei ihm angeben, wie überzeugt sie selbst von der jeweiligen Farbzuschreibung sind.36 Im Experiment von Changizi geben die Probanden eine niedrige Überzeugtheit vom eigenen Urteil an, kurz bevor sie zur Zuschreibung eines anderen Farbprädikats wechseln. Direkt nach dem Wechsel des Farbprädikats wird

34

Mit diesem Problem befassen sich auch Crispin Wright in The coherence of vague predicates (1975) und Michael Dummett in Wang’s paradox (1975); außerdem Peacocke 1981, Parikh 1983, Linsky 1984, Travis 1985, Hardin 1988 sowie Raffman 1994 und 1996. 35 Vgl. Raffman 2005 und Changizi 1999: 368f. Die ausführliche Publikation des Experiments von Raffman, Lindsey und Brown ist seit vielen Jahren angekündigt, bisher allerdings nicht erschienen. Das Thema wird jedoch in Raffmans Buch „Unruly Words“ (im Druck, 2014) wohl wieder aufgegriffen. 36 Vgl. Changizi 1999: 368f.

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter

87

die Überzeugtheit wieder als „hoch“ angegeben, bevor sie erneut abnimmt.37 Dennoch sprechen die Probanden dem Farbplättchen das Farbprädikat nicht ab, auch wenn sie ihre Überzeugtheit nicht mehr als „hoch“ angeben. Der Grad der (Un-)Sicherheit über das eigene Urteil wird also nicht direkt auf das Prädikat abgebildet. In den (Gedanken-)Experimenten wird davon ausgegangen, dass der Übergang zwischen zwei Farbprädikaten intersubjektiv wie intrasubjektiv variiert. Insbesondere dann – und das betonen vor allem die Kontextualisten –, wenn die Reihe in einem zweiten Durchgang vom anderen Ende her betrachtet wird bzw. wenn der Blick nach einem Wechsel der Farbzuschreibung zurückgerichtet wird.38 Raffman vergleicht dieses Phänomen mit dem Schalten beim Autofahren: Once the car has shifted to a new gear, it will continue to use that gear as long as possible, even if it slows to a speed previously handled by a lower gear. For example, if the car has shifted from second to third gear at 30 mph, it will remain in third even if it slows to 25 mph, a speed previously handled by second. (Shifting gears is hard work.) Analogously, once the competent speaker has shifted from ‚red‘ to ‚orange‘, if asked to retrace his steps down the series he will now call some patches ‚orange‘ that he formerly called ‚red‘.39

Wie das Betätigen der Gangschaltung, so ist auch der Wechsel hin zu einem anderen Farbprädikat „hard work“. Der Mechanismus, der hier greift, ist der folgende: Als Kontrastklasse fungiert die zuvor gemachte Erfahrung, also die unmittelbar zuvor gezeigten Farbplättchen; dadurch ändert sich nach Raffman der interne Kontext.40 Die im vorherigen Durchgang gezeigten Farbplättchen kommen dafür wegen der mangelnden menschlichen Gedächtnisleistung nicht in Frage. Für die Beurteilung des einzelnen Farbplättchens ist also nicht nur das Plättchen selbst, sondern auch der Pfad hin zu ihm maßgeblich, daher variiert das Urteil, wenn die Reihe von der anderen Seite aus betrachtet wird. Dieser Effekt wird mit einem aus der Regelungstechnik stammenden Terminus Hysterese-Effekt genannt.41 Zum forced-march sorites muss jedoch angemerkt werden, dass der Namensbestandteil „forced“ auf eine Problematik hindeutet: Die Probanden werden gezwungen, ein Urteil über das Farbplättchen abzugeben. Eine Urteilsenthaltung oder eine Äußerung wie „weiß nicht“, „bin mir nicht sicher“, ist nicht möglich, auch wenn sie aus Sicht des Sprechers angemessen wäre. Insofern ist fraglich, wie valide die Ergebnisse wirklich sind. 37

Vgl. ebd.: 369. Vgl. Raffman 1994: 50: „I propose that a category shift consists in a shift of perspective in which the new category instantaneously ‚spreads backward‘ along a string of the preceding patches.“ 39 Raffman 1996: 179. 40 Vgl. ebd.: 177. 41 Vgl. Raffman 2005: 247. Hysterese bezeichnet allgemein die Erscheinung, dass eine Ausgangsgröße nicht allein von der aktuellen Eingangsgröße abhängig ist, sondern auch davon, in welche Richtung sich die Eingangsgröße im Vergleich zum vorherigen Zustand verändert hat. 38

88

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Dass Kategoriengrenzen bei Farben äußerst variabel sind, hat auch Rohit Parikh (1994) in einem Experiment nachgewiesen: Auf einer Overheadfolie wurde ein Teil des oben bereits erwähnten Munsell-Color-Charts, einer standardisierten Farbmuster-Sammlung, projiziert. Die Probanden sollten aufschreiben, wie viele blaue und rote Quadrate sie sahen. Bei den roten Quadraten reichte die angegebene Anzahl von 12 bis 30, bei den blauen sogar von 0 bis 27.42 Auch in der klassisch gewordenen sprachvergleichenden Farbstudie von Brent Berlin und Paul Kay wurde die Variabilität von Kategoriengrenzen festgestellt.43 Andererseits werden Farbprädikate – wie andere Prädikate auch – im alltäglichen Leben erfolgreich verwendet, und zwar so, dass Sprecher nicht daran zweifeln, dass ihnen der Gegenstand ihrer Rede klar ist.44 Warum dies trotz der unscharfen Kategoriengrenzen möglich ist, soll im Folgenden erläutert werden.

6.4.3

Die Anzahl der Farbwörter

In der Literatur kursieren verschiedene Angaben über die Anzahl der Farben, die Menschen unterscheiden können: Sie reichen von einer Million45 über 7,5 Millionen46 bis hin zu 10 Millionen.47 In dieser Größenordnung ist es jedoch unabhängig von der genauen Anzahl in jedem Fall unstrittig, dass in der Alltagssprache nicht für jeden unterscheidbaren Farbton ein eigenes Farbwort existiert. Zwischen 1955 und 1956 haben das U.S.-amerikanische National Bureau of Standards (NBS) und das Inter-Society Color-Council (ISCC) ein Farbbenennungssystem entwickelt. Farben wurden in 267 Äquivalenzklassen eingeteilt, in denen sie wiederum einzeln benannt wurden. Insgesamt wurden 7500 Farbbezeichnungen aufgelistet, also immer noch wesentlich weniger, als durch den Menschen unterscheidbar sind.48 In der Alltagskommunikation werden jedoch auch die meisten dieser Farbwörter keine Anwendung finden: Farbbezeichnungen wie „Day Dream“, „Oakleaf Brown“, „Pale Dull Glaucous-Blue“ oder „Yvette Violet“ gehören wohl nicht zum aktiven Wortschatz eines gewöhnlichen Sprechers des Englischen. Für gestalterische und kommerzielle Zwecke ist eine solche Einteilung dennoch sinnvoll.

42 Parikh 1994: 524. Leider teilt Parikh nicht mit, wie viele Farbquadrate insgesamt zu sehen waren, sondern nur, dass es „[a] part of the Munsell color chart“ (ebd.) war. 43 Vgl. Berlin/Kay 1999 [1969]: 13. 44 Vgl. Parikh 1983: 242. 45 Vgl. Goldstein 2008: 158. 46 Vgl. Parikh 1983: 243. 47 Vgl. Hilbert 1987: 101. 48 Vgl. Kelly/Judd 1955 und 1976. Das Farbwörterbuch ist außerdem online einsehbar unter http://www.anthus.com/Colors/NBS.html.

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter

6.4.4

89

Farben im Gedächtnis

Wer einen Teppich kaufen möchte, der zu seinen Fenstervorhängen passt, tut gut daran, ein Farbmuster der Vorhänge mit ins Teppichgeschäft zu nehmen und sich nicht allein auf sein Gedächtnis zu verlassen. Nicht alle Farben werden gleich gut im Gedächtnis gespeichert: Fokalfarben (die jeweils am meisten gesättigte Farbe, die mit einem Farbwort bezeichnet wird)49 sowie für Objekte typische Farben50 werden genauer im Gedächtnis behalten als andere. An geringe Differenzen zwischen Farben können Probanden sich nicht erinnern: Uchikawa und Ikeda (1981) sowie Uchikawa (1983) führten Experimente durch, in denen der simultane Farbvergleich dem sukzessivem Farbvergleich gegenübergestellt wurde. Die Probanden bekamen jeweils zwei Farben leicht unterschiedlicher Wellenlänge in Form eines Lichtblitzes präsentiert, zu denen sie angeben sollten, ob sie diese als unterschiedlich wahrnehmen. Das Zeitintervall, in dem die Farben gezeigt wurden, wurde immer weiter vergrößert. Dabei stellte sich heraus, dass bereits bei einem Abstand von 60 Millisekunden die Unterscheidungsfähigkeit abnahm und ab 190 Millisekunden keine Unterscheidung mehr möglich war. Diese sehr kurzen Abstände zeigen, dass geringe Differenzen der Wellenlänge schon nach sehr kurzer – für den Alltag kaum relevanter – Zeit nicht mehr erinnert werden können.

6.4.5

Vagheit macht Farbprädikate „alltagstauglich“

Die begriffliche Unterscheidung von Farbtönen wie „Dark Purplish Grey“, „Deep Purplish Grey“ und „Dusk Purplish Grey“ (dunkle Violett-Töne) würde im Alltag zu Schwierigkeiten führen. Nicht, weil die Farben nicht unterscheidbar wären – das sind sie –, sondern weil eine korrekte Zuordnung zum jeweiligen Farbprädikat aufgrund der hohen Ähnlichkeit ohne einen Vergleich mit einem Muster nicht geleistet werden könnte. Der exakte Farbton bleibt nicht im Gedächtnis; nicht umsonst gibt es Stoffmusterbücher. Wenn also der genaue Farbton relevant ist, wird weder auf das Gedächtnis noch auf die (Alltags-)Sprache vertraut. Daher ist es nicht nur unproblematisch, sondern in der Alltagskommunikation sogar von Nutzen, dass Farbprädikate vage sind. Dabei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle: (i.) Um scharfe Grenzen zwischen benachbarten Farben ziehen zu können, wären Hilfsmittel nötig, wie beispielsweise ein Musterbuch (also etwa die oben erläuterte NBS-Klassifikation oder das Munsell Book of Colors) oder Messgeräte zur Ermittlung der Wellenlänge. Das ständige Hinzuziehen dieser Hilfs49 50

Vgl. Rosch Heider 1972: 17. Vgl. Ratner/McCarthy 1990: 374.

90

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

mittel würde jedoch einen erheblichen Aufwand bedeuten, der in der Alltagskommunikation unangebracht wäre. Gegen eine Messung von Wellenlängen gibt es zudem zwei Einwände: (a.) Da die Farbwahrnehmung selbst nicht gemessen werden kann, wäre es nicht sinnvoll, jeden Wellenlängenunterschied direkt sprachlich zu kodieren, da nicht sicher ist, ob er überhaupt wahrgenommen wird. Auch bestehen große interindividuelle Unterschiede im Farbunterscheidungsvermögen. Parikh weist darauf hin, dass eine Definition anhand der Wellenlänge nicht notwendigerweise unserem Sprachgebrauch entspräche.51 (b.) Die Divergenz von Wahrnehmung und Messung kann zu Problemen führen: Zum einen können verschiedene Wellenlängen zum gleichen Zeitpunkt gleich wahrgenommen werden: In diesem Fall liegen sogenannte metamere Farben vor. Das sind Farben, die aufgrund ihrer Wellenlänge physikalisch verschieden sind, jedoch durch die menschlichen Farbrezeptoren als gleich wahrgenommen werden.52 Das oben erwähnte Phänomen der Farbkonstanz würde das gleiche Problem aufwerfen: In der Dämmerung dürfte ein Feuerwehrauto nicht mehr als „rot“ bezeichnet werden, wenn nur noch die (aktuell) remittierte Wellenlänge zählt. Umgekehrt können Beobachter aber auch gleiche Wellenlängen zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Umgebungen unterschiedlich wahrnehmen.53 In beiden Fällen müsste der Sprecher aufgrund der Messergebnisse gezwungen werden, Farbprädikate zu verwenden, die durch seine Wahrnehmung nicht gedeckt ist: Entweder verschiedene Prädikate bei gleicher Wahrnehmung oder gleiche Prädikate bei unterschiedlicher Wahrnehmung. Beide Einwände laufen darauf hinaus, dass im Falle eines Primats der Wellenlängenmessung die Farbwörter dem Bereich der Wahrnehmungsprädikate im engeren Sinne entzogen würden. Dies widerspricht aber der Art und Weise, wie Farbwörter gewöhnlich verwendet werden. (ii.) Dass vage Prädikate nicht nur der menschlichen Wahrnehmung, sondern auch der vorhandenen Gedächtnisleistung eher entsprechen als präzise, ist ebenfalls am Beispiel der Farbprädikate erkennbar. Wie oben bereits angedeutet, muss für eine exakte Abstimmung von Farben immer ein Muster herangezogen werden, da nahe beieinander liegende Farben aus der Erinnerung nicht mehr unterschieden werden können bzw. im Gedächtnis eine Verschiebung der Farben in Bezug auf Sättigung und Helligkeit stattfindet. Dass die Farbprädikate unscharfe Grenzen aufweisen, hat nach Crispin Wright den Vorteil, dass Menschen Farben zu einem „vernünftigen“54, das heißt sachangemessenen Genauigkeitsgrad im Gedächtnis behalten können; sie 51

Vgl. Parikh 1994: 525. Vgl. etwa Hilbert 1987: 81ff. sowie Wyszecki/Stiles 1967: 230. 53 Vgl. etwa Goldstein 1988: 452. 54 Wright 1975: 335. 52

Wahrnehmung und Gedächtnis: Das Beispiel der Farbwörter

91

müssen keine graduellen, nicht-erinnerbaren Änderungen berücksichtigen, weil sie für die Farbwörter keine Rolle spielen.55 Wären solche Unterschiede relevant für Farbprädikate in der Alltagssprache, wäre ihre korrekte Anwendung kaum möglich. Die vagen Farbprädikate entsprechen demnach nicht nur der menschlichen Wahrnehmung, sondern auch der beschränkten Gedächtnisleistung besser als präzise. (iii.) In der Praxis sind es nicht Farbplättchen gleicher Größe und Oberfläche, denen ein Farbprädikat zugeschrieben wird, sondern Gegenstände mit sehr verschiedenen Oberflächen. Bei der Farbbezeichnung muss die jeweilige Kontrastklasse berücksichtigt werden: Die Farbe des roten Backsteins mag ein Grenzfall von „Rot“ sein; da Farbprädikate dank ihrer Vagheit jedoch flexibel gehandhabt werden können,56 stellt dies in der Kommunikation kein Problem dar. Im Vergleich mit anderen Steinen ist völlig klar, was mit dem „roten Backstein“ gemeint ist, auch wenn er die gleiche Farbe hat wie eine „braune“ Kuh: „Roten“ und „gelben“ Backstein zu unterscheiden geht zudem schneller, als verschiedene Brauntöne zu differenzieren. Parikh erläutert dieses Phänomen anhand des Farbwortes „white“ und erklärt, warum es normalerweise kein Problem darstellt: Thus a person with skin of a certain colour may be called „white“, but a stocking of the same colour will be called „flesh-coloured“, and a wall of the same colour may be called „beige“ or „pink“ as the case may be. No problem arises here since one rarely mistakes a person for a stocking.57

(iv.) Wie in Kapitel 5 bereits ausführlich dargelegt, ist die Vagheit von Prädikaten bereits im Spracherwerb angelegt. Sie werden durch Ostension und induktive Erweiterung ausgehend von einem Prototypen erlernt. Dies gilt auch für Farbprädikate. Ein zusätzliches Erlernen scharfer Grenzen von Farbprädikaten ist nicht notwendig. (v.) Spielräume bei der Verwendung von Farbprädikaten tragen zudem der Tatsache Rechnung, dass es Unterschiede in der Farbwahrnehmung verschiedener Personen sowie zwischen den Farbwahrnehmungssituationen – auch desselben Beobachters – gibt. Zwar kann ein einzelner Beobachter zum selben Zeitpunkt sehr feine Farbunterscheidungen treffen; eine direkte Widerspiegelung dieser feinen Differenzen in alltagssprachlichen Farbprädikaten wäre jedoch untauglich für die Kommunikationspraxis, da diese feinen Unterscheidungen über den Wahrnehmungszeitpunkt und das Individuum hinaus nicht vermittelbar sind.58

55

Vgl. ebd. Zur Flexibilität durch Vagheit siehe unten Kapitel 7.2.2. 57 Parikh 1983: 259. 58 Vgl. Hardin 1988: 221. 56

92

Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Mit den oben genannten Punkten sollte deutlich geworden sein, dass Farbprädikate erst durch ihre Vagheit „alltagstauglich“ werden. Selbstverständlich soll jedoch auch hier nicht geleugnet werden, dass es durchaus Kontexte gibt, in denen eine präzise Unterscheidung und Bezeichnung von Farben notwendig ist. Für wissenschaftliche und industrielle Zwecke sind die NBS-Klassifikation oder das Munsell Book of Colors sinnvoll. Farbprädikate wie „Dusk Purplish Grey“ sind dementsprechend jedoch eher der Fach- als der Alltagssprache zuzuordnen. Die Vagheit der alltagssprachlichen Farbprädikate verleiht dem Sprecher hingegen die nötige Flexibilität, Farbbenennungen ohne Hilfsmittel und aus dem Gedächtnis vorzunehmen und sie auf verschiedene Materialien und Gegenstände anzuwenden. (Wahrnehmungs-)Differenzen zwischen einzelnen Personen und Situationen führen nicht dazu, dass Farbprädikate nicht angewendet werden können, und auch der Erstspracherwerb stellt dem Sprecher ausreichend Mittel für die Anwendung von Farbprädikaten zur Verfügung. Zudem kann in gewissem Maße auch in der Alltagssprache eine Präzisierung erfolgen, wenn es jedoch auch keine ist, die Vagheit eliminiert: Mit Prädikaten wie „blaugrün“, „hellblau“ oder „grasgrün“ können weitere Differenzierungen vorgenommen werden, wo sie erforderlich sind.59

6.5

Zwischenfazit: Vagheit, Wahrnehmung und Gedächtnis

Erkenntnisse der Gedächtnis- und Wahrnehmungspsychologie legen nahe, dass unscharf begrenzte Kategorien den limitierten sensorischen und kognitiven Ressourcen des Menschen besser entsprechen als solche mit scharfen Grenzen. Dementsprechend weisen vage Prädikate in der Alltagskommunikation einige Vorteile gegenüber Prädikaten mit präzisen Extensionsgrenzen auf: Durch unscharfe Grenzen wird eine schnelle Kategorisierung und Benennung von Gegenständen gewährleistet, die Zeit und Aufwand erspart. Dieser wäre bei der Anwendung scharf begrenzter Extensionen manchmal notwendig, da die menschliche Wahrnehmung nicht auf beliebig kleine Unterschiede ausgelegt ist, ebenso wenig wie das menschliche visuelle Gedächtnis. Am Beispiel der Farbwörter wurde gezeigt, wie unscharfe Grenzen Prädikate erst „alltagstauglich“ machen.

59 Auf die Schaffung neuer Prädikate für den Umgang mit Vagheit wird in Kapitel 7.5.6 näher eingegangen.

7

Vagheit in der Kommunikationssituation

Nicht nur kognitive und sensorische Beschränkungen des Menschen sorgen dafür, dass Vagheit in natürlichsprachlicher Kommunikation ihren Platz hat. Die meisten Prädikate natürlicher Sprachen sind vage. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Kommunikation mit ihnen in der Regel gelingt. Die formallogischen Probleme scheinen also nicht dazu zu führen, dass die Kommunikation mit vagen Prädikaten nicht funktioniert. Diese Feststellung lässt allerdings Raum für zwei Möglichkeiten: Dass unsere Kommunikation wegen oder trotz Vagheit der Prädikate erfolgreich ist. Das folgende Kapitel soll Anhaltspunkte für die erste der beiden Optionen geben und zeigen, dass vage Prädikate zu einer gelingenden Kommunikation besser beitragen können als präzise. Dazu wird untersucht, welche Rolle Vagheit in der konkreten Kommunikationssituation spielt. Zunächst wird auf das Gricesche Kooperationsprinzip und die daraus abgeleiteten Konversationsmaximen zurückgegriffen; hier kann gezeigt werden, dass Vagheit überwiegend zur Befolgung der Maximen beiträgt und sie nur selten deren Verletzung bewirkt (Kapitel 7.1). Anschließend wird gezeigt, dass Vagheit einen wesentlichen Beitrag zur kommunikativen Ökonomie leistet: Mit wenig Aufwand kann ein großer kommunikativer Nutzen erzielt werden. Dazu trägt auch die Flexibilität vager Prädikate bei. Diese spielt wiederum eine wichtige Rolle beim Bedeutungswandel (Kapitel 7.2). Ob Vagheit dem Kommunikationserfolg zuträglich ist, ist immer auch vom Präzisionsniveau der Kommunikationssituation abhängig: Manchmal ist hohe Präzision gefordert, so dass auch ein größerer Aufwand dafür in Kauf genommen wird; in den meisten Fällen kann dieser aber eingespart werden, so dass große Toleranzräume existieren. Mit Vagheit wird daher ein alltagsangemessenes Präzisionsniveau erreicht (Kapitel 7.3). Zudem kann Vagheit – auch wenn sie nicht als Generalität verstanden wird – strategisch genutzt werden. Mit strategischer Vagheit befasst sich Kapitel 7.4. Wenn es dennoch durch Vagheit zu Störungen der Kommunikation kommt oder zu kommen droht, stehen verschiedene Reparaturmechanismen und Strategien zum Umgang mit Vagheit zur Verfügung; diese werden in Kapitel 7.5 erläutert.

7.1

Vagheit und Konversationsmaximen

Zur Demonstration des Beitrags von Vagheit zu gelingender Kommunikation soll an dieser Stelle auf die Gricesche Theorie der Konversationsmaximen zu-

94

Vagheit in der Kommunikationssituation

rückgegriffen werden. Diese Maximen sowie das ihnen zugrunde liegende Kooperationsprinzip entwickelte Herbert Paul Grice in seinem Aufsatz Logic and Conversation (1975) (deutsch: Logik und Konversation, 1979). Mit dem Kooperationsprinzip wollte er die Bedingungen aufzeigen, die jeder Konversation, unabhängig von ihrem Gegenstand, zugrunde liegen.1 Mit den Konversationsmaximen formulierte er die Voraussetzungen für gelingende Kommunikation und hat damit entscheidend zur Entwicklung der linguistischen Gesprächsanalyse beigetragen. Mit den Konversationsmaximen und der Theorie der konversationellen Implikatur kann gezeigt werden, warum Kommunikation in der Praxis funktioniert, obwohl formallogisch betrachtet Teile von Argumenten fehlen. Auf dieser Basis soll hier nachgewiesen werden, dass auch Vagheit eine Bedingung gelingender Kommunikation ist. Denn in der Alltagskommunikation wären scharfe Grenzen und hohe Präzision oft nicht nur irrelevant, sondern würden die Kommunikation sogar behindern, da sie in vielen Fällen situationsunangemessen wären. Genau diese Unangemessenheit lässt sich durch die Verletzung Gricescher Konversationsmaximen erklären.

7.1.1

Das Kooperationsprinzip

Grice geht davon aus, dass Gespräche „nicht aus einer Abfolge unzusammenhängender Bemerkungen“2 bestehen – andernfalls wäre die Kommunikation auch nicht rational –, sondern dass die Gesprächsteilnehmer sich kooperativ zueinander verhalten. Durch die Annahme, dass sein Gesprächspartner sich kooperativ verhält, kann der Hörer die kommunikativen Absichten des Sprechers leichter erkennen, als wenn er nicht von dessen Kooperation ausginge. Sprecher und Hörer akzeptieren gemeinsam einen Zweck oder eine bestimmte Richtung des Gesprächs.3 Diese Voraussetzung gelingender Kommunikation formuliert Grice im Kooperationsprinzip: „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird.“4 Aus diesem allgemeinen Prinzip leitet Grice vier Konversationsmaximen ab: die Maximen der Qualität, der Quantität, der Relevanz und der Modalität.

7.1.2

Konversationsmaximen und Implikaturen

(i.) Die Maxime der Quantität (quantity) bezieht sich auf die Menge der vermittelten Information. Sie besteht aus zwei Teilen: 1

Vgl. Grice 1979b [1975]: 245. Ebd.: 248. 3 Vgl. ebd. 4 Ebd. 2

Vagheit und Konversationsmaximen

95

1. Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig. 2. Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.5

Grice weist ausdrücklich auf die Bedeutung der zweiten Teilmaxime hin. Denn zu viel Information könnte den Hörer verwirren: Zum einen könnten durch sie Nebenthemen aufgeworfen werden, die eigentlich nicht Gegenstand des Gesprächs werden sollten. Zum anderen könnte der Hörer denken, „mit der Übermittlung der überschüssigen Information habe es irgendetwas bestimmtes auf sich“.6 Denn warum sollte der Sprecher sich sonst die Mühe machen, diese Information zu übermitteln? Diese Frage wird in Bezug auf Vagheit ein wichtiger Punkt sein. (ii.) Die Maxime der Qualität (quality) bezieht sich auf das Für-wahr-Halten der Aussage durch den Sprecher und auf die epistemische Rechtfertigung, die er für seine Aussage hat: 1. Sage nichts, was du für falsch hältst. 2. Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen.7

Es wird also nicht vom Sprecher verlangt, nur wahre Aussagen zu treffen; dies wäre gar nicht möglich, da der Sprecher nicht jede seiner Aussagen verifizieren kann. Aber er sollte eben nicht wissentlich etwas Falsches sagen. Ein Lügner macht sich diese Konversationsmaxime zunutze: Der Hörer unterstellt ihm zunächst einmal Wahrhaftigkeit und kann dadurch irregeführt werden. (iii.) Die Maxime der Relevanz (relation8) besteht aus nur einer Regel. Sie ist so knapp formuliert, dass sie selbst ein gutes Beispiel ihrer eigenen Anwendung abgibt. Sie lautet schlicht: Sei relevant.9

Die Annahme, dass der Sprecher seine Äußerungen gemäß der Relevanzmaxime tätigt, lässt auch scheinbar unzusammenhängende Aussagen zu angemessenen Gesprächsbeiträgen werden. Wenn etwa A fragt: „Wollen wir heute abend ausgehen?“ und B antwortet: „Ich bin müde“, scheinen diese Aussagen auf der wörtlichen Bedeutungsebene zunächst einmal nichts miteinander zu tun zu haben. Da A jedoch annehmen darf, dass B kooperativ ist und dementsprechend eine relevante Antwort gibt, kann A folgern, dass B meint, er sei auch abends noch müde und dementsprechend zu müde, um auszugehen, oder er wolle an diesem Tag früh schlafen gehen und deshalb nicht mitkommen.

5

Ebd.: 249. Ebd (Hervorhebung im Original). 7 Ebd. 8 In der Originalübersetzung als „Relation“ übersetzt; inzwischen hat sich „Relevanz“ in der deutschsprachigen Literatur durchgesetzt. 9 Grice 1979b [1975]: 249. 6

96

Vagheit in der Kommunikationssituation

(iv.) Die Maxime der Modalität (manner) befasst sich mit der Art und Weise, wie etwas mitgeteilt wird. Sie enthält vier Untermaximen: Sei klar. […] 1. Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. 2. Vermeide Mehrdeutigkeit. 3. Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit). 4. Der Reihe nach!10

Die Maxime der Modalität kann in der Tat durch Vagheit verletzt werden; dies wird in Kapitel 7.1.3.2 untersucht. Grice hält die aufgelisteten Konversationsmaximen nicht für erschöpfend: Er schließt die Existenz weiterer Maximen nicht aus und erklärt, dass es auch noch Maximen anderer Art geben könne, etwa ästhetische, gesellschaftliche oder moralische (etwa „Sei höflich.“).11 In der Nachfolge von Grice ist umgekehrt allerdings auch versucht worden, die Maximen zu reduzieren, etwa auf die Maxime der Relevanz in der Relevanztheorie von Dan Sperber und Deirdre Wilson12, auf die in Kapitel 7.2.1 näher eingegangen wird. So könnte etwa auch die Verletzung der Maxime der Qualität als Verstoß gegen die Relevanzmaxime gedeutet werden, da eine unwahre Äußerung nicht relevant ist. Bei allen Konversationsmaximen gilt die Vorannahme ihrer Erfüllung: Daher kann der Sprecher durch die augenscheinliche Verletzung der Maximen zusätzliche Bedeutung vermitteln. Diese Bedeutung kann der Hörer erschließen, da er zunächst von der Kooperativität seines Gegenübers ausgeht. Was mit dem scheinbaren Verstoß gegen die Maximen angedeutet wird, nennt Grice konversationelle13 Implikaturen (conversational implicatures); die zusätzliche Bedeutung wird implikatiert14 (implicated). Mit einer konversationellen Implikatur kann der Hörer Schlussfolgerungen ziehen, die er durch eine formallogische Implikation nicht ziehen könnte. Ein Beispiel von Grice mag dies erläutern: A ist mit seinem Auto liegengeblieben, B kommt vorbei und es spielt sich folgender Dialog ab: A: „Ich habe kein Benzin mehr.“ B: „Um die Ecke ist eine Werkstatt.“15

10

Ebd.: 250. Vgl. ebd. 12 Vgl. Sperber/Wilson 1986. 13 Der Anglizismus „konversational“ der Originalübersetzung wurde in der deutschsprachigen Literatur inzwischen durch „konversationell“ ersetzt. 14 Die Originalübersetzung schlägt hier das Wort „impliziert“ vor. Da dies aber im Deutschen bereits durch die logische Implikation besetzt ist – von dem die konversationelle Implikatur ja gerade abgegrenzt werden soll – wird heutzutage „implikatieren“ verwendet. Kemmerling (1991: 323) verwendet auch „implikieren“. 15 Grice 1979b [1975]: 255. 11

Vagheit und Konversationsmaximen

97

Auf den ersten Blick muss Bs Äußerung nicht unbedingt etwas mit der von A zu tun haben. Eine formallogische Implikation ist hier also nicht möglich. Da aber A davon ausgeht, dass B kooperativ ist und sich an die Konversationsmaximen hält – das heißt: ihm die benötigte Information vermittelt, etwas für die Situation Relevantes aussagt, nicht etwas wider besseres Wissen sagt etc. – kann A schließen, dass die Werkstatt geöffnet hat und dass sie Benzin verkauft; dies hat B mit seiner Äußerung implikatiert. Wäre B der Meinung, die Werkstatt sei geschlossen oder verkaufe kein Benzin, wäre Bs Aussage irrelevant und überflüssig (das heißt enthielte zu viel Information).

7.1.3

Die Rolle der Vagheit beim Befolgen der Maximen

Da ein Großteil der natürlichsprachlichen Prädikate vage ist, kann davon ausgegangen werden, dass auch in der Kommunikation mit vagen Prädikaten die Griceschen Konversationsmaximen und das Kooperationsprinzip in der Regel befolgt werden; durch scheinbare Verletzungen wird mittels konversationeller Implikatur zusätzliche Bedeutung vermittelt. Die unscharfe Begrenzung natürlichsprachlicher Prädikate stellt offenbar kein Problem für eine funktionierende Kommunikation gemäß den Maximen dar. Die Anweisung „Schaufle den Sandhaufen dort weg.“ ist in der Regel informativ genug, um ihr Folge zu leisten; die genaue Körnerzahl würde mehr Informationen als nötig enthalten und den Hörer schlussfolgern lassen, dass es mit der exakten Anzahl etwas Besonderes auf sich habe (etwa dass er nicht den ganzen Haufen, sondern nur die genannten 957 Körner wegschaufeln soll). Der Rat „Zieh das rote Kleid an.“ ist auch bei einem Grenzfall von „Rot“ eindeutig, wenn die Alternative ein grünes Kleid ist und kein anderer „Rot“Kandidat: Hier muss die Farbe nicht noch weiter spezifiziert werden, weil sie relevant genug ist, damit der Hörer sie versteht. Auch hier gibt es einen Unterschied zwischen Vagheit und Generalität: Zu allgemeine und unspezifische Aussagen, die alltagssprachlich ebenfalls als „vage“ bezeichnet werden, verletzen die erste Maxime der Quantität: Die Aussage ist nicht informativ genug, der Sprecher spezifiziert auch da nicht, wo es notwendig (und prinzipiell auch möglich) wäre.16 Der Hörer erhält nicht alle benötigten Informationen; die Kommunikation misslingt möglicherweise. Dieses Misslingen kann dem Sprecher zur Last gelegt werden. Vagen Prädikaten ist die unscharfe Begrenzung dagegen inhärent. Sie kann zwar auch zu Konflikten führen – daher ist Vagheit in manchen Fällen problematisch, wie etwa in der Bioethik –, sie ist dem Sprecher jedoch in der Regel nicht vorwerfbar. Im Gegensatz zur mangelnden Spezifizierung wird bei semantischer Vagheit die erste Maxime also nicht verletzt.

16

Siehe zum Unterschied zwischen Vagheit und Generalität Kapitel 2.2.3.1.

98

Vagheit in der Kommunikationssituation

7.1.3.1 Die Befolgung der Maximen durch Vagheit In Bezug auf Sorites-Vagheit lässt sich feststellen, dass die unscharfen Grenzen der Begriffsextensionen der Befolgung der Konversationsmaximen sogar zuträglich sind. Betrachten wir wieder das klassische Beispiel eines Körner-Haufens: Im Alltag spielt die genaue Anzahl der Körner keine Rolle, sie ist nicht relevant. Sie mitzuteilen, verstieße demzufolge gegen die zweite Maxime der Quantität („Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.“), gegen die Maxime der Relevanz sowie gegen die dritte Maxime der Modalität („Sei kurz.“). Würde die genaue Körneranzahl dennoch mitgeteilt, läge eine konversationelle Implikatur vor, aus der der Hörer weitergehende Schlüsse ziehen würde; etwa, dass der Sprecher Mathematiker sei oder ein Pedant oder dass sich eine Geschichte hinter der genauen Zahlenangabe verberge (etwa ein Wettbewerb um den größten Körnerhaufen). Nun kann eingewendet werden, dass die genaue Anzahl der Körner eines Haufens in jenem Moment relevant würde, in dem das Prädikat „Haufen“ eine scharfe Grenze zugesprochen bekäme. Dann wäre das Wissen um die Körneranzahl notwendig, um das Prädikat korrekt anwenden zu können. Das ist zwar richtig; dennoch bliebe es auch in diesem Fall dabei, dass die Körneranzahl für die Situation selbst typischerweise nicht relevant wäre: Wer den Haufen wegschaufeln soll, für den macht ein Korn mehr oder weniger keinen Unterschied. Ihm die genaue Körneranzahl mitzuteilen, wäre nach wie vor kommunikativ unangemessen. Dennoch zeigt der Einwand, dass die scharfe Begrenzung von Begriffen zu einem allgemeineren Problem führt: Um die korrekte Anwendung scharf begrenzter Prädikate zu gewährleisten, müssten in der Alltagskommunikation fast immer genaue quantitative Angaben mitgeteilt werden. Denn viele Grenzen bei Beobachtungsprädikaten können ohne großen Material-, Energie- oder Zeitaufwand vom Menschen nicht erkannt werden.17 Angenommen, die Grenze für das Prädikat „Haufen“ läge bei 100 Körnern. Nun reicht es nicht, nur zu wissen, dass ich jetzt einen Haufen vorliegen habe, er also aus mindestens 100 Körnern besteht. Ich müsste auch wissen, was mit der Prädikatszuschreibung geschieht, wenn ich den Haufen modifiziere, also etwa ein Korn entferne. Es ist eine Zusatzinformation nötig; es reicht nicht mehr, nur das allgemeine Prädikat anzuwenden, zumindest nicht, wenn die Zahl nahe an der scharfen Grenze liegt (also bei unseren jetzigen Grenzfällen). Ansonsten wäre das Prädikat nicht korrekt handhabbar. Hier wären Prädikate wie „Haufen105“, „Haufen104“, „Haufen103“ etc. vorstellbar. Diese brächten wiederum einige praktische Probleme mit sich: Zunächst müsste – zumindest einmal, und zwar bei der Benennung der Körneransammlung – die genaue Körneranzahl ermittelt werden, um sie weiterzugeben. Anschließend müssten alle folgenden Sprecher an einer 17

Siehe zu Vagheit und Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen Kapitel 6.2.

Vagheit und Konversationsmaximen

99

Rechnung beteiligt werden (ähnlich dem Kettenrechnen in der Grundschule): Jeder Sprecher müsste im Auge behalten, wie viele Körner der Haufeni verliert oder hinzubekommt, um die korrekte Zahl weitergeben zu können oder auch das Herausfallen aus dem Anwendungsbereich des Prädikats feststellen zu können. Dass dieses Verfahren fehlerfrei abläuft, ist kaum zu erwarten; zudem nähme es unangemessen viel Aufmerksamkeit, Energie und Zeit des Sprechers in Anspruch. Die Alltagskommunikation würde also bei scharf begrenzten Prädikaten von Zahlen- und ähnlichen Angaben durchsetzt, die zwar für die korrekte Anwendung der Prädikate notwendig wären, in der konkreten Situation jedoch außer für die Benennung nicht von Belang wären. Der Arbeiter mit der Schaufel braucht keine Korn-genaue Angabe über den Haufen; ein Toupet-Verkäufer interessiert sich zwar dafür, ob sein Kunde glatzköpfig ist oder nicht, aber nicht für die genaue Anzahl seiner Haare; und wenn eine Insel „an einem Tag zu Fuß zu umrunden“ ist, kommt es dem Wanderer auch nicht auf einen Meter an. Dem Hörer in diesen Fällen immer genaue Zahlen zu vermitteln, verstieße gegen die Maximen der Quantität, der Relevanz und der Modalität zugleich.

7.1.3.2 Die Verletzung der Maximen durch Vagheit Da die Kommunikation mit vagen Prädikaten in der Regel erfolgreich ist, sind vage Prädikate der Befolgung der Griceschen Konversationsmaximen offenbar nicht abträglich. Wie im vorangegangen Abschnitt erläutert wurde, kann Vagheit sogar zur Erfüllung der Maximen beitragen. Dennoch sind Fälle vorstellbar, in denen durch Vagheit Konversationsmaximen verletzt werden: Wenn von einem Grenzfall die Rede ist und Sprecher und Hörer das Prädikat nicht in gleicher Weise darauf anwenden (intersubjektive Variabilität), kann es zu Missverständnissen kommen. Angenommen, es liegen zwei verschieden große Körneransammlungen auf dem Boden, die beide Grenzfälle von „Haufen“ sind. Der Sprecher hält die eine Ansammlung für einen Haufen, die andere nicht, und er weist den Hörer an: „Schaufle den Haufen zur Seite.“ In diesem Fall war die Äußerung des Sprechers nicht informativ genug für den vorliegenden Gesprächszweck; die erste Maxime der Quantität wurde verletzt. Wäre eine Nachfrage durch den Hörer nicht möglich („Welchen Haufen meinst du denn?“), dann könnte der Hörer seiner Aufgabe nicht nachkommen. Auch könnte die Ausdrucksweise des Sprechers für den Hörer unklar sein, wenn Sprecher und Hörer einen Grenzfall unterschiedlich bewerten. Hier läge eine Verletzung der Modalitätsmaxime vor, da die Klarheit des Ausdrucks nicht gewährleistet ist. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass Reparaturmechanismen wie das Nachfragen in aller Regel möglich sind. Missverständnisse können

100

Vagheit in der Kommunikationssituation

zwar entstehen (nicht nur, aber auch durch Vagheit), aber meist auch wieder ausgeräumt werden.18 In Bezug auf die Konversationsmaximen stünden bei einer Kosten-NutzenRechnung der Vagheit demnach wenige mögliche – und meist reparable – Verletzungen der Quantitäts- und Modalitätsmaxime durch Vagheit einer ständigen Verletzung der Maximen der Quantität, Relevanz und Modalität durch scharf begrenzte Prädikate gegenüber. Unter dem Aspekt der Befolgung der Griceschen Maximen wiegt der Nutzen der Vagheit offenbar schwerer als ihre Nachteile.

7.2

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel

Die oben angestellte Kosten-Nutzen-Kalkulation der Vagheit verweist bereits auf das Feld der kommunikativen Ökonomie. In Bezug auf den interessenrelativen Kontextualismus19 und auf die kognitiven Aspekte vager Prädikate20 wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Prädikate unter dem Aspekt der kognitiven Ökonomie von Vorteil sein können: Die Möglichkeit einer schnellen Kategorisierung entlastet Sprecher und Hörer, da sie Zeit und Energie spart. Untrennbar damit verknüpft ist die kommunikative Ökonomie: Diese wird gewährleistet durch die Flexibilität vager Prädikate, die wiederum auf lange Sicht und beim Auftreten neuer Kommunikationsbedürfnisse in einer Sprachgemeinschaft zu Bedeutungswandel führen kann. Auf diese drei Aspekte soll im Folgenden eingegangen werden.

7.2.1

Kommunikative Ökonomie

Kommunikative Ökonomie – auch als sprachliche Ökonomie oder kommunikative Effizienz bezeichnet – betrachtet das durch einen kommunikativen Akt erzielte Ergebnis im Verhältnis zum geleisteten Aufwand. Ziel ist es, ein bestimmtes Kommunikationsergebnis mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen, also eine möglichst hohe Aufwandeffizienz zu erzielen (im Gegensatz zur Ergebniseffizienz, für die bei gleichem Aufwand das Ergebnis maximiert wird).21

18

Siehe zu den Reparaturmechanismen unten Kapitel 7.5. Siehe oben Kapitel 3.3.4. 20 Siehe oben Kapitel 6. 21 Vgl. Roelcke 2008: 779f. 19

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel

101

Kosten können in verschiedener Form entstehen: Ein Redebeitrag kann beim Sprecher und beim Hörer Zeit und kognitiven Verarbeitungsaufwand verlangen; beim Sprecher kommt noch artikulatorische Energie hinzu.22 In der Forschung wird die kommunikative Ökonomie auf verschiedenen Ebenen der Sprachbeschreibung untersucht: So gehört die Einsparung redundanter Phonemmerkmale ebenso dazu wie eine Beschleunigung des Sprechtempos.23 Für die Betrachtung semantischer Vagheit als Beitrag zur kommunikativen Ökonomie ist allerdings primär die Wortschatzebene von Bedeutung. Nach Martinet gibt es eine „ständige Antinomie zwischen den Kommunikationsbedürfnissen des Menschen und seiner Tendenz, seine geistige und körperliche Tätigkeit auf ein Minimum zu beschränken.“24 Der Mensch handele nach dem „Gesetz des geringsten Kraftaufwandes“. Sprachliche Ökonomie ist nach Martinet das […] ständige Streben nach einem Gleichgewicht zwischen widerstreitenden Bedürfnissen, denen Genüge getan werden muß: Kommunikationsbedürfnisse auf der einen, Gedächtnisträgheit und Trägheit des Artikulierens – diese beiden in ständigem Konflikt – auf der anderen Seite […].25

Genau dieses Gleichgewicht wird durch vage Prädikate hergestellt: Wenn es notwendig ist, sind sie präzisierbar; wo es aber nicht notwendig ist, können durch ihre Verwendung Aufwand, Zeit und Energie eingespart werden. Krifka zeigt am Beispiel von Zahlenangaben, dass Kürze – und die damit eingesparte artikulatorische Energie – oft wichtiger ist als Präzision: Er vergleicht die Sätze „The distance between Amsterdam and Vienna is one thousand kilometers.“ und „The distance between Amsterdam and Vienna is nine hundred sixty-five kilometers.“ und kommt zu dem Schluss: „Whatever [„The distance between Amsterdam and Vienna is one thousand kilometers.“] is lacking in precision is compensated by the gain in brevity, at least in typical situations.“26 Welche Abweichung von einem präzisen Ideal in der Kommunikation akzeptiert wird, hat beispielsweise etwas mit dem verwendeten Zahlensystem zu tun; darauf wird in Kapitel 7.3 näher eingegangen. Die Forderung der Aufwandsminimierung entspricht mehreren Griceschen Maximen: Gemäß der Maxime der Quantität soll ein Gesprächsbeitrag nur genau so informativ wie nötig sein; nach der Maxime der Relevanz soll er relevant sein; und entsprechend der dritten Maxime der Modalität soll er kurz sein. Sperber und Wilson haben in ihrer Relevanztheorie ausgearbeitet, wie die Maxime der Relevanz in den Dienst der Aufwandsminimierung gestellt wird:

22

Vgl. Keller/Kirschbaum 2003: 139. Vgl. Polenz 2000: 30f. Martinet 1963: 164. 25 Ebd.: 165f. 26 Krifka 2002: 435. 23 24

102

Vagheit in der Kommunikationssituation (a) Other things being equal, the greater the cognitive effect achieved by the processing of a given piece of information, the greater its relevance for the individual who processes it. (b) Other things being equal, the greater the effort involved in the processing of a given piece of information, the smaller its relevance for the individual who processes it.27

Im Interesse von Sprecher und Hörer liegt demnach eine möglichst hohe Relevanz der Äußerung: So soll mit möglichst wenig Produktions- und Verarbeitungsaufwand ein möglichst hoher kognitiver Effekt erzielt werden (etwa die Änderung von Überzeugungen des Hörers). Sperber und Wilson unternehmen den Versuch, die Griceschen Maximen allein auf die Maxime der Relevanz zu reduzieren: Denn etwa die Maxime der Qualität, so Sperber und Wilson, werde strenggenommen schon durch bildhafte Sprache und „losen“ Sprachgebrauch verletzt, da solche Äußerungen, wenn sie wörtlich genommen würden, nicht wahr seien, aber dennoch Information vermittelten.28 Die Qualitätsmaxime würde demnach im normalen Sprachgebrauch fast nie befolgt. Dem Hörer müsse es daher nach Sperber und Wilson nicht darum gehen, dass der Sprecher möglichst viel Wahres sage, sondern dass das Gesagte relevant sei. Relevant ist eine Äußerung dann, wenn sie es wert ist, kognitiv verarbeitet zu werden.29 Je größer der kognitive Effekt im Verhältnis zum notwendigen Verarbeitungsaufwand der Äußerung, desto relevanter ist sie.30 Relevanz ist also gradierbar; manche Äußerungen sind relevanter als andere.31 Sperber und Wilson führen das Beispiel eines Dialogs bei einem Arztbesuch an: Von den drei möglichen wahren Aussagen gegenüber einem kranken Patienten „You are ill.“, „You have flu.“ und „You have flu or the 29 is the square root of 843.“32 wäre die zweite die relevanteste, weil sie bei gleichem Verarbeitungsaufwand spezifischere Informationen als die erste enthält (die der Patient etwa zum Kurieren der Krankheit verwenden kann). Die dritte Aussage ist zwar ebenfalls wahr (weil das erste Glied der OderAussage wahr ist), enthält für den Patienten bei höherem Verarbeitungsaufwand jedoch keinen informativen Mehrwert gegenüber der zweiten Aussage.33 Der Hörer sollte also immer nach der kognitiven Verarbeitung der relevantesten Äußerung (gemessen am Verarbeitungsaufwand) streben. Sperber und Wilson halten dies im First, or Cognitive, Principle of Relevance fest: „The human cognitive system tends towards processing the most relevant input available.“34 Eine Äußerung ist dann optimal relevant, wenn sie zum einen den Verarbeitungsaufwand durch den Hörer wert ist, zum anderen die relevanteste im 27

Sperber/Wilson 1985: 543. Vgl. Wilson/Sperber 2002: 586. 29 Vgl. Sperber/Wilson 1986: 46. 30 Vgl. Wilson/Sperber 2002: 604. 31 Vgl. Sperber/Wilson 1986: 123ff. 32 Wilson/Sperber 2002: 602. 33 Vgl. ebd.: 602f. 34 Ebd.: 603. 28

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel

103

Hinblick auf die Fähigkeiten und Vorlieben des Sprechers ist.35 Diese optimale Relevanz spielt eine Rolle beim Second, or Communicative Principle of Relevance: „Every utterance conveys a presumption of its own optimal relevance.“36 Jede Äußerung trage die Vorannahme ihrer eigenen Relevanz in sich, so Sperber und Wilson, und damit die Annahme, dass sie es wert sei, verarbeitet zu werden – also den Forderungen der kommunikativen Ökonomie zu genügen. Lawrence Horn weist jedoch darauf hin, dass die Interessen von Sprecher und Hörer in Bezug auf die kommunikative Ökonomie nicht immer übereinstimmen müssen, da eine zu hohe Aufwandsreduzierung auf Sprecherseite einen höheren Aufwand für den Hörer bedeuten könnte.37 Der Hörer ist darauf angewiesen, dass der Sprecher die Maximen der Quantität befolgt: „Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig.“38 und „Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.“39 Reduziert der Sprecher seinen Sprachproduktionsaufwand zu sehr, kann es sein, dass der Verarbeitungsaufwand für den Hörer zu groß wird. Die beiden Prinzipien bzw. Untermaximen stehen also in Optimierungs-Konkurrenz zueinander und müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden. Eine Äußerung, die für den Sprecher ökonomisch ist, muss es nicht auch für den Hörer sein. Der Vorteil kommunikativer Ökonomie kommt also nur dann zur Geltung, wenn sie für beide Gesprächspartner gilt und nicht einseitig auf der Sprecher- oder Hörer-Seite liegt. Welchen Beitrag kann nun Vagheit zur kommunikativen Ökonomie leisten? Entscheidend ist das optimale Verhältnis von Kosten und Nutzen, das heißt, der Kommunikationserfolg soll mit möglichst wenig Aufwand erzielt werden. Müsste das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff mit scharfen Grenzen erst geprüft werden, wäre der zeitliche, kognitive und energetische Aufwand größer als bei Begriffen, die Grenzfälle zulassen: Wie in Kapitel 6.2 bereits erläutert, wäre sonst Zählen und Messen notwendig, und angesichts der unzureichenden Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen wäre die Verwendung technischer Hilfsmittel oft unabdingbar. Dann wäre die Einordnung von Objekten in Kategorien, die den Umgang mit äquivalenten Gegenständen ermöglicht, jedoch sinnlos: Eine Komplexitätsreduktion durch Kategorien würde nicht erfolgen. Zudem ist bei der Verwendung vager Prädikate die Kenntnis genauer Zahlen und Werte nicht notwendig, so dass der Sprecher nicht zu Präzision ge-

35

Vgl. ebd.: 604. Ebd. Vgl. Horn 1993: 39. 38 Grice 1979b [1975]: 249. 39 Ebd. 36 37

104

Vagheit in der Kommunikationssituation

zwungen wird, wo ihm das Wissen darüber fehlt.40 Um natürlichsprachliche, vage Prädikate zu verwenden, muss der Sprecher kein Fachmann sein: No attempt has been made to define precisely such concepts as „some“, „many“, „high“‘, „bald“ etc., since these concepts are so useful just because they are vague: they can be applied easily by unskilled users without careful consideration.41

Der geringe Anwendungsaufwand, der Vagheit zu einem Mittel kommunikativer Ökonomie macht, ist dabei nicht mit intellektueller Faulheit zu verwechseln. Dies unterstreicht auch Wright und widerspricht damit Russell: „It is plausible to suppose that the vagueness of many expressions is not, as Frege and Russell thought, merely a reflection of our intellectual laziness.“42 Russell hatte dagegen die Vagheit auf das mangelnde Interesse der Vorfahren an Logik geschoben: „I shall therefore, though regretfully, address you in English, and whatever vagueness is to be found in my words must be attributed to our ancestors for not having been predominantly interested in logic.“43 Doch so ehrenwert ein Interesse der Vorfahren an Logik gewesen wäre: Da bei hoher Präzision in der Alltagskommunikation auch für die Situation irrelevante Information vermittelt würde, ist sie für den Kommunikationserfolg nicht erforderlich. Wäre sie das – so kann man gegen Russell einwenden – dann hätten vorherige Generationen wohl auch ein größeres Interesse daran gezeigt, scharfe Grenzen zu ziehen. Dank der unscharfen Grenzen leistet semantische Vagheit jedoch einen wichtigen Beitrag zur kommunikativen Ökonomie und Effizienz.

7.2.2

Flexibilität: Der produktive Einsatz begrenzter Mittel

Die Leistung der kommunikativen Ökonomie bei vagen Prädikaten ergibt sich nicht nur daraus, dass sie den kommunikativen Aufwand für Sprecher und Hörer auf ein situationsangemessenes Maß reduziert, sondern auch daraus, dass Vagheit die Sprache flexibel macht. Durch diese Flexibilität werden weniger Prädikate benötigt, als es ohne Vagheit der Fall wäre: Die vorhandenen Ausdrücke können in vielfältiger Weise verwendet werden. Dies ist vor allem deshalb notwendig, weil die Alltagssprache nicht auf bestimmte (Fach-)Bereiche und Kommunikationszwecke beschränkt ist, in denen mit wenigen, aber dafür explizit und präzise definierten Prädikaten kommuniziert werden kann. Präzise Prädikate sind auf be-

40

Vgl. Johnson-Laird 1983: 203. Burks 1946: 479f. 42 Wright 1975: 330. 43 Russell 1923: 84. 41

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel

105

stimmte Zwecke zugeschnitten, aber für andere Bereiche nicht einsetzbar; dies hatte Frege bereits in seiner Hand-Analogie deutlich gemacht.44 In neuen Situationen und für neue Kommunikationszwecke können bereits vorhandene Ausdrücke verwendet werden, anstatt dass neue geschaffen werden müssten. Dieser Vorteil wird in der Literatur vor allem im Hinblick auf Ambiguität (und hier insbesondere auf Polysemie) herausgestellt: Rather, it is an enormous convenience that the same word can often be uttered in one or other of several different though related senses. Instead of having to learn a very much larger number of words, each with fixed and context-independent meanings, we can learn a relatively small number of words with variable meanings and then exploit their verbal or situational contexts of utterance in order to disambiguate their actual occurrences.45

Dieser Vorteil ist auch auf Vagheit übertragbar: Vorhandene Ausdrücke mit ähnlichen Bedeutungen werden auf neue Situationen angewendet, was dank der unscharfen Grenzen der Extensionen möglich ist: „The boundaries remain fluid for good reasons. When the world changes, or we discover new facts about it, our concepts can adapt to the change while their identity is still tracked.“46 Wie oben bereits erläutert, passen auch Kinder im Erstspracherwerb die ihnen verfügbaren Ausdrücke neuen Situationen durch Überdehnung an. Ähnlich verfahren erwachsene Sprecher, wenn Ausdrücke für neue Situationen gefunden werden müssen. Da sie jedoch über einen größeren Wortschatz verfügen, wird die einzelne Extension nicht so stark überdehnt wie bei Kindern, jedenfalls nicht in einem einzigen Schritt; oder aber es entsteht eine neue, von der ursprünglichen verschiedene Bedeutung. In letzterem Fall liegt dann Polysemie vor.47 In ersterem Fall, dem des Ausnutzens der Vagheit, wird dagegen die Sorites-Reihe fortgesetzt, denn es existiert ja bereits ein Prädikatsausdruck, dessen Referent sich nur graduell vom neuen Referenten unterscheidet. Durch die „Wiederverwertung“ von Ausdrücken wird das menschliche Gedächtnis entlastet. Barwise und Perry bezeichnen die Wiederverwendbarkeit von Ausdrücken im Rahmen ihrer Situationssemantik als „Effizienz“; diese ist für sie ein „Herzstück des Bedeutungsbegriffs“.48 Diese Wiederverwendbarkeit wäre ohne Vagheit jedoch nur eingeschränkt gewährleistet. Durch Vagheit ist es möglich, graduell voneinander unterschiedene Gegenstände mit dem gleichen Ausdruck zu bezeichnen. Es muss dann 44

Vgl. Frege 2008 [1882]: 72f. [52] sowie oben Kapitel 4.2.1. Der besondere Fall der Flexibilität von Farbprädikaten wurde in Kapitel 6.4.3 bereits angesprochen: Da es bei den Farbwörtern in der Alltagssprache keine scharfen Grenzen gibt, muss nicht für jeden vom Menschen unterscheidbaren Farbton ein eigenes Farbprädikat erlernt und im Gedächtnis behalten werden. 45 Cohen 1985: 132. 46 Hampton 2007: 377. 47 Zur Abgrenzung von Vagheit und Polysemie/Ambiguität siehe oben Kapitel 2.2.3.2. 48 Barwise/Perry 1987: 43.

106

Vagheit in der Kommunikationssituation

nicht, sobald eine scharfe Grenze überschritten wird, ein neuer Ausdruck gefunden werden bzw. auf „unpractical descriptions“49 ausgewichen werden. Der Preis dafür ist freilich ein weiteres Fortschreiten in einer Sorites-Reihe, das eventuell so weit gehen kann, dass es zu Missverständnissen führt. Zunächst einmal ermöglicht Vagheit in der Alltagssprache jedoch eine adäquate sprachliche Behandlung auch von Gegenständen, die in genau dieser Form dem Sprecher zuvor noch nie begegnet sind, wie etwa ein Sandhaufen mit einer ganz bestimmten Körneranzahl. Diese Eigenschaft der Sprache wird auch als Adaptivität bezeichnet.50 Der Sprecher kann damit auf neue Gegenstände und Situationen reagieren, ohne dass die vorhandene Kategorienstruktur verändert werden müsste. Nach Geeraerts ist damit die Kombination struktureller Stabilität und flexibler Erweiterbarkeit von Kategorien möglich: Neue Phänomene werden nicht notwendigerweise als neue Kategorie gesehen, sondern in die bestehende prototypische Kategorienstruktur als Grenzfall oder Kategorienmitglied an der Peripherie eingeordnet.51 Das ermöglicht „flexibility without chaos, and stability without rigidity“.52 Das kognitive System kann sich an die sich ständig ändernde Welt anpassen, ohne das Kategoriensystem jedes Mal völlig neu strukturieren zu müssen.53 Das Fortschreiten in der Sorites-Reihe kann in der konkreten Kommunikationssituation allerdings durch das Verständnis des Hörers begrenzt sein.54 Durch vage Prädikate ist jedoch auch dessen „Korrektheitserwartung“55 flexibel. Nur wenn die Überdehnung auch den Rahmen dieser flexiblen Korrektheitserwartung sprengt, kommt es zu Missverständnissen. In diesem Fall gibt es jedoch immer noch die Möglichkeit der Anwendung von Reparaturmechanismen, die in Kapitel 7.5 untersucht werden.

7.2.3

Bedeutungswandel durch Vagheit

Durch Vagheit können einzelne Sprecher ihre Äußerungen also an konkrete Situationen anpassen. Aus dieser synchronen Flexibilität entsteht jedoch auch eine diachrone: Das Fortschreiten in der Sorites-Reihe kann so weit gehen, dass der Ausdruck im Laufe der Zeit eine neue Bedeutung bekommt, die nicht mehr nur graduell verschieden von der Ausgangsbedeutung ist und nicht mehr nur situativ mit dem Ausdruck verknüpft wird. Wenn eine solche Überdehnung nicht nur bei einzelnen Sprechern in speziellen Situationen vorkommt, sondern in der Sprachgemeinschaft gebräuchlich wird, kommt es zum Bedeu49

Bartsch 1984: 373. Vgl. etwa Vorwerg 2008: 617. 51 Vgl. Geeraerts 1992: 192f. sowie Geeraerts 1997: 112ff. 52 Geeraerts 1992: 193. 53 Vgl. Geeraets 1997: 113. 54 Vgl. Bartsch 1984: 373. 55 Kindt 2002: 51. 50

Kommunikative Ökonomie, Flexibilität und Bedeutungswandel

107

tungswandel. Dieser vollzieht sich in kleinen Schritten, vom einzelnen abweichenden Gebrauch eines Ausdrucks hin zur allgemeinen Verwendung in jener Weise, die zuvor als Überdehnung empfunden wurde.56 Ein Blick in ein etymologisches Wörterbuch zeigt dieses Phänomen für viele Ausdrücke. Der Ausdruck „Kram“ etwa bezeichnete zunächst die Zeltdecke eines Marktstandes, wurde dann auf den kompletten Marktstand übertragen, anschließend auf die dort ausliegende Ware und bezeichnet heute unnützes Kleinzeug.57 Ein weiteres Beispiel ist das Wort „Gewehr“: Zunächst bezeichnete es eine Verteidigungswaffe, wurde dann jedoch auf Waffen allgemein ausgedehnt, bis eine Einschränkung auf eine bestimmte Schusswaffe erfolgte.58 Aktuell lässt sich der Bedeutungswandel beispielsweise am Wort „witzig“ beobachten: Seine Bedeutung ‚verständig, klug, gescheit‘ verschob sich im 18. Jahrhundert zu ‚geistreich‘, im 19. Jahrhundert dann zu ‚spaßig, lustig‘. Momentan zeichnet sich eine Weiterentwicklung Richtung ‚seltsam‘ ab, wie es bereits bei dem Wort ‚komisch‘ geschehen ist.59 Durch die Bedeutungsverschiebung eines Ausdrucks können also neue Kommunikationsbedürfnisse der Sprachgemeinschaft befriedigt werden, die durch eine nicht nur situative Veränderung der Umwelt bedingt sind: Because of this, we can adjust our language to change in our physical and social world. If vagueness and context-dependence of meanings were not part of the meanings of words, language would be a less efficient means of communication […].60

Ausschlaggebend ist an dieser Stelle wiederum der Kommunikationserfolg: Ob es zum Bedeutungswandel kommt, hängt entscheidend davon ab, ob zu Beginn der Abweichung das Verständnis durch den Hörer gewährleistet ist.61 Nur dann kann die Sorites-Reihe hin zu einer neuen Bedeutung überhaupt beschritten werden. Ist dies der Fall, kann der Kommunikationserfolg jedoch manchmal gerade durch Überdehnung erzielt werden, auch wenn die Verwendung der aktuellen Bedeutung des Ausdrucks nicht entspricht; sie kann den Beginn eines Bedeutungswandelprozesses und eine dauerhafte Bedeutungsänderung zur Folge haben.62 Da Bedeutungswandel ein gradueller Prozess ist, setzt er den flexiblen Umgang mit sprachlichen Ausdrücken voraus – eben jene Toleranz, die durch Vagheit ermöglicht wird. Für neue Kommunikationsbedürfnisse innerhalb der Sprachgemeinschaft kann – wie die oben genannten Beispiele zeigen – häufig das vorhandene lexikalische Inventar wiederverwendet werden; und zwar nicht nur, wie oben ge-

56

Vgl. Bartsch 1984: 369. Vgl. Kluge Etymologisches Wörterbuch: 534. 58 Vgl. ebd. 59 Vgl. Keller/Kirschbaum 2003: 25–27. 60 Ebd.: 372. 61 Vgl. ebd.: 373. 62 Vgl. ebd.: 371. 57

108

Vagheit in der Kommunikationssituation

zeigt, einmalig in speziellen Situationen. Vagheit trägt hier der „Trägheit“ der Sprachgemeinschaft Rechnung, die dem Wortschatz nicht immer neue Ausdrücke hinzufügen muss.

7.3

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

Inwiefern der Kommunikationserfolg mit vagen Prädikaten erzielt werden kann, ist in hohem Maße davon abhängig, welches Präzisionsniveau in der jeweiligen Kommunikationssituation erforderlich ist: Davon hängt ab, welche Genauigkeit Angaben haben und wie viele Details berücksichtigt werden müssen.63 Beispiele dafür sind Maßeinheiten und Zahlenangaben: Müssen Längenangaben kilometer-, meter-, zentimeter- oder millimetergenau sein? Muss eine Zahl auf 50, 10, 5, 1 oder gar 0,0001 genau sein?64 In manchen Situationen ist Präzision so wichtig, dass für ihre Gewährleistung höhere Kosten (Zeit, Aufwand) in Kauf genommen werden. In anderen Situationen ist dies jedoch nicht der Fall, so dass der hohe Aufwand für das Erreichen großer Präzision nicht getrieben werden muss, da sie im konkreten Fall keinen Zusatznutzen bringt, sondern nur Kosten verursachen würde. In diesem Fall liegt also eine größere Toleranz gegenüber Vagheit und Unbestimmtheit vor. Je nach Kommunikationszweck und -situation variiert demnach die Größe des Toleranzraumes, der festlegt, inwieweit der Hörer vage Prädikate, aber auch andere Unbestimmtheiten wie etwa Messungenauigkeiten, akzeptieren kann, ohne dass der Kommunikationserfolg gefährdet ist. Keil erläutert dies so: „Wenn die Konturen von Ländern mit einfachen geometrischen Figuren bezeichnet werden sollen, ist Frankreich sechseckig; wenn nicht, dann nicht. Wenn die Konturen von Ländern nach mittelgroßen trockenen Gütern benannt werden sollen, ist Italien ein Stiefel, sonst nicht.“65 In der Alltagskommunikation haben sich für bestimmte Situationen Toleranzgrenzen eingebürgert, die von Sprechern und Hörern implizit angenommen werden: Menschliches Körpergewicht wird nicht auf das Gramm genau angegeben. In einem Kochrezept dagegen finden sich grammgenaue Angaben, jedoch in der Regel keine milligrammgenauen. Doch auch die grammgenauen Angaben dürfen verschieden interpretiert werden: Hier wird etwa die benötigte Mehl-Menge meistens auf 50 Gramm genau angegeben, die Hefe jedoch auf

63

Diese Frage ist im interessenrelativen Kontextualismus von Fara bereits angeklungen; siehe oben Kapitel 3.3.4. 64 Vgl. zur Definition von „Präzisionsniveau“ Kapitel 7.3.1. 65 Keil 2010b: 70.

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

109

ein Gramm genau (eine typische Menge beträgt hier 42 Gramm – diese Menge ist in einem Würfel abgepackt). Ob es hier auf ein Gramm ankommt, kann der Hörer aus diesen Zahlenangaben bereits schlussfolgern, denn bei der Hefe wären wohl 40 Gramm angegeben, wenn es nicht tatsächlich auf 1 Gramm ankäme.66 In der extravaganten Molekularküche benötigen wir wiederum wahrscheinlich milligrammgenaue Angaben. In solchen Alltagssituationen hätte das Anheben des Präzisionsniveaus außer den höheren Kosten auch noch zur Folge, dass der Hörer der präziseren Angabe eine zusätzliche Information zu entnehmen versucht, da er gemäß den Griceschen Maximen annimmt, dass der Sprecher keine unnötige Information mitteilt und dass seine Äußerung relevant ist. Werden etwa in einem Kochbuch alle Mengenangaben in Milligramm verzeichnet, wird der RezeptRezipient schließen, dass es hier tatsächlich auf die milligrammgenaue Einhaltung der Mengen ankomme. Geschieht die Anhebung des Präzisionsniveaus ohne diesen Grund, kann sie dementsprechend zu Fehlinterpretationen durch den Hörer führen. (Wahlweise könnte der Hörer auch schließen, dass sein Gesprächspartner eine ungewöhnliche Redeweise pflege oder ein außerordentlicher Pedant sei. In jedem Fall führt eine Anhebung des Präzisionsniveaus in der Alltagssprache zu Zusatzannahmen durch den Hörer. Dabei muss an der Wahrheit der Äußerung nichts auszusetzen sein: Manche Äußerungen sind pedantisch, aber wahr.67) Für den Kommunikationserfolg insbesondere mit vagen Prädikaten spielt das Präzisionsniveau also eine entscheidende Rolle. Daher sollen in den folgenden Abschnitten einige damit zusammenhängende Aspekte näher untersucht werden. Zunächst wird dargelegt, was unter Auflösung und Granularität zu verstehen ist, also den Eigenschaften, die das Präzisionsniveau bestimmen. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Präzision von Zahlenangaben analysiert, die je nach Kommunikationssituation schwanken kann. Anschließend wird gezeigt, wie in der Alltagskommunikation das erforderliche Präzisionsniveau festgelegt wird. Es wird zudem gezeigt, dass Vagheit für viele Angaben ein Garant der Stabilität ist. In der Zusammenschau erlaubt dies den Schluss, dass vage Prädikate die Anwendung eines alltagsangemessenen Präzisionsniveaus ermöglichen.

7.3.1

Auflösung und Granularität

Das Präzisionsniveau wird in der Literatur auch im Zusammenhang mit den Stichworten Auflösung (Keil 2005, 2010b) und Granularität/Körnigkeit (granularity) (etwa Smith 2000, 2001) behandelt. Für die Auflösung werden dabei begriffliche Anleihen aus der Optik gemacht: „Das Auflösungsvermögen eines optischen Gerätes, und auch die des 66 67

Vgl. dazu auch Kapitel 7.3.2. Vgl. Krifka 2002: 431f.

110

Vagheit in der Kommunikationssituation

Auges, ist als Maß für die Fähigkeit definiert, zwei nahe beieinander liegende Objektpunkte als unterschiedliche Bildpunkte abzubilden.“68 Keil erweitert den Begriff auf Darstellungsmittel im Allgemeinen, so dass dieser auch auf Prädikate angewendet werden kann: „Je höher das Auflösungsvermögen eines Prädikats ist, desto mehr Details eines Gegenstandes können mit seiner Hilfe wiedergegeben, desto mehr Unterschiede im Gegenstandsbereich ausgedrückt werden.“69 Liegt in einer Kommunikationssituation ein hohes Präzisionsniveau vor, werden Prädikate mit einer hohen Auflösung verwendet. Der Ausdruck Granularität findet sich in verschiedenen Disziplinen. So führt Hobbs (1985) ihn im Rahmen der Künstlichen-Intelligenz-Forschung ein: Seine Theorie der Granularität zielt darauf ab, aus komplexen Theorien einfache abzuleiten, um ihre Berechenbarkeit zu gewährleisten. Die Granularitätsebene, auf der ein Mensch die Welt betrachtet, hängt von seinen spezifischen Interessen in der jeweiligen Situation ab. So ist für die Planung einer Reise zunächst nur die Länge einer Straße wichtig, nicht ihr Volumen oder ihre Breite. Werden jedoch andere Aspekte relevant, kann die Granularitätsebene gewechselt werden: So muss während der geplanten Reise etwa die Fahrweise an die Straßenverhältnisse angepasst werden, z.B. an Schlaglöcher: Hier wird das Volumen relevant. Das Ausblenden anderer Granularitätsebenen ermöglicht einen flexiblen Umgang mit der Komplexität der Welt. Mit der Granularität der Betrachtung ändert sich jedoch nicht nur die Perspektive, sondern oft auch der Präzisionsgrad. Smith und Brogaard führen das Beispiel eines Durstigen an, der gerade ein Glas Wasser geleert hat: Gemessen an seinen Interessen sagt er mit „Das Glas ist leer.“ etwas Wahres aus, während der Hygiene-Inspektor, der dasselbe Glas unter einem Mikroskop aus mikrobiologischer Perspektive betrachtet, wohl zu einem anderen Schluss kommen wird: Es findet ein Kontextwechsel statt.70 Smith und Brogaard erklären diesen mit der Einteilung der Wirklichkeit in Partitionen: Was in der jeweiligen Situation für den Betrachter relevant ist – für den Durstigen etwa, ob er mit dem Inhalt des Glases seinen Durst stillen kann –, befindet sich im Vordergrund (foreground domain), alles andere im Hintergrund (background domain).71 Werden Gegenstände aus dem Hintergrund in den Vordergrund verschoben und umgekehrt, heißt dies ontological regrouping. Wird von einer gröberen Betrachtungsebene zu einer feineren übergegangen, liegt ontological zooming vor.72 Je nach dem vorliegenden Interesse können Eigenschaften ignoriert werden, die auf einer anderen Granularitätsebene liegen. So muss im Alltag etwa die molekulare Ebene von Gegenständen nicht berücksichtigt werden: „That 68

Keil 2010b: 68. Ebd. Vgl. Smith/Brogaard 2000: 53. 71 Vgl. ebd.: 57. 72 Vgl. Bittner/Smith 2001: 312. 69 70

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

111

Bruno [eine Katze, N.K.] is losing or gaining molecules from one moment to the next is of no consequence for our everyday purposes: it falls below our normal threshold of concern.“73 Hier kann, um in der Sprache der Optik zu bleiben, aus den Details „hinausgezoomt“ werden. Andererseits kann jemand, der gerade einem Schlagloch auf der Straße ausweicht, in diesem Moment von seiner geplanten Reisestrecke absehen, um seinen Wagen vor Schaden zu bewahren. Hier wird für einen Augenblick in die Mikroebene „hineingezoomt“. Das „Hinauszoomen“ aus der feinen Granularitätsebene ist auch bei vagen Prädikaten der Fall: Auf bestimmten – groben – Granularitätsebenen sind die Toleranzräume so groß, dass es nicht auf ein Molekül, ein Elektron, ein Sandkorn oder ein Haar ankommt, damit ein Gegenstand mit einem bestimmten Prädikat bezeichnet werden kann. Wenn in der gegebenen Kommunikationssituation Unterschiede auf einer anderen, feineren Granularitätsebene nicht beachtet werden müssen, erspart dies unnötigen Aufwand. Wird in einer Kommunikationssituation ein höherer Auflösungsgrad verlangt, als vage Prädikate ihn zu bieten vermögen, ist allerdings eine Präzisierung für die jeweilige Situation notwendig – aber auch möglich: Diese Möglichkeit zum Umgang mit Vagheit wird unten in Kapitel 7.5.4 näher erläutert.

7.3.2

Zahlenangaben

Ein klassisches Beispiel für Toleranzräume sind Maß- und Zahlenangaben: Je nach Kommunikationssituation können Messungenauigkeiten vernachlässigt, Nachkommastellen gestrichen oder Zahlen gerundet werden – oder eben auch nicht. Der jeweilige Kommunikationszweck ist entscheidend. Krifka formuliert dies als Prinzip der precision level choice: „When expressing a measurement of an entity, choose a level of precision that is adequate for the purpose at hand.“74 Messen ohne hohen Präzisionsanspruch spart Zeit; das Aussprechen von Zahlen ohne Nachkommastellen und von runden Zahlen erspart artikulatorische Energie und ebenfalls Zeit.75 Die Auswahl solcher Zahlenangaben erfolgt jedoch in einer „von der Sache her völlig willkürlichen Weise“.76 Denn runde Zahlen sind nicht in irgendeiner Weise mathematisch besonders qualifiziert, sondern durch ein pragmatisches Prinzip ausgezeichnet: Von ihnen wird angenommen, dass es sich nur um ungefähre Werte handelt. Dieses Phänomen lässt sich in verschiedenen Alltagssituationen beobachten, in denen eine runde Zahl ausnahmsweise nicht nur als Näherungswert gemeint ist: Kommt etwa an der Supermarktkasse ein runder Betrag zustande, sind meistens der Kunde wie auch die Verkäuferin

73

Smith/Brogaard 2000: 70. Krifka 2002: 433. 75 Vgl. ebd.: 435. 76 Pinkal 1985: 220. 74

112

Vagheit in der Kommunikationssituation

sehr erstaunt, was sich in Äußerungen wie „Oh, das macht dann genau fünf Euro.“ oder (von Kundenseite) „Na, da habe ich ja gut gerechnet!“ manifestiert. Umgekehrt lässt sich Präzision suggerieren, indem keine runden Zahlen verwendet werden, auch wenn tatsächlich nur geschätzt wurde. So beschreibt der Statistiker Walter Krämer seine Taktik, Ausgaben für Büromaterial ohne Belege von der Steuer abzusetzen: Ich habe es so gemacht: Statt „60 Mark“, was ähnlich klingt, wie „etwa 60 Mark, aber genau weiß ich das nicht mehr“, habe ich geschrieben „Ausgaben für Büromaterial: DM 58,24“. Das akzeptiert der Sachbearbeiter vermutlich eher als „etwa 60 Mark“; die Gefahr, daß er weitere Beweise sehen will, ist hier nur halb so groß.77

Je weniger rund eine Zahl ist, desto höher wird ihre Präzision eingeschätzt: Denn der Hörer nimmt an, dass sich der zusätzliche Aufwand an Zeit und Energie beim Aussprechen oder Aufschreiben für den Sprecher auch lohnen muss – in Form höherer Präzision. Zudem nimmt er an, dass „krumme“ Zahlen nicht durch Schätzung zustande kommen. Ist eine runde Zahl im Einzelfall wirklich exakt gemeint, muss dies explizit gemacht werden, etwa durch präzisierende Heckenausdrücke wie „genau“.78 Wie oben bereits angedeutet wurde, spielt das jeweilige Zahlensystem eine große Rolle bei der Begrenzung von Toleranzräumen. Im Deutschen sind solche Angaben in den meisten Fällen vom Dezimalsystem abhängig. Hier sind nicht nur Vielfache von 10, sondern auch von 5 – als Hälfte von 10 – von hervorgehobener Bedeutung. Für diese Zahlen konnte in korpuslinguistischen Studien auch eine erhöhte Frequenz nachgewiesen werden.79 Allerdings gilt dies im Deutschen nicht nur für Zahlen, die im Dezimalsystem eine ausgezeichnete Stellung haben: Es gibt auch für 12 und – inzwischen eher ungebräuchlich – für dessen Vielfache Ausdrücke, die als ungefähre Angabe verstanden werden können: „Dutzend“ für 12, früher gebräuchlich auch noch „Schock“ (60) und „Gros“ (144). Auch die Zahlwörter „elf“ und „zwölf“ orientieren sich am Duodezimalsystem. Erst mit „dreizehn“ wird im Deutschen auch sprachlich der Bezug zur Zahl 10, also der Basis des Dezimalsystems, hergestellt. Krifka vermutet, dass es bei häufig verwendeten Zahlen zu phonologischen Vereinfachungen kommt;80 „Dutzend“/„dozen“ ist ein Beispiel, aber auch „anderthalb“ oder „fifteen“ (statt „five-teen“). Krifka weist zudem darauf hin, dass manche Zahlen auch dann einen hervorgehobenen Status haben, wenn sie nicht rund sind. Faktoren wie die übliche Zeiteinteilung oder auch die Stückelung von Geld können hierbei eine Rolle spielen: Angaben wie „24 Stunden“, „14 Tage“, „180 Grad“ (bei einer Drehung) oder „18 Monate“ 77

Krämer 2000: 15. Vgl. etwa Krifka 2002: 432 sowie Pinkal 1985: 219. 79 Vgl. Jansen/Pollmann 2001. 80 Vgl. Krifka 2002: 440. 78

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

113

(beim Alter eines Kindes) können ebenfalls näherungsweise verwendet werden, da sie vertraute Einheiten bezeichnen; diese Angaben werden dann sogar eher verwendet als am Dezimalsystem orientierte runde Zahlen wie etwa „25 Stunden“ oder „15 Tage“.81 Die Verwendung einer Zahl als „rund“ beruht nicht immer nur auf der Kürze: So ist etwa der Ausdruck von Zahlen wie „fünfzehn“ und „dreizehn“ mit dem gleichen Aufwand verbunden; dennoch gilt die 15 wegen des Dezimalsystems als „rund“ und kann daher kognitiv leichter verarbeitet werden. Die Interpretation runder Zahlen als Näherungen ist auch in Experimenten zu Uhrzeitangaben nachgewiesen worden: Die Experimente von van der Henst, Carles und Sperber (2002) sowie deren Replikation und Erweiterung durch Gibbs und Bryant (2008), zeigen, dass Passanten, die nach der Uhrzeit gefragt werden, sehr oft eine gerundete Uhrzeit angeben, das heißt nur auf fünf Minuten genau.82 Dies ist auch dann noch – wenn auch seltener – der Fall, wenn der Befragte über eine Digitaluhr verfügt, das heißt, wenn das Ablesen der „genauen“ Zeit ihn weniger Aufwand kosten würde als das Runden, das wiederum für Analoguhrenbesitzer die einfachste Art ist, die Zeit abzulesen.83 Die nach der Zeit gefragten Probanden scheinen also nicht nur ihren eigenen Aufwand reduzieren zu wollen, sondern auch den des Hörers, da gerundete Angaben einfacher zu verarbeiten sind und für die meisten Zwecke völlig ausreichend sind, denn: Most people’s activities are commonly scheduled […] to start on the hour or half hour, rarely at more specific times, hardly ever at times that, expressed in minutes, are not multiples of five. […] Only train schedules are regularly specific to the one-minute interval.84

Häufig vorkommende, von der vollen oder halben Stunde immer nach demselben Muster abweichende, Termine können wiederum auf die volle Stunde bezogen werden, wie etwa die Zeiten im akademischen Betrieb, die mit „c.t.“ angegeben bzw. auch ohne eine solche Angabe mit der Abweichung von der vollen Stunde verstanden werden. Somit wird durch eine gerundete Zeitangabe optimale Relevanz im Sinne der Relevanztheorie erreicht: Sie ist durch den Hörer kognitiv einfach zu verarbeiten und reicht für die meisten Zwecke aus. Damit erhält die Relevanz der Äußerung ein höheres Gewicht als ihre strikte Wahrheitstreue. Der Auskunftgebende legt sich mit einer gerundeten Zeit weniger fest: Da bei Vielfachen von 5 klar ist, dass es sich in der Regel um gerundete Zeiten handelt (da es sich bei gleicher zeitlicher Verteilung nur in 20% der Fälle um die exakte Zeit

81

Vgl. Krifka 2007: 118f. Vgl. Henst/Carles/Sperber 2002: 461f. 83 Vgl. ebd. Von den Analoguhren-Besitzern rundeten 98% auf fünf Minuten, von Digitaluhrenbesitzern immerhin noch 65,8%. 84 Henst/Carles/Sperber 2002: 459. Interne Bahnfahrpläne sind sogar noch enger getaktet; hier wird der Fahrgast aber nur mit dem geringeren, minutengenauen Präzisionsniveau konfrontiert. 82

114

Vagheit in der Kommunikationssituation

handeln kann), kann der Hörer es dem Sprecher nicht verübeln, wenn die Angabe nicht exakt der Wahrheit entspricht.85 Macht der Hörer jedoch deutlich, dass er an der genauen Uhrzeit interessiert ist – da er etwa seine eigene Uhr danach stellen möchte86 oder in wenigen Minuten eine Verabredung hat87 –, geben die Befragten im Experiment signifikant häufiger genaue, das heißt: nicht auf fünf Minuten gerundete Auskünfte. Die Relevanz für den Hörer wird hier offenbar anders eingeschätzt. Die Existenz von Toleranzräumen gilt nicht nur für Zahlen und Maßangaben. So ist etwa das Prädikat „Haufen“ im Alltag dahingehend tolerant, dass es nicht auf ein Korn mehr oder weniger ankommt, gemäß dem von Wright formulierten principle of tolerance. Aber auch in der Alltagskommunikation können Kommunikationssituationen mit verschiedenen Toleranzräumen und Präzisionsniveaus auftreten: What is true enough on one occasion is not true enough on another. The standards of precision in force are different from one conversation to another, and may change in the course of a single conversation.88

Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie das Präzisionsniveau in der Kommunikationssituation festgelegt wird und wie es sich ändern kann.

7.3.3

Die Festlegung des Präzisionsniveaus

Das Präzisionsniveau ist nach David Lewis ein Teil des conversational score:89 Lewis definiert diesen in Anlehnung an den Punktestand (score) beim Baseballspiel, der festlegt, welche Spielzüge bei einem gegeben Punktestand zulässig sind: If at time t the score is s, and if between time t and time t’ the players behave in manner m, then the players have behaved incorrectly. (Correctness depends on score: what is correct play after two strikes differs from what is correct play after three.) What is not incorrect play according to these rules is correct.90

In analoger Weise bestimmt im Gespräch der conversational score, welche Äußerungen als wahr oder akzeptierbar gelten:

85

Vgl. ebd.: 462. Vgl. ebd.: 462f. Beim Fragen nach der Zeit zum Stellen der Uhr rundeten nur der 59,5% Befragten (Analoguhrenbesitzer) auf fünf Minuten. 87 Vgl. ebd.: 464f. Je kürzer der Zeitabstand zur vorgegebenen Verabredung war, desto seltener rundeten die Befragten: War der angegebene Zeitpunkt noch zwischen 30 und 16 Minuten entfernt, rundeten 97,5% der Befragten auf fünf Minuten; war er weniger als 14 Minuten später angesetzt, rundeten nur noch 79,7%. 88 Lewis 1979: 352. 89 Vgl. Lewis 1979. 90 Ebd.: 342. 86

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

115

What play is correct depends on the score. Sentences depend for their truth value, or for their acceptability in other respects, on the components of conversational score at the stage of conversation when they are uttered.91

Der conversational score hängt davon ab, welche Äußerungen im Gespräch bereits akzeptiert wurden. Dazu gehören etwa als erfüllt geltende Präsuppositionen92, der Referenzpunkt bei Richtungsangaben93, der Bezug von Namen94 und auch das Präzisionsniveau. Da der Hörer – gemäß dem Griceschen Kooperationsprinzip – davon ausgeht, dass der Sprecher in der Regel kooperativ ist, also etwa nichts Unwahres sagt, erkennt er, auf welchem Präzisionsniveau die Äußerung des Sprechers zu verstehen ist. Akzeptiert der Hörer diese Äußerung, ist damit das Präzisionsniveau zunächst einmal festgelegt. Lewis greift das Beispiel von Austin auf, in dem der Wahrheitswert von „Frankreich ist sechseckig.“ diskutiert wird. Austin erklärt dazu: „Es reicht vielleicht für einen Dreisternegeneral, aber nicht für einen Geographen. […] Es ist eine grobe Beschreibung, keine zutreffende oder unzutreffende.“95 Bezogen auf den conversational score stellt Lewis fest: Wird „Frankreich ist sechseckig.“ unwidersprochen hingenommen, muss auch „Italien ist stiefelförmig“ akzeptiert werden – und umgekehrt.96 Robert Brandom, der die Idee des conversational score aufgenommen hat, weist darauf hin, dass im Gegensatz zum Baseball im Gespräch nicht nur ein Punktekonto geführt wird: In der Kommunikation gibt es keinen Schiedsrichter, der den offiziellen Punktestand festhält, sondern jeder Gesprächsteilnehmer führt ein eigenes Punktekonto.97 Dies kann zu Missverständnissen oder Irritationen zwischen Sprecher und Hörer führen, wenn das Präzisionsniveau von beiden Seiten unterschiedlich eingeschätzt wird. Ein solcher Fall liegt im Beispiel von Daniel C. Dennett vor, in dem ein Gast beim Ober die Bestellung aufgibt: „I’d like some baked beans, please.“ und dieser antwortet: „Yes Sir. How many?“98 Der Ober verlangt ein höheres Präzisionsniveau als das, auf dem der Gast seine Bestellung aufgegeben hat. In dieser Situation wird die genaue Anzahl der Bohnen für gewöhnlich nicht angegeben; es gibt übliche Portionsgrößen, ohne dass die Bohnen einzeln gezählt würden. Der Ober verlässt an dieser Stelle das gängige Präzisionsniveau, das sich für diese Kommunikationssituation etabliert hat. Als Hörer hätte er jedoch die Pflicht, auf diesem Präzisionsniveau zu verbleiben: „Nichts anderes ist letztlich ausgedrückt mit der Forderung, man möge nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.“99 Denn die Goldwaage ist ein 91

Ebd.: 345. Vgl. ebd.: 345. Vgl. ebd.: 350f. 94 Vgl. ebd.: 345. 95 Austin 1979: 161f. 96 Vgl. Lewis 1979: 352. 97 Vgl. Brandom 1994: 185. 98 Dennett 1987: 20. 99 Elstermann 1991: 286. 92 93

116

Vagheit in der Kommunikationssituation

unangemessen feines Instrument, das außerhalb seines Bestimmungszwecks meist irrelevante Präzision schafft: Die genauen Ergebnisse, die sie liefert, sind nicht nur von unnötiger, sondern möglicherweise sogar von verwirrender Genauigkeit. Wenn das festgelegte Präzisionsniveau für die gegebenen Zwecke ausreicht, sollte es nicht ohne Grund erhöht werden.100 Dass gegen dieses Prinzip verstoßen wird, lässt sich zuweilen bei Umrechnungen verschiedener Maßeinheiten beobachten. So berichtet Krifka von einem Schild in einem amerikanischen Nationalpark, in dem die Entfernung zum Eagle Pass mit „7 miles – 11.265 km“101 angegeben wurde und kommentiert: „It is not hard to see why road signs like [this] suggest that the metric system is something for intellectuals, or ‚rocket scientists‘, far too unwieldy for everyday purposes.“102 Keil führt Beispiele von Währungsumrechnungen in der Presse an: „Aus einem geschätzten Schaden von 10.000 Dollar wird so einer von 7843 Euro. Das ist schlechter Journalismus.“103 Allerdings kann das Präzisionsniveau im Laufe eines Gespräches auch wieder geändert werden. Denn allgemein kann nach Lewis der conversational score, im Gegensatz zum Punktestand des Baseballspiels, so angepasst werden, dass das Gesagte als „korrektes Spiel“ gelten kann. Verlangt eine Äußerung beispielsweise eine Präsupposition, um wahr zu sein, so zählt diese durch die getätigte Äußerung zum Punktestand, wenn kein Gesprächsteilnehmer Einwände erhebt.104 Die Regeln, die diese Anpassung ermöglichen, nennt Lewis „rules of accommodation“.105 Für sie formuliert er folgendes Schema: If at time t something is said that requires component sn of conversational score to have a value in the range r if what is said is to be true, or otherwise acceptable; and if sn does not have a value in the range r just before t; and if such-and-such further conditions hold; then at t the score-component sn takes some value in the range r.106

Auf diese Weise kann auch das Präzisionsniveau des Gesprächs geändert werden: One way to change the standards is to say something that would be unacceptable if the standards remained unchanged. If you say „Italy is boot-shaped“ and get away with it, low standards are required and the standards fall if need be; thereafter „France is hexagonal“ is true enough.107

Hier wird das Präzisionsniveau des Gesprächs durch eine Aussage mit niedrigerer Präzision verringert. Prinzipiell ist die Änderung des Präzisionsniveaus zwar in beide Richtungen möglich. Lewis weist jedoch darauf hin, dass ein Anheben deutlich einfacher als eine Verringerung ist: 100

Vgl. Krifka 2002: 431. Ebd.: 430. 102 Ebd. 103 Keil 2010b: 72. 104 Vgl. Lewis 1979: 347. 105 Ebd.: 352. 106 Ebd.: 347. 107 Lewis 1979: 352. 101

Toleranzräume, Präzisionsniveau und Granularität

117

If the standards have been high, and something is said that is true enough only under lowered standards, and nobody objects, then indeed the standards are shifted down. But what is said, although true enough under the lowered standards, may still seem imperfectly acceptable.108

Eine Erhöhung des Präzisionsniveaus ist in seinem Beispiel sogar so weit möglich, „that perhaps no material object whatever is hexagonal“.109 Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der strenge geometrische Standard gälte. Doch der gilt eben nicht immer; das Prädikat „sechseckig“ hat auf verschiedenen Präzisionsniveaus unterschiedliche Anwendungsbedingungen: in der Geometrie andere als in der Geographie.110 Keil weist darauf hin, dass sich mit der Änderung des Präzisionsniveaus auch die mit einem Satz gemachte Aussage ändert. Der Satz „Frankreich ist sechseckig.“ drückt nicht immer dieselbe Aussage aus, die dann in einem Kontext wahr, in einem anderen aber falsch ist. Der Satz ist der gleiche, die damit gemachte Aussage aber verschieden; daher ändern sich auch die Wahrheitsbedingungen. Der Auflösungsgrad muss dabei immer berücksichtigt werden: „Die Relativierung der jeweils gemachten Aussage auf einen Auflösungsgrad der verwendeten Prädikate funktioniert wie ein zusätzlicher, verborgener Index.“111 Welches Präzisionsniveau gewählt werden kann, ist im Alltag auch von der Präzision verfügbarer Messverfahren abhängig. Auf der Straße wird niemand von einem Passanten erwarten, dass er ihm die Zeit auf die Sekunde genau mitteilt. Bei Längen ist die Grenze zum Messbaren im Alltag oft definiert durch die Messung mit einem Lineal, das mit bloßem Auge abgelesen wird. Eine Möglichkeit, das Präzisionsniveau zu verändern, ist auch der Gebrauch von Heckenausdrücken: Pinkal teilt sie in präzisierende und depräzisierende Heckenausdrücke ein: Für die explizite Manipulation der Toleranz stehen eine Reihe von Standardmodifikatoren zur Verfügung: die präzisierenden Hecken genau, strenggenommen, exakt, völlig exakt, eigentlich, sowie die depräzisierenden Hecken (in) etwa, circa, rund, ungefähr, grob gesagt, annähernd, die die Toleranz heraufsetzen.112

Auch mit der Ankündigung, keine Haarspalterei oder Erbsenzählerei betreiben zu wollen, kann ein Sprecher das Präzisionsniveau verringern.

7.3.4

Stabilität durch Vagheit

Das Präzisionsniveau, das Sprecher im Alltag bei der Verwendung vager Ausdrücke wählen, sorgt für die Stabilität der Anwendung der Prädikate. Die Er108

Lewis 1979: 352f. Ebd.: 353. Vgl. auch die „Platon-Herberger-Kontroverse“ in Keil 2005: 103. 111 Keil 2005: 101. 112 Pinkal 1985: 219. 109 110

118

Vagheit in der Kommunikationssituation

höhung des Präzisionsniveaus im Alltag würde zu Instabilität bei der Zuschreibung der Prädikate führen. Durch ein alltagsangemessenes Präzisionsniveau sind praktische Schlüsse möglich, z.B. darauf, dass ein starres Objekt, wenn man es aus einer horizontalen in eine vertikale Lage versetzt, seine Länge behält – auch dann, wenn es in der Zwischenzeit ein Molekül verloren hat.113 Pinkal führt auch das Beispiel der millimetergenauen Flusslängen an: „Sie gelten nur für Bruchteile von Sekunden. Das Auslösen eines Lehmbrockens am Ufer, eine Windböe, die Bugwelle eines Kahns machen das Resultat hinfällig […].“114 Würde man ein sehr viel höheres Präzisionsniveau als das im Alltag übliche ansetzen, müsste man tatsächlich in Anlehnung an Heraklit sagen: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss derselben Länge steigen. Ebenso würden das Körpergewicht und die Körpergröße schon allein durch die Atmung zu sehr schwanken, würde man ihre Messung in Milligramm oder Millimetern vornehmen.115 Nicht ohne Grund wird Abnehmwilligen in einschlägigen Ratgebern empfohlen, sich nur einmal am Tag zur gleichen Zeit auf die Waage zu stellen, und nicht mehrmals täglich, um sich nicht von Schwankungen im Hundert-Gramm-Bereich irritieren zu lassen. Je feiner die Instrumente werden, mit denen Messungen vorgenommen werden, desto mehr schwanken die Messergebnisse; doch dies ist, wie Keil erläutert, auch „unvermeidlich, weil jede Messung eine noch so geringe Zeit braucht, und während dieser Zeit können sich die physischen Gegebenheiten innerhalb und außerhalb des Meßgerätes ändern“.116 Die Stabilität von Maßangaben im Alltag hängt also auch davon ab, dass das Präzisionsniveau nicht unangemessen hoch ist.

7.3.5

Ein alltagsangemessenes Präzisionsniveau durch Vagheit

Präzision um jeden Preis bindet also nicht nur unnötigerweise Ressourcen wie Zeit und Energie, sondern sie kann sich sogar nachteilig auf den Kommunikationserfolg auswirken. Ein Präzisionsniveau, das für den gegebenen (Kommunikations-)Zweck zu hoch ist, legt Fehlinterpretationen nahe und kann zu Instabilität führen. Weder Sprecher noch Hörer sollten zu Differenzierungen gezwungen werden, die für den jeweiligen Kommunikationszweck nicht relevant sind. Die semantische Vagheit natürlicher Sprachen etabliert ein Präzisionsniveau, das für die meisten Alltagszwecke angemessen ist. Es entspricht der menschlichen Wahrnehmung und reicht offenbar für die meisten gewöhnli113

Vgl. Pinkal 1985: 228. Ebd.: 226. 115 Vgl. ebd.: 226, Keil 2010b: 72 sowie Rooij 2011: 129. 116 Keil 2005: 124. 114

Strategische Vagheit

119

chen Kommunikationssituationen aus. Dieses Präzisionsniveau, auf dem Kommunikation in der Regel funktioniert, anzuheben, nur weil Vagheit auf logischer Ebene zu Problemen wie der Sorites-Paradoxie führt, würde mit den oben ausgeführten Problemen der zu geringen Toleranzräume einhergehen und die Prädikate damit untauglich für die Alltagskommunikation machen. Sprecher sollten ihre Redebeiträge nicht „derart spezifisch machen, daß wir selbst nicht mehr wissen können, ob die gewählten Prädikate zutreffen oder nicht“.117 Präzisierung um jeden Preis – allein mit dem Ziel, die Sorites-Paradoxie zu vermeiden, wirft auch die Frage auf, auf welchem Präzisionsniveau man mit der Präzisierung aufhören sollte: Hier ergibt sich, wenn diskrete Einheiten betrachtet werden, wieder das Problem der höherstufigen Vagheit. Beim Haufen könnte man die Körner zählen – doch dann könnten neue unscharfe Grenzen entstehen: Wie wird etwa ein beschädigtes Weizenkorn behandelt? Wird es als ganzes Korn gezählt? Wie viele Moleküle dürften ihm fehlen, damit es noch als ganzes Korn gelten kann? Kann ein Molekül mehr oder weniger einen Unterschied machen? Auch die Korn-genaue Grenzziehung zwischen Haufen und Nicht-Haufen könnte also wieder zu Sorites-Paradoxien führen. Wird das Präzisionsniveau immer weiter angehoben, muss man schließlich Moleküle, Atome oder Elektronen zählen. Das mag in der Chemie notwendig sein, in der Alltagssprache ist es nicht sinnvoll. Doch auch, wenn hohe Präzision angestrebt wird, wird ein Prädikat nie so präzise sein können, dass es einen Gegenstand vollständig beschreibt. Keil gibt zu bedenken, „daß materielle Dinge und Ereignisse eine detailliertere physische Beschaffenheit aufweisen als sich unserer sinnlichen Wahrnehmung und unseren Messungen, die ja einen physiologisch bzw. technisch limitierten Auflösungsgrad haben, jeweils erschließt“.118

7.4

Strategische Vagheit

Der Nutzen der Vagheit kann auch einseitig – etwa nur für den Sprecher – ausfallen. Durch große Toleranzräume kann sich ein Sprecher Vagheit strategisch zunutze machen, was dem Hörer durchaus zum Nachteil gereichen kann. Diese Anwendung der Vagheit kann bis hin zur gezielten Manipulation führen. Unter strategischer Vagheit wird im Folgenden Vagheit verstanden, die bewusst eingesetzt wird, um Festlegungen auf bestimmte scharfe Grenzen zu verhindern oder bestimmte Grenzfälle auszuschließen und so beim Hörer einen falschen Eindruck zu erwecken. Eine strategisch vage Formulierung erscheint zunächst als präzise genug, um nicht auf den ersten Blick als zu allgemein verworfen zu werden; resultieren jedoch Forderungen oder Kritik aus dem Gesagten, kann der Sprecher sich darauf berufen, nichts Wahrheitswidri117 118

Ebd.: 125 (Hervorhebung im Original). Ebd.: 94 (Hervorhebung im Original).

120

Vagheit in der Kommunikationssituation

ges ausgesagt zu haben. Dies trifft im Übrigen nicht nur auf vage Prädikate zu, sondern auch auf überpräzise Ausdrücke, die minimal an den Erwartungen des Hörers vorbeigehen. In Kapitel 2.2.3.1 war bereits darauf hingewiesen worden, dass „Vagheit“ im alltagssprachlichen Sinne, also mangelnde Spezifizierung und Generalität, strategisch eingesetzt werden kann. Unspezifische Aussagen können, da sie auf vieles zutreffen, nicht so einfach als falsch erwiesen werden wie präzise Aussagen und eignen sich daher hervorragend für diplomatische Vereinbarungen oder Wahlkämpfe. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, dass nicht nur Generalität, sondern auch Sorites- und kombinatorische Vagheit in strategischer Weise verwendet werden können. Bei vagen Prädikaten können Grenzfälle bewusst einbezogen werden. Bei solch „großzügigen“ Interpretationen leistet das Prädikat dasselbe wie bei Generalität: Die getroffene Aussage trifft in vielen Fällen zu. Wird im Wahlprogramm einer Partei etwa eine „Reichensteuer“ angekündigt, kann die Ausgestaltung dieser Steuer sehr unterschiedlich ausfallen, ohne dass der Partei die Nicht-Einlösung von Wahlversprechen vorgeworfen werden könnte. Die Grenze, wer als „reich“ gilt und damit zusätzlicher Besteuerung unterliegt, muss im Steuerrecht zwar an einer Stelle scharf gezogen werden; es gibt jedoch sehr viele verschiedene Einkommensstufen, bei denen dies möglich wäre, da „reich“ Sorites-vage ist. Würden schon im Wahlkampf die Einkommensgrenzen der Steuer kommuniziert, wäre das Wahlversprechen auch dann gebrochen, wenn die Steuer zwar eingeführt wird, jedoch mit anderen Grenzen (etwa weil dies das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen ist). Auf diese Weise kann Vagheit zudem beim Schließen von Kompromissen helfen: So können die Parteitagsdelegierten sich auf eine Reichensteuer einigen, obwohl ihre Vorstellungen über deren konkrete Ausgestaltung auseinandergehen. Auch beim Schließen von Verträgen oder der Verabschiedung von Resolutionen, Ergebnispapieren etc. machen die Beteiligten sich diesen Effekt oft zunutze. Im Koalitionsvertrag von 2012 zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen findet sich etwa der Satz „Kohlekraftwerke werden noch für eine längere Zeit einen Beitrag zur Strom- und Wärmeversorgung leisten.“119 Dabei ist bekannt, dass die SPD gerne weiter an Kohlekraftwerken festhalten möchte, die Grünen jedoch nicht. Der Ausdruck „länger“ kann zu einer Sorites-Reihe führen: Kann bei der Laufzeit eines Kraftwerks von 40 Jahren ein Jahr mehr oder weniger einen Unterschied machen? Ein Monat? Ein Tag? Eine Stunde? Mit „länger“ hat sich niemand festgelegt; ein Verzicht auf Ausdrücke wie „lange“ oder „sehr lange“ könnte jedoch schon ein Zugeständnis gewesen sein. Je nachdem, wie konkret die erarbeitete Formulierung sich später in der Praxis bewähren muss, kann es jedoch sein, dass lediglich eine Verlagerung 119

NRWSPD – Bündnis 90/Die Grünen NRW 2012: 57.

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

121

des Problems der Uneinigkeit erreicht wird. So erläutern Choi und Triantis in ihren Ausführungen zu strategischer Vagheit in Verträgen, dass Vagheit – Generalität hier mit eingeschlossen – zwar beim Aufsetzen von Verträgen Zeit und Kosten spart, jedoch Prozesskosten in die Höhe treiben kann, wenn der Vertrag Gegenstand eines Gerichtsverfahrens wird.120 Denn das Gericht muss zwischen den verschiedenen Interpretationen der beiden Vertragsparteien entscheiden.121 Choi und Triantis stellen sogar die These auf, dass mancher Vertrag gar nicht erst geschlossen würde, wenn beide Seiten auf präzisen Angaben bestünden, da Differenzen dann sofort unkaschiert zutage träten.122 Umgekehrt kann der Sprecher sich auch auf den Standpunkt zurückziehen, dass bestimmte Grenzfälle nicht unter den fraglichen Begriff fallen, etwa bei wahrheitswidrigen Dementis, die nachträglich dennoch als korrekt dargestellt werden sollen. Das bekannteste Beispiel ist wohl Bill Clintons Dementi in der Lewinsky-Affäre, in der ihm eine sexuelle Beziehung zur Praktikantin Monica Lewinsky vorgeworfen wurde. Am 26. Januar 1998 dementierte Clinton dies mit den Worten: „I did not have sexual relations with that woman, Miss Lewinsky.“123 Diese Aussage stellte sich kurze Zeit später, gemessen am gewöhnlichen Sprachgebrauch, als eindeutig falsch heraus. Clintons Anwälte bestanden jedoch darauf, dass das Dementi korrekt gewesen sei, da es sich rechtlich gesehen bei empfangenem Oralverkehr nicht um eine sexuelle Handlung gehandelt habe; damit habe Clinton auch im Vorfeld keine Falschaussage unter Eid getroffen.124 Hier wurde also absichtlich ein Grenzfall ausgeschlossen, von dem jedoch klar war, das der Hörer ihn mit einschließen würde. Damit wurde der Hörer bewusst getäuscht und die Vagheit des Prädikats strategisch genutzt.

7.5

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

Bei der Diskussion um Vagheit sollte nicht vergessen werden, dass Sprecher sich nicht permanent auf Grenzfälle beziehen. Die meisten Gegenstände im Alltag fallen klarerweise unter einen Begriff oder tun es klarerweise nicht. Zwar lassen sich für jeden Begriff und jedes Prädikat Grenzfälle finden; Sprecher und Hörer haben jedoch nicht ständig mit ihnen zu tun. Allzu konstruierte Grenzfälle haben ihre ökologische Nische sowieso eher in philosophischen und linguistischen Seminaren. Sie werden in der Alltagskommunikation gar 120

Vgl. Choi/Triantis 2010: 852. Vgl. ebd.: 882. 122 Vgl. ebd.: 884f. 123 Vgl. etwa: Washington Post vom 18.8.1998: Clinton Admits to Lewinsky Relationship, Challenges Starr to End Personal ‚Prying‘, eingesehen am 15.06.2012 unter http://www. washingtonpost.com/wp-srv/politics/special/clinton/stories/clinton081898.htm. 124 Vgl. ebd. 121

122

Vagheit in der Kommunikationssituation

nicht als solche wahrgenommen oder treten einfach nicht auf, wie die oben bereits erwähnte, von Waismann angeführte Katze, die plötzlich zu einer gigantischen Größe heranwächst.125 Doch auch wenn Grenzfälle einmal auftreten, so müssen sie nicht gleich zu Problemen führen: In den vorangegangenen Abschnitten wurde erläutert, inwiefern Kommunikation im Alltag nicht trotz, sondern durch Vagheit gelingen kann. Indessen kann es auch durch Vagheit zu Missverständnissen und Störungen in der Kommunikation kommen, wenn auch nicht in so hohem Maße, wie die logischen Probleme des Phänomens es zunächst vermuten lassen. In der normalen Sprache können Probleme wie die Sorites-Paradoxie normalerweise „abgeschüttelt“ werden, so Williamson: „The matter of vagueness gets its urgency from sorites paradoxes. They cannot arise in a logically perfect language, but when they do arise in ordinary language, they can usually be shrugged off.“126 Kommt es allerdings dennoch zu einer Störung oder einem Missverständnis durch Vagheit, ist die Kommunikation nicht automatisch endgültig gescheitert: Die Sprache stellt verschiedene Reparaturmechanismen zur Verfügung, die das aufgetretene Missverständnis in derartigen Situationen ausräumen und das Verständnis zwischen Sprecher und Hörer sichern können. Diese sollen im vorliegenden Kapitel erläutert werden. Zunächst soll dabei kurz auf zwei naheliegende Mittel für den Umgang mit Vagheit im Alltagsgespräch eingegangen werden: Zum einen kann die Nicht-Übereinstimmung in der Kategorisierung manchmal einfach ignoriert werden; zum anderen besteht die Möglichkeit der verständnissichernden Nach- oder Rückfrage. Zudem gibt es kommunikative Mittel wie die sogenannten Heckenausdrücke (hedges) – wie „ungefähr“ oder „etwa“ –, mittels derer der Sprecher bereits von vornherein auf die Vagheit eines Prädikats hinweisen und damit den Hörer zu einer toleranteren Interpretation anhalten kann. Statt die Notwendigkeit einer Reparatur nach einem Missverständnis abzuwarten, bedient der Sprecher sich hier eines Mittels der Prävention.127 In einer gegebenen Kommunikationssituation ist es außerdem möglich, ein vages Prädikat für den vorliegenden Kommunikationszweck mittels Stipulation einer scharfen Grenze zu präzisieren. Es kann eine scharfe Grenze gezogen werden, die zwar keine Allgemeingültigkeit hat, für die jeweilige Situation aber ihren Zweck erfüllt. Bei dieser Grenzziehung kann hilfreich sein, dass Sorites-Reihen nicht immer lückenlos realisiert sind; eine Realisationslücke bietet sich dann als Grenze an.

125

Vgl. Waismann 1993 [1951]: 119 sowie oben Kapitel 3.2.3. Williamson 1994a: 72. 127 Vgl. Stein 2004: 251. 126

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

123

Zudem können für gegebene Kommunikationssituationen neue Prädikate kreiert oder Komparative verwendet werden; ob etwa ein Mann als „groß“ bezeichnet werden darf, ist in manchen Situationen weniger relevant als die Tatsache, dass er „größer als“ ein anderer ist.

7.5.1

Ignorieren der Nicht-Übereinstimmung

In seinen Überlegungen zum common ground, den geteilten Hintergrundannahmen in einem Gespräch, hat Robert Stalnaker ausgeführt, dass ein Sprecher manchmal auch eine falsche Annahme weiterhin als Hintergrundannahme gelten lassen kann. Etwa dann, wenn die Annahme für den weiteren Gesprächsverlauf irrelevant ist und ihre Korrektur den Gesprächsverlauf stören würde.128 Als Beispiel führt Stalnaker an: „For example, Alice says to Bob, who is holding his baby daughter, ‚how old is he?‘“129 Wenn es nicht wichtig ist, ob Bobs Kind ein Junge oder ein Mädchen ist, kann er Alice’ Annahme zunächst akzeptieren: „Bob might decide to ignore the matter, tacitly accepting what Alice is manifestly presupposing for the purpose of facilitating communication without disrupting the conversation with a distracting correction.“130 Diese Argumentation lässt sich auf Situationen übertragen, in denen die Gesprächspartner in der Kategorisierung bestimmter Gegenstände nicht übereinstimmen, jedoch wissen, was der andere meint. Ist diese Kategorisierung für den Gesprächszweck irrelevant, müssen die divergierenden Annahmen nicht thematisiert werden. Die Gesprächspartner akzeptieren, dass der jeweils andere die Kategoriengrenzen anders zieht als er selbst, ohne weiter darauf einzugehen. Eine Thematisierung wäre in diesem Falle ineffizient, da den Kosten für die Klärung bei einem irrelevanten Prädikat kein Nutzen gegenüberstünde. Fragt beispielsweise der Sprecher zum Zwecke der geselligen Konversation: „Gefällt dir mein neues petrolfarbenes T-Shirt?“, dürfte dem Hörer klar sein, dass damit das T-Shirt gemeint ist, das der Sprecher in diesem Augenblick trägt, auch wenn der Hörer selbst die Farbe eher als „blau“ bezeichnet hätte. Auf diese Differenz einzugehen würde in diesem Falle nur Kosten verursachen, ohne einen Nutzen zu bringen.

7.5.2

Die Möglichkeit der Nachfrage

Allerdings lassen sich auch für oben genanntes Beispiel Kommunikationssituationen finden, in denen der Unterschied Relevanz erlangt, etwa wenn Sprecher und Hörer planen, ihr gemeinsames Wohnzimmer in Petrol einzurichten;

128

Vgl. Stalnaker 2002: 717f. Ebd.: 717. 130 Ebd.: 717f. 129

124

Vagheit in der Kommunikationssituation

in diesem Fall sollte der Hörer auch im beiläufigen Gespräch über Kleidung die unterschiedliche Farbkategorisierung thematisieren. Ist die Kategorisierung in dieser Form relevant, dann ist eine der einfachsten Möglichkeiten, Missverständnisse über die Anwendung eines Prädikats auszuräumen, die verständnissichernde Nachfrage131 durch den Hörer auf der metakommunikativen Ebene; zugleich kann er seine eigene Grenzziehung deutlich machen. In Bezug auf das T-Shirt könnte der Hörer etwa fragen: „Nennst du das Petrol? Ich würde das ja eher Blau nennen.“ Er kann also explizit nachfragen, auf welchen konkreten Referenten in der Situation der Sprecher das Prädikat bezieht. Des Weiteren kann er um eine Erläuterung bitten, wie der Sprecher das Prädikat im Allgemeinen versteht, etwa „Würdest du so wenige Körner noch ‚Haufen‘ nennen?“ Ist dem Hörer gar nicht deutlich, worauf der Sprecher sich mit einem vagen Prädikat bezieht, weil seine eigene Grenzziehung sehr weit von der des Sprechers entfernt liegt, kann viel allgemeiner mit „Was meinst du damit?“ ein Hinweis auf den Referenten gefordert werden. Deutlich wird hier, dass in der Alltagskommunikation für den Hörer vor allem relevant ist, auf welchen Gegenstand der Sprecher das Prädikat in der konkreten Situation anwendet. Dazu bedarf es keiner allgemeingültigen Definition der jeweils benannten Kategorie. Der Hörer möchte wissen, was der Sprecher hier und jetzt meint. Dies gilt freilich nicht für andere Situationen, in denen vage Prädikate zum Problem werden können: In ethischen Debatten, etwa über den Beginn des menschlichen Lebens, werden sehr wohl Grenzziehungen angestrebt, die über eine konkrete Situation hinaus Gültigkeit haben. Im vorliegenden Kapitel geht es jedoch um Umgangsstrategien mit Vagheit in alltäglichen Kommunikationssituationen. Eingeräumt werden muss allerdings, dass auch in Alltagssituationen die Möglichkeit der Nachfrage nicht immer gegeben ist. Das kann etwa bei hohem Zeitdruck der Fall sein, wenn eine Rückfrage zeitlich nicht möglich ist, in Konfliktsituationen oder in asymmetrischer Kommunikation.132 Zu letzterer gehören Situationen, in denen die Gesprächspartner einen unterschiedlichen sozialen oder institutionellen Status haben: So könnte ein Angestellter von einer Rückfrage an seinen Chef absehen, um nicht als inkompetent zu erscheinen.

7.5.3

Heckenausdrücke

Um Missverständnissen vorzubeugen und einen Gegenstand als Grenzfall zu kennzeichnen, kann der Sprecher Heckenausdrücke (hedges) verwenden. Auf 131 132

Dieser Ausdruck stammt von Bublitz 2001: 1333. Vgl. Elstermann 1991: 287.

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

125

diese Ausdrücke wurde in dieser Arbeit schon an verschiedenen Stellen verwiesen. Eingegangen wurde bereits darauf, dass Eleanor Rosch im Rahmen ihrer Prototypentheorie feststellt, dass Heckenausdrücke im Zusammenhang mit dem zentralen Mitglied einer Kategorie deplaziert wirken.133 Auch auf Pinkal wurde verwiesen, der erläutert, dass das Präzisionsniveau einer Kommunikationssituation – und damit auch der Grad der Akzeptanz von Vagheit – durch Heckenausdrücke angehoben oder gesenkt werden kann.134 Im Folgenden soll nun erläutert werden, inwiefern Heckenausdrücke den Umgang mit vagen Prädikaten erleichtern können. Durch sie können Missverständnisse in Situationen vermieden werden, in denen es durch Vagheit ansonsten zu Kommunikationsstörungen kommen könnte. Zunächst noch einmal zum Begriff des Heckenausdrucks. In der Alltagssprache bedeutet das englische Wort „(to) hedge“ „Fragen ausweichen, kneifen“. Als linguistischer Terminus wurde er von George Lakoff (1973) geprägt. Damit bezeichnet er „words whose job is to make things fuzzier or less fuzzy“.135 Als Beispiele führt er eine ganze Reihe von Wörtern und Phraseologismen an, wie „sort of“, „loosely speaking“, „strictly speaking“, „roughly“ oder „almost“. Bereits vor der Prägung des Terminus „hedge“ hatte Uriel Weinreich diese Art von Ausdrücken unter dem Stichwort „metalinguistic operators“ behandelt: For every language, finally, stock must be taken of all metalinguistic operators such as English true, real, so-called, strictly speaking, German eigentlich, and the most powerful extrapolator of all – like – which function as instructions for the loose or strict interpretation of designata.136

Brown und Levinson definieren „hedge“ als „a particle, word, or phrase that modifies the degree of membership of a predicate or noun phrase in a set; it says of that membership that it is partial, or true only in certain respects, or that it is more true or complete than perhaps might be expected […].“137 Bei der Frage, welche Wörter und Phraseologismen nun genau zu den Heckenausdrücken gehören, stößt man jedoch auch auf eine nicht trennscharf definierbare Kategorie; die linguistische Forschung zu diesem Thema ist weitverzweigt und kann in diesem Rahmen nicht aufgearbeitet werden. Ob ein Ausdruck als Heckenausdruck wirkt, hängt auch vom Kontext ab.138 Generell gilt jedoch, dass die depräzisierenden Heckenausdrücke139 abmildernd wirken: Sie legen den Sprecher weniger auf das Gesagte fest und können daher gesichtswahrend und für strategische Unterspezifizierung einge-

133

Vgl. Rosch 1978: 39 und oben Kapitel 2.1.3. Vgl. Pinkal 1985: 219 und oben Kapitel 7.3.3. 135 Lakoff 1973: 471. 136 Weinreich 1963: 130. 137 Brown/Levinson 1987: 145. 138 Vgl. Clemen 1997: 242. 139 Pinkal 1985: 219. 134

126

Vagheit in der Kommunikationssituation

setzt werden.140 In der linguistischen Diskussion sind sie auch unter dem Stichwort „downtoners“ zu finden.141 Ebenso können Heckenausdrücke aber den Grad der Zugehörigkeit des betreffenden Gegenstandes zu einer bestimmten Kategorie anzeigen oder auch die Unsicherheit über die Kategorisierung. Daher werden Heckenausdrücke auch „kategorisierungskommentierende Ausdrücke“142 genannt. So ist auch Roschs Beobachtung zu erklären, dass depräzisierende Heckenausdrücke in Verbindung mit prototypischen Kategorienvertretern als unangemessen empfunden werden: Sie zeigen, dass ein Gegenstand eher am Rande einer Kategorie liegt; daher werden sie auch als „Peripheritätsindikatoren“143 und „Unschärfeindikatoren“144 bezeichnet. Durch das Explizitmachen des näherungsweisen oder erweiterten Gebrauchs und dem Heraufsetzen des Präzisionsniveaus können Missverständnisse und Kommunikationsstörungen vermieden werden, die durch vage Prädikate ansonsten entstehen könnten. Wenn der Sprecher sich unsicher ist, ob ein Gegenstand noch in eine bestimmte Kategorie fällt, aus seiner Sicht also ein Grenzfall vorliegt – oder wenn er vermutet, dass der Hörer ihn als Grenzfall sehen könnte –, kann er dies durch einen Heckenausdruck anzeigen. Damit signalisiert er dem Hörer, dass dieser das Prädikat tolerant interpretieren muss. Durch die Verwendung von Heckenausdrücken kann es allerdings auch zu Nebeneffekten kommen, die nicht erwünscht sind: Während die kommunikativen Probleme, die durch Grenzfälle entstehen können, abgemildert werden, wird die Generalität und mangelnde Spezifität erhöht. Diese bringt wiederum ihre eigenen Probleme in der Kommunikation mit sich, wenn der Hörer spezifischere Information erwartet oder benötigt. Umgekehrt kann durch Heckenausdrücke wie „strictly speaking“, „genau“ oder „strenggenommen“ gezeigt werden, dass eine Kategorie eng ausgelegt wird. Diese präzisierenden Heckenausdrücke145, auch „Zentralitätsindikatoren“146 oder „Schärfeindikatoren“147 genannt, erhöhen das Präzisionsniveau und schließen eine tolerante Interpretation des Prädikats aus. Heckenausdrücke sind ein Werkzeug, das die tolerante Interpretation von Prädikaten explizit erlaubt oder einschränkt. Ihre Verwendung ist weitaus weniger aufwendig als das Überprüfen eines Gegenstandes auf seine Zugehörigkeit zu einer scharf begrenzten Kategorie durch Zählen, Messen und andere Verfahren und entspricht damit dem Postulat der kommunikativen Ökonomie.

140

Vgl. etwa Clemen 1997: 239. Vgl. etwa Jucker/Smith/Lüdge 2003: 1746. 142 Kolde 1986: 171. 143 Ebd.: 172. 144 Müller 1980: 293. 145 Vgl. Pinkal 1985: 219. 146 Kolde 1986: 170. 147 Müller 1980: 294. 141

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

7.5.4

127

Stipulation und Präzisierung für einen gegebenen Kontext

Meistens ist es in der Alltagskommunikation gar nicht notwendig, scharfe Grenzen zu ziehen. Doch natürlich gibt es auch Situationen, in denen dies erforderlich ist. Wenn etwa für eine Schulaufführung das Verbeugen am Ende des Auftritts geprobt wird und bestimmt wird, dass die „Kleinen“ in der vorderen Reihe stehen sollen, muss an einer Stelle ein willkürlicher Schnitt gemacht werden. Wir wollen in diesem Fall von einer ad-hoc-Stipulation sprechen. Die Größe der Kinder könnte man wahrscheinlich in einer Sorites-Reihe anordnen; für den gegebenen Kontext können jedoch nicht alle als „groß“ oder alle als „klein“ gelten. In dieser Situation kann der Lehrer eine scharfe Grenze bestimmen, etwa durch die Angabe einer bestimmten Größe oder eines Kindes als Referenz: Wer höchstens so groß ist wie dieses Kind, gilt in diesem Kontext als „klein“ und darf sich in die vordere Reihe stellen. Treten bei diesem Vergleich erneut Grenzfälle auf, muss der Lehrer willkürlich entscheiden, wen er in die hintere Reihe schickt. Die Grenze an genau dieser Stelle ist zwar arbiträr gezogen, erfüllt aber ihren Zweck. Bei Definitionen mit Anspruch auf umfassendere Geltung, etwa im Recht oder in ethischen Kontroversen, ist allerdings gerade diese Arbitrarität oft ein Problem. In der Alltagskommunikation sind diese ad-hoc-Stipulationen dessen ungeachtet ein effizientes Mittel, mit Vagheit umzugehen. Wichtig ist dabei, dass solche Präzisierungen nur für die jeweilige Situation gelten und die lexikalische Bedeutung davon unberührt bleibt: Was in einer gegebenen Verwendungssituation vom Sprecher geschärft wird, ist […] nicht der sprachliche Sinn des fraglichen Ausdrucks. Der Sinn (die lexikalische Bedeutung) beispielsweise des Wortes „Haufen“ bleibt unverändert und steht in anderen Kontexten weiterhin für abweichende Präzisierungen oder für gewünscht unscharfe Verwendungen zur Verfügung.148

Die Präzisierung des vom Sprecher Gemeinten ist also möglich, die Präzisierung des Prädikats nicht: „Unbestimmte Ausdrücke sind prinzipiell präzisierbar, unterliegen gleichzeitig aber in vielen Fällen einem Präzisierungsverbot.“149 Denn in der jeweiligen Situation wird das Prädikat vom Sprecher dazu verwendet, um auf einen bestimmten Gegenstand Bezug zu nehmen. Somit ist das Ziehen von Grenzen die Aufgabe des Sprechers, nicht des Prädikats: Das Grenzenziehen ist eine Leistung von Sprechern. Wir benutzen sprachliche Mittel, um bestimmte Unterscheidungen zu treffen, um auf Gegenstände Bezug zu nehmen oder sie allererst zu individuieren, um etwas von ihnen auszusagen und unsere Hörer

148 149

Keil 2010a: 97. Pinkal 1985: 83.

128

Vagheit in der Kommunikationssituation das jeweils Ausgesagte erkennen zu lassen. Wie viele Sandkörner für einen Haufen erforderlich sind, wird durch das Prädikat „Haufen“ in der Tat nicht festgelegt.150

Der Sprecher kann in der jeweiligen Situation – wenn notwendig – eine Grenze ziehen und das Prädikat damit für seine Absichten präzisieren. Da diese Grenzziehung jedoch keine Gültigkeit über die konkrete Kommunikationssituation hinaus beansprucht, ist es dem Sprecher auch nicht vorwerfbar, wenn er denselben Grenzfall in einer anderen Situation anders bewertet. Daher kann dem Sprecher das Recht eingeräumt werden, seine bisher getroffenen Klassifikationsentscheidungen zu revidieren, ohne dass ihm bei der früheren oder der neuen Entscheidung ein Fehler zugeschrieben werden muss.151 Diese Möglichkeit unterscheidet die Alltagskommunikation von anderen Kontexten, etwa von der Rechtsprechung im U.S.-Rechtssystem, in der einmal gefällte Urteile als Präzedenzfälle bewahrt bleiben.152 Ein Problem bei der stipulativen Grenzziehung – ob ad hoc oder für längerfristige Festlegungen – ist jedoch, dass auch zu diesem Zweck wieder vage Prädikate verwendet werden, so dass sich erneut Grenzfälle konstruieren lassen. Jeremy Waldron demonstriert dies am Beispiel der Grenzziehung für das Prädikat „city“: Consider the suggested stipulative definition of a meaning for „city“ [eine Gemeinschaft von mindestens 50.000 Einwohnern, N.K.]. What is it to be an inhabitant? To have one’s legal residence in the community in question (like George Bush’s „residence“ in Houston during the time of his Presidency) or to physically be there? If the latter, then for how much of every year? And how stable must the population level be? Suppose the population of a community in the Northeast dips below 50,000 in the winter, as the residents head for Florida. Is it still a city?153

Auch in solchen Fällen gibt es indes wieder Mittel der Vagheitsreduzierung, unter anderem weitere stipulative Grenzziehungen, wie etwa die Zählung der Hauptwohnsitze. Allerdings ist auch damit, wie das Beispiel zeigt, die Vagheit nicht vollständig eliminiert. Denn was gilt als „Hauptwohnsitz“? Im deutschen Steuerrecht etwa muss der Wohnsitz der eigenen Familie mindestens sechsmal im Jahr aufgesucht werden, um als Hauptwohnsitz zu gelten. Mit Stipulationen kann also für den konkreten Zweck in den meisten Fällen eine brauchbare Grenzziehung gefunden werden. Sie gelten jedoch nur für die vorliegende Situation bzw. den vorliegenden Zweck und können zudem das Problem der höherstufigen Vagheit aufwerfen. Die Vagheit von Prädikaten lässt sich also mit der Notwendigkeit scharfer Grenzen für bestimmte Zwecke in Einklang bringen, ohne dass der Gegen-

150

Keil 2010a: 96. Vgl. Thorpe 1984: 397. 152 Vgl. ebd.: 399. Zu Vagheit im Recht siehe unten Kapitel 9. 153 Waldron 1994: 524. 151

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

129

stand in Bezug auf eine vorgegebene scharfe Grenze aufwendig untersucht werden müsste. Da die Sprachgemeinschaft keinen verbindlichen Standard für die Klassifikation von Grenzfällen hat, liegt die Entscheidung über die Kategorisierung beim Sprecher. Allerdings kann kein Sprecher einfach beliebig kategorisieren, da die Sprachgemeinschaft hier eine Kontrollfunktion übernimmt: Zu große Abweichungen vom allgemein akzeptierten Sprachgebrauch wird von ihr durch Nicht- oder Missverstehen sanktioniert.154

7.5.5

Lücken in der Realisation der Sorites-Reihe

Bei der Stipulation einer Grenze für den vorliegenden Kontext muss nicht immer, wie oben beschrieben, willkürlich ein bestimmter, präziser Wert ausgewählt werden. Lücken in der Realisation der Sorites-Reihe können ebenfalls eine Hilfe bei der Grenzziehung sein: In der jeweiligen Kommunikationssituation liegt häufig keine gleichmäßige Sorites-Reihe vor. Dies betonen vor allem Vertreter kontextualistischer Positionen; Linda Burns geht sogar so weit, festzustellen, dass Sorites-Reihen in der Realität niemals vorkommen.155 Diese Aussage kann allerdings jeder bezweifeln, der für das Anstreichen seiner Wohnung schon einmal Farbnuancen aus einer Tabelle mit Farbplättchen auswählen sollte. Im oben genannten Beispiel der Schulaufführung könnte das willkürliche Ziehen einer Grenze zwischen „großen“ und „kleinen“ Kindern dem Lehrer dadurch erleichtert werden, dass sich die Kinder eben nicht in gleichmäßigen Abständen in ihrer Körpergröße unterscheiden, sondern dass gewisse Werte einfach nicht eingenommen werden. Dann könnten die Kinder auf der einen Seite dieser Lücke als „groß“, die anderen als „klein“ klassifiziert werden (vorausgesetzt, die dadurch entstehende Einteilung entspricht dem Zweck, z.B. sollten hier zwei etwa gleich große Gruppen entstehen). Ruth Manor erläutert diese Möglichkeit am Beispiel des Prädikats „bald“ („glatzköpfig“): Suppose you are a waiter at a famous restaurant, now hosting a special event for military VIPs. After the dinner, you stand in the back and your boss comes in and says „Please serve tea to the bald guys. The rest want coffee.“ The question you are facing is who wants tea, and following the order given, you expect that when you get back to the room, there will be a clear demarcation between the bald and the not bald men. Otherwise, your boss has mislead [sic!] you. If there is not a clear way to demarcate the bald, the boss was uncooperative and has committed a pragmatically unacceptable act, similar to the act involved in knowingly presupposing something false. The point is that the boss could have used other ways to identify the group of tea drinkers. His choice of

154

Vgl. Thorpe 1984: 392. Vgl. Burns 1986: 510: „There are no series of the kind required for the paradoxical argument to work.“ (im Original hervorgehoben).

155

130

Vagheit in der Kommunikationssituation baldness indicates that he is committed to the claim that this predicate can be used to partition the set of men in the room.156

Die Korrektheit der Zuschreibung des Prädikats hängt also nicht nur von der Anzahl der Haare auf dem Kopf des Referenten ab, sondern auch von der auf dem Kopf der anderen Personen im Kontext. Unterscheiden diese sich an einer bestimmten Stelle nicht nur graduell voneinander, kann an diesem Punkt eine Grenze gezogen werden – für den vorliegenden Kontext.157 Somit kann in der konkreten Situation das Prädikat problemlos angewendet werden, auch wenn sich in der Theorie eine Sorites-Reihe konstruieren ließe. Die Lücke in der Realisation der Sorites-Reihe gibt also eine Grenze vor, mit deren Hilfe das Herausgreifen von Objekten durch vage Prädikate möglich ist. Zu beachten ist jedoch, dass hier, im Gegensatz zur oben beschriebenen Stipulation und Präzisierung für einen gegebenen Kontext, keine scharfe Grenze gezogen wird: Die Realisationslücke umfasst einen gewissen Bereich, der als Grenzregion aufgefasst wird, und keinen bestimmten, präzisen Wert.

7.5.6

Neue und komparative Prädikate

Ein weiteres Mittel, mit unscharfen Grenzen umzugehen, ist die Einführung neuer Kategorien, wie Keil am klassischen Beispiel der „Glatze“ verdeutlicht: „Wir können den Grad des Haarverlustes einer Person so genau charakterisieren, wie es jeweils nötig ist. Manchmal führen wir ein neues Prädikat ein, zum Beispiel ‚Halbglatze‘.“158 Auch bei Farbprädikaten wird zu diesem Mittel gegriffen: Mit Bezeichnungen wie „hellblau“ oder „blaugrün“ können Unterschiede deutlich gemacht werden, ohne dass gleich eine Messung der Wellenlänge notwendig wäre, um spezifisch zu werden. Keil zeigt auf, dass durch die Möglichkeit der Einführung neuer Prädikate an der zweiwertigen Logik festgehalten werden kann: Denn nicht das Wahrheitsprädikat wird gradiert, sondern die Kategorie: „Da es Halbglatzen gibt, muss es nicht auch noch Halbwahrheiten geben.“159 Ein kurioses reales Beispiel, bei dem zum Mittel der Einführung eines neuen Prädikats gegriffen wurde, ist der Wettbewerb zweier deutscher Kleinstädte um die Größe ihres Marktplatzes. In den achtziger Jahren beanspruchten sowohl Heide in Holstein als auch Freudenstadt im Schwarzwald für ihren Marktplatz den Titel „größter Marktplatz Deutschlands“. Im Jahr 1989 besuchten Delegationen die jeweils andere Stadt, um Messungen vorzunehmen. Durch einfaches Vermessen konnte jedoch nicht festgelegt werden, welcher

156

Manor 2006: 173f. Vgl. ebd.: 173. 158 Keil 2010a: 98. 159 Ebd. 157

Reparaturmechanismen und Umgang mit Vagheit

131

der beiden Plätze mit dem angestrebten Titel bezeichnet werden durfte, da Gebäude auf dem Platz das Resultat verzerrten. Und auch die typischen Unschärfe-Probleme solcher Messungen dürften eine Rolle gespielt haben, also etwa die Frage, wo überhaupt die Grenze eines Marktplatzes liegt. Eine willkürliche Vergabe des Titels konnte hier auch nicht weiterhelfen, da die Ehre beider Städte auf dem Spiel stand. Am Schluss löste man das Problem durch die Einführung zweier neuer Prädikate: Seitdem darf Heide sich mit dem „größten unbebauten Marktplatz Deutschlands“ schmücken, Freudenstadt mit dem „größten bebauten Marktplatz Deutschlands“.160 Die Extension des Prädikats „größter Marktplatz Deutschlands“ bleibt damit zwar weiterhin unklar; das Ziel der beiden Städte, einen Marktplatz von Rekord-Größe ihr Eigen nennen zu dürfen, war jedoch mit der Einführung der beiden neuen Kategorien erreicht – und dürfte für die Zwecke des Stadtmarketings genügen. Statt neue Prädikate einzuführen, können auch die bestehenden komparativ verwendet werden: „Zwei Sandhaufen oder Haaransammlungen lassen sich nach dem Mehr oder Weniger ordnen, und diese Ordnung ist eine bestimmte, eindeutige, selbst wenn die Ansammlungen sich nur um ein einziges Element unterscheiden.“161 Mit der komparativen Verwendung von Prädikaten können Fälle problemlos gehandhabt werden, bei denen nicht die Kategorienzugehörigkeit, sondern der Unterschied zwischen zwei Referenten relevant ist: Hat Meier mehr Haare auf dem Kopf als Müller, kann es unerheblich sein, ob nun einer oder beide oder keiner als „Glatzkopf“ eingeordnet werden kann oder nicht. (Man könnte sich etwa vorstellen, dass derjenige mit mehr Haaren auf dem Kopf dem anderen beim Friseur den Vortritt lässt, da dieser schneller fertig ist.) Ist Schmidt größer als Schulze, sollte er sich bei einem Fototermin keinesfalls vor diesen stellen, da er ihn verdecken würde, egal, ob beide als „groß“, „klein“ oder einer als „groß“ und einer als „klein“ klassifiziert werden könnte – oder einer oder beide eben Grenzfälle dieser Kategorien sind. Allerdings ist das Ausweichen auf die Verwendung komparativer Prädikate nicht immer möglich, insbesondere bei kombinatorischer Vagheit.162 Während es bei Sorites-Vagheit prinzipiell möglich ist, die zu bezeichnenden Objekte zu vergleichen und entlang derselben Dimension in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen, ist dies bei kombinatorischer Vagheit nicht durchführbar: So könnte man zum Beispiel nicht behaupten, dass der Katholizismus ein besseres Beispiel für eine Religion sei als der Buddhismus, denn hier wird entlang verschiedener Dimensionen verglichen. 160

Vgl. Homepage der Stadt Heide, http://www.heide.de/rathaus-buergerservice/ buergerdienste-und-sicherheit/buergerservice/staedtefreundschaften-patenschaften.html (eingesehen am 15.07.2012). 161 Keil 2010a: 98. Auch Quine schlägt die komparative Verwendung vor (siehe oben Kapitel 4.2.7). 162 Siehe oben Kapitel 2.4.

132

Vagheit in der Kommunikationssituation

Damit ist deutlich, dass es in der konkreten Kommunikationssituation verschiedene Möglichkeiten für den Umgang mit Vagheit gibt; und zwar auch in Fällen, in denen Vagheit zu Verständnisschwierigkeiten führen könnte. Es wurden einige Strategien erläutert, um Missverständnissen vorzubeugen oder diese zu korrigieren. Mit diesen Verfahren können zwar die logischen Probleme, die die semantische Vagheit aufwirft, nicht ausgeräumt werden; der einzelne Sprecher oder Hörer kann über die Anwendbarkeit vager Prädikate in der jeweiligen Kommunikationssituation jedoch in der Regel entscheiden, da er scharfe Grenzen für den gegebenen Zweck stipulieren, Lücken in der Realisation der Sorites-Reihe nutzen oder neue sowie komparative Prädikate bilden kann. Auch kann er den gewünschten Präzisionsgrad mit Heckenausdrücken verdeutlichen, bei Unklarheiten nachfragen oder, falls das fragliche Prädikat im vorliegenden Zusammenhang irrelevant ist, Probleme mit unscharfen Grenzen auch einfach ignorieren.

7.6

Zwischenfazit: Vagheit in der Kommunikationssituation

Es ist deutlich geworden, dass das Maß, in dem Vagheit erlaubt oder von Nutzen ist, vom jeweiligen Kommunikationszweck abhängt. In der Alltagskommunikation kann Vagheit dazu beitragen, dass die Griceschen Konversationsmaximen erfüllt werden und damit wichtigen Grundbedingungen gelingender Kommunikation genüge getan wird. Insbesondere die Vermittlung unnötiger und irrelevanter Information wird so verhindert. Damit trägt semantische Vagheit auch zur kommunikativen Ökonomie und zur Flexibilität in der Wortverwendung bei. Zudem ermöglichen vage Prädikate die Kommunikation auf einem alltagstauglichen Präzisionsniveau. Ein Sprecher kann das Präzisionsniveau, auf dem er seine Aussagen verstanden wissen will, anzeigen, es bei Bedarf selbst herauf- oder herabsetzen oder von seinem Gesprächspartner ein anderes Präzisionsniveau verlangen. Sollte der Sprecher durch die Vagheit eines Prädikats allerdings Missverständnisse befürchten, stehen ihm verschiedene Präventions- und Reparaturmechanismen zum Umgang mit Vagheit zur Verfügung. Dies alles zeigt, dass die logischen Schwierigkeiten, die sich durch vage Prädikate ergeben, nicht zugleich auch gravierende kommunikative Probleme nach sich ziehen. In Alltagssituationen ist der Umgang mit Vagheit nicht nur möglich, sondern das Erreichen des Kommunikationsziels kann durch Vagheit sogar befördert werden. Für die Alltagskommunikation kann mit dem Psycho-

Zwischenfazit: Vagheit in der Kommunikationssituation

133

logen Philip Johnson-Laird also festgestellt werden: „In fact, vagueness is a solution rather than a problem.“163

163

Johnson-Laird 1983: 203.

8

Vagheit in der Fachkommunikation

In den vorangegangenen Abschnitten wurde stets darauf hingewiesen, dass es in der Alltagskommunikation nicht notwendig sei, Atome oder Moleküle zu zählen, millimetergenau zu messen oder milligrammgenau zu wiegen: Für die meisten alltäglichen Kommunikationszwecke ist eine solche Präzision nicht notwendig. Aufgrund der limitierten kognitiven und diskriminativen Ressourcen des Menschen wäre sie ohne großen Aufwand auch gar nicht handhabbar. Doch was in den vorangegangenen Kapiteln für die Alltagskommunikation ausgearbeitet wurde, gilt für die Fachsprache nur eingeschränkt. Daher soll im Folgenden darauf eingegangen werden, welche Rolle Vagheit in der Fachkommunikation spielt und wo diesbezüglich Unterschiede zur Alltagskommunikation bestehen. Dazu wird zunächst dargestellt, was überhaupt unter Fachsprache zu verstehen ist (Kapitel 8.1). Im Anschluss wird gezeigt, wie Vagheitsreduzierung in Fachsprachen geleistet wird (Kapitel 8.2). Abschließend wird die Wechselwirkung zwischen Fach- und Alltagssprache durch Terminologisierung und Entterminologisierung erläutert (Kapitel 8.3). Im Anschluss an dieses Kapitel wird auf einen Spezialfall von Fachsprache eingegangen: auf die Sprache des Rechts. Sie ist in Bezug auf Vagheit insofern ein Sonderfall unter den Fachsprachen, als dass hier die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Kategorisierung zwingend ist – Urteilsenthaltung ist hier keine Option.

8.1

Definition: Was ist Fachsprache?

Zunächst soll geklärt werden, was überhaupt unter „Fachsprache“ zu verstehen ist. Es gibt eine Reihe von Ansätzen zur Definition dieses Terminus, doch er ist, „so einfach er gebildet und so verständlich er zu sein scheint, bis heute nicht gültig definiert“.1 Im Folgenden sollen deshalb einige gängige Definitionen vorgestellt und zusammengefasst werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen „Fachsprache“ im Singular als Gegenbegriff zur Alltags- oder Gemeinsprache und den „Fachsprachen“ im Plural, die die Kommunikationsmittel einzelner Fächer beschreiben, also beispielsweise die Fachsprache der Biologie, der Philosophie, der Steuerverwaltung etc. Zunächst soll hier auf „Fachsprache“ allgemein, im Gegensatz zur Alltagssprache, eingegangen werden.

1

Fluck 1996: 11.

Vagheitsreduzierung in der Fachsprache

135

Lothar Hoffmann definiert Fachsprache wie folgt: Fachsprache – das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten.2

Auf dieser Definition basiert auch die Definition von Jürg Niederhauser: Fachsprachen sind Erscheinungsformen der Sprache, die zur begrifflichen Erfassung und zur Darstellung fachspezifischer Sachverhalte und Gegenstände sowie zur Verständigung über diese Sachverhalte und Gegenstände innerhalb der durch berufliche und wissenschaftliche Fächer unterteilten Bereiche dienen.3

Niederhauser betont zudem, dass sich Fachsprache nicht nur, wie lange angenommen, durch ihre Terminologie auszeichne, sondern auch durch Wortbildung, Syntax, spezielle Stile sowie „Normen der Textgestaltung, Textsortenwahl und Darstellungsformen“.4 Für die Untersuchung der semantischen Vagheit in Fachsprachen bleibt es jedoch die Terminologie, die im Vordergrund der Betrachtung steht. In Hans-Rüdiger Flucks Beschreibung der Aufgabe von Fachsprache wird bereits der Aspekt der Präzision angesprochen: Die – allgemein anerkannte – Aufgabe der Fachsprachen ist die Bereitstellung eines Zeichenvorrats zur Verständigung über bestimmte Gegenstands- und Sachbereiche, die möglichst präzise und ökonomisch erfolgen soll.5

Nimmt man die Gesichtspunkte aus den vorgenannten Definitionen zusammen, kann Fachsprache definiert werden als Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem durch berufliche und wissenschaftliche Fächer unterteilten, begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um zwischen den in diesem Bereich Tätigen eine möglichst präzise und ökonomische Verständigung über fachspezifische Inhalte zu erreichen.

8.2

Vagheitsreduzierung in der Fachsprache

In einigen Fachgebieten, vor allem im technischen Bereich, existieren genormte Terminologien, in denen etwa per DIN-6 oder ISO-7Norm festgelegt ist, welcher Gegenstand mit welchem Terminus bezeichnet wird und in welcher Beziehung (z.B. als Oberbegriffe) diese zueinander stehen. Derartige Terminologien werden mit großem Aufwand von Ausschüssen erarbeitet.8 In dieser

2

Hoffmann 1985: 53. Niederhauser 1999: 23f. 4 Ebd.: 28f. 5 Fluck 1996: 12f. 6 Deutsches Institut für Normung e.V. 7 International Organization for Standardization. 8 Für eine Übersicht zur Terminologieerarbeitung vgl. Galinski/Budin 1997 und Oeser/Budin 1997. 3

136

Vagheit in der Fachkommunikation

Form existieren sie jedoch nicht für alle Fächer und wären auch nicht für alle Fächer gleichermaßen geeignet. Bereits in der Aufklärung war für die sich entwickelnden landessprachlichen Fachwörter Verständlichkeit und Präzision gefordert worden.9 Für Termini in genormten Terminologien gibt es Gütekriterien, die im Laufe der Zeit auch als Postulate für alle Fachwörter übernommen wurden. Daher werden Fachwörtern heute im Gegensatz zu Ausdrücken der Alltagssprache Eigenschaften wie Motiviertheit, Klarheit, (Ein-)eindeutigkeit, Genauigkeit/Exaktheit, Explizitheit, Wohldefiniertheit, Kontextunabhängigkeit/Selbstdeutigkeit, Knappheit (Kürze/Ökonomie) und Neutralität zugeschrieben.10 Für die vorliegende Arbeit sind vor allem die Merkmale Genauigkeit/Exaktheit und Wohldefiniertheit relevant: Um sie zu erfüllen, muss semantische Vagheit eliminiert oder zumindest deutlich reduziert werden. Es ist jedoch mittlerweile Konsens in der Fachsprachenforschung, dass die genannten Gütekriterien nicht allen Fachwörtern zwingend zukommen.11 Von Hahn bezeichnet etwa die Annahme der Exaktheit der Fachsprache als „weitverbreitete[s] Fehlurteil“.12 Inwiefern die Gütekriterien und insbesondere das Postulat der Exaktheit erfüllt sind, ist von Fach zu Fach unterschiedlich. So kann etwa in der Physik oder der physikalischen Chemie sehr stark formalsprachlich operiert werden, während dies in anderen Fächern nicht möglich ist. Ob eine Fachsprache formalisierbar ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Der Grad der Formalisierbarkeit einer Disziplin hängt ab von der Anwendbarkeit der theoretischen und experimentellen Methoden von Statistik, Physik, physikalischer Chemie oder Biochemie, und heute darüber hinaus von der Modellierbarkeit komplexer Systeme und Prozesse durch Computersimulation.13

Wenn natürlichsprachliche statt formalsprachlicher Ausdrücke verwendet werden, können diese wiederum über unterschiedlich trennscharfe Definitionen verfügen. Denn auch in Fachsprachen kommt es zu Polysemie, Kontextabhängigkeit – und Vagheit. So stößt man etwa, um ein Beispiel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie zu nennen, bei der Abgrenzung verschiedener psychischer Krankheiten auf Grenzfälle, da immer wieder Kombinationen von Symptomen auftreten, die die eindeutige Kategorisierung der Krankheit erschweren – bis hin zu der Frage, ob überhaupt eine Erkrankung vorliegt. Hier liegt kombinatorische Vagheit vor. Andere Grenzziehungen scheinen willkürlich, da SoritesReihen gebildet werden können. So liegt nach dem medizinischen Diagnoseklassifikationssystem ICD-10-WHO14, Version 2011, eine „leichte depressive

9

Vgl. Roelcke 1997: 2422. Vgl. Baßler 2002 und Fraas 1997. 11 Vgl. etwa Roelcke 1999: 62ff., Baßler 2002: 221f. und Baumann 1997: 374. 12 Hahn 1997: 378. 13 Falkenburg 1997: 912. 14 International Classification of Diseases der World Health Organization. 10

Vagheitsreduzierung in der Fachsprache

137

Episode“ (codiert als F32.0) vor, wenn aus einer Liste von ungefähr 20 Symptomen „gewöhnlich“ zwei oder drei vorhanden sind – hier wird nach einer Checkliste vorgegangen. Ab „gewöhnlich“ vier oder mehr dieser Symptome handelt es sich um eine „mittelgradige depressive Episode“ (codiert als F32.1).15 Das Wort „gewöhnlich“ weist bereits darauf hin, dass die Grenze zwischen diesen beiden Schweregraden der Depression offenbar nicht starr ist, sondern dem diagnostizierenden Arzt einen Spielraum einräumt. Geht es allerdings nach der Anzahl der Symptome, so ist nicht einsichtig, warum ein Symptom mehr oder weniger – von etwa 20! – einen Unterschied im Schweregrad ausmachen sollte: Hier liegt eine Sorites-Reihe vor. Erschwerend kommt hinzu, dass aus der angegebenen Symptomliste nicht eindeutig hervorgeht, welche Erscheinungen als ein Symptom zu zählen sind: So lautet der erste Satz unter dem Schlüssel F32 (Depression): „Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität.“16 Wurden hier ein, zwei oder drei Symptome aufgezählt? Oder sind diese Symptome, da sie im einleitenden Satz stehen, noch gar nicht als Teil der Liste zu verstehen? Es liegt nahe, dass sich in der fachlichen Praxis hierfür bestimmte Regeln und Verfahrensweisen etablieren. Dennoch illustriert dieses Beispiel, dass auch Fachwörter nicht in jedem Fall frei von semantischer Vagheit, Unterspezifikation und – wenn der Vagheit entgegengewirkt werden soll – dem Problem willkürlicher Grenzziehungen sind. Allerdings gibt es hier große fachspezifische Unterschiede. Doch auch in Fächern, in denen – anders als etwa in der Psychiatrie – Messungen vorgenommen werden, kann Vagheit nicht vollständig eliminiert werden. Denn hier stellen sich die oben bereits erwähnten Probleme der Messungenauigkeit, die jedes Messverfahren mit sich bringt: Dem Forscher stehen zwar präzisere Messinstrumente zur Verfügung als dem Laien; doch mit jedem präziseren Instrument verändert sich der Messwert, bis dahin, dass er aufgrund von äußeren Einflüssen ständig schwankt. Auch hier muss letztlich ein Präzisionsniveau gewählt werden, das zwar höher ist als das der Alltagssprache, jedoch einen Rest an Arbitrarität aufweist. Wenn Vagheit jedoch auch nicht vollkommen eliminiert werden kann, so liegt im Bereich der Fachsprache vielfach dennoch zumindest eine deutliche Vagheitsreduzierung vor. Hier greift wieder Freges Hand-Analogie:17 Während die Alltagssprache wie die menschliche Hand ein flexibles, unspezialisiertes Werkzeug ist, das für sehr spezielle Aufgaben ungeeignet ist, ist die Fachsprache ein spezialisier15

ICD-10-WHO Version 2011 online: Kapitel V (F00–F99). Affektive Störungen (F30-F39). Ebd. 17 Vgl. zur Hand-Analogie Frege 2008 [1882]: 72f. [52] sowie oben Kapitel 4.2.1. 16

138

Vagheit in der Fachkommunikation

tes Werkzeug, das aber nicht so vielfältig eingesetzt werden kann. Die meisten Fachsprachen sind zwar noch nicht so spezialisiert wie formale Logik und Mathematik, die Frege in seinem Beispiel heranzieht. Dennoch beschränken sie sich jeweils auf einen gewissen Anwendungsbereich. Dadurch können feinere Unterscheidungen getroffen werden als in der Alltagssprache – und im Gegensatz zur Alltagskommunikation sind diese feinen Unterscheidungen dort auch nötig. Oben wurde erläutert, dass sich in der Alltagskommunikation bestimmte Präzisionsniveaus durchgesetzt haben, die für die jeweilige Situation angemessen sind, und dass semantische Vagheit dieses Präzisionsniveau ermöglicht bzw. diesem entspricht.18 In der Fachkommunikation ist das Präzisionsniveau in der Regel höher. Die Messungen und Analysen, die in der Alltagskommunikation nur hinderlich und nicht nützlich wären, weil ihre präzisen Ergebnisse für alltägliche Kommunikationszwecke nicht benötigt werden, werden in der Wissenschaft durchgeführt. Ob ein Fachausdruck auf einen Gegenstand zutrifft oder nicht, kann oft erst danach entschieden werden. Moleküle, Atome oder Protonen zu zählen ist keine Beschäftigung für einen gewöhnlichen Sprecher, der einen Körnerhaufen identifizieren möchte. Ein Chemiker tut jedoch genau das bzw. leitet diese Zahlen durch Analysen ab, um festzustellen, welche chemische Verbindung oder welches Element vorliegt. In der Chemie kann, im Gegensatz zur Alltagssprache, mit dem Entfernen von Atomen keine Sorites-Reihe gebildet werden. „Ein Atom mehr oder weniger kann doch keinen Unterschied machen.“ – das gilt für Tische und Körnerhaufen, aber nicht für chemische Verbindungen. Heckenausdrücke wären hier fehl am Platze: „Das ist so etwas wie ein Wasser-Molekül.“ ist eine Aussage, die sich in der Chemie schwerlich finden lassen wird, da es von WasserMolekülen keine Grenzfälle gibt. In der Fachsprache finden sich zudem explizite Stipulationen mit scharfen Grenzen und notwendigen wie hinreichenden Bedingungen für die Anwendung von Prädikaten. Da diese Prädikate nur für einen bestimmten, überschaubaren Anwendungsbereich benötigt werden, müssen sie die Anforderung der Flexibilität nicht erfüllen, die die Kategorisierung von Gegenständen in der Alltagssprache so problematisch macht. So gibt es in der Fachsprache in den meisten Fällen zwar eine deutliche Vagheitsreduzierung gegenüber der Alltagssprache, jedoch meistens keine Vagheitseliminierung. Diese bzw. eine zu weite Vagheitsreduzierung wäre jedoch in der Fachkommunikation auch nicht immer sinnvoll, und zwar vor allem auch nicht in allen Fächern gleichermaßen. Auch können für die Bewertung präziser Messergebnisse wieder vage Ausdrücke notwendig sein. Darauf weist Frank Veltman hin: Ohne Hintergrundwissen sagen Messergebnisse nichts darüber aus, 18

Siehe oben Kapitel 7.3.5.

Terminologisierung und Entterminologisierung

139

ob etwas „schnell“, „wenig“ o.ä. ist.19 Der Messwert allein reicht für die Beurteilung nicht aus; die Bewertung muss häufig wieder mit natürlichsprachlichen und daher meist vagen Ausdrücken erfolgen.

8.3

Terminologisierung und Entterminologisierung

Fach- und Alltagssprache sind keine voneinander unabhängigen, isolierten Kommunikationsbereiche, sondern sie stehen in ständigem Austausch, und zwar dadurch, dass sie in Teilen von den gleichen Sprechern verwendet werden.20 Austauschprozesse finden vor allem im Bereich des Vokabulars statt.21 So scheinen sich manche Prädikate in beiden Bereichen wiederzufinden. Wie aber können dann die Extensionsgrenzen verschieden scharf sein? Die Antwort lautet, dass bei Übernahmen von der Fach- in die Alltagssprache und umgekehrt gerade nicht dasselbe Prädikat samt Extension übernommen wird. Stattdessen werden die Extensionsgrenzen verengt, erweitert oder verschoben. Bei der Übernahme vom Alltags- in den Fachwortschatz (Terminologisierung) wird eine fachliche Definition vorgenommen, die in der Regel die Extension enger fasst und schärfer bzw. anders begrenzt. Ein klassischer Fall dafür ist die Unterscheidung von „Obst“ und „Gemüse“. Im Alltag hängt sie lediglich von den Verzehrgewohnheiten und der Erwartung an den Geschmack ab. In der Botanik und der Landwirtschaft dagegen wird zusätzlich nach den verwendeten Pflanzenteilen und der Lebensdauer der Pflanze klassifiziert: Unter „Obst“ fallen Früchte und Samen meist mehrjähriger Sträucher, während andere Pflanzenteile wie Blätter, Stängel und Wurzel einjähriger Pflanzen dem „Gemüse“ zugeordnet werden.22 Demnach zählen allerdings auch Melonen zum „Gemüse“ – bei dem man sie im Supermarkt vergeblich suchen wird. Die EU-Richtlinie über Konfitüren wiederum stellt – nur für den Zweck dieser Richtlinie – auch Karotten, Gurken und Süßkartoffeln den Früchten (also dem „Obst“) gleich, denn: „‚Konfitüre‘ ist die auf die geeignete gelierte Konsistenz gebrachte Mischung von Zuckerarten, Pülpe und/oder Fruchtmark einer oder mehrerer Fruchtsorte(n) und Wasser.“23 Da in manchen EU-Ländern jedoch auch aus Karotten, Gurken und Kartoffeln traditionellerweise ein derartiges Lebensmittel hergestellt wird, wurde die Einordnung dieser Gemüsesorten für diesen Zweck angepasst. 19

Vgl. Veltman 2002: 13. Vgl. Hoffmann 1997: 684. 21 Vgl. ebd.: 686. 22 Vgl. Rimbach 2010: 194 und 204. 23 Richtlinie 2001/113/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem für die menschliche Ernährung, L10/70 und L10/72. Eingesehen am 14.06.2012 unter http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:010: 0067:0072:DE:PDF. 20

140

Vagheit in der Fachkommunikation

Andererseits werden bei der Übernahme von der Fach- in die Alltagssprache (Entterminologisierung) die fachlich festgelegten Extensionsgrenzen flexibilisiert. So versteht man etwa in der Fachsprache der Forstwirtschaft seit 1713 unter „Nachhaltigkeit“, dass nur so viel Holz geschlagen werden darf, wie wieder aufgeforstet wird.24 In den letzten Jahren ist der Terminus jedoch in die Gemeinsprache eingegangen: Von industrieller Produktion bis hin zur Personalpolitik eines Unternehmens kann inzwischen alles – werbewirksam – „nachhaltig“ sein. In manchen Fällen, in denen in der Fachsprache eine präzise begrenzte Extension existiert, muss in der Alltagskommunikation sogar vom fachsprachlichen Ideal abgewichen werden, da das entsprechende Prädikat im Alltag sonst gar keine Verwendung fände: Bei geometrischen Ausdrücken etwa ist dies immer der Fall, da zum Beispiel ein Dreieck im streng geometrischen Sinne in der Welt gar nicht vorkommt. Schon die mit einem Geodreieck ins Mathematikheft gezeichnete Figur ist geometrisch gesehen kein Dreieck mehr. Geometrische Ausdrücke können in natürlicher Sprache also überhaupt nur dann mit Bedeutung verwendet werden, wenn von der geometrischen Definition abgewichen wird.25 Man sieht also, dass in der Fachsprache eine deutliche Vagheitsreduzierung gegenüber der Alltagssprache vorliegt. Zwar können auch hier Sorites-Vagheit und kombinatorische Vagheit auftreten, und auch hier können willkürlich gezogene Grenzen manchmal in Frage gestellt werden. Dennoch sind die Anforderungen etwa an die Flexibilität oder die schnelle Kategorisierbarkeit nicht so hoch wie in der Alltagssprache. In der Fachsprache ist Präzision wichtiger als Schnelligkeit und durch Mess- und Analyseverfahren ist sie auch in einem höheren Grade möglich als in der Alltagskommunikation.

24 25

Vgl. Grober 2010: 113–116. Vgl. Eschenbach/Habel/Kulik/Leßmöllmann 1998: 184.

9

Vagheit im Recht

Die (Fach-)Sprache des Rechts ist von besonders hoher gesellschaftlicher Relevanz und soll an dieser Stelle daher ausführlich betrachtet werden. Rechtliche Texte regeln das Zusammenleben von Gesellschaften und haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben eines jeden Einzelnen, auch wenn er gerade nicht in einen Gerichtsprozess involviert ist. Denn auch bei Alltagshandlungen wie der Abgabe einer Steuererklärung, dem Zahlen der Wohnungsmiete oder dem Kauf alkoholischer Getränke – ja, sogar schon dem Kauf von Brötchen – sind Texte des Rechts, darunter Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Ausführungsbestimmungen, relevant. Wenn in einem Gerichtsprozess Grenzfälle relevant werden, kann sich ein Richter seines Urteils nicht enthalten – im Gegensatz zum Sprecher in der Alltagskommunikation. Der Richter muss sich in seinem Urteil für die eine oder die andere Seite der unscharfen Grenze entscheiden, die bei allen vagen Begriffen vorliegt. Aber in welcher Form kann dies geschehen? Soames weist darauf hin, dass in diesen Fällen eine Gesetzesinterpretation aufgrund bestimmter, manchmal auch stillschweigender, Prinzipien erfolgen muss, denn: „In matters of great importance, flipping a coin will not do.“1 Die Überlegungen zur Fachsprache im vorangegangenen Kapitel haben bereits erkennen lassen, dass der Nutzen, der sich für die Vagheit in der Alltagssprache ausmachen lässt, für die Fachsprachen allenfalls begrenzt ist. Dieselbe Einschränkung gilt für die (Fach-)Sprache des Rechts. Timothy Endicott weist auf den Unterschied der Rechtssprache zur Alltagssprache in Bezug auf den Umgang mit Vagheit hin; er führt Wittgensteins Diskussion des Prädikats „Spiel“ an: „Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort ‚Spiel‘ angewendet hast.)“2 Doch im Recht, so Endicott, stört es sehr wohl: In law, the fact that no boundary has been drawn does trouble people. Parties to a dispute over the application of vague laws argue about the application of words that are as vague as the word ‚game‘, but the dispute may have very serious consequences for them. And then, if a boundary has not been given to the application of a vague law, the parties seem to be at mercy of whatever official gets to draw one.3

Wie oben bereits angedeutet, gibt es einen weiteren Unterschied zur Alltagskommunikation: Sind für einen bestimmten Zweck einmal scharfe Grenzen gezogen worden, so ist der Sprecher in der Alltagssprache nicht dauerhaft auf diese festgelegt. Eine Abweichung davon ist ihm nicht vorwerfbar, schon weil seine Wahrnehmungsfähigkeiten und seine Gedächtniskapazität beschränkt 1

Soames 2011: 33. Wittgenstein PU: § 68. Vgl. auch oben Kapitel 4.2.5. 3 Endicott 2011: 182. 2

142

Vagheit im Recht

sind.4 Solche Inkonsistenzen sind in der Alltagssprache erlaubt, nicht aber im Recht. Im U.S.-Rechtssystem werden die einmal getroffenen Entscheidungen als Präzedenzfälle „aufbewahrt“. Sie werden Teil des geltenden Rechts und wirken sich auf kommende Urteile aus.5 Im deutschen Rechtssystem nehmen die einmal getroffenen Entscheidungen das Urteil künftiger Verfahren zwar nicht vorweg, doch auch hier wird in Gerichtsurteilen auf die bisherige Rechtsprechung verwiesen. So können auch rechtliche Sorites-Reihen entstehen.6 Damit haben Grenzziehungen im Recht einen größeren Einfluss als im Alltagsgespräch gezogene Grenzen. In der Alltagskommunikation kann Vagheit von Vorteil gegenüber der Präzision sein. Zudem existieren Strategien zum Umgang damit. Doch ist dies auch in der Sprache des Rechts der Fall? Hat Vagheit im Recht auch einen Nutzen, oder handelt es sich hier um eine Eigenschaft von Ausdrücken in Gesetzestexten, die zwar in einem gewissen Ausmaß unvermeidlich, aber eigentlich hinderlich für die rechtliche Entscheidungsfindung ist und die man, so weit möglich, eliminieren sollte? Diese Frage soll im vorliegenden Kapitel diskutiert werden. Dazu wird zunächst der Zwang des Richters zur Entscheidung eingehender betrachtet (Kapitel 9.1: Bivalenz und Subsumtion). Klassische Fälle von Vagheit im Recht erzeugen die unbestimmten Rechtsbegriffe (Kapitel 9.2). Anschließend wird noch einmal die Abgrenzung von Vagheit und Generalität (Kapitel 9.3) aufgegriffen und unter dem Aspekt der Vagheit im Recht betrachtet. Danach wird untersucht, ob Vagheit im Recht eindeutig als Defekt (Kapitel 9.4) zu sehen ist; es werden der Wert der Präzision im Recht, die Void-for-VaguenessDoktrin, die Hart-Dworkin-Debatte sowie Sorites-Reihen im Recht diskutiert. Diesen Aspekten wird der Nutzen der Vagheit im Recht (Kapitel 9.5) gegenübergestellt, der in der Flexibilität vager Gesetze, der Delegation von Entscheidungen und der Handhabbarkeit von Gesetzen besteht. Zudem wird untersucht, ob auch die Übererfüllung von Gesetzen ein Vorteil von Vagheit ist. Abschließend werden die Vor- und Nachteile von Vagheit im Recht mit denen der Vagheit in der Alltagssprache verglichen (Kapitel 9.6).

9.1

Bivalenz und Subsumtion

Die Debatte um Vagheit im Recht ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil im Recht auch bei Grenzfällen immer eine Entscheidung gefällt werden muss. Ein Richter kann sich des Urteils nicht enthalten, da er dem Rechtsverweigerungsverbot unterliegt. Er muss entscheiden, ob eine Tat unter einen bestimm4

Vgl. Thorpe 1984: 398. Vgl. ebd.: 399. Siehe dazu auch oben Kapitel 7.5.4. 6 Siehe unten Kapitel 9.4.4. 5

Bivalenz und Subsumtion

143

ten Tatbestand fällt oder nicht, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht, oder ob ein Gegenstand in eine bestimmte Kategorie gehört und damit beispielsweise besteuert oder kontrolliert werden muss. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Maurice v. Judd aus dem Jahre 1818, den D. Graham Burnett in seinem Buch Trying Leviathan – The nineteenth-century New York court case that put the whale on trial and challenged the order of nature behandelt.7 Samuel Judd, der mit Ölen zur Kerzenherstellung handelte, hatte sich geweigert, seine Fässer mit Wal-Öl inspizieren zu lassen; denn die Inspektion war nur für Fisch-Öl vorgeschrieben. Da der Wal aber kein Fisch sei, so Judd, falle sein Handelsgut nicht unter die genannte Regelung.8 Das Gericht folgte seiner Argumentation nicht, obwohl Judd sich auf Gutachten von Biologen stützen konnte, die seine Klassifikation der Wale untermauerten. Im rechtlichen Sinne wurde der Wal als „Fisch“ eingestuft. Berücksichtigt man den Zweck der vorgeschriebenen Inspektion, nämlich die Gewährleistung der Öl-Qualität für seine Weiterverarbeitung, so könnte man argumentieren, dass Wal-Öl ein Grenzfall vom im Gesetz angesprochenen „Fisch-Öl“ sei: Es stammt zwar von einem Säugetier, wird jedoch in gleicher Weise weiterverarbeitet wie Fisch-Öl. Ob es sich bei Wal-Öl um eine Art von „Fisch-Öl“ handelt, ist damit ein Fall von kombinatorischer Vagheit. Der Richter muss jedoch entscheiden, ob es sich bei dem WalÖl um „Fisch-Öl“ im Sinne des vorliegenden Gesetzes handelt. Diesen Zwang zur Entscheidung in die eine oder andere Richtung nennt Endicott die rechtliche Bivalenz (juridical bivalence).9 Er hält diese auch dann für gegeben, wenn die Rechtsfolgen je nach Schwere der Tat innerhalb eines gewissen Rahmens – etwa beim Strafmaß – variieren können, also eine Gradierung in gewisser Weise möglich ist.10 Das Problem der rechtlichen Bivalenz ist nämlich in erster Linie kein Problem der Rechtsfolgen, sondern ein Problem der Subsumtion: Bei der Subsumtion prüft der Jurist, ob ein Sachverhalt, ein Gegenstand oder eine Tat unter einen Begriff im Gesetz, das bestimmte Rechtsfolgen vorsieht, fällt. Die Subsumtion geht jedem Urteilsspruch voraus. Die Rechtsfolgen mögen gradierbar sein – die Entscheidung, ob der Sachverhalt unter das Gesetz fällt oder nicht, ist es nicht. Das Problem für den Rechtsanwender dabei ist nun, dass Gesetzestexte für diese Entscheidungen oft nicht die notwendigen und hinreichenden Bedingungen zur Verfügung stellen, anhand derer diese Subsumtion eindeutig entschieden werden könnte. Dies zeigt der oben genannte Fall sehr deutlich. Es bedarf aber gar nicht der Biologie der Meerestiere, um bei fast jedem Urteil auf dasselbe Problem zu stoßen. Als Mörder bestraft das deutsche Gesetz zum Beispiel den, der „aus 7

Siehe zu diesem Fall in Bezug auf die Hart-Dworkin-Debatte auch Poscher 2009: 99. Vgl. Burnett 2007: 4. Vgl. Endicott 2000: 72. 10 Vgl. ebd. Dies gilt im deutschen Recht übrigens singulär nicht für Mord. Hier schreibt § 211 Abs. 1 StGB zwingend lebenslange Freiheitsstrafe vor. 8 9

144

Vagheit im Recht

Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet“.11 Fast jeder gewaltsame Tod eines Menschen kann zu Zweifelsfällen führen. Ein Beispiel ist die Tötung aus Eifersucht. Ist dies ein „niedriger Beweggrund“? Früher urteilten die Gerichte danach, ob der Täter mit der Frau, die einen anderen Mann liebte, verheiratet war oder nicht. Für den gehörnten Ehemann hatte man mehr Verständnis als für den hintergangenen Liebhaber: Bei ersterem wurde Eifersucht seltener als niedriger Beweggrund gewertet als bei letzterem. Dies ist heute anders – ohne dass die Lage dadurch eindeutiger geworden wäre.12 Auch das Mordmerkmal der Heimtücke führt zu Zweifelsfällen: Wann musste das Opfer mit einem Angriff auf sein Leben rechnen? Wenn es vorher einen Streit gab? Und wenn es nach diesem Streit eingeschlafen ist und im Schlaf getötet wurde?13 Auch der Tatbestand der Körperverletzung führt zu Zweifelsfällen. Als „gefährliche Körperverletzung“ ist unter anderem eine Körperverletzung qualifiziert, die „mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs“14 begangen wird. Was aber als „gefährliches Werkzeug“ zu gelten hat, ist nicht immer eindeutig. Ein Messer fällt sicherlich darunter; was aber, wenn es ein Skalpell in der Hand eines Arztes ist, das ja der Heilung dienen soll? Das Kölner Landgericht stellte in seinem Urteil zur Beschneidung von Jungen im Mai 2012 fest, dass der Arzt zwar eine Körperverletzung, jedoch keine gefährliche Körperverletzung (wie von der Staatsanwaltschaft angeklagt) begangen habe, denn „[d]as Skalpell ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Bestimmung, wenn es – wie hier – durch einen Arzt bestimmungsgemäß verwendet wird“.15 Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit der Grenzziehung im Einzelfall ist der von Solan angeführte Fall von John Angus Smith v. United States, in dem es um ein „drug trafficking crime ‚using‘ a machinegun“16 – Drogenhandel unter „Verwendung“ einer Maschinenpistole – ging: Der U.S. Supreme Court entschied, dass auch der Tausch eines Maschinengewehres gegen Drogen ein solcher Fall sei, da die Waffe das illegale Geschäft befördert habe,

11

§ 211 Abs. 2 StGB. Vgl. Fahl 2010: 97. 13 Vgl. ebd.: 98. 14 § 224 Abs. 1 StGB. 15 Landgericht Köln, 151 Ns 169/11. Einsehbar unter http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2012/151_Ns_169_11_Urteil_20120507.h tml (eingesehen am 18.11.2012). 16 Solan 2005: 87. 12

Unbestimmte Rechtsbegriffe und Bestimmtheitsgebot

145

auch wenn niemand durch sie bedroht worden sei.17 Aus dem Gesetzestext allein kann jedoch nicht abgeleitet werden, wie der Ausdruck „using“ im konkreten Fall zu verstehen ist. Gilt es auch als „Verwendung“ einer Maschinenpistole beim Drogenhandel, wenn sich jemand während der Transaktion mit der Waffe am Kopf kratzt? Dies verneinten die Richter, da die Linderung eines Juckreizes das Drogengeschäft nicht erleichtert habe.18

9.2

Unbestimmte Rechtsbegriffe und Bestimmtheitsgebot

Es kommt in der täglichen Rechtspraxis also häufig zu Unsicherheiten in der Rechtsanwendung. Begriffe, deren Vagheit in besonderem Maße hervorsticht, gelten in der Rechtswissenschaft als unbestimmte Rechtsbegriffe: Ein Arbeitsvertrag kann „aus wichtigem Grund“ gekündigt werden,19 ein Schuldner ist verpflichtet, seine Leistung so zu erstatten, „wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“,20 ein Rechtsgeschäft gilt als nichtig, wenn es „gegen die guten Sitten verstößt“.21 Die Liste ließe sich fortsetzen: Ob ein Sachverhalt unter die entsprechende gesetzliche Bestimmung fällt, ist bei unbestimmten Rechtsbegriffen unsicher. Sie müssen immer im Hinblick auf die konkrete Situation interpretiert werden. Dieser Befund wirft die schwerwiegende Frage auf, ob unbestimmte Rechtsbegriffe mit dem Bestimmtheitsgebot im deutschen Recht vereinbar sind. In Art. 103 Abs. 2 GG heißt es: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ Dieser Artikel verbietet nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine nachträglich Kriminalisierung von Taten, sondern fordert auch ein, dass die Strafbarkeit vorher bereits bestimmt war und der Bürger (der sogenannte Normadressat) daher wusste, dass seine Handlung strafbar ist. Diese Problematik wird in Kapitel 9.4.1.1 unter dem Stichwort der Verhaltensleitung durch Präzision im Recht, in Kapitel 9.4.2 im Rahmen der Void-for-Vagueness-Doktrin sowie in Kapitel 9.4.4 im Fallbeispiel der Sitzblockaden für Sorites-Reihen im Recht diskutiert.

17 Vgl. Smith v. United States, 508 U.S. 223 (1993): 232. Einsehbar unter http://supreme. justia.com/cases/federal/us/508/223/case.html#238 (eingesehen am 01.04.2012). Ich danke Larry Solan für den Hinweis auf und die fruchtbare Diskussion zu diesem Fall. 18 Vgl. ebd. 19 § 626 Abs. 1 BGB. 20 § 242 BGB. 21 § 138 Abs. 1 BGB

146

Vagheit im Recht

9.3

Abgrenzung: Vagheit und Generalität im Recht

Wie schon für die Alltagssprache, so muss beim Herausstellen der Vor- und Nachteile von Vagheit im Recht die Vagheit von Generalität und mangelnder Spezifizierung – also von „Vagheit“ im alltagssprachlichen Sinne – abgegrenzt werden.22 Diese terminologische Sorgfalt lässt die Debatte um Vagheit im Recht bisweilen vermissen. So beruft sich etwa der Rechtslinguist Markus Nussbaumer auf folgenden Grundsatz, um Vagheit im Recht zu rechtfertigen: Gesetze sind generell-abstrakte Normen, die mit einer endlichen, möglichst knappen Menge an Formulierungen eine theoretisch unendliche Zahl von konkreten Fällen in der vielgestaltigen Wirklichkeit erfassen und rechtlich regeln sollen.23

Dies könnte ein Teil einer ganz typischen Apologie der Vagheit im Recht sein. Doch was Nussbaumer hier anspricht, ist die Generalität von Rechtsnormen. Generalität muss jedoch nicht automatisch zu Grenz- und Zweifelsfällen in der Anwendung führen. Ein Gesetz kann sehr allgemein formuliert sein und dennoch kann eindeutig sein, welche Fälle darunter fallen und welche nicht. Generalität bedeutet lediglich, dass der Anwendungsbereich eines Begriffs sehr groß und vielfältig sein kann, nicht, dass er keine scharfen Grenzen hat. Andererseits kann Generalität aber auch zu Vagheit führen, nämlich dann, wenn die mangelnde Spezifizierung Grenzfälle entstehen lässt, für die nicht eindeutig ist, ob sie unter einen im Gesetz festgelegten Begriff fallen. Jedoch muss auch in diesem Fall Vagheit von Generalität unterschieden werden: Generalität ist hier eine der Ursachen für Vagheit, jedoch nicht mit dieser gleichzusetzen. Gerade in der Diskussion um Vagheit im Recht wird „Vagheit“ oder „Vagueness“ oft im alltagssprachlichen Sinne der mangelnden Spezifizierung verwendet. So diskutieren Jeffrey K. Staton und Georg Vanberg in ihrem Aufsatz The Value of Vagueness: Delegation, Defiance and Judicial Opinions (2008) richterliche Entscheidungen, in denen keine konkreten Maßnahmen vorgeschrieben werden. Als Beispiel führen sie den Fall einer Klage gegen die Rassentrennung in Schulen an, bei der die Richter diese nicht direkt verwarfen, sondern urteilten, dass die Integration vorangetrieben werden solle mit „all deliberate speed“.24 Derartig allgemein gehaltene Urteile machen zwar einerseits eine Missachtung durch Politik und Verwaltung wahrscheinlich, so Staton und Vanberg;25 andererseits erlitte bei einer Missachtung präzise vorgeschriebener Maßnahmen der Ruf der Justiz großen Schaden.26 Dies und eine Vermeidung der Konfrontation mit der Politik27 könne Richter dazu bringen, 22

Siehe dazu auch oben Kapitel 2.2.3.1. Nussbaumer 2005: 49. 24 Staton/Vanberg 2008: 504. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. ebd.: 507. 27 Vgl. ebd.: 505. 23

Vagheit im Recht als Defekt?

147

unspezifische Urteile zu sprechen. Staton und Vanberg entwickeln ein formales Modell richterlicher Entscheidungsfindung. Da es sich jedoch nur auf mangelnde Spezifizierung und nicht auf Sorites-Vagheit bzw. kombinatorische Vagheit bezieht, soll diese Diskussion im Folgenden unberücksichtigt gelassen werden. Auch die U.S.-amerikanische Void-for-Vagueness-Doktrin bezieht sich bisweilen auf Generalität, wie in Kapitel 9.4.2 erläutert wird. Umgekehrt kann es auch vorkommen, dass in der Vagheitsdebatte unter dem Stichwort „Generalität“ etwas verhandelt wird, was in dieser Arbeit terminologisch als „Vagheit“ gefasst wird. So etwa bei Soames: Er sieht den Vorteil mancher Gesetzesformulierungen zwar nach eigener Aussage in der „Generalität“, setzt diese jedoch mit kombinatorischer Vagheit gleich. Bezogen auf Endicotts Beispiel des Gesetzes gegen die Vernachlässigung von Kindern kritisiert er, dass das Wort „neglect“ im Gesetz nicht deshalb eine gute Formulierung sei, weil sie „vage“ sei, sondern weil sie „allgemein“ sei. Das heißt nach ihm nun aber genau: „[…] their value in formulating the statute is due in part to factors other than their susceptibility to borderline cases. ‚Neglect‘ is a highly general, multidimensional term […].“28 Diese Multidimensionalität ist nun aber gerade ein Kennzeichen kombinatorischer Vagheit. Weiterhin zeigt dieses Beispiel, dass bei der Diskussion um Vagheit im Recht der Fokus nicht nur auf der Sorites-Vagheit liegen sollte, sondern auch die kombinatorische Vagheit berücksichtigt werden muss. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch zwischen kombinatorischer Vagheit und Generalität eine unscharfe Grenze liegt. Sie sollte jedoch nicht dazu führen, kombinatorische Vagheit von Anfang an nur als Generalität zu betrachten. Wie in den bisherigen Kapiteln auch, gilt die Untersuchung von Vor- und Nachteilen der Vagheit der Sorites-Vagheit und der kombinatorischen Vagheit, nicht jedoch der Generalität.

9.4

Vagheit im Recht als Defekt?

Hat Vagheit im Recht überhaupt Vorzüge? Oder nur Nachteile? Einige Aspekte, die im Folgenden dargestellt werden, scheinen darauf hinzudeuten, dass Vagheit sich hier ausschließlich negativ auswirken könnte. Denn im Recht wird der Präzision ein hoher Wert zugeschrieben – warum sollte Vagheit dann wünschenswert sein?

28

Soames 2011: 39.

148

9.4.1

Vagheit im Recht

Der Wert der Präzision im Recht

Zunächst soll auf den Wert der Präzision im Recht eingegangen werden. Dabei sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung: Die Verhaltensleitung durch präzise Gesetze, die Vermeidung von Willkür sowie die Vermeidung von Inkohärenz. Vertreter der epistemischen Theorie der Vagheit sind zudem der Ansicht, dass Richter beim Vorliegen von Grenzfällen zu unaufrichtigen Urteilen gezwungen seien und diese durch Präzision im Recht vermieden würden.

9.4.1.1 Verhaltensleitung durch Präzision Endicott, der den Wert der Vagheit im Recht herausarbeitet, wirft auch ein Schlaglicht auf positive Aspekte der Präzision.29 Präzision im Recht kann Bürger in ihrem Verhalten leiten: Sie können durch präzise Regeln ihre Rechte und Pflichten kennen und wissen, welches Verhalten strafbewehrt ist und welches nicht. Damit verfügen präzise formulierte Gesetze über den sogenannten guidance value.30 Übertragen auf das deutsche Recht kann man festhalten, dass dem Bestimmtheitsgebot damit Genüge getan ist. Dass präzise Gesetze dem Normadressaten die Ausrichtung seines Verhaltens ermöglichen sollen, darf nun aber in einem Rechtsstaat nicht so verstanden werden, dass der Gesetzgeber mit seinen Regelungen bezwecken sollte – oder auch nur: dürfte –, dass sich alle Bürger an die Gesetze halten. Das Bestimmtheitsgebot fordert nur, dass die Bürger wissen müssen, was sie tun müssen, wenn sie sich gesetzeskonform verhalten wollen – und welche Konsequenzen ihnen drohen, wenn sie es nicht tun. Das Bestimmtheitsgebot ist damit eine Folge aus dem Rechtsstaatsgebot.31 Dieses verlangt vom Staat, dass er sich in allen seinen Handlungen an Gesetze bindet. Der Staat – nicht der Bürger – ist nach dem Rechtsstaatsgebot an Gesetze gebunden. Anders als ein Willkürstaat legt sich der Rechtsstaat möglichst bestimmt und präzise auf sein Handeln fest. Damit ist schon ein weiterer Wert angedeutet, der der Präzision im Recht zugesprochen wird. Präzision ermöglicht die Verhaltensleitung der Rechtsprechung und der ausführenden Organe: Richter oder Polizisten wissen, wie sie zu urteilen oder zu verfahren haben. Damit verfügt Präzision im Recht auch über den sogenannten process value.32 Dabei sind präzise Regeln mal für die eine, mal für die andere Seite von größerem Nutzen für die Orientierung des eigenen Verhaltens, wie Endicott

29

Vgl. Endicott 2005: 34. Ebd. 31 Das Rechtsstaatsgebot findet Ausdruck in Art. 20 Abs. 3 GG: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ 32 Endicott 2005: 34. 30

Vagheit im Recht als Defekt?

149

am Beispiel des Blutalkohol-Wertes erläutert, der zwar keinen guidance value für den Bürger, aber einen process value für die Polizeibeamten beinhaltet: A precise blood alcohol level, on the other hand, is not very useful to a driver as a guide to his or her conduct. But the precision of the standard (as opposed, for example, to a vague rule against driving while intoxicated) has an important process value: a police officer with a breathalyzer can use the precise standard as a guide in deciding whether to restrain a driver and whether to prosecute.33

Dass Menschen ihr Verhalten am Recht orientieren können, hält Joseph Raz für eine Frage der Menschenwürde; denn nur dann hätten Menschen eine genügende Kontrolle über ihre eigene Zukunft. Diese sei aber bei zu großem Spielraum bei der Gesetzesanwendung – etwa durch Vagheit – gerade nicht gegeben.34

9.4.1.2 Vermeidung von Willkür Ein zentrales Element der Rechtsstaatlichkeit ist das Willkürverbot. Zur Vermeidung von Willkür können präzise Werte und Zahlen wie die zur Festlegung etwa des Wahlalters oder des Steuersatzes beitragen.35 Zwar enthalten auch sie ein Moment der Willkür, da etwa ein Altersunterschied von wenigen Minuten (vor und nach Mitternacht) zwischen zwei Personen dazu führen kann, dass die eine von ihnen bei einer Wahl schon wahlberechtigt ist, die andere jedoch noch nicht. Müsste die Wahlberechtigung jedoch aufgrund der persönlichen Reife jeweils individuell festgestellt werden, ergäbe sich nicht nur das Problem unscharfer Grenzen. Auch die Gefahr der Willkür und des Missbrauchs wäre noch größer als bei der präzisen Benennung des Wahlalters.36

9.4.1.3 Vermeidung inkohärenter Rechtsanwendung Endicott weist auch darauf hin, dass vage Ausdrücke in Gesetzestexten eine inkohärente Rechtsanwendung zur Folge haben können, wenn sie in unvereinbarer Weise verschieden ausgelegt werden.37 Wenn es keine hinreichende Bedingung für die eine oder andere Entscheidung des Richters gibt, können zwei Gerichte im selben Fall unterschiedlich urteilen, ohne dass es einem der beiden Gerichte vorwerfbar wäre. Dies wäre jedoch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der besagt, dass Personen in der gleichen Rechtslage gleich behandelt werden müssen.

33

Ebd.: 34. Vgl. Raz 1979: 221f. Vgl. Endicott 2005: 37. 36 Vgl. ebd.: 36–38. 37 Vgl. ebd.: 32. 34 35

150

Vagheit im Recht

9.4.1.4 Vermeidung unaufrichtiger Urteile Roy Sorensen leitet aus der epistemischen Theorie der Vagheit ab, dass Richter durch Grenzfälle dazu gezwungen seien, unaufrichtige Urteile zu sprechen.38 Denn laut der epistemischen Theorie existieren scharfe Grenzen, die allerdings im Fall vager Prädikate niemand kennen kann. Der Richter hat jedoch trotz dieser Unkenntnis eine Pflicht, zu entscheiden. Da es laut der epistemischen Theorie eine richtige Antwort gibt, der Richter diese aber nicht kennen kann, wird er durch Vagheit zu einem unaufrichtigen Urteil gezwungen.39 Ausgehend von Arnold Isenbergs Definition der Lüge „A lie is a statement made by one who does not believe it with the intention that someone else shall be led to believe it.“40 kommt Sorensen sogar zu dem Schluss, dass Richter lügen, wenn sie Urteile über Grenzfälle sprechen. Sie wissen, dass sie nicht wissen, ob ihr Urteil korrekt ist. Diese Schlussfolgerung setzt jedoch voraus, dass ein Richter ebenfalls der Meinung ist, es gebe eine scharfe Grenze, die er nicht kennen könne; denn nur dann ist sein Urteil unaufrichtig. Anders gesagt: Sorensen geht davon aus, dass die Richter seine epistemische Theorie der Vagheit teilen – angesichts der Einwände, die sich gegen diese Theorie aufdrängen,41 vielleicht eine etwas verwegene Unterstellung. Ob es rechtlich immer die eine richtige Antwort gibt, die es zu finden gilt, ist Gegenstand der unten behandelten Hart-Dworkin-Debatte.42 Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass Vagheit im Recht durchaus ihre Nachteile und Präzision ihren Wert hat. Allerdings ist Präzision nicht immer möglich oder angemessen, denn auch sie wirft das Problem der Willkür auf. Dies wird in Kapitel 9.5 ausführlich ausgearbeitet. Zuvor aber zu den Folgerungen, die die Legislative aus den Schwierigkeiten gezogen hat, die vage Ausdrücke im Recht aufwerfen.

9.4.2

Void for Vagueness

Dass Vagheit im Bereich des Rechts zu ernsthaften Problemen führen kann, gab Anlass für die Entwicklung eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes, der seit 1875 im U.S.-Verfassungsrecht gilt: die Void-for-Vagueness-Doktrin. Sie besagt, dass Gesetze ungültig sind, die zu vage sind.43 Auch im kanadischen 38

Vgl. Sorensen 2001a: 388f. Vgl. ebd.: 400. 40 Isenberg 1964: 466. 41 Siehe oben Kapitel 3.3.3. 42 Siehe unten Kapitel 9.4.3. 43 Eine Übersicht über die „Void-for-Vagueness“-Doktrin und ihre Geschichte gibt Goldsmith 2003. 39

Vagheit im Recht als Defekt?

151

Verfassungsrecht findet sich dieses Prinzip.44 Im deutschen Recht entspricht dies dem oben angeführten Bestimmtheitsgebot.45 Nach der Void-for-Vagueness-Doktrin muss ein Gesetz die Bedingung der fair notice oder fair warning erfüllen; das heißt, aus einem Gesetz muss für einen Bürger in angemessener Weise hervorgehen, ob das eigene Verhalten gegen das Gesetz verstößt oder nicht; ist es zu allgemein gehalten (Generalität) oder ist unklar, wo genau eine Grenze gezogen wird (Sorites- und kombinatorische Vagheit), ist diese Bedingung nicht erfüllt. Solche Gesetze „create unfair surprise for individuals“46, da sie einen ausreichenden guidance value vermissen lassen. Sie sind daher nichtig aufgrund von Vagheit, also „void for vagueness“.47 Ein Gesetz darf also keine Willkür in der Anwendung durch die Exekutive und die Judikative ermöglichen; ist die Vagheit im Gesetzestext zu groß, besteht diese Gefahr. Sind die Bedingungen der fair warning und fair notice nicht erfüllt, verstoßen Gesetze gegen das Recht auf einen ordentlichen Prozess (Due Process Clause), das im fünften und vierzehnten Verfassungszusatz der U.S.Verfassung garantiert ist: „No person […] shall be deprived of life, liberty, or property, without due process of law.“48 Ein klassisches Beispiel für die Void-for-Vagueness-Doktrin ist das Gesetz gegen Herumlungern und Landstreicherei der Stadt Jacksonville49, mit dem im Prinzip jeder von öffentlichen Plätzen verbannt werden konnte. Diese Vorschrift – ein Teil der sogenannten street cleaning statutes50 – eröffnete die Möglichkeit willkürlicher Anwendung und Diskriminierung. Der Gesetzestext lautete folgendermaßen: Rogues and vagabonds, or dissolute persons who go about begging, common gamblers, persons who use juggling or unlawful games or plays, common drunkards, common night walkers, thieves, pilferers or pickpockets, traders in stolen property, lewd, wanton and lascivious persons, keepers of gambling places, common railers and brawlers, persons wandering or strolling around from place to place without any lawful purpose or object, habitual loafers, disorderly persons, persons neglecting all lawful business and habitually spending their time by frequenting houses of ill fame, gaming houses, or places where alcoholic beverages are sold or served, persons able to work but habitually living upon the earnings of their wives or minor children shall be deemed vagrants and,

44 Für einen Vergleich zwischen der U.S.-amerikanischen und der kanadischen „Void-forVagueness“-Doktrin siehe Ribeiro 2004. 45 Siehe oben Kapitel 9.2. 46 Ribeiro 2004: 86. 47 Vgl. etwa Solan 2005: 82. Ribeiro dagegen weist darauf hin, dass das Kriterium der fair warning des Bürgers in manchen Fällen gerade durch zu große Präzision nicht erfüllt werden könnte: Wenn etwa im Gesetz zur Umweltverschmutzung bestimmte Stoffe aufgelistet werden, so dass der Bürger ein Chemiestudium bräuchte, um zu wissen, ob er gegen das Gesetz verstößt oder nicht, ist er nicht ausreichend gewarnt (vgl. Ribeiro 2004: 110). 48 Amendments to the Constitution, Art. V. 49 Jacksonville Ordinance Code, § 26–57. Zitiert nach: Ribeiro 2004: 78. 50 Vgl. Ribeiro 2004: 78.

152

Vagheit im Recht upon conviction in the Municipal Court shall be punished as provided for Class D offenses.51

Der U.S. Supreme Court erklärte das Gesetz im Verfahren Papachristou v. City of Jacksonville im Jahr 1972 für ungültig, da es keine ausreichende Orientierung für das Verhalten der Bürger biete und willkürliche Anwendung erlaube: The Jacksonville vagrancy ordinance, under which petitioners were convicted, is void for vagueness, in that it ‚fails to give a person of ordinary intelligence fair notice that his contemplated conduct is forbidden by the statute,‘ it encourages arbitrary and erratic arrests and convictions, it makes criminal activities that, by modern standards, are normally innocent, and it places almost unfettered discretion in the hands of the police.52

Bis 1937 wurde die Void-for-Vagueness-Doktrin vor allem auf Gesetze angewendet, die der Regulierung der Wirtschaft dienten, zum Beispiel in Bezug auf die Preisgestaltung. Danach diente sie insbesondere dem Schutz von Bürgerrechten und hier speziell der Redefreiheit.53 Mit der Void-for-Vagueness-Doktrin wurde nicht nur mangelnder Präzision begegnet, sondern auch dem Aufzwingen bestimmter sozialer Standards für andere soziale Gruppen. Dies ist ebenfalls am Fall von Jacksonville ersichtlich: Hier wurde allen sozialen Gruppen eine Verhaltensregel der Mittelschicht aufgezwungen.54 Und dadurch, dass die Regel nicht präzise genug war, konnte unerwünschtes soziales Verhalten nach Belieben geahndet werden, was allerdings nicht alle Schichten gleichermaßen betraf: The Court knew full well that the ordinance would not be applied to the local minister who loitered with his parishioners after the conclusion of services, or to the local banker who took a leisurely stroll home after a long night’s work.55

In diesem Fall könnte das diskriminierende Verhalten, das durch das vage Gesetz ermöglicht wird, allerdings auch zu präzisen Voraussagen führen, wie es angewendet wird, da die Diskriminierung systematischer Natur sein kann. Es ist also nicht in jedem Fall die fehlende Orientierung für das eigene Verhalten, die ein Gesetz „void for vagueness“ macht. Umgekehrt resultiert mangelnde Orientierung für das eigene Verhalten nicht zwingend nur aus Vagheit; es kann dazu auch durch andere Formen der Unbestimmtheit kommen, die den Bürger darüber im Unklaren lassen, wie er sich zu verhalten hat.56 So ist die fair notice oder fair warning ein Erfordernis, gegen das auch andere Formen der Gesetzgebung verstoßen, wie etwa die nachträgliche Kriminalisierung von Taten in Ex post facto-Gesetzen.57 51

Jacksonville Ordinance Code, § 26–57. Zitiert nach: Ribeiro 2004: 78. Papachristou v. City of Jacksonville, 405 U.S. 156 (1972). Einsehbar unter http://supreme.justia.com/ us/405/156/case.html#161 (eingesehen am 25.06.2011). 53 Vgl. Ribeiro 2004: 75. 54 Vgl. Post 1994: 495. 55 Ebd.: 497. 56 Vgl. Waldron 1994: 514. 57 Für eine Übersicht der strafrechtlichen Prinzipien im U.S.-Recht vgl. etwa LaFond 2002. 52

Vagheit im Recht als Defekt?

153

„Void for Vagueness“ – diese Formulierung legt nahe, dass Vagheit im Recht prinzipiell eine unerwünschte Eigenschaft ist: Sobald sie vorhanden ist, kann ein Gesetz für ungültig erklärt werden. Doch hier muss differenziert und jeder Einzelfall genau betrachtet werden. Denn manche der Gesetze, die für „void for vagueness“ erklärt wurden, waren nicht vage im terminologischen Sinne, sondern im alltagssprachlichen Sinne von „zu unspezifisch“:58 Sie waren zu allgemein formuliert, so dass den ausführenden Organen ein zu großer Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde, der anfällig für Willkür war. Ziel der Kritik ist in solchen Fällen die Generalität, nicht Vagheit. Vagheit und Generalität haben hier aber gemeinsam, dass sie das Handeln des Staates für den Normadressaten unberechenbar machen. Das Problem, das im Folgenden betrachtet wird, betrifft dagegen nur die Vagheit im engeren Sinne. Denn sie wirft die Frage auf, ob sie die Suche nach einer richtigen Antwort in einem Rechtsstreit erschwert oder ob es eine solche richtige Antwort überhaupt gibt.

9.4.3

Gibt es eine richtige Antwort? – Die Hart-DworkinDebatte

Nicht alle Gesetze, die ein vages Prädikat beinhalten, werden für ungültig erklärt; denn letztlich würde dies alle natürlichsprachlich formulierten Gesetze betreffen, da für so gut wie jedes natürlichsprachliche Prädikat Grenzfälle konstruierbar sind. Also müssen Richter zuweilen Entscheidungen in Fällen treffen, in denen aufgrund von Vagheit unklar ist, ob das Prädikat anwendbar ist oder nicht. In diesen sogenannten hard cases stellt sich die Frage, wie groß der richterliche Entscheidungsspielraum ist. Gibt es in solchen Fällen eine vorher feststehende, eine richtige Antwort? Oben wurde bereits die Position von Sorensen diskutiert, der diese Frage als Vertreter der epistemischen Theorie der Vagheit mit „ja“ beantwortet. Die Debatte um die Right-Answer-Thesis ist als Hart-Dworkin-Debatte in die Geschichte der Rechtsphilosophie eingegangen und ein wichtiger Bestandteil der Diskussion um Vagheit im Recht. Herbert L. A. Hart vertritt die Meinung, dass richterliche Entscheidungen nicht vorherbestimmt sind, sondern dass Richter Spielräume haben.59 Ronald Dworkin dagegen ist der Auffassung, dass es immer nur eine richtige Antwort gibt, der Richter also nur in einer Weise korrekt entscheiden kann.60 Im Folgenden werden die Positionen der beiden Kontrahenten kurz skizziert. Eine ausführliche Darstellung der Debatte würde über den Rahmen dieser Arbeit jedoch hinausgehen.61 58

Vgl. dazu auch Sorensen 2001a: 408. Vgl. Hart 1994. 60 Vgl. etwa Dworkin 1978. 61 Für eine ausführliche Darstellung der Hart-Dworkin-Debatte siehe etwa Shapiro 2007. 59

154

Vagheit im Recht

9.4.3.1 Herbert L. A. Hart: Die offene Struktur des Rechts Nicht jeder Fall, der vor Gericht landet, ist ein hard case. Es gibt – und sie sind vermutlich in der Mehrzahl – die „plain cases“62, in denen die Antwort eindeutig ist, ebenso wie in der Alltagssprache die klaren Fälle überwiegen, ohne die eine reibungslose Kommunikation kaum möglich wäre. Aber es gibt eben auch die Grenzfälle: Fact situations do not await us neatly labeled, creased, and folded, nor is their legal classification written on them to be simply read off by the judge. Instead, in applying legal rules, someone must take the responsibility of deciding that words do or do not cover some case in hand with all the practical consequences involved in this decision.63

Gemessen an eindeutigen Fällen, so Hart, müsse ein Richter entscheiden, ob ein vorliegender Grenzfall dem eindeutigen Fall in relevanter Hinsicht ausreichend ähnle; und dabei habe er, auch wenn seine Entscheidung nicht irrational oder willkürlich sei, eine Wahl.64 Für seine These, dass es diesen Spielraum tatsächlich gibt, führt Hart drei Gründe an: (i.) Die natürliche Sprache: Das Recht hat eine irreduzibel offene Struktur (open texture), da es in natürlichen Sprachen festgehalten ist, die diese Eigenschaft ebenfalls aufweisen.65 (ii.) Generelle Terme: Durch diese offene Struktur sind Grenzfälle der Preis für den Gebrauch genereller klassifikatorischer Terme.66 (iii.) Die Unvorhersagbarkeit der Zukunft: Da die Welt nicht eine begrenzte Anzahl von Merkmalen mit endlich vielen Kombinationsmöglichkeiten aufweist, kann der Gesetzgeber nicht jeden möglichen Fall voraussehen. Daher kann er Entscheidungen delegieren an diejenigen, die mit dem konkreten Fall vertraut sind.67 Hier muss ein Kompromiss eingegangen werden zwischen den Bedürfnissen der Sicherheit und Voraussagbarkeit und dem Bedürfnis der Anpassung der Regeln im konkreten Fall. Als Beispiel für die Notwendigkeit des Spielraums nennt Hart die Regel „No vehicles in the park“.68 Hier gibt es klare Fälle von „vehicle“, wie ein Auto, einen Bus oder ein Motorrad. Das Ziel dieser Regel, so Hart, ist die Bewahrung der Ruhe im Park. Was allerdings beim Aufstellen der Regel nicht berücksichtigt wurde, waren elektrische Spielzeugautos. Hier liegt ein Grenzfall vor, der einfach nicht vorhergesehen wurde und der nur anhand der Regel nicht eindeutig entschieden werden kann. Wenn der Wortlaut der Regel nicht genügt, müs62

Hart 1994: 126. Hart 1958: 607. Vgl. Hart 1994: 127. 65 Vgl. ebd.: 128. Der Terminus „open texture“ wird hier etwas freier verwendet als in der Theorie von Waismann (siehe Kapitel 3.2.3). 66 Vgl. ebd.: 128. 67 Vgl. ebd.: 130f.; vgl. auch unten Kapitel 9.5.1. 68 Vgl. ebd.: 129. 63 64

Vagheit im Recht als Defekt?

155

sen also andere Kriterien herangezogen werden. Bei einer Entscheidung für oder gegen diese Autos könnten zum Beispiel Interessen abgewogen werden: „[…] whether some degree of peace in the park is to be sacrificed to, or defended against, those children whose pleasure or interest it is to use this things.“69 Die konkreten Interessen, die im vorliegenden Fall eine Rolle spielen, dürften im Übrigen oft dieselben sein, die Anlass zur ursprünglichen Regelung gegeben haben. Die Tatsache, dass Entscheidungen delegiert werden können und nicht immer eindeutig aus Regeln ableitbar sind, führt Hart jedoch nicht zu einem Regelskeptizismus. Dass ein Richter Spielräume bei seiner Entscheidung habe, heiße nicht, dass es keine Regeln gebe;70 analog zu einem Schiedsrichter beim Sport, der auch nicht völlig beliebig entscheiden könne, ohne dass das Spiel ein anderes als das geplante würde.71

9.4.3.2 Ronald Dworkin: Es gibt eine richtige Antwort Ronald Dworkin dagegen spricht den Richtern den Spielraum bei der Entscheidung ab, den Hart ihnen einräumt. In den meisten Fällen, so Dworkin, und zwar auch in hard cases, gebe es eine – und nur eine – richtige Antwort, wie der Fall zu entscheiden sei: „Gaps in the law are very rare; there is almost always a right answer to a legal question.“72 Für Dworkin ergibt sich die Existenz der einen richtigen Antwort aus der rechtlichen Bivalenz, dem Zwang des Richters, in die eine oder andere Richtung zu entscheiden. Die jeweilige Richtung gibt das Recht seiner Ansicht nach selbst vor.73 Auch vage Prädikate im Gesetzestext führen nach Dworkin nicht dazu, dass es keine richtige Antwort gebe; Vagheit könne nicht als Argument gegen die Right-Answer-Thesis gelten. Statt anzunehmen, dass Vagheit automatisch eine richtige Antwort unmöglich mache, müsse man zwischen der Tatsache, dass es Vagheit gibt, und deren Folgen unterscheiden.74 Man dürfe nicht nur die abstrakte Bedeutung eines Wortes betrachten; auch der Kanon von Interpretations-Regeln, die Gesetzes-Konstruktion, die Intention des Gesetzgebers und die Prinzipien der politischen Rechtfertigung zum Zeitpunkt der Gesetzgebung müssten auf der Suche nach der richtigen Antwort in einem hard case berücksichtigt werden.75 Es müssen zwar viele Aspekte einbezogen werden, doch zusammengenommen führen sie laut Dworkin alle zur richtigen Antwort. Allerdings räumt er ein, dass auch der Fall auftreten kann, dass es zwar eine 69

Vgl. ebd.: 129. Ebd.: 136. 71 Vgl. ebd.: 142. 72 Dworkin 1991: 84. Vgl. auch Dworkin 1978: 2. 73 Vgl. Dworkin 1996: 137. 74 Vgl. Dworkin 1978: 12. 75 Vgl. ebd.: 12f. 70

156

Vagheit im Recht

richtige Antwort gibt, sich die Rechtsgelehrten jedoch uneinig darüber sind; die Uneinigkeit sei dann auf Differenzen in Bezug auf die Gesetzesinterpretation und -konstruktion zurückzuführen.76 Endicott gibt gegen Dworkins These zu bedenken, dass auch die hinzugezogenen Aspekte wie Interpretations- und Konstruktions-Regeln mit vagen Prädikaten formuliert sind.77 Regeln, die wiederum deren Anwendung vorschreiben, sind auch wieder in vagen Prädikaten ausgedrückt – und so fort. Es droht also ein infiniter Regress. Zudem merkt Endicott an, dass sich die Existenz einer einzigen richtigen Antwort nicht aus der rechtlichen Bivalenz ableiten lasse. Denn diese schreibe dem Richter zwar vor, dass er einen Fall entscheiden müsse, jedoch nicht, wie er dies zu tun habe.78 Mit der möglichen Uneinigkeit der Rechtsgelehrten über die richtige Antwort steht die These von Dworkin schließlich vor einem ähnlichen Problem wie die epistemische Theorie der Vagheit: Selbst wenn es in hard cases eine richtige Antwort geben sollte, wäre ihr Nutzen fraglich, wenn es nicht – oder nicht innerhalb einer angemessenen Zeitspanne – gelänge, sie herauszufinden.

9.4.4

Sorites-Reihen im Recht: Der Fall der „gewaltsamen“ Sitzblockaden

Die Frage nach einer eventuellen richtigen Antwort stellt sich auch bei SoritesReihen, die im Recht durch vage Prädikate entstehen können. In Kapitel 3.2.5 wurde bereits das Argument der schiefen Ebene (Dammbruch-Argument/slippery slope) diskutiert: Wenn in der Sorites-Reihe immer der nächste Schritt gegangen wird, kann man am Ende ein Resultat erhalten, das nie beabsichtigt war. Die Frage ist immer, wie zwingend das Weitergehen in der Reihe ist, wie schief oder „rutschig“ (slippery) die Ebene also wirklich ist. Daraufhin sind solche Argumente grundsätzlich zu überprüfen. Dass das Risiko des „Abrutschens“ oder des Dammbruchs jedoch in manchen Fällen tatsächlich gegeben ist, zeigt Eike von Savigny in seinem Aufsatz Passive Disobedience as Violence (1991). Hier vollzieht er nach, wie passiver Widerstand am Ende einer Sorites-Reihe verschiedener Urteile vom Bundesgerichtshof (BGH) als „Gewalt“ eingestuft wurde. Von Savigny bezieht sich auf die Friedensbewegung in Deutschland zu Beginn der 1980er Jahre. Deren Aktivisten wollten gegen die Stationierung von Atomwaffen der U.S.-Armee in Deutschland demonstrieren und besetzten die Auffahrten von amerikanischen Militärstützpunkten. Von Savigny erläu76

Vgl. Dworkin 1978: 16. Vgl. Endicott 2000: 70. 78 Vgl. ebd.: 167. 77

Vagheit im Recht als Defekt?

157

tert, dass diese Proteste außerordentlich friedlich angelegt waren: Die Polizei und der diensthabende Offizier seien einen Tag vorher über Ort und Zeitpunkt informiert worden; die Demonstranten seien darin trainiert worden, noch nicht einmal zur Selbstverteidigung gewalttätig zu werden.79 Dennoch stufte der Bundesgerichtshof im Jahr 1988 diese Art des Protestes als „Gewalt“ ein.80 Diesem Urteil ging eine Reihe von Urteilen voraus, bei denen der Begriff der Gewalt tatsächlich auf eine schiefe Ebene geriet. Der Gesetzgeber selbst hat den Begriff der „Gewalt“ nicht definiert, weder im Strafgesetzbuch noch an anderer Stelle. Bei vielen Straftatbeständen kommt dem Gewaltbegriff jedoch eine große Bedeutung zu. So zum Beispiel bei Raub (§ 249 StGB), Vergewaltigung (§ 176 StGB, § 177 StGB, § 182 StGB), Nötigung (§ 240 StGB) und bei verschiedenen Delikten der Körperverletzung (§§ 223ff. StGB). Ihnen allen liegt eine ungefähre Charakterisierung von „Gewalt“ zugrunde, die Gewalt als ein Zwangsmittel zur Einwirkung auf die Willensfreiheit einer anderen Person versteht. Welche Sachverhalte darunter nun im Einzelnen zu subsumieren sind, eröffnet jedoch einen weiten Raum für Zweifelsfälle. Und so überließ der Gesetzgeber die Absteckung der genauen Grenzen dessen, was unter „Gewalt“ zu verstehen sei, der Rechtsprechung. Eine Reihe von Urteilen, die als Sorites-Reihe oder schiefe Ebene betrachtet werden können, endete im Jahr 1988 daher – vorläufig – mit der Einstufung friedlicher Sitzblockaden als „Gewalt“. Im Folgenden werden einige Stationen dieser Geschichte in einer kurzen Fallstudie dargestellt. Sie folgen der Darstellung bei von Savigny (1991), der allerdings nur einen skizzenhaften Abriss bietet. (i.) Der Strafsenat des Reichsgerichtshofs befasste sich im November 1885 mit der Frage, ob das „Einschließen eines […] Vollstreckungsbeamten behufs Verhinderung der Amtshandlung“ als „Gewalt im Sinne des Gesetzes“ zu verstehen sei.81 Im Urteil bejahte das Gericht diese Frage. Zwar erfordere „der Begriff der Gewalt eine unter Aufwendung von Körperkraft vorgenommene, gegen den Beamten gerichtete Handlung“.82 Doch sei es „nicht nötig, daß sie direkt gegen die Person desselben gerichtet“ sei;83 es genüge auch eine mittelbare Wirkung. Hinzu kam eine weitere Überlegung: Obwohl der Täter zum Einschließen des Beamten nur ein geringes Maß an eigener Körperkraft hatte aufwenden müssen, spreche es für einen Akt von „Gewalt“, dass zu dessen „Beseitigung der Beamte eine erhöhte Körperkraft anwenden mußte“.84

79

Vgl. Savigny 1991: 53. Vgl. BGHSt 35, 270–283. Von Savigny führt hierzu nur die vorinstanzlichen Urteile von 1984 bzw. 1986 an (vgl. Savigny 1991: 56). 81 RGSt 27, 405f: 405. 82 Ebd.: 406. 83 Ebd. 84 Ebd. 80

158

Vagheit im Recht

(ii.) Derselbe Senat stand 41 Jahre später, im März 1926, vor der Frage: „Kann Nötigung durch Gewalt […] in der Abgabe bloßer Schreckschüsse […] erblickt werden?“85 Auch wenn es sich um bloße Schreckschüsse – allerdings mit einer scharfen Waffe – handelte, nahm das Gericht hier Gewaltanwendung an. Wiederum führte es zur Begründung an, dass dafür auch eine „unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Vergewaltigten [d.h. des Gewaltopfers, N.K.], sei es durch Berührung oder eine andere die Sinne beeinflussende Tatsächlichkeit“ genüge, und stellte darauf ab, dass auch diese vom Opfer „als ein nicht nur seelischer, sondern körperlicher Zwang empfunden“ werde.86 Dann geht das Urteil auf einen Fall ein, in dem das Versperren eines Weges verhandelt worden war. Wenn „unter Umständen schon in dem gewaltsamen Versperren eines Weges […] eine Vergewaltigung der Person erblickt worden“ sei, gelte: „Erst recht müssen Schreckschüsse […] in der Richtung nach dem Betroffenen […], deren tatsächliche Ungefährlichkeit er nicht erkennen kann und nach dem Willen des Schützen auch gar nicht erkennen soll, den Begriff des Zwangsmittels erfüllen.“87 Der physische Aspekt der Gewaltanwendung steht nicht mehr im Vordergrund. Die Schreckschüsse wirken auf die Sinne des Opfers und versetzen es „in einen Zustand starker Nervenerregung“.88 Weil die Handlung darauf abgezielt habe, die „körperlichen Voraussetzungen der Freiheit seiner Willensentschließung oder seiner Willensbetätigung in hohem Maße“ zu beeinträchtigen, sei sie als ein Akt der Nötigung durch Gewalt zu werten. (iii.) Zu einem ähnlichen Urteil kam der gleiche Strafsenat im September 1932, als er Schüsse aus einer reinen Schreckschusspistole rechtlich zu bewerten hatte.89 Mit Verweis auf das eben genannte Urteil aus dem Jahr 1926 führt er aus, dass es „rechtlich keinen Unterschied [begründen kann], ob der Schreckschuß aus einer scharf geladenen Waffe oder aus einer bloßen Schreckpistole abgegeben worden ist.“90 (iv.) Derselben Argumentation wie das Reichsgericht folgte 1953 der Bundesgerichtshof.91 Er ging der Frage nach, ob es im Sinne des § 249 StGB als „Wegnahme mit Gewalt“ gelten könne, wenn der Täter dem Opfer ein Betäubungsmittel beigebracht hat, welches das Opfer seiner Widerstandskraft beraubt. Nach Prüfung der vorherigen Entscheidungen des Reichsgerichts zum Gewaltbegriff kommt der Bundesgerichtshof zu dem Schluss: „Gewaltanwendung […] hat das Reichsgericht in diesen Fällen deshalb angenommen, weil

85

RGSt 60, 157f: 157. Ebd.: 158. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Vgl. RGSt 66, 353–356. 90 Ebd.: 356. 91 Vgl. BGHSt 1, 145–148. 86

Vagheit im Recht als Defekt?

159

die Einwirkungen […] nicht nur als ein seelischer, sondern als unmittelbarer körperlicher Zwang empfunden worden seien (RGSt 60, 158). Schon nach diesen Entscheidungen gehört es nicht notwendig zum Gewaltbegriff, daß der Täter erhebliche körperliche Kraft gegen das Opfer anwendet. Auch wenn eine solche Kraftanwendung der Regelfall sein mag, so kann sich nach dem Sinn des Gesetzes der Gewaltbegriff darin nicht erschöpfen.“92 (v.) Im Falle eines Autofahrers, der auf der Überholspur der Autobahn seinen Vorgänger durch Hupen, Blinken und zu dichtes Auffahren bedrängte, schrieb der Bundesgerichtshof dieses Verständnis von Gewaltanwendung fort.93 Er bestätigt die Urteile der Vorinstanzen, welche die „Fahrweise des Angeklagten übereinstimmend als Gewalt gegen den Vorausfahrenden im Sinne des § 240 StGB“94 verstanden hatten. Es sei durch vorherige Rechtsprechung im umgekehrten Fall gesichert, „daß, wer als Vorausfahrender durch seine Fahrweise vorsätzlich das Überholtwerden verhindert, Gewalt gegen den Nachfolgenden anwendet, indem er es ihm unmöglich macht, sich körperlich so zu verhalten, wie er es will.“95 Bezugnehmend auf den unter (iv.) beschriebenen Fall marginalisiert der Bundesgerichtshof das Erfordernis der physischen Einwirkung noch weiter: Seit dem Urteil BGHSt 1,145 steht es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest, daß Gewalt gegen einen anderen auch ohne eigene erhebliche Körperkraft ausgeübt werden kann. Wesentlich ist dafür vielmehr die Zwangswirkung auf den Genötigten. Zu dessen Körper gehört auch das Nervensystem, auf dessen Funktionieren die Willensausübung mit beruht. Zwischen den körperlichen und geistig-seelischen Funktionen besteht eine Wechselwirkung; bei den Reaktionen, auf denen auch das sichere Verhalten im Straßenverkehr beruht, lassen sich Eindrücke körperlicher und seelischer Art nicht voneinander trennen.96

Für darauffolgende Urteile ist ein weiterer Aspekt, nämlich der der Verwerflichkeit wichtig: Eine Nötigung ist nur rechtswidrig, wenn sie „zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“.97 Das Gericht traf dazu aus Anlass des Überholspur-Urteils die Feststellung: Ob eine Nötigung als verwerflich anzusehen ist oder nicht, sei „objektiv“, also nach Merkmalen der Tat selbst, nicht nach den Absichten des Täters, zu beurteilen. Damit kommen wir im Folgenden zum vorerst letzten Glied in der rechtlichen Sorites-Reihe, dem Urteil über die Sitzblockaden aus dem Jahr 1988. (vi.) Im Mai 1988 äußerte sich der Bundesgerichtshof zur Strafbarkeit von Sitzblockaden.98 Anlass war eine von den Veranstaltern als „gewaltlos“ bezeichnete Blockadeaktion, die am 9. Mai 1983 vor einem Waffendepot in 92

Vgl. ebd.: 146f. Vgl. BGHSt 19, 263–269. 94 Ebd.: 265. 95 Ebd. 96 Ebd. 97 § 240 Abs. 2 StGB. 98 Vgl. BGHSt 35, 270–283. 93

160

Vagheit im Recht

Großengstingen stattfand, in dem atomare Kurzstreckenraketen des Typs „Lance“ gelagert wurden. Die Zufahrtsstraße des Waffenlagers wurde blockiert und die ein- und ausfahrenden Fahrzeuge dadurch behindert. Als die Polizei die Räumung einleitete, ließen sich die Demonstranten widerstandslos von der Zufahrtsstraße tragen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs führte die verschiedenen Fäden der bisherigen Urteile zusammen: Zum einen bestätigte es die inzwischen gefestigte Rechtsprechung, nach der eine Straßenblockade unter den Begriff der „Gewalt“ zu fassen sei. Dies hatten insbesondere die Vorinstanzen detailliert ausgeführt. Eine Blockade geht zwar ohne die Aufwendung nennenswerter eigener körperlicher Kräfte vonstatten; für die Gewaltsamkeit der Nötigung genügte aber nach der bisherigen Rechtsprechung ein (im weiteren Sinne) körperliches Verhalten, das andere an der Durchsetzung ihres Willens hindert, da sich, wie oben ausgeführt, laut Bundesgerichtshof „Eindrücke körperlicher und seelischer Art nicht voneinander trennen“99 lassen. Natürlich war der Protest darauf gerichtet, auf den Willen der Beteiligten einzuwirken. Durch ihre bloße Anwesenheit begingen die Demonstranten nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs und seiner Vorinstanzen also eine „gewaltsame“ Nötigung. Hinzu kam: Die Frage der Verwerflichkeit, die (wie im ÜberholspurUrteil erwähnt) Voraussetzung der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit einer Nötigung ist, prüfte das Gericht nicht an den übergeordneten Absichten (sogenannten „Fernzielen“) der Aktionsteilnehmer, also ihren politischen Zielen, sondern objektiv, also an den Merkmalen des Tatbestandes; das heißt hier in erster Linie an den unmittelbaren Wirkungen. Das Gericht beruft sich ausdrücklich auf seine Entscheidung zum Fall des drängelnden Autofahrers. In der Rechtsprechung zur Nötigung sei die Verwerflichkeit mit Recht als ein an objektive Kriterien anknüpfendes Merkmal betrachtet (BGHSt 19, 263, 268) und als ‚angestrebter Zweck‘ allein das Verhalten angesehen worden, zu dem genötigt werden soll […]. Es liegt auf der Hand, daß von diesen allgemeinen Grundsätzen nicht für einen Teilbereich – hier den der Straßenblockaden – abgewichen werden kann, ohne damit unkalkulierbare Rückwirkungen auf das Strafrechtssystem im ganzen zu provozieren.100

Dies hatte zur Folge, dass die Motive des Protestes bei der Frage, ob ihre Handlung als „verwerflich“ zu gelten hatte, keine Rolle spielten. Ungeachtet dessen, dass die Demonstranten von der Besorgnis über eine atomare Bewaffnung der Bundesrepublik geleitet waren, wurde ihre Tat daher als „verwerflich“ eingestuft. Ihre Blockade war damit eine rechtswidrige und strafbare Nötigung – lediglich in der Bemessung des Strafmaßes konnten die Motive noch als strafmildernd Berücksichtigung finden. Im Rückblick auf diese ein Jahrhundert lang währende Geschichte des Gewaltbegriffs in der Rechtsprechung stellt von Savigny zu Recht das Abglei99

BGHSt 19, 263–269: 265. BGHSt 35, 270–283: 279.

100

Vagheit im Recht als Defekt?

161

ten auf einer schiefen Ebene fest. Er stellt die Parallele zum Sorites her: „Each single decision argues for the claim that the present case, as compared to a case decided earlier, is not significantly different […].“101 Dieser Prämisse folgt die Ausweitung des Gewaltbegriffs auf einen neuen Fall – der erneut zum Vorbild für eine Erweiterung wird. Zusätzlich zum von Eike von Savigny angeführten Sorites leistet das Konzept der kombinatorischen Vagheit seinen Dienst, um die beschriebene Bedeutungsverschiebung des Begriffs der „Gewalt“ zu verstehen. Die rechtliche Entwicklung dieses Begriffs ist nämlich keine gradlinige. Anders als beim Sorites steht am Anfang des Folgeschrittes nicht immer das Ergebnis des unmittelbar vorhergehenden Schrittes. Stattdessen ist der Begriff der „Gewalt“ multidimensional strukturiert. Die verschiedenen Urteile nehmen verschiedene Merkmale des Gewaltbegriffs auf – und betonen damit verschiedene Aspekte des Begriffs. Das eine Urteil spricht von Gewalt, ohne dass es die Anwendung physischer Kraft für nötig hält; ein anderes bezweifelt die Notwendigkeit der unmittelbaren Wirkung auf den Gegner, ein drittes klammert die Motive aus der rechtlichen Betrachtung der gewaltsamen Nötigung aus. All dies sind verschiedene Merkmale, die sich nach dem Modell der Familienähnlichkeit zum Begriff „Gewalt“ verbinden. Die besagte Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestand nun darin, alle diese Merkmale auf einmal aufzugeben. Der Begriff der Gewalt verlor damit seine Bestimmtheit. Als Ergebnis stellt von Savigny fest: „The result has been that the courts can now punish any kind of constraint, under the label of violence, provided they do not like it.“102 Die Beurteilung von Sitzblockaden als „Gewalt“ hatte eine Nachgeschichte (die von Savigny noch nicht kannte): Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellte im Januar 1995 fest: „Die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.“103 Die Urteile der Vorinstanzen wurden damit aufgehoben, der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Mai 1988 gegenstandslos. Das Urteil geht ausführlich auf das Bestimmtheitsgebot ein: Die Bedeutung von Art. 103 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits in mehreren Verfahren dargelegt […]. Danach enthält diese Regelung nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Sie verpflichtet den Gesetzgeber vielmehr auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Sie soll einerseits sicherstellen, daß die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, daß die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird.

101

Savigny 1991: 63. Ebd.: 64. 103 BVerfGE 92, 1–25: 1. 102

162

Vagheit im Recht Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, daß in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muß der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar.104

Im Ergebnis folgt daraus: Die Auslegung des Gewaltbegriffs in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat folglich gerade jene Wirkungen, die zu verhüten Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt ist. Es läßt sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht.105

Die Vagheit des Begriffs „Gewalt“ hat also tatsächlich auf eine schiefe Ebene geführt, an deren Ende friedliche Sitzblockaden als „Gewalt“ eingestuft wurden. Diese Einordnung wurde vom Bundesverfassungsgericht wieder verworfen, da die Demonstranten diese und damit die Strafbarkeit ihrer Handlungen nicht hätten absehen können – das Bestimmtheitsgebot war verletzt. Es zeigt sich damit, dass das Argument der schiefen Ebene in manchen Fällen tatsächlich zum Tragen kommen kann. Es gibt schiefe Ebenen, an deren Ende man wirklich angelangt. Das Risiko von Vagheit im Recht durch Sorites-Reihen oder durch das Entfernen von Merkmalen bei kombinatorischer Vagheit sollte also nicht ausgeblendet werden, wenn über Vagheit im Recht debattiert wird. Und doch: Nicht jeder vage Ausdruck in einem Gesetzestext führt auf eine schiefe Ebene.

9.5

Der Nutzen der Vagheit im Recht

Im vorangegangenen Abschnitt wurde dargelegt, zu welchen Schwierigkeiten Vagheit im Recht führen und welche Leistungen Präzision im Recht haben kann. Im folgenden Abschnitt soll der Nutzen der Vagheit im Recht aufgezeigt werden: Sie macht Gesetze flexibel, ermöglicht die Delegation von Entscheidungen und macht Gesetze handhabbar. Auch dass sie zu einer Übererfüllung von Gesetzen führen kann, wird verschiedentlich als Nutzen der Vagheit im Recht geltend gemacht.

104 105

Ebd.: 11f. Ebd.: 18.

Der Nutzen der Vagheit im Recht

9.5.1

163

Die Flexibilität vager Gesetze und die Delegation von Entscheidungen

Eine positive Eigenschaft, die Vagheit im Recht aufweist, hat sie mit der Generalität gemein: Sie ermöglicht eine gewisse Flexibilität in der Anwendung von Gesetzen.106 Diese Flexibilität darf natürlich nicht so weit gehen, dass sie in Willkür ausartet oder die Geltung bestimmter Gesetze beliebig ausgeweitet wird. Dennoch ist eine gewisse Flexibilität notwendig, da zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nicht alle möglichen Einzelfälle bedacht werden können, die jemals eintreten könnten. Die möglichen Variationen dessen, was passieren kann, sind unendlich viele, da Menschen sich auf verschiedene Weisen verhalten können. Diese Möglichkeiten können schlichtweg im Gesetzgebungsverfahren nicht alle berücksichtigt werden. Daher kann das Leben in einer Gemeinschaft nur durch vage Gesetze geregelt werden.107 Endicott erläutert dies am Beispiel des oben bereits erwähnten Gesetzes, das die Vernachlässigung von Kindern verbietet: While it would certainly be possible to set a minimum legal age for babysitters, it would not be possible to define precisely what it means to baby sit. Does it include playing with the children while their dad is working upstairs? Or while he has gone to the shop on the corner, or is sleeping? The variety of ways in which a parent may be more or less in charge of the child and more or less absent make precise regulation impossible.108

Die Entscheidung über die Anwendung des Gesetzes auf einen bestimmten Fall kann daher – in einem begrenzten Rahmen – durch vage Formulierungen delegiert werden. Zum einen kann die Delegation an die Gerichte erfolgen, die die vage Rechtsnorm in Bezug auf den konkreten Fall auslegen. Andere Entscheidungen können an Behörden (wie z.B. das Jugendamt) delegiert werden, die über einen Beurteilungsspielraum verfügen. Nach Endicott schränkt die Flexibilität mit der Möglichkeit zur Delegation zwar den process value ein, das heißt, das Gesetz selbst gibt nicht berechenbar vor, wie im Einzelfall zu verfahren ist; sie kann aber wegen der mangelnden Voraussagbarkeit möglicher Situationen notwendig sein.109 Durch die Flexibilität, die durch Vagheit entsteht, kann aber auch neuen gesellschaftlichen oder technischen Entwicklungen Rechnung getragen werden, ohne dass ein neues Gesetz formuliert werden muss. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1953 so formuliert: Die manchmal erhobene Forderung, das Gesetz müsse so speziell sein, daß die rechtliche Lösung des Einzelfalles nahezu mit Sicherheit vorausgesehen werden könne, ist, wie geschichtliche Beispiele lehren, unerfüllbar. Die Berechenbarkeit der Lösung ist naturgemäß bei der Anwendung von Spezialnormen dem Grad nach höher als bei der Anwendung von Blankettbegriffen und allgemeinen Rechtsregeln. Gleichwohl verwen106

Vgl. Heller 2005: 357. Vgl. Endicott 2011: 177. 108 Endicott 2005: 40. 109 Vgl. ebd.: 42f. 107

164

Vagheit im Recht det der moderne Gesetzgeber vielerorts unbestimmte Rechtsbegriffe und allgemeine Regeln, weil es unmöglich ist, mit Spezialnormen der Vielfalt der Lebensverhältnisse Herr zu werden und zugleich einen Weg zu der rechtlichen Differenzierung zu eröffnen, die im Einzelfall eine gerechte Entscheidung oft erst ermöglicht.110

Beispiele für die Möglichkeit der Anpassung der Gesetze an veränderte Lebensumstände bieten die unbestimmten Rechtsbegriffe. Betrachten wir den Fall der Sittenwidrigkeit: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“ (§ 138 Abs. 1 BGB). Sind Arbeitsverträge mit einem Stundenlohn von 4 Euro damit nichtig? Hat eine Prostituierte einen Anspruch auf Entlohnung? Die Rechtsprechung konnte – und durfte – hier zu unterschiedlichen Zeiten zu verschiedenen Urteilen kommen. Mit Bedacht kann der Gesetzgeber der Rechtsprechung mit unbestimmten Rechtsbegriffen einen Spielraum einräumen, der sich mit dem Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen unterschiedlich ausfüllen lässt. Jedoch kommt nicht jede Form von Flexibilität, durch die unvorhergesehene Fälle und neue Entwicklungen gehandhabt werden können, durch Vagheit zustande: Bei Herbert L. A. Harts Beispiel des Verbots „no vehicles in the park“ ist ein Krankenwagen, den man im Notfall in den Park hineinlassen würde, kein Grenzfall von „vehicle“. Die Zulässigkeit eines Krankenwagens im Park ist eine begründete Ausnahme: Man man braucht in dieser Situation gerade ein Fahrzeug, um dem Verletzten schnell helfen zu können.111 Auch vermeintlich präzise rechtliche Regeln sind nicht immer so exakt, wie es zunächst scheint. Auch sie müssen eine gewisse Flexibilität aufweisen, um den Umständen in der Welt gerecht zu werden. Als Beispiel führt Steven L. Winter Geschwindigkeitsbegrenzungen an: Diese bezögen sich nur auf normale Straßen- und Wetterlagen. Daher sei die angegebene Höchstgeschwindigkeit nicht allein das, woran sich der Fahrer – oder, sollte es zum Prozess wegen überhöhter Geschwindigkeit kommen, der Richter – orientieren müsse: „Whatever the signs actually say […], the operative legal rule is something like ‚Drive at a speed appropriate to road and weather conditions, but in no case more than fifty-five miles per hour.‘“112, oder wie es die deutsche Straßenverkehrsordnung vorschreibt: Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, daß er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.113

110

BVerfGE 3, 225–248: 243. Vgl. Waldron 1994: 537. 112 Winter 2001: 189. 113 § 3 StVO Abs. 1. 111

Der Nutzen der Vagheit im Recht

9.5.2

165

Die Handhabbarkeit von Gesetzen

Als ein Argument für den Nutzen der Vagheit in der Alltagssprache wurde in den Kapiteln 6.2 und 7.2 die Praktikabilität angeführt: Müssten der Verwendung eines jeden Ausdrucks langwierige Analysen vorangehen, wäre er in Alltagssituationen nicht mehr handhabbar. In Bezug auf Vagheit im Recht könnte man nun argumentieren, dass hier – anders als im Alltag – genug Zeit zur Verfügung stehe und der Rahmen der Praktikabilität mit sorgsamem Abwägen nicht gesprengt werde: All jene Tätigkeiten, die einem Sprecher gewöhnlich nicht zugemutet werden können, bevor er im Alltag einen Ausdruck verwendet, wie Körnerzählen oder das Messen von Wellenlängen, könnten vor Gericht bei der Beweisaufnahme durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob der Sachverhalt unter den mit scharfen Extensionsgrenzen ausgestatteten Tatbestand oder allgemeinen Rechtsbegriff fällt. Dennoch lässt sich zeigen, dass Vagheit auch im Recht nicht eliminierbar ist und zur Handhabbarkeit beiträgt: Zu große Präzision würde auch hier zu „unhandlichen“ Regeln führen. Endicott nennt als Beispiel die „angemessene“ Dauer eines Gerichtsprozesses: Hier müsste nicht nur für jeden einzelnen Tatbestand eine Dauer festgelegt werden, sondern auch für die gleiche Art der Beschuldigung könnte je nach Fall unterschiedlicher Zeitbedarf bestehen und „angemessen“ sein.114 Während diese Leistung der Vagheit zum Teil auch eine Leistung der Generalität und mangelnden Spezifizierung ist, zeigt Endicott an einem weiteren Beispiel, dass nicht nur Präzision, sondern in manchen Fällen auch Vagheit das Recht als Richtschnur für das eigene Verhalten geeignet macht.115 Gäbe es etwa eine präzise Liste, welches Verhalten der Polizei im Falle eines öffentlichen Aufruhrs gestattet ist und welches nicht, wäre sie nutzlos, denn sie wäre unhandlich, der Komplexität des Phänomens nicht angemessen und als Richtschnur für das Verhalten von Polizisten damit ungeeignet.116 Denn selbst wenn vor Gericht genug Zeit für eine eingehende Analyse ist – bei einem Polizeieinsatz ist sie nicht vorhanden. Vagheit im Recht kann auch nicht dadurch eliminiert werden, dass die rechtliche Bivalenz durch Grade der Schuld ersetzt wird.117 Als Beispiel nennt Endicott eine Sorites-Reihe von Konzerten („the case of the million raves“118), die sich in ihrer Lautstärke und Dauer nur minimal voneinander unterscheiden; das erste Konzert belästigt die Anwohner klarerweise, das letzte ist kaum mehr zu hören. Um den Grad der Schuld des Konzertveranstalters zu bestimmen, müsste der Grad der Belästigung der Anwohner gemessen werden: Hier kön114

Vgl. Endicott 2000: 189. Vgl. ebd. Vgl. ebd.: 190. 117 Vgl. ebd.: 73. 118 Ebd.: 58. 115 116

166

Vagheit im Recht

nen jedoch keine präzisen Resultate erzielt werden, da etwa Lautstärke und Dauer des Konzerts unabhängig voneinander variieren können. Daher stünden graduelle Urteile wieder vor den gleichen Problemen wie bivalente: „With graded outcomes, just as with bivalent outcomes, a court has to give a precise answer in applying an imprecise standard.“119 Auch die Rechtssicherheit nähme mit der Präzisierung von Gesetzen nicht zu, so Endicott: Es würde im Gegenteil die interpretative Findigkeit von Juristen im Umgang mit diesen präzisen Regeln angeregt, so dass die Rechtssicherheit gegenüber einem vagen Gesetz sogar noch ab- und die Willkür zunehmen könnte.120 Endicott kommt zu dem Schluss: Vagueness is ineliminable from a legal system, if a legal system must do such things as to regulate the use of violence among citizens, and commercial agreements between citizens. Every legal system does such things. There would be no reason to call anything a legal system if it regulated no such aspects of the life of a community. No community would be ruled by law if such things were not done. Not every law need be vague, but legal systems necessarily have vague laws. So we can go so far as to say that vagueness is an essential feature of law.121

9.5.3

Die Übererfüllung vager Gesetze

Damit ein Gesetz als Richtschnur für das Verhalten der Bürger dienen kann, muss es also nicht immer präzise Grenzen angeben. Für viele Zwecke sind sie zwar notwendig, wie etwa Geschwindigkeits- oder Altersgrenzen, aber nicht für alle. Manche Rechtstheoretiker stellen die weitergehende These auf, dass es in einigen Fällen nicht einmal wünschenswert sei, bestimmte Verhaltensweisen bis zu einer scharfen Grenze auszureizen. Daher seien vage Gesetze von Nutzen, da sie übererfüllt werden. Waldron erläutert dies so: The citizen needs to know what the law requires of him, but that is not necessarily the same as needing to know exactly how far he can go before his behavior becomes an infraction. „How close can I get to coercing a woman before it counts as rape?“ „How active does my assistance in a person’s death have to be before it counts as murder?“ „How much may I mislead a business partner before it counts as fraud?“122

Dass bei Grenzfällen die Strafbarkeit nicht vorhersehbar sei und deshalb auch zwei Gerichte unterschiedlich entscheiden könnten, sei jedoch nicht ungerecht: Im Gegensatz zur rückwirkenden Kriminalisierung von Taten, die zum Zeitpunkt ihrer Ausführung nicht strafbar waren, sei der Bürger bei Grenzfällen

119

Ebd.: 74. Vgl. ebd.: 191f. 121 Ebd.: 190. 122 Waldron 1994: 535. 120

Zwischenfazit: Vagheit im Recht – Vagheit in der Alltagssprache

167

nicht völlig unbedarft: „The citizen is in a delicate situation and is taking a risk.“123 Craswell und Calfee sind ebenfalls der Überzeugung, dass sich der Bürger exakt an vorhandenen scharfen Grenzen orientieren würde: „[I]f the law’s requirements are really known with certainty, then anyone who satisfies those requirements can be confident of not being punished, so there is no incentive to do more than the law requires either.“124 Wenn es jedoch keine scharfe Grenze gibt, hält der Bürger lieber Abstand von Verhaltensweisen, die er im Grenzbereich zur Strafbarkeit vermutet, und übererfüllt damit die Gesetze. Endicott führt als Beispiel dafür den „Unfair Contract Terms Act“ an: In seiner vorherigen, präzisen Version habe er Dienstleister dazu ermuntert, Haftung so weit auszuschließen, wie sie gerade konnten. Nun würden sie jedoch dazu gebracht, jedes Haftungsrisiko auszuschließen (und etwa eine Versicherung abzuschließen), weil die neue Version des Gesetzes vage sei.125 Die genannten Autoren sehen also einen weiteren Vorteil der Vagheit: Die Gefahr, dass einem Gesetz nicht Folge geleistet wird, kann bei Gesetzen mit vagen – aber auch generellen – Ausdrücken geringer sein, weil ein gewisser „Sicherheitsabstand“ zu den klarerweise verbotenen Handlungen gehalten wird, um sich im Bereich der unscharfen Grenze nicht dem Risiko einer Strafe auszusetzen. Allerdings steht die Übererfüllung vager Gesetze in einem Spannungsverhältnis zum oben erläuterten Bestimmtheitsgebot: In den Fällen, in denen ein Gesetz aus Unsicherheit übererfüllt wird, ist dem Normadressaten nicht klar, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht. Das Bestimmtheitsgebot ist verletzt. Aus Sicht des Bürgers bedeutet das: Die Verhaltensleitung durch das Gesetz ist nicht möglich. Und aus der Perspektive des Staates: Er würde Gesetze gezielt mit der Absicht formulieren, sich in der Anwendung des Rechts unberechenbare Spielräume und die Möglichkeit zur Willkür offenzuhalten. Daher sollte die Übererfüllung nicht als Vorteil der Vagheit gewertet werden – sie läuft einem fundamentalen Prinzip unseres Rechtssystems zuwider.

9.6

Zwischenfazit: Vagheit im Recht – Vagheit in der Alltagssprache

Die Entscheidung, ob etwas unter einen Begriff fällt, hat im Recht größere Konsequenzen als in der Alltagssprache. Im Gegensatz zur alltäglichen Kommunikation hat sie nicht nur eine bestimmte Wortwahl zur Folge, sondern sie greift entscheidend, sanktionierend, in das Leben von Menschen ein, etwa 123

Ebd.: 536. Craswell/Calfee 1986: 276. Vgl. dazu auch Calfee/Craswell 1984. 125 Vgl. Endicott 2005: 43f. 124

168

Vagheit im Recht

wenn sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Im Misslingensfall kommt es im Alltag zu einem Missverständnis, im Recht kann es zu einer falschen Verurteilung führen. Daher wiegt auch Vagheit im Recht schwerer als in der Alltagssprache. Wenn über Grenzfälle in einer bestimmten Weise entschieden wurde, wird diese Entscheidung zudem „aufbewahrt“, während ein Sprecher im Alltag sich mit einer Kategorisierung nicht für die Zukunft festlegt. Inkohärenz ist im Alltag verschmerzbar, im Recht nicht. Manche Leistungen der Vagheit in der Alltagssprache gelten zunächst scheinbar nicht für das Recht. So könnte man argumentieren, dass im Gegensatz zur Wortfindung im Gespräch Schnelligkeit und geringer Aufwand im Rechtswesen nicht so wichtig sind: Für eine Beweisaufnahme können auch Wellenlängen gemessen oder Körner gezählt werden. Dafür stünden sowohl die Zeit als auch die nötigen Werkzeuge zur Verfügung. Dennoch hat Vagheit auch im Recht wichtige Funktionen. Gesetze sollen dem Bürger eine Orientierung geben können, welches Verhalten erlaubt ist: In diesem Fall ist Handhabbarkeit ein wichtiger Aspekt und unter diesem sind langwierige Analysen nicht von Vorteil. Zudem ist eine weitere Leistung der Vagheit in der Alltagskommunikation auf das Recht übertragbar: Da nicht alle Fälle, die jemals eintreten können, voraussagbar sind, ermöglicht Vagheit die Flexibilität, mit bestehenden Gesetzen auf sie einzugehen. Der Gesetzgeber muss nicht jeden Einzelfall voraussehen; die Entscheidung im konkreten Fall kann er delegieren. Der Nutzen der Vagheit im Recht ist nicht deckungsgleich mit dem Nutzen der Vagheit in der Alltagssprache. Und während die Nachteile von Vagheit in der Alltagssprache eher theoretischer Natur sind und als logische Spielerei angesehen werden können, führen unscharfe Grenzen im Recht zuweilen zu ernsthaften Problemen. Dennoch konnte aufgezeigt werden, dass Vagheit im Recht auch ihren Nutzen hat und mit dem Streben nach Präzision auch Nachteile einhergehen.

10 Wert und Nutzen semantischer Vagheit Ist Vagheit nun ein „philosopher’s nightmare“, wie ihn Ernesto Napoli beschworen hat, oder – mit Michael Tye – ‚Treibsand‘, dem man nicht entkommen kann?1 Ein Entkommen ist sicherlich schwierig: Wie gezeigt wurde, ist Vagheit in natürlichen Sprachen tatsächlich allgegenwärtig. In bestimmten Zusammenhängen, wie etwa in der Fachsprache oder in rechtlichen Festlegungen, ist zwar eine Reduzierung oder Eliminierung der Vagheit möglich; in der Alltagssprache ist sie jedoch so gut wie allen Prädikaten inhärent. Grenzfälle lassen sich immer konstruieren – mal mit mehr, mal mit weniger Phantasie. Die Anwendbarkeit vager Prädikate ist indes nicht immer fraglich. In den meisten Fällen ist sie eindeutig, und damit ist die Grundlage einer funktionierenden Kommunikation gelegt. Und dennoch: Die Kommunikation gelingt meistens auch dann, wenn Grenzfälle vorliegen. Damit gibt es zwar in der Alltagskommunikation kein Entkommen vor Vagheit. Treibsand, der sein Opfer – in diesem Fall die erfolgreiche Kommunikation – mit sich hinabzieht und schließlich erstickt, ist sie jedoch nicht. Wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt wurde, behindert Vagheit die Kommunikation nicht, sondern befördert sie sogar. Damit ist Vagheit nicht nur kein Hindernis, sondern ein wichtiger Beitrag zur gelingenden Kommunikation. In der vorliegenden Arbeit wurde der Wert und Nutzen semantischer Vagheit unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Es wurde gezeigt, dass die unscharfen Extensionsgrenzen bereits im Spracherwerb angelegt sind und dass sie den menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten entsprechen. In der konkreten Kommunikationssituation befördert Vagheit die Befolgung der Griceschen Konversationsmaximen und lässt eine ökonomische sowie flexible Verwendung von Ausdrücken zu. Sie ermöglicht die Kommunikation auf einem alltagsangemessenen Präzisionsniveau und kann auch strategisch eingesetzt werden. Sollte die Kommunikation durch vage Prädikate doch einmal zu scheitern drohen, können verschiedene Reparaturmechanismen oder Umgangsstrategien eingesetzt werden. In der Fachkommunikation kann und muss Vagheit jedoch reduziert werden. Denn hier ist Präzision wichtiger als etwa Schnelligkeit und Flexibilität in der Wortwahl. In der (Fach-)Sprache des Rechts kommt hinzu, dass Richter gezwungen sind, auch bei Grenzfällen über die Anwendung eines vagen Prädikats – und damit eines Gesetzes – zu entscheiden, und das mit weitreichenden Konsequenzen. An dieser Stelle sind deutliche Schwierigkeiten auszumachen, die durch Vagheit entstehen.

1

Für die ausführlichen Zitate siehe oben Kapitel 3.1.

170

Wert und Nutzen semantischer Vagheit

Dass Vagheit jedoch in der Alltagssprache ihre Vorteile hat – auch wenn sie in anderen Bereichen Probleme aufwirft –, haben im Laufe der Zeit auch schon verschiedene Philosophen, wie etwa Frege, eingeräumt. In der neueren Vagheitsdebatte wurden einige Theorien zum Umgang mit Vagheit erarbeitet, die diesen Nutzen verneinen. Sie versuchen, Vagheit durch Präzision zu erfassen (drei- und mehrwertige Logiken, Supervaluationismus), oder sie koppeln vage Prädikate von ihrer tatsächlichen Verwendung im Sprachgebrauch ab, indem sie entweder unerkennbare scharfe Grenzen postulieren (epistemische Theorie) oder die Existenz der Grenzen überhaupt verneinen (Nihilismus). Einzig die Position des Kontextualismus greift die Art und Weise auf, wie vage Prädikate in der Alltagssprache tatsächlich verwendet werden. Insbesondere Fara weist in ihrer Theorie des interessenrelativen Kontextualismus darauf hin, dass vage Prädikate immer in einer konkreten Situation mit Hinblick auf einen gegebenen Zweck verwendet werden. In der vorliegenden Arbeit wurde gezeigt, dass genau diese erfolgreiche Verwendung in der jeweiligen Kommunikationssituation den Wert vager Prädikate ausmacht. Als „philosopher‘s nightmare“ mag Vagheit indes immer noch all jenen Philosophen erscheinen, die es als ihre Aufgabe ansehen, die durch Vagheit verursachten logischen Probleme zu lösen. Es steht außer Frage, dass diese Schwierigkeiten bestehen und dass sie, je nach Intensität der Auseinandersetzung, durchaus auch zu Albträumen führen können. Vagheit deshalb jedoch als einen Defekt natürlicher Sprachen zu diskreditieren, führt zu weit. Sie leistet wertvolle Beiträge in der Alltagskommunikation. Und diese muss sich an ihrem Gelingen messen lassen – und nicht daran, ob sie formalen Logikern zu einem ruhigen Schlaf verhilft.

Literatur Akerman, Jonas (2009): Extensions in Flux. An Essay on Vagueness and Context Sensitivity. Stockholm: Department of Philosophy, Stockholm University. Akhtar, Nameera/Montague, Lisa (1999): „Early lexical acquisition: the role of cross-situational learning“. In: First Language 19(57), S. 347–358. Alston, William P. (1964): Philosophy of language. 5. Aufl. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall. Alston, William P. (1967): „Vagueness“. In: Edwards, Paul (Hg.): The Encyclopedia of Philosophy, Bd. 8. New York u.a.: Macmillan & Free Press, S. 218–221. Amendments to the Constitution. In: Bill of Rights. Primary Documents of American History (Virtual Programs & Services, Library of Congress). http://memory.loc.gov/cgi-bin/ampage?collId=llsl&fileName =001/llsl001. db& recNum=144 (eingesehen am 27.06.2011). Anglin, Jeremy M. (1977): Word, object, and conceptual development. New York: W. W. Norton & Company. Aristoteles Int. = Aristoteles: De Interpretatione (Lehre vom Satz/Peri Hermeneias). In: Kategorien, Lehre vom Satz (Peri hermeneias). (Organon I/II). Übersetzt, mit einer Einleitung und erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes. Unveränderter Nachdruck der unveränderten Neuausgabe 1958 der 2. Aufl. von 1925 Hamburg: Felix Meiner 1974, S. 89–120. Aristoteles Met. = Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von Hermann Bonitz (ed. Wellmann). Auf der Grundlage der Bearbeitung von Héctor Carvallo und Ernesto Grassi neu hg. von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. Austin, J[ohn] L. (1975): How to do things with words. The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955. Hg. von J. O. Urmson und Marina Sbisà. 2. Aufl. Cambridge, MA: Harvard University Press.

172

Literatur

Austin, John L. (1975): Sinn und Sinneserfahrung (Sense and sensibilia). Stuttgart: Philipp Reclam jun. Austin, John L. (1979): Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. 2. Aufl. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Baker, Gordon P./Hacker, Peter Michael Stephan (1980): Wittgenstein. Understanding and meaning. Oxford: Basil Blackwell (= An analytical commentary on the Philosophical Investigations 1). Barrett, Martyn D. (1986): „Early Semantic Representations and Early WordUsage“. In: Kuczaj, Stan A. II/Barrett, Martyn D. (Hgg.): The Development of Word Meaning. Progress in Cognitive Development Research. New York u.a.: Springer, S. 39–67. Barsalou, Lawrence W. (1983): „Ad hoc categories“. In: Memory & Cognition 11(3), S. 211–227. Bartsch, Renate (1984): „Norms, tolerance, lexical change, and contextdependence of meaning“. In: Journal of Pragmatics 8(3), S. 367– 393. Barwise, Jon/Perry, John (1987): Situationen und Einstellungen. Grundlagen der Situationssemantik. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Baßler, Harald (2002): „Definierte Wörter: Fachsprachliche Terminologie“. In: Dittmann, Jürgen: Über Wörter. Grundkurs Linguistik. Freiburg im Breisgau: Rombach, S. 211–231. Baumann, Klaus-Dieter (1997): „Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch“. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 373–377 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Berkeley, Istvan S.N. (1990): „Vagueness, Natural Language and Logic“. In: Eidos 9(1), S. 49–65. Berlin, Brent/Kay, Paul (1999 [1969]): Basic color terms. Their universality and evolution. Neuausgabe Stanford: CSLI Publications.

Literatur

173

BGHSt 1–48 = BGHSt auf CD-ROM. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen. Grundwerk. Bd. 1–48 [wird fortgesetzt]. Hg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft. Köln: Carl Heymanns 2004. Bittner, Thomas/Smith, Barry (2001): „Granular partitions and Vagueness“. In: Welty, Chris/Smith, Barry (Hgg.): Formal Ontology in Information Systems. Collected Papers from the Second International Conference. New York: ACM Press, S. 309–320. Black, Max (1937): „Vagueness. An exercise in logical analysis“. In: Philosophy of Science 4(4), S. 427–455. Black, Max (1970): „Reasoning with Loose Concepts“. In: Margins of Precision. Essays in Logic and Language. Ithaca u.a.: Cornell University Press, S. 1–13. Blau, Ulrich (1978): Die dreiwertige Logik der Sprache. Ihre Syntax, Semantik und Anwendung in der Sprachanalyse. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Bloom, Lois M. (1973): One word at a time: The use of single word utterances before syntax. Den Haag u.a.: Mouton. Bloom, Paul (2000): How children learn the meanings of words. Cambridge, MA u.a.: MIT Press. Bosch, Peter (1983): „‚Vagueness‘ is Context-Dependence. A Solution to the Sorites-Paradox“. In: Ballmer, Thomas T./Pinkal, Manfred (Hgg.): Approaching Vagueness. Amsterdam: North Holland, S. 189–210. Bowerman, Melissa (1978): „The Acquisition of Word Meaning. An Investigation in some Current Conflicts“. In: Waterson, Natalie/Snow, Catherine (Hgg.): The Development of Communication. Chichester u.a.: John Wiley & Sons, S. 263–287. Brandom, Robert (1994): Making it explicit. Reasoning, representing, and discursive commitment. Cambridge, MA: Harvard University Press. Brisard, Frank/Rillaer, Gert van/Sandra, Dominiek (2001): „Processing Polysemous, Homonymous, and Vague Adjectives“. In: Cuyckens, Hubert/Zawada, Britta (Hgg.): Polysemy in Cognitive Linguistics. Selected Papers from the Fifth International Cognitive Linguistics Con-

174

Literatur

ference. Amsterdam u.a.: John Benjamins Publishing Company, S. 261–284. Brown, Penelope/Levinson, Stephen C. (1987): Politeness. Some universals in language usage. 15. Nachdruck 2006 Cambridge: Cambridge University Press. Bublitz, Wolfram (2001): „Formen der Verständnissicherung in Gesprächen“. In: Brinker, Klaus/Antos, Gerd/Heinemann, Wolfgang/Sager, Sven F. (Hgg.): Linguistics of Text and Conversation/Text- und Gesprächslinguistik. An International Handbook of Contemporary Research/Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Teilbd. 2. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 1330–1340 (= Handbücher zur Sprach-und Kommunikationswissenschaft 16). Burks, Arthur W. (1946): „Empiricism and Vagueness“. In: The Journal of Philosophy 43(18), S. 477–486. Burnett, D. Graham (2007): Trying Leviathan. The nineteenth-century New York court case that put the whale on trial and challenged the order of nature. Princeton: Princeton University Press. Burns, Linda [Claire] (1986): „Vagueness and Coherence“. In: Synthese 68(3), S. 487–513. Burns, Linda Claire (1991): Vagueness. An Investigation into Natural Languages and the Sorites Paradox. Dordrecht u.a.: Kluwer Academic Publishers. BVerfGE 1–130 = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Bd. 1–130 [wird fortgesetzt]. DVD-ROM. Hg. von den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts. Tübingen: Mohr Siebeck 2010. Calfee, John E./Craswell, Richard (1984): „Some Effects of Uncertainty on Compliance with Legal Standards“. In: Virginia Law Review 70(5), S. 965–1003. Campbell, Richmond (1974): „The Sorites Paradox“. In: Philosophical Studies: An International Journal for Philosophy in the Analytic Tradition 26(3/4), S. 175–191. Carey, Susan (1985): Conceptual change in childhood. Cambridge, MA u.a.: MIT Press.

Literatur

175

Carey, Susan/Bartlett, Elsa (1978): „Acquiring a Single New Word.“. In: Papers and Reports on Child Language Development 15, S. 17–29. Cargile, James (1969): „The sorites paradox“. In: British Journal of the Philosophy of Science 20, S. 193–202. Changizi, Mark A. (1999): „Vagueness, Rationality And Undecidability: A Theory Of Why There Is Vagueness“. In: Synthese 120(3), S. 345– 374. Channell, Joanna (1994): Vague language. Oxford: Oxford University Press. Cherry, Colin (1967): Kommunikationsforschung. Eine neue Wissenschaft. 2., erw. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer. Choi, Albert/Triantis, George (2010): „Strategic Vagueness in Contract Design: The Case of Corporate Acquisitions“. In: The Yale Law Journal 119, S. 848–924. Clark, Eve [V.] (1973): „What’s in a word? On the child’s acquisition of semantics in his first language“. In: Moore, Timothy E.: Cognitive development and the acquisition of language. New York u.a.: Academic Press, S. 66–110. Clark, Eve V. (1993): The Lexicon in Acquisition. Cambridge: Cambridge University Press. Clemen, Gudrun (1997): „The Concept of Hedging: Origins, Approaches and Definitions“. In: Markkanen, Raija/Schröder, Hartmut (Hgg.): Hedging and discourse. Approaches to the analysis of a pragmatic phenomenon in academic texts. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 235– 248. Cohen, L. Jonathan (1985): „A Problem about Ambiguity in Truth-Theoretical Semantics“. In: Analysis 45(3), S. 129–134. Craswell, Richard/Calfee, John E. (1986): „Deterrence and Uncertain Legal Standards“. In: Journal of Law, Economics & Organization 2(2), S. 279–303. Cutting, John (Hg.) (2007): Vague Language Explored. Basingstoke u.a.: Palgrave Macmillan.

176

Literatur

Deemter, Kees van (2010a): Not exactly. In praise of vagueness. Oxford: Oxford University Press. Deemter, Kees van (2010b): „Vaguenes Facilitates Search“. In: Aloni, Maria/Bastiaanse, Harald/de Jager, Tikitu/Schulz, Katrin (Hgg.): Logic, Language and Meaning. 17th Amsterdam Colloquium, Amsterdam, The Netherlands, December 16–18, 2009, Revised Selected Papers. Berlin u.a.: Springer, S. 173–182. Dennett, Daniel C. (1987): The Intentional Stance. Cambridge, MA: MIT Press. Devos, Filip (2003): „Semantic vagueness and lexical polyvalence“. In: Studia Linguistica 57(3), S. 121–141. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Hg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1999. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Aus dem Griechischen übersetzt von Otto Apelt. Unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu hg. sowie mit Vorwort, Einleitung und neuen Anmerkungen zum Text versehen von Klaus Reich. 2. Aufl. Hamburg: Felix Meiner 1967. Dittmann, Jürgen (2010): Der Spracherwerb des Kindes. Verlauf und Störungen. 3. völlig überarb. Aufl. München: C.H. Beck. Donnellan, Keith (1966): „Reference and definite descriptions“. In: Philosophical Review 75, S. 281–304. Dönninghaus, Sabine (2005): Die Vagheit der Sprache. Begriffsgeschichte und Funktionsbeschreibung anhand der tschechischen Wissenschaftssprache. Wiesbaden: Harrassowitz. Dummett, Michael (1975): „Wang’s Paradox“. In: Synthese 30(3/4), S. 301– 324. Dunbar, George (2001): „Towards a cognitive analysis of polysemy, ambiguity, and vagueness“. In: Cognitive Linguistics 12(1), S. 1–14. Dworkin, Ronald (1963): „Judicial Discretion“. In: The Journal of Philosophy 60(21), S. 624–638.

Literatur

177

Dworkin, Ronald (1975): „Hard Cases“. In: Harvard Law Review 88(6), S. 1057–1109. Dworkin, Ronald (1978): „No Right Answer?“. In: New York University Law Review 53(1), S. 1–32. Dworkin, Ronald (1991): „On Gaps in the Law“. In: Amselek, Paul/MacCormick, Neil (Hgg.): Controversies about law’s ontology Edinburgh: Edinburgh University Press, S. 84–90. Dworkin, Ronald (1996): „Objectivity and Truth: You’d Better Believe it“. In: Philosophy & Public Affairs 25(2), S. 87–139. Edgington, Dorothy (1999): „Vagueness by degrees“. In: Keefe, Rosanna/Smith, Peter (Hgg.): Vagueness. A Reader. Cambridge MA: MIT Press, S. 294–316. Elstermann, Mechthild (1991): „Vagheit – eine grundlegende Eigenschaft der sprachlichen Kommunikation und ihre Konsequenzen“. In: Hartung, Wolfdietrich (Hg.): Kommunikation und Wissen. Annäherung an ein interdisziplinäres Forschungsgebiet. Berlin: Akademie-Verlag, S. 281–296. Endicott, Timothy [A. O.] (1994): „Putting Interpretation in it’s Place“. In: Law and Philosophy 13, S. 451–479. Endicott, Timothy [A. O.] (1996): „Linguistic Indeterminacy“. In: Oxford Journal of Legal Studies 16(4), S. 667–697. Endicott, Timothy [A. O.] (1997): „Vagueness and Legal Theory“. In: Legal Theory 3, S. 37–63. Endicott, Timothy A. O. (1999): „The Impossibility of the Rule of Law“. In: Oxford Journal of Legal Studies 19, S. 1–18. Endicott, Timothy A. O. (2000): Vagueness in Law. Oxford: Oxford University Press. Endicott, Timothy A. O. (2002): „Law and Language“. In: Coleman, Jules/Shapiro, Scott (Hgg.): Jurisprudence and Philosophy of Law. Oxford: Oxford University Press, S. 933–968. Endicott, Timothy [A. O.] (2001): „Law is necessarily vague“. In: Legal Theory 7, S. 379–385.

178

Literatur

Endicott, Timothy [A. O.] (2005): „The Value of Vagueness“. In: Bhatia, Vijay Kumar/Engberg, Jan/Gotti, Maurizio/Heller, Dorothee (Hgg.): Vagueness in Normative Texts. Bern u.a.: Peter Lang, S. 27–48. Endicott, Timothy [A. O.] (2011): „Vagueness and Law“. In: Ronzitti, Giuseppina (Hg.): Vagueness. A Guide. Dordrecht u.a.: Springer, S. 171–191. Eschenbach, Carola/Habel, Christopher/Kulik, Lars/Leßmöllmann, Annette (1998): „Shape Nouns and Shape Concepts: A Geometry for ‚Corner‘“. In: Freksa, Christian/Habel, Christopher/Wender, Karl F. (Hgg.): Spatial Cognition. An Interdisciplinary Approach to Representing and Processing Spatial Knowledge. Berlin: Springer, S. 177– 201. Fahl, Christian (2010): Jura für Nichtjuristen. Sieben unterhaltsame Lektionen. München: C.H. Beck. Falkenburg, Brigitte (1997): „Das Verhältnis von formalen Sprachen und verbalen Fachsprachen in den neueren Naturwissenschaften“. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 910–921 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Fara, Delia Graff (2000): „Shifting Sands: An Interest-Relative Theory of Vagueness“. In: Philosophical Topics 28(1), S. 45–81. Im Original veröffentlicht unter dem Namen Delia Graff. Fara, Delia Graff (2001): „Phenomenal continua and the sorites“. In: Mind 110(440), S. 905–935. Im Original veröffentlicht unter dem Namen Delia Graff. Fara, Delia Graff (2008): „Profiling interest relativity“. In: Analysis 68(4), S. 326–335. Fine, Kit (1975): „Vagueness, truth and logic“. In: Synthese 30, S. 265–300. Wiederabgedruckt in: Keefe, Rosanna/Smith, Peter (Hgg.) (1999a): Vagueness. A Reader. Cambridge, MA: MIT Press, S. 119–150.

Literatur

179

Fluck, Hans-Rüdiger (1996): Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 5., überarb. und erw. Aufl. Tübingen u.a.: Francke. Fodor, Jerry (1994): „Concepts: a potboiler“. In: Cognition 50, S. 95–113. Fodor, Jerry A./Lepore, Ernest (1996): „What Cannot be Evaluated Cannot be Evaluated and it Cannot be Supervalued Either“. In: The Journal of Philosophy 93(10), S. 516–535. Fraas, Claudia (1997): „Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen“. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 428–437 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Fraassen, Bas C. Van (1966): „Singular Terms, Truth-Value Gaps, and Free Logic“. In: The Journal of Philosophy 63(17), S. 481–495. Frege, Gottlob (1964 [1879]): Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens. 6. Nachdruck der 2. Aufl. 1964 Hildesheim u.a.: Georg Olms. Frege, Gottlob (2008 [1882]): „Über die wissenschaftliche Berechtigung einer Begriffsschrift“. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik NF 81 (1882), S. 48–56. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Ders. (2008): Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hg. und eingeleitet von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 70–76. Frege, Gottlob (1987 [1884]): Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Frege, Gottlob (2008 [1891]): „Funktion und Begriff“. In: Ders. (2008): Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hg. und eingeleitet von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 2–22. Frege, Gottlob (2008 [1892]): „Über Sinn und Bedeutung“. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik NF 100 (1892), S. 25–50 Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Ders. (2008): Funktion, Be-

180

Literatur

griff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hg. und eingeleitet von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 23–46. Frege, Gottlob (2003 [1918]): „Der Gedanke“. In: Ders. (1918): Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 2, S. 58–77. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Ders. (2003): Logische Untersuchungen. Hg. und eingeleitet von Günther Patzig. 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 35–62. Frege, Gottlob (1903): Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet, Bd. 2. Jena: Verlag von Hermann Pohle. Frege, Gottlob (1969a): Nachgelassene Schriften und wissenschaftlicher Briefwechsel. Bd. 1: Nachgelassene Schriften. Hg. von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg: Felix Meiner. Frege, Gottlob (1969b): „[Ausführungen über Sinn und Bedeutung.]“. In: Ders.: Nachgelassene Schriften und wissenschaftlicher Briefwechsel. Bd. 1: Nachgelassene Schriften. Hg. von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg: Felix Meiner, S. 128– 136. Frege, Gottlob (1969c): „Begründung meiner strengeren Grundsätze des Definierens“. In: Ders.: Nachgelassene Schriften und wissenschaftlicher Briefwechsel. Bd. 1: Nachgelassene Schriften. Hg. von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg: Felix Meiner, S. 164–170. Frege, Gottlob (1976): „Frege an Peano 29.9.1896“. In: Ders.: Nachgelassene Schriften und wissenschaftlicher Briefwechsel Bd. 2: Wissenschaftlicher Briefwechsel. Hg. von Gottfried Gabriel, Hans Hermes, Friedrich Kambartel, Christian Thiel und Albert Veraart. Hamburg: Felix Meiner, S. 181–186. Fritz, K[urt] von (2001): „Eukleides von Megara“. In: Andresen, Carl/Erbse, Hartmut/Gigon, Olof/Schefold, Karl/Stroheker, Karl Friedrich/Zinn, Ernst (Hgg.): Lexikon der Alten Welt. Düsseldorf: Patmos, S. 910– 911. Galinski, Christian/Budin, Gerhard (1997): „Deskriptive und präskriptive Terminologieerarbeitung“ In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Lan-

Literatur

181

guage and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 2. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 2183–2207 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Garrett, Brian J. (1991): „Vague Identity and Vague Objects“. In: Noûs 25(3), S. 341–351. Geeraerts, Dirk (1992): „Prototypicality effects in diachronic semantics: a round-up“. In: Kellermann, Günter/Morrissey, Michael D. (Hgg.): Diachrony within Synchrony: Language History and Cognition. Papers from the International Symposium at the University of Duisburg, 26–28 March 1990. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, S. 183–203. Geeraerts, Dirk (1993): „Vagueness’s puzzles, polysemy’s vagaries“. In: Cognitive Linguistics 4(3), S. 223–272. Geeraerts, Dirk (1997): Diachronic Prototype Semantics. Oxford: Clarendon Press. Georges Lat.-Dt. Handwörterbuch = Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel ausgearbeitet. Darmstadt 1998 (Nachdruck der Ausgabe Bd. I: Hannover 1913, Bd. II: 1916–1919, hg. von Heinrich Georges). Gibbs, Raymond W. Jr./Bryant, Gregory A. (2008): „Striving for optimal relevance when answering questions“. In: Cognition 106(1), S. 345–369. Glock, Hans-Joachim (2000): Wittgenstein-Lexikon. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Goldsmith, Andrew E. (2003): „The Void-for-Vagueness Doctrine in the Supreme Court, Revisited“. In: American Journal of Criminal Law 30(2), S. 279–313. Goldstein, Eugen Bruce (2008): Wahrnehmungspsychologie. Der Grundkurs. Deutsche Ausgabe hg. von Hans Irtel. 7. Aufl. Berlin u.a.: Spektrum Akademischer Verlag. Goldstein, Laurence (1988): „The Sorites as a Lesson in Semantics“. In: Mind 97(387), S. 447–455.

182

Literatur

Goldstone, Robert (1994): „Influences of Categorization on Perceptual Discrimination“. In: Journal of Experimental Psychology: General 123 (2), S. 178–200. Goodman, Nelson (1997): Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übersetzt von Bernd Philippi. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gopnik, Alison/Meltzoff, Andrew N. (1997): Words, thoughts, and theories. Cambridge, MA u.a.: MIT Press. Graff, Delia: siehe Fara, Delia Graff. Grice, [Herbert] Paul (1989): Studies in the Way of Words. Cambridge MA: Harvard University Press. Grice, H[erbert] Paul (1979a [1957]): „Meaning“. In: The Philosophical Review 66(3), 1957, S. 377–388. Zitiert nach der Übersetzung: Ders.: „Intendieren, Meinen, Bedeuten“. In: Meggle, Georg (Hg.) (1979): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 2–15. Grice, H[erbert] Paul (1979b [1975]): „Logic and Conversation“. In: Cole, Peter/Morgan, Jerry L. (Hgg.) (1975): Syntax and Semantics, Bd. 3: Speech Acts. New York u.a.: New York Academic Press, S. 41–58. Zitiert nach der Übersetzung: Grice, H[erbert] Paul: „Logik und Konversation“. In: Meggle, Georg (Hg.) (1979): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 243–265. Grober, Ulrich (2010): Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Verlag Antje Kunstmann Guckes, Barbara (1997): Das Argument der schiefen Ebene. Schwangerschaftsabbruch, die Tötung Neugeborener und Sterbehilfe in der medizinethischen Diskussion. Stuttgart: G. Fischer. Gullvag, Ingemund/Naess, Arne (2008): „Vagueness and ambiguity“. In: Dascal, Marcelo/Gerhardus, Dietfried/Lorenz, Kuno/Meggle, Georg (Hgg.): Philosophy of Language/La philosophie du langage/Sprachphilosophie. An International Handbook of Contemporary Research/Manuel international des recherches contemporaines/Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Teilbd. 2. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 1408–1417 (= Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 7).

Literatur

183

Haack, Susan (1974): Deviant Logic. Some philosophical issues. London: Cambridge University Press. Hadfield, Gillian K. (1994): „Weighing the Value of Vagueness: An Economic Perspective on Precision in the Law“. In: California Law Review 82(3), S. 541–554. Hahn, Walther von (1997): „Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen“. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 378–382 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Hampton, James A. (1988): „Overextension of conjunctive concepts: Evidence for a unitary model of concept typicality and class inclusion“. In: Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition 14(1), S. 12–32. Hampton, James A. (2007): „Typicality, Graded Membership, and Vagueness“. In: Cognitive Science. A Multidisciplinary Journal 31(3), S. 355–384. Hardin, C[lyde] Larry (1988): „Phenomenal Colors and Sorites“. In: Noûs 22(2), S. 213–234. Harnad, Stevan (2005): „To cognize is to categorize: Cognition is categorization“. In: Cohen, Henri/Lefebvre, Claire (Hgg.): Handbook of Categorization in cognitive science. Amsterdam u.a.: Elsevier, S. 19–43. Hart, Herbert L. A. (1958): „Positivism and the Separation of Law and Morals“. In: Harvard Law Review 71(4), S. 593–629. Hart, Herbert L. A. (1994): The Concept of Law. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press. Harten, Ulrich (2007): Physik für Mediziner. Eine Einführung. 12., bearb. Aufl. Berlin u.a.: Springer. Heijenoort, J[ean] van (1986): „Frege and Vagueness“. In: Haaparanta, Leila/Hintikka, Jaakko (Hgg.): Frege Synthesized. Dordrecht u.a.: Daniel Reidel.

184

Literatur

Heller, Dorothee (2005): „Zwischen Bestimmtheit und strategischer Offenheit: Zur sprachlichen Qualifizierung deutscher und schweizerischer Sanktionsnormen“. In: Bhatia, Vijay Kumar/Engberg, Jan/Gotti, Maurizio/Heller, Dorothee (Hgg.): Vagueness in Normative Texts. Bern u.a.: Peter Lang, S. 356–378. Hempel, Carl G. (1939): „Vagueness and Logic“. In: Philosophy of Science 6(2), S. 163–180. Henst, Jean-Baptiste van der/Carles, Laure/Sperber, Dan (2002): „Truthfulness and Relevance in Telling The Time“. In: Mind & Language 17(5), S. 457–466. Herrmann, Theo/Deutsch, Werner (1976): Psychologie der Objektbenennung. Bern u.a.: Huber. Herrmann, Theo/Grabowski, Joachim (1994): Sprechen. Psychologie der Sprachproduktion. Heidelberg u.a.: Spektrum Akademischer Verlag. Hertogh, Govert Den (2009): „The Slippery Slope Argument“. In: Kuhse, Helga (Hg.): A Companion to Bioethics. Chichester: WileyBlackwell, S. 321–332. Heusinger, Siegfried (2004): Die Lexik der deutschen Gegenwartssprache. Eine Einführung. München: Fink. Hilbert, David R. (1987): Color and color perception. A study in anthropocentric realism. Stanford: Center for the Study of Language and Information (CSLI). Hobbs, Jerry R. (1985): „Granularity“. In: Proceedings of the Ninth International Joint Conference on Artificial Intelligence (IJACAI-85), Bd. 1. Los Angeles: Morgan Kaufmann, S. 432–435. http://ijcai.org/Past%20Proceedings/IJCAI-85-VOL1/PDF/084.pdf (eingesehen am 16.12.2010). Hoffmann, Lothar (1985): Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen: Gunter Narr (= Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Hoffmann, Lothar (1997): „Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen: theoretische und methodische Probleme“. In: Ders./Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An Interna-

Literatur

185

tional Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 680–689 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Horn, Laurence R. (1993): „Economy and Redundancy in a Dualistic Model of Natural Language“. In: Shore, Susanna/Vilkuna, Maria (Hgg.): SKY 1993. 1993 Yearbook of the Linguistic Association of Finland. Helsinki: Suomen kielitieteellinen yhdistys (The Linguistic Association of Finland), S. 33–72. Horsten, Leon (2010): „Perceptual Indiscriminability and the Concept of a Color Shade“. In: Diez, Richard/Moruzzi, Sebastian (Hgg.): Cuts and Clouds. Oxford: Oxford University Press, S. 209–227. Hyde, Dominic (1997): „Sorites Paradox“. In: Zalta, Edward N. (Hg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford, The Metaphysics Research Lab. http://www.science.uva.nl/~seop/entries/sorites-paradox/ (eingesehen am 13.05.2008). ICD-10-WHO Version 2011 online. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. 10. Revision, Version 2011, Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen (F00– F99): Affektive Störungen (F30–F39). http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlamtl2011/ block-f30-f39.htm (eingesehen am 28.04.2011). Isenberg, Arnold (1964): „Deontology and the Ethics of Lying“. In: Philosophy and Phenomenological Research 24(4), S. 463–480. Jackendoff, Ray (2004 [1983]): „Categorization“. In: Ders. (1983): Semantics and Cognition. Cambridge, MA u.a.: MIT Press, S. 77–94 Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Aarts, Bas/Denison, David/Keizer, Evelien/Popova, Gergana (Hgg.) (2004): Fuzzy Grammar. A Reader. Oxford u.a.: Oxford University Press, S. 109–123. James, William (1950 [1890]): The Principles of Psychology. Ungekürzter und unveränderter Nachdruck der ersten Ausgabe von 1890. New York: Courier Dover Publications.

186

Literatur

Jansen, Carel J. M./Pollmann, M[ ] M. W. (2001): „On Round Numbers: Pragmatic Aspects of Numerical Expressions“. In: Journal of Quantitative Linguistics 8(3), S. 187–201. Johnson-Laird, Philip N. (1983): Mental models. Towards a cognitive science of language, inference, and consciousness. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. Jucker, Andreas H./Smith, Sara W./Lüdge, Tanja (2003): „Interactive aspects of vagueness in conversation“. In: Journal of Pragmatics 35(12), S. 1737–1769. Kaiser, Peter K./Boynton, Robert M. (1996): Human Color Vision. 2. Aufl. Washington, D.C.: Optical Society of America. Kamp, Hans (1981): „The Paradox of the Heap“. In: Mönnich, Uwe (Hg.): Aspects of philosophical logic. Some logical forays into central notions of linguistics and philosophy. Dordrecht u.a.: Daniel Reidel, S. 225– 277. Kauschke, Christina (1999). „Früher Wortschatzerwerb im Deutschen: Eine empirische Studie zum Entwicklungsverlauf und zur Komposition des kindlichen Lexikons“. In: Meibauer, Jörg/Rothweiler, Monika (Hgg.): Das Lexikon im Spracherwerb. Tübingen u.a.: A. Francke: S. 128–153. Keefe, Rosanna (2000): Theories of Vagueness. Cambridge: Cambridge University Press. Keefe, Rosanna/Smith, Peter (Hgg.) (1999a): Vagueness: A Reader. Cambridge, MA u.a.: MIT Press. Keefe, Rosanna/Smith, Peter (1999b): „Introduction: theories of vagueness“. In: Dies. (Hgg.): Vagueness. A Reader. Cambridge MA: The MIT Press, S. 2–57. Keil, Frank C. (1989): Concepts, kinds, and cognitive development. Cambridge, MA: MIT Press. Keil, Geert (2002): Quine zur Einführung. Hamburg: Junius. Keil, Geert (2005): „Über die deskriptive Unerschöpflichkeit der Einzeldinge“. In: Ders./Tietz, Udo (Hgg.): Phänomenologie und Sprachanalyse. Paderborn: mentis, S. 83–125.

Literatur

187

Keil, Geert (2010a): „Die Wahrheit verträgt kein Mehr oder Minder“. In: Tetens, Holm/Tolksdorf, Stefan (Hgg.): In Sprachspiele verstrickt. Festschrift für Hans Julius Schneider. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 81–100. Keil, Geert (2010b): „Halbglatzen statt Halbwahrheiten. Über Vagheit, Wahrheits- und Auflösungsgrade“. In: Grajner, Martin/Rami, Adolf (Hgg.): Wahrheit, Bedeutung, Existenz. Heusenstamm: Ontos, S. 57– 85. Keller, Rudi/Kirschbaum, Ilja (2003): Bedeutungswandel. Eine Einführung. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Kelly, Kenneth Low/Judd, Deane Brewster (1955): The ISCC-NBS Method of designating Colors and a Dictionary of Color Names. Washington, D.C.: National Bureau of Standards. Kelly, Kenneth Low/Judd, Deane Brewster (1976): Color. Universal Language and Dictionary of Names. Washington, D.C.: US Government Printing Office. Kemmerling, Andreas (1991): „Implikatur“. In: Stechow, Armin von; Wunderlich, Dieter (Hgg.): Semantik Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung/Semantics An International Handbook of Contemporary Research. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 319-333. Kennedy, Christopher (2006): „Vagueness and grammar: the semantics of relative and absolute gradable adjectives“. In: Linguistics and Philosophy 30, S. 1–45. Kindt, Walther (2002): „Koordinations-, Konstruktions- und Regulierungsprozesse bei der Bedeutungskonstitution. Neue Ergebnisse der Dynamischen Semantik“. In: Deppermann, Arnulf/Spranz-Fogasy, Thomas (Hgg.): be-deuten. Tübingen: Stauffenburg, S. 34–58. Kleiber, Georges (1998): Prototypensemantik. Eine Einführung. 2., überarb. Aufl. Tübingen: Gunter Narr. Kluck, Nora (2010): „Some Notes on the Value of Vagueness in Everyday Communication“. In: Hüllermeier, Eyke/Kruse, Rudolf/Hoffmann, Frank (Hgg.): Information Processing and Management of Uncertainty in Knowledge-Based Systems. Applications. 13th International Conference, IPMU 2010, Proceedings, Part II. Heidelberg u.a.:

188

Literatur

Springer, S. 344–349 (= Communications in Computer and Information Science 81). Kluge Etymologisches Wörterbuch = Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Aufl. Berlin u.a.: Walter de Gruyter 2002. Kohl, Marvin (1969): „Bertrand Russell on Vagueness“. In: Australasian Journal of Philosophy 47(1), S. 31–41. Kolde, Gottfried (1986): „Zur Lexikographie sogenannter Heckenausdrücke“. In: Schöne, Albrecht (Hg.): Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses, Göttingen 1985, Bd. 3. Tübingen: Max Niemeyer, S. 170–176. Krämer, Walter (2000): So lügt man mit Statistik. Ungekürzte Taschenbuchausgabe München u.a.: Piper. Krifka, Manfred (2002): „Be Brief and Vague! And how Bidirectional Optimality Theory allows for Verbosity and Precision“. In: Restle, David/Zaefferer, Dietmar (Hgg.): Sounds and Systems. Studies in Structure and Change: A Festschrift for Theo Vennemann. Berlin: Mouton de Gruyter, S. 429–448. Krifka, Manfred (2007): „Approximate interpretation of number words: A case for strategic communication“. In: Bouma, Gerlof/Krämer, Irene/Zwarts, Joost (Hgg.): Cognitive foundations of interpretation. Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen, S. 111–126. Kuczaj, Stan A. II (1986): „Thoughts on the Intensional Basis of Early Object Word Extension: Evidence From Comprehension and Production“. In: Ders./Barrett, Martyn D. (Hgg.): The Development of Word Meaning. Progress in Cognitive Development Research. New York u.a.: Springer, S. 98–120. Labov, William (1973): „The boundaries of words an their meanings“. In: Bailey, Charles-James N./Shuy, Roger W. (Hgg.): New ways of analyzing variation in English. Washington: Georgetown University Press, S. 340–373. LaFond, John Q. (2002): „Criminal Law Principles“. In: Hall, Kermit L.: The Oxford Companion to American Law. Oxford: Oxford University Press (Oxford Reference Online)

Literatur

189

http://www.oxfordreference.com/views/ENTRY.html?entry=t122.e0 217-s00 (eingesehen am 18.06.2011). Lakoff, George (1973): „Hedges. A study in meaning criteria and the logic of fuzzy concepts“. In: Journal of Philosophical Logic 2(4), S. 458– 508. Lakoff, George (1990): Women, fire, and dangerous things. What categories reveal about the mind. Paperback edition Chicago: University of Chicago Press. Lamb, David (1988): Down the Slippery Slope. Arguing in Applied Ethics. London: Croom Helm. Levickij, Victor (2005): „Polysemie “. In: Köhler, Reinhard/Altmann, Gabriel/Piotrowski, Rajmund G. (Hgg.) Quantitative Linguistics/Quantitative Linguistik. An International Handbook/Ein internationales Handbuch. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 458–464 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 27). Lewandowska-Tomaszczyk, Barbara (2007): „Polysemy, prototypes, and radial categories“. In: Geeraerts, Dirk/Cuyckens, Hubert (Hgg.): The Oxford Handbook of Cognitive Linguistics. Oxford: Oxford University Press, S. 139–169. Lewis, David (1979): „Scorekeeping in a language game“. In: Journal of Philosophical Logic 8(1), S. 339–359. Lewis, David (1988): „Vague Identity: Evans Misunderstood“. In: Analysis 48(3), S. 128–130. Lieven, Elen V. M. (1994): „Crosslinguistic and crosscultural aspects of language addressed to children“. In: Gallaway, Clare (Hg.): Input and interaction in language acquisition. Cambridge: Cambridge University Press, S. 56–73. Linsky, Bernard (1984): „Phenomenal Qualities and the Identity of Indistinguishables“. In: Synthese 59(3), S. 363–380. Löbner, Sebastian (2003): Semantik. Eine Einführung. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Lyons, John (1971): Einführung in die moderne Linguistik. München: C.H. Beck.

190

Literatur

Machery, Edouard (2009): Doing without concepts. Oxford u.a.: Oxford University Press. Machina, Kenton (1976): „Truth, Belief, and vagueness“. In: Journal of Philosophical Logic 5(1), S. 47–78. Mangold, Roland (1986): Sensorische Faktoren beim Verstehen überspezifischer Objektbenennungen. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang. Mangold, Roland (2008): „Sprechen über Objekte“. In: Rickheit, Gert/ Herrmann, Theo/Deutsch, Werner (Hgg.): Psycholinguistics. An International Handbook/Ein internationales Handbuch. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 368–376 (= Handbücher zur Sprach-und Kommunikationswissenschaft 24). Mangold, Roland/Pobel, Rupert (1988): „Informativeness and Instrumentality in Referential Communication“. In: Journal of Language and Social Psychology 7(3/4), S. 181–191. Manor, Ruth (1995): „Pragmatic considerations in semantic analyses“. In: Pragmatics & Cognition 3(2), S. 225–245. Manor, Ruth (1997): „Only the Bald are Bald“. In: Meggle, Georg (Hg.): Analyomen 2. Proceedings of the 2nd Conference „Perspectives in Analytical Philosophy“. Volume II: Philosophy of Language – Metaphysics. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 178–184. Manor, Ruth (2001): „On the overlap of pragmatics and semantics“. In: Synthese 128(1/2), S. 63–73. Manor, Ruth (2006): „Solving the heap“. In: Synthese 153(2), S. 171–186. Markman, Ellen M. (1989): Categorization and Naming in Children. Problems of Induction. Cambridge, MA u.a.: MIT Press. Markman, Ellen M. (1990): „Constraints children place on word meanings“. In: Cognitive Science 14(1), S. 57–77. Martinet, André (1963): Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft. Stuttgart u.a.: W. Kohlhammer. Maund, Barry (2006): „Color“. In: Zalta, Edward N. (Hg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford: The Metaphysics Research Lab

Literatur

191

http://www.science.uva.nl/~seop/entries/color/ (eingesehen am 24.06.2010). Maund, Barry (2009): Colours. Their nature and representation. Digitally printed version Cambridge u.a.: Cambridge University Press. Medin, Douglas L./Aguilar, Cynthia (1999): „Categorization“. In: Wilson, Robert A./Keil, Frank C. (Hgg.): The MIT encyclopedia of the cognitive sciences. Cambridge, MA u.a.: MIT Press, S. 104–106. Mehlberg, Henryk (1958): The Reach of Science. Toronto: University of Toronto Press. Müller, Klaus (1980): „Interaktionssemantik“. In: Deutsche Sprache 8, S. 289–305. Mumm, Peter-Arnold (1994): „Rezension zu: Georges Kleiber, Prototypensemantik. Eine Einführung“. In: Kratylos 39, S. 26–32. Murphy, Gregory L./Medin, Douglas L. (1985): „The Role of Theories in Conceptual Coherence“. In: Psychological Review 92(3), S. 289– 316. Napoli, Ernesto (1985): „Is Vagueness a Logical Enigma?“. In: Erkenntnis 23(2), S. 115–121. Nelson, Katherine (1977): „The Conceptual Basis for Naming“. In: Macnamara, John: Language Learning and Thought. New York u.a.: Academic Press, S. 117–136. Niederhauser, Jürg (1999): Wissenschaftssprache und populärwissenschaftliche Vermittlung. Tübingen: Gunter Narr (= Forum für FachsprachenForschung 53). NRWSPD – Bündnis 90/Die Grünen NRW: Koalitionsvertrag 2012–2017. http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruenenrw/politik-undthemen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012-2017.pdf (eingesehen am 02.07.2012). Nussbaumer, Markus (2005): „Zwischen Rechtsgrundsätzen und Formularsammlung: Gesetze brauchen (gute) Vagheit zum Atmen“. In: Bhatia, Vijay Kumar/Engberg, Jan/Gotti, Maurizio/Heller, Dorothee

192

Literatur

(Hgg.): Vagueness in Normative Texts. Bern u.a.: Peter Lang, S. 49– 71. Oeser, Erhard/Budin, Gerhard (1997): „Grundlagen der Terminologiewissenschaft“. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 2. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 2171–2183 (= Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 14). Olson, David R. (1970): „Language and thought: Aspects of a cognitive theory of semantics“. In: Psychological Review 77(4), S. 257–273. Parikh, Rohit (1983): „The problem of vague predicates“. In: Cohen, Robert S./Wartofsky, Marx W.: Language, Logic, and Method. Dordrecht: Daniel Reidel, S. 241–261. Parikh, Rohit (1994): „Vagueness and Utility: The Semantics of Common Nouns“. In: Linguistics and Philosophy 17(6), S. 521–535. Peacocke, Christopher (1981): „Are Vague Predicates Incoherent?“. In: Synthese 46(1), S. 121–141. Peirce, Charles S[anders] (1902): „Vague“. In: Baldwin, James Mark (Hg.): Dictionary of Philosophy and Psychology, Bd. 2. New York u.a.: Macmillan, S. 748. Peirce, Charles Sanders (1877): „The Fixation of Belief“. In: Popular Science Monthly 12, S. 1–15. Peirce, Charles Sanders (1878): „How to Make our Ideas Clear“. In: Popular Science Monthly 12, S. 286–302. Peirce, Charles Sanders (1905): „Issues of Pragmaticism“. In: The Monist 15(4), S. 481–499. Peirce, Charles Sanders (1960a): Collected papers of Charles Sanders Peirce, Bd. 3/4. Hg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press.

Literatur

193

Peirce, Charles Sanders (1960b): Collected papers of Charles Sanders Peirce, Bd. 5/6. Hg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press. Pinkal, Manfred (1985): Logik und Lexikon. Die Semantik des Unbestimmten. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Pinkal, Manfred (1991): „Vagheit und Ambiguität“. In: Stechow, Armin von/Wunderlich, Dieter (Hgg.): Semantik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung/Semantics. An International Handbook of Contemporary Research. Berlin u.a.: Walter de Gruyter (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 6). Polenz, Peter von (2000): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 1: Einführung, Grundbegriffe, 14. bis 16. Jahrhundert. 2., überarb. und erg. Aufl. Berlin u.a.: Walter de Gruyter. Poscher, Ralf (2009): „The Hand of Midas: When Concepts Turn Legal, or Deflating the Hart-Dworkin-Debate“. In: Pfordten, Dietmar von der/Hage, Jaap C. (Hgg.): Concepts in Law. Heidelberg u.a.: Springer, S. 99–115. Poscher, Ralf (2012): „Ambiguity and Vagueness in Legal Interpretation“. In: Tiersma, Peter/Solan, Lawrence (Hgg.): The Oxford Handbook of Language and Law. Oxford: Oxford University Press, S. 128–144. Post, Robert C. (1994): „Reconceptualizing Vagueness“. In: California Law Review 82(3), S. 491–507. Quine, Willard Van Orman (1960): Word and Object. Cambridge, MA: MIT Press. Quine, Willard Van Orman (1975): „Ontologische Relativität“. In: Ders.: Ontologische Relativität und andere Schriften. Stuttgart: Philipp Reclam jun, S. 41–96. Quine, Willard Van Orman (1980): Wort und Gegenstand (Word and Object). Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Schulte in Zusammenarbeit mit Dieter Birnbacher. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Quine, Willard Van Orman (1981): „What Price Bivalence?“. In: The Journal of Philosophy 78(2), S. 90–95.

194

Literatur

Raffman, Diana (1994): „Vagueness Without Paradox“. In: The Philosophical Review 103(1), S. 41–74. Raffman, Diana (1996): „Vagueness and Context-Relativity“. In: Philosophical Studies 81(2/3), S. 175–192. Raffman, Diana (2000): „Is Perceptual Indiscriminability Nontransitive?“. In: Philosophical Topics 28(1), S. 153–175. Raffman, Diana (2005): „How to understand contextualism about vagueness: reply to Stanley“. In: Analysis 65(3), S. 244–248. Raffman, Diana (2011): „Vagueness and Observationality“. In: Ronzitti, Giuseppina (Hg.): Vagueness. A Guide. Dordrecht u.a.: Springer, S. 107–122. Raffman, Diana (2014): Unruly Words. A Study of Vague Language. Oxford u.a.: Oxford University Press [im Druck]. Ratner, Carl/McCarthy, Jennifer (1990): „Ecologically Relevant Stimuli and Color Memory“. In: Journal of General Psychology 117(4), S. 369– 377. Raz, Joseph (1979): „The Rule of Law and its Virtue“. In: Ders.: The authority of law. Essays on law and morality. Oxford: Clarendon Press, S. 210–229. RGSt 1–77 = RGSt. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen 1880– 1944. Archiv-DVD-ROM. Bd. 1–77, Berlin: Walter de Gruyter 2008. Ribeiro, Marc (2004): Limiting Arbitrary Power. The Vagueness Doctrine In Canadian Constitutional Law. Neuausgabe Vancouver: University of British Columbia Press. Rieger, Burghard B. (1989): Unscharfe Semantik. Die empirische Analyse, quantitative Beschreibung, formale Repräsentation und prozedurale Modellierung vager Wortbedeutungen in Texten. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang. Rimbach, Gerald/Erbersdobler, Helmut/Möhring, Jennifer (2010): Lebensmittel-Warenkunde für Einsteiger. Berlin u.a.: Springer. Roelcke, Thorsten (1997): „Das Kunstwort in der Zeit der Aufklärung: wissenschaftliche Konzeption und faktischer Gebrauch“. In: Hoffmann,

Literatur

195

Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.): Languages for Special Purposes/Fachsprachen. An International Handbook of Special-Language and Terminology Research/ Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Teilbd. 2. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 2420–2430 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14). Roelcke, Thorsten (1999): Fachsprachen. Berlin: Erich Schmidt. Roelcke, Thorsten (2008): „Sprachliche Ökonomie/Kommunikative Effizienz“. In: Köhler, Reinhard/Altmann, Gabriel/Piotrowski, Rajmund G. (Hgg.): Quantitative Linguistics/Quantitative Linguistik. An International Handbook/Ein internationales Handbuch. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 775–791 (= Handbücher zur Sprach-und Kommunikationswissenschaft 27). Rooij, Robert van (2011): „Vagueness and Linguistics“. In: Ronzitti, Giuseppina: Vagueness. A Guide. Dordrecht u.a.: Springer, S. 123–170. Rosch Heider, Eleanor (1972): „Universals in Color Naming and Memory“. In: Journal of Experimental Psychology 93(1), S. 10–20. Rosch, Eleanor (1973): „On the internal structure of perceptual and semantic categories“. In: Moore, Timothy E. (Hg.): Cognitive Development and the Acquisition of Language. New York u.a.: Academic Press, S. 111–144. Rosch, Eleanor (1975a): „Cognitive Reference Points“. In: Cognitive Psychology 7(4), S. 532–547. Rosch, Eleanor (1975b): „Cognitive representations of semantic categories“. In: Journal of Experimental Psychology General 104(3), S. 192–233. Rosch, Eleanor (1978): „Principles of Categorization“. In: Dies./Lloyd, Barbara B. (Hgg.): Cognition and Categorization. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, S. 27–48. Rosch, Eleanor (1987): „Wittgenstein and Categorization Research in Cognitive Psychology“. In: Chapman, Michael/Dixon, Roger A. (Hgg.): Meaning and the Growth of Understanding. Wittgenstein’s Significance for Developmental Psychology. Berlin u.a.: Springer, S. 151– 166.

196

Literatur

Rosch, Eleanor (2007): „Categorization“. In: Östman, Jan-Ola/Verschueren, Jef (Hgg.): Handbook of Pragmatics Online. Amsterdam: John Benjamins Publishing Company http://www.benjamins.com/online/hop/ (eingesehen am 28.05.2008). Rosch, Eleanor/Mervis, Carolyn B. (1975): „Family resemblances: Studies in the internal structure of categories“. In: Cognitive Psychology 7(4), S. 573–605. Russell, Bertrand (1905): „On Denoting“. In: Mind 14(56), S. 479–493. Russell, Bertrand (1918): „The Philosophy of Logical Atomism“. In: The Monist 28(4), S. 495–527. Russell, Bertrand (1923): „Vagueness“. In: Australasian Journal of Philosophy 1(2), S. 84–92. Russell, Bertrand/Whitehead, Alfred North (1910, 1912, 1913). Principia Mathematica, 3 Bände. Cambridge: Cambridge University Press. Sainsbury, R[ichard] M[ark] (1986): „Degrees of Belief and Degrees of Truth“. In: Philosophical Papers 15, S. 97–106. Sainsbury, R[ichard] M[ark] (1989): „What is a Vague Object?“. In: Analysis 49(3), S. 99–103. Sainsbury, R[ichard] M[ark] (1999): „Concepts without boundaries“. In: Keefe, Rosanna/Smith, Peter (Hgg.): Vagueness. A Reader. Cambridge, MA u.a.: MIT Press, S. 251–264. Sainsbury, R[ichard] M[ark] (2001): Paradoxien. Erweiterte Ausgabe Stuttgart: Philipp Reclam jun. Sanford, David H. (1979): „Nostalgia for the Ordinary: Comments on Papers by Unger and Wheeler“. In: Synthese 41, S. 175–184. Savigny, Eike von (1991): „Passive Disobedience as Violence: Reflections on German High Court Decisions”. In: Brady, James B./Garver, Newton (Hgg.): Justice, Law, and Violence. Philadelphia, Temple University Press, S. 53–64. Schaff, Adam (1968): „Unscharfe Ausdrücke und die Grenzen ihrer Präzisierung“. In: Ders.: Essays über die Philosophie der Sprache. Frankfurt u.a.: Europäische Verlagsanstalt u.a., S. 65–94.

Literatur

197

Schauer, Frederick (1985): „Slippery Slopes“. In: Harvard Law Review 99(2), S. 361–383. Schieffelin, Bambi B. (1985): „The Acquisition of Kaluli“. In: Slobin, Dan Isaac (Hg.): The Crosslinguistic Study of Language Acquisition. Bd. 1: The Data. Hillsdale u.a.: Lawrence Erlbaum Associates, S. 525–593. Schneider, Edgar W. (1988): Variabilität, Polysemie und Unschärfe der Wortbedeutung. Tübingen: Max Niemeyer. Schöne, Tim (2011): Was Vagheit ist. Paderborn: mentis. Shannon, Claude Elwood/Weaver, Warren (1964): The mathematical theory of communication. Urbana: University of Illinois Press. Shapiro, Scott J. (2007): „The ‚Hart-Dworkin‘ debate: a short guide for the perplexed“. In: Ripstein, Arthur: Ronald Dworkin. Cambridge u.a.: Cambridge University Press, S. 22–55. Shapiro, Stewart (2003): „Vagueness and Conversation“. In: Beall, Jc: Liars and Heaps. Oxford: Clarendon Press, S. 39–72. Shapiro, Stewart (2006): Vagueness in Context. Oxford: Clarendon Press. Smith, Barry/Brogaard, Berit (2000): „A Unified Theory of Truth and Reference“. In: Logique et Analyse 169/170, S. 49–93. Smith, Edward E. (1990): „Categorization“. In: Osherson, Daniel N./ Smith, Edward E. (Hgg.): Thinking. Cambridge, MA u.a.: MIT Press, S. 33– 53 (= An Invitation to Cognitive Science 3). Smith, Nicholas J. J. (2008): Vagueness and Degrees of Truth. Oxford: Oxford University Press. Soames, Scott (1999): Understanding truth. Oxford u.a.: Oxford University Press. Soames, Scott (2002a): „Précis of Understanding Truth“. In: Philosophy and Phenomenological Research 65(2), S. 397–401. Soames, Scott (2002b): „Replies“. In: Philosophy and Phenomenological Research 65(2), S. 429–452.

198

Literatur

Soames, Scott (2011): „What Vagueness and Inconsistency Tell Us About Interpretation“. In: Marmor, Andrei/Soames, Scott (Hgg.): Philosophical Foundations of Language in the Law. Oxford u.a.: Oxford University Press, S. 31–57. Solan, Lawrence [M.] (2005): „Vagueness and Ambiguity in Legal Interpretation“. In: Bhatia, Vijay Kumar/Engberg, Jan/Gotti, Maurizio/Heller, Dorothee (Hgg.): Vagueness in Normative Texts. Bern u.a.: Peter Lang, S. 73–96. Solan, Lawrence M. (2001): „The Written Contract as Safe Harbor for Dishonest Conduct“. In: Chicago-Kent Law Review 77(1), S. 87–119. Sorensen, Roy [A.] (1997): „Vagueness“. In: Zalta, Edwad N. (Hg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford: The Metaphysics Research Lab http://www.science.uva.nl/~seop/entries/vagueness/ (eingesehen am 17.12.2008). Sorensen, Roy [A.] (2001a): „Vagueness has no function in law“. In: Legal Theory 7(4), S. 387–417. Sorensen, Roy [A.] (2001b): Vagueness and contradiction. Oxford: Clarendon Press. Sorensen, Roy A. (1988): Blindspots. Oxford: Clarendon Press. Sperber, Dan/Wilson, Deirdre (1985): „Loose Talk“. In: Proceedings of the Aristotelian Society 86, S. 153–171. Sperber, Dan/Wilson, Deirdre (1986): Relevance. Communication and Cognition. Oxford: Basil Blackwell. Stalnaker, Robert (2002): „Common ground“. In: Linguistics and Philosophy 25(5/6), S. 701–721. Staton, Jeffrey K./Vanberg, Georg (2008): „The Value of Vagueness: Delegation, Defiance, and Judicial Opinions“. In: American Journal of Political Science 52(3), S. 504–519. Stein, Stephan (2004): „Semantische Flexibilität im Alltagsgespräch“. In: Pohl, Inge/Konerding, Klaus-Peter (Hgg.): Stabilität und Flexibilität in der Semantik. Strukturelle, kognitive, pragmatische und historische Perspektiven. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, S. 241–273.

Literatur

199

Stoecker, Ralf (2009): „Krankheit – ein gebrechlicher Begriff“. In: Thomas, Günther/Karle, Isolde (Hgg.): Krankheitsdeutung in der postsäkularen Gesellschaft. Theologische Ansätze im interdisziplinären Gespräch. Stuttgart: W. Kohlhammer S. 38–44. Swinburne, Richard G. (1969): „Vagueness, Inexactness, and Imprecision“. In: The British Journal for the Philosophy of Science 19(4), S. 281–299. Szagun, Gisela (2002): „Wörter lernen in der Muttersprache. Der ontogenetische Vokabularerwerb“. In: Dittmann, Jürgen/Schmidt, Claudia (Hgg.): Über Wörter. Grundkurs Linguistik. Freiburg im Breisgau: Rombach, S. 311–334. Szagun, Gisela (2006): Sprachentwicklung beim Kind. Ein Lehrbuch. Vollständig überarbeitete Neuausgabe Weinheim u.a.: Beltz. Tappenden, Jamie (1993): „The liar and sorites paradoxes: Toward a unified treatment“. In: The Journal of Philosophy 90(11), S. 551–577. Termini, Settimo (2002): „On some vagaries of vagueness and information“. In: Annals of Mathematics and Artificial Intelligence 35(1–4), S. 343–355. Thorpe, Dale A. (1984): „The Sorites Paradox“. In: Synthese 61(3), S. 391– 421. Travis, Charles (1985): „Vagueness, Observation, and Sorites“. In: Mind 94(375), S. 345–366. Tye, Michael (1994): „Vagueness: Welcome to the Quicksand“. In: The Southern Journal of Philosophy 33(S1), S. 1–22. Tye, Michael (2005): „Sorites Paradoxien und die Semantik vager Sprachen“. In: Walter, Sven (Hg.): Vagheit. Paderborn: mentis, S. 27–42. Uchikawa, Keiji (1983): „Purity discrimination: Successive vs simultaneous comparison method“. In: Vision Research 23(1), S. 53–58. Uchikawa, Keiji/Ikeda, Mitsuo (1981): „Temporal deterioration of wavelength discrimination with successive comparison method“. In: Vision Research 21(4), S. 591–595. Unger, Peter (2002 [1979a]): „There are no ordinary things“. In: Synthese 41(2) (1979), S. 117–154. Wiederabgedruckt in und zitiert nach:

200

Literatur

Graff, Delia/Williamson, Timothy (Hgg.) (2002): Vagueness. Aldershot u.a.: Ashgate/Dartmouth, S. 3–40. Unger, Peter (1979b): „I do not exist“. In: Macdonald, Graham F. (Hg.): Perception and Identity. Essays presented to A. J. Ayer with his Replies to them. London u.a.: Macmillan Press, S. 235–251. Unger, Peter (1980a): „Skepticism and Nihilism“. In: Noûs 14(4), S. 517–545. Unger, Peter (1982): „Toward a Psychology of Common Sense“. In: American Philosophical Quarterly 19(2), S. 117–129. Unger, Peter (2006 [1979c]): „Why there are no People“. In: Midwest Studies in Philosophy IV (1979), S. 177–222. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Ders. (2006): Philosophical Papers, Bd. 2, S. 53–109. Unger, Peter (2006 [1980b]): „The Problem of the Many“. In: Midwest Studies in Philosophy V (1980), S. 411–467. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Ders. (2006): Philosophical Papers, Bd. 2, S. 113–182. Veltman, Frank (2002): Het verschil tussen vaag en niet precies. Rede uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van hoogleraar Logica & Cognitiewetenschap aan de Universiteit van Amsterdam op vrijdag 12 oktober 2001 [Antrittsvorlesung]. Amsterdam: Vossiuspers UvA. Volokh, Eugene (2003): „The Mechanisms of the Slippery Slope“. In: Harvard Law Review 116(4), S. 1026–1137. Vorwerg, Constanze (2008): „Verstehen von Objektbenennungen“. In: Rickheit, Gert/Herrmann, Theo/Deutsch, Werner (Hgg.): Psycholinguistics. An International Handbook/Ein internationales Handbuch. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 609–622 (= Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 24). Wagner-Westerhausen, Katja (2008): Die Statusfrage in der Bioethik. Münster u.a.: LIT. Waismann, Friedrich (1945/46): „Are There Alternative Logics?“. In: Proceedings of the Aristotelian Society 46, S. 77–104. Waismann, Friedrich (1993 [1951]): „Verifiability“. In: Flew, Antony (Hg.) (1951): Logic and language. First series. Oxford: Basil Blackwell, S. 122–151. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Flew, Antony

Literatur

201

(Hg.) (1993): Essays on Logic and Language. First series. Aldershot: Gregg Revivals, S. 117–144. Waismann, Friedrich (1993 [1953]): „Language strata“. In: Flew, Antony (Hg.) (1953): Logic and Language. Second series. Oxford: Basil Blackwell, S. 11–31. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Flew, Antony (Hg.) (1993): Essays on Logic and language. Second series. Aldershot: Gregg Revivals, S. 11–31. Waismann, Friedrich (1965): The Principles of Linguistic Philosophy. London u.a.: Macmillan und St. Martin’s Press. Waldron, Jeremy (1994): „Vagueness in Law and Language: Some Philosophical Issues“. In: California Law Review 82(3), S. 509–540. Walter, Sven (Hg.) (2005a): Vagheit. Paderborn: mentis. Walter, Sven (2005b): „Einleitung“. In: Ders. (Hg.) (2005a): Vagheit. Paderborn: mentis. Weidemann, Christian (2007): Die Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie. Freiburg u.a.: Karl Alber. Weinreich, Uriel (1963): „On the semantic structure of language“. In: Greenberg, Joseph H. (Hg.): Universals of language. Report of a conference held at Dobbs Ferry, New York, April 13–15, 1961. Cambridge, MA: MIT. Press, S. 114–171. Weinrich, Harald (1966): Linguistik der Lüge. Heidelberg: Lambert Schneider Wheatherson, Brian (2003): „The Problem of the Many“. In: Zalta, Edward N. (Hg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford, The Metaphysics Research Lab. http://www.science.uva.nl/~seop/entries/problem-of-many/ (eingesehen am 31.05.2010). Wheeler, Samuel C. III (2002 [1979]): „On That Which Is Not“. In: Synthese 41(2) (1979), S. 155–1173. Wiederabgedruckt in und zitiert nach: Graff, Delia/Williamson, Timothy (Hgg.) (2002): Vagueness. Aldershot u.a.: Ashgate/Dartmouth, S. 41–60. Wichter, Sigurd (1989): „Vagheit. Die List der Toleranz“. In: Sprachwissenschaft 14, S. 296–317.

202

Literatur

Wierzbicka, Anna (1986): „Precision in Vagueness. The Semantics of English ‚approximatives‘“. In: Journal of Pragmatics 10(5), S. 597–614. Williamson, Timothy (1994a): Vagueness. London: Routledge. Williamson, Timothy (1994b): „Vagueness“. In: Asher, Ronald E. (Hg.): The Encyclopedia of Language and Linguistics. Oxford u.a., Pergamon Press. Bd. 9, S. 4869–4871. Williamson, Timothy (2000): Knowledge and its limits. Oxford: Oxford University Press. Wilson, Deirdre/Sperber, Dan (2002): „Truthfulness and Relevance“. In: Mind 111(443), S. 583–632. Winter, Steven L. (2001): A Clearing in the Forest. Law, Life and Mind. Chicago: University of Chicago Press. Wittgenstein PB = Wittgenstein, Ludwig (1984): Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hg. von Rush Rees. Frankfurt am Main: Suhrkamp (= Werkausgabe Bd. 2). Wittgenstein PG = Wittgenstein, Ludwig (1973): Philosophische Grammatik. Hg. von Rush Rees. Frankfurt am Main: Suhrkamp (= Werkausgabe Bd. 4). Wittgenstein PU = Wittgenstein, Ludwig (1984): Philosophische Untersuchungen. In: Tractatus logico-philosophicus – Tagebücher 1914– 1916 – Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 225–618 (= Werkausgabe Bd. 1). Wittgenstein TB = Wittgenstein, Ludwig (1984): Tagebücher 1914–1916. In: Tractatus logico-philosophicus – Tagebücher 1914–1916 – Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 87–223 (= Werkausgabe Bd. 1). Wittgenstein TLP = Wittgenstein, Ludwig (1984): Tractatus logico– philosophicus. In: Tractatus logico-philosophicus – Tagebücher 1914–1916 – Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 7–85 (= Werkausgabe Bd. 1). Wittgenstein ÜG = Wittgenstein, Ludwig (1984): „Über Gewißheit“. Hg. von G. E[lizabeth] M. Anscombe und G[eorg] H. von Wright. In: Bemerkungen über die Farben. Über Gewißheit. Zettel. Vermischte Bemer-

Literatur

203

kungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 113–257 (= Werkausgabe Bd. 8). Wittgenstein Z = Wittgenstein, Ludwig (1984): „Zettel“. Hg. von G. E[lizabeth] M. Anscombe und G[eorg] H. von Wright. In: Bemerkungen über die Farben. Über Gewißheit. Zettel. Vermischte Bemerkungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 259–443 (= Werkausgabe Bd. 8). Wolski, Werner (1980): Schlechtbestimmtheit und Vagheit. Tendenzen und Perspektiven. Tübingen: Max Niemeyer (Reihe Germanistische Linguistik). Wright, Crispin (1975): „On the coherence of vague predicates“. In: Synthese 30(3/4), S. 325–365. Wright, Crispin (1992): Truth and objectivity. Cambridge, MA: Harvard University Press. Wright, Crispin (1999 [1976]): „Language-mastery and the sorites paradox“. In: Evans, Gareth/McDowell, John (Hgg.) (1976): Truth and Meaning. Oxford: Clarendon Press, S. 223–247. Wiederabgedruckt und zitiert nach: Keefe, Rosanna/Smith, Peter (Hgg.) (1999): Vagueness: A Reader. Cambridge, MA u.a.: MIT Press. S. 151–173. Wurzel, Wolfgang Ullrich (2001): „Ökonomie“. In: Haspelmath, Martin/König, Ekkehard/Oesterreicher, Wulf/Raible, Wolfgang (Hgg.): Language Typology and Language Universals. An International Handbook/Manuel international/Ein internationales Handbuch, Teilbd. 1. Berlin u.a.: Walter de Gruyter, S. 384–400 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 20). Wyszecki, Günter/Stiles, Walter Stanley (1967): Color science. Concepts and methods, quantitative data and formulae. New York: John Wiley. Zadeh, Lotfi A. (1965): „Fuzzy Sets“. In: Information and Control 8(3), S. 338–353. Zipf, George Kingsley (1949): Human behavior and the principle of least effort. An introduction to human ecology. Cambridge, MA: AddisonWesley Press.

Register Abgrenzung semantischer Vagheit 14 absolute gradable adjectives 21 ad-hoc-Stipulation 127, 128 Alston, William P. 18, 19, 171 Ambiguität 14, 15, 16, 52, 105 Anzahlkriterium 16 Argument der schiefen Ebene (slippery slope argument) 28, 29, 31, 156 Aristoteles 6, 25, 26, 171 Auflösung 109, 110 Ausschließlichkeitsprinzip 72 Austin, John L. 47, 115, 171, 172 BedeutungF 45 Bedeutungswandel 3, 93, 100, 106, 107 Begriffsschrift 45, 49 Beobachtungsprädikate 98 Beobachtungsprädikate (observational predicates) 78 Berlin, Brent 88, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 182, 183, 185, 187, 188, 189, 190, 192, 193, 194, 195, 200, 203 Bestimmtheit des Sinns 58 Bestimmtheitsgebot 145, 148, 151, 161, 162, 167 Bivalenzprinzip 25, 33, 35, 45 Black, Max 3, 13, 43, 47, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 66, 173 Bowerman, Melissa 74, 173 Brandom, Robert 115, 173 Cargile, James 36, 175 clear-case-constraints 37 common ground 123 conversational score 114, 115, 116 Dammbruch-Argument siehe Argument der schiefen Ebene Deemter, Kees van 23, 28, 83, 176 Die Maxime der Qualität 95 dreiwertige Logiken 33, 34

Dummett, Michael 86, 176 Dworkin, Ronald 142, 143, 150, 153, 155, 156, 176, 177, 193, 197 Edgington, Dorothy 33, 177 Eigennamen 41, 44, 45, 46 Einführung neuer Prädikate 130 Endicott, Timothy 141, 143, 148, 149, 156, 163, 165, 166, 167, 177, 178 Entterminologisierung 134, 139, 140 epistemische Theorie 3, 23, 26, 32, 36, 42, 150, 156, 170 Ethik 18, 28, 31, 124, 127 Eubulides von Milet 10, 13, 26 Extensionsbegrenzung im Spracherwerb 69, 70 externer Kontext 39 Fachsprache 3, 4, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 141, 169 fair notice 151, 152 fair warning 151, 152 Falakros-Rätsel 13, 26 Familienähnlichkeit 5, 6, 7, 8, 18, 57, 58, 77, 161 Fara, Delia Graff 32, 37, 38, 39, 40, 79, 108, 170, 178, 182 Farbkonstanz 85, 90 Farbordnungssysteme 85 Farbprädikate 38, 84, 86, 88, 89, 90, 91, 92 Farb-Sorites 84, 86 Farbvergleichsstudie 88 Farbwahrnehmung 84, 85, 90, 91 fast mapping 68 Fine, Kit 35, 178 first principle of relevance 102 Flexibilität 3, 4, 49, 69, 91, 92, 93, 100, 104, 105, 106, 132, 138, 140, 142, 163, 164, 168, 169 forced-march sorites 86, 87

Register

Frege, Gottlob 3, 43, 44, 45, 48, 49, 58, 65, 104, 105, 137, 138, 170, 179, 180, 183 fuzzy logic siehe mehrwertige Logiken Gegenstandsbereich semantischer Vagheit 17 Generalität im Recht 146, 147 Generalität und Vagheit 14, 15, 51, 120 Gestaltveränderung 39 Gewalt 31, 148, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162 Goodman, Nelson 182 Granularität 108, 109, 110, 111 Grice, Herbert Paul 14, 15, 94, 95, 96, 103, 182 Haack, Susan 183 Hand-Analogie 49, 105, 137 Handhabbarkeit von Gesetzen 142, 165 hard cases 153, 154, 155, 156 Hart, Herbert L. A. 142, 143, 150, 153, 154, 155, 183, 193, 197 Hart-Dworkin-Debatte 142, 143, 150, 153 Heckenausdrücke 8, 117, 125, 126, 132 Heckenausdrücke (hedges) 8, 112, 117, 122, 124, 125, 126, 138 Hempel, Carl. G. 3, 43, 56, 57, 65, 67, 184 höherstufige Vagheit (higherorder-vagueness) 3, 24, 27, 28, 33, 36, 46, 52, 55, 83, 119, 128 Homonymie 15 Hysterese-Effekt 87 ICD-10-WHO 136, 137 ideale Sprache 3, 43, 47, 60, 65 Ignorieren der NichtÜbereinstimmung 123 Implikation 96, 97 Implikatur 94, 96, 97, 98 individuative Vagheit 18 inkohärente Rechtsanwendung 149 Interessenrelativität 39

205

interner Kontext 87 interner Kontext. 39 intersubjektive Variabilität 2, 86, 99 Intransitivität der Ununterscheidbarkeit 79, 84, 86 intrasubjektive Variabilität 13, 55 just noticeable difference 86 Kamp, Hans 37, 38, 186 Kategorisierung 2, 5, 9, 24, 76, 77, 78, 80, 92, 100, 122, 123, 124, 126, 129, 134, 136, 138, 168 Kay, Paul 88, 172 Keefe, Rosanna 15, 16, 18, 19, 20, 32, 34, 35, 36, 177, 178, 186, 196, 203 Keil, Geert 26, 62, 81, 108, 109, 110, 116, 117, 118, 119, 127, 128, 130, 131, 186, 187, 191 KGS (an das Kind gerichtete Sprache) 70, 71 kognitive Ökonomie 5, 77, 100 kombinatorische Vagheit 18, 19, 20, 54, 57, 120, 136, 140, 147, 151 Kommunikationssituation 3, 38, 81, 93, 106, 108, 109, 110, 111, 114, 115, 122, 124, 125, 128, 129, 132, 169, 170 Kommunikationszweck 60, 64, 65, 108, 111, 118, 122, 132 kommunikative Ökonomie 3, 75, 93, 100, 101, 103, 104, 126, 132 komparative Prädikate 123, 130, 131, 132 kompositionale Vagheit 17 konditionale Variante (der SoritesParadoxie) 12 Konsistenzprofile 53, 54, 56 Kontextabhängigkeit 14, 16, 37, 38, 39, 136 Kontextualismus 3, 12, 26, 32, 37, 42, 100, 108, 170 Kontrastklassenabhängigkeit 16, 37, 38, 63, 87, 91

206

Konversationsmaximen 3, 15, 93, 94, 96, 97, 98, 99, 100, 132, 169 Kooperationsprinzip 93, 94, 97, 115 Krifka, Manfred 101, 109, 111, 112, 113, 116, 188 Labov, William 79, 188 Lakoff, George 9, 77, 125, 189 Lewis, David 114, 115, 116, 117, 189 Machina, Kenton 33, 190 mangelnde Spezifizierung 14, 15, 97, 120, 146 Manor, Ruth 129, 130, 190 Maxime der Modalität 96, 98, 99, 100, 101 Maxime der Qualität 102 Maxime der Quantität 94, 97, 98, 99, 101 Maxime der Relevanz 95, 96, 98, 101, 102 Mehlberg, Henryk 35, 191 mehrwertige Logiken 33, 34 menschliches Gedächtnis 3, 68, 76, 84, 89, 90, 92, 105 metamere Farben 90 Mikroskop-Analogie 49 modale Vagheit 17 Modell der notwendigen und hinreichenden Bedingungen 5 Möglichkeit der Vagheit 27, 61 Munsell Book of Colors 85, 89, 92 Natural Color System 85 Nihilismus 3, 26, 32, 40, 41, 42, 170 ontologische Vagheit 17 open texture 24, 26, 27, 59, 61, 154 ordinary language philosophy 43, 58 ordinary things 26, 40, 41 Ostension 3, 70, 71, 73, 91 Parikh, Rohit 24, 70, 80, 83, 86, 88, 90, 91, 192 Partition 110

Register

Peirce, Charles Sanders 3, 43, 50, 51, 65, 192, 193 perzeptive Salienz 82 Pinkal, Manfred 15, 16, 33, 35, 111, 112, 117, 118, 125, 126, 127, 173, 193 plain cases 154 Polysemie 15, 76, 105, 136 Porosität der Begriffe 27, 61 Poscher, Ralf 143, 193 Pragmatismus 50 Präzedenzfälle 128, 142 Präzisierungsgebot 16 Präzisierungsverbot 16, 127 Präzisionsniveau 3, 93, 108, 109, 110, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 125, 126, 132, 137, 138, 169 Prinzip der Toleranz (principle of tolerance) 12, 114 Problem der Wahrheitswertzuweisung 24 Problem of the many 41 process value 148, 149, 163 Prototyp 3, 7, 8, 74, 91 Prototypensemantik 7 Prototypentheorie 5, 6, 7, 8, 70, 74, 77, 125 Quine, Willard Van Orman 3, 43, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 71, 72, 73, 75, 131, 186, 193 radikale Übersetzung 72 Raffman, Diana 39, 79, 86, 87, 194 Realisationslücken 122, 129, 130, 132 rechtliche Bivalenz 142, 143, 155, 156, 165 Rechtsverweigerungsverbot 142 referentieller Gebrauch 81 Relativität 16, 63 Relevanztheorie 96, 101, 113 Reparaturmechanismen 3, 93, 99, 100, 106, 121, 122, 132, 169 Right-Answer-Thesis 153, 155 Rooij, Robert van 118, 195 Rosch, Eleanor 7, 8, 9, 77, 89, 125, 195, 196

Register

runde Zahlen 111, 112, 113 Russell, Bertrand 17, 26, 43, 45, 46, 47, 48, 51, 52, 65, 79, 104, 188, 196 Sainsbury, Richard M. 10, 11, 12, 17, 33, 196 Satz vom ausgeschlossenen Dritten 25, 33, 44, 46 Satz vom Widerspruch 25 Savigny, Eike von 156, 157, 160, 161, 172, 196 Schaff, Adam 3, 43, 64, 65, 66, 196 Scheinbegriffe 44 Scheingenauigkeit 34 second principle of relevance 103 semantische Vagheit, Definition 14 Shapiro, Stewart 39, 197 SinnF 45 Soames, Scott 39, 141, 147, 197, 198 Solan, Lawrence 144, 145, 151, 193, 198 Sorensen, Roy A. 35, 36, 150, 153, 198 Sorites der Akkumulation 12 Sorites der Dekomposition 12 Sorites-Paradoxie 1, 5, 9, 10, 11, 26, 28, 31, 34, 119, 122 Sorites-Vagheit 18, 19, 20, 52, 54, 57, 98, 131, 140, 147 Sparsamkeitshypothese 81 Sperber, Dan 96, 101, 102, 103, 113, 184, 198, 202 Spiel 6, 19, 22, 58, 59, 116, 131, 141, 155 Stabilität durch Vagheit 117, 118 Stalnaker, Robert 123, 198 statistische Analyse von Vagheit 51 strategische Vagheit 55, 93, 119, 121 street cleaning statutes 151 Stuhl-Museum 52 Subsumtion 142, 143 Supervaluationismus 3, 23, 26, 32, 34, 35, 36, 42, 170

207

Tappenden, Jamie 40, 199 taxonomic assumption 72 Terminologisierung 134, 139 Theory theory 5, 6, 9, 77 Toleranzräume 40, 93, 108, 111, 112, 114, 119 Tye, Michael 23, 33, 169, 199 Übererfüllung vager Gesetze 166, 167 Übergeneralisierung 68, 69 Überspezifikation von Objektbenennungen 80, 81, 82 Uhrzeitangaben 113, 114 Umgang mit Vagheit 3, 13, 23, 26, 32, 42, 92, 93, 111, 121, 122, 132, 141, 170 unaufrichtige Urteile 150 unbestimmte Rechtsbegriffe 145, 164 Unbestimmtheit der Sinneseindrücke 61 Unbestimmtheit der Übersetzung 62 Unerforschlichkeit der Referenz 3, 70, 71, 72 Unger, Peter 40, 41, 42, 196, 199, 200 ungesättigte Funktion 45 universal quantifizierende Prämisse (der SoritesParadoxie) 11 Untergeneralisierung 68 Vagheit als Defekt 23 Vagheitsreduzierung in der Fachsprache 3, 128, 134, 135, 137, 138, 140 Vagheitsreduzierung in Fachsprachen 134 Verhaltensleitung 145, 148, 149, 151, 167 verständnissichernde Nachfrage 122, 123, 124 Void-for-Vagueness-Doktrin 142, 145, 147, 150, 151, 152, 153 Wahrheitsgrade 32, 33 Wahrheitswertlücke 33, 35 Wahrnehmungsfähigkeit 79, 98

208

Waismann, Friedrich 3, 26, 27, 43, 59, 61, 62, 64, 66, 79, 84, 122, 154, 200, 201 Waldron, Jeremy 128, 152, 164, 166, 201 Wheeler, Samule C. III 40, 196, 201 whole object assumption 72 Williamson, Timothy 11, 32, 34, 36, 122, 200, 201, 202 Willkür 55, 148, 149, 150, 151, 153, 163, 166, 167 Wilson, Deirdre 96, 101, 102, 103, 191, 198, 202

Register

Wittgenstein, Ludwig 3, 6, 18, 22, 43, 57, 58, 59, 60, 64, 65, 66, 79, 141, 172, 181, 195, 202, 203 Wortschatzerwerb 62, 63, 65, 67, 74 Wortschatzspurt 67, 68 Wright, Crispin 12, 73, 78, 79, 84, 86, 90, 104, 114, 202, 203 Zadeh, Lotfi A. 33, 203 zeitliche Vagheit 18 zulässige Präzisierungen 35