Der Weltkrieg 1914/18 [Reprint 2019 ed.] 9783486744699, 9783486744682


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Wmkikg Und Ptorihgte 1914/18
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Der Weltkrieg 1914/18 [Reprint 2019 ed.]
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WMkikg und ptoriHgte 1914/18. (m.)

I. Abteil. Die Schicksalswende im Sommer 1914. Was alle Welt seit Jahren gefürchtet und mit Scheu von sich

gewiesen, das Unheil des Bölkerkrieges zwischen den Mächten des Dreibundes und des Dreiverbandes, ist Ende Juli 1914 in er­ schreckender Wirklichkeit über Europa hereingebrochen. Noch bis in die letzten Tage klang aus den Diplomatenreden und Fürstenbegegnungen, ja selbst noch aus den Vermittlnngsaktionen das Wort von Friedensliebe und Friedens­ erhaltung. Gleichzeitig aber hatte man unheimliche Rüstungen betrieben. 1. Per Kürstenmord i« Serajewo. Aus dem Balkankriege hatte das Königreich Serbien, das Schoßkind des russischen Panslavismus, großen Zuwachs an slavischem Gebiet und an politischem Dünkel davon­ getragen. Ein Großserbien unter russischem Protektorate sollte künftig alle südslavischen Völkerschaften an sich ziehen. Hiefür war eben durch die staatliche Annäherung Montenegros ein erster Schritt getan. Aber auch Bosnien und die Herzegowina, dazu noch Kroatien und Dalmatien

sollten durch geheime Wühlarbeit für den Anschluß vorbereitet werden. Für diese Pläne lag das schwerste Hindernis in einer starken Regierung der österreichisch-ungarischen Monarchie. Eine Bürgschaft solcher Stärke schien bei dem hohen Alter des Kaisers Franz Joseph die Person des angesehenen, mit Deutschland engbefreundeten Thronfolgers Franz Ferdinand zu bilden. Auf einer militärischen Jnspeküonsreise durch

Bosnien begriffen, fiel der Erzherzog in Serajewo einem ruchlosen Atten­ tate zum Opfer, indem er samt seiner Gemahlin am 28. Juni meuchlings erschossen wurde. Die Untersuchung des Verbrechens und die Geständnisse der Mörder erwiesen die schwere Mitschuld der militärischen Kreise in Serbien. Dr. Winter. Lehrgang der vaterländ. Gesch., H Teil.* Anhang.

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I. Die Schicksalswende im Sommer 1914.

2. Der österreichisch-serbische Konflikt. Am 23. Juli erging an die serbische Regierung eine streng gefaßte Note, welche die Bestrafung

der Schuldigen forderte und sonstige Sicherheit für die Einstellung der österreichfeindlichen Machenschaften verlangte. Dieses auf 48 Stunden befristete Ultimatum wurde in Belgrad am 25. Juli ungenügend be­ antwortet. Aber schon einige Stunden vorher ordnete der serbische Hof, von Rußland dazu gehetzt, die Mobilmachung des Landes an. Darauf erklärte Österreich den Kriegszustand gegen Serbien (28. Juli). Der schroffen Parteinahme Rußlands für Serbien stellte sich die wankellose Bündnis­ treue Deutschlands zu Österreich-Ungarn gegenüber.

3. Die Entzündung des Kriegsbrandes. Über den österreichisch­ serbischen Konflikt erhoben sich unter den Großmächten erregte Verhand­

lungen, die von Rußland und England in hinterhältiger Weise geführt wurden. Während noch die deutsche Regierung und Kaiser Wilhelm II., entsprechend einer verlogenen Bitte des Zaren Nikolaus II., eine diplo­ matische Vermittlung einleiteten, um den Konflikt auf die beiden Streit­ parteien zu „lokalisieren", betrieben Rußland und Frankreich bereits die all­

gemeine Mobilmachung ihrer Truppen. Ein darauf gerichtetes Ultimatum des Deutschen Reiches nach Petersburg und Paris, das unbeantwortet

blieb, war der Vorbote auch der deutschen Mobilmachung, die dann am Abend des 1. August verkündet wurde. Rußland und Frankreich er­ öffneten sofort an den Grenzen die Feindseligkeiten und schickten ihre Flieger und Spione aus. England, das als dritter Gesellschafter des

Dreiverbandes unter der Decke mitspielte, schien noch zu zaudern. Italien, der deutsche Bundesgenosse, wartete „Gewehr bei Fuß". Andere

Staaten beeilten sich ihre Unbeteiligtheit zu erklären.

4. Deutschland unter den Waffen. Die Bündnispflicht gegen den österreichischen Freund und die Not der Selbsterhaltung riefen das deutsche Volk in einen aufgezwungenen Krieg nach zwei Seiten: gegen das raub­ gierige Zarentum und gegen das rachsüchtige Franzosentum. Eine feier­ liche Stimmung ging durch die Nation, als der kaiserliche Heerruf erscholl. In planmäßiger Ordnung und in mutigem Vertrauen vollzog sich die Sammlung des ganzen wehrtüchtigen Volkes, der Millionen der Pflichtigen

bis zum Landsturm und der ungemessenen Menge der Freiwilligen.

Und

wie ein Mann standen alle zusammen ohne Unterschied der Stämme, ohne Unterschied des Standes und der Partei. Einstimmig genehmigte der auf den 4. August einberufene Reichstag fünf Milliarden Kriegskredit und

freudig legten die Führer des Volkes in die Hand des Kaisers das Ge­ löbnis der Treue ab.

Gewaltige Hilfsaktionen der Behörden und der

I. Die Schicksalswende im Sommer 1914,

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Privaten setzten ein in Stadt und Dorf und erreichten unter Führung des Roten Kreuzes gleich von Anfang an staunenswerte Erfolge.

Edle

Frauenarbeit war an der Hand für alle kommenden Leiden lind Pflichten. Begeisterung und Opferwilligkeit strömten durch das Land.

Die Truppen

setzten sich in Bewegung.

5. Die englische Miedertracht. Was Serbien und Rußland ver­ brecherisch angezettelt, war für Frankreich der Anlaß zum ersehnten Ver­ geltungskrieg, dessentwegen es seit Jahrzehnten um die kostspielige Freund­ schaft Rußlands gebuhlt hatte.

Ein französischer Angriffsstoß, wie er von

langer Hand vorbereitet war, sollte über Belgien gegen die Rheinlande ergehen.

Um diesem Durchbruch zuvorzukommen, mußte ein deutsches

Heer unverzüglich durch belgisches Gebiet vorrücken.

Das hatte eben der

Reichskanzler Bethmann-Hollweg freimütig im Reichstag geoffenbart und geziemende Entschädigung an Belgien im voraus versprochen.

Aber hie-

gegen stellte England, das seine Bosheit gegen Deutschland hinter heuch­

lerischer Maske versteckte, völkerrechtliche Einwendungen auf und ließ noch

am Abend des denkwürdigen 4. Augusttages an das Deutsche Reich die

Kriegserklärung ergehen „wegen Verletzung der belgischen Neutralität". Unter dem gleichen Vorwand scharte sich Belgien selber jetzt offen in

die Reihe unserer Feinde. Das Lügenspiel feierte seinen Triumph.

Was

der große Deutschenfeind, König Eduard VII., dereinst als sein Ver­

mächtnis hinterlassen, die Einkreisung und Niederringung des deutschen Rivalen und seiner Kultur, das wollte Minister Grey, der Ränkeschmied,

mit anderen seiner Genossen zur grauenhaften Ausführung bringen.

Drei

Mächte im Osten und drei im Westen zum haßerfüllten Kampf aufgeboten gegen Deuffchland und Österreich — „einen Krieg der Zivilisation gegen

die Barbarei" hat es der französische Kriegsminister geheißen.

6. Deutschlands große Stunde. Einen Augenblick wollte der Atem stocken: um seines Handelsvorteils willen lieh das Schachervolk der Eng­ länder dem Serben, Montenegriner und Russen, dem Franzosen und

dem Belgier Landheer und Flotte zur Vernichtung des stammverwandten deutschen Volkes. Rasch aber loderte der deutsche Zorn empor und feuriger Mut entzündete sich an der Schlechtigkeit.

„Ein Femd mehr", sprach

König Ludwig III. zu seinen Bayern, „und damit em Grund mehr, uns bis zum letzten Atemzug zusammenzuschüeßen.

Gott wird

uns nicht verlassen."

seinen Aufrufen:

„Feinde ringsum!

reinem Gewissen und

Unsere Sache ist gerecht.

Und feierlich auch Kaiser Wilhelm in In aufgedrungener Notwehr, mit

reiner Hand ergreifen wir das Schwert.

Wir

werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden.

Noch

II. Der europäische Völkerkrieg 1914.

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nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war.

Gott!"

Vorwärts mit

Zugleich erneuerte der Kaiser für den heiligen Krieg den ehr­

würdigen Orden des Eisernen Kreuzes.

II. Abteil. Der europäische Völkerkrieg 1914. Gegen eine Welt von Jeinde«.

Für Deutschland wie für Öster-

eich-Ungarn ging es um Bestand oder Verderben. Ohne Zagen, im Gefühl

des Rechtes und der Pflicht, zog das deutsche Volk hinein in den gewal­

tigen Völkerkrieg, den es nunmehr nach drei Fronten und damit zugleich gegen die stärkste Flotte der Welt aufzunehmen hatte. Und wenig fehlte, so drohte bereits die Gefahr der vierten Front: Italien, über 31 Jahre der dritte

Genosse im Dreibund, erkannte am 7. August, angeblich aus Besorgnis vor England, feinen sichereren Vorteil in der Neutralität und im Zuwarten, wie etwa die Würfel fallen würden. Die übrigen Staaten Europas hatten sich unparteiisch zur Seite gestellt.

Amerika.

Das gleiche tat dem Namen nach

Wohlwollender verhielt sich die Türkei.

Auf die Lauer aber

legte sich der ferne Japaner.

A. Die ersten Kampfe im Westen. Vgl. Karte S. 28. 1. Hiilkeitende Vorstöße. Unter planvoller Stille erfolgte der deutsche Aufmarsch an die Westgrenze in sieben Armeen, wie erst später offenbar wurde. a) Kaum war die Kunde gekommen von günstigen Vorgefechten des Grenz­ schutzes, erscholl bereits die erste Siegesbotschaft: Lüttich, die belgische Grenz­ festung, war am 7. August durch die Truppen des Generals v. Emmich im Sturme genommen worden. Ihre gepanzerten Vorwerke erlagen in den folgenden Tagen den neuen Riesenmörsern der deutschen Artillerie. In wei­ terem Vordringen wurden große Teile des belgischen Gebietes, am 20. August auch die Hauptstadt Brüssel besetzt, nachdem die belgische Regierung ein versöhnliches Angebot zum zweitenmal zurückgewiesen hatte. Am 25. August fiel die zweite Festung an der Maas, das starke Namur. König Albert und seine Regierung hatten sich nordwärts in die Hauptfestung Antwerpen geflüchtet, das übrige Gebiet wurde in deutsche Verwaltung genommen und das verhetzte

Volk mit Gewalt niedergehalten. b) Mittlerweile waren im Oberelsaß die von Belfort her eingefallenen Fran­

zosen bei Mülhausen durch General v. Heeriugen zurückgeworfen worden (10. August). Ähnlich günstig verliefen erste Gefechte der Bayern in Lothringen (bei Lagarde und Badonviller), minder vorteilhaft am Vogesenpaß bei Schirmeck. Seit 16. August legte Kaiser Wilhelm sein Hauptquartier nach Koblenz, später­

hin in das Zentrum der deutschen Ängriffsbewegung.

II. Der europäische Völkerkrieg 1914.

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2. Weginn der großen Schlachten, a) Nach vorübergehendem Ab­ schwenken setzte am 20. August gegen die vorgelockte Angriffsarmee der Franzosen die erste große Entscheidungsschlacht in Deutschlothringen ein. Auf langer Linie von Metz bis zu den Vogesen wurde der grimme Durchstoßversuch.des französischen Heerführers Joffre von der Armee des Kronprinzen Rupprecht von Bayern sieghaft abgewiesen. In drei weiteren Kampfestagen warfen kühne Teilgefechte (namentlich bei Dieuze und Saarburg und am Vogesenkopf Donon) den Gegner auf die Linie Luneville-Blamont zurück. Dabei wurden über 10000 Gefangene gemacht und eine große Beute von Kriegsgeräten

gewonnen. b) Vom- 22. August an hatte auch nordwärts an den luxemburgisch-bel­ gischen Grenzen ein starkes Ringen der übrigen Armeen begonnen, darunter be­ sonders um die Feste Longwy, wo der Deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm mit seiner Armee das Siegerfeld behauptete. In rascher Folge kamen noch andere französische Stützpunkte längs der belgischen Grenze zu Fall oder ergaben sich ohne Widerstand. Das länger gehaltene Maubeuge kapitulierte erst am 7. September (mit 40000 Mann Besatzung und 400 Geschützen). Am 28. August wurden auch die englischen Hilfs­

truppen, die schon bei Mons als Mitläufer der Franzosen aufgetreten waren, durch die Armee des Generals v. Kluck bei St.-Quentin gründlich geschlagen. c) Von nun an schob sich in langem Bogen von Nordfrankreich über Lothringen bis zu den Südvogesen eine ununterbrochene Riesenschlachtlinie der sieben Armeen konzentrisch gegen das Innere Frankreichs vor.*) „Der Feind ist auf der ganzen Linie im Rückzug", meldete das deutsche Haupt­ quartier am 28. August. Dabei machten die Armeen des rechten Flügels

die ungebindertsten Fortschritte. Schon in den ersten Septembertagen ver­ mochten sie über den inneren Festungsgürtel, über Amiens, La Fere, Laon und Reims, südwärts bis an die Marne vorzurücken. In Paris hatte sich die Regierung trotz aller früheren Lügenmeldungen noch am 3. September

bemüßigt gefühlt, ihren Sitz auf eine Zeitlang nach Bordeaux zu verlegen. d) Aber in der Gegend der Marne, auf dem weiten Raum zwischen Paris und Lothringen, entspannen sich seit 7. September gegen die wieder­ gesammelte und neuverstärkte Armee der Verbündeten sehr ernste Bewegungs­ kämpfe. In deren Verlauf nahm die deutsche Heeresleitung den rechten Flügel

planmäßig bis hinter die Ais ne zurück, um sich am Nordgelände dieses Flusses neue Stellungen zu sichern (Mitte September). Indem dabei die Verbündeten vergeblich versuchten, die westlichsten Teile der deutschen Armee zu umfassen, streckte sich von selbst die Kampflinie immer weiter nach Nordwesten bis in die *) „Jetzt heischt die Pflicht handeln, nicht trauern", hatte in jenen Tagen Kronprinz Rupprecht von Bayern geschrieben, als ihm eben daheim der blühende Erbprinz Luitpold von jäher Krankheit dahingerafft wurde (26. August).

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II. Der europäische Völkerkrieg 1914.

flandrischen Gegenden (Anfang Oktober). Von da an begann allmählich ein langwieriger und opferreicher „Stellungskrieg", der sich auch ostwärts über den Festungsbezirk von Verdun bis Belfort ausdehnte.

B. Die ersten Kämpfe im Osten. Vgl. Karte S. 16.

1. Die österreichischen Worstöste. Gegen Serbien-Montenegro beschränkte sich der österreichische Angriff vorerst auf Absperrung der Grenz­ linien an der Donau und Save im Norden und längs der Drina im Westen. Die Hauptmasse der österreichischen Streitkräfte wurde gegen die Russen un die galizisch-polnische Grenze geworfen. Dort entwickelte sich zu Ende August -auf weitem Kampffelde eine wochenlang dauernde Schlachtenbewegung. Dabei -errang der linke Flügel der Österreicher, der nach Polen eingedrungen war, heftig umstrittene Siege zwischen Weichsel und Bug (bei Krasnik und Zamosch), aber im östlichen Galizien wurde ihr rechter Flügel alsbald von der Übermacht des Feindes bis über Lemberg zurückgedrängt (3. Sept.). Damit gingen auch die nordwärts gewonnenen Vorteile wieder verloren. Die gesamte Schlachtlinie wurde zurückgezogen und am San, einem rechten Neben­ flüsse der Weichsel, und in der Festung Przemysl in Verteidigungsstellung gebracht (Mitte September).

2. Die deutsch-russischen Kampfe. Die von russischen Kavallerieab­ teilungen eingeleiteten Grenzangriffe schlugen in erste Erfolge der Deutschen um (bei Kalisch und Czenstochau in Polen, bei Soldau und Stallupönen in Ostpreußen). Erst gegen Ende August vermochten die Feinde mit größeren Heeresmassen nach Ostpreußen in zwei Armeen vorzudringen: nordwärts über Gumbinnen nach Insterburg, südwärts gegen Allenstein. Hier aber von der Armee des Generals v. Hindenburg mächtig gefaßt und gegen die Masurischen Seen geworfen, erlitten die Russen auf der weiten Schlachtlinie Gilgenberg-Ortelsburg — auch Schlacht bei Hannenöerg geheißen — eine vernichtende Niederlage, bei der 90000 Mann in Gefangenschaft gerieten und 550 Geschütze genommen wurden (29. Aug.). In die Folgen dieser Niederlage wurde weiter nordwärts bei Angerburg auch die andere russische Armee gerissen, die von dort aus schon den Vorstoß nach Königsberg geplant hatte. Darauf rückte Hindenburg nach Polen vor und besetzte den Grenzbezirk von Suwalki (Mitte Sept.). Die freigewordenen deutschen Streitkräfte wurden zum großen Teil an die Südwestgrenze von Polen befördert, um dort den Österreichern beizuspringen. Schon Ende September setzte auf der Linie Czenstochau-Krakau wieder eine Angriffsbewegung der beiden Verbündeten ein in der Hauptrichtung auf Iwangorod und Warschau an der Weichsel

(Fortsetzung S. 9, Abs. 3).

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II. Der europäische Völkerkrieg 1914.

C. Die ersten Kämpfe zur See und in den Kolonien. 1. Jur See kam es — abgesehen von einzelnen Kreuzer- und Torpedoboots­ begegnungen und den durch Minenlegung verursachten Schäden — längere Zeit mcht zu größeren Zusammenstößen. Die englische Flottenleitung beschränkte sich einstweilen darauf, im Kanal die Überschiffung des Expeditionsheeres nach

Frankreich zu decken. Eme Art Aufklärungsgefecht bei Helgoland (am 29. Aug.) kostete der deutschen Flotte den ersten größeren Verlust von 4 Schiffen, die trotz waghalsiger Tapferkeit der feindlichen Übermacht unterlagen. Doch fehlte es weiterhin auch nicht an glänzenden Gegenerfolgen deutscher Kreuzer und Unterseeboote in den heimischen und auswärtigen Meeren. Im Adria­ tischen Meere suchte ein vereinigtes französisch-englisches Geschwader den

Österreichern zuzusetzen.

2. Von den deutschen Kolonien hatten zuerst Togo, Neuguinea und Samoa, alsbald auch Deutsch-Ostafrika englische Feindseligkeiten zu erfabren. Nach Kamerun drangen französisch-englische Kolonialtruppen ein; gegen Deutsch-Südwestafrika wurden unter Führung des südafrikanischen Ministers Botha, des abtrünnig gewordenen Freiheitskämpfers, die Buren­ völker mißbraucht. Zur Bedrängung von Kiautschau gewann die britische Regierung einen Genossen ihrer Seeräuberpolltik an dem versteckten Volke der Japaner. Die verweigerte Auslieferung des deutschen Schutzgebietes erwiderte der gelbe Asiate, der jahrzehntelang als Gast dem deutschen Volke ferne Kulturfortschritte abgelauert hatte, mit glatter Kriegserklärung (23. Aug.) — „trotz glühender Ergebenheit für die Sache des Friedens", rote der Mikado verkündete. Damit trat der siebente Feind gegen Deutschland aus den Plan. „Hier werden weitere Kriegserklärungen entgegengenommen", hat wohlgemut der deutsche Soldatenwitz geschrieben. 3.

Krster Hverökick.

Kriegsmonaten. drohte

Großes war geschehen in den ersten zwei

Im Westen und Osten hatten die Deutschen die ange­

„Zermalmung"

zuschanden gemacht und die Waffen siegesstark

auf feindlichen Boden getragen.

Demgegenüber eröffneten die verbün­

deten Gegner einen schmählichen Feldzug der Verleumdung gegen Deutsch­ land und warben gleichzeitig auf der ganzen Welt um Hilfe und Zu­ zug.

Auch hat die geschäftige englische Regierung durch den Londoner

Vertrag im voraus ihre Verbündeten darauf verpflichtet, daß spätere Friedensfragen

dürften.

nur

im

gemeinsamen Einvernehmen

behandelt

werden

Und was der Krieg der Waffen und der Lügen nicht erreichte,

das sollte em erbarmungsloser Wirtschaftskrieg zustande bringen.

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III. Der Weltkrieg seit Oktober 1914.

III. Abteil.

Der Weltkrieg seit Oktober 1914. 1. Pie KikfsKräfte der Verbündeten. Schon von Anfang an hatten Rußland, Frankreich und England ein buntes Gemisch aller Völker­ rassen aus ihren fernen Herrschaftsgebieten, aus Sibirien und Zentral­ asien, aus Nord- und Mittelafrika, aus Indien und Australien, aus Kanada und anderen Kolonialländern, auf die europäischen Kriegsschauplätze gerufen — zum Kampfe gegen die „deutschen Hunnen" und zur Rettung der „Freiheit" vor dem „preußischen Militarismus". In Wahrheit dienten sie alle miteinander der englischen Herrschsucht und Seegewalt über das Erdenrund. Schlauer verhielten sich nur die Japaner, die als „Verbündete Englands" ungestört darangingen, ihre eigene Vormachtstellung in Ost­ asien aufzurichten: durch die Eroberung von Kiautschau, woselbst die todesmutige Besatzung nach zweimonatiger Belagerung der unnatürlichen Überzahl ihrer japanisch-englischen Gegner erlag (7. Nov.), durch die Wegnahme der deutschen Inselgruppen der Karolinen und der Marianen, durch die Besetzung der Halbinsel Schantung (landeinwärts von Tsingtau) und andere Gewaltschritte gegen China. Hingegen verweigerten sie den „Verbündeten" beharrlich die verlangte Truppensendung nach Europa. Um so ungebärdiger wurde das Drängen des Dreiverbandes auf die neutralen Staaten Europas. Aber weder in der Maske der Freundschaft noch mit den Mitteln der Drohung und der Handelsschädigung vermochte er vorerst weitere Überläufer zu gewinnen, weder an Holland und den nordgermanischen Staaten, die im allge­ meinen eine ehrenfeste Unparteilichkeit behaupteten, noch an der Schweiz und Ita­ lien, obschon hier einzelne Volkskreise und besoldete Zeitungen eine wüste Kriegs­ hetze betrieben, ja nicht einmal an der englischen Vasallenrepublik Portugal. Am heftigsten dauerten die Treibereien fort gegenüber den Balkanstaaten, wo von vorn­ herein den Franzosen- und Russenfreunden in Griechenland und Rumänien die deutsch-österreichischen Sympathien der Bulgaren und Türken gegenüberstanden.

2. Iortsetzung des Krieges in Wetgien und Krankreich. Zu Anfang Oktober war Lille eingenommen worden. Am 9. Oktober fiel trotz der eng­ lischen Hilfe auch die starke Festung Antwerpen mit ihrem doppelten Ring von Vorwerken in die Gewalt der Deutschen (General v. Beseler). Vom Reste der belgischen Truppen wurde ein Teil auf neutrales Gebiet von Holland gedrängt und entwaffnet. Der größere Teil, mit König Albert an der Spitze, vermochte sich längs der Küste südwestwärts zu retten und den Anschluß an das englisch-französische Heer zu gewinnen, das inzwischen seine Schlachtlinie von der Aisne aus bis an die Nordseeküste verlängert hatte. Dort an der Südwestecke Belgiens, in West flandern, stießen die über Brügge und Ostende nachsetzenden deutschen Truppen auf entschlossenen Widerstand, der an den Kanälen und Dünen eine natürliche Verstärkung fand und zugleich vom

III. Der Weltkrieg seit Oktober 1914.

9

Meere her durch englische Kriegsschiffe unterstützt wurde. Indem fortan beide Teile sich in Schützengräben und anderen Feldbefestigungen verschanzten und zum Stellungskampf übergingen, bildete sich eine doppelte eiserne Schlacht­ linie, die von der flandrischen Küste südwärts bis an die Oise, von da längs der Aisne nach Osten und nach einer Ausbiegung um Verdun südwärts bis über die Vogesen reichte (in einer Länge von 930 km). Dabei kam es fast Tag um Tag, bald da bald dort, zu blutigen Teilan­ griffen oder Durchbruchsversuchen: bei Nieuport und Dixmuiden, am Merkanal und vor Dper n (in Flandem), bei Armentieres und La Bassee (in der Nähe von Lille), weiter südwärts vor Arras und Albert, bei Noyon a. b..Oise, vor Soissons a. d. Aisne, vor Reims, bei Souain und Perthes (in der Champagne), ferner in den Argonnen, in der Wokvre-Ebene und bei St.-Mihiel (im Nord­ westen, Osten und Süden von Verdun), an der lothringischen Grenze vor Nancy und Luneville, endlich in den Vogesen und dem südlichen Elsaß (vgl. Karte der Westfront S. 28). In dem langwierigen Aufreibungskrieg blieben überwiegend die Deutschen im Vorteil trotz zähester Anstrengungen der gegnerischtzn Heerführer Joffre und French. 3. Aorkgang der Kämpfe im Hflen. Unterdessen spielte sich auf dem polnisch-galizischen Kriegsschauplatz ein ereignisschwerer erster Feldzug in mehreren Abschnitten ab. a) Anfangs Oktober war unter Hindenburgs Oberleitung und im engen Anschluß an die österreichische Heeresführung (unter Erzherzog Friedrich) ein Angriffsvorstoß in der Richtung auf Warschau und Iwangorod eingeleitet worden. Als aber dort die Russen eine mehr als zweifache Übermacht über die Weichsellinie vorschickten, gebot die Vorsicht ein planmäßiges Zurück­

weichen bis an die Warte und die Gegend vor Krakau (Ende Okwber). Auch nach Ostpreußen brachen die Russen abermals ein. b) Aber schon Mitte November begann eine zweitmalige Vorwärtsbewegung: Hindenburg und sein Untergeneral Mackensen schlugen die bereits auf Thom vordringenden Russen an beiden Weichselufern (nordwärts bei Lipno und Plozk, südwärts bei Wlozlawek und Kutno) und warfen darauf die Hauptmasse der mssischen Heeres­ völker zu Anfang Dezember über Petrikau, Lodz und Lowitsch in den inneren Weichselbogen (jenseits der Bsura und Piliza) zurück. Gleichzeitig rückten die Österreicher an der oberen Weichsel in Westgalizien (bis an die Nida und

den Dunajez) vor. Zu Mitte Dezember war der Massenangriff der mssischen „Dampfwalze" zusammengebrochen, den verbündeten Siegem wieder gegen 130000 Gefangene in die Hände gefallen, c) Der fernere Krieg, zu un­ wirtlicher Winterszeit fortgesetzt, entwickelte sich auch hier zum beschwerlichen Stellungskampf, obschon „Feldmarschall" Hindenburg sich bemühte, den Gegner weiter ostwärts zurückzudrängen. Der größte Tell von Galizien und der Bukowina bis in die Karpatenpässe hinein, ebenso das Grenzgebiet von Ost­ preußen, konnten noch immer durch die Russen behauptet und schwer miß­ handelt werden (vgl. Karte der Ostfront S. 16). Dr. Sinter, Lehrgang der Vaterland. Gesch.. II. Teil - Anhang.

2

10

III. Der Weltkrieg seit Oktober 1914.

Von geringer Einwirkung auf die Gesamtlage war bisher der Kampf gegen Serbien geblieben. Zwar hatte am 2. Dezember eine österreichische Heeresabteilung endlich die Hauptstadt Belgrad eingenommen, aber ihr weiterer Vormarsch ins gebirgige Jnnenland endete schon in den nächsten Wochen mit völligem Mißerfolg und zog die Preisgabe alles früheren Ge­ winnes nach sich. Erfolgreicher verliefen scharfe Angriffe der Österreicher

(unter General Pflanzer-Baltin) in der Bukowina. Am 17. Februar 1915 wurde die Hauptstadt Czernowitz wiedererobert, während eine österreichisch­ deutsche Truppenvereinigung in schwierigsten Winterkämpfen die Karpaten­ übergänge (bei Dukla, Lupkow und Uszok) zu behaupten suchte. 4. Ostpreußens Wefreiung. Noch war die allgemeine Aufmerksamkeit dem vermeintlichen Hauptangriff der Deutschen gegen Warschau zugewendet. Da erfolgte, im stillen vorbereitet, eine breit ausholende Kriegstat gegen den nördlichsten Flügel der Russen, der sich seit Monaten in Ostpreußen auf einer Linie von Tilsit bis an das Südende der Masurischen Seen festgesetzt hatte: Hindenburgs strategische Kunst erfaßte ganz unerwartet wie mit eherner Zange von Nord und Süd die gegnerische Truppenmasse und schlug sie in der

neuntägigen „Winterschlacht in Masuren" bis zur völligen Vernichtung (Mitte Februar 1915). Der glorreiche Kampf, der abermals 110000 Gefangene und über 300 Geschütze einbrachte und die zweitmalige Befreiung Ostpreußens bewirkte, hatte sich in Anwesenheit Kaiser Wilhelms abgespielt. Die Sieger drangen wieder über die Grenze nach Suwalki und Augustow vor und bedrohten in den folgenden Wochen bereits die Festungen längs der Njemen-, Bobr- und Narewlinie. In den Monaten März und April setzte sich auf der über 1350 Kilometer langen Schlachtlinie von Memel bis zur Bukowina ein fast ununterbrochenes heftiges Ringen fort. Dabei wurde zwar der russische Anprall auf die Karpatenpässeaufgehalten, aber am 22. März fiel in Galizien die tapfer verteidigte Hauptfestung Przemy sl, durch Hunger zur Übergabe genötigt.

5. Die Mrkei gegen den Dreiverband. Eine folgenreiche Erweiterung des Weltkrieges war zu Ende Oktober 1914 am Balkan vor sich gegangen. Die türkische Abwehr russischer Minenleger im Bosporus hatte zu einem Zusammenstoß der beiderseitigen Kriegsschiffe im Schwarzen Meere geführt. Rußland und seine Verbündeten, die ohnehin gegen die Türkei aufgebracht waren wegen des ver­ weigerten Anschlusses und wegen der Erwerbung von zwei deutschen Kriegs­ schiffen, schritten zur gemeinsamen Kriegserklärung. Entschlossen trat der os­ manische Staat, der solange von Rußland bedroht und von England und Frankreich wirtschaftlich geknechtet worden war, als dritter Freund an die Seite der beiden Zentralmächte, wie es wohl von vorneherein in seinen Absichten gelegen war. Auf den Ruf des Sultan-Kalifen sollte der gesamte Islam, so­ weit die Möglichkeit dazu bestand, die Waffen erheben zum „Heiligen Krieg"

gegen die russischen, englischen und französischen Bedränger.

Damit entstand für den Dreiverband plötzlich viel neue Kriegsarbeit im Osten, indem die Türken sofort zum Angriff vorgingen: im Schwarzen Meer und in Armenien gegen die Russen, am Persischen Golf und am Suezkanal gegen die Eng­ länder. Erst zu Ende Februar 1915 — bald nach Hindenburgs neuester Sieges­ tat — schritten die Verbündeten zu einer gewagten Kraftanstrengung, die gegen Konstantinopel selbst gerichtet war (Fortsetzung S. 13).

6. Kämpfe der Deutschen zur See und in der Auft. „Gott strafe England!" war wie zur bitteren Grußformel geworden gegenüber der verbrecherischen Art des englischen Geschäftskrieges. Mit heldenhaftem Wagemut nahmen die wenigen deutschen Kriegsschiffe, die noch auf offenem Meere kreuzten, den Kampf gegen die britische Flotte auf, wo immer sie die Gelegenheit fanden: Sieg des aus fünf Einheiten bestehenden Auslandsgeschwaders unter dem Grafen Spee an der Küste von Chile (1. Nov. 1914) und ihr späterer Todeskampf bei den Falklandsinseln (8. Dez.), diesmal gegen die achtfache Überlegenheit einer englisch-japanischen Schlachtflotte; Ruhmestaten des Kreuzers Emden bis zu seinem Untergang m den indischen Gewässern (9. Nov.). Auch im Atlantischen Ozean und besonders in den Meeren der Nordsee und des Kanals führten einzelne Kreuzer und Unterseeboote, wie U9 und U29 unter Kapitän Weddigen, verwegene Angriffe mit glänzend­ stem Erfolge aus. Emen wirksamen Schrecken bereitete den Briten die Beschießung ihrer Küstenstädte, noch mehr die erstmalige Ankunft der Zeppelinschiffe und ihr nächtlicher Luftkrieg gegen innere Landstriche nordwärts von London (19. Jan.). Eine mißlungene Vergeltung war eine kleinere Seeschlacht in der Nordsee, die einen unentschiedenen Ausgang nahm (24. Jan.). Vollsten Erfolg hinge­ gen trugen die deutschen Tauchboote davon, die am 31. Januar ihr kühnes Kriegswerk sogar in der Irischen See übten: die Versenkung von fünf englischen Handelsschiffen (zwischen Belfast und Liverpool) war eine schallende Antwort auf die eben angekündigte „Aushungerung", womit die Engländer das deutsche Volk in die Kniee niederzwingen wollten. 7. Der wirtschaftliche Krieg. England hatte am 3. Nov. 1914 die ganze Nordsee als Kriegsgebiet gesperrt. Durch diese Blockade war Deutschland nicht nur vom eigenen Seeverkehr sondern auch von neutraler Zufuhr fast völlig ab­ geschlossen. Hingegen bezogen England und Frankreich unbehindert alle Einfuhr, darunter auch reichlichen Munitionsbedarf, von auswärts, namentlich aus dem „neutralen" Amerika. Aber die Unterbindung des deutschen Handels, ebenso die Aufbringung und Durchsuchung der neutralen Schiffe auf Banngut oder Konter­ bande an Deutschland und der Verlust eigener Schiffe brachten auch für England selbst eine empfindliche Verringemng und Verteuerung des Handelsverkehrs mit sich. Auf diesen aber war das Jnselland weit mehr als das binnenländische Deutschland angewiesen. Um so bedrohlicher wurde für England die neuartige Gefahr der Unterseeboote.

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III. Der Weltkrieg seit Oktober 1914.

Das Deutsche Reich hatte, gerade infolge der englischen Absperrung, recht­ zeitig seine wirtschaftliche Erhaltung aus eigener Kraft sichergestellt: durch die einmütige Bewilligung eines zweiten und dritten Kriegskredits von weiteren fünf und zehn Milliarden lReichstagssitzungen vom 2. Dezember und lO.März), durch Beschaffung alles Kriegsbedarfes im eigenen Lande, durch Festsetzung von Höchstpreisen für Getreide, Kartoffeln und andere Lebensmittel, durch staalliche Beschlagnahme und vorsorgliche Zuweisung der Mehl- und Brot­ vorräte, durch Borkauf der Wolle, der Metalle und sonstiger Bedarfsgegenstände für mllitärische Zwecke. Mit Stolz bekundeten Boll und Heer den unerschütter­ lichen Willen zum „Durchhalten bis zum vollen Sieg". An die Seite der Wehrpflicht stellte sich ebenbürtig die „Sparpflicht" und die „Zahlpslicht"; zu früheren fünf Milliarden wurden im März 1915 nochmal neun Milliarden neuer Kriegsanleihe gezeichnet. Der ruchlos aufgedrungene Kampf hob mächtig alle sittlichen Werte der Nation und steigerte stündlich Gemeinsinn und OpferwMigkeit. England mit seinen Sllavenvöllern und Söldnertruppen hatte bey Krieg fortzusühren erklärt „bis zum letzten Penny", Deutschland „bis zum letzten Mann".

8. Gesteigerte Ker-itterrrng. In ihrer Verhöhnung des Völkerrechtes und dem aberwitzigen Haß gegen Deutschland hatten die vereinten Gegner eine wlllfährige Unterstützung an der ausländischen Weltpresse, die allein noch von englischem Kabeldienst und Funkspruch beherrscht und irregeleitet wurde. Das übrige sollte durch Geld gemacht werden: mit „silbemen Kugeln" rechnete die englische Staatsleitung den Krieg zu ihrem Vorteil zu wenden. Als sie aber gar, erschreckt durch die jüngsten Erfolge der deutschen U-Boote, in einem Geheimerlaß anordnete, daß die britischen Handelsschiffe fortan unter neutraler Flagge und falschen Namen fahren sollten, da erwiderte der deutsche Admiralstab das hinterlistige Vorgehen mit einer strengen Bergeltungsmaßregel: vom 18. Februar an wurden alle Gewässer rings um Großbritannien und Irland einschließlich des englischen Kanals als Kriegsgebiete erklärt. Das bedeutete einen schonungslosen Kampf der Tauchboote gegen die englische Handelsschiffahrt als Erwiderung der Blockade und des „Aus­ hungerungskrieges". Darüber allenthalben neuer Lärm gegen die „Barbarei" der Deutschen und ihre „Kriegsgreuel", mit der Zeit aber doch auch zage Einsprüche, nicht mehr bloß gegen Deutschland wegen Schädigung der einträglichen Kriegsgeschafte, sondern auch gegen den englischen Flaggenbetrug, der die neutrale Schiffahrt durch Verdächtigung gefährdete. Aber trotz der schweren Schäden, die der Unter­ seekrieg bereits Tag für Tag mit sich brachte, widerstrebte die englische Regierung starrsinnig jeder Vermittlung. Um die Welt anderweitig in Atem zu halten, setzte sie im Verein mit Frankreich ein lärmendes Unternehmen ins Werk: den gemeinsamen Ansturm auf die Dardanellensperre und damit gegen den Bestand des Türkischen Reiches.

IV. Erweiterung des Weltkrieges und neue Orientfragen 1915.

13

IV. Abteil.

Erweiterung des Weltkrieges und neue Orieutfragen 1915. 1. Jlm Konstantinopel und die Aardanelke«. In der Sitzung der Reichsduma vom 10. Februar 1915 hatte die russische Regierung

als Hauptziel ihrer politischen Gelüste die Eroberung von Konstantinopel, dem künftigen „Zarigrad", angekündigt und damit auch die gewaltsame Öff­ nung der Wasserstraße nach dem Mittelmeer. Solche Absichten Rußlands hatten ehemals England und Frankreich mit allen Mitteln der Waffen (Krimkrieg 1854) und der Diplomatie (Friede von San-Stefäno bei Konstantinopel 1878) vereitelt. Jetzt aber schickten beide in auffälliger Eile, noch Mitte Februar, eine starke Flotte gegen die Dardanellen aus, um ihrerseits den Seeweg nach der türkischen Hauptstadt zu er­ zwingen. Hiedurch sollten zugleich nicht nur Ägypten und der Suez­

kanal von der türkischen Bedwhung befreit, sondern auch die neutralen Staaten des Mittelmeeres und des Balkans zu raschem Anschluß an den Dreiverband genötigt werden. Griechenland vor allem sollte die Landmacht stellen, die zur Besiegung der

Türken erforderlich schien. Mer der herrische Druck erzeugte das Gegenteil. Mit

mannhaftem Entschluß versagte jetzt König Konstantin mit der Mehrheit seineStaatsrates den zugemuteten Vasallendienst (6. März), „aus Rücksicht für sein erschöpftes Land", wie verlautete, wohl noch mehr zur Vermeidung des sicheren Waffenganges gegen Bulgarien. Die Schlappe zu verhüllen, mußte der Dreiver­ band das Unternehmen mit eigenen Mitteln weiterführen. Die von starken

Seestreitkräften begonnene Beschießung der äußeren und inneren Dardanellen­ befestigungen scheiterte (am 18. März) unter schweren Schiffsverlusten an der erfolgreichen Abwehr der Türken. Ein besser vorbereiteter, mit Land- und See­ truppen zugleich ausgeführter Angriff auf die Landzunge Gallipoli endete am 27. April mit einer zweiten Niederlage. Aber zähe wurden die Anstürme noch lange fortgesetzt, vorzüglich mit australischen und neuseeländischen Truppen (vgl. S. 22).

2. Japans Machenschaften in Mafien. „Völker Europas, hütet eure heiligsten Güter!" Entgegen dieser Warnung des Deutschen Kaisers vor der Gelben Gefahr hat England die Asiaten auf die abendländischen Schlachtfelder gerufen. Mittlerweile vermochte Japan, das schon die deutschen Kolonien des Ostens an sich gerissen hatte, mit brutalen Herr­

schaftsansprüchen auch gegen China hervorzutreten. Dank der verirrten Politik Europas erpreßte der Mikadostaat, das „England des Ostens", vom hilflosen Nachbar die „Schuyrechte" über die Mandschurei und über Schantung; andere Zugeständnisse erzwang — ohne Rücksicht auf Eng­ land und Amerika — seine offene Kriegsdrohung. Auch von Rußland

14

IV. Erweiterung des Weltkrieges und neue Orientfragen 1915.

erwarb Japan späterhin, als Entgelt für seine Kriegslieserungen und sonstigen Beistand, vertragsmäßige Vorrechte in den wichtigsten Gebieten des russischen Ostens. Anderseits hatte die asiatische Vormacht dem englischen Verbündeten die hilf­ reiche Hand geliehen nicht nur zum Seekrieg gegen Deutschland, sondern bereits auch zur Unterdrückung von Unruhen im indischen Kolonialreich, dessen Truppen unterdessen auf französischem Schlachtgefilde die britische „Kultur" verteidigten. Auch Amerika, nicht minder auf den eigenen Vorteil bedacht, fuhr eifrig fort, dem Dreiverband um gutes Geld das nötige Kriegsgerät zu bereiten und dafür die Handelsgeschäfte der Freunde an sich zu ziehen (Erhöhung der jährlichen Ausfuhr bis zum dreifachen Betrag des letzten Friedensjahres).

3. Wach tteittt Monaten des Weltkrieges. Offensivversuche der Engländer vor Lille und La Bassee (bet Neuve Chapelle), der Fran­ zosen im Artois (bei Arras) und in der Champagne, (bei Perthes) so­

wie an den Maashöhen vor Verdun waren eben abgeschlagen, bei Ipern in Flandern neue Fortschritte erzielt worden. Ungeschwächt standen zu Ende April 1915 die deutschen Heere in Belgien, Nordfrankreich und Westpolen auf erobertem Feindesboden, der gerade die an Feldfrüchten und Bodenschätzen ergiebigsten Gebiete umfaßte. Dazu hatten sie über 800000 Gefangene gemacht und 5500 Geschütze erbeutet. Von einer deutschen „Südarmee" unterstützt, hatte auch der österreich-ungarische Bundesgenosse in beschwerlichsten Kämpfen den Karpatenwall gegen die russische Überflutung seines Vaterlandes gehalten (Erstürmung des

beherrschenden

Vorberges Zwinin durch Truppen des bayerischen Ge­

nerals von Bothmer am 9. April).

In den englischen Meeren aber

arbeitete das deutsche Tauchboot und an den Dardanellen trotzte der Halbmond den vereinten Gegnern. So schien sich bereits der Schleier etwas zu hellen, der über dem Bildnis der Zukunft lag. „Was B is m ar ck geschaffen" — fo hatte Kanzler Bethmann-Hollweg am I. April 1915 bei der ernsten Gedächtnisfeier des hundertsten Geburtstages des Reichs­ gründers gesagt —, „kein Deutscher läßt es sich rauben. Feinde umtoben das Reich, wir werden sie schlagen. Er lehrte uns: Furcht nur vor Gott, Zorn gegen den Feind und Glauben in unser Volk. So werden für Kaiser und Reich wir kämpfen, siegen und leben." Heimlich schmiedete aber, wie erst später ruchbar

wurde, bereits damals ein falscher Freund eidbrüchige Pläne.

4. Italiens Werräterei. In der Zeit der grimmen Karpatenkämpfe hielten die Kriegstreiber in Italien die Stunde für gekommen, um das

längst vorbereitete Werk des Abfalles zu vollziehen. Am 25. April 1915 vereinbarte die Regierung der Minister Salandra und Sonnino mit England und Frankreich insgeheim den Übertritt vom Dreibund zum Dreiverband.

Bald darauf, am 4. Mai, wurde zu Wien in amtlicher Form das bis-

V Der galizisch-polnische Feldzug gegen Rußland seil 1. Mai 1915.

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herrge Bündnis gekündigt unter der Anschuldigung, daß Österreich im Vorjahre durch fernen Angriff auf Serbien dre Vertragsbestrmmungen hmfällrg gemacht habe. Gleichwohl setzte dre rtalrenische Regierung heim­

tückisch und mit widersinnig gesteigerten Ansprüchen

auf österreichische

Landesteile noch Verhandlungen fort. Aber sobald die Rüstungen vollendet waren, warf Salandra die Maske ab und erklärte am 23. Mar unter dem Beifall des aufgehetzten Straßenvolkes den „nationalen" Krieg an Österreich. Der feindliche Dreiverband war zum Vierverband ge­ worden. Dem Jubel der vereinten Gegner stellten die Verratenen die Würde der Selbst­ achtung entgegen, dazu aber den unentwegten Kampfeswillen auch gegenüber der neuen Achtzahl der Feinde. Der Krieg sollte fortgesetzt werden bis zur Erreichung der „realen Sicherheiten unserer Zukunft", wie der deutsche Kanzler in der Reichstagsfitzung (vom 28. Mar) bekundete. Zwar eröffneten die Italiener sofort mit Übermacht die Angriffe auf die „unerlösten" Gebiete, namentlich längs desJsonzo, wo es auf die Überrumpelung von Görz und Triest abgesehen war, und in den tirolischen Grenzgebieten, wo Trient und das ganze Etschtal die Raubziele bil­ deten. Aber überall stieß der Anlauf gegen die österreichischen Höhenstellungen auf todesmutige Abwehr. Die mit hohen Blutopfern fortgesetzten Gebirgskämpfe ver­ mochten nicht einmal jene Gebietsstriche von Welschtirol zu erobern, die Österreich auf Deutschlands Vermittlung dem neutralbleibenden Freunde freiwillig dargeboten hätte. Hingegen ging das jüngst gewonnene Kolonialland Tripolis größtenteils an die aufständischen Araberstämme verloren. Noch niederschmetternder waren die Schläge, die der russische Bundesgenosse auf den polnischen Kampfseldern erlitt.

V. Abteil.

Der galizisch-polnische Feldzug gegen Rußland seit 1. Mai 1915.

1. Der große Durchbruch in Galizien. Noch im April hatte eine österreich-ungarische Armee die Bukowina zurückgewonnen. Am entgegengesetzten Ende der großen Schlachtfront, von der unteren Memel aus, rückten Hmdenburgische Truppen nach Kurland vor und gelangten in kurzer Frist bis nach Schaulen und Libau. Im übrigen erwartete man eine umfassendere Kriegstat gegen Warschau.

Da setzte em un­ geahntes Gewaltunternehmen in Westgalizien ein: starke deutsche Streit­ kräfte unter Mackensen, durchsetzt von österreichischen Heeresteilen,

zermalmten in den ersten Tagen des Mai die mächtig ausgebaute West­ front der Russen am Dunajez, in dem Raume von Tarnow bisGorlize.

Der meisterhafte Angriffsplan rührte von den Oberleitern der General­ stäbe

beider Hauptquartiere,

den Generalen Falkenhayn und Conrad

16

V. Der galizisch-polnische Feldzug gegen Rußland 1915.

V.

Der galizisch-polnische Feldzug gegen Rußland seit 1. Mai 1915.

von Hötzendorf, her. den San zurück.

17

Weitere Krastschläge warfen die Feinde bis über

Infolgedessen vermochten auch die tapferen Karpaten­

kampfer der Armee Linsingen ihre Gegner nach Mittelgalizien, in die

Ebene des Dnjesters, hinabzuzwingen.

2. Die Befreiung von Galizien 1915. In den Monaten Juni und Juli warf der geschlossene Angriff beider Heeresgruppen in heißem Ringen die Russen von Stellung zu Stellung nach

rückwärts.

Am 3. Juni

wurde Przemysl hauptsächlich durch bayerische Truppen, am 22. Juni auch Lemberg durch Österreicher wiedergenommen. Ganz Galizien, das

die Russen schon als gesicherte Beute betrachtet und noch vor kurzem zu einer Huldigung an den anwesenden Zaren genötigt hatten, wurde für Österreich zurückerobert mit Ausnahme des östlichsten Landstriches (jenseits

der Strypa mit Tarnopol).

Von Süden her bedroht, mußten die Russen

auch das Zentrum ihrer polnischen Front von der Piliza aus ostwärts

an die Weichsel zurücknehmen. Inzwischen waren entlastende Offensivstöße, welche die englisch-französischen Armeen an der Westfront bei Lille, Arras (Lorettohöhe) und den Maashöhen auSführten, wieder ziemlich erfolglos verlaufen.

Völlig aber zerschellten zu Wasser

und zu Lande die erneuten Anstürme gegen die Dardanellen und gegen Gallipoli (bei Ari Burun), namentlich seitdem dort deutsche U-Boote die stärksten Linienschiffe

und Kreuzer der Gegner versenkten. Dieser gefürchteten Waffe erlagen auch in den englischen Gewässern noch zahlreiche Kauffahrteischiffe darunter der bewaffnete und

mit amerikanischer Munition reichbeladene Riesendampfer „Lusitania" (7. Mai), wobei gegen 1500 Fahrgäste die vermessene Benützung gerade dieses Schiffes mit dem Leben büßten. Der darüber in Amerika entfachten Aufregung setzte die deutsche Regierung das gute Recht der Kriegsnot entgegen. Ähnliche Reibungen wiederholten sich in der Folge mit Österreich wegen der Versenkung deS italienischen Dampfers

„Ancona" im Mittelmeer und mit Deutschland infolge des Untergangs der „Sussex" in den holländischen Gewässern. Entgegenkommende Verhandlungen vereitelte die englandfreundliche Stimmung der Amerikaner und ihrer Presse, die dem guten Willen

Deutschlands ein vorsätzliches Mißverstehen und immer neue Schwierigkeiten ent-

gegenstellte.

3.

I»er Hvergang in das zweite Kriegsjahr. Auf mächtig er-

weitertem Kampffelde, aber mit ungeminderter Kraft trat Deutschland im August 1915 in das zweite Kriegsjahr ein. Sein wirtschaftlicher Bedarf war

durch vielerlei innere Maßnahmen gesichert. Den finanziellen Halt im beson­ deren gab der einhellig genehmigte Kriegskredit von abermals lOMMarden Mark (Reichstagssitzung vom 20. Aug. 1915) und der freudige Wetteifer, womit das deutsche Volk bald darauf über 12 Milliarden auf eine dritte Reichsanleihe zeichnete. Die Absperrungsmaßregeln der Feinde hatten ja dafür gesorgt, daß das deutsche Geld nur in den eigenen Kanälen kreiste. Gleich erhebend gestalteten sich die ferneren militärischen Erfolge, namentlich auf dem Dr. Winter. Lehrgang der Baterländ. Sesch., II Teil.* Anhang.

3

18

V. Der galizisch-polnische Feldzug gegen Rußland seit 1. Mai 1915.

östlichen Kriegsschauplätze,

wo feit Anfang August die deutschen und

öster­

reichischen Heere eme weltbewegende Siegesfahrt über polnisch-russische Schlacht­ felder antraten.

4. Die Auguft-Siegestage in Noten 1915. Von Nordgalizien aus, zwischen San und Bug, überschritten die verbündeten Sreger die polnischen

Landesgrenzen und setzten sich in Bewegung gegen Lublin und Cholm. Damit war gleichsam das Zeichen gegeben zur Entfesselung aller harrenden Kräfte. Drei große Heeresgruppen, geführt von Hindenburg im Norden, von Mackensen im Süden und von dem bayerischen Prinzen Leopold im mittleren Abschnitt, bildeten eine geschlossene Angriffsfront, die bogen­ förmig von Kurland über Westpolen bis nach Nordgalizien verlief und sich konzentrisch nach Jnnenpolen vorschob.

Ihr überwältigender Druck

riß die ganze feindliche Verteidigungslinie nieder. Der Tapferkeit der Truppen und ihren Umklammerungsmärschen erlagen jäh nacheinander all die zahlreichen Festungen am Narew und an der Weichsel, am Bug und am Njemen. So wurden zunächst Pultusk, Ostrolenka und Lomscha eingenommen (durch Hindenburgs Ge­

nerale Gallwltz und Scholz), dann Iwangorod am 4. Aug. (durch die Generale Woyrsch und Köveß) und Warschau am 5. August (durch Prinz Leopold), ferner Kowno (durch General Eichhorn am 18. Aug.) und Nowo-Georgiewsk oder Modlin (durch General Beseler am 20. Aug.), endlich noch Brest-Litowsk am Bug (durch „Feldmarschall" Mackensen und den österreichischen General von Arz am 26. Aug.) und Grodno am Njemen (durch General Scholz am 3. Sept.). Die meisten dieser Bollwerke hatte die russische Armee in letzter Stunde geräumt, um der Einschließung zu entrinnen. Nur Nowo-Georgiewsk an der Bugeinmündung in die Weichsel und Kowno am Njemen waren durch Be­ lagerung und Sturm genommen worden, wobei gegen 3000 Geschütze und 110000 Mann Besatzung in die Hände der Sieger fielen.

5. Die Ausnützung der Siege. Die durch Streckung gekürzte Heeresfront setzte die Verfolgung des Gegners fort und schob sich über Flüsse, Wälder und Sümpfe weiter nach Kurland, Litauen und Wolhynien

vor.

Noch zu Mitte September wurde bereits Pinsk an den Rokitno-

sümpfen erreicht und nordwärts die litauische Hauptstadt Wilna (durch

General Eichhorn) besetzt.

Damit war auch das ganze Netz der polnischen

Verkehrsstraßen und Eisenbahnen gewonnen. Fast gleichzeitig nahm eine vierte Heeresgruppe des Generals Linsiugen die wolhynischen Festungen

Luzk und Dubno. So verlief seit Ende September die Schlachtlinie der Verbündeten von der Düna aus, wo die Hindenburgische Armee Below mittlerweile

VI. Der Weltkrieg auf dem Balkan seit September 1915.

19

Mitau genommen hatte und vor Riga und Dünaburg stehen blieb, ziemlich gerade südwärts, vor Tarnopol vorüber, bis an die rumänische Landes-

grenze.

Mehr als anderthalb Millionen ihrer Truppen hatten bisher

die Russen allein als Kriegsgefangene verloren, wohl doppelt so groß waren die sonstigen Einbußen. Solch unerhörten Mißerfolgen war schon zu Anfang September der großfürst­ liche Oberanführer Nikolai Nikolajewitsch, der grimmigste Deutschenhasser und Menschenschlächter, zum Opfer gefallen. Nach seiner Entfernung auf den Kau­ kasus-Kriegsschauplatz übernahm Zar Nikolaus selbst den Oberbefehl. Doch ver­ mochte auch er den Dingen keine andere Wendung mehr zu geben, obwohl die deutschen und österreichischen Heere sich fortan nur auf die Behauptung der erreichten Stellungen beschränkten. Für das befreite Polen wurde in Warschau eine deutsche Verwaltung eingerichtet (unter General von Beseler), in Lublin eine österreich-ungarische. Eine neue größere Entscheidung aber bereitete sich im Spätherbst, abermals unerwartet, auf einem ganz anderen Schauplatze vor.

VI. Abteil. Der Weltkrieg auf dem Balkan seit September 1915.

1. Die Mal'kannot des Merverbandes. An den Dardanellen und auf der Landzunge Gallipoli hatten die Verbandsmächte bisher nur Unehre und Niederlagen davongetragen. In ihren Nöten warben sie ungestüm um die Waffenhilfe der Balkanstaaten. a) Wutgarien. Seit dem Bukarester Frieden von 1913 waren Bulgariens Ziele auf die Rückgewinnung der stammverwandten mazedonischen Lande gerichtet, die Serbien an sich gerissen hatte. Vom Vierverbande mit un­ sicheren Versprechungen hingehalten, vollzogen König Ferdinand und Minister Radoslawow zunächst den nachbarlichen Ausgleich mit der os­ manischen Regierung: Bulgarien erhielt das türkische Grenzgebiet bis an die Maritza zugesprochen (Mitte September 1915). Zugleich aber wurde im geheimen die politische Annäherung an die siegreichen Zentralmächte eingeleitet. b) Hriechenkand und Rumänien. Zur Rache wollten die erzürnten Ver­ bandsmächte sofort die Griechen und die Rumänen in den Kampf gegen Bulgarien hetzen. Zum Schrittmacher ihrer Pläne, der ein Waffenbündnis

mit Serbien befürwortete, war im voraus der griechische Minister Venizelos gedungen. Um ihr gewalttätiges Vorgehen mit dem Schein des Siegertums zu stützen, setzten die Verbandsstaaten zu Ende September die lang­ verheißene „Herbstoffensive" ins Werk: die Engländer und Franzosen im Artois (bei Loos zwischen La Bassee und Arras) und in der Champagne 3*

20

VI. Der Weltkrieg auf dem Balkan feit September 1915.

(zwischen Perthes und Tahure), die Russen an der Düna und in Wolhynien, die Italiener namentlich im Küstengebiet des Jsonzo (bei Görz). Aber alle diese Vorstöße brachen ohne wesentliche Erfolge zusammen (Mitte Oktober).

Mittlerweile hatte der Griechenkönig den übelgesinnten Minister Venizelos entlassen und für sein Land die bewaffnete Neutralität verkündet.

Sein Beispiel und das vor gewagten Schritten vorerst versagt. Wohl gegen Serbien und

Angesicht der Kriegslage hielten, auch Rumänien zurück. Alle Winkelkünste und Drohungen hatten

kam ein neuer Balkankrieg, aber er richtete sich seine ohnmächtigen Verführer.

2. Bulgariens Eintritt in den Wund der Wittekstaaten. Nachdem mehr als Jahresfrist verstrichen war, sollte über den serbischen Staat und

VI. Der Weltkrieg auf dem Balkan seit September 1915.

21

sein Verbrechen das Strafgericht ergehen. Zu Anfang Oktober hatte Mackensen, der erprobte Schlachtenführer, längs der serbischen Save- und Donaugrenze ein aus deutschen und österreichischen Truppen bestehendes Heer unter den Generalen Gallwitz und Köveß aufgestellt. Das Zusammenwirken mit den Bulgaren war im stillen gesichert. Russische Drohungen beschleunigten den offenen Anschluß Bulgariens an die Mittelstaaten und seinen Eintritt in den Kriegszustand gegen Serbien. Damit war ein völlig Neues ge­ schaffen: ein starker Vierbund, dessen Macht von Berlin über Wien und Sofia bis nach Konstantinopel reichen und mittels der Bagdad- und Le­ vantebahn über ganz Vorderasien ausgreifen sollte. Auch dazu ging der

Weg über Serbien. 3. Der Serbische Krieg 1915. Nach einem kühnen Stromübergang am 6. Oktober, der die Besetzung von Belgrad und Semendria zur Folge hatte,

rückten die Armeen Köveß und Gallwitz von Norden her, seit Mitte Oktober auch die bulgarische Armee Bojadieff von Osten her siegreich in das Tal der Moräwa ein. Eine zweite bulgarische Armee (unter Todorow) ging südwärts gegen Üsküb und das mazedonische Gebiet von Neuserbien vor. Auf den Angst­ ruf der serbischen Regierung hatte zwar der Dreiverband Hilfstruppen gesandt, die er — nicht ohne Zwiespalt seiner Regierungsmänner— großenteils von der Halbinsel Gallipoli herübernahm und trotz des griechischen Einspruches in Saloniki landete. Aber der Vormarsch nach Serbien längs des Vardar war bereits durch die Bulgaren gesperrt. So hielt auch die gröblichste Verletzung der griechischen Neutralität nicht mehr das Schicksal auf, das sich innerhalb weniger Wochen an Serbien erfüllen sollte. Schon am 5. November fiel Ni sch, die zweite Hauptstadt des serbischen Landes, und in nächster Folge alle bedeutenden Plätze in den Tälern der beiden Arme der oberen Morawa. Am

9. November brachte der erste Zeppelin deutsche Grüße in die freudig erregte Hauptstadt Bulgariens. Letzte tapfere Kämpfe spielten sich zu Ende November noch bei Pristma ab, in den Gegenden des „Amselfeldes", wo dereinst das alte Serbenreich dem türkischen Eroberer (1389) erlegen war. Der Verlust von Prizren und Monastir im südwestlichen Teil des Landes (zu Anfang Dezember) vollendete den Untergang des serbischen Königreichs: gegen 150000 Mann waren in Ge­ fangenschaft geraten, alles Kriegsmaterial verloren gegangen, König Peter aber

landesflüchtig geworden. Versprengte Reste der Serben retteten sich, von den Bulgaren verfolgt, nach Albanien. Während die Armee Köveß sich gegen Serbiens Schuldgenossen in Montenegro wandte, warfen deutsche und bul­ garische Heeresteile einen verspäteten Vorstoß der englisch-französischen Hilfs­ truppen bei Gewgheli und Doiran über die griechische Grenze gegen Saloniki zurück

Sieger.

(12. Dezember).

Ganz Serbien blieb

in der Gewalt der vereinten

22

VI. Der Weltkrieg auf dem Balkan seit September 1915.

Der Balkanknoten war zerhauen, der serbische Feuerherd ausgetreten. Am 15. Jan. 1916 ging — ein Triumph des neuen Vierbundes — von Berlin und München der erste „Balkanzug" nach Konstantinopel ab. Am 18. Januar, dem geschichtlichen Gedenktag des Deutschen Reiches, begrüßten sich in Ni sch zur Besieglung ihres sieghaften Waffenbundes Kaiser Wilhelm und König Ferdinand, von Bulgarien. In den gleichen Tagen brach über Montenegro das verdiente Geschick herein (vgl. unten). Schon zehn Tage vorher hatte auch das Unter­ nehmen gegen Gallipoli ein beschämendes Ende genommen.

4. Der Ausgang des DardanetkenunLernehwens1916. Im Herbste 1914, als die Türkei Stellung gegen den Dreiverband nahm, hatte der englische Ministerpräsident Asquith erklärt: „Das Türkische Reich hat sich das Todes­ urteil gesprochen." Aber statt der angedrohten Vernichtung und Aufteilung brachte dieser Krieg der türkischen Nation einen ungeahnten Aufschwung. Wo immer die Gegner ansetzten, stellte sich ihnen tapferer Widerstand entgegen: in Armenien, in Mesopotamien und in Arabien, ganz besonders aber an den

Dardanellen und auf Gallipoli, wo der deutsche General Liman von Sanders als türkischer Marschall zur See und zu Lande die glänzende Abwehr lei­ tete. Nach einem Verluste von mehr als 250000 Mann, wozu noch eine Anzahl der besten Schiffe kam, sahen sich die Geschlagenen genötigt, das nutzlose Unternehmen einzustellen. In der Nacht des 8. Januar 1916 wurden die letzten Besatzungstruppen von Gallipoli (bei Seddil-Bahr) zurückgezogen und fluchtartig nach Saloniki verschifft. Das Dardanellen-Abenteuer war damit kläglich gescheitert. General Hamilton räumte in Unehren seinen Platz. Auch an der Westfront war der englische Heerführer French bereits durch General Haig ersetzt worden, und Joffre trat wenigstens das Feldkommando an Castelnau und Foch ab. In dieser Zeit der Verwirrung beschritt auf Frankreichs Drängen die englische Re­ gierung, die angeblich nur den preußischen „Militarismus" bekämpfte, einen um­ sturzartigen Ausweg: die Anbahnung des allgemeinen Wehrzwanges (zum Ge­ setz erhoben im Mai 1916). Hiedurch sollten die vom Kriegsminister Kitchener geplanten „Millionenheere" aufgebracht und die wankend gewordene Zuversicht von neuem angefacht werden.

5. Montenegros Antergang 1916. Als vorgeschobenes Bollwerk des Slaventums, das für Rußland den Ausgang zum Adriatischen Meer offenhalten sollte, war Montenegro von Anfang an ein willenloses Werkzeug des Drei­ verbandes. Zudem stand Nikita, der König der Schwarzen Berge, als „EntenteSchwiegervater" in nächsten Familienbeziehungen zum russischen und englischen, zum serbischen und italienischen Hofe. Daher richtete sich der serbische Krieg zugleich gegen Montenegro. Noch vor Mitte Dezember waren österreichische Truppen des Generals Köveß teils von Serbien teils von Bosnien her gegen das kleine Land vorgegangen. Auch hier wartete man vergeblich auf die Hilfe der großen Gönner. Am 9. Februar erstürmten die Österreicher von Cattäro aus die für unüberwindlich geltende Hochwarte des Lovtschen. Damit

VI. Der Weltkrieg auf dem Balkan seit September 1915.

23

ging auch die jenseits dieses Bergstockes liegende Hauptstadt Cetinje verloren. Von da an war aller Widerstand des kriegerischen Bergvolkes gebrochen. Der König bot dem Sieger die Unterwerfung an, die unter der Bedingung völliger Waffenstreckung vereinbart wurde (15. Jan. 1916). Zwar entzog sich hinterher König Nikita aus politischer Berechnung den ge­ planten Friedensverhandlungen durch die Flucht nach Frankreich. Aber das Land blieb ohne weitere Zwischenfälle in österreichischer Gewalt. So war nach Belgien und Serbien ein dritter Schützling des Vierverbandes hilflos gefallen.

6. Albanien 1916. Der weitere Krieg spielte naturgemäß in das herren­ lose Albanien hinüber. Hier hatten bald nach der Abdankung des Fürsten von Wied 1914 die Italiener die Küstenstadt Valona (gegenüber von Otranto), späterhin auch Durazzo (gegenüber von Brindisi) besetzt. Die Montenegriner aber hatten sich Skutäri und die anderen Orte am gleichnamigen See an­ geeignet. Mühelos nahmen jetzt die Österreicher Skutari in Besitz (24. Jan.), ebenso die montenegrinischen Hafenorte Antivari und Duleigno. Von da aus rückten die Sieger über Alessio und Tirana nach Durazzo vor und eroberten den Platz (27. Febr.). Während der Bierverband die griechische Insel Korfu be­ setzte und dort serbische Flüchtlinge sammelte, näherten sich österreichische Truppen dem Gebiet von Valona (Ende März), wo der Feldzug zu einst­ weiligem Stillstand kam. So schien der italienischen Regierung und ihrem „heiligen Egoismus" nach dem Hinterland von Tripolrs auch die albanische Beute entfallen. Dazu hatte sie sich auf einige Zeit den Unmut der Verbandsbrüder zugezogen, weil sie an­ gesichts der eigenen Not sich weigerte, ihr Kriegsvolk nach Saloniki oder an die französische Front zu schicken und damit unzweideutig den Krieg auch gegen Deutschland zu eröffnen.

7. Aas Sakoniki-Anternehwen. Monatelang zog sich — wohl im Hinblick auf Rumänien — das Salonikirätsel hin: große Truppenlandungen von allerlei Volk, drohende Vorbereitungen, wachsende Drangsalierung Griechen­ lands, das die geforderten Schergendienste noch immer verweigerte, aber keine Taten. Das alles unter der Oberleitung des französischen Generals Sarrail, des willigen Fronknechtes der Engländer, die sich in der ganzen Umgebung Salonikis häuslich einrichteten wie „daheim" im Gebiete von Calais. An der Landesgrenze aber stand, zu jeder Abwehr bereit, den französisch-englischen Feldbefestigungen eine starke Armee der Bulgaren und Deutschen gegenüber. Eine erkenntlichere Kampfesstimmung bekundeten die Russen, als sie in den Wintermonaten an der beffarabischen Grenze neue Streitkräfte in Bewegung setzten, um dort die österreichische Frontlinie zu durchbrechen und zugleich Ru­ mänien aus seiner Neutralität herauszunötigen, beides vorerst vergeblich. Hin­ gegen trug ihre Kaukasusarmee einen namhaften Erfolg in Armenien davon, wo am 16. Februar 1916 die türkische Festung Erze rum, bald darauf auch Trapezunt und andere Plätze der stärkeren Truppenmacht erlagen. Die darüber auflodernde Stegesbegier des Vierverbandes wurde rasch gedämpft durch die eben einsetzenden

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VII. Gegen die gemeinsame Front 1916.

Ereignisse an der deutschen Westfront. Späterhin aber haben die Türken auch in Armenien und Persien wieder festeren Fuß gefaßt (Rückgewinnung von Bitlis und Musch und Besetzung von Hamadan im August 1916).

VII. Abteil.

Gegen die „gemeinsame" Front 1916. 1. Werschärste AeindsekigKeit. Im November 1915 hatte die Besatzung des englischen Hilfskreuzers Baralong die hilfesuchende Mann­ schaft eines verunglückten Tauchbootes ermordet. Zur Sühne dieses und ähnlicher Verbrechen haben deutsche Luftschiffe, die jüngst erst Paris heim­

gesucht hatten, auch über die gewerbreichsten Städte Mittelenglands von Liverpool bis zur Humbermündung, bald darauf über London selber ihre nächtlichen Schrecken herniedergesandt (Anfang Februar 1916). Solche Luft­ angriffe wurden in der Folge noch öfter wiederholt. Auch die Tauch­

boote, die schon bei Ablauf des ersten Kampfjahres über 600 feindliche Schiffe versenkt hatten, setzten ihre bedrohliche Tätigkeit fort. Und auf offenem Meere richtete ein geheimnisvoller Kreuzer — die „Möve" des Grafen Dohna — kühne Verheerungen an.

Im Grimm darüber verschärfte England die Maßregeln seiner Seesperre,

auch gegenüber den neutralen Staaten, und ordnete die grundsätzliche Bewaffnung seiner Handelsschiffe an. Die parteiische Stellungnahme der

nordamerikanischen Regierung, der militärische Anschluß Portugals (seit

Febr. 1916), der russische Vormarsch in Armenien und der Fall von Erzerum, dazu die unbeschränkten Geschütz- und Munitionslieferungen aus Japan und Amerika ermunterten den rachsüchtigen Kriegswillen der Verbandsmächte. Gemeinsame Konferenzen ihrer Staatsmänner und Heer­

führer vereinbarten die „einheitliche Front" für eine gleichzeitige Frühjahrs­

offensive, die den gewissen Endsieg herbeiführen sollte. Aber den großen Plänen kam die Stoßkraft des deutschen Heeres zuvor, erst durch ein irreführendes Andrängen im Artois und in der Champagne, dann aber durch den lawinenartigen Einbruch in den Festungsgürtel von Verdun. 2. Der Kampf vor Verdun 1916. Als Kopf der französischen Stellungen ragte der Festungsring von Verdun wie eine Bedrohung in die deutsche Linie vor.

Gerade an dieser „bis zur Unüberwindlichkeit"

ausgebauten Stelle erfolgte der wuchtigste Eingriff. Nach einem bisher beispiellosen Artilleriehagel brach am 25. Februar die verstärkte Armee des Deutschen Kronprinzen von Norden her gegen die Maashöhen und ihre Feldbefestigungen hervor und nahm im ersten Anprall Besitz von der

VII. Gegen die gemeinsame Front 1916.

zerschmetterten Panzerfeste Douaumont.

25

Der Sturm wurde in den fol­

genden Tagen gegen die Feste Vaux vorgetragen,

während gleichzeitig

von Osten her die Woevre-Ebene bis an den Fuß der Maashöhe er­ kämpft wurde.

Zur Abwehr setzten die Franzosen ihre äußerste Kraft

ein, namentlich seitdem die Deutschen auch am linken Maasufer erfolgreich

gegen die dortigen Vorwerke anstürmten.

Tag für Tag tobte von nun

an Monate hindurch ein mörderisches Ringen. In erregter Spannung lauschte die Welt auf die Ergebnisse der ungeheuren Schlachten. Am 2. Juni wurde die Vorfeste Vaux zum zweitenmal erstürmt, bald darauf auch die Werke von Thiaumont und das taktisch wichtige Dorf Fleury. Unter zeitweiligen Schwankungen behaupteten die deutschen Truppen den gewonnenen Raum und fetzten ihr Andringen noch einige Zeit fort. Ein Umschlag trat hier erst im Spätherbst 1916 ein (vergl. S. 33, Abs. c).

3. Nedeitlsarne Awischenereignisse. Während der heißesten Kämpfe vor Verdun haben sich auch auf anderen Schauplätzen bedeutungsvolle Ereignisse abgespielt: a) Eine starke Entlastungsoffensive, welche die Russen unter General Kuropatkin in der zweiten Hälfte des März in langer Strecke zwischen der

Düna und dem Narotschsee eingeleitet hatten, scheiterte an der ehernen Verteidigungsmauer Hindenburgs und seines Generalstabschefs Ludendorff.

b) In Mesopotamien wurde die in Kut-el-Amara am Tigris eingeschlossene Armee des englischen Generals Townshend, die im vorigen Herbste den Vorstoß auf Bagdad versucht hatte, mit 13000 Mann und vielem Geschütz zur bedingungslosen Übergabe genötigt (29. April 1916). Zehn Tage vorher

war der Leiter der türkischen Heeresführung, der deutsche Feldmarschall von der Goltz, in Bagdad gestorben. Erst nach Jahresfrist gingen die Engländer wieder angreifend vor.

c) Zu Ende April brach in Irland, wo die katholisch-keltische Bevölkerung seit Jahrhunderten der politischen Knechtung und wirtschaftlichen Ausrau­ bung verfallen war, ein erbitterter Aufstand gegen die englische Regierung aus. Die Bewegung konnte von den „Beschützern der kleinen Nationen" nur durch grausame Blutmaßregeln unterdrückt werden. Auch der an­ gesehene Patriot Roger Casement erlitt die entehrende Hinrichtung als Märtyrer seines Volkes (3. Aug. 1916).

d) Diese Vorgänge in England trugen vorübergehend bei, in Amerika die deutschfeindliche Haltung der Unionsregierung und ihres Präsidenten Wilson einzudämmen. Wie bisher an Deutschland, so ergingen jetzt, wenngleich ohne Nachdruck und ohne Erfolg, amerikanische Noten auch gegen die englische Regierung wegen vielfacher Verletzung des Völkerrechtes: durch die Art ihrer Seesperre, durch ihren Postraub an neutralen Schiffen und durch die Ver­ öffentlichung der „Schwarzen Listen" gegen angeblich deutschfreundliche Dr. Winter, Lehrgang der Vaterländ. Gesch., II. Teil.* Anhang. 4

26

VII. Gegen die gemeinsame Front 1916.

Geschäftshäuser des In- und Auslandes. Als Gegenleistung bewilligte die deutsche Regierung das Zugeständnis, daß neutrale und feindliche Schiffe nur mehr nach vorausgehender Warnung versenkt werden sollten (4. Mai 1916). Doch blieb das Entgegenkommen an Bedingungen geknüpft, die für später die Freiheit des Widerrufes sicherten. Zur vorübergehenden Mäßigung der Vereinigten Staaten trugen damals gewisse Wirren in der mexikanischen Republik bei. Auch in China machte sich seit dem Tode des Präsidenten Uanschikai (6. Juni 1916) die japanische Be­ gehrlichkeit auf Kosten Amerikas und Rußlands unverhüllter geltend.

e) Ähnlich wie die Russen planten auch die Italiener zugunsten der bei

Verdun ringenden Franzosen eine gesteigerte Hilfsoffensive. Aber plötzlich sahen sie sich selber überrumpelt durch einen mächtigen Angriff gegen ihre eigene Front. Zu Ende Mai 1916 — gerade in den Jahrestagen des vorjährigen „Maienwunders" — warfen die Österreicher in einem scharfen Durchstoß den treubrüchigen Gegner aus den Höhen zwischen Etsch- und

Suganertal auf italienisches Gebiet überAsiago oder „Schlegen" bis nach Arsiero zurück. Der gute Erfolg konnte wegen des bald einsetzenden

russischen Angriffes nicht weiter ausgebaut werden; doch war Trient vor dem Raube gesichert und der Feind auf einige Zeit im eigenen Lande bedroht. In Rom wurde darüber Salandras Regierung gestürzt (13. Juni) und durch das Ministerium Boselli ersetzt. An der politischen Lage hat sich im übrigen wenig geändert, zumal der Halbbrite Sonnino als Minister des Äußern in seinem Amte verblieb. Am 9. August gelang dem General Cadorna ein erster nennens­ werter Erfolg mit der Einnahme der längst in Trümmer geschossenen Jsonzostadt Görz, der „Perle von Friaul", wie man sie jetzt hieß.

4. Seeschlacht am Skagerrak 1916. Aus unsicher aufgeklärtem An­ laß begegneten sich am Nachmittag des 31. Mai in der Nordsee, am Eingang

ins Skagerrak, die deutsche und die englische Hochseeflotte in feindlichem Zusammenstoß. Unter Einsatz aller Kräfte dehnte sich die gewaltige Seeschlacht bis in die Nachtstunden aus. Dabei errang die deutsche Flotte, die unter den Admiralen Scheer und Hipper von Anfang an einer mehr als doppelt so starken englischen Streitmacht (unter den Admiralen Jellicoe und Beatty) gegenüberstand,

einen ruhmreichen Sieg: die Engländer

verloren 25 Schifte und über 8000 Mann ihrer besten Seetruppen Deutschland bezahlte seinen Triumph mit dem Untergang von 11 Schiffen

und 2100 Mann der Besatzung. Die Kunde von diesem Ausgang klang wie ein Schicksalsspruch gegen die britische Überhebung und Seeallgewalt

durch die Welt. „Wie die Ratten werden wir die deutschen Kriegsschiffe aus ihren Löchern hervorholen", hatte dereinst bei Kriegsbeginn Minister Churchill als oberster Seelord verkündet.

VII. Gegen die gemeinsame Front 1916.

27

Ein zweiter schwerer Schlag tras England unmittelbar darauf: Kriegs­

minister Kitchener, ein Haupttreiber des Deutschenhasses, der bisher die Seele

der englischen Kriegsführung

und der Schöpfer der neuen

„Millionenheere" gewesen war/ ging auf einepr Kreuzer mitsamt seinem

Stabe und der ganzen Besatzung, angeblich am 5. Juni im Westen der

Orkney-Inseln, spurlos zugrunde. begriffen gewesen sein,

Er soll auf böser Fahrt nach Rußland

um dort die geplante große Offensive

gegen

die Mittelmächte zu überwachen. Nach dem ersten Schrecken machte sich die englische Regierung die Mühe, die bedrückende Niederlage in einen britischen Sieg und ein „zweites Trafalgar" um­

zudeuten. Deutschland aber schaute mit Stolz auf seine wohlbewährte junge Flotte,

aber auch mit tiefem Dank auf ihre eigentlichen Schöpfer, auf Kaiser Wilhelm II. und den jüngst zurückgetretenen Großadmiral von Tirpitz.

5. Die russische Hffensive an der Ostfront (seit Juni 1916). Eine erste starke Bekundung der „einheitlichen Front" bedeutete der seit Anfang Juni einsetzende Gewaltangriff einer neuen Millionenarmee der Russen

gegen die Ostfront der Mittelmächte. Das war in jenen Tagen, als Österreich eben in Südtirol seinen siegreichen Vorstoß gegen die Italiener begonnen hatte.

Unter erbarmungslosem Bluteinsatz und unter wahn­

witziger Vergeudung des teuer erkauften japanischen Kriegsmaterials trieb

General Brussilow seine neuzusammengerafften Menschenmaffen gegen die wolhynisch-galizische Abwehrlinie der verbündeten Heeresgruppen vor.

Der übermächtige Ansturm führte, durch tschechische Verräterei unterstützt,

in der Tat. zur abermaligen Besetzung der Bukowina bis an die Wald­ karpaten und zur Rückgewinnung des wolhynischen Festungsgebietes von

Dubno und Luzk (Mitte Juni); auch Teile von Ostgalizien mit Brody

und Stanislau gingen wieder verloren (vgl. Karte S 16). Allem weiteren Vordringen in der Richtung aus Lemberg oder gar Brest-Litowsk setzte aber die deutsche Armee Linsingen am Styr und

Stochod, ebenso die Südarmee Bothmer zuerst an der Strypa, späterhin

an der Zlota-Lipa und der Narajowka einen unüberwindlichen Damm

entgegen. Gänzlich mißlang ein starker Durchbruchsstoß im Norden, süd­ wärts von Riga, der gegen die Armee Below gerichtet war (Mitte Juli).

Aber

noch monatelang dauerte

eine

fast ununterbrochene Folge von

Kämpfen an den verschiedensten Punkten der Ostfront fort, besonders am Stochod (ostwärts von Kowel) und in den

südlichen Abschnitten

am

Dnjester und in den Karpaten. Inzwischen war in Petersburg Minister

Sasonow, der beladenste

Schuldgenoffe

zu jähem Fall gekommen (22. Juli).

der englischen Staatsmänner,

28

VII. Gegen die gemeinsame Front 1916.

a) Neuordnung der deutsch-österreichischen Kommandogervatten. Zur Si­ cherung der gemeinsamen Abwehr wurde am 2. August eine Neuverteilung der Heeresleitungen getroffen: Hindenburg, der gefürchtete Sieger von Tannen­ berg und Angerburg, von Lodz und Masuren, vom Narew und Njemen, von Kurland und Litauen, übernahm den Oberbefehl der ganzen Heeresfront von Riga bis an den Dnjester, der österreichische Thronfolger Erzherzog Karl die Süd­

front bis an die Karpaten. In naher Fühlung nebeneinanderstehend, verwirk­ lichten die beiden Heerführer die innere Stärke des deutschen und österreich­ ungarischen Waffenbundes, dem jetzt auch türkische Hilfe an die Seite trat. Die nächste Folge war das tapfere Standhalten gegen die äußere Übermacht von 12 russischen Armeen, die sie vor sich halten. b) Aum anten und Griechenland. Um so unmittelbarer wirkte fortan ouf Rumänien der russische Heeresdruck und die politische Wühlerei der erkauften

VII. Gegen die gemeinsame Front.

29

Verräter, mit denen die arglistige Regierung unter Bratianu gemeinsame Sache machte. Ein ähnliches Treiben brachte schon jetzt die griechische „Neu­ tralität" unter die Fuchtel des Vierverbandes: Absperrungs- und Hungermaßregeln nötigten König Konstantin, Ministerium und Generalstab zu wechseln, die Kammer auszulösen, die militärische Abrüstung durchzuführen und die Flotte auszuliefern, ohne doch den förmlichen Eintritt in die Entente erzwingen zu können. Nur Saloniki und das gesamte Gebiet von Griechisch-Mazedonien blieb mit Hilfe des Rebellen Benizelos schon jetzt der Botmäßigkeit der englisch-französischen Besatzung verfallen.

7. Die englisch-französische Kauptoffenstve an der Somme 1. Juli 1916).

(feit

Dem Notrufe Frankreichs, das sich vor Verdun zu ver­

bluten drohte, ward endlich Gehör: England eröffnete in enger Verbin­ dung mit einem französischen Heere unter General Fach in der Pikardie,

zu beiden Seiten der Somme, die lang vorbereitete „Entscheidungsoffensive" und damit den blutigsten Abschnitt des ganzen bisherigen Krieges.

Mit

dem gesamten Waffenerzeugnis Amerikas verschwenderisch ausgerüstet, brach

seit 1. Juli in der Richtung von Albert auf Bapaume eine

aus

allen

Farben der Menschheit gemischte Millionenarmee der Engländer hervor. In jähem Überfall vermochte diese Truppenmasse und der von ihr aus­ strömende Eisenregen die deutsche Heeressront, die sich unter Kronprinz Rupprechts Führung heldenmütig zur Wehr setzte, um etliche Kilometer

nach rückwärts zu drücken und einige heiß umstrittene Ortschaften (bis

Pozieres und Longueval) zu erkämpfen.

Längs und südwärts der Somme

stießen mit gleicher Heftigkeit und ähnlichem Fortschritt die Franzosen in der

Richtung auf Peronne vor (bis zu den Orten Combles und Maurepas). Die Riesenkämpfe jener Tage, die sich auf einer Frontlänge von 50 km

abspielten, wiederholten sich in kurzen Unterbrechungen bis Ende November 1916.

und dauerten

Die deutsche Linie blieb unbezwungen.

In den Dauerschlachten der langen Kampfmonate vermochten die Engländer unter Einsatz der äußersten Kraft noch nordwärts, in der Gegend der Ancre, eines rechten Nebenflusses der Somme, weitere Dörfer (wie Thiepval und Beaucourt) zu erzwingen und nach Nordosten hin die spärliche Einbuchtung der deutschen Linie (bis Gueudecourt) zu erweitern, während die Franzosen nach Osten hin weitere Ortschaften vor Peronne (bis nach Sailly und Bouchavesne) in ihren Besitz brachten. Aber dem Kräfteaufwand der Feinde und den ungeheuerlichen Verlusten, welche besonders die Engländer erlitten, stellte sich zuletzt ein ziemlich geringer Erfolg zur Seiten ein Geländegewinn von kaum 300 Geviertkilometern, nicht einmal die Größe jeneRaumes, den die Deutschen vor Verdun gleich in den ersten Kampftagen genommen hatten. Der große Durchbruch und der „Endsieg", den die Gegner seit langem der Welt verkündigt hatten, war nicht erreicht. Der Ausgang bedeutete für das deutsche Heer den Dauersieg in der Abwehr gegenüber einer vielfachen Überlegenheit an Truppen­ zahl und Kriegsmaterial.

30

VIII. Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg.

VIII. Abteil.

Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg. Seit August 1916. 1. Deutschlands Wirtschaftskampf. Die von der deutschen Re­ gierung bekundete Bereitwilligkeit zu Verhandlungen auf Grund der mi­ litärischen Lage fand bei den Gegnern keine Beachtung. Mit schnöder Willkür und Rachsucht verfolgte England noch immer die wirtschaftliche

Erdrosselung der Mittelstaaten und die Wahnidee ihrer Aushungerung. Zu diesem Zwecke wurden auch die neutralen Völker in ihrem Erwerb und

Verkehr auf das ränkevollste mißhandelt nnd ihr Schiffsraum in englischen Dienst gezwungen. Den dadurch gemehrten Schwierigkeiten unserer Heeres­ und Volkserhaltung begegnete die Reichsregierung mit weitgreifenden Maß­ regeln zur Verteilung und Streckung der verfügbaren Vorräte und Er­ zeugnisse. Die Oberleitung dieser Organisationen übernahm seit Juni 1916 das neugeschaffene Kriegsernährungsamt (unter dem Präsidenten Batocki), und diesem beigeordnet, ein Kriegsamt (unter General Groener) für die industrielle und technische Fürsorge. Zur Durchführung der gestellten Ausgaben dient dem Kriegsamte seit 5. Dezember 1916 das all­ gemeine „Hilfsdienstgesetz", das dem Baterlande je nach Bedürfnis die gesamte Arbeitskraft der männlichen Zivilbevölkerung vom 17.—60. Lebens­ jahre zur angemessenen Verfügung stellt, seiner inneren Bedeutung nach

eine Art Mobilmachung des „Heimatheeres". Mit der technischen Kriegshilfe und der wirtschaftlich-sozialen Fürsorge vereinigten

sich zur Durchhaltung des Krieges mehrfache finanzielle Vorkehrungen größten Stils: a) zwei Kriegskredite von je 12 Milliarden (Juni und Oktober 1916) und

zwei weitere von je 15 Milliarden (Februar und Juli 1917), womit die deutsche

Kriegsschuld auf 94 Milliarden anstieg, aber bei einer vorläufigen Deckung von 60 Mil­

liarden (durch eine 5. und 6. Reichsanleihe); b) neue Steuergesetze (vom Mai 1916 und März 1917) zu Zwecken des geregelten Zinsendienstes, in erster Linie gerichtet auf Kriegsgewinn und Vermögenszuwachs, ferner auf Warenumsatz, Tabakverbrauch

und die meisten Sparten des Post- und Frachtverkehrs, zujüngst auch noch aus die

gesamte Kohlenförderung des Reiches. So gestützt aus eigene Kraft, auf gemeinsame Opferwilligkeit und äußersten Leistungswillen, steht das deutsche Volk, wie einer

unserer Staatsmänner gesagt hat, „fest wie gewachsener Fels im heimischen Boden".

2. Weue Kriegsbewegung auf dem WalKan. Außer dem Wirt­ schaftskrieg und dem eingeschränkten D-Bootskrieg war der fortdauernde Kampf an der Ostfront und am Jsonzo, an der Somme und vor Verdun

VIII. Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg.

31

gleichsam das hinterlassene Erbe des abgelaufenen zweiten Kriegsjahres. Dazu gesellten sich im Spätsommer 1916 noch zwei neue Kampffelder im

Südosten:

a) Vor Saloniki war Mitte August die deutsch-bulgarische Abwehr­ armee ihrerseits zum zweifachen Angriff übergegangen, indem sie den linken Flügel der Verbandsarmee bei Florina, den rechten Flügel längs der Struma erfaßte und hier über Seres bis an die Meeresküste bei Kavala

vordrang. Nach dem Willen seiner Brotherren hatte seit jenen Tagen end­ lich auch Italien der Armee Sarrails einen Truppenteil zu Hilfe ge­

schickt, um noch rechtzeitig zur Balkanaufteilung zu erscheinen. In ursäch­ lichem Zusammenhänge damit erging jetzt die förmliche Kriegserklärung

Italiens an das Deutsche Reich am 27. August 1916. b) Hiemit fiel aber zugleich die tückisch verabredete Entscheidung für eine zweite Treulosigkeit: Noch in der folgenden Nacht erließ Rumänien, da es eben seine Rüstungen vollendet glaubte, unter Bruch der bestehenden Verträge die Kriegserklärung an die österreich-ungarische Mon­

archie. „Um den Krieg abzukürzen", sagte Bratianu. Siebenbürgen vor allem sollte das Beuteziel sein, das die Verbandsmächte und ihre gedun­ genen Geschäftsführer dem betörten Volke als Lohn für seine Dienstbarkeit dargeboten hatten. In Wirklichkeit galt es den allgemeinen Umstoß der Dinge aus dem Balkan mit Hilfe der 600000 Mann rumänischer Truppen. 3. Kampfbereitschaft der Mittelmächte. Schon am nächsten Tage, am 28. August, bewährte Deutschland den schwer bedrängten Waffen­ brüdern seine Bundestreue durch die Kriegserklärung an Rumänien. Dem

deutschen Beispiele folgten die Türken und Bulgaren, die durch das Anrücken eines russisch-rumänischen Heeres aus der Dobrudscha und durch die Saloniki-Armee selber von doppelter Seite bedrobt waren.

Angesichts der gefährdeten Lage erfolgte ein hochbedeutsamer Wechsel in der deutschen Kriegsleitung. Am 29. August wurde Generalfeld. Marschall von Hindenburg, seinen getreuen Genossen Ludendorff als Ersten Generalquartiermeister zur Seite, zum obersten Leiter des Großen Generalstabs und damit an die Spitze der gesamten Kriegsführung be­

rufen — dem deutschen Volke eine freudige Genugtuung und der ver­ körperte Ausdruck unverwüstlichen Siegeswillens. Die Oberbefehlsstelle an der Ostfront übernahm Prinz Leopold von Bayern. 4. Kröffnuug des Wumänischen Krieges 1916. Der Hauptteil der rumänischen Heeresmacht war nach russischer Weisung noch am Tage der Kriegserklärung gegen Siebenbürgen angerückt. An der ungeschützten Grenze

32

VIII. Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg.

übersiel der neue Gegner leichterdings die nächstgelegenen Hauptorte Kronstadt, Hermannitadt und Hözing; auch Orsöwa am Eisernen Tor wurde besetzt. Hingegen gelang es einer deutsch-bulgarischenArmee, die

unter Mackensen von Bulgarien aus gegen die Dobrudscha vorging, noch in der ersten Kriegswoche Dobritsch und die Donaufestung Tutrakan zu erobern, wobei 28000 Rumänen in Gefangenschaft gerieten. Schon in der zweiten Woche siel auch Silistria. Die erwartete Hilfe kam weder von Rußland noch von Saloniki, was den weiteren Vormarsch in der Do­

brudscha erleichterte.

Zur Befreiung Siebenbürgens aber bildeten die

Der Siegeszug durch die Walachei.

Mittelmächte inzwischen eine starke Armee unter General Falkenhayn,

der die Leitung des deutschen Generalstabs eben an Hindenburg abgetreten

hatte. a) Noch zu Ende September nahm der „Rumänische Feldzug" seinen verheißungsvollen Anfang mit der Rückeroberung von Hermannstadk (am 28. Sept.), während fast gleichzeitig der südwärts gelegene RoteTurmpaß besetzt wurde. Hier war es besonders das von dem bayerischen General Krafft von Dellmensingen geführte Alpenkorps, das durch einen verwegenen Umgehungsmarsch über das Gebirge die Paßsperre bewältigte und damit den Zugang in das obere Alttal erzwang. Dem Siege von Her­ mannstadt folgte am 7. Oktober die Einnahme von Kronstadt und von da aus der Ansturm gegen den Predealpaß. Überall, auch westwärts bet

VIII. Übergang in das dritte Knegsjahr und der Rumänische Krieg.

33-

Petroseny und am Vulkanpaß, wurden die Rumänen bis an die Landes­ grenzen zurückgeworfen. Nur Orsowa blieb vorerst in ihrer Gewalt; auch

an den starkbefestigten Gebirgspässen leistete der Feind noch angestrengte

Gegenwebr. b) Mittlerweile vermochte die Armee Mackensen, die unter siegreichen

Kämpfen in der Dobrudscha weiter vorgerückt war, die rumänische

Hafenstadt Konstanza und den Donaubrückenkopf Cernavoda zu erobern (22.--24. Oktober). Hiemit wurde die wichtige Verkehrslinie ab geschnitten,

die Bukarest mit dem Schwarzen Meere und der russischen Seezufuhr verband. c) Hnllastungshrtfe der Verbündeten.

In diesen und den folgenden Wochen

suchten die Vierverbandsheere der Not des verführten Bundesgenossen durch größere

Entlastungsangriffe beizuspringen, die sie an ihren Fronten an der Somme und der

Maas, an der Zlota Lipa (in Ostgalizien) und am Jsonzo in scharfen Materialschlachten durchführten. Den namhaftesten Erfolg gewannen die Franzosen vor Verdun, wo Ge­

neral Nivelle der Armee des Deutschen Kronprinzen die Trümmerstätten der einst so

schwer bezwungenen Borfestungen Vaux und Douaumont abzuringen vermochte (24. Okt. bis 1. Nov.). In den Luftkämpfen jener Tage hat der jugendliche Fliegerhauptmann Boelcke, wie vor ihm sein wackerer Genosse Jmmelmann, den Heldentod gefunden. Die

Engländer, welche vorzugsweise an der Ancre ihre opferreichen Angriffe fortsetzten,

drängten die deutsche Linie noch um einige weitere Dörfer (bis nach Grandcourt und Transloy) zurück.

Den Russen gegenüber leistete nach leisem Zurückweichen von der

Zlota-Lipa die Armee Bothmer starren Widerstand an der Narajowka.

Gleich eifrig

führten die U-Boote trotz der auferlegten Erschwernis ihr Vernichtungswerk fort.

5. Wotitische Awischenereignisse. a) Während deutsche und österreichische

Truppen an den rumänischen Paßstraßen kämpften und der Vierverband tag­ täglich seine Entlastungsbemühungen erneuerte, vollbrachten die beiden Kaiser der Mittelmächte eine großmütige Friedenstat: am 5. November wurde zu Warschau und zu Lublin das eroberte Polen als unabhängiges erbliches König­ reich proklamiert. Damit war dem polnischen Volke zum voraus die über ein Jahrhundert lang erstrebte Befreiung aus russischer Zwingherrschaft und die Wiederkehr zur nationalen Selbständigkeit zugesichert. Ein polnischer „Staats­ rat" sollte zunächst die Verfassung entwerfen, ein polnisches Heer aufrichten und andere Vorarbeiten in Angriff nehmen, während im übrigen die deutsch­ österreichische Verwaltung noch fortbestand. Das feindliche Ausland beglei­ tete mit wütiger Schmähung diese erste schöpferische Tat des Weltkrieges, welche freilich die Polen selber noch nicht in ihrem vollen Werte zu würdigen

verstanden. b) Die Polenbefreiung war zugleich das letzte politische Werk, an dem der österreichische Kaiser Franz Joseph mitbeteiligt war. Am 21. November verschied der hochbejahrte Fürst zu Schönbrunn, als eben aus Rumänien aus­ sichtsreiche Siegeskunden eingetroffen waren. Die Regierung von OsterreichUngarn ging in ruhiger Ordnung der Dinge auf den Erzherzog Karl über, einen

34

VIII. Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg.

Großneffen des verblichenen Kaisers, den Bruderssohn des in Serajewo ermor­ deten Thronfolgers Franz Ferdinand. Die bösen Hoffnungen, welche die Feinde für den Fall des Thronwechsels in Öster­ reich genährt hatten, erwiesen sich als gänzlich hinfällig. Vielmehr trat Kaiser Karl

mit jugendlicher Tatkraft an die Regierung der Donaumonarchie heran und setzte trotz aller Schwierigkeiten in kurzer Zeit eine erkenntliche Neubelebung der innerpoli­

tischen Verhältnisse durch.

Sein Kommando über die österreichische Heeresgruppe

an der Ostfront übergab der Kaiser dem Erzherzog Joseph, während er das Amt des Obersten Heerführers, das bisher in Vertretung der Erzherzog Friedrich innegehabt

hatte, selber übernahm. Die Leitung des Generalstabes trat Conrad von Hötzendorf zu Anfang März an den General von Arz ab, der sich inzwischen durch die Wieder­ gewinnung der siebenbürgischen Ostgrenzen neue Verdienste erworben hatte.

Durch

wiederholte Zusammenkünfte bekundeten Kaiser Wilhelm und Kaiser Karl aller

Welt die unverrückbare Treue und Festigkeit des deutschen und österreich-ungarischen

Bruderbündnisses, das eben in Rumänien neue Triumphe eingebracht hatte.

6. Der Zusammenbruch Wuwäniens. Seit Ende Oktober war der größte Teil der Dobrudscha erobert, Siebenbürgen von den rumänischen Eindringlingen gesäubert. An der Ostgrenze standen die österreichischen Generale von Arz und Köveß. An dem Südrande der Transsylvanischen Alpen kämpften, in drei Ab­ teilungen gegliedert, die Truppen Falkenhayns um den Austritt in die walachische Ebene: am Vulkanpaß, am Roten-Turmpaß und am Törzburger- und Predealpaß. Im rechten Augenblick, als bereits in der Dobrudscha die neue „Donauarmee" Mackensens zum Übergang über den Strom bei Sistow bereit­

stand, erfolgte nach Hindenburgs glänzendem Kriegsplane der Einbruch des deutschen Heeres von Norden her in mehrfachen Staffelungen (vgl. Karte S. 32): a) Zunächst drang aus dem Bulkanpaß der westlichste Heeresteil (unter General Kuehne) im Tale des Jiul vor. Hier wurde in der Schlacht bei TarguJiul (am 18. Nov.) der Durchstoß bis nach Krajova erzwungen, womit die Bahn­ linie Orsowa-Bukarest überrannt und die bei Orsowa stehende Heerestruppe abgeschnitten war. b) Durch rasches Einschwenken nach Osten erreichte diese erste siegreiche Truppe das untere Alttal, um sich der aus dem Roten-Turmpaß vorgestoßenen Abteilung des Generals Krafft (Sieg bei Rimnik am Alt am 25. Nov.) im rechten Flügel einzureihen?) c) Als östliche Staffel brach eine dritte Abteilung (unter General Morgen) aus der Gegend des Törzburgerpasses über Kampulung in das Tal des Arges vor, wieder im rechten Flügel gestützt durch das rechtzeitige Aufrücken der ver­ einten westlichen Heeresgruppen. Gleichzeitig war aber auch die Donauarmee nach glücklicher Überschreitung des Stromes über Alexandria und Giurgiu an T) In den Kämpfen am Roten-Turmpaß fiel am 8. November bei Kaineni der jugendliche Held Prinz Heinrich von Bayern als Führer des bayerischen Infan­

terie - Leibregiments.

VIII. Übergang in das dritte Kriegsjahr und der Rumänische Krieg.

35

den unteren Arges gekommen und nahm dort als äußerster rechter Flügel bereits Bukarest zum Angriffsziel. d) Unter meisterhaftem Zusammenwirken aller Kräfte erfolgte am 3. De­ zember die siegreiche Entscheidungsschlacht am oberen Arges (oder Argesul). Der große Erfolg wurde sofort vervollständigt durch den Vormarsch einer vierten Gruppe über Predeal und Sinai, durch die Einnahme von Campina und Ploesti und durch Mackensens Einzug in Bukarest (am 6. Dezember). Über 70000 Ru­

mänen waren in Gefangenschaft geraten, wohl mehr als die gleiche Zahl gefallen oder verwundet, über 400 Geschütze genommen. Als wertvollste Beute fielen den Siegern die reichen Erdölwerke (von Campina und Ploesti) und die von den Engländern aufgekauften Getreidevorräte zu. Die ganze Kleinwalachei samt der Hauptstadt war niedergeworfen, das frevle Abenteuer mit blutiger Nieder­ lage gebüßt. Hof und Regierung waren nach Jassy in der Moldau entwichen, wo sie sich völlig dem Schutze der Russen anheimgaben. 7. Die Eroberung der Hroßen Walachei. Falkenhayns und Mackensens Armeen, jetzt als Heeresgruppe Mackensen vereint, erweiterten in rastlosem Nachstürmen die gewonnenen Vorteile. Wie die in Auflösung begriffenen ru­ mänischen Armeen, so wurden auch die zu spät eintreffenden russischen Hilfstruppen von Stellung zu Stellung, vom Arges und der Dambovitza über die Jalomitza und den Buzeu, zurückgeworfen. Unterdessen vollendeten die Bulgaren die Eroberung der Norddobrudscha bis an das Donauknie (bei Tultscha und Galatz). Weitere Siege der Deutschen bei Ramnicu-Sarat (27. Dez.), die Einnahme von Bra'ila a. d. Donau (5. Jan.) und die Erstürmung der Festungswerke von Foksani, hauptsächlich durch Truppen der bayerischen Generale Krafft und Kneußl aus­ geführt (8. Jan.), brachten auch den großen Ostteil der Walachei bis zur Fluß­ linie des Putna und dem unteren Sereth (gegenüber der Festung Galatz) in den Besitz der Zentralmächte. Die geschlagenen Reste des rumänischen Heeres wurden den russischen Truppenteilen eingeordnet. Die Dobrudscha kam unter bulgarische, die Walachei unter deutsche Militärverwaltung. Nochmalige Entlastungsversuche der Russen an der Aa (vor Riga) und an den

Karpaten (bei Jablonitza am Tatarenpaß, bei Dorna Watra und an der Bistritza), ebenso die letzten Angriffe der Engländer (an der Ancre) und der Franzosen (an der Somme

und der Maas) änderten nichts mehr an dem Schicksal des unglücklichen Volkes, das die

Entente als weiteres Opfer ihrer Selbstsucht an die Schlachtbank geführt hatte.

Wir­

kungslos blieb auch die gesteigerte Mißhandlung Griechenlands und die neue Offensive der Saloni ki-Armee, die zwar zur Wiedereinnahme der serbischen Grenzstadt Monastir

führte (am 18. Nov.), aber seitdem nicht mehr von der Stelle kam.

8. Wachwirkungen und Wandlungen. In Rußland traten seit Sasonows Abgang eine Reihe von Persönlichkeiten ans Licht, die ebenso rasch wieder ver­ schwanden, wie sie gekommen waren, ein sichtliches Anzeichen der zunehmenden Haltlosigkeit und Verwirrung des Zarenstaates. Auch in England, wo der schließliche Mißerfolg der Sommeoffensive und der Zusammenbruch in Rumänien

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IX. Das Friedensangebot des Vierbundes.

mederdrückende Enttäuschungen bereitet hatten, wurden jetzt Gestalten wie As­ quith und Grey, angeblich wegen der Friedensgefahr, klanglos aus ihrem Platze gedrängt und durch die „starken Männer" ersetzt, die sich um den neuen Minister­ präsidenten Lloyd George zum hartnäckigen Vernichtungskrieg gegen Deutsch­ land scharten (6. Dez. 1916). In Frankreich aber, wo die Advokatenregierung eines Briand ähnliche Töne anschlug, wurde General Joffre, der Vielgepriesene, als „Marschall von Frankreich" in die Ecke gestellt und General Nivelle mit der obersten Heeresleitung betraut. Ihm war ja jüngst die vermeintliche Großtat vor Verdun geglückt, die den Wiedergewinn von Douaumont und Vaux einge­ tragen hatte. Nicht lange, so kam auch Briands Ministerstuhl ins Wanken, der dann zu Mitte April 1917 auf kurze Zeit an den bisherigen Finanzminister, den greisen Ribot. überging.

IX. Abteil.

Das Friedensangebot des Vierbundes vom 12. Dezem ber 1916.

1. Die Ankündigung. Mit dem Falle von Bularest war der Ru­ mänische Krieg entschieden, die Siegeskraft der Mittelmächte von neuem erwiesen Auf der Höhe ihrer Erfolge, gesichert an allen Fronten und Kampfplätzen, einten sich die Regierungen des Vierbundes zu einem hochherzigen Entschluß. Durch Vermittlung neutraler Mächte kündigten sie am 12. Dezember den Gegnern ihre Friedensbereitschaft an, um die gequälte Menschheit aus der Kriegsdrangsel zu erlösen. Tie näheren Bedingungen sollten auf einer Konferenz aller Beteiligten dargelegt und verhandelt werden. Eine ausatmende Bewegung ging durch die Welt. In einer Note vom 19. Dezember verschickte, angeblich unabhängig vom deutschen Angebot, auch Präsident Wilson an alle Kriegführenden wort­ reiche Mahnungen zum Frieden, nach dem die ganze Menschheit, wie er

gleisnerisch sagte, mit heißem Begehren sich sehne.

2. Die Erwiderung. Das Unglaubliche geschah. Die Antwort des Vierverbandes, von England eingeflüstert, auf einer Zusammenkunft in Rom beraten und von Briand am 30. Dezember verkündet, war eine brutale und beschimpfende Zurückweisung des deutschen Angebotes, das als verlogenes Kriegsmanöver und offenkundiges Merkmal der herein­

brechenden Ohnmacht verhöhnt wurde. In einer besonderen Note an Wilson vom 10. Januar 1917 legten die Ententemächte in ausführlicher Weise noch einmal ihre Ranbziele nieder: Rückerstattung aller deutschen Eroberungen alter und neuester Zeit (mit Einschluß von Elsaß-Lothringen

X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

37

und den preußisch-polnischen Gebieten), ungemessene Entschädigungen und

Sicherheiten, Aufrichtung des Nationalitätengrundsatzes unter den sämt­ lichen Völkerschaften des Vierbundes, damit auch die Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie, die völlige Austreibung der Türken aus Europa und anderen Tollsinn. So wollte es vor allem England, um sich mit Hilfe seiner Hörigen die alleinige Weltherrschaft zu sichem. Wilson bekundete seine Befriedigung über die Klarheit der Antwort. 3. Pas Ergebnis. Für die Mittelmächte gab es, wie Kaiser Wilhelm

mahnte, nur einen unabweislichen Schluß: die stahlharte Fortsetzung des aufgezwungenen Krieges bis zum Sieg über alle feindliche Machtgier und Vernichtungswut. Und das war auch der Wille der herausgeforderten Völker und ihrer Parlamente. Tie gemeinsame Bedrohung schmiedete ganz von selbst die verlästerten Staaten noch enger aneinander zu dem

einen und einzigen Willen der Selbsterhaltung. So mußte um der britischen Eigensucht willen das Verhängnis seinen weiteren Gang nehmen. Eine unermeßliche Verantwortung türmte sich auf. Die 4% Millionen der Toten, die 11 Millionen der Verwundeten und die 4 Millionen der Gefangenen, die die bisherige Menschheitsverwüstung gekostet hatte, sollten um neue Millionenzahlen vermehrt, die allgemeine Not und Teuerung in weiteres Elend gesteigert werden.

X. Abteil. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

1. Einleitung des Wergettungswerkes. Seit zwei Jahren schon bildete das deutsche Unterseeboot, dem die Gegner nichts Ebenbürtiges ent­ gegenzusetzen vermochten, die schärfste Angriffswaffe. Seine Erfolge gingen auf den Lebensnerv der britischen Nation. Über 4% Millionen Registertornten1) hatten die Ententemächte bereits an Schiffsraum eingebüßt, ungerechnet die 823000 Tonnen an Kriegsschiffen*). Um so größer die Erbitterung gegen die verderbliche „Seepest". Aus Wlsons hinterlistige

Beschwerden war seitens der deutschen Regierung im Mai 1916 die Ein­ schränkung zugestanden worden, daß kein Schiff mehr ohne vorherige Warnung angegriffen werden sollte. Das hemmende Übereinkommen *) Die Bruttoregistertonne der Handelsschiffe mißt 100 englische Kubikfuß oder 2,83 Raummeter und bezieht sich auf den Gesamtinnenraum des Fahrzeuges; die

Größen der Kriegsschiffe werden nach Gewichtstonnen der Wasserverdrängung be­ rechnet (1 1= 1000 kn).

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X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

war indes an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die hinterher weder von feindlicher noch von amerikanischer Seite erfüllt wurden. Die unversöhnlichen Kriegsabsichten der Gegner nötigten auch Deutschland zu einer Steigerung seiner Abwehrmittel.

Als nun gar England am

26. Januar 1917, wie es den Neutralen ankündigte, die ganze deutsche Bucht durch Minen abschloß und diese Sperre bis in dänische und holländische Seegebiete ausdehnte, ließ die deutsche Regierung jede

Rücksicht fallen. Am 1. Februar 1917 erfolgte die vom Volke längst ge­ forderte Ankündigung des „Uneingeschränkten U-Bootskrieges" und

die Sperre der Seegebiete rings um Großbritannien, Frank­ reich und Italien. Den Neutralen, auch dea Vereinigten Staaten, wurden besttmmt abgegrenzte Wasserrinnen für ihren eigenen Schiffs­

verkehr freigegeben.

2. Per Uneingeschränkte U-Uootskrieg. Unbekümmert um das Verlästerungsgeschrei der Feinde setzte auf die Stunde der verschärfte Seekrieg der U-Boote ein. Uber alle Erwartung groß war die Wirkung. Tag für Tag versank eine ungeahnte Anzahl jener Fahrzeuge, die bisher

aus allen Himmelsgegenden dem Feinde Proviant und Kriegshilfe zu­ geführt, darunter auch Schiffe der Neutralen, die sich aus bösem Zwang oder aus Gewinnsucht in englische Dienste stellten. Gleich im Laufe des ersten Monats gingen 368 Handelsschiffe mit 781000 Tonnen Raum­ gehalt in die Tiefe, ein Erfolg, der sich in den folgenden Monaten steigerte und wiederholt sogar die Millionzahl überschritt. Und das trotz der allmäh­ lichen Stillegung eines guten Teiles der neutralen Schiffahrt. Nebenher hatte auch die „Möve", der Hilfskreuzer des Grafen Dohna, auf einer

zweitmäligen Kriegsfalls im Atlantischen Meer wieder 27 feindliche Schiffe vernichtet*). Schwer verhohlener Schrecken mehrte den Ingrimm gegen das Volk der Deutschen, das mit unbändiger Kraft um sein Dasein kämpfte. Grundsätzliches Übelwollen und die

Besorgnis um den eigenen Besitz löste unter Englands Mache in Amerika eine längst angesponnene Wendung aus, die Deutschland bei seiner jüngsten Maßnahme bereits

in Rechnung gesetzt hatte: Wilson, der falsche Friedensapostel, hielt die Stunde für gekommen, um die Larve von seinem Antlitz zu nehmen.

3. Amerikas Kindrängimg 1917. Professor Woodrow Wilson, als „Friedenspräsident" jüngst zum zweitenmal für sein machtvolles Amt

gewählt, hatte in doppelzüngiger Art bisher Deutschland zu hindern ge0 Ähnlich arbeitete in der zweiten Jahreshälfte 1917 der Hilfskreuzer Wolf unter Kapitän Nerger in den asiatischen Gewässern, wo er 35 Handelsschiffe mit 210000 Tonnen zerstörte.

X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

39

sucht, die volle Schärfe seiner Waffen gegen die Entente auszunützen. Dabei hatte sich die „unparteiische" Union schon lange zu einer Titanen­

werkstatt des Todes gegen die Deutschen eingerichtet und für ihre Massen­ lieferung von Kriegswerkzeug Milliarden europäischen Geldes an sich gezogen. Das geschah aber zumeist in der Form von Schuldrechnungen und Darlehen. Um so beflissener war der mächtige Gläubigerstaat, seine

Ententeschuldner zahlungsfähig zu erhalten und ihnen zum Endsieg zu verhelfen. Unterstützt von der englisch gegängelten Presse, drängten daher die beteiligten Kreise zur unmittelbaren Kriegsteilnahme. Den erlauerten Anlaß zu offener Feindseligkeit bot die Bekanntgabe des neuen II-Bootskrieges, den Amerika „aus Gründen des Völkerrechtes" verwarf. Sofort wurde die diplomatische Beziehung in schroffer Weise abgebrochen und der deutsche Gesandte von Bernstorff entlassen (3. Febr.). Unsaubere Mittel, namentlich eine aufgefangene Drahtnachricht an die deutsche Gesandtschaft in Mexiko, mußten den gewollten Beweis für die „deutsche Verschwörung" erbringen, um Senat und Repräsentantenhaus für

die Erklärung des „Kriegszustandes" und für den „demokratischen Kampf

gegen den preußischen Militarismus der Hohenzollern" zu gewinnen (6. April). Die letzten Entscheidungen wurden durch die neuen Ereignisse an der deutschen Westfront und durch den dröhnenden Umsturz in Rußland beschleunigt. Für Deutschland bedeutete die Entzweiung mit der mächtigen Republik

der Bereinigten Staaten, der wir seit den Tagen ihrer Gründung eine ungetrübte Freundschaft entgegengebracht hatten, eine sehr ernste, aber unvermeidbare Erschwerung der Kriegslage. Ins Ungemessene schienen sofort die äußeren Folgen an­

zusteigen. Einer anmaßenden Aufforderung Wilsons, sich dem Borgehen der Union an­ zuschließen, haben zwar die europäischen Neutralen ihre Absage entgegengestellt. Hin­ gegen gehorchte, mehr oder weniger zögemd, eine lange Reihe fremdländischer Re­ gierungen dem Wink ihrer Geldherren: China und Brasilien, Bolivia und Guatemala

und zahlreiche Heinere Republiken bis auf die Negerstaaten San-Domingo und Liberia,

zuletzt noch das hinterindische Kaisertum Siam, womit der Reigen des neuen „Biel­ verbandes" auf 26 Mitglieder anwuchs. Dabei war es den mutigen Kämpen, die

nacheinander alle „für die Freiheit und Zivilisation" hervortraten, vorzüglich um den Raub deutscher Vermögenswerte und die Wegnahme der deutschen Schiffe zu

tun, die seit Kriegsausbruch in den überseeischen Häfen aufgelegt waren, dazu wohl auch um eine rechtzeitige Sicherung vor der Rachsucht der Großen. Ein gewisses Maß

lluger Vorsicht mochte aber auch den Heuchelreden Wllsons selber zugrunde gelegen sein. Indem er dem freien Amerikanertum als nächste Folge der Kriegserllärung ein ergiebiges Wehrpflichtgesetz aufnötigte (29. April), erreichte er den nicht unwichtigen Nebenzweck, die künftige Wehrfähigkeit der Union gegenüber Japan und China vor­ zubereiten, zugleich aber auch eine Art Vormachtstellung der Union in Europa anzu­ bahnen.

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X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917«

4. Werre Zurüstungen a« der Westfront.

Trotz ungewöhnlich

harter Winterszeit rührten sich seit Februar 1917 an der Westfront die Vorzeichen zu einem gesteigerten Gewaltansturm, der die Abweisung des

Friedensangebotes rechtfertigen und die deutsche Mauer endlich nieder­ werfen sollte. Der verschärfte Unterseebootskrieg, noch mehr die neue Bundesgenossenschaft Amerikas und der Mißerfolg der Türken in Meso­ potamien, wo die Engländer (am 11. März) Bagdad, die alte Kalifenstadt, in ihre Gewalt brachten, spornten den Kriegseifer an; neue Geheim­ verträge hielten die Beutegier der Verbündeten lebendig. An der Ancre

und der Somme, wo inzwischen die Engländer einen breiteren Frontteil übernommen und die Unmengen ihres Kriegsmaterials aufgestapelt hatten, machten sich bereits erste Vorstöße geltend. Den mächtigen Kampf­ mitteln der vereinten Mdersacher konnte die deutsche Heeresleitung nur ihre überlegene Kriegskunst gegenüberstellen.

5. Kiudeuöurgs Siegfriedstekkuug. Statt des erwarteten Gegen­ angriffs setzte Hindenburg einen verblüffenden Wechsel des Kampffeldes ins Werk. Im Laufe der ersten Märzwochen zog er die deutsche Schlacht­ linie aus den bisherigen starren Stellungen zwischen Arras und Soissons um 20—30 km auf eine bewegliche innere Linie zurück, womit nicht nur die seit 8 Monaten umkämpften Hauptorte Bapaume und Peronne son­ dern auch die gesamte Bogenstellung an der Oise fteiwillig und kampflos aufgegeben wurden*). Dadurch war die sorgfältig ausgebaute Angriffs­ stellung der Feinde Plötzlich entwertet, hingegen hatten die Deutschen auf der gekürzten und wohlvorbereiteten neuen Linie die erstrebte Frei­ heit der Bewegung zurückgewonnen. Zu Sieg und Frieden sollte die kühne Wandlung führen, die deshalb als deutsche „Siegfriedstellung" getauft wurde. Inmitten der Vorarbeiten zur großen Entscheidung starb am 8. März 1917 Graf Ferdinand von Zeppelin, der rüstige Paladin deS Reiches, dem er mit seinem

Lebenswerke eine preisliche Kriegs- und Siegeswaffe geschenkt hatte.

Am 12. März

ist er in seiner Heimat zu Stuttgart mit höchsten Ehren bestattet worden.

6. $>ie Staatsumwät;««- i« Hiußkand. Seit Kriegsbeginn hatte der russische Koloß als Stoßmaschine die verlangten Troßdienste ver­ richtet, mit grausigen Opfern und Verlusten, aber ohne den erwarteten Erfolg. Die Schuld bürdete man dem zaristischen System auf. Den er­ kannten Mängeln sollte daher eine Umstellung des Triebwerkes abhelfen. *) Auf Karte S. 28 würde eine nahezu gerade Linie von Arras bis nach Craonne

die neubezogene Stellung bezeichnen, hinter der Cambrai, St.-Quentin und Laon die

nächstgelegenen Hauptstützpunkte bildeten.

X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

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Nicht ein jäher Blitzstrahl, wie es äußerlich scheinen mochte, sondem lang­ genährter Unmut und materielle Not in Verbindung mit dem gewissen­

losen Eigennutz der Engländer waren es, was in den Tagen vom 11. bis 15. März 1917 in Petersburg die bürgerliche Revolution entzündete und

den geheiligten Zarenthron umstürzte. Seitdem besteht in Rußland eine unzureichend organisierte republikanische Regierung, welche sehr rasch in das sozialistische Fahrwasser geriet und zur Ministerpräsidentschaft des Diktators Kerenski führte. Aber dem Übermaß der Schwierigkeiten war

die neue Gewaltherrschaft um so weniger gewachsen, als auch sie sich nach

anfänglichem Schwanken in das Söldnerjoch der westlichen Kriegsmächte spannen ließ. Zwischen Kaiser Nikolaus und dem fortschrittlichen Block der Duma hatten

sich zu Anfang März zwieträchtige Verhandlungen über die Einsetzung einer Parla­ mentsregierung abgespielt. Der unnachgiebige Selbstherrscher wollte die Volksver­ tretung enllassen. Diese aber schickte sich ihrerseits an, mit Hilfe der Arbeiterpartei

und der meuternden Garnison die absolute Regierung zu beseitigen. Der Umsturz ver­

lief unter geheimer Mitwirkung des britischen Botschafters Buchanan verhältnis­ mäßig leicht und schnell: ein Ausschuß der Duma riß die ausführende Gewalt an sich, setzte die Minister gefangen und nötigte den rat- und hilflosen Zaren, der auswärts weilte, zur Abdankung (15. März). Darauf setzte der Vollzugsausschuß unter Rodzianko eine „provisorische Regierung" ein, in der der Rädelsführer Miljukow das Außen­

ministerium übernahm und sich auch Vertreter des einflußreichen Soldaten- und Arbeiterausschusses (Tscheidse und Kerenski) zur Seite stellte. Einige Tage darauf, erfuhr die erstaunte Welt die vollendeten Geschehnisse aus dem Munde des englischen Ministeriums, zugleich mit dem Versichern, daß die neue Regierung Rußlands un­ entwegt den Krieg fortführe bis zum siegreichen Ende. Was das autokratische System nicht zuwege gebracht hatte, das sollte eine willigere Bürgerrepublik vollbringen: „die Rettung der Kultur und die Befreiung der Menschheit", wie die gelehrigen En­ tenteschüler melden ließen.

Den Jubel der Verbündeten — „man könnte verrückt

werden vor Freude", hatte eine Pariser Zeitung gesagt — dämpfte nur einigermaßen die Besorgnis vor den russischen Sozialen und Bauern, aus deren Körperschaften

die ärgerliche Rede von Volksherrschaft und von Kriegsende, vom Frieden ohne An­ nexion und Entschädigung, von Landaufteilung und freigewählter Nationalversamm­ lung herüberllang. Einstweilen aber hatte die führende Demokratie der Ententestaaten triumphiert und das unorganische Mitglied abgestoßen, das fortan als „Nikolaus Ro­ manow" im Gefängnis oder in der Verbannung (zu Tobolsk in Sibirien) lebte.

7. JHe Krühjahrs-Gro ß sch lachten im Westen (seit April 1917). Die neue Hindenburgfront mündete nordwärts hinter Lens, südwärts zwischen Soissons und Craonne in die ältere Kampflinie ein. Die geplanten Durchbruchsstöße der Feinde konnten daher nur bei jenen Angelpunkten

ansetzen, wo sich noch die beiderseitigen Grabensysteme gegenüberlagen: a) bei Lens und Arras durch die Engländer, b) an der Aisne uftb in der Champagne durch die Franzosen. Mit maßlosen Hoffnungen

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X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

war der Angriff vorbereitet, die Rüstungserzeugnisse aller Welt angehäuft worden. Am Ostermontag den 9. April machten die Engländer bei Arras den zuversichtlichen Anfang mit einem dichtgegliederten Einbruch in die

deutschen Grabenstellungen, die von grimmigem Trommelfeuer im voraus zerwühlt waren und in einer Tiefe bis zu 3 km überrannt wurden. Sieben

Tage später, am 16. April, brachen an der Aisne und in der Khampagne auch die Franzosen zu ähnlichen Vorstößen los, um die deutsche Schlachtftont gewaltsam zu durchbrechen. Drei- und viermal wurden in Wochen­ abstand die rasenden Anstürme an beiden Frontabschnitten wiederholt,

ein wahnsinniges Menschenmorden, aber auch ein Heldenringen, wie es noch kein Feldheer bestanden. Die zähe verteidigten Trichterfelder wurden

zuletzt preisgegeben, aber die Siegftiedlinie bleib unerschüttert. Mit einem Massenverlust von 360000 Mann bezahlten die Engländer allein die

bedeutungslose Einbiegung, die sie der deutschen Front im Halbbogen vor Arras (von Lisvin über Vimy bis an die Scarpe und südwärts davon über Monchy nach

Bullecourt und Quöant) bis zu einer Tiefe von 6 km beibrachten. Ebenso gering­ fügig war der örtliche Gewinn, den die Franzosen — zuerst unter Nivelle „dem Blutsäufer", später unter Pstain — an der Aisnelinie (bei Craonne und dem Damen­ weg) und in der Champagne köstlich von Reims bei Prosne und Aubt!rive) mit einem Verlust von 250000 Mann zu erkämpfen vermochten. Stählerner Sieges­ wille hat den deutschen Truppen ungeachtet der unvermeidlichen Opfer einen' voll-

gültigen Sieg in der Abwehr erbracht. In den Feldherrnruhm jener Großkämpse, die bis tief in den Mai hinein

gedauert hatten, teilten sich Kronprinz Rupprecht von Bayern, der den Eng­ ländern gegenüberstand, und der Deutsche Kronprinz gegenüber der Franzosenfront. Hindenburg hatte wieder einmal ganze Arbeit getan. Ein prächtiger Anteil an den Abwehrerfolgen kam auch den deutschen Fliegerstaffeln zu, die teils als

Bombengeschwader teils als Aufvärungszüge die Gefechtstätigkeit unterstützten und zu Hunderten die feindlichen Fahrzeuge abschossen. Fliegerhauptmann Rittmeister von Richthofen schlug dabei den 57. Gegner.

8. Sommerstürme 1917. Die große Arrasschlacht war für die Entente ergebnislos verlaufen. Ungeschmälert arbeitete der II-Bootskrieg, der dem Feinde ebenso die Versorgung der Truppen wie des Heimvolkes

erschwerte. Beklemmend wuchs die Furcht vor der hereinbrechenden Fracht­ raumnot. Den fehlenden Mut sollte eine geheuchelte Zuversicht verdecken. Waren doch vier Fünftel der politischen Welt aufgeboten gegen den „einen Feind der Menschheit", und aus Amerika namentlich nahte die unfehlbare Rettung. Bis dahin brauchte es nur noch ein kurzes Stemmen und Auf­ peitschen, und wo es geschehen konnte, ein keckes Zugreifen. a) Schon seit Mitte Mai hatten die Italiener eine zehnte Jsonzoschlacht auf sich genommen. Aber der Weg nach Triest blieb versperrt. Zur Schadlos-

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X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

Haltung machten sie sich auf griechische Kosten in dem wehrlosen Epirus breit und erklärten in gewagter Eigenmächtigkeit ihr Protektorat über Albanien, wovon sie doch erst den kleinsten Teil besaßen. b) Die Ententeherren selber führten mittlerweile in Griechenland kaltblütig den letzten Hieb gegen König Konstantin, den sie am 12. Juni zur Landes­ flucht nötigten, nachdem er die Krone seinem zweiten Sohn Alexander über­ lassen hatte. Athen und andere Orte wurden von den Franzosen besetzt. Venizelos, am Ziele angelangt, begann seine politische Tätigkeit als neuer Minister­ präsident mit der Kriegserklärung an den Vierbund, ohne es »jedoch zu wagen, den mühseligen Mazedonischen Krieg auf griechische Schultern zu übernehmen.

c) Aus der fortgesetzten Feuertätigkeit an der Westfront flammte vorüber­ gehend ein heißerer Kampf in Flandern auf. Ein englischer Gewaltstoß drängte dort am 7. Juni die Deutschen aus dem schmalen Bogen um Wytschaete, süd­ wärts von Ppern, zurück. Aber ein Aufrollen der Front und der rückseitige An­ marsch auf die Küstenstützpunkte der Il-Boote blieben müßige Fernziele. Noch geringeres erreichten die Franzosen an der Aisne mit ihren andauernden An­ läufen gegen die Höhen des Damenweges*).' Erst zu Ende Oktober wurde der westliche Teil des Bergrückens aus taktischen Gründen freiwillig geräumt. d) Aufs heftigste wurde der Revolutionsregierung in Rußland zu­ gesetzt, um auch sie zur Wiederaufnahme des Angriffes vorzutreiben. „Deutsch­ land geht der unvermeidlichen Niederlage entgegen", hatte Wilson der Kriegs­ hetzer schon am 10. Juni an Kerenski nach Petersburg geschrieben. Mehr als Mahnungen wirkte die Drohung mit der Geldsperre. Am 1. Juli stieß Brussilow in Nordgalizien an der Strypa gegen die deutsche Kampflinie vor, um den Durchbruch nach Lemberg zu erzwingen. Was hier nicht gelang, wieder­ holte sein jugendlicher Untergeneral Kornilow, ein Zögling der Kosakentruppen, mit Ungestüm südwärts bei Stanislau, wo die Österreicher wieder über Halitsch und Kalusch zurückgeworfen wurden (12. Juli). Mächtig ertönten die Siegesschalmeien der Entente, gerade zu der Zeit, da eben in den Kreisen der deutschen Regierung gewisse innere Schwierigkeiten schärfer zutage traten. 9. Die deutsche Neuorientierung im Juli 1917. Ehrenvoll hüteten die deutschen Heere die Grenzen des Vaterlandes. Gleich herzhaft trugen

die Zurückgebliebenen, Männer wie Frauen, die harten Kriegspflichten, wodurch 'sie als „Heimarmee" das Feldheer kampffähig erhielten.

Aber

die Schwere der wachsenden Lasten, der umsichgreifende Mangel unent­

behrlichster

Wirtschaftsmittel,

vermeintliche

Fehler

des

Organisations­

wesens und die unabsehbare Länge des Krieges steigerten in weiten Kreisen

x) Chemin des Dames heißt der langgestreckte Höhenzug westwärts vonCraonne, auf dem dereinst Wege angelegt worden waren zum Lustwandel der Töchter König Ludwigs XV.

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X. Die Hochflut der Weltwirrnis seit Februar 1917.

das natürliche Friedensverlangen zu politischem Mißmut und zur An­ klage. Volk und Volksvertretung forderten einen Wandel der Dinge: Umstellung in den leitenden Gewalten, Mitwirkung des Volkes an der Regierung,

Einflußnahme

auf Kriegsziele und Friedensfragen — als

Schlagwort zusammengefaßt die „Demokratisierung" von Staat und Reich durch Erweiterung der preußischen Wahlrechte und durch Herüber­ nahme von Volksvertretern in die Landes- und Reichsregierung. Aus dem Hm und Wider solcher Fragen lösten sich in den bewegten Juliwochen 1917 zunächst zwei Ergebnisse: a) Am 14. Juli trat Reichskanzler von Bethmann-Hollweg,

dem in wichtigsten Entscheidungen der inneren und äußeren Politik Zaudern und Halbheit vorgeworfen wurde, von seinem verantwortungsvollen Amte zurück. An seine Stelle berief der Kaiser den Reichskommissär Dr. Michaelis, der sich bisher als Leiter der Reichsgetreidestelle verdient gemacht hatte. Mit dem Oberhaupte der Reichsregierung wurden die meisten der unterstellten Staatssekretäre und preußischen Minister unter gewisser Rücksicht auf die Parteiverhältnisse gewechselt. Staatssekretär des Äußern wurde Kühlmann, der bisher als Gesandter sehr erfolg­

reich in Konstantinopel tätig gewesen. Auch auf das Kriegsernährungs­ amt, jetzt „Reichsernährungsamt" geheißen, und das zugehörige Kriegs­

amt griffen ähnliche Sach- und Personenänderungen über. b) Am 19. Juli — nachdem eben in den letzten Tagen die russische Offensive in Südgalizien aufgehalten und Kalusch zurückgewonnen worden war — einigte sich, nicht ohne Rücksicht auf Österreich, eine große Mehr­ heit des Reichstages auf eine öffentliche Friedenskundgebung: eine ehrenhafte „Verständigung" ohne Annexionen und Entschädigungen sollte den Krieg zu Ende bringen, jedoch unter voller Wahrung der Reichs­ grenzen und der wirtschaftlichen Sicherheiten. Namens des Reiches er­ klärte der neue Kanzler seine Zustimmung, vorausgesetzt daß auch der

Feind auf Eroberungspläne verzichte. „Wenn nicht, so werden wir weiter­ kämpfen. In seiner Einigkeit wird das deutsche Volk unüber­ windlich bleiben." Das patriotische Wort fand noch während der gleichen Sitzung eine glückliche Bestätigung durch die Nachricht, daß in Ostgalizien die russische Front von der Armee Prinz Leopold durchbrochen und em großer Sieg errungen worden sei. In gehobener Stimmung erfolgte

die Gewähr des geforderten Kriegskredites von weiteren 15 Milliarden (zusammen 94 Milliarden). Die Gegner und ihre Propheten hatten in Deutschland Umsturz und Auflösung vorausgesehen, nicht Neuordnung und Stärkung der Einheit. Um so verbissener wurde

XL An der Wende zum vierten Kriegsjahre.

Juli und August 1917.

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die ehrliche Friedenskundgebung als Ausdruck des Verfalls und der versteckten Gewinn­

sicherung mißdeutet. Mit solchen Trugmitteln reizten die Machthaber ihre Völker zu neuer Kraftanspannung auf. Nicht Verständigung, sondern Eroberung war noch immer das Ziel der Feinde. Am 28. Juli konnte der Reichskanzler Michaelis einen feind­ lichen Geheimvertrag enthüllen, wonach sich Präsident Poincare noch im Februar

1917 von der russischen Regierung Elsaß-Lothringen und das Saargebiet und in weiterem

Sinne das ganze linke Rheinufer als Raubziele hatte zusichern lassen.

Ein verhaßtes

Hindernis stellte nur der „preußische Militarismus" dar, wie man die unüberwindliche Vollkraft des deutschen Volkes zu heißen pflegte.

XL Abteil.

An der Wende zum vierten Kriegsjahre. Juli und August 1917. 1. Die Hegenoffenstve in Hstgakijien. Seit Mitte Juli hatte in Ostgalizien auf beiden Seiten des Dnjesters der Gegenangriff gegen die vorgeschickten russischen Armeen eingesetzt. Mit dem entscheidenden Durch­

stoß an der Strypa vom 19. Juli war die russische Hauptarmee längs der linken Dnjesterzuflüsse in südlicher Richtung aufgerollt und gegen Tarno-

pol zurückgeworfen worden. Schon am 25. Juli zog der Oberanführer Prinz Leopold in die eroberte Stadt ein, während im Süden des Dnjesters am gleichen Tage St anislau von den Österreichern wiedergewonnen wurde. In der Bestürzung über den Rückschlag wurde in Petersburg die Vollgewalt der Regierung dem ententewilligen Sozialistenführer

Kerenski anheimgegeben und an die Stelle Brussilows rückte der gewalt­ tätige General Kornilow, der vor Jahresftist aus der österreichischen Gefangenschaft entlaufen war. Aber die verbündeten Heeresgruppen setzten ihren Vormarsch siegreich fort, die Deutschen im Nordgelände des Dnjesters bis an die russische Landesgrenze, die Österreicher südwärts

davon über Kolomea bis vor Czernowitz, die Hauptstadt der Bukowina, welche am 3. August durch Erzherzog Joseph besetzt wurde. Noch wenige Kampftage und Ostgalizien und Bukowina waren von den russischen Horden gesäubert.

„Der Feind aus dem Lande" — das war der erste

Gewinn des vierten Kriegsjahres auf österreichischem Kampffelde. Mackensen in der Mokdan. Die Niederlagen in Ostgalizien und der Bukowina sollte ein Entlastungsangriff abschwächen, den die russisch-rumänische Südarmee gegen die siebenbürgische Karpatenfront unternahin. Der Zeitpunkt war verspätet, da bereits

Mackensen seine einstige Donauarmee von Foksani aus gegen die Moldau in Bewegung setzte. Der doppelseitige Truck, von Westen durch die Armee Köveß und von Süden

durch Mackensen, setzte sich gegen die Gebirgstäler der Moldau fort und veranlaßte die

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XI. An der Wende zum vierten Kriegsjahre. Juli und August 1917.

rumänische Regierung schon jetzt, für längere Zeit von Jassy nach Bessarabien zu ent­

weichen (Ende August 1917).

2. Hroßschtachten im flandrischen Gebiet vor Aper« 1917. Im Westen bildete die Antwort auf die deutsche Friedensentschließung die

laut verkündete Vorbereitung zu einem Riesenangriff in Flandern. Die Schlacht selber — nach den großen Kampftagen an der Somme und bei Arras die dritte Offensive — nahm am 31. Juli ihren orkanarügen An­ fang im Bogen vor Ypern. Von Bixschote im Norden bis nach Hollebeke im Süden rannten die englisch-ftanzösischen Sturmmassen gegen die deutschen Grabenlinien an. Die beiden Endpunkte blieben in ihrer Hand, dazu ein schmaler Bogen des Geländes, kaum 2—3 km tief. Über den

besetzten Raum vermochte der Gegner im Ringen der nächstfolgenden Tage nicht hinauszukommen. Erst eine zweite und dritte Großschlacht, zu Mitte August und zu Ende September, erzwangen noch eine kleine Erweiterung der Ausbuchtung durch Besitznahme der langumstrittenen Dörfer Langemarck und Poelkappelle. An der entschlossenen Abwehr zerschellte alle

Wucht der weiteren Angriffe. Ein letzter Gewinn der Engländer war das Dorf Passchendaele (am 7. Nov.). Seitdem flauten die grimmen Flandern­ schlachten allmählich ab. Der „große Durchbruch" war zum Luftstoß ge­ worden. Das eigentliche Ziel, die Küstenzone mit den -Bootstützpunkten Ostende und Zeebrügge, blieb unerreichbar. Htetchzelttge „Kenerakosfeustve". Unterstützungskämpfe wurden ausgesührt im Artois bei Loos (nördlich von Lens), bei St.-Quentin, wo die Franzosen die große Kathedrale und andere Hauptteile der Stadt in Trümmer schossen, und an der Aisnelinie. Sie versagten aber die gewollt,« Wirkung. Kaum mehr Erfolg hatte die am

20. August einsetzende Durchbruchsschlacht vor Ierdm», auf beiden Seiten der Maas,

die trotz rücksichtslosesten Menscheneinsatzes zwar die „Eroberung" einiger Dörfer und Höhen des zerschossenen eigenen Bodens, aber nicht den gehofften strategischen Nutzen erbrachte. Ein ähnliches Schicksal endlich hatte eine elfte Ifonzoschtacht der Ita­ liener, die seit 19. August aus der langen Linie von Tolmein bis zur Karsthochfläche

auf das grimmigste entbrannt war. Triest, das begehrte Ziel, war wohl behütet durch seine tapferen Verteidiger am Karst und auf den Görzer Höhen.

3. Aeue Ariedeusvemüyvnge«. Die Friedenskundgebung des Deut­ schen Reichstages war mißtönig verklungen. Je unheimlicher die Schläge des See- und Landkrieges an seine eigenen Pforten dröhnten, desto leiden­

schaftlicher schürte England die Feindschaft des Erdenrundes gegen die sieghaften Mttelmächte. Ihre militärische und wirtschaftliche Vernichtung

blieb das offene Ziel zur Aufrechthaltung der angelsächsischen Weltherr­ schaft. Darum die krampfhafte Betonung der Siegesgewißheit, darum die bereitwillige Förderung der ftanzösischen Rachsucht, darum der Ansturm

XI. An der Wende zum vierten Kriegsjahre. Juli und August 1917.

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der Gewalt und der Lüge gegen jede versöhnliche Regung. So vermochten

England und seine Verbündeten den Plan der Sozialisten, einen all­ völkischen Friedenskongreß ihrer Verbände in Stockholm zustande zu bringen, durch stemmende Polizeimaßnahmen zu vereiteln. Da aber erhob — den

völkerverhetzenden Machthabern sehr ungelegen — im Namen der Mensch­ heit Papst Benedikt XV. seine väterliche Stimme, um allen Krieg­ führenden die Notwendigkeit eines friedlichen Ausgleiches nahezubringen. In der Form einer diplomatischen Note an die „Oberhäupter der kriegführenden Völker" erließ der neutrale Kirchenfürst am 15. August

einen in französische Sprache gefaßten Friedensaufruf, worin er von

hoher Warte aus an sämtliche Regierungen allgemeine Leitsätze und kon­ krete Vorschläge darbot, die zur Friedenseinkehr führen sollten.

4. Inhalt der päpstlichen Friedensnote. „In vollkommener Unparteilichkeit allen Kriegführenden gegenüber“ will der Papst die Stimme der Menschlichkeit und der Vernunft vertreten. Darum empfiehlt er den Staatsoberhäuptern „maßvollere Erwägungen“, die einen gerechten und dauernden Frieden anzubahnen und das Ende des Unheils herbeizuführen vermöchten. „Soll denn“, fährt er fort, „die zivilisierte Welt nichts mehr sein als ein Leichenfeld ? Europa, so glorreich und blühend, wie vom allgemeinen Wahnsinn erfaßt, dem Abgrund zustürzen und Selbstmord begehen ?“ Nach solchen „Mahnungen“ geht der souveräne Inhaber des Heiligen Stuhles zu „genaueren Vorschlägen“ über auf Grund von „Leitsätzen“, welche die Regierungen selber umgrenzen > und ergänzen mögen: An die Stelle der materiellen Gewalt der Waffen trete die sittliche Macht des Rechtes. Daraus möge sich ein Abkommen ab­ leiten betreffs der gleichzeitigen und gleichmäßigen Verminde­ rung des Rüstungswesens; dann trete an die Stelle der Heere die Einrichtung eines bindenden Schiedsgerichtes. Unter der Vorherrschaft des Rechtes mögen alle Schranken der Völkerverkehrswege fallen, indem man die wahre Freiheit der Meere durch bestimmte Verfügungen sicherstellt. Auf Schadenersatz und Kriegskosten solle gegenseitig und vollkommen verzichtet, über Sonderansprüche nach Recht und Billigkeit verhandelt werden. Ein friedliches Abkommen ver­ lange aber die gegenseitige Rückerstattung der augenblick­ lich besetzten Gebiete: von deutscher Seite müßte daher

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XI. Zermürbungskämpfe im vierten Kriegsjahre.

Belgien geräumt und dessen volle Unabhängigkeit von welcher Macht immer gesichert werden; desgleichen müßten das besetzte französische Gebiet geräumt und in ähnlicher Weise die deutschen Kolonien zurückerstattet werden. Strittige Gebietsfragen seien in versöhnlichem Geiste zu prüfen, wobei die Wünsche der Völker nach Maßgabe des. Gerechten und Möglichen berücksichtigt werden sollen. Auf solchen Grundlagen werde sich ein neuer Völkerverband aufbauen und das furcht­ bare Ringen beenden lassen, das sich immer mehr als zweck­ loses Morden darstellt. Zum Schluß mahnt der Heilige Vater die Regierenden, ,,der überaus schweren Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zu gedenken, und erfleht für sie vom Heiligen Geiste ,,Erleuchtung und Weisheit“. Gegeben im Vatikan, am 1. August 1917.

XII. Abteil.

Zermürbungskämpfe im vierten Kriegsjahre. 1. Kriedensfeindsetigkeit der Gegner. Die päpstliche Note fand eine willige Aufnahme bei den Regierungen und Völkern des Vierbundes. Die amtlichen Antworten, die zu Mitte September aus Deutschland und Österreich abgingen, billigten ausdrücklich die vorgeschlagenen Richtlinien einer allgemeinen Verständigung, ohne sich auf Einzelheiten zu verpflichten. Schon vorher, am 30. August, hatte Wilson eine gewundene Ablehnung veröffentlicht, die er auf dreiste Anklagen gegen Kaiser und Volk der Deutschen stützte. Die andern Mächte blieben die angekündigte Erwiderung zuletzt ganz schuldig, nur daß England die deutsche Antwortnote durch den Mund Asquiths als „ölige Allgemeinheiten und fromme Plattheiten" heruntersetzte, anscheinend mit gewolltem Seitenblick auf die päpstliche Urkunde selbst. So blieb den Mittelmächten nur ein Weg zum gesetzten Ziel: den Kriegswillen der Feinde mit Gewalt zu brechen durch tatkräftige Fortführung des Krieges. Unter eigentümlichem Zusammentreffen spielte sich gerade in jenen Tagen, zu Ende August, während der neuen Diktatur Kerenskis in Petersburg ein merkwürdiger Prozeß gegen den vormaligen Kriegsminister Suchomlinow ab. Darin kamen er­ staunliche Enthüllungen zutage über die verbrecherische Art, wie die russische Kriegs­ partei am 29. und 30. Juli 1914 durch rohesten Betrug vom Zaren Nikolaus die Zu­ stimmung zur allgemeinen Mobilmachung erpreßt hatte. Damit waren neuerdings die verleumderischen Legenden entlarvt, welche die Schuld am Kriegsausbruch auf

XII. Zermürbungskärnpfe im vierten Kriegsjahre.

49

Deutschland abladen wollten. In solchem Zusammenhang gewannen ihre besondere Bedeutung die klärenden Worte, mit denen König Ludwig III. von Bayern damals die Friedensnote des Papstes beantwortete: „Erst als sich Deutschland und das deutsche Volk von allen Seiten angegriffen und in seiner Existenz bedroht sah, gab es keine andere Wahl, als mit dem Aufgebot aller Kräfte für Ehre, Freiheit und Heimat

zu kämpfen."

2. ’^orwärtsßeroeflttttfl au der Hstfrout.

Die bürgerlich-soziali­

stische Regierung in Petersburg hatte sich durch neue Verträge mit den West­

mächten zur Fortsetzung des Krieges verpflichtet. Eine nächste Folge dieser Haltung war das Anrücken einer deutschen Armee gegen die Düna­ linie von Jakobstadt bis zur Mündung des Stromes. Am 3. September wurde die livländische Hauptstadt Riga, das einstige Bollwerk des Deutsch­ tums in den baltischen Provinzen, im Sturme genommen. Mit dem Heeresführer Prinz Leopold und den siegreichen Generalen Eichhorn und Hutier hielt Kaiser Wilhelm seinen umjubelten Einzug in die alte Hansa­

stadt. Andern Tages erfolgte die Besetzung des Hafenortes Dünamünde. Diese Erfolge der Deutschen beschleunigten weitere Schritte zur nationalen Neuordnung in Polen (durch Errichtung eines regierenden Regentschafts­ rates neben dxm gesetzgebenden Staatsrate) und eine politische An­ näherung der befteiten Gebiete von Kurland und Litauen an Deutschland (nationale Landesräte unter den: Aufsichtsbereich des Oberbefehlshabers Ost). Noch entscheidender wirkte seit Mitte Okwber die Eroberung der wichtigen Inseln Osel, Dagö und Moon, womit nicht nur die große Rigaer Bucht und die offene Ostsee in deutsche Gewalt übergingen, sondern auch die unmittelbaren Zugänge nach Livland, Estland und Finnland eröffnet wurden (vgl. Karte S. 16). Anderweitige Wirkungen. Ohnmächtiger Zorn der Gegner begleitete die

deutschen Fortschritte im Osten. „Die Führer des preußischen Militarismus", tönte es aus England herüber, „sind die Feinde des Menschengeschlechtes; das deutsche Volk muß zur Selbstbefreiung genötigt werden." Den bösen Worten folgten die feind­ lichen Taten nach: die verschärften Ipernschlachten, die erneuten Vorstöße am Karst,

die'Anstürme gegen den Damenweg.

Blieb diesen Anläufen der Verbandsmächte

auch der Erfolg versagt, so stellte doch ihre verbohrte Kriegspolitik, wie Graf Czernin, der friedensfreundliche Außenminister Osterreich-Ungarns, warnte, die versöhnlichen

Zusagen der Mittelmächte wieder in Frage. Die Friedensentschließung sollte den Gegnem nicht zum „Freibrief" werden für böswillige Kriegsverlängerung. Ähnlich wies

Staatssekretär Kühlmann in Bezug auf Elsaß-Lothringen jedes Zugeständnis mit einem kräftigen „Niemals" zurück.

Diesen beharrlichen Standpunkt bekundete auch

das deutsche Volk in der Zeichnung der 7. Kriegsanleihe, die wieder über 12Vr Mil­ liarden erbrachte (im ganzen 73 Milliarden Anleihe gegenüber dem erhöhten Kredit von 109 Milliarden). Im übrigen mußte dem Schwerte sein Recht verbleiben, das

nicht nur in Flandem sondern auch in Italien zur Vergeltung ausholte.

50

XII. Zermürbungskämpfe im vierten Kriegsjahre.

3. Zusammenbruch der itatienischen Lauptfront zu Hude HLtober 1917. In elf Jsonzoschlachten hatten die Italiener sich endlich zur Karsthöhe emporgearbeitet. Um jeden Preis sollte der Abstieg nach Laibach

und nach Triest erzwungen werden. Mitten in den gesteigerten Zurüstungen zur zwölften Schlacht brach über das treulose Volk das Strafgericht her­ ein. Am 24. Oktober setzte, heimlich vorbereitet, ein mächtiger Gegenangriff der deutschen Armee Below über Flitsch und Tolmein, der österreichischen Armee Boroevic von den Karsthöhen aus gegen die ganze Jsonzofront ein und warf den verblüfften Gegner über Görz und Gradiska unter schwersten Verlusten nach Friaul zurück. In unaufhaltbarer Verfolgung

wurden die Geschlagenen über Cividale und Udine bis an den Tagliamento

zurückgedrängt, wo weitere Teile ihrer Armeen sich zur Waffenstreckung genötigt sahen (31. Oktober). In wenigen Tagen waren die gepriesenen

Großtaten Italiens und der harte Gewinn von 29 Kriegsmonaten in nichts zusammengesunken: 300000 Mann gefangen, 2500 Geschütze und unermeßlicher Kriegsvorrat verloren, der Hauptteil der Armee vernichtet,

der (stem Cadornas verblichen. Indem auch die Truppen des Erzherzogs Eugen aus den Kämtner und Tiroler Mpen südwärts vorbrachen, mußte der geschwächte Gegner, in den beiden Flanken gefaßt, bis über die Piave

und die obere Brenta zurückweichen, womit der größte Teil des venetiani-

XII. Zermürbungskämpfe im vierten Kriegsjahre.

51

scheu Gebietes in die Gewalt der Sieger geriet. Eine Einbuße von 14000 qkm eigenen Bodens dämpfte die irredentistische Begehrlichkeit nach österreichischem Gute.

4« Allerlei Kotgen. a) In Rom wich das Ministerium Boselli einer neuen Re­ gierung unter dem Sozialisten Orlando, der den erschreckten Bundesgenossen die Fort­ setzung des Krieges verhieß „bis zum endgültigen Sieg". Der abgedankte Cadoma wurde durch General Diaz ersetzt. — In Frankreich, wo der Durchbruch an der Aisne kotz der Besetzung des Damenweges als mißlungen erkannt war, wurd^ zum Ausdruck des

hochgestiegenen Mißbehagens an Stelle Ribots der Deputierte Painlevs zum leitenden Minister erhoben, konnte aber keine Besserung der Lage herbeiführen. b) In Rußland hingegen entzündete sich nach den mannigfachen Nieder­

lagen der innere Kampf der Parteien, erst zwischen Kerenski und den Generalen Kornilow und Alexejew, in der Folge aber auch zwischen Kerenski und den ultrarevolutionären Nebenbuhlern Lenin und Trotzki, den Führern der neuen Proletarier­

partei der Maximalisten oder Bolschewik. Nicht lange, so erlag die bürgerliche Demo­ kratie, die sich unter Kerenski ins Joch der Entente gespannt und dabei Ostgalizien, die

Bukowina, Riga und die Ostseeinseln verloren hatte, der sozialistischen Revolution des

Arbeiter- und Bauernvolkes (vgl. S. 52, Abs. 1).

5. Keichska«rker Hraf Kertling seit 2. Aon. 1917. Den politischen Ansprüchen der Reichstagsmehrheit hatte Kanzler Michaelis mit seinen „Mißverständnissen und Berichtigungen" nicht zu genügen vermocht. Die auswärtigen und wirtschaftlichen Aufgaben des Reiches und die inneren Angelegenheiten des preußischen Staates verlangten nach einer ziel­ gewissen Oberleitung und einer engeren Zusammenarbeit mit den führen­ den Parteien. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Frage des allgemeinen Wahlrechtes in Preußen, das ein kaiserlicher Erlaß schon zu Ostem an Stelle des bisher geltenden Dreiklassenwahlrechtes in Aussicht gestellt hatte. Die

gespannte Lage fand eine bedeutsame Wendung durch einen neuen Per­ sonenwechsel: am 2. November wurde auf den Posten des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten der bisherige bayerische Minister­ präsident Graf Hertling berufen, ein alterprobter Politiker und Staats­ mann, dem die zwei angesehenen Parlamentsführer v. Payer und Dr. Friedberg, der eine als Vizekanzler, der andere als Stell­ vertretender Mnisterpräsident, zur Seite traten. Andere Personaländerungen gingen nebenher, doch behielt Staatssekretär Kühl­ mann die Führung der Auswärtigen Angelegenheiten. Die Umgestaltung in der Reichsleitung und preußischen Landesregierung brachte zunächst die innere Beruhi­

gung, dazu aber auch eine gegenseitige Verständigung in den Dingen der Kriegs­ führung und Politik.

6. Aurchvruchsstoß der Engländer Sei ßamvrai (Ende November 1917). Seit Mitte November hatte sich ein ständiger „Kriegsrat" der Entente

XIII. Kriegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten.

52

in Versailles gebildet. Seine Seele stellte als neuester Ministerpräsident der 77jährige Clemenceau dar, der fanatisch-nationale Schreckensmann, der

sein „eisernes Regiment" mit den Worten ankündigte: „Mein Kriegsziel ist Sieger zu sein."

Den „Tiger" nannten ihn seine eigenen Freunde.

Verdoppelte Anstrengungen wurden auch von Lloyd George in Aussicht genommen. Aber der „einheitliche Oberbefehl" scheiterte nochmals an der gegenseitigen Eifersucht, die lieber bei selbständigen Unternehmungen ver­

harrte. Damals fiel nach Gaza bereits Jaffa in die Gewalt der Engländer, was nach weiterer Monatsftist deren Einzug in Jerusalem zur Folge hatte

(12. Dez. 1917). Eine verstärkte Kraftleistung aber gegenüber der deutschen Front bedeutete ein neuer Durchbruchsstoß, den die Engländer zur Deckung des flandrischen Mißerfolges weiter südwärts vor Cambrai ansetzten

(22. Nov.). Unter Masseneinstellung gepanzerter Sturmwagen (oder Tanks) sollte durch das Mittel der Überraschung die Hindenburglinie an der Schelde zerrissen und der Weg zur Küste eröffnet werden. Vier Tage

lang wütete die „Tankschlacht". In blutigstem Ringen wurde (über Moeuvres,

Fontaine und Marcoing) bis nahe an Cambrai hin eine Keil in die deutsche Front getrieben, bis am 27. November ein machtvoller Gegenangriff die englischen Schlachtreihen zur Umkehr zwang. Am 5. Dezember war die

attibe Verteidigung der Deutschen zum Sieg bei Cambrai umgeschlagen und die Ausgangslinie wiedergewonnen. Mittlerweile hatten die Italiener ihre Berteidigungskämpfe an der oberen

Brenta mit einigem Erfolg erneuert. Da dort auch englische und amerikanische Kriegs­ hilfe eingesetzt worden war, erließ Wilson am 8. Dezember die Kriegserklärung an Osterreich-Ungarn. Der Hauptzweck war auch hiebei wieder die sofortige

Beschlagnahme des „feindlichen" Schiffsraumes, dessen der Bielverband angesichts der fortdauernden Verluste durch den U-Bootskrieg sehr dringlich bedurfte. Eine nicht gewollte Folge aber war die noch engere Verkettung der beiden Mittelmächte nach Graf Czernins Wort: „Wie die Deutschen für Galizien, so kämpfen wir Öster­ reicher

für Elsaß-Lothringen; zwischen Straßburg und Triest ist kein Unterschied" —

eine politische Stellungnahme und Abwehr, die zugleich der tschecho-flowakischen

Feindseligkeit gegen die deutsche und die einheimische Regierung galt.

XIII. Abteil.

Kriegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten. 1. Flnfflsche Waffenruhe. Unter schweren Parteikämpfen (vgl. S. 51, Abs. b) war in Petersburg seit Mitte November die Revolutionsregierung an die sogenannten Bolschewiki übergegangen, welche kommunistische Bestrebungen vertraten und sich hauptsächlich auf die Sowjets oder Ausschüsse der Arbeiter-,

XIII. Knegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten.

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Soldaten- und Bauernabordnungen stützten. In deren Namen übte ein „Rat der Bolkskommissäre" die obersten Befugnisse. Die entscheidende Führung hatten die sozialistischen Agenten Lenin und Trotzki an sich gerissen, der erste als Vorsitzender jenes Rates, der zweite als Volksbeauftragter für Auswärtige Angelegenheiten. Kerenski, der in englischem Solde stand, bekämpfte vergeblich den vollzogenen Umschwung und rettete sich zuletzt durch die Flucht ins befreundete Ausland. Die neue Regierung aber gewann rasch die überwiegende Macht, indem sie sich mit Mut und Schlauheit als Gegnerin der nutzlosen Kriegsfortsetzung darstellte. Das Stichwort zündete. An den Fronten vereinbarten sofort einzelne Truppen­ teile durch Parlamentäre eigenmächtige Waffenruhe. Schon am 29. November konnte Kanzler Hertling in seiner Eröffnungsrede dem wiederversammetten Reichstag die amtliche Kunde melden: „Die russische Regierung verlangt Unterhandlungen über den Waffenstillstand und allgemeinen Frieden." Als brauchbare Grundlagen waren angeboten: Ende des verbreche­ rischen Krieges, demokratischer Friede ohne Annexionen und Entschädigungen, freie Entwicklung und Selbstbestimmung der Völker. Schon jetzt erklärte der Kanzler dazu das Einverständnis der Reichsregierung. Diese Zustimmung stützte Hertling mit dem Hinweis auf das Friedensangebot

des Vorjahres, auf die Friedenskundgebung des Reichstages und die versöhnungs­ willige Antwort auf die Papstnote. „Unser Kriegsziel war von Anfang an die Ver­ teidigung des Vaterlandes, die Unverletzlichkeit seines Gebietes und die Freiheit seines wirtschaftlichen Lebens. Für die wahnsinnige Selbstzerfleischung Europas tragen die Feinde allein die Verantwortung und werden auch die Folgen zu tragen haben, wie jüngst Italien durch seine furchtbare Niederlage. Wenn sie der Stimme der Vernunft

und der Menschlichkeit nicht Gehör geben, werden wir ausharren und durchhalten.

Heer und Volk in einträchtigem Zusammenstehen werden den Sieg erringen." Ent­ gegen der Friedensbereitschast Deutschlands überreichten die Vertreter der Westmächte im russischen Hauptquartier ihren Einspruch gegen die „Schändung des Londoner Vertrages". Wilson aber gar verkündete eine polternde Botschaft gegen die „unheil­ vollen Gebieter Deutschlands und das ruchlose Wesen der deutschen Macht, die nieder­

gerungen werden muß".

Die unmittelbar folgenden Ereignisse vor Cambrai (vgl.

S. 52) gaben darauf die deutsche Antwort. Auch die russischen Völker trotzten den

Fesseln, mit denen die Verbündeten des Zaren sie in Botmäßigkeit halten wollten.

Die Waffenerfolge Deutschlands hatten das Friedenstor geöffnet, durch das der Osten Europas sich zu treten anschickte.

2. Waffenstillstand und Iriedensvorverhandknngen. Seit Ende No­ vember waren die militärischen Operationen an der Ostfront eingestellt. Am 3. De­

zember wurden in der polnisch-russischen GrenzstadtBrest-Litowsk, demHauptquartier des Oberbefehlshabers Ost, die Waffensüllstandsverhandlungen durch den Prinzen Leopold eröffnet und fürs erste eine 10 tägige Verlängerung der Waffen­ ruhe festgesetzt. Notgedrungen schloß sich Rumänien dem Beispiele Rußlands an, wogegen Wilson gerade jetzt seine Kriegserklärung an Österreich verkündete (vgl. S. 52). Inzwischen hatte auch die „Republik der Ukraine" ihre Selbständigkeit

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XIII. Kriegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten.

erklärt und schickte ebenfalls Abgeordnete nach Brest-Litowsk. Am 15. Dezember kam ein förmlicher Vertrag über Waffenstillstand auf die Dauer eines Monats (bis zum 14. Januar) zustande. Weitere Vereinbarungen behandelten die all­ gemeinen Leitsätze über den Frieden ohne Annexion und Entschädigung und über die freie Selbstbestimmung der Völker. Zu Weihnachten , wurde eine zehntägige Verhandlungspause eingeschoben, um ungeklärte Streitpunkte mit den eigenen Regierungen zu beraten und den Ententemächten die Gelegenheit zu geben, in Mitverhandlungen über einen „allgemeinen Frieden" einzutreten. NückVNL arrf das Kriegsjasr 1917. Der Vierverband verweigert den Frieden;

Nordamerika tritt mit seinen Trabanten in den Weltkrieg ein; in Rußland wird das Zarentum gestürzt.

Die Angriffsschlachten der Engländer erst bei Arras, dann bei

Apern, zuletzt vor Cambrai im eigenen Blut erstickt; die Franzosen an der Aisne und bei Verdun erschöpft; Ostgalizien und Bukowina von der russischen Invasion befreit. Die deutsche Friedenskundgebung und der päpstliche Mahnruf verworfen; darauf Riga und die ostseebeherrschenden Inseln erstritten und Italien aufs Haupt geschlagen.

Neun Millionen Tonnen feindlichen oder feindlich-dienstbaren Schiffsraumes versenkt.

Schmähliche Geheimverträge der Entente durch die russische Revolution enthüllt; Waffenruhe und Friedensverhandlungen im Osten; die Vorteilsposten Deutschlands und seiner Freunde gestiegen ungeachtet potamien, Palästina und Deutsch-Ostafrika.

der englischen Fortschritte in Meso­

3. Verschleppung des Friedensschlusses. Die Abgeordneten der russischen Bolschewistenregierung hatten gefordert, daß die besetzten Gebiete vor Abschluß des Friedens geräumt und Volksabstimmungen der Randvölker in Polen, Litauen und Kurland erholt werden sollten. Dazu kam noch am 3. Januar, dem letzten Tage der vereinbarten Pause, das ausfällige Verlangen, den Verhandlungssitz ins „neutrale Ausland" nach Stockholm zu verlegen, während Lloyd George noch schroffer als jemals seine unversöhnlichen Kriegsziele verkündete und dabei, um Frankreich an sich zu fesseln, für Elsaß-Lothringen den Kampf „bis zum Untergang" in Aussicht stellte. Am 4. Januar wies Kanzler Hertling die russischen Forderungen als unannehmbar zurück, worauf die Verhandlungen in BrestLitowsk vorerst mit den Vertretern der Ukraine allein weitergeführt wurden. a) Zu dieser Zeit hatte außer Litauen und der Ukraine auch Finnland sich zur unabhängigen Republik erklärt. Da sie dafür die Anerkennung Deutschlands gefunden,

zog Trotzki es vor, selber nach Brest-Litowsk zu gehen, „um seine Forderungen münd­ lich zu vertreten" (11. Januar). Aber die anmaßende Art, wie er dabei verfuhr, ließ

erkennen, daß es ihm nur um Zeitgewinn und Verschleppung zu tun war. Zuletzt nahm er einen Borwand, die Verhandlungen ganz zu unterbrechen, und kehrte schleunigst nach Petersburg zurück, wohin ihn die Gefahren riefen, die seiner Pöbel­ regierung von den bürgerlichen „Sozialrevolutionären" drohten (18. Jan.). b) Unbeirrt von den Machenschaften der Gegner, traten die verbündeten Staats­ männer Hertling und Czernin in öffentlichen Kundgebungen für ihre geradlinige

Politik ein, gestützt „auf die Macht, die Loyalität und das gute Recht ihrer Staaten."

Zugleich wiesen sie jede ungebührliche Einmengung des feindlichen Auslandes in

XIII. Kriegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten.

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ihr Friedenswerk und alle Umtriebe zurück, die ihren bisherigen Zusammenhalt zu lockern suchten. c) Inzwischen hatte Trotzki in Petersburg mit Hilfe der „Roten Garde" seine

Diktatur und damit die Herrschaft des Proletariats zur Obmacht geführt, womit die Enteignung alles Privatbesitzes verbunden sein sollte. Ähnliche sozialistische Brand­ stiftung sollte auch in die deutschen und österreichischen Staaten getragen und eine anarchistische Weltrevolution angefacht werden. In solchen Absichten, erschien Trotzki zu Ende Januar wieder in Brest-Litowsk und hielt dort seine bolschewistischen Reden

„zum Fenster hinaus", während bereits in Wien und Pest, in Hamburg, Berlin und

München künsllich hervorgerufene Arbeiterstreike aufflackerten.

Doch verfehlten diese

Aufreizungen ihren Zweck. Da zudem schon am 9. Februar die Friedensurkunde mit der Ukrainischen Republik fertiggestellt wurde, erklärte Trotzki plötzlich auch für Rußland den Kriegszustand als beendet, ohne sich zu einem Friedens­

schluß zu bequemen (10. Februar). Damit lösten sich zwar in aller Form die russischen Fronten auf. Um so übler aber begannen die freigewordenen Banden in den Rand­ gebieten zu hausen. Wieder rauchte das russische Land von Blut und Gewalttat.

4. Ae«1sche Kikfsaktion für die russischen Htandvötker. „Ohne Frie­ densschluß", wie Trotzki verkündet hatte, konnte nur der Waffenstillstand, nicht aber der Krieg mit Rußland beendet fein. Aus Litauen und der Ukraine, aus den baltischen Provinzen und aus Finnland, von deutschen und fremdstämmigen Volksteilen, gelangten an die deutsche Heeresleitung dringliche Hilferufe gegen die entstörenden Mißhandlungen durch die räuberischen Bolschewikibanden und ihre Rote Garde. Um die Schreckensherrschaft zu brechen, setzten sich seit 16. Fe­ bruar die Armeen der Mittelmächte noch einmal in Bewegung: aus Galizien und Wolhynien rückten deutsche Tmppenteile, denen später auch Österreicher nachfolgten, in die Ukraine ein und säuberten Kiew und alles Gebiet bis an den Dnjeper und das Schwarte Meer einschließlich der Krim von seinen Bedrängern. Das gleiche geschah in Weißrußland (bis Minsk und Borissow); auch Livland und Estland mit den Städten Reval, Dorpat und Narwa wurden von deutschen Sicherungstruppen besetzt. Aber schon nach den ersten Erfolgen dieses Abwehr­ feldzuges beeilte sich die russische Regierung um der eigenen Erhaltung willen, die kürzlich preisgegebenen Friedensverhandlungen zu erneuern (Ende Februar). 5. Per Iriedensschkuß von Aress-MowsL am S. Würz 1918. Was monatelange Verhandlungen nicht vorwärts gebracht hatten, erzielte der militärische Druck in wenigen Tagen. Schon am 3. März wurde zu Brest-Litowsk der Friede mit Rußland unterzeichnet und am 16. März von dem „Mmssischen Sowjet­ kongreß der Arbeiter-, Soldaten- und Bauemdeputierten in der Stadt Moskau" bestätigt: Rußland gab darin auf Gmnd der Kriegsergebnisse nicht nur Polen und Armenien sondern auch Kurland (mit Mitau und Libau) und Litauen (mit Mlna, Kowno und Grodno), ebenso Livland mit den Ostseeinseln und Estland und die gesamte Ukraine vom Pripjet bis an den Dnjeper und das Schwarze Meer frei, eine herausgeforderte Folge des „steten Selbstbestimmungsrechtes der

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XIII. Kriegsabkehr und Friedensschlüsse im Osten.

Völker". So war Großrußland mit einem Schlage um eine Bevölkerungsmenge von 60 Millionen gemindert, der gefürchtete Koloß des Ostens durch die Schuld seiner Verbündeten zusammengebrochen und der weiteren inneren Zersetzung verfallen. Deutschland aber hatte den schweren Zweifrontenkrieg heil über­ wunden; denn auch mit Rumänien war bereits der Waffenstillstand erneuert und der Weg zu Friedensverhandlungen betreten worden (vgl. Abs. 6). In den freigegeöenen russischen Gebieten blieben nach dem Wunsche der Völker deutsche Schutztruppen stehen, um die innere Ruhe bis zur staatlichen Neuordnung zu sichern. Ein ähnliches vollzog sich jetzt auch in Finnland, wo die Weißen Truppen

der Ordnungspartei noch harte Kämpfe mit den Roten Garden auszufechten hatten, bis ein deutsch-finnisches Heer Helsingfors und Wiborg in seine Gewalt brachte (Mitte

April) und schließlich bei Tavastehus 20000 Aufrührer zu Gefangenen machte (am 4. Mai). Inzwischen war unter deutscher Hilfe der „Ukrainische Staat" begründet worden mit einem neuen Hetman an der Spitze, der in der alten Landeshauptstadt

Kiew seinen Regierungssitz einrichtete. Aus Litauen und Kurland, Livland und

Estland ergingen Anträge der Landesräte, die auf einen unmittelbaren Anschluß an Deutschland abzielten, während Finnland ein Bundesverhältnis errichtete. In Groß­

rußland aber glitt die Zerrüttung mehr und mehr in Auflösung hinüber. Mit Geor­ gien erklärten sich auch die übrigen Kaukasusländer zur selbständigen Republik;

die Kosaken errichteten eine Don-Republick.

Den gleichen Weg ging Sibirien,

wo allerdings die Japaner sich bereits in Wladiwostok festgesetzt hatten und von

dreisterem Zugreifen vorerst nur durch unfreiwillige Rücksicht auf die amerikanisch­ englischen Bundesgenossen abgehalten wurden. Hinterrücks aber sicherten sich die Ja­ paner ihre Obmachtstellung in China durch Vertrag und Bündnis „gegen die deutsche

Bedrohung" (Mitte Mai 1918).

Zur Schadloshaltung besetzten die Engländer die

Murmanküste auf der Halbinsel Kola und Archangelsk am Weißen Meere und be­ trieben von hier aus mit Hilfe der tschecho-slowakischen Überläuferverbände in Si­

birien die Gegenrevolution gegen die wankende Sowjetregierung in Moskau.

Für

alle Fälle aber hatten sie damit auch Rußland vom Meere abgesperrt.

6. Der Iriede von Wukarest am 7. War 1918. Mit Rumänien war im Schlosse Buftea bei Bukarest am 5. März ein Vorfriede vereinbart worden, nachdem der Ententesöldling Bratianu seine unheilvolle Tätigkeit eingestellt hatte. An seinen Platz war das nationale Ministerium Marghiloman getreten, das unter Überwindung dynastischer Widerstände zu redlichen Verhandlungen schritt und im Frieden vom 7. Mai stark gemilderte Bedingungen zugestanden erhielt: a) An Österreich-Ungarn wird aus strategischen Gründen ein langgezogener,

etwa 10 km breiter Grenzstreifen abgetreten, der bei Turn-Severin (unterhalb des Eisernen Tores) beginnt und längs des transsylvanischen Gebirgskammes bis zur Bukowina und dem oberen Pruth verläuft, ein Gebiet von 5000 qkm, das die vielumkämpften Karpatenpässe einschließt; b) die Dobrudscha fällt in ihrem südlichen Teil an Bulgarien, während der nördliche Teil von Konstanza bis zur Donaumündung vorerst als Gemeinbesitz des Bierbundes zurückgehalten wird; c) die Donauschiffahrt einschließlich der Verkehrslinie zur Hafenstadt Konstanza steht allein den Anliegerstaaten des Donaugebietes zu; d) Bessarabien wird dem

XIV. Um die Entscheidung im Westen 1918.

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rumänischen Staate zugesagt; e) die Erträgnisse der rumänischen Ölindustrie und die Überschüsse der Bodenwirtschaft werden vertragsmäßig den beiden Mittel­

mächten zugesichert; f) die dynastischen und innerpolitischen Angelegenheiten bleiben der nationalen Entscheidung anheimgestellt, eine Schonung des treu­ brüchigen Königshauses, die den beiden Unterhändlern Kühlmann und Czernin späterhin zum Vorwurfe gemacht wurde. Ergebnisse der Ostpolitik für die Mittelmächte: Enges Bündnisverhältnis zu den beiden Balkanstaaten (Bulgarien und Türkei); Friede mit Rumänien und Großrußland; Freundschaft mit dem neuen Ukrainischen Staat, mit Finnland, Estland und Livland (die von Rußland „losgelöst" sind); Anschluß von Polen, Litauen und Kurland in neuen Formen, die erst im Werden begriffen sind. Im ganzen eine politische Umwälzung von ungeahnter Tiefe — dank den Siegestaten der verbündeten Armeen, welche ihrerseits willkommene Rückenfreiheit gewonnen haben.

XIV. Abteil.

Um die Entscheidung im Westen 1918. 1. Die verschärfte Kriegspotitik der Westmächte. Je mehr im Osten der Feuerbrand verloderte, desto feindseliger flammte im Westen die Kriegsleidenschaft auf, um den „Schandfrieden von Brest-Litowsk" und die „deutschen Weltherrschaftspläne" umzustürzen. Dabei rechneten die Gegner noch immer mit der baldigen Erschöpfung der Mittelmächte und ihrem inneren Zerfall. Allerseits wurde die „letzte Entscheidung" durch außerordentliche Zurüstungen vorbereitet: England, durch seine Schiffs­ einbuße erbittert und um seine Weltbeherrschung besorgt, erhöhte die

allgemeine Dienstpflicht bis auf das 50. Lebensjahr; der Kriegsrat in

Versailles schuf eine starke „Reservearmee" aus Heeresteilen aller Berbandstaaten unter dem Oberbefehl des draufgehenden Generals Foch; Amerika vermehrte seine Truppensendung und Wilson, der eben im

Einverständnis mit England schonungslosen Schiffsraub an Holland ver­ übt hatte, predigte nur mehr „Gewalt ohne Maß und Grenzen, die rechte triumphierende Gewalt, die die Gesetze der Welt wieder in ihre Rechte einsetzen und jede selbsttsche Oberherrschaft in den Staub schleudern wird".

Sogar das geschlagene Italien sandte Truppen nach Frankreich

und heuchelte Bernichtungswut gegen Deutschland.

2.1»ie deutschen Anstürme im Weste«. Die deutsche Regierung hatte in gemessener Sachlichkeit alle böswilligen Bezichtigungen zurückgewiesen, aber auch im Verein mit der Obersten Heeresleitung die Anstalten zu einem großen Waffengang getroffen. Letzte Warnungen verhallten an dem Kriegswillen der Gegner und ihren unüberwindlichen Raubzielen.

So

mußten die bereitstehenden Heeresvölker noch einmal zum Kampfe schreiten.

XIV. Um die Entscheidung im Westen 1918.

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a) Die Offensive an der Somme. Am 21. März begleitete den Frühlingseinzug die vollentbrannte Artillerieschlacht auf der langgestreckten Linie von Arras bis La Fore, selber nur das Vorspiel zur deutschen Riesenoffensive, welche anderntags zwischen Cambrai und St.-Ouentin einsetzte und mit zerschmetternder Wucht sich besonders gegen die dortige

Berührungslinie des englischen und französischen Frontabschnittes richtete. Hindenburg und Ludendorff als Schlachtendenker, Kronprinz Rupprecht Und der Deutsche Kronprinz als Heeresleiter, Below und Marwitz und Hutier als Gruppenführer und alle einzelnen Truppenteile groß und klein vollbrachten in glänzendem Zusammenwirken wohl das größte Schlach­ tenwerk des bisherigen Krieges: in achttägigem Kampfe dem überraschten

Gegner Schlag auf Schlag alle Vorteile seines mehr als dreijährigen Stellungskampfes zu entreißen, über Bapaume und Peronne das alte Kampffeld an der Ancre und Somme hinunter bis an die Oise zu überschreiten

und jenseits der Linie Albert-Noyon bis nach

Pierre-

Pont und Montdidier vorzubrechen (27. März). Ob Engländer oder Franzosen, Amerikaner oder Portugiesen, Weiße oder Farbige, aller Widerstand mußte vor dem Feuer des massierten Vorstoßes weichen oder sich gefangen geben. Zu Ende März war im großen Bogen von Arras

über Albert und Montdidier bis nach Noyon und an die Oise (vgl. Karte S. 28) ein Gelände von 3000 qkm besetzt, der Hauptverkehr über Amiens

gesperrt und eine mächtige Beute eingebracht. Zu alledem wurde Paris selber seit 23. März mit weittragenden Kruppkanonen aus einer Ent­ fernung von mehr als 100 km nachhaltig beschossen — ein neues Wunder der deutschen Kriegstechnik. Koch ass HöerbefehksHaker der Entente.

Der Schrecken über die erlittenen

Verluste und die Furcht vor der Endniederlage überwanden ein letztes Hemmnis des

englischen Nationalstolzes: Lloyd George konnte ungetadelt die britischen Streitkräfte endlich einem „Oberkommando der Alliierten" unterstellen, das schleunigst dem fran­ zösischen General Fach, dem bisherigen Führer der gemeinsamen „Bewegungsarmee",

übertragen wurde. Haig und Petain sanken damit in die Stellung von Unterbefehls­

habern herab. Vergeblich aber setzte der „neue Hindenburg" zunächst an der Somme und Ancre seine besten Truppen zu wochenlangen Gegenstößen ein, während schon

ein zweites Unwetter weiter nordwärts an der Lys aufstieg.

b) Die Offensive bei Armentieres nnd Hpern. Bei Armentiores, dem wichtigsten Stützpunkte des englischen Frontabschnittes, griff am 9. April ein zweiter Massenstoß ein, dem nicht nur der starkbefestigte Haupt­ ort selbst sondern auch die ganze Stellung an der Lys bis nach Merville zum Opfer fiel. Gleichzeitig geriet nordwärts davon der Bogen um Dpern ins Wanken und aller Gewinn der vorjährigen Flandernschlachten

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XIV. Um die Entscheidung im Westen 1918.

mit den historisch gewordenen Orten Langemarck und Poelkappelle, Passchendaele und Zonnebeke, Zillebeke, Hollebeke und Wytschaete mußte

an die deutschen Sturmkolonnen preisgegeben werden. Kaum aber war der Vpernbogen von Ost und Süd bis auf 3 km an die Stadt angenähert, so wurde auch die Ausbuchtung längs der Lys nordwärts über Bailleul erweitert und dieser Erfolg am 25. April mit der Erstürmung des Kemmelberges und der Ortschaft Dranoutre (durch die bayerische Division Prinz

Franz) gekrönt. Raumgewinn und Siegesbeute waren noch einmal um ein bedeutendes gestiegen. Blutige Gegenstöße, die der Feind in den nächsten Wochen am Kemmelberg und an

anderen Punkten der neuen Front Vortrieb, trugen keinen greifbaren Gewinn ein. Auch ein zweimaliger Seeangriff der Engländer auf Ost ende und Zeebrügge, um diese

Ausgangshäfen der II-Boote zu sperren, scheiterte an der wachsamen Abwehr (24. April und 10. Mai).

Einen beklagenswerten Verlust erlitten die deutschen Fliegergeschwader

an der Somme durch den Heldentod des Rittmeisters v. Richthofen, der am 21. April

nach dem 80. Luftsieg bei Amiens fiel.

c) Die Offensive an der Aisne. Am 27. Mai gingen zwei Armeen der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz südwärts von Laon zum Sturm gegen den Damenweg vor und entrissen dem betroffenen Feinde nicht nur den ganzen Höhenzug sondern auch südwärts davon das Gelände zu beiden Seiten der Aisne. Folgenden Tags wurde der Angriff jenseits der Aisne bis an die Besle vorgeführt und dabei die Linie Soissons-Reims über­ schritten, Reims selber noch enger eingeschnürt und östlich davon in der

Champagne ein Stück der ältesten Kampffront zwischen Prunay und

Tahure (mit Prosne, Auberive und Souain) zurückgewonnen. Nachdem die Franzosen auch hier bereits allen früheren Erfolg eingebüßt hatten,

wurde am 29. Mai noch Soissons genommen und darauf durch die Armee Boehn der Vormarsch an die Marne bis Dormans und Chateau-Thierry fortgesetzt (1. Juni). In den nächsten Tagen vermochte die Armee Hutier

noch den einspringenden Frontwinkel bei Noyon durch energisches Vor­ rücken an der Oise zu strecken und so die Ausbuchtung der Linie AlbertMontdidier-Soissons weiter abzurunden (vgl. Karte S. 28). Die drei großen

Offensivunternehmungen an der

Westfront

haben

in der Zeit vom 21. März bis 21. Juni außer großem Raumgewinn im ganzen

191000 Gefangene, 2476 Geschütze, 15000 Maschinengewehre, Hunderte von Sturm­ wagen und massenhaftes anderes Kriegsgeräte eingebracht. 3. Neöenhergehende Uegeönisse. a) Die deutschen Erfolge hatten die Erbitterung der Besiegten und ihre Rachbegier fieberhaft gesteigert. Eine moralische Ermutigung gaben die wachsenden Zuzüge amerikanischer Truppen. Ähnlich wirkten die jüngsten

Ereignisse an der italienischen Front, woselbst die Österreicher am 15. Juni einen gewagten Angriff über die Piave vorgeführt und namhafte Erfolge davongetragen

XIV. Um die Entscheidung im Westen 1918.

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hatten, aber auf tschechische Verräterei hin schon am 24. Juni zu nachteiliger Umkehr genötigt wurden. Der bald folgende Rücktritt des Feldmarschalls Conrad von Hötzen-

dorf, an dessen Stelle Erzherzog Joseph zur obersten Heeresleitung berufen wurde, erschien als Nachwirkung der erlittenen Schlappe. Große Hoffnungen bauten die Feinde nebenher auf die einreißenden Nationalitätenkämpfe und die wirtschaftlichen Nöte des

österreichischen Staates.

b) Mancherlei innerpolitische Ereignisse, die mit der Kriegslage keinerlei Berührung hatten, blieben gierigen Mißdeutungen ausgesetzt. Dahin gehörte der Ab­ gang des bulgarischen Ministerpräsidenten Radoslawow, noch mehr der Rücktritt des österreichischen Außenministers Czernin, der wieder durch Graf Burian, und des

deutschen Staatssekretärs Kühl mann, der durch den Admiral Hintze ersetzt wurde (9. Juli).

c) Zusammentreffend fielen der Entente zwei verbrecherische Mordtaten zur Last, die durch gegenrevolutionäre Elemente in Rußland verübt wurden: in Moskau an dem deutschen Gesandten Graf Mirbach (ant 6. Juli), in Kiew an dem Feld­

marschall Eichhorn,

dem deutschen Oberbefehlshaber in der Ukraine, und seinem

Adjutanten Dreßler (am 30. Juli). d) Die dafür eingeleitete

Sühne durch die Regierungsgewalten entlastete die

bolschewistische Partei mitnichten von der eigenen Untat, die sie am 16. Juli an dem mißhandelten Exzaren Nikolaus begangen hatte.

Um seine Person nicht in die

Gewalt der tschecho-slowakischen Gegner fallen zu lassen, hatte der uralisch-sibirische Sowjet den Gefangenen erst von Tobolsk nach Jekaterinburg verschleppt, dort aber

in der Stunde neuer Gefahr zum Tode verurteilt und erschießen lassen. Verwunder­ lich dabei eines: der Mächtigste unter den Anstiftern des Weltkrieges zahlt den Ruin

seines Volkes durch ein entehrendes Ende, die ruchloseren Hauptschuldigen aber stehen achtlos zur Seite oder hasten ruhelos weiter an der Esse ihres unseligen Kriegswerkes-

4. Zwilchen Marne und Aisne (Ende Juli 1918). Unter Ausnützung ihrer raschen Erfolge hatte am 15. Juli die Armee Boehn zwischen ChateauThierry und Dormans die Marne überschritten und am anderen Ufer einen Brückenkopf eingerichtet. Dort aber wurde sie bei ihrem weiteren Vormarsch durch starken Gegenangriff aufgehalten und schon am dritten Tage (18. Juli) wieder über den Strom zurückgenommen.

Der scheinbare Erfolg reizte

den Gegner zu Größerem. „Das beste Mittel zum Ende des Krieges ist seine Fortsetzung" — nach dieser flinken Weisung seiner Regierung raffte

Foch schleunig die verfügbaren Kräfte, eigene und Hilfsvölker aller Farben, im ganzen 60 Divisionen mit etwa anderthalb Millionen Mannschaften, zu einer großen Gegenoffensive auf die Keilflanken des vorgeschobenen Truppenteils zusammen. Die deutsche Heeresleitung begegnete aber der geplanten Abschnürung durch rechtzeitige Zurücknahme der gefährdeten Truppenkörper auf gesicherte Linien, erst bis an den Ourcq, dann bis an die Aisne (hinter Soissons) und über die Vesle (hinter Fismes). In vorsichtig angelegten Nachhutschlachten gelang es, die ungestüm nach-

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XIV. Uni die Entscheidung im Westen 1918.

setzenden feindlichen Stteitkräfte planmäßig

zu schwächen

und durch

Preisgabe eines Teiles der Neueroberungen den strategischen Vorteil

längs der Linie Soissons-Reims in sicherer Hand zu behalten (Anfang August). „Die Bewegungsschlacht", sagte Ludendorff, „mußte den feind­ lichen Plan eines entscheidenden Erfolges vereiteln und dem Angreifenden

nutzlos große Opfer kosten. Das aufgegebene Gelände spielte dabei keine

Rolle, sondern nur die wuchtigen Schläge, die wir ihm versetzt haben." Die gleiche Taktik bewährte die deutsche Heeresleitung gegenüber einem an äußeren Kräften überlegenen Gegenangriff, der in der

zweiten Augustwoche an

dem benachbarten westlichen Frontabschnitt zwischen. Arras »nd Aayon, nament­

lich

an der Anne und Avre (dem rechten und linken Zuflusse der Somme),

mit mächtigem Ungestüm einsetzte. Wohl wurden auch hier in heißen Kampftagen wichtige Punkte wie Montdidier und Albert preisgegeben und

die

deutsche

Front über jüngst erobertes Gelände behutsam zurückgezogen. Aber auf der ge­ streckten inneren Linie scheiterten an dem Widerstande der neugebildeten Heeres­ gruppe v. Boehn die Anstürme der „glorreichen Offensive", wie sie von den französisch-englischen und amerikanischen Gegnern im voraus geheißen wurde.

5. Zur Aolkendung des vierte« Kriegsjayres. Im ersten Jahre hatte stürmischer Angriffsgeist den ausgenötigten Kampf nach zwei Seiten in Feindesland getragen und die Heimat vor den Kriegsschrecken bewahrt. Im zweiten und dritten Jahre haben deutsche Schläge die Kraft des Feindes im Osten gebrochen, im Westen einstweilen aller Übermacht die Stirne geboten. Als Frucht dieser Siege brachte das vierte Kriegsjahr int Osten

den Frieden, im Westen die Erfolge der jüngsten Feldschlachten und der

standhaften Abwehr. Neben den militärischen Ehren stehen die völkischen Werte: die Kraft und Umsicht der Reichsleitung, der Heldengeist des großen Feldheeres, die Werkleistung der Wirtschaftsordnung und der Kriegstechnik, die treue Zusammenarbeit aller Stände und Alter, auch der Frauen und Kinder, an der vaterländischen Heimfront, die opferwillige Fürsorge für alle Ge­ schädigten. Darüber aber neben ehrlicher Versöhnlichkeit eine unverbrüch« liche Entschlossenheit, entsprechend der kaiserlichen Kundgebung am Tage des Kriegsbeginnes: „Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt allein der unbeugsame Wille, den Platz zu behaupten, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter." An zählbarem Gewinn erbrachte das aufgezwungene vierte Kriegsjahr:

218000 Geviertkilometer eroberten Landes, davon 198000 im Osten, 14000 in Italien,

4000 im Westen, nicht gerechnet die weiten Gebiete von Finnland, Weißrußland, der Ukraine, der Krim und der Kaukasusländer bis nach Tiflis, die vorerst alle noch durch

deutsche Hilfstruppen gesichert oder polizeilich überwacht sind; dazu als deutsche

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XIV. Um die Entscheidung im Westen 1918.

Siegesbeute 838000 Gefangene (Gesamthöhe 3^/z Millionen), 7000 Geschütze, 24600 Ma­

schinengewehre, 2000 Flugzeuge, 300 Tanks, 3000 Lokomotiven, 28000 Eisenbahn­ wagen und Millionenzahlen militärischen Kleinvorrates.

Der versenkte feindliche

Schiffsraum hat bei einem Zugang von 7 Millionen Registertonnen int ganzen be­

reits 19 Millionen überschritten, deren Wert und Ladung auf 50 Milliarden Mark veranschlagt wird. Der feindliche Mannschaftsverlust an Toten, Verwundeten und Gefangenen, abermals um 6 Millionen gemehrt, ist unparteiisch auf 25 Millionen

seit Kriegsbeginn berechnet worden. Anderseits ist die deutsche Kriegsschuld auf 139 Mil­ liarden angestiegen, wovon bisher 88 Milliarden durch acht Anleihen ihre flüssige Deckung fanden. Dagegen haben die Ententestaaten, die für ihre viel höheren Kredite

von 500 Milliarden Mark nur den vierten Teil zu fundieren vermochten, im letzten Jahre überhaupt keine weiteren Volksanleihen mehr gewagt, sind aber dafür an

Amerika bereits mit 30 Milliarden verschuldet.

6. Weltlage nach Zteginn des 5. Kriegsjahres. Ohne Friedens­ klang ist das fünfte Kriegsjahr heraufgezogen und seltsam verworren das allgemeine Weltbild: Rußland in Chaos und Auflösung durch Revolution und Gegenrevolution und durch feindseliges Eingreifen seiner früheren Freunde, England machtsüchtig und kriegstreibend in seiner Besessenheit gegen Deutschland, Frankreich und Italien verknechtet im britischen Joch und doch eroberungslüstern, Japan voll Eifer an der hinterlistigen Raubarbeit im fernen Osten, in China und Sibirien, das gierige Amerika mit schieläugigem Blick zwischen Europa und Asien. Inmitten aller das einzige Deutschland mit wenigen Freunden zur Seite, umbrandet von den Fluten des Welthasses, aber siegesstark allwegs und unerschütterlich bereit, seine zweite Nibelungenzeit zu vollenden, nicht durch den Untergang, den ihm die Welt zugeschworen, sondern durch einen ehrenhaften und gerechten Frieden, den es mit Gottes Hilfe sich

und der mißhandelten Menschheit erkämpfen will. Abgeschlossen zu Mitte August 1918.