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German Pages 151 Year 1994
Der Weg zur realen Einheit
SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 44
Der Weg zur realen Einheit Fortschritte und Hemmnisse
Herausgegeben von
Jens Hacker
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der Weg zur realen Einheit : Fortschritte und Hemmnisse I hrsg. von Jens Hacker.- Berlin : Duncker und Humblot, 1994. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 44) ISBN 3-428-08151-X NE: Hacker, Jens [Hrsg.]; Gesellschaft für Deutschlandforschung: Schriftenreihe der Gesellschaft ...
Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz und Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-08151-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken
INHALT Jens Hacker Begrüßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erster Teil: Gesellschaftspolitische Herausforderungen
Rainer Eppelmann Chancen und Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen . . . . . . . . . . . .
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Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fred Klinger Die Herausforderung der Einheit: Wirtschaftlicher Aufbau und institutionelle Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweiter Teil: Europa
Dieter Mahncke Bewundert, beneidet, aber kaum geliebt: Das vereinte Deutschland aus der Sicht des Auslandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tilman Mayer Die künftige Rolle des Nationalstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil: Befindlichkeiten in Ost und West
Podiumsdiskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierter Teil: Hochschul- und Schulwesen
Ulrich Pickel Hochschulwesen in den neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus-Jürgen Tillmann Staatlicher Zusammenbruch und schulischer Wandel. Schultheoretische Reflexionen zum deutsch-deutschen Einigungsprozeß. . . . . . . . . . . . . . 141 Die Autoren
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BEGRÜSSUNG durch den Vorsitzenden der Gesellschaft für Deutschlandforschung
Prof Dr. Jens Hacker
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur wissenschaftlichen Arbeitstagung 1993 der Gesellschaft für Deutschlandforschung darf ich Sie herzlich willkommen heißen. Leider muß ich es mir aus zeitlichen Gründen versagen, bestimmte hier anwesende Persönlichkeiten namentlich vorzustellen. Die Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen des seit dem 3. Oktober 1990 staatlich vereinigten Deutschland schlugen sich auch bei der Vorbereitung dieser Tagung nieder. Ich kann mich an keine Jahrestagung erinnern - und ich bin ja von Anfang an dabei - , die mit so vielen Problemen behaftet war. Trotz dieser Schwierigkeiten meine ich, daß es einigen Kollegen aus dem Vorstand und mir gelungen ist, ein sinnvolles Programm mit ausgewiesenen Referenten zusammengestellt zu haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Kollegen Manfred Wilke, dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied, der trotz seiner starken beruflichen Beanspruchung in hervorragender Weise geholfen hat, qualifizierte Referenten anzusprechen und zu gewinnen. Mein weiterer Dank gilt sogleich Herrn Rainer Eppelmann, der, ohne zu zögern, bereit war, heute das erste und wichtige Thema hier zu behandeln. Danken möchte ich auch meinem Kollegen Hans-Peter Schäfer, der bei der Gestaltung der vierten Arbeitssitzung mit dem Thema "Hochschulund Schulwesen" mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Denn auch für diesen Fragenbereich war es außerordentlich schwierig, ausgewiesene Referenten zu bekommen. Das Generalthema unserer Tagung "Der Weg zur realen Einheit - Fortschritte und Hemmnisse" geht auf einen Vorschlag des langjährigen Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft, Siegfried Mampel, zurück, der weiterhin mit großem Engagement den Vorstand berät, die äußerst prekäre Lage der Gesellschaft für Deutschlandforschung zu meistem. Sollte der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages seinen Beschluß, jenen Haushaltstitel zu
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streichen, aus dem bis Ende 1993 Maßnahmen zur zeitgeschichtlichen und integrationsbegleitenden Deutschlandforschung finanziert werden, nicht revidieren, dann kann die Gesellschaft nicht mehr in dem bisherigen Rahmen weiterarbeiten. Die äußerste Konsequenz wäre die Auflösung der Gesellschaft, die eine Mitgliederversammlung laut Satzung zu beschließen hätte. Diese Versammlung müßte um die Jahresmitte einberufen werden. Der Vorstand hat gestern abend in einer mehrstündigen Sitzung die Situation geprüft, ob es sinnvoll ist, unter anderen, also den wesentlich verschlechterten Umständen über den 31 . Dezember 1993 hinaus die Arbeit der Gesellschaft fortzuführen. Da offensichtlich die Mehrheit der Mitglieder im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages ohne das richtige Empfinden für die notwendige begrenzte weitere Förderung der zeithistorischen und integrationsbegleitenden Deutschlandforschung ist, habe ich mich Ende Februar brieflich an die Vorsitzenden der drei wichtigen Bundestagsfraktionen, die Herren Dr. Schäuble, Klose und Dr. Solms, gewandt. Herr Eppelmann und Frau Bundesministerin a. D. Dr. Wilms sind durch Herrn Wilke über die Situation der Gesellschaft informiert worden. Mehrere Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestages haben Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft für Deutschlandforschung auf die einschneidenden Konsequenzen hingewiesen, die Gesellschaft nicht mehr finanziell zu unterstützen. Ohne eine voll funktionierende Geschäftsstelle mit mindestens einem hauptamtlichen Mitarbeiter kann die Gesellschaft nicht existieren. Auch wenn sie einen Teil ihrer Verwaltungskosten bereits aus eigenen Mitteln, Beiträgen und Spenden von Mitgliedern bestreitet und gewillt ist - auch darüber werden wir ja heute abend beraten - , den Anteil der Mitgliedsbeiträge zu erhöhen, reichen diese Mittel bei weitem nicht aus, eine räumlich und personell reduzierte Geschäftsstelle weiterhin zu tragen. Der Vorstand ist bemüht, wichtige Wirtschaftsunternehmen zur Mitgliedschaft zu bewegen, doch können mögliche finanzielle Zuwendungen von dieser Seite nur eine begleitende Unterstützung darstellen. Diese prekäre Situation stimmt den Vorstand - ich nehme an, auch viele Mitglieder der Gesellschaft - außerordentlich traurig. Das zuständige Referat des Bundesministeriums des lnnern wies in einem Schreiben vom 2. März 1993, also vor wenigen Tagen, der Gesellschaft für Deutschlandforschung einen möglichen Ausweg. Sollte sich die Gesellschaft entschließen, ihre Arbeit grundsätzlich fortzusetzen, so stehe ihr die Möglichkeit offen, für Veranstaltungen der deutschlandpolitischen und integrationspolitischen Bildungsarbeit Förderung aus den Mitteln und gemäß den Förderrichtlinien der Bundeszentrale für politische Bildung zu beantragen. Selbst wenn die Bundeszentrale dazu bereit wäre, würde das nichts an dem Faktum ändern, daß dieser Vorschlag den Fortbestand einer voll funktionierenden Geschäftsstelle nicht einschließt. Eine finanzielle Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung würde sich nur auf
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Veranstaltungen von Tagungen und die Herausgabe von Sammelbänden beziehen. Die Gesellschaft für Deutschlandforschung hat seit dem 3. Oktober 1990 einen beachtlichen Zuwachs von Mitgliedern zu verzeichnen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß bis zum Jahresende ihr 700 Mitglieder angehören werden. Erfreulich ist, daß ihr inzwischen auch eine Reihe von Wissenschaftlern aus den neuen Bundesländern beigetreten ist. Beachtlich ist auch die Zunahme von Mitgliedern aus dem westlichen Ausland - Großbritannien, den USA und den Niederlanden. Einige polnische Wissenschaftler haben sich zu dieser Jahrestagung erstmals angemeldet. Neben Wissenschaftlern aus dem westlichen Ausland melden sich auch solche aus Polen sowie der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik, die sich mit Deutschland befassen und sich jetzt nach der staatlichen Vereinigung des Landes und der Öffnung wichtiger Akten verstärkt der Deutschlandforschung zuwenden. Vor allem im westlichen Ausland scheint man nun aufgrund der zugänglichen Quellen in der DDR die deutschlandpolitischen Aktivitäten zu verstärken. Nur in der betroffenen Bundesrepublik Deutschland meint man aus haushaltstechnischen Erwägungen heraus, wichtigen Bereichen der seriösen Deutschlandforschung die weitere finanzielle Förderung versagen zu können, soweit diese nicht schon dem Rotstift zum Opfer gefallen ist. Der KW-Beschluß des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages betrifft neben der Gesellschaft für Deutschlandforschung ausgerechnet die Berliner Forschungsstelle für deutsche und gesamteuropäische Integrationspolitik, die frühere Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, die vor dem 3. Oktober 1990 mit ihrer Krisen-Prognose und skeptischen Grundhaltung eine dezitierte Außenseiterposition in der bundesdeutschen Forschungslandschaft eingenommen hat. Es ehrt die Forschungsstelle, daß sie in ihrem Forschungsrahmen 1990/91 festgestellt hat, die nunmehr seit dem Oktober-Umbruch bekanntgewordenen Daten über Ausmaß und Tiefe der wirtschaftlichen und sozialen Deformation der DDR hätten selbst die negativsten Annahmen der Forschungsstelle übertroffen. Andere und einflußreichere Institutionen im Rahmen der Wirtschafts- und sozialwirtschaftlichen Forschung über die DDR hätten sehr viel mehr Veranlassung gehabt, sich zu einer selbstkritischen Reflexion zu entschließen. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit, im Bundeshaushalt weitreichende Sparmaßnahmen vorzunehmen, hält der Vorstand der Gesellschaft für Deutschlandforschung den Beschluß, ihr ab 1994 alle Mittel zu streichen, für einen kapitalen Fehler. Die von der Mehrheit der Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestages vertretene Ansicht, mit dem Ende der DDR sei eine vom Bund mitgetragene institutionelle Förderung der Deutschlandforschung überflüssig geworden, erscheint nicht nur politisch kurzsichtig, sondern wohl auch verfehlt.
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Auf einen weiteren Aspekt möchte ich abschließend kurz hinweisen. Zahlreiche Kollegen und jüngere Wissenschaftler in den neuen Bundesländern haben sich in den letzten Wochen an die Gesellschaft für Deutschlandforschung gewandt und sie gebeten, alles für den Fortbestand der Gesellschaft über das Jahr 1993 hinaus zu tun. Die Gesellschaft für Deutschlandforschung ist ja in der Tat die einzige Institution, die im vereinten Deutschland viele Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus den alten und neuen Bundesländern in ihren acht Fachgruppen zusammenführt und damit ihnen die Möglichkeit bietet, ihre Forschungsergebnisse auszutauschen und zu diskutieren. Nochmals darf ich betonen - und das haben Mitglieder des Vorstands in Bonn gleichfalls getan-, daß die Gesellschaft nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands am 28. Februar 1991 in Berlin ihre Aufgabenstellung erweitert hat. Sie geht davon aus, daß in die Ergebnisse ihrer Arbeit immer stärker die Erfahrungen von Fachkollegen aus ganz Deutschland einfließen. Sie sieht ihre Aufgabe u. a. darin, den Vereinigungs- und Integrationsprozeß in Deutschland zu begleiten, fachlich ausgewiesene, unbelastete Wissenschaftler in den neuen Bundesländern, die sich mit Deutschlandforschung befassen, zu integrieren und einen Beitrag zum Verständnis und zur Förderung des Einigungsprozesses an den Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland und in der Öffentlichkeit zu leisten. Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit man dies in Bonn zu erkennen bereit ist.
Erster Teil: Gesellschaftspolitische Herausforderungen Rainer Eppelmann CHANCEN UND SCHWIERIGKEITEN BEIM ZUSAMMENWACHSEN Mit gewisser Bangigkeit stehe ich hier vor Ihnen, um zum Thema Chancen und Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen der Deutschen oder der beiden Teile Deutschlands zu reden. Bin ich doch weder Wissenschaftler geschweige denn Historiker, sondern historisch Interessierter oder wenn Sie wollen, einer, der an der Geschichte an der einen oder anderen Stelle ein bißeben bewegt hat. Eigentlich bin ich aber ein Zeitzeuge. Ich vermute, das werden Sie an dem, was ich Ihnen jetzt sagen möchte, auch sehr schnell merken. Ich möchte Sie zunächst mitnehmen in die Erinnerung, weil ich glaube, daß man dem sich mir gestellten Thema erinnernd nähern kann. Ich denke an den 3. Oktober 1990, zunächst an die Reden, die an diesem Tag selber oder im Umfeld gehalten worden sind. Die fast alle den Inhalt hatten, eine große Aufgabe stehe uns bevor, eine sehr schöne Aufgabe. Die Möglichkeit dazu ist uns geschenkt worden und wir werden diese Aufgabe im großen und ganzen zumindest in den nächsten drei bis vier Jahren schaffen, den einheitlichen Sozial- und Rechtsstaat Deutschland zu schaffen. Sie merken, diese Erinnerung war notwendig, weil wir heute feststellen, daß wir die Größe dieser Aufgabe unterschätzt haben. Sicher auch deswegen, weil wir am 3. Oktober 1990 noch nicht sahen oder wissen konnten, daß diese ja nicht nur ein deutsch-deutscher Prozeß, eine deutsch-deutsche Aufgabe ist, die uns da bevorsteht, sondern daß dieser Prozeß Auswirkungen hat auf Europa, auf die Welt, daß nicht hier nur ein soziales und rechtliches Problem vorliegt, sondern ein handelspolitisches, ein ökonomisches, ein finanztechnisches , ein gesetzgeberisches. Ich glaube, heute ist es auch deutlich, daß wir nicht nur die Größe der Aufgabe unterschätzt haben, sondern unsere eigenen Möglichkeiten überschätzt haben. Ich kann mich noch daran erinnern, daß wir gesagt haben - und jetzt besonders die Altbundesrepublikaner unter uns: wir haben acht ausgesprochen erfolgreiche Jahre hinter uns, auch ökonomisch hinter uns - acht fette Jahre. Wenn wir es überhaupt gut packen können, dann jetzt, 1990. Wir sind Weltmei-
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ster im Export, wir sind mit ein Spitzenreiter, was Technologie, Wissenschaft und Technik angeht. Und wir haben genügend Mittel zur Verfügung, und wir haben die soziale Marktwirtschaft, um das Anstehende gut zu packen. Wenn ich jetzt noch einmal auf den 3. Oktober 1990 zurückkommen darf: heute, glaube ich, ist deutlich, daß wir nicht nur die Größe der Aufgabe unterschätzt und unsere eigenen Möglichkeiten überschätzt haben, sondern daß wir die menschliche Dimension dieser Aufgabe fast völlig übersehen haben. Ich kann mich noch erinnern an den 3. Oktober 1990. Ich war damals schon 46 Jahre alt, sagte ich mir: Rainer, alles das, was du in deinem bisherigen Leben gelernt hast, was man dich versucht hat zu lehren, alles, was du in den 46 Jahren erlebt hast, auch das, was dich gefreut oder aber was dir auch weh getan hat, was dich zu dem gemacht hat, was du heute am 3. Oktober 1990 bist, 46jährig, das ist ab sofort nicht mehr oder nur bedingt verwendungsfahig. Denn ab sofort bist du nicht mehr Bürger der Deutschen Demolcratischen Republik, sondern Bürger der neuen, gerade entstehenden Bundesrepublik Deutschland. Und ich gehöre - und das war mein Glück - ja noch zu den rund 85 Prozent, die das sein wollten, Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Es gab da ja auch noch 15 Prozent Erwachsene, die noch nicht genau wußten, was sie eigentlich wollten, oder die gesagt haben, mitnichten, das möchte ich auf keinen Fall werden. Ich würde ja viellieber Bürger der sogenannten sozialistischen Deutschen Demolcratischen Republik bleiben. Das heißt, mit dem 3. Oktober 1990 war ich als 46jähriger wieder in die Situation eines Schülers oder Lehrlings zurückgefallen. Es gibt auch fast keinen Bereich meines Lebens, der heute noch so ist, wie er vor dem 3. Oktober 1990 war. Das fängt bei grundsätzlichen Einstellungen an, bei Verhaltensweisen- geht hin bis zum Kaufverhalten, etwa wie ich mich einer Verkäuferin oder einem Verkäufer gegenüber verhalte oder einem Nachbarn oder einem Handwerksmeister. Viele von uns Ostdeutschen haben doch mit gewissem Erfolg und gewisser Perfektion nach dem Motto gelebt, und das haben wir nicht in der Schule gelernt, sondern schon mit der Muttermilch eingesogen bekommen, entschuldigen Sie meine Berliner Ausdrucksweise: "Schnauze halten, Arsch an die Wand und nur nicht auffallen". Damit sind wir zumindest für osteuropäische Verhältnisse ganz gut zurechtgekommen. Nun muß uns doch aber erst deutlich werden: Wenn wir uns nach diesem Motto auch weiter verhalten, dann können wir nur noch unter den Teppich gekehrt werden. Es ist doch das Dümmste, was man tun kann. Wir müssen also lernen, "Ich" zu sagen, ganz neu zu artikulieren, sich auszudrücken, was wir wollen, was wir wünschen, was wir fordern, uns einmischen. Ein Freund von mir hat mal gesagt, "hier in der DDR ist es ja richtig gemütlich gewesen, wir sind bewahrt gewesen von der Wiege bis zur Bahre". Vieles an Entscheidungen ist uns abgenommen worden oder sollten wir ja nicht entscheiden, weil wir ja damit hätten eventuell unbequem oder gefahrlieh werden können. Wir haben uns so daran gewöhnt, das hatte ja auch Vorteile, das war ja relativ risikoarm -
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dieses Leben. Jetzt auf einmal soll man selber entscheiden. Jeden Augenblick, wenn möglich, und das hat immer was mit Risiko zu tun. Oder versuchen Sie doch mal sich vorzustellen, was das für eine Verkäuferin bedeutet haben muß in einer Mangelgesellschaft, wenn sie wußte: Ich kriege jetzt 10 Artikel geliefert, und wenn in fünf Minuten die Ladentür aufgeschlossen wird, stehen 100 Menschen davor, die das haben wollen, ich habe aber bloß zehn. Und das nicht einmal, sondern immer wieder über Wochen, über Monate, über Jahre. Dann müßte diese Verkäuferin oder dieser Verkäufer ja schon eine Heilige oder ein Heiliger sein, wenn die nicht spätestens nach einer Woche korrupt wird, weil sie sich natürlich logischerweise überlegen, gebe ich das nun den ersten zehn und dann ist es vorbei, die nächsten 90 beschimpfen mich dann bloß noch, weil ich nichts habe, oder suche ich mir unter den 100, die da stehen, die zehn aus, die mir am weitesten helfen, die mir dabei behilftich sein können, das zu bekommen, was ich selber nicht habe, weil es das bei mir nicht im Laden gibt. Und was mag das wohl für die I 00 bedeutet haben, die da vor der Türe standen. Für die I 00 wird es keinesfalls reichen, sondern nur für einige wenige. Wenn du dich mit der Verkäuferin gut stellst, dann hast du eventuell eine Chance, auch wenn du erst als 27. hereinkommst, daß du dann davon noch was abkriegst. Was mag das wohl für das Miteinanderumgehen bedeutet haben, oder für unser Verhalten, unser Auftreten in Geschäften bei Verhandlungen, Behörden gegenüber? Wieviele Stunden, ich wollte es mal irgendwann ausrechnen, aber ich habe gedacht, das wird so wehtun, ich laß es lieber, Rainer, du wirst ununterbrochen schreien, wieviele Stunden, wieviele Wochen, wieviele Monate unseres Lebens haben wir Ostdeutschen verwartet, angestanden, weil wir irgendwas kaufen wollten, eine Unterschrift haben wollten, einen Antrag abgeben wollten, eine Genehmigung haben wollten. Oder was mag das für das Verhältnis von Eltern und Kindem bedeutet haben, wenn die Kinder merkten, meine Güte, meine Alten zu Hause reden so ganz anders, als sie das so machen, wenn da Kollegen dabei sind oder auf der Straße oder im Betrieb oder bei der Hausgemeinschaftsleitung? Mensch, Vater zu Hause schimpft der ja, und draußen ist er ganz brav. Was mögen da unsere Kinder wohl gedacht haben über uns? Was mag das für ihre Einstellung bedeutet haben mit Blick auf die Welt der Erwachsenen? Oder wie sie sich selber verhalten sollten, was da klug, vernünftig und richtig ist. Das gleiche gilt natürlich für die berechtigte Frage: Was mag dieses Verhalten für Schüler und Lehrer bedeuten? Da mögen ja vielleicht noch Lehrerinnen und Lehrer dabei sein, die diese Schüler noch haben, die sie vor drei Jahren auch schon hatten, die sich noch erinnern können, diese Schüler, die sind ja nicht doof, was die vor drei Jahren gesagt haben! In den seltensten Fällen, ich kann mich dunkel daran erinnern, hat man denn da erkennen können, ob das bloß Weitergabe von Wissen oder ob das die persönliche Meinung des Unterrichtenden war? Um jetzt aufs deutsch-deutsche zu kommen, das, was ich glaube auch nicht gesehen worden ist, ist, daß wir Ostdeutschen und ihr Westdeutschen 40
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Jahre lang nebeneinander hergelebt haben. Daß es immer wieder Politiker gegeben hat, die sogar ein Interesse hatten, daß wir gegeneinander lebten. 30 Jahre lang sind wir brutal voneinander getrennt gewesen, weil die Regierenden des einen Teils Deutschlands der Meinung gewesen sind, sie könnten ohne jede Gerichtsverhandlung ihr ganzes Volk lebenslänglich einsperren. Fragen Sie sich doch mal, was Sie tatsächlich gewußt haben von dem, was die Deutschen im andem Teil bewegt hat. So die ganz alltäglichen Probleme, Fragen, Sorgen, Wünsche, Hoffnungen. Ich wage mal zu behaupten, 10, 12, höchstens 15 Prozent von uns Deutschen können sagen, jawohl ich gehöre zu denen, die relativ regelmäßige und kontinuierliche Kontakte über die letzten 10, 15 Jahre zu Deutschen im anderen Teil hatten. Die anderen, ja, die haben fast gar nichts voneinander gewußt. Außer dem, was man so in den Medien mitbekommen hat, da sind wir, glaube ich, heute kritisch genug zu wissen, daß das doch nur ausschnittsweise oder nur oberflächlich oder sogar falsch war. Und selbst die 15 Prozent, die da regelmäßige Kontakte miteinander hatten, die haben sich ja nicht jeden Tag gesehen, die haben ja nicht permanent was miteinander zu tun gehabt, sondern die haben vielleicht mal alle zwei Jahre im Drittland, in Polen, in der Tschechoslowakei oder Ungarn, mal eine Woche Urlaub miteinander verbracht, oder sich zum Geburtstag oder einer anderen Familienfeierlichkeit gesehen. Das heißt im günstigsten Fall, wie zwei, die sich gerne haben: er studiert in Harnburg und sie studiert in München. Dann sieht man sich vielleicht einmal im Vierteljahr. Man zählt die Tage vorher, bis man sich wiedersieht, man überlegt sich genau, was man in der Zeit tut, die man füreinander hat, man freut sich aufeinander, man macht sich hübsch, man schenkt sich was, und man ist traurig, wenn man dann wieder auseinandergeht Man fängt die Tage an zu zählen, bis man sich wiedersieht. Ja und dann, dann haben wir geheiratet, wenn sie so wollen, vom 9. November 89 bis zum 3. Oktober 1990. Und heute sind wir gefühls- und erfahrungsgemäß in der Phase, wo man sagen müßte, irgendwann zwischen 15 und 25 Jahre verheiratet. Dann hat man festgestellt, meine Güte, die geht ja nicht am Tag zweimal zum Friseur. Und um Gottes Willen, der hat ja schon wieder schmutzige Füße. Man stellt fest, Ecken und Kanten hat er und sie sagt nicht immer ja und lächelt. Wir sind also im Augenblick dabei, uns mit allen unseren Stärken, oder ja bitte, mit allen unseren Schwächen kennenzulernen. Darum wage ich die These, das, was uns im Augenblick so beschäftigt, was uns das Leben schwerrnacht, mit den neuen, zum Teil unerwarteten Lebensverhältnissen, die Probleme, die auf einmal größer sind als wir dachten, aber auch die Probleme miteinanderumgehen bis hin zu den fürchterlichen Vorwürfen, deswegen fürchterlich, weil sie so ungenau, so falsch und so brutal sind, von den Ostlern, die erst mal arbeiten lernen müßten, und von den Westlern, die alles plattmachen. Das hat doch damit was zu tun, daß wir jetzt zusammen sind. Lassen Sie mich das einmal so sagen: Das, was wir gegenwärtig erleben, ist völlig normal, nicht katastrophal, sondern völlig normal. Es kann gar nicht an-
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ders sein. Das tut im Augenblick bloß so weh, weil wir dabei sind, Träume und Illusionen, die wir an dieser Stelle hatten, loszuwerden. Wir sind vielleicht in einer vergleichbaren Situation wie ein Mensch am 24. Dezember, der gedacht hat: wenn ich jetzt das Zimmer aufmache und unter den Weihnachtsbaum gucke, dann liegen da 20 Pakete, und das sieht gut aus. Nun ist der 24. Dezember gekommen, und ich habe die Tür aufgemacht und stelle nun fest, unter dem Weihnachtsbaum liegen bloß sieben. Nun kann ich mich gar nicht darüber freuen, was in den sieben Paketen drin ist, sondern ich bin so ungeheuer traurig, daß die 13 fehlen, auf die ich doch so gewartet habe. Ich hoffe, daß wir heute, Anfang März 1993, auch genauer als im Oktober 1990 wissen, daß vieles von dem, was uns heute beschäftigt, bedrückt, was uns krank macht oder unsicher oder wütend, daß ein erheblicher Teil, nicht alles das wäre unfair - , aber zu einem erheblichen Teil Folgen sind: Folgen von gestern. Schwierigkeiten von heute, also zu einem erheblichen Teil, ich sage noch mal nicht alle- so einfach soll man es sich nicht machen-, aber zu einem erheblichen Teil, sind Folgen von gestern. Lassen Sie mich das an zwei oder drei Beispielen deutlich machen. Die Elbe zum Beispiel ist eine Kloake, ist es zumindest gewesen. Ich kenne keine neuen Daten, aber ich kann mich noch erinnern, zu der Zeit, als ich mit im Kabinett von Lotbar de Maiziere saß, gab es nicht nur immer so einen Stapel neuer Gesetze und Verordnungen, die wir dann durchsehen und beschließen mußten jede Woche, sondern einen sicher kleineren Stapel von Hiobsbotschaften. Eine zum Beispiel handelte von einer Kläranlage in der Stadt Dresden, die irgendwann im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts gebaut worden war, mit so einem Übertaufbecken, nach und nach in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt war, weil eben der Zahn der Zeit und alles, was die lieben Dresdner so produzieren, auf diese Kläranlage einwirkte. Das heißt, schon 1940 war sie nicht mehr ganz so gut wie 1880. 1960 war es noch schlechter und Mitte der 70er Jahre ist das letzte der - ich weiß nicht von wieviel insgesamt - Klärbecken funktionsuntüchtig geworden. Das heißt, ab Mitte der 70er Jahre ist das alles, was die Dresdner so von sich gegeben haben, ungeklärt in die Elbe gelaufen. Die Elbe braucht Zeit, um wieder ein Strom zu werden. Sie braucht Verständnis, zum Beispiel auch Verständnis derer, in deren Land nicht die Elbe, sondern der Rhein fließt. Mit der Summe, mit der man den Rhein, das Reinheitsverhältnis des Wassers im Rhein vielleicht nochmal um 0,172 Prozent verbessern könnte, könnte man die Wasserqualität der Elbe um 50 Prozent verbessern. Oder, ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß die DDR den größten Schweinestall der Welt hatte. In Neustadt an der Orla in Thüringen. Ich kann mich noch erinnern als die Schlagzeile stolz in unserer Presse stand, das war eine beachtliche Nachricht! Wir haben den größten Schweinestall der Welt. Was damals nicht dagestanden hat und was ich eben auch erst in der Zeit des Lotbar de Maiziere mitbekommen habe, war, daß in diesem Schweinestall in
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sechsstelligen Zahlen jedes Jahr Schweine produziert worden sind, daß im Umkreis von mehreren Kilometern um diesen Schweinestall herum keine Bäume wachsen. Verreckt, eingegangen von dem Gestank da und von der Gülle, die zu 100 Prozent nicht abtransportiert werden konnte. Nicht bloß der Boden, nicht bloß das Wasser, auch wir Menschen brauchen Zeit. Ich meine, daß das stimmt, daß für 16 Millionen Ostdeutsche heute fast alles anders ist als es vorher war. Aber wir sind doch keine Götter oder Genies, wir sind auch keine Computer, wo man um 4.00 Uhr früh eine Diskette irgendwo hinten reinsteckt, nachdem man die Made in GDR herausgenommen hat, und nun kommt Made in Germany rein und dann funktionieren wir so wie die Westdeutschen, die das Haus Bundesrepublik Deutschland gebaut haben und 45 Jahre drin gelebt haben. Das geht doch nicht. Man kann immer bloß eins nach dem anderen tun, man wird Schwerpunkte setzen müssen. Und auch dafür braucht man Zeit. Seien Sie sich bitte darüber im klaren, nicht jeder von uns hat diese Zeit. Zwischen 3. Oktober 1990 und dem heutigen Tage sind Menschen gestorben, Deutsche gestorben, die vermutlich nie mehr ganz zu Hause in dem neuen Haus Bundesrepublik Deutschland gewesen sind. Das heißt, es wird auch unter uns aller Wahrscheinlichkeit nach noch Menschen geben, bei denen ich befürchte, daß sie nicht mehr genug Zeit zur Verfügung haben. Das hat gar nichts mit Nicht-Wollen zu tun oder mit Dickköpfigkeit, sondern er muß Zeit zur Verfügung haben, um sich in diesem guten Haus Bundesrepublik Deutschland zurechtfinden zu können. Für mich ist das eine große Herausforderung auch an die politischen Parteien, an die Kirchen. Wie können wir denen behilflich sein, die Schwierigkeiten haben, sich daheim zu fühlen? Wenn ich von der Eibe und von dem größten Schweinestall geredet habe, muß man natürlich fairerweise auch davon reden, daß wir in den letzten zweieinhalb Jahren ja nicht nur festgestellt haben, daß die anderen Ecken und Kanten haben und daß der 9. November ein historischer Punkt gewesen ist, an dem sich Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts, solche, die sich kannten und solche, die sich das erste Mal und zufällig begegneten, in die Arme fielen. Wir haben da vielleicht gedacht, wir werden nun jeden Tag so miteinander umgehen, immer verständnisvoll, immer geduldig, immer liebevoll. Wir sind heute dabei zu begreifen, der andere ist ja gar nicht immer der barmherzige Samariter oder ungeheuer verständnisvoll und Rücksicht nehmender Partner, sondern - eigentlich völlig selbstverständlich - auch Konkurrent. Aber das alleine ist es nicht. Wir haben uns ja nicht nur mit uns selbst beschäftigt, wir haben ja auch gebaut, geschaffen, eine Fülle von Gesetzen, Millionen von Kabelgräben aufgemacht. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß alleine 17 Millionen Kilometer Telefonleitungen verlegt werden müssen, damit die Ostdeutehen ein genauso dichtes Telefonnetz haben wie die Westdeutschen. Viel-
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leicht haben Sie gelesen - ich habe keine genauen Zahlen - , wie lange der erste und einzige deutsche Arbeiter- und Bauernstaat dafür gebraucht hat, um so viele Telefonanschlüsse herzustellen. Ich vermute mal, wenigstens zehn wenn nicht sogar zwanzig Jahre. Wer flucht nicht über eine Baustelle neben einer anderen, ein Gerüst neben einem anderen. Also das heißt, in der Zeit, in den zweieinhalb Jahren, ist schon eine ganze Menge geleistet und erreicht worden. Wenn ich mal nicht einen Deutschen - wir sind ja Weltmeister der Zerfteischung - , sondern einen Engländer, Franzosen, Dänen oder Österreicher frage, wie schätzt ihr denn das ein, was wir so in den letzten zweieinhalb Jahren gemacht haben, dann höre ich im großen und ganzen nur Worte der Anerkennung, der Achtung bis hin zur Bewunderung. Da habe ich noch gar keine Tschechen, keine Polen, keine Ungarn gefragt oder Russen. Die gucken ja bloß mit Neid auf uns. Die wissen nämlich im Unterschied zu uns - das haben wir alles offensichtlich längst vergessen - , daß das materielle Lebensniveau eines DDR-Bürgers und eines Tschechen 1988 fast gleich war. Und da laß' ich so was weg wie, daß ich nun heute meine Meinung sagen kann, daß meine Kinder, unsere Kinder, inzwischen in Kopenhagen gewesen sind, und vor vier Jahren haben sie noch gezählt, wie viele Jahre sie noch warten müssen, bis sie da auch hinkönnen. - Jetzt waren sie da. Darüber will ich aber nicht sprechen. Soll ich Ihnen mal sagen, wie das heute ist mit dem Lebensniveau? Das war 1988 -wie gesagt- 1 : 1,5. Soll ich Ihnen mal sagen, wie das heute ist? Und die haben sich ja nur auf einen vergleichbaren Weg gemacht wie wir. Antwort: heute 1 : 4 1/2- raten Sie mal, zu wessen Gunsten? Die einzigen, die so richtig sich herzergreifend bedauern können, das sind wir selber als Weltmeister der Zerfleischung. Was hat eigentlich 1986 so viele Menschen auf den Gedanken gebracht, einen Ausreiseantrag zu stellen oder abzuhauen? Und das, obwohl sie 10, 15, 20 Jahre fleißig gearbeitet und gespart haben, und das hätten sie alles stehen- und liegenlassen, nur um raus-, nur um wegzukommen. Warum denn eigentlich? Was hat denn im Herbst 1989 auf unseren Plakaten gestanden? Wissen Sie das noch? Ich gehe davon aus, daß das keine Wunschliste zu Weihnachten war, wo ich 20 Wünsche aufschreiben konnte, sondern auf so einem Plakat steht normalerweise der wichtigste Wunsch, die absolut wichtigste Forderung, das, worauf ich auf keinen Fall verzichten möchte. Wissen Sie noch, was da draufstand? Über wie gut und wie schlecht wird man streiten können, aber ich behaupte, daß unsere wichtigsten Forderungen 1989 auf den Plakaten gestanden haben, in Erfüllung gegangen sind. Das Pech ist wahrscheinlich, das ist Normalität, das ist alltäglich geworden. Daß das alltäglich ist, das scheint wohl nicht so viel wert zu sein wie das, was ich nicht habe. Da fallt mir auch wieder das Bild von der Ehe ein, in der Jungverliebte liebevoll, verständnisvoll, sensibel miteinander umgehen, wie lange er da vor ihrem Fenster Lieder spielt, bloß damit sie "Ja" sagt. Dann hat man Jahre später manchmal den Eindruck, das Dümmste, was sie machen
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konnte, ist, daß sie irgendwann mal ja gesagt hat. Hinterher scheint sie ja viel weniger wert zu sein, weil man sie ja anscheinend immer hat. Ich hoffe, gar nicht um irgendwas rosa anzutünchen, ja nicht, um irgendwelche Probleme und Schwierigkeiten, die wir heute haben, wegzuwischen, aber ich hoffe, daß wir uns mal erinnern können, weil ich glaube, daß nur derjenige, der nicht nur nach vorne schaut, der nicht nur seine Wünsche, seine Hoffnungen, seine Träume sieht und das, was er noch erreichen will, sondern der auch zurückblicken und sich erinnern kann, festzustellen vermag: das habe ich schon geschafft, das habe ich zurückgelegt, das habe ich schon erreicht: Der kann auch zufrieden sein. Letztlich, ich sage es Ihnen ganz einfach: Das ist auch eine kosmetische Frage. Ein Mensch, der nicht zufrieden sein kann, der kriegt viel schneller, viel unangenehmere Falten als einer, der dankbar und fröhlich sein kann. Letzter Gedanke: Ich hoffe, daß Ihnen an meinen wenigen Worten deutlich geworden ist, daß es ungeheuer wichtig ist, daß wir uns mit unserer Vergangenheit befassen, und zwar heute mit der allerjüngsten Vergangenheit, das heißt also mit den letzten zwei Jahren, aber auch dem davor, sonst ist dies alles nicht zu verstehen und nicht zu begreifen. Das ist nichts Exotisches oder etwas, das ein paar weltfremde Historiker so in ihrem Studierstübeben beschäftigt, sondern ich meine uns alle, jeden einzelnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche und gesamtdeutsche Aufgabe: "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland." Wenn Sie jetzt sagen wollen, meine Güte, im Augenblick gibt es viel, viel wichtigeres: Schaffung von Arbeitsplätzen, Geldsorgen und so weiter. Dann sage ich, sicher, das ist wichtig, aber sagen Sie bitte, um Gottes Willen, nicht "entweder-oder", sondern "sowohl als auch". Jeder einzelne von uns, so hoffe ich doch zumindest für jeden einzelnen von Ihnen, lebt mit und aus den Erfahrungen, die er in seinem bisherigen Leben gemacht hat. Jeder einzelne von Ihnen täte mir leid, wenn er heute noch wie ein Zehnjähriger denkt, redet, handelt. Das heißt, für jeden einzelnen von Ihnen sollte es das Vernünftigste sein, sich wie ein Erwachsener zu verhalten. Nur dann, wenn wir uns mit unserer Geschichte, mit unserer Vergangenheit befassen, so fair, so differenziert, so genau wie irgend möglich, nur dann werden wir verhindem können, daß wir dieselben Fehler immer wieder machen. Seien wir doch mal ehrlich: Da ist doch so manche heiße Ofentür gewesen, an der man sich verbrannt hat. Da müssen wir nicht immer wieder daran grabschen. Wir werden Zeit brauchen. Die Elbe braucht Zeit, Neustadt an der Orla braucht Zeit. Aber auch wir Menschen brauchen Zeit füreinander, für die Brükken, für die Häuser, für das gemeinsame Haus Bundesrepublik Deutschland.
Diskussion
Teilnehmer: Prof Dr. Siegfried Mampel, Berlin Prof Norbert Simon, Berlin von Pawel-Rammingen, Bonn Dr. Gerhard Weigt, Berlin
Siegfried Mampel: Dem, was ich hier sage, möchte ich einige Worte zu meiner Legitimation voranschicken. Die meisten hier werden mich kennen - als Mitglied der Gründungskommission der Gesellschaft, gemeinsam mit unserem jetzigen Vorsitzenden, Jens Hacker, und dem langjährigen geschäftsführenden Vorstandsmitglied, Maria Haendcke-Hoppe, und als Vorsitzenden von 1978 bis zum vorigen Jahr. Schwere Zeiten mußten wir bei und nach der Gründung durchleben. Aber es wurde geschafft. Jedoch glaube ich, daß ich meine Legitimation vor allem daraus schöpfe, daß ich seit November 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone versucht habe, politisch etwas zu bewirken. Das geschah aus der Erkenntnis heraus, daß wir als eine Generation, die die erste Diktatur auf deutschem Boden erlebt und den ganzen Krieg mitgemacht hat, Verantwortung trugen und noch heute tragen für das, was in deutschem Namen von 1933 bis 1945 an Furchtbarem geschehen ist, und uns den Vorwurf machen müssen, zu wenig dagegen getan zu haben. So hatte ich 1945 den Vorsatz gefaßt, entschuldigen Sie die Pathetik eines inzwischen alten Mannes: "Nie wieder soll das wieder geschehen, niemals soll es in Deutschland wieder eine Diktatur geben!" Deshalb setzte ich mich für den Aufbau einerneuen demokratischen Ordnung ein nach dem Leitsatz unserer Nationalhymne "Einigkeit und Recht und Freiheit", vielleicht den Zeitumständen entsprechend besser: "Recht, Freiheit, Einheit" . So kam ich 1945 zur Politik, bis die Sowjetische Militäradministration 1947 nachhaltig dagegen Einspruch erhob, und auch noch später an bescheidener Stelle bis 1950, als ich aus politischen Gründen praktisch ein Berufsverbot erhielt und nach Berlin (West) fliehen mußte. Aber meinem Ziel bin ich nicht untreu geworden. Seit 1951 habe ich mich um die Verhältnisse in meiner Heimat mit Nachdruck gekümmert. Im Laufe der späteren Entwicklung bin ich zur wis-
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senschaftliehen Deutschlandforschung gekommen, was ich mir 1945 nicht im Traum hätte vorstellen können. Aber die Notwendigkeit, so die Auseinandersetzung mit der Diktatur in Mitteldeutschland weiterzuführen, zwang mich innerlich dazu. Sie sehen: Ich bin kein "Wessi"- schon gar kein "Besserwessi", auch schon lange nicht mehr "Ossi", beileibe kein "Jammerossi", sondern ein echter "Wossi", das heißt ein Mensch, der die Verhältnisse in der ehemaligen SBZ/ DDR, einschließlich Berlin (Ost), insbesondere auf dem Gebiet des Rechts mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt hat und auch die Mentalität der Deutschen dort zu kennen glaubt, aber auch die Verhältnisse in der alten Bundesrepublik kennt und mit der Mentalität der Westdeutschen vertraut ist. Herr Eppelmann sprach davon, daß nach dem 3. Oktober 1990 Fehler gemacht worden sind. Ich möchte ergänzen: Was den Westen angeht, wurden bereits früher erhebliche Fehler gemacht. Lassen Sie mich mit Nachdruck hervorheben: Ein wesentlicher Fehler war, daß die alte Bundesrepublik unvorbereitet in die deutsche Einheit gegangen ist, und das, obwohl das Potential, vor allem das wissenschaftliche, vorhanden war, sich darauf vorzubereiten. Sicher, Fehler sind auch im Osten nach der Wende begangen worden. Aber den Verantwortlichen dort kann daraus rückblickend kein Vorwurf gemacht werden. Sie konnten ja nicht wissen, welche Potentiale im Westen vorhanden waren und welche Vorbereitungen für den Fall der Wiedervereinigung in der alten Bundesrepublik bis Anfang der siebziger Jahre bereits geleistet worden waren, aber auch nach 1982 nicht fortgesetzt worden sind. Aber in Bonn hätte man wissen können, daß es Institutionen wie etwa das Gesamtdeutsche Institut und die Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen (jetzt "Forschungsstelle für deutsche und europäische lntegrationspolitik") gab. Deren Kenntnisse und Erfahrungen waren im Einigungsprozeß nicht gefragt und konnten daher zum Schaden der Entwicklung auch nicht in diesen Prozeß eingebracht werden. Auch die Gründung der Gesellschaft für Deutschlandforschung beruhte auf der Erkenntnis, daß auf wissenschaftlicher Basis mehr für die deutsche Einheit getan werden könnte und sollte, als es seit dem Emporkommen und der staatlichen Förderung einer Deutschlandforschung geschah, die für die Erhaltung des damaligen Status quo eintrat, ja sogar für die Endgültigkeit der deutschen Spaltung ... Im Augenblick ist die größere Bundesrepublik im Begriff, auf einem vielleicht begrenzten, aber doch wichtigen Gebiet alte Fehler zu wiederholen. Das ist der Fall, wenn man die Bedeutung der seriösen wissenschaftlichen Deutschlandforschungnicht erkennt, sogar nicht erkennen will und sie deshalb auslaufen läßt, also abwickelt, wie man die belasteten Institutionen der ehemaligen DDR "abwickelt", grob gesagt: sie "platt macht". Ich kann davor nur eindringlich warnen ...
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Norbert Simon: Mein Name ist Sirnon vom Verlag Duncker & Humblot. Ich möchte Ihren Ausführungen, Herr Eppelmann, ebenso zustimmen wie denen von Herrn Prof. Mampel und diese noch um einige Gesichtspunkte ergänzen. Ich glaube, daß Sie in Ihren Ausführungen einen Punkt nicht berücksichtigt haben, der mir bedenkenswert erscheint. Dabei knüpfe ich an Ihre Bemerkung an, wonach den Menschen der ehemaligen DDR eine Diskette eingeschoben werden soll, um sie zu ändern und den Bedingungen des westlichen Systems anzupassen. Dieser Vergleich erweckt den Eindruck eines Vorgangs, der von den Menschen etwas von ihnen nicht Leistbares verlangt. Ist dies aber wirklich so? Wir können doch eigentlich auf ein ganz anderes Beispiel zurückblicken. In den zurückliegenden Jahren der deutschen Teilung hat sich eine ungeheure Menge Menschen aus der DDR völlig problemlos im Westen eingegliedert; sie sind mitgelaufen, ohne auffällig zu werden. Sie haben in der westlichen Gesellschaft gearbeitet, gelebt und Erfolg gehabt, und - das darf auch nicht vergessen werden- die alte Bundesrepublik verdankt doch gerade diesen Menschen ein Gutteil ihres Erfolges. Natürlich war es so, daß diese Menschen in besonderer Weise flexibel waren, daß sie in besonderer Weise bereit waren, Brücken hinter sich zu verbrennen. Auch das dürfen wir nicht übersehen. Natürlich. Aber sie haben es völlig problemlos geschafft, sich zu integrieren. Ein anderes, was ihnen diese Integration möglicherweise oder sicher sogar erleichtert hat, war, daß sie in ein anderes Milieu gekommen waren. Das ist gegenüber der gegenwärtigen Situation ein schwerwiegender Unterschied. Die Menschen, von denen jetzt aufgrund der geänderten Situation eine Anpassung gefordert wird, sind in ihrem bisherigen Milieu verblieben. Darauf beruht ein Gutteil ihrer feststellbaren Unzufriedenheit. In diesem alten Milieu beeinflussen sie sich gegenseitig. Sie bestätigen sich gegenseitig ihre Unzufriedenheit. Sie bestätigen sich gegenseitig die Gründe für diese Unzufriedenheit. Diese gegenseitige negative Beeinflussung wird darüber hinaus noch von den Medien vergröbert, die mit Fleiß Unzufriedenheit aufspüren. Schließlich sind für diese Medien nur "bad news- good news". Dabei besteht in Wahrheit eigentlich aufgrund der vorhin dargestellten Erfahrungen der Vergangenheit eher Grund für Optimismus als für Pessimismus. So sollten wir uns auch dieser vielen positiven Anlagen und Ansätze bewußt sein und sie uns auch weiter bewußt machen, als stets nur die vielen, zum Teil eben milieubedingten subjektiven und negativen Einschätzungen in den Vordergrund zu stellen.
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von Pawel-Rammingen: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, lassen Sie mich die bisherigen Ausführungen ergänzen hinsichtlich einiger mir klärungsbedürftig erscheinender Rechtsfragen. Sie betrifft einmal die Enteignung. Die Enteignungsmaßnahmen haben sich gerichtet einmal gegen die Bodenreform und zum anderen gegen Wirtschaftsunternehmen. Da ist das Objekt der Enteignung wesentlich, und es wurde der jeweilige Eigentümer enteignet. Ich möchte mich aber hier den anderen Enteignungen widmen, die ad personam ausgeführt worden sind, einmal Kriegsverbrecher und zum anderen Nazi-Aktivisten, schon vom Ortsgruppenleiter an. Hier hat es nachweislich Fälle gegeben, wo die zu Enteignenden bereits verstorben waren, wo also nur über die Sippenhaftung eine derartige Enteignung erreicht werden konnte. Die Sippenhaftung ist nun ein Institut, dessen sich die Nazis bedient haben. Ich glaube, da sollten wir nicht eintreten. Bei der Enteignung Verstorbener, die also unter Umständen die Herrschaft des Sowjetsystems in der SBZ nicht erlebt haben, sind aber diese Enteignungsmaßnahmen, nach meiner Auffassung, gar nicht wirksam geworden. Ich möchte die Wissenschaft bitten, sich diesem Problem auch einmal zu widmen. Wie kann man das rückgängig machen? Zweiter Punkt: Bei den Enteignungen ist häufig nicht bewußt geworden, daß sie sich auch auf die Belastungen erstrecken, es wird immer nur von Rückübertragungen des Eigentums gesprochen, dabei können die Enteignungsobjekte unter Umständen bis zur Halskrause belastet worden sein, so daß wirtschaftlich der Gläubiger dieser Hypotheken betroffen ist. In diesem Zusammenhang habe ich feststellen müssen, daß die Abteilungen 2 und 3 der alten Grundbücher, in der Form einer Aktenunterdrückung, verschwunden sind. Nur die Abteilung 1 ist erhalten, wo geschwärzte Stellen den alten Eigentümer noch bei genauem Durchforsten erkennen lassen. Was ist mit den Abteilungen 2 und 3 geschehen? In Barby sind sie nicht. Es ist auch da ein Bedarf, der durch die Wissenschaft geklärt werden sollte. Dritter Punkt: Wie ist es mit der Rückgängigmachung des Verwaltungsunrechts? Bisher sind die gesetzgebefischen Aktivitäten meines Wissens auf das Justizunrecht beschränkt, das wird aber nicht genügen. In Mitteldeutschland ist in den letzten Monaten der DDR 1990 noch ein Gesetz erlassen worden, das das Verwaltungsrecht treffen sollte, das ist offenbar noch nicht geregelt worden. Vielleicht sind dazu einige Informationen möglich. Dankeschön.
Gerhard Weigt: Mein Name ist Gerhard Weigt, ich bin eigentlich Physiker aus Ostberlin und war mitengagiert in der Wende 1989. Wenn man über Chancen und Schwierig-
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keiten spricht, denke ich, sollte man in einer Gesellschaft der Deutschlandforschung auch an die Wissenschaft denken, an die Ursachen, vor all dem, was vorher war, wie es gelaufen ist, wie es hätte laufen können. Ich meine, und dies ist auch der Grund, warum ich hier spreche, ich habe das Glück gehabt, im November 1989 hier auf einer Tagung gewesen zu sein, die Osteuropa Institute, die damals das Thema DDR-Wirtschaft hatten und ausgerechnet haben, was alles so kostet, und ich kann mich erinnern und glaube, es richtig zu sagen, es richtig beurteilen zu können, daß im Grunde genommen die Zahlen, was das alles kostet, bis heute noch nicht anders sind als damals. Das heißt, es lag ein gewisses Grundwissen vor, mit dem man hätte wuchern, arbeiten können, was die Politiker als Grundlage ihrer Handlungen nehmen müssen. Eine große Warnung ist damals ausgesprochen worden, da bin ich jetzt im Widerspruch zum Vorredner. Man dürfe die Eigentumsverhältnisse nicht in der Weise in Frage stellen, Rückgabe vor Entschädigung. So hart das auch klingen mag für die Eigentümer. Es war hier ein größeres Problem zu lösen, die deutsche Einheit. Die deutsche Einheit hatte in diesem Fall, bei dieser Frage, auch mitzuwirken, zu beurteilen, was haben diejenigen, die aus dem Osten gekommen sind, die zwar im Westen einen Lastenausgleich bekommen haben, im Osten, die ihn nicht bekommen haben, dann müßten bei dieser Entscheidung Rückgabe vor Entschädigung auch die Leute im Osten im Grunde genommen wieder in die Dinge hineingezogen werden. Es wäre eine gute politische Entscheidung gewesen: niemand hat mehr Ansprüche, wir haben die großen Probleme gemeinsam zu lösen. Und der einzelne hat Verzicht zu üben, der Solidarität wegen, um des ganzen Willens, um der deutschen Einheit willen, um der Zukunft Deutschlands willen, um der deutschen Zukunft in Europa willen. Und dann möchte ich sagen: ich als jemand vom Osten möchte nicht in die Larmoyanz einstimmen, die bei Herrn Eppelmann klang. Es gab viele Leute, die durchaus rational erlaßt haben, was damals gelaufen ist, die sich entzogen haben, natürlich waren da Nischen. Später haben viele, die die Wende herbeigeführt haben, durchaus auch empfunden, daß es Härten geben wird, ich persönlich habe drei bis fünf Millionen Arbeitslose erwartet. Ich habe aber die Schwierigkeiten, mit dieser Entscheidung Rückgabe vor Entschädigung, nicht erwartet. Ich habe an dem Verfassungsentwurf mitgearbeitet, und da haben wir versucht, gerade dieses Problem so verfassungsrechtlich irgendwie mit der neuen DDRRegierung zu lösen, daß wir dieses ausschließen, es sei denn, daß in den Gesetzen der DDR Unrecht geschehen ist. Was man auch noch verlangen, als letztes Wort, was man verlangen muß von den Ostdeutschen, ist, eine Aktivität mit hineinzubringen statt der Larmoyanz, und dann wäre vielleicht auch noch mehr zu erreichen gewesen. Medien und alle sollten die Leute mehr motivieren statt sie depressiv zu machen.
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Rainer Eppelmann: Der erste Redner, nein, der zweite war es, hat darauf hingewiesen, daß es zu Zeiten, als DDR und Bundesrepublik noch bestanden haben, völlig problemlos für Ausreisende oder geflohene DDR-Bürger möglich war, sich in der alten Bundesrepublik einzuleben. Diese Feststellung ist sicher eine richtige, ich sehe auch eine ganze Reihe von Gründen hierfür, daß das so ist und daß es heute anders ist, und zwar deswegen, weil es selbst, wenn es hundert oder tausend gewesen sind, immer einzelne gewesen sind, die in einen bestimmten Betrieb oder eine bestimmte Verwaltung hineingegangen sind und in einen Ort, eine Stadt, eine Landschaft. Das heißt, da sind einzelne, die von uns Ostdeutschen in eine funktionierende, gut funktionierende westdeutsche Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung hineingekommen sind, sehr schnell aufgenommen worden, und dabei ist ihnen ja massiv geholfen worden. Außerdem sind sie es gewesen, die sich selber bewegt haben, die aus eigenem Willen heraus gesagt haben, das will ich jetzt tun. Selbst die 85 %, die dann gesagt haben, wir möchten so schnell wie möglich die Einheit haben, haben damit nicht gesagt, ab sofort möchte ich meine Lebensart, wie ich sie bisher praktiziert habe, ablegen und will ab sofort ein aktiver, ein risikofreudiger, ein stets selbst handelnder, ein stets selbst entscheidender Mensch werden. Den meisten ist das ja gar nicht deutlich geworden. Außerdem ist die Situation heute genau eine andere. Da leben viele, viele ehemalige DDR-Bürger, und dazu kommen zwei oder drei, und manchmal sind es nicht die besten, die dann kommen, und die versuchen, uns deutlich zu machen, wie man sich bewegen muß, um sich in der Bundesrepublik Deutschland möglichst erfolgreich zu bewegen. Zu den Enteignungsfragen möchte ich bloß sagen: Haben Sie Mut, schreiben Sie an den Rechtsausschuß und den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, um darauf hinzuweisen und, bitte, ganz dringend eine Kopie des Schreibens an unsere Enquete-Kommission, weil wir immer wieder nicht nur mit Zeitzeugen reden, sondern auch versuchen herauszukriegen unter dem Stichwort "Folgen der SED-Diktatur", was gibt es alles an Folgen, was gibt es dann alles an Opfern, und wir sind auch bloß 29 Menschen mit begrenzten Einsichten und Übersichten. Helfen Sie uns dabei, indem Sie uns solche Gruppen benennen. Wir möchten eine möglichst genaue Opfeqmftistung vornehmen, die dem Deutschen Bundestag danach zuzuleiten ist. Selbst solche sollen da mit draufstehen, von denen der Realist sagt, da ist doch überhaupt nichts mehr zu machen, zu verändern. Auch die sollen da mit rauf. Die gesamte Liste soll also, wie gesagt, möglichst vollständig werden. Zur Rückgängigmachung von Verwaltungsunrecht Sie haben recht, das erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz hat sich mit strafrechtlichen Maßnahmen befaßt. Im zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das gegenwärtig als Ent-
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wurf vorliegt, wird der Versuch unternommen, sich gerade dem Bereich "Verwaltungsrecht" zuzuwenden und zu versuchen, was an der Stelle richtig zu stellen, deutlich zu machen, möglicherweise zu verändern ist, oder zu helfen etwa in dem Bereich, wo eine Verwaltungsentscheidung dazu beigetragen hat, daß jemand eine Arbeit verloren hat, kein Studium anfangen konnte und so weiter. Da ist also der Gesetzgeber schon recht weit vorn, aber auch das wird, wenn es nach uns als Enquete-Kommission geht, nicht das letzte Gesetzeswerk des Deutschen Bundestages in diesem Zusammenhang gewesen sein. Unsere Aufgabe als Enquete-Kommission am Ende unserer Arbeit ist, und das wird im Sommer nächsten Jahres sein, dem Deutschen Bundestag Empfehlungen, Vorschläge zu machen, Tendenzen aufzuzeigen, an denen der deutsche Gesetzgeber noch - an denen wir noch Handlungsbedarf an den deutschen Gesetzgeber sehen. Bei den Eigentumsfragen kann ich jeden verstehen, der fürchterlich schimpft darüber, wie das geregelt worden ist, so wie ich auch gleichzeitig eine ganze Reihe von Menschen kenne, die sagen, Gott sei Dank ist das so geregelt. Nach meinem Eindruck ist das die crux, die wir mit uns herumtragen müssen, daß die Geschichte Deutschlands von 1933 - nun muß ich das hineinnehmen - bis heute sehr bewegt und sehr gegensätzlich gewesen ist. Es hat ja Enteignungen nicht nur in der SBZ/DDR gegeben, sondern sie hat es ja schon im Dritten Reich des Adolf Hitler gegeben, so daß es eben auch Menschen gibt, die für mich sehr verständlich sagen: "Soll ich jetzt ein zweites oder drittes Mal enteignet werden?" Denn eigentlich reicht doch das eine Mal, und das ist zum Beispiel 1943 gewesen. Eine Umkehrung, glaube ich, ist an der Stelle nicht die Lösung des Problems. Das Gesetz, so wie es da ist, sieht die Möglichkeit vor, genau andersherum zu verfahren, also nicht auf dem Prinzip der Rückführung zu beharren, aber das ist ungeheuer kompliziert und langwierig. Es gibt weit über eine Million Anträge. Wenn ich Ihnen noch sagen darf, wenn ich richtig informiert bin, daß es in der DDR soviel praktizierende Juristen gegeben hat, wie sie die Stadt Bremen allein gehabt hat, und wenn von denen heute nur noch ein Drittel da ist, weil ein Drittel gleich aufgehört hat und ein zweites Drittel ausgegliedert worden ist, dann können Sie sich vorstellen, wieviel Arbeit dort zu tun ist: und da ist ja leider Gott keine Massenbewegung ausgebrochen von Juristen aus Heidelberg und Düsseldorf, die in die neuen Bundesländer gekommen sind. Hinzu kommt, das muß man einfach noch mal sagen, das hatte auch Lotbar de Maiziere noch mal bestätigt, daß es also ganz massive Bedingungen der Sowjetunion gegeben hat, daß hinter einen bestimmten Zeitpunkt, sprich was die Betroffenen angeht, nicht zurückgegangen werden darf. Auf Sie möchte ich auch noch reagieren. Sie sagten, manches hätte man doch wissen sollen; das stimmt ganz sicher. Man muß feststellen, wenn ich richtig informiert bin: Ende der 60er Jahre hat man im Innerdeutschen Ministerium aufgehört, sich konzeptionell Gedanken zu machen, was tun wir denn am Tage X.
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Man hat es brav bis 1969 getan, doch nun hatte man den Eindruck, das ist nur noch Schattenboxen oder geistige Onanie, aber da tun wir doch nicht mehr für uns selber, was politisch umsetzbar ist. Wir Ostler haben kaum daran geglaubt, daß das noch zu unseren Lebzeiten passiert. Ich finde, wir sollten jetzt auch den Westdeutschen keine Vorwürfe machen, daß sie nicht bessere Propheten gewesen sind oder rascher oder besser gesehen haben. Damit müssen wir nun einmal leben, also auch mit all den Problemen, die damit zusammenhängen. Wie gesagt, Ende 1969 hat es aufgehört, daß Politiker in der alten Bundesrepublik konzeptionell ins Detail gehend überlegt haben, was müssen wir machen, wenn ... Fairerweise muß man aber auch sagen, selbst das Wissen von 1989, selbst das Wissen von 1990 reicht nicht aus, um die Probleme und die Sachfragen, die heute zu klären sind, zu lösen. Zu der Zeit 1989/90, als es Michail Gorbatschow noch gegeben hat, als es die Sowjetunion noch gegeben hat, hat es zumindest noch eine Hoffnung darauf gegeben, daß es auch östlich der Oder noch Menschen gibt, noch Betriebe gibt, noch Abnehmer gibt für Waren, die wir produzieren, die wir herstellen. Das sieht heute ganz anders aus. Eine nackte Zahl, Januar 1991 ist es gewesen, da haben Kohl und Gorbatschow gesagt, im Warenaustausch zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland verfahren wir so, wie wir es angerlacht haben, das heißt, ein Volumen von 25 Milliarden DM. Es sind dann 1992 nur noch fünf gewesen, also nur ein Fünftel davon, und das auch nur abgedeckt mit Hermes-Bürgschaften. Das heißt, wir haben das bezahlt in der Hoffnung, daß wir wenigstens das eine oder andere davon wiederbekommen. Auch die weltweite Rezession ist nach meinem Eindruck zumindest in Deutschland so nicht gesehen worden. Ein letzter Punkt noch: Im Sommer und Herbst vorigen Jahres, als vom Solidarpakt geredet worden ist, hat man im Grunde ja damit nur Ankurbeln des Aufbaus Ost gemeint. Wir sind heute, zum Glück, endlich dabei zu begreifen, daß es außerdem um eine Finanz- und Haushaltssanierung des Gesamthaushaltes geht. Darum glaube ich, so weh uns das tut, es ist nicht nur so, daß die Probleme von heute zu einem erheblichen Teil Folgen von gestern sind. Ich glaube, die Probleme von heute sind, wenn wir sie anpacken und sie begreifen, auch die Chance, auch das Werkzeug für die Fragen und Probleme von morgen. Knappes Geld zwingt uns ja hoffentlich dazu, genauer zu überlegen, ob das Geld von uns in jedem Fall verantwortungsvoll und an der richtigen Stelle ausgegeben wird. Ich behaupte: Nein. Wir werden also in dem Bewußtsein um die knapper gewordenen Mittel - Geld, Ressourcen - wahrscheinlich bewußter darüber nachdenken müssen: An welcher Stelle setzen wir unsere kleine Kraft gezielt ein. Nur wenn uns das gelingt, werden wir die weltweiten Aufgaben - NordSüd-Konflikt, Rohstoffe, Umweltverschmutzung und eine Fülle von militärischen und politischen Fragen -lösen können, und zwar im europäischen oder Weltverbund, wenn wir unere Hausaufgaben von heute erfüllen. Darum - stei-
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nigen Sie mich nicht - bin ich ungeheuer froh, daß wir im Augenblick dabei sind zu begreifen, daß unsere Wünsche in den Himmel gewachsen sind, aber daß unsere Möglichkeiten, sie umzusetzen, geringer sind. Es hilft uns hoffentlich dabei, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Und das lassen Sie mich einfach noch mal so sagen, damit da nichts Falsches verstanden wird: Die Probleme, die wir heute an dieser Stelle haben, sind eben nicht nur DDR-Folgen, sondern auch Folgen davon, daß die alte Bundesrepublik schon über Jahre sehr viel mehr Geld ausgegeben hat, jeder einzelne von Ihnen, als verdient worden ist. Ein letzter Satz: Der Appell an die Medien - wenn ich das richtig sehe, ist ja kein Journalist hier, der das hören kann - , daß sie auch mal was Positives berichten, nicht nur das Negative. Appelle an dieser Stelle haben auch hier überhaupt keinen Sinn. Sie werden noch mitgekriegt haben, jede Nachricht, jede Information, die in den Medien kommt, ist eine Ware, es wird also nur danach gefragt: was läßt sich gut verkaufen? Und wenn wir den Eindruck haben, daß da Falsches geschrieben, Falsches berichtet wird oder zumindest falsch berichtet wird, dann liegt das, meine sehr verehrten Damen und Herren, an uns: was kaufen wir denn diese Scheiße.
Fred Klinger
DIE HERAUSFORDERUNG DER EINHEIT: WIRTSCHAFTLICHER AUFBAU UND INSTITUTIONELLE MODERNISIERUNG I. Einleitung und Problemstellung Der deutsche lntegrationsprozeß droht zum Dauerproblem einer mißglückten Strukturanpassung zu werden. Drei Jahre nach der Vereinigung steht fest, daß ntcht nur die Kosten, Fristen und die Problemtiefe der Systemtransformation erheblich unterschätzt wurden. Ins Wanken geraten ist auch die bequeme Vorstellung, die westdeutsche Gesellschaft könne vor den Mühen des Umbauprozesses im Osten verschont bleiben. Eine integrative Gestaltung des Einigungsprozesses wird jedoch ohne ein strategisches Gesamtpaket an institutionellen Modernisierungen, die insbesondere die Neudefinition des sozialen Ordnungsrahmens und die Erschließung innovativer Wachstumspfade einschließen müssen, nicht zu haben sein. 1 Denn die finanziellen Lasten der Vereinigung, aber auch die Erfordernisse der wirtschaftlichen und technologischen Strukturentwicklung, sind mit dem Erhalt der gewachsenen sozialen Besitzstände im Westen ebenso unvereinbar wie mit der Daueralimentierung von wirtschaftlicher Ineffizienz und sozialer Immobilität. Der folgende Beitrag versucht, dieser Kernthese im einzelnen nachzugehen und mögliche Gestaltungsfelder einer institutionellen Modernisierung aufzuzeigen. Die bislang vorgetragenen Konzepte der wirtschaftlichen und sozialen Strukturanpassung sind im wesentlichen einfache Übertragungsmodelle, Modelle einer quantitativen Ausdehnung der (unwiederbringlich) alten bundesrepublikanischen Gesellschaft auf die neuen Länder. 1 Auch in der soziologischen Diskussion haben namhafte Ansätze die Inkorporation der DDR im wesentlichen nur unter der einseitigen Perspektive einer modernisierenden Angleichung interpretiert. So etwa Zapf im Rahmen eines Konzeptes der "weitergehenden Modemisierung". Vgl. Wolfgang Zapf, Der Untergang der DDR und die soziologische Theorie der Modemisierung, in: Bemd Giessen I Claus Leggewie (Hrsg.), Experiment Vereinigung. Ein sozialer Großversuch, Berlin 1991, S. 38- 51; im Sinne der hier vertretenen Position argumentiert u. a. Rolf Reißig, Transformationsprozeß Ostdeutschlands - empirische Wahrnehmungen und theoretische Erklärungen, in: WZB-papers, Juni 1993, S. 11 f.
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Das von der gegenwärtigen Regierungskoalition praktizierte Übertragungsmodell basierte auf einer vorrangigen Privatisierung des Produktivvermögens mit einer starken Komponente der sozialpolitischen Abfederung. Dieser Strategie wäre allerdings nur dann Erfolg beschieden gewesen, wenn es zur schnellen Entfaltung marktwirtschaftlicher Dynamiken gekommen wäre und die unternehmefischen Anpassungsprozesse rasch begonnen hätten zu greifen. Wenn sich aber der Anpassungsprozeß in die Länge zieht und - aus welchen Gründen auch immer - in seiner Entwicklungsdynamik gebremst bleibt, dann gerät dieser Ansatz in eine fatale Finanzierungsklemme: ein selbsttragender Aufschwung im Osten bleibt aus, und die Finanzierung der Anpassungskosten wird zur einseitigen wie wachsenden Alimentierungslast des Westens. An diesem Punkt etwa befindet sich die Bundesrepublik gegenwärtig. Das im wesentlichen von der Opposition und von den Gewerkschaften ins Spiel gebrachte Übertragungsmodell geht von einem stärker etatistisch geprägten Verständnis aus. Gefordert wird vor allem der Ausbau der staatlichen Regulierung des Anpassungsprozesses durch geeignete Industrie- und Strukturpolitiken, eine umfassende Absicherung der sozialen Lasten, eine raschere Angleichung der Lebensverhältnisse unabhängig von der erreichten wirtschaftlichen Leistungskraft sowie die dauerhafte Subventionierung im Falle fehlender marktwirtschaftlicher Perspektiven. Auch dieses Konzept funktioniert natürlich nur dann, wenn die gradualistische Anpassung im finanzierbaren Rahmen bleibt und die Ziele der wirtschaftlichen Strukturanpassung auch mit den Mitteln vermehrter Staatseingriffe in absehbarer Zeit erreicht werden können. Sind jedoch diese Voraussetzungen nicht gegeben, kommt es - wie in den östllichen Bundesländern der Fall - zu sozialen Strukturbrüchen mit Breitenwirkung und schlägt der Gradualismus in eine staatsfinanzierte Beharrung um, dann taumelt auch dieses Modell ins Leere. Es hat seine sozialpolitischen Rechnungen ohne den wirtschaftlichen Wirt gemacht. Beiden Grundströmungen der gegenwärtigen deutschlandpolitischen Debatte, bei denen es sich eher um diffuse Richtungs- und Stimmungstendenzen, denn um programmatische Konzepte handelt, ist bei allen Unterschieden im Tempo der Anpassung oder im Ausmaß der Staatseingriffe jedoch gemeinsam, daß sie die notwendige soziale Innovation am institutionellen Grundgerüst der Bundesrepublik als Thema aussparen.
ll. Leistungen und Grenzen der Privatisierung Nach Auffassung vieler Kritiker sind die krisenhaften Entwicklungen in den neuen Bundesländern einer überhasteten wie konzeptionslosen Schockanpas-
Wirtschaftlicher Aufbau und institutionelle Modernisierung
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sung an marktwirtschaftliche Bedingungen anzulasten. 2 Ein riesiges Zerstörungswerk sei in Gang gesetzt worden: der sofortige Kollaps wirtschaftlicher Leistungsträger und damit auch der wirtschaftliche Zusammenbruch der ehemaligen DDR; der Kahlschlag industrieller und anderer gewerblicher Potentiale, der sich inzwischen zur Deindustrialisierung auswächst, wovon allein der Verlust von bislang rund 40 % aller ehemaligen Arbeitsplätze zeugen. Ihnen entspricht eine nach wie vor zunehmende Massenarbeitslosigkeit von derzeit (Mai 1993) rund 1,1 Mio Erwerbstätigen und weiteren 1,8 Millionen, die nur durch die unterschiedlichsten Maßnahmen der Arbeitsförderung und Vorruhestandsregelungen den Arbeitsmarkt nicht noch zusätzlich belasten. 3 Diese Negativbilanz der Krisenphänomene ist in der Tat für das Transformationsgeschehen der vergangenen drei Jahre charakteristisch gewesen. Die These von der Zerstörungswirkung ,der Marktwirtschaft' weist aber eine erhebliche Schieftage auf. Sie ignoriert völlig, daß die Wirtschaft der DDR bereits vor der VJreinigung durch technologische Rückständigkeit, erhebliche Fehlallokationen von Kapital und Arbeit und gravierende Einbußen auf den westlichen Absatzmärkten gezeichnet war. 4 Wenn überhaupt, dann geht es im Anpassungsprozeß der neuen Länder um eine Wechselwirkung zwischen zwei höchst ungleichwertigen wie strukturell unvereinbaren Systemen: Um die Wechselwirkung zwischen den deformierten, fehlgelenkten Wirtschaftspotentialen einer krisenhaften Planökonomie einerseits und einer produktiv hochentwickelten Markt- und Verhandlungsgesellschaft andererseits, die mit ihren Macht- und Effizienzvorteilen auch neue, westliche Strukturdefekte mit ins Spiel brachte. Unter diesen Rahmenbedingungen hat die Treuhandanstalt in den knapp drei Jahren ihres Wirkens ein atemberaubendes Privatisierungstempo vorgelegt:5 Vom Gesamtbestand an 13 175 Unternehmen, Betriebsteilen und Gütern im August 1993 waren 5 528 Einheiten als Unternehmen und 6 684 Einheiten als Be2 In diesem Sinne Christa Luft, Treuhandreport, Berlin/Weimar 1992, S. 168 ff. und passim; ähnlich in der Argumentationsstrategie verschiedene Beiträge aus neo-marxistischer und grün-alternativer Sicht. Vgl. hierzu v. a. den ersten Abschnitt des Konferenzbandes von Werner Schulz I Ludger Volmer (Hrsg.), "Entwickeln statt abwickeln", Berlin 1992, S. 13-78. 3 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in: Zur wirtschaftllichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, 1993, H. 6. 4 Vgl. hierzu die Beiträge in: Forschungsstelle für gesamtdeutehe wirtschaftliche und soziale Fragen (Hrsg.), Glasnost und Perestrojka auch in der DDR?, Berlin 1988, sowie die Wirtschaftspolitik der Ära Honecker - wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, Teil I u. II, in: FS-Analysen, H. 1, H. 211989. 5 Die nachfolgenden Angaben sind entnommen aus: Treuhandanstalt, Monatsinformation der THA, Stand: 31.8.1993; ein informativer Überblick über den Weg der Privatisierung in den neuen Ländern findet sich unter einem etwas mißverständlichen Titel bei: Doris Cornelsen, Privatisierung in Mittel- und Osteuropa - sind die Erfahrungen aus Ostdeutschland übertragbar?, in: Bemhard Gahlen I Helmut Hesse I Hans Jürgen Ramser (Hrsg.), Von der Planzur Marktwirtschaft. Eine Zwischenbilanz, Tübingen 1992, S. 101-116.
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triebsteile privatisiert worden. Alle Privatisierungsformen zusammengenommen, belief sich bis zu diesem Zeitpunkt ihre Gesamtsumme auf 12 999 Einheiten. Weitere 1 392 Betriebe befinden sich noch unter dem Treuhanddach. Ursprünglich einmal gehörten zum Unternehmensbestand der Treuhand 6 001 Betriebe. Aber durch Ausgliederungen, Teilverkäufe und Entflechtungen hat sich diese Unternehmenszahllaufend verändert, so daß keine Vergleiche mit den Ausgangsgrößen möglich sind. Das quantitative Ausmaß der Privatisierungsleistungen wird besonders eindringlich, wenn man die hierbei betroffenen Beschäftigungsgrößen vergleicht. Sie zeigen, daß der im Treuhandbereich übernommene volkseigene Sektor mit ursprünglich einmal rund vier Millionen Erwerbstätigen durch Privatisierung, Stillegungen oder auch eigenständigen Personalabbau der Treuhandbetriebe auf rund 260 000 Beschäftigte zurückgeführt werden konnte. 6 Umgekehrt wuchs der privatisierte Sektor im Kernbereich der übernommenen und vertraglich zugesagten Beschäftigungsverhältnisse auf rund 1 500 000 Personen an. Nicht in diese Rechnung enthalten sind übrigens die über eine Treuhandtochter - die sog. GPH - privatisierten Unternehmen des Handels, die Hotels und die Gaststätten. Die Privatisierung dieser rund 19 000 Objekte mit nunmehr rund 50 000 Beschäftigten konnte schon Mitte 1991 abgeschlossen werden. Bei aller im Detail der operativen Privatisierungsarbeit angebrachten Kritik (so etwa das unzureichende Vertragscontrolling, problematische Teilverkäufe, die zu funktionsunfähigen Unternehmensresten führten u. a. m.), die ordnungspolitischen Umwälzungen, die von der Treuhandanstalt in nur drei Jahren vollbracht wurden, sind im Umfang ohne Beispiel und, verglichen mit der Privatisierungsmisere der osteuropäischen Transformationsökonomien, von beeindruckender Effizienz. Inzwischen gewinnen die im privatwirtschaftliehen Sektor entstehenden Leistungspotentiale zunehmend an Gewicht. In den privatisierten Betrieben sind relativ rasch neue Beschäftigungsstrukturen entstanden, die auf die veränderten, marktwirtschaftliehen Verwertungsbedingungen ausgerichtet sind? Dementsprechend ist es in der Regel zunächst zu einem drastischen Beschäftigungsabbau gekommen. Erfahrungswerte liegen zwischen 60-75 % der ehemaligen Belegschaftsstärken, teilweise aber auch darüber. Die Ertragslage der privatisierten Betriebe sieht deutlich besser aus als die der Treuhandbetriebe. Im Frühjahr 1992, d. h. noch vor dem konjunkturellen Abschwung in der zweiten Jahres6 Nach Monatsinformation der THA, a.a.O. (Anm. 5); auf diese Quelle beziehen sich auch die folgenden Angaben. 7 Vgl. hierzu Fred Klinger, Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung strukturschwacher Regionen in den östlichen Bundesländern, in: Rolf Reißig (Hrsg.), Rückweg in die Zukunft. Über den schwierigen Transformationsprozeß in Ostdeutschland, Frankfurt/New Ypri 1993, S. 88-95; Klaus Krakat, Aktuelle mikroökonomische Probleme der Transformation, in: PSAnalysen, 1993/H. 2, S. 72 f.
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hälfte, schrieben nach Unternehmensbefragungen z. B. etwas mehr als 20 % privatisierte Unternehmen schwarze Zahlen; Ende 1992, trotzdes bereits einsetzenden konjunkturellen Abschwungs, sogar schon 40% der befragten Privatbetriebe. Im Treuhandbereich trifft eine positive Ertragslage hingegen nur auf jedes zehnte Unternehmen zu. 8 Natürlich verbleiben im Treuhandbereich zunehmend die schwer privatisierbaren und leistungsschwachen Einheiten. Die Leistungsunterschiede zur Privatwirtschaft sind so gesehen auch ein Effekt negativer Auslesen, die sich unter dem Treuhanddach angesammelt haben. Zu den verbliebenen 1 392 Unternehmen gehören vor allem noch 44 Großbetriebe (über 1 000 Arbeitnehmer) mit rund 145 000 Beschäftigten. Gerade in bezug auf die nicht privatisierbaren oder nur teilprivatisierten Unternehmen ist immer auch die grundsätzliche Frage nach der Dynamik und Trägerschaft von Sanierungsprozessen aufgeworfen worden. Erfahrungsgemäß muß davon ausgegangen werden, daß Sanierungsträger, die weder die Risiken und Kosten, noch die Gewinnchancen einer Strukturanpassung übernehmen, zumeist auch nicht die nötige Motivation und das Durchsetzungsvennögen aufbringen können, um die konfliktreichen Marktaopassungen in den Betrieben durchzustehen. So gesehen erscheinen die Auseinandersetzungen über den Vorrang von Privatisierung oder von Sanierung und über das Tempo der Marktanpassung denn auch eher als eine Kontroverse um Scheinalternativen. Man kann es auch schärfer ausdrücken: ohne Privatisierung gibt es im Regelfalle auch keine echte Sanierung. Die Bilanz der auf absehbare Zeit nicht aufzuwiegenden Arbeitsplatzverluste und die Anlaufschwierigkeiten des Aufschwungs weisen darauf hin, daß die Privatisierungsstrategie zwar im Grundsatz den Transfonnationsprozeß in Richtung Marktwirtschaft vorantreibt, aber unter den gegebenen Bedingungen auch auf bestimmte Grenzen stößt. Das liegt an mehreren strukturell wirksamen Hemmfaktoren. Ihr Einfluß kann durch die Wirkung marktwirtschaftlicher Kräfte allein nicht zurückgedrängt werden. Die wichtigsten von ihnen seien hier zunächst ohne Rangfolge kurz aufgelistet und kommentiert: 1. Das vom Weltmarkt abgekoppelte Wirtschaftssystem der DDR hat erhebliche Fehlallokationen produziert. So mußten eine Vielzahl von Betrieben und ganze Industriebranchen, die nach betriebswirtschaftliehen Maßstäben weder privatisiert noch - innerhalb des gegebenen Produkt- und Leistungsspektrums - saniert werden können, in das marktwirtschaftliche System übernommen werden. Das betrifft zum einen technologisch rückständige Unternehmen aus Altindustrien im Montanbereich sowie im Bereich der Chemie, zum anderen Betriebe aus stark schrumpfenden Branchen wie der Textilindustrie, der kon8 IWH, Ostdeutschland 1993 und 1993, Frühjahrsgutachten 1993, Berlin/Halle 1993, S. 23; vgl. auch !WH-Konjunkturbericht 1993/H. 2, S. 11.
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ventionellen Metallverarbeitung oder Elektrotechnik, die auch im Westen von Stillegung oder Produktionsverlagerung erlaßt werden. In diese Kategorie der Fehlallokationen fallen auch solche Unternehmen, die zwar mit technisch (!) hochwertigen Maschinen und Anlagen ausgerüstet sind, die aber über kein betriebswirtschaftlich vertretbares Marktpotential verfügen; so etwa Betriebe, die längst veraltete elektronische Komponenten herstellten. 2. Das endogene Potential an Unternehmerischen Kräften und marktorientierten Fertigkeiten ist aus historischen Gründen stark begrenzt; den objektiven Privatisierungschancen fehlt häufig der sozialkulturelle Unterbau. So müssen die mentalen Voraussetzungen und Verhaltenstechniken, die marktwirtschaftliche Verwertungsprozesse in Gang halten, vielfach erst mühsam entwickelt werden; umgekehrt wirken oft solche Einflüsse aus den alten Systembedingungen nach, die sich als Verhaltenssperre gegenüber marktwirtschaftliehen Anpassungsprozessen erweisen. 3. Die Wirtschafts- und Sozialordnung der alten Bundesrepublik ist in vielen Bereichen hochgradig vermachtet und in ihren Wettbewerbsformen entsprechend deformiert. Das begrenzt auch die Entwicklungsdynamik im Osten, da zunächst einmal nicht-ökonomische Mittel eingesetzt werden können, um einerseits aus der Vereinigung Vorteile zu ziehen, andererseits aber den Aufwand und das Risiko eigener Strukturänderungen zu minimieren. 4. Die Anpassungsresistenz des Westens fällt naturgemäß um so stärker ins Gewicht, je mehr die möglichen Gewinnchancen (niedrigere Lohnkosten, Kapitalhilfen, kürzere Wege zum Markt, u. a. m.) durch Standortnachteile wieder zunichte gemacht werden. Zu den schwerwiegenden Nachteilen gehören in allen ostdeutschen Regionen die völlig unterentwickelten technischen Infrastrukturen, die gerade einmal ein Ausstattungsniveau von 10 bis 25 % der europäischen Spitzenwerte erreichen und in wichtigen Merkmalen, wie etwa der Telekommunikation (in acht der ehemals fünfzehn DDR-Bezirke), zu den am schlechtesten ausgestatteten Regionen Europas überhaupt gehörten. Selbst Ostberlin erreichte hier nur das Niveau von Kreta oder Nordirland. 9 Aber auch administrative und soziale Rahmenbedingungen wie die Funktionsschwächen der neuen Landesund Kommunalverwaltungen, das Fehlen einer Vielzahl intermediärer Instanzen oder etwa die desolate Versorgung mit Wohnraum verschlechtem die Standortqualität zusätzlich. Diese Entwicklungshemmnisse schließen offenkundig eine in den neuen Bundesländern selbst angelegte endogene sowie eine durch den Westen "importierte" exogene Dimension ein. Beide Problembereiche sollen im folgenden exemplarisch analysiert werden.
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Ebenda (Frühjahrsgutachten 1993), S. 82 f.
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lll. Endogene und exogene Entwicklungshemmnisseinstitutionelle Prägungen und unzureichende Investitionsdynamik
1. Endogene Faktoren: Das Gewicht der institutionellen Prägungen Zwischen ostdeutscher und westdeutscher Gesellschaft bestehen eine Reihe empirisch zwar greifbarer, analytisch jedoch weithin ungeklärter Unterschiede in typischen Verhaltens- und Einstellungsrnerkmalen. In diesen Unterschieden offenbaren sich unterschiedliche Muster sozialkultureller Identität. Ihre Wurzeln liegen vermutlich in den jeweils andersgearteten Mechanismen der Systemintegration, d. h. im Prinzip in den Funktionsweisen von Märkten und dezentralen Koordinationen auf der einen sowie von Hierarchien und zentralen Lenkungen auf der anderen Seite. Diese Einflüsse aus dem gesellschaftlichen Makrobereich haben auf das soziale Leben eingewirkt und sich hier im Laufe der Zeit zu einem Gefüge institutioneller Prägungen verfestigt. Gerade diese sozial-kulturellen Einflüsse haben sich in der Vergangenheit als besonders wirksame Integrationsbarriere erwiesen und sind inzwischen, Hohn aller technokratischen Kalküle, im deutschen Einigungsprozeß zum Kostenfaktor par excellence avanciert. Als kulturelle Faktoren unterscheiden sie sich von anderen Einflußvariablen durch ihre symbolische Qualität: Sie sind an die Zeitstrukturen menschlichen Verstehens und die geistige Verarbeitung von Bedeutungsmustern gebunden. Daraus erwächst als anthropologische Konstante der conditio humana auch jene häufig konstatierbare Beharrungstendenz (so das "culturallag" bei Ogbum u. a.), die sich vor allem dann mit Heftigkeit zu Bewußtsein bringt, wenn sturzartige Prozesse des Systemwandels nicht mehr mental verarbeitet werden können und zur sozialen Verunsicherung führen. 10 Im nachfolgenden Schaubild sind entlang einer analytischen Unterscheidung in lebensweltliche und systemische Bezüge einige typische Merkmale institutioneller Prägungen zusammengestellt. Hinzuweisen wäre darauf, daß diese Prägungen des Verhaltens und der Einstellungen zum einen nur als soziale Typik und in der großen Tendenz gelten und daß sie zum anderen natürlich nicht die einzigen Einflüsse sind, die auf die Ausbildung kollektiver Identität wirken. Die hier angefügte Dimension der Steuerungsmedien betrachtet zusätzlich die je10 Zum hier verwendeten sozialwissenschaftliehen Kulturbegriff vgl. Friedrich H. Tenbruck, Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, Opladen 1990, S. 45 ff. (2. Kapitel), Tenbruck schreibt: "Es gehört deshalb zu der spezifischen, von den Sozialwissenschaften befestigten Blindheit des heutigen Weltbildes zu glauben, Handlungssicherheit (alias Sinn, Identität usw.) ließe sich durch bloße strukturelle Maßnahmen sichern." Über die Zusammenhänge von Verhaltensprägungen, institutionellen Mustern und kulturellen Formen vgl. v. a.: M. Rainer Lepsius, Immobilismus. Das System der sozialen Stagnation in Süditalien, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 170-210.
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weils gesellschaftstypischen Fertigkeiten bzw. Ressourcen, die für die individuelle lnteressendurchsetzung normalerweise eingesetzt werden können.
Institutionelle Prägungen Realitätsdimension
fest
Ost
marklorientiert. verhandlungsbezogen. konßiktiv
hierarchischorientiert. befehlsbezogen. inlegraliv
laklischkonkurrenzorientiert. expressivoffen. au8engeleitelindividualislisch
laktiscbpersonebezogen. innerlichgeschlossen. ausengeleitelkonformistisch
lniliativfahigkeil. StrategieKompetenz. Knowbow/Geld/ Klienteie
Improvisationsfähigkeit. muddlinglhroughKompetenz. Klienteie
Es ist hier nicht der Platz, diese Merkmalsunterschiede im Detail ihrer sozialen, ökonomischen und politischen Hintergründe darzustellen. 11 Hinzuweisen wäre jedoch auf dreierlei: 11 Ausführlichere Auseinandersetzungen mit den Systemeinflüssen auf Verhaltens- und Einstellungsmuster finden sich u. a. in: Fred Klinger, Subvention und Leistungsprinzip - Anmerkungen zur aktuellen Reformdiskussion in der DDR, in: FS-Analysen, H. 3/1 990, S. 51 ff.; ders., Probleme des wirtschaftlichen Umbruchs in der DDR, in: Die DDR auf dem Weg zur deutschen Einheit. Probleme, Perspektiven, offene Fragen, Köln 1990, S. 76 ff.
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Erstens: Die unterschiedlichen Merkmalsausprägungen verkörpern keine logischen Gegensätze, sondern stellen unterschiedliche, jeweils institutionell geprägte Verhaltensrepertoires für gleichartige Problemlagen dar. In beiden Gesellschaftsformen stellt beispielsweise ein im Grundsatz interessengeleitetes, d. h. taktisch abwägendes Verhältnis gegenüber Dritten ein selbstverständliches Einstellungsmuster dar. Es artikuliert sich aber in der westlichen Gesellschaft typischerweise in einer mehr oder weniger offenen Konkurrenz um Lebenschancen (konftiktive Konftiktlösung). In den ehemaligen oder noch bestehenden sozialistischen Systemen, in denen Lebenschancen hierarchisch zugeteilt werden, tritt die Auseinandersetzung um knappe Güter vor allem im Nahbereich personaler Bezüge, innerhalb von Gefolgschaften und Klientelen in Erscheinung, die eine individuelle Verselbständigung gegenüber Gruppennormen verhindern. Die Auseinandersetzungen werden dadurch häufig informal abgeschottet und personalisiert. Das nenne ich die integrative Form der Konftiktlösung. Zweitens geht es bei der Gegenüberstellung systemtypischer Merkmale nicht etwa um Bewertungen, sondern um jeweils andersgeartete Formen der sozialkulturellen Vergesellschaftung, die ihrer Umwelt gegenüber jeweils mehr oder weniger stark angepaßt waren. Der zur Eigeninitiative und Strategiebildung fahige Westmanager hätte sich vermutlich in ein Häuftein Elend verwandelt, wäre er mit der Verantwortung für östliche Planerfüllungsprozeduren konfrontiert worden. Dort nämlich waren vor allem die Fähigkeit zur Anpassung und zum informellen Durchwühlen (muddling-through) im häufig desorganisierten Wirtschaftsdickicht gefordert, und auch die Fähigkeit, mit Umsicht die Klippen onkontrollierter politischer Eingriffe und Repressionsdrohungen zu umschiffen. Drittens zeigt die Gegenüberstellung, daß die im Osten aufgewachsenen Menschen fürs erste in bezug auf die neue Marktumgebung relativ chancenlos sind. Ihr sozial-kulturelles Kapital, das Verhaltensrepertoire ihrer Fertigkeiten und die von ihnen typischerweise genutzten Möglichkeiten zur Einflußnahme sind weithin und vermutlich irreversibel entwertet. Der Austrag offener Konflikte in einer Verhandlungsgesellschaft ist für sie z. B. schon deshalb mit so vielen Fragezeichen versehen, weil sie in der Regel nicht über das zureichende Know-how verfügen, um den Schlichen und Tücken des Konfliktaustrags erfolgreich zu begegnen. Und wer in einer auf Konformismus und Integrationszwängen angelegten Gesellschaft aufwuchs, hat selten auch die Fähigkeit erworben, die eigene Person so expressiv in Szene zu setzen, als sei sie das Produkt einer aufwendigen Marketingstrategie. Auch wenn die Fundamente parteistaatlicher Herrschaft längst zerbrochen sind, ihre institutionellen Verlängerungen entfalten im Bewußtsein der Menschen eine bemerkenswerte Kontinuität. Diese symbolische Beharrungstendenz hat sich vor allem dort eine große verhaltenssteuernde Wirkung bewahrt,
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wo sie sich im Rahmen größerer Organisationsgebilde auf sozial abgeschottete Nischen und auf den Schutzschirm staatlicher Alimentierungen verlassen kann. So läßt sich in der Innenwelt von Treuhandbetrieben (aber nicht nur hier) häufig beobachten, wie die alten Routinen und Erwartungshaltungen ihre sozial-integrierende Potenz bewahren können. Um ein harmloses aber typisches Beispiel aus den Erfahrungen meiner Feldforschungen zu geben: als in einem Großbetrieb 100 % Kurzarbeit angeordnet werden mußte, nahm auch die Betriebsleitung ihren ,gerechten' Anteil an dieser Regelung. Daß damit der Gesamtbetrieb völlig lahmgelegt war, störte nicht weiter. Weitaus wichtiger war, daß man ohne solche Gleichverteilungen der Anpassungslasten erheblichen Unmut bei den Arbeitern erzeugt hätte, und davor hatte man Angst. Auch verschiedene Förderkonzepte der Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern sind ein gutes Beispiel dafür, wie Programme, die eigentlich dazu bestimmt sind, die Anpassungsfähigkeit an veränderte Wirtschafts- und ArbeitsmarkHagen zu verbessern, indirekt dazu beitragen, daß immobile und unftexible Strukturen erhalten bleiben und sich der Problemdruck auf Dauer nur erhöht. Sicher sind in Krisengebieten großflächige Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung als Überbrückung und Behelf schon allein deshalb nötig, weil es in Ermangelung anderer Lösungen sonst zum Zusammenbruch einer ganzen sozialen Ökologie käme. Das novellierte Arbeitsförderungsgesetz schafft hierzu einige, wenn auch noch ergänzungsbedürftige Möglichkeiten. 12 Die insbesondere vom Land Brandenburg, aber auch anderen Kräften ausgehenden Initiativen, mit Hilfe der Arbeitsförderung ersatzweise Strukturpolitik zu treiben bzw. im zweiten Arbeitsmarkt eine Art Dauerzustand der alimentierten Beschäftigung einzurichten, übersehen jedoch systematisch die Tatsache, daß solche Förderkonzepte in der Konsequenz dazu führen, die vorhandenen institutionellen Prägungen zu konservieren, anstatt aufzubrechen. 13 Das gleiche gilt übrigens auch für die weithin unausgegorenen Konzepte zur Erhaltung 12 Das novellierte Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat vor allem mit den Regelungen, die sich aus dem neuen Paragraphen 249 h ergeben, eine Erweiterung der bisherigen Instrumente der Arbeitsförderung geschaffen. Sie sehen vor, daß in den Bereichen der Umweltsanierung, der sozialen Dienste sowie der Jugendhilfe auch Wirtschaftsunternehmen bzw. gemeinnützige Träger, die bei entsprechenden Projekten arbeitslose Arbeitnehmer einstellen, Lohnsubventionen zum Arbeitsentgelt erhalten; vgl. AFG i. d. F. des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1992, Bundesgesetzblatt BGBI. I. 2094. 13 Vgl. exemplarisch für solche Ansätze: IG-Metall, Vorstand, Wirtschaftsabteilung, Beschäftigungspolitische Überbrückungskonzepte in den neuen Bundesländern- zur Organisierung von Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Strukturentwicklungsmaßnahmen, o. 0., o. J. (Ffm. 1991; unveröffentlichtes Typoskript); Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, Sofortprogramm, Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg, o. 0., o. J. (Potsdam 1991; unveröffentlichtes Typoskript); Mathias Knutz, Eine Brücke zu neuen Ufern? Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ARS-Gesellschaft) in den neuen Bundesländern, in: Sozialer Fortschritt, 41. Jg. (1992), H. 8, S. 177 ff.
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der sog. "industriellen Kerne". Ganz abgesehen davon, daß grundsätzlich, wie übrigens bei fast allen Schreibtischprogrammen, das Problem übersehen wird, wie schwer, ja oft wie unrealistisch es ist, ohne betriebswirtschaftliche Ziele und marktliehe Verwertungskriterien überhaupt eine sinnvolle Organisation der Arbeit und geeignete Einsatzstrukturen der Beschäftigten zu gewährleisten. Die wirtschaftlich erneuernden Gegentendenzen gegenüber solchen Beharrungskräften sind hingegen erst schwach ausgebildet. Das endogene Potential an unternehmerischer Selbständigkeit ist und bleibt in den neuen Ländern auf absehbare Zeit begrenzt. 14 Eine fast vollständig ausgelöschte Kultur der wirtschaftlichen Selbständigkeit läßt sich nicht einfach im Schnellverfahren sozialstruktureller Gewächshäuser hochzüchten. Rund 180 Tausend Erwerbspersonen zählten zur Gruppe derer, die gegen Ende der DDR noch zu den "Selbständigen" gehörten. Mit einigen Abstrichen kann man im soziologischen Sinne auch noch diejenigen Beschäftigten hinzurechnen, die sich im genossenschaftlichen Sektor eine gewisse berufliche und soziale Nähe zu selbständigem Wirtschaftshandeln bewahrt hatten. Mit dieser Gruppe zusammen lag Ende 1989 das gesamte Reservoir an einer wie auch immer aktivierbaren Sozialkultur der wirtschaftlichen Selbständigkeit bei schätzungsweise 360 Tausend Personen. 15 Vor allem diesem Personenkreis gelang es im Verlaufe erster Gewerbegründungen und Privatisierungsmaßnahmen des Jahres 1990 auch relativ schnell, sich in den alten Stammsektoren des Handels, der Gastronomie sowie im dienstleistenden und produzierenden Handwerk wieder einzurichten und auf privatwirtschaftliche Unternehmensformen umzustellen. Auf diese Bereiche entfallen etwa 80 %, d. h. die übergroße Mehrheit aller Gewerbegründungen. Die industriellen Ansätze sind hingegen eine Rarität. Bis Anfang 1992 war die Gruppe der Selbständigen einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen auf schätzungsweise rund 600 Tausend Personen angewachsen und hat sich auf diesem Niveau vermutlich eingependelt. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß viele Gewerbe - geht man vom Indikator der Anmeldungen aus - nur formal bestehen und keinen regulären Geschäftsbetrieb widerspiegeln.
14 Zum sozialstrukturellen Potential der Selbständigen und ihren Entwicklungschancen vgl. Werner Friedrich, Schaffung von Arbeitsplätzen durch neue Selbständigkeit?, in: Kurt Vogler-Ludwig (Hrsg.), Perspektiven für den Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern, München 1991, S. 103 ff. 15 Schätzung bei Fred Klinger, Einflußfaktoren auf Soziale Integrationsprobleme, in: FSAnalysen, 1992, H. 2, S. 18 f.; auf diese Quelle beziehen sich auch die nachfolgenden Angaben.
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2. Exogene Faktoren: Die unzureichende Investitionsdynamik Die arbeitsmarktliehe Kernproblematik der ökonomischen Strukturumwälzung ergibt sich aus einer einfachen, aber häufig vergessenen Tatsache: Dauerarbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt entstehen weder durch sozialpolitische Transfers noch durch ausgeklügelte Förderstrategien, sondern allein durch betriebswirtschaftlich rentierliehe Investitionen. Dies bedeutet, daß angesichts der Größenordnung der Strukturumwälzungen investive Wachstumsschübe mit Beschäftigungseffekten in Millionenhöhe ausgelöst werden müßten. Diese Aufgabe hat den Rang einer strategischen Herausforderung. Ohne einen Investitionsschub bleiben die Arbeitsmärkte auf Dauer deformiert und müssen (mit abnehmender Leistung) weiterhin alimentiert werden, brechen soziale Strukturen zusammen, bleiben Märkte unterentwickelt, veröden ganze Regionen. Die Bruttoinvestitionen in den neuen Ländern sind zwar mit einem Anstieg von rund 25% gegenüber 1991 besonders deutlich gewachsen, doch bleiben die erreichten Größenordnungen erheblich unter dem Niveau, das für einen raschen Wiederaufbau erforderlich wäre. Das zeigen überschlägige Modellrechnungen deutlich. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, erreichten die Bruttoinvestitionen in den neuen Ländern 1992 mit 109 Mrd. DM rund 76% des westdeutschen Niveaus. Anders ausgedrückt: wäre im Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgröße in Ost und West gleich viel investiert worden, dann hätten in den neuen Ländern die Bruttoinvestitionen im Jahre 1992 um 35 Mrd. DM höher liegen müssen als es der Fall war. 16 Damit wäre erst ein investiver Gleichstand für die laufende Entwicklung hergestellt, nicht jedoch ein entsprechender Beitrag zum Ausgleich der vorhandenen Entwicklungsrückstände geleistet worden. Einem dauerhaften Investitionsanstieg stehen indes eine Reihe von Hemmfaktoren entgegen. Dazu gehören neben den bereits genannten Standortnachteilen vor allem die in Deutschland erreichten Kosten (vgl. Tab. 1) und Produktivitätsbedingungen der Arbeit. Die für den Wettbewerb entscheidenden Lohnstückkosten, d. h. der Anteil der Löhne am Produktionsergebnis, erreichten 1992 auf dem früheren Gebiet der Bundesrepublik zwar noch einen recht günstigen Durchschnittswert von 54,4 v. HP 16 Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zum Bruttoinlandsprodukt 1992. 17 Noch 1990 lagen die Lohnstückkosten in der (westlichen) Bundesrepublik im internationalen Vergleich in einer Mittelposition; Großbritannien, die USA und Japan wiesen im volkswirtschaftlichen Durchschnitt einen deutlich höheren Anteil der Bruttoeinkommen am Bruttoinlandsprodukt aus; vgl. hierzu Claus F. Hofmann, Stephan Monse, Wirtschaftsstandort Deutschland, Relativ gute Position, in: Bundesarbeitsblatt, 1992, H. 9, S. 11.
19,46 22,50 41,96
J 7,18 22,82 30,00
F 13,18 14,57 27,75
6,93 17,86 24,69
USA
GB
22,79
6,85 15,94
Quelle: zusammengestellt nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft
Personalzusatzkosten Stundenlohn Gesamtkosten
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Arbeitskosten im Internationalen Vergleich 1992 in DM
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Aber diese noch bis Ende der achtziger Jahre statistisch positiv verlaufende Entwicklung stieß schon in der Vergangenheit auf die zunehmenden Gegenkräfte einer sich globalisierenden Konkurrenz. Die Generaltendenz der Drohungen läßt sich an der Entwicklung des Zuflusses ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland und deutscher Direktinvestitionen im Ausland deutlich ablesen. Sie lautet: während die deutschen Direktinvestitionen vor allem als Beteiligungskapital in das verarbeitende Gewerbe des Auslands wandern, hat Deutschland umgekehrt für das Ausland als Produktionsstandort gewerblicher Fertigungen stark an Bedeutung verloren. 18 Von 1985 bis 1990 ist der Bestand ausländischer Direktinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe real um gerade einmal 6 % gewachsen. In Schlüsselbranchen wie der EDV und Büromaschinenindustrie stagnierten de facto die Direktinvestitionen von Ausländern in Deutschland. Ihr Bestand stieg in diesem Zeitraum, der zudem eine Phase eines stürmischen Automatisierungsbooms darstellte, nominell von 5,4 Mrd. auf nur 5,9 Mrd. DM. 19 Deutschland ist für ausländische Investoren zunehmend als logistisches Operationsfeld der Absatzabteilungen und für Finanztransaktionen von Interesse. So sind die Zuwächse der Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland im besonderen Maße durch einen Anstieg der konzerninternen Kredite bedingt worden. Über 44 % des Bestandes an ausländischen Direktinvestitionen, das sind 82 Mrd. DM, bestanden 1991 aus solchen Kreditbeziehungen. Ihr Zuwachs wurde insbesondere durch das hohe Zinsniveau in Deutschland befördert. 20 Hinter dieser Gesamtentwicklung steht als strukturelle Entwicklungstendenz eine internationale Angleichung der Produktivitätsniveaus von Arbeit und Kapital. Sie bedeutet nichts anderes, als daß global gesehen immer mehr entwickelte Industriestandorte mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit miteinander in Konkurrenz stehen. Diese Weltmarktentwicklungen können nicht aufgehalten werden. Gravierend aber ist, daß es in der Bundesrepublik nicht gelang, sich diesen weithin geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Denn trotz der Belastungen aus dem deutschen Einigungsprozeß und trotz des zunehmenden internationalen Konkurrenzdrucks haben sich die grundlegenden Kosten- und Verteilungsrelationen keineswegs verbessert (vgl. Tab. 2). Die Lohnstückkosten verharren auf dem Niveau vor der Vereinigung. Abiesbar ist auch, daß sich die Verteilungsrelationen zugunsten der Lohneinkommen 18 Vgl. dazu Die Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland in den Jahren 1976 bis 1985, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 1987/H. 3, hier S. 31 , sowie Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland - Stand Ende 1987 und aktuelle Entwicklung, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, I 989/H. 4, hier v. a. S. 30 f. 19 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1992 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbadenl992, S. 697 20 Vgl. Die Entwicklung der Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland vom Ende 1989 bis Ende 1991, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 1993, H. 4, hier v. a. S. 37 f.
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